Skip to main content

Full text of "Neue Jahrbücher für Philologie und Paedogogik"

See other formats


Google 


This  is  a  digital  copy  of  a  book  that  was  prcscrvod  for  gcncrations  on  library  shclvcs  bcforc  it  was  carcfully  scannod  by  Google  as  pari  of  a  projcct 

to  make  the  world's  books  discoverablc  online. 

It  has  survived  long  enough  for  the  Copyright  to  expire  and  the  book  to  enter  the  public  domain.  A  public  domain  book  is  one  that  was  never  subject 

to  Copyright  or  whose  legal  Copyright  term  has  expired.  Whether  a  book  is  in  the  public  domain  may  vary  country  to  country.  Public  domain  books 

are  our  gateways  to  the  past,  representing  a  wealth  of  history,  cultuie  and  knowledge  that's  often  difficult  to  discover. 

Marks,  notations  and  other  maiginalia  present  in  the  original  volume  will  appear  in  this  flle  -  a  reminder  of  this  book's  long  journcy  from  the 

publisher  to  a  library  and  finally  to  you. 

Usage  guidelines 

Google  is  proud  to  partner  with  libraries  to  digitize  public  domain  materials  and  make  them  widely  accessible.  Public  domain  books  belong  to  the 
public  and  we  are  merely  their  custodians.  Nevertheless,  this  work  is  expensive,  so  in  order  to  keep  providing  this  resource,  we  have  taken  Steps  to 
prcvcnt  abuse  by  commercial  parties,  including  placing  lechnical  restrictions  on  automated  querying. 
We  also  ask  that  you: 

+  Make  non-commercial  use  ofthefiles  We  designed  Google  Book  Search  for  use  by  individuals,  and  we  request  that  you  use  these  files  for 
personal,  non-commercial  purposes. 

+  Refrain  fivm  automated  querying  Do  not  send  automated  queries  of  any  sort  to  Google's  System:  If  you  are  conducting  research  on  machinc 
translation,  optical  character  recognition  or  other  areas  where  access  to  a  laige  amount  of  text  is  helpful,  please  contact  us.  We  encouragc  the 
use  of  public  domain  materials  for  these  purposes  and  may  be  able  to  help. 

+  Maintain  attributionTht  GoogXt  "watermark"  you  see  on  each  flle  is essential  for  informingpcoplcabout  this  projcct  and  hclping  them  lind 
additional  materials  through  Google  Book  Search.  Please  do  not  remove  it. 

+  Keep  it  legal  Whatever  your  use,  remember  that  you  are  lesponsible  for  ensuring  that  what  you  are  doing  is  legal.  Do  not  assume  that  just 
because  we  believe  a  book  is  in  the  public  domain  for  users  in  the  United  States,  that  the  work  is  also  in  the  public  domain  for  users  in  other 
countries.  Whether  a  book  is  still  in  Copyright  varies  from  country  to  country,  and  we  can'l  offer  guidance  on  whether  any  speciflc  use  of 
any  speciflc  book  is  allowed.  Please  do  not  assume  that  a  book's  appearance  in  Google  Book  Search  mcans  it  can  bc  used  in  any  manner 
anywhere  in  the  world.  Copyright  infringement  liabili^  can  be  quite  severe. 

Äbout  Google  Book  Search 

Google's  mission  is  to  organizc  the  world's  Information  and  to  make  it  univcrsally  accessible  and  uscful.   Google  Book  Search  hclps  rcadcrs 
discover  the  world's  books  while  hclping  authors  and  publishers  rcach  ncw  audicnccs.  You  can  search  through  the  füll  icxi  of  ihis  book  on  the  web 

at|http: //books.  google  .com/l 


Google 


IJber  dieses  Buch 

Dies  ist  ein  digitales  Exemplar  eines  Buches,  das  seit  Generationen  in  den  Realen  der  Bibliotheken  aufbewahrt  wurde,  bevor  es  von  Google  im 
Rahmen  eines  Projekts,  mit  dem  die  Bücher  dieser  Welt  online  verfugbar  gemacht  werden  sollen,  sorgfältig  gescannt  wurde. 
Das  Buch  hat  das  Uiheberrecht  überdauert  und  kann  nun  öffentlich  zugänglich  gemacht  werden.  Ein  öffentlich  zugängliches  Buch  ist  ein  Buch, 
das  niemals  Urheberrechten  unterlag  oder  bei  dem  die  Schutzfrist  des  Urheberrechts  abgelaufen  ist.  Ob  ein  Buch  öffentlich  zugänglich  ist,  kann 
von  Land  zu  Land  unterschiedlich  sein.  Öffentlich  zugängliche  Bücher  sind  unser  Tor  zur  Vergangenheit  und  stellen  ein  geschichtliches,  kulturelles 
und  wissenschaftliches  Vermögen  dar,  das  häufig  nur  schwierig  zu  entdecken  ist. 

Gebrauchsspuren,  Anmerkungen  und  andere  Randbemerkungen,  die  im  Originalband  enthalten  sind,  finden  sich  auch  in  dieser  Datei  -  eine  Erin- 
nerung an  die  lange  Reise,  die  das  Buch  vom  Verleger  zu  einer  Bibliothek  und  weiter  zu  Ihnen  hinter  sich  gebracht  hat. 

Nu  tzungsrichtlinien 

Google  ist  stolz,  mit  Bibliotheken  in  Partnerschaft  lieber  Zusammenarbeit  öffentlich  zugängliches  Material  zu  digitalisieren  und  einer  breiten  Masse 
zugänglich  zu  machen.     Öffentlich  zugängliche  Bücher  gehören  der  Öffentlichkeit,  und  wir  sind  nur  ihre  Hüter.     Nie htsdesto trotz  ist  diese 
Arbeit  kostspielig.  Um  diese  Ressource  weiterhin  zur  Verfügung  stellen  zu  können,  haben  wir  Schritte  unternommen,  um  den  Missbrauch  durch 
kommerzielle  Parteien  zu  veihindem.  Dazu  gehören  technische  Einschränkungen  für  automatisierte  Abfragen. 
Wir  bitten  Sie  um  Einhaltung  folgender  Richtlinien: 

+  Nutzung  der  Dateien  zu  nichtkommerziellen  Zwecken  Wir  haben  Google  Buchsuche  Tür  Endanwender  konzipiert  und  möchten,  dass  Sie  diese 
Dateien  nur  für  persönliche,  nichtkommerzielle  Zwecke  verwenden. 

+  Keine  automatisierten  Abfragen  Senden  Sie  keine  automatisierten  Abfragen  irgendwelcher  Art  an  das  Google-System.  Wenn  Sie  Recherchen 
über  maschinelle  Übersetzung,  optische  Zeichenerkennung  oder  andere  Bereiche  durchführen,  in  denen  der  Zugang  zu  Text  in  großen  Mengen 
nützlich  ist,  wenden  Sie  sich  bitte  an  uns.  Wir  fördern  die  Nutzung  des  öffentlich  zugänglichen  Materials  fürdieseZwecke  und  können  Ihnen 
unter  Umständen  helfen. 

+  Beibehaltung  von  Google-MarkenelementenDas  "Wasserzeichen"  von  Google,  das  Sie  in  jeder  Datei  finden,  ist  wichtig  zur  Information  über 
dieses  Projekt  und  hilft  den  Anwendern  weiteres  Material  über  Google  Buchsuche  zu  finden.  Bitte  entfernen  Sie  das  Wasserzeichen  nicht. 

+  Bewegen  Sie  sich  innerhalb  der  Legalität  Unabhängig  von  Ihrem  Verwendungszweck  müssen  Sie  sich  Ihrer  Verantwortung  bewusst  sein, 
sicherzustellen,  dass  Ihre  Nutzung  legal  ist.  Gehen  Sie  nicht  davon  aus,  dass  ein  Buch,  das  nach  unserem  Dafürhalten  für  Nutzer  in  den  USA 
öffentlich  zugänglich  ist,  auch  für  Nutzer  in  anderen  Ländern  öffentlich  zugänglich  ist.  Ob  ein  Buch  noch  dem  Urheberrecht  unterliegt,  ist 
von  Land  zu  Land  verschieden.  Wir  können  keine  Beratung  leisten,  ob  eine  bestimmte  Nutzung  eines  bestimmten  Buches  gesetzlich  zulässig 
ist.  Gehen  Sie  nicht  davon  aus,  dass  das  Erscheinen  eines  Buchs  in  Google  Buchsuche  bedeutet,  dass  es  in  jeder  Form  und  überall  auf  der 
Welt  verwendet  werden  kann.  Eine  Urheberrechtsverletzung  kann  schwerwiegende  Folgen  haben. 

Über  Google  Buchsuche 

Das  Ziel  von  Google  besteht  darin,  die  weltweiten  Informationen  zu  organisieren  und  allgemein  nutzbar  und  zugänglich  zu  machen.  Google 
Buchsuche  hilft  Lesern  dabei,  die  Bücher  dieser  Welt  zu  entdecken,  und  unterstützt  Autoren  und  Verleger  dabei,  neue  Zielgruppcn  zu  erreichen. 
Den  gesamten  Buchtext  können  Sie  im  Internet  unter|http:  //books  .  google  .coiril  durchsuchen. 


^ 


«         • 


Ut? 


Neue 


JÄHRBOGHER 


für 


Philologie  und  PaedagogiL 


Begründet 


von 


M«  Johann  Ghristiaji  Jahn. 


Gegenwärtig  herausgegeben 


von 


Rudolph  Dietsch       ««i      Alfred  Fleckeisen 

Professor  in  Grimma  Professor  in  Fankfuri  a.  M. 


JiCHTUiniZWJLiraiGStTEIR  JJlHRGJlM«. 

Achtundsiebenzigster   Band. 


Leipzig  1858 

Druck  und  Verlag  von  B.   G.   Teubner. 


Zweite  Abtheilimg 

henMsgcgebn  tw  Radtipk  DIetsck 


1. 

Die  Structuren  mit  el  av  und  d  ov  geordnet  und  jede  in 
ihrem  Zusammenhange  nachgewiesen. 


Die  Fälle,  wo  neben  el  sich  diejenigen  Modalformen  finden,  welche 
im  Aussagesatz  erscheinen,  also  namentlich  der  Opt.  c.  orV,  das  Praeter, 
c.  av^  als  Negation  ov,  sind  noch  nicht  gehörig  unterschieden.  Es 
herscht  noch  die  Sitte  das  äv  durch  Supplierung  eines  et,  das  ov  durch 
Zusammenfassung  mit  einem  einzelnen  Worte  oder  durch  Gleichsetzung 
mit  si  non  für  hinreichend  erklärt  zu  halten ,  obwol  danach  durchaus 
nicht  abzusehen  ist,  warum  dann  nicht  überall  sl  ov  und  el  av  ge- 
setzt sei.  Es  lassen  sich  aber  nicht  blos  bestimmte  Klassen  scheiden, 
was  nach  den  beliebten  allgemeinen  Definitionen  nicht  möglich  ist, 
sondern  auch  Fälle  nachweisen ,  wo  dem  Opt.  das  av  gar  nicht  fehlen 
darf.  Auch  würde  z.  B.  bei  einem  Opt.  c.  äv  u.  c.  ov  das  äv  auf 
einen  andern  Grund  zurückgeführt  werden  und  umgekehrt,  wann  bei 
einem  Opt.  c.  äv  ein  ov,  wann  fiif  zu  setzen  sei,  nicht  bestimm- 
bar sein. 

Die  bisherige  Behandlungsweise  beruht  darauf,  dasz  man  still- 
schweigend voranssetzt,  die  Structur  des  sl  im  Bedingungssatz  sei 
die  dem  il  eigentlich  zukommende ,  und  dM  bI  sei  es ,  welches  das 
fiif  oder  den  Opt.  ohne  äv  regiere,  während  doch  bI  so  wenig  wie 
eine  andere  Conjunction  die  Hodusformen  bestimmt,  sondern  dies  durch 
die  Bedeutung  des  ganzen  Nebensatzes  in  seinem  Verhältnis  zum 
Hauptsatze  geschieht. 

Wir  unterscheiden  zunächst  folgende  Klassen:  l)  d'avfiä^co  bIj 
ÖBivov  bI  usw.,  überhaupt  alle  Fälle,  wo  der  Satz  mit  bI  Substantivsatz 
ist,  ohne  indirecte  Frage  zu  sein,  d.  h.  der  Satz  mit  bI  entspricht  einem 
mit  ^d  a s z ' ;  2)  BÜn  indirecten  Fragen ;  3)  bI  als  ^  w  e  n n '  für  ^  w ei  1, 
da';  4)  Bläv^  wo  das  £^=  ^ wenn'  ist,  aber  durch  den  Zusatz  eines 
ai/ zugleich  eine  subjective  Behauptung  hineingelegt  wird;  5)  bI  ov, 
wo  es  eine  negative  Behauptung ,  die  aber  nicht  die  des  redenden  ist, 
bringt;  da  bI  ov  hier  =:  si  non  ist,  wird  dort  die  Unzulänglichkeit 

N.  Jahrb.  f,  PkU.  %.  Paed.  Bd  LXXVIII.  Hß  l,  1 


2  ^  Ueber  sl  av  und  d  ov. 

der  Erklärung^  darch  Gleichsetznng^  mit  si  non  und  ähnlichem  darza- 
thun  sein.  Auszer  andern  Nachweisen  über  das  vorkommen  dieser 
Striicturen  im  wirklichen  Gebraach  wird  namentlich  c.  III  zu  erweisen 
haben,  dasz  ein  el,  wo  es  einen  Bedingungsvordersatz  einleitet,  nie 
mit  dem  Ind.  Praeter,  c.  av  vorkommt  noch  vorkommen  kann. 

Von  diesen  Klassen  haben  die  erste  und  zweite  das  gemein,  dasz 
•die  Sätze  mit  et  dort  Substantivsätze  sind,  d.  h.  es  ist  der  Satz  mit 
ei  das  Subject  oder  Object  des  Hauptsatzes.  Die  3e,  4e,  5e  zeigen  alle 
et  als  einen  Adverbialsatz  einleitend.  Allen  5  Klassen  gemeinsam  ist, 
dasz  ei  deshalb  mit  den  Modusformen  des  einfachen  Aussagesatzes  er- 
scheint, weil  der  durch  dasselbe  eingeleitete  Nebensatz  eine  Behaup- 
tung enthält. 

c.  I.   ^ccvfia^m  el^  dsivov  sl  kxX, 

1.  Wie  die  Erklärer  hier  für  sl  av  Beispiele  der  verschiedensten 
Art  zusammenwerfen  zeigen  z.  B.  Schäfer  und  Franke  zu  Dem.  Phil. 
I  18.  Auch  hat  die  übliche  Erklärung  dureh  Ergänzung  eines  Satzes 
mit  £^,  obwol  solche  natürlich  immer  gelingen  musz,  eben  deshalb 
keine  Bedeutung,  da  sie  anwendbar  ist  auch  da  wo  av  fehlt.  Zum 
wenigsten  muste  man  bei  Öxi  av  c.  Opt. ,  überhaupt  bei  jedem  Opt.  c. 
av  jene  Formel  mit  derselben  Gewissenhaftigkeit  wiederholen.  Man 
bat  aber  vielmehr  einfach  das  Gesetz  aufzustellen,  dasz  ein  Satz, 
wenn  er  Subject  oder  Object  eitaes  andern  wird,  durchaus  seine  modale 
(natürlich  auch  temporale)  Form ,  also  die  des  einfachen  Satzes  bei- 
behalte (ausgenommen  den  einzigen  Fall  des  Opt.  ohne  av  der  orat. 
obliq.),  —  also  bei  sl  eben  so  gut  wie  bei  ort  und  tag.  Da  nun 
orat.  obliq.  griechisch  keine  andere  Form  hat  als  den  Opt.  ohne  av, 
diese  aber  nur  eine  beschränkte  Möglichkeit  der  Anwendung  hat,  eben 
deshalb  auch  keine  Nolhwendigkeit  besteht  noch  bestehen  kann  die 
orat.  obliq.  zu  bezeichnen,  so  wird  man  diese  für  ort  und  o)g  bestehende 
Freiheit  auch  für  el  in  Anspruch  nehmen  müssen. 

Was  also  der  Erklärung  bedarf  ist  nicht  das  av,  sondern  wes- 
halb der  Substantivsatz  mit  sl  statt  mit  ort  eingeleitet  sei.  Der 
Salz  mit  sl  steht  nemlich  in  der  Rection  eines  mit  ^dasz'  bald  als 
Object,  wie  nach  ^aviia^co,  ayavaKrm,  ^avfiaatov  Xiysig,  bald  als 
Subject  bei  alöxQov,  dsivov^  ayanrßov  itSxiv.  Sagt  man  nun:  ^es  ist 
schimpflich  dasz  der  Soldat  flieht',  so  wird  das  fliehen  als  wirklich 
behauptet.  Bei  ^es  ist  schimpflich  wenn  er  flieht'  wird  es-  nicht  be- 
hauptet, mag  es  auch  wirklich  sein.  Der  Gedanke  verlangt  aber  zu 
seiner  Vollständigkeit  noch  die  Ergänzung  eines  ^dasz  er  flieht'; 
sonst  fehlte  dem  Satze  sein  Subject.  Das  Latein  setzt  in  beiden  Fällen 
den  Acc.  c.  Inf.;  es  ist  genauer,  indem  es  einen  Satz  mit  st  nicht  als 
Substantiv  braucht;  wol  aber  ist  bei  Behauptung  der  Existenz  (fci)^uod 
möglich,  wie  bei  miror  das  quod  als  Acc.  transit.  Das  Griechische 
kann  ebenfalls  in  beiden  Fällen  den  Acc.  c.  Inf.  setzen ;  öxi  kann  da- 
für nur  eintreten  im  Falle  der  Behauptung  der  Existenz :  Syst.  p.  104 
£=  ^dies  ist  und  darüber  wundere  ich  mich.'  Nun  findet  sich  grie- 
ehisch  auch  die  Structar  mit  dy  and  zwar  lassen  sich  die  dabei  yer- 


Ueber  ri  iv  imd  6^  ov.  3 

wendeten  Modalformen  in  2  Reihen  trennen.  Steht  bI  mit  den  Modis 
des  Bedingungssatzes  (fii;,  Conj.  c.  &v^  Opt.  ohne  av,  Praeter,  ohne 
av)j  so  wird  ein  entsprechender  Satz  mit  oti  zu  ergänzen  sein;  wir 
haben  da  die  Form  einer  reinen  Ellipse.  Steht  dagegen  d  mit  den- 
jenigen Nodis,  die  eigentlich  dem  Satze  mit  oxi  zukommen  würden, 
also  mit  ov,  Opt.  c.  av,  Praeter,  c.  av,  so  ist  dies  brachylogisch 
zu  fassen,  und  der  Sinn  eines  ^avina^m  ei  ovk  ala&dvercct  ist  immer 
=  d'ccviiäSfo^  sl  [(ifj  aiad-dverai^  ou]  ovk  ala&dvsrai.  PI.  Rep.  I  348  E 
tode  i&avfiaaaj  sl  xl&rjg.  Protag.  340  E  Ttokkri  äv  dfia&£a  eHrj  rov 
noirjfcovy  et  —  fprfilv.  Isoer.  ep.  1,  9  ft^  ^av^idarigj  el  ovt(og  ifißgi^sg 
euQOfuci  TtQccyfia,  Das  Griechische  hat  somit  eine  eigne  Form  gewon- 
nen, um  anzudeuten,  dasz  der  Satz  mit  el  in  Rection  eines  Substanti?- 
satzes  stehe.  Ein  materieller  Unterschied  in  der  Bedeutung  beidei^ 
Structurweisen  laszt  sich  wol  aufstellen  aber  nicht  durchführen,  ^av- 
fid^o}  el  OVK  aliS&dvercet  enthält  wegen  jener  nothwendigen  Ergän- 
zung eben  so  wenig  das  ovk  ala&dyetai  als  behauptet,  wie  d'ctv^ 
lid^cD  el  (irj.  « 

2.  Belege  für  die  conditionalen  Modi  bedarf  es  nicht;  nur  ist 
festzuhalten,  dasz  el  c.  Praeter,  (fitj)  ohne  av,  4r  Stufe,  nicht  gebrauch- 
lich ist ,  weil  es  duvov  Sv  riv  höchst  selten ,  i&avfia^ov  av  wol  nie 
gibt.  Eben  so  wenig  ^aviid^a  idv  c.  Conj.;  denn  Falle  wie  Isoer. 
13,  12  d'avfid^ca  ozav  tö(o  gehören  nicht  hicher,  da  das  kein  Objects- 
satz  ist.  Aber  für  die  Modusreihe  des  Aussagesatzes  scheint  fQr 
die  seltenern  Falle  sogar  möglichste  Vollständigkeit  nöthig. 

I)  Ind.  c.  ov  sehr  häufig.  Antiph.  nov.  12  öeivov  el  v^dg  (ihü 
irp:ovat^  ccvxoi  de  ovk  rj^ltoaav.  Lys.  22,  13  öetvov el  ovk  i^eXovCiv, 
Dem.  15,  23  cila%QOv  el  ovk  iq>oß^^,  Lys.  30,  32  duvov  fioi  6oku 
el  rovvov  fiiv  ovk  inexel^riiSav  öetad'aL  Dem.  Ol.  II  24  &av(idS(o  sl 
ov  kvnehai.  Dem.  8,  55  äyavaKTm  el  xd  fiev  %Qi^fiaxa  Xvnei^  xnv  dh 
'Ekkdda  aQTtd^cav  ov  kvnet.  Isoer.  1,  44  |ii^  &aviidaiig,  elnokka  ov 
nginei.  Plut.  Brut.  22  ^aviid^ei^v  öl  KiKi^oava  el  ov  g>oßelxai,  Luc. 
23  i&avfia^ev  el  ovk  ixQ'^xo,  Caes.  11  ov  6oxet  d^iov  kvTtrig  el  ov- 
öhv  nircQaKxai.  Die  beiden  Stellen,  die  ich  von  el  mit  Praeter,  c.  fci} 
kenne,  sind  Isae.  3,  28  &aviid^(o  el  firideiilav  ngotKa  öccofiokoyrjaavzo 
^eiv.  ib.  31  ^av(idl<o  ovv,  el  6  dvriQ  (itf  ^deixovvoficc  x^g  eavxov 
yvvaiKog,  Hier  scheint  el  (ii^  zu  stehen,  weil  der  Redner  das  ^nicht- 
festsetzen'  und  das  ^nichtkennen'  nicht  glaubt.  Es  gienge  aber  auch 
el  ov;  dann  wäre  das  ^nichtkennen'  usw.  als  Behauptung  der  Gegen- 
partei zu  fassen,  d.  h.  eine  Behauptung  des  redenden  selber  enthält 
el  ov  nicht  nothwendig.  Vgl.  c.  V. 

Das  Futur,  mit  el  ov  ist  häufiger  als  mit  el  (iti.  Plut.  Ant.  63 
deivov  el  ov  XQriaexcct.  Hdt.  7,  9.  Thuc.  1,  121.  Aesch.  Ctes.  242 
dxonov  av  öoi  avfißcdvoi^  elnqmriv  imifieveg^  vxwl  öi  ov  tprißetg.  Dem. 
42,  23  öeivov  örptov  el  i^i<nai  vvv  Kai  (irjdiv  arifielov  rifiiv  laxat. 
ib.  56,  22  öetvov  ovv  el  ruietg  (lij  cvyxoaQriGofiev.  Lys.  31,  29  Setvov 
el  (xoxe)  fiev' — ,  tovxov  öl  (iri  Kokdaexe.  Warum  der  Conj.  c.  av 
sich  hier  nicht  findet,  beruht  auf  dem  Uaterachiede  von  e^  c^  Fut.  und 

1' 


4  Ueber  bI  av  ood  ü  (yd. 

iav  c.  CoDJ.  im  BediDgongssatE.  Bei  bloszer  Angabe  der  Ziikanft  wird 
da  der  Conj.  c.  av  dem  Fat.  vorgezogen.  Das  si  c.  Fut.  enthält  immer 
ein  ^wenn  das  sein  soll,  wenn  ihr  wollt  dasz  das  so  sei%  daher  bei 
Aasdrücken  der  Verwanderung  dieses  passender  ist.  Es,  widerspricht 
Dicht  Isoer«  12,  86  iiyi]aa(iriv  ovx  ovxcog  iösa^ai  öeivov^  rjv  do|ai  xial 
xmv  TtctiQmv  afisksiv^  cd$,  ijv  xrX.  Hier  steht  der  Hauptsatz  selber 
schon  in  Zukunft,  ÖHvov  htai  für  dsivov  iativ^  d.  h.  es  ist  Verschie- 
bang  eingetreten  und  diese  dann  im  Satze  mit  el  weiter  durchgeführt. 
H)  €/  c.  Opt.  c.  av,  ov.  Ein  fii^  ist  hier  unmöglich,  wahrend 
das  d  c.  Opt.  e.  av  des  cap.  IV  nur  firj  haben  kann.  Dem.  20,  62 
€dcxQ^v  d  fiilkovTBg  filv  ev  naa%eiv  avxofpcivxrjy  av  xov  xavxa  ki- 
yovxa  fiyota^s^'r^fidg  öl  »xL  Xen.  Cyr.  3,  3,  37  ayanrpiov  Bi%al  i^ 
ifCoßoXijg  dvvatvx^  av  avÖQsg  ayad'oi  slvai.  Isoer.  ep.  1, 10  ovdiv 
axoTCOv  Bi  XI  iÖBiv  av  övvri&Blrjv.  vgl.  or.  5,  41.  PI.  Men.  91  D  naixot 
xiqag  XiyBig^  bI  ov%  av  övvatvxo  ka&BiVj  Hqunayoqag  6h  ildv&avB 
iwfp^Blqmv.  Einige  Fälle,  wo  schon  der  Hauptsatz  im  Opt.  c.  av^ 
folgen  unten. 

III)  bI  c.  Praeter,  c.  av,  ov.  Xen.  Mem.  2,  3,  9  ^av^aaxä 
liyBig^  Bt  %vva  fiiv,  sl  col  i%aXl%aivBV^  av  i%Biq^  nqavvBiv^xov 
61  ccöbXwov  ovx  ifCiyBioBig,  Antiph.  6,  29  xalxot  ÖBtvov  si  ot  avxol 
fMv  (uxQxvQBg  xovxoig  av  fiaQXVQOVvxBg  maxoi  rjOav^  B(ioi  dB  aiticxoi 
iaovxai.  Diu.  Dem.  53  bIx^  ov  ÖBtvov  bI^  oxi  uiv  Big  aviiQ  Sq}ri6s  na- 
xaiffBvdofiBvog ,  t0%v(SBv  av  xo  tficvdog  xiig  aXrfiBlag  fiäkXov^  iiCBi- 
dri  ÖB  xaXri^ig  ofioXoyBtxat  j  vvv  xaXffiii  äad-BvicxBQu  yBvrfistai, 
Aesch.  Tim.  85  ovnovv  axonov  av  Biri  bI  —  ßoaxB,  ifiov  öh  Xiyovxog 
sjctliXria&Bj  xai  firi  yBvo^ivrig  (ilv  »glüBaig  ^Xo)  av,  yByovoxog  öh  — 
atcoq>Bv^etai,  Isae.  10,  12  ^av^ut  si  ov%  av  olov  xe  i/v.  Ein  (iiq  ist  in 
diesen  Sätzen  unmöglich. 

IV)  Bi  c.  Opt.  orat.  obliq.,  also  ohne  av,  Negat.  ov.  Aesch. 
fals.  157  biBlnBv  oj^  öbivov  bXyi^  bI  o  ftiv  —  yivotxo^  iym  öi  ov  xa- 
raa%oiiii.   Isai.  6,  2  axoitov  bI  — ,  vvv  öl  ov  %BiQ(piii]v, 

Diese  Beispiele  werden  (nebst  den  unter  Nr  4  bei  ÖBtvov  av  an- 
zuführenden) für  den  Opt.'c.  av  und  Praeter,  e.  av  ziemlich  alle  sein, 
die  in  dem  berührten  Kreise  von  Schriftstellern  vorkommen.  Sie  ge- 
nügen das  vorkommen  einer  vollständigen  Structurreihe  bei  bI  mit 
den  Modis  und  der  Negation  des  Satzes  mit  ort  gegenüber  der  condi- 
lionalen  zu  erweisen.  Da  es  sich  nun  um  eine  gemeinsame  Auffassung 
jener  Reihe  handelt ,  mas~z  zuerst  diejenige  verworfen  werden ,  nach 
welcher  das  häufige  e^  ev  durch  Verbindung  des  ov  mit  einem  folgen- 
den Worte  zu  Einern  Begriff  erklärt  wird,  z.  B.  Mätzn.  ad  Antiph. 
Dov.  12.  Denn  erstens  siehU  man  nichts  dazu  zwingendes,  da  keine 
Bedeutung  von  ov  aufgestellt  wird  oder  aufzustellen  ist,  aus  welcher 
sich  das  ergäbe;  zweitens  wird  dadurch  das  Wesen  der  ganzen  Strac- 
turreihe  nicht  berührt;  endlich  musz  man  schon  deshalb  jener  Erklär 
rangsweise  überhaupt  das  Feld  beschränken,  weil,  wenn  sie  einmal  ge- 
nügt ,  sie  eigentlich  überall  angewandt  werden  kann ,  auch  da  wo  fiij 
ateht.   Aqch  die  Erklärung  dea  ofv  darch  Ergiuzoog  eines  bI  genügt 


lieber  bI  tiv  und  il  ov,  5 

nicht,  weil  erstens  dadurch  d  ov  nicht  berührt  wird,  was  doch  sogar 
beim  Opt.  c.  av  sich  findet,  auch  das  nichtvorkommen  eines  iniq  bei 
diesem  av  unerklärt  bleibt;  zweitens,  weil  überall  bei  ^otviLi^tß^  dsi" 
*v6v  ifSri,  im  Indic.  ein  el  c.  Opt.  ohne  Sv  völlig  undenkbar  ist,  man 
also  das  dav  von  einem  Falle  aas  bestimmt,  der  selber  ganz  unmög- 
lich ist.  Mit  jener  Erklärung  durch  Supplierung  statuiert  man  eine 
doppelte  Möglichkeit,  entweder  dasz  jenes  el  xv%ot  »xL  an  sich  nichl 
nothwendig  sei,  und  somit  auch  Sv  nicht,  oder  —  dasz  es  überall  noth- 
wendig  sei,  ebenso  also  auch  Sv.  Sonst  bliebe  noch  die  Bestimmung 
nöthig,  wann  denn  ein  Satz  mit  el  hinzugesetzt  oder  hinzugedacbi 
werden  müsse,  oder  besser,  es  bleibt  immer  noch  zu  bestimmen, 
wann  denn  ein  Opt.  nothwendig  Sv  bei  sich  haben  müsse,  ganz  abge- 
sehen davon,  wie  es  zu  erklären  sei;  dies  aber  ist  doch  der  Fall  im 
Urteilssatze.  Damit  aber  sind  wir  auch  hier  auf  unsere  Erklärung 
gekommen,  d.  h.  der  Satz  mit  et  steht  mit  den  Modis  eines  mit  ort, 
weil  erin  die  Rection  eines  solchen  eingetreten  ist;  es  steht  aber  el 
statt  ou  zufolge  der  oben  angedeuteten  Bra'chyl  ogie.  Zusagen, 
wie  Breitenb.  ad  Ages.  1,  1,  el  scheine  nach  den  Verbis  mirandi  uud 
interrog.  seine  conditionale  Bedeutung  abgelegt  zu  haben,  kann  doph 
nicht  genügen;  wie  wäre  denn  das  möglich? 

4.   Erscheint  der  Hauptsatz  in  der  Form  Oat^fia^otft^  av,  öeivov 
av  eXri^  so  ist  das  nichts  als  eine  ^Verschiebung'  für  den  Indic, 

d.  h.  die  Verwunderung  ist  wirklich  und  schon  jetzt  vorhanden ,  denn 
ein  Affect  kann,  genau  genommen,  nicht  vorher  angekündigt  werden, 
da  er  eine  Einwirkung  von  auszen  her  voraussetzt.  Die  Verwunderung 
kann  eintreten  auch  wo  die  Existenz  des  Objects  noch  gar  nicht  vor- 
liegt; man  staunt  bei  dem  Gedanken  an  die  Möglichkeit.  Dann  wird 
zufolge  einer. weit  verbreiteten  Verschiebung  der  Modalitat  (s.  Syst.) 
häufig  die  VeVwunderung  selber  als  eine 'nur  mögliche,  erst  vielleicht 
eintreten  werdende  ausgesprochen.  Im  Interesse  der  Concinnität  tritt 
dann  auch  der  Satz  mit  el  meist  in  die  Structur  wirklicher  Bedingungs- 
vordersätze; namentlich  erscheint  also  der  Opt.  ohne  av,  fii/.  Häufig 
findet  sich  aber  auch  die  Modusreihe  der  Urteilssälze ,  wie  denn  auch 
nach  unserer  Erklärung  durch  Brachylogie  die  Modi  des  Satzes  mit 
^  d  a  s  z '  völlig  unabhängig  bleiben  von  der  Modalform  des  Hauptsatzes : 

e.  B.  ^es  wäre  wundersam,  wenn  [sich  zeigen  sollte  dasz]  —  er  thaf, 
that,  thun  würde,  wird'.  Eine  Nothwendigkeit  also  eines  el  c.  Opt. 
ohne  av,  ft'^  nach  öeivov  Sv  gibt  es  nicht,  und  man  hat  über  el  o.  Opt. 
c.  av,  ov  nach  det,vov  Sv  sich  nicht  zu  wundern,  sobald  man  el  ov  c. 
Ind.  danach  unbedenklich  findet.  Nur  das  steht  fest,  dasz  £^  c.  Opt 
ohne  av,  {H'q  nur  nach  Opt.  c.  Sv  möglich  ist. 

Beispiele.  1)  Indic.  (ov)  s.  oben  und  PI.  Symp.  176  C 
eQfiatov  Sv  eiri  el  v^ietg  vvv  aTteiQrixctte.  Dem.  38,  18  deivov  y  av 
etti  el  roü»v  (ilv  i^  Sqx^S  adiKrifiaxoDv  l^m  nivt^  hmv  ov  dldmai  tocg 
dUag  6  vofiog  »ata  tcov  ov»  aq>etfiivoiv  imxQOTtmvj  jtQog  dl  xovg  i^ 
ineivtav  ii(iäg —  eluwsx^  vvv  Sxei  xelicatüd'^  v(Jietgi  bei  diesem  Opt. 
wOrde  «ü  Negation  nur  fii}  stehen  können,  wie  denn  dieser  Wechselt 


6  Ueber  il  uv  und  et  ov. 

« 

dasz  im  ersten  Gliede  ov,  im  zweiten  fii;  steht,  jedes  mit  den  ent- 
sprechenden Modis,  nicht  selten  ist;  das  erste  Glied,  eine  Behauptung 
enthaltend ,  wSre  dann  auch  hypotaktisch  mit  ^obgleich'  auszudrücken 
gewesen.  Wegen  des  |xi^  s.  Nr  3.  Dem.  19,  267,  vgl.  Dem.  19,  337  1\m\ 
Sonehs  aronoizaTov  Sv  Ttotijaai  slj  ovs  —  i^ycov/fero,  i^sßakleze  av- 
roi/  %ccl  (lovov  ov  narekev sre^  iTtsidri  öi  ovx  im  xrjg  crxijvijig,  akk 
iv  xotg  Tioivotg  7CQciyfia6t  fivgl  tlgyaötai  nana ,  xrpfi%civx(t  —  «(>o- 
aixoixs  (Neg.  wäre  fwj).  Is.  18,  68  Kai  yaq  av  sVri  öeivov  el  xoirg 
fiiv  —  ccipetvai  Tivgiai  iyivovxo^  ifp*  r^uv  öi  (xkvqoi  xaxaßxa^suv, 
Futur  mit  ov:  Hdt.  VII  9  öeivov  Sv  etr]  ü  ZctKag  fihv  öovXovg  ho^uv^ 
*EkX7j[vag  öe  ov  xtiKogriaofus^a.  Thuc.  1,  121  lin.  rj  öeivov  cev  ä!ii 
ei  ol  fuhv  ovx  ccTteQovaiv^  ^il^^S  öe  ovt^  aga  öa7tavi^iS0(iev. 

2)  öeivov  av,  ei  c.  Opt.  c.  av,  Neg.  ov»,  Xen.  Ages.  1,  1  ov  yag 
nakcSg  dv  k'xoi  elj  oxi  xekimg  avrjQ  aya&og  iyivexo^  dta  rovro  ovÖi 
(leiovav  av  xvyxoivoi  ircalvcov.  Der  Nebensatz  ist  durch  die  Modi 
des  selbständigen  Urteilssatzes  mehr  als  den  Hauptgedanken  enthal- 
tend hervorgehoben.  Die  Form  ov  yccq  %aX^g  ovöl  neiovoDv  av 
xvyyjivoi  iitalvtav^  wo  beide  Negationen  sich  auflieben  würden,  isl 
als  undeutlich  vermieden;  diese  wird  auch  erst  üblich  durch  Demosth. 
(auszer  ov  fiovov  ov  z.  B.  Thuc.  6,  34),  eignet  sich  auch  mehr  für  die 
lebendige  Rede  als  für  die  Schriftsprache.  X.  Cyr.  3,  3>  55  xovg  aTtai- 
öevxovg  ^av^ia^oifi^  av  et  xi  nkiov  av  dxpeki^aeie  koyog  ij  xrA.  = 
^schwerlich  würde  woP. 

3)  el  (iTj  Opt.  ohne  av.  Dem.  19,  267  »al  yaQ  av  xal  VTteqgyvlg 
eirij  ei  naxa  fiev  xiav  —  TtQoöovxoov  —  öeivä  i'^tplaaß^e^  xovg  öh 
ütaQ   viiiv  avxoig  aömovvxag  firj  nokd^ovxeg  (palvoic^e, 

4)  öeivov  av  eirj  ei  c.  Praeter,  c.  av.  Aesch.  Tim.  85  s.  oben 
Nr  3  III.  Negation  wäre  ov. 

Anm  er  k.  Die  Beispiele  von  Staub,  ad  Apol.  25  B'  für  et  c.  Ind. 
nach  Hauptsatz  im  Opt.  c.  av  gehören  streng  genommen  nicht  hieher, 
da  bis  auf  einen  die  Sätze  mit  ei  dort  nicht  uothwendig  als  Substantiv- 
sätze zu  fassen  sind,  z.  B.  nokkri  av  evöaifiovla  eir]^  el  elg  fiovog  av- 
Tov^  öia(p^ei^ei.  Sie  zeigen  aber  einen  sehr  ähnlichen  Vorgang  in 
den  Bedingungssätzen,  wenn  anch  nur  für  eine  Stufe  derselben:  ^wen  n 
[die  andrerseits  aufgestellte  Behauptung  wahr  ist,  ort]  öiatp^elgei*. 
Die  Erklärung  Stallbaums  durch:  ^wenn  wirklich^  ist  nicht  aus- 
reichend, da  dies  auch  in  ei  öiafpd'eiQOi  liegen  würde.  Umgekehrt 
kann  nach  el  c.  Opt.  auch  statt  des  Opt.  c.  av  deshalb  ein  Indic.  fol- 
gen, weil  das  Verbum  selber  einem  Opt.  c.  av  gleich  ist,  z.  B.  Thuc. 
VI  37  el  öe  ör^j  &<sneq  kiyovxaij  Ik&oiev^  txavmxigav  riyoüfiai  SmeUav 
Ilekojtovvrjaov  öiaicokefiijöai  =  t%aviaxiqa  av  etiy. 

6.  Nach  andern,  z.  B.  nach  Pape  und  Rost  (Aufl:  VII),  soll  das  el 
Dach  ^av^iaiasi  xxk.  Fragewort  sein.  Damit  sind  allerdings  die  Mo- 
dalformen des  einfachen  Salzes  erklärt.  Dennoch  bleibt  das  nur  eine 
Erklärung  in  der  Noth,  indem  man  dem  Griechischen  damit  andere 
Aasdrucksformen  geradezu  abspricht.  Ferner  passt  1)  das  el  als  Frage- 
wort gar  nicht  nach  ^avfiacxov  kiyeigj  xiqag  kiysigy  welche  Fälle  man 


Ueber  sl  av  and  el  ov.  7 

doch  von  dieser  Klasse  nicht  wird  absondern  wollen;  2)  musz  man 
ein  el  ov  doch  noch  auszer  dieser  Klasse  statuieren,  also  ist  für  die- 
ses auch  hier  nichts  zwingend;  3)  gibt  es  auch  in  Fragen  el  fAtj^  so 
dasz  nun  auch  nach  d'avfialG)  das  sl  (iij  als  indirecte  Frage  zu  nehmen 
wäre.  Rost  §  121  Note  7  (5)  meint,  für  «'  =  *  o  b '  sprächen  die  Ver- 
schränkungen,  wie  ravtcc  ovx  av  d'avfidaaiiit  rov  Kaö^ov  Xoyov  ü 
na^ot.  Daraus  folgt  aber  nur,  dasz  nach  d'ccvfia^oi}  das  el  nicht  noth- 
wendig  einen  hypothetischen  Vordersatz  bringt;  ist  es  kein  solcher, 
80  ist  es  damit  noch  nicht  indirecte  Frage,  sondern  eben  so  gut  ein 
anderer  Subjects-  oder  Objectssatz,  die  eben  so  gut  zu  jenen  Ver- 
schränkungen geeignet  sind.  Letztere  beruhen  doch  darauf,  dasz  statt 
eines  Satzes  dessen  Subject  zufa  Object  (oder  Subjecl)  gemacht- 
wird;  das  ist  also  mit  allen  Objectssätzen  möglich,  nicht  blos  mit 
indir.  Fragen.  Die  Grammatik  hat  nur  den  BegriiT  auch  jener  aufzu- 
nehmen, wozu  freilich  gehört,  dasz  man  die  Principien  zur  Satzein- 
theilung  anderswo  sucht  als  in  den  einleitenden  Kelativis.  —  Die  oben 
aufgestellte  Trennung  und  Erklärung  der  beiden  Structurreihen  nach 
^ttVficc^G}  sprach  ich  zuerst  in  einem  Programm  von  1850  aus.  Eine 
Recension  verwies  mich  auf  Bornem.  ad  Conviv.  p.  101.  Schäfer  app. 
Dem.  I  340.  Fritzsche  quaest.  Luc.  p.  185.  Die  beiden  erstem  gestehe 
ich  auch  jetzt  nur  in  Anfährungen  anderer  zu  kennen,  sehe  aber  bei 
keinem  der  drei  eine  andere  Erklärung  als  die  für  äv  durch  Supplie- 
rung  eines  sl^  bei  keinem  eine  Trennung  der  zu  Anfang  aufgestellten 
Klassen. 

c.  II.   el  av  und  el  ov  in  indir.  Fragen. 

1.  Dies  erklärt  sich  sofort  ans  den  Gesetzen  für  den  Modusge- 
brauch der  indir.  Fragen,  welche  eben  so  gut 'bei  sl  gelten,  wie  bei 
jedem  andern  Fragewort.  Höchstens  mag  man  noch  fragen  wie  el  auch 
Fragewort  geworden  sei.  Derselbe  Vorgang  findet  sich  aber  bei  st, 
nnr  dasz  das  Latein  dies  auf  einen  genau  zu  bestimmenden  Kreis  be- 
schränkt hat,  s.  unten.  Von  Haus  aus  zu  Bedingungspartikeln  geschaf- 
fen können  doch  weder  el  noch  si  sein,  und  wie  überhaupt  kein  einzi- 
ges Fragewort  der  Sa.tz fragen  von  Haus  aus  Fragewort  war,  ist  el 
das  für  alle  indirecten  Satzfragen  mögliche  Fragewort  geworden, 
wie  beschränkter  si  und  im  Deutschen  ^ob'.  Letzteres  ist  auch  früher 
=  *wenn'  gewesen. 

Die  Modi  der  indirecten  Frage  sind  dieselben  wie  die  der  direc- 
ten,  also  die  des  einfachen  Urteilssatzes  nebst  dem  Conjunctiv  der 
zweifelnden  Frage,  d.  h.  einer  in  Frage  gestellten  Aufforderung.  Auszer- 
dem  gibt  es  den  Opt.^or.  obliq. ,  diesen  aber  auch  in  Fragen  als  ein- 
zige Form  der  Indirectheit,  weshalb  es  z.  B.  falsch  ist  Conjunctive 
mit  fti}  als  indirecte  Fragen  zu  erklären,  wo  dieselben  nicht  schon  direct 
im  Conj.  stehen  würden.  Ferner  kann  selbstverständlich  nur  ein  Indic. 
oder  Conj-  in  jenen  Opt.  eintreten,  und  der  Indic.  fast  ohne  Ausnahme 
nur  dann,  wenn  die  Handlung  des  Nebensatzes  der  des  Hauptsatzes 
gleichzeitig  ist.  Jedenfalls  wird  der  aus  dem  Conj.  entstandene  Opt. 
nie,  wie  manchmal  bei  ouy  im  Aorist  Vergangenheit  zum  Hauptsatze 


8  Uober  sl  av  und  bI  ov. 

bezeichnen  können ,  da  direct  der  Conj.  Aor.  eben  so  gut  zur  Auffor- 
derung und  zweifelnden  Frage  dient  als  der  Praesentis.  Endlich  ist 
für  jeden  Opt.  der  or.  obliq.  nöthig,  dasz  der  Hauptsatz  in  Vergangen- 
heit stehe.  —  Da  nun  so  viele  Fälle  übrig  bleiben,  wo  die  Indirect- 
heit  gar  nicht  bezeichnet  werden  kann,  ergibt  sich,  weshalb  auch  da, 
wo  solche  Bezeichnung  möglich  ist,  sie  doch  gar  nicht  nothwendig  ist, 
und  dasz  dann  ein  Unterschied  der  Bedeutung  gegenüber  der  directea 
Form  gar  nicht  existiert.  —  Uebergangen  haben  wir  noch  eine  Art 
der  directen  Frage,  den  Opt.  ohne  av;  dessen  Negation  ist  aber  die- 
selbe wie  des  Opt.  c.  av;  es  ist  also  nur  ein  Rest  des  Opt.  ohne  äv 
im  Urteilssatze,  der  sich  in  der  Frage  wenn  auch  häufiger  und  lin- 
-  ger  erhalten  hat.  Insofern  kann  die  Möglichkeit  eines  solchen  auch  in 
der  or.  obliq.  nicht  ausgeschlossen  werden.  Doch  gibt  es  dergleichen 
Fälle  wol  gar  nicht,  wenigstens  bedürfte  es  zum  Beweise  der  Nach- 
weisung von  Opt.  nach  Praes.  und  zwar  wirklicher  Gegenwart. 

2.  Die  Negation  wird  durch  die  Indirectheit  sonst  nicht  affi- 
ciert,  an  sich  also  auch  nicht  in  Fragen.  In  der  directen  Frage  aber 
ist  an  sich  diese  bei  allen  Modusformen  ov,  nur  beim  Conj.  gemäss 
dessen  Entstehung  fi^.  Nur  die  Andeutung  der  Erwartung  eines  ^nein' 
bewirkt  in  den  directen  Satzfragen  fii{.  Diese  Negationen  bleiben  in 
der  indirecten,  daher  gibt  es  el  ov  hier  sehr  häufig,  und  das  musz 
nach  dem  allgemeinen  Gesetze  für  Indirectheit  als  die  ursprüngliche 
Form  genommen  werden.  Freilich  findet  sich  eben  so  häufig  el  fi^, 
und  zwar  ohne  wesentlichen  Unterschied.  Derjenige  wenigstens,  den 
ov  und  firj  in  der  directen  Satzfrage  hervorbringen,  existiert  bei  el  ov 
und  el  (iri  nicht.  Soll  die  Tendenz  als  auf  ein  nein  gerichtet  ausge- 
sprochen werden ,  so  steht  nicht  el  fiiq ,  sondern  (irf  allein.  Dies  ist 
aber  nur  möglich,  wenn  eine  wirklich  schon  direct  gethane  Frage  re- 
feriert wird,  z.  B.  Plut.  Sol.  6  nw^avofuvov^  firi  atvo^iä^exo  ZoXonvog 
6  Ted'vrjxag  vtog.  Ja  die  deutsche  Scheidung,  durch  eine  eingeschobene 
Negation  die  Erwartung  eines  ^ja'  anzuzeigen,  gibt  es  griechisch 
nicht,  d.  h.  el  heiszt  so  gut  *ob  nicht' als  *ob';  vgl.  z.  B.  Kühner 
ad  Xeji.  Mem.  1,  1,  8,  wo  el  in  beiden  Bedeutungen  hintereinander  ge- 
braucht wird:  ovxe  r<p  atqaxrjym^  dtjjAov,  e^  av^tpiqet  axqaxf^eiv^ 
ovte  T»  xaXiiv  yi^fiavTL,  el  dia  ravtipf  äviaaetai.  Vgl.  Goell.  ad  Thuo. 
1,  2.  ib.  2,  53.  4,  60.  PI.  Euthyd.  285  E.  Dem.  46,  3.  Plut.  Num.6,2. 
Ferner  musz  schon  in  der  directen  Satzfrage  unterschieden  werden, 
ob  das  ov  schon  dem  in  Frage  gestellten  Urteile  angehöre  oder  erst 
hineingesetzt  sei,  um  die  Erwartung  eines  ^ja'  hervorzubringen.  Bei 
el  ov  ist  wol  ohne  Ausnahme  nur  ersteres  der  Fall,  d.  h.  z.  B.  ^frage 
ihn  ob  er  nicht  kommen  will'  =  elj  *ob  er  (denn)  nicht  kommen 
will'  =  el  ov.  Danach  passt  freilich  e^  ov  häufig  zu  einem  ^ja'.  Plut. 
Arat.  49  iqmt^v^  el  vofiovg  ovx  ixovaiv.  Aber  damit  ist  el  firi  noch 
nicht  auf  ein  ^nein'  gerichtet.  Höchstens  wird  das  als  Unterschied 
haltbar  sein,  dasz  bei  el  firj  hervorgehoben  wird,  dasz  noch  gar 
keine  Meinung  über  ja  oder  nein  vorliegen  solle,  vgl.  die  Beispiele. 
Eben  so  gering  ist  der  Unterschied  in  Doppeifragen.  Selbst  Sophocles 


Ueber  d  av  und  d  ov,  9 

liat  z.  B.  Aj.  7  oTtfog  Tdi/^,  cTr'  Sväov^  itt  oi%  tvSov.  Ein  Wechsel, 
der  gar  keine  Scheidung  Qbrig  laszt,  findet  sich  Isae.  8,  9  avavKri  xriv 
£ft^v  (irp^iQa^  etv8  dvyattiQ  f^v  KlQoavog^  spve  fi'^^  %al  si  nag  i^tlvm 
ötTixctxo  ij  0  v,  %al  ya(iovg^  d  öixxovg  xmeq  ravxtig  elaxlttGBv  ii  (ii^^  — 
Tcdvxa  xavta  liöivoii  tovg  olKixag, 

3.  Beispiele.  1)  el  c.  Conj.  wo  av  unmöglich  ist.  Xen.  Cyr. 
8,  4,  16  %ie  de  iKTtdfJuxxa  ovx  o7da,  bI  dco.  vgl.  1,  6, 10.  Aesch.  fals.  64 
to  ^(piOfia  iTCsöd^axo  xal  avBKOtvovxOj  bI  öm  x^  ygafifiaxet.  vgl.  ib.  68« 
Thuc.  7 ,  2.  Flut.  Alex.  22.  Die  noch  jetzt  nicht  seltene  Meinung  als 
sei  der* Conj.  durch  or.  obl.  entstanden,  zeigen  schon  Lesarten  älterer 
Texte,  z.  B.  Plut.  Sol.'  6  nvv&avofABvov  bI  töji  statt  bIöb.  Sind  die  mit 
av  von  Rost  §  119  «Note  2  geschützten  Nominal  fragen  echt,  gegen 
die  allgemein«  jetzt  geltende  Ansicht ,  so  sind  sie  entweder  anzusehen 
als  Spuren  einer  Vermischung  mit  den  allg.  relat.  Sätzen  wie  die  Conj. 
c.  av  in  den  Finalsätzen,  —  oder  man  musz  es  aufgeben,  gestützt  auf 
die  historische  Entwicklung  der  Formen  der  Satzarten,  Gesetze  auf- 
finden zu  wollen,  und  musz  av  wie  jedes  andere  Adverb  überall  für 
möglich  halten.  —  2)  bI  c.  Opt.  ^.  av  {ov),  PI.  Theaet.  170 C  tfxo- 
TtBt  yag^  bI  i&iloi  av,  ib.  191  E  a&get^  bI  aqa  xoioÖB  xgoTttp  il^Bvöij 
av  öo^ddat  (ob  nicht).  Rep.  8,  553  E  CKOitto  {übv  dri^  bI  o^okog  av 
bYti.  Pbileb.  60  D  E.  Soph.  250  A.  Symp.  210A.  Ale.  I  114  B.  Hom. 
II.  XI  792.  Od.  XIV  119.^  Dem.  45,  45.  Isae.  12, 7  n^mg  av  mi^olfiriv, 
ei  aXXo^iv  nod-Bv  Ixoi  av  iniÖBt^ai.  Isoer.  ep.  6,  1  am^yyBiki  xlg 
fLOij  oxi  KaXiaavxBg  iQorci^aatxB  (hättet),  bI  nBta^sltjv  av.  Xen.  Cyr. 
1,  6,  41  bI  xoiaijxa  i^BXriaaig  iLtjyaväo^ai^  ovn  old^  lyayyB^  Bt  tivag 
UitOLg  av  xäv  Ttolefilanf^  was  Schäfer  und  Franke  mit  Dem.  Phil.  1 18, 
wo  bI  fATJ  c.  Opt.  c.  av  steht,  und  andern  ganz  fremdartigen  Stellen 
zusammenbringen.  Das  verwirrende  der  Ergänzung  eines  bL  und  dasz 
der  Opt.  ohne  av  mit  dem  Opt.  c.  av  hier  gar  nicht  zusammengehöre, 
zeigt  sich  dadurch ,  dasz  der  Opt.  ohne  av  erst  nach  einem  Praeter, 
möglich  wird,  der  Opt.  c.  av  gerade  nach  Praesent.  häufig  ist,  freilich 
auch  nach  Praeter,  bleibt,  vgl.  Xen.  An.  4,  8,  7.  Cyr.  8,  3,  26.  Hell. 
4,  7,2.  Auch  Kühner  sieht  noch  den  Grund  jenes  av  in  dem  voranf- 
gehenden  bI^  als  ob  ohne  dies  etwas  anderes  möglich  wäre!  Xeo. 
Mero.  1,3,5  ovx  ol6\  Blxig  ovxiog  av  oUya  iqyaiotxo^  äöxs  fi^  Xafi^ 
ßdvBtv  aQKOvvra  roo  ÜcDTcgdxBtj  wo  durch  Ergänzung  eines  bI  nicht 
einmal  der  dort  nothwendige  Begriff  des  könnens  hervorgebracht 
wird:  *ob  es  denn  möglich  sei  dasz' Tvgl. Thuc.  VI  35  iv  Sgidt  ^aavy 
ot  (iiv,  (ig  ovöbvI  av  tgoTtoi  Sld'ouv  ot  A^vatöi  =  ^unmöglich  wer- 
den sie'),  vgl.  Cyr.  1,  6, 10.  Auch  im  condit.  Vordersatz  Is.  8,  93  £f 
xig  ^iiag  iguxxrflBUVj  tl  ÖB^alfiB^^  av,  wo  nach  jener  mechanischen 
Regel  das  av  eher  beim  ersten  bI  erwartet  werden  müste.  —  3)  €2 
c.  Praeter,  o.  av  (ov).  Aesch.  Tim.  80  cv  6h  xl  ola^a,  bI  iifiBig 
av  xovtov  KOTBijnicpusdfiB^a.  Dem.  Rhod.  (15)  16  ovn  olö*  bZ  Ttox 
av  Bv  q>gov^aat  id'ikricav  (=  Vergangenheit  des  Opt.  c.  av).  Plut. 
Phoc.  23  nw^avofisifog  j  bI  roinr^  ov%  av  y^^bXbv  avxtp  'jtBngä%d'at. 
Flut.  Mor.  t.  Y  p.  83  Ta.  oga  sl  HoXonv  av  diuv.  comp.  Cim.  Luc.  l 


10  Ueber  sl  av  und  e^  ov. 

idfiXov  el  aq)slg  Sv  i%Qiq6ccT0.  So  wenig  wie  hier  av  fehlen  kamr, 
eben  so  wenig  bei  obigen  Opt.  c.  av;  der  Grand  ist  gemeinsam  der, 
dasz  das  av  schon  im  directen  Satz  stehen  würde.  —  4)  el  c.  Opt. 
ohne  ai/  =  or.  obliq.,  Negat.  ov  oder  ftif,  je  nachdem  der  Satz  direck 
es  haben  würde,  d.  h.  nur  der  aus  dem  Conj.  entstandene  hat  firj,  PL 
Rep.  I  353  A  fjQdrtov  el  ov  —  efrj,  Aesch.  Tim.  84  f]Qero  el  oif» 
ala%vvoivxo,  Thuc.  6,  59  dteöKonowj  ei  no^ev  aaqxileiav  xiva  OQcifi. 
Lys.  Panci.  3  iTCvv^avofirjv  ^  elxiva  yiyvciaüoiev.  Dem.  33,  11  tjQfotaj 
eI  ovx  txavov  (loi  eXri^  avifp  anoXv&ijvat  t^g  iyyvrig^  akXa  %al  — 
a7ce%&avot(irjv  avz<p,  Plut.  Mor.  t.  II  p.  400  Ta.  nvv&avofiivov^' el  ajto- 
nifiijjot'  (solle).  Dagegen  Hdt.  1,  53  el  atgatevi^zai  xal  eX  xtva  nqo6^ 
^ioixo  würde  /ni^  verlangen.  —  5)  €^  c.  In  die.  qv,  PI.  Cratyl.  413  B 
iqcoxä^  el  ovöhv  öluaiov  olfiat  elvau  Theaet.  165  C  '^QOfiriv^  elm  o 
inlaxaaaif  xoiko  Kai  ovk  inlaxaaai.  ib.  190  B  öKonei^  et nox^  ovo 
iv  wtv(p  ixoXiirjöag.  Aesch.  Ctes.  258  hteq(ox&uxa^  el  ovk  alöpjvead'e. 
Hdt.  1, 90  elqaxäv^  el  ov  xaxaiaxvvexai,  vgl.  PI.  Hipp.  mj.  304 D.  Protg. 
340  E.  Lys.  216  A  iQi^aovxai  el  ovk  ivavximaxov  ^x&Qa  (piXla,  Aesch. 
Tim.  135  inriQoixmv  el  ovk  ala^vvoiiat,  PI.  Bep.  8,  517  A  yeloiov  xo 
CKififiaj  el  öoKei  —  o  t;  ßtaxov  elvai,  Plut.  Pericl.  1  iQcaxrjaoij  el  nai- 
öla  nag  avxoig  ov  xIkxovOiv  at  yvvalKeg,  —  6)€/f4i^c.  Ind.  Aesch. 
fals.  36  Yiqexo  jlic,  el  intXiXrjaiiat  Kai  el  firi  fiifivrifiai,:  nicht  auf  *nein' 
gerichtet;  auch  die  Erklärung  von  el  fi^q  =  ^inem  Begriffe,  zeigt  sich 
als  unpassend.  Ebenso  Theaet.  163  D  fiaKQoXoya  di  ßovXofievog  egid- 
J^ai^  el  nad'dv  xlg  xi  Kai  fiefivrj^ivog  (irj  olöe;  dagegen  Theaet.  165  C 
^QOfifiVj  ely  0  inlaxadai,  xovxo  Kai  ovk  inlaxaaai:  hier  wird  dem  Geg- 
ner der  Salz  mit  ov  wie  ein  existierender,  wie  ein  von  irgend  jemand 
behaupteter  vorgehalten,  wodurch  die  Ansicht  von  seiner  Unhaltbar- 
keit  deutlicher  hervorblickt;  ib.  163  D  wird  derselbe  Satz  mit  el  fi'q 
einfach,  ohne  eine  Andeutung  der  Unhaltbarkeit,  vorgelegt;  so  noch 
ib.  164  D  fjgofud'a  el  fiaOoov  Kai  iiefivrj(iivog  xLgxi  {tri  i^l<5xaxai:  diese 
Ruhe  ist  165 C  gewichen.  Is.  Panath.  82  ij^ofii^v  el  firjdhv  (pqovxl^ei. 
Isoer.  20,  7  XQti  fiti  xovxo  CKOTcetv^  el  {itj  (Sq>68qa  avviKoijjavy  aXX*  sl 
tov  vdfiov  Ttaqißrflav,  Isae.  Nicost.  (4)  14  CKeTCxiov  Ttgmov — ,  Inei-  , 
ta^  el  Hfl  nagavomv  dUd'exo^  wo  der  Redner  für  die  Intestaterben 
spricht.  Plut.  Pelop.  25  Kai  xovg  Srißalovg  igtox^Vj  el  (irjdlv  avxoig 
KaXov  ninqaKxai.  Phoc.  36  elnmv^  el  (iriöh  anod'avetv  ^A&i^vriat  dw- 
gedv  iaxiv,  Caes.  56  ißoa  el  firiöev  alöovvxai;  in  den  beiden  letzten 
Fällen  ist  vielleicht  das  supplieren  eines  öeivov  elvai  möglich ,  wenig- 
stens wäre  sonst  el  ov  natürlicher.  —  7)  F  fi  r  fi  i^  c.  I  n  d.  Plut.  Arist.  7 
nvd-Ofiivovy  {iri  XI  KaKOv  avxov  ^Aqtaxeldrig  nenolriKe,  Alex.  22.  Cat. 
mj.  24,  25.  Pericl.  35.  Cleom.  22.  Apophth.  p.  57  Ta.  p.  164.  p.  3. 
p.  24.  Für  |Li^  c.  Opt.  or.  obl.  Plut.  Alex.  27.  Philop.  3.  Apophth. 
p.  47.  p.  214.  —  Soph.  Antig.  1232  (1253)  elöofiea&a^  firl  xi  koI 
Kqv(pri  KaXvTtxet  ist  Fragesatz.  Aber  die  Regel,  dasz  qqa  fii;  c.  Ind. 
Fragesatz  (videannon),  o^a  fii^  c.  Conj.  cayene  sei,  vgl.  Herrn,  ad 
Emsl.  Med.  310,  ist  nicht  haltbar;  z.  B.  Soph.*El.  567  oQa  iiii  xl^rig 
ist  nicht  Fragesatz,  sondern  das  /üij  nach  Vb.  lim.    Ebenso  Theaet. 


lieber  d  av  and  el  ov.  1 1 

145  B  oQa  (ifi  llBysv^  weil  iirj  als  Fragewol*t  nicbt  die  hier  nöthige 
Bedeutung  gibt,  vgl.  ^6  Stellen  aus  Fhaedon'  Nr  II  2.  Plutarch  bat 
frei  lieb  mancbmal  ot)x  olöa  fitj  =  nescio  an ,  z.B.  Pboc.  32  c.  Ind., 
aber  Dion  2  c.  Conj. ,  also  wie  (ii^  nacb  Vb.  tim.  vgl.  comp.  Pbilop. 
Flam.  3  OKOTtsi  (i^  ov  öo^cofisv:  als  Frage  geben  solcbe  Stelleo  nicbt, 
weil  der  Conj.  unerklärt  bliebe. 

4.  Im  bisherigen  ist  eine  ganze  Klasse,  die  auch  zu  den  indirec- 
ten  Fragen  gerechnet  wird,  und  zwar  ebenfalls  mit  si  eingeleitet,  noch 
nicht  berücksichtigt.  Es  sind  diejenigen,  wo  man  ein  TtsiQcifUvog  er- 
gänzt ,  z.  B.  *ich  will  einmal  zu  ihm  gehen,  ob  er  sich  mir  vielleicht 
entdeckt'.  Hier  ist  nicht  eine  Frage,  wie  ^entdeckst  du  dich  mir?,' 
als  gestellt  zu  denken,  sondern  es  geschieht  eine  Handlung,  um 
etwas  frfigliches  aufzuklären.  Während  in  den  übrigen  indirecten 
Fragen  die  Modi  der  directen,  also  des  einfachen  Satzes,  sich  zeigen, 
stehen  hier  die  Modi  des  Bedingungssatzes,  also  namentlich 
el  fiif,  iciv  c.  Conj.,  während  el  ov  unmöglich  ist,  mag  das  ov  noch  so 
sehr  zu  einem  einzelnen  Worte  gehören ;  ebenso  ist  beim  Opt.  äv  un- 
möglich, mag  ein  Satz  mit  el  dabei  stehen,  sich  ergänzen  lassen  oder 
nicht.  Es  sind  dieselben  Satze,  wo  lateinisch  st  als  Fragewort  erlaubt 
ist.  Der  Gebrauch  ist  schon  bei  Homer  sehr  häufig.  Beide  Structuren 
Gnden  sich  namentlich  nach  tfxoTcav,  nach  a^httea^at  mehr  diese  letz- 
terei Wir  nennen  diese  Sätze  Nebensätze  der  fragenden  Hand- 
lung oder  adverbiale  indir.  Fragen,  im  Gegensalz  der  eigent- 
lichen, welche  Substantivsätze  bilden,  und  im  Einklang  mit  dem  Unter- 
schiede der  beiden  Modusreihen. 

Beispiele,  l)  el  mit  Conj.  c.  ttv:  Thuc.  3,  20  iTCißovXevovdt 
vfceQßrjvat'  ra  tei%ri^  fjv  dvvcovia^  ßidaa<S&ai,  Fl.  Folit.  259  D  nQoaexe 
tov  vovv,  Sv  ciqot  iv  avx'^  dtagnniv  ^aravoi^aoDfiev,  Theaet.  192  E  Idl 
d^^  iav  ti  fiäXkov  vvv  evlaitrj.  Cratyl.  400  A  lode  anonet^  iav  Squ 
Coi  aQiay.  Soph.  226  C.  Eur.  Hei.  429  totg  ixel  irjTc^v  ta  nqoGqtOQ* 
^v  ntxiq  i^eQevvrjöag  Xaßm,  Xen.  Mem.  4,  4,  12  ffx^i/;^^  iav.  Nicht  za, 
verwechseln  damit  sind  Fälle  wo  iav  =  ^  wenn'  ist,  und  höchstens 
der  Satz  mit  ^dasz'  als  zu  supplieren  verlangt  werden  kann,  wenn 
auch  im  Deutschen  jenes  iav  mit  *ob'  sich  wiedergeben  läszt,  wie 
Hipp.  min.  368 E  elni  |i*ot,  iav  itov  evqing^  onov  nxX.  —  2)  f^  c.  Opt. 
ohne  av,  Thuc.  3,  4,  4  nifiTtovatv^  el  Tttog  neiceiav.  ib.  naaav  Idiav 
iTcevoovv,  eincog  nqajfieiri.  ib.  6,  88  Inefitpav  el  övvaivro,  ib.  2,  77 
Ido^ev  ainotg  neiqäiSai^  el  dvvaivro.  ib.  4, 11  inlnXovg  iitoi&vvxo^  ä 
nmg  dadiievot'  ?Xoiev  rb  xelxtdfia:  trotz  des  durch  ^weun'  auflösbaren 
Partie,  ist  ein  av  unmöglich,  ib.  4,  58  elg  Xoyovg  naxicxTfiav  aXXr^Xoig 
et  nag  ^vvaXXayetev.  3,  86  nqoiteiqav  noioviievot^  el  öcplci  dvvara 
etfi.  Hom.  Od.  22,  90.  11,  628.  Xen.  An.  4,  1,  22.  5,  4,  3.  6,  1,  31. 
So  ist  selbst  nach  dem  Vbo  ^ fragen^  ein  el  mit  adyerb.  Fragesatz 
möglich,  z.  B.  *ich  will  ihn  einmal  fragen,  ob  er  es  mir  vielleicht 
sagt',  —  neml.  z.  B.  *ob  er  es  gethan  hat',  vgl.  PI.  Euthyd.  294  D  ovöhv 
o  n  ovK  fiQcixa  xeXevxtSv^  %al  xd  aX6%i(Sxa^  el  i7ti(Sxa(c&r}v^  wo  nicht 
gefragt  ist  *  versteht  ihr  das? '  sondern  Fragen  darauf  hin  riskiert  sind. 


12  Ueber  eI  av  und  el  oii. 

ilasz  man  sie  nicht  verstehe.     Auffallen  könnte  Xen.  Hem.  4,  2,  30 
nqog  al  aTtoßlincOj  si  (loi  id^ski^aatg  av  i^rjyi^aaad'ai,;  die  Supplie* 
rung  eines  si  hilft  hier  nichts,  aber  aitoßkircm  ist  prägnant  zu  fassen: 
^fragend  ansehen  ob'.    Aehnlich  Isoer.  12 ,  236  doxef^  öi  fiot  non^Ccuf- 
&at.  xov  Inatvov  Ttstgav  ^ficov  Xaßetv  ßovXofiBvogy  el  tpdoGotpovfiev 
xal  fieiivrjfJLsd'a  xal  cvvtöstv  av  övvrfi'eiiuv.    Ohne  av  wäre  das  6v^ 
VTi&rjvat  von  dem  TtetQfDfUvog  beabsichtigt;  mit  av  wird  die  Frage 
vorgeführt,  wie  der  neiQtofjievog  sie  sich  selber  stellt  und  deren  Reali- 
sierung er  gar  nicht  wfinscht.    Dabei  zeigt  sich,  dasz  das  voraufgehen 
eines  nsigaa^ai  an  sich  nichts  entscheidet,  also  auch  nichts  erklärt. — 
falle  mit  el  c.  Praeter.  Ind.  vierter  Stufe  kann  es  nicht  geben.    Der 
Hauptsatz  würde  im  Ind.  Praeter,  c.  av  stehen  müssen,  z.  B.  ^was 
würdest  du  gethan  haben,  wenn  du  dabei  gewesen  wärest?'  —  etwa 
bei  einer  Gefahr  des  ertrinkens:  ^ich  würde  ihm  das  Tau  hingeworfen 
haben,  ob  er  das  nicht  erfassen  könnte';  dies  würde  aber  nur  el  6v* 
vaixo  oder  iav  dvvrfcai^  und  zwar  ohne  Negation  werden  können.  — 
Ebenso  unnütz  ist  es  nach  Beispielen  für  den  Indic.  erster  Stufe  zn 
suchen,   el  c.  Fut.  ist  möglich  =n=  Iav  c.  Conj.    Aber  el  c.  Ind.  Praes. 
wäre  immer  brachylogisch  auf  eine  wirkliche  Frage  zurückzufuhren, 
z.  B.  Mch  zerschlage  den  Stein,  ob  nicht  Erz  in  ihm  enthalten  ist'  = 
^ob  ich  nicht  meine  Frage  beantwortet  finden  werde  dasz'  oder  *ob' 
usw.  Aehnlich  el  c.  Praeter.,  z.  B.  Mch  untersuchte  den  Fuszbodeü,  ob 
der  Thäter  nicht  Spuren  zurückgelassen  hätte'.    Tritt  der  Hauptsatz 
in  Vergangenheit,   so  bleibt  bei  el  der  Indic.  des  Tempus  der  dir. 
Rede,  oder  wird,  besonders  beim  Praes.,  Opt.  or.  obliq.    Negationen 
scheinen,  sehr  natürlich,  bei  dieser  ganzen  Klasse  nicht  vorzukommen. 
Diese  ganze  Klasse  finde  ich  nirgends  zusammengestellt  noch  geson- 
dert.  Man  citiert  Matth.  §  526.    Aber  da  ist  sehr  verschiedenartiges 
zusammengeworfen,  z.  B.  Xen.  An.  7,3,  37  und  Mem.  2,  2,  2  wegen 
£^=:  <ob  nicht';  ferner  soll  durch  den  Indic.  die  Wirklichkeit  be- 
hauptet werden,  während  doch  nur  angegeben  sein  kann,  dasz  direct 
eine  Wirklichkeit  in  Frage  gestellt  war.    Die  Erklärung  durch  Er- 
gänzung von  TceiqdfAevog  vel  simile  quid,  z.  B.  bei  Kühner  ad  An.  4, 
1,  22,  genügt  auch  nicht,  da  jetzt  der  Eintritt  der  condilionalen  Modus- 
reihe statt  der  des  selbständigen  Satzes  noch  zu  erklären  bliebe.  Worauf 
beruht  es  aber,  dasz  diese  Supplierung  hier  so  passend  ist?   Darauf, 
dasz  das  netgäa^ai  immer  eine  fragende  Handlung  ist,  d.  h.  es 
bringt  zu  einem  Hauptverbo  den  Begriff  des  fragens  hinzu ,  aber  nur 
eines  in  einer  Handlung  involvierten.    Diese  Handlung  kann  keinen 
Satz  als  Object  tragen,  wie  die  Vba  des  fragens  und  sagens,  sondern 
nur  adverbiale  Bestimmungen;  daher  treten  nicht  die  Modi  des  Ob- 
jectssatzes,  sondern  des  adverbialen  Nebensatzes  ein.    Das  Verhält- 
nis beider  Arten  Fragen  ist  dasselbe,  wie  der  Finalsätze  mit  *dasz' 
und  ^damit'. 

5.  Statt  dieser  adverbialen  indir.  Fragen  ist  mit  geringem  Unter- 
schied auch  ein  Finalsatz  möglich,  z.  B.  (Thuc.  4,  11)  Vir  wollen 
ihnen  entgegenschiflfen,  ob  wir  sie  nicht  besiegen'  =  *fardenFali 


Ueber  ei  iv  und  Blfrd,  13 

dasz',  gibt  das  besiegen  wollen  nnr  mehr  als  Nebenzweck  an  als 
*  da  mit'.  Da  nun  ^ob'  nichts  anderes  ist  als  ^wenn%  zeigt  sich  in 
allen  3  Sprachen  das  -e^  si,  *wenn'  so  verwendet,  dasz  es  sowol  das 
efflciens  der  Haupthandlnng,  ein  als  ihr  vorangegangen  zu  denkendes, 
als  einen  effectus,  eine  erstrebte  FolgQ,  also  etwas  vorausliegendes 
bezeichnen  kann.  Dem  wird  dieselbe  Anschauung  zu  Grunde  liegen, 
nach  welcher  das  accnsativische  Object  Ziel  der  Handlung  und  vorauf- 
gebender Grund  sein  kann;  beide  bestimmen  dieselbe:  vgl.  quod^  quia 
=  weil.  iitL  c.  dat.  sowol  Zweck  als  Grund,  öm  ^durch'  und  ^ wegen'. 
%axa  vofiov^  xctv  ivtoldg  n  nouiv  und  naxa  ng^^iv  akaX^a^Bj  tuctu 
^iav  rinov.  vgl.  auch  den  Uebergang  der  Form  finaler  Satze  in  die  coa- 
ditionaler,  im  Conj.  c.  av.  Das  Griechische,  welches  das  Accusativ- 
Verhältnis  am  freisten  handhabt,  braucht  »  für  *  wenn'  wie  für  *ob', 
und  zwar  für  beide  Arten  des  *ob';  es  scheidet  dabei  nur  Adver- 
bial- und  Objectssatz  durch  die  Modi.  Das  Latein,  da  es  sein  ^wenn' 
nur  auf  den  adverbialen  Theil  der  indir.  Fragen  ausdehnte,  wollte  nur 
Substantiv-  und  Adverbialsatz  scheiden,  nicht  Ziel  und  Grund.  Das 
Deutsche  fixierte  eine  seiner  beiden  Conditionalconjunclionen  für 
die  indir.  Frage  überhaupt,  gab  also  den  Unterschied  zwischen  Snb« 
stantiv-  und  Adverbialsatz  auf. 

Schlieszlich  die  Bemerkung,  dasz  es  auch  in  Nominal  fragen 
Nebensätze  der  fragenden  Handlung  gibt.  Hier  aber  finden  sich  nicht 
conditionale  Modi  sondern  finale,  und  zwar  diejenige  Form,  welche 
bei  den  Relativis  im  allgemeinen,  also  ausgenommen  die  schon  völlig 
als  Finalconjunctionen  aufgefaszten ,  die  allein  mögliche  ist,  der  Ind. 
Fut.  (iiti);  z.  B.  Is.  Faneg.  79  tag  araaeig  iTtoiovvto*  ovy  onorsgoi 
aQ^ovOtv^  aAA  onorsQOi  q)^ria(}vzcci  ttiv  noKiv  aya&ov  n  TtottiOccvteg, 
Nur  der  Opt.  c.  av  {(Atj)  wäre  als  Stellvertreter  noch  möglich. 

c.  111.  Wenn  für  weil  oder  da. 

1.  Häufig  wird  ein  wenn  gesetzt  für  weil,  um  einen  Grund  zu 
verallgemeinern ,  dasz  dieser  nicht  blos  jetzt  sondern  überall  wieder 
dasselbe  bewirken  werde.  Aesch.  1,  89  sl  d'  6  aydv  iaxiv  ^A^Yivrfii, 
Xen.  Mem.  1,  5,  1  e^  di  di^  iy%qaxua  kuIjov  Krrjiia  iöriv^  i7CAtfx€i/;a)- 
fis^a  ei  KxL  (=  iTteiötj).  An.  6,  1,  26  tjöaiiai  vno  vficov  xifidfievogy 
stksQ  avd'QGmog  elfii  (=  htelneq^  so  gewis).  vgl.  An.  3,  2.,  17.  PI. 
Hen.  89  A  ovnovv^  sl  xaiha  oiixcDg  S^^ijOvx  av  ehv  gwaet  ot  aya&oL 
Die  Möglichkeit  ist  auch  hier  wieder,  entweder  dasz  sl  seine  conditio- 
naien  Modi  und  fii{  bebalte  oder  dasz  es  die  eines  Satzes  des  Grundes 
annehme.  Das  gewöhnliche  ist  in  diesen  immer  der  Indic.  (Ueber 
Opt.  c.  av  und  Praeter,  c  av  vgl.  c.  IV  u.  IV  ^).  Findet  sich  hier  also 
el  ovjso  ist  der  Grund  des  av  dasz  eine  negative  Thatsache  behauptet 
werden  soll;  es  steht  aber  sl  statt  oxt^  um  diesen  Grund  zu  verallge-  ' 
meinern.  Xen.  An.  7, 1,  29  nal  di9cal(ogj  el  ßaqßaQov  (asv  itohv  ovöb^ 
(Uav  fj&sk'^aafisv  Tcazaöxeiv^  Ekki^vlda  öh  xamr^v  i^aXana^ofisv. 
Eine  ähnliche  Brachylogie  wie  bei  d^avfiaiat  el  zeigt  sich  auch  hier 
als  durchführbar.  Dem.  17, 17  el  d'  ovx  aviätSiv  ot  %ab^  vfiav  x^ 
MaKeäipi  vmufhtu*  ib.  Sä^  41  aiiimy  el  (xixe)  iiiv  ov»  iaolei,  vvv 


14  Ueber  bI  &v  and  e^  ov. 

ii  toXfjiS.  2i ,  24  d  ot  vofioi  dh  ov  %  imai.  24 ,  53  £/  tolvvv  InttBvsiv 
ov%  i^ean,  vgl.  22,  18.  23,  76  sl  xolwv  rmv  «i/nJ^cov  xal  firj  fiersxov- 
TODv  rov  g)QOveiv  ovdiv  iöd'^  öüiov  iäv  aKqixov,  45,  23  c^  ovx  ixoX- 
fLtjaev.  prooem.  53  a^tov  ovx  ovra  rovroig  intxiii'^aai^  aXV  vfiiv^ 
sl  —  ov  dvvaa&e,  ib.  47,  63  xcc  vTtoXotTca  Cksvti^  fiTr*  (=  o  w)  — 
ovx  hvxev  k%ci)  ovxa,  Isae.  12,  5  sl  ovxog  l|  aXXov  xtvog  avdQog  r^v 
vfj  fitfCQVia  nal  o  v  x  ix  xov  rifisxiQOv  naxQog,  Lyc.  Leoer.  141  ^X^v 
(isv  ovv  sl  Kai  Ttsgl  ovdsvog  äXXov  vofitfiov  iaxtv,  in  welcher  Formel 
sonst  (11^  gewöhnlicher  ist:  vgl.  Dem.  45,  56  u.  9.  41,  16.  39,  36.  22, 
69.  10,  41.  Isoer.  14,  58.  Es  gibt  aber  keine  Nothwendigkeit  dieses 
ov,  es  ist  eben  nur  deutlicher.  Herrn,  ad  Soph.  Oed.  C.  590  iXX^  el 
—  ovöi  öoi  ffsvysiv  xaXov^  hält  ov  für  nothwendig,  aber  es  wäre 
mit  fif^  nur  die  Andeutung  einer  Behauptung  unterlassen,  wozu  die 
Möglichkeit  vorliegt,  sobald  man  ein  ^wenn'  für  ^weil'  überhaupl 
statuiert  (^wie  aber  wenn  die  Sache  so  steht  dasz').  Kühner  ad  Xen. 
An.  7,  1,  29  behauptet,  es  sei  An.  1,  7, 18  mit  Nothwendigkeit  gesetzt 
sl  ov  fiaxshai^  weil  voraufgehe  ovx  &qa  iiccxsixca.  Aber  das  ist  ver- 
sehen, es  steht  dort  trotzdem  selbst  bei  Kühner  sl  fAti  [iccxshai,  — 
Aus  Plutarch  s.  Cat.  min.  64  sl  öe  Kaxcovsg  ovx  slölv^  oIkxsIqsiv  x^ 
ia^svsiav  avxiav,  Cic.  47  Kanloavisg  savxovg^  sl  nsqtyLSvovdi^  tcvxol 
il  -ovn  äfivvovaiv,  Popl.  14  stxs  maxsv&slg  o  Xoyog  ovx  ixlvrjdsv 
avxov  =  Sive  quod.  vgl.  PI.  Rep.  X  597  B  sixs  ovx  ißovXsxo^  ehe 
ivayxri  iTtrjvj  ovx(og  i7tolr}<ssv,  —  Dasselbe  gilt  von  etiamst  für  quam- 
quam  (namentlich  etsi  steht  geradezu  fast  immer  für  quamquam).  Vgl. 
oben  Lyc.  Leoer.  141.  Hom.  II.  4,  55  sitvsq  nctl  (p^ovia  xs  xca  ov» 
slöi  dianigaai,  ib.  4,  160  shcsQ  yccQ  xs  Kai  avxlK  ^OXv^iuog  ovx  ixi- 
XsCiSsvy  Ix  xs  xccl  6i|;l  xsXsi.  Andere  Erklärungen  dieser  Structur  zu- 
rückzuweisen, verschieben  wir  auf  cap.  V. 

2.  Da  die  Sätze  des  Grundes  von  der  Sprache  eben  nur  als  Ob- 
jectssätze  mit  oxi  hingestellt  werden,  so  ist,  wenn  jenes  zur  Con- 
junction  gewordene  oxi  fehlt,  also  bei  den  übrigen  Relativis  in  der 
Modalform  keine  Bezeichnung  des  Grundes  möglich,  wie  das  im  Latein 
durch  den  Conjunctiv  geschieht,  d.  h.  Sätze  wie  Pythius,  qui  essei 
ut  argentarius  apud  omnes  ordines  gratiosus  und  bei  Zumpt  §  564 
erscheinen  griechisch  nur  in  den  Modis  des  Hauptsatzes  und  ov.  Es 
hat  daher  hier  nur  der  Fall  Interesse,  wo  die  condilionalen  Modi  stall 
jener  eintreten,  wo  es  also  bei  og^  insl  usw.  eben  so  gut  ein  *wenn' 
für  *weil'  gibt  wie  bei  sl,  PI.  Symp.  175  B  aU'  rniäg^  a  Ttatösgj 
Tovg  aXXovg  itSxiaxs'  Tcdvxcog  nagccxl&sxsj  o  xt  ccv  ßovXrjadty  inst- 
iav  xtg  vfiiv  firj  icpsaxi^xy.  Wäre  das  quum  c.  Conj.  =  *da,  weil% 
so  müste  stehen  instöri  ovx  ig)iaxrjxs.  vgl.  Symp.  183  C  irtstdav  dh 
(ifl  i^(Si  — ,  slg  xavxd  xig  ßXi'ilfag  riyi^accix  Sv  «rtf^^Orov  (xtiv  natde- 
Qaaxiav),  Solche  Fälle,  die  Legion  sind,  werden  wenig  beachtet,  wol 
weil  man  sich  durch  den  latein.  Conj.  hier  beruhigt  fühlt.  Aber  beim 
Indic.  fällt  das  fii]  auf;  man  beseitigt  jetzt  die  Schwierigkeit,  indem 
(ifj  =z  ^mutmaszlich  nicht'  heiszen  soll;  so  noch  Fritsch  Par- 
tikeln und  ihm  folgend  Rost.    Diese  ErklärungsveTsuohe  durch  Be^ 


lieber  il  &v  nnd  dov.  15 

haoptangen  von  Grundbedealungeii  führen  hier  en  fSrmlichen  Ergötz- 
lichkeiten ;  in  öidoixa  (irj  rid-vrjKe  sieht  Rost,  weil  in  der  Modnslehre 
vom  Indicativ  ausgehend  ,*  die  entschiedenste  Ueberzeugnng  von  der 
Wahrheit  aasgesprochen;  Fritsch,  von  ov  und  fii;'  ausgehend,  findet 
S.  161:  Mch  fürchte  seinen  Tod,  doch  denke  ich  nicht 
(fii^)  dasz  er  gestorben  ist'!?  Man  sieht  das  ist  ein  Weg,  auf 
dem  alles  zu  finden  ist,  nur  nicht  die  Wahrheit.  Wäre  jene  Bedeutung 
des  fitj  richtig,  so  müste*das  ^mutmaszlich'  doch  gerade  auch  in 
selbständigen  Sätzen  sich  finden,  was  nicht  der  Fall  ist;  beim  Opt.  c. 
ai/  steht  ov,  Aesch.  Tim.  29  firiöh  aviißovXevetv  a^iav  ffj  itoXei^  VTthQ 
fjg  TOI  OTtXcc  fifj  xl^edai  i]  ötä  deiUav  fiii  övvazog  el  STtafivvai:  *wenn 
da  nicht  vermagst  für  sie  zu  kämpfen,  so  verschone  sie  aach  mit  dei- 
nem Rathe.'  Wie  schwächend  wäre  mutmasziich!  Fl.  Euthyd.  302  G 
iga  av  avd'Qomog  el^  C9  (itjre  d-sol  slat  kxL  Dem.  49,  38  onov  xolvvv 
firidslg  (wenn  also  =  da)  rstokfiriTie  rovTG)  fJucQXVQ^öat  — ,  ntiig  ov» 
d%6g  KxL  Dem.  33,  30  OTtoxs  al  fisv  i|  ccQxijg  avvd^Kai  riq)avUsQi^aav^ 
ixBQat  di  (itj  iyqaqniactv  ^  TCtag  OQd'c^g  av  ifiol  dtTcä^oixo^  xa^'  ov  fin 
ixet  naQa^xiad'ai  avvd'riKag.  ib.  34,  29  %alxot>  xl  ov%  av  iCQu^aiev  o 
Toiovxogj  oaxig  yQccfifiaxa  laßoav  (iti  anodidooKS,  ib.  32,  12  ovx  Sx^^ 
aitoöovvai  %^fiara'  n^  yaQ^  ä  f|  ccqxvs  f*^  ivid'exo.  Thuo.  IV  126 
TtQOöipcei  viicv  (itjöev  nkrj^og  nstpoßrjad'ai ^  oi  ys  firjöh  ano  noXixeicSv 
roiovxcsv  ^KSXB^  iv  alg  %xX,  Man  sieht  welche  Kraft  darin  liegt,  wenn 
der  Redner  die  Entscheidung  über  den  Sachverhalt  völlig  der  Ent- 
scheidung der  Hörer  preisgibt  und  nur  das  Cansal Verhältnis  im  allge- 
neinen  verficht.  Sehr  häufig  so  auch  die  Tragiker,  und  hier  zumal, 
I.  B.  Soph.  Fhil.  715  co  ^uXia  tiruxay  og  (iriö^  olvoxvxov  ndfiaxog  i^ad^ 
iexhBi  xQ^v(p\  macht  das  Wermatlich',  wie  Rost  die  Stelle  faszt, 
einen  seltsamen  Eindruck. 

(Fortsetzung  im  nächsten  Heft.) 

Güstrow.  Aken. 


2. 

Lehrbücher  der  hebräischen  Sprache. 


1. 

Ausßhrliches  Lehrbuch  der  hebräischen  Sprache  des  alten  Bun- 
des von  Heinrich  Ewald,  Sechste  Ausgabe.  Leipzig, 
Hahn'^sche  Yerlagsbuchhandlung.  1855. 

Ewalds  Lehrbuch  der  hebräischen  Sprache  ist  bereits  in  der 
sechsten  Auflage,  das  heiszt  allerdings  in  dieser  Gestalt  in  der 
zweiten  (man  vergleiche  d.  Vorrede  zur  5.  Aufl.),  erschienen,  während 
Geseniofl  Lehrgebäude,  was  äoszerlich  dieser  Arbeit  von  Ewald  ent- 


16  Ewald :  lehrbach  der  hebr.  Sprache. 

sprach,  keine  neae  Auflage  erlebt  ;hat.   Soll  man  diese  Erscheinang 
als  eineo  erfreulichen  Beweis  ansehen  dafQr,  dasz  das  Hebräische  mehr 
Freunde  gefunden  habe?   Noch  musz  man  daran  zweifeln,  wenigstens 
fehlt  es  noch  sehr  an  solchen,  welche  die  Erkenntnis  der  Sprache  selbst 
fördern.    Ewald  fühlt  sich,  den  Eindruck  macht  auch  diese  Auflage,  in 
diesen  Bestrebungen  selbst  sehr  vereinsamt ,  befindet  sich  dabei  frei- 
lich im  Irthum.    Ewald  hat  nun  als  Kenner  des  Hebrfiischen  einen  so 
groszen,  alle  andere  überstrahlenden  Ruf,  seine  Leistungen  sind  so 
allgemein  anerkannt,  dasz  es  fast  Anmaszung  scheint,  wenn  ein  obscu- 
rer  Schulmann  über  dies  neue  umfassende  Werk  sein  Urteil  öffentlich 
abzugeben  wagt;  doch  bin  ich  dazu  aufgefordert,  und  dann  kann  bei 
mir  nicht  entfernt  der  Gedanke  entstehen ,  aU  stellte  ich  mich  über 
Ewald  oder  nur  neben  Ewald,  wenn  ich  auch  einiges  au  seiner  Arbeit 
auszusetzen  finde.    Wir  wollen  nur  pro  tenui  parte  ein  paar  Steine 
zum  Bau  der  Grammatik  beitragen.   Wir  sind  nicht  Vertreter  der  Wis- 
senschaft, in  uns  ist  nicht  die  Wissenschaft  verkörpert,  wir  lesen  und 
lernen  hebräisch  zu  unserer  Bildung  und  Erbauung,  aus  l^flicht,  weil 
wir  Schüler  zu  lehren  haben.    Wir  sind  sine  ira  et  studio,  wir  freuen 
uns  wenn  ein  tüchtiger  Mann  uns  Belehrung  bringt,  freuen  uns  wenn 
er  einen  Gedanken  ausführt,  den  wir  selbst  bereits  gehabt  haben ;  wir 
sind  nicht  geizig  auf  eine  Entdeckung ,  die  wir  etwa  gemacht  und  die 
ein  anderer  veröffentlicht.   Ist  sie  richtig ,  so  ist  es  ja  schön  dasz  sie 
veröffentlicht  wird,  wozu  wir  nicht  viel  Gelegenheit  haben;  ist  sie 
schlecht ,  so  haben  wir  die  Schande  nicht.   Wir  sind  es  gewohnt  un- 
sere Ansichten,  wenn  wir  sie  für  begründet  halten,  unsern  Schülern 
mitzutheilen,  ohne  ängstlich  Controle  über  sogenanntes  Eigenthum  zu 
führen.    Dies  unser  Standpunkt.    Dabei  fällt  es  uns  naturlich  unange- 
nehm auf,  wenn  Männer  der  Wissenschaft  bemüht  sind,  jede  Bemer- 
kung, jede  Beobachtung  die  sie  gemacht,  sorgfältig  immer  wieder  als 
die  ihrige  zu  vindicieren;   ein  wirklich  reicher  pflegt  freigebig   zu 
sein.    So  müssen  wir  gestehen  dasz  es  uns  sehr  gestört  hat  im  Ge- 
nüsse des  gegebenen,  dasz  Hr  Ewald  mit  groszem  Nachdruck  wieder- 
holt hervorhebt,  dasz  er  der  erste  gewesen  der  dies  und  jenes  ans 
Licht  gestellt,  so  z.  B.  S.  98.  121.  213:  ^so  war  buchstäblich  der  Zu- 
stand dieser  Wissenschaft  als  ich  mich  damit  zu  beschäftigen  anfieng.' 
219:  *ich  habe  diesen  wichtigen  Sprachtheil  in  allen  meinen  Schrif- 
ten .. .  mit  groszer  Sorgfalt  behandelt.'    S.  272.  274.  288.  300 ,  wo 
eine  Sache  als  neu  betont  wird,  die  längst  in  Schulz  kleiner  lateini- 
scher Schulgrammatik  steht;   S.  302  wird  sogar  wieder   mit  einem 
früheren  nun  aufgegebenen  Irthum  grosz  gethan,  weil  er  doch  einen 
Fortschritt  enthalten  habe.     Dergleichen   könnte  doch   endlich  weg- 
bleiben.   S.  321 :   ^  hierüber  herschle  vor  der   ersten  Ausgabe  dieses 
Werkes  eine  noch  gröszere  Verwirrung  als   über  die  Bildung  der 
Verba.'    S.  464.    Und  wenn  man  sich  auch  darüber  freut,  dasz  end- 
lich Gesenius  nicht  mehr  namentlich  bekämpft  wird ,  verdeckt  ge- 
schiehts  freilich  noch,  vergleiche  S.  272  Anm.,  so  musz  man  sich  lei- 
der doch  gestehen  I  dasz  dies  nicht  aus  redlicher  Würdigung  von  Ge- 


Ewald:  LehHiuch  der  hebr.  Sprache.  17 

iMnius  Verdiensten  za  erkliren  ist,  sondern  weil  er  nnn  als  todt  ange- 
•ehen  wird.  Von  lebenden  wird  wiederholt  Hupfeid,  z.  B.  S.  121.  219. 
933.  255,  angeführt,  aber  aach  nur  su  zeigen,  dasz  das  was  er  gesagt 
sieht  nea  wenn  wahr  and  wenn  neu  falsch  ist.  Wir  haben  uns  hier 
i|icht  um  Privatsachen  zu  kfimmern,  nicht  die  Gründe  solchen  Gebah- 
Tens  aufzusuchen,  aber  wissenschaftliche  Werke  als  Erzeugnisse  von 
Minnern,  die  für  die  Wissenschaft,  nicht  von  der  Wissenschaft  leben, 
dürfen  nirgend  Selbstüberhebung  zeigen;  von  der  Wissenschaft  aber, 
sieht  f  ü  r  die  Wissenschaft  lebt  nicht  blos  der  welcher  Geldgewinn,  aach 
wer  von  ihr  Ehrgewinn  sucht.  Die  Nemesis  hat  auch  Ewald  erreicht,  es 
wird  ihm  mit  Zinsen  zurückgezahlt,  was  er  durch  unnachsichtiges  Ur- 
leil in  seinem  abstoszenden  Selbstgefühl  gegen  andere  ausgegeben; 
man  lese  nur  die  Vorrede  von  Hupfelds  Psalmen.  Dasz  Ewald  wieder 
mehr  geleistet  als  Gesenius,  versteht  sich;  hätte  er  das  nicht,  würde 
er  ja  gar  nicht  nach  Gesenius  als  Grammatiker  genannt  zu  werden  ver- 
dienen ;  aber  was  er  geleistet ,  war  eben  möglich  gemacht  durch  Ge- 
senius, und  wenn  der,  der  auf  jemandes  Schultern  steht,  weiter  sich 
umsehen  kann  als  der  ihn  trägt ,  so  ist  das  natürlich,  aber  ein  selbst- 
rühmen  des  also  getragenen  nicht  gerechtfertigt.  Das  ist  die  Sache 
anderer,  und  wir  erkennen  gern  die  groszen  Verdienste  Ewalds  in 
ihrem  vollen  Umfange  an;  er  ist  ein  tiefer  Forscher,  der  die  Sprach- 
erscheinungen bis  in  die  feinsten  Fasern  zu  verfolgen  sucht,  hat  scharfe 
Unterscheidung ,  feine  Beobachtung  und  dabei  einen  klaren  Ueberbiick 
über  die  ganze  Sprache  and  alle  verwandten  und  viele  fremden  Spra- 
chen, dasz  er  dadurch  bei  seinen  geistreichen  Combinationen  durch 
das  wahrhaft  groszartige  Material,  was  er  immer  gegenwärtig  hat,  in 
ganz  besondererweise  unterstützt  wird,  ond  wir  halten  uns  berech- 
tigt diese  Ausgabe  als  den  Abschlusz  dessen,  was  bis  jetzt  in  hebräi- 
scher Grammatik  geleistet  ist,  zu  erklären.  Damit  erreichen  wir  frei- 
lich noch  lange  nicht  das  Urteil,  das  Ewald  selbst  über  seine  Arbeit 
hat,  wenn  er  sagt  S.  IX:  ^Obwol  in  vieler  Hinsicht  die  schwierigste 
semitische  Sprache,  ist  das  Hebräische  unter  allen  semitischen  jetzt 
am  vollkommensten  wiedererkannt  und  am  wissenschaftlichsten  be- 
schrieben ....  Aber  es  ist  auch  nur  billig  zu  behaupten ,  dasz  auch 
auszerhalb  des  Kreises  der  semitischen  Sprachen  wol  keine  andere  . 
aowol  dem  innern  Sprachwesen  als  der  Geschichte  aach  schon  so  ge- 
nau durchforscht  und  beschrieben  ist*  als  diese.'  Es  ist  natürlich,  dasz 
ein  Mann,  der  sein  ganzes  Leben  an  eine  Aufgabe  gesetzt  hat,  der 
groszes  erreicht  hat,  mit  Selbstgefühl  von  seinen  Leistungen  spricht, 
vollends  wenn  er  wähnt,  dasz  diese  nicht  genugsam  anerkannt  werden, 
es  ist  immer  noch  wolthnender.dies  zu  finden  als  verstellte  Bescheiden- 
heit ;  aber  Hr  Ewald  mag  auch  nicht  die  hier  folgenden  Aussetzungen 
als  aus  Tadelsucht  hervorgegangen  ansehen,  sondern  als  ernstliche 
Bedenken,  die  sich  beim  durchstudieren  auch  dieser  neaen  Auflage 
noch  aufgedrängt  haben,  und  so  wünsche  ich^s  von  jedem  angesehen, 
denn  so  ist  es. 

Dasz  des  guten ,  des  gelangenen  sehr  viel  ist^  versteht  sieh  von 

A.  Jahrb.  f.  PkU.  m.  Paed.  Bd  LXXVIII.  Hß  U  2 


18  Ewald:  Lehrbach  der  hehr.  Spräche. 

selbst  und  ist  auch  bereits  im  gesagten  anerkannt;  auch  diese  neue 
Anflage  bat  sehr  viele  Verbesserungen,  wie  uns  eine  Vergleichnng 
dargethan  hat,  sie  ist  ein  Beweis  von  der  Treue  und  Unverdrossenheit 
dessen,  der  das  höchste  zu  erringen  sich  vorgesetzt,  und  manche  Aus- 
setzungen, die  wir  uns  zur  Ausgabe  von  1844  gemacht,  sind  jetzt  ge- 
schwunden, es  ist  eine  durchgehende  Ueberarbeitung.  Wenn  ich  nun 
eben  blos  anführe  wo  ich  abweichender  Ansicht  bin,  so  ist  das  viele 
gute  als  anerkannt  vorausgesetzt,  und  werde  ich  meine- Meinung  ganz 
bestimmt  aussprechen,  ohne  mich  damit  Mer  Hru  Ewald  selbst  erheben 
zu  wollen.  Als  falsch  mnsz  ich  bezeichnen  die  Bildung  des  Hülfsvo- 
eals,  wenn  vor  dem  ersten  Vocale  mehr  als  zwei  Consonanten  zu  stehen 
kommen.  Hr  Ewald  sagt  S.  39:  *Als  solcher  sich  eindrängender  Vocal 
erscheint  denn  zwar  nach  §  23  b  zunächst  i  (e);  wo  indes  a  oder  o  (u) 
ursprünglich  in  der  Stammbildung  gegründet  war,  §  212.  226,  oder 
sonst  im  Laute  nahe  liegt,  §  245  b,  da  nimmt  der  erste  Mitlaut  noch 
immer  leicht  diesen  bestimmteren  Vocal  an,  vgl.  weiter  §  70b.'  Wie 
diese  falsche  Regel  auch  schwer  verständlich  ist,  so  ist  S.  52  §  24  a  i 
zwar  nicht  geradezu  falsch,  aber  eben* wieder  sehr  compliciert,  weil 
jene  erste  Regel  nicht  einfach  gefaszt  ist.  Wie  ich  die  ganze  Erschei- 
nung auffasse,  habe  ich  in  dieser  Zeitschrift  (Bd  LXXIV  S.  197)  be- 
reits angegeben  und  will  deshalb  hier  dasselbe  nicht  nochmals  wieder- 
holen. So  steht  auch  S.  68  §  34b  eine  Regel,  die  recht  viel  Ausnah- 
nen  mit  sieh  bringt;  so  versteht  Hr  Ewald  auch  S.  71  §  36  a  die  Sache 
recht  schwer  zu  machen,  ^und  hier  herscht  denn  auch  nach  der  Copula 
1  n  n  d  gegen  §  346  das  i  vor ,  weil  dieser  Vocallaut  schon  vorliegt^ 
bereit  sich  jedem  möglichen  Mitlaute  anzuschlieszen,  wie  '^'i^i ,  ']V2'^'] .' 
Die  Vocale  sind  überhaupt  bereit  sich  jedem  Mitlaut  anzuschlieszen ; 
ea  ist  vielmehr  die  Frage ,  ob  der  Mitlaut  bereit  ist  sich  dem  Vocale 
anzuschlieszen.  So  wäre  noch  S.  76  §  41  a,  S.  78  §  44  a  1,  S.  87  §  47  a 
zu  behandeln. 

Aehnlich  ist  in  unklare  und  falsche  Regeln  gehüllt,  weil  das  ein- 
fachste nicht  beliebt  ist,  z.  B.  die  Erscheinung  dasz  *^b73  mit  SufQx 
i'zh'n  hat,  S.  105  §  70  a  1  1),  weil  dieses  erst  von  'rjbTa  abgeleitet  wird, 
da  äoch  beides  von  "^^12  abzuleiten  ist;  so  S.  101  §  68  b  sucht  Hr  Ewald 
durch  ein  ^kurzes  i  o^er  e,  welches  sich  aber  im  Hebräischen  nach  $9 
gar  nicht  einmal  deutlich  halten  kann',  d.  h.  garnichtist  und  nie 
gewesen  ist,  eine  wirkliche 'Erscheinung  zu  erklären.  Hr  Ewald 
läsztS.  149  nb*^  für  nbo*^  stehen,  da  beide  Formen  von  durchaus  ver- 
schiedenen  Bildungen  ausgehen,  aus  der  nicht  vorhandenen  :3bp'^.  aber 
:3Cn  wird,  nimmermehr  nö^;  ähnlich  wird  S.  250  Dn^  für  Qn^  gesetzt. 
Formen ,  die  ebenso  wie  die  eben  erwähnten  auseinander  gehen.  Die 
Veränderung  und  Bildung  neuer  Vocale  geht  nach  viel  einfacheren  Ge- 
setzen vor  sich  als  hier  aufgestellt  sind. 

Ein  durchgreifender  und  vieles  verwirrender  Irthum  ist  die  Auf- 
fassung der  Tempora,  da  Hr  Ewald  sie  immer  wieder  mit  den  Actiones 
verwechselt;  diese  Unklarheit  zieht  sich  leider  auch  durch  diese  Aus- 
gabe and  macht  das  Verständnis  des  Gebrauchs  der  hebräischeu  For- 


Ewald:  Leiirbaeli  der  bebr.  Sprache.  19 

men  rem  unmöglich ,  bewirkt  auch*  dass  er  geneigt  wird  das  Particip 
eis  Praesens  gelten  eo  lassen  S.  M8,  um  die  nothwendigen  drei  Tem- 
pora EU  gewinnen,  und  mit  Recht;  denn  hatten  die  Hebräer  ihr  Katal 
und  Jiktol  (Abhar  und  Athicb)  ^vom  Zeitstande  des  redenden  ans 
scharf  unterschieden'  S.  301,  so  hätten  sie  drei  Tempora  bilden  mus-» 
sen,  hätten  nie  mit  zweien  sich  .begnügen  können,  wie  die  Lateiner, 
diese  strengen  Logiker,  zweimal  drei  haben,  d.  h.  swei  actiones, 
wie  die  Hebräer  die  dabei  stehen  geblieben  sind,  und  in  jeder  actio 
drei  Tempora.  Woi  mag  mein  Programm  über  diesen  Gegenstand 
'über  die  hebräischen  sogenannten  Tempora,  Quedlinburg  1850'  nicht 
Um  Ewald  vor  die  Augen  gekommen  sein;  fragt  sich  auch,  ob  er  es 
der  Mühe  werlh  gehalten  ein  Schulprogramm  zu  beachten,  aber  ich 
musz  gestehen,  dasz  weiteres  forschen  mich  in  den  damals  geäuszerten 
Ansichten  nur  gestärkt  und  mir  das  einzelne  noch  genauer  begründet 
hat.  Es  dringt  auch  allmählich  diese  Auffassung  durch,  wie  Nägels- 
bach in  seiner  Grammatik  von  ihr  ausgeht.  Hr  Ewald  geht  in  diesem 
Kapitel  auch  sehr  eigenwillig  bei  seinen  Uebersetzungen  zu  Werke: 
so  M^i:!  schuf  S.  302,  '^nn;  S.  303ichgebe;  dann  bekommt  aller- 
dings  das  hebräische  Perfect  eine  Vielseitigkeit  der  Bedeutung ,  der 
sich  andere  Sprachen  nichi  rühmen  können.  So  sind  Formen  wie 
"^in^DT  memini  S.  302  nicht  richtig  erklärt. 

Ur  Ewald  sagt  vom  Athich  S.  304:  ^Entweder  wird  das  unvollen- 
dete als  werdendes,  so  eben  entstehendes  und  dauerndes,  nur  noch 
nicht  vorübergegangenes  aufgefaszt,  oder  als  schlechthin  künftiges 
noch  gar  nicht  seiendes,  also  nach  unsern  Sprachen  als  Praesens 
oder  als  Futurum';  und  doch  rühmt  er  sich  zuerst  diese  Form  Im- 
perfectum  genannt  zu  haben !  So  hat  er  freilich  noch  andere  glück- 
liche Erfindungen  wie  Praesens  Praeteriti  S.  305,  Imperfectum  Perfecti 
S.  5U;  er  unterscheidet  ein  ^engeres  Praesens'^S.  305  und  ein  ^gewötU- 
licbes  Praesens'  S.  306.  Da  seiner  Unterscheidung  der  beiden  Tem- 
pora jeder  wirkliche  Grund  fehlt,  so  musz  das  einzelne  sich  immer 
mehr  ins  Ungewisse  verlaufen ,  es  musz  vieles  rein  nach  Belieben  auf- 
gefaszt werden;  so  läszt  er  S.  501  das  Perfect  auch  zum  Precativ  wer- 
den, 'dasz  auch  im  Hebr.  das  Perf.  so  gebraucht  werden  konnte, 
folgt  sicher  ans  einzelnen  Ausdrücken ,  die  sonst  unverständlich  blei- 
ben, wie  ?t:3K  umgekommen  seien  die  Frevler  ilf.  10, 16',  das 
ich  in  dem  trogr.  S.  21  als  einfaches  Perfect  gefaszt  habe ,  und  dasz 
dies  richtig  ist,  bestätigt  jetzt  auch  Hupfeld  zur  Stelle,  der  seine  Er- 
klärung sicherlich  nicht  aus  meinem  Programm  geholt  hat.  Auch  we- 
gen der  andern  hier  angeführten  Stellen  musz  ich  der  Kürze  wegeA 
auf  mein  Programm  S.  22  verweisen. 

Auch  den  Imperativ  faszt  Ewald  nicht  in  seiner  wirklicheiv  Be- 
deutung, sonst  würde  er  nicht  den  Grund  des  nichtvorkommens  eines 
Imperativ  Pual  nndHophal  darin  finden,  dasz  ^die  reinen  Passiva  über- 
haupt im  Gebrauche  entfernter  liegen^  sondern  einfach  darin ,  dasz  ein 
Imperativtts  Passivi  ein  Unding  ist  und  in  keiner  Sprache  vorkommt,  son^ 
dem  solche  Formen  im  Lateinischen  und  Griechischen  immer  medial  sind. 

2* 


^  Ewald:  Lehrbuch  der  hehr.  Sprache. 

Das  *  Imperfectum  mit  1  verlegt  eine  werdende  Handlung  rflck» 
Värts  in  die  Vergangenheit'  S.  513!  Was  weisz  man  nun?  ^es 
entspricht  ganz  dem  griechischen  Aorist'  S.  514.  Steckt  hier  der 
Fehler  mehr  in  falscher  Auffassung  des  Griechischen  oder  des  Hebräi- 
schen ? 

Es  versteht  sich  von  selbst,  dasz  ich,  von  ganz  andern  Voraus- 
Setzungen  ausgehend,  in  der  Lehre  von  den  Zeiten  alles  anders  auf- 
fasen  masz ,  und  dasz  auch  die  *An  m  ut',  die  Hr  Ewald  in  dem  Wech- 
sel der  Zeiten  findet  S.  518,  mich  nicht  besticht,  den  meiner  Meinung 
nach  falschen  Weg,  weil  er  anmutig  ist,  zu  gehen.  Andere  mögen  nun 
beurteilen ,  ob  ich  mich  irre. 

In  der  Bildung  des  Niphal  setzt  Hr  Ewald  einen  Unterschied  im 
Perfeci  und  Futur.    Mm  Imperf.  Nif-al  hat  sich  nach  dem  Vorsatzlaute 
das  3  des  Stammes  immer  in  den  ersten  Wurzellaut  aufgelöst.    Dena 
das  den  Stamm  bildende  n  konnte  entweder  mit  vorhergehendem  (^hin) 
oder  mit  folgendem  kurzem  Vocale  (nf)  gesprochen  werden  (!);  im 
Ferf.  nun  hat  es,  den  ersten  Wurzellaut  mit  sich  in  §ine  Silbe  ziehend, 
den  Vocal  nach  sich  nnD3  ,  die  möglich  kürzeste  Aussprache;  im  Im- 
perf. aber,  welches  ja  auch  sonst  überall  die  verhaltnismäszig  längere 
Aussprache  liebt  (ein  oft  als  Axiom  wiederholter  Satz),  geht  die  Bil- 
dung von  hin  —  aus,  wobei  3  sich  auflöst,  das  h  aber  nach  dem  Vor- 
satzlaute des  Imperf.  stets  ausgestoszen  wird  und  so  das  hier  festeste 
Gebilde  entsteht:   nn3^  aus  ^ntD^j']  usw.'    Warum  dient  zur  Bildung 
bald  ni  bald  hin?   Stellt  sich  nicht  die  Bildung  ganz  einfach  so:  das 
Niphal  entsteht  aus  Kai,  indem  vor  das  Kai  in  seiner  ursprünglichen 
Gestalt  Vssf)  !fT  tritt,  wahrscheinlich  ein  reflexives  Pronomen  wie  nSi; 
diese  beiden  Buchstaben  haben  keinen  bestimmten  Vocal ,  sondern  er- 
balten ihn  erst,  wie  überhaupt  die  Vorsatzsilben,  von  der  Tonsilbe  aus 
nach  den  Regeln  vom  Tone ;  so  wäre  die  Grundform  b^p2ti ,  also  für 
die  zwei  Schwa  vor  der  Tonsilbe  mnsz  ein  Hülfsvocal  eintreten  bc3pj^-t 
und  der  vocallose  Hauch  fSllt  nun  ab.    Der  Infinitiv  hat  als  intran- 
sitiv abweichend  von  Kai  nicht  o  sondern  e,  vor  das  als  Vorton  das 
a  tritt,  also  ist  da  die  Grundform  Vtsps^,  daraus  bt2p3^,  daraus  bt^'s'n 
und  im  Futur  Vp.J^^T*^  macht  Vtp.j^*).    So  ist  die  Bildung  beider  Formen 
gleich,  nur  uach  den  unwandelbaren  Gesetzen  der  Aussprache  be- 
dingt.   Ueberall  hatte  Hr  Ewald  manches  dem  lernenden  erleichtert, 
wenn  er  diese  Gesetze,  wie  sich  von  der  Tonsilbe  ans  die  übrigen  Sil-  ' 
ben  bilden  müssen,  hervorgehoben  hatte;  es  würde  dann  vieles  deut- 
licher und  klarer  geworden  sein,  man  würde  die  Notfawejndigkeit  der 
Formen  eingesehen  haben,  während  jetzt  in  seinen  Regeln,  wie  auch 
in  der  obigen,  ein  subjectives  Belieben  zu  walten  scheint,  das  den  1er- 
nenüen  nie  zur  Gewisheit  kommen    laszt.    Bei  klarer  Durchführung 
dieser  Regel  würden  auch  die  Bestimmungen  über  1  (},  ?  usw.)  S.  534. 
536,  b  und  ähnliche  Partikeln  einfacher  und  verständlicher  geworden 
sein,   während  jetzt  viele  Bestimmungea  mit  vielen  Beschränkungen 
wieder  zu  lesen  sind.    Falsch  ist  die  Erklärung,  dasz  der  Infinitiv 
^der  blosse  Leib  des  Verbum  ist,  dem  die  Seele  ausgezogen'  S.  322, 


Ewald:  Lehrbocb  der  hebr.  Spracbe.*  21 

and  diese  Anffassung  fubrt  denn  aacb  io  der  Syntax  za  ersobwerendea 
Regeln. 

Mit  dieser  Aaffassung  hangt  auch  wol  znsammen  die  Ansicht  S.  338, 
dasz  erst  vom  Iniperfect  der  Infinitiv  und  Imperativ  herkomme,  eine 
Auffassung,  von  deren  Richtigkeit  ich  auch  jetzt  noch  nicht  mich  habe 
überzeugen  können.  Dasz  sie  eben  nicht  zu  schnellerer  Erlernung  der 
Formen  beilragt,  wird  jeder  einsehen,  der  die  Ewaldschen  Regeln  be- 
achtet. Die  ganze*  Formenlehre  des  Verbs  gestaltet  sich  viel  einfacher 
als  hier  auseinander  gesetzt  wird,  wenn  man  als  Grundformen  die  zwei, 
das  Praeteritum  und  den  Infinitiv,  annimmt,  und  in  den  verschiedenen 
Verben  gewinnt  man  dann  mit  Anwendung  der  Regeln  vom  Tone  und 
den  durch  die  Eigeuthümlichkeit  der  Gutturales  und  Quiescibiies  be« 
wirkten  Veränderungen  die  wirklich  vorkommenden  Formen  ohne  wei« 
teres  fast  ohne  Ausnahme.  Es  ist  hier  nicht  der  Raum  dies  im  einzel- 
nen nachzuweisen ;  es  ist  aber  diese  Auffassung  eben  so  wenig  mecha- 
nisch als  die  Ewaldsche,  und  sie  ist  ja  auch  nicht  neu. 

Hr  Ewald  will  fürs  Hebräische  ein  Neutrum  haben;  zwar  ist^s 
nicht  da ,  aber  es  musz  doch  wenigstens  da  gewesen  und  erst  später 
aufgegeben  sein  S.  381,  und  als  es  ^unbrauchbar  geworden'  S.  383,  isl 
das  Feminin  dafür  eingetreten,  vgl.  S.  372.»  Aber  nichts  erfährt  man 
darüber,  wie  es  zugegangen  dasz  die  Sprache  eine  so  brauchbare  Form 
aufgegeben  hat,  wie  sie  "nun  gar  unbrauchbar  hat  werden  können. 
Aber  dagewesen  ^rnusz'  das  Neutrum  sein,  das  wird  a  priori  bewiesen 
S.  380.  *Das  Semitische  hat  zwar  allen  Spuren  zufolge  in  einer  Urzeit, 
wo  es  noch  nicht  seine  Eigenthümlichkeit  ausgebildet  halte  [vqn  der 
man  auch  gar  nichts  weiszIJ,  auch  das  unpersönliche  oder  sog.  Neu- 
trum [dies  oder  ist  nicht  richtig]  unterschieden;  so  liegt  es  in  der 
Sache  selbst,  weil  die  Sprache,  bevor  sie  auch  lebloses  als  männlich 
oder  weiblich  auffaszt,  zuvor  überhaupt  einiges  leblose  als  persön-- 
liches,  anderes  also  als  unpersönliches  aufzufassen  gewohnt  sein  musz.' 
Die  Haltlosigkeit  dieses  Beweises  liegt  wol  genugsam  auf  der  Hand, 
auch  ist  der  Vordersatz  schon  an  sich  falsch ;  denn  die  Sprache ,  die 
Sonne  und  Mond,  sol  und  luna  geschlechtlich  unterschied ,  faszte 
diese  Gegenstände  nicht  als  leblos.  Das  Neutrum  zeigt  sich  ihm  noch 
in  dem  ^gewis  aus  jener  Zeit  stammenden'  Fragwort  "^p ,  tiTa,  wo 
schon  das  r/g,  t/,  quis,  quid,  wer,  was  ohne  Feminin  das  richtige 
zeigen  konnte;  diese  Fronomina  fragen  nach  Personen  oder  Sachen; 
das  grammatische  Geschlecht  liegt  nicht  in  diesem  Fragwort,  da  der 
fragende,  der  die  Person  oder  Sache  die  er  wissen  will  noch  gar  nicbl 
kennt,  auch  dessen  grammatisches  Geschlecht  nicht  kennen  kann.  Das 
Neutrum  spukt  auch  in  der  Syntax  S.  656. 

Eine  weit  hin  greifende  und  auf  viele  Regeln  einwirkende  falsche 
Auffassung  ist  ferner  die,  dasz  der  slaius  consiruchis  eine  engere 
gezwungene  Unterordnung  bildet,  dasz  er  *sich  anstrengt  eine 
noth wendige  Ergänzung  sich  scharf  unterzuordnen'  S.  458,  obgleich 
*die  Kraft  der  Aussprache  in  der  Kette  nach  hinten  bin  will '  S.  643. 
Die  ganze  Bildung  des  stat.  constr.  zeigt,  dasz  er  sich  dem  absolotua 


22  Ewald:  Lehrbncb  der  hebr.  Spracbe. 

unterordnet,  dasz  sich  das  Wort  Sndert,  wenn  es  in  den  slat.  constr^ 
tritt.  Auch  diese  Veränderung  freilich,  die  sich  so  leicht  und  einfach 
bestimmen  läszt,  als  die  Form  die  entsteht,  wenn  der  Ton  des  Wortes 
als  auf  dem  absolulus  liegend  angesehen  wird,  ist  bei  Hrn  Ewald  sehr 
unsicher;  ^die  Verkürzung  nemlich  des  stat.  constr.  trifft  mehr  die 
Vocale,  jedoch  auch  diese  zunächst  nur,  sofern  sie  ihrem  Wesen  nach 
Verkürzung  erlauben,  d.  i.  sofern  sie  in  Folge  des  Tones  noch  länger 
sind  als  es  die  Nothdurft  fordert'  .  .  .  S.  467.  Solche  Begel  ist  na- 
türlich nur  für  den,  der  sie  nicht  mehr  braucht.  —  Aber  das  unbe- 
stimmte in  der  Regel  macht,  dasz  an  einer  Menge  von  Wörtern  die 
Form  nachgewiesen  wird  und  Gründe  weit  hergesucht  werden,  wie 
*im  plur.  aber  bleibt  n*l3(<b72  unverkürzt,  weil  M  ohne  vollen  Vocal 
ist':  einfach,  weil  sich  nichts  daran  verkürzen  läszt.  Auch  ^tD*^  von 
Sns*^  erhält  ein  gezwungene  Erklärung  S.  474. 

Zu  neuen  Ausnahmen  treibt  auch  die  Annahme  über  die  Anhän- 
gung der  Suffixe:  *Bei  ihrer  Vereinigung  mit  dem  Nomen  liegt  zwar, 
wie  es  der  Begriff  fordert  (!),  der  stat.  constr.  des  jedesmaligen  No- 
men immer  zn  Grunde,  allein  [das  ist^s  eben!]  ein  gewisser  (!)  Un- 
terschied in  der  Aussprache  kann  doch  eintreten,  sofern  das  Suffix 
weniger  Nacht  und  Gewioiit  hat  . . .  Dadurch  kann  einige  Macht  und 
Weile  des  Tones  vom  Suffix  wieder  auf  den  stat.  constr.  zurückfallen 
(!)  und  überhaupt  die  Vocalaussprache  eines  Nomen  vor  dem  Suffix, 
wo  es  nahe  liegt  (!),  wieder  voller  und  ruhiger  werden  ,  ,'*  S.  552. 
Die  Unklarheit  des  Ausdrucks  und  Unbestimmtheit  entspricht  der 
Schiefheit  der  Auffassung.  Welche  unsägliche  Schwierigkeiten  musz 
es  machen,  nach  diesen  Regeln  die  Bildung  des  stat.  constr.  und  der 
Suffixe  zu  lernen?  Der  Fehler  setzt  sich  fort  und  führt  S.  562  §  260  a 
wieder  zu  vagem  Gerede ,  ja  S.  643  sogar  zu  voller  Verkennung  des 
stat.  constr.,  denn  D"^!^  IDinb  ist  kein  stat.  constr.,  so  wenig  als 
S.  644  *^d[  DSiilsrT;  S.  648  läszt  Hr  Ewald  gar  ihn  in  den  stat.  absolu- 
lus ^zurücktreten',  §290  e  in  Beispielen,  wo  ein  stat.  constr.  eben 
gar  nicht  vorhanden  ist. 

Wie  hier  der  Fehler  in  ungenanem  construieren  liegt,  so  wären 
auch  sonst  manche  Ausnahmen  nicht  nöthig  gewesen  bei  genauer  Con- 
aructiou,  so  in  ö*]«!:^  ^"'"^vj  ^""^  ^^^  "^^-  '**  der  Inf.  Subject,  ein  \  also 
gar  nicht  anzubringen ,  wie  es  dagegen  ganz  in  der  Ordnung  ist  bei 
dem  mit  diesem  Beispiele  verglichenen  n^tbb  ^it2  gut  ist^s  zu  woh- 
nen S.  658.  —  Syntaktische  Verhältnisse  werden  überhaupt  nicht  ein- 
fach genug  anfgefaszt«  Was  gibt^s  einfacheres  als  die  Apposition  und 
was  ist  verwickelter  und  auch  unrichtiger  als:  ^dies  ist  die  Beiord- 
nung (Apposition),  welche  da  eintritt,  wo  die  Unterordnung  in  jenen 
twei  [vorher  als  Accnsativ  oder  Genetiv  bezeichneten]  Arten  nicht 
Wol  möglich  ist  oder  wo  sie  unnöthig  scheint'  (!)  S.  595.  So  ver- 
wundert sich  Hr  Ewald  ohne  Grund,  dasz  '^'O  aach  als  stat.  absolntns 
vorkommen  kann,  '^12  n^  wessen  Tochter  S.  697;  so  sind  S.  693 
Über  die  Setzung 'Von  kV  und  Vm  falsche  Regeln,  sie  stehen  eben  vor 
dem  zu  verneinenden  Worte ,  das  braucht  nicht  gerade  das  Verb  zu 


Bwald :  Lehrboch  der  hebr.  Sprache.  23 

fein;  daneben  werden  andere  Beobachtaogen  eingemischt,  die  mit  ^b 
gar  nichts  zu  thun  haben,  wie  die  dasz  das  Parlicip  im  zweiten  Gliede 
ins  Verbum  finitam  übergehe  i^  37  ff.  Aas  ist  es  aber  mit  aller  wis- 
senschaftlichen Syntax,  wenn  man  in  der  Bestimmung  der  Regeln  einer 
fremden  Sprache  vom  Deutschen  ausgeht,  wie  hier  auch  geschieht 
S.  693  S  390  a.  B. 

Auf  S.  537  ist  die  Partikel  t^J  nicht  genug  gewürdigt ;  sie  steht 
auch  beim  Perfect  und  kann  mit  jeder  Verbalform  sich  verbinden, 
aber  stark  ist  die  Erklärung  ^^nbiziin  Vfi<  greif  doch  nicht 
Obadj  13  gleich  M3  nbuSr ,  da  doclT  nirgends  sich  dies  nj  für  fi<J 
findet  und  selbst  Mj  an  dieser  Stelle  keinen  Grund  hat.  Vgl.  ATaurer 
z.  d.  St. 

Neben  diesen  Einzelnheiten,  in  denen  wir  einen  mehr  oder  we- 
niger starken  Irthum  nachzuweisen  gesucht  haben,  leidet  Ewalds  Buch 
an  bedeutenderen  Mängeln.  Ein  Grammatiker  erfällt  vollkommen  seine 
Aufgabe,  wenn  er  den  Grund  der  wirklichen  Erscheinungen  nachweist, 
er  greift  aber  dieselbe  hinaus  und  in  die  leere  Luft,  tritt  er  herein  und 
beweist  es  mflste  so  sein.  So  rausz  nach  S.29  im  frühesten  Jugend- 
alter der  Sprache  das  Neutrum  dagewesen  sein ,  so  kann  man  nach 
S.31  unmöglich  ernstlich  voraussetzen,  dasz  die  dem  Arabischen 
allein  eigenthümlichen  Bildungen  (Nom.  Gen.)  ursprünglich  allen  semi- 
tischen gemeinsam  gewesen,  und  doch  §  216  werden  Reste  und  neue 
Ansätze  zu  Casusbildungen  erwähnt;  nach  S.  32  hat  das  Arabische 
alles  erreicht,  was  es  in  seinem  Boden  und  von  seinem  Ausgange  ans 
erreichen  konnte;  nach  S.  61  kann  die  Erweichung  der  Stummlaute 
lu  Aspiraten  nichts  ursprüngliches  sein;  S.  107  musz  Rest  und  Spur 
von  Vocalanschlag  bleiben;  S.  286  wird  eine  letzte  Möglichkeit 
der  Bildung  erwähnt;  S.  292  fordert  die  volle  Passivaussprache  im 
Verbum,  dasz  das  unterscheidende  u  sofort  nach  dem  ersten  Laute  des 
Wortes  scharf  hervorgehoben  werde.  Man  vergleiche  noch  S.  312 
S  139  a,  S.  387  §  173  g,  S.  461  §  202  b  c. 

Nabe  hiermit  stimmt  es,  dasz  einzelnes,  was  doch  unsicher  ist 
nnd  nur  auf  Vermutungen  und  Schlüssen  beruht  und  höchstens  als 
wahrscheinlich  bezeichnet  werden  kann,  gleich  als  ganz  gewis  hinge- 
stellt wird,  so  S.  63  die  Aussprache  des  ;Z$,  iz)  und  D,  noch  bestimm- 
ter S.  161:  'es  leidet  nemlich  keinen  Zweifel,  dasz  der  Strich  oben 
links  iz)  im  Sinne  der  Punctatoren  einen  dem  D  gleichen  Laut  bezeich- 
nen sollte.'  Die  dazu  angeführten  Beispiele  beweisen  nur,  dasz^ 
einzelnen  Worten  D  in  iD  übergegangen ,  nicht  dasz  sie  gleichen  Laut 
gehabt;  wozu  hätte  man  auch  mehr  Zeichen  als  Laute  erfinden  sollen? 
■nd  'b'DÜ  und  VlsiZ)  und  ähnliches  zeigen  doch  hinreichend,  dasz  die 
Laute  verschieden  waren.  So  wird  S.  66  73  als  stärker  denn  3  bezeich- 
net, da  doch  das  73,  man  vergleiche  U^ — -.  und  *> — :.  sich  sehr  schwach 
zeigt  und  mehr  dem  latüinischen  als  deutschen  m  ähnlich;  das  73 
schwindet,  das  3  assimiliert  sich  blos.  So  wird  S.  316  behauptet,  dasz 
inK3  eine  offenbar  ältere  Weise  der  Aussprache  ist  als  tn^S.  S.  628: 
*  Selten  erst  steht  biD  starrer  werdend  allein'  usw.,  Ewald  will  eben 


24  Ewald :  Lebrliocli  der  hebr.  SpraclM. 

nicht  xugeben,  dasz  Vb  eben  so  gat  als  stat.  abs.  vorkomnien  kans 
denn  als  stat.  constr. 

Daneben  werden  Beweise  angeführt,  die  nichts  beweisen;  so  ist 
der  Plural  D*^plj73  S.  418  damit  noch  nicht  erklärt,  dasz  &'^pb?3  eine 
nnhebräische  Form  wäre;  denn  warum  heisst  er  nicht  Q'^dV73  neben 
*^:3b73,  was  hebräisch  und  demD'^n:}'^  neben  *^*i:}'^  gaas-fthnticb  wäre?. 
So  wird  '^D'^Vä,  '^n'^V^ltTT  neben  Yi'^i  S.  445  damit  erklärt,  dass  diese 
Passiyformen  nicht  so  viel  gebraucht  und  abgenutzt  sind.  Also  wenn 
V  ,.  abgenutzt  wird,  wird  allmählich  *f~r  daraus! 

Eben  so  werden  oft  Erklärnngen  gegeben,  die  nur  scheinbar 
sind.  S.  44:  ^Das  kurze  a  erhält  sich  nun.  zwar  noch  ziemlich  häufig 
vor  dem  Tone  aus  weiter  keiner  Ursache,  als  weil  es  der  nächste 
Voeal  ist.'  S.  51:  *Vom  verliert  das  Fürwort  ^sn^N  wir  §  184  all- 
mählich  sein  a:  ^^r\i ,  als  ein  Wort  ungewisser  Abkauft.'  Soll  unsere 
Unwissenheit  dlrand  des'  Abfalles  des  Buchstaben  sein?  War*» 
nicht  richtiger  zn  sagen:  den  Crrund  des  Abfalls  wissen  wir  nichts 
wie  wir  das  Wort  auch  nicht  ableiten  können?  Ur  Ewald  bemüht 
sich  das  zweite  e  in  'tb'^,  ^^  usw.  zu  erklären  S.  ^3  und  S.  312  f.* 
aber  ans  allem  Gerede  geht  doch  nar  für  jeden ,  der  die  gebrauchten 
Redensarten  auf  ihren  wahren  Gehalt  zurückführt,  das  hervor:  die  Er- 
scheinung ist  da ,  die  Erklärung  —  fehlt.  Glücklicher  ist  hier  in  sei- 
ner Erklärung  Nägelsbach.  So  sagt  Ew.  S.  54  ^ppiTi  aus  kuinaq'^  aber 
dies  huinaq^  was  er  klüglich  nicht  ^umal  mit  hebräischer  Schrift  gibt, 
wie  entsteht  dies?  S.  81:  ^Da  nun  nach  dem  Hauptgesetze  der  Hauch- 
laut ganz  anders  vor  als  im  Tone  die  Vocalanssprache  auf  sich  wir- 
ken läszt,  vor  dem  Tone  milder  aber  deswegen  auch  nachgiebiger,  im 
Tone  stärker,  so  erklärt  sich,  wie  aus  ursprünglichem  Irr^ri';  vor  dem 
Tone  r^sn*^  werden,  i  m  Tone  in**  bleiben  kann.'  Wie  kann  man  ri^n^ 
als  ursprünglich  bezeichnen?  Das  hiesze  doch  wenigstens  es  wäre 
wirklich  eine  Form.  Die  Formen  erklären  sich  einfach  durch  die  Na- 
tur des  n,  das  ist  richtig,  aber  nur  bei  einfacheren  Ausdrücken  wird 
man  sie  wirklich  andern  erklärlich  machen.   Ebendaselbst  win*  n'n^K 

•  •  • 

erklärt  $  48  a,  Veil  M  für  t  gern  e  hat.'  —  S.  91 :  *ln  dem  persischen 
Fremdworte  fid^nM  E%r.  8,  37  scheint  der  Zusatz  vorn  durch  die  Ver- 
kürzung hinten  aus'  1173^'71  2,  69  entstanden  zu  sein.'  —  Dasz  rsTj 
sich  als  m  eng  ans  folgende  Wort  anschlieszt,  wird  S.  11^  aus  seiner 
^fragenden  Kraft'  begründet;  hat  denn  *f73  nicht  eben  so  viel  fragende 
Kipft?  —  Die  Verba  n^b  lassen  nach  S.  320  *nur  zur  allgemeinen 
Unterscheidung  des  Perf.  vom  Imperf.  im  Perf.  das  ä  in  a  übergehen.' 
Warum  ist  diese  Umwandlung  nicht  am  Imperf.  geschehen?  Hat  denn 
nicht  schon  das  regelmässige  Verbum  VtS^J  das  a?  *Zur  eigentlichsten 
Bezeichnung  des  Thäters  und  zum  neuen  Substantive  wird  diese» 
Gebilde  (btj'np)  durch  ein  auch  in  die  letzte  Silbe  dringendes  6^ 
vor  dem  sich  das  6  der  ersten  zn  ä  vereinficht'  S.  340  (also  Vnt3]j)' 
In  solcher  Weise  gibt  es  keine  Form, ^ die  sich  nicht  er- 
klären, deren  Entstehung  sich  nicht  nachweisen  liesze. 
Aebniiohes  finde  ich  S.  341  §  153  a  Z.  7,  S.  431  §  189  h  Z.  9,  S.435a, 


Ewald :  Lehrbidi  der  hebr.  SpraolM.  25 

dass  t  »  1,  dann  a  und  weiter  io  j  erweioht  itt,  aber  die  FormcD,  die 
das  beweisen  mfisten,  sind  gar  nicht  vorhanden.  S.  467,  S.  634  §  187  e» 
Doch  nicht  blos  solehe  Stellen  flnde  ich ,  sondern  noch  weiter  im 
gater  Anzahl  solche,  an  denen  ich  auch  nicht  den  Schein  einer  Be- 
gründung finden  kann ,  nichts  sehe  als  Worte;  ich  sage  ich,  da  ich 
das  snbjective  Urteil  nicht  als  ohjective  Wahrheit  hinstellen  mag,  es 
mögen  ja  andere  besser  dergleichen  begreiren.  Ich  will  aus  vielem 
nur  einzelnes  anführen,  damit  jeder  sehe  was  ich  meine.  S.  30:  *£s 
ist  daher  als  bitte  der  Bildungstrieb  bei  den  Semiten  sich  in  jener 
eigenthümlichen  Richtung  der  Wurzelbilduug  (die  drei  Radicalen)  früh 
so  erschöpft,  dass  er  nicht  leicht  darüber  hinaus  sieb  wagen  konnt# 
and  E.  B.  zur  Wortsasammensetsung  nicht  fortsehritt'  S.  32  §  6  b, 
S.  43  $  16b,  S.46  §  17  c  1.  S.47:  ^D'^Pi!^  boUim  Hüuser,  welches 
soeben  erst  aus  bötim  verkürzt  scheint.'  S.  70:  *^2^ntni  für  ax^rirn, 
indem  "^  zwar  verdrängt  ist  an  seiner  Stelle  als  Mitlaut,  aber  seinen 
Laut  in  das  vorige^  zurückwirft  und  so  festhlilt.'  Man  vergleiche 
S.  102  S  68  e  f.  S.  314  im  Futur  der  Verba  V's  bleibt,  wenn  die  ersta 
Radicalis  eine  Gnttnralis  ist,  ^das  d  gesetzlich  wie  Cl^:*?/  S.  316 
Futur  Niphal:  *von  f'^:  ^1)3%  ^lfi(?.,  indem  das  *)  sich  einfach  auflöst^ 
der  Vocal Wechsel  aber  deshalb  hinten  nicht  eintritt,  weil  er  noch 
nicht  gewichtig  genug  ist,  um  sich,  ungeachtet  der  zweite  Wur- 
zellaut  ein  bloszer  Vocal  ist,  festzusetzen ;  daher  auch  der  Yorton  hier 
von  selbst  keine  Stelle  hat.  Ebenso  treibt  ein  y^  noch  nicht  dieses 
Vocalwechsels  wegen  seinen  Doppellaut  auseinander,  so  dssz  hintes 
das  ursprüngliche  a  bleibt  wie  im  Perf.  ä&%  aber  dagegen  lautet 
dies  a  ähnlich  wie  im  Perf.  oft  in  o  über'  S.  323  §  143  e.  —  S.  423: 
^Doch  setzt  sich  dafür  vom  statt  t  vielmehr  das  etwas  fettere  a 
zwischen  den  flüssigen  Mitlauten  fest.'  S.  626:  ^Die  Feminiabildung 
ist  nach  §  175  o  hinzugekommen  (beim  Infinitiv)  and  fast  eine  Unter- 
scheidung des  Infinitivs  eines  halbpassiven  d.  i.  schwächeren  und 
gleichsam  weiblichen  VerbalbegrifTes geworden.'  —  S. 530  wird 
vom  Inf.  nbs.  gesagt,  *dasz  man  ihn  auch  Inf.  verbalis  nennen  könnte'. 
Was  man  mit  diesem  Namen ,  den  auch  Nägelsbach  in  seiner  Gramme-»^ 
tik  aufgenommen ,  nnn  eigentlich  gesagt  und  gewonnen  hat ,  kann  ich^ 
nicht  finden.  —  Ur  Ewald  hat  S.  535  vom  }}  vor  dem  Inf.  gesprochen 
ond  fährt  forfcj/Aber  "b  bleibt  ohne  Vorton,  wo  es  blos  der  äuszern 
Verbindung  wegen  ganz  lose  zum  Infinitive  wie  zu  jedem 
anderen  Nomen  gesetzt ist>  wie  n^tib  Gen.  16,  3,  ferner  in  k^b  zu 
kommen,  wenn  es  nichts  als  gegen,  versus  bedeutet.'  Hier  lag 
eine  genügende  Erklärung  vor,  nemlich  dasz  in  den  angeführten  Fällen 
dieser  Infin.  ein  Status  constructus  für  das  folgende  Wort  ist,  also 
selbst  als. tonlos  betrachtet  wird,  also  b^,  das  nur  vor  der  Tonsilbe 
des  Infinitivs  ein  Kamez  annimmt,  dies  hier  nicht  kanp,  cessante  eaussa 
cessat  effectus.  —  S.  637:  *  Hinten  sich  anlehnende  Wörtchen  sind  in 
allen  semitischen  Sprachen . . .  wenige,  wenn  man  darunter  solche  vor- 
steht, welche  im  Gründe  eben  so  gut  vom  sich  anlehnen  könnten . . .'  (!)« 
—  Nachdem  Hr  Ewald  in  dem  Abschnitte  von  den  Eigennamen  (einen 


20  Ewald:  Lebrbach  der  hebr.  Spraebe. 

Abschnitte,  der  leider  ancb  in  den  Grammatiken  anderer  Sprachen  fehll 
nnd  den  aufgenommeD  zu  haben  Ewalds  anzaerkennendes  Verdienst  ist} 
die  Sinnlosigkeit  der  Erklärung  anderer. vom  Namen  b'^^'^nis;  zwei- 
mal nachgewiesen,  gibt  er  S.  584  selbst  eine,  die  auch  kein  rechtes 
Licht  über  die  Bedeutung  des  Namens  verbreitet.  —  ^Der  Inf.  bat  nach 
%  2^  a  als  dem  Verbum  zn  nahe  stehend  den  Artikel  nicht,  ausser  in 
so  ganz  einzelnen  Fällen  wie  "^nb^  ^^Vl  ^'^H  ^^'^  i^^  ^^^  erken-. 
nen  mich  (meiner)?  Jer.  22,  16,  wo  eine  ungemeine  (!)Kraß 
in  der  Frage  liegt  (!),  wozu  kommt  dasz  gerade  t^^i  mehrmals  auch 
als  Substantiv  gebraucht  wird'  S.  598.  Während  das  erste  nichts  ist, 
enthält  der  Zusatz  den  wahren  Grund  der  Erscheinung.  —  S.  640: 
*Das  passive  Particip  trftgt  also  in  diesem  Falle  wesentlich  eine 
doppelte  Kraft:  die  der  bezüglichen  Person  und. die  eines  passiven 
Verbum,  welches, -wenn  nicht  der  ganze  Satz  zu  einem  blos  be> 
sfiglichen  herabgesetzt  würde,  die  Aussage  wäre.'  Doch  genug  hier- 
von ,  vielleicht  zu  viel ,  um  so  mehr  als  manches  wol  einem  schärfe- 
ren Verstände  tiefere  Weisheit  ist;  aber  auffällig  ist,  dasz  Regeln  mit 
grosser  Breite  ausgeführt  werden,  wozu  sich  nur  wenige  Beispiele 
finden.  Allerdings  hat  der  Grammatiker,  der  alle  Erscheinungen  der 
Sprache  umfaszt,  das  Recht  wie  die  Pflicht  auch  dem  vereinzelten  sei- 
nen Platz  anzuweisen,  aber  man  darf  doch  von  solchen  ausgefallenen 
serbröckelten  Steinen  nicht  so  viel  aufhebens  machen,  als  von  noch 
feststehenden  und  das  ganze  haltenden  Strebepfeilern.  Man  vergleiche 
S.  46 :  ^Auszerdem  halt  sich  das  u  mit  bemerkenswerther  Zähig- 
keit in  den  wenigen  Passiven  vierlautiger  Wurzeln'  §  131  g.  Da  sind 
zwei  solche  Formen  angeführt.  —  So  wird  als  äusserst  selten  be- 
zeichnet S.  83  und  nun  noch  auf  §  242  verwiesen  und  da  6in  Beispiet 
angeführt ;  ja  S.  317  wird,  nachdem  die  Bildung  eigenthümlicherFormeo 
nachgewiesen,  noch  bemerkt:  *von  diesem  Imperf.  findet  sich  indes  ini 
A.  B.  zufällig  kein  Beispiel'  (!).  Man  hat  schon  .seine  Noth  die  For- 
men alle  zn  lernen  und  zu  merken,  die  zufällig  vorkommen. 

Ein  groszer  Uebelstand  beim  Gebrauche  des  Buchs  sind  die  vielen 
Verweisungen,  so  über  riTS^fi^TS  S.  230.  388.  396.  359;  so  werden  uk 
S.  317  ein  ^nothwendig'  zu  belegen  vier  Paragraphe  angeführt  (und 
belegen  es  doch  nicht!) ,  ja  mitunter  wie  S.  247.  258  werden  gleich 
hintereinander  fünf  Paragraphen  citiert.  Besonders  aber  verdriess- 
lich  ist,  dasz  man  häufig  an  den  Stellen,  an  denen  man  eine  Erklärunff 
oder  Nachweis  suchen  soll,  nichts  der  Art  findet:  vergleiche  S.  5S 
nns  mit  S.  79.  S.  65:  ^welches  sich  im  Fürworte  sehr  klar  zeigt'  mit 
$  103  f.)  wo  nur  dasselbe  behauptet  wird ;  so  wird  nochmals  S.  65  aaf 
S  105  a  verwiesen.  S.  76  wird  auf  §  50  a  als  Beweis  hingewiesen, 
aber  der  Fall  hier  hat  nichts  mit  dem  in  §  50  a  gemein.  —  S.  93  §  60  b 
*nnd  das  §  59  o  angeführte  pD*?  (nemlich  für  pDb'7)%  dort:  ^überhaupt 
wechseln  die  flüssigeren  Laute,  besonders  l  und  r,  ihre  Stelle  am 
leichtesten.^  —  S.  227  und  §  406:  au  beiden  Stellen  steht  nur  einfach 
dasselbe.  —  So  S.  312  und  §  17  b.  —  S.  317  verweist  auf  §  122  a,  dies 
anf  S.  317.  —  S.  339  *nach  §  21',  wo  eben  nur  dieselbe  Behauptung 


Burald:  Lehrbnoh  der  hebr.  Sprache,  27 

B^ht,  kein  Belej^  ffir  die  Wahrheit  derselben;  so  S.  381  and  §  182; 
S.  420  und  §  146  e;  S.  436  'nach  §  48  a';  S.  442  und  S.  150;  S.  446 
'nach  §  40b;  S.  505  und  §  133  b,  S.  533  und  §  186  d,  243—45.' 

Freilich  wird  jeder,  der  die  Wahrheit  dieser  Belege  prüren  will, 
sie  selbst  alle  einzeln  vergleichen  müssen ;  ich  konnte  aber  nicht  die 
Stellen  alle  ausschreiben.  Vielleicht  habe  ich  schon  in  dieser  Richtung 
zu  viel  gethan,  und  ich  scheue  mich  fast  weitere  Ausstellungen  zu 
machen ;  allein  soll  man  eben  ein  Werk  vollends  von  solcher  Bedeu* 
tung  und  Wichtigkeit-  beurteilen,  musz  man  auch  alles  das  sagen,  was 
diese  Beurteilung  vervollständigt. 

Neben  dem  was  ich  geradezu  für  falsch,  anderes  für  nicht  er* 
klärende  ErkiSrung  habe  erklären  müssen,  ist  eine  Reihe  von  Erklä- 
rungen von  mir  bemerkt,  die  ich  wenigstens  als  sehr  zweifelhaft  b&. 
zeichnen  musz.  Solche  finde  ich  S.  72  §  36  a.  E.,  S.  74  §  39  b  1  a.  E.: 
^"n^  von  ^l2Ti;  S.  47  der  Grund,  weshalb  Esra  nicht  die  neue  Schrift 
eingeführt  haben  könne,  da  die  alte  Schrift  bis  ins  letzte  Jahrhundert 
im  Gebrauch  war,  als  wenn  man  daraus,  dasz  Hr  Ewald  noch  im  Jahr 
1855  die  in  deutscher  Sprache  so  häszliche  lateinische  Schrift  anwen- 
det, beweisen  wollte,  die  schönen  deutschen  Buchslaben  wären  damals 
noch  nicht  eingeführt  gewesen.  — •  S.  226  die  Behauptung,  dasz  "^2) 
ein  Fragwort  gewesen  sei,  dasz  das  fragende  ri  stammverwandt  mit 
der  lateinischen  Partikel  an  sei,  ist  doch  mehr  als  zweifelhaft,  das 
letztere  noch  besonders  dadurch,  dasz  an  ganz  andere  Bedeutung  hat 
als  n.  Hierbei  sei  nebenher  bemerkt,  wie  es  Hrn  Ewald  mehrmals 
80  geht  dasz  er  andere  Sprachen  zur  Erklärung  mit  heranzieht  ohne 
Noth  und  mitunter  gar  ohne  richtige  Auffassung  der  andern  Sprache. 
So  hält  er  S.  537  que  für  geringer  als  ei.  S.  649  drückt  ihm  'der 
Inf.  mit  b^  den  Genetiv  des  lateinischen  Gerundium  aus,  da  er  sonst 
andere  Casus  umschreibt^.  Musz  da  der  lernende  nicht  irre  werden, 
der  doch  weisz ,  dasz  sich  im  Lateinischen  die  Casus  streng  unter- 
scheiden ?  Nach  S.  692  drückt  bK  'stets  eine  innigere  Theiinahme  des 
redenden  aus  wie  ov  fitj*.  Man  vergleiche  die  Anm.  b  auf  S.  700.  — 
S.  707:  'Da  nun  das  Beziehungswort  hienach  weit  von  einem  lat. 
pron.  relat.  entfernt  ist;^  doch  dies  als  unwichtiger  nebenbei.  — 
S.  231  möchte  doch  der  von  vielen  angenommene  etymologische  Zu- 
sammenhang des  ^  mit  ys^  mehr  als  bloszer  'Schein'  sein;  zweifelhaft 
S.  234  die  Ableitung  des  ^n^.  —  S.  251  wird  eine  Form  durch  einen 
sonst  nicht  mehr  erhaltenen  Yocal  erklärt.  —  S.  253  §114 
werden  kurze  Verbalstämme  als  aus  volleren  wieder  zusammen- 
gesunken erklärt,  wie  ^ia,  *nNa,  ^n  ans  ^pn,  ^173  aus  ^ln73,  da 
doch  auf  derselben  Seite  §  113  DM^  aus  Dl^  entstanden  ist  und  man 
nicht  belehrt  wird ,  in  welchen  einzelnen  Fällen  jede  dieser  beiden 
schnurstracks  sich  zuwiderlaufenden  Bildungen  anzunehmen  ist.  —  S.  262 
die  Entstehung  von  n^l!^..  S.  337:  'Da  dies  übrigens  eine  sehr  be- 
stimm te  und  etwa  s  spätere  Form  ist,  so  lösen  sich  die  y^in  ihr 
gesetzt  ich  auf.' — S.  355:  'VonHithpael  vereinfacht  sich  D7^'ipri 
aus'pn^q.  —  S.420:  'Aehnliches  musz  für  vs;  Stadt  aus  T.;,  eine 


ii&  Ewald:  Lebrbacb  der  hebr.  ßpradMi« 

ältere  Ausspracbe  *r)9  gewesen  sein,  wovon  noch  der  Plural  &7*n!^, 
indem  ö  in  unwandelbares  ä  übergegangen.'  Dazu  vergieiche  man  auf 
derselben  Seite  die  Erklärung  der  Form  von  M'^a,  ÜV,  wo  sogar  ein 
unwandelbares  d  =  d  schon  zum  bloszen  Vorton  gemindert, 
also  verwandelt  ist.  * 

Das  Bemühen  alles  zu  erklären  und  jedesmal  zu  erklären  führt 
zu  öfteren  Widersprüchen,  die  bisweilen  in  groszer  Nähe  nebeneinaD- 
der  auftreten,  so  S.  219  §  101  c.  S.  261  ist  Neb.  13,  13  "nat'in  Hiphil 
von  ^^&<,  aber  doch  leitet  sich  zugleich  dies  Hiphil  erst  von  "nn^'i^  ab. 
S.  472 :  ^Sehr  selten  erst  bleibte  schon  unverändert  (im  stat.  constr.} 
wie  3^,  np5>.'  S.  473:  *Aehnlich  erklart  sich  der  Wechsel  von 
mbn  neben  dem  stat.  abs.  nbn  Milch.'  S.  567  Z.  1  wird  das  Bncli 
Josua  zu  den  späteren  gezählt  und  Z.  10  so  gesprochen  als  wäre  es 
ein  sehr  altes  Buch.  S.  597:  *Bei  andern  fällt  der  Artikel  erst  all- 
mählich ab  wie  t]'»r|'b«rj  und  d'^n'bN  Gott*)%  und  in  der  Anm.  liest 
man:  'Auch  D"^!rfVN^  ist' mehr  Neuerung  gewisser  Schrirtsteller/ 
Bei  andern  Stellen  wären  lange  Ausführungen  nöthig.  Man  vergleiche 
nur  z.  B.  die  auf  einander  verweisenden  $  130.  131.  149.  240  über 
passive  Formen,  §  132  c  u.  d  Minti3. 

Bei  der  Anordnung  des  Buches,  die  sehr  eigenthümlich  ist  und 
auf  die  als  die  ^richtige  Gliederung  des  ganzen'  usw.  wie  auf  ein  be^ 
sonderes  Verdienst  Hr  Ewald  selbst  in  seiner  Vorrede  S.  XI  hinweist, 
und  die  als  ein  grammatisches  System  als  wol  durchdacht  anerkanni 
"fverden  musz,  die  aber  nicht  für  *den  Anfänger',  für  den  dies  Werk 
nach  S.  XIV  auch  geschrieben  ist,  praktisch  ist,  obgleich  man  wol  an- 
nehmen musz,  dasz  Hr  Ewald  mit  diesem  Anfänger  nicht  den  ins 
Hebräische  eintretenden  Schüler  sondern  unser  einen ,  der  mit  den 
klassischen  Sprachen,  mit  allerlei  Gymnasialdisciplinen  beschäftig! 
noch  nebenbei  Hebräisch  zu  lehren  hat  und  also  immer  in  den  Anfän- 
gen stehen  bleibt,  während  ein  Professor  prienlalium  seine  ganze  Zeil 
und  Kraft  dem  ^inen  Gegenstande  widmet  und  nothwendig  tiefer  ein- 
dringt; ein  Schüler  würde  vor  dieser  784  eng  gedruckte  Seiten  ent- 
haltenden Grammatik  davonlaufen,  —  bei  dieser  Anordnung  lassen 
sich  Wiederholungen  wol  nicht  vermeiden,  ich  erwähne  S.  268.  273. 
297.  300.  324.  345.  351.  395  usw.  Manches  ßndet  sich  an  Stellen,  wo^ 
man*s  sicherlich  nicht  sucht,  vgl.  S.  291.  310.  454.  612.  680.  Die  An- 
zeige ist  indes  schon  zu  lang  geworden  (doch  kann  man  wol  bei  der 
Wichtigkeit  des  Werkes  Entschuldigung  finden),  sonst  hätte  nocb 
manches  einzelne  besprochen  werden  können.  Schliesziich  m^iz  ich 
aber  noch  das  eingestehen,  dasz  der  Ausdruck  oft  schwer  verständlich 
und  ungewöhnlich  ist,  und  für  den,  der  die  Sachen  nicht  schon  etwas 
genauer  kennt,  fast  unverständlich  sein  möchte. 

Quedlinburg.  Gossrau. 

(Fortsetzung  im  nächsten  Heft.) 


Weniick:  Uebersiehl  der  deatocheQ  NationallitteraCar.         29 

Dr  Friedrich  Wernick^  Lehrer  am  Sophienstifte  zu  Weimar: 
Geschichtliche  lieber  sieht  der  deutschen  Nationallitteratur 
mit  HinbUck  auf  die  gleichzeitigen  Kunstbestrebungen.  Gotln 
1856,  Scfaeube.  XIX  u.  1128  S. 

Es  soll  eine  der  unangenehmsten  Empfindungen  sein,  beiszt  es, 
seinen  Doppelganger  zu  sebeli,  eine  Gestalt,  welche  ans  durchaus 
ahnlich  ist,  und  deren  Anblick  uns  mit  einem  unwiliküriichen  Schauder 
erfüllt.  So  wie  wir  uns  von  Herzen  freuen  Geistesverwandten  zu  be- 
gegnen, unsere  Ansichten  mit  ihnen  auszutauschen  und  mit  der  Erkennt-, 
nis  ihres  Werthes  zugleich  des  von  uns  selbst  errungenen  und  besea- 
senen  bewust  zu  werden,  so  ist  uns  jede  nur  äuszerliche,  täuschende 
Aehnlichkeit  ein  Grauel. 

Vor  einigen  Jahren  habe  ich  ein  Lehrbach  der  Geschichte  der 
deutschen  Nationallitteratur  erscheinen  lassen,  ein  Buch,  welches  neben 
manchem  entlehnten  viel  eigenes ,  besonders  in  der  Verarbeitung  bot, 
and  das  während  des  Unterrichts  in  einer  Töchterschule  entstanden, 
für  gereiftere  Klassen  recht  forderlich  sein  kann.  Ich  kenne  seine 
Mängel  zu  gut,  um  nicht  auch  seine  guten  Seiten  ein  wenig  zu  kennen. 
Zu  den  letzteren  gehörte,  dasz  ich  mich  bemüht  hatte  in  einem  kurzen 
Anhang  die  Geschichte  der  deutschen  Kunst  zu  verfolgen,  nicht  mit 
der  Absicht  vollständiges  zu  bieten,  sondern  nur  einen  Leitfaden  für 
diejenigen,  welche  solches  allenfalls  anspricht.  So  erfreute  ich  mich 
von  Herzen  als  ich  den  Titel  des  Buches  von  Hrn  Wernick  sah;  ieh 
freute  mich  einen  Geistesverwandten  gefunden  zu  haben ;  meine  Freude 
ist  zu  Wasser  geworden. 

Hr  Wernick  sagt  in  seiner  Vorrede:  *Die  Geschichte  der  vater- 
ländischen Litteratur  ist  in  fast  allen  Arten  von  Bildungsanstalten  ein 
Gegenstand  des  Unterrichtes,  die  Bekanntschaft  mit  derselben  ein 
Haupterfordernis  jeder  höheren  Bildung  geworden ,  und  es  hat  nicht 
an  Männern  gefehlt,  die  durch  Herausgabe  gemeinfaszlicher  Darstel- 
lungen diese  Bekanntschaft  zu  erleichtern  gesucht  haben.  Namentlich 
haben  u.  a.  Nösselt,  Klettke  und  Scholl  populäre  Litteratur  werke  ver- 
öffentlicht usw.  Dennoch  hat  es  mir  geschienen,  als  ob  der  litterari- 
sche Stoff  zum  Theil  noch  zweckmäsziger  geordnet,  die  am  meisten  in- 
teressierende Gegenwart  noch  ausführlicher  dargestellt,  und  neben 
der  GeAhichte  der  Litteratur  zu  noch  besserer  -Veranschaulichung  des 
Culturlebens  zugleich  auch  die  Kunst  in  ihren  Haupterscheinungen  mii 
vorgeführt  werden  solle.  Daher  habe  ich  in  dem  vorliegenden  Hand- 
buche den  Versuch  gemacht:  a)  den  umfangreichen  Stoff  noch  über« 
sichtlicher  zu  gruppieren  b)  die  interessante  Neuzeit  mit  noch  grösze- 
rer  Vollständigkeit  zu  behandeln  und  c)  im  Znsammenhange  mit  der 
Litteratur  auch  die  merkwürdigsten  gleichzeitigen  Kunstbestrebungen 
mit  zu  besprechen '  usw. 

Ich  habe  gegen  diese  Einrichtungen  und  Ansichten  des  Hrn  l>t 


30 


Wernick:  üebersichl  der  deutschen  Natiottallilterataf. 


Wernick  gar  nichts  einzuwenden,  denn  ich  halte  sie  für  richtig;  aber 
dagegen  habe  ich  etwas  einzuwenden ,  dasz  er  in  seiner  Vorrede  die 
meinige  völlig  ausschreibt,  dasz  er,  ohne  meinen  Namen  zu  nennen, 
aus  meiner  Litteraturgeschichte  Plan,  Gruppierung,  Charakteristik  bis 
in  Einzelheiten,  dasz  er  meine  ganze  Kunstgeschichte  entlehnt  hat. 
Bei  so  bewandten  Umständen  ist  es  nicht  entfernt  meine  Absicht ,  anf 
einzelne  Fehler  eines  Buches  aufmerksam  zu  machen,  welches  sich 
nicht  über  die  Bedeutung  einer  ungeschickt  abgeschriebenen  Schaler- 
arbeit erhebt;  eben  so  wenig  will  ich,  indem  ich  Hrn  W.  des  Plagiats 
zeihe,  mein  Werk  erheben,  dessen  Schwachen  ich  kenne;  ich  will  mir 
nur  das  unschuldige  Vergnügen  machen,  an  Terschiedenen  Beispielen 
nachzuweisen,  dasz  Hr  W.  meine  Litteraturgeschichte  auf  eine  durch- 
aus unanständige  Weise  ausgebeutet  hat,  sodann,  dasz  er  von  der 
Kunstgeschichte,  welche  er  von  mir  abschreibt,  durchaus  nichts 
versteht. 

Zuerst  zum  Plagiat.  Es  ist  erklärlich  und  natürlich,  wenn  man 
allbekannte  und  nothwendige  Dinge,  welche  möglichenfalls  nach  den- 
selben Quellenschriftstellern  gearbeitet  sind,  mit  ähnlichen  Worten 
ausdrückt,  oder  dasz  man  von  selbst  zusammengehörige  Dinge  auch 
zusammen  gruppiert.  So  hat  sich  nach  und  nach  eine  Behandlung  der 
älteren  nnd  mittleren  Geschichte  der  deutschen  Litteratur  festgestellt, 
'welche  naturgemäsz  ist  und  sich  nicht  wesentlich  ändern  lassen  wird; 
so  wird  die  Lebensgeschiclite  von  Dichtern ,  die  kurze  Inhaltsangabe 
mancher  gröszeren  Gedichte  sich  öfter  mit  ziemlich  gleichen  Wortes 
mittheilen  lassen;  so  habe  ich  selbst  manches  derart  entlehnt.  Ebenso 
steht  es  den  Schriftstellern  für  die  Schule  frei,  aus  den  Arbeilen  der 
Quellenforscher  und  geistvollen  Kritiker  gemeinfasziiche  Auszüge  z« 
machen,  wol  auch  ein  treffendes  Wort  zu  entlehnen,  vorausgesetzt  dass 
man  so  ehrlich  ist  der  Werke  mit  kurzen  Worten  zu  gedenken,  welche 
man  benutzte.  Dasz  man  in  neueren  Litteraturgeschichten  für  di« 
Schule  vornehmlich  Vilmar,  Gervinus,-Hill.ebrand  usw.  benutzt,  ver- 
steht sich  von  selbst,  und  ich  habe  es  oft  gethan,  mich  indes  nicht  mit 
der  allgemeinen  Aufführung  derselben  im  Vorworte  begnügt,  son- 
dern manchem  entlehnten  Ausdruck  sogar  den  Namen  offen  beigefOgl. 
Wenn  aber  ein  Schulmann  es  sich  erlaubt,  aus  zwei  Schulbüchern  «in 
drittes  zusammenzuschreiben  und  allenfalls  aus  einer  der  herkömm- 
lichen Blüthenlesen  ein  paar  Musterstficke  beizufügen ,  so  ist  das  ein 
unverschämtes  Plagiat  nicht  allein ,  sondern  ein  glänzendes  Armnths«- 
Zeugnis;  denn  ein  Lehrer,  welcher  über  die  Heroen  der  deutschen 
Litteratur  nur  abschreiben  kann ,  der  sollte  seine  Lehrthatigkeit  ein- 
stellen. Ich  greife  aufs  gerathewol  in  Hrn  W.s  Buch,  um  ihm  dieses 
zu  beweisen;  ich  wähle  Lessing.    Hier  heiszt  es: 


Buchner  1852  S.  152. 

Gotth.  Ephr.  Lessing  ward  den  22. 
Januar  1729  zu  Camenz  in  der  Lau- 
sitz geboren.    Sein  Vater  war  Pre- 


Wernick  1857  S.  337. 

G.  E.  Lessing,  nach  Klopstock 
der  zweite  grosze  Geist,  der  die 
deutsche  Litteratur  neu  gestaltete. 


WernidL:  Uebersiekt  der  deaUcheo  NaUonalUttoraCiir. 


31 


dij^er.  Unvollständig  vorgebildet,  ge- 
wann er  durch  faufjabrigen  Fleiss  auf 
der  Fflrstenschule  zu  Meiszen  tüch- 
tige Kenntnisse  in  den  Wissenschaf- 
ten und  alten  Sprachen.  Terenz  und 
Plautus  zogen  ihn  schon  früh  an. 
Vom  Vater  dem  Studium  der  Theo- 
logie bestimmt,  obschon  ohne  Nei- 
gung zu  derselben,  gieng  L.  1746 
nach  Leipzig ,  wo  er  aber  vornehm- 
lich ritterlichen  Leibesübungen,  fis- 
thetischen  und  philosophischen  Stu- 
dien, dem  Umgang  mit  Schauspielern 
der  Neuberschen  Truppe  lebte,  an 
Disputierubungen  unter  Kästners  Lei- 
Cang  Tbeil  nahm.  Zugleich  war  L. 
mit  seinen  Freunden  Weisze,  Mylius 
nsw.  schriftstellerisch  für  die  komi- 
sche Bühne  thätig  und  gab  seine  er- 
sten Lustspiele  heraus.  Aus  diesem 
Leben  rief  ihn  der  Vater  durch  die 
erdichtete  Todesnachricht  der  Mutter. 
Bald  indes  gieng  L.  nach  dem  frei- 
geistigen  Berlin  und  durch  des  streng- 
gläubigen Vaters  Bitten  genöthigt, 
nach  Wittenberg,  sich  als  Magister 
zum  akademischen  Lehramt  vorzubil- 
den usw.  Schon  1753  wandte  er  sich 
wieder  nach  Berlin,  wo  er  den  Um- 
gang von  Nicolai,  Mendelssohn,  Kam- 
1er,  Sulzer  genosz  usw. 

Ferner  heiszt  es  Buchner  S.  157. 

Leasings  Charakter  war  vorwie- 
gend verständig.  Er  selbst  gesteht, 
dasz  er  kein  Dichter  sei.  Werke  des 
Verstandes  sind  seine  Dichtungen, 
aber  solche  eines  schöpferisch-kräf- 
eigen,  groszartigen,  der  sich  mit  fei- 
nem Takt,  reinem  Geschmack  verei« 
nigt.  Selbstbewust,  nännlich-kräflig, 
ganz  antik  in  seiner  Höhe  und  Schroff- 
heit, ist  er  in  jeder  Beziehung  Gegen- 
satz zu  dem  weichen  Klopstock:  bei 
L.  finden  wir  klare  Besonnenheit,  Ge- 
diegenheit iind  Kühle,  bei  K.  lyrischen 
Schwang,  Sentimentalität,  Uernens- 


wnrde  am  22.  Januar  1729  zu  Ca« 
menz  in  der  Lausitz  geboren,  wo 
sein  Vater  Prediger  war.  Unvoll- 
ständig vorgebildet,  gewann  er 
durch  fünfjährigen  Fleisz  auf  der 
Fürstenschule  zuMeiszen  tüchtige 
Kenntnisse  in  den  Wissenschaften 
und  alten  Sprachen.  1746  bezog 
er  die  Universität  Leipzig,  um  nach 
dem  Wunsche  seines  Vaters  Theo- 
logie zu  studieren.  Aber  statt  des- , 
sen  beschäftigte  er  sich  mit  rit<- 
terlichen  Leibesübungen,  mit  lit- 
terarischen und  philosophischen 
Studien ,  pflegte  Umgang  mit  den 
Schauspielern  der  Neuberschen 
Truppe  und  nahm  Theil  an  den 
Disputierübungen,  die  Kästner  lei- 
tete. Zugleich  war  er  mit  sei- 
nen Freunden  Weisze  und  Mylius 
schriftstellerisch  für  die  komische 
Bühne  thätig  und  gab  seine  ersten 
Lustspiele  heraus.  Der  Vater  rief 
den  ungehorsamen  Sohn  nach  Hau- 
se zurück.  Bald  darauf  besuchte 
L.  die  Universitäten  Berlin ,  Wit- 
tenberg nnd  wieder  Berlin,  wo  er 
den  Umgang  von  Nicolai,  Mendels- 
sohn, Ramler  und  Sulzer  genosz 
usw. 

Wernick  S.  338. 

Lessing  hatte  in  seinem  Wesen 
etwas  schroffes  und  unstetes  unc^ 
in  seinem  Charakter  etwas  vor- 
wiegend verständiges.  Er  war 
gerade  das  Gegentheil  de§  gefühl- 
vollen Klopstock.  Während  Kl. 
poetischen  Schwung,  Sentimenta- 
lität nnd  Herzenswärme  in  sich 
trug,  war  L.  besonnen,  gediegen 
und  kühl ;  während  Kl.  ein  gläubi- 
ger Christ  war,  war  L.  ein  Zweif- 
ler; während  Kl.  mit  Vorliebe  auf 
die  deutsche  Volksthümlichkeit 
fnazte,  hnldigte  Lessing  vornug»» 


32 


Werniök:  Uebersicbt  der  deat8cli«ii  NatioiiaUitterata^. 


weise  dem  klassischen  Alterlha- 
me ;  während  Klopstock  sich  von 
seinem  warmen  Gefahle  leiten  and 
oft  über  alles  Masz  und  Ziel  hin- 
ausführen liesz,  stand  Lessing 
immer  als  scharfer  Kritiker  da; 
während  Klopstock  vorzüglich  ly- 
rischer Dichter  war,  war  Lessing 
vorzüglich  Dramatiker ;  während 
Klopstock  mit  allen  verschiedenen 
Richtungen  befreundet  war ,  war 
Lessing  allen  Parteien  ein  Wider- 
sacher; während  Klopstock  in  sich 
immer  glücklicher  wurde  und  erst 
im  hohen  Greisenalter  starb,  zer- 
fiel Lessing  immer  mehr  mit  sich 
selbst  und  starb  eines  frühen  To- 
des. 


wärme;  hier  gläubiges  Christen- 
thum,  dort  Zweifel,  hier  lebhaftes  oft 
schwärmerisches  Gefühl  für  deutsche 
Volksthümlichkeit,  dort  wenn  auch 
nicht  MisachtuDg,  doch  fast  nur  in  der 
Negation  des  fremden  bestehendes 
hervorheben  derselben  und  vorwie- 
gendes Ruhn  auf  dem  Alterthum.  L.ist 
der  scharfe  Kritiker,  der  Dichter  der 
Tragoedie,  masz  voll  und'gedrungen  in 
Form  und  Gestalt;  KL  ist  der  vom  Ge- 
fühl beherschte,  oft  über  das  Masz  hin> 
-ans  geführte  Epen-  u.  Odendichter ;  L. 
allen  Parteien  schroff  und  überlegen, 
ohne  Nachfolger,  Kl.  mild,  allen  Rich- 
tungen befreundet,  Ideal  der  ganzen 
vorstrebenden  Jugend ;  L.  immer  un- 
stet, nie  behaglich,  bald  arm,  baldVer- 
schwender ,  stirbt  früh  und  gramge- 
beugt. Kl.  glücklich,  nachdem  er  den 
Vollgennsz  desLebens  gekostet,  bis  in 
sein  hohes  Alter  als  Dichter  gefeiert. 

So  schreibt  Ilr  Werniek  Litteraturgeschichte.  Dasjenige,  was  ich 
als  die  Frucht  mühevollen  lesens  und  arbeitens ,  anstrengender  Vor- 
träge mit  nicht  geringer  Mühe  auf  seinen  Kern  zusammendränge,  darüber 
achüttet  er  sein  klares  Wasser  der  Popularität  und  verdirbt  das  ent- 
lehnte, wie  ein  ungeschickter  Junge  die  entwendeten  Trauben  zerdrückt. 
In  gleicher  Weise  schreibt  er  das  Verzeichnis  von  Lessings  Werken 
wörtlich  aus  Fischons  vielgebrauchtem  Leitfaden,  den  Abschnitt  über 
Lessings  Einflusz  auf  seine  ^eit  fast  wörtlich  aus  meinem  Buche  ab, 
•Ebenso  schreibt  er  wörtlich  aus  Fischon  ab  das  in  Klassen  geordnete 
Verzeichnis  von  Wielands  Werken ;  die  darin  vorkommenden,  von  gro- 
ber Unkenntnis  oder  Nachlässigkeit  zeugenden  Druckfehler  (Abderiden, 
Gereon ,  Thyana ,  Hyon)  hat  Hr  W.  selbst  beigefügt.  Wielands  Nach- 
^ahmer  nennt  Herr  Werniek  Nicolai. 

Ich  blättere  weiter,  nach  Goethe.  Da  heiszt  es  über  Iphigenie: 


Bachner  S.  208. 

Iphigenie  auf  Tanris,  1779  in  Prosa 
entworfen,  in  Rom  umgearbeitet,  ver- 
einigt den  höchsten  Reichthum  und 
Adel  des  Gedankens  mit  höchster 
Formschönheit,  griechisches  Masz 
und  Groszartigkeit  mit  deutscher 
Tiefe;  kein  Werk  ist  in  dieser  Art 
gleich  vollendet.  Vor  allen  herlich 
eracheiot  Iphigenie,  eine  wunderbare 


Werniek  S.  567. 

«  Als  Hanptheldin  dieses  gelun^ 
genen  Schauspiels  tritt  Iphigenie, 
Tochter  Aganenuions ,  Priesteria 
des  Dianentempels  auf  der  tauri* 
sehen  Halbinsel,  auf.  Iphigenie 
führt  durch  ihre  wunderbare  Ho- 
heit das  barbarische  Scythenvolk 
zur  Sitte ,  zähmt  den  grausamen 
König  Thoas  und  beruhiget  ihren 


Weraiok:  Uebersicbt  der  deatscheii  Nationallilteratiir. 


33 


von  den  Racbegeistern  verfolgten 
Bruder  Orestes.  Freimütig  und 
vertrauensvoll  bittet  sie  Thoas, 
der  FremdUuge  zu  schonen  und 
mit  dem  wiedergefundenen  Bru- 
der und  Freund  Fylades  sie  selbst 
in  die  Heimat  zurückkehren  zu 
lasseo,  —  und  der  Scylhenkönig 
überwindet  den  Schmerz  um  den 
Verlust  der  hehren  Freundiu  und 
endäszt  sie  mit  ernstem  Lebewohl. 
Dieses  Göthesche  Meisterwerk  — 
auch  wie  das  vorige  in  Jamben 
geschrieben  —  ist  eben  so  reich 
an  edlen,  gewichtigen  Gedanken, 
wie  es  sich  auszeichnet  durch 
Formschönheit,  und  vereinigt  in 
gelungenster  Weise  altklassische 
Gediegenheit  mit  deutscher  Tiefe, 


Franengestalt,  deren  Hoheit  das  Bar- 
barenvolk zur  Sitte  fuhrt,  den  rauhen 
König  zähmt,  die  Kachegeister  vom 
geliebten,  spätgefuudenen  Bruder 
verscheucht.  Aber  sie  will  nicht  ehr- 
los'davongehen  mit  demedeln,  männ- 
lich-stolzen Orest,  mit  dem  sinnrei- 
chen, gewandten  Fylades;  offen  und 
frei,  bauend  auf  die  Macht  der  Wahr- 
heit uud  der  schönen  Weiblichkeit, 
bittet  sie  Thoas,  den  Scythenkönig, 
um  Entlassung  und  ein  mildes  Ab- 
schiedswort;  und  der  Fürst  überwin- 
det den  Schmerz  um  den  Verlust  der 
Freundin  und  geleitet  sie  mit  ernstem  : 
lebt  wohl  i  —  Diese  rein  sittliche  Lö- 
sung, die  in  jedem  Worte  sprechende 
schöne  Menschlichkeit,  welche  sich 
vordem  dunkeln  Hintergründe  trüben 
Ahnengeschicks  abhebt,  das  vollkom- 
mene Ebenmasz,  die  Kraft  und  Bild- 
samkeit der  Form  wirken  zu  einem 
mächtigen  Eindruck  dieser  Gemüts- 
tragoedie  zusammen. 

•Abgesehen  davon,  dasz  Hr  Wernick  auf  diese  Weise  mein  Buch 
zerlästert  und  das  was  ich  gerade  über  die  bedeutendsten  Persönlich- 
keilen,  Klopstock,  Lessing,  Goethe,  Schiller  usw.  in  eigenthümlicher 
Weise  und  nach  ernster  Arbeit  schrieb,  mit  unbegreiflicher  litterari- 
scher Freibeuterei  plündert  und  zugleich  verwässert,  enthält  sein  Buch 
über  die  genannten  Männer  nichts  als  seichte  Rednerei,  kein  Wort 
welches  von  eigner  gediegener  Arbeit  Beweis  ablegte.  So  schreibt  er 
die  gesamte  Reihenfolge  der  goetheschen  Gedichte  abermals  gedanken- 
los aus  dem  dürren  Pischon  ab,  schreibt  dann  von  mir  die  Charakteri- 
stiken der  goetheschen  Hauptwerke  ab,  indem  er  nur  seine  beiden 
Quellenschriftsteller  verdirbt.  So  schreibt  er  mir  gleicherweise  ab 
die  Charakteristik  der  Romantiker  usw.  Von  seiner  tiefen  Kenntnis 
gibt  u.  a.  einen  Beweis ,  .dasz  er  Börnes  Postschnecke  bezeichnet  als 
^einc  Satire  auf  die  schwerfällige  Forlbewegung  des  deutschen  poli- 
tischen Lebens',  dasz  er  von  Prutz^s  politischer  Wohnstube  statt  Wo- 
chenstube spricht.  Die  moderne  Lyrik  schreibt  Hr  Wernick  wörtlich 
ab  —  abschreiben  nenne  ich  wörtliches  entlehnen  ohne  Nennung  des 
Verfassers  —  aus  Schenckels  Dichterhalle,  einem  solid  gearbeiteten 
Buche,  welches  dem  Verfasser,  .meinem  verstorbenen  lieben  Freund, 
unsägliche  Arbeit  und  einige  Lebensjahre  gekostet  hat,  und  das  jetzt 
solche  litterarische  Parasiten  massenhaft  abschreiben^  ohne  ihre  Quelle 
anch  nur  einmal  2u  nennen. 

iV.  Jahrb,  f,  PhU,  m  Paed.  Bd  LXXVIII.  Hß  i.  3 


34         Wernick :  IJel^rsicfct  der  deatsebea  Nationallitteratur. 

Hr  Werniok  verspricht  auf  .dem  Titel  seines  Bucbee  den  Hinblick 
auf  gleichzeitige  Kunstbestrebangen.  Dieses  hat  guten  Sinn,  wenn  von 
der  deutschen  Konst  die  Rede  ist;  aber  gelegentlich  der  deutschen 
Litteralurgeschichte  die  gesamte  Kunstgeschichte  2u  betrachten,  ist  ein 
Unternehmen,  weiches  kaum  praktisch  erscheint  und  jedenfalls  sehr 
geschickt  durchgeführt  werden  musz,  wenn  mehr  als  blosze  Namen  und 
Jalireszahlen  erwähnt  werden  sollen.  4n  der  Beschränkung  zeigt  sich 
erst  der  Meister.'  Wenn  es  aber  ein  Beweis  von  Unkenntnis  ist,  alles  mög- 
Hebe  nngesichtet  zusammenzuwerfen,  das  wichtige  und  unwichtige  nicht 
zn  scheiden,  in  einem  populären  Buche  wichtiges  auszulassen  und  dann 
wieder  vieles  zu  erwähnen ,  was  kaum  der  Kenner  wissen  kann ,  wenn 
Oberhaupt  gänzliche  Planlosigkeit  Beweis  ist  für  Unkenntnis,  so  hat  Ur 
Wernick  in  seiner  Behandlung  der  Kunstgeschichte  diesen  Beweis  geführt. 

Hr  Wernick  beginnt  auf  drei  Seiten  mit  indischer,  ägyptischer 
■nd  griechischer  Baukunst  und  Bildnerei,  dann  geht  er,  nachdem  er  die 
römische  Baukunst  mit  einer  Zeile  abgethan,  zu  Karl  dem  Groszen  aber. 
Hier  heiszt  es  S.  90  wörtlich : 

*Karl  der  Grosze  unternahm  mit  Zuziehung  italienischer  Baumei- 
ster auch  grosze  Kirehenbauten  (zu  Aachen  usw.)  und  cegte  dadurch 
in  den  Deutschen  die  Pflege  der  Baukunst  an.  Da  man  vorerst  nach 
italienischen  Mustern  baute,  so  blieb  zunächst  der  italienische  oder 
romanische  Baustil  (Rundbogen  usw.)  der  vorhersehende,  wovon  z.  B, 
die  Marien-  oder  Münsterkirche  in  Aachen  mit  nur  wenigen  Veränderun- 
gen als  Denkmal  noch  steht.  Auszerdem  sind  Beispiele  des  romanischen 
Stils:  die  Schloszkirche  zu  Quedlinburg,  die  Liebfrauenkirche  zu  HaU 
berstadt,  die  Schloszkirche  zu  Gernrode,  die  Liebfrauenkirche  zu  Mag- 
deburg, der  Dom  zu  Constanz,  der  Dom  zu  Augsburg,  Freiburg  a.  d.  U., 
Paulinzelle  usw.' 

Wer  von  der  Geschichte  der  Baukunst  nur  ein  wenig  versteht,  der 
weisz  die  grobe  Unwissenheit  eines  Schriftstellers  zu  beurteilen,  wel- 
cher mit  diesen  paar  Zeilen  die  romanische  Baukunst  abthut,  diese 
erste  groszartige  Kunsjblüte  des  Mittelalters.  Also  für  Hrn  Wernick 
existieren  z.  B.  gar  nicht  die  romanischen  Kirchen  im  Rheinland,  die 
riesigen  Dome  von  Speyer,  Worms,  Mainz,  Bamberg,  die  zahlreichen 
prächtigen  Kirchen  zu  Coblenz,  Laach,  Bonn,  Cöln  usw.  Weisz  er  gar 
nichts  von  dem  eigenthümlichen  Wesen  des  romanischen  Stiles?  Wa- 
rum hat  er  es  nicht  auch  aus  meinem  Buch  abgeschrieben?  Oder  es 
wenigstens  studiert  und  ^ich  die  Mühe  gegeben ,  zum  mindesten  die 
Bücher  von  Kugler,  Förster  usw.  ordentlich  auszuziehen?  Die  gesamte 
gothische  Baukunst  ist  eben  so  ärmlich  dargestellt,  sie  erhält  %  Sei- 
len, Albrecht  Dürer  deren  zwei.  Die  altilalischen  Malerschulen  wer- 
den sämtlich  angeführt  und  dabei  Meister  wie  SemitecoU),  Pacchia- 
rotto,  Andrea  di  Cione  usw.,  wefche  auszer  den  gelehrten  Kunstken- 
nern kein  Mensch  kennt  noch  kennen  kann,  am  wenigsten  unsere  Töch- 
ter; die  Verzeichnisse  zahlreicher  Gemälde  von  Leonardo,  Rafael, 
.Michelangelo,  Correggio,  Rubens  usw.  deuten  eben  so  wenig-  auf  die 
Fähigkeit  den  Stoff  zu  beherschen.  Der  deutsche  Kunstfreund,  welcher 


Weniick :  üeberticM  der  deotsthen  NiHoMllitterator.         85 

einen  Velasqoes  und  Harillo  lieranserkennt,  weiss  genog  von  der  spa- 
nischen Malerei;  \fenn  Hr  Wernick  uns  noeh  den  Roelas,  Fereda  usw. 
drein  gibt,  sq  beweist  dies  tiefste  Kerfnlnis  oder  Unkenntnis,  denn  in 
Deutschland  ist  kein  Qnadratzoll  Leinwand  von  diesen  Meistern.  Von 
Engifindern  besitzt  ebenfalls  Deutschland  kaum  6in  gutes  Bild;  Hr 
Werniek  beschenkt  uns  mit  einer  Seite  roll  entlehnter  Gelehrsamkeit 
daröber;  Hogarth,  welcher  uns  durch  Lichtenberg  nahe  gerückt  ist, 
wird  nur  genannt,  von  West  sieben  Bilder  angefahrt.  Druckfehler  wie 
Appelles,  Zeitloom,  Leseur  (zweimal),  Modette,  Radanisso,  Halevi  usw. 
im  Text  und  Index  stehen  zu  "lassen  oder  nicht  nachträglich  zu  corri^ 
gieren,  ist  Beweis  groszer  Unwissenheit,  denn  bei  der  Nähe  des  Druck- 
orts darf  man  annehmen,  dasa  Hr  Wernick  zum  mindesten  die  Revision 
besorgte.  Dasz  naeh  Erwähnung  der  neueren  französischen  Bildhauer 
und  Thorwaldsens  Hr  Wernick  zwei  Seiten  aber  Musik  bringt  und  zum 
guten  Theil  ans  meinem  Bnehe  entlehnt,  wird  man  begreiflich  flnde». 
S.  698 — 704  kommt  ein  Absclinitt  ^Künstler  der  Romantik  und  andere', 
in  seiner  Ueberschrift  schon  originell,  und  bis  auf  weniges  fast  wört- 
lich aus  meinem  Anhang  abgeschrieben.  Proben  zu  geben  wird  man 
mir  erlassen.  Und  so,  bald  excerpierend ,  bald  durch  Zusätze  ans 
irgend  einem  biographischen  Lexikon  erweiternd ,  sonst  aber  meinen 
Gang  und  meine  Werte  mit  rührender  Anhänglichkeit  bewahrend, 
schreibt  Hr  Wernick  ab ,  was  ich  tiber  die  neueren  Malerschulen  ge- 
sagt, und  zeigt  zugleich  seine  Unkenntnis  oder  seine  Geschmacklosig- 
keit, indem  er  uns  keinen  Kunstler  oder  Litteraten  seines  Wobnortea 
Weimar  schenkt.  Doch  ich  habe  es  satt,  in  dieser  Wasserbrahe  hemm 
zu  rühren  und  ungekochte  Stücke  Pischon,  Buchner,  Schenckel  usw. 
herauszufischen.  Hr  Wernick  hat  nicht  weniger  als  1107  Seiten  zu- 
sammengeschrieben. Ich  habe  ihn  vor  aller  Welt  der  schamlosen 
iitterarischen  Freibeuterei,  des  abschreibens ,  der  Unwissenheit  be- 
züchtigt. Wenn  ich  unrecht  habe,  so  mag  er  mich  widerlegen. 
Crefeld.  ,  Dr  W.  Buchner. 


4. 

Orbis  terrarum  antiquus  a  ChrUtiano  Theophüo  Reichardo  quon- 
dam  in  usum  inveniuHs  descripius.  Ed.  quinta.  Denuo  deti- 
neavit  el  eommentario  iUuslravit   Albertus  Farbiger. 

Norlmbergae,  Campe  et  Gl.    1853.   20  S.  n.  XX  Blätter. 

• 

Das  Bedürfnis  guter  Wandkarten  nnd  Atlanten  für  den  Schulge- 
brauch im  Geschichtsunterricht  zeigt  sich  am  deutlichsten  in  den  viel- 
fachen Bemühungen  der  letzten  Jahre,  sollhe  zu  geben.  Unter  die 
besten  für  die  alte  Geographie  und  Geschichte  ist  ohne  Zweifel  obiger 
Atlas  zu  rechnen.    Von  dem  alten  Reichardschen  Atlas  ist  hier  fast 

3* 


36  .Reioburd;  orbU  terranim  anliqnos. 

nur  das  Format  geblieben,  während  die  einzelnen  Karlen  mif  Ans- 
nähme  der  ersten  BläUer,  die  auf  den  Wunsch  des  Verlegers  schnell 
erscheinen  sollten  und  zudem  weniger  zu  Aenderungen  Veranlassung 
gaben,  ganz  umgearbeitet  sind.  Die  neuesten  Forschungen  und  ResuU 
täte  in  der  alten  Geographie  sind  sorgfältig  benutzt;  wo  keine  Gewis- 
beit  in  den  Angaben  bis  jetzt  möglich  war ,  folgte  der  Verfasser  den 
Bestimmungen  Kieperts.  Der  beigegebene  Commentar  gibt  eine  voll- 
ständige Beschreibung  jedes  einzelnen  Blattes  in  der  Weise,  dasz  der 
allgemeinen  Landesbeschreibung  die  Berge,  Flüsse,  Seen,  Städte  usw. 
in  alphabetischer  Ordnung  folgen ;  als  besonderer  Vorzug  hierbei  er- 
scheint noch ,  dasz  überall  die  entsprechenden  Namen  der  neuen  Geo- 
graphie und  wo  diese  zweifelhaft  sind ,  mit  besonderer  Bezeichnung 
beigefügt  sind.  Den  einzelnen  Mindern  ist  nach  ihrer  historischen  Be- 
deutsamkeit Raum  und  Ausführlichkeit  zugetheill.  Alles  nothwendige 
i«t  aufgenommen,  dagegen  alles  überflüssige  sorgfältig  vermieden,  und 
nur  da,  wo  zu  grosze  leere  Räume  entstanden  wären,  sind  einzelne 
anbedeutendere  Aufzeichnungen  beigefügt.  Durch  diese  sorgfältige 
Ausscheidung  des  streng  nothwendigen  und  überflüssigen  und  durch 
die  gleichmäszige  Vertheilung  der  anzubringenden  Aufzeichnungen  ge- 
winnen die  Karten  eine  solche  Klarheit  im  einzelnen  und  Uebersicht- 
lichkeit  im  ganzen,  wie  wir  sie  an  wenigen  Atlanten  bemerken.  Daza 
kommt  noch  ein  auszerordentlich  reiner  und  scharfer  Stich,  eine  scharf 
markierte,  nicht  überladene  Colorierung  und  reines  weiszes  Papier, 
•o  dasz  das  Auge  überall  einen  wolthuenden  Eindruck  empßudet.  Nach- 
dem wir  diese  Vorzüge  im  allgemeinen  berührt  haben,  möge  noch  eine 
kurze  Aufzählung  folgen,  wie  der  ganze  Atlas  eingelheilt  ist.  Nach 
dem  schon  erwähnten  Commentar  gibt  das  1.  Blatt  die  Erdbilder  nach 
Homer,  Herodot,  Eratosthenes  und  Ptolemaeos.  Nr  2  gibt  den  orbis 
terrarum  veteribus  cognitus  mit  scharfer  Begrenzung  der  3  Reiche  der 
Perser,  der  Macedonier  unter  Alexander  und  der  Römer.  Nr  3  Spanien. 
Nr  4  Gallien.  Nr  5  Britannien.  Nr  6  Germanien.  Nr  7  Oberitalien, 
Rätien,  Noricum,  Pannonien,  Illyrien.  Nr  8  Untefitalien  mit  den  Inseln 
nnd  einem  Plan  von  Syrakus.  Nr  9  Latium  mit  den  angrenzenden  Land- 
schaften, ein  herrliches  Blatt  und  für  die  Geschichte  der  älteren  Re- 
publik von  groszem  Nutzen.  Nr  10  Plan  von  Rom  unter  den  Kaisern 
(ein  Plan  der  Stadt  zur  Zeit  der  Republik  ist  dem  vorhergehenden 
Blatt  beigegeben).  Nr  11  Griechenland,  Macedonien,  Thracien  und  die 
Küste  von  Kleinasien  mit  Bezeichnung  der  Volksstämme.  Nr  12  Hellas, 
Thessalien  und  Epirus  nach  Landschaften  und  mit  einem  Plane  von 
Athen  und  Umgebung.  Nr  13  der  Peloponnes  mit  Plänen  von  Sparta 
und  Korinth.  Nr  14  Thracien,  Macedonien,  Illyrien.  Nr  15  Dacien, 
Sarmatien,  Scythien.  Nr  16  Kleinasien,  Armenien,  Syrien  mit  Angabo 
des  Zuges  des  Cyrns  nnd  der  Rückkehr  der  Zehntausend.  Nr.  17  Pa- 
lästina mit  Plan  von  Jerusalem  und  Umgebung.  Nr  18  Indien  und  die 
Länder  zwischen 'Tigris  und  Indus.  Nr  19  Aegypten  mit  Plan  von 
Alexandriert.  Nr  20  in  2  Abtheilungen  Afrika  und  Arabien  mit  Plan  von 
Carthago  nnd  Mauritanien,  Numidien  und  die  Provinz  Afrika.  Vielleicht 


Berieht  Qbef  die  17e  Philologen- VersannilHiig  i«  Breslaa.       37 

dQrfle  ijian  Karten  zur  Erläaternng  groszer  Kriegsepochen,  wie  sie 
z.  B.  in  Menckes  orbis  anliquus  fQr  die  Perser-  und  panischen  Kriege 
beigegeben  sind,  vermissen.  Solche  Uebersichtskarten  lassen  sich 
aber,  obgleich  ihr  Werth  in  den  Atlanten  keineswegs  abgesprochen 
werden  soll,  auch  zum  groszen  Vortheil  der  Schaler  von  diesen  selbst 
zusammenstellen,  indem  dieselben  durch  das  eigene  versinnlichende 
zeichnen  der  Schauplätze,  wenn  dies  auch  nur  in  Umrissen  geschehen 
kann,  erst  recht  durch  eine  dabei  nothwendige  Recapitnlation  die 
Hauptzuge  sich  einprägen.  Denn  ein  solches  gleichsam  recapitulieren- 
des  zeichnen  ist  dann  kein  mechanisches,  weil  das  Muster  nicht  voll- 
ständig vorliegt,  sondern  das  Bild  erst  durch  Beiziehung  und  An- 
schauung mehrerer  Karten  entworfen  werden  kann.  Manchen  Schülern 
erscheint  anrangs  allerdings  diese  Arbeit  schwieriger  als  sie  ist.  Bei 
einer  verdeutlichenden  Anleitung  von  Seiten  des  Lehrers  wird  aber 
die  Arbeit  wesentlich  erleichtert  und  bald  gern  ausgeführt. 

F.  K.  ÜT. 


Bericht  über  die   17e  Versammlung  der  deutschen  Philo- 
logen, Schulmänner  und  Orientalisten  in  Breslau  vom 
.    28.  Sept.  bis  1.  Oct.  1857. 


Als  in  Stuttgart  zum  nächsten  Versammlungsorte  Breslau  gewählt 
wurde,  schwebte  zwar  dem  gröszten  Theile  der  versammelten  die  Ge^is- 
heit  vor,  dasz  sie  der  dortigen  Zusammenkunft  nicht  würden  beiwohnen 
können ,  doch  gaben  alle  in  Erwägung  der  dafür  sprechenden  Qründe 
dem  Vorschlage  freudige  Zustimnrang.  Und  die  Erwartungen  die  man 
gehegt  sind  nicht  getäuscht  worden.  Abgesehen  von  der  wissenschaft- 
lichen Anregung,  welche  die  Stadt  in  ihrer  Universität,  ihren  Schulen, 
wissenschaftlichen  und  Kunstsammlungen  bot,  abgesehen  von  dem  Er- 
trage, den  die  Theilnahme  ausgezeichneter  Männer  und  deren  Vorträge 
und  Erörterungen  den  versammelten  gewährte,  trat  als  ein  erfreuliches 
und  wichtiges  Ergebnis  eine  lebendige  geistige  Verbindung  des  übrigen 
Deutschlands  mit  seinen  östlichsten  Theilen,  mit  den  an  ihren  Grenzen 
die  deutsche  Bildung  tragenden,  erweiternden  und  vertheidigenden  rüsti- 
gen Vorkämpfern  zu  Tage.  Dasz  dies  gehofft  worden  sei,  davon  gab 
die  freundliche,  überaus  gastliche  Aufnahme  von  Seiten  der  königlichen 
Behörden,  des  Magistrats  und  der  städtischen  Corporationen ,  die  zahl- 
reiche Betheiligung  aus  der  Provinz  Schlesien  und  den  ihr  zunächst 
liegenden  Districten  Zeugnis ,  und  dasz  diöse  Hoffnung  in  Erfüllung  ge- 
gangen, bewiesen  nicht  nur  die  offensten  Aussprachen,  sondern  auch  die 
ganze  freudig  und  innig  bewegte  Haltung  der  Versammlung.  Als  das 
wichtigste  Resultat  endlich  dürfen  wir  wol  bezeichnen,  dasz  zum  ersten- 
mal Oesterreich  durch  zahlreichere  Betheilignng  —  während  sonst  nur 
einzelne  aus  diesem  Staate  erschienen  waren,  zählte  man  hier  14 
Mitglieder  aus  demselben,  die  Prof  f.  Bonitz,  H.offmann  und  Lin- 
ker, Beichel,  Göbel  und  Tomaschek  aus  Wien,  Lange  und 
Sehenkl  aus  Prag,  Schnlr.  Wilhelm  und  Prof.  Jülg  aus  Krakau» 


88       Bafiohl  über  4ie  l7e  Philologen-VersammlnDf  ii  Breabui. 

siuzerdem  Kvicola  n.  a.  —  sein  Interesse  für  die  wissenschaftlichen 
Bestrebungen  Deutschlands  auf  dem  Gebiete  der  Alterthumskunde  be- 
wiesen hatte/  ein  Resultat,  dessen  Bedeutung  für  die  Gegenwart  und 
Zukunft  die  Yersammlnng,  wie  wir  sehen  werden,  su  würdigen  verstand. 
Ohne  uns  mit  Nennung  einzelner  Namen  aufzuhalten,  erwähnen  wir  nur, 
dasz  die  Mitgliederliste  334  Theilnehmer  zeigte. 

Die  erste  Sitzung  wurde  am  28.  Sept.  in  der  Uniyersitätsaula  von 
dem  Präsidenten  Prof.  Dr  Haase  mit  einer  Rede  eröffnet.  Nachdem 
derselbe  die  Versammlung  im  Namen  der  königlichen  Regierung,  der 
Stadt  und  der  Universität  aufs  freudigste  willkommen  geheiszen,  er- 
wähnte er,  wie  dieselbe  seit  den  20  Jahren  ihres  Bestehens  gewandert 
sei  und  immer  mehr  ein  unerschütterliches  Zeugnis  von  der  Einheit 
Deutschlands  auf  dem  Gebiete  des  Geistes  abgelegt  habe;  die  diesma« 
lige  biete  aber  gerade  eine  höchst  erfreuliche  Erweiterung  des  bisherigen 
l&eises,  indem  zum  erstenmal  in  gi*öszerer  Zahl  Stndiengenossen  aus 
Oesterreich  sich  dazu  eingefunden.  (Auf  die  Aufforderung  denselben 
durch  aufstehen  ein  freudiges  Willkommen  entgegenzurufen,  erhob  sich 
die  ganze  Versammlung  von  ihren  Sitzen.)  Die  Nützlichkeit  der  Ver- 
sammlungen bestehe  auszer  der  wissenschaftlichen  Belehrung,  welche 
durch  die  Vorträge  und  Verhandlungen  gegeben  werde,  in  der  Vermittlung 
persönlicher  Bekanntschaft,  welche  schon  oft  viele  schroffe  Gegensätze 
ausgeglichen  habe,  in  der  Anregung  und  Stärkung  für  den  Beruf,  die 
sie  selbst  als  heiteres  Fest,  als  Olympia  oder  Pjthia  der  deutschen 
Philologen  darböten;  in  den  Eröffnungsreden  seien  schon  die  verschie- 
densten bedeutenden  und  wichtigen  Gegenstände  behandelt  worden;  er 
wolle  weder  von  der  Vergangenheit  noch  von  der  Gegenwart  reden, 
sondern  von  der  Zukunft  unserer  Wissenschaft;  in  der  klassischen  Phi- 
lologie sei  seit  Anfang  dieses  Jahrhunderts  ein  neues  Leben  erwacht; 
ganz  neue  Felder,  die  Betrachtung  der  antiken  Kunst  und  des  gesamten 
antiken  Lebens  nach  allen  Richtungen,  die  Archäologie  und  die  Anti- 
quitäten ,  seien  der  Wissenschaft  erobert  worden ;  dadurch  sei  ab^  ein 
schroffer  Gegensatz  zwischen  formaler  und  realer  Philologie  eingetre- 
ten;  nach  längerer  Zeit  sei  das  Bedürfnis  der  Ausgleichung  entstanden; 
O.  Müller  habe  den  Festus  bearbeitet  und  dadurch  die  formale  Wis- 
senschaft als  zu  dem  Gebiete  gehörig  öffentlich  anerkannt,  zwischen 
Gottfried  Hermann  und  Boeckh,  den  Hauptvertretem  der  entge- 
gengesetzten Richtungen,  habe  eine  Annäherung  stattgefunden;  der 
Wunsch,  diesen  Gegensatz  völlig  zu  lösen,  habe  die  Versammlungen  ins 
Leben  gerufen;  bei  dem  Jubiläum  der  Georgia  Angusta  in  GKittingen 
1837  sei  in  O.  Müller  der  Gedanke  erwacht,  und  sogleich  §  1  der  Sta- 
tuten erkenne  diesen  Zweck  an.  Während  man  nun  die  Ueberzeugung 
gewonnen,  dasz  beide  Sphären  zwei  gleichberechtigte  Theile  eines  gan- 
Ben,  der  Erforschung  des  gesamten  antiken' Lebens,  seien,  habe  die  reale 
Philologie  sich  schneller  in  das  rechte  Verhältnis  zu  dieser  Einheit  zu 
stellen  gewust ,  nicht  aber  so  die  formale ;  die  Grammatik  namentlich 
sei  noch  immer  ohne  historische  Gnindlage  geblieben;  sie  habe  allge- 
meine Logik  sein  wollen,  und  wenn  sie  den  philosophischen  Stand- 
punkt verlassen  und  sich  auf  den  historischen  gestellt,  so  habe  sie 
sich  so  engherzig  auf  die  beiden  klassischen  'Sprachen  beschränkt ,  dasB 
sie  neben  der  groszartigen  Entwicklung  der  Sprachvergleichung  ganz 
zurückgetreten  und  als  unberechtigt  erschienen  sei;  seit  der  Gründung 
der  Versammlungen  sei  auch  für  sie  ein  Wendepunkt  eingetreten;  man 
habe  eine  neue  Bahn  zu  suchen  begonnen,  aber  noch  nicht  gefunden, 
vielmehr  sei  die  Grammatik  durch  die  Verbindung  mit  der  realen  Seite 
in  Gefahr  gekommen,  ihre  sprachliche  Bedeutung  ganz  zu  verlieren,  da 
sie  nicht  durch  die  That  gezeigt  habe,  dasz  sie  etwas  für  sich  sei.  Die 
besondere   Cultivierung   der  sprachlichen  Seite  sei    zwar   mit  W«  von 


BwriclU  aber  die  17e  PhiloIofe^-VertMnmlaiig  ia  Brailaa.      39 

Humboldts  Epoche  machenden  Werke   über   die   Kawisprache    in    eine 
nene    Periode    getreten,   Rapps  Physiologie   der  Sprache  habe   weitere 
Früchte  gebracht  und  viele  Leistungen  bis  lu  Conrad   Hermann  herab 
hütten  entweder  daa  allgemeine  Wesen  der  Sprache  gründlicher  kennen 
gelehrt  oder  die  Ergebnisse  der  Sprachvergleichung  zu  ordnen  und  su 
erweitern  mit  Qlück   versucht;  für  die  klassische  Sprachforschung  sei 
trotzdem  der   Gewinn  davon  bisher    ein   äuszerst  geringer    geblieben; 
allerdings   habe   man    auf   dem  etymologischen  Gebiete   durch  die  Be- 
nutzung der  Sprachvergleichung    manche   alte  Irthümer    entfernt ;    auf 
dem  Gebiete   der    Syntax   sei  das   seit   1837   zur  Geltung    gekommene 
System  Ferd.  Beckers  zwar  zur  Anwendung  gekommen,  aber  in  Göttin- 
gen als  mislungen  bezeichnet  worden,  die  darauf  ruhende  Parallelgram- 
matik sei  in  Bonn  verurteilt  worden  und  die  'meisten  neueren  Gram- 
matiken zur  alten  Gestaltung  zurnckg^ehrt ;   man  habe  nur  in  Rück- 
sicht auf  die  praktische  Erleichterung  des  Unterrichts  Verbesserungen 
angebracht,  nioht  in  Folge  wissenschaftlichen  Fortschrittes.    So  scheine 
denn  auf  dem  Gebiete  der  klassischen  Philologie   ein  Stillstand  einge- 
treten;  sie  scheine  nur  fremde  Resultate  zu  benutzen,   nicht  eigene  zu- 
rückzugeben; ihre    bewegende   Kraft  scheine    unselbständig  geworden; 
doch  wir  wüsten  es  besser,   wir  kennten  die  langjährigen  Vorbereitun- 
gen zu  einer  neuen  Gestaltung,    deren  Resultate  von  allgemein  mensch- 
lichem Interesse  werden  müsten.     lieber  die   Bedeutung-  und  das  Ziel 
dieser  werdenden  klassischen  Sprachwissenschaft  wolle   er  Jetzt  weiter 
reden.    Um  dies  zu  können  müsse  er  zuerst  die  Mängel  der  überliefer- 
ten Grammatik  ins  Auge  fassen.    Die  bisher  in  der  Grammatik  gelten- 
den Begriffe   und  Kategorien  stammten   von  den  Griechen  und  spcciell 
von  den  Stoikern;  sie  hätten  nicht  dazu  dienen   sollen   eine  besondere 
Sprache    zu   charakterisieren,    sondern  die  Gesetze   der   Sprache  über- 
haupt  zu  construieren.    Vielleicht   würde  man  sich  eher  von  den  da- 
durch erzeugten  Irthümem  losgemacht  haben,  wenn  man  nicht  die  'Lei- 
stungen der  mittelalterlichen  Grammatik  (de  modis  significandi)  gänzlich 
vergessen  gehabt;  dort  zu  Ende  des  13n  Jahrhunderts  liege,  wenn  auch 
mit  Gewaltsamkeit  und   Wülkür  durchgeführt,   das  System   schon  vor, 
das  man  in  neuester  Zeit  wieder  aufzuünden  unternommen ;   die  mittel- . 
alterliche  Grammatik  hätte  wol  zur  Warnung  dienen  können ;  man  habe 
aber  die  Philosophie  auch  neuerdings  wieder   auf  die  Grammatik  ange- 
wandt: G.   Hermann   die  Kantischen  Kategorien,   Becker   ein    anderes 
System    usw.;    indem    nun    die   von    der   Philosophie    eingeschwärzte, 
nicht  durch  den  Stoif  der  Grammatik  gegebene  Identität  der  logischen 
mit    den   grammatischen  Gesetzen    zur    Verfälschung    der   historischen 
Thatsachen   Veranlassung,    eben  so    auch    zur   Versäumnis    von    deren 
Erforschung  geboten ,   habe  man   ferner   deshalb  alle  Verschiedenheiten 
zwischen  den  einzelnen  Sprachen  als  nur   äuszerliche  aufgcfaszt,   nur 
als  gröszere  oder  geringere  Logik,  als  logischen  Vorzug  oder  Mangel, 
nie  als  Ausdruck  besonderen  Volkscharakters.    Derselbe   Irthum  habe 
auch  zur  Verkennung  der  Verschiedenheiten  innerhalb  derselben  Spra- 
chen geführt;   man  habe  ja  jede  Sprache   als   ein   fertiges  unveränder- 
liches Werk ,   wie    die  Logik  selbst ,    angesehen   und   deshalb  einzelne 
Schriftsteller  für  die  Kanones  dieser  Sprache  selbst.    So  im  Lateinischen 
Cicero.     Was  bei  diesem  vorkomme,  habe  die  Regel  gebildet,  alles  an- 
dere ,  was  bei  Plautus ,  Tacitus ,  Appuleius  oder  andern  sich  finde ,   sei 
höchstens   als  Ausnahme  in   die  Anmerkungen  verwiesen   worden;   der 
ciceronianische  Stil  sei  an  die  Stelle  der  lateinischen  Sprache  getreten, 
und  auch  ihn  selbst  habe  man  nicht  als  ein  nationales  Produkt,  son- 
dern als  die  allgemeine  Logik  betrachtet.     Und  was  für  das  Latein  an- 
genommen worden,   sei  nun  auch  folgerichtig  auf  das  Griechische  über- 
tragen,   auch  hier  die  attische  Prosa  an  die  Stelle  der  ganzen  Sprache 


40       Beridit  ttber  die  17e  Philologen-Versammlang'  in  Breslaa.    . 

gesetzt,  die  Entwicklungen  nach  Zeiten  nnd  Dialekten  als  eine  Neben- 
sache betrachtet  worden;  man  studierte  die  Sprachen  als  habe  man  die 
Absicht  nach  Rom  oder  Athen  zu  reisen,  um  mit  Cicero  oder  Plato  zu 
reden.  Indem  nniv  die  alten  Sprachen  nur  mit  Rücksicht  auf  eine  Pe- 
riode behandelt  wurden,  wurden  sie  wirklich  zu  todten  gemacht  und 
die  Grammatik  ihnen  als  Leichenstein  gesetzt.  Eine  Sprache  aber  ist 
nie  fertig  und  ruhend,  stets  werdend  und  sich  entwickelnd;  sie  stirbt 
nie  und  selbst  ihr  absterben  ist  nur  ein  neues  werden;  ihre  Perioden 
sind  Glieder  einer  zusammenhangenden  Entwicklung,  nur  dasz  die  Epo- 
chen den  Zeitgenossen  selbst  unmerklich  zu  sein  pflegen.  Auch  in  den 
Untersuchungen  über  den  Ursprung  der  Sprache,  fuhr  der  Redner  fort, 
sei  in  gleicher  Weise  verfahren  worden;  habe  man  sie  nun  als  unmittel- 
bare göttliche  Gabe  oder  als  bewuste  Erfindung  eines  Menschen  be- 
trachtet, so  habe  man  doch  die  Logik  als  schon  vor  ihr  vorhanden  vor- 
ausgesetzt; selbst  J.  Grimm  sei  nicht  ganz  frei  von  der  Vorstellung 
eines  Erfinders,  nur  dasz  er  an  die  Stelle  der  logischen  Gesetze  einen 
geschichtlichen  Process  setze;  am  entschiedensten  aber  habe  W.  von 
Humboldt  den  richtigen  Weg  betreten,  indem  er  die  Sprache  als  den 
Ausdruck ,  die  Objectivierung  des  Geistes  erkennen  gelehrt ,  die  In- 
tellectualität  als  mit  der  Sprache  eines  Volkes  innigst  verschmolzen, 
die  Sprachperioden  als  Zeugnisse  des  jedesmaligen  Culturzustandes  auf- 
gewiesen. Wenn  demnach  die  Aufgabe  der  Sprachwissenschaft  gegen- 
wärtig keine  andere  sei  als  die  Weltgeschichte  der  Sprache,  die  zusam- 
menhangende stufenweise  Entwicklung  des  menschlichen  Sprachgeistes 
darzustellen,  so  falle  der  Sprachvergleichung  der  allgemeine  Theil  der- 
selben zu ,  die  klassische  Philologie  habe  die  Specialgeschichte  der  bei- 
den alten  Sprachen  zu  erforschen ;  sie  dürfe  demnach  nicht  mehr  die 
grammatische  Regel  als  eine  algebraische  Formel  oder  als  ein  Recept 
betrachten,  sondern  sie  müsse  den  ihr  zu  Grunde  liegenden  geistigen 
Zug,  die  in  ihr  ausgeprägte  geistige  Eigenthümlichkeit  des  Volkes  auf- 
suchen und  diese  wieder  in  ihrer  geschichtlichen  Stellung  und  Folge 
erfassen,  kurz  eine  Geschichte  der  beiden  klassischen  Sprachen  geben; 
diese  werde  zugleich  eine  geschichtliche  Psychologie  der  alten  Völker 
Bein.  So  sei  denn  der  klassischen  Philologie  eine  Aufgabe  vom  allge- 
meinsten Interesse  vorbehalten,  die  Lösung  eines  der  bedeutendsten 
Probleme  der  Culturgeschichte ;  die  Wissenschaft  sei  also  nicht  erlo- 
schen, sie  habe  noch  ein  weites  und  unerschöpftes  Feld  der  Thätigkeit 
vor  sich ;  wenn  sie  jetzt  gleichwol  zu  ruhen  scheine ,  so  werde  der  sich 
nicht  darüber  täuschen ,  der  da  wisse  dasz  die  Aufgabe  unmöglich  von 
^incm  gelöst  werden  könne,  dasz  man  erst  eine  neue  Sammlung  des 
Materials  vornehmen  und  eine  neue  Methode  der  Beobachtung  finden 
und  anwenden  müsse,  der  mit  der  Sache  bekannte  aber  kenne  die  in 
dieser  Hinsicht  bereits  sich  entwickelnde  Thätigkeit.  Wenn  in  neuerer 
Zeit  wieder  dd^  Latein  bevorzugt  worden  sei,  so  beweise  dies  das  rich- 
tige Bewustsein,  dasz  an  ihm  die  Aufgabe  zu  lösen  leichter  sei.  Indem 
der  Redner  nun  zu  einer  specielleren  Darleo^ung  der  Aufgabe  und  zu- 
nächst am  Lateinischen  sich  wendet,  bemerkt  er  zuerst  wie  sie  zu  be- 
grenzen sei;  sie  liege  ganz  innerhalb  des  Gebietes  der  klassischen  Philo- 
logie; die  Untersuchungen  über  den  Ursprung  gehen  sie  nichts  an;  der 
Ursprung  der  Sprachen  sei  ja  ohnehin  eben  nur  die  Schöpfung  des  er- 
sten Menschen,  alles  andere  sei  Geschichte  derselben;  die  Orientalisten 
hätten  die  Aufgabe  die  Sprachen  zu  erforschen ,  die  dem  ersten  Ursprung 
am  nächsten  stünden ;  der  Sprachvergleichung  falle  die  Erforschung  der 
Verwandtschaft  und  des  Trennungsprocesses  zu;  die  klassische  Philo- 
logie habe  nur  von  da  an  zu  beginnen,  wo  Griechen  und  Römer  als 
Völker  von  den  anderen  gesondert  fertig  dastehen.  In  der  lateinischen 
Sprache  nun  biete  der  etymologische  Theil,  namentlich    die  physische 


Bericht  iber  die  17e  Pkiloloi^B-VerfiBBiIaog  in  Ireslai.      41 

Grundlage,  das  Alphabet  and  die  Lautgesetze,  bei  dem  geringeren  Grade 
von  Ausbildung  und  Entwicklung  und  der  friihzeitig  eingetretenen  Ste- 
tigkeit ein  minimum  yon  Geschichte  dar;  anders  stehe  es  mit  dem  zwei- 
ten Theile  der  Grammatik,  der  Semasiologie  oder  Bedeutungslehre;  die- 
sen habe  zuerst  Reisig  in  die  Grammatik  eingeführt,  er  sei  aber  seit- 
dem nicht  ausgeführt  worden  und  selbst  über  die  Auffassung  desselben 
hersche  nicht  Uebereinstimmung.  Die  Bedeutungen  sind  die  Begriffe 
eines  Volkes,  und  es  werden  dadurch  yon  vornherein  die  Interjectionen 
ausgeschieden,  weil  sie  keine  Begriffe  bezeichnen.  Die  Culturgeschichte 
würde  die  Geschichte  der  Begriffe  zu  erforschen  haben,  wenn  man  sie 
abgelöst  vom  Worte  betrachtete;  für  die  Grammatik  sind  die  Begriffe 
nur  in  so  weit  zu  betrachten  als  sie  mit  dem  W.orte  verbunden,  als  sie 
also  Bedeutungen  sind;  es  gilt  ihr  also  das  Verhältnis  der  Bedeutung 
zum  Worte  zu  erforschen  und  zu  erfassen.  Die  lateinische  Sprache  ist 
aber  im  ganzen  in  zu  junger  Ueberliefening  auf  nns  gekommen,  als  dasz 
diese  Erkenntnis  bei  den  Wortstämmen  in  reicherefti  Masze  möglich 
wäre;  anders  aber  steht  es  in  Bezug  auf  die  Flexion  und  Composition. 
Je^  Form,  die  eine  Anzahl  Wörter  faszt,  hat  eine  bestimmte  Bedeu- 
tung. Zur  Anwendung  der  Form  trieb  das  Bedürfnis,  die  Regel  dafür 
gab  die  Analogie.  Die  Analogien  sind  die  Begriffsrubriken,  welche 
das  Sprachgefühl  als  begriffsmäszige  Gesetze  mit  Strenge,  ohne  sich  an 
Rücksichten  wie  z.  B.  auf  Wohllaut  zu  bilden,  anerkannt  hat.  Als  Bei- 
spiel dazu  dient  das  lateiqische  Verbum.  Dies  ist,  wie  schon  eine  ta- 
bellarische Vergleichung  lehrt,  nicht  so  manigfaltig  an  Formen  und 
Bildungen  wie  das  griechische;  die  Sprache  ist  hier  sparsam  ökonomisch 
zu  Werke  gegangen,  aber  das  wenige  hat  sie  sehr  scharf  und  bestimmt 
geordnet.  Die  Eintheilung  nach  transitivis  und  intransitivis  ist  im 
Sprachbewustsein  nicht  vorhanden,  daher  auch  aufs  entschiedenste  ab- 
zuweisen. Die  Alten  haben  4  Conjugationen  angenommen,  oder  viel- 
mehr 3,  da  sie  die  4e  unrichtig  zur  3n  rechneten.  In  der  Tbat  gibt  es 
eine  starke  Conjugation  und  2  schwache,  jene  die  ursprüngliche,  diese 
die  abgeleiteten,  jene  daher  auch  die  primitiva,  diese  die  derivata  umfas- 
send. Wenn  die  Logik  '  sein '  für  den  primitivsten  Begriff  erklärt ,  so 
hat  sie  entschieden  unrecht.  Das  Kind  hat  den  Begriff  'bin%  eben  so 
wenig  als  ^ich'.  Das  lateinische  esse  hatte  ursprünglich  eine  ganz  an- 
dere concrcte,  keine  abstracte  Bedeutung  (H.  glaubt  =  essen,  während 
Pott  lieber  an  sitzen  denkt).  Die  Bedeutung  ^sein'  ist  erst  eine  spä- 
tere Bildung,  war  jedenfalls  aber  schon  vor  der  Trennung  der  Volks- 
stämme vorhanden;  den  Römern  ist  das  Verbum  fremd  geblieben  und 
deshalb  in  der  Conjugation  anomal.  Primitiva  können  nur  in  die  Sinne 
fallende  Erscheinungen  sein;  eine  solche  ist  in  der  Begriffssphäre,  die 
dem  Verbum  angehört,  die  Bewegung,  ^das  flieszende  sein',  und  die 
Verba,  welche  dies  ansdriicken^  .fallen  daher  der  3n  Conjugation  zu.  Der 
zweite  Prädicatsbegriff  ist  das  *  ruhige  sein',  die  Verba  dieser  Begriffs- 
sphäre umfaszt  die  2e  Conjugation.  Die  ]e  Conjugation  vermittelt  die 
beiden  Begriffsrubriken,  indem  sie  die  in  das  ruhige  sein  überführenden 
Thätigkeiten  bezeichnet.  So  sidere,  sedere,  sedare.  Dies  wird  bestätigt 
durch  die  Verba ,  w^elche  zwischen  der  3n  und  2n  Conjugation  schwan- 
ken, indem  die  der  3n  dann  die  Bewegung  oder  das  tönen,  das  ver- 
breiten usw.  ausdrücken,  die  der  2n  das  behaftetsein,  fenytre  und  fervere^ 
terg^re  und  iergere ,  fulg^re  und  fulgere.  Die  4e  Conjugation  hat  keine 
eigene  Begriffsrubrik  und  konnte  keine  haben,  da  es  auszer  jenen  bei- 
den keine  weitere  im  'sein*  gibt.  Die  zu  ihr  gehörenden  Verba  drücken, 
wenn  sie  von  nominibus  der  zwei  ersten  Declinationen  abgeleitet  sind, 
dasselbe  aus,  wie  die  der  2n  Conjugation,  sttperbirey  in  anderen  Ablei- 
tungen gehören  sie  der  Sphäre  der  1b  Conjugation  an,  saepire^  inretire^ 
»tabüire.    Dabei  finden  sich  aber  in  dieser  Conjugation  Verba,   welche 


42       Biriehl  Oler  die  17e  Pbilologen-yemBiiiilBng  in  Brtfabi«. 

entfchieden  onomatopoetischer  Natur  sind,  z.  B.  tinnire;  die  Wahl  der 
4ii  CfOnjugationsform  beruht  dabei  nicht  anf  Logik,  sondern  auf  ästhe- 
Uscbem  Grande;  die  4e  Conjugation  wurde  durch  die  Sprache  geschaf- 
fen, nicht  aus  der  Philosophie  in  sie  hinein  getragen.  Der  zweite  Theil 
der  Semasiologie  hat  aufzuzeigen,  wie  sich  die  Bedeutung  eines  Wortes 
in  der  Zeit  entwickelt  hat,  wie  sich  die  ursprüngliche  lockert  und  oft 
neue  im  Widerspruch  mit  ihr  sich  bilden,  so  dasz  dann  die  Bedeutung 
nicht  mehr  tpvöBi,  sondern  nur  ^iast  existiert.  Der  dritte  Theil  der 
Semasiologie  endlich  wird  die  Verbindung  und  Construction  der  Wörter 
zu  betrachten  haben,  und  somit  alles,  was  man  jetzt  in  der  Syntax  be- 
handelt, mit  Ausschlusz  der  Satzlehre  behandeln.  Man  wird  dann  also  in 
der  Syntax  nicht  mehr  erst  auf  die  Elemente  des  Satzes ,  welche  der 
Semasiologie  zugefallen  sind,  zurückgehen,  sondern  unmittelbar  mit  der 
Satzbildung  beginnen.  Aber  auch  diese  Syntax  wird  einen  geschieht« 
liehen  Process  zu  untersuchen  haben,  wie  sich  schon  ergibt,  wenn  man 
Ciceros  Sprache  mit  der  alten  und  dann  wieder  mit  der  der  Kaiserzeit 
■vergleicht.  Dasz  man  in  den  Umwandlungen  irthümlich  ein  auseinander- 
laufen, wie  von  Sand  ohne  das  Bindemittel  des  Kalks,  gesehen  h#be, 
darauf  hat  ganz  richtig  Lange  bei  der  Göttinger  Versammlung  aufmerk- 
sam gemacht.  Betrachten  wir  die  Uebergänge  von  Cicero,  Sallustius 
zu  Livius  und  dann  von  Cicero  zu  Seneca  und  Tacitus,  so  sehen  wir 
eine  tiefe  Kluft,  eine  wesentlich  trennende  Verschiedenheit.  Der  £in- 
flusz  einzelner  Männer,  selbst  eines  Caesar  und  Augustus,  reicht  nicht 
aus,  die  Erscheinung  zu  erklären,  auch  nicht  die  Sittenverderbnis  allein; 
die  inneren  Wandlungen,  die  im  Seelenleben  seit  der  Epoche  der  Ver- 
wandlung der  Republik  in  die  Monarchie  vor  sich  gegangen,  sind  die 
einzigen  Ursachen  dazu.  Man  hat  längst  jene  tiefe  Kluft  bemerkt, 
man-  hat  längst  Verschiedenheiten  nachgewiesen,  aber  selbst  an  der 
Vollständigkeit  des  Materials  fehlt  noch  viel,  die  Frage  jedoch,  auf 
welche  inneren  Seelenzustände  deuten  die  Veränderungen  hin,  harrt 
noch  gänzlich  ihrer  Beantwortung.  Ist  erst  für  ^in  Volk  eine  solche 
historisch -psychologische  Grammatik  durchgeführt,  so  wird  sie  dann 
leichter  auch  für  andere  geleistet  werden;  die  Aufgabe  der  klassischen 
Philologie  ist  also  für  die  Sprachwissenschaft  überhaupt  von  höchster 
Bedeutung,  die  Lösung  derselben  wird  aber  auch  für  ihre  eigene  reale 
Seite  die  herrlichsten  Früchte  bieten.  Eine  Wissenschaft  lebt  nur  in 
und  durch  die  Arbeit.  So  lange  sie  für  diese  Aufgaben  findet,  ist  sie 
unzerstörbar,  und  dies  gilt  denn  von  unsere»  Wissenschaft. 

Nach  dieser  Rede  schritt  der  Vorsitzende  zunächst  zur  Bildung  des 
Bureau,  und  auf  seinen  Vorschlag  übernahmen  das  Secretariat  Prof.  Dr 
Vahlen  aus  Breslau,  Oberlehrer  Guttmann  vom  Elisabethgymnasinm 
daselbst,  Oberlehrer  Dr  Cauer  vom Magdalenengymnasium,  v.  Raczeck, 
Oberlehrer  am  katholischen  Gymnasium  zu  Groszglogau,  und  der  unter- 
zeichnete Berichterstatter. 

Zunächst  erhielt  Prof.  Dr  Bonitz  aus  Wien  das  Wort:  er  fühle 
sich  gedrungen,  zwar  ohne  Auftrag  aber  gewis  im  Sinne  der  anwesen- 
den und  aller  derer,  welche  gern  anwesend  wären,  den  Dank  der  Oester- 
reicher  für  die  freundliche  Aufnahme  in  der  Versammlung  auszuspre- 
chen. Das  Interesse,  welches  im  letzten  Jahrzehnt  die  philologischen 
Studien  in  Oesterreich  gefunden,  werde  jedem  bekannt  sein,  der  seinen 
Sinn  darauf  gerichtet;  mit  diesem  Interesse  sei  aber  auch  die  Theil- 
nahme  für  diese  Versammlungen  in  gleichem  Masze  gestiegen.  Man 
möge  diese  Theilnahme  nicht  nach  der  Zahl  der  erschienenen  messev, 
vielmehr  die  Hindernisse  in  Betracht  ziehen,  welche  dem  erscheinen  von 
Oesterre ichern  entgegenstünden;  die  Zeit  der  Versammlungen  stimme 
nicht  mit  dem  Beginne  des  Studienjahrs ;  der  Ort  sei,  werde  er  auch  an 
.die  Grenze  gelegt,  doch  immer  nur  einem  kleinen  Theile  von  Oesterreich 


Bttidil  Ober  die  17e  Philolofen-Versimmlmig  üi  Bretlt«.       43 

nahe;  anszerdem  bilde  die  lange  Treimaiig  und  das  einscbiichternde  Be- 
wustäein,  dasz  aaf  den  Versammlongen  die  Meister  der  WiBsenschaft 
▼ereinigt  seien,  für  viele  eine  abhaltende  and  das  erscheinen  erschwe- 
rende Ursache. 

Zu  der  Commission  wegen  Wahl  des  nächsten  Versammlungsortes 
wurden  ausser  den  statutenmüszig  zu  derselben  gehörigen  Mitgliedern 
Qeh.  Ober  -  Regierungsrath  Dr  Brügge  mann  aus  Berlin,  Director  Dr 
C lassen  aus  Frankfurt  a.  M.  und  Prof.  Dr  Bonitz  aus  Wien  gewählt. 

Ausser  den  ehrendsten  Begrüszungschreiben  des  Oberpräsidiums, 
des  ProvinzialschnlcoUegiums ,  des  Magistrats  und  Stadtverordneten- 
collegiums  und  der  Universität  waren  als  besondere  Begrüszungschrif- 
ten  eingegangen:  1)  Friedrich  von  Qentz:  Briefe  an  Christian  Garve 
1789 — 98.  Herausgegeben  von  Dr  Schönborn,  Dir.  d.  Magd.  Gymn. 
Breslau,  Marx  (109  S.  kl.  8).  2)  Von  dem  breslauer  wissenschaftlichen 
Verein  Dr  Lux:  Wegweiser  durch  Breslau.  3)  Von  demselben  eine 
Schrift  enthaltend  a)  zur  Charakteristik  der  üalieniscffen  Humanisten  deß 
14n  und  15n  Jahrh,  von  Dr  Jul.  Schuck  und  b)  Petrus  Fincentius,  der 
erste  Schdeninspector  in  Breslau,  Von  Dr  Roh.  Tagmann.  B|*eslaa. 
06  S.  fpe,  8.  4)  Von  den  studierenden  der  Philologie :  miscellanea  philo- 
iogica  (15  S.  4.  Behandelt  werden  darin  das  Scholion  zu  Plat.  Civ. 
p.  327  A  und  zwei  Stellen  des  Seneca  dial.  IX  c.  2  p.  6  und  p.  7  ed. 
Haase).  An  litterarischen  Gaben  giengen  ein  I)  von  der  Hinrichs- 
schen  Buchhandlung  zu  Leipzig  Overbeck:  Geschichte  der  griechischen 
Plastik.  Ir  Bd  Lief.  1—5.  2)  Vom  Dir.  DrSomroerbrodt  in  Anclam 
das  He  Bändchen  seiner  Ausgabe  des  Lucianus  (Haupt  und  Sauppe^sche 
Sammlung).  Das  begleitende  Schreiben  machte  auf  die  im  Vorworte 
enthaltene/Thesis  aufmerksam:  dasz  die  Leetüre  des  Lucian  von  den 
oberen  Klassen  der  Gymnasien  nicht  auszuschlieszen  scL 

Der  Antrag,  dem  Geh.  Rath  Prof.  Dr  Welcker  in  Bonn  die  Hoch- 
achtung und  Liebe  der  Versammlung  zu  erkennen  zu  geben,  ward  ein- 
stimmig angenommen  und  mit  der  Entwerfung  der  Addresse  Dir.  Dr 
Classen  aus  Frankfurt  a.  M.  und^Prof.  Dr  von  Leutsch  aus  Göt- 
tingen beauftragt. 

Zum  Schlüsse  liesz  Hr  Prof.  Dr  Gerhard  aus  Berlin  Abdrücke 
der  Dariusvase  vertheilen  und  gab  über  dieselbe  klare  und  kurze  Er« 
läuterungen  (vgl.  Monatsberichte  der  berliner  Akademie  S.  333 — 341). 

In  der  zweiten  allgemeinen  Sitzung  am  29.  Sept. ,  in  welcher  der 
Vicepräsident  Dir.  Dr  Schönborn  den  Vorsitz  führte,  hielt  zunächst 
der  Dir.  des  EHisabethgymnasinms  zu  Breslau  Prof.  Dr  Fickert  eine 
lateinische  Rede  de  instaurandis  antiquarum  artium  studiis.  Im  ersten 
Theile  wurde  zum  Beweise  iacere  nunc  profligata  antiquarum  artium  studia 
auf  die  ungünstige  öffentliche  Meinung  über  dieselben,  auf  die  Wirkung, 
welche  dieselben  auf  die  Schüler  ausüben,  auf  die  neuen  paedagogischen 
Theorien,'  welche  eine  gänzliche  Verbannung  aus  der  Schule  beantrag- 
ten, hingewiesen.  Im  zweiten  Theile  wurden  als  vulnera  quae  sunt  inflicta 
hervorgehoben:  die  geringen  Aussichten  auf  Gehalt  und  Ehre,  welche 
dem  Philologen  eröffnet  seien;  die  unter  der  Jugend  eingerissene  und 
von  allen  Seiten  geförderte  Vorliebe  für  deutsche  Leetüre  (der  Redner 
gestand  dabei  offen,  dasz  er  selbst  in  dieser  Hinsicht  Fehler  begangen) ; 
die  Ueberfüllung  mit  Lehrgegenständen,  deren  Zahl  auch  nach  den  neue- 
sten Beschränkungen  immer  noch  zu  grosz  sei;  der  Stand  der  philolo- 
gischen Wissenschaften  gelbst,  welcher  die  Vertrautheit  mit  dem  ganzen 
immer  mehr  unmöglich  mache ;  die  Richtung  mehr  grammatische  Kennt- 
nis zu  geben  als  Uebung  des  Geistes;  die  falsche  Nachsichtigkeit  der 
Lehrer,  endlich  die  Ersparnisse  an  Arbeit,  welche  den  Schülern  durch 
Ausgaben  mit  deutschen  Anmerkungen,  Uebersetzungen,  fertigen  Präpa- 
rstionen,  ja  selbst   durch   eine   dem  Sinne  der  Alten  widersprechende 


44       Bericht  über  die  I7e  Philologen- Versamoilaog  in  Breslaol 

Interpunction  geboten  würden.  Im  dritten  Theile,  der  fnedidnam  quae 
adhibeatur  behandelte,  drang  der  Redner  iiuf  eine  strengere  Zucht  in 
den  Schulen,  dagegen  auch  auf  ein  näheres  und  innigeres  VerhältniB 
der  Lehrer  zu  den  Schülern;  auf  Spaziergängen  durch  Feld  und  Wald 
lieszen  sich  manche  Gkgenstände,  wie  Geographie  und  Naturgeschichte, 
viel  besser  gesprächsweise  lehren  als  in  den  Klassenzimmern.  Ferner 
bemerkte  derselbe,  dasz  auf  die  Uebung  des  Geistes  zur  Erreichung  des 
Zieles,  rede  dicendi  scribendique  facidtatiSy  alles  Gewicht  gelegt  werden 
müsse ;  daneben  empfahl  er  die  lateinische  Grammatik  nicht  über  Tertia 
hinaus  zu  berücksichtigen,  das  Griechische  früher  in  Quinta,  das  Fran- 
zösische erst  in  Tertia  zu  beginnen,  auszerdem  die  Uebung  der  Be^ 
citation  aus  den  alten  Sprachen,  den  Gebrauch  der  lateinischen  Sprache 
bei  der  Erklärung.  Den  Universitätslehrern  ward  zum  Vorwurf  ge- 
macht ,  dasz  sie  zu  wenig  Schulschriftsteller ,  zu  wenige ,  die  ein  allge- 
meines Interesse  böten ,  erklärten  und  dabei  zu  philologisch  gelehrt  ver- 
führen, während  eine  famUiaris  interpretatio  auch  Nichtphilologen  wieder 
in  die  Hörsäle  locken  werde ;  endlich  sollte  nach  seiner  Ansicht  das 
Latein  als  Sprache  der  Reden  und  Disputationen  wieder  eingeführt 
werden. 

Daran  knüpfte  sich,  wozu  der  Redner  wenigstens  indirect  aufgefor- 
dert ,  eine  ebenfalls  in  lateinischer  Sprache  geführte  Discussion.  Dir. 
Dr  Eckstein  sprach  zuerst  seinen  Dank  da^r  aus,  dasz  der. geehrte 
Redner  lateinisch  gesprochen,  sodann  dasz  er  den  Gegenstand  zur  Sprache 
gebracht;  er  müsse  aber  vor  Uebertreibuqg  der  Uebelstände  warnen. 
Was  Cicero  gesagt:  nos,  nos,  aperte  dicanty  nos  consules  desunuis,  das 
wende  er  auch  hier  an:  no9,  nos  magishi.  deswntis,  nos  corrigendi  sumu9» 
Von  Verbesserung  des  Gehaltes  und  der  äuszeren  Ehre  erwarte  er  nichts; 
dem  gewissenhaften  und  treuen  Lehrer  sei  sein  Lohn  im  Himmel  vorbe- 
halten. Auch  auf  die  äuszeren  Heilmittel  setzt  er  kein  Vertrauen;  die 
von  dem  Redner  vorgeschlagene  Reform  des  Unterrichts  führe  gewisser- 
maszen  zu  der  Jesuitenmethode  zurück;  mehrere  aber  der  gemachten 
Vorschläge  erschienen  ihm  geradezu  als  unausführbar ;  er  bitte  aber  den 
Gegenstand  und  die  Specialitäten  in  die  paedagogische  Section  zu  brin- 
gen, dort  würden  sie  fruchtbare  Discussion  anregen. 

.  Dir.  Dr  Classen  aus  Frankfurt  am  Main  erklärte  schon  an  dem 
Thema  angestoszen  zu  haben ,  denn  er  finde  nichts  als  instaurandum ; 
jede  Zeit  habe  ihre  Gesetze  und  ihre  Richtungen,  und  manches  in  der- 
selben lasse,  i^ich  nicht  beschränken,  manches  werde  inter  magistros 
nicht  ohne  Recht  beklagt,  wovon  sich  gleichwol  eine  Aenderung  nicht 
erzielen  lasse;  er  habe  sich  mit  den  Briefen  der  ausgezeichnetsten  Hu- 
manisten des  16n  Jahrhunderts,  einer  Zeit,  in  der  man  die  klassischen 
Studien  als  in  vollster  Blüte  gestanden  ansehe,  beschäftigt  und  in  die- 
sen dieselben  querelas  gefunden,  die  er  hier  gehört;  deshalb  dürfe  man 
auch   an  der  Gegenwart  nicht  verzweifeln. 

Fickert  sprach  zunächst  seinen  herzlichen  Dank  aus  für  die  ihm 
gewordenen  Entgegnungen,  wobei  er  es  als  ein  bonum  omen  betrachtete, 
dasz  ihm  in  lateinischer  Sprache  erwiedert  worden  sei;  es  sei  aber  viel- 
leicht nicht  genug  beachtet  worden,  dasz  er  nicht  von  instaurandis  anti- 
qids  lilteris,  sondern  von  instaurandis  antiquarum  Utlerarum  studiis  gespro- 
chen; dasz  die  letzteren  languescunt^  werde  niemand  in  Abrede  stellen 
wollen ;  man  dürfe  den  Gesetzen  der  Zeit  nicht  ohne  weiteres  Recht  geben, 
sondern  man  müsse  untersuchen  ob  sie  fecht  und  gut  seien;  diese  Pflicht 
stehe  insbesondere  den  Lehrern  zu,  welche  die  Zukunft  zu  machen  hätten. 

Prof.  Dr  B  o  n  i  t  z :  er  wisse  nicht  ob  er  recht  gehört,  und  hotfe  nicht 
recht  gehört  zu  haben,  dasz  der  Redner  rede  dicendi  scribendique  facni- 
tatem  als  das  bezeichnet  habe,  quo  periineai  omnis  institutio  scholastica; 
wäre  dies  der  Fall  und  sollten  die  Realien  gar  nichts  mehr  im  Unter- 


Beiiohl  ffter  die  17e  Philologett-VerM|BmlnDg  in  BresU«.      45 

rieht  galten,  dann  würden  wir  auf  den  Stafkdpnnct  der  Sophisten  aa- 
räckkommen,  welche  schon  Sokrates  siegi'eich  bekämpft  habe ;  es  handle 
sich  jetzt  nicht  mehr  um  Ausschlusz  des  einen  zu  Gunsten  des  andern, 
sondern  für  jedes  müsse  das  Ziel  und  der  Zweck  festgestellt  werden. 

Fickert  bleibt  dabei,  dasz  die  etoquentia  fmis  erudüionis  sei,  fügt 
aber  hinzu,  dasz  sie  natürlich  sine  moribus  nicht  bestehen  könne. 

Dir.  Dr  £ckstein  berichtet  darauf  im  Nam^n  der  Coramission  für 
Wahl  des  nächsten  Versammlungsortes :  in  Frage  seien  gekommen  Mainz, 
Wiesbaden,  Frankfurt  am  Main  und  für  jede  dieser  Städte,  namentlich 
für  Mainz  mit  seinen  römischen  Ueberresten ,  hätten  viele  empfehlendq 
Gründe  gesprochen;  überwogen  aber  habe  der  Wunsch  eine  österreichi- 
sche Stadt  zu  wählen,  um  das  eben  geknüpfte  Band  fester  anzuziehn 
und  inniger  zu  gestalten;  man  habe  aber  auf  den  Wunsch  der  Oester- 
reicher  selbst  nicht  eine  andere  Stadt,  wie  z.  B.  Prag,  sondern  das 
Herz  der  Monarchie  selbst ,  Wien,  gewählt.  Der  Vorschlag  fand  all- 
gemeine Beistimmung ,  eben  so  der  zweite ,  wornach  der  grosze  Slawist, 
Prof.  Dr  Miklosich,  Vorsitzender  der  wissenschaftlichen  Prüfungy- 
oommission  für  das  Gymnasiallehramt,  zum  Präsidenten  erwählt  werden 
sollte. 

Geh.  Ober-Reg.-R.  Dr  Brüggemann  aus  Berlin  beantragt  eine 
Addresse  für  ImmanuelBeklnr,  der  obgleich  er  paucorum^  ja  paucis^ 
sünorum  verborum  stets  gewesen  sei ,  doch  um  eine  ungemein  grosze  Zahl 
der  alten  Schriftsteller  die  entschiedensten  Verdienste  habe.  Auch  die- 
ser Antrag  fand  allgemeine  Beistimraung  und  mit  Abfassung  der  Ad- 
dresse yrurden  Prof.  Dr  Hertz  aus  Greifswald,  Dir.  Dr  Schultz  aus 
Münster  und  Dir.  Dr  Fickert  ans  Breslau  beauftragt. 

Prof.  Kays  er  ans  Sagan  hielt  darauf  den  angekündigten  Vortrag 
über  die  KriUk  von  Homers  Odyssee^  besonder»  auf  Grund  einiger  wiener 
ffandschriften.  Nachdem  derselbe  in  lichtvoller  und  ehrend  anerkennen- 
der Weise  die  Leistungen  der  Vorgänger  besprochen  und  dargethan 
hatte,  wie  trotz  dieser  bedeutenden  Leistungen  gleicliwol  ein  sicherer 
und  vollständiger  kritischer  Apparat  zum  Homer  noch  fehle ,  stellte  er 
die  Aufgabe,  die  ein  solcher  zu  lösen  habe,  fest,  den  Vulgärtext,  den 
aristarcbischen  und  die  voraristarchische  Ueberlieferung  zu  scheiden  und 
zu  constatieren.  Was  Lehrs  bereits  als  nothwendig  ausgesprochen, 
aber  selbst  nicht  ausgeführt,  habe  er  unternommen  herzustellen  und 
wolle  als  eine  Probe  seiner  F^schungeif  drei  Stellen  aus  der  Odyssee 
behandeln.  I  70  wird  die  Lesart  oov  nqdzoq  ia%B  iisytatov  aus  dem 
Hamburg,  für  die  richtige  ältere  gehalten ;  allein  für  iat^  tritt  das  Etym. 
Magn.  614,  84,  das  wörtlich  aus  den  Epimerismen  des  Homer  geschöpft 
hat  (vgl.  II  5.  VI  11.  IX  24  u.  a.),  in  die  Schranken.  Offenbar  ist  ia%s 
dadurch  entstanden,  dasz  man  II  20  nvfuxTov  9*  <unXia<tazo  dognov  so 
deutete,  als  sei  Polyphemos  mit  dem  ausbohren  der  Augen  gestorben, 
was  sachlich  dem  Homer  freilich  geradezu  widerspricht.  Allein  Eusta- 
thius  hat  diese  Ansicht  und  der  Schlusz  der  Stelle  macht  den  späten  Ur- 
spnmg  klar ,  wofür  ein  deutlicher  Beweis  ist ,  dasz  der  cod.  Bodlei.  aus 
dem  12n  Jahrhundert  das  älteste  Zeugnis  dafür  gibt.  —  In  Betreff  von 
II  11  behauptete  Wolf  praef.  p.  XXXVI,  daszVergil  den  aristarcbischen 
Homer  gehabt,  und  darnach  müsse  aus  Vergil  Acn.  VIII  461  die  Les- 
art apta  rmys  dva  Hvvsg  agyal  stcovto  als  aristarchische  betrachtet  werden; 
Nur  4  Handschriften  bieten  diese  Lesart,  während  Serv.  das  gemini  als 
in  Homero  lectum  bezeichnet.  Zu  vergl.  ist  Apollon.  Lex.  41,  22,  aus 
dem  das  Et.  M.  136,  2  geschöpft  hat  und  die  Epimerismen  zu  den  Psal- 
men 122,  19.  Man  sieht  daraus  deutlich,  dasz  Wolf  nicht  Recht  hat 
und  der  Ursprung  der  Lesart  wird  klar  dadurch ,  dasz  die  Augsburger 
Handschrift  dieselbe  XVII  62  aus  II  11  hat.  —  Als  die  wichtigste  Stelle 
wurde  XXIV  28  und  29  bezeichnet.    Alle  Ausgaben  bieten  da  ngmxa 


46      Beridit  aber  die  17e  Philologett-Versiminloiig  ia  Bretlait. 

mit  dem  Byv.  Harl.  Vin^ob.  46.  Epiphanm«  bat  die  Lesart  am  treu- 
Bten  übersetzt.  Ernesti  deutet  nqtaxa  als  auf  ^jufXXs  bezüglich,  es  gibt 
aber  dnrchaus  keinen  Sinn.  Minckwitz  hat  ngciro)  übersetzt,  was  gans 
verkehrt  und  unmöglich  ist.  Voss  übersetzt  auch  falsch  'zu  früh%  ge- 
stützt allein  auf  das  schol.  Harlei.  Eustath.  315,  34  hat  offenbar  ngcut 
vor  Augen  gehabt,  was  sich  in  einigen  Handschriften,  bei  Hesych.  11 
166  usw. «findet,  ngat  in  dieser  Bedeutung  ist  allerdings  nur  attisch, 
kann  aber  im  XXIY  Buche  nicht  befremden  und  entspricht  dem  Sinne. 
Wahrscheinlich  betrachtet  Hesych.  ngcot  als  Variante  zu  ngcSti,  Das 
einsilbige  Wort  ist  nicht  ionisch.  Der  Gang  der  Lesarten  ist  von  Bntt- 
mann  richtig  erkannt  worden;  hätte  er  aber  die  Handschriften  gekannt, 
80  würde  er  noch  entschiedener  gesprochen  haben. 

Consistorialrath  Dr  Böhmer  hielt  unter  sonstigfer  Anerkennung  die 
Fülle  von  Speciali täten  für  einen  solchen  Vortrag  nicht  angemessen, 
worauf  der  Redner  mit  vollstem  Rechte  bemerkte,  wie  er  nur  durch 
Anführung  von  Specialitäten  einen  deutlichen  Begriff  von  der  Sache  habe 
geben  können. 

Privatdocent  Dr  Westphal  aus  Breslau  beginnt  darauf  seinen  Vor- 
trag über  die  Entwicklung  der  ältesten  griechischen  Lgrik.  Voraus  wurde 
bemerkt,  dasz  für  Lyrik  vielmehr  der  Name  musische  Kunst  stehen 
müsse,  da  Musik  und  Poesie  bei  den  kriechen  untrennbar  verbunden, 
die  Dichter  zugleich  auch  Componisten  gewesen  seien,  wie  die  Urteile 
des  Ajristoxenus  über  Pindar  und  Aeschylus  beweisen.  Die  Schrift  des 
Plutarchos  de  musica  enthalte  die  Geschichte  dieser  Kunst  und  sei  bis 
jetzt  noch  nicht  genug  bearbeitet;  sie  sei  eine  Compilation,  aber  darin 
eerade  bestehe  ihr  Werth.  Dasz  die  epische  Poesie  nicht  die  frühste 
bei  den  Griechen  gewesen  sei,  dafür  gibt  nicht  allein  die  Vollendung 
der  homerischen  Gedichte,  wie  sie  nur  bei  Producten  einer  langen  vor- 
axisgegangenen  Entwicklung  möglich  ist,  den  Beweis,  sondern  auch 
ganz  dircct  die  Kunde  von  früherer  Poesie,  die  sich  bei  Homer  selbst 
findet.  Wir  finden  bei  ihm  sc'hon  die  Lyrik  in  ihren  ersten  Anfängen 
vollständig  entwickelt.  Sie  erscheint  in  II.  J  in  dem  nawv^  den  die 
Griechen  dem  Apollo  zum  Dank  für  das  aufhören  der  Pest  den  ganzen 
Tag  lang  singen.  Die  Quelle  der  Poesie  ist  überall  die  Religion,  so 
auch  bei  den  Griechen.  Hier  trat  aber  zu  ihr  sofort  die  Musik  und  aus 
den  Bewegungen  um  den  Altar  entwickelte  sich  die  Orchestik.  Die  un- 
auflösliche Trias  dieser  drei  Künste  gen  ort  schon  der  frühsten  Zeit  an 
und  ist  immer  im  Dienste  der  Religion  geblieben.  Der  Cultus  desApolIo 
aber  war  gerade  der  zu  ihrer  Ausbildung  wirksamste.  Dasz  die  apolli- 
nische Chorlyrik  der  Blüte  des  Epos  vorausgieng,  finden  wir  also  in  dem 
nuidv  aus  II.  1  erwiesen.  Sie  erscheint  ferner  bei  den  Myrmidonen 
nach  Hektors  Erlegung  und  zwar  als  9r^o<ro^tcn(og,.  sodann  in  den  Hoch- 
zcitsfeiern  (der  vfiivatog  auf  dem  Schilde  des  Achilles)  und  in  den 
Todtenliedern  (der  &Q7Jvog  bei  der  Todesklage  des  Hektor,  der  ein 
kommatischer  Wechselgesang  zwischen  Hekabe,  Andromache  und  den 
Troerinnen  ist).  Auch  diese  Lieder  gelten  den  Göttern.  Den  komma- 
tischen ^gifvog  hat  die  Tragoedie  nicht  erfunden,  nur  bewahrt  und 
festgehalten.  Auch  das  vnoQXTjiia,  welches  später  vom  ganzen  Chor 
vorgetragen  wurde ,  findet  sich  schon  bei  Homer.  Auch  dieses  Lied 
verdankte  dem  Apollocult  seinen  Ursprung.  Man  wollte  dem  finstem 
zürnenden  Gott  ein  Lächeln  abgewinnen.  Später  trat  Apollo  dabei  sn- 
rück,  wie  Aristoph.  Lysistr.  imd  Pindar  beweisen.  Od.  XVIII  findet 
sich  dasselbe  mit  Stichenverhältnis,  VIII  schon  ganz  in  der  späteren 
Weise  bei  den  spartanischen  Gymnopädien.  Homer  (II.  XVIII)  kennt 
auch  bereits  das  Volk  der  Kreter  als  im  vTCOQXTjfux  ausgezeichnet.  Da- 
neben gfab  es  aber  auch  schon  eine  monodische  Lyrik ,  nicht  dem  Volks« 
leben  angehörig,  sonst  aber  ganz  sacral.     Der  Name  vo^og  rührt  vott 


Btrkht  aber  die  I7e  Philoleg«B-VerMmmliiiig  ia  BretbuL       47 

den  festen  und  stStig^n  Formen  bei  den  Galten  und  ihren  Stätten  her, 
Deni  Inhalte  nach  dürften  die  Lieder  mit  den  indischen  Vedahymnen  sn 
▼ergleichen  sein.  Bei  den  wichtigsten  Cnltnsstätten  bestanden  Sängerfaiui- 
lien ,  namentlich  bei  denen  des  Apollo  in  Delos  und  Delphi,  bei  welcher 
musische  Agonen  aufgeführt  wurden.  Ein  Beispiel  Ton  der  ersteren 
Stätte  ist  der  homerische  Hymnos  auf  Apollo.  Den  vonog  in  Delos  soll 
Olenos  begründet  und  den  Hexameter  erfunden  haben.  Bedeutender 
waren  die  Sängerschule  und  die  Lieder  in  Delphi.  Der  dortige  vofiog 
IIvQtog  (den  indischen  Liedern  von  der  Tödtung  des  Ahi  und  der  Dra* 
Qhentödtung  des  Sigfrid  in  der  deutschen  Sage  vergleichbar)  ist  eines 
der  ältesten  griechischen  kitharödischen  Lieder.  Der  delphische  Lie- 
derschatz wird  in  der  Sage  auf  Chrjsothemis  und  Philammon  zurück- 
geführt; der  erstere  ist  das  Prototyp,  der  zweite  der  Erfinder  der  dori- 
schen Weise.  Auszer  diesen  Sängerschulen  bestund  noch  eine  dritte, 
die  äolische  in  Böotien,  wo  am  Helikon  die  Thraker  wohnten.  Orpheus 
und  Musäos,  welche  das  spätere  Attika  zu  Trägem  einer  alten  Orakel- 
poesie gemacht,  sind  ihre  Kepräsentanten.  Ihre  musische  Kunst  war 
bewegter  als  die  dorische,  das  religiöse  Gebiet,  dem  sie  diente,  gehört 
dem  Culte  des  Dionysos  und  der  Demeter  an.  Der  äolische  Ursprung 
wird  durch  die  Sage  bewiesen,  dasz  des  Orpheus  Lyra,  nachdem  er 
selbst  von  den  Bakchantinnen  zerrissen  worden  war,  mit  seinem  Haupte« 
nach  Lesbos  geschwommen  und  von  dort  durch  Terpandros  zurückge- 
holt worden  sei.  Dasz  übrigens  hier  nicht  von  Mythen  allein  die  Rede 
sein  könne,  wird  dadurch  dargethan,  dasz  Glaukos  von  Rhegium  voi^ 
der  orphischen  Poesie  wie  von  einer  bekannten  redet.  Das  Epos  selbst 
hat  die  religiöse  Lyrik  zu '  seinem  Ausgangspunkte.  Wurden  in  den 
Chorliedern  Götterthaten  gefeiert,  so  war  die  Verpflanzung  auf  das  Ge- 
biet des  menschlichen  leicht  gegeben.  Wunderbar  schnell  erhob  sich  das 
Epos,  die  Musik  trat  Vnehr  zurück,  Homer  hat  sich  von  ihr  befreit; 
aber  nach  Arktinos  erhob  sich  die  Lyrik  von  neuem ;  den  Wendepunkt 
dabei  bezeichnet  nicht ,  wie  man  gewöhnlich  annimmt ,  Archilochos,  son- 
dern die  Lyra  des  Terpandros.  Die  gfriechischen  Litteraturgeschichten 
setzen  unter  geringem  Widerspruch  Terpandros  nach  Archilochos.  Die 
Gewährsmänner  für  die  beiden  Ansichten  stehen  sich  äuszerlich  so  ziem- 
lich gleich.  Das  Chroniken  Par.  Ensebius ,  Hellanikos  und  Panyasis 
gegen  Glaukos ,  Hieronymus  und  Alexander  Polyhistor.  Dasz  das  Leben 
des  Terpandros  in  die  Zeit  des  Hipponax  falle ,  hat  Plutarch  zurückge- 
wiesen. Innere  Gründe  aber  sprechen  dafür,  dasz  Terp.  dem  Archiloch. 
vorausgieng,  denn  sonst  wäre  eine  gewis  ältere  Form  der  Musik  später 
aufgetreten,  als  der  weitere  Fortschritt,  die  Mischung  der  Vessfüsze. 
Glaukos  hat  Recht ,  dasz  dem  Archilochos  Terp.  und  Kleonas  vorausge- 
gangen. Die  erste  und  zweite  musische  ncctccotaaig  in  Sparta  fallen 
aber  dann  in  dieselbe  Zeit,  Terp.  und  Thaletas  sind  als  Zeitgenossen 
anzunehmen.  Weil  die  Terpandriden  bei  den  Karneen  stets  siegreich 
waren  ,•  stellte  man  den  Terpandros  selbst  an  ihre  Spitze.  Die  Nach- 
richt des  Hellanikos  enthält  etwas  wahres,  aber  das,  was  er  berichtet, 
ist  vor  Archilochos  zu  setzen.  Was  die  Verdienste  des  Terp.  anbetrifft, 
so  ist  er  nach  den  Berichten  der  Alten  der  Anfang  einer  hellenischen 
Kunst,  aber  auch  nur  der  Anfang;  er  bezeichnet  eine  neue  Stufe;  was 
er  geschaffen,  enthielt  zwar  Einfachheit  und  Herbheit,  aber  bereits  die 
Normen  des  klassischen;  es  steht  zu  den  spätern  Kunstschöpfungen  in 
gleichem  Verhältnis,  wie  die  altsicilischen  Tempelbauten  zu  den  Bil- 
dungen des  perikleischen  Zeitalters.  Der  Ausgangspunkt  der  Entwick- 
lung ist  die  äolische  Kitharödenschule  in  Lesbos,  was  auszer  den  Sa- 
gen von  der  Lyra  des  Orpheus  durch  die  Nachricht  bezeugt  wird,  dasz 
er  deQi  Orpheus  nachgeahmt  habe.  Er  vereinigte  die  äolische  und  do- 
rische Poesie  und  dies  ist  der  Anfang  der  Kunst.    Darauf  weist  hin. 


48       Benoht  Ober  die  I7e  Philologen- VersammliiBg  lA.Bretflair, 

cUisz  in  derselben  Zeit,  wie  die  homerischen  Gesänge  aus  Kleinasien, 
auch  Terp.  nach  Sparta  kam,  dasz  er  in  Delphi  viermal  siegte  and 
seine  Nomen  dort  blieben,  ja  einige  derselben  nach  Plutarch  und  Ale- 
zander Polyhistor  mit  denen  des  Philammon.  Die  Fragmente  von  sei- 
nen Poesien  sind-  kärglich  und  meist  dubiös ,  aber  was  die  alten  Kunst- 
kenner davon  überliefert,  gibt  ein  Bild  davon. 

In  der  dritten  allgemeiuen  Sitzung  am  30.  Sept.  kani  zu- 
nächst ein  Antrag  von  mehreren  Mitgliedern  zum  Vortrag,  darauf  ge- 
hend, dasz  die  Vorträge  in  den  Versammlungen  überhaupt  auf  ein  mi- 
nimum  rednciert,  dagegen  freie  Discussionen  eingeführt  werden,  daher 
nun  auch  diesmal  die  Vorträge  ganz  fallen  gelassen  und  alle  Zeit  au^ 
die  Verhandlungen  der  pädagogischen  Section  verwendet  werden  sollte. 
Dieser  Antrag  gieng  den  Statuten  gemäsz  an  die  Commission. 

Dr  Westphal  setzte  darauf  seinen  am  vorhergehenden  Tage  be- 
gonnenen Vortrag  fort.    Der«  Charakter  der   terpandrischen   musischen 
Kunst  besteht  in  höchster  Einfachheit;  innerhalb  eines  Liedes  fand  kein 
Wechsel  des  Metrums  und  der  Rhythmen  statt;   aber  als  seine  Erfin- 
dungen werden  der  semantische  Trochäus  und  der  Docbmius  bezeichnet. 
Auch  kein  Wechsel  der  Tonart  war   innerhalb  desselben  Liedes   zuge- 
lassen.    Seit  Terpandros  kommt  der  Name  vofivg  aioliog  vor;   die   (lo- 
•rische  Tonart  war  die  herbe  und  strenge,  die  äolische  die  bewegliche. 
Wenn  von  einer  böotischen  Harmonie  des  T.  berichtet  wird ,  so  ist  dar- 
unter wol  eine  Moditication  der  äolischen  (vgl.  XoHQiatC)  zu   verstehen. 
Dasz  in  seinen  Nomen  die  strophische  Composition  noch  fehlte,  ist  von 
Glaukos  und  anderen  bezeugt.     Der  Inhalt  und  der   Ton  der  Poesie 
wandte  sich  aber  seit  T.  von  der  früheren  Zeit   ab;    der  Inhalt  ward 
episch.     T.  schlosz  sich  an  Homer  an;  ja  es  wird  berichtet,   dasz  er 
eine  homerische  Rhapsodie  zur  m&ccQa  componiert  habe.    Hier  liegt  der 
Ausgangspunkt  für  die  folgende  Zeit  vor,  für  die  Lyrik,  wie  sie  durch 
Stesichoros  und  Pindaros  vollendet   erscheint,   in  welcher    das  epische 
über  das  lyrische  überwiegt ,  eine  objective,  keine  subjeetive  Lyrik.  Als 
Theile  des  terpandrischen  Nomos  werden  von  PoUux  und  andern  ange- 
führt: indqiHttf  ^Bxaq%ot^  %atatQoncCf  ofiipaXog,  (i,ixa%ataTQ07ed,  otpQU" 
yCqj  inUoyog,    Diese  Eintheilung  ist  sicher  alt,  aber  nicht  von  der  Or- 
chestik  eine  Deutung  zu  entnehmen,   da  die  terpandriscbe  Poesie  mono- 
disch war.     Die  7  Theile  sind  übrigens  auf  ein  geringeres  Masz  zu  re- 
ducieren.    Alle  Nomen  hatten  ein  VQOo^fuov  und  ein  i^odiov^  beide  an 
den  Gott  gerichtet,    der  den  Dichter  unterstützen  sollte  und  ihn  dann 
unterstützt  hatte  beim  qyoiv.     Diese  beiden  Theile  sind    offenbar   die 
indqiua  und  der  inCXoyog^   womit  die  Ueberlieferung  stimmt  dasz  T. 
TtQOoipLa  geschrieben,  und  dasz  ein  und  derselbe  Vers  als  in  beiden  vor- 
kommend erwähnt  wird.    Zur  Bestimmung  der  übrigen  Theile  trägt  bei 
der  voiiog  nvd'iog,  den  wir  kennen  (Sakatas  Ol.  48,  3.     Er  war  aule- 
tisch,   aber  eine  Nachbildung  des   kitharödischen).     Dabei   waren    das 
ngooCiiiov  und  i^odiov  Lieder  ohne  Worte,  und  der  tofiog  hatte  5. Theile, 
nstga,  xcczcmslfvcptog ,  fidxsTai,,  onovdiiov  und  %ata%6QBvaig,    Sie  ent- 
sprechen denen   des  terpandrischen.    Nach  dem  ngooC^iov  =  ijtdgxBuc, 
folgte  hier  die  fistagioi,  gleichsam  ein  zweiter  Anfang,   auch  ein  Lied 
ah  eine   Gottheit,    deren  Lob   der  Dichter   zu   besingen   vorhatte.     Sie 
entspricht  der  miga.    Die  xarar^OTra,  dem  %CLxaY,BXsvcii,6g  gleichstehend, 
ist  der  Uebergang  zum  epischen,  dem  fid^ftuL  ==z  ofitpccXog,  und  von  ihm 
wird  durch  die  (laTccKazatQOTcd  (anovSeCov)  zu  der  a(pQccy£g  (•aenaxogsv- 
aig)  übergegangen.    Die  erstere  enthielt  die  Angabe,   dasz  ^des   Gottes 
That   gefeiert  sei,    die  letztere  war  lyrisch    gefärbt,    das   Siegel,    der 
Schlusz  des  Nomos.     Gegen  d^e  Handschriften  sind  bei  Pollux  6ii(paX6g 
und  fiftuTtazatgond  umzustellen.     In  der  Lyrik  gilt  dasselbe  Gesetz  der 
Symmetrie,  das  die  griechische  Plastik  beobachtet  hat,  zwei  Seiten  dev 


Bericht  aber  die  17e  PiiilologeB-VersaiinilaBg  ia  Breilaa«       49 

niiteUten  Hauptfigur  die  gleiche  Zahl  Ton  Seitenfignren  m  harmonischer 
Venoittlung  zu  gruppieren.  Dieses  Streben  nach  Symmetrie  ist  ein  tie- 
fer Zug  des  griechischen  Geistes  und  in  allen  seinen  Schöpfungen  aus- 
geprägt ,  und  diese  Symmetrie  gehet  durch  Pindar  und  die  Tragiker  hin- 
durch. Dissens  Versuch  die  pindarischen  Oden  als  epiplokisch  und  pe- 
riplokisoh  einzutheilen  ist  wohlberechtigt.  Freilich  ist  diese  Form  nicht 
auf  alle  pindarischen  Gesänge  anzuwenden ,  aber  die  terpandrische  Weise 
ist  gleichwol  die  Grundregel  dafür.  Sie  findet  sich  besonders  in  der 
Pyth.  X,  aber  sie  läszt  sich  auch  bei  den  Tragikern,  namentlich  Ae* 
schylus,  ja  selbst  in  den  Komödien  des  Aristophanes  erkennen. 

Prof^  Dr  von  Leu t seh  aus  Göttingen:  er  freue  sich  einer  Ueber- 
einstimmung  zwischen  ihm  und  dem  geehrten  Redner ;  es  werde  von  ihm 
jetzt  gerade  eine  Abhandlung  gedruckt  über  die  älteste  gi-iechische  Ly- 
rik, er  sei  aber  noch  kühner  als  Westphal;  er  suche  nicht  allein  die 
Existenz  und  den  Inhalt,  sondern  auch  die  Form  und  glaube,  dasz 
schon  vor  Homer  eine  Strophe  existiert  habe;  er  empfehle  seine  Ab- 
handlung der  unnachsichtigen  Prüfung.  Küoksichtlich  der  Tragiker  be- 
merkte er,  dasz  die  Trimeter  zwar  gesprochen,  aber  doch  viel  häufiger 
{gesungen  worden  seien,  als  man  bis  jetzt  angenommen,  dasz  also  die 
Trias  der  £ünste  bei  ihnen  ein  weiteres  Feld  gehabt,  als  man  bisher 
geglaubt.  Rücksichtlich  des  Alters  des  Terpandros  könne  er  aber  nicht 
beistimmen.  Das  Zeugnis  des  Hellanikos  beruhe  auf  Inschriften  und 
sei  von  der  Art ,  dasz  jeder  Zweifel  davor  schwinden  müsse ;  er  halte 
also  01.  28  fest  und  glaube,  dasz  auch  die  inneren  von  Wcstphal  da- 
gegen vorgebrachten  Gründe  sich  beseitigen  lieszen ,  wenn  man  diese  so 
cigenthümliche  Lyrik,  dieses  zurückgehen  auf  die  alte  Einfachheit  als 
eine  Reaction  gegen  den  zu  weit  vorgegangenen  Archilocbos  fasse.  Ganz 
richtig  sei  die  Methode,  von  Pindaros  zur  Kenntnis  des  Terpandros  aus- 
zugehen, zumal  da  jaWelcker  bewiesen,  d&Bz  jener  ^eofioig  gefolgt  sei. 
Seine  Freude  müsse  er  über  die  Förderung  ausdrücken,  welche  das  Stu- 
dium der  griechischen  Metrik  und  Musik  gefunden,  und  den  Wunsch, 
dasz  die  beiden  Dioskuren,  Roszbach  und  Westphal,  darin  kräftig  und 
ungestört  fortfahren  möchten. 

IVof.  Dr  Hoffmann  aus  Wien  hielt  ferner  einen  Vortrag  über  das 
Priestert/iitm  der  Arvaihruder:  die  alte  Voraussetzung  dasz  die  fratres 
arvalcs  Priester  der  Landgottbeiten ,  l)e8timmt  deren  Segen  für  die 
Früchte  des  Feldes  zu  erflehen,  gewesen,  musz  als  ganz  haltlos  bezeich- 
net werden.  Roraulus,  welcher  in  der  Sage  als  Mitglied  der  Priestcr- 
Bchaft  erscheint,  ist  nirgends  ein  Beschützer  und  Förderer  der  Künste 
des  Friedens,  und  die  Einkleidung,  dasz  er  an  die  Stelle  des  gestorbe- 
nen zwölften  Sohnes  von  Acca  Larentia  aufgenommen  worden  sei,  stimmt 
nicht  zu  der  Annahme  eines  römischen,  bei  der  Gründung  der  Stadt 
aufgestellten  Instituts.  Mit  jener  Annahme  steht  auch  in  Widerspruch 
die  aristokratisch-exclusive  Form,  welche  das  Collcgium  bewahrt  (coop- 
tatio;  Mitglieder  aus  den  Spitzen  des  Staates,  später  sogar  die  Kaiser — 
Heliogabalus ;  Lebenslängliehkeit  des  Amts ;  magister  —  promagister ,  fia- 
men  —  proflamen,  die  freigeborenen  Knaben  patrind  und  matrinU;  der 
Ehrenplatz  bei  den  Spielen  und  das  Recht  selbst  solche  zu  geben); 
eben  so  wenig  aber  hat  auch  der  Cultus  jener  Priesterschaft  eine  Be- 
ziehung zu  den  Gottheiten  des  Feldbaus.  Im  Liede  und  in  den  Acten 
werden  erwähnt:  Mars  als  pater  ultor,  die  Laren,  Semonen,  Jupiter, 
Janns  u.  a.,  später  sogar  die  Divi  Caesares,  aber  alle  sind  nicht 
Landgötter.  Nur  in  Bezug  auf  die  Dea  Dia  hat  freilich  Marini  die 
Identität  mit  der  Ceres  behauptet,  doch  zwingt  nichts  zu  dieser  An- 
nahme. Wenn  des  Liedes  und  der  Festfeier  Zweck  Abwehr  jedes  Ue- 
bels  ist,  so  kann  man  allerdings  darunter  auch  die  den  Feldfrüchten 
drohenden  Gefahren  verstehen,  und  Corssen   deutet  lue*  von   dem  voc- 

N.  Jahrb.  f,  Phü,  u.  Paed,  Hd  LXXVIII.  B[l  U  4 


60       BeH^t  aber  die*  176  Philologen-Versammlang  in  Breelaii. 

faulen  der  Feldfrüchte  und  nahm  pleores  c=  flores,  aber  gewis  ist  die 
Deutung  nicht ,  wie  denn  Mommsen  pleores  z=  plures  faszt.  Allein  das 
Fest  fällt  in  die  zweite  Hälfte  des  Mai,  wo,  wie  Klausen  bewiesen, 
keine  Gefahr  für  die  Felder  zu  fürchten  ist,  und  in  dem  Gesänge  selbst 
kommt  Mars  der  Kriegsgott  vor,  der  mit  den  Feldern  nichts  zu  thun 
hat.  Wenn  femer  jenes  der  Zweck  der  Festfeier  gewesen  wäre,  so  roüste 
es  Wunder  nehmen  dasz  sie  keine  ständige,  sondern  eine  conceptiüa  w^ar, 
femer  dasz  die  Ankündigung  vor  dem  7.  Jan.  erfolgte,  in  welcher  Zeit 
sich  doch  nichts  vom  Stande  der  Feldfrüchte  im  Mai  voraussetzen  liesz. 
Auch  ist  die  Art  der  Feier  keine  mit  einem  solchen  Zwecke  überein- 
stimmende, da  sie  nicht  einmal  auf  den  Fluren  vollzogen  ward«  Am  In 
Tage  blieben  die  Arvalen  im  Hause  dos  magister  in  der  Stadt,  am  2n 
befanden  sie  sich  im  Haine  der  Dea  Dia,  wo  Altäre  für  alle  Gottheiten 
standen,  das  Lied  im  Reigentanz  vorgetragen  wurde,  in  dem  nichts 
entschieden  auf  Felddienst  geht,  wo  endlich  in  einem  Circus  Spiele  ge> 
feiert  wurden;  der  3e  Tag  enthielt  wiederum  einen  Schmaus  in  der 
Stadt.  Auch  in  den  übrigen  noch  erwähnton  einzelnen  Functionen  wäh- 
rend des  Jahres  und  in  der  regelmäszigen  Versammlung  am  3.  Jan. 
deutet  nichts  auf  die  Feldfrüchte  hin.  Die  Deutung  der  Arvalbrüder 
musz  aus  der  Sage  entnommen  werden.  Nach  dieser  wurde  Acca  La* 
rentia  oder  nach  Plutarch  und  Macrobius  Larentia  Fabia,  eine  lupa, 
vom  Hercules  geliebt,  dann  an  den  Etrasker  Tarratius  vermählt,  nach 
dessen  Tode  sie  die  geerbten  reichen  Ländereien  dem  römischen  Volke 
vermachte.  Hercules  ist  nun  :=:  Mars,  der  alte  ursprüngliche  Schutz- 
gott der  Tibergegend;  Acca,  die  sich  ihm  hingibt,  offenbar  das  Land 
selbst.  Im  Sskr.  ist  akkä  =  Mutter  und  Larentia  oder  Laurentia  hängt 
sicher  mit  dem  Namen  von  Laurentum  zusammen,  worin  schon  Schweg- 
1er  die  Larenstadt  gesehen  hat.  Sie  wird  nun  die  Gattin  des  Etruskers 
Tarrutius,  des  ersten  Nachbarn  am  Tiberström,  dann  gibt  sie  das  Land 
an  die  Römer.  Wird  man  nicht  genöthigt  darin,  dasz  sie  den  Roroulus 
an  die  Stelle  des  gestorbenen  zwölften  Sohnes  (Vater  und  Sohn  hat 
hier  die  Sage  vielleicht  identificiert)  adoptiert  und  unter  die  Brüder  auf- 
nimmt, den  Eintritt  des  römischen  Volkes  in  eine  Conföderation  zu 
sehen?  Pie  Zahl  12  kommt  bei  den  Städteconföderationen  in  Griechen- 
land häufig  vor,  aber  auch  in  Italien,  in  Etrnrien  z.  B.  und  in  Campa- 
nien,  wobei  auch  an  die  10  Städte  auf  der  Tafel  von  Iguvium  gedacht 
werden  kann.  Der  Bund  der  Arvalen  ist  demnach  ein  latinischer  Am- 
phiktyonenbund ,  ihr  Fest  ein  Apaturienfest ,  wobei  von  groszer  Bedeu- 
tung die  Worte  a  fratria  bei  Varr.  L.  L.  V  85.  Man  kann  den  Namen 
auch  dann  von  arvum  ableiten,  musz  es  aber  nur  in  dem  Begriffe  von 
ogeTf  wie  es  bei  Dichtern  öfters  vorkommt,  nehmen.  Vielleicht  aber  ist 
sogar  eine  andere  Etymologie  bestimmt  für  die  gegebene  Deutung  vor- 
lumden.  Placidus  bei  Mai  auct.  class.  T.  III  p.  433  hat  am  sederUes 
s=  eircum  sedentes,  Müller  zum  Festus  will  freilich  amsedentes  lesen, 
aber  könnte  denn  nicht  am  der  Stamm,  wovon  orbis  =^  ciraim,  und 
daher  der  Name  arvales  =  eircum  habUantes  sein?  War  aber  der  Bund 
der  Arvalen  ein  Amphiktyonenbund ,  so  erklärt  sich  leicht  die  wei- 
tere Entwicklung.  Seit  Rom  die  Herscherin  über  die  sämtlichen  Bun- 
desglieder geworden,  muste  die  Bedeutung  als  Amphiktjonie  schwinden 
und  Rom  an  die  Stelle  der  Bundesstaaten  auch  als  Gegenstand  der 
Festbitten  eintreten.  So  lange  noch  ein  Bewustsein  von  den  ursprüng- 
lichen Stammesverhältnissen  vorhanden  war,  werden  wol  die  Priester 
in  das  Collegium  nur  aus  den  ursprünglichen  zu  der  Amphiktjonie  ge- 
hörigen. Stämmen  und  Geschlechtem  gewählt  worden  sein.  Ganz  analog 
ist  dann  in  Rom  das  Fortbestehen  der  Titienses,  welche  die  sabinischen 
gacra  fortzuführen  bestimmt,  wol  auch  nur  aus  sabinischen  Gcschlech- 
tero  sich  ergänzten  und  die  coopiatio  eben   so  wie  das  Collegium  der 


Beriohl  Aber  die  I7e  Philologen- Versammliuig  in  Breilaa.      51 

Arvalen  als  exclosives  Recht  behielten.  Auszer  dem  Feste  der  Dea  Dia, 
das  ein  religiöser  Mittelpunkt  der  latinischen  Stämme  gewesen  sein  musz 
und  dessen  Stätte  nicht  weit  von  Rom  im  Süden  der  Stadt  zu  suchen  ist» 
finden  nun  auch  ihre  Erklärung  die  Functionen  der  Arvalbrüder  auf  dem 
Capitol,  im  Tempel  der  Eintracht,  im  alten  Königshause  am  Forum,  im 
Kaiserpalast  auf  dem  Palatinus  usw.  Statt  des  Schutzes  der  Götter  für 
das  Land  und  Volk  der  Tibergegend  ward  dann  für  das  Wohl  des  römi- 
schen Volks  und  in  der  Kaiserzeit  desjenigen,  in  dem  der  ganze  Staat 
verkörpert  war,  gefleht. 

In  der  vierten  allgemeinen  Sitzung  am  5.  October  ward 
zuerst  berichtet,  dasz  der  in  der  gestrigen  Sitzung  gestellte  Antrag  zu- 
rückgenommen sei.  Prof.  Dr  Bonitz  stellte  die  Bitte  die  Tage  zu 
bezeichnen,  an  welchen  im  nächsten  Jahre  am  zweckmäszigsten  für 
zahlreiche  Theilnahme  die  Versammlung  in  Wien  werde  gehalten  wer- 
den können. 

Prof.  Dr  Vahlen  von  Breslau  sprach  über  die  FarronUche  Satire: 
Der  Katalog  des  Hieronymus  g^bt  uns  von  den  menippeischeu  oder 
C3rnischen  Satiren  des  Varro  nicht  weniger  als  150  Titel ;  die  Fragmente 
davon  aber  sind  verhältnismäszig  gering,  abgerissen  und  lassen  sich  nur 
hier  und  da  einzelnen  Nummern  mit  einiger  Sicherheit  zuweisen.  Der 
ursprüngliche  Charakter  der  menippeischen  Satire  zeig^  sich  besonders  in 
der  schai'fen  und  lebhaften  Opposition  gegen  die  Philosophie  der  Zeit, 
nur  ist  diese  nicht  stets  auf  unmittelbare  directe  Nachahmung  des  Ori- 
ginals zurückzuführen.  Zui*  Erläuterung  dienen  aber  zweckmäszig  Rück- 
schlüsse von  den  anderen  Nachahmern  des  Menippus,  besonders  Lucian« 
Den  Geist  der  Satiren  erkennt  man  aus  den  Fragmenten  als  echt  rö- 
misch, den  übrigen  Schriften  des  Varro  ganz  entsprechend  und  überall 
die  Gelehrsamkeit  des  Verfassers  in  ihrer  eigenthümlichen  politisch  so- 
cialen Färbung  darstellend.  Gegen  RÖper  (Pliilol.  IX  S.  245)  wird  be- 
hauptet, dasz  die  Mischung  von  Poesie  und  Prosa  durchaus  nicht  zu 
leugnen  sei.  Um  an  einigen  Beispielen  die  Reconstniction  einzelner 
Nummern  zu  zeigen,  behandelt  der  Redner  die '^Ovog  IvQag^  eine  Apo- 
logie der  Musik  (den  von  Mercklia  rhein.  Mus.  XII  S.  372  angenom- 
menen Titel  nBQl  (lovcfniig  findet  er  bedenklich),  tcsqI  iyamy^Cotv  und 
die  Evfisvldfg,  In  der  letzteren  Satire  finden  sich  Anklänge  selbst  an 
Aeschjlus,  eben  so  im  Aiax,  im  armornm  iudicium,  im  Prometheus  liber. 
Der  Damasippus  bei  Horat.  Sat.  II  3  sei  eine  Nachahmung  und  das 
Exempel  des  rasenden  Aiax  hieraus  entlehnt.  Als  ähnlich  wird  endlich 
der  logistoricHS  Orestes  sive  de  insania  herbeigezogen,  wie  denn  überhaupt 
in  Beziehung  auf  den  Stoff  mehrfach  Aebnlichkeiten  zwischen  den  logi- 
storicis  und  den  Satiren  sich  zeigen.  ,     \ 

Prof.  Dr  Linker  hielt  einen  freien  Vortrag  ikber  einige  in  kritischer 
Hinsicht  besonders  bemerkenswerihe  Oden  des  Horaz^  den  wir  nicht  besser 
wiedergeben  können^als  mit  den  eignen  Worten  des  Redners  (vgl.  Zeit- 
schr.  f.  d.  österr.  Gymnasien  1857  S.  823).  Derselbe  gieng  da^on  aus, 
wie  seit  Lachmanns  und  seiner  Freunde  Thätigkeit  für  den  Dichter  die 
Untersuchungen  über  etwaige  Interpolationen  mit  weit  gröszerer  Sicher- 
heit sich  führen  lassen  als  früher.  Neben  so  mancher  feinen  Bemerkung 
über  den  Versbau  des  Horaz  sei  es  besonders  die  Entdeckung  des  Ge- 
setzes vierzeiliger  Strophen  und  die  Beachtung  der  sorgfältig  gewahrten 
Concinnität  im  Bau  und  der  Disposition  der  einzelnen  Gedichte,  welche 
hier  feste  Haltpunkte  zu  bieten  vermöchten.  Auszugehen  sei  hier  vor 
allem  von  Carm.  IV  8,  in  welchem  schon  Bentley  zunächst  das  Vor- 
handensein einer  Interpolation  erkannt  habe  ;  aber  erst  jetzt  nach  Lach- 
manns glänzender  Restitution  (im  Pldlologus  Bd  I)  sei  ihm  der  Cha- 
rakter eines  horazischen  Gedichtes  wiedergegeben  worden.  Nach  Aus- 
scheidung der  zunächst  aus  anderen  Gründen  verworfenen  Stelle  v.  15—19 

4* 


52      Berioht  Ober  die  17e  Philologen-Versammlaiig  in  Brestta. 

non  celerea  fugae  —  rediit  und  der  v.  28  und  33  trete  jetzt  in  den  übri^ 
bleibenden  sieben  Strophen  die  kunstvolle  Disposition  des  Gedichtes  mit 
00  überzeugender  Klarheit  hervor,  dasz  diese  nicht  wenig  zur  Unter- 
stützung jener  Ausscheidungen  mit  beizutragen  vermöge.  Die  dritte 
Strophe  nemlich  enthalte  den  Kern  des  Gedichtes,  gewissermaszen  das 
Gedicht  in  nuce,  und  zwar  in  der  Art,  dasz  wieder  ihre  erste  Hälfte  den 
8wei  vorigen,  ihre  letzte  den  vier  folgenden  Strophen  entspreche.  Dasz 
dieser  letzte  Haupttheil  des  Gedichtes  den  ersten  dabei  um  das  doppelte 
überwiege,  düi*fe  bei  diesem  scherzhaften  Liede  nicht  auffallen;  bilde 
doch  gerade  das  pretium  dicere  muneris  eben  das  Carmen  j  welches  der 
Dichter  dem  Freunde  als  Geschenk  verheiszt.  Dieselbe  Art  der  Dis- 
position trete  auch  in  anderen  Gedichten  mehrfach  deutlich  hervor. 
Nach  dieser  Abtheilung  sehen  wir  zugleich  bei  unserem  Gedichte  höch- 
stens zwei  Strophen  mit  einander  verbunden;  auch  liesz  sich  von  vorn 
berein  erwarten,  dasz  bei  dem  hier  vorliegenden  Metrum,  welches  den- 
selben Vers  einfach  wiederholt  und  so  an  sich  den  Strophenabschnitt 
nicht  gleich  kenntlich  macht,  auf  diesen  Punkt  besondere  Sorgfalt  werde 
verwandt  sein.  Dem  scheinen  die  zwei  anderen  Gedichte  desselben  Me- 
trums, der  Prolog  und  der  Epilog  der  drei  ersten  Bücher,  zu  wider- 
sprechen, indessen  nur  scheinbar.  Sobald  aus  dem  letzteren  (III  30) 
der  auch  sprachlich  anstöszige  v.  2  entfernt  ist,  treten  die  Anfänge  der 
drei  gesonderten  Theile  resp.  Strophen  des  Gedichtes  deutlich  genug 
hervor :  Exegi  monumenium  — ,  Non  omnis  tnoriar  — ,  Dicar,  Am  Schlüsse 
müssen  nun  freilich  nicht  blos  nach  Peerlkamp  und  Beimhardy  die  vv. 
11  — 12,  sondern  auch  die  zugleich  aus  anderen  Gründen  auffälligen 
Worte  sume  —  meriiis  wegen  Meinekes  Strophengesetz  ausfallen.  Zu- 
gleich stellt  sich  hiernach  et  in  v.  15  als  corrupt  (d.  h.  der  Interpola- 
tion zu  liebe  verändert)  heraus;  es  mag  hier  etwa,  wie  der  Redner 
in  seiner  Ausgabe  versucht  hat,  tu  zu  ändern  sein.  Aehnlich  läszt 
sich  in  dem  ersten  Gedichte  bei  einer  Reihe  jetzt  auseinander  gerissener 
Strophen  die  ursprüngliche  Fassung  noch  klar  genug  erkennen,  worauf 
schon  G.  Hermann  in  der  schönen  Abhandlung  de  primo  carmine  Horaiii 
mit  Recht  aufmerksam  machte.  Betrachten  wir  v.  1 — 2  als  nicht  vor- 
handen, so  stellen  sich  zunächst  auch  in  der  jetzigen  Ueberlicferung 
fünf  Strophen  in  der  schönsten  Geschlossenheit  dar,  denen  sich  sofort 
die  sechste  beigesellt,  wenn  wir  durch  Ausscheidung  der  zwei  unnützen 
vv.  27 — 28  die  nothwendige  Concinnität  mit  der  zusammengehörigen 
fünften  Strophe  herstellen.  Aber  auch  von  den  bis  jetzt  gewonnenen 
Strophen  stellt  sich  die  zweite  {hunc  —  areis)  als  unhaltbar  heraus,  so- 
wol  der  Form  nach,  da  sie  des  Yerbums  entbehrt,  als  auch  des  Inhalts 
^ttögen;  denn  der-  hier  bezeichnete  Reichthum  findet  erst  im  folgenden 
seine-  entsprechende  Erwähnung.  Dazu  bietet  die  fast  unvermeidliche 
Emendation  Withofs  si  vitata  v.  5  einen  neuen  Anhaltspunkt  für  die 
Ausführung  dieses  si  durch  eine  folgende  Interpolation.  So  steht  die 
erste  Straphe  jetzt  nach  Inhalt  und  Form  für  sich  allein,  während  wir 
am  Schlusz  v.  29  ff.  scheinbar  zwei  Strophen  ihr  entsprechen  sehen. 
Aber  die  zwei  letzten  Verse  stehen  und  fallen  mit  den  zwei  ersten  des 
Gedichtes ;  dazu  scheint  quod  si*  eine  überhaupt  rein  rhetorische  Verbin- 
dung, den  lyrischen  Gedichten  des  Horaz  durchaus  fremd.  Und  eben  so 
werden  die  zum  Theil  schon  von  Peerlkamp  beanstandeten  vv.  30  —  31 
nicht  leicht  dem  Horaz  selbst  zuzuschreiben  sein,  wenn  wir  nicht  die 
monströse  Gradation  oder  vielmehr  Degradation  dis  miscent  sitperis  —  secer- 
nunt  populo  ihm  aufbürden  wollen.  Auf  diese  Weise  sehen  wir  ein  nach  Form 
und  Inhalt  durchaus  concinnes  Gedicht  hergestellt  nach  folgendem  Schema: 
iTüQ,  d  U   axQ,  ß'  dvtiatQ,  ß'  |    erg.  y    ccvtiatg.  y    \\  dvxiötQ.  d. 


Berieht  über  die  I7e  Philologeii-Versaninilaiiflf.iii  Breslaa.       53 

Die  einen  streben  nach  dem  höchsten  und  herrlichsten  irdischen  Rahm 
(vgl.  Epist.  I  1  y  50) :  die  andern  hält  das  Getriebe  des  Tages  in  ver- 
schiedener Weise  gefesselt :  mir  gilt  der  Kranz  der  Dichterstirn  für  da^ 
höchste  Ziel.  So  entbehren  wir  allerdings  des  Einganges  der  zwei  er- 
sten Verse,  den  manche  besonders  ungern  vermissen  werden;  aber  in 
der. überlieferten  Weise  diese  Verse  beizubehalten  erscheint  unmöglich, 
wenn  nicht  im  folgenden  die  sicher  zusammengehörigen  Strophen  zer- 
rissen werden  sollen.  Die  zwei  ersten  und  die  zwei  letzten  Verse  aber 
von  der  übrigen  strophischen  Gliederung  abzutrennen,  entbehrt  wenig- 
stens aller  und  jeder  metrischen  Analogie.  Auch  hat  schon  G.  Her- 
mann auf  den  Widerspruch  der  in  hohem  Stil  gehaltenen  Anrede  mit 
dem  Ton  der  unmittelbar  folgenden  etwas  nüchternen  Aufzählung  auf- 
merksam.  gemacht ,  eben  so  darauf,  dasz  der  nunmehrige  Anfang  des 
Gedichtes  mit  Sunt  quos  —  iuvat  in  der  7n  Ode  desselben  Buches  (L^au- 
dabunt  alii  usw.)  eine  Parallele  finde.  Interessant  ist  es  endlich  zu  be- 
merken, wie  der  Interpolator  von  Carm.  I  1  und  III  30  offenbar  noch 
im  Bewustsein  des  Strophengesetzes  verfuhr,  da  er  trotz  aller  Willkür 
wenigstens  die  Vierzahl  nicht  zu  verletzen  strebte;  nicht  so  der  Verun- 
stalter von  IV  8  —  wenn  anders  der  an  sich  schöne  v.  28  und  der 
monströse  v.  17  ein  und  demselben  Verfasser  zuzuschreiben  sind. 

Dir.  Dr  Schultz  aus  Münster:  In  der  Forschung,  welche  uns  hier 
entgegenge tritt,  liegt  viel  subjectives  und  willkürliches.  Wir  Schul- 
männer dürfen  sie  nicht  vor  der  Zeit  aufnehmen,  sonst  gewöhnt  sich 
der  Schüler  über  den  Klammem  den  Dichter  ganz  zu  übersehen.  Ehe 
nicht  Einigkeit  in  den  Resultaten  erreicht  ist,  müssen  derartige  Aus- 
gaben von  den  Schulen  fem  gehalten  werden. 

Dir.  Dr  Eckstein  »us  Halle:  Er  sei  nicht  so  conscrvativ  wie  der 
vorige  Redner  Schultz,  stehe  aber  auch  nicht  so  links  wie  Linker;  er 
hege  die  Farcht  vor  Nachtheilen  in  der  Schule  nicht,  theile  aber  auch 
die  Interpolationssucherei  nicht,  der  leicht  jüngere  Gelehrte  verfielen; 
mit  dem  Alter  werde  man  besonnener,  nachsichtiger  und  mache  sich 
den  Dichter  nicht  selbst.  Wolle  man  nach  den  hier  vorliegenden  Ver- 
fahrungsgrundsätzen  'an  die  deutschen  Dichter  gehen,  so  zweifle  er 
nicht,  dasz  man  auch  aus  Goethe  und  Schiller  einen  beträchtlichen  Theil 
werde  herausschneiden  können.  Gleichwol  sei  das  Verdienst  derartiger 
Untersuchungen  gar  nicht  zu  verkennen.  Man  sei  dadurch  endlich  von 
den  Exclamationen  der  göttinger  Schule  zurückgekommen:  quiwi  heile, 
quam  ptäcre,  quam  eleganter^  und  habe  gründlicher  in  die  Natur  des  Dich- 
ters und  das  Wesen  seiner  Dichtungen  eindringen  gelernt;  dafür  sei  er 
den  Herren  von  Herzen  dankbar ;  zu  ihnen  aber  rechne  er  auch  seinen 
hier  anwesenden  Freund  Martin  aus  Posen,  der  schon  vor  20  Jahren 
vieles  im  Horaz  als  herauszuwerfen  bezeichnet  habe.  Bei  der  In  Ode 
des  ersten  Buches  müsse  er  gestehen  nicht  einzusehen,  warum  Vs  1  u, 
2  ein  rrjXavyfg  sein  sollten;  die  beiden  Verse  seien  schwach,  aber  den 
Fehler  habe  das  ganze  erste  Buch  der  Oden;  Horaz  habe  erst  nach  und 
nach  schwimmen  gelernt. 

Linker  entgegnet:  Die  le  Ode  sei  nicht  schwach  und  rühre  offen- 
bar aus  derselben  Zeit  her,  wo  Exegi  monumenium  cet.  gedichtet  sei. 
Für  den  Wegfall  der  Dedlcation  bcinife  er  sich  auf  die  von  G.  Hermann 
aufgestellten  Gründe;  die  Rückflicht  auf  die  strophische  Abtheilung  er- 
fordere aber  dann  die  Ausscheidung  der  Stelle,  wo  der  Satz  vorher  mit 
dem  Ende  der  Strophe  zusammenfalle.  Bei  dem  Ende  müsse  man  auch 
fragen,  wer  denn  die  lyrici  vates  seien. 

Eckstein:  Darauf  antworte  er  mit  Hinweisung  auf  Klopstocks 
'Lehrling  der  Griechen'.  Warum  werde  an  der  Steigerung  in  den  letz- 
ten Versen  angestoszen?  Man  dürfe  den  Horaz  nicht  besser  machen 
wollen  als  er  wirklich  gewesen.    Indes  wolle  er  hier  nicht  die  Zeit  an- 


54      Beriebt  aber  die  17e  Pbilologen-Versammlang  in  Breslau. 

dem  verkürzen,  hoffe  yielmelir  mit  dem  Redner  privatim  noch  über 
manche  Punkte  zu  dlscutieren. 

Prof.  Dr  Hertz  aus  Greifs wald:  Es  genüge  nicht,  Interpolationen 
nachzuweisen,  man  müsse  auch  die  Frage  aufwerfen,  wann  und  wie 
denn  die  Interpolationen  entstanden.  Nachdem  Linker  darauf  ver- 
wiesen hatte  dasz  man  sie,  wenn  Martialis  XII  4:  Maecenas  atavis  re- 
gibus  ortus  eques  die  erste  Ode  vor  Augen  gehabt,  die  Interpolation  vor 
dessen  Zeit  geschehen  sein  müsse,  ^ahrt  Hertz  fort,  dasz  sich  doch 
auch  Citate  bei  Grammatikern  finden,  so  bei  Caesius  Bassus  (p.  2663  P.). 
Sei  das  Werk  des  Grammatikers  auch  nicht  selbst  von  dem  unter  Nero 
lebenden  Dichter  Caesius  Bassus  verfaszt,  so  beruhe  es  doch  auf  den 
von  jenem  gegebenen  Grundlagen;  man  werde  also  eine  vorneronische 
Interpolation  annehmen  müssen.  Linker:  Martialis  könne  sich  aller- 
dings auch  auf  Properz  beziehen;  des  Caesius  Bassus  Zeugnis  sei  zwei- 
felhaft ;  dasz  übrigens  schon  alte  Interpolationen  geschehen  seien ,  thue 
die  Erwähnung  der  unechten  invectiva  in  Salinstium  bei  Quintilian  dar. 
Hertz:  In  der  Zeit  des  Juvenalis  seien  Schulen  vorhanden  gewesen; 
es  würde  in  der  That  wunderbar  sein,  wenn  wir  von  den  kurze  Zeit 
vorher  entstandenen  Interpolationen  und  den  ursprünglichen  Texten 
keine  Kunde  erhalten  hätten.  Nachdem  Linker  darauf  hingewiesen, 
dasz  die  Gestaltung  der  Strophen  zu  der  Annahme  der  Interpolation 
zwinge,  so  dasz  die  Frage  nach  der  Zeit  davor  zurücktreten  müsse, 
erklärt  Hertz,  dasz  er  gar  nicht  die  ganze  Sache  selbst  abzumachen 
beabsichtigt,  sondern  nur  ein  einzelnes  Bedenken  geltend  gemacht  habe. 

Provinzialschulrath  Dr  Stieve  aus  Breslau:  Er  theile  Schultz*8 
Bedenken  nicht,  doch  müsse  er  darauf  aufmerksam  machen,  dasz  man 
das  erste  Gedicht  doch  erst  einmal  von  dem  Standpunkte  des  Humor 
ansehen  solle,  dann  würden  vielleicht  die  Bedenken  rücksichtlich  der 
bezeichneten  Verse  schwinden. 

Prof.  Dr  von  Leutsch  protestiert  zuerst  gegen  den  von  Eckstein 
der  göttinger  Schule  ertheilten  Hieb  —  den  übrigens  dieser  sofort  als 
nicht  auf  die  Nachfolger  Heynes  sich  beziehend  bezeichnet  — ,  sodann 
erklärt  er  die  Frage  nach  den  Strophen  bei  Horüz  für  gar  noch  nicht 
erschöpft;  man  habe  sich  eingebildet,  dieser  habe  nur  4zeilige  Strophen 
gemacht ,  er  gedenke  nachzuweisen ,  dasz  derselbe  auch  3  zeilige  ge- 
fertigt. 

Die  Zeit  gestattete  weder  die  Fortsetzung  der  Discnssion,  noch 
die  Abhaltung  der  noch  übrigen  angekündigten  Vorträge. 

Der  Präsident  Prof.  Dr  Haase  sprach  demnach  das  Schluszwort: 
Die  Zeit  der  Versammlung  ist  unerwartet  schnell  verschwunden  und 
ich  habe  das  letzte  Wort  an  Sie  zu  richten.  Mit  diesen  Worten:  'ich 
habe  das  letzte  Wort  an  Sie  zu  richten'  begann  auch  mein  Vorgänger 
in  Stuttgart  die  Schlüszrede,  und  wer  hätte  gedacht,  dasz  jenes  Wort 
das  letzte  sein  werde,  das  er  in  unseren  Versammlungen  gesprochen, 
dasz  so  bald  darnach  er  nicht  mehr  unter  den  lebenden  sein  werde? 
Nur  mit  ernsten,  wehmütigen  Gedanken  kann  ich  die  Versammlung 
schlieszen;  die  letzten  Jahre  haben  uns  ja  gelehrt,  um  wie  viele  theuere 
Mitglieder  wir  mit  jeder  neuen  ärmer  geworden  waren;  aber  gleichwol 
ist  mein  letztes  Wort  ein  freudiges.  Denn  es  entstammt  der  Ueber- 
zeugung,  dasz  die  Wissenschaft  fortlebt  und  noch  jederzeit  treue  und 
hingebende  und  neu  verjüngte  Pflege  findet.  Diese  Ueberzeugung  ver- 
danke ich,  verdanken  viele  mit  mir  den  Mitgliedern  der  gegenwärtig  zu 
Ende  gehenden  Versammlung.  Möge  dieselbe  Hoffnung  auch  nach  Jah- 
resfrist in  Wien  neue  Nahrung  und  Kräftigung  finden! 

G«h.  Oberregierungsrath  Dr  Wiese  aus  Berlin  sprach  darauf  in 
herzlichen  Worten  die  Dankbarkeit  aus  für  die  groszartige  Gastfreund- 
schaft, welche  die  Versammlung  in  Breslau  gefunden  und  für  ^e  freund- 


Bericht  Aber  die  17e  Plülologen-Versamnilang  ia  BroaUo.      55 

Ücbe  und  umsichtige  Thätigkeit  aller  derer,  welche  die  Leitung  derselben 
und  auch  ihre  Erfrenuog  besorgt. 

Im  Namen  der  jüngeren  Mitglieder  sprach  Gymnasiallehrer  König 
aus  Breslau  den  Dank  für  die  in  diesen  Tagen  erhaltene  reiche  Fülle 
von  Anregung  und  Belehrung  aus. 

Für  die  paedagogischeSection  waren  folgende  Thesen  gestellt: 
I)  Auf  zweckmäszig  eingerichteten  höheren  Lehranstalten  sollte  der  Be- 
ligionsunterricht  als  besonderer  Lehrgegenstand  nicht  erscheinen.  Privat- 
docent  Dr  Suckow.  —  U)  Thesen  in  Bezug  auf  das  Realschul- 
wesen, a.  Allgemeine:  1)  Die  Realschule  ist,  wie  das  Gymnasium, 
eine  Lehransialt  zur  Erwerbung  allgemeiner  Bildung.  2)  Die  Vielheit 
der  Unterrichtsgegenstände  in  der  Realschule  überhaupt,  wie  in  den 
einzelnen  Klassen,  ist  mehr  als  bisher  zu  beschränken.  3)  Eine  tiefere 
Bekanntschaft  mit  dem  Geiste  und  Leben  des  klassischen  Alterthums, 
so  weit  sie  bei  beschränkter  Benutzung  der  Quellenschriften  erreichbar 
ist,  musz  auch  auf  der  Realschule  erstrebt  werden,  b.  Besondere,  nur 
zum  Theil  mit  Nr  3  zusammenhängende:  1)  Die  Grundlage  alles  sprach- 
lichen Unterrichts  auf  der  Realschule  musz  das  Latein  sein.  2)  Der 
Unterricht  im  Lateinischen  und  Deutschen,  in  den  oberen  Klassen  auch 
der  in  der  alten  Geschichte,  musz  in  ^iner  Hand  liegpen.  3)  Die  besten 
Uebersetzungen  der  bedeutendsten  alten  Klassiker,  welche  auf  der  Real- 
schule nicht  gelesen  werden,  sind  in  die  Schülerbibliothek  derselben  in 
mehreren  Exemplaren  aufzunehmen.  Dr  Tagmann.  «-  III)  Auffor- 
derung zur  Mittheilung' Ton  Ansichten  und  Erfahrungen  über  zweck- 
mäszige  Bearbeitung  und  Einrichtung  von  Schulausgaben  griechischer 
und  lateinischer  Klassiker  mit  -  deutschen  Anmerkungen.  Dr  Ferdinand 
Asoherson.  —  IV)  Die  äuszere  und  innere  Kenntnis  des  Sprach- 
materials ist  wesentliche  Bedingung  für  den  sicheren  und  freudigen 
Fortschritt  in  der  Spracherlernung.  Dainim  darf  ihre  Erwerbung  weder 
nebensächlich  noch  lange  hinausgeschoben  werden;  sie  ist  vielmehr 
während  der  drei  ersten  Schuljahre  methodisch  und  praktisch,  nicht 
theoretisch  und  systematisch,  in  den  Mittelpunkt  des  Unterrichts  su 
stellen,  in  der  Art,  dasz  einerseits  die  Vorführung  und  Einübung  der 
grammatischen  Formen  daran  einen  Leitfaden  und  eine  Stütze  findet 
und  ihr  natürliches  Coraplement  bildet,  andererseits  durch  Veranlassung 
einer  unausgesetzten  indirecten  Wiederholung  der  Sprachschatz  nach 
und  nach  zum  unverlierbaren  Eigenthume  des  Schülers  werden  muss. 
Das  dabei  beobachtete  Verfahren  wird  aber  zugleich  eine  Festigkeit  in 
der  Prosodie  zur  Folge  haben,  die  eine  besondere  prosodische  Lection 
entbehrlich  macht.  Aus  solcher  Grundlage  kann  erst  die  Leetüre,  das 
schreiben,  das  sprechen  reichliche  Mittel  und  damit  Leben  schöpfen. 
Die  Durchführung  des  Planes  für  die  lateinische  Sprache  liegt  druck- 
fertig vor.  Dr  Ruthardt  in  Breslau.  —  V)  1)  Das  Griechische  soll 
auf  den  Gymnasien  denjenigen  Rang  haben ,  welchen  gegenwärtig  das 
Lateinische  hat ,  und  umgekehrt.  2)  Auf  der  Realschule  trete  das  Grie- 
chische an  die  Stelle  des  Lateinischen.  Dr  Oginski.  —  VI)  Uebungen 
in  der  griechischen  Versification  sind  für  Gymnasien  rathsam  und  geeig- 
net, die  Kenntnis  des  Griechischen  und  den  Privatfleisz  für  dasselbe  in 
den  Gymnasien  zu  fördern,  auch  über  diese  und  die  Universität  hinaus 
die  Liebe  für  die  griechische  Litteratur  zu  erhalten.  Dr  Schmalfeld, 
Oberlehrer  zu  Eisleben.  —  VII)  1)  Es  ist  eine  Pflicht  des  deutschen 
Gymnasiums  seinen  Schülern  den  Zugang  zu  einem  wissenschaftlichen 
Verständnis  unserer  Muttersprache  zu  eröffnen.  2)  Dies  ist  nur  auf 
historischem  Wege  und  nur  durch  ein  zurückgehen  auf  das  Altdeutsche 
möglich,  daher  hat  der  Unterricht  auf  diese  Bezug  zu  nehmen,  so  weit 
es  namentlich  das  Verständnis  der  neuhochdeutschen  Laut  Verhältnisse, 
Flexionsformen  und  der  Etymologie  erfordern.    3)   Ein  solcher  Unter- 


56     .  Bericitt  ttbejr  <fie  17e  Philologeo- Versammlung  io  Brealao. 

rieht  findet  Platz  innerhalb  des  Zeitmaszes,  welches  gegenwärtig  in  den 
meisten  Gymnasien  dem  Deutschen  in  den  beiden  oberen  Klassen  zuge- 
wiesen ist,  ohne  dasz  darüber  eine  andere  wesentliche  Aufgabe  des 
deutschen Unterridits  vernachlässigt  zu  werden  braucht.  Palm.  Cauer. 
—  yill)  Als  Aufgaben  zu  deutschen  Aufsätzen  in  den  obersten  Klassen 
der  Gymnasien  sind  Sentenzen  aus  Dichtern  oder  andere  bedeutende 
Aussprüche  viel  mehr  zu  empfehlen  als  die  Würdigung  historischer  Cha- 
raktere, oder  gar  als  Beden,  wie  sie  unter  diesen  oder  jenen  von  der 
Geschichte  erzählten  Umständen  gehalten  sein  könnten.  Director  Dr 
Schönborn.  —  IX)  ^ Es.  sind  Mittel  ausfindig  zu  machen,  um  den 
-naturwissenschaftlichen  Unterricht  in  den  Gymnasien  ~  den  naturge- 
schichtlichen in  den  unteren  und  mittleren  Klassen,  den  physikalischen 
in  den  oberen  Klassen  —  zu  heben  und  ihn  fruchtbringend  zu  machen.' 
Der  naturgeschichtliche  Unterricht  soll  in  den  untern  und  mittlem  Klas- 
sen ausfallen,  wenn  kein  geeigneter  Lehrer  vorhanden  ist,  und  diese 
Stunden  sollen  dem  geographischen  Unterrichte  zugetheilt  werden,  bei 
dem  auf  die  Naturgeschichte,  so  wie  die  Sagen  Kücksicht  genommen 
werden  musz.  Schwerlich  wird  ein  Lehrer  in  diesen  drei  Beziehungen 
den  gestellten  AuforderuDgen  genügen  können;  auch  zu  einer  übersicht- 
lichen Darstellung  gehört  genaue  Kenntnis  des  einzelnen.  Ist  ein  be- 
fähigter Lehrer  vorbanden,  dann  kann  in  Sexta  und  Quinta  wöchentlich 
in  2  Stunden  naturgeschichtlicher  Unterricht  ertheilt  werden.  Meinen 
25jährigen  Erfahrungen  zu  Folge  ist  man  nicht  im  Staude  das  Thier- 
reich  in  dieser  Zeit  bei  den  vielfachen  Wiederholungen  mit  Erfolg  durch- 
znnehmen.  Ist  dennoch  Liebe  und  Lust  bei  den  Schülern  in  dieser  Zeit 
geweckt  worden,  so  fällt  dann  in  Quarta  der  Unterricht  aus,  das  ge- 
lernte wird  zum  Tbeil  vergessen  und  in  Tertia  musz  bei  schon  verän- 
derten Anschauungen  die  Liebe  zum  Naturstudium  in  2  Stunden  wö- 
chentlich wieder  geweckt  werden.  Für  diese  Klasse  bleibt  nur  für  den 
Winter  Mineralogie,  für  den  Sommer  Botanik,  so  wie  eine  Uehersicht 
des  ganzen  Thierreichs  zu  lehren  übrig.  Man  könnte  auch  wie  folgt 
argumentieren:  Ist  die  Naturgeschichte  ein  geeignetes  Unterrichtsmittel, 
dann  musz  für  befähigte  Lehrer  gesorgt  werden;  ist  es  aber  kein  ge- 
eignetes Bildungsmittcl ,  so  lasse  man  den  Unterricht  ausfallen.  In 
Secunda  wird  in  einer  wöchentlichen  Stunde  Physik  gelehrt.  Meiner 
Ansicht  nach  eine  verlorene  Zeit,  die  anderweitig  besser  benutzt  wer- 
den könnte.  Es  bleiben  zwar  die  Schüler  zwei  Jahre  in  dieser  Klasse, 
aber  im  zweiten  Jahre  musz  zu  yiel  Rücksicht  auf  die  Unter  -  Secimda- 
ner  genommen  werden.  Jn  Prima  musz  also  das  weite,  interessante 
nnd  wichtige  Gebiet  der  Physik  abgehandelt  werden.  Die  Schüler  sind 
.aber  mit  der  Vorbereitung  zum  Abiturientenexamen  so  sehr  beschäftigt, 
dasz  auf  diesen  Gegenstand  wenig  Fleisz  verwendet  wird ,  zumal  sie 
wissen,  dasz  beim  Abituriontenexamen  darauf  nicht  Rücksicht  genom- 
men wird.  Nur  durch  gründliches  Studium  der  Naturwissenschaften 
kann  der  materialistischen  Richtung  unserer  Zeit  Einhalt  gethan  wer- 
den. —  X)  Es  ist  möglich  und  wünschenswerth,  dasz  die  Kegelschnitte 
kurz  und  bündig  in  der  Prima  vorgetragen  werden.  Dr  Fiedler,  Ober- 
lehrer zu  Leobschütz. 

Die  erste  Sitzung  derselben  wurde  von  dem  Vicepräsidenten  der 
allgemeinen  Versammlung  Provinzialschulrath  Dr  Stieve  eröffnet  und 
Dir.  Dr  Eckstein  zum  Vorsitzenden  vorgeschlagen;  es  lehnte  dieser 
jedoch  das  Ehrenamt  ab,  well  er  mit  den  hier  anwesenden  zu  wenig 
persönliche  Bekanntschaft  habe ,  und  schlug  statt  seiner  den  Dh'.  des 
Matthiasgymnasiums  allhier  Dr  Wissowa  vor,  der  sich  auch  zur  An- 
nahme bereit  erklärte. 

Auf  das  Ersuchen  desselben  übernahmen  Prof.  Dr  Dietsch  aus 
Grimma,  die  Oberlehrer  Guttmann  und  Dr  Cauer  aus  Breslau  and 


BerickI  über  $e  17e  Philologen- Versammlung  in  BrasUiii.      57 

Oberlehrer  von  Baczeck  aus  Qroszglogau  das  8ecretariat-  auch   für 
.  die  paedagogische  Section. 

Nachdem  der  Vorsitzende  den  Vorschlag  gethan  hatte,  zur  Aaswahl 
aus  den  gedruckt  vorliegenden  Thesen,  Vorschlägen  von  neuen  und  Vor- 
bereitung der  Debatte  nach  dem  Vorgange  anderer  Versammlungen  eine 
Commission  zu  ernennen,  bemerkte  Geh.  O.-Kegierungsrath  DrBrügg o- 
mann,  dasz  es  ihm  viel  kürzer  scheine,  wenn  sofort  darüber  abgestimmt 
würde,  welche  Thesen  und  in  welcher  Reihenfolge  dieselben  zur  Debatte 
kommen  sollten.  Eckstein  machte  dagegen  darauf  aufmerksam,  dasz 
zwar  einige  Thesen  leicht  als  kaum  behandelbar  erschienen,  wie  z.  B. 
Thesis  II,  da,  obgleich  die  RealschuUehrer  in  der  diesmaligen  Versamm- 
lung zahlreicher  als  in  anderen  vertreten  seien,  dennoch  die  überwiegende 
Zahl  der  Gymnasiallehrer  weder  ein  Recht  noch  die  nöthigen  Grundlagen 
besitze,  über  die  Angelegenheiten  der  Realschule  ein  Urteil  zu  geben; 
allein  die  Entscheidung  durch  Majoritätsbeschlusz  habe  doch  auch  sehr 
bedenkliche  Seiten  und  die  Ernennung  einer  Commission  werde  mit  ge- 
ringer Mühe  und  sicher  zu  deren  Vermeidung  fuhren.  Ihn  unterstützt 
Dietsch,  indem  er  anführt,  wie  es  für  den  Antragsteller  etwas  unge- 
mein verletzendes  habe,  wenn  ohne  Debatte  ohne  weiteres  seine  These 
als  ungeeignet  durch  eine  Majorität  verworfen  würde,  eine  Debatte  aber 
sich  so  weit  ausdehnen  könne,  dasz  für  die  eigentliche  Verhandlung  zu 
wenig  Zeit  bliebe;  eine  Commission  könne  durch  Gründe  die  Zurück- 
nahme einer  These  veranlassen  und  mit  bestimmt  formulierten  und  mo- 
tivierten Vorschlägen  vor  die  Versammlung  treten,  wodurch  dann  Un- 
annehmlichkeiten vermieden  und  die  Entscheidungen  erleichtert  wüi'den. 
Nachdem  jedoch  der  Präsident  der  allgemeinen  Versammlung  Prof.  Dr 
Haase  die  Ansicht  geäuszert  hatte,  dasz  wenn  die  Versammlung  sich 
sofort  über  die  Thesen  durch  Abstimmung  entscheide ,  sich  die  Zahl  sehr 
verringern  und  dadurch  die  Feststellung  einer  Ordnung  sehr  erleichtert 
werden  würde,  entschied  sich  auf  die  Frage  des  Vorsitzenden  die  Mehr- 
heit für  die  sofortige  Vornahme  der  Abstimmung,  durch  welche  die 
Thesen  III,  IV,  Vll  und  VIII  allein  zur  Verhandlung  bestimmt,  die 
übrigen  mit  gröszerer  oder  geringerer  Stimmenzahl  abgeworfen  wurden. 
Für  die  Reihenfolge  wurde  durch  Hrn  Geh.  O.-Regierungsrath  Dr  Brüg- 
gemann das  Loos  vorgeschlagen  und  ergab  dasselbe  nach  Annahme 
des  Antrags  durch  die  Versammlung  die  Reihenfolge  VIII,  IV,  III,  VII. 

Wegen  vorgerückter  Zeit  wurde  die  Sitzung  geschlossen. 

Zweite  Sitzung  am  29.  Sept. 

Der  Vorsitzende  Dir.  Dr.  Wissowa  theilt  mit,  dasz  Professor  Dr 
Ruthardt  seine  These  (IV)  zurückzuziehen  wünsche,  dagegen  das 
druckfertige  Manuscript  seiner  Abhandlung  auf  den  Tisch  des  Hauses 
niederlegen  werde,  damit  diejenigen,  welche  es  wünschen,  Einsicht  in 
dasselbe  nehmen  und  sich  mit  ihm  privatim  darüber  aussprechen 
könnten. 

Derselbe  theilt  ferner  den  Wunsch  des  Oberlehrers  Dr  Schmal feld 
aus  Eisleben  mit:  die  Versammlung  möge  ihm,  wenn  die  Tagesordnung 
erschöpft  und  noch  so  viel  Zeit  vorhanden  sei,  nur  15  Minuten  gewäh- 
ren, damit  er  seine  These  (VI),  die  ihm  eine  wahre  Herzenssache  sei 
begründen  und  der  weiteren  Beachtung  empfehlen  könne.  Auf  die  Frage 
des  Vorsitzenden  wurde  dieser  Wunsch  durch  Majorität  gewälirt.     . 

Ein  dritter  Antrag  des  Hrn  Vorsitzenden,  von  der  durch  das  Loos 
bestimmten  Ordnung  abzuweichen  und  die  Thesen  VII  und  VIII  als  ih- 
rem Inhalte  nach  zusammengehörig  aufeinander  folgen  zu  lassen,  derge- 
stalt, dasz  von  These  VIII  sofort  zu  These  VII   übergegangen  werde,  ^ 
erhielt  einstimmige  Annahme. 

Dir.  Dr  Schönborn  erhält  hierauf  das  Wort  zur  Begründung  sei- 
ner These  und  äuszert  sich  folgendermaszen:  er  habe  die  Thesis  weni- 


58       Bericht  ftber  die  17e  Philologen- Versammlang  in  Bresiao. 

ger  um  über  seine  Ansicht  andere  zn  überzengen ,  als  selbst  Belehrung 
zu  erhalten,  gestellt;   mit  Aufmerksamkeit  lese  er  stets  die  Programme» 
der  Gymnasien  und  besonders   die  in   denselben  mitgetheilten  Themata 
zu  den  freien  Arbeiten;  durch  viele  derselben  habe  er  Belehrung  gefun- 
den ,  andere  hätten  ihn  zum  Widerspruch  aufgefordert ,  namentlich  habe 
es  ihm  geschienen,  als  sei  in  neuerer  Zeit  eine  Gattung  von  Thematen 
sehr  in  Aufnahme   gekommen,   mit  denen   er  nicht  einverstanden  sein 
könne,   die  historischen  Charakteristiken;   er  halte  alle  geschichtlichen 
Themata  in  den  obersten  Klassen  für  sehr  bedenklich;   der  Zweck  der 
deutschen  Arbeiten  in  denselben  könne  kein  anderer  sein,  als  der,  dasz 
der  Schüler  sein  eignes  Denken  bewähren  solle,  dieser  werde  aber   an 
den  gescliichtlichen  Thematen  um  so  weniger   erreicht,   als    dieselben 
meist  zn  schwer  seien;  wie  schwer  sei  es  für  Männer  grosze  Persönlich- 
keiten zu  beurteilen,  wie  vielmehr  für  Schüler?    Sollten  diese  nur  wie- 
dergeben,  was  sie  in  den  Geschichtstunden  gehört,  so  sei  dies  nur  we- 
nig, der  Geschichtslehrer  miisse  sich  meist  mit  einem  dürftigen  Abrisse 
begnügen ;   wie   sei    es  nun  dem   Schüler  möglich ,   diese  Andeutungen, 
z.  B.  über  Pompejus,  zu  verarbeiten?   man  sage  vielleicht,  der  Schüler 
solle  darüber  nachlesen;  allein  wie  wenige  Bücher  stünden  demselben 
zu  Gebote  und  wie  weniges  böten  diejenigen,    welche   er    zu  Händen 
habe;  wolle  man  nun  auf  die  Quellen  selbst  verweisen,  z.  B.  bei  der 
alten  Geschichte  auf  Plutarch  und  Livius,    so  werde  der   Schüler  nur 
wieder  geb*en,  was  diese  ihm  böten,   nicht  Resultate   des  eignen  Den- 
kens ;  ja  es  sei  sogar  nicht  zu  wünschen ,  dasz  sie  mehr  gäben  und  mehr 
geben  wollten;  könne  man  wünschen,    dasz   ein  Primaner  den  Plutarch 
und  Livius  kritisiere  und  wider  sie   streite,   und   sei  nicht   die  Gefahr 
vorhanden,  dasz  eine  falsche  Einbildung  in  den  jungen  Leuten  genährt 
werde,    indem  sie  entweder  das  anderen   nachgesprochene  für  eigenes 
hielten  oder  glaubten ,  sie  seien  urteilsfähig  genug  um  über  grosze  Män- 
ner und  bedeutende  Geschichtschreiber  den  Stab   brechen    zu  können? 
Am   allerverwerflichsten  aber   seien  die  Reden  in  dieser  Gattung;    wie 
solle  der  junge  Mensch  sich  an  die  Stelle  des  Hannibal  versetzen  und 
aus  seinem  Geiste  zu  den  Soldaten  reden  können?   wie  solle  er   eine 
Vorstellung  von  dem  römischen  Senate  (die  Gelehrten  hätten   sie   erst 
durch  Mommsen  gewonnen)  besitzen ,  um  eine  Rede  des  Inhalts  und  der 
Form,  wie  sie  sich  vor   diesem  Collegium   gebührten,    ausarbeiten   zu 
können;  ganz  anders  verhalte  es  sich  mit  Sentenzen  —  natürlich  zweck- 
mäszig    gewählten;  *in    jeder    derselben    liege   eine,   ja  viele  Fragen, 
deren  Beantwortung  der  Schüler  durch  eignes  Denken  zu  suchen  habe; 
eine  rechte  Sentenz  zeichne  aber  auch  dem  Schüler  enge  Grenzen  vor, 
nnd  das  strenge  einhalten  derselben  sei  für  das  Wesen  eine  ganz  treff- 
liche Uebung;  deshalb  glaube  er,  dasz  solche  zu  Thematen  vielmehr  zu 
wählen  seien,  als  historische  Charakteristiken  und  vollends  Reden. 

ConsistorialrathDrBöhmer:  es  könne  Verwunderung  erregen,  dasz 
er  das  Wort  begehre,  da  er  Theolog,  nicht  Pädagog  und  Schulmann  sei, 
indes  die  Pädagogik  gehöre  zur  Ethik ,  einem  von  ihm  bearbeiteten  Ele- 
mente der  Theologie;  vor  Dir.  Schönborn  und  seinen  Verdiensten 
habe  er  persönlich  den  höchsten  Respect ,  um  so  mehr  fühle  er  sich  auf- 
gefordert über  seine  These  zu  sprechen ;  er  frage  ob  in  dieser  Versamm- 
,lung  die  Pädagogik  praktisch  oder  wissenschaftlich  zur  Geltung  kommen 
solle;  darnach  müsse  die  Frage  über  die  gestellten  Thesen  und  über 
Thesenstellung  überhaupt  beantwortet  werden.  —  Zur  Sache  gerufen, 
fährt  der  Redner  fort:  das  formelle  der  jetzt  vorliegenden  These  genüge 
ihm  nicht,  doch  wolle  er  davon  absehen  und  nur  über  das  substan- 
tielle derselben  seine  Zweifel  und  Bedenken  äuszei'n;  es  sei  gcäuszert 
worden,  dasz  historische  Charakteristiken  zu  schwierig  seien;  er  frage 
dagegen ,  ob  es  nicht  möglich  sei ,  dasz  Sentenzen  viel  mehr  Schwierig- 


Berieht  Ober  die  17e  Philoiocren-VersammlaDg  in  Brestaa.       50 

keiten  enthielten;  das  deutsche  Volk  sei  mit  Recht  als  ein  Volk  ron 
Denkern  bezeichnet  worden;  seine  Dichter  seien  aber  alle  die  tiefsten 
Denker;  könne  der  Schüler  denselben  folgen?  es  gebe  ferner  aber  auch 
metaphysische  Sentenzen  oder  solche,  welche  nur  ans  der  Metaphysik 
beurteilt  und  begprümdet  werden  könnten;  wie  viele  Schwierigkeit  habe 
nun  oft  eine  einzelne  Sentenz  ans  Piaton  einem  Schleiermacher  gemacht; 
sei  eine  solche  für  Schüler  als  Thema  geeignet?  kurz  seien  Sentenzen 
nicht  viel  schwieriger ,  als  historische  Charakterdarstellnngen,  bei  denen 
der  Schüler  nur  wiederzugeben  habe,  was  er  gelernt,  was  er  aus  dem 
Munde  eines  erfahrenen  Lehrers  vernommen;  die  Auctorität  des  Lehrers 
müsse  hier  zur  Geltung  kommen  und  der  Geschichtslehrer  bei  dem  Schü- 
ter  das  Vertrauen  haben,  dasz  was  er  ihm  gegeben,  ein  Resultat  eifri- 
gen und  gewissenhaften  forschens  sei;  er  sei  damit  einverstanden,  dasz 
Bildung  des  Urteils  Hauptsache  bei  den  freien  Ausarbeitungen  sei,  aber 
diese  scheine  ihm  am  besten  gefördert  zu  werden,  wenn  der  Schüler  ein 
ihm  gegebenes  Urteil  wiederzugeben  veranlaszt  werde. 

Dir.  Dr  Passow:  er  trete  nicht  als  Opponent  gegen  die  These 
auf,  glaube  sich  vielmehr  im  Wesen  und  Grunde  mit  dem  geehrten  Auf- 
steller derselben  einverstanden;  ein  Hauptgesichtspunkt  bei  der  Erzie- 
hung, ja  der  wichtigste  sei  die  Stählung  zu  sittlicher  Tüchtigkeit,  und 
die  deutschen  Aufsätze  seien  ein  Hauptmittel  dabei,  indem  sie  darauf 
hinführen  müsten,  dasz  der  junge  Mensch  wahr  werde,  wahr  denke, 
rede  und  schreibe;  dazu  sei  nöthig,  dasz  sie  Resultate  des  eignen  Den- 
kens der  Schüler  aussprächen,  aber  die  Gegenstände  müsten  um  so  mehr 
handlich  und  faszHch  sein,  damit  sich  das  Denken  nicht  grundlos  ins 
Blaue  verliere  und  fremdes  statt  eigenen,  Lüge  statt  Wahrheit  gegeben 
werde;  er  sei  deshalb  mit  Dir.  Schönborn  vollkommen  einverstanden, 
dasz  die  Form  der  Rede  auszer ordentlich  selten  anzuwenden  sei;  aber 
es  seien  doch  Fälle  denkbar,  in  denen  sie  nicht  allein  anwendbar,  son- 
dern auch  sehr  förderlich  sein  werde,  wenn  z.  B.  ein  antiker  Schrift- 
steller eine  Rede  kurz  angedeutet  habe  und  eine  vollständig  ausgear- 
beitete als  Gegensatz  dazu  vorliege;  da  werde  der  Schüler  genöthigt, 
sich  in  bestimmten  Grenzen  zu  halten,  gegebenes  auszuführen  und  dar- 
zustellen; aus  den  Programmen  ersehe  man,  dasz  auch  Dialoge  aufge- 
geben würden ,  ja  sogar  humoristischen  Inhalts ;  diese  seien  unbedingt 
zu  verwerfen;  eben  so  wenig  aber  könne  er  in  eine  unbedingte  Ver- 
werfung historischer  Charakteristiken  einstimmen;  es  sei  allerdings  in 
ihnen  eine  Verleitung  zum  aburteilen  vorhanden,  aber  es  sei  dies  bei 
der  Correctur  entschieden  abzuweisen;  dann  würden  die  Schiüer  sich 
desselben  schon  enthalten  und  schl,ieszlich,  wenigstens  die  besseren  auch 
einsehen  lernen  warum?  es  sei  allerdings  wahr,  dasz  wenn  ein  vollstän- 
diges Lebensgemälde,  wie  z.  B.  von  Plutarch,  vorliege,  der  Schüler 
nur  gebe,  was  er  vor  sich  habe,  allein  etwas  ganz  anderes  sei  es,  wenn 
die  Züge  zu  demselben  zerstreut  vorliegen,  z.  B.  über  Themistokles  oder 
Dareios  bei  Herodot;  die  Arbeit  des  sammelns  und  ordnens  sei  eine 
sehr  heilsame  und  zugleich  die  Lust  des  Schülers  erweckende  Uebung; 
es  gebe  jedoch  auch  historische  Themata,  die  sich  nicht  auf  einzelne 
Persönlichkeiten  bezögen,  über  die  der  Schüler,  was  der  Lehrer  nicht 
ausgeführt  habe,  vervollständigen  müsse;  solche  seien  Hauptentwick- 
lungsperioden, z  B.  die  Völkerwanderung  ,=  der  Untergang  der  Hohen- 
staufen ;  allerdings  würden  solche  Themata  da  am  zweckmäszigsten  sein, 
wo  der  deutsche  und  Geschichtsunterricht  in  derselben  Hand  liegen,  al- 
lein es  werde  sich  auch  sonst  das  rechte  Verhältnis  zwischen  zwei  Leh- 
rern finden ;  nicht  theilen  könne  er  dagegen  die  Vorliebe  für  Sentenzen ; 
er  erinnere  sich,  wie  ihm  ein  alter  erfahrener  Schulmann  gesagt,  er  müsse 
erst  jede  Sentenz  in  eine  Frage  umgieszen,  ehe  sie  zur  Bearbeitung 
gestellt  werden  könne;  also  sei  die  Sentenz  an  und  für  sich  noch  nicht 


60      Berioltt  Ober  die  17e  PlülologeD-Yersammlaiiff  in  Breslic. 

Bum  Thema  geeignet;  ein  gewissenhafter  und  einsichtsvoller  Lehrer 
werde  allerdings  nicht  zu  schwierige,  noch  gar  metaphysische  Sentenzen 
gehen  aus  Kant  und  Hegel,  er  werde  sich  z.  B.  an  Schiller  halten;  die 
Erfahrungen,  welche  man  mit  solchen  Thematen  mache,  könnten  sehr 
verschieden  sein:  seine  eigene  sei  vielleicht  eine  provinzielle  und  indi- 
viduelle, aher  sie  sei  gegen  dieselben;  er  habe  gesehen,  dasz  die  Schü- 
ler Sentenzen  nicht  gern  bearbeiten,  und  sie  sollten  doch  mit  Lust  ar- 
beiten; er  habe  ferner  gefunden,  dasz  sie  sich  damit  begnügten,  noch 
einmal  breit  zu  machen ,  was  die  Sentenz  in  präcis£ster  Kürze  biete ; 
endlich  habe  er  fast  stets  am  Schlüsse  solcher  Arbeiten  Cohortationen 
gelesen,  die  ein  widerwärtiges,  altkluges  und  unwahres  Moralisieren  eni-, 
hielten;  damit  wolle  er  aber  überhaupt  solche  Themata  nicht  verwerfen, 
nur  gegen  die  Bevorzugung  vor  allen  anderen  müsse  er  sich  erklären; 
unter  allen  Bedingungen  seien  diejenigen  Aufgaben  die  werthvolisten, 
zu  denen  der  Schüler  sich  eine  positive  Grundlage  erarbeiten  müsse; 
das  beste  Gebiet  dazu  sei  das  Alterthum,  hier  habe  der  Schüler  die 
Quellen,  aus  denen  er  jene  schöpfen  könne;  hier  habe  er  Fülle  des  Stof- 
fes; das  Bild  der  Pallas  Athene  aus  den  Stellen  des  Homer  zu  entwer- 
fen, welche  Anregung  biete  eine  solche  Aufgabe?  in  Summa  aber  gehe 
seine  Meinung  dahin :  man  kann  keine  Fcfrm ,  keinen  Inhalt  unbedingt 
verwerfen,  mit  Ausnahme  der  Gegenstände,  die  ganz  über  den  Kreis 
der  Schüler  hinausliegen;  die  Hauptsache  ist  positiver  Gehalt  als  Grund- 
lage, auf  dem  das  Denken  des  Schülers  sich  aufbaut,  damit  er  wahr, 
wenigstens  subjectiv  wahr,  mit  dem  Bewustsein  der  Wahrheit  sich  aus- 
sprechen könne. 

Prof.  Dr  Bonitz:  es  wolle  ihm  scheinen,  als  könne  man  bei  der 
Form  der  vorliegenden  These  zu  keinem  Ergebnisse  gelangen;  es  seien 
hier  zwei  ganz  auseinander  liegende  Gebiete,  die  keineswegs  die  einzi- 
gen seien,  bezeichnet,  und  für  jedes  ein  mehr  und  weniger  in  Anspruch 
genommen;  er  glaube,  man  werde  am  sichersten  zu  einem  Ziele  ge- 
langen, wenn  man  vielmehr  frage  i  unter  welchen  Bedingungen  sind 
Themen  aus  dem  einen,  unter  welchen  aus  dem  anderen  Gebiete  zu- 
lässig. 

Dir.  Dr  Eckstein:  allerdings  sei  die  These  in  dem  einen  Theile 
zu  weit,  in  dem  andern  zu  eng;  zu  weit  sei  sie  in  dem  vollständigen 
verwerfen  der  historischen  Themata;  Dir.  Passow  habe  hier  Themata 
als  zulässig  bezeichnet ,  welche  seiner  Ueberzeugung  nach  sich  mehr  für 
die  lateinischen  Aufsätze  eigneten;  dagegen  sei  nun  der  erste  Theil  viel 
zu  eng;  über  den  Zweck  der  Aufgaben  habe  sich  Passow  sehr  gut  ge- 
äuszert ;  Hauptsache  sei ,  dasz  der  Schüler  sich  erst  den  Stoff  erarbeiten 
müsse;  was  er  sich  erarbeite,  daran  arbeite  er  auch  freudig;  ein  Ge- 
biet, welches  eine  reiche  Quelle  zu  fruchtbarer  Arbeit  biete,  sei  noch 
gar  nicht  berührt,  das  der  deutschen  Litteratur,  die  den  manigf altigsten 
Stoff  biete,  zumal  wenn  sie  in  Verbindung  mit  der  alten  gesetzt  werde ; 
nehme  man  aus  Lessings  Schatz  z.  B.  den  Charakter  des  Lelio  und 
lasse  diesen  mit  einem  ähnlichen  bei  Plautus  vergleichen;  er  brauche 
nicht  weiter  auszuführen,  um  die  Fülle  von  geeigneten  Themen  zu  be- 
zeichnen, welche  sich  hier  finden. 

Oberlehrer  Dr  Cauer:  in  den  alten  Lehrbüchern  der  Stilistik  und 
Rhetorik  würden  das  genus  historicnm  und  das  genns  philosophicum 
unterschieden,  und  diesen  Unterschied  könne  man  recht  gut  festhalten; 
die  unbedingte  Verwerfung  des  erster en  könne  auf  keinen  Fall  gebilligt 
werden,  vielmehr  sei  es  gewis  ganz  zweckmäszig,  wenn  dabei  das  eigne 
arbeiten  des  Schülers  angeregt  und  geübt  werde;  er  habe  bei  seinem 
Untericht  öfters  geschichtliche  Themata  in  der  von  Director  Dr  Pas- 
sow bezeichneten  Weise  gestellt  und  seine  Erfahrung  habe  ihm  ein 
günstiges  Resultat  davon  gegeben;  die  von  Dir.  Dr  Eckstein  bezeichr 


Bierieht  ober  dkt  I7e  Philologen- Versammloog  ia  B^Im.      61 

neten  Aufgaben  fallen  ebenfalls  nnter  das  genas  bistoricum,  nnd  auch 
mit  derartigen  habe  er  gute  Erfahrungen. 

Dir.  Dr  Schober  ans  Glatz:  £e  ThUtigkeit  der  Schüler  in  den 
freien  Arbeiten  könne  nnr  reprodactiv  sein;  er  solle  wiedergeben,  was 
ihm  geboten  sei;  deshalb  seien  gerade  die  historischen  Themata  zu  em- 
pfehlen ,  bei  welchen  er  sich  an  das  vom  Lehrer  mitgetheilte  als  Grund- 
lage zu  halten  habe. 

Dr  Steiner  aus  Posen:  jedermann  werde  wol  damit  einverstanden 
sein,  dasz  das  sittliche  Princip  das  erste  sei,  eben  so  auch  dasz  Bil- 
dung des  Urteils  ein  Hauptzweck;  aber  hier  werde  eine  Beschränkung 
nothwendig;  denn  das  Urteil  dürfe  in  der  Schule  nur  auf  diejenigen 
Dinge  gerichtet  werden,  welche  die  Anschauung  durch  die  Sinne  und 
dann  durch  den  Verstand  voraussetzten,  die  Idee  liege  auszerhalb  des 
Kreises  der  Gymnasien;  für  die  Sentenzen  sei  tpeistentheils  die  gene- 
tische  Entwicklung  der  Begriffe  nothwendig ;  solche  müsten  ausgeschlos- 
sen werden;  namentlich  treffe  dies  Sentenzen  psychologischen  Inhalts; 
man  habe  oft  Sprüchwörter  als  Aufgaben  gestellt,  aber  die  Schüler  ar- 
beiteten daran  nnr  mit  Widerwillen,  weil  sie  entweder  nicht  wahr  oder 
nicht  gut  zu  heiszen  oder  dem  gemeinen  Leben  angehörend  seien;  wün- 
sche er  aber  so  das  Gebiet  dbr  Sentenzen  beschränkt,  so  könne  er  da- 
gegen mit  der  unbedingten  Verwerfung  der  Reden  nicht  einverstanden 
sein;  warum  wolle  man  sie  tadeln,  da  der  Schüler  doch  dabei  nach 
gegebenen  Momenten  arbeite  und  seiner  Phantasie  ein  freier  Spiel- 
raum eröffnet  werde?  das  historische  Material  endlich  gewähre  eine 
weite  Benutzung  und  durch  Verarbeitung  desselben  werde  recipiort  und 
reproduciert ;  seine  Ueberzeugung  gebe  dahin,  dasz  die  Wahl  von  Sen- 
tenzen zu  Thematen  sehr  zu  beschränken  sei,  doch  lasse  er  auch  ein 
Maasz  für  die  Reden  und  Charakteristiken  gelten. 

Geh.  Oberregierungsrath  Dr  Wiese:  er  müsse  als  seine  Ueberzeu- 
gung aussprechen,  dasz  die  Thesis,  wie  sie  vorliege,  eigentlich  nicht 
dispntabel  sei ;  der  deutsche  Unterricht  sei  unstreitig  der  schwerste,  die 
Wahl  der  Themata  zu  den  deutschen  Arbeiten  eine  rechte  Probe  der 
Lehrergeschicklichkeit;  das  Thema  sei  stets  ein  Resultat  des  Verhält- 
nisses ,  in  welchem  Schüler  und  Lehrer  zu  einander  stehen ,  und  des- 
halb eine  allgemeine  Norm  unmöglich;  Gott  sei  Dank,  es  hätten  alle 
Anstalten  des  preuszischen  Staats  ein  individuelles  Gepräge  und  eine 
eigene  Geschichte;  eine  Uniformität  sei  durchaus  nicht  zu  wünschen; 
ein  Lehrer  sei  durchaus  nicht  zu  tadeln ,  der  seine  Schüler  höher  führe 
als  es  in  anderen  Anstalten  geschehe;  ein  anderer  könne  leicht  ein 
Thema  sonderbar  finden,  und  doch  sei  der  Lehrer  es  zu  stellen  vollkom- 
men berechtigt,  wenn  er  seine  Schüler  dazu  vorbereitet  wisse  oder  selbst 
vorbereitet  Jiabe ;  das  Gebiet  des  historischen  und  philologischen  Unter- 
richts sei  als  dasjenige,  woraus  die  Themata  zu  entnehmen,  sehr  zu 
empfehlen ;  der  Schüler  müsse  dabei  arbeiten  und  lerne  wahrhaft  sein, 
während  bei  allgemeinen  Sentenzen  die  Gefahr  der  Verleitung  zur  Lüge 
nnd  feinen  Heuchelei  viel  gröszer  sei ;  welche  Gelegenheit  biete  die  klassi- 
sche Lectürc  zu  Arbeiten,  bei  denen  Material  zu  sammeln  und  zu  verar- 
beiten sei?  wie  überaus  reich  seien  Cicero*s  Briefe,  eine  nicht  genug  zu 
empfehlende  Lectiu-e,  um  daraus,  aus  dem  darin  gegebenen,  Charakte- 
ristiken arbeiten  zu  lassen;  der  Schüler  finde  femer  im  Homer  nnd 
Yergil  Helden,  deren  Charakter  nach  den  darin  gegebenen  Momenten 
zu  schildern  ihm  recht  wol  nnd  ohne  Gefahr  zugemutet  werden  könne; 
auch  die  Leetüre  der  Bibel  biete  dergleichen;  gegen  Charakteristiken 
des  Petrus,  Paulus,  Abraham  sei  gewis  nichts  einzuwenden;  man  könne 
gewis  nicht  in  Abrede  stellen,  dasz  Reden,  ja  selbst  Dialoge  unter  Um- 
ständen zulässig  seien ;  kurz  man  werde  nicht  weiter  kommen  als  dahin, 
dasz  die  Wahl   der  Themata  eine  Sache  der  Individualität  sei,  wobei 


64       Bericht  über  die  I7e  Philologen-VersammlaDg  in  Breski«'.  . 

überzeugendster  Weise  dargethan ,  wie  die  klassische  Sprachforschnng 
sich  auf  deu  historischen  Standpunkt  zu  stellen  habe;  für  die  deutsche 
Grammatik  habe  Jakob  Grimm  diese  Aufgabe  in  den  Gmndzügen  gelöst; 
hier  sei  also  ein  Vorbild  gegeben,  welches  auf  die  Methode  in  den  alten 
Sprachen  Einflasz  üben  werde;  die  deutsche  Grammatik  sei  anszerdem 
das  einzige  Mittel  das  Verständnis  der  Hlteren  deutschen  Litteratar  zu 
eröffnen,  und  dies  sei  allerdings  viel  werth,  aber  wichtiger  noch  er- 
scheine die  durch  sie  zu  erreichende  grammatische  Belehrung  und  Bil- 
dung; er  erinnere  sich  der  Aeuszerung,  welche  ein  Man^,  der  lange 
Zeit  am  äuszcrsten  Ende  des  deutschen  Sprachgebietes  gelebt  habe,  ge- 
than ,  dasz  er  im  inneren  Deutschland  einen  groszen  Mangel  an  Sprach- 
gefühl gefunden;  dieser  Mangel  sei  nur  durch  den  von  ihnen  vorge- 
schlagenen Unterricht  zu  beseitigen;  das  Interesse  für  die  Sprache  nud 
ihre  Erscheinungen  könne  in  der  Jugend  nur  durch  den  historischen 
Sprachunterricht  geweckt  werden;  was  nun  das  im  dritten  Satze  ausge- 
sprochene anlange,  so  habe  er  allerdings  die  Sache  nicht  versucht,  indes 
glaube  er  an  die  Möglichkeit. 

Auf  Ecksteins  Wunsch:  die  Herren  Antragsteller  möchten  doch 
ein  Bild  geben ,  wie  sie  sich  die  Möglichkeit  der  Ausführung  ihres  Vor- 
schlags gedacht,  weil  ohne  dies  die  Discussion  keine  feste  Grundlage 
gewinnen  könne,  fährt 

Cauer  fort:  für  Secunda  seien  bisher  2,  für  Prima  3  deutsche 
Stunden  wöchentlich  angesetzt;  «was  davon  auf  die  Correctur  der 'Auf-^ 
Sätze  und  deren  vorbereitende  Besprechung  verwendet  werde,  sei  auf 
keinen  Fall  zu  beschränken ;  auszerdem  werde  in  Secunda  A  Rhetorik 
und  Stylistik,  in  Prima  deutsche  Litteraturgeschichte  gelehrt;  nebenbei 
werde  Leetüre  geübt,  in  Secunda  die  poetische,  in  Prima  die  prosai- 
sche; um  zu  dem  grammatischen  Unterrichte  Zeit  zu  gewinnen,  sei  der 
erstcre  Theil  des  deutschen  Unterrichts  zu  beschränken  und  könne  ohne 
Schaden  beschränkt  werden;  schön  sei  die  Anleitung  zu  Gedichten  und 
zum  Styl ,  aber  der  Zweck  sei  uneiTeichbar,  die  Grammatik  ein  wesent- 
lichercß  Bedürfnis;  der  Unterricht  in  der  letzteren  sei  in  Secunda  zu 
beginnen  und  vielleicht  bis  Unterprima  in  wöchentlich  einer  Stunde 
durchzuführen ;  natürlich  dürfe  derselbe  nicht  nach  dem  System  mit  dem 
Gothischen  beginnen ,  nicht  nach  den  Perioden  ein-  und  abgetheilt  wer- 
den,  sondern  müsse  vielmehr  an  das  gegenwärtig  bestehende  anknüpfen; 
von  den  Lautverhältnissen,  den  Declinationen  und  Conjugationen  der 
Gegenwart  sei  auf  die  älteren  und  ältesten  leiten  mit  Einschlusz  des 
Gothischen  zurückzugehen,  und  die  Erkenntnis  der  Umwandlungen  und 
der  für  sie  geltenden  Gesetze  als  die  Hauptsache  zu  betrachten ;  in  den 
Händen  der  Schüler  werde  eine  kurze  Grammatik,  wie  die  von  Vilmar, 
damit  das  diciieren  vermieden  werde,  gute  Dienste  leisten;  eben  so  aber 
werde  denselben  ein  geeig^netes  Lesebuch  zur  Uebung  gegeben  werden 
müssen;  auf  diese  Weise  betrachteten  sie  die  Sache  als  ausführbar  und 
den  Zweck  erreichbar,  ohne  dasz  dadurch  anderen  Gegenständen  die 
Zeit  verkümmert  und  die  Kraft  der  Schüler  übermäszig  in  Anspruch 
genommen  werde. 

Wegen  vorgeschrittener  Zeit  muste  die  Discussion  auf  die  nächste 
Sitzung  verschoben  werden. 

Dritte  Sitzung  am  1.  Oct. 

Nach  der  Reihenfolge  der  zur  Discussion  über  Thesis  VII  angemel- 
deten Redner  erhält  zuerst 

Gymnasiallehrer  Dr  Reichel  aus  Wien  das  Wort:  die  von  Palm 
und  Cauer  in  Anregung  gebrachte  Sache  sei  auch  ihm  eine  Herzenssache, 
ohne  dasz  er  jedoch  dadurch  sich  versucht  fühle  über  das  erreichbare  Ziel 
hinauszugehen;  die  Sache  sei  ahch  eine  Ehrensache  für  das  deutsche 
Volk,  namentlich  den  regen  Bestrebungen   gegenüber,   welche  die  SUi- 


B^chl  aber  die  ITePhilologen^Versimmloiig  ia  Breslaa»      63 

vielit  mit  Recht  aus  den  unteren  Klassen  verbannt,  man  habe  mit 
',  die  Forderung  aufgestellt ,  dasz  alle  Lectionen  zur  Bildung  in  der 
iraprache  mitwirken  müsten,  aber  ganz  könne  doch  der  grammati- 
Unterricht  nicht  entbehrt  werden;  es  sei  die  Gefahr  Yorhanden, 
man  wie  man  früher  in  dieser  Hinsicht  zu  viel  gpethan,  so  jetzt  zu 
'  ihne;  man  behaupte  freilich,  dasz  das  Sprachbewustsein  und  die 
lg  unmittelbar  jeden  dahin  führe,  dasz  er  augenblicklich  richtig 
lie,  aber  es  treten  doch  zweifelhafte  Fälle  ein;  selbst  in  den  gebil- 
Ständen  werde  viel  unrichtiges  gesprochen,  ja  sogar  geschrieben; 
oäsziges  und  unregelmäsziges  werde  sehr  häufig  verwechselt  oder 
von  einander  geschieden;  der  junge  Mensch  werde  dadurch  zu 
uonen  gezwungen  und  wober  solle  er  nun  eine  Entscheidung  fin- 
es  sei  da  die  Gefahr  vorhanden',  dasz  er  entweder  sich  für  nichts 
leiden  könne  oder  für  das  falsche  entscheide;  aber  selbst  ohne 
Gefahr  sei  jedenfalls  das  Verhältnis,  in  welchem  das  Wissen  in 
ignen  Muttersprache  zu  dem  in  fremden  und  in  andern  Wissen- 
den stehe,  ein  unnatürliches;  könne  der  auf  den  Namen  eines  wis- 
baftlich  gebildeten  Mannes  Anspruch  machen,  müsse  sich  derjenige 
schämen,  der  in  wichtigen  Fragen,  wie  z.  B.  der  jetzigen  ortho- 
ischen,  sich  weder  zurecht  zu  finden  noch  zu  entscheiden  wisse; 
,  wenn  das  Gymnasium  in  dieser  Einsicht  gar  nichts  thue,  sei 
öszte  Sprachverwilderung  zu  fürchten;  das  Gymnasium  habe  femer 
auch  die  nöthige  Vorbildung  zu  den  späteren  wissenschaftlichen 
tndien  zu  geben;  könne  man  sagen,  dasz  sie  der  Jurist  besitze, 
er  nicht  befähigt  sei ,  die  Quellen  des  älteren  deutschen  Rechts  zu 
ihen?  und  brauche  nicht  auch  der  Theolog  die  Leetüre  manches 
^en  Werkes  aus  dem  Mittelalter?  Endlich  werde  in  den  Gymna- 
lie  deutsche  Litteraturgeschichte  gelehrt  und  dabei  die  Schönheit 
littelalterlichen  Dichterwerke  höchlich  gepriesen;  wie  aber?  die 
IT  könnten  sie  nicht  genieszen,  ja  nicht  einmal  kennen  lernen; 
Setzungen  in  das  Neuhochdeutsche  reichten  dazu  nicht  im  gering- 
.us. 

)  Der  Satz  'dies  ist  —  erfordern'  enthalte  die  Bedingung,  unter 
9r  allein  grammatischer  Unterricht  mit  Erfolg,  namentlich  mit  dem 
m  vorhergehenden  bezeichneten  ertheilt  werden  könne;  die  Be- 
ong  dafür  liege  in  der  historischen  Entwicklung  der  Sprache  selbst, 
Ige  deren  die  Grammatik  auf  jeder  Seite  in  die  Vergangenheit  zu- 
eise,  ebenso  wie  die  Mathematik  überall  auf  frühere  Sätze;  ohne 
irückgehen  auf  das  Altdeutsche  werde  man  weder  ein  rechtes  Masz, 
eine  rechte  Methode  für  den  grammatischen  Unterricht  erreichen; 
eher  Weise  ertheilt  aber  werde  der  deutsche  Unterricht  den  klas- 
n  nicht  nur  nicht  beeinträchtigen,  sondern  sogar  stützen;  die 
she  Philologie  sei  eine  strenge  Wissenschaft  und  gerade  diese  wis- 
laftliche  Strenge  werde  dem  Gymnasium  nützen;  die  deutsche  Phi- 
»  sei  eine  Errungenschaft ,  auf  die  das  deutsche  Volk  stolz  zu  sein 
Jrsache  habe;  solle  davon  nichts  für  das  Gymnasium  abfallen? 
Oberlehrer  Dr  Cauer:  man  werde  gegen  den  von  ihm  und  Herrn 
.  Palm  in  Vorschlag  gebrachten  Unterricht  das  Bedenken  erheben, 
durch  seine  Einführung  die  Concentration  werde  verhindert  und 
?ert  werden;  die  Concentration  sei  als  eine  berechtigte  Forderung 
und  durch  anzuerkennen,  allein  sie  könne  in  nichts  anderem  be- 
I,  als  darin,  dasz  alles,  was  in  und  innerhalb  der  Peripherie  falle 
(  rechte  Verhältnis  und  in  innige  Beziehung  zum  Centrum  gesetzt 
;  das  Centrum  des  Gymnasiums  sei  und  müsse  das  klassische  Al- 
jn  bleiben,  aber  nur  auf  dem  von  ihnen  bezeichneten  Wege  sei 
leutschen  Unterrichte  die  Beziehung  zu  jenem  Centrum  zu  geben; 
'  Eröffnungsrede  der  gegenwärtigen  Philologenversammlung  sei  in 


64       Bericht  über  die  I7e  PhnoIogen-VersammlaDgr  in  BH»s1«d. 

überzeugendster  Weise  dargethan ,  wie  die  klassische  Spraeliforsohiifig 
sich  auf  deu  historischen  Standpunkt  zu  stellen  habe;  für  die  deutsche 
Grammatik  habe  Jakob  Grimm  diese  Aufgabe  in  den  Grundztigen  gel5st; 
hier  sei  also  ein  Vorbild  gegeben,  welches  auf  die  Methode  in  den  alten 
Sprachen  Einflnsz  üben  werde;  die  deutsche  Grammatik  sei  anszerdem 
das  einzige  Mittel  das  Verständnis  der  Ulteren  deutschen  Litteratur  zu 
eröffnen,  und  dies  sei  allerdings  viel  werth,  aber  wichtiger  noch  er- 
scheine die  durch  sie  zu  erreichende  grammatische  Belehrung  und  Bil- 
dung ;  er  erinnere  sich  der  Aeuszerung ,  welche  ein  Manp  <,  der  lange 
Zeit  am  äuszcrsten  Ende  des  deutschen  Sprachgebietes  gelebt  habe^  ge- 
than ,  dasz  er  im  inneren  Deutschland  einen  groszQU  Mangel  an  Sprach- 
gcfdlil  gefunden;  dieser  Mangel  sei  nur  durch  den  von  ihnen  vorge- 
schlagenen Unterricht  zu  beseitigen;  das  Interesse  für  die  Sprache  und 
ihre  Erscheinungen  könne  in  der  Jugend  nur  durch  den  historischen 
Sprachunterricht  geweckt  werden;  was  nun  das  im  dritten  Satze  ausge- 
sprochene anlange,  so  habe  er  allerdings  die  Sache  nicht  versucht,  indes 
glaube  er  an  die  Möglichkeit. 

Auf  Ecksteins  Wunsch :  die  Herren  Antragsteller  machten  doch 
ein  Bild  geben ,  wie  sie  sich  die  Möglichkeit  der  Ausführung  ihres  Vor- 
schlags gedacht,  weil  ohne  dies  die  Discussion  keine  feste  Grundlage 
gewinnen  könne,  fUhrt 

Cauer  fort:  für  Secunda  seien  bisher  2,  für  Prima  3  deutsche 
Stunden  wöchentlich  angesetzt;  «was  davon  auf  die  Correctur  der 'Auf- 
satze und  deren  vorbereitende  Besprechung  verwendet  werde,  «ei  auf 
keinen  Fall  zu  beschränken ;  auszerdem  werde  in  Secunda  A  Rhetorik 
und  Stylistik,  in  Prima  deutsche  Litteraturgeschichte  gelehrt;  nebenbei 
werde  Lcctüre  geübt,  in  Secunda  die  poetische,  in  Prima  die  prosai- 
sche; um  zu  dem  grammatischen  Unterrichte  Zeit  zu  gewinnen,  sei  der 
erstcre  Tlicil  des  deutschen  Unterrichts  zu  beschrUnken  und  könne  ohne 
Schaden  beschränkt  worden;  schön  sei  die  Anleitung  zu  Gedichten  und 
zum  Styl ,  aber  der  Zweck  sei  unerreichbar,  die  Grammatik  ein  wesent- 
licheres Bedürfnis;  der  Unterricht  in  der  letzteren  sei  in  Secunda  tXL 
beginnen  und  vielleicht  bis  Unterprima  in  wöchentlich  einer  Stande 
durchzuführen;  natürlich  dürfe  derselbe  nicht  nach  dem  System  mit  dem 
Gothischcn  beginnen,  nicht  nach  den  Perioden  ein-  und  abgetheilt  wer- 
den, sondern  müsse  vielmehr  an  das  gegenwärtig  bestehende  anknüpfen; 
von  den  Lautverhaltnissen,  den  Declinationen  und  Conjugationen  der 
Gegenwart  sei  auf  die  älteren  und  ältesten  Zeiten  mit  Einschlaes  des 
Gothischen  zurückzugehen,  und  die  Erkenntnis  der  Umwandlungen  und 
der  iür  sie  geltenden  Gesetze  als  die  Hauptsache  zu  betrachten;  in  den 
Händen  der  Schüler  werde  eine  kurze  Grammatik,  wie  die  von  Vilmar, 
damit  das  dicticren  vermieden  werde,  gute  Dienste  leisten;  eben  so  aber 
werde  denselben  ein  geeigfuetes  Lesebuch  zur  Uebung  gegeben  werden 
müssen;  auf  diese  Weise  betrachteten  sie  die  Sache  als  ausführbar  und 
den  Zweck  erreichbar,  ohne  dasz  dadurch  anderen  Gegenständen  die 
Zeit  verkümmert  und  die  Kraft  der  Schüler  übermäszig  in  Anspmch 
genommen  werde. 

Wegen  vorgeschrittener  Zeit  muste  die  Discussion  auf  die  n'dehste 
Sitzung  verschoben  werden. 

DritteSitzungaml.  Oct. 

Nach  der  Reihenfolge  der  zur  Discussion  über  Thesis  VII  angemel- 
deten Redner  erhält  zuerst 

Gymnasiallehrer  Dr  Reichel  aus  Wien  das  Wort:  die  von  Palm 
und  Cauer  in  Anregung  gebrachte  Sache  sei  auch  ihm  eine  Herzenssache, 
ohne  dasz  er  jedoch  dadurch  sich  versucht  fühle  über  das  erreichbare  Ziel 
hinauszugehen;  die  Sache  sei  ahch  eine  Ehrensache  für  das  deutliche 
Volk,  namentlich  den  regen  Bestrebungen   gegenüber,   welche  die  SUi* 


liridil  Iber  die  17e  Philologea-VerMninleBg  in  Brettai.      66 

fHr  ihre  Sprachen  und  deren  Erkenntnis  belebten;  da  In  Oester- 
d«r  Vorseblag  für  die  Oymnasien  rein  dentscher  Sprache  bereite 
sei,  und  Dir.  Dr  Eckstein  die  Frage  nach  dem  Wie? 
habe,  so  halte  er  es  nicht  für  unzweckmäszig  die  Art  nnd 
)f  wie  in  seinem  Vaterlande  verfahren  werde,  kurz  auseinanderzn- 
;  in  der  V.  n.  VI.  Kl.  des  Obergymnasiums ,  welche  der  prenszi- 
Unter-  nnd  Oberseconda  entsprechen,  werde  einige  Kenntnis  der 
»sehiehtlichen  Entwicklang  des  deutschen  Volkes  von  Albr.  v. 
bis  SQ  Göthes  Tod  gegeben ,  und  zwar  durch  Lecttire  ron  Mu  • 
l^ivl&oken,  an  welche  nur  Bemerkungen  über  Person  der  Dichter  und 
M^ZcitverhSltnisse  angeknüpft  würden.  Für  die  Kl.  VII  (etwa  die  preusz. 
Itaftnpnma)  seien  3  Stunden  wöchentl.  bestimmt;  davon  entfielen  1  oder 
M^iBtunde  für  die  Correctur ,  die  übrige  Zeit  werde  auf  das  Mittelhoch- 
MttMlie  verwendet;  in  VIII  (der  Oberprima)  werde  dies  scheinbar  fal- 
iB  gelassen  und  an  Lesestücke  die  nothwendigsten  litterarhistorischen 
ifeA  Kathetischen  Erläuterungen  angeknüpft  nebst  einer  kurzen  lieber- 
Artit  fiber  die  Gattungen.  So  werde  der  Unterricht  in  Oesterreich  er- 
iMÜt  und  die  Erfahrung  habe  bis  jetzt  die  Zweckmäszigkeit  bewiesen; 

rtor  That  sei  auch  durch  die  Hereinziehung  des  Mittelhochdeutschen 
Ata  Kreis  der  Gymnasien  eine  zu  grosze  Vervielfältigung  der  Lehr- 
MBoatlnde  nicht  zu  besorgen;  die  Vergleichung  der  beiden  klassischen 
MMhen  unter  sich  führe  nothwendig  zum  Deutschen;  die  drei  schwa- 
Mn  C<n!^ugationen  (i — ei — o)  geben  ein  überraschendes  Licht  für  die 
MMrinlaehen  Conjugationen ;  in  Bezug  auf  die  Frage,  wie  weit  Sprachver- 
Mcilimut  in  den  Gymnasien  zulässig  sei,  müsse  allerdings  grosze  Vor- 
■Aft  beobachtet  werden;  in  fast  allen  österreichischen  Gymnasien  sei 
dia  griechische  Grammatik  von  Curtius  eingeführt  und  dadurch  ein 
leitendes  Beispiel  gegeben,  wie  die  feststehenden  Resultate  der 
Ipnwkvergleichung  für  die  Grammatik  der  einzelnen  Sprache  zu  be- 
(taeii  seien;  in  Oesterreich  würden  vielleicht  bei  der  Leetüre  viel  mehr 
Umidstische  Notizen  angeknüpft,  als  in  anderen  Ländern,  es  sei  dies 
Int  ftber  durch  das  herschen  vieler  Sprachen  nebeneinander  nicht  allein 
IMeehtfertigt ,  sondern  auch  geboten;  soweit  sei  er  nun  mit  den  Herrn 
fcÜiagsteUern  einverstanden,  aber  erklären  müsse  er  sich  gegen  die 
Mtslichkeitsconsequenzen ,  die  sie  gezogen  hätten;  man  habe  darauf 
PlÜt  gelegt,  dasz  für  zweifelhafte  Fälle  aus  dem  Mittelhochdeutschen 
Mieheidnng  geholt  werden  könne,  aber  nach  der  Regel  desselben 
tade  der  Schüler  viele  Fehler  begehen,  die  er  gleich wol  mit  Beispielen 
MkMD  könne;  in  allen  solchen  Fällen  ergebe  sich:  der  lebende  hat 
lirat,  nicht  das  Mittelalter;  die  Klassiker  der  Neuzeit,  nicht  der  Vor- 
IIK  beherschen  die  Sprache ;  wenn  man  auch  zugestehe ,  dasz  die  Gram- 
iätik  möglichst  historisch  zu  betreiben  sei,  so  müsse  es  doch  aus  an- 
IfeMB  Gründen  geschehen ;  wenn  man  aber  von  wissenschaftlicher  Gram- 
Htik  für  die  Schüler  spreche ,  so  müsse  man  vor  allen  Dingen  begren- 
mäf  wie  weit  die  Forderungen  gehen;  zweitens  müsse  er  sich  gegen 
■•  aeharfe  Betonung  des  grammatischen  Unterrichts  erklären;  neu- 
lodideutsche  Grammatik  lerne  kein  Schüler;  er  halte  sie  nicht  für 
Mlhwendig,  weil  ihm  das  unbewuste  Sprachgefühl  das  richtige  lehre; 
voHe  man  sie  auch  nur  als  Grundlage  lehren,  um  von  ihr  aus  in  die 
reigangenheit  zurückzugehen,  so  werde  man  ein  Interesse  bei  der  Ge- 
laastheit  nur  dann  erwecken,  wenn  man  Tiefe  und  Gmndlichkeit  er- 
ilrebe ,  zu  dieser  aber  sei  das  Gymnasium  nicht  der  Platz ;  seine 
Teberzengung  sei  demnach,  dasz  nur  die  Leetüre  für  diesen  Unterricht 
Im!«  werden  könne;  das  empfohlene  Buch  von  Vilmar,  dessen  Namen 
^hon  auf  den  vielbesprochenen  hindeute,  könne  er  deshalb  nicht  ge- 
dgnet  finden;  es  enthalte  zu  viel  Grammatik  und  nur  winzigen 
jaaeatoff. 

19,  JaMf.  f.  PhU.  ».  Paed,  Bd  LXXVIII.  Bß  1.  ^ 


66      Bericht  aber  die  17e  Philologen- Versammlang  in  Breslao. 

Consist.  B.  De  Böhmer:  er  miisse  die  Frage  anfwerfen  ob  man 
hiBtoriäcb  und  wissenschaftlich  hier  für  identisch  nehme;  die  Begriffe 
seien  es  und  dies  nur  das  specielle,  jenes  das  allgemeine;  wolle  man 
aber  das  historische  betreiben,  so  müsse  man  auf  das  genetische,  auf 
die  psychologische  Grundlage  der  Sprache  zurückgehn;  da  dies  nicht 
geschehen,  so  erscheine  ihm  der  erste  Satz  in  der  Thesis  nicht  klar; 
eben  so  nehme  er  auch  an  dem  Worte  '  Zugang '  Anstosz ,  da  dasselbe 
doch  nur  die  Darreichung  des  historischen  bedeuten  solle  und  könne; 
in  dem  zweiten  Satze  müsse  er  sich  gegen  das  Wörtchen  'nur'  erklilren, 
da  es  doch  auch  noch  andere  Wege  gebe;  wenn  aber  'nur'  gestrichen 
und  das  zurückgehen  auf  die  psychologische  Grundlage  eingefügt  werde, 
«ei  er  mit  der  Thesis  vollkommen  einverstanden. 

CoUegien-Rath  y.  Thrftmer  aus  Rogasen  hält  zuerst  de  scripto, 
dann  auf  die  Erinnerung,  dasz  dies  gegen  den  Gebrauch  sei,  frei  fol- 
genden Vortrag: 

Der  erste  Satz  der  VII.  These  sagt:  es  ist  eine  Pflicht  des  deut- 
schen Gymnasiums,  seinen  Schülern  den  Zugang  zu  einem  wissen- 
schaftlichen Verständnisse  unserer  Muttersprache  zu  eröffnen. 
80  sehr  ich  dieser  Behauptung  beistimme,  insofern  dadurch  der  in  neue- 
ster Zeit  aufs  neu  beliebte  'gelegentliche'  Unterricht  in  der  Grammatik 
der  Muttersprache  für  unwissenschaftlich ,  für  nicht  ausreichend  für  die 
Gymnasialbildung  erklärt  wird,  so  bestimmt  musz  ich  doch  andererseits 
gemäsz  meiner  Lehrererfahrung  aussprechen,  dasz  ich  die  Pflicht  des 
deutschen  Gymnasiums  (oder  allgemeiner  gesagt :  der  deutschen  Schule) 
in  Bezug  auf  den  deutschen  Sprachunterricht  in  der  aufgestellten  These 
EU^  eng,  zu  wenig  tief  gefaszt  finde.  Im  Zusammenhange  damit  ist  denn 
auch ,  wie  mir  scheint,  der  Weg,  auf  welchem  jener  Pflicht  zu  genügen 
ist,  nicht  ganz  richtig  angegeben  worden;  es  wird  nemlich  im  zweiten 
8atze  der  VII.  These  darauf  hingedeutet,  dasz  unter  dem  wissenschaft- 
lichen Verständnisse  der  Muttersprache,  zu  dem  das  Gymnasium  seinen 
Schülern  den  Zugang  zu  eröffiien  die  Pflicht  habe ,  namentlich  das  Ver- 
ständnis der  neuhochdeutschen  LautTerhältnisse,  Flezionsformen  und  der 
Etymologie  gemeint  sei,  welches  nur  durch  ein  zurückgehen  auf  das 
Altdeutsche  zu  ermöglichen  sei.  —  Ich  kann  nun,  da  es  dem  Unter- 
richt in  der  deutschen  als  einer  lebenden,  als  der  Muttersprache  gilt^ 
nicht  anders  als  die  Behauptung  aussprechen:  sein  nächster  Zweck,  seine 
nächste  Pflicht  ist,  den  Schüler  zu  einem  so  sicheren  Gebrauche  dieser 
Sprache  zu  führen ,  dasz  demselben  für  jeden  Gedanken  alsbald  der  ent- 
sprechende Ausdruck  schriftlich  wie  mündlich  zu  Gebote  steht  —  also 
zu  dem  zu  führen,  was  Rückert  kurz  und  treffend  Sprachbändigung 
genannt  hat.  Wie  wenig  aber  der  Schüler  für  diesen  Zy^eck  gewinnt, 
wenn  man  ihn  in  den  beiden  oberen  Gymnasialklassen  ins  Altdeutsche, 
wie  die  Thesensteller  wünschen,  eiuHihren  wollte,  wird  jeder  Lehrer  be-. 
»tätigen ,  der  anhaltend  mit  der  Correctur  deutscher  Aufsätze  zu  thnn 
gehabt  hat.  Denn  die  allerwenigsten  der  Fälle,  über  die  bei  Leitung 
der  Aufsatzübungen  Belehrung  zu  geben  nothwendig  ist,  finden  Erledi- 
gung aus  dem  Studium  des  Altdeutschen,  ja  haben  bisher,  wie  nament- 
lich die  syntaktischen  Fälle,  nur  irgend  eine  Berücksichtigung  in  den 
Forschungen  der  Germanisten  gefunden.  Grimms  in  sonstiger  Bezie- 
hung so  Terdienstliche  deutsche  Grammatik  ist  mit  dem  4.  Bande  gerade 
in  den  Anfängen  der  Syntax,  in  der  Lehre  vom  einfachen  Satze  stecken 
geblieben,  und  es  ist  nicht  unbekannt,  dasz  eine  Fortsetzung  des  Wer- 
kes nach  der  Richtung  der  Studien  des  Meisters  nicht  zu  erwarten  steht« 
Gerade  wissenschaftliches  Studium  der  deutschen  Syntax  ist  es  aber« 
was  noth  thut ,  wenn  man  zur  Sprachbändigung  kommen  soD,  nicht  aber 
dasz  der  Schüler  erfährt,  wie  geschrieben  werden  müsse  'gieng,  fieng', 
w^l  es  ursprünglich  eine  Reduplikationsform  sei,  wie  die  frühere  Gene« 


Beriebl  aber  die  17e  Philologen- Versanmlancr  in  Breaiaa.       67 

tivendnng  gewisser  Feminina  i  sick  erhalten  habe  in  BrUutigam  and 
Nachtigall,  wie  Frau  das  Femininum  von  Frohe  (Herr)  and  Mensch  eine 
Adjektivbildong  von  Mann  sei  usw.  Solche  Notizen  mögen  der  Jagend 
mitunter  ganz  interessant  sein,  allein  im  ganzen  und  groszen  ist  das 
mehr  eine  Wissenschaft  für  Männer  als  für  Knaben ;  man  kann  jene  No- 
tizen (und  wolverstanden  auch  nur  als  letzte  Ergebnisse  der  Forschun- 
gen der  Wissenschaft)  der  Jugend  ganz  wohl  nur  gelegentlich  geben, 
da  die  dem  deutschen  Iiehrfache  auf  den  Gynmasien  zugemessene  Zeit 
es  nicht  zuläszt,  die  Schüler  gründlich  und  vollständig  in  die  historischeiL 
Forschungen  einzufühi*en.  In  die  Kenntnis  der  neuhochdeutschen  Syn- 
tax musz  der  Schüler  dagegen  gründlich,  d.  h.  durch  einen  systematisch 
fortschreitenden  und  das  ganze  Gebiet  durchlaufenden  Unterricht  einge- 
fükrt  werden.  Dazu  sind  allerdings  auch  historische  Studien  noth wen- 
dig, allein  die  führen  auf  anderes  Geschichtsgebiet  als  das  der  altdeut- 
schen Sprachstudien ;  da  gilt  es  viel  mehr ,  als  auf  das  Mittel-  und  Alt- 
hochdeutsche zurückzugehn,  wo  die  syntaktischen  Verhältnisse  noch  viel 
einfacher  und  weniger  geordnet  sich  zeigen,  da  gilt  es  vielmehr  die  Ent- 
wicklung des  Neuhochdeutschen  selber  seit  der  Reformation,  also  den 
Sprachgebrauch  Luthers  und  seiner  Zeitgenossen,  der  schlesischen  Scha- 
len, des  Gottschedschen  Zeitalters,  Lessings,  der  Sturm-  und  Drangpe- 
riode usw.  in  Betrachtung  zu  ziehen  und  sich  den  Beichthum  der  ia 
diesem  geschichtlichen  Verlaufe  entwickelten  Formen  mit  Bewuatsein 
und  in  voller  Sicherheit  anzueignen. 

Es  bedarf  aber  für  unsere  Schüler  nicht  allein  der  Aneignung  der 
Fertigkeit,  die  Gedanken  nach  freiem  Belieben  ausdrücken  zu  können, 
der  einzelne  soll  nicht  allein  Macht  erlangen  über  die  Sprache,  er  soll 
auch  zu  der  Erkenntnis  kommen,  dasz  umgekehrt  die  Muttersprache 
eine  Macht  ist,  ein  Recht  hat,  die  über  ihm,  dem  einzelnen  im  Volke 
stehen.  Und  da  kann  ja  in  unserer  Zeit  ein  jeder  besonnene  Freund 
der  deutschen  Sprache  nicht  umhin ,  seinen  Blick  auf  zwei  Erscheinun- 
gen zu  richten,  welche  die  schlimmste  Sprachverwilderung  mit 
sich  führen  dürften,  die  je  unsere  Muttersprache  bedroht  hat,  wenn  eben 
nicht  bei  Zeiten  dem  entgegengearbeitet  wird.  Auf  der  einen  Seite  hat 
sich  nemlich  der  Verkehr  der  Stämme  und  Völker  in  unseren  Tagen  so 
sehr  gesteigert,  dasz  daraus  nicht  allein  eine  anorganische  Vermischung 
der  verschiedenartigen  deutschen  Mundarten,  sondern  auch  eine  allmäh- 
Hohe  Mischung  der  deutschen  Sprache  mit  den  dieselbe  rings  umgebenden 
fremden  Zungen  sich  herauszubilden  droht,  welche  das  individuelle  Le- 
ben der  neuhochdeutschen  Schriftsprache  wesentlich  beeinträchtigen 
würde.  Andererseits  thut  sich  zu  der  selbigen  Zeit  ein  Geist  des  Sub- 
jeetivismus  hervor,  der,  wie  er  sich  über  alle  objectiven,  geschichtlich 
berechtigten  Schranken  der  gröszeren  Allgemeinheit,  welcher  der  einzelne 
angehört ,  über  Volkssitte  und  Glauben  der  Väter  hinwegzusetzen  strebt, 
so  auch  ein  falsches  Recht  individueller  Willkür  gegen  die  Gesetze  der 
angestammten  Sprache  geltend  zu  machen  versucht.  Mangel  an  Be- 
wustsein  von  dem  eigenthümlichen  Wesen  der  deutschen  Sprache  ist  es, 
was  einen  im  Strome  der  Zeit  an  jene  Klippe  der  Sprachmengerei  hin- 
föhrt;  bewuste  Willkür  vorwitziger  und  pietätsloser  Sprachverbesserei 
führt  auf  die  andere  Seite.  Beiderlei  Zuge  der  Zeit  stellt  sich  entgegen 
das  Sprachgewissen,  welches  das  fremde  vom  ächtdeutschen,  das 
berechtigte  vom  unberechtigten,  willkürlichen  unterscheiden  lehrt,  und 
dies  Sprachgewissen  in  der  heranwachsenden  deutschen  Jugend  zu  er- 
wecken und  zu  pflegen,  das  ist  es,  nach  welcher  Seite  hin  ich  den  Be- 
griff der  Pflicht  der  deutschen  Schule  in  Bezug  auf  den  deutschen 
Sprachunterricht  in  der  aufgestellten  These  nun  noch  um  soviel  mehr' 
geschärft  und  vertieft  zu  sehn  wünschte.  Sprachgewissen  ist  gar  viel 
mehr  als  wissenschaftliches  Sprachverständnis ,  Sprachgewissen  ist  ein 

5* 


68      Barifilit  Ober  die  17e  Philologei-Versanimlinig  in  Bresk«. 

wesentlich  sitüicher  Begriff,  es  ist  ein  Theil  vom  allgemeinen  (Jewisseii. 
Das  Sprachgewissen  erkennt  in  den  Ordnungen  und  Gksetsen  der  Mni- 
tersprache  nicht  blos  ein  geschichtlich  hergebrachtes  und  insofern  in- 
teressantes, sondern  ein  gottgewolltes,  göttlich  berechtigtes  und  inso-  , 
fem  mit  tiefstem  sittlichem  Ernste  zu  respectierendes.  Gott  selber  hat, 
wie  Paulus  Apostelgesch.  17,  26  sagt,  gemacht,  dasz  aus  Einern  Blute 
verschiedene  Geschlechter  der  Menschen  auf  Erden  herrorgegangen  sind, 
und  hat  ihnen  Ziel  gesetzt,  wie  lange  und  weit  sie  wohnen  sollen',  auf 
dasz  ein  jedes  (in  seiner  Weise)  den  Herrn  suchen  solle,  ob  es  ihn  doch 
jßlhlen  möchte,  d.  i.  Gott  der  Herr  selber  hat  verschiedene,  mit  beson- 
deren Anlagen  zu  verschiedenen  geschichtlichen  Aufgaben  ausgerüstete 
Yölkerseelen  gewollt ,  deren  Lebensgeist  sich  in  verschiedenen  Sprachen 
kund  gibt.  Demgemäsz  ist  es  Aufgabe  jedes  Volkes,  sich  selber,  wie 
überhaupt,  so  auch  aus  seiner  Sprache  nach  der  ihm  eigenthümlichen 
Begabung  zu  erkennen,  umgekehrt  aber  auch  wieder  diese  seine  beson- 
dere Spracbe  zu  erkennen  als  den  treuesten  Abdruck  seines  innersten 
Gemüts-  und  Geisteslebens  und  damit  zu  erkennen  die  Pflicht,  seine 
angestammte  Sprache  in  ihrer  Besonderheit  und  Reinheit  zu  erhalten, 
gemäsz  ihrer  Eigenthümlichkeit  zu  pflegen,  als  ein  unveräuszerliches 
Gut  daheim  und  in  der  Fremde  festzuhalten,  gleicherweise  aber  auch 
8u  lernen,  sich  jenen  objeciiven  geschichtlich  berechtigten  Ordnungen 
SU  fügen  in  freier  Willigkeit,  d.  i.  aus  Einsicht  in  ihren  Werth,  als 
welcher  für  den  einzelnen  Volksgenossen  hauptsächlich  darin  besteht, 
dasz  er,  wenn  er  sich  über  sich  selbst  besinnt,  in  jenen  Ordnungen 
wahrhaft  sieh  selber  wiederfindet.  Es  musz  mithin  zu  dem  Sprachge- 
wissen wesentlich  auch  die  Liebe  zur  Muttersprache  als  zu  einem 
nnveräuszerlichen  Gute  hinzukommen«  Wie  wenig  aber  gerade  der 
Deutsche  solche  Liebe  besitzt,  das  musz  ich  als  von  dem  Vorposten 
deutscher  Nationalität  gegen  Osten,  aus  den  deutschen  Ostseeprovinzen 
Buszlands  herstammend  mit  Schmerz  bezeugen;  ganze  Schaaren  meiner 
Landsleute,  der  deutschen  Liv-,  Kur-  und  Ehstländer  wandern  jährlich 
in  das  grosze  russische  Reich  aus,  .und  nur  zu  bald  haben  wir  zurück- 
bleibenden bisher  in  Bezug  auf  nicht  wenige  unter  ihnen  die  Kunde  er- 
halten müssen,  wie  sie  unter  dem  fremden  Volke  nach  und  miteinander 
die  deutsche  Sprache,  die  deutsche  Sitte,  die  deutsche  Bildung,  die 
deutsche  Treue,  ja  einzelne  selbst  den  väterlichen  Glauben  dahingehen. 
Und  hat  nicht  ein  gleiches  noch  auf  dem  berliner  Kirchentage  der  Pro- 
fessor Schaff  aus  Pennsylvanien  von  den  deutschen  eingewanderten  in 
Nordamerika  mit  einschneidendem  Ernste  bezeugen  müssen  I  —  Wenn 
nun  aber  ein  germanistischer  Unterricht  in  der  deutschen  Sprache  schon 
nicht  dazu  sich  dienlich  erweist,  unsere  Schüler  zur  Sprachbändignng 
BU  fuhren ,  so  ist  er  noch  viel  weniger  im  Stande ,  der  eben  nachgewie- 
senen Pflicht  der  deutschen  Schule  ein  Genüge  zu  leisten,  nemlich  in 
der  deutschen  Jugend  das  Sprachgewissen  zu  befestigen,  die  Liebe  zn 
der  angestammten  Sprache  als  einem  nnveräuszerlichen  Gute  zu  erwecken. 
Soll  der  deutsche  Sprachunterricht  nach  dieser  Seite  hin  etwas  leisten, 
so  musz  ihm  eine  wesentlich  andere  Grundlage  gegeben  werden,  als  die 
logische  Schule  Beckers,  als  die  historische  Schule  der  Germanisten  es 
versucht  hat.  Die  Schtdwissenschaft  der  deutschen  Philologie  musz  eine 
wesentlich  psychologische  Grundlage  erhalten,  d.  h.  sie  musz  es 
sich  zur  Aufgabe  stellen,  die  Jugend  erkennen  zu  lehren,  nicht  allein 
was  acht  deutsch ,  sondern  auch ,  nach  welchem  psychologischen  Zusam- 
menhange es  acht  deutsch  sei,  sie  musz  die  Jugend  erkennen  lehren, 
.dasz  die  deutsche  Sprache  —  wie  das  Wilhelm  v.  Humboldt  in  seinem 
Werke  über  die  Kawisprache  für  jegliche  Sprachforschung  in  Anspruch 
genommen  und  wie  es  der  Herr  Präsident  dieser  Versammlung  in  seiner 
Eröffiiiungsrede  als  die  nothwendige  Arbeit  der  Zukunft  auch  für  die  alt- 


BmeU  über  dk  l7e  Philologett-VersmmlttDf  in  BrealM.      69 

klassische  Philologie  beseiehnet  hat,  —  dass  die  deutsche  Sprache  nach 
ihrer  Besonderheit  ans  dem  deutschen  Volkscharakter  hervorgegan*» 
gen  und  danim  in  dieser  ihrer  Besonderheit,  in  ihrer  echt  deutschen 
Weise  als  der  treueste  Abdruck  deutschen  Gemüts-  und  Geisteslebens 
mitten  in  dem  Grewirre  'der  Sprachen  in  unseren  Tagen  und  unter  den 
modernen  Gelüsten  subjectiver  Willkür  festsuhalten  sei,  festzuhalten  in 
der  Mund-  wie   Schriftsprache,   festzuhalten  im  Mutterlande,    wie   wo 
etwa  ein  neues  Deutschland  entsteht.   —  Auf  diesen  Standpunkt  eines 
deutschen   Sprachlehrers  haben  mich  die  erwähnten  schmerzlichen  Er« 
fahrungen  an  meinen  Landsleuten  und  der  Wunsch  gefuhrt,  jenen  Yer- 
irrungen  durch  Einwirkung  auf  die  Jugend,  also  auch  von  Seiten  der 
Schule  in  ihrem  Theile,    entgegenzutreten,   und   ich   habe  diesen  Weg 
betreten,  nicht   ohne  vorher  den  Meister   der   germanistischen   Schule, 
Jak.     Grimm  zu  Bathe  gezogen  zu  haben.     Er  hat  mir  in  Bezug  auf 
das  angedeutete  Ziel  bereits  in  einem  Briefe  aus  dem  J.  184(5  Becht  ge- 
geben,  aber  zugleich  gestanden,   nach  der  Seite  hin  sei  auf  dem  Ge- 
biete der  deutschen  Sprachforschung  noch  sehr  wenig  geschehen;  er  selbst 
habe  ein  zu  bestimmt  abgegrenztes  Arbeitsfeld,  um  noch  einem  neuen 
seine  Aufmerksamkeit  zuzuwenden,  aber  freuen  werde  es  ihn  nur,  wenn 
neben  ihm   neue  Schachte  eingeschlagen  würden,  wie  mein  Ernst  und 
meine  Stimmung  ihm   zu  verbürgen  scheine,    dasz   dies   mit  Glück  ge- 
schehen  werde.    So  von  Grimm  selber  ermuntert,  habe  ich  denn  seit 
jener  Zeit  rastlos  für  den  Zweck  gesammelt  und  geforscht,  sowol  in 
praktischer  Schulthätigkeit ,    als  nachher  auf  Beisen  in  verschiedenen 
Gegenden  Deutschlands ,  und  bin  so  in  der  Arbeit  nach  zehn  Jahren  so- 
weit vorgeschritten ,  dasz  ich  in  diesem  Jahre  bereits  ein  Werkeben,  zn- 
ntichst  für  den  Gebrauch  meiner  Schüler  in  den  fünf  oberen  Gymnasial- 
klassen, in  den  Druck  geben  konnte,  welches  den  Grundrisz  ei- 
ner  deutschen   Stillehre    auf    psychologischer    Grundlage 
enthält,  sowie  ich  mich  gleichzeitig  an  die  Herausgabe  eines  gröszeren 
(heftweise  erscheinenden)  Werkes  gemacht  habe,  welches  die  angedeu- 
teten Principien  weiter   ausführt  und  begründet.     Auf  Grund   der  ge- 
machten Erfahrungen    wie  Studien  habe   ich  nun  aber  auch  gemeint  et 
mir  erlauben  zu  dürfen,   in  dieser  Versammlung  über   die    durch   die 
These  angeregte  Unterrichtsfrage  mich  ausführlicher  auszusprechen,  na- 
mentlich   auf    das,    was     recht    eigentlich    und     im    tiefsten 
Grunde  Pflicht  der  deutschen  Schule  in  unseren  Tagen  sei, 
hinzuweisen,   sowie  vor   Ueberschätzung  der  germanisti- 
schen Studien  in  Bücksicht   auf  das  Bedürfnis  der  Schule 
zu  warnen.  —  In  Bezug  auf  die,   wie  von  dem  Herrn  Präsidenten 
Prof.  Haase  für  die  altklassische  Philologie,   so   von  mir  auch  für  die 
deutsche  Sprachwissenschaft  empfohlene   psychologische  Grundlage   er- 
laube ich  mir  aber  schlieszlich   noch  auf  das  äine  hinzuweisen.     Wäh- 
rend der  Philologe  an  einem  solchen  Ausbaue  der  altklassischen  Sprach- 
studien in  rein  wissenschaftlichem  Interesse  arbeitet,  hat  der 
deutsche  Sprachforscher  und  namentlich  als  Jugendlehrer  noch  viel  tie- 
fer gehende  Absichten  und  Verpflichtungen.     Es   handelt  sich  ihm  nicht 
um  Ding^,  die  er  etwa  auch  lassen  könnte,  wie  man  sich  in  freier  Wahl 
eben  dieser  oder  jener  Wissenschaft  zuwenden  kann,  ihn  treibt  vielmehr 
die  Liebe   zum  deutschen  Volke,   welchem  er  selber  gliedlich  an- 
gehört, die  Sorg^  um  dessen  Zukunft  und  daher  zugleich  für  dessen  her- 
anwachsende Jugend,   ihn   treibt   der  Hinblick  auf  die  Gedanken  und 
Wege  Gottes  mit  unserem  Volke  und  das  in  der  Weltgeschichte  sich 
offenbarende  Weltgericht  —  oder  mit   anderen  Worten:    er  arbeitet  für 
das  deutsche  Lehrfach  um  der  deutschen  Schule .  für  die  Schule  um  der 
deutschen  Jugend,  für  die  Jugend  nm  der  Zukunft  des  deutschen  Vol- 
kes, für  dessen  Volk  um  dessen  gottgewollter  Stellung  in  der  Menschheit 


70       Bericht  aber  die  l7e  Philologen-VersammluDg  in  Breslcd. 

willen.  Freilich  masz  der  deutsche  Sprachunterricht  auf  dieser  Grund- 
lage und  mit  diesem  letzten  Ziele  dann  nicht  allein  dem  am  meisten  mit 
Erkenntnis  nnd  Geistesherschaft  begabten  Lehrern,  sondern  auch  zu- 
gleich den  ernstesten  Männern  an  jeder  Schule  anvertraut  werden,  Män- 
nern, selber  fähig  wahrhafter  Begeisterung,  wie  fähig,  solche  auch  in 
anderen  zu  entzünden.  £s  gilt  hier  eine  Art  heiligen  Priesterthumes 
im  Volke  und  am  Volke,  insbesondere  an  dessen  Jugend  in  den  abg^ 
schiedenen  Räumen  der  Schule!  Es  gilt  das  heranbilden  eines  neuen 
Geschlechts  nicht  blos  in  Sprachverständnis  und  Sprachbändigung,  son- 
dern auch  in  Sprachgewissen  und  in  wahrhafter  unveräuszerlicher  Liebe 
zur  Muttersprache,  d.  i.  in  selbstverläugnender  Pietät  neben  Mut  und 
Freudigkeit  zu  einem  heiligen  Kampfe  gegen  eine  neue  Fremdhers chafti 
Von  Breslau  ist  ja  einstmals  ein  Aufruf  ausgegangen,  der  auch  der 
deutschen  Jugend  ins  Herz  hineinklang;  welche  Art  Selbstverleugnung 
nnd  Kampfesmnt  ich  zu  dieser  Zeit  meine ,  zu  dessen  Verständnis  bedarf 
es  daher  an  diesem  Orte  vielleicht  auch  nur  dieser  kurzen  Andeutung 
für  diejenigen,  welche  ein  Herz  haben  für  Deutschlands  und  des  deut- 
schen Volkes  Sache. 

Dir.  Dr  Eckstein  verzichtet  auf  das  Wort ,  weil  er  nicht  im  Stande 
sei  lang  zu  sprechen. 

Dir.  Dr  Pas  so  w  aus  Ratibor:  er  stimme  den  Antragstellern  inso- 
weit bei ,  dasz  die  Schüler  von  dem  Gange,  welchen  die  Sprachentwick- 
Inng  genommen,  etwas  erfahren  sollen;  dazu  gebe  es  zwei  Wege,  der, 
auf  welchen  hier  der  Nachdruck  gelegt  worden,  granmiatischen  Unter- 
richts, und  den  derLectüre;  er  aber  ziehe  den  letzteren  entschieden  vor 
nnd  wisse  es  Hm  Dr  Reichel  vielen  Dank,  dasz  er  auf  denselben 
hingewiesen;  bei  dem  grammatischen  Unterrichte  werde  der  nltraphilo- 
logische  Zopf,  den  man  im  altklassischen  Unterricht  abgeworfen,  durch 
eine  andere  Thüre  wieder  in  das  Gymnasium  hineinkommen,  und  werde 
dann  im  Deutschen  um  so  zopfiger  ausfallen ,  weil-  der  Unterricht  gana 
abstract  werden,  ihm  nicht  der  Inhalt  der  Leetüre  zur  Seite  stehen 
werde;  wie  aber  sei  für  die  Leetüre  mittelhochdeutscher  Dichter  Zeit  zu 
gewinnen  und  wie  dieselbe  einzurichten?  er  habe  nach  seiner  Anstellung 
am  Gymnasium  zu  Meiningeu  in  der  ersten  Klasse  deutsche  Litteratur> 
geschichte  zu  lehren  erhalten  und  sich  mit  groszem  Eifer  darauf  gewor- 
fen; dabei  habe  er  sehr  viel  gelernt,  aber  mit  Recht  habe  ihn  ein  äl- 
terer Freund  darauf  hingewiesen  und  er  sei  selbst  inne  geworden,  dasa 
die  Schüler  eigentlich  sehr  wenig  wahrhaft  nützliches  und  fruchtbrin- 
gendes gewonnen;  die  deutsche  Litteraturgeschichte  vortragen  heisze 
meist  leeres  Stroh  dreschen;  seit  dieser  Zeit  habe  er  die  Litteraturge- 
schichte auf  ein  minimum  beschränkt;  er  lese  in  Prima  im  In  Jahre  das 
Nibelungenlied  und  einige  Lieder  von  Walther  von  der  Vogelweide  nach 
dem  Hennebergerschen  Lesebnehe;  vorher  würden  in  4  —  6  Stunden  die 
allernothwendigsten  Kenntnisse  aus  der  Grammatik  mitgetheilt ,  die  übri* 
gen  wichtigsten  Differenzen  vom  Neuhochdeutschen  aber  bei  der  Leetüre 
erörtert;  man  könne  freilich  auf  diesem  Wege  oberflächlich  werden, 
aber  man  müsse  es  nicht;  der  Lehrer  werde  dies  zu  vermeiden  wissen; 
auf  dem  Wege,  den  die  Antragsteller  vorgeschlagen,  sei  zu  fürchten, 
dasz  die  deutsche  Sprache  den  Schülern  zu  einer  todten  gemacht  werde ; 
unsere  deutsche  Jugend  müsse  vor  allem  Liebe  zu  ihrem  Volke  und  zu 
seiner  Vergangenheit  gewinnen;  die  gothische  reduplicierende  Coujuga- 
tion  mache  keine  Liebe,  aber  die  Dichter. 

Oberl.  Dr  Ochmann  aus  Oppeln:  schier  dreiszig  Jahre  habe  er 
schon  den  Gedanken  gehegt,  welchen  die  Herren  Antragsteller  ausge- 
sprochen; nur  könne  er  nicht  einverstanden  damit  sein,  dasz  dadurch 
der  deutsche  Unterricht  Stütze  für  den  anderen  sprachlichen  werde, 
dasz  man  das  Gothische  in  denselben  aufnehme ,  er   werde  es  auch  in 


Beriehl  Aber  die  17e  Philologen- Versammlang  in  Breslau.      71 

jeder  GestaH  bleiben  und  wegen  der  Ebenbürtigkeit  werde  man  besser 
inier  privalos  parkies  reden;  ferner  frage  er,  wie  man  bei  der  so  knap>- 
pen  dem  deutschen  Unterrichte  zugewiesenen  Zeit  dafür  Raum  gewinnen 
solle;  der  Correctur  der  deutschen  Arbeiten  könne  nichts  abgenommen 
werden,  da  das  Prnfnngsreglement  in  Betreff  ihrer  so  bestimmte  Forde- 
rungen enthalte. 

Der  Redner  wird  von  dem  Vorsitzenden  und  den  Sehriftführem  be- 
lehrt, wie  er  die  Antragsteller  wahrscheinlich  misverstanden  habe,  da 
dieselben  ausdrücklich  erklären ,  dasz  der  Correctur  niehts  yon  Zeit  ent- 
zogen werden  solle  und  könne ,  und  yerzichtet  darauf  auf  das  Wort. 

Gymnasiallehrer  Dr  Tomascheck  aus  Wien :  er  schliesze  sieh  Dir. 
Passow  und  Dr  Reichel  an;  Leetüre  sei  die  Hauptsache  und  Grammatik 
nur  daran  anzuschlieszen ;  auf  dem  von  den  Antragstellern  vorgeschla- 
genen Wege  stehe  zu  fürchten,  dasz  der  Zweck  des  Gymnasialunterrichts, 
die  Sprach-  und  Geistesbildung  in  Schrift  und  Ausdruck,  alteriert  wer- 
den würde;  wissenschaftliche  Grammatik  sei  überhaupt  von  dem  Gym- 
nasium ausgeschlossen;  man  könne  höchstens  wünschen  und  zulassen, 
dasz  die  nothwendigsten  bei  der  Leetüre  zu  machenden  Bemerkungen 
in  einer  kleinen  Grammatik  zusammengestellt  und  diese  den  Schülern 
in  die  Hände  gegeben  würde ;  dies  könne  schon  auf  der  untersten  Stufe 
geschehen;  in  Oesterreich  lehre  übrigens  die  Erfahrung,  wie  hier  auch 
yon  den  Dialecten  zur  deutschen  Schriftsprache  zu  führen  sei;  in  den 
oberen  Klassen  müsse  aber  von  der  Grammatik  noch  mehr  abgese- 
hen und  auf  die  litterarhistorische  und  ästhetische  Seite  das  gröszere 
Gewicht  gelegt  werden;  in  keinem  Falle  dürfe  man  die  Schüler  durch 
eine  vollständige  Grammatik  hindurchführen ;  es  sei  nicht  Schade,  wenn 
der  Schüler  nichts  von  den  Lautgesetzen  im  Zusammenhange  der  Gram- 
matik erfahre,  aber  die  Leetüre  des  Mittelhochdeutschen  gestatte  die 
Anknüpfung;  wenn  man  die  Grammatik  in  der  Ausdehnung,  wie  ge- 
wollt, lehre,  so  sei  doch  nur  Flachheit  zu  erwarten  und  bei  dieser  der 
Dünkel,  wodurch  dem  vor  allem  festzuhaltenden  Principe  der  Wahrhaf- 
tigkeit entschieden  Abbruch  geschehe. 

Dr  Grünhagen  aus  Breslau:  er  müsse  sich  gegen  die  These  er- 
klären, indem  er  erwäge,  was  man  bei  ihrer  Annahme  verlieren  und 
was  man  dafür  gewinnen  werde;  das  letzte  Ziel  des  deutschen  Unter- 
richts im  Gymnasium  sei  correcter,  klarer  und  gewandter  Ausdruck; 
dazu  helfe  die  Kenntnis  des  Althochdeutstihen  nichts;  und  eben  so  helfe 
die  historische  Grammatik  zu  der  logischen  Verstandesbildung  nichts ;  die 
mittelhochdeutsche  Sprache  sei  nicht  wie  die  beiden  klassischen  ein  Turn- 
geräth  des  Geistes;  solle  der  Schüler  aus  dem  Mittelhochdeutschen  Re- 
geln für  sein  eignes  sprechen  und  schreiben,  ja  nur  für  seine  Orthogra- 
phie gewinnen,  so  werde  er  in  grosze  Verwirrung  gerathen;  der  Sprach- 
gebrauch —  usus  est  tyrannus  —  habe  ja  die  Regeln  und  die  Resultate 
der  Sprachforschung  über  den  Haufen  gestürzt;  verfolge  man  z.  B.  an 
Weinholds  Hand  die  Orthographie,  so  gewinne  man  immer  nur  wie  es 
sein  müste,  wenn  sich  die  Sprache  regelrecht  entwickelt  hätte;  der  ein- 
zige Gewinn  werde  die  Zugänglichkeit  zu  den  mittelhochdeutschen  Dich- 
tern sein  und  dieser  Gewinn  sei  allerdings  werth  zu  schätzen,  aber  was 
müsten  wir  dagegen  hingeben?  die  Grundlehren  der  Metrik  und  Stylistik, 
der  Rhetorik  und  Poetik  seien  eben  so  wenig,  wie  die  Litteraturge- 
schichte  zu  entbehren;  sollten  unsere  Schüler  nicht  mehr  kennen  lernen, 
was  eine  Stanze,  was  ein  Sonnett  sei,  worin  das  Wesen  der  epischen, 
lyrischen  und  dramatischen  Poesie  bestehe ;  zu  diesem  müsse  aber  noth- 
wendig  die  Leetüre  in  der  Schule  hinzutreten;  denn  auf  die  Privatlectüre 
sei  nicht  zu  rechnen,  weil  man  sie  «nicht  in  der  Gewalt  habe;  wobleibe 
nun  der  Raum  zu  dem  Mittelhochdeutschen?  wolle  man  dem  Schüler  die 
Gegenwart  rauben,  um  sie  in  eine  ferne  Vergangenheit  zu  führen?    Kur& 


72      Borickt  Ober  die  l7e  Philologen- VersanmlBiig  io  BresltB. 

die  deutsche  Philologie,  00  grosz,  so  herlich  sie  sei,  gehöre  seiner  lieber- 
Eeogong  nach  nicht  in  die  Schale;  wolle  man  etwa  auf  den  oft  gehörten 
Vorwurf  achten  z  2  Stunden  Deutisch  und  16  Lateinisch  und  Griechisch, 
so  sei  zu  entgegnen:  Non  multa,  aed  muitum* 

Oberlehrer  Dr  Paur  aus  Breslau:  im  Gegensata  gegen  den  Vorred- 
ner erkläre  er  sich  für  die  Thesis ;  man  müsse  doch  wol  zugestehen,  wie 
es  ungereimt  sei,  wenn  die  Schule  ihre  Zöglinge  mit  Kenntnis  des  Ho- 
mer, aber  ohne  jede  Anschauung  des  Niebelungenliedes  entlasse;  die 
mittelalterliche  deutsche  Litteratur  stehe  freilich  der  altklassischen  nach, 
aber  sie  sei  vaterländisch  und  deshalb  müsse  sie  jeder  gebildete  kennen, 
die  Schule  habe  aber  hierzu  das  ihrige  zu  thun,  weil  auf  der  Universi- 
tät nur  wenige  es  nachholten  und  nachholen  könnten.  Der  Zweck  bei 
der  Erlernung  des  Mittelhochdeutschen  sei  nicht  Erlernung  dieser  Spra- 
che, sondern  die  Gewinnung  einer  Idee  von  dem  gewordenen  und  dem 
werden  derselben,  wie  man  durch  den  Geschichtsunterricht  ja  auch  nicht 
Staatsmänner  bilden,  sondern  nur  eine  Uebersicht  und  Einsicht  in  den 
Zusammenhang  der  Begebenheiten  geben  wolle;  solle  der  Schüler  eine 
Idee  davon  gewinnen,  so  genüge  die  Leetüre  neuerer  klassischer  Ma- 
sterstücke nicht,  man  müsse  auch  mittelhochdeutsche  lesen;  für  den 
Weg,  welchen  Dir.  Passow  bezeichnet  habe,  spreche  seine  während  5 
Jahren  an  einer  Realschule  gemachte  Erfahrung;  er  habe  gefunden,  dass 
in  2  Stunden  wöchentlich  die  Schüler  einen  bedeutenden  Theil  des  Nir 
belungenliedes  mit  Freude  und  Verständnis  gelesen;  in  der  Bealsohule 
könne  nicht  mehr  erreicht  werden;  aber  in  der  obersten  Klasse  eines 
Gymnasiums  noch  ein  Schritt  weiter  gethan  und  eine  Anschauung  von 
der  allmählichen  Entwicklung  unserer  Muttersprache  an  Musterstücken 
gegeben  werden. 

Geh.  O.-R.-B.  Dr  Brüggemann:  die  These  sei  bei  der  Entwicklung, 
welche  die  deutsche  Philologie  gewonnen ,  sehr  leicht  erklärlich ;  er  aber 
müsse  sich  dagegen  erklären  hauptsächlich  aus  zwei  Gründen,  und  zwar 
zuerst  einem  inneren :  alle  Disciplinen  im  Gymnasium  müsten  von  einer 
elementaren  Grundlage  ausgehend  fortschreiten;  wenn  in  den  unteren 
Klassen  die  jetzige  deutsche  Grammatik  gelehrt  werde,  so  werde  dann 
in  Prima,  Secunda,  ja  vielleicht  in  Tertia  von  neuem  angefangen  wer- 
den, die  Grammatik  umkehren  und  zu  den  Anfängen  der  Sprache  zu- 
rückgehen müssen ;  der  Weg  müste  also  erst  von  unten  angebahnt  wer- 
den und  dazu  sei  jetzt  die  Zeit  noch  nicht  da;  ein  zweiter  Grund  für 
ihn  sei  ein  äuszererer;  in  der  dem  deutschen  Unterricht  zugemessenen 
Zeit  finde  sich  nicht  Raum  genug  dazu,  um  so  weniger,  als  jeder  Un- 
terrichtsgegenstand, einmal  aufgenommen,  auch  sein  Territorium  zu  er- 
weitern strebe;  er  habe  die  Frage  übrigens  schon  mehrmals  mit  Sach- 
verständigen erörtert,  namentlich  öfter  mit  dem  verstorbenen  Lachmann ; 
dessen  entschiedene  Ansicht  sei  gewesen,  dasz  die  deutsche  historische 
Grammatik  nicht  in  die  Schule  gehöre;  diese  habe  nur  in  die  neuere 
deutsche  Litteratur  einzuführen;  höchstens  sei  wünschenswerth ,  dass 
in  der  obersten  Klasse  des  Gymnasiums  ein ,  aber  auch  nur  ^in  Abschnitt 
aus  der  historischen  Grammatik  in  Andeutungen  gelehrt  werde,  damit 
die  Schüler  wenigstens  eine  Idee  von  dem  Vorhandensein  einer  deutschen 
Philologie  und  Lust  zum  Stadium  auf  der  Universität  erhielten ;  dies 
letztere  beruhe  auf  der  gewis  richtigen  Ansicht,  dasz  das  Gymnasium 
nicht  satte,  sondern  hungrige  Schüler  zur  Universität  zu  entlassen  habe; 
wenn  man  auch  die  Littei^at Urgeschichte,  Poetik,  Stylistik  im  Stoffe  be- 
schränke, so  werde  man  doch  nicht  genug  Raum  zur  systematischen 
Grammatik  gewinnen;  denn  wie  Passow  von  der  Litteraturgeschichte 
offenherzig  eingestanden  habe ,  so  würden  auch  die  übrigen  Lehren  ohne 
Anschlusz  an  die  Leetüre  nur  traurige  Resultate  liefern;  den  von  Pas- 
sow bezeichneten  Weg  finde  er  vollkommen  genügend;  man  müsse  also 


Bericiil  fiber  die  17e  Philologen- Versammluog  in  BresUa.      73 

der  weiteren  Entwicklang  noch  Raam  lassen/  die  Znknnft  mUsse  seigen, 
ob  sich  die  nöthige  elementare  Grundlage  werde  gewinnen  lassen;  bis 
dahin  könne  man  sich  nicht  für  die  Aufnahme  entscheiden. 

Da  sich  kein  weiterer  Redner  gemeldet  hatte,  so  erhielten  die  bei- 
den Antragsteller  das  Wort  cum  Schlüsse. 

Palm:  er  freue  sich  so  viel  Zustimmung  zur  Sache  gefunden  eh 
haben ,  und  wolle  deshalb  nur  auf  drei  Puncte,  die  in  der  Debatte  vor- 
-gekommen,  eingehen:  1)  man  habe  das  Nütalichkeitsprincip  angegriffen, 
aber  dabei  des  von  ihm  ausdrücklich  erwähnten  Nutzens,  den  der  Un- 
terricht im  Altdeutschen  für  die  späteren  Fachstudien  gewähren  werde, 
gar  nicht  gedacht;  diesen  Nutzen  halte  er  üest;  eben  so  aber  auch  den, 
dasz  das  Sprachvermögen  der  Schüler  gewinnen  werde;  der  Schüler 
müsse  wenigstens  lernen,  dasz  seine  Sprache  Regeln  habe,  damit  er 
aufmerksam  werde  und  die  gäng  und  gäbe  gewordenen ,  eines  gebildeten 
unwürdigen  Unrichtigkeiten,  wie  wegen  mit  dem  Dativ,  beseitigen 
lerne;  dies  sei  nur  durch  einen  systematischen  Unterricht  möglich;  2) 
er  müsse  gestehen,  dasz  er  und  sein  College  lange  darüber  geschwankt 
hätten,  ob  der  Unterricht  an  die  Lectüre  anzuschlieszen  oder  selbstän- 
dig zu  ertheilen  wäre;  sie  hätten  sich  für  das  letztere  endlich  entschie- 
den, weil  sie  gefunden,  dasz  bei  der  Lectüre  nicht  genug  gelernt  oder 
diese  zu  sehr  durch  Bemerkungen  und  Unterbrechungen  beeinträchtigt 
werde;  er  könne  sich' dabei  auf  seine  eigene  Erfahrung  berufen;  an  der 
bloszen  Lectüre  des  Nibelungenliedes  habe  er  nicht  Mittelhochdeutsch 
gelernt.  3)  müsse  er  entschieden  behaupten,  dasz  die  deutsche  histori- 
sche Grammatik  eben  so  gut  ein  Turngeräth  des  Geistes  sei,  wie  die 
lateinische  und  die  griechische. 

Cauer:  die  These  habe  thatsächlich  mehr  Zustimmung  als  Ent- 
gegnung gefunden;  der  Werth,  die  Möglichkeit,  ja  die  Nothwendigkeit 
seien  anerkannt  und  damit  für  die  Sache  sehr  viel  gewonnen  worden ;  das 
nächste  werde  nun  allerdings  sein,  dasz  geeignete  Lehrer  gebildet  wür- 
den, und  dies  werde  geschehen,  wenn  der  Gegenstand  in  die  Prüfung 
aufgenommen,  wenn  nur  demjenigen  die  Erlaubnis  zur  Ertheilnng  des 
deutschen  Unterrichts  gewährt  werde,  der  sich  mit  der  historischen 
Grammatik  vertraut  erwiesen. 

Der  Vorsitzende  dankt  hierauf  der  Versammlung  für  die  Nachsicht, 
welche  sie  seiner  Leitung  bewiesen ,  während  die  Versammlung  ihm  selbst 
ihre  Dankbarkeit  für  die  Umsicht  und  Thätigkeit,  mit  der  er  das  Amt 
verwaltet,  bezeugt. 

Oberlehrer  Dr  Schmalfeld  aus  EUslebeh  spricht  in  kurzen  Worten 
der  Versammlung  seinen  Dank  dafür  aus,  dasz  sie  ihm  das  Wort  habe 
vergönnen  wollen,  obgleich  die  Zeit  es  ihm  zu  ergreifen  nicht  gestatte. 

R,  D. 


Personalnotizen. 


Emnnat«  versetzt,  befBrdert.  Abt,  Ant.,  Suppl.,  zum  wirkl. 
Lehrer  am  Gjmn.  zu  Unghvär  ern.  —  Angeleri,  Abb.  Frz,  Suppl., 
zum  wirkl.  Lehrer  am  kk.  Obergymn.  zu  Verona  ern.  —  Bäumlein, 
Dr  W.  von,  wurde  zum  Oberstndienrath  zu  Stuttgart  ernannt,  aber 
auf  sein  Nachsuchen  auf  die  Stelle  eines  Ephorus  am  evangol.  Seminar 
zu  Maulbronn  in  Gnaden  zurückversetzt.  —  Bayer,  Dr  K.,  Studien- 
lohrer  in  Erlangen,  zum  Prof.  der  In  GymnasialkL  in  Hof  ernannt.  — 


74  Persoaalnolizeo. 

Becker,  Prof.  in  Darlaoh,  zum  In  Diaconos  and  Vorstand  des  Päda« 
gogiums  in  Lörrach  em.  —  Bermann,  Dr  O.,  Lehrer,  als  ord.  Lehrer 
am  Gymn.  zu  Stolp  angest.  —  Berndt,  A.  J.,  Conrector,  als  OberL 
am  Gymn.  zu  Stolp  angest.  —  Biehl,  Wilh.,  Gymnasialsuppl.  zuKra- 
kau,  zum  wirkl.  Lehrer  am  kk.  Gymn.  zu  Marburg  ern.  —  Brand - 
scheid,  Fr  dr.,  SchAC.  zu  Wiesbaden,  zum  CoUaborator  am  Gymn. 
zu  Weilburg  em.  —  Brodnik,  Ant.,  Weltpr.  zu  Laibach,  zum  Keli- 
gionsl.  am  Obergymn.  zu  Agram  em.  —  Bronikowski,  v.,  ord.  Leh- 
rer am  Gymn.  zu  Ostrowo,  zum  Oberlehrer  befördert.  —  Coiz,  Ant^ 
Snppl.  zum  wirkl.  Lehrer  am  Gymn.  zu  Capo  d^Istria  em.  —  Corra* 
dini,Frz,  Dr,  Weltpr.,  Studienpräfect  am  bisch.  Gymn.  zu  Padua, 
zum  wirkl.  Lehrer  und  provisor.  Dir.  des  Gymn.  di  Sta  Caterina  zu  Ve- 
nedig em.  —  Danko,  Dr  Joh.,  Studienpräfect,  zum  Prof.  des  Bibel- 
studiums A.  T.  an  der  Univ.  zu  Wien.  ern.  —  Demel,  Dr  Heinr., 
Dir.  der  theresianisehen  Akademie,  zugleich  zum  Dir.  des  theresiani- 
sehen  Gymn.  zu  Wien  mit  dem  Titel  eines  kk.  Regierungsraths  ernannt, 

—  Dilthey,  Dr  W.,  SchAC.  als  Adjunct  am  Joachimsthalschen  Gymn. 
zu  Berlin  angest.  —  Drosihn,  Frdr.,  CoUaborator  an  der  lat.  Haupt- 
schule im  Waisenhause  zu  Halle,  zum  ord.  Lehrer  am  Gymn.  in  Cösliii 
em.  —  Egger,  Alois,  Gymnasiallehrer  zu  Laibach,  zum  Lehrer  extra 
statum  am  kk.  akademischen  Gymn.  zu  Wien  ern.  —  Escherich,  Dr 
Ph.  V.,  Docent  der  Staatsrechnuugswissenschaft  und  Vice-Hofbuchhalter| 
zum  kk.  Universitätsprof.  in  Wien  ern.  —  Fährmann,  K.,  SchAC« 
als  College  am  Gymn.  zu  Lauban  angest.  —  Focht,  Gust.,  Prof.  ia 
Lörrach,  an  das  Pädagogium  in  Durlach  versetzt.  —  FleischmanB, 
Ajnt.,  Weltpr.,  Gymnasiall.  in  Pisek.  zum  Lehrer  extra  statum  am  kk. 
akademischen  Gymn.  zu  Wien  ern.  —  Fürstenau,  DrW.,  Gymnasiall. 
in  Cassel,  an  das  Gymn.  in  Hanau  versetzt.  —  Fütterer,  Lehrer  am 
Gymn.  zu  Heiligenstadt,  zum  Oberlehrer  befördert.  —  Griepenkerl, 
Dr,  ao.  Prof.,  zum  ord.  Prof.  in  der  philos.  Facultät  der  Univ.  zu  Göt- 
tingen ernannt.  —  Grün,  Dionys.,  Gymnasiall.  zu  Leutschan,  zum 
Lehrer  extra  statum  am  kk.  akademischen  Gymn.  zu  Wien  ernannt.  — 
Gm  hl,  Em.,  SchAC,  als  ord.  Lehrer  am  Gymn.  zu  Lyck  angest.  • — • 
Guidi,  Ph.  Maria,  Dominikanerordenspr.,  zum  ord.  Prof.  der  Dog'- 
matik  an  der  Univ.  zu  Wien  ern.  —  Hagemann,  Dr  Aug.,  Hülfsleh- 
rer  am  Gymn.  in  Prenzlau,  zum  ord.  Lehrer  am  Gymn.  zu  Bielefeld 
ern.  —  Haupt,  Christ.,  SchAC.,  als  ord.  Lehrer  am  Gymn.  in  Mia«- 
den  angest.  —  Hecht,  Ferd.,  Religionsl.  am  Gymn.  zu  Eger,  in  gL 
Eigensch.  an  das  kleinseitner  Gymn.  zu  Prag  versetzt.  —  Heerwagen, 
Dr  H.  W.,  Prof.  in  Bayreuth,  als  Prof.  der  4n  Gymnasialkl.  mit  der 
Function  des  Studienrectors  an  das  Gymn.  zu  Nürnberg  versetzt«  ** 
Heintze,  C.  F.  A.,  Lehrer,  als  ord.  Lehrer  am  Gymn.  in  Stolp  ange- 
stellt. —  Hoffmann,  Ge.,  Gymnasiall.  zu  Leutschan,  in  gl.  Eigensch. 
an  das  Gymn.  in  Triest  versetzt.  • —  Hoff  mann,  Dr  K.,  Lycealprofes- 
sor  und  Gymnasialrector,  zum  Rector  des  Lyceums  in  Passau  ern.  — 
Holcsovsky,  Jos.,  Suppl.,  zum  wirkl.  Lehrer  am  Gymn.  zu  Neuhaus 
em.  —  Holzinger,  K.,  Privaterzieher  und  Suppleut,  zum  wirkl.  Leh- 
rer am  Gymn.  zu  Salzburg  em.  —  Horstig,  R.  M.,  Oberl.,  als  ord. 
Lehrer  am  Gymn.  in  Stolp  angest.  —  Hupe,  J.  M.  C,  Lehrer,  als  ord. 
Lehrer  am  Gymn.  in  Stolp  angest.  —  Jagielski,  wissensch.  Hülfsl.  am 
Gymn.  zu  Trzmeszno,  als  ord.  Lehrer  an  das  Gymn.  zu  Ostrowo  vers. 

—  Jerzykowski,  Dr,  Oberl.  am  Gymn.  zu  Ostrowo,  in  gl.  Eigensch. 
an  das  Gymn.  zu  Trzmeszno  versetzt.  —  Klucdk,  Heinr.,  Gymna- 
siall. zuLeitmeritz,  zum  Dir.  des  kk.  Gymn.  zu  Eger  em.  —  Knappe, 
CoUaborator  am  Gymn.  zu  Merseburg,  als  Hülf sichrer  am  Gymn.  zu 
Wittenberg  angest.  —  Knoch,  Oberl.  am  Gymn.  in  Wolfenbüttel,  in 
gl.  Eigensch.  an  das  Gymn.  zu  Helmstedt  vers.  —  Koncinsky,  Jos*, 


PenoMlaoiiiea.  75 

finppl.  am  katb.  Qymn.  m  Keiuohl,  zum  wirk!.  Lehrer  an  ders.  Anst. 
em.  —  Korinek,  Jos.,  Gymnasiall.  zu  Neosohl,  in  gl.  Eigenseh.  aa 
das  Gymn.  zu  Neuhans  yersetzt.  —  Krahner,  DrG.,  Oberlehrer,  znm 
Prorector  am  Gjmn.  zu  Stolp  em. —  Krause,  Frdn,  Gjmnasialprak- 
tikant,  als  Hülfslehrer  am  Gymn.  zu  Marburg  angest.  —  Kroschel, 
J.  S.,  Lehrer,  als  ord.  Lehrer  am  Gymn.  zu  Erfurt  angest.  —  Kyicala, 
Jo.,  Lehramtsc.y  zum  wirkl.  Lehrer  am  Gymn.  zu  Leitmeritz  em.  — 
Landolt,  Dr,  Privatdoc.  in  Breslau,  zum  ao.  Prof.  in  der  philos.  Fa- 
cultät  der  Univ.  in  Bonn  em.  —  Lang,  Ad.,  Gymnasiall.  an  d.  thereg« 
Akademie  in  Wien,  zum  Dir.  des  kk.  Gymn.  zu  Marburg  em.  —  Lang, 
Jos.,  Gymnasiall.  zu  Iglan,  in  gl.  Eigensch.  an  das  Gymn.  zu  Troppaa 
▼ers.  —  Löbker,  ord.  Lehrer  am  Gymn.  zu  Coesfeld,  in  gl.  Eigensch« 
an  das  Gymn.  zu  Minden  vers.  —  Lundelm,  A.,  Lehrer,  als  ord.  Leh- 
rer am  Gymn.  in  Stolp  angest.  —  Macale,  Fort.,  Suppl.,  zum  wirkl. 
Lehrer  am  Gymn.  zu  Capo  d' Istria  ern.  —  Magrini,  Ant.,  Weltpr., 
Suppl.,  zum  wirkl.  Lehrer  am  öffentl.  Obergymn.  zu  Vicenza  em.  -* 
Matkovic,  Pet.,  Weltpr.  und  Lehramtscand.,  zum  wirkl.  Lehrer  am 
Gymna.  zu  Gratz  em.  —  Mayr,  Jos.,  Snpplent,  zum  wirkl.  Lehrer  am 
kk.  Gymn.  zu  Salzburg  ern.  —  Müll  bau  er,  Dr  M.,  Docent,  zum  Prof. 
der  Kirchengeschichte  und  des  Kirchenrechts  am  Lyceum  zu  Freising 
emannt.  —  Müller,  Dr  Ernst,  Snbr.  des  Klerikalseminiu's,  zum  Prof. 
der  Moraltheol.  an  der  Univ.  zu  Wien  ern.  —  Pauly,  DrFrz,  Gym- 
nasiallehrer zu  Preszburg,  an  das  altstädter  Gymn.  zu  Prag  versetzt.  — -^ 
Pertile,  Dr  Ant.,  Conceptionsadj.  im  Minist,  für  Cultus  und  Unterr« 
zu  Wien,  zum  ao.  Prof.  der  Rechtsgeschichte  an  der  Univ.  zu  Padua 
ern.  — '  Peters,  Lor.,  SchAC,  als  ord.  Lehrer  am  Gymn.  zu  Heiligen- 
stadt angest.  —  P  e  t  r  i ,  Dr,  Collaborator  am  Gymn.  zu  Holzminden,  ia 
gl.  Eigensch.  an  das  Gymn.  in  Helmstedt  versetzt.  —  Petters,  Ign.^, 
Gymnasiall.  zu  Pisek,  in  gleicher  Eigensch.  an  das  Gymn.  zu  Leitmeritz 
vers.  —  Pexider,  Job.,  Suppl ,  zum  wirkl.  Lehrer  am  Gymn.  zu  Es- 
segg ern.  —  Pravo,  Dr  Job.  Mar.,  zum  ao.  Prof.  der  Rechtsgeschichta 
an  der  Univ.  zu  Pavia  era.  —  Purmann,  Dr  Hugo,  Adjunct  an  der 
Landesschule  Pforta,  als  Pror.  an  das  Gymn.  zu  Lauban  berufen.  — 
Ranke,  Heinr.,  SchAC,  als  Ck)llaborator  am  Domgymn.  zu  Merseburg 
angest.  —  Reich,  Wenz.,  Suppl.,  zum  wirkl.  Lelirer  am  kath.  Gymn. 
zu  Teschen  ern.  —  Rheinauer,  Lehramtspraktikant,  zum  Lehrer  am 
Gymn.  zu  Offenburg  mit  Staatsdienereigenschaft  em.  —  Riedel,  Gym- 
nasialpraktikant, als- Hülfslehrer  am  Gymn.  zu  Cassel  angest.  —  Rie- 
mann,  Dr,  Privatdoc.  u.  Assessor,  zum  ao.  Prof.  in  der  philos.  Facul- 
tät  der  Univ.  Göttingen  ern.  —  Roche,  La,  Jak.,  Gymnasialsuppl. 
zu  Gratz,  zum  wii'kl.  Lehrer  am  Gymn.  zu  Triest  em.  —  Rören,  K., 
Oberl.  am  Gymn.  zu  Paderborn,  zum  Director  der  rheinischen  Ritter- 
akademie in  Bedburg  ern.  —  Röszler,  Dr  Kon  st.,  Privatdoc,  znm 
ao.  Prof.  in  der  philos.  Facultät  der  Univ.  in  Jena  ern.  —  Rose,  Prof. 
Dr  Gust.,  zum  Dir.  des  mineralog.  Museums  an  der  Univ.  zu  Berlia 
em.  —  Sartorius,  G.  F.  W.,  Prof.  der  2n  GymnasialkL  in  Hof,  an 
die  3e  Gymnasialkl.  in  Bayreuth  vers.  —  Schäfer,  DrArn.,  8r  Prof. 
an  der  k.  Landesschule  zu  Grimma,  folgt  Osterh  einem  Rufe  als  ord. 
Prof.  d.  Geschichte  an  die  Univ.  zu  Greifswald.  —  Seh  all  er,  Jos,, 
Suppl.,  zum  wirkl.  Lehrer  am  Gymn.  zu  Essegg  ern.  —  Schlegel, 
Heinr.,  Lehrer  am  Gymn.  in  Offenburg,  an  das  Lyceum  in  Rastatt  ver- 
setzt. —  Schllephake,  Dr,  Herz.  Nassauischer  Geh.  Hofrath,  zum 
ao.  Prof.  der  Philosophie  an  der  Univ.  zu  Heidelberg  em.  — Schmidek, 
K.,  Religionsl.  am  Gymn.  zu  Znaim,  in  gl.  Eigensch.  an  das  Gymn.  zu 
Brunn  vers.  —  Schmidt,  K.,  Gymnasiall.  zu  Preszburg,  zum  Lehrer 
extra  statum  am  kk.  akademischen  Gymnasium  in  Wien  ern.  —  Sohmie- 
der,  Dr  Paul,  SdtAQ.,  ala  Adjunct  am  Joachimsthalschen  Gynuu  su 


76  PersonalaoliseiL 

Berlin  «ngeit.  —  Schmitt,  Dr  Joh.  K.,  Lehrer  am  Lycenm  211  Hei« 
delberg,  an  das  Ljceom  su  Mannheim  vers.  —  Scholar,  Joh.,  Welt- 
pr.,  Gjmnasiall.  zu  Cilli,  in  eine  Lehrstelle  am  Gymn.  zu  Görz  em«  — 
Behrader,  P.  Clemens,  Priester  der  Gesellschaft  Jesn,  zum  ord« 
Prof.  der  Dogmatik  an  der  Univ.  zu  Wien  ern.  —  Schütte,  Dr,  Sub- 
conr.  am  Gjmn.  in  Helmstedt,  zum  Director  des  Gymn.  zu  Blankenburg 
am  Harz  ern,  —  Schwab,  Frz,  Prof.  am  Gymn.  in  Olfenburg,  an 
das  Lyceum  in  Konstanz  vers.  —  Serafini,  Dr  Fil.,  zum  ao.  Prof. 
des  röm.  Bechts  an  der  Univ.  zu^Padna  ern.  —  Sickel,  Dr  Th.,  Do- 
cent  d.  histor.  Quellenkunde  und  Paläographie  an  dem  Inst,  für  öster- 
reichische Geschichtsforschung,  zum  ao.  Prof.  jener  Fächer  an  d.  Univ. 
zu  Wienern.  —  Sigl,  Dr  Heinr.,  Privatdoc.  an  d.  Univ.  zu  Gieszeu, 
zum  ao.  Prof.  der  deutschen  Bechts-  und  Beichsgeschichte  an  der  Univ. 
zu  Wien  ernannt.  —  Sörgel,  J.,  Lehramtscand.,  als  Studienlehrer  am 
Gymn.  zu  Erlangen  angest.  —  Stefan,  Christ.,  Suppl.,  zum  wirkL 
Lehrer  am  Gymn.  zu  Königgrätz  em.  —  Steger,  Jos.,  Weltpriester, 
Lehramtsc.  u.  Präfect  in  Wien,  zum  wirk.  Lehrer  am  kk.  Gymn.  la 
Marburg  ern.  —  Stinzing,  Dr  J.  A.  B.,  ord.  Prof.  zu  Basel,  als  ord« 
Prof.  des  röm.  Civilrechts  an  die  Univ.  zu  Erlangen  berufen.  —  Süss, 
Ed.,  erster  Custosadjuuct  am  kk.  Mineralcabinet ,  zum  ao.  Prof.  der 
Paläontologie  an  der  Univ.  zu  Wien,  unter  Beibehaltung  seiner  bisherig 
gen  Stellung  em.  —  Teil,  W.,  Bealschull.,  zum  ord.  Lehrer  am  Gymn« 
KU  Nordhausen  ern.  —  Thiel,  Dr  Heinr.,  Oberlehrer  am  Gymn.  Elia« 
in  Breslau,  zum  Pror.  an  dem  Gymnasium  in  Hirschberg  ern«  —  Vo- 
gel, SchAC,  zum  Hülfslehrer  am  Domgymn.  zu  Merseburg  ernannt.  — 
Wawrn,  Jos.,  Suppl.,  zum  wirkl.  Lehrer  am  Gymn.  zu  Königgrätz 
ern.  -»  Werner,  Dr  Paul,  ScbAC,  als  College  am  Gymn.  zu  Hirsch- 
feld angest.  —  Westphal,  Dr  Bud.,  Privatdocent,  zum  ao.  Prof.  in 
der  philos.  Facultät  der  Univ.  Breslau  ern.  —  Wiehert,  Prof.  Dr, 
Oberlehrer  am  Elneiphöfischen  Gymn.  zu  Königsberg  in  Pr.,  zum  Dir.  des 
Gymn.  in  Guben  ern.  —  Wicke,  Dr,  Privatdoc,  zum  ao.  Prof.  in  der 
philos.  Facultät  der  Univ.  Göttingen  ern.  —  Wolf,  Steph.,  Gymna- 
sialL  in  Brunn,  zum  Lehrer  am  Gymn.  der  theresianischen  Akademie  in 
Wien  em.  —  Zawicki,  intermistischer  Lehrer  am  Gymn.  zu  Ostrowo, 
zum  ord.  Lehrer  befördert.  =  Praedlclerangen  und  Khrenbese«« 
fragen t  Bigge,  Ant.,  Progymnasiallehrer  in  Attendorn,  als  Oberleh- 
rer prädiciert.  —  Exner,  Dr  H.  G.,  College  am  Gymn.  zu  Hirschberg, 
als  Oberlehrer  prädiciert.  —  Sauppe,  Prof.  Dr  Herrn,  Hofrath,  zum 
ord.  MitgUed  der  histor.-philol.  Klasse  der  k.  hannoverschen  Gesellschaft 
der  Wissenschaften  zu  Göttjngen  ern.  — Wald  mann,  Lehrer  am  Gynm. 
zu  Heiligenstadt,  als  Oberlehrer  prädiciert.  =  Pensioniert  oder  eni» 
hoben t  Büchner,  Dr  A.,  Domcapitular ,  erhielt  die  Enthebung  vom 
Rectorate  des  Lycenms  in  Passau  bewilligt. —  Grieszhaber.  K.  Frz, 
Geistl.  Bath  und  Prof.  am  Lyceum  in  Rastatt,  wegen  Kränklichkeit  in 
Ruhestand  versetzt.  —  Kreuz,  Frz  Ant.,  Prof.  am  Lyceum  in  Kon- 
stanz, in  Ruhestand  versetzt.  —  Müller,  Prof.  und  Director  des  Gymn. 
zu  Blankenburg  am  Harz,  in  Ruhestand  versetzt.  —  Scharpf,  Hofrath 
und  Prof.  am  Lyceum  in  Mannheim,  wegen  körperlichen  Leidens  in  Ru- 
hestand versetzt.  —  Schmidt,  Dr  J.  B.,  qniescierter  Stndienl ehrer  in 
Bayreuth,  in  dauernden  Buliestimd  versetzt.  =  Ctosiorlien :  Am  4.  Aug. 
in  Agra  in  Folge  erhaltener  Wunden  der  bekannte  Orientalist  General- 
major George  Powell  Thompson.  —  Aus  Bombay  wird  der  Tod 
des  berühmten  Sprach-  und  Geschieht forschers  Dr  Rawlinson  gemel- 
det. —  Am  5.  Aug.  zu  FuUham  bei  London  der  frühere  Bisch,  von  Lon- 
don, Dr  Charles  Blomfield,  bekannt  durch  seine  Ausgaben  des  Ae- 
schylos,  der  Fragmente  des  Kallimachos  usw.  —  Am  1.  Sept.  in  Erd- 
jnaonsdorf  der  Privatdocent  and  Cnstos  des  mineralogischen  Cabinel« 


PersoBalnotiseo.  77 

an  der  üniv.  en  Breslaa  Dr  Scbarenberg  im  kräftigsten  Mannesalter. 
—  Am  3.  Sept.  zu  Nürnberg  Deoan  und  Kircbenratb  Dr  K.  Fiken- 
8 ober,  Verf.  einer  Gesch.  des  Reicbstages  sn  Augsburg,  —  Am  22. 
Sept.  zu  Lemberg  der  k.  Rath,  emer.  Prof.,  Senior  und  Rector  der 
Franzensuniversität  Dr  med.  Ferdinand  Stecher  von  Sebonitz, 
70  J.  alt.  —  Am  25.  Sept.  zu  Lugos  Dr.  Joh.  Heuffel,  bekannt 
durch  seine  botanischen  Forschungen  über  das  Banat.  —  Am  5.  Oct. 
zu  Basel  Dr  med.  Tb.  Streuber,  ao.  Prof.  der  Philologie  an  der  das. 
Universität,  Verf.  von  Schriften,  'über  die  Satiren  des  Horaz',  'über 
Sinope',  'über  den  Zinsfusz  bei  den« Römern',  im  41.  Lebensj.  —  Am 
22.  Oct.  zu  Prag  der  Gubemialrath  und  Prof.  an  der  das.  Universität, 
Dr  G.  N.  Schnabel,  geb.  1791.  —  Am  24.  Oct.  zu  Wien  der  emeri- 
tierte Rector  magnüicus  der  Universität  Dr  med.  Joh.  Christi.  Schiff, 
ner,  79.  J.  alt.  —  Am  8.  Nov.  zu  Altenburg  der  Prof.  am  das.  Frie- 
drichsgymnasium,  Dr  Joh.  Heinr.  Apetz,  im  64.  Lebensj.  —  Am  13. 
Nov.  in  München  der  Geh.  Rath  Philipp  von  Lichtenthaler,  zu- 
letzt längere  Zeit  Director  der  k.  Hof-  und  Staatsbibliothek.  —  Am  20. 
Nov.  zu  Hadamar  der  Director  des  das.  Gjnmasiums,  Regierungsrath 
Matth.  Kreizner.  —  Am  21.  Nov.  in  Würzburg  der  pensionierte  Di- 
rector des  Gymnasiums  zu  Bonn,  Nie.  Jos.  Biedermann.  —  Am  26. 
Nov.  in  Neisze  der  berühmte  Dichter  Joseph  Karl  Benedict  von 
Eichendorf f,  k.  preusz.  Geh.  Reg.  Rath  a.  Dienst,  geb.  1788.  —  Am 
2.  Decbr.  in  Dresden  der  gröste  jetztlebende  deutsche  Bildhauer,  Prof. 
Christian  Rauch  aus  Berlin,  geb.  zu  Arolsen  am  2.  Jan.  1777. 


Zweite  Abtheilung 

henugegebea  rra  Ri4*lpk  Dletsch. 


5. 

Die  Gymnasien  und  ihre  neuesten  Gegner  in  Kurhessen. 


l^on  sckolae,  sed  vitae. 

Fast  auf  keinem  Lebensgebiete  kommt  es  so  häufig  vor,  dasz 
unberufene  das  Wort  ergreifen  und  ihre  Stimme  hören  lassen,  als  auf 
dem  der  Schule.  Leute,  denen  es  an  der  nöthigen  Kenntnis  des  Schul- 
wesens überhaupt,  wie  der  einzelnen  Seiten  desselben  ,  an  Bekannt- 
schaft mit  der  Geschichte  der  Schulanstalten,  an  innerem  Verständnis 
wie  an  eigener  Erfahrung  öfters  gänzlich  gebricht,  halten  sich  nichts- 
destoweniger in  groszer  Selbstv^rblendung  und  Anmaszung  kraft  ^ihrer 
allgemeinen  Bildung'  für  hinlänglich  befähigt,  über  Le^irverfassung  und 
Lehrmethode  ein  entscheidendes  Urteil  abzugeben.  Dd^'so  natürlichen 
Forderung,  sich  zuvor  über  den  Gegenstand,  den  sie  ihrem  Raisonne- 
ment  zu  unterziehen  gedenken,  wenigstens  einigermaszen  zu  instruie- 
ren, sich  den  wirklichen  Sachverhalt  möglichst  klar  zu  machen,  die 
speciellen  Verhältnisse  und  Ordnungen  kennen  zu  lernen  auf  die  es 
ankommt,  nachzusehen,  ob  und  in  wie  weit  das,  was  man  zu  tractieren 
vorhat,  schon  früher  zur  Sprache  gekommen  und  grundlich  erörtert  sei 
oder  nicht,  —  dieser  doch  gewis  sehr  billigen  Forderung  zu  entspre- 
chen, fällt  ihnen  entweder  gar  nicht  ein  oder  erscheint  ihnen  als  ein 
viel  zu  mühsames  und  weitläufiges  Geschäft,  dessen  sie  sich  kühnlich 
aus  eigener  Machtvollkommenheit  zu  entheben  Missen.  Den  Vertretern 
dieser  oberflächlichen  und  leichtfertigen  Manier  kommt  es  bei  ihren 
^Meinungsäuszeruugen'  in  der  Regel  nur  darauf  an,  einem  Vorurteil 
das  sie  gefaszt,  oder  einer  Lieblingsansicht  der  sie  sich  hingegeben 
haben,  oder  einer  verbitterten  Stimmung  und  Unzufriedenheit  mit  den' 
vorhandenen  Zuständen,  oder  auch  einer  Anzahl  abstracter,  dem  wirk- 
lichen Leben  widersprechender  Gedanken  und  leerer  Einbildungen,  die 
ihnen  im  Kopfe  herum  gehen,  einen  möglichst  lauten  Ausdruck  zu  ge- 
ben, —  und  dann  für  ihre  Zerstörungsgelüste  und  Neuerungsvorschläge 
zu  agitieren ,  dasz  die  Theilnahme  der  gebildeten  sich  ihnen  in  einer 
gewissen  Allgemeinheit  zuwenden  möge!   In  der  Eitelkeit  ihres  Sinnes 

;v.  Jakrb,  f.  Phil,  v.  Paed,  Bd  LXXVIII.  Bß  2,  6 


80         Die  Gymnasien  und  ihre  neuesten  Gegner  in  Karhessen. 

bleibt  es  ihnen  verborgen,  dasz  sie  sich  bei  wirklich  Sachverständigen 
gründlich  lächerlich  machen,  wenn  sie  in  der  naivsten  Unkiuide  und 
meist  noch  dazu  in  den  hochtrabendsten  Phrasen  mit  ihren  vermeintlich 
^neuen  Fragen'  auftreten,  die  aber  leider  schon  lange  vor  diesen  neuen 
Entdeckern  viel  umfassender  und  eindringlicher  besprochen  und  be- 
ralhen  sind ,  oder  wenn  hinter  dem  scheinbaren  Reformeifer  bei  völli- 
ger Unfähigkeit  etwas  lebensfähiges  zu  bauen  noch  dazu  mitunter 
eigene  persönliche  Absichten  sich  verbergen,  oder  endlich  wenn  sich 
der  eine  oder  andere  in  seinen  Expositionen,  ohne  es  zu  merken,  aller- 
dings mit  seltener  OiTenheit,  ein  nicht  zu  bestreitendes  testimoniam 
paupertatis  selbsteigenhändig  ausstellt. 

Diese  eben  geschilderte  Unart,  über  Schulsachen  zu  reden,  hat 
sich  denn  auch  neuerdings  wieder  in  höchst  auffälliger  Weise  bei  An- 
regung und  Besprechung  einer  Gymnasialfrage  gezeigt,  die  in  dieser 
der  Paedagogik  gewidmeten  Section  der  Jahrbücher  nicht  länger  an- 
besprochen  bleiben  darf. 

Im  Laufe  des  vergangenen  Sommers  unter  dem  21.  August  d.  J. 
hatte  der  bekannte  Irvingianer  Dr  Heinrich  W.  J.  Thiersch,  der  in 
der  kurhessischen  Universitätstadt  Marburg  lebt,  zunächst  wol  aus. 
Unzufriedenheit  mit  dem  dortigen  Gymnasium ,  das  zwei  seiner  Söhne . 
besuchten,  einige  Einwohner  Marburgs  zur  Theilnahme  an  einer  von 
ihm  abgefaszten  Petition  an  kurfürstl.  Ministerium  d.  I.  ^um  2uriick- 
führung  des  Gymnasialunterricht  s  zur  Einfachheit'  ver- 
anlaszt.  K.  Ministerium  Iheille  diese  Eingabe  den  Directoren  der  sechs 
Landesgymnasien  zu  Besprechung  in  den  Lehrercollegien  und  zu  spä- 
terer  Aeuszerung  darüber  mit*).  Wäre  dieser  Weg  nicht  verlassen 
worden,  dann  blieb  zunächst  wenigstens  die  Sache,  unstreitig  zu  ihrem 
eigenen  Besten,  innerhalb  der  Grenzen  der  Schule,  und  wenn  auch  die 
in  der  Petition  aufgeführten  Punkte  früher  schon  oft  und  reiflich  über- 
legt und  berathen  waren,  so  hätte  doch  unter  Umständen  eine  noch- 
malige Betrachtung  innerhalb  der  Lehrercollegien  für  diese  selbst  viel* 
leicht  von  Nutzen  sein  können.  Allein  Dr  Thiersch  übergab  bereits 
acht  Tage  später,  am  28.  August  d.  J.,  die  Bittschrift  der  Oeffentlichkeit 
unter  dem  Titel: 

Zurückführung  des  Gymnasialunterrickis  zur  Einfachheit  eine 
Aufgabe  der  Gegenwart.  Ehrfurchtsvolle  Vorstellung  an  das 
kurfürstl,  Ministerium  des  Innern  zu  CasseL  Herausgegeben 
durch  Dr  Heinrich  W.  J.  Thiersch.  Marburg.  N.  G.  El- 
wert  1857.   15  S. 

mit  einem  Vorwort,  worin  er  zur  Sicherung  des  Erfolgs  zu  Beitritts- 
erklärungen auffordert.  ^Der  Zeitpunkt  ist  günstig,  denn  die  Noth  ist 
hoch  genug  gestiegen  —  heiszt  es  darin  wörtlich  —  und  in  höheren 

*j  Die  Eingabe  ist  ihrem  Inhalt  nach  von  dem  Berichterstatter  Dr 
O.  in  P.  bereits  im  11.  Heft  des  LXXV.  u.  LXXVI.  Bandes  der  Jahrb. 
S.  587 — 590  ausgeschrieben. 


Die  Gymnasien  ond  ihre  neaesten  Gegner  in  Kuriiessen.        81 

Regionen  haben  »ich  Spuren  einer  Geneigtheit  zar  Häire  gezeigt.  Hor> 
fentlieh  werden  die  gleichgesinnten  sich  nicht  scheuen  ihre  Ueberzeu- 
gung  knndzugeben,  sondern  den  Grundsatz  echter  Moralitat  befolgen: 
handle  so,  wie  du  wünschen  mnst,  dasz  alle  handeln  möchten!'  Diese 
Schrift  ist  denn  die  Veranlassung  zu  vier  andern  kleinen  Flugschriften 
geworden,  von  denen  zwei  sich  gegen,  die  dritte  als  iuste  milieu 
halb  für  halb  wider ,  die  vierte  f  Q  r  Thiersch  erklären. 

Die  Vorwürfe,  die  von  Dr  Thiersch  der  modernen  Schulordnung 
gemacht  werden ,  sind  die  längst  bekannten  bis  zum  Ueberdrusz  wie- 
derholten ,  schon  vor  20  Jahren  und  darnach  öfters  auf  das  bündigste 
widerlegten  Einwendungen,  die  sich  in  folgendes  fünfmalige  zuviel 
zusammenfassen  lassen:  . 

1)  Es  sind  zuviel  wöchentli che  Lehrstunden  und  musz 
daher  deren  Zahl  auf  höchstens  24  die  Woche  reduciert  werden. 

2)  Es  sind  zuviel  Lehrgegenstände;  Lateinisch,  Griechisch, 
Geschichte  (in  Verbindung  mit  Geographie)  und  Mathematik  dürfen 
die  einzig  vorgeschriebenen  Fächer  und  diese  allein  Gegenstand  der 
Prüfungen  sein.    Die  Aufnahme  der  ^Naturwissenschaften'  (Mi- 

-neralogie,  Botanik,  Zoologie,  Physik,  Chemie)  in  den  Gymnasiallehr- 
plan ist  eine  unberechtigte  Concession  an  die  sogenannten  Realisten. 
^Durch  diesen  zuerst  in  Preuszen  gewagten,  dann  bei  uns  nachgeahm- 
ten Versuch  ist  auf  unsere  Gymnasialjugeud  das  zwiefache  Joch  (der 
altklassischen  Studien  und  Realien  nemlich)  gelegt  worden.'  Der 
Unterricht  im  Deutschen,  wie  er  gegenwärtig  ertheilt  wird,  ver- 
dankt dagegen  seine  Gestalt  einem  andern  aber  gleichfalls  verwerf- 
lichen Streben  den  Forderungen  der  romantisehen  Richtung  Genüge  zu 
leisten.  Das  Französisehe  zu  einem  obligaten  Gegenstand  zu  ma- 
machen ,  ^war  wol  unter  der  Herschaft  des  Königs  Hieronymus  erklär- 
lich; in  der  Gegenwart  erscheint  es  als  eine  unbegreifliche  Anomalie^. 
Es  hat  daher  das  Gymnasium  nur  Gelegenheit  zum  lernen  der  neueren 
Sprachen  darzubieten  und  es  den  Eltern  zu  überlassen,  ob  und  in  wel- 
chem Alter  ihre  Söhne  diese  Gelegenheit  benutzen  sollen.  Was  den 
Reiigionsua.terricht  betrifft,  so  wollen  sich  zwar  die  Petenten 
der  Aeuszerung  darüber  enthalten;  es  scheint  aber  doch  nach  ander- 
weiten Indicien  die  Ansicht  des  Hrn  Thiersch  zu  sein  (und  unter  den 
ohne  Clausel  als  allein  berechtigt  angeführten  Gegenständen 
wird  seiner  auch  nicht  gedacht),  dasz  die  genannte  Disciplin  gleich- 
falls in  Wegfall  kommen  und  vielmehr  *  dem  Bildungsprocess  in  der 
Familie'  überlassen  werden  solle. 

3)  Es  wird  zuviel  lateinische  und  griechische  Grammatik 
getrieben  und  auffallend  wenig  von  den  alten  Schriftstellern  gelesen. 

4)  Es  unterrichten  zuviel  Lehrer,  und  müssen  künftighin  in 
den  niederen  Klassen  alle  die  erwähnten  Gymnasialfacher ,  in  den 
höheren  alle,  mit  Ausnahme  der  Mathematik,  nur  6inem  Lehrer,  dem 
Ordinarius,  übertragen  werden. 

5)  Es  werden  zuviel  häusliche  Aufgaben  gegeben,  die 
Schüler  müssen  mehr  Zeit  *für  Lieblingsbeschäftigungen'  haben. 

6' 


82        Die  GymnasicD  und  ihre  neuesten  Gegner  in  Kurhessen. 

Dies  nennt  Ur  Tbiersch  ^Cinlenkung  zu  den  S^huleinrichtungeii, 
welche  im  Zeitalter  der  Ucformation  festgestellt,  im  wesentlichen  bis 
an  den  Anfang  dieses  Jahrhunderts  bestanden  und  sich  während  einer 
Reihe  von  Monscheualtern  bewährt  haben',  und  weist  in  dieser  Be- 
ziehung auf  das  Jahr  1833  hin,  in  dem  Mas' schlichte  alte  Paedagogium 
zu  Marburg  aufgehoben  sei';  —  eine  sehr  ominöse  Aussicht  für  die 
nach  Thiersch^s  Phantasie  organisierten  Gymnasien;  denn  das  alte  Pae- 
dagogium war  anerkannlermaszen  zuletzt  eine  in  tiefen  Verfall  gera- 
Ihene,  in  völligen  marasmus  senilis  versunkene  Anstalt,  und  an  diesem 
Ziele  würden  wir  aller  Wahrscheinlichkeit  nach,  wenn  wir  den  eben 
gehörten  Keformvorsclilügen  folgten,  am  Ende  auch  anlangen.  Dass 
übrigens  die  Behauptung  ^einer  viel  geringeren  Anzahl  von  Stunden 
und  Gegenständen  In  früheren  Zeiten'  historisch  unrichtig  ist,  läszt 
sich  aus  den  älteren  Schulordnungen  und  Lectionsplänen  unwidersprceh- 
lieh  .beweisen.  So  ergibt  sich  uns  den  Lehrplänen  der  preuszischen 
Gymnasien  und  der  sächsischen  Fürstenschulen  aus  dem  Ende  des 
vorigen  Jahrhunderts,  dasz  der  Lehrfächer  noch  mehr  waren.  Halten 
doch  z.  B.  in  Kloster  Bergen  die  Schüler  jeder  Gymnasialklasse  wö- 
chentlich 36  und  in  Berlin  auf  zwei  Gymnasien  die  Primaner  sogar  42 
Lehrstunden  zu  besuchen;  und  was  specicll  Kurhessen  betrifft,  so 
schreibt  die  Schulordnung  vom  7.  Juli  1656  für  jede  der  vier,  oberen 
Klassen  ausdrücklich  32  wöchentliche  Lehrstunden  vor.  Es  ist  also 
der  gegenwärtige  Gymnasialunlerricht  im  Vergleich  zu  früheren  Zei- 
ten, wo  noch  Logik,  Mechanik,  Rhetorik,  Poetik,  Chronologie,  Alter- 
thumskunde  und  andere  Fächer  gelehrt  wurden,  nachweislich  viel  ein- 
facher geworden,  und  steht  die  Berechtigung  der  jetzigen  Unterrichts- 
fächer durch  eine  mehr  als  hundertjährige  Erfahrung  wie  durch  das 
wolbegrundete  Urteil  sachverständiger  Männer,  durch  wiederholt  vor- 
genommene, mit  der  grösten  Gründlichkeit  und  Umsicht  veranstaltete 
Revisionen  *)  des  Lehrplaus  der  höheren  Schulen  fest. 

Ueberhaupt  hätte  sich  Ilr  Tbiersch  ein  wenig  in  der  Geschichte 
unseres  Gymnasialschulwesens  umgesehen,  so  wäre  er  vielleicht  auf 
andere  Gedanken  gerathen  und  davon  abgekommen,  zur  Abhülfe  ver* 
meintlicher  Schäden  so  radicale  Mittel  in  Vorschlag  zu  bringen.  Schon 
vor  zwanzig  Jahren  nemlich  trat  bekanntlich  der  Regierungs-  und  Me- 
dicinalrath  Dr  Lorinser  zu  Oppeln  in  einem  zuerst  in  der  berliner  me-. 
dicinischen  Zeilschrift  des  Vereins  für  Heilkunde  in  Preuszen  vom  Jahr 
1836  Nr  1  erschienenen  und  hernach  besonders  abgedruckten  Aufsatx 
^Zum  Schutz  der  Gesundheit  in  den  Schulen'  mit  ganz  den- 
selben Anklagen  auf,  wie  sie  Tbiersch,  als  wäre  vorher  noch  nie  davon 
die  Rede  gewesen,  so  breit  und  ausführlich  erhebt.  Da  hiesz  es  auch, 
^die  armen  Gymnasiasten  müsten  nicht  nur  6,  7,  8,  9  Stunden  des  Ta- 


*)  Bia  auf  die  neueste  von  Landfermann:  znr  Revision  des  Lehr- 
plans der  höheren  Schulen  usw.  und  den  damit  im  Zusammenhang  stehen- 
den Verfügungen  des  k.  preusz.  Unterrichtsministeriums  vom  7.  und  12. 


Jan.  1857  herab. 


Die  Gymnasien  und  ihre  neuesten  Gegner  in  Kurhessen.         83 

ges  in  der  Schule*  zubringen,  und  noch  dazu  in  gespannler  Aufn^erk- 
samkeit,  sondern  sie  bekämen  auch  so  viel  häusliche  Arbeiten  auT,  da^. 
sie  keine  Freistunde  behielten;  dazu  käme  das  Uebermasz  von  Gegen- 
ständen, welche  jetzt  gelehrt  würden,  und  das  nie  rastende  drängen 
und  treiben  von  einem  zum  andern!'  Der  Aufsatz  machte  anfangs  auszer- 
ordentliches  Aufsehen;  alles  schrie:  ^dcr  Mann  hat  recht,  vollkom- 
men recht',  bis  sich  vor  der  Stimme  der  Wahrheit  die  wilden  Wasser 
wieder  verliefen.     Die  tüchligslen  und   urteilsfähigsten   Schulmänner 
wie  Prof.  Müller  in  Torgau,  J.  Mützell  (der  jetzige  Herausgeber  der 
Gymnasialzeitung),  Prof.  Th.  Heinsius,  Direclor  Dr  Köpke  und  vor 
allen  Director  Dr  August  in  Berlin  und  andere  wiesen  die  Grundlosig- 
keit der  erhobenen  Anklagen  nach  und  zeigten,  dasz  die  Organisation 
der  deutschen  Gymnasien  an  sich  im  wesentlichen  ihre  volle  geschieht- 
liehe  Berechtigung  habe.    Die  G.utachten  der  preuszischen  Provinzial-. 
Schulcollegien  über  die  Lorinser^schen  Angriffe  fielen  so  aus,  dasz  das 
Ministerium  der  geistlichen,  Unterrichts-  und  Medicinalangelegenheiten 
in  dem  vortrelTlichen  Erlasz  vom  24.  October  1837  (der  alle  die  ange- 
regten Fragen  auf  das  gründlichste  un|l  eingehendste  behandelt)  die 
Ueberzeugung  aussprechen  konnte,  dasz  in  der  bisherigen  Einrichtung 
kein   Grund  zu  den  beunruhigenden  Anklagen  gegen  die  Gymnasien 
vorhanden  sei,  also  auch  durchaus  keine  Veranlassung  vorliege,  auf 
Grund  jener  Anklagen  die  Verfassung  der  Gymnasien  im  wesentlichen 
abzuändern.    ^Die  bisherigen  Lehrgegenstände'   — .  heiszt  es  in  dem 
erwähnten  Erlasz  -^  ^namentlich  die  deutsche,  lateinische  und  grie- 
chische Sprache,  die  Religionslehre,  die  Mathematik  nebst  Physik  und 
Naturbeschreibung,  die  Geschichte  und  Geographie,  und  zwar  in  der 
ordnungsmäszigen  dem  jugendlichen  Alter  angemessenen  Stufenfolge 
und  in  dem  Verhältnisse,  worin  sie  in  den  verschiedenen  Klassen  ge- 
lehrt werden,  machen  die  Grundlage  jeder  höheren  Bildung  aus  und 
stehen  zu  dem  Zwecke  der  Gymnasien  in  einem  eben  so  natürlichen 
als  nothwendigen  Zusammenhange.     Die  Erfahrung  von  Jahrhunderten 
und  das  Urteil  der  sachverständigen,  auf  deren  Stimme  ein  vorzüg- 
liches Gewicht  gelegt  werden  musz ,  spricht  dafür  dasz  gerade  diese 
Lehrgegenstände  vorzüglich  geeignet  sind,  um  durch  sie  und  an  ihnen 
alle  geistigen  Kräfte  zu  wecken,  zu  entwickeln,  zu  stäcken,  und  der 
Jugend,  wie  es  der  Zweck  der  Gymnasien  mit  sich  bringt,  zu  einem 
gründlichen  und  gedeihlichen  Studium  der  Wissenschaften  die  erfor- 
derliche nicht  blos  formale  sondern  auch  materiale  Vorbereitung  und 
Befähigung  zu  geben.     Sie  sind  nicht  willkürlich  zusammengehäuft, 
sondern  haben  sich  vielmehr  imLaufe  von  Jahrhunder- 
ten als  Glieder  eines  lebendigen  Organismus  entfaltet, 
indem  sie  mehr  oder  minder  entwickelt  in  den  Gymnasien  immer  vor- 
handen waren.    Es  kann  daher  von  diesen  Lehrge  gen  stän- 
de n  auch  keiner  aus  dem  in  sich  abgeschlossenen  Kreise 
des  Gymnasialunterrichtsohne  wesentliche  Gefährdung 
der  Jugendbildung  entfernt  werden,  und  alle  d  all  in  zie- 
lenden Vorschlage  sind  nach  n  ab erer  Prüfung  nnzweck- 


84        Die  Gymnasien  und  ihre  neuesten  Gegner  in  KurhesseD. 

maszig  und  unausfahrbar  erschienen.^'*')  Selbst dasFraoiö* 
aische,  das  allerdings  seine  Erhebung  zu  einem  allgemein  verbind- 
lichen Gegenstande  mehr  einer  äuszeren  praktischen  Rücksicht  ver- 
danke, müsse  doch  eben  um  deswillen  auch  in  Zukunft  unbedingt  bei- 
behalten werden.  —  Aber  nicht  allein  in  Preuszen,  auch  in  Kurhessen, 
das  von  Thiersch  zunächst  angegriffen  ist,  sind  alle  diese  Dinge  auf 
das  genaueste  schriftlich  und  mündlich  erörtert  worden ,  zuerst  in  den 
Jahren  1832  und  1833  von  Wisz,  Vogt  nnd  Vilmar,  dann  in  den  Jahreo 
1835 — 40  von  Wisz,  Bach  (der  anfangs  ganz  für  den  ihm  persönlich 
befreundeten  Loriuser  gestimmt  gewesen,  aber  bei  reiflicher  Ueber- 
legung  in  der  Hauptsache  zu  besserer  Einsicht  gelangte),  Vilmar,  We- 
ber (jetzt  Professor  der  Philologie  in  Marburg) ,  zuletzt  Dronke  und 
W.  Münscher  (in  Hersfeld).  Und  in  Gemäsheit  der  gutachtlichea 
Aeuszerungen  der  kurhessischen  Gymnasialdirectoren  über  eben  diese 
^Frage'  spricht  sich  denn  auch  kurf.  Ministerium  d.  I.  im  April  1838 
in  Beziehung  auf  die  oben  angeführten  sämtlichen  Gymnasialdisciplines 
dahin  aus,  dasz  keine  Veranlassung  vorliege,  von  den  der  Gymnasial- 
ordnung zu  Grunde  liegenden  Principien  abzugehen,  nnd  in  BeziehaDg 
auf  die  französische  Sprache  insbesondere ,  dasz  es  nicht  rathsam  er- 
scheine, sie  aus  dem  Kreise  des  Gymnasialunterrichts  auszuschliesseo 
oder  zu  einem  freiwilligen  (Jnterrichtsgegenstand  zu  machen,  weil  im 
ersten  Falle  das  Privatstundenunwesen  befördert,  im  andern  der  Er- 
folg des  Unterrichts  sehr  zweifelhaft  ausfallen  würde.  —  Aber  aach 
noch  späterhin  hat  kurf.  Ministerium  d.  1.  alle  diese  Dinge  in  sorg- 
fältige Erwägung  gezogen ,  und  immer  mit  dem  Erfolg ,  dasz  sich  die 
Nothwendigkeit  der  dermaligen  Gymnasialdisciplinen  jedesmal  von 
neuem  herausstellte,  und  die  Frage,  ob  zu  viele  und  zu  manigfaltige 
Gegenstände  in  den  Gymnasialunterricht  aufgenommen  seien  und  dem 
gedeihen  desselben  im  Wege  stehen,  entschieden  verneint  werden 
muste. 

Mit  vollem  Recht  macht  daher  die  erste  Gegenschrift: 

Bemerkungen  zu  der  Schrift  des  Hm  Dr  Heinrich  Thiersch  usw. 
von  Dr  Friedrich  Münscher^  Direclor  des  Gymnasiums 
zu  Marburg.   Harburg,  N.  6.  Elwert  1857.    15  S. 

diese  unverantwortliche  Nichtbeachtung  der  vorhandenen  Bestimmon- 
gen  für  die  kurhessischen  Gymnasien  im  allgemeinen  nnd  das  mar- 
burger Gymnasium  insbesondere  zum  Vorwurf.  Aber  das  scheint  ge- 
rade die  eigene  Art  dieser  nenerungssüchtigen  zu  sein ,  dasz  sie  vor 


*)  Damit  waren  auch  Lorinsers  eigene  Reformvorschläge  gemeint. 
Diese  zielten  nemlicli  dahin,  die  französische  und  deutsche  Sprache  ne- 
ben der  lateinischen  (mit  Ausschlasz  der  griechischen)  zur  Hauptsache 
zu  machen,  während  Thiersch  gerade  umgekehrt  das  Französische  und 
Deutsche  verbannt  haben  will  —  ein  warnendes  Beispiel ,  wohin  sub- 
jectivcs  belieben  führt.  Negieren  nnd  umreiszen  ist  leicht,  aber  etwas 
braiichbAres  an  die  Stelle  des  zerstörten  setzen ,  dazu  gehört  mehr  als 
•die  bloszo  Lust,  das  bestehende  einmal  umzuwerfen. 


Die  Gymnasien  und  ihra  neuesten  Gegner  in  Karhesseo.        SS^ 

dem  wirklichen  Leben  ihre  Augen  verschiieszen   und  sich  in  einer 
selbstgemachten  Welt  von  blossen  Vorstellungen  bewegen ,  gegen  die 
sie  dann  fast  wie  Kinder  mit  groszer  Hitze  zu  Felde  ziehen.   Bei  allen 
denjenigen  freilich,  die  gleichfalls  ohne  nähere  Kenntnis  der  Wirklich- 
keit von  den  Dingen,  um  die  es  sich  handelt,  nur  ganz  allgemeine, 
schattenhafte  ^Vorstellungen'  haben,  finden  sie  mit  ihren  Nebelbildern 
gar  bald  lauten  Beifall.    Die  Schule  aber  musz  solchen  Umkehrungs- 
und Zerstörungsgelüslen,  diesem  prurilus  puerilis  auch  das  sicherste 
und  wolberechtigtste  immer  wieder  in  Frage  zu  stellen,  auf  das  ent- 
schiedenste entgegentreten,  schon  aus  Liebe  zu  der  ihr  anvertrauten 
Jugend,  die  nicht  zum  Werkzeug  heillosen  experimentierens  herabge- 
würdigt werden  darf.  —   Beweise    solcher  Einbildungen   liefert   die 
Schrift  Von  Thiersch  in  hinlänglicher  Anzahl  und  hat  bereits  Münscher 
auf  mehrere  derselben  hingewiesen.    Ein  so  unangenehmes  Geschäft 
es  für  den  Mann  von  Fach  in  dieser  Hinsicht  ist,  auf  langst  feststehende 
und  allbekannte  Dinge  von  neuem  einzugehen,  so  wollen  wir  uns  doch 
diesmal  um  der  Sache  willen  der  nöthigen  Berichtigungen  nicht  ganz 
entschlagen.    ^Innerhalb  des  lateinischen  und  griechischen  Unterrichts 
—  behauptet  Thiersch  —  werde  einer  modernen  Richtung  (!)  zuviel 
eingeräumt,  d.  h.  zuviel  Grammatik  getrieben  und  zu  wenig  gelesen.' 
Es  ist  das  eine  völlig  leere  Einbildung.    Unsere  Gymnasialschaler  be- 
kommen  von  Tertia  an  bis  zu  ihrer  Entlassung:  auf  die  Universität 
innerhalb  der  Schule  (von  dem  ergänzenden  Privatstudium  ab- 
gesehen)  folgende    griechische   und  lateinische  Autoren  zn   lesen: 
in  Tertia  von  Homers  Odyssee  4  Bücher  und  die  Hälfte  von  Xeno- 
phons  Anabasis,  Cäsars  Commentarien  de  hello  gallico  ganz  und 
aus  Ovids  Metamorphosen  eine  Anzahl  der  bedeutendsten  Stücke;  in 
Secunda  vou  Homers  Odyssee  12  Bücher  und  Xenophons  Hellenika 
zum  groszen  Theil  (oder  den  Rest  der  Anabasis  und  einige  der  besten' 
Dialoge  Lucians),  aus  Livius  die  wichtigeren  Parlien,  von  Cicero 
einige  der  hauptsächlichsten  Reden  (oder  den  Lalius  und  Cato  maior), 
von  Vergils  Aeneide  mindestens  die  Hälfte,  öfters  mehr;  in  Prima 
von  Homers  lliade  12  Bücher,  3  Tragoedien  des  Sophokles  vollstän- 
dig und  ausgewählte  Stücke  aus   den   griechischen  Lyrikern, 
die  philippischen  Reden   des  Demosthenes,  Piatos   Kriton  und 
Apologie  (oder  ein  paar  andere  kleinere  Dialoge)  und  Stücke  aus  He- 
r  o  d  0 1  und  Thucydides  von  ausreichendem  Umfang,  ferner  Ciceros 
unentbehrliches  Meisterwerk  de  oratoreganz,  aus  Tacitus  Annalen 
und  Historien  ausgewählte  Abschnitte  und  die  meisten  Oden,  Episteln 
und  Satiren^  des  Horaz.    Ist  das  zu  wenig?   Dasz  es  mitunter  lang- 
samere Lehrer  gibt,  die  nicht  recht  vorwärts  kommen,  ist  wahr,  aber 
daran  ist  doch  nicht  die  Organisation  der  Gymnasien  schuld ,  und  die 
Directoren  sind  verpflichtet  darauf  zu  sehen,  dasz  die  Curso  ordent- 
lich eingehalten  werden.    Wer  aber  noch  mehr  Leetüre  fordert,  der 
bedenke  zuvor,  ob  er  nicht  damit  der  Oberflächlichkeit  und  Gedanken- 
losigkeit das  Wort  rede. 

Eine  zweite  Einbildung  des  Dr  Thiersch,  a\if  die  gleichfalls 


"^6         Die  Gymnasien  und  ihre  neuesten  Gegner  in  Karhessen. 

schon  Münscher  aufmerksam  gemacht  hat,  betrifft  den  deutschen 
Unterricht.  Auch  hier  scheint  llr  Thiersch  ganz  seltsame  Vorstellun- 
gen zu  haben;  er  behauptet,  man  habe  aus  Rücksicht  auf  die  Roman- 
tiker deutsche  Litteratur  in  weiter  Ausdehnung,  dazu  Gothisch 
und  Althochdeutsch  unter  die  gebotenen  Lehrgegenstände  gesetzt,  be- 
handele vorschriftmäszig  (denn  das  kann  doch  nur  der  Sinn  seiner 
Worte  sein)  die  vaterländische  Litteratur  wie  die  alte  (griechische 
und  römische).  Nun  noch  der  eigene  Unterricht  in  der  deutschen  Grara- 
rnntik  und  die  Verfertigung  von  deutschen  Aufsätzen ,  deren  Stoff  der 
Schüler  aus  sich  selbst  schöpfen  soll!  Nach  dem  Lehrplan  unserer 
Gymnasien  kommt  deutsche  Grammatik  nur  in  Prima  vor  und  hier  kann 
sie  nach  dem  Urteil  kundiger  Männer  nicht  entbehrt  werden.  Da  ist 
zugleich  die  Stelle,  wo  das  zu  einigermaszen  genügender  Kenntnis 
unserer  MiiUersprache  unumgänglich  nöthige  aus  dem  Gothischen  und 
Althochdeutschen  gelernt  und  hernach  am  Nibelungenlied  geübt  wird, 
mit  strenger  Beschränkung  auf  das  wesentliche.  Ferner  die  deutsche 
Leetüre  wird  nach  dem  Lehrplan  durchaus  nicht  so  behandelt, 
wie  die  der  allen  griechischen  und  lateinischen  Klassiker;  das  schul- 
mäszige  lesen  ganzer  Schiller^^scher  und  Goelhe'^scher  Dramen  bleibt 
ausgeschlossen,  wol  aber  soll  der  Vortrag  an  dem  lesen  und  recitieren 
der  Meisterwerke  deutscher  Dichtung  eigens  und  sorgfältig  gebildet^ 
und  an  gut  gewählten  Musterstücken  Herz,  Sinn  und  Verstand  der' 
Knaben  geweckt  werden.  Was  endlich  die  deutschen  Aufsätze  betrifft, 
50  bleiben  planmäszig  alle  Themata  fern,  bei  deren  Bearbeitung 
der  Schüler  ^den  Stoff  aus  sich  selbst  schöpfen'  müste;  nur  aus  dem 
Kreise  des  selbst  erlebten  und  der  eigenen  Anschauung,  aus  der  Schul- 
lectüre  und  den  Dingen,  die  in  den  übrigen  Stunden  gelernt  sind,  dür- 
fen die  Aufgaben  entno;nmen  werden.  Dasz  durch  falsche  Behandlung 
dieses  wichtigen  Unterrichtszweiges  vielfach  gefehlt  wird,  sei  es  in 
der  Stellung  unpassender  Themata  (worin  oft  nnglaubliches  geleistet 
wird)  oder  in  verkehrter  rhetorisierender  Interpretation  oder  in  weit- 
schweifigem höchst  bedenklichem  Haisonnement,  oder  auf  noch  gar 
mancherlei  Art,  sind  wir  weit  entfernt  in  Abrede  zu  stellen;  aber  das 
berechtigt  doch  wahrhaftig  nicht,  den  Unterrichtsgegenstand  selbst 
über  Bord  zu  werfen ,  denn  (selbst  aa  den  trivialen  Satz  musz  mao 
erinnern)  abusus  non  tollit  usum. 

Eine  dritte  fast  noch  stärkere  Einbildung  des  Dr  Thiersch  ist 
die,  dasz  auf  unseren  Gymnasien  ^Naturwissenschaften',  —  Mineralo- 
gie und  Botanik,  und  Zoologie,  und  Physik  und  Chemie  —  gelehrt  wer- 
den. In  der  Wirklichkeit  verhält  es  sich  —  zum  drittenmal  —  ganz 
anders.  In  naturgemäszem,  der  jedesmaligen  Altersstufe  entsprechen- 
dem Fortschritt  sollen  den  Schülern  für  das  Leben  der  Creatur  nach 
den  ^drei  Heichen  der  Natur'  die  Augen  aufgethan  werden,  damit  sie 
nicht  dermaleinst  stumpfsinnig  an  allem  vorübergehen.  Darum  werdea 
die  Schüler  nach  dem  Lehrplan  in  der  artgeführten  Gymnasialdisciplin 
hauptsächlich  durch  sehen  und  aufmerken  auf  das  geschehene  unter- 
wiesen —  und  diesem  Zwecke  dienen  die  an  allen  Gymnasien  befind- 


-     Die  Gynnasien  ond  ihre  neuesten  Gegner  in  Knriiessen.        S7 

Hohen  Sammlungen  und  Apparate  —  auf  dass  sie  von  dem  besoodern 
Leben  des  Thiers,  der  Pflanze  und  dem  Gestein,  wie  von  den  wichtig, 
sten  Na^urphänomenen  eine  bleibende  Erkenntnis  erhalten.  Dasz  mit 
diesem  naturgeschichtlichen  Unterricht  neben  dem  sogenannten  huma- 
nistischen ein  zwiefaches  Joch  auf  unsere  Gymnasialjugend  gelegt  sei, 
ist  die  vierte  Einbildung  des  Hm  Thiersch,  die  ebenfalls  der  Wirk- 
lichkeit schnurstracks  widerspricht.  Wenn  irgend  etwas  als  Moch' 
von  einer  Anzahl  der  Schüler  empfunden  wird,  so  wäre  es  die  Mathe- 
matik ,  da  wo  die  Anforderungen  über  das  rechte  Masz  sich  steigern 
und  in  Behauptung  eines  streng  wissenschaftlichen  Standpunktes  ein 
weit  gVöszerer  Lehrstoff  in  den  Unterricht  hineingezogen  wird  als  in 
der  Ordnung  ist.  Allein  hier  meint  nun  Hr  Thiersch  gerade  wäre  es 
ein  Gewinn «u  nennen,  wenn  Mie  höhere  Mathematik,  welche  bei 
uns  in  Vergleich  mit  andern  Landern,  namentlich  England,  verkürzt 
erscheine,  um  eine  Stufe  weiter  getrieben  würde' —  die 
fünfte  Einbildung  des  Verfassers^  der  wir  bisher  begegnet  sind. 
Die  sechste  ist,  dasz  bei  der  jetzigen  Einrichtung  unserer  Gymna- 
sien Mie  Schüler  dem  (innerhalb  6iner  Klasse  nemlich)  stets  wechseln- 
den Lehrerpersonal  fremd  blieben'.  In  der  Wirklichkeit  hat  jede  Klasse 
ihren  Hauptlehrer  oder  Ordinarius,  der  in  dieser  —  wo  es  sich  aus- 
führen läszt  und  nicht  andere  wichtigere  Rücksichten  eine  Aenäerung 
gebieterisch  fordern  —  wöchentlich  seine  12  — 14  Stunden  hat.  Das 
ist  vollkommen  genug,  und  wer  das  Verlangen  stellt,  dasz  in  den  un- 
teren Klassen  alle  Stunden,  in  den  höheren  alle  mit  Ausnahme  der 
Mathematik  dem  Ordinarius  übertragen  werden,  liefert  damit  den  schla- 
gendsten Beweis,  dasz  es  ihm  auf  diesem  Gebiete  an  der  nöthigen  Ein- 
sicht fehle.  Dasz  ein  tüchtiger  Lehrer,  auch  wenn  er  nur  das  Minimum 
von  2  Stunden  wöchentlich  in  einer  Klasse  zu  unterrichten  hatte,  weder 
seinen  Schülern  fremd  bleibt  noch  diese  ihm,  und  dasz  überhaupt  das 
fremdbleiben  und  vertrautwerden  nicht  sowol  an  der  Stundenzahl, 
sondern  vornehmlich  an  der  Persönlichkeit  des  Lehrers  hängt,  sollte 
man  billiger;fveise  nicht  noch  ausdrücklich  zu  sagen  brauchen. 

Was  die  Beleuchtung  noch  weiterer  Einzelnheiten  der  Schrift  des 
Dr  Thiersch  betrifft,  so  mag  es  genügen,  dafür  auf  die  andere  Gegen- 
schrift zu  verweisen,  auf  die 

Kritik  der  Schrift  von  Dr  H.  Thiersch  usw.  von  Dr  0.  Vilmar^ 
Gymnasiallehrer  zu  Hanau.  Marburg,  Druck  und  Verlag  von 
J.  A.  Koch  1857.  Hit  dem  Motto:  dif fidle  est  satiram  non 
scribere.   24  S. 

Der  Verfasser  dieser  äuszerst  treffenden  Kritik  folgt  den  Behaup- 
lungen  der  marburger  Petition  mit  dankenswerthor  Genauigkeit  Schritt 
für  Schritt  bis  ins  einzelnste,  läszt  nichts  unberücksichtigt,  sondern 
weist  Punkt  für  Punkt  die  mancherlei  Uebertreibungen  und  Unrichtig- 
keiten in  den  gemachten  Ausstellungen  nach,  nimmt  den  oft  ^u  allge- 
mein gehaltenen,  der  Phantasie  zuviel  Spielraum  lassenden  Ausdrücken 


88        Die  Gymnasien  und  ihre  neuesten  Gegner  in  Kurhessen. 

ihren  blendenden,  mitunter  verführerischen  Schimmer  und  faszt  sie 
scharf  ins  Auge,  geiszett  dem  Motto  getreu  unklare  Gedanken  und  anf- 
fallendo  Inconsequenzen  und  hält  die  zerstörenden  Folgen  vor,  die  aon 
der  Annahme  unberechtigter  Anforderungen  nothwendigerweise  her- 
vorgehen wQrden.    Wer  Belehrung  annehmen  will,  der  kann  sieh  aus 
Vilmars  Broschüre  davon  überzeugen,  wie  unwahr  es  ist  ^dasz  kein 
Klassenlehrer  da  sei,  welcher  das  Masz  des  vom  Schüler  zu  ertra- 
genden bestimmen   könnte',   wie  übertrieben  ^dasz   von  Stunde   zu 
Stunde  die  Fachlehrer  sich  ablösten',  ^dasz  die  Schule  die  ganze  Kraft 
des  Knaben  ausschlieszlich  in  Anspruch  nehme' —  schon'  die  zehn 
Wochen  Ferien,  die  freien  Nachmittage  (Mittwochs  und  Sonnabends 
und  an  mehreren  andern  Tagen  des  Semesters) ,  die  der  Erholung  ge- 
widmeten Zwischenzeiten  zeugen  dagegen  — ;  wie  ferner  die  so  stark 
gerügte  Abwechslung,  die  aber  nur  bei  einer  ganz  äuszerlichen  Auf- 
fassung des  Unterrichts  so  gefährlich  erscheint,  durch  die  Vertheilung 
der  Gegenstände  und  Lehrstunden  an  verschiedene  Lehrer  nothwendig 
bedingt  ist,  aber  alle  Stunden  einem  Lehrer  zuzuweisen  kann,  wie 
wir  oben  gesehen  haben,  nur  der  Unverstand  ve[^langen.    Mit  Recht 
hebt  der  Vf.  unter  den  unpraktischen  fTathschlägen  des  Dr  Thiersch 
den  ohnehin  sicherlich  nur  in  ganz  abstracter  Allgemeinheit  gefaszten 
Gedanken  hervor,  die  Naturgeschichte  mit  der  Geographie  und  diese 
(also  beide  Disciplinen)  mit  der  Weltgeschichte  zu  verbinden,  wie 
andererseits  in  Beziehung  auf  die  Polemik  der  Bittschrift  gegen  den' 
deutschen  Unterricht  darauf  aufmerksam  gemacht  wird ,  wie  ja  gerade 
Mie  Gegner  alles  romantischen  (!),  die  Nachfolger  der  Gottschedschen 
Schule,  nemlich  K.  F.  Becker,  die  deutsche  Grammatik  erst  in  die  Volks- 
schule und  von  da  in  die  Gymnasien  gebracht,  aber  gerade  die  Gym- 
nasien (wie  bereits  oben  angeführt  ist)  jetzt  meist  mit  diesem  unhisto- 
rischen  und  abstracten  Unterricht  gebrochen  haben'.    Die  marburger 
Bittschrift  —  damit  scblieszt  der  Vf.  seine  gründlichen  Erörterungen 
—  schlägt  *neue  Grundsätze',  ^unerprobte  Heilmittel'«  ^Experimente' 
vor,  die  wirklich  angewendet  nnr  zum  Untergang  der  Gyn^nasien  füh- 
ren würden,  darum  heiszt  es  hier:  principiis  obsta! 

Wenn  nun  aber  dennoch  trotz  dieser  detaillierten  Bekämpfung 
der  marburger  Eingabe  die  dritte  Flugschrift: 

Zu  der  von  Dr  H.  Thiersch  angeregten  Gymnasial-  Reformfrage 
von  Dr  Reinhart  Suchier,  EiUfslehrer  am  Gymnasium 
zu  Hanau.  Marburg.  In  Commission  bei  Job.  Aug.  Koch  1 857. 
15  S. 

wieder  für  Thiersch  in  die  Schranken  tritt,  obschon  sie  dessen  Ueber- 
treibungen  und  Irrungen ,  die  auf  Mangel  an  genauer  Sachkenntnis  be- 
ruhen, bereitwilligst  zugesteht:  so  scheint  der  Grund  davon,  wie  aus 
allem  hervorgeht,  vornehmlich  in  specieflcn  subjectiven  Erfahrungen 
und  Stimn[iungen  des  Vf.  gesucht  werden  zu  müssen.  Dr  Suchier  hat 
hauptsächlich  *das  Nebenfach  des  Französischen'  am  Gymnasium  sn 


Die  Gymoasiea  und  ihre  oeoesteo  Gegner  in  KarliesMa.        89 

Hanau  zu  besorgen  und  ausserdem  Deutsch  und  Geschichte  in  den  nn« 
lern  Klassen  zu  unterrichten.  Statt  nun  diesen  ihm  anvertrauten  Dis- 
cipUnen,  wie  man  doch  biliigerweise  erwarten  sollte,  seine  besondere 
Liebe  zuzuwenden,  sind  sie  ihm,  wie  es  scheint,  immer  unerträglicher 
geworden  und  haben  sich  seine  Zuneigung  nicht  zu  gewinnen  vermocht 
Doch  das  Räthsel  dieser  Erscheinung  erklärt  sich  sehr  bald,  wenn  man 
Hrn  Dr  Suchiers  Klagen  vernimmt,  Masz  die  Trennung  von  Haupt-  nnd 
Nebenfächern,  welche  von  den  Schülern,  besonders  der  obe^n  Klassen, 
sehr  bald  erkannt  und  berücksichtigt  wird ,  ihnen  (d.  h.  den  Lehrern) 
wesentlichen  Nachtheil  bringt ,  dasz  das  wenige ,  was  in  den  Neben- 
fächern verlangt  wird,  nur  mit  Mühe  zu  erreichen  ist  und  selten  rechte 
Frucht  bringt,  dasz  sie  die  Lust  verlieren  einem  bei  Versetzungen,. 
Prüfungen  nnd  sonst  untergeordneten  Fach  ihre  ganze  Kraft  zu- 
zuwenden, dasz  daher  aus  diesen  Gründen  die  Nebenfächer  besser 
ganz  ausgeschieden  als  in  einem  so  kümmerlichen  Stande  belassen 
\^erden,  der  weniger  den  Schülern  als  den  Lehrern  schadet  und  gani 
geeignet  ist,  einen  Unterschied  der  Wichtigkeit  unter  den  Lehrern 
selbst  herbeizuführen.  Man  erwäge  nur  das  eine ,  dasz  die  Lehrer  der 
Nebenfächer  ganz  von  dem  Amte  des  Ordinarius  ausgeschlossen  sind, 
das  in  den  Augen  der  Schüler  so  grosze  Bedeutung  bat  und  haben 
musz*.  Er  stimmt  daher  den  Bittstellern  darin  wenigstens  vollständig 
bei',  dasz  das  Französische  aus  dem  Lehrplan  der  Gymnasien  zu  ent- 
fernen sei  als  das  Fach,  das  vor  andern  mehr  Schaden  stiftet  als 
Nutzen.  ^  Woher  der  Widerwille  so  vieler  Lehrer  gegen  die  lieber* 
nähme  desselben?  —  so  lautet  die  Schluszfrage  dieser  Expectoration. 
—  Unumwunden  gesagt,  weil  sie  nicht  das  fünfte  Rad  am  Wagen  sein 
mögen';  und  weiter  unten  ^deutsch  gesprochen  und  ehrlich  gestanden: 
mit  den  französischen  Kenntnissen,  die  das  Gymnasium  gibt,  wird  kein 
Hund  vom  Ofen  gelockt'.  Ich  denke  das  ist  deutlich  genug,  und  es 
braucht  einer  noch  nicht  einmal  ein  wenig  zwischen  den  Zeilen  zu  le- 
sen zu  verstehen,  um  die  wahren  Gründe  aufzufinden,  die  dem  Vf.  diese 
*  untergeordneten  Nebenfächer'  besonders  ^das  Französische'  so  sehr 
verleiden.  Dasz  die  Leistungen  in  diesem  Gegenstand  in  der  Regel 
nicht  eben  bedeutend  sind,  ist  nicht  zu  leugnen ;  indessen  oftmals  liegt 
doch  der  Grund  davon  mit  in  der  Persönlichkeit  der  lehrenden ,  wo  es 
an  der  Handhabung  einer  ordentlichen  Disciplin  und  der  dadurch  he^ 
dingten  Autorität  bei  den  Schülern  gebricht.  Die  subjective  Unzu- 
länglichkeit darf  aber  doch  sicherlich  nicht  zum  objectiven  Maszstab 
für  den  objectiven  Werth  eines  Lehrfachs  für  die  Gymnasialbildung 
gemacht  werden.  Die  Unterscheidung  von  Haupt-  und  Nebenfächern 
aber  ist  nicht  eine  willkürliche,  die  man  beliebig  beseitigen  könnte, 
sondern  ergibt  sich  aus  der  besondem  Aufgabe,  die  jede  einzelne 
Disciplin  nach  den  ihr  eigenthümlichen  Kräften  für  das  ganze  zu  lei- 
sten hat,  oder  mit  andern  Worten  aus  dem  organischen  Zusammenhang, 
in  welchem  jedem  Glied  seine  eigenen  besondern  Functionen  zugewie- 
sen sind.  Erst  wo  man  anfienge,  das  Nebenfach  als  solches  herab- 
zusetzen, durch  Nichtberücksicbtigang  im  Zeugnis  oder  darch  Aus-^ 


90        Die  Gynnasieu  und  ihre  neuesten  Gegner  in  Kurhessen. 

schlieszung  ons  dem  MaturitStsexamen  oder  sonst  auf  andere  Weise,  ' 
würden  die  Klagen  über  *  Verkömmernng'  desselben  insoweit  nicht 
ungerechtfertigt  erscheinen.  —  Damit  jedoch  das  Französische  nicht 
allein  hinaus  müsse,  gibt  ihm  Dr  Suchier  einen  Gefährten  mit  ins  Exil: 
die  Physik.  ^Die  schwierigeren  Leliren  derselben,  meint  Suchier, 
wie  Optik,  die  Gesetze  des  freien  Falls,  des  Hebels  u.  dgl.  haften  im- 
mer nur  bei  wenigen;  was  ordentlich  verstanden  und  behalten  wird 
sind  solcha  Dinge ,  die  jeder  gebildete  im  Umgang  und  durch  Erfah- 
rung lernt',  also  fort  mit  ihr !  —  Ja  auch  ein  Stückchen  vom  deutschen 
Unterricht  in  den  untern  Klassen  soll  mit  auf  den  Weg!  Und  warum 
dies?  Erstens  *weil  wenige  Lehrer  den  Unterricht  gern  ertheilen', 
und  zweitens  ^weil  nichts  dem  Lehrer  soviel  Verlegenheit  bereitet, 
wie  das  aufsuchen  passender  Themata  zu  Aufsätzen'.  Wenn  solche 
Gründe  für  die  Beibehaltung  oder  Entfernung  einer  Gymnasialdisciplin 
entscheidend  wären,  dann  könnte  es  unter  Umständen  gar  leicht  dahin 
kommen,  dasz  um  gleich  ordentlich  aufzuräumen,  lieber  alle  Gegen- 
stände den  Laufpasz  bekämen.  Dasz  es  verhältnismäszig  wenig  Lehrer 
gibt,  die  mit  richtigem  Takt,  mit  innerer  Lebendigkeit  und  liebevollem 
eingehen  in  das,  was  des  Knaben  ist,  deutschen  Sprachunterricht  zu 
geben  verstehen,  hat  seine  Richtigkeit;  aber  wiederum,  um  der  sub- 
jectiven  Untüchtigkeit  einzelner  willen  über  das  Lehrfach  an  sich  den 
S(ab  zu  brechen,  das  ist  doch  in  der  That  unbeschreiblich  thöricht!  — 
Der  vierten  Streitschrift  endlich: 

Imv  Frage  über  die  Vereinfachung  des  Gymnäsialunienichfs  zu- 
nächst in  Kurhessen,  Von  Dr  Theodor  Waitz^  auszer- 
ordenll.  Professor  der  Philosophie  zu  Marburg,  Marburg, 
Elwert'sche  Universitats- Buchhandlung  1857.  27  S. 

könnte  man  zu  kurzer  Charakteristik  das  doppelte  Molto  vorsetzen, 
das  lateinische:  parturiunt  montes,  nascetur  ridiculus  mus,  und  das 
deutsche:  blinder  Eifer  schadet  nur.  Um  den  Zweck  zu  erreichen, 
^dasz  die  Theilnahme  der  gebildeten  sich  der  Frage  in  einer  gewissen 
Allgemeinhet  zuwenden  möge'  —  wie  die  Phrase  in  dem  kurzen  Vor- 
wort laulet  —  darum  verlohnt  es  sich  schon  einmal  den  Mund  recht 
voll  zu.  nehmen.  Vilmars  Kritik  hat  der  Vf.  erklärtermaszen  gar  nicht 
berücksichtigt,  was  wir  sehr  bedauern  müssen.  Denn  hätte  er  statt 
dessen  sich  vielmehr  eben  aus  dieser  Kritik  sine  studio  et  ira  über  das 
thatsächliche  instruiert,  so  wäre  er  vielleicht  bewogen  worden,  sein 
meist  höchst  unfruchtbares  Raisonnement,  das  im  wesentlichen  doch 
nur  die  Angriffe  des  Dr  Thiersch  in  unerträglicher  Breite  bis  zum 
Ufiberdrusz  wiederholt,  zum  Besten  der  Sache  lieber  ganz  zu  unter- 
lassen. Dasz  Dr  Waitz ,  ohne  sich  im  voraus  sein  Thema  ordentlich 
zu  überlegen,  geschrieben  hat,  geht  aus  nachfolgendem  unwidersprech- 
lich  hervor.  Der  Vf.  fängt  damit  an  aus  der  Bestimmung  des  Gymna- 
siums zu  folgern,  *dasz  Lateinisch,  Griechisch,  Geschichte  und  Mathe- 
matik den  eigentlichen  Kern  und  Mittelpunkt  des  Gymnasialunterrichts 


Die  Gymnasien  und  ihre  ncaesten  Gegner  in  Karhessen.        91 

ausmachen  sollen',  wozu  dann  nachtraglich  —  die  Religion  tritt,  ^da 
sie  als  wesentliche  Grundlage*  nicht  fehlen  kann,  wo  ausser  wissen- 
schaftlichen Zwecken  insbesondere  sittliche  Erziehungszwecke  ver- 
folgt werden'  (!).  Einen  Schritt  weiter,  und  die  Behauptung,  dasz 
die  genannten  Fächer  den  eigentlichen  Kern  und  Mittelpunkt  des  Gym- 
nasialunterrichts ausmachen  sollten  (an  die  sich  doch  also  noch  andere 
mehr  in  der  Peripherie  liegende  Gegenstände  anzuschlieszen  hätten), 
steigert  sich  auf  einmal  dahin,  dasz  die  genannten  Fächer  völlig 
ausreichende  ßildungselemente  für  die  Jugend  zu  liefern  im  Stande 
seien  und  darum' auch  die  einzigen  Gymnasialdisciplineu  bleiben 
müsten.  Nun  wird  gegen  alle  Nebenfächer,  gegen  das  so  oft  und 
laut  beklagte  vielerlei,  das  auf  dem  Gymnasium  gelrieben  wird, 
Französisch,  Gothisch,  Physik  usw.  losgezogen.  Aber  kaum 
anderthalb  Seilen  darnach  heiszt  es  wörtlich:  ^Physik  (die  noch 
eben  'unter  das  verderbliche  vielerlei  gesetzt  war)  und  physika- 
lische Geographie  erscheinen  darum  als  unerläszlich,  theils  weil 
die  Physik  die  allgemeinste  und  durchaus  wesentliche  Grundlage  aller 
wissenschaftlichen  Naturerkenntnis  überhaupt  ist,  theils  weil  über- 
haupt kein  gebildeter  die  Grundanschauungen  entbehren  kann, 
auf  denen  eine  richtige  Naturansicht  ruht!'  Also  hätten  wir  jetzt 
sieben  nolhwendige  Gegenstände!  Wir  bekommen  gleich  noch 
einen,  denn  unmittelbar  darauf  deduciert  Hr  Waitz  mit  freilich  gans 
unnölliiger  Weillaufigkeit,  dasz  auch  der  Unterricht  in  der  Mutter- 
sprache, die  deutschen  Aufsätze  (an  die  sich  dann  logische, 
grammatische,  stilistische  Bemerkungen  anzuschlieszen  hätten)  nicht 
fehlen  dürften.  Das  wären  acht  nothwendige  Gegenstände.  Mehr 
aber  wird  doch  Hr  Waitz  nicht  statuieren,  da  er  ja  gegen  die  vielen, 
vieleU/Nebenfächer,  Vodurch  die  Hauptgegenstände  nicht  zu  gehöriger 
Wirksamkeit  kommen  können',  zu  kämpfen,  iu  seinem  Gewissen  sich 
gedrungen  gefühlt  hat?  Ja  wirklich,  noch  mehr;  selbst  für  die  Bei-' 
behaltung  der  neueren  Sprachen  bietet  sich  ein  glücklicher  Aus- 
weg dar.  ^  Viele  Schüler  der  Gymnasien  —  heiszt  es  wörtlich  S.  12 
—  haben  neben  dem  Unterrichte  in  der  Schule  noch  Privatstunden. 
Wollte  man  solche  Privatcurse  (namentlich  in  den  neueren  Sprachen) 
so  mit  den  Gymnasien  verbinden,  dasz  sie  gegen  ein  besonders  zu 
entrichtendes  Honorar  von  Lehrern  der  AnstaU  ertheilt  würden,  die 
Wahl  der  Theilnahme  an  demselben  zwar  freigestellt  wäre,  nicht 
aber  der  Wiederaustritt  aus  dem  einmal  begonnenen 
Cursus,  so  scheint  man  durch  eine  solche  Einrichtung  so  ziemlich 
allen  Forderungen  entsprechen  zu  können,  die  in  einem  solchen  Falle 
geltend  zu  machen  wären ,  wenn  man  zugleich  diese  Privatstunden  in 
disciplinarischer  Hinsicht  denselben  Gesetzen  unterordnen  würde,  die 
in  der  Anstalt  sonst  gelten.'  Demnach  will  also  Hr  Waitz  folgende 
Lehrgegenstände:  1)  Lateinisch,  2)  Griechisch,  3)  Geschichte,  wie 
wir  am  Schlusz  hören  in  Verbindung  mit  politischer  Geographie ,  4) 
Mathematik,  O)  Religion,  6)  deutsche  Aufsätze  mit  Grammatik  und 
Stilistik  —  für  alle  Klassen — ,  7)  physikalische  Geographie  und 


,J' 


92        Die  Gymnasien  nnd  ihre  neuesten  Gegner  in  Karhessen. 

8)  Physik  mit  je  2  Stunden  in  den  beiden  obern  Klassen ,  9)  nnd  10) 
Englisch  und  Französisch  —  für  die  welche  es  bezahlen  kön- 
nen und  Lust  haben,  aber  dann,  wenn  sie  einmal  eingetreten,  bleiben 
mQssen,  also  Freiheit  mit  Zwang !  Und  das  ^entartete  Gymnasium'?: 
1)  Lateinisch,  2)  Griechisch,  3)  Geschichte  (öfters  erst  von  Qnarta  an), 
4)  Mathematik,  5)  Religion,  6)  deutsche  Sprache,  7)  Geographie,  8) 
Physik  nur  in  Prima  und  9)  Französisch  für  alle  (von  Quarta  oder 
Tertia  an),  auch  die  firmeren  Schüler!  Anszerdem  meint  das  unver- 
ständige Gymnasium  erstens:  dine  Stunde  deutsch  in  jeder  Klasse  (wl^ 
Hr  Waitz  will)  würde  sich  nicht  schicken,  namentlich  wo  noch  häufige 
orthographische  Uebungen  zu  machen  sind  —  nnd  dagegen  wird  Hr 
Waitz,  der  sich  über  die  orthographischen  Fehler  der  Herren  Studio- 
sen beklagt,  doch'gewis  nichts  einzuwenden  haben  — ;  zweitens:  es 
gienge  nicht  überall  an,  die  politische  Geographie  mit  der  Geschichte 
zu  verbinden  (wie  Hr  Waitz  von  Hrn  Vilmar  lernen  kann),  und  wenn 
Physik  und  physikalische  Geographie  getrieben  werden  sollte,  so 
dürfte  auch  in  den  untern  Klassen  die  Naturbeschreibung  nicht  ganz 
fehlen!  Difficile  est  satiram  non  scribere!  Denn  ist  es  nun  nicht  ge- 
radezu lächerlich,  aus  Hrn  Dr  Waitz  Munde  die  oft  gehörten  Phrasen 
hören  zu  müssen,  von  ^dem  mancherlei  und  allerlei  der  verschiedenen 
Lehrfächer',  *von  der  Masse  der  Gegenstande',  ^von  den  sieben  Stun- 
den täglich'  —  denn  dazu  sind  die  * 6  bis  7  Stunden'  an  den  Haupt- 
tagen bei  Thiersch  —  in  der  neuen  Wailzischen  Auflage  bereits  ange- 
wachsen !  Ist  es  nicht  förmlich  komisch ,  wenn  Hr  Waitz  S.  12  dem 
Deutschen  in  allen  Klassen  6ine  wöchentliche  Stunde  zuweist,  und  S.  14 
der  eigenen  Verdünnung  uneingedenk  von  homöopathischen  Dosen 
spricht:  ^Deshalb  bleibt  ein  Lehrfach,  das  nicht  mit  voller  Kraft  län- 
gere Zeit  hindurch  betrieben  werden  kann,  weit  besser  ganz  weg. 
Die  zwei  Stunden^  die  etwa  wöchentlich  auf  dasselbe  verwendet  wer- 
den, schaden  bisweilen  in  bedenklicher  Weise  dem  ganzen  Geiste  der 
Schule,  indem  sie  auf  den  Lerneifer  der  Schüler  drücken',  wie  das 
geradezu  unsinnige  Zeug  wörtlich  lautet !  —  Oder  wenn  er  Absurdi-  ' 
täten  wie  diese  vorbringt:  ^dasz  gerade  darin  ein  bedeutendes  Uebel 
unserer  Gymnasialeinrichtungen  zu  sehen  ist,  dasz  sie  dem  Schüler 
selbst  die  Lebensluft  und  Lebenslust  zumessen,  die  er  genieszen  soll, 
anstatt  ihn  frei  atbmen  zu  lassen';  ^der  Schüler  wird  von  einem  Lehr- 
gegenstande zum  andern  getrieben,  er  wird  förmlich  gehetzt:  es  sieht 
fast  aus  als  hätte  man  versuchen  wollen,  wie  groszen  Druck  die  Ja- 
gend zu  tragen  fähig  sei,  ohne  zu  berechnen  bis  zu  welchem  Grade  sie 
sich  abjagen  lasse  ohne  umzusinken,  mit  wie  groszer  Verwirrung  man 
sie  heimsuchen  könne,  ohne  ihre  geistige  Kraft  auf  immer  zu  lähmen!' 
Risum  teneatis  amici!  Noch  heiterer  aber  wird  die  Geschichte,  wenn 
wir  nun  die  von  Hrn  Waitz  vorgeschlagenen  Radioalmittel  gegen  diese 
entsetzlichen  Zustände  vernehmen.  Es  besteht  darin  einmal,  dasi 
alle  Fächer  (also  wie  bei  Thiersch,  nur  dasz  hier  der  Unsinn  noch 
coloissaler  ist),  d.  h.  Religion,  Lateinisch,  Griechisch,  Mathematik,  Ge- 
pchiohte  und  )>olitische  Geographie,  Physik  nnd  ^physikalische  Geo- 


Die  Gymaasien  und  ihre  neaeslen  Gegner  iu  Karbesien.        93 

graphie,  endlich  deutsche  An fsfitze  so  weit  als  thunlich, —  immer  aber 
(das  nenne  ich  doch  eine  rechtschalTene  Antikiimax)  die  alten  Spra- 
chen und  die  Geschichte  in  jeder  Klasse  6inem  Lehrer  allein  über- 
tragen worden.  (Damit  hängt  denn  auch  der  schöne  Vorschlag  zusam- 
men ,  ^dasz  die  Schüler  in  kleine  einjährige  Klassen  getheilt  und  stets 
zusammen  aus  den  niederen  immer  in  die  höhere  versetzt,  von  dem- 
selben Hauptlchrer  von  ihrem  Eintritt  in  die  Schule  an  bis  zu  ihrem 
Abgangs  von  ihr  geführt  würden'.)  Sodann:  dasz  die  wöchenllichen 
Unterrichtsstunden  in  keiner  Klasse  die  Anzahl  von  26  übersteigen 
(also  2  ist  Hr  Wailz  um  Herbarts  willen  so  gnädig  gewesen  noch  zu- 
zugeben), und  es  müssen  zwischen  je  zwei  aufeinander  folgen- 
den Lehrstunden  Pausen  von  wenigstens  10  Minuten 
stattfinden,  —  man  sieht,  dem  Hrn  Professor  behagt  das  akade- 
mische Viertel  nicht  übel ;  in  unseren  Gymnasien  würde  es  ein  treff- 
liches Mittel  sein,  die  Di^cipiin  zu  besonderer  Blüte  zu  bringen! 

Dasz  solch  ^paedagogischer  Unverstand'  bei  den  Gymnasiallehrern 
selbst  so  wenig  Anklang  findet  (worüber  Prof.  Wailz  so  empfindlich 
ist),  werden  wir  ihnen  vielmehr  zum  Ruhme  anrechnen  müssen;  es 
würde  einen  bedenklichen  ^Mangel  an  Lehrerbildung'  verrathen ,  wenn 
dergleichen  unüberlegte  Laien- Vorschläge  den  Mann  von  Fach  auch  nur 
einen  Augenblick  zu  beirren  vermöchten.  In  der  That,  wenn  ^die  theo- 
retische Paedagogik'  nichts  weiter  wüste  als  in  jener  unwahren,  fast 
kindischen  Weise  über  *die  tiefen  Schäden  des  Gymnasialwesens'  zu 
raisonnieren ,  wie  sie  in  solcher  Gestalt  nur  in  der  Einbildung  ihrer 
Erfinder  vorhanden  sind,  dann  verdiente  sie  in  der  That  nur  *das  mit- 
leidige Achselzucken',  das  Hrn  Waitz  so  unangenehm  berührt  zu  haben 
scheint.  Eben  so  wenig  wird  eine  Psychologie  (denn  die  meint  doch 
der  Vf.  hauptsächlich  unter  den  der  theoretischen  Paedagogik  ver- 
schwisterten  Fachern)  auf  irgendwelche  Anerkennung  rechnen,  welche 
von  einer  so  ungeistigen  und  mechanischen  Auffassung  ausgeht,  wie 
wir  sie  nach  dem  Vorgänge  des  Dr  Thiersch  bei  Prof.  Waitz  an  meh- 
reren Stellen  antreffen.  Oder  ist  es  etwa  nicht  eine  ganz  ungeistige 
und  mechanische  Anschauung  von  des  Knaben  Seele  und  der  Wirk- 
samkeit, die  jene  Lehr-  und  Lerngegenstände  auf  sie  ausüben,  wenn 
das  mitgetheilte  Wissen  als  unlebendige  Masse  und  die  Seele  als  ein 
todles  Gefasz  betrachtet  wird,  in  das  man  nicht  so  vielerlei  einfüllen 
dürfe.  Dasz,  wenn  anders  die  Dinge,  die  zum  Lehr-  und  Lernkreis  un- 
serer Gymnasien  gehören,  in  wirklich  innerem  Zusammenhange  stehen, 
das  eine  vom  andern  getragen  und  unterstützt  wird;  dasz,  wo  nicht 
krank  machende,. dem  gesunden  Organismus  widerstrebende  Nahrung 
darunter  ist,  alle  die  manigfaltige  Speise  doch  wieder  von  der  6inen 
Seele  so  zu  sagen  in  6in  Fleisch  und  Blut  verwandelt  wird ,  die  ele- 
mentare Einsicht  müssen  wir  von  einem  Psychologen,  der  bei  der  Er- 
ziehung mitsprechen  will,  doch  zum  wenigsten  voraussetzen.  Begegnei| 
uns  aber  statt  dieser  elementaren  Vorkenntnisse  psychologische  Ver- 
kehrtheiten und  dazu  noch  die  gröbsten  Uebertreibungen  und  Unwahr- 
heiten ,  wie  sie  aus  dem  Streben  hervorzugehen  pflegen ,  nur  ^seinq 


9.4        Die  Gymnasien  und  ihre  neaesten  Gegner  in  Karhessen. 

agitatorischen  Zwecke  durchzusetzen,  nicht  sie  vernünftig  zu  begrAii- 
den',  wer  wird  es  dann  dem  Lehrerstande  verübeln  können,  wenn  er 
an  einer  solchen  Paedagogik  mit  gerechter  Geringschätzung  vorüber- 
geht? Oder  können  wir  anders  solchen  Entstelinngen  gegenüber,  wie 
wir  oben  deren  aus  des  Vf.  Schriftchen  angeführt  und  wie  S.  20  za 
finden  sind:  ^Anstatt  den  Schüler  zu  zusammenhangendem  lesen  hinza- 
führen  —  quöit  man  ihn  geraume  Zeit  mit  auswendiglernen  von  Para- 
digmen und  Regeln,  die  oft  erst  spfit  zu  praktischer  Anwendung  kom- 
men, läszt  ihn  höchstens  kleine  unzusammerihängende  Sätzchen  lesen 
und  selbst  bilden,  und  nöthigt  ihn  schliesziich  sogar  während  seiner 
ganzen  Schulzeit  zu  so  zerstückteni  lesen,  dasz  ihm  der  Inhalt  fast  mit 
Nothwendigkeit  gleichgüjtig  bleiben  musz ,  denn  er  lernt  ihn  gewöhn- 
lich gar  nicht  kennen.  Und  das  nennt  man  der  Jugend  klassische  Bil- 
dung beibringen !  Wörter  und  Sälzchen  werden  gelesen,  nicht  Schrift- 
steller'—  kann  man.solchen  Verleumdungen  des  dermaligen  Gymnasial- 
Unterrichts  (denn  Hr  Waitz  redet  ganz  allgemein)  etwas  anderes  als 
ein  mitleidiges  Achselzucken  entgegensetzen!  Und  wenn  wir  nun  vol- 
lends finden,  dasz  diese  theoretische  Paedagogik'  den  Zweck  aller 
Gymnasialbilduug  viel  zu  beschränkt  und  darum  verkehrt  auffaszt: 
was  dann?  Müssen  wir  uns  dann  nicht  vor  dem  vom  Vf.  als  nolhwen- 
dig  begehrten  paedagogischen 'Seminar,  das  auf  solchen  Grundsätzen 
auferbaut  würde,  ernstlich  bedanken,  so  segensreich  unter  tüchtiger 
Leitung  ein  richtig  organisiertes  Institut  der  Art  wol  sein 
könnte!  Eine  falsche  Fassung  des  Zweckes  aller  Gymnasialunterwei- 
sung ist  es  aber,  wenn  der  Vf.  S.  10  das  Ziel  derselben  dahin  be- 
stimmt, dasz  sich  der  Schüler  hinreichende  Kenntnisse  aneigne,  ^um  in 
relativ  selbständiger  Weise  sich  sowol  in  die  Wissenschaften 
der  mathematisch-physikalischen  als  auch  in  die  der 
historisch- philologischen  Gru  ppe  hineinleben  zu  kön- 
nen'. Das  Gymnasium  hat  von  jeher  den  vier  akademischen  Pa- 
cul täten  dienen  wollen  und  will  das  aach  noch,  und  zwar  darum 
und  insofern  als  durch  diese  die  Männer  herangebildet  werden,  die 
dereinst  in  Kirche  und  Staat  die  Führer  sein,  anderen  vorangehen,  sie 
leiten  und  auf  ihr  thun  bestimmend  und  regelnd  einwirken  solleil,  — 
wie  dies  der  Vf.  alles  aus  Vilmars  (des  Valers)  Schulreden,  deren 
Studium  wir  ihm  daher  besonders  anempfehlen,  am  besten  und  leich- 
testen wird  erlernen  können.  Die  Knaben  so  zu  schulen,  dasz  sie  sich 
hernach  ^  in  die  Mathematik  und  Physik  oder  in  die  Geschichte  und 
Philologie  als  Wissenschaft  hineinleben  können'  —  solche  Thoren 
sind  wir  nicht,  dasz  das  unser  höchstes  Streben  wäre!  Non  scholae, 
sed  vitae!  Wir  wissen  dasz  wir  die  unsterblichen  Seelen  unserer 
Zöglinge,  die  auf  unsere  Seelen  gelegt  sind,  nicht  für  die  Schule  nnd 
das  Schulwesen,  sondern  für  das  Leben  zu  erziehen  haben,  und  wol- 
len soviel  an  uns  ist  mit  Gottes  Hülfe  frei  bleiben  von  der  schweren 
Schuld,  mit  dazu  beizutragen,  dasz  unsere  Gymnasien,  vom  Leben  los- 
getrennt, verödet  und  verwüstet  werden.  Darum  protestieren  wir 
gegen  jeden  Versuch,  die  Fäden,  welche  die  Schule  mit  dem  Leben  ver-. 


Üeber  U  av  uid  d  ov»  95 

binden ,  abzaschaeiden ,  wie  gegeo  jedao  Raab  an  ihrem  Eigenthaoi. 
€rerade  weil  es  aaser  Beruf  iat,  auf  die  wirk  tischen  Feinde  der  Ein- 
beit  im  Gymnaaiaai  ?on  aosaen  oder  von  innen ,  auf  ^die  tiefer  liegen- 
den Schäden  %  wo  sie  sich  zeigen,  mit  allem  Ernst  zu  achten  und  da- 
gegen raii  den  rechten  Waffen  anzukämpfen,  gerade  darum  sollen 
wir  uns  durch  unwahre  Vorspiegelungen  nicht  täuschen  noch  beirren 
lassen,  sondern  vielmehr  in  rechter  Erkenntnis  unserer  selbst  und  des 
uns  anvertrauten  Amtes  für  das,  was  in  Wahrheit  noth  ist,  durch 
Wort  und  That  getreulich  einstehen. 

Hanau.  Piderit. 


(1.) 

Die  Structuren  mit  ei  Sv  und  ei  ov  geordnet  und  jede  in 
ihrem  Zusammenhange  nachgewiesen. 

(Fortsetzung  Ton  S.  1 — 15.) 


c.  IV".   €l  c.  Opl.  c.  av,  fuf  =  *wenn'  oder  'da*. 

1.  Sehr  bäuflg  gibt  es  bI  c.  Opt.  c.  av,  und  zwar  als  conditioua- 
len  Vordersatz.  Dem.  58,  46  e^  ^i  yQatffan^  av.  Gibt  es  nun  ein 
'wenn'  für  'weil',  und  zwar  auch  so,  dasz  die  Modusformen  des 
Satzes  mit  'weil'  zur  Andeutung  einer  nur  verallgemeinerten  wirk- 
lichen Behauptang  beibehalten  wurden ,  wie  wir  es  c.  III  1  bei  el  ov 
c.  Ind.  gesekeu  haben ,  so  liegt  es  nahe  auch  diese  sl  c.  Opt.  c.  av  so 
zu  fassen^  da  es  auch  Fälle  eines  or»  'weil'  c.  Opt.  cav  gibt.  Aber 
dann  wQrde  hier  die  Negation  ov  sein  müssen,  während  hier  stets 
nur  fii{  erscheint,  mit  einziger  Ausnahme  von  Dem.  45,  23.  wo  das 
ov  noch  dazu  weit  vom  d  entfernt  steht.  Xen.  Hier.  1,  30  nur  durch 
Conjectur  und  &a7tBQ  ei  =  üajtBQ»  Man  wird  also  sagen  müssen, 
ein  Bedingungsvordersatz  mit  el  (j^'TJ)  c.  Opt.  könne  av  erhalten,  so- 
bald er  eine  Behaaptung  von  der  Bedeutung  eines  Opt.  e.  av  in- 
volviere, sei  es  nun  dasz  das  'wenn'  geradezu  als  'da'  sich  fassen 
läszt  oder  nur  ein:  'und  das  ist  leicht  möglich*  hinzugedacht 
werden  soll.  Richtiger  noch  möchte  die  Bestimmung  sein,  dasz  si  c. 
Opt.  den  Hauptsatz  von  der  Existenz  einer  Handlung,  bI  c.  Opt.  c.  av 
vou  der  Existenz  eines  Urteils  ausspreche;  doch  ist  jene  weniger  mis- 
verständlich.  —  Gerade  ein  dabei  stehendes  el  pflegt  solches  av  nicht 
hervorzurufen,  und  das  sollte  genügen  dessen  überall  mögliche  Supplicr- 
rung  als  Erklärungsgrund  zu  verwerfen;  dennoch  finden  wir  diese  als 
allgemein  üblich..  Zu  Dem.  Phil.  I  18  vermengen  Schäfer  und  Franke 
dadurch  das  fremdartigste.  Xen.  Mem.  1,  5,  3  eT  ya  (ir^dh  öovlov 
axifaxij  ä^aifu^^^av  SQÜ  nach  Kühner  und  Seiffert  das  av  durch  die 
in  a%qatr(g  liegende  Bedingung  bewirkt  sein,  aber  danach  müste  ge- 
rade ib.  §  1  e/,  noXii^w  yivo^hovj  ßovXalfU&a  ein  av  hinzugetreten 

iV.  Jahrb.  f.  PkU,  u.  Paed,  Bd  LXXVIll.  fl/l2.  7 


96 


Ueber  el  av  und  £i  oJ. 


sein.  Der  Grand  ist  vielmehr  deotlich  aus  §  2,  wo  ansgesproclieii  ist 
dosz  man  einen  solchen  Sklaven  nicht  nehmen  werde;  es  steht  alae 
cfv,  weil  e^  ein  verallgemeinertes  ^da'  ist.  Ebenso  Xen.  ApoUlBef 
ye  fifiv  fifiöslg  dvvaix  Sv  i^sXiy^ai  (is^  dg  ij^evöoiiai.  Cyr.  4,  5,  47 
ei  fiev  ovv  aXXovg  ixers  — j  ixBlvoig  öldotB^  sl  (livzoi  iifiag  Sv  /Jov- 
Xota^e  TtQOindtccg  fiahata  l%e^v,  ri(iiv  cnnovg  ölöove.  Die  zweite  An- 
nahme ist  die  vom  Redner  für  die  wahre  gehaltene ;  wegen  des  vorauf- 
gehenden sl  ist  aber  auch  das  eweite  mit  ^wenn^  zu  übersetzen.  Cyr. 
4,  2,  37  et  (itaette  fiiv^  ayad'ov  öh  ßovl(H6d'  av  xvyxavsiv^  htifieliq- 
^riTS,  Im  Opt.  c.  Sv  hier  und  bei  övvatfiriv  av  usw.  Stellvertreter  des 
Indic.  zu  sehen  würde  auch  noch  nicht  weiter  führen,  da  el  c.  Ind.  nicht 
nothwendig  Wirklichkeit  behauptet.  Isae.5, 32  iq>aaavy  el  avcifioroi  öv- 
vaivt  av  fiiiag  öiaXXd^aiy  ovro)  noirfieiv.  Protag.  329 B  xat  i^cj, 
eXiteg  aHoo  to)  av^Q^ntav  nei^oCytriv  av ^  Kai  eol  nei&ofiai:  ^ falls  ich 
überhaupt  überredbarbin,  wie  ich  doch  meine.'  el  xv%qi  ergänzt 
würde  den  Sinn  lassen,  wie  er  ohne  av  wäre.  Cratyl.  398  E  ovd'  cT 
XI  oTotfr'  av  etfig^  ov  avvxelvG).  legg.  10,  905  el  ö  ivdeiig  Xoyov 
xivog  av  fn;g,  inaxovtOy  Venn  vielleicht.'  Ale.  II,  144  B  el  ayvo'q- 
(Satg  xe  aal  olrfielnig  av^  =  ^und  dann  vielleicht.'  Ale.  I  124 B  aXX^ 
(lev  ovd^  av  ivl  neQiyevocfie^a ^  el  firi  imiieXela  av  xal  xe%vy  = 
*dann  könnten  wir  es  allerdings.'  Dem.  Phil.  I  18  ov6^  el  (iri  noiri- 
Caix^  av  xovxOy  ev  aaxatpQovrjxov  iaxi:  Vas  leicht  möglich  ist  und 
ich  einmal  zugeben  will.'  Aesch.  fals.  88  el  yccQ  firidelg  av  viiaif 
iavxov  avajcXilöat  q>6vov  ömalov  ßovXotxOy  rptov  aölnov  ye  (pvXa^aix* 
av  xfiv  ijwxriv.  PI.  Phileb.  21  D  noiov  dii  Xiveig;  Etxig  öi^aix'  av  av 
^rjy  rificiv  (pQOvriaiv  KeTixtifiivog.  fiöovrjg  de  (lexixcav  (irjxe  fiiya  ft^- 
xe  öfiixQov  (=  ZaTteq  av,  el  av}.  Dem.  Lept.  117  el  öi  fti;^'  av 
elg  iv  Ttavxl  tc5  %^vo)  tovr'  f%o*  öei^aL  yeyovog^  xivog  fvfx'  itp  ijficov 
nqmxov  naxaöeix^^  xoiovxov  igyov;  D.  cor.  190  el  öe  iirix^  fori  (iiqxB 
ipf  fii^x^  av  elnetvlx^t  (iridelg  iitiöhtoa  xal  xrj[ieQOVj  xi  xov  ovfißovXov 
iXQV^  noutv,  D.  50,  2  £^  d  icxlv  aXij^'^  nal  firiSelg  av  fioi  avxel^ 
not,  prooem.  32  el  de  xavxa  fiev  fii/d  ay  (priaaiev^  nQOtpacig  J'  aXXri 
xig  vneaxt^  Ttcog  ov  XQV  — .  Mid.  212  el  d^  ovxoi  %^fiaT  Sxovxeg  (lif 
ngooLvx^  av,  n^g  vfitv  naXdv  xov  oqkov  TCQoia&ai;  D.  24,  154  aXk^ 
ovdi  anigfia  8et  KaxaßaXXeiv  iv  rj  ytoXei  xotovxoDV  TtQayfidxcovy  ov6^ 
el  fiiq  7CG)  av  ijigyvoi:  ohne  av  ==  etiamsi,  mit  av  =  quamquam,  vgl. 
D.  23,  145  intdel^m  dl%riv  dovv^  av  ömaitog  xrjv  fieytaz^iv^  eHies^  ot 
Tcaxovot  KoXd^otvx'  av  öiy^long,  —  Dem.  33,  34  £/  ^  o  üagfievlanf 
Ttavxaxov  dmaLoxeq*  av  (palvoixo  XiyoDv  xovxov^  ndig  av  OQ^öog  i(iov 
TiaxeyLyvdöMXBy  =  ^da ',  und  der  Hauptsatz  mit  Verschiebung  statt 
Opt.  c.  av.  —  Thuc.  4,  19  äineivov  '^yovfievoi  afKpoxiqotg  fir^  dtaxtv- 
Övvevead'ai^  ehe  ßla  diagwyouv  ^  7CaQaxvxov(Si]g  xivog  ctoxriqlag^  etts 
xal  iKTpoXiOQKtjd'ivxeg  fiaXXov  av  ^a^oo^er^v:  Poppo  erklärt  das  av 
durch  sc.  el  xvxoij  aber  danach  müste  gerade  das  erste  eXxe  ein.  «i^, 
beim  Opt.  haben.  Das  av  beim  letzten  aber  erklärt  sich  sofort,  sobald 
man  statt  mechanischer  Anwendung  eines  Theorems  den  Sinn  berfiok- 
siohtigt.    Gerade  die  filögUcbkeit  des  letztem  Falls  war  bewegend  fOr 


lieber  et  av  and  ei  ov,  97 

die  Spartaner,  und  deshalb  sollte  gerade  dessen  Möglichkeit  be- 
hauptet werden.  —  PI.  Symp.  218  £  mvdvvsvBig  tm  ovrt  ov  q>€n)Xog 
alvai^  zXntü  aXri&ri  tvyvcivei  ovra,  S  kiyeic  nsgl  iuov»  xal  reg  i<fv^  iv 
ifioi  dvva(iigj  oi  rig  av  6v  ysvoio  afuCvavy  ccfM/rjxavov  rs  xaXkog  0()G9i}g 
av  iv  ifiol:  man  kann  statt  aal  anch  ozi  setzen  =  *dasz  nemlich'. 
Dies  ou  bringt  zwei  durch  xe  verbundene  Sätze,  beide  über  iv  ifioC 
eine  dvva^jiig  angebend,  welcher  Begriff  im  zweiten  Gliede  nur  durch 
den  Modus  potent,  ausgedrückt  ist.  Durch  Kai  statt  oti  sind  beide 
Glieder  zusammen  direct  an  f^  geknüpft,  die  Modi  des  Satzes  mit  oti 
aber  beibehalten,  rl  =  ^und  namentlich.' 

2.   Stellen  mit  andern  Relativis,  welche,  wol  zu  scheiden  von 
einem  andern  Opt.  c.  av  (jtii^),  dem  des  erstrebten  Folge  (s.  Stellen 
ans  Phaed.  Nr  I),  hier  analog  dem  il  av  (fti^)  ihre  Erklärung  finden, 
sind:  Dem.  fals.  313  sl^    ovg  ftijdl  x(^v  ijfigöov  ^riSelg  av  xovxfov 
r&v  iyxa)(il(ov  aTtooxegridsUy  xovxodv  vfiag  Alo%lvrig  ovx  ia  (lefivrjö&ai, 
D.  Mid.  202  av  öi  xi  g)kavQ6v  aitayyeJid'y ^  o  iii]öelg  av  ßovlocxo  xmv 
aXliov^  nqmog  avioxt^Kev  sv^img  Tcal  naxrfyo^H:   o  =  Fortsetzung 
des  d,    PI.  Protag.  345  B  ooxig  öi  (iri  laxgog  av  yivoixo  naxag  nga- 
|ag,  d^Aov,  ort  ovdi  TcaTtog  laxgog:  der  Relativsatz  hat  die  Geltung 
eines  Bedingungssatzes;  das  av  tritt  hinzu,  weil  der  Hauptsatz  nicht 
von  einer  Handlung,  sondern  von  einer  Möglichkeit  bedingt  werden 
soll.    Dem.  25,  7  el  bxeqov  xi  mqUcxai  tovtcov,  o  fif/delg  av  avxog 
nBitotriüivai  g>i^aeuv :  Fortsetzung  des  bI  mit  Behauptung  der  Möglich- 
keit, vgl.  Dem.  21,  203.  20,' 126.  20,  161.  19,  313.    Isoer.  12,  85  (ib. 
15,  210  nur  scheinbar^    Dem.  Phil.  1  31  OlUitTtog  <pvXa^ag  xovg  ixt^* 
ölag  ini%€iQei^  ^v/x    av  '^(letg  (iri  dvvalfie^a   ixeias  ag>LKia^ai, 
Westermann  sagt,  das  {Wxa  kxX.  sei  als  Meinung  des  Philipp  zit 
fassen.    Das  ist  unbestreitbar;  es  bleibt  nur  undeutlich,  was  denn 
durch  solche  Bemerkung  erklärt  werden  soll,  zumal  nachdem  Franke 
die  Auffassung  gebilligt  hatte,  dasz  das  (irj  allein  ans  der  or.  obl. 
sich  erkläre.    Aber  erstens  haben  wir  bereits  eine  Masse  Stellen  ge- 
sammelt, wo  ohne  or.  obl.  der  Opt.  c.  av  fi^q  bei  sich  hat.    Zweitens 
ist  es  überhaupt  gänzlich  falsch  ein  fiiq  durch  or.obl.  zu  erklären;  bei 
oxi  und  <og  kennt  die« gute  Sprache  überall  nur  av;  in  indir.  Fragen 
bleibt  die  Negation  der  directen,  nur  bei  el  ist  (ii^  da  möglich,  nicht 
oothwendig:  vgl.  c.  II.    Die  Stellen,  wo  man  sonst  so  erklärt  findet, 
sind  wol  meist  solche,  wo  das  uri  zur  Angabe' von  etwas  erstreb- 
lern  dient;  solche  im  Opt.  c.  av  s.  ^Stellen  aus  Phaed.'  Nr  I.   Dahin 
gehört  unsere  Stelle  nicht.   Vielmehr  würde  das  ftif  hier  immer  nöthig 
sein ,  schon  in   directer  Rede ,  wegen  der  Bedeutung  des   *  i  m  m  e  r 
wenn'.    Auffällig  kann  daher  nur  sein,  dasz  nicht  ^v/xa  fifj  övvd- 
[ud-a  oder  ijv/x   av  jtt^  dvvfoiie&a  steht.   Letzteres  aber  würde  leicht 
so  verstanden  werden ,  dasz  Philipp  allen  und  jeden  Winter  angreife. 
Es  ist  aber  der  Opt.  c.  av  nicht  etwa  or.  obl.  des  Conj.  c.  av,  da  das 
Hauptverb  ein  Praesens  ist.  Es  steht  vielmehr  dwal^B^^a  av  für  dvva- 
fi€'9'a,  und  da  diese  Verschiebung  sonst  wesentlich  dem  selbständigen 
Satze  angehört  und  eine  Aeuszerung  snbjectiver  Meinung  ist,  wird 

7* 


98  Uebcr  el  äv  und  d  ov. 

dadurch  allerdings  eine  Art,  wie  Philipp  sich  öfter  anszern  mochte, 
angedeutet:  ^  jetzt  mögen  sie  wol  nicht  können.'  Aber  ein  Spott,  wie 
Bremi  meint,  indem  er  beliebig  einen  diesen  Eindruck  hervorbrio- 
gendeu  Satz  ergänzt,  liegt  anmöglich  an  sich  darin.  Das  gienge  nar, 
wenn  trotz  Etesien  und  Winter  das  hinaufschiffen  doch  möglich  wäre. 

c.  IV.    bI  c.  Praet.  Ind.  c.  Sv  als  condit.  Vordersatz 

wird  geleugnet. 

1.  Das  el  c.  Opt.  c.  Sv  (jii^)  im  vorigen  Kapitel  muste  erklärt 
werden  als  den  Bedingungsvordersatz  zugleich  eine  Behauptung  ent- 
halten lassend.  Es  fragt  sich  ob  ein  Bedingungsvordersatz  mit  el  c. 
Ind.  Praeter,  ebenso  im  Stande  sei  ein  Sv  aufzunehmen.  Man  nimmt 
das  gewöhnlich  an;  auch  hat  das  bei  der  üblichen  Erklärungsweise 
keine  Schwierigkeit.  Dennoch  müssen  wir  es  durchaus  leugnen.  Un- 
sere Behauptung  stützt  sich  erstens  darauf,  dasz  man  keine  stichhal- 
tigen Belege  für  diesen  Gebranch  beizubringen  vermag;  zweitens  auf 
den  Sinn,  den  die  Structur  haben  müste.  Nemlich  bei  bI  c.  Opt.  ohne 
av,  das  keine  Behauptung  enthält,  vielmehr  gerade  von  sich  weist, 
war  es  möglich  eine  solche  durch  ein  Sv  aufzunehmen.  Aber  sl  c. 
Praeter,  vierter  Stufe  enthält  schon  vollständig  die  Behauptung  der 
NichtWirklichkeit,  so  dasz  für  Heranziehung  eines  Sv  kein  Anlasz 
bleibt. 

Wo  dieser  Gebrauch  berührt  oder  Stellen  danach  erklärt  wer- 
den, wird  regelmäszig  verwiesen  auf  Herrn,  ad  Vig.  p.  830,  aber  dort 
steht  fürs  Praeter,  kein  einziger  Beleg,  nur  einige  für  den  Opt.  Den 
appar.  crit.  von  Schäfer  habe  ich  nicht  vergleichen  können ,.  aber  et- 
waige Belegstellen  dort  werden  doch  von  andern  benutzt  sein.  So  hat 
namentlich  Bäuml.  Mod.  S.  135  ff.  dafür  heranzuziehen  gesucht  was 
nur  möglich  schien,  und  nach  ihm  Rost  Gr.  Ausg.  VII  §  121  not.  10  (7). 
Bevor  wir  auf  die  einzelnen  Stellen  eingehen ,  haben  wir  uns  mit  den 
Principien  der  bisherigen  Auffassung  derselben  auseinander  zu  setzen. 
Die  gewöhnliche  Erklärung  ist  auch  hier  die,  welche  mit  Ergänzung 
eines  sl  alles  abgethan  glaubt;  diese  ist  natürlich  auch  hier  allent- 
halben möglich,  es  wird  aber  damit  eine  Kritik  der  einzelnen  Stellen 
eben  unmöglich.  Auch  ist  festzuhalten  dasz,  wo  hei  einem  el  c. 
Praeter,  dies  wirklich  durch  ein  anderes  £t  bedingt  ist,  ersteres  da- 
durch nie  ein  Sv  erhält:  s.  z.  B.  Dem.  63,  23  und  27,  obwol  das 
nach  jener  Annahme  nothwendig  wäre.  Es  ist  daher  von  Bäumlcin 
ein  anderer  Weg  versucht. 

2.  Bäum  lein  läszt  das  Sv  überall  eine  snbjective  Behauptung 
bringen.  Diese  Erklärungsweise  ist  allerdings  mehr  der  Masse  des 
wirklichen  Gebrauchs  entnommen ,  nicht  so  dogmatisierend  hingestellt 
wie  die  andere.  Dennoch  ist  sie  theils  einseitig,  theils  für  den  hier  in 
Rede  stehenden  Gebrauch  nichts  erklärend.  Einseitig  ist  sie,  indem 
sie  diejenige  Bedeutung,  welche  beim  Opt.  c.  Sv  allerdings  die  vor- 
hersehende, aber  keineswegs  die  einzige  ist,  als  die  eigentliche  und 
somit  allgemeingültige  setzt ,  während,  wenn  man  nur  eine  andere  Be- 


lieber  $1  iv  and  et  ov.  9ft 

detttong,  die  oft  genug  klar  sich  aufdringt,  anerkennt,  das  zn  6rund8 
liegende  gemeinsame  leicht  sich  findet.  Das  £v  beim  0  pt.  kann  nem- 
lieh  erstens  auf  eine  einzelne,  bestimmte  Bedingung  hinweisen,  von 
deren  ErfaUung  die  Verwirklichung  abhänge ,  z.  B.  Xiyoi  &if  == 
^würdewol,  wenn';  zweitens  kann  dies  av  darauf  hinweisen,  dasz 
die  factischen  Umstfinde  von  solcher  Art  seien  dasz  danach  das  sagen 
wirklich  sei,  und  nur  ob  das  Subject  es  dennoch  thne,  thun  wolle, 
ungesagt  bleibt  :  =  *möglicberweisesagt  er.'  Die  demonstra- 
tive  Kraft  des  av  kann  also  eben  so  gut  auf  ein  *wenn'  wie  auf  ein 
^weil'  hinweisen.  Dasz  auch  bei  letzterem  es  möglich  ist  ein  ^wenn' 
zn  supplieren ,  ist  sicher  kein  Grund  dagegen ;  denn  diese  Möglichkeit 
besteht  auch  beim  Ind.  Praes.  und  Fat.  Die  letztere  Bedeutung,  Mög- 
lichkeit der  objectiven  Sachlage  nach,  hat  ihre  hauptsächlichste  An- 
wendung als  gemilderte  oder  subjective  Behauptung,  als  milderer 
Indio.,  indem  statt  des  seins  nur  ein  sein  können  behauptet  wird. 
An  sich  ist  die  Behauptung  des  könnens  nicht  milder  als  der  Indic ; 
vgl.  Thuc.  6,  35  ovtevl  av  xqon^  el^oiev  ot  ^A^rpfalot^  und  die  ge- 
milderte oder  subjective  Behauptung  ist  auch  hier  nicht  Grundbedeu- 
tung der  Slructnr  mit  av. 

Beim  Praeter,  c.  anweist,  so  gewis  hier  ein  Satz  mit  *wenn' 
stets  nothwendig  ist,  das  av  stets  auf  diesen  hin.  Die  zweite  Beden- 
tung,  welche  es  beim  Opt.  erlangte,  des  sein  könnens  und  somit  sub- 
jectiver  Behauptung,  konnte  beim  Praeter,  nicht  entstehen,  da  hier 
geradezu  das  nicht  sein  behauptet  wird.  Odersoll  in  Einern  Munde 
neben  dem  nichtsein  ein:  *  freilich  wäre  es  möglich'  Iwhauptet  wer- 
den ?  Wir  wollen  das  bei  den  Belegstellen  versuchen.  Es  hat  aber 
Bäumlein  seine  Bedeutung  der  subjectiven  Behauptung  hier  nur  da-  . 
durch  durchfuhren  können ,  dasz  er  die  Bedeutung  der  Nichtwirklich- 
keit  bei  den  Praeterißs  aus  ihrer  temporalen  herleitet.  Die  Unhalt- 
barkeit  aber  dieser  wenn  auch  allgemein  verbreiteten  Meinung  haben 
wir  anderswo  (vgl.  Syst.  S.  80.  Stell,  a.  Phaed.  1  S.  190)  wol  zur 
Genfige  dargethan.  Die  Praeter,  sind  eher  Modus  gewesen  als  Tem- 
pus. Ferner  würde  nach  Bäumleins  Auffassung  das  av  gerade  auch 
beim  Ind.  Praes.  und  Fut.  erwartet  werden  müssen.  Ferner  würde 
diese  Auffassung  doch  auch  bei  den  Praeter,  nicht  weiter  führen  als 
zu  derjenigen  Klasse  der  Praeter,  c.  orV,  wo  diese  nicht  die  Nicht- 
wirklichkeit,  sondern  eine  vorübergegangene  Möglichkeit  (=  Ver- 
gangenheit des  Opt.  c.  av  z.  B.  crederes)  bedeuten.  Aber  erstens 
scheidet  Bänmlein  diese  Klasse  nicht  als  eine  besondere,  zweitens 
reicht  sie  hier  nicht  für  die  Beispiele  ans.  Endlich ,  ganz  abgesehen 
von  der  Frage,  welche  Grundauffassung  des  av  die  richtige  sei,  wür- 
den wir  mit  der  Annahme  der  von  Bänmlein  doch  nur  eine  Erklärung 
gewonnen  haben ,  welche  dann  überall  möglich  wäre  und  deshalb  zur 
Beurteilung  der  einzelnen  Stellen  wie  des  ganzen  Gebrauchs  keinen 
Anhalt  gewährte. 

3.    Von  den  bei  Bäumlein  a.  0.  und  Rost  a.  0.  beigebrachten  SteU^ 
len  können  wir  sofort  abtrennen  die  unter  ^av^La^o}  ü  behandelten 


100  Ueber  sl  uv  und  bI  ov. 

Substantivsätze ,  ferner  die  homerischen  (Od.  6 ,  282.  II.  23,  526)  un4 
das  Orakel  bei  Hdt.  1  174,  indem  auch  Rost  und  Bäumlein  dort  nicht 
x€  sondern  oial  lesen.  Da  es  nun  auszer  Eur.  Hipp.  695  und  Ar. 
Lysistr.  in  der  Rede  eines  Laco  von  Dichterstellen  nur  einige  aas 
Theocrit  und  Erinna  gibt,  so  scheint  es  sich  nicht  um  eine  ursprüng- 
lich vorhandene ,  später  aufgegebene  Nüancierung  des  Ausdrucks  zu 
handeln,  sondern  um  einen  unorganischen  Auswuchs  dorischen  Dia- 
lekts. Fürs  Attische  bleiben  nur  übrig  Dem.  49,  58.  fals.  172.  cor. 
trier.  6.  cor.  101.  Eur.  Hipp.  695,  denen  wir  noch  Dem.  50,  67  bei- 
fügen. 

Dem.  49,  58  €l  xolvvv  1(S%vqov  äv  ipf  xovxm  xexii'qQiov ^  —  xa- 
fio2  yeviad'Gi  xenin^Qtov.  Der  Modus  des  Hauptsatzes  zeigt  schon,  dass 
dieser  gar  keinen  Vordersatz  mit  Praeter,  der  Nichtwirklichkeit  ver- 
trägt, so  wenig  ohne  av  wie  mit  Sv.  Ein  rein  temporales  Praeter, 
verträgt  aber  die  Hinzufügung  eines  av  so  wenig  wie  ein  Ind.  Praes.; 
abgesehen  davon  wäre  solche  Andeutung  ^subjectiver'  Behauptung 
hier  ganz  unpassend,  da  auf  diese. der  Redner  sein  Argument  nicht 
gründen  könnte.  Kurz  die  Structur  ist  b  r  a  c  h  y  l  o  g  i  s  c  h  für :  ^ w  e  n  n 
[nun  aber  die  Sache  so  steht,  unleugbar  ist  dasz]  jenen  jenes  aU 
Zeugnis  würde  genügt  haben,  so'  usw.  Dies  ^wenn'  steht  dann  für 
^da'.  Der  condit.  Vordersatz  ist  also  sl  c.  Ind.  Praes.  und  dessen 
Subject  ein  Urteilssatz  im  Praeter,  c.  av.  Ebenso  Dem.  50,  67  il 
xolmn/  av  ifiol  xoxs  cd^I^sc&s — y  TCcSg  ovxi  vvv  7t(fo<Si^xei;  wo  un- 
mittelbar vorhergeht:  a^'-ovx  av  toQylieCd's  (loi  oial  riyeta^e  av  aJA 
xetv  jtte,  sc.  d  fi^  iTUtQtrjQaQxrjCa.  Diese  brachylogische  Structur  ist 
die  einzige,  durch  weiche,  wenn  auch  nur  scheinbar,  ein  Praeter,  c. 
av  Vordersatz  werden  kann.  —  Dem.  fals.  172  inalj  ü  firi  dia  x6 
xovxovg  ßovXsc^ac  cäcat  i^dkrig  aitoXoliiriv  xal  nQOioXrig,  ü  itqocXa- 
ßciv  y^  av  ccQyvQiOV  ndw  noXv  (lexa  xovxafif  iTt^iaßevaa,  Hatte 
Bäumlein  diese  Stelle  so  vollständig  angeführt,  so  hätte  er  sie 
nicht  als  Beweis  brauchen  können.  Denu  es  zeigt  sich ,  dasz  htqia- 
ßevaa  etwas  völlig  als  wirklich  behauptetes  ist  und  dasz  av  zu  itffoa- 
Xaßoiv  gehört,  dasz  also  der  Fall  eines  el  c.  Praeter,  c.  av  hier  gar 
nicht  existiert.  Der  Sinn  ist:  ^denn  ich  will  verdammt  sein,  wenn  ich 
diese  Gesandtschaft  übernommen  habe  aus  einem  andern  Grunde,  etwa 
Geld  nehmend.'  Eben  so  gut  wäre  anzuführen  gewesen  Dem.  61 9  54: 
ovK  av  aenaQBxaXovv^  tl  (irj  xovxov  av  cot  xdXXtaxov  k'Qavov  elci- 
veyMtv  äiifjv:  wo  av  zum  Infin.  gehört.  —  Dem.  cor.  trier.  (51)  6 
ovxot,  d'  ai  iihv  eixov  %dqov^  a  v  (ynriQeölav) ,  ovölv  av  tjv  detvov. 
Bei  Baiter  fehlt  av,  und  zwar  so,  dasz  er  nicht  einmal  für  nöthig  hält 
die  Variante  zu  eitleren.  Bänmlein  sucht  hier  das  av  dadurch  zu  hal- 
ten, dasz  es  andeute  eiTtBQ  slxovy  ;i^€/^ov'  av  elxov.  Das  leidet  aber 
der  Sinn  nicht.  Der  Redner  leugnet  aufs  bestimmteste,  dasz  sie  über- 
haupt vnriQeala  gehabt  hätten ,  wie  das  auch  das  unmittelbar  folgende 
zeigt:  vvv  d'  ovd  OTtoiavxivovv  iisfil69aivxat.  Der  Redner  würde 
nicht  blos  sein  Argument  schwächen ,  er  würde  sogar  etwas  schwerer 
zu  beweisendes  und  doch  nicht  so  schlagendes  vorgebracht  haben. 


Ueber  si  iv  and  el  ov.  10  i 

Die  einsige  Möglichkeit  wäre  es  als  Substantivsatz  zu  fassen  £^  = 
Sri,  obwol ,  wie  früher  gesagt,  wir  dafür  von  öhvov  av  ijv  kein  Bei- 
spiel kennen:  aber  der  Zusammenhang  fordert  den  Salz  mit  ^wenn'. 
—  Dem.  cor.  101  rfe  ov%  av  anlnxHvi  fte  öt^ctiagy  d  —  inexdQfjaa 
äv]  dies  av  fehlt  schon  seit  Bekker,  auch  bei  Baitcr  und  ohne  Va- 
riante. Eine  Möglichkeit  oder  ^subjective'  Behauptung  soll  es  doch 
wahrlich  nicht  bringen  f  Oder  sollte  vielleicht  jemand  sagen  wollen 
es  stünde  ^wenn'  für  ^  weil  %  also  ei  mit  den  Modis  von  ort?  Veil 
ich  dann,  wenn  ich  es  gethan  hätte,  etwas  schlimmes  würde  gethan 
haben/  Es  gibt  Beispiele  von  ort  so  gut  wie  von  inel  mit  Opt.  c.  av 
und  mit  Praeter,  c.  avj  wenn  nemlich  die  Existenz  eines  Satzes 
dieser  Modalformen,  nicht  eine  Handlung  als  Grund  soll  angeführt 
werden.  Aber  an  unserer  Stelle  würde  trotz  des  Deutschen  ^weil  ich 
böses  gethan  hätte'  nur  ovt  inB%Uqrfia  (Ir  Stufe)  ohne  av  stehen, 
vgl.  Dem.  61,  .67  *t/v'  av  Ttore  yvm^riv  et%sx€^  el  —  fii}  imxQiriQaQxrfial 
o^'  ov%  av  wQyl^BC&i  (loi;  el  xolwv  av  rore  ifkol  <x}Qylisa&€^  oti  ov» 
lfCBxqtriQa(f%ri<Say  mag  ov%l  vvv  7tQ0<Si]X€i  xtX.;  denn  die  zürnen- 
den werden  sagen  und  denken  ovx  iTtexQiriqa^^ae  ohne  av ,  und  aus 
deren  Seele  ist  gesprochen.  So  würde  auch  Hör.  Sat.  I  6,  20  censor- 
qne  moveret  Appius  —  gnoniam  in  propria  non  pelle  quiessem  grie- 
chisch nur  in  denjenigen  Modus  treten ,  in  welchem  Appius  den  Grund 
dachte.  Auch  lateinisch  ist  das  nur  Vergangenheit  aus  moveat,  quie- 
verim.  —  Endlich  Eur.  Hipp.  695  tl  d^  ev  irCQa^^  av^  nd^x^  at^ iv 
oogmötv  f\v.  Auch  hier  wird  die  Lesart  ohne  av  die  einzig  richtige 
sein,  und  das  Metrum  vertragt  sie  auch.  Allerdings  passt  als  Gedanke 
der  Amme:  ^und  leicht  hatte  es  mir  gelingen  können',  aber  in  jenem 
Satze  halt  solcher  Nebengedanke  nur  auf  und  stört;  auf  die  subjective 
Ansicht  der  Amme  kommt  es  nicht  an  bei  einer  Verlheidigung.  Ueber- 
hanpt  ist  es  unnatürlich,  dasz  durch  av  ein  Nebengedanke  herein- 
gebracht werden  soll,  welcher  den  Hauptgedanken  aufhebt. 

4.^  Es  fragt  sich  ob  ein  Bedingungsvordersatz,  durch  andere  Re- 
lativa  und  Conjunctionen  als  bI  eingeleitet,  ein  av  beim  Praeter,  ver- 
trage. Dem  bei  ü  zuerst  behandelten  Falle  Dem.  49,  58  entspricht 
Is.  18,  7  tt^ico  öi^  oiSovnB^  av  rovtoo  Cki^ilhov  riv^  mg  xxL  — ,  xoaov- 
xov  ifiol  ysviad'at  xsH^r^qtovj  mg  nxX.  =  ^wenn  [es  wahr  ist,  dasz] 
—  sein  würde^  so  wahr  soll'  usw.  Ebenso  Dem.  23,  99.  22,  7.  20, 
143.  Lys.  4,  12.  Isae.  12,  12.  —  Dem.  fals.  29  <J«  v/iiag  ix«v' 
bgavj  oxij  ovxiv  avifiBig^  slg  xavx7}v  xrjv  xd^iv  Tcaxeoxricaxey 
ovxog^  eiTtBQj  aansQ  ovxog^  rjßovki^difj  fiia^maag  iavxov  i^oTtaxäv  vfiagj 
xmv  IfSmv  aXxiog  av  riv  xaxcoi/,  oCmvTtSQ  xal  ovxog.  Als  reiner  Be> 
dingungsvordersatz  gefaszt  müste  av  fehlen:  ovxiva  oder  eixtva  aa- 
XBdxriaaxSj  aber  dann  wäre  das  %axa6xrfiai  als  nicht  wirklich  ausge- 
sprochen (Stell.  a.'Phaed.  I  4,  4).  Hier  aber  ist  der  Sinn:  Ver  es 
auch  gewesen  wäre,  den  ihr  (an  seiner  Stelle)  beauftragt  haltet.' 
Danach  könnte  das  av  fehlen,  sobald  man  statt  seiner  a\Xov  einsetzte. 
Unsere  Stelle  in  Gegenwart  zurückversetzt  würde  nicht  heiszen: 
ovxiva  av  %axacxrfiri[tB^  alxiag  Scxai^  wo  in  rein  conditionalem  Vcr-« 


102  Ueber  ü  &v  and  d  ov. 

hällnis  über  die  Wirklichkeit  des  Kataarijifw  nichts  behauptet  wäre,  — 
sondern  ovtiva  av  Kaxaari^aaixs  =  ocng  fori  (totovvog) ,  ov  av  na- 
taavriaatre  (vgl.  Stell,  a.  Phaed.  I  5,2).  Dieser  Opt.  c.  av  ist  nach 
eiSug  riv  Praeter,  c.  av  geworden  (Stell,  a.  Phaed.  I  8);  unsere  Stelle 
also  zusammengezogen  aus  ooxtg  i^v,  ov  av  Ttarsaxfiaats.  Doch  ist 
mir  keine  ähnliche  aufgestoszen,  namentlich  auch  nicht  bei  den  Red- 
nern, anszer  etwa  Lys.  15,  6  dsivov  avzoifg  fiiv  rovg  aTQaxriyovg  — 
fii}  av  ToXfiijaat^  Stog  av  ido7ctfia0^0avj  ^AXxtßiadriv  di  toX^imv.  Der 
Inf.  ist  entstanden  aus  ovdslg  irokiiffiBv  av.  Dies  wäre  in  Gegenwart 
ToXfifjaac  av  oder  Tol/ürai}  Svj  ziemlich  gleich  voX^a;  vgl.  Stell,  a. 
Phaed.  I  8.  In  Gegenwart  hiesze  es  ovdslg  roXfia  oder  roXiirfiat  ävj 
Sa>g  av  doxi(ia(S^,  Dies  in  Vergangenheit:  ovdelg  hoXfitjae  oder 
ix6Xii7i<5E  av,  ecog  doKi(iaa&€Ci]j  so  lange  nur  rein  das  Causal Verhält- 
nis beider  Sätze  behauptet  werden  soll,  und  nichts  Qber  das  Verhältnis 
des  öoxiiiaad^ai  zur  Wirklichkeit;  soll  aber  letzteres  geschehen,  so 
hiesze  es  ecag  idoKtiiaad'fi.  Ist  obige  Lesart  (Baiter)  richtig ,  wie  wir 
nicht  bezweifeln,  so  ist  in  Gegenwart  nach  övSelg  roXfi^  oder  ToXfiif^ 
aai  av  —  ?G)g  av  dontfiaC&sCri  zu  denken,  für  welche  Strnctur  Stell, 
a.  Phaed.  VI  die  Beispiele  gesammelt  sind.  Es  wOrde  damit  das  glQck- 
liche  Bestehen  der  SoKifiacCa  im  ganzen  als  selbstverständlich  gesetzt: 
^bis  sie  geprüft  werden  können.'  Diesen  Opt.  o.  av  finden  wir  dann 
hier  in  Vergangenheit  gesetzt.  —  Es  gibt  noch  ein  paar  Stellen,  wo 
mau  durch  ein  (ii^  veranlaszt  werden  könnte  an  Bedingungssätze  za 
denken:  Dem.  cor.  225  aXX*  ovx  ^v  tote  ixXi^avra^  a  fii/re  7tgo'i^de& 
(ifjöelg  ft^r'  av  tpiq^ti  rrj(iSQOv  §rfi"fjvat^  diaßäXXetv,  Aber  auch  hier 
wird  eine  Folge  aus  einer  Beschaffenheit  ausgedrückt,  und  Dem.  und 
Isoer.  lieben  es  diese  als  eine  erstrebte  darzustellen,  so  dasz  das 
nichtwissen  usw.  vom  Aesch.  prämeditiert  sei.  Man  mtisz  Oberhaupt 
wol  zugestehen,  dasz  Dem.  Isoer.  und  Sophocies  häufig  (ii^  setzen  statt 
%ovj  um  einen  innigeren  Zusammenhang  mit  dem  Hauptsatz  hervorzu- 
bringen ,  ein  Vorspiel  mancher  Gebrauchsweisen  des  Conj.  im  Latein. 
Im  Ind.  Praeter,  noch  so  Isoer.  12,  85  '^pjvofAtiv  av,  ei  yqa^pnv  hu* 
%ttq&v^  ntql  mv  (iridelg  av  aXXog hoXftriaSj  ovtmg avant&i^tog  ÖKUfi* 
(ifiv  (Dem.  25,  5  d^'  a  d'  av  xal  firid^  oriovv  adtotcov  rt^  IdeixfB  ge- 
hört ftri  nur  zum  Partie.  =  Venu').  Häufiger  findet  sich  dies  beim 
Opt.  e.  av:  Dem.  Mid.  202  iav  di  xi  q>XavQOv^  o  (irjdelg  av  ßovloito 
tciv  aXXayvy  iTtayysX^^^  nqmog  äviaxipce.  Dem.  25,  7  und  9.  21,  205. 
20,  126.  20,  161.  19,  313.  Von  diesen  Opt.  c.  av  sind  obige  Praeter, 
c.  av  die  Vergangenheit,    m^qd^i  av  =  crederes  ans  credas. 

(Scblusz  im  nächsten  Heft.) 

Güstrow.  Aken. 


BwaM:  InbrtiMh«  SpraeUebr«.  .  103 

Lehrbücher  der  hebräischen  Sprache. 

(Fortsetzung  von  S.  15—28.) 


2. 

Hebräische  Sprachlehre  für  Anfänger  von  Heinrich  Ewald. 
Zweite  Ausgabe.  Leipzig,  Hahn'sche  Verlags -Buchhandlang. 
1855. 

Nach  dem  ausführlichen  Lehrbache  und  noch  in  denselben  Jahre 
ist  eine  zweite  Ausgabe  der  ^hebräischen  Sprachlehre  för  Anf&nger' 
erschienen,  und  auch  sie  zeigt  das  ernstliche  Bemühen  Ewalds  um 
Verroilkommnung,  und  trotz  der  kurzen  Zeit,  in  der  dies  Werk  dem 
vorigen  gefolgt  ist,  lassen  sich  schon  wieder  wesentliche  Verbesserun- 
gen nachweisen.  So  ist  diese  kleinere  Grammatik  nicht  etwa  ein 
bloszer  Auszug  der  gröszern,  eine  bequeme  Schrift  um  das  erarbeitete 
doppelt  rentabel  zu  machen ,  wie  man  deren  jetzl  oft  auf  dem  Bücher- 
markte  findet,  sondern  es  ist  eine  treue,  neue  Arbeit,  und  die  Achtung 
Tor  der  Persönlichkeit  Ewalds  hat  sich  bei  uns  durch  die  Vergleichung 
der  sechsten  Anfilage  gegen  die  fünfte  des  Lehrbuches  und  nun  dieses 
Werkes  mit  jenem  bedeutend  gesteigert.  Auch  die  Vorreden  zeigen 
es  deutlich,  dasz  es  ihm  Ernst  ist  und  welch  hohes  Ziel  er  sich  gesteckt 
ha^.  Alles  dies  macht  die  Kritik  bescheiden,  und  beachtet  mau  die 
Grundsätze  die  er  in  der  Vorrede  ausspricht,  so  musz  man  ihm  auch 
Recht  geben,  wie  in  den  Klagen  über  die  geringen  Leistungen  in  dieser 
Sprache  und  über  die  n^angelhafte  Lehrart,  die  noch  vielfach  zu  her- 
sehen  scheint.  Welcher  Art  freilich  das  ist,  worüber  Ewald  bei  seiner 
Rückkehr  nach  Norddeutschland  so  erschrocken  ist,  können  wir  nicht 
errathen.  Ferner  ist  das  zuzugestehen ,  dasz  derjenige ,  der  am  voll- 
kommensten eine  Sprache  versteht,  auch  am  geschicktesten  erscheint 
zur  Aufstellung  eines  Lehrbuchs  auch  für  Anfänger ,  eine  Wahrheit, 
die  sich  manche  neuere  Grammatiker  zu  Gemüte  führen  könnten ,  die 
da  meinen  dasz  sie  mit  etwas  geänderter  Anordnung,  mit  Mehranwen- 
dung von  fetter  Schrift,  aueh  mit  ein  paar  philosophischen  Redensar- 
ien das  Recht  zur  Abfassung  einer  neuen  Grammatik  erlangt  haben, 
die  nicht  bedenken ,  dasz  sie  erst  durch  Leistungen  anderer  Art  ihre 
Befähigung  nachweisen  müssen,  dasz  eben  die  Grammatik  die  letzte 
Frucht  des  Wissens  sei.  Weil  dies  nicht  beachtet  wird,  haben  wir 
in  neuester  Zeit  so  viele  neue  Grammatiken ,  in  denen  die  alte  Gründ- 
lichkeit und  Zweckmäszigkeit  zugleich  verloren  gegangen  ist.  Hr  Ewald 
hat  ganz  recht,  wenn  er  verlangt  dasz  auch  dem  Anfänger  das  zu  erler- 
nende gleich  richtig  erklärt  werden  müsse,  wenn  er  behauptet  dasz 
der,  ^welcher  die  Wissenschaft  am  vollkommensten  übersieht,  auch  die 
beste  Erkenntnis  des  richtigen  Hasses  habe  für  den  Anfänger'.  Dasz 
er  nun  sich  selbst  deutlich  für  denjenigen  erklärt,  der  die  richtigste 


104  ^  Ewald:  hebräische  Sprachlehre. 

Erkenntnis  hal,  dasz  dies  ^kleinere  Lebrbach  einen  schnelleren  Ueber- 
blick  des  wahren  Inhalts  einer  hebräischen  Sprachlehre'  gewährt, 
das  nimmt  man  gern  hin,  aber  6ins  hat  er  dabei  ganz  übersehen ,  d  e  n 
Anfänger  selbst,  der,  wenn  er  auch  ^etwas  erwachsener'  ist,  doch 
noch  nicht  die  Willens-  und  Geisteskraft  hat,  sich  gleich  in  ein  wis- 
senschaftliches System  beim  lernen  der  Elemente  hineinzuarbeiten;  fdr 
ihn  sind  die  'sogenannten  Regeln'  doch  ein  Bedürfnis.  Und  'die  Re- 
geln' sind^s  allein  nicht  die  den  Schüler  schrecken,  ob  man  Regeln 
oder  Gesetze  sagt  ist  ihm  wol  gleich;  das  erschreckliche  kann  nur 
vielmehr  in  der  Art  der  Regeln  liegen.  Sie  müssen  klar  und  bündig 
sein ,  dabei  richtig  und  der  Wissenschaft  entsprechend ;  es  musz  eben 
nicht  wieder  und  wieder  umgelernt  werden.  Wer  aber  Schüler  unter- 
richtet hat  wird  ans  beistimmen,  dasz  d  i  e  Grammatik  am  meisten  dem 
besagten  Zwecke  entspricht,  die  von  voller  Erkenntnis  der  Sprache 
ausgehend  den  Stand  und  das  Fassungsvermögen  des  Schülers  berück- 
sichtigt; denn  der  steht  ja  von  vorn  herein  nicht  in  der  Wissen- 
schaft, kann  den  Zusammenhang  des  einzelnen  noch  nicht  Übersehen, 
nicht  verstehen ,  musz  lauter  einzelnes  erst  lernen ;  das  aber  musz  me- 
thodisch geordnet  sein  und  darin  gerade  liegt  die  Schwierigkeit  einer 
solchen  Arbeit,  dasz  zwei  so  verschiedene  Erfordernisse  Wissensofaaft- 
lichkeit  und  Lehrhaftigkeit  zugleich  befriedigt  werden  müssen.  Und 
nun  wünschten  wir  unsere  Anzeige  schlieszen  zu  können,  aber  wir 
dürfen  es  nicht  und  müssen  daher  bekennen,  wir  halten  auch  in  dieser 
Auflage  diese  Sprachlehre  für  den  Anfänger  nicht  für  geeignet.  Es  ist 
uns  schwer  geworden  dies  Urteil  so  nackthin  auszusprechen,  und  wir 
urteilen  eben  nur  aus  dem  Eindrucke  des  Buches  selbst;  andere  haben 
ja  bereits  dasselbe  in  den  Schulen  eingeführt,  die  müssen  also  Erfah- 
rungen gemacht  haben,  gegen  die  alle  Meinungen  verstummen  müssen. 
—  Wir  aber  sind  verpflichtet  unsere  Ansicht  so  weit  möglich  zu  be- 
gründen; dabei  werden  wir  das,  was  wir  gegen  die  Richtigkeit  ein- 
zelner Behauptungen  im  ausführlichen  Lehrbuche  erinnert  haben,  nicht 
wiederholen,  überhaupt  wollen  wir  nicht  aus  solchen  abweichenden 
Ansichten  über  die  Brauchbarkeit  dieses  Buches  sprechen,  —  wer 
sagt  denn  dasz  wir  die  richtigen  Ansichten  haben,  —  aber  das  müssen 
wir  hervorheben,  dasz  die  Sprache,  in  der  das  Buch  gehalten  ist,  nicht 
für  Schüler  passt.  Es  ist  eben  das  Leidwesen  dasz  nur  Männer  der 
höhern  Wissenschaft,  die  in  schriftlicher  und  mündlicher  Lehre  ein 
schon  'entwickelteres  Schülerthum'  vor  sich  haben,  die  für  Männer  der 
Wissenschaft  sogar  schreiben,  die  hebräischen  Schulgrammatiken  ver- 
fassen, nicht  Schulmänner.  Und  warum  thun  es  diese  nicht?  Das  läszt 
sich  leicht  erklären,  gehört  aber  nicht  hieher.  Hr  Ewald  zeigt  sieh 
auch  in  diesem  Werke  zu  sehr  als  forschender  Gelehrter,  es  ist  hier 
aber  das  erforschte  gleichsam  noch  nicht  abgeklärt,  so  S.  104  §  171: 
'Da  ...  so  ist .. .  und  das  ganze  etwas  schwieriger  verstanden  wor- 
den' wol  von  andern  Gelehrten,  nicht  von  Ewald  selbst.  Aber  was 
geht  das  den  Schüler  an?  wie  schwer  es  dem  Grammatiker  gewor- 
den ist,  das  ist  dessen  Sache,  und  seine  Pflicht  ist^s  dem  Schüler 


Bwild :  hebraifdie  SprachlehriB,  105 

d«8  Verst&ndnis  leicht  xu  nachei.  Das  geschieht  freilich  hier  nicht; 
theils  ist  der  Ausdruck  schwer,  theils  häufen  sich  die  Verweisungen, 
und  dieselben  weisen  nicht  einmal  immer  das  behauptete  nach.  Wir 
wollen  einzelnes  nach  der  Reihe  anführen ,  doch  eben  nur  so  viel  das 
behauptete  zu  belegen,  nicht  aber  alle  Belege  geben,  die  wir  dafflr 
halten. 

Schon  die  Aufstellung  der  Paradigmen  ist  für  das  lernen  sehr 
ungünstig;  mag  sie  noch  so  wissenschaftlich  sein,  dagegen  wollen  wir 
nichts  erinnern,  aber  unpraktisch  ist  sie;  da  steht  Masc.  und  Fem. 
durcheinander,  da  st^en  neben  den  Formen  noch  Zahlen  1,  l.b,  3,  2  b, 
3,  3b,  3o,  die  irre  machen.  ^Diese  Paradigmen  habe  ich  absichtlich 
auf  die  deutliche  Vorlage  der  Beispiele  beschränkt,  aus  welcher  man 
alle  andere  leicht  ergänzen  kann,  um  nirgends  der  bloszen  Bequemlich- 
keit und  Trägheit  zu  Hülfe  zu  kommen.'  Diese  Absicht  ist  ganz  lobens« 
werth,'  aber  wer  aus  Erfahrung  weisz,  wie  schwer  es  im  Anfange  ist, 
dasz  sich  die  Schüler  an  die  fremde  Schrift  und  fremden  Laute  gewöh- 
nen, der  wird  die  von  Geseiiius  beobachtete  Weise  billigen,  die  For- 
men fast  alle  zu  geben,  und  ni^r  die  Grundformen,  von  denen  andere 
abgeleitet  werden,  die  hauptsächlich  zu  merken  sind,  durch  Druck  her- 
vorzuheben; manches  könnte  da  zur  Verbesserung  noch  aus  Ewald  he* 
nutzt  werden,  ja  auch  das  streitet  nicht  dagegen  dasz  hier  vieles,  na- 
mentlich die  Declinationen ,  ganz  anders  geordnet  sind ;  es  dreht  sieh 
hier  nicht  um  die  innere  Anordnung,  nur  um  die  äuszere  Aufstellung. 
Dabei  kann  und  wird  der  Lehrer  Mittel  haben  Bequemlichkeit  und  Träg- 
heit fern  zu  halten.  Man  zeige  nur  Schritt  für  Schritt,  wie  die  Formen 
sich  bilden,  weise  immer  auf  die  Grundgesetze  zurück,  lasse,  wenn 
Kai  gelernt  ist,  an  Kai  das  Niphal  bilden  usw.,  und  wenn  der  Schüler 
nach  dep  aligemeinen  Regeln  die  neuen  Formen  gebildet  hat,  lasse  man 
die  Grammatik  aufschlagen,  ob  die  wirklichen  Formen  den  gefundenen 
entsprechen ,  und  wo  das  nicht  ist  weise  man  nach  (oder  gestehe  es 
nicht  zu  können),  wie  diese  Abweichung  von  der  Regel  entstanden  sei ; 
so  mache  man  es  nach  Beendigung  des  Vup  mit  allen  andern  Verben 
und  der  Schüler  wird  nicht  trag  werden  durch  die  vollständig  aufge- 
stellten Paradigmen,  er  wird  vielmehr  an  die  durchgehende  Regelreoh- 
tigkeit  und  Gleichmaszigkeit  des  Hebräischen  erinnert.  —  Wir  hätten 
ferner  nicht  S.  1  usw.  das  Metheg  als  Tonzeichen  überhaupt  gebraucht, 
da  das  Metheg  in  der  hebräischen  Schrift  doch  einmal  eine  andere  Be- 
deutung hat;  viel  rathsainer  ein  Zeichen  zu  wählen,  was  sonst  nicht 
vorkommt. 

§  23 :  MedDch  ist  das  Hebräische  auch  noch  nicht  so  gänzlich 
vocalarm  geworden:  der  Wortton  hält  noch  stark  den  volleren 
Vocalklang  in  seiner  Umgebung,  sowol  hinter  sich  als  vor  sich; 
nur  von  der  zweiten  Silbe  vor  dem  Tone  an  beschränkt  sich  die  Voeal- 
anssprache  überall  auf  das  nothdürftigste.  Durch  diese  Abnahme 
der  leichten  Vocalaussprache  sind  die  wirklich  bleibenden  Vocale 
etwas  schwerer  und  unbeweglicher  geworden,  woraus  vorzüg- 
lich das  Gesetz  flieszt,  dasz  ein  ursprünglich  kurzer  Vocal,  wenn 


i06  Ewald:  hebräische  Sprachlehre. 

er  aus  besonderer  Ursache  in  einfacher  Silbe  bleibt,  sich  so- 
gleich zam  langen  dehnt,  am  sich  zu  halten'  §  60.  69.  87.    Sonst 
sind  noch  6  Citate  in  dem  §.    Wird  der  lernende  mit  solchen  Worten 
etwas  anzufangen  wissen?  —  §  24:  ^Wäre  das  HebrSische  so  vocak 
reich  wie  das  Arabische,  so  würde'. ..    Das  Arabische  möchte  dem 
Anfänger  im  Hebräischen  wol  noch  unbekannter  sein.  —   §  25  steht 
die  Reget :  eine  offene  Silbe  hat  einen  langen  Vocal,  eine  geschlossen^ 
einen  kurzen,  ^und  nur  durch  die  neue  Kraft  des  Tones  kann  der 
Vocal  lang  sein,  wiewol  nicht  unbeschränkt.^    Was  weisz  nun  der 
Schuler?   War^s  nicht  kürzer  zu  sagen,  die  Toi||ilbe  kann  einen  lan- 
gen und  kurzen  Vocal  haben,  sie  mag  nun  offen  oder  geschlossen  sein ; 
eine  offene  Silbe  ohne  Ton  hat  stets  einen  langen,  eine  geschlossene 
ohne  Ton  stets  einen  kurzen  Vocal.  Das  Citat  auf  §35  wird  den  Schü- 
ler auch  nicht  fördern.  — §29:  *Das  sonderbarste  ist,  dasz  a  und 
^  durch  dasselbe  Zeichen  ausgedruckt  werden,  auch  den  gleichen  Na- 
men Qamesz  haben.    Dies  musz  zwar  aus  eineir  ziemlich  frühen  Ver- 
web; b  s  1  u  n  g  der  Laute  a  und  oin  gewissenLändern  und  S c h d - 
1  e  n  flieszen ;  da  indes  dadurch  alle  Sprachgosetze  gestört  wer- 
den, so  tbut  man  besser  ungeachtet  des  gleichen- Zeichens  die  Laute 
immer  zu  unterscheiden.'   Nun  folgt  das  besondere,  wo  ein  einzelner 
Fall  in  gleiche  Linie  mit  dem  gewöhnlichen  gesetzt  wird.    Und  wie 
leicht  läszt  sich  der  Unterschied  für  den  Anfänger  fixieren !  —  §  31 : 
^Die  Kluft  zwischen  vollem  Vocale  und  unklarem  Vocalanslosze  fül- 
len die  fluchtigen  oder  Cbatefvocale  aus,  welche  bei  günstiger 
Gelegenheit  statt  der  Vocallosigkeit  eintreten.'   Wer  wird  solche 
Sätze  einem  lernenden  bieten  ?  und  nun  folgt  unter  1)  gleich  das  Pa- 
tach Fnrtivum,  was  gar  kein  Chatef  ist;  unter  2)  aber  sind  einzelne 
Fälle  behandelt,  als  käme  dergleichen  viel  vor.   Nach  §  33  ist  alles 
möglich:  alle  fünf  Vocale  können  verwechselt  werden.    Der  Schüler 
musz  dabei  ein  Gefühl  bekommen,  älinlich  den  Anfängen  der  Seekrank- 
heit. —  §34:  *^als  ein  etwas  fetterer  Laut  erhält  sich  zwai;^iB 
gewissen  Fällen  vor  Suffixen  fest e r  und  hält  sich  bei  schwäche- 
ren Mitlauten  oft  gerne'  . . .    Das  Fett  gibt  also  dem  e  seine  Dauer- 
barkeit.  —  §  35:  ^Als  um  eineStufe  an  Milde  und  Nachgiebig- 
keit niedriger  stehend  erscheinen  daher  e  v  überall  da,  wo  die 
nach  §23  entsprechenden  kurzen  Vocale  aus  irgend  einer  Ur- 
sache lang  werden  müssen.'  —  §  36:  ^Die  D  oppella  ute  ai  und 
oti  §  29  [da  steht  nur  dasz  aus  a  -j-  i  und  a  +  u  ^die  ursprüng- 
lichen Doppellaute'  entstehen;  dies  Citat  war  also   nicht   nöthig] 
zeigen  sich  als  an  sich  bedeutsame  Laute  insebrweni- 
gen  Bildungen  §  180.  [da  steht  dasz  der  Dual  zur  Endung  äim  hat] 
§  167   [^Verkleinerungswörter  drücken  sich   durch   gebrochene 
Vocale  u  —  at,  au  und  dafür  ö  aus  (also  sind  die  §  36  als  Doppel- 
laute bezeichneten  Laute  hier  wieder  gebrochene  Vocale  genannt,  was 
doch  nicht  recht  übereinstimmen  will),  als  malte   der  gebrochene 
verstümmelte  Laut  den  Begriff  (wer  findet  in  den  Diminutiven  den 
Begriff  des  verstümmelten,  gebrochenen!    Ist  denn  ein  Hündchen  ein 


Ewald:  h^raische  Spraohlelire.  197 

Hand  ohne  Schwanz?)  sind  aber  im  Hehr,  noch  sehr  selten. 
Der  Vocal  setzt  sich  in  die  Mitte  (nun  folgen  Beispiele  mil 
d)  auch  wol  mitUebergang  in  I  aas^,  ae  oderan^sEnde 
als  ün  oder  vielmehr  —  ön  (avn),  dem  oft  dasselbe  u  vor- 
hergeht.' So  ist  denn  in  diesem  §  167  kein  Beispiel  von  at,  keins 
von  au]  and  entstehen  am  häufigsten  nur  durch  zusam* 
menflieszen  zweier  Yocale  §43.  54  [in  beiden  steht  dasz  o^ 
in  ae^  au  in  ö  übergeht,  nichts  von  der  Entstehung  des  ai  und  au}-^ 
aber  wie  sie  auch  entstehen,  die  Richtung  zu  weichem 
Lauten  verein  facht  sie  vor  dem  Tone  überall  bis  aufwe* 
nige  FfiUe  §  131.  43  [§  131  steht  nichts  als  dasz  fo  und  <t  die 
Formen  mitunter  vertauschen,  also  allenfalls  ai  und  au  selbst  ver*> 
wechseln ,  wenn  man  das  so  nennen  dürfte.  §  43  ist  schon  erwfihnt] 
zu  Mischlauten  ai  zu  ae,  au  zu  o;  nur  im  Tone  bleiben  sie 
in  gewissen  Fällen,  jedoch  so,  dasz  das  ä  sich  leicht 
stärker  dehnt  §43  [zum  4lrittenmale  in  diesem  §  citiert!  bietet 
aber  kein  Beispiel  zum  gesagten].  Aber  auch  die  Mischlaute 
unterliegen  im  Fortschritte  bisweilen  ferneren  Verein- 
fachungen, besonders  vor  neuen  Zusätzen  am  Worte 
fällt  d  bisweilen  in  ^,  oft  ae  =  e  in  i  herab  §  88,  vgl.  §  146; 
oder  ä'i  im  Tone  vereinfacht  sich,  zwischen  zw.ei  Mit- 
lauten geschleift,  selten  sogar  mit  Unterdrückung  des 
zweiten  Lautes  in  ä  '{^  für  l'^K  §  104  [wo  ist  in  Y.»  ein  DoppeU 
laut?  es  sind  ja  noch  zwei  Silben!],  auch  schon  der  Uebergang 
des«  ajs  zw  eiteu  Bestandtheils  des  Doppel-  und  Misch- 
lauts [ist  doch  zweierlei,  at  ist J)oppeU,  ä  Mischlaut]  in  das  fei- 
nere I  ist  eine  Art  Erweichung:  p'^'Q^  Busen  aus  pin  §  146' 
[Wer  sieht  in  p'^n  das  feinere  t,  wer  in  pin.das  «?J.  So  wird  der 
Lehrling  auf  zehn  und  mehr  Paragraphen  verwiesen ,  auf  einen  drei- 
mal, und  findet  nirgends  diese  Doppellaute  ai  und  au,  die  freilich  im 
Hebräischen  gar  nicht  vorhanden  und  daher  in  manchmal  zehn  Para- 
graphen nicht  zu  finden  sind;  aber  Mitleiden  musz  man  haben  mit  dem 
Schüler,  der  nach  so  viel  suchen  nichts  gefunden  hat,  und  wundern 
kann  man  sich  nicht,  wenn  er  die  Lust  zu  ähnlichem  suchen  verliert. 
—  §  47:  ^Wie  das  Fürwort  der  zweiten  Person  atia  als  Suffix  d.  i. 
in  untergeordneter  Stellung  —  ka  lautet  §  247.'  —  $  247:  Mn  der 
zweiten  Person  erscheint  das  Suffix. stets  D  für  n  §  184'  —  und  nun 
endlich  §  184  steht  kein  Wort  von  13,  nur  die  Pronomina  personalia 
absoluta  und  unter  diesen  natürlich  auch  die  der  zweiten  Person  alta^ 
Ott.  Ist  denn  aber  nicht  solches  eitleren,  um  alle  Geduld  zu  verlie- 
ren? So  wird  §  32  auf  §  104  verwiesen,  von  da  wieder  auf  §  70; 
vgl.  §  53.  211,  3.  209.  Ein  Buch,  das  den  Lehrling  so  unnöthiger- 
weise  quält,  ist  nicht  für  den  Unterricht  geeignet.  —  Mitunter  sind 
Gründe  angeführt,  deren  zwingende  Kraft  wol  jeder  Anfänger  bezwei- 
feln dürfte.  So  §  30:  ^  Des  Schönschreibens  wegen  hat  auch  "^  immer 
ShVa:  ^^J  Warum  soll  "^  schöner  aussehen  als  "7?  Doch  hat  auch 
Nägelsbach  diesen  Grnnd  angenommen.  —  §  131:  *Die  Stämme 


108  Ewald:  hebrfiische  Sprachlehre. 

ÜWp  §  121  und  ähnliche,  welche  bereits  im  Actir  vorn  ein  6  haben, 
lassen  dies  im  Passiv  unverändert  (da  das  ü  nach  §  35  -mit  ö  wechseln 
kann).'  Man  braucht  noch  nicht  HebrSisch  zu  können ,  um  zu  wissen 
dasz  man  das,  was  man  thun  kann,  noch  lange  nicht  jedesmal  thnt, 
sondern  nur  wenn  ein  besonderer  Grund  dazu  treibt.  Hier  aber  hatte 
die  Sprache  allen  Grund,  den  ihr  gegebenen  Unterschied  von  Actir 
und  Passiv  nicht' fallen  zu  lassen:  es  ist  also  jener  angegebene  Grund 
keiner.  Was  man  nicht  kann,  davon  musz  man  sich  auch  nie  den  Schein 
geben.  Eine  Schulgrammatik  aber,  die  solche  Scheingründe  als  Er- 
klfirung  aufstellt,  bringt  sich  selbt  um  allen  Glauben.  So  wird  §  142 
das  Kamez  in  rTb|  eben  nur  erklSrt,  weil  die  Sprache  einen  Unter- 
schied mit  dem  Futur  hätte  herstellen  wollen.  Wer  ein  bischen  nach- 
denken kann  wird  sich  sagen,  das  gieng  auch  umgekehrt,  da  wurde 
derselbe  Zweck  erreicht.  Wenn  der  Schüler  somit  hier  und  da  leichf 
dahinter  kommen  kann,  dasz  solche  Gründe  eben  keine  sind,  aber  doch 
mitunter  wol  nicht  gleich  dahinter  kommt,  kann  er  nun  gar  nicht  klag 
werden,  wo  Sprachkenntnis ,  die  ihm  ja  fehlt,  nothwendig  ist,  um  den 
Ausdruck  zu  verstehen.  —  §  54:  ^Auszerdem  behauptet  die  Sprache 
leicht  *^  im  Anfange  einer  mittlem  Silbe,  wo  dies  jedoch  nicht  durch 
die  ganze  Wurzel  aus  gewissen  Ursachen  geschieht,  wird  es  auch 
wieder  leicht  ausgestoszen.  —  §  55 :  *  sie  bleiben  Mitlaute  oder  doch 
unterschiedener.'  —  §  57:  '"^^US  nach  der  Kraft  so  viel  als  "^^ati.*  — 
S  65:  *Doch  kann  sich  auch  dieser  I-E-Laut,  wenn  die  Wortbil- 
dung es  begünstigt,  erhalten  (weisz  das  der  Anfänger?);  auszerdem 
gesellt  sich  zu  dem  schwächern  Mo  ft  gern  das  dumpferverhal- 
lende  e.'  —  §69:  ^entweder  bleibMer  vorige  Vocal  in  seiner  Kürze, 
so  dasz  «r  den  Hauchlaut  so  nahe  als  möglich  berührt  und  gleichsam 
noch  halb  verdoppelt.'  —  §  79  ist  die  einfache  Sache  der  Assi- 
milation wieder  einmal  recht  schwer  gemacht  und  als  Beispiel  der- 
selben gegeben :  ^  nn  für  tett  nach  §  82  aus  tent  oder  tenet  §  238% 
wo  die  Assimilation  gänzlich  verschwanden  ist!  so  wird  §  117  citiert 
vom  assimilierten  Aleph,  da  finden  sich  aber  nur  Beispiele  vom  Jod. 
—  Ganz  eigenthümliche  Ausdrücke  erschweren  ebenfalls  den  Ge- 
braach;  wenn  irgend  jemand  musz  sich  der  Grammatiker  Quintilians 
Spruch  gesagt  sein  lassen:  utendum  sermone  ut  nummo,  cui  publica 
forma  est.  —  §  75 :  ^Der  vorige  Vocal'  für  den  der  vorhergehenden 
Silbe.  —  §  88:  Mie  zuvorige  Silbe.'  —  §  113:  nur  ungern  und 
zögernd  entschlieszt  sich  die  Sprache  dazu.  —  §  118:  Vo  dann  ein 
Guttural  vor  fs^  etwas  stärker  behandelt  wird.^ —  §  122:  *deii 
aotiven  Vocal  a.'  —  §  129:  ^Halbpassiv.'  §  203:  *eine  solche 
schiefe  (oblique)  Aussprache.'  §  234:  ^jedoch  bleibt  der  Ton  schon 
stark  unverändert  als  zu  träge  zur  Veränderung.'  —  §  172: 
Mm  Adjectiv  ist  der  leichtern  Zweideutigkeit  wegen  das 
masc.  nur  selten  und  dichterisch  als  neutr.  gebraucht.'  —  §  184:  *un- 
ter  denen  (pron.  pers.)  wieder  die  höhere  n,  die  der  ersten  und  zwei- 
ten Person,  an  sich  die  volle  Kraft  von  Substantiven  oder  Ei- 
gennamen tragen.'    Doch  ist  anzuerkennen,  dasz  solche  auffällige 


Ewald:  hebräiseha  Spraohlehra.  109 

Aosdrflcke  hier  bei  weitem  weniger  sich  finden  als  in  dem  ansführ- 
lichen  Lebrbuche,  wo  dergleichen  auch  eher  zn  ertragen  ist.  Doch 
kommen  wir  immer  auf  dasselbe  surfick,  unser  Tadel  trifft  den  Ans- 
drnck,  der  an  sehr  viel  Stellen  uns  sehr  undeutlich  vorgekommen  ist; 
was  hilft  es  aber  eine  Reihe  Stellen  anführen ,  ausschreiben  kann  man 
sie  doch  nicht  alle,  nnd  es  ist  dies  ein  Vorwurf,  der  das  ganze  Buch 
trifft,  nicht  blos  einmal  einen  einzelnen  Paragraphen.  Wir  haben  uns 
eben  verleiten  lassen  aus  verschiedenen  Paragraphen  Einzelheiten  zu- 
sammenzustellen, und  es  könnte  dadurch  leicht  dasMistrauen  entstehen 
als  wären  diese  eben  mühsam  zusammengesucht;  wir  wollen  daher 
noch  einige  Stellen  im  Zusammenhange  nehmen ,  so  die  so  einfache 
Lehre  von  der  Bildung  des  Geschlechts.  Da  beginnt  §  172:  *Wo  das 
Semitische  solche*  Unterschiede  anszerlich  ausdrückt  nimmt  es  bestän^ 
dig  Endungen  zu  Hülfe :  die  eine  Ausnahme  davon  §  137  hat  ihre  be- 
sondere Ursache.  [Die  Bildung  des  Futur  durch  die  Präformativen  häUo 
nicht  als  Ausnahme  aufgestellt  werden  sollen,  ond  wäre  es  nicht,  wenn 
das  Futur  hier  nicht  eigenthümlich  abgeleitet  wäre.  Es  sind  aber  diese 
Präformativen  die  pronomina  personalia,  nicht  Zeichen  des  Feminin, 
die  sind  wirklich  als  Endungen  angesetzt,  und  also  auch  insofern  die 
Ausnahme  falsch.  Und  wie  mag  Ewald  auf  solche  Fassung  gekommen 
sein?  Wir  vermuten  wegen  bbfjn,  so  dasz  das  n  als  Zeichen  des 
Feminin  ajizusehen  wäre.  Aber  noch  ist  diese  Erklärung  nicht  ge« 
sichert.  Also  ^iner  Form  wegen ,  und  der  subjectiven  Erklärung 
6iner  Form  wegen  wird  in  der  Regel ,  die  auch  sehr  subjectiv  anfge« 
stellt  ist,  wieder  eine  Ausnahme  zugegeben!]  Es  hatte  zwar  ursprüng- 
lich ein  Neutrum  wie  MT]  was?  neben  "«»wer?  §  182  beweist  [also 
dies  ln)j  ist  hier  mit  dürren  Worten* als  einziger  Beweis  angeführt; 
wie  schwach  er  ist  haben  wir  oben  gesehen;  und  nun  musz  sich  der 
Anfänger  mit  dem  Neutrum  herumplagen],  hat  aber  in  seiner  jetzigen 
Gestalt  [kann  uns  Hr  Ewald  von  einer  früheren  belehren?]  jedes  Ge- 
fühl für  eine  durchgreifende  Unterscheidung  des  Neutrum  verloren 
[wer  nur  beweisen  könnte  dasz  es  dies  Gefühl  je  gehabt!],  und  durch 
das  herausfallen  dieses  Steines  im  Gebäude  ist  viel  Schwanken  ent- 
standen.' —  §  173:  'Das  masc.  als  nächstes  Geschlecht  hat  keine 
Unterscheidung.  [Soll  wieder  ein  Grund  sein,  aber  wer  bonus,  bona, 
bonnm  gelernt  hat  weisz ,  dasz  auch  das  masc«  seine  Unterscheidung 
haben  kann,  dasz  es  also  nicht  im  Begriff  des  masc.  liegt  ohne  Endung 
zu  sein.  Und  dann  was  heiszt  nächstes  Geschlecht?]  Wo  das  Fem. 
sich  äuszerlich  unterscheidet  [wo  ist  denn  dies?  Eben  schien  es  als 
ob  blos  das  masc.  keine  bestimmte  Endung  hätte,  und  in  demselben 
Athemzuge  erfahren  wir  nun,  dasz  auch  das  Fem.  nicht  immer  eine  feste 
Endung,  also  eben  keine  habe;  aber  dazu  findet  sich  kein  Grund  au- 
gegeben. Es  muste  heiszen :  In  den  Substantiven  bezeichnet  die  Sprache 
das  Geschlecht  nicht  durch  Endungen ,  nur  viele  Fem.  haben  die  En- 
dung at,  ah],  da  hat  es  als  ursprüngliches  Zeichen  ein  angehängtes  — 
aL'  —  §  174:  ^Indessen  [wegen  des  falschen  Ausdrucks  musz  nun 
sohon  wieder  eine  Aosnahme  angenommen  werden !  ]  sind  manche  Snb- 


110  Ewald:  hebrfiische  Spracblehro. 

siantiFa,  obgleich  dem  Sprachsinne  (?)  nach  entweder  besUndig^  odor 
doch  hie  und  da  weiblich  gedacht,  immer  ohne  äussere  Unterscheidaaiy 
geblieben.'  Nachdem  erst  die  Namen  lebender  Wesen  aufgeführt  wi« 
Dfijt  Mutter  usw.  stellt  der  §  noch  lolgende  3  Klassen  auf: 

1)  Namen  für  die  E  r  d  e ,  als  deren  Kinder  die  Menschen  -geUen, 
für  Land  und  Sfadt,  V"?M,  b'2n,  ^'^^;  seltner  für  yerwandte  (?) 
Gegenstande. 

2)  Naraen  starker  aber  heimlicher  rathselhafler  Kräfte :  tDSS  Seele 
und  Ihm  folgend  im  dichterischen  Gliedertanze  ^ili^D  elf. 
Würde,  Gn.  49,  6;  m^i  Wind,  Geist  mit  den  Namen  der  einselneB 
Winde  und  Himmelsgegenden;  tifift  Feuer,  bisweilen  "i'iM  Licht  and 
verwandte;  n^  Wolke.  Der  Wechsel  von  U3^ti  Sonne  als  Fen. 
und  ti^^  Mond  als  Msc.  führt  wol  auf  alte  Mythologie. 

3)  Namen  für  viele  Gegenstände ,  die,  wie  das  Weib  dem  Manne, 
dem  Menschen  dienen,  mit  oder  in  denen  er  sich  als  Herr  bewegt:  fOr 
die  Glieder,  besonders  die,  welche  am  häufigsten  als  Werkzeuge  dienen, 
Hand,Fusz  und  ihm  folgend ...  Tritt  (!),  Finger,  Arm,  Auge, 
Ohr,  Zunge  und  andere;  (?)  für  Kleidung,  Geräthe,  BedürfniBBe, 
Schuh,  Schwert,  Fenster,  Becher,  Brod  und  ähnliche  (!); 
für  Gegenstände  im  Räume,  wo  der  Mensch  sich  bewegt,  auch  wol  der 
Zeit,  Hof,  Lager,  Wand,  Weg,  Abend  usw.  Wie  wird  dem^ 
Schüler  dabei  die  Sehnsucht  nach  der  glücklichen  Zeit '  entstehen ,  wo 
es  noch  hiesz ;  die  Männer,  Völker,  Flüsse,  Wind  und  Monat  Masculina 
sind ;  dasz  auch  hier  noch  der  stat.  constr.  als  der  hingestellt  wird, 
der  sich  den  absolntus  unterordnet,  so  dasz  das  untergeordnete  un- 
verändert bleibt,  das  unterordnende,  herschende  sich  aber  dem  abhän« 
gigen  zu  Gefalle  fügt  und  ändert,  soll  nur  erinnert  werden ;  so  müssen 
denn  auch  §  211  neue  Ausnahmen  zugestanden  werden,  die  bei  richti- 
ger Anffassunng  verschwinden. 

Ueber  die  Tempora  verweisen  wir  auf  das  zum  Lehrbuche  ge« 
sagte;  nachträglich  bemerken  wir,  dasz  hier  §  224  der  Voluntativ  sieh 
bildet,  indem  sich  der  Ton  nach  vorn  zieht,  dasz  §  226  der  Imperativ 
eine  Steigerung  des  Voluntativ  ist  und  dieser  sich  bildet  §  227  ^mit  in^ 
rückstrebenden  Tone'  so  stark,  dasz  vorn  ganze  Silben  verloren  gelin. 
Wie  ist  das  zusammenzureimen?  Warum  das  Put.  mit  ^  gerade  ^in  der 
Art  des  Voluntativs' 'erscheint  §231,  dafür  erhalten  wir  hier  einen 
wunderlichen  Grund.  Der  Irthum  liegt  darin,  dasz  der  Voluntativ  nul 
diesem  sogenannten  Futurum  conversivum  ganz  ohne  allen  Grund  in 
Verbindung  gebracht  ist,  mit  dem  er  seiner  Bedeutung  nach  nichts  m 
thnn  hat,  auch  seiner  Bildung  nach  weit  abweicht  und  nur  in  einzelnen 
Formen,  besonders  in  Pause,  zusammentrifft.  In  diesem  §  231  ist  über- 
haupt sehr  viel  auffäiliges,  ja  falsches,  wie  gleich  der  Anfang:  *deni 
Imperfectnm  setzt  sich  als  ein  auf  die  Vergangenheit  hinweisendee 
Zeitwörtchen  die  Silbe  a-  (!)  mit  Verdoppelung  des  nächsten  Mitlanta 
vor,  welche  pronominalen  Ursprungs  und  dem  Augment  entsprechend 
soviel  als  da  bedeutet,  sich  aber  mit  der  nachdrücklicheren  (welchei 
ist  die  weniger  nachdrückliche?)  Copula  i  und  stets  in  va  verschnol» 


Ewald :  hebräische  Sprachlehre.  111 

sea  hat'. ...  und  gegen  Ende:  ^wie  aber  in  der  Natar  dnrch  die  ewige 
Kraft  der  Bewegung  und  des  Fortschrittes  das  gewordene  und  seiende 
sich  stets  zu  neuem  werden  umgestaltet,  so  ändert  in  der  Erzählung 
das  einfallende  neue  fortschreiten  (und  so  —  da)  die  Handlung,  wel< 
che  an  sich  schlechtweg  im  Perfecl  stehen  würde,  plötzlich  fnatärliche 
Magie!  —  Und  neben  diesem  verwirrenden  Gerede  findet  sich  in  dem- 
selben Buche  §  342  eine  so  schöne,  bündige  Erklärung  dieses  Vav 
conversivum,  dasz  diese  allein  zu  vollem  Verständnis  ausreicht,  und 
wenn  die  stets  angenommen  wäre,  man  nie  auf  die  unglilckliche  Be« 
Zeichnung  conversivum   hätte  kommen  können.     Leider   wird  diese 
Erklärung  da  auch  durch  das  unter  1.  gesagte  wieder  getrübt.  —  Es 
ist  als  ob  man  sich  fürchtete  vor  Einfachheit]  in  diese  Zeit  des  wer- 
den«, das  Imperfect,  um;  auf  eine  aber  dieser  Art  (sie)  kann  sofort  beim 
neuen  Fortschritte  der  Erzählung  eine  andere  folgen  bis  ins  unendliche. 
Und  wie  manigfach  die  Anwendung  des  Perfecti  ist,  ebenso  manigfach 
ist  im  einzelnen  die  seines  Gegenstücks'.    Nicht  sonderlich  tröstlich 
für  den  Schüler.    Gleich  darauf  ist  Gen.  31, 15  neben  19,9  gestellt,  die 
nicht  gleiche  Erklärung  zulassen,  bei  2.  Sam.  3, 8  steht  aber  di^ti  da- 
bei, was  die  Zeit  angibt,  kommt  also  nicht  anf  Rechnung  des  Futurs. 
—  §  234.  2,  3  ist  fragliches  [vergleiche  zu  tp  23,  6  De  Wette]  und 
ganz  anders  zu  erklärendes  zusammengebracht,  so  ist  "^riTlptil   die 
gewöhnliche  defective  geschriebene  Form. —  Wie  überflüssig  und  den 
lernenden  irreführend  sind  Bemerkungen,  wie  §  237,  dasz  statt  des 
Inf.  auch  die  Construction  so  geändert  werden  könne,  dasz  ein  Ver- 
bum  finitum  Platz  findet!   §  240.  ^Der  Inf.  stellt  sich  starrer  und  un- 
verbundener  hin,  als  inf.  absolutus,  theils  als  reiner  Ausruf,- theils  als 
-  selbständigere  Erläuterung  der  Hanpthandlung  durch  Nebenbemerkun- 
gen oder  als  neue  kurze  Zusammenfassung  desselben  Verbnms.^    Ob 
wbl  jemand,   der  die  Sache  nicht  schon  anders  woher  kennt,  diese 
Worte  richtig  verstehen  kann?  So  §  248,  wo  auch  die  Formen  in  um- 
gekehrter Reihe  gebildet  angenommen  werden,  als  sich  aus  der  ganzen 
Sprache  aufdrängt.  ^-*  §  254  ist  das  da  —  so  räthselhaft. 

Die  Satzlehre  zeichnet  sich  entschieden  vor  den  zwei  ersten 
Tbeilen  der  Laut-  und  Wortlehre  durch  Klarheit  und  einfachere  und 
beeliamtere  Redeweise  aus ;  nur  selten  und  doch  nicht  so  stark  tritt 
der  im  früheren  gerügte  Fehler  hervor  wie  §  284  vom  Anfang  an  und 
dann:  *wo  das  Particip  als  den  Zustand  beschreibend  weniger  passt, 
kann  auch  ein  Verbum  finitum  so  sich  unterordnen:  ^»^  D^i:i  '^^*1^ 
welches  dem  Sinne  nach  dem  lat.  vidü  genles  veniise  entspricht;  sel- 
tener aber  entspricht  anch  die  freiere  Stellung  der  Wörter  dem  lat. 
acccinf.';  so^wenn§287das  Adjectivmit  stärkerem  Nachdracke 
and  in  einer  mehr  dichterischen  Höhe  der  Rede  als  Neutrum 
auftritt.  —  $  290.  *Nur  wenn  das  letztere  wirklich  nicht  in  aller 
Strenge  mit  dem  ersteren  zusammenhängt  sondern  verhältnisraäszig 
loser  verbindet,  behält  das  erstere  leicht  den  ArtikeL'  So  ist  es  $ 
295  die  Kürze,  die  dem  p.  beim  Passiv  den  Dativ  vorziehen  läszt.  % 
306  ist  recht  gut,  aber  nur  für  den,  der  die  Sache  schon  kennt,  and 

iV.  Jahrb.  f.  FkU.  ».  Paed.  Bd  LXXyill.  ffß  2.  8 


11 2  Briefe  über  neuere  Rrscheiniingen  oord.  G.  der  denlsclien  PblloL 

schlicszen  wir  endlicli  unsere  Anzeige  mit  dem  Bekenntnis,  dasz  das 
Buch  nicht  fiir  erste  Anfänger  sich  eignet,*  aber  dasz  es  besonders  er- 
sprieszlich  sein  wird  für  den,  der  schon  über  die  ersten  Elemente  hin- 
aus gefördert  nun  einmal  ein  durchdachtes  System  der  Sprache  kennen 
lernen  will.  Also  der  Student  mag  dies  Buch  mit  groszem  Nutzen  go- 
branchen ,  auch  jeder,  der  Ewalds  gröszeres  Lehrbuch  studieren  wiH, 
wird  wolthun,  erst  dies  durchzunehmen,  wodurch  er  leichter  sich  dann 
in  jenem  zurechtrtnden  wird.  Für  solche  schon  mit  den  Erscheinungen 
der  Sprache  selbst  vertrauten  wird  das  meiste  von  dem,  was  wir  als 
unklar  und  verwirrend  bezeichnet  haben,  den  Nachtheil  nicht  haben, 
sie  werden  eben  leicht  sehen ,  was  gemeint  ist,  und  auch  gewöhulicb, 
wie  es  gemeint  ist;  abweichende  Ansichten  aber  wird  immer'noch  ein 
anderer  haben,  und  dasz  das  der  Fall  ist,  kann  dem  Buche  an  sieh 
nicht  zum  Vorwurfe  gelten.  Der  Wissenschaft  und  dem  strebsamen 
Theile  derer,  die  sich  mit  dem  Hebräischen  beschäftigen,  ist  mit  die- 
sem Buche  ein  groszer  Dienst  geschehen. 

Quedlinburg.  Goszrau. 


6. 

Briefe  über  neuere  Ersclieinurigen  auf  dem  Gebiete  der 

deutschen  Philologie 

an  Ilerrn  Dr  S.,  Oberlehrer  am  Gymnasium  zu  B.  von  Dr  F.  Zachor» 
auszerordentlichom  Professor  der  deutschen  Sprache  und  Litteratur  an 

der  Universität  zu  Hallo. 


1. 

Vorlängst  schon  haben  Sie,  verehrtester  Freund,  von  mir  begahrif 
dasz  ich  Ihnen  ab  und  zu  über  bedeutendere  Arbeiten  und  Erschei- 
nungen auf  dem  Felde  der  vaterländischen  Sprach-  und  Alterthna»* 
künde  berichten  möge.  Und  mehr  als  einen  Grund  haben  Sie  beilialg 
einflieszcn  lassen,  um,  wie  Sie  sagen,  Ihre  wiederholten  Mahnnngm 
zu  rechtfertigen.  Sie  machen  geltend,  dasz  Zeit  und  Mittel  ihnen  et- 
was knapp  bemessen  seien,  so  dasz  Sie  selbst  die  wichtigeren  Werkl 
weder  in  gewünschter  Vollständigkeit  sich  verschaflen,  noch  mit  ga* 
bührender  Nusze  studieren  können.  Sie  nennen  sich  mit  gewohntai 
Bescheidenheit  zwar  leidlich  bewandert  in  griechischer  und  römiseh« 
Philologie,  aber  in  deutscher  einen  halben  Laien,  der  hier  ein  eigM 
selbständiges  Urteil  gar  manchmal  weder  wagen  wolle  noch  k6nM 
Dazu  komme,  dasz  zuvveilcn,  und  zwar  gerade  in  Büchern  ersten  Ra» 
ges,  die  Darstellung  so  beschaffen  sei,  als  habe  der  Verfasser  nnr  fli 
den  engen  Kreis  eingeweihter  Fachgenossen  schreiben  wollen,  wo- 
durch Ihnen  das  Verständnis  ungemein  erschwert,  wo  nicht  gans  ak* 


Briefe  Aber  neuere  Ersebeianngen  aaf  d.  G.  der  deatscheo  Phiiol.  113 

gesohniiten  werde.  Andererseits  wieder  werden  Sie  durch  die  naiar- 
Uebe,  ans  Kopf  und  Herzen  zugleich  flieszende  Theiinahme  an  allem 
Taterlandischen  mit  besonderer  Vorliebe  gerade  zu  diesen  Sindion 
gesogen.  Hatten  Sie  früher  Gelegenheit  gehabt,  die  erforderliche 
Technik  derselben  in  ausreichendem  Alasze  zu  erlernen,  so  würden  Sie 

Igern  als  Forscher  selbständig  mitarbeiten.  Nun  mochten  Sie  wenig- 
8teo9  die  Ergebnisse  der  Forschungen  anderer  sich  aneignen.  Da  ver- 
liBjge  aber  schon  das  Bedürfnis  der  Schule,  an  welcher  Ihnen  der  dent- 
lelie  Unterricht  obliegt,  dasz  Sie  sich  nicht  mit  oberflächlichem  halbem 
Wissen  begnügen  dürfen ;  vielmehr  fordere  dieses  durchaus  eine  mög- 
liehst klare  und  bestimmte  Kenntnis.  Sie  erinnern  an  den  alten  Hippel, 
der  in  seinen  ^Lebensläufen^  Ihrem  Lieblingsbuche,  den  Nagel  auf  den 
Kopf  getroffen  habe,  wenn  er  sage:  ^die  Gabe  zu  unierrichten  hat  jeder 
leasch.  Wer  durch  die  rechte  Thür  gekommen  ist,  wird  sich  auch 
wieder  durch  die  rechte  Thür  herausfinden.  Wer  eine  Treppe  in  die 
Höhe  steigen  kann,  wird  sie  auch  herabsteigen.  Bergab  ist  immer 
leichler.  Wer  eine  Sache  halb  weisz,  kann  nur  ein  Viertheil  beibrin- 
gCD.  Wer  nur  ein  Viertheil  weisz  ist  ein  Mielhling.'  Und  Sie  behaup- 
ten, dasz  dies  auf  den  deutschen  Unterricht  um  so  mehr  seine  Anwen- 
doDg  finde,  je  entschiedener  Nachdenken  und  Erfahrung  Sie  zu  der 
üeberzeugung  geführt  habe,  dasz  die  einzelnen  Ergebnisse  der  deut- 
schen Philologie  für  unmittelbare  Schulzwecke  nur  mit  Vorsicht  und 
Beschrankung  verwendet  werden  können,  wahrend  es  doch  andrerseits 
wieder  unbedingt  wünschenswerlh,  ja  nolhwendig  sei,  dasz  der  Ge- 
Mnlertrag  dieser  Studien  in  vollem  Masze  der  Schule  zu  gute  komme. 
Uod  wie  die  Beweggründe  weiter  lauten,  die  Sie,  gleichsam  wie  einen 
Sporn  für  meine  Lässigkeit,  gelegentlich  hervorblicken  lassen. 

Bescheidenheit  ist  eine  so  liebenswürdige  Tugend,  und  ein  so 
treoer  Begleiter  edler  utad  kernhafter  Tüchtigkeit  des  sittlichen  wie 
wissenschaftlichen  Sinnes  und  Strebens,  dasz  selbst  ein  mir  wildfrem- 
der Mann  in  mir  das  günstigste  Vorurteil  und  die  lebendigste  Willfäh- 
rigkeit erweckt  haben  würde,  wenn  er  die*von  Ihnen  eingestreuten 
Beweggründe  mir  als   die   seinen   mit  gleichem  Begehren  vorgelegt 
bitte.   Sie  freilich,   verehrtester  Freund,  bedurften  einer  besondern 
Rechtfertigung  Ihres  Anliegens  weder  für  Sie  noch  für  mich.  Denn  Sie 
wissen  ja,  wie  gern  ich  jedem  Ihrer  Wünsche  nachkommen  will,  wie 
sehr  es  mich  freut  wenn  ich  dieselben  ausführen  kann.    Sie  wissen 
iber  auch,  wie  vielfachen  Ansprüchen  und  Sorgen  ich  in  meinen  ob- 
waltenden Verhaltnissen  gerecht  werden  mnsz.    Habe  ich  also  nicht 
ichon  Ihrer  ersten  Aufforderung  sofort  entsprochen ,  habe  ich  viel- 
■ehr  die  Ausführung  sogar  ziemlich  lange  anstehen  lassen:  so  war 
das  sicher  nicht  Vergesziichkeit  die  einer  Mahnung,  nicht  Lässigkeit 
die  eines  Spornes  bedurfte.    Gleichwol  gab   die  Freundschaft  Ihnen 
das  Recht,  mich  doch  mitunter  zu  erinnern;  und  Sie  haben  das  mit 
Ihrer  ganzen  gewohnten  Milde  und  schonenden  Zartheit  gethan.    Aber 
^rissen  Sie  wol ,  dasz  Sie  mich  eben  dadurch  fast  noch  mehr  in  Ver- 
legenheit gebracht  haben?   Denn  dürfen  Sie  deshalb  nun  nicht  mit 

8* 


114  Briefe  aber  neuere  Erscheinuogen  auf  d.  G.  der  deiUelieB  PkiioL 

doppeltem  Rechte  erwarten ,  dasK  nach  so  langer  Zögerong  die  Erfül- 
lung um  so  vortrefflicher  ausfallen  werde?  Jü  leider  desn  mae  bUiI 
gesin!  musz  ich  bedauernd  mit  Herrn  Walther  von  der  Vogelweide 
bekennen.  Denn  auch  jetzt,  da  ich  endlich  vermeine  ans  Werk  sehrei- 
ten zu  können,  sehe  ich  mich  wieder  so  hart  umlagert  und  bedringli 
dasz  ich  nicht  an  ruhige,  planmäszig  sich  entfaltende  und  abgerundete 
Darstellung  denken ,  sondern  Ihnen  nur  eben  das  bieten  kann ,  was  der 
flaehtige  Verlauf  abgerissener  vereinzelterStunden  niederzuschreibeo 
gestaltet.  Ziehen  Sie  also  nur  den  guten  Willen  mit  in  Rechnung,  und 
nehmen  Sie  unterweilen  freundlich  so  vorlieb ! 

Zunächst  wünschen  Sie  Auskunft  über  die  jüngste  auf  das  ^Nibe- 
I  u  n  g  e  n  I  i  ed '  bezügliche  Litteratur.  Im  Verlauf  der  letzten  Jahre  ist 
eine  ziemliche  Anzahl  dahin  einschlagender  Bücher  und  Abhandlangea 
erschienen,'  überwiegend  polemischen  Charakters.  Aber  gerade  durch 
diese  Streitschriften  ist  für  Sie  die  Sache  eigentlich  mehr  verdunkelt 
als  aufgeklärt  worden.  Namentlich  ist,  wie  Sie  hervorheben,  die  Aus- 
wahl, Reihenfolge  und  Fassung  der  zu  stellenden  Fragen  und  der  za- 
gehörigen Antworten  in  solche  Verwirrung  gerathen ,  dass  Sie  kann 
mehr  sich  zurecht  finden  können.  Diese  Klage  von  Ihnen  zu  verneh- 
men, überraschte  mich  gar  nicht.  Ich  hatte  sie  im  Gegentheil  umsomehr 
erwartet ,  als  ich  auch  an  einigen  anderen  in  ihren  betreffendeii  Spe- 
cialfächern sehr  wol  beschlagenen  Freunden,  die  gleichfalls  ein  leben- 
diges Interesse  an  der  Sache  nehmen,  ähnliches  erfahren  habe,  lieber- 
wiegend  durch  Gefühlseindrücke  geleitet  neigten  sie  theils  zu  dieaer 
theils  zu  jener  Seite;  doch  ein  entschiedenes  Urteil  vermieden  fie, 
und  die  Kernpunkte  der  Frage  sicher  zu  charakterisieren  wollte  ihnei 
nicht  gelingen.  Das  ist  auch  durchaus  nicht  verwunderlioh ,  da  ja 
selbst  Männer  des  Faches  so  hart  aneinander  gerathen  sind,  dasi  fO- 
gar  bedauerliche  persönliche  Mishelligkeiten  und  Feindschaften  darans 
erwuchsen. 

Sie  wissen,  verehrtester  Freund,  dasz  ich  Lachmanna  UnterricM 
genossen  habe,  und  in  diesem  Streite  auf  seiner  Seite  stehe.  Gleich- 
wol  erwarten  Sie  von  mir  eine  unbefangene  und  vorurteilsfreie  Wür- 
digung dieser  ganzen  Streitfrage.  Ich  hoffe  und  wünsche,  daai  es  nir 
gelingen  werde ,  solches  Vertrauen  zu  rechtfertigen. 

Auch  einige  andere  Freunde  haben  ein  ähnliches  Begehren  an 
mich  gestellt.  Da  schien  es  mir  denn  ein  zweckmissigee  Anakanfla- 
mittel,  dasz  ich  die  Briefe  an  die  Teubnersche  Buehhandlung  aeadii 
mit  dem  ersuchen  sie  in  die  Jahnschen  Jahrbücher  zu  setzen.  So  habes 
Sie  den  Vortheil,  dieselben  im  bequemeren  Drucke  zu  lesen,  und  ich 
den  doppelten,  dasz  ich  den  anderen  Freunden  nicht  besondera  IB 
schreiben  brauche,  und  zugleich  mich  einer  Pflicht  entledige,  die  mir 
schon  lange  auf  der  Seele  gelegen  hat.  Denn  Pflicht  ist  es,  sehr  ernste 
Pflicht,  dasz  derjenige,  der  da  meint  zur  Beseitigung  weitgreifende* 
Irlhums  und  zur  Ausbreitung  und  Befestigung  fruohtbarer  Wahrheil 


Briefe  ^flber  neoere  ErscheinimgeD  anf  d.  6.  der  deutsches  Pbflol.  115 

beitragen  za  können ,  nicht  schweige ,  sondern  öflentlich  kund  gebe, 
was  er  als  wahr  erkannt  hat. 

Freilich  zwar  macht  ein  wohlmeinender  Freand  mir  bemerklich, 
dasK  ich  dabei  schwerlich  der  Gefahr  entgehen  werde,  die  Empfindlich- 
keit des  einen  oder  des  anderen  Mannes  zn  erregen,  and  vielleicht  gar 
seine  Feindschaft  mir  zuzuziehen.  Aber  Pflicht  ist  eben  Pflicht,  und 
darf  sich  durch  dergleichen  Bedenken  nicht  irren  lasseh.  Bin  ich  mir 
doch  bewust  dasz  ich  niemanden  verletzen  will,  dasz  ich  keine  Feind- 
schaft suche.  Und  sollte  es  mir  wirklich  nicht  gelingen  jene  Klippe 
zu  vermeiden ,  so  [mag  es  darum  sein.  Mir  ist  es  nicht  um  Personen, 
sondern  lediglich  um  die  Sache  zu  thun.  Und  die  Sache  ist  wahrlich 
der  Art,  dasz  sie  zn  voller  Klarheit  ausgetragen  werden  musz;  denn 
es" sieht  etwas  mehr  in  Frage  als  die  Meinung  aber  den  relativen 
Werth  dreier  Handschriften  und  der  Liedertheorie. 


2. 

Untersuchungen  über  das  Nibelungenlied  von  Dr.  Adolf  HoUz- 
mann^  ordentl,  Professor  der  deutschen  Sprache  an  der 
Universität  zu  Heidelberg  usw,  Stuttgart  1854.  •  VIII  u.  212 
S.  gr.  8. 

So  lautete  der  Titel  des  Buches  an  welches  die  auf  das  Nibelun- 
genlied bezQglicbe  Litleratur  der  letzten  Jahre  mehr  oder  minder  an- 
knöpft. Es  machte  sofort  groszes  Aufsehen,*  da  es  keine  geringere 
Behauptung  aufstellte,  als:  die  bis  dahin  allgemein  giltigen  Lachmann- 
schen  Ansichten  über  das  Nibelungenlied  und  dessen  kritische  Behand« 
Inng  seien  durchaus  falsch  und  irrig;  das  grade  Gegentheil  davon  sei 
allein  wahr  und  vernünftig. 

Als  das  Buch  erschien,  stand  ich  eben  im  Begriff  an  die  Univer- 
sitätsvorlesungen über  das  Nibelungenlied  zu  gehen.  Mithin  ergab  sich 
mir  die  moralische  Verpflichtung,  mich  gründlich  von  seinem  Inhalte 
sa  unterrichten.  Ich  nahm  es  also,  und  las  es  nicht  nur,  sondern  ich 
stadierte  es,  ich  prüfte  es:  ja  ich  liesz  michs  nicht  verdrieszen  meh- 
rere Wochen  an  diese  Arbeit  zu  geben.  Bei  einem  vor  der  Fakultät 
sa  haltenden  Vortrage  nahm  ich  bald  darauf  Gelegenheit,  das  Ergeb- 
jua  nfeiner  Untersuchung  in  einer  kritischen  Gegenüberstellung  ^er 
lieiden  widerstreitenden  Ansichten  darzulegen.  Seitdem  ist  eine  ganze 
Beibe  von  Abhandlungen  für  und  wider  erschienen.  Dankbar  bekenne 
ich  auch,  mancherlei  treffliche  Belehrung  aus  ihnen  geschöpft  zu  ha- 
ben; aber  meine  schon  damals  dargelegte  Ueberzeugnng  in  einem  we- 
•eitliehen  Punkte  zu  ändern,  dazu  haben  sie  mir  keine  Nöthigung  ge- 
boten. 

Ich  hoffe,  Verehrtester  Freund,  über  jene  Abhandlungen  mich 
später  verhältnismgszig  leicht  und  rasch  mit  Ihnen  zu  verständigen. 
Das  Holtzmannsche  Buch  dagegen,  von  welchem,  als  der  Wurzel  des 
f aasen  Streites,  ich  nothwendig  aasgehen  musz,  das  wird  Ihre  und 


116  Briefe  aber  neuere  Erscheinungen  auf  d.  G.  der  deutsobei^PbttoI. 

meine  Geduld  etwas  starker  in  Anspruch  nehmen.  Von  diesem  Buche 
einc^ute  Recension  zu  schreiben,  das  ist  eine  Aufgabe,  an  der  ein 
Lossing  seine  Meisterschaft  bewähren  könnte.  Denn  an  ihm  laszt  sich 
recht  nachdrücklich  die  Wahrheit  des  Götheschen  Ausspruches  erfah- 
ren: ^Ganze,  Halb-  und  Viertels-Irlhfimer  sind  gar  schwer  und  mühsam 
zurecht  zu  legen,  zu  sichten,  und  das  wahre  daran  dahin  zu  stellen, 
wohin  es  gehört.' 

Das  ganze  Buch  ist  nemÜch,  um  das  vorweg  auszusprechen,  ein 
inniges  Gemenge  von  richtigem  und  unrichtigem.  Wahrheit  und  Dich- 
tung verästeln  und  verflechten  sich  in  ihm  fortwährend,  so  dasK  es 
begegnen  kann,  dasz  selbst  einzelne  Zeilen  zur  Hälfte  richtiges,  zar 
Hälfte  falsches  bieten.  Und  dieser  Uebelstand  wird  noch  um  so  em- 
pfindlicher und  mislicher  dadurch,  dasz  fast  ununterbrochen  zweierlei 
Irthümer  und  Verstösze  neben-  und  durcheinander  laufen,  wissenschaft- 
liche und  logische. 

Wenn  ich  nun  sage,  dasz  gerade  durch  diese  BeschalTenheit,  und 
durch  die  Unbefangenheit,  Sicherheit  und  Ziiversichtlichkeit  mit  denen 
der  Herr  Verfasser  das  alles,  wahres  wie  falsches,  gleichmäszig  vor- 
trägt —  wenn  ich  sage,  dasz  gerade  dadurch  das  Buch  so  weit  ver- 
breiteten Beifall  und  so  allgemeine  Zustimmung  gefunden  hat;  wenn 
ich  sage,  dasz  es  seine  ausgedehnte  Wirkung  groszentheils  seinen 
Fehlern  verdankt:  so  wird  zunächst  wol  mancher  ungläubig  den  Kopf 
schütteln.  Sie  freilich,  verehrlester  Freund,  haben  mit  Ihrem  feinen 
Sinne  die  Richtigkeit  dieser  Folgerung  augenblicklich  durchschaut. 
Ich  sehe  Sie  jetzt  leibhaftig  vor  mir  sitzen,  wie  Sie  den  Brief  aus  der 
Hand  legen,  mit  dem  Finger  auf  den  Tisch  tippen,  und  kopfnickend 
sagen:  ^Natürlich!  das  ist  ja  sonnenklar!  Ist  deih  Obersatz  richtig,  so 
ist  auch  die  Schluszfolgerung  mathematisch  evident'. 

Und  so  verhält  es  sich  in  der  That.  Denn  wenn  es  sich  um  die 
wissenschaftliche  und  logische  Beurteilung  eines  Buches  zugleich 
handelt,  so  zerfallen  seine  Leser  doch  nothwendig  in  drei  Hauptklaa- 
sen.  Dem  Holtzmannschen  Buche  gegenüber,  in  welchem  gröstentheils 
solche  Dinge  verhandelt  werden,  zu  deren  richtigem  und  erschöpfen- 
dem Verständnis  tüchtige  specielle  Fachkenntnisse,  und  namentlich 
genaue  Vertrautheit  mit  der  Technik  unentbehrlich  sind,  gliedern  sich 
diese  drei  Klassen  folgendermaszcn: 

•  In  die  erste  Klasse  gehören  diejenigen  welche  beide  Eigenschaf- 
ten zugleich  besitzen,  sowol  scharfe,  gesunde  Logik,  als  auch  genfi- 
gende  Fachgelehrsamkoit  und  namentlich  vertraute  Kenntnis  der 
philologischen  Technik. 

Die  zweite  Klasse  besteht  aus  zwei  Gruppen.  Der  einen  fallen 
diejenigen  zu,  welche  zwar  tüchtige  Denker  sind ,  aber  der  erforderli- 
chen technischen  und  anderWeiten  Fachkenntnisse  entbehren.  Die  an- 
dere umfaszt  solche^  welche  recht  gelehrte  Fachkenner  und  auch  leid- 
liche Techniker  sein  können,  aber  es  mit  der  Logik  nicht  eben  genaa 
nehmen. 

Zur  dritten  Klasse  endlich  sohaaren  sich  alle  die,  welche  bei  an- 


aber  nevere  Erscheinungen  auf  d.  G.  der  deuUchen  PfailoJ.  i  17 

genügender  oder  mangelnder  technischer  Kenntnis  und  Fachgelehrsam- 
keii  auch  dem  scharfen  und  folgerichtigen  Denken,  nud  zumal 
dem  selbständigen,  aus  irgend  einem  Grunde  abgeneigt,  oder  desselben 
gar  unfähig  sind. 

Aus  der  Natur  der  Sache  folgt,  dasz  die  erste  Klasse  nur  eine 
verhältnismäszig  kleine  Anzahl  von  iMännern  befassen  kann.  Reicher 
schon  wird  die  zweite  besetzt  sein.  Und  wenn  man  die  weit  überwie- 
gende Menge  der  Leser- der  dritten  Klasse  zuweisen  musz,  ^o  kann 
sich  niemand  dadurch  persönlich  beleidigt  fühlen,  weil  es  ja  einem 
jeden  frei  steht,  sich  selbst  in  eine  der  drei  Klassen  nach  seinem  eige- 
nen beliebigen  Ermessen  einzuschätzen.  Strenge  Grenzscheidungen 
lassen  skh  hier  überhaupt  nicht  sieben.  Gibt  es  doch  recht  geistreiche 
Leute,  die  sogar  fruchtbar  an  eigenen  trefflichen  Gedanken  sein,  aber 
•dennoch  der  Consequenz,  der  strengen  Folgerichtigkeit  des 
Denkens,  ermangeln  können.  Und  gerade  die  letztere,  die  Folgerich- 
tigkeit ist  es,  die  hier  wesentlich  in  Betracht  kommt. 

Doch  genug!  Es  leuchtet  ein,  dasz  der  zahlreichsten,  der  dritten 
Klasse,  nnd  zum  Theil  auch  der  zweiten,  diejenigen  Mittel  und  Waffen 
ganz  oder  theilweise  gebrechen,  mit  denen  sie  dem  Verfasser  einen 
erfolgreichen  Widerstand  selbständig  leisten  könnten.  Sie  müssen 
entweder  seinem  Angriffe  ganz  aus  dem  Wege  gehen,  oder  sich  ihm 
«uf  Gnade  und  Ungnade  ergeben.  Und  dabei  können  sie  sich  kaum 
durch  etwas  anderes  bestimmen  lassen  als  durch  das  Gefühl,  oder  wol 
richtiger  gesagt  durch  den  Respect.  Ist  der  alte  Kespect  vor  Lach- 
jnanus  Autorität  gröszer,  dann  ignorieren  sie  das  unbequeme  ßuch. 
Imponiert  ihnen  aber  des  Verfassers  Entschiedenheit  und  Zuversicht- 
lichkeit  so  mächtig,  dasz  der  neue  ßespect  die  Oberhand  gewinnt, 
dann  geben  .sie  dem  alten  Glauben  den  Abschied,  und  freuen  sich  viel- 
leicht sogar,  die  schwierigen  Artikel  der  alten  Lehre  bei  Seite  legen 
EU  können.  Ja  manche  gerathen  gar  in  die  unerquickliche  Verfassung, 
dasz  keiner  der  beiden  Respecte  dem  anderen  das  Feld  räumen  will. 
Sie  pflegen  sich  dann  mit  einer  Art  von  Abkommen  zu  helfen,  indem 
sie  sich  ein  gemischtes  Glaubensbekenntnis  zurechtmachen,  welches 
ans  einigen  Artikeln  der  alten  und  einigen  der  neuen  Lehre  besteht. 
Oder  sie  verharren  \v'ol  auch  in  einem  noch  weniger  erfreulichen  Zu- 
stande der  RatMosigkeit,  des  Schwankens,  der  Ungewisheit. 

Das  ist  weder  Theorie  noch  Phantasie,  verehrtester  Freund; 
denn  ich  habe  Leser  aus  jeder  dieser  Klassen  wirklich  kennen  gelernt. 
Wenn  dem  aber  so  ist,  wie  unendlich  sdiwierig,  ja  fast  unlösbar  ge- 
staltet sich  dann  die  Aufgabe,  von  diesem  Buche  eine  gute  Recension 
Stt  schreiben.  Denn  wollte  der  Beurteiler  das  Buch  Seite  für  Seile 
durcligehen,  und  Satz  für  Satz  nur  ganz  einfach  registrieren  mit  den 
Sti'chwortcn :  ^richtig,  philologischer  oder  logischer  ganzer,  halber, 
Viertelsirthum',  so'  würde  ja  sein  bloszes  Register  fast  schon  so  dick 
werden  als  das  Buch  selber.  Und  wo  bliebe  die  dem  Publicum  wie 
dem  Verfasser  schuldige  Begründung  und  Beweisführung?  Wer  möchte 
das  schreiben?   Wer  möchte. das  lesen?    Beschränkte  der  Beurteiler 


118  Briefe  Ober  neuere  Erscheinnngeu  anf  d.  G.  der  dealsehen  Philol. 


4 


sich  dagegen  auf  eine  Auswahl  einzelner  Stellen ,  wie  könnte  er  dann 
der  Gefahr  entgehen,  dass  ein  ziemlicher  Theil  seines  gemischten 
Publicums,  statt  sich  vertrauend  von  ihm  leiten  zo  lassen,  ihn  vielmehr 
der  Parteilichkeit  gegen  den  Verfasser  beschnldigen  werde?  Und  wie 
könnte  er  solchem  Vorwurfe  entschieden  siegreich  begegnen  oder  vor- 
beugen? LSszt  sich  denn  so  beiläufig  in  einer  Rccension  die  gesaimte 
für  die  Beurteilung  einer  solchen  Frage  erforderliche  Fachgelehrsam- 
keit vorlegen?  Läszt  sich  so  beiläufig  die  philologische  Technik  bii 
ins  Detail  hinein  entwickeln?  Und  iSszt  sich  endlich  gar  erwarten, 
dasz  derjenige  durch  eine  Recension  zu  Folgerichtigkeit  des  Denkens 
geführt  werden  könne ,  den  Natur,  Schule  und  Leben  nicht  dazu  ge- 
bracht hat?  * 

Ihnen  persönlich  gegenfiber,  verehrtester  Freund,  bin  ich  nun 
freilich  schon  insofern  in  einer  weit  gfinstigeren  Lage,  als  ich  Ihr 
Vertrauen  bereits  besitze,  und  nicht  erst  zu  erwerben  brauche.  Allein 
ich  wünsche  doch,  dasz  Sie  auch  in  dieser  Sache  nicht  mit  meinen, 
sondern  mit  Ihren  eigenen  Augen  den  Dingen  auf  den  Grund  sehen 
mögen.  Und  ich  wünsche  das  um  so  mehr,  weil  es  sieh  hierbei  um 
Grundprincipien  der  deutschen  Philologie,  ja  der  wissensohaftlichen 
Forschung  überhaupt  handelt. 

Da  nun  Ihnen  wie  mir  die  Sache  das  wesentliche  ist,  so  kann 
es  uns  beiden  nicht  um  eine  eigentliche  Recension  des  Holtzmanaachen 
Buches  im  üblichen  Sinne  des  Wortes  und  in  der  gewöhnlichen  Form 
zu  thun  sein.  Allerdings  werde  ich  meinen  oben  vorausgesohickten 
Ausspruch  über  den  Charakter  des  Buches  zu  begründen  und  als  rich- 
tig nachzuweisen  haben;  aber  ich  werde  nicht  nöthig  haben,  mich 
durch  Inhalt,  Form  und  Gang  desselben  bedingen  und  beschränken  zs 
lassen.  Vielmehr  gedenke  ich  die  für  die  Sache  selbst  wesentlichsten 
Hauptpunkte  nacheinander  in  Erwägung  zu  ziehen.  Auf  eine  stilistisch 
kunstgerechte  Ausführung  musz  ich  freilich ,  aus  den  schon  in  meines 
ersten  Briefe  angedeuteten  Gründen,  von  vorn  herein  verzichten.  Und 
Sie  müssen  mir  schon  erlauben,  werthester  Freund,  dasz  ich  in  beqne* 
merer  Freiheit,  ohne  an  eine  vorausbestimmte  Ordnung  mich  zu  binden, 
bald  den  Verfasser  eine  Strecke  begleite,  bald  Sie  zu  kurzem  verwei« 
len  einlade,  bald  auch  einen  kleinen  Abstecher  mache.  Es  wird  Ihnen 
gewis  nicht  schwer  fallen,  dann  die  einzelnen  Ergebnisse  schlieszlidi 
selbst  in  die  für  Ihre  Zwecke  und  Bedürfnisse  passende  Ordnung  und 
Form  zu  bringen,  und  zu  einem  Gesamtergebnisse  abzurunden. 

Eigentlich  sind  Sie  mir  ja  auch  schon  auf  diesem  Wege  selbst 
entgegengekommen.  Denn,  wie  ich  bereits  in  meinem  ersten  Briefe 
bemerkte,  haben  Sie  mit  ganz  richtigem  Takte  hervorgehoben,  dass 
es  Ihnen  hierbei  namentlich  anzukommen  scheine  auf  die  AusW'thl, 
Reihenfolge  und  Fassung  der  zu  stellenden  Fragen* 
Hauptsächlich  hierin  liegt  in  der  That  fast  das  ganze  offene  Geheimnis 
dieser  gesamten  Streitfrage.  Und  wie  hätte  auch  ein  denkender  Sehnl- 
mann  die  Erfahrung  übersehen  können,  die  sich  ihm  tagtäglich  aufs  nene 
darbietet:  dasz  richtig  antworten  eine  viel  leichtere  and  geringere Knnat 


Brieft  ib«r  leiiere  ErscheiiaBgea  auf  d.  G.  der  dentsclien  Philol.  110 

iftt  als  richtig  fragen?  Denn  nach  der  Frage  richtet  sich  ja  die  Ant- 
wort. Ohne  ttlchtiges,  gesundes  Wissen,  ohne  scharfes  logisches  Den- 
ken geräth  die  Frage  nur  allzu  leicht  an  den  unrechten  Platz,  oder 
wird  gar  schief;  und  wie  kann  man  auf  eine  übel  angebrachte  oder 
schiefe  Frage  eine  richtige,  die  volle  Wahrheit  treffende  Antwort  ver- 
langen ? 

Verzeihen  Sie,  Freund,  die  Länge  dieser  vorgöngigen  Erörterun- 
gen. Sie  waren  nöthig  um  die  Bahn  über  das  Gesichtsfeld  frei  zu  ma- 
chen. Um  so  rascher  und  sicherer  werden  wir  fortan  uns  bewegen 
können. 

3. 

Die  Vorrede  der  *  Untersuchungen  über  das  Nibelungenlied' 
dürfen  wir  schon  deshalb  nicht  übergehen,  weil  in  ihr  Herr  Holtzmann 
sich  über  die  Entstehung  und  den  Zweck  seines  Buches  ausspricht,  und 
auch  einige  auf  den  Inhalt  bezügliche  Bemerkungen  hinzufügt.  Hier 
wie  spater  wird  es  sich  übrigens  als  nöthig  erweisen,  dasz  wir,  we- 
nigstens in  den  wichtigeren  Stellen ,  uns  so  genau  als  möglich  an  des 
Verfassers  eigene  Worte  halfen. 

Es  ist  — .so  beginnt  der  Verfasser  —  eine  misliche  Sache,  eine 
Ansicht,  die  zu  allgemeiner  Geltung  gelangt  ist,  für  einen  Irthum  zu 
erklaren  und  ihr  die  Wahrheit  entgegenzusetzen ,  zumal  wenn  der  Ir- 
thum noch  jung  ist ,  noch  mit  dem  Eifer  einer  neugewonnenen  Wahr- 
heit verkündet  und  festgehalten  wird,  und  sich  an  einen  verehrten  Na- 
men knüpft.  Dies  gilt  in  hohem  Masze  von  den  Lehren  von  den  zwan- 
Mdg  Volksliedern  aus  denen  das  Nibelungenlied  bestehen  soll,  und  von 
der  Vorzüglichkeit  der  einen  münchener  Handschrift  (A),  die  überall 
mit  jenem  Sieyestone  vorgetragen  werden^  mit  welchem  Schüler  die 
Worte  des  Meisters  als  unumstös^Uiche  Wahrheit  *u  wiederholen  pfle- 
gen. Und  dieser  Meister  ist  der  bewunderte  Kritiker  Lachmann ,  und 
dieses  Kritikers  Meisterwerk  ist  die  als  Gipfel  des  menschlichen  Scharf- 
ainns  gepriesene  Ausgabe  der  Nibelungen  Noth.  Und  nun  —  diese 
Ausgabe  für  eine  von  Grund  aus  verfehlte^  und  jene  triumphierenden 
Ansichten  für  Irthümer  zu  erklären ,  heiszt  das  nicht  einem  rennen- 
den  Rosse  in  die  Zügel  fallen ,  und  den  brausenden  Wagen  mit  der 
Hund  aufhalten  wollend 

Wenn  aus  dieser  Erwägung  des  Verfassers  Buch  entsprungen  ist 
—  und  daran  zu  zweifeln  haben  wir  durchaus  kein  Recht  —  so  ver- 
dient nicht  nur  sein  Entschlusz  überhaupt,  sondern  insbesondere  sein 
Mut  die  offenste  und  vollste  Anerkennung.  Und  es  bleibt  vom  sittli- 
chen Gesichtspunkte  aus  auch  ganz  gleichgiltig,  ob  der  vermeinte  Ir- 
Ihum  auch  ein  wirklicher  gewesen,  ob  die  Widerlegung  gelungen  ist 
oder  nicht.  Wucherte  nach  seiner  Ansicht  unter  dem  Schutze  von 
Lachmanns  Namen  ein  von  diesem  gepflanzter  Aberglaube,  so  war  es  um 
so  verdienstlicher  demselben  die  Wurzel  abzugraben,  je  weiter  er  seine 
Ranken  getrieben  hatte,  je  zäher  er  haftete,  je  mehr  er  hauptsächlich 
aus  dieser  Wurzel  seine  Nahrung  zu  ziehen  schien.   Und  wenn  der 


120  Briefe  aber  neuere  Erscheioangen  auf  d.  G.  der  detttoehen  Philol. 

Verfasser  in  dieser  Beziehung  die  Verehrung  eines  gefeierten  Namens 
für  einen  unberechtigten  und  gemeinschadlichen  Kult  erachtele,  wenn 
er  darob  in  Eifer  gerielh:  wer  darf  ihm  das  verargen?  Und  wenn  die- 
eer  Eifer  aus  dem  Tone  der  Vorrede  widerklingt,  wenn  —  nach  allen 
Kennzeichen  zu  urleilen  —  das  ganze  Buch  in  diesem  Eifer  rasch  be- 
schlossen, rasch  ausgeführt  würde:  wer  möchte  ihm  nicht  manches 
XU  gute  hallen,  vieles  zu  gute  hallen? 

Aber  wäre  es  nicht  in  jeder  Beziehung  besser,  wenn  man  ihm 
nicht  so  viel  zu  gute  zu  halten  brauchte? 

Doch  hören  Sie  weiter. 

^Auch  ist  es  —  fährt  der  Verfasser  fort  —  gar  nicht  unsere  Ab- 
sicht^ uns  in  dieser  gefährlichen  Stellung  in  eine  Polemik  gegen  die 
herschenden  Ansichten  einzulassen.  Eine  Kritik  der  Leistungen  Lach- 
manns  ist  flicht  meine  Aufgabe^  und  ich  erwähne  darum  nichts  von 
Jenen  wunderlichen  Zahlenverhältnissen ,  die  die  geheime  Grundlage 
der  Lachmannschvn  Textrecension  waren  ^  und  die  bereits  von  Ja- 
hob  Grimm  enthüllt  sind^  noch  auch  führe  ich  aus^  was  sich  gegen  die 
/steinen  Lieder  sagen  liesze.  Eine  Lehre^  die  sich  von  /In/an«/  an  da- 
zu bekannte^  mehr  auf  dem  gesunden  Gefühl  als  auf  Gründen  des  Ver- 
siandes  zu  beruhen^  und  die  immer  mehr  ein  Glaubensartikel  als  ein 
beweisbarer  Satz  blieb ^  läszt  sich  ohnehin  nicht  widerlegen*.  —  Un- 
terstreichen Sie  sich  inzwischen  dieses  doppelle  *mehr'.  —  ^fck 
lasse  daher  den  herschenden  Ansichten  ihren  ungehemmten  Lauf; 
aber  ich  wage  es,  eine  neue  Ansicht  daneben  zu  stellen^  und  nicht 
auf  das  Gefühl^  sondern  auf  den  Verstand  zu  gründen.' 

Hier  musz  ich  Sie  schon  bitten,  ein  wenig  zu  verweilen.  Denn 
hier  gerathen  wir  bereits  in  jenes  Gemenge  von  Dichtung  und  Wahr- 
heit, in  jene  logischen  und  philologischen  Leichtfertigkeiten,  in  jenes 
arge  Dilemma,  welches  sich  leider  durch  das  ganze  Buch  hindurch- 
sieht, und  also  lautet:  entweder  hat  der  Verfasser  den  Sachverhalt 
nicht  hinreichend  gekannt;  wie  darf  er  sich  dann  anmaszen  darüber 
abzuurteilen?  oder  er  hat  ihn  hinreichend  gekannt;  wie  darf  er  dann 
wagen,  ihn  anders  darzustellen  als  er  in  Wirklichkeit  beschaffen  ist? 
Das  eine  ist  noch  schlimmer  als  das  andere! 

Auf  die  wundcrlfchen  Zahlenverhältnisse  komme  ich  wol  später 
noch  mit  einem  Worte  zu  reden.  Sie  sind  und  waren  so  ^geheim% 
dasz  jeder  Kenner  der  deutschen  Philologie  sie  seit  langen  Jahren 
wüste.  Denn  bekanntlich  hat  Lachmann  selbst  im  Jahre  1833  in, der 
Ausgabe  des  Wolfram  von  Eschenbach  (Seite  IX)  und  1836  in  den  An- 
merkungen zu  den  Nibelungen  (S.  162)  sie  veröffentlicht.  Sind  sie 
dem  Herrn  Verfasser  wirklich  erst  durch  Grimms  im  Jahre  1851  gehal- 
tene Gedächtnisrede  auf  Lachmann  ^enthüllt'  worden?  Wenn  ers  sel- 
ber sagt,  so  müssen  wirs  ihm  wol  glauben.  Aber  dann  möge  er  uns 
auch  verzeihen,  dasz  wir  dies  Bekenntnis  nicht  eben  für  besonders 
schmeichelhaft  halten  können,  weder  für  seine  philologische  Gelehr- 
samkeit, noch  für  seinen  Scharfsinn.  Lachmann  selbst  hat  vor  mehr 
als  zwanzig  Jahren  in  den  beiden  eben  angeführten  Stellen  deutlich 


Bnefe  Aber  neuere  Erseheinnogeii  aof  d.  6.  der  dentsekea  Philol.   121 

und  bestimmt  genug  erklärt,  welchen  Einflnsz  er  diesen  Zahlenverhilt- 
nissen  auf  seine  Textesrecensionen  gestattet  hat.  Hiernach,  und  sogar 
nach  dem  Wortlaute  und  Sinne  der  sogenannten  Grimmschen  Enthül- 
lungen, zu  behaupten,  dasz  ^jene  wunderlichen  Zahleuverbaltbisse  die 
geheime  Grundlage  der  Lachmannschen  Textesrecensionen'  seien: 
dazu  gehört  denn  doch  eine  nicht  alltägliche  Leichtfertigkeit! 

Weiter  meint  Hr  Holtzmann,  Lachmanns  Lehre  lasse  sich  deshalb 
nicht  widerlegen,  weil  sie  eingestandenermaszen  mehr  auf  dem  Ge- 
fühl als  auf  Verstandesgründeu  beruhe,  mehr  ein  Glaubensartikel  als 
ein  beweisbarer  Satz  geblieben  sei.  Was  sagt  Ihre  Logik  zu  dieser 
Aufstellung?  Musz  sie  nicht  sagen:  also  beruhte  jene  Lehre  doch  zum 
Theil  auf  Yerstandesgründen,  war  doch  zum  Theil  beweisbarer 
Satz,  und  folglich  auch  wenigstens  jener  Theil  so  beschaffen,  dasz 
er  zum  Gegenstande  einer  Widerlegung  durch  Gründe  gemacht  werden 
konnte?  Und  musz  dieselbe  Logik  nicht  sofort  auch  weiter  fragen 
nach  der  Möglichkeit  einer  Grenzbestimmung  zwischen  dem  auf  Yer- 
standesgründen beruhenden  beweisbaren  und  dem  auf  dem  Gefühle  be- 
ruhenden unbeweisbaren  Theile? 

Jene  mit  vollem  Rechte  verlangte  Grenzbestimmung  ist  aber  wirk- 
lich und  thatsächlich  vorhanden,  ist  sogar  von  Lachmann  selbst  gezo- 
gen und  mit  ausreichender  Genauigkeit  angegeben  worden,  wie  z.  B. 
in  dnr  Anmerkung  zu  Strophe  590.  Nur  für  einen  geringen  Theil  jener 
Strophen  nemlich,  die  er  unechte  nennt  und  die  in  seinen  beiden  letz- 
ten Ausgaben  durch  cursiven  Druck  bezeichnet  sind  —  nur  für  diese 
wenigen  und  in  den  Anmerkungen  einzeln  aufgezählten  Strophen  beruft 
sich  Lachmann  auf  das  Gefühl.  Und  selbst  hier  auf  was  für  ein  Gefühl? 
Etwa  auf  das  Gefühl  des  ersten  besten  Lesers?  Nein !  sondern  auf  das 
Gefühl  dessen,  der  sich  ^über  diese  Kritik  ein  Urteil  zutraut^ ^  der  ^das 
ganze  der  Untersuchung  auffaszl,^  So  steht  es  deutlich  gedruckt  zu 
lesen  auf  S.  6  der  Aumerkungen  zu  den  Nibelungen.  Kann  das  aber 
etwas  anderes  bedeuten,  als  anf  das  geläuterte  und  verfeinerte  Gefühl 
dessen,  der  wirklicher  Sach-  und  Fachkenner  ist?-  Und  ist  denn  das 
^  in  der  That  so  unvernünftig?  ja  ist  es  überhaupt  anders  möglich? 

Nehmen  wir  doch  einmal  einen  Vorgang  aus  dem  alltäglichen 
Uandwerksleben !  Sie  wollen  ein  kostbares  Werk,  um  es  vor  Wurm- 
frasz  zu  schützen,  in  Juchten  binden  lassen.  Sie  wissen,  dasz  es  ech- 
ten und  unechten  Juchten  gibt,  und  begleiten  aus  Liebhaberei  Ihren 
ausgezeichneten  Buchbindermeister  selbst  in  eine  grosze  Lederhand- 
lung. Der  Händler  legt  Ihnen  eine  Reihenfolge  verschiedener  Juchten 
'vor.  Einige  davon  erkennen  Sie  schon  als  Laie  für  unecht.  Bei  eini- 
gen anderen  vermag  Ihnen  der  Meister  die  Kennzeichen  der  Unecht- 
heit  mit  einer  für  Ihren  Laienverstand  noch  völlig  begreiflichen  und 
einleuchtenden  Bestimmtheit  anzugeben.  Einige  aber  werden  übrig 
bleiben ,  die  der  Meister  unter  Berufung  auf  sein  Gefühl  für  unechte 
erklären  wird.  Wollen  Sie  nun  die  Befähigung  zu  einem  eigenen  Ur- 
teile auch  über  die  Uncchthoit  dieser  erlangen,  so  wird  der  Meister  zu 
Ihnen  sagen :  ^Kommen  Sie  zu  mir,  lernen  Sie  bei  mir  die  Buclibinderei ; 


122  Briefe  Übet  neuere  ErgcheiouDgen  aaf  d.  G.  der  deatsdieB  PhiloL 

and  wenn  Sie  gut  aufpassen,  Lehre  annehmen,  sich  fleiszig  Oben  und 
selber  nachdenken,  so  soll  in  einiger  Zeit  auch  Ihr  Geföhl  so  weit 
technisch  ausgebildet  sein ,  dasK  Sie  auch  über  diese  Juohlen  werden 
ein  der  Wahrheit  ziemlich  nahe  kommendes  Urteil  abgeben  können. 
Unbedingte  Sicherheit  ist  hier  überhaupt  nicht  mehr  möglich,  denn 
manche  unechte  Juchtenfelle  sind  so  beschaffen ,  dasz  selbst  der  erfah- 
renste Buchbindermeister  bei  ihrem  Einkaufe  sich  einmal  irren  kann/ 

Werden  Sie  das  Verfahren  und  die  Forderung  dieses  Handwerks- 
meisters nicht  vollkommen  in  der  Ordnung  finden?  Und  bedarf  e^noch 
der  Nutzanwendung? 

Nur  für  diese  wenigen  Strophen  also  hat  Lachmann  sich  auf  das 
Gefühl  berufen,  weil  für  ihre  Echtheit  oder  Unechtheit  ein  anderes 
Kriterium  überhaupt  nicht  möglich  ist.  Und  nur  unter  dieser  bestimm- 
ten Beschränkung  hat  er  es  gethan,  weil  diese  allein  vernünftig  ist. 
Aber  wo  in  aller  Welt  steht  denn  geschrieben,  dasz  er  einen  Glaubens- 
artikel daraus  gemacht  hat?  Der  Herr  Verfasser  möge  uns  doch  die 
Stellen  zeigen! 

Alles  übrige  aber  hat  ja  Lachmann  wirklich  bewiesen,  und  der 
Beweis  ist  gedruckt  zu  lesen  in  seinen  ^Anmerkungen  zu  den  Nibelun- 
gen', wovon  ein  jeder  sich  durch  den  Augenschein  selbst  überzengan 
kann.  Freilich  ist  der  Beweis  durch  das  ganze  Bufoh  verstreut  und  bei 
jeder  Stelle  nur  eben  so  viel  beigebracht  als  gerade  für  diese  Stelle 
erforderlich  war.  Und  wenn  der  Beweis  nicht  überall  jedem,  der  ohne 
die  erforderlichen  Vorkenntnisse  daran  geht,  sofort  verständlich  ist,  so 
üe^  die  Schuld  doch  gröstentheils  eben  an  der  mangelnden  Vorbildung 
dieses  Lesers.  Die  cardanischo  Formel  geht  mit  ihrem  Beweise  auch 
nicht  über  die  gewöhnliche  Fassungskraft  eines  sechszehnjährigen  Kna- 
ben, und  dennoch  bleibt  ihr  Verständnis  sogar  dem  gereiften  Geiste 
eines  erwachsenen,  ^ber  der  Mathematik  unkundigen  Hannes  so  lange 
verschlossen,  bis  dieser  sich  die  dazu  unentbehrlichen  algebraiseben 
Vorkenntnisse  erworben  hat.  Und  dasz  der  Beweis  nicht  für  alle  vor- 
kommenden Einzelheiten  gleich  zwingend  sein  kann,  das  ist  denn  doeli 
nicht  Lachmanus  Schuld,  sondern  es  folgt  ja  nothwendig  aus  der  Natnr 
der  Sache.  Lachmann  hat  das  überdies  mehr  als  einmal  (z.  B.  S.  6  u. 
163  der  Anmerkungen)  ausdrücklich  selbst  anerkannt  und  ausgespro- 
chen. Die  verschieden  abgestufte  Beweiskraft  der  einzelnen  Theile 
thut  auch  der  Gesamtwirkung  und  Gesamtgeltung  des  ganzen  Beweises 
oder  der  Beweissumme  nicht  den  geringsten  Eintrag.  Denn  mit  vollem 
Rechte  bemerkt  Lachmann  (Anmerkung  S.  163) :  ^ denke  niemand^  eine 
Ansicht,  die  auf  der  Betrachtung  des  ganzen  beruht,  könne,  durch 
Wegräumung  eines  oder  des  andern  minder  triftigen  Beweises  wider- 
legt werden.^ 

Ja  selbst  die  Gesamtheit  der  Lachmannschen  Beweise  mag  jemand 
immerhin  unzulänglich  nennen,  unberücksicht  mag  er  sie  lassen:  ei 
kann  der  Wissenschaft  nur  frommen ,  wenn  sie  widerlegt ,  wenn  sie 
durch  eine  neue  Lehre  beseitigt  werden.  Aber  ihre  Existenz  zu  liug- 
nen,  aber  in  behaupten,  Lachmanns  Lehre  beruhe  eingestandenermaf  len 


Hi^fler:  Lefarbach  der  ailgemeinea  Geschichte.  123 

mehr  anf  dem  Gefühl  als  auf  Verstandesgrfindeo ,  sei  mehr  eio  Glau* 
bensartikel  als  ein  beweisbarer  Satz  geblieben,  —  darch  eine  solche 
Behauptung  den  tbatsacblichen  Sachverhalt  geradezu  umzukehren :  dazu 
gehört  denn  doch  wieder  eine  nicht  alltägliche  Leichtfertigkeit ! 

(Fortsetzung  folgt  im  nächsten  Heft.) 


7. 

Lehrbuch  der  aUgemeinen  Geschichte.  Für  Untergymnasien  und 
Mittelschulen  von  Dr  Constautin  Eöfler^  k.  k.  Professor 
der  allgemeinen  Weltgeschichte  an  der  prager  Universität 
usw.  Erster  Band:  Geschichte  des  AUerthums.  Mit  einem 
Atlas.  Prag  1857,  Tempsky*). 

Es  sind  mehr  als  zwei  Jahre,  seit  wir  in  dieser  Zeitschrift  ein 
Lehrbuch  der  Weltgeschichte,  welches  für  die  österreichischen  Unter- 
gymnasien bestimmt  war,  besprochen  haben,  und  die  Uebereinslimmung, 
mit  der  die  Kritik  dieses  Werk  Burofillers  verdammte,  hat  bewirkt  dasz 
die  durch  die  Einführung  eines  so  schlechten  Lehrbuchs  dem  Geschichts- 
auterrichte  drohende  Gefahr  abgewendet  wurde.  Heute  liegt  uns  ein 
Buch  vor,  welches  fast  bestimmt  zu  sein  scheint  jenes  frfiher  genannte 
zn  ersetzen.  Ob  es  dieser  Bestimmung  entspreche  und  als  Grundlage 
ftlr  den  Geschichtsunterricht  geeignet  sei,  wird  sich  mit  Leichtigkeit 
aus  der  Zusammenstellung  einiger  Stellen  des  Buches  ergeben. 

Geographisches.  Wenn  es  schon  überhaupt  eine  der  ersten 
Anforderungen  eines  Schulbuches  ist  Klarheit  und  Deutlichkeit  des  ge- 
gebenen Stoffes  zu  vermitteln ,  so  wird  das  ganz  besonders  von  dem 
geographischen  Theile  einer  Weltgeschichte  gelten  können ,  da  durch 
so  treflniche  Arbeiten,  wie  sie  die  neuere  Zeit  im  Gebiete  der  alten 
Geographie  zu  Tage  gefördert  hat,  dem  in  diesen  Dingen  bewanderten 
reichliche  Hülfsmittel  dargeboten  sind,  so  dasz  dem  Verfasser  eines 
Lehrbuchs  hier  mehr  die  Aufgabe  geschickter  Auswahl  als  die  einer 
selbständigen  Behandlung  zufällt.  Hr  Höfler  hat  dagegen  das  letztere 
fast  durchgehends  vorgezogen,  aber  wie  Ihm  das  gelungen  ist  können 
wir  gleich  S.  8  bemerken,  wo  es  heiszt:  ^Hinter  (!)  dem  kaspischen 
Meere  am  Westabhange  der  mittelasiatischen  Hochgebirge  .  . .  zieht 
sich  dann  im  weiten  Umfange  ein  Gürtel  von  Steppen  nnd  Wüsten . .  .* 
^Aber  erst  die  gewaltigen  Doppolströme  Indiens  und  Chinas  und  die 
Niederungen,  welche  sie  durchströmen,  setzen  der  Wüste  wirklich 
eine  Grenze.  Wie  nemlich  die  von  Westen  nach  dem  Osten  gewandten 
nngehenern  Ströme  Südamerikas  diesen  Erdtheil  vor  der  Dürre,  Trocken- 


*)  Die  hier  folgende  Anzeige  hat  einen  Katholiken  zum  Verfasser« 

Dietach. 


124  Ilöfler:  Lehrbuch  der  allgemeinen  Geschichte. 

heit  und  Gluthitze  Afrikas  bewahrten,  hat  Asien  sich  durch  seine  Stron- 
landschaften  (Mesopotamien)  des  Oxus  und  Jaxarles,  des  Euphrat  und 
Tigris,  des  Indus  und  Ganges,  des  Hoangho  und  Janlfekiang  der  Wttste 
erwehrt  (!!),  während  Afrika  ihr  ohne  dieselben  erlag  (!!).' 

^Zwischen  dem  knspiscben  und  persischen  Meere,  dem  mittellän- 
dischen und  dem  rotben,  dem  schwarzen  und  dem  indisch -arabischeo 
liegt  nun  eine  Welt  im  kleinen,  ein  Viereck  von  Landschaften'  usw. 
Die  Bezeichnung  des  Vierecks  ist  Hm  Höfler  überhaupt  als  geographi- 
sches Bild  sehr  geläufig.  *  Das  Quellengebiet  des  Vierecks.'  —  *  So 
konnte  es  kommen,  dasz  Jahrtausende  hindurch  die  Weltgeschichte  sich 
von  diesem  meerumflossenen  Vierecke  nicht  zu  trennen  vermochte.' 
S.  14  wird  dagegen  dieselbe  ^vorderasiatische  Welt'  ^einem  Kreuze 
gleich'  gesetzt,  während  andererseits  auch  die  Sliftshatte  der  Juden 
S.  a8  ein  viereckiges  Zelt  und  S.  93  auch  der  Peloponnes  ein  *Vier- 
eck  mit  Zacken'  genannt,  S.  173  von  Uom  gesagt  wird:  es  Var  aus 
dem  viereckigen  Kom  ein  vierbergigeä  geworden'.  Aber  auch  noch 
in  anderer  Weise  laszt  der  Vf.  seiner  Phantasie  ein^n  freien  Spiel- 
raum bei  geographischen  Beschreibungen.  S.  12  heiszt  es  von  Iran: 
^£s  war  der  eine  Flügel  Vorderasiens,  Kleinasicn  der  andere,  das  hoch- 
gelegene Armenien  in  der  Mitte  beider  das  Haupt,  Assyrien  die  Brast, 
Babylon  der  mittlereTheil  des  Leibes,  dessen  Extremitäten  sich 
nach  Arabien  und  Aegypten  zogen.'  Ueberall  bemüht  sich  der  Vf.  an 
die  Stelle  der  einfachen  Beschreibung  seine  eigenen  Reflexionen  sa 
setzen,  und  so  kann  es  nicht  fehlen  dasz  die  Schüler,  wen)  sie  dieses 
Buch  gelesen  haben  werden ,  zwar  eine  Menge  sogenannter  schöner 
Worte,  aber  von  Geographie  noch  gar  nichts  im  Gedächtnis  behalten 
haben  werden.  Selbst  die 'Geographie  von  Griechenland  und  Italien 
ti^ägt  dieses  Gepräge  der  Undeutlichkeit  und  Unklarheit  an  sich;  so 
wenn  gleich  S.  92'  der  BegrifT  von  Hellas  in  folgender  Weise  festge- 
stellt wird:  ^HeHas,  das  Land  der  Hellenen,  bestand  aus  dem  Mutter- 
lande und  den  Colonien,  da  wo  der  Grieche,  Hellene,  sich  niederliess, 
Hellas  war.'  Selbst  grobe  Unrichtigkeiten  sind  hier  nicht  vermieden: 
^Südöstlich  (von  Makedonien?)  zackt  sich  das  Land  durch  die  Ein- 
krümmung  der  Landschaft  Magnesia  in  den  magnesischen  und  dann  in 
den  lamischen  Meerbusen  aus,  zwischen  welchen  längs  des  Gesta- 
des des  Festlandes  die  Insel  Euböa  sich  hinzieht.'  ^Zwischen  Aetolien 
und  Boeotien  aber  liegen  in  der  Mitte  Doris,  Phokis  und  das  eine  Lokris, 
zwei  andere  Lokris  an  der  Küste'  (an  welcher?).  Erstaunlicher  als 
dies  ist  es  vielleicht  noch,  dasz  S.  169  ^der  Tiberis  in  Etrurien'  ge- 
nannt wird.  S.  170  aber  heiszt  es :  Won  da  an  (von  der  Mündung  des 
Nera)  bis  zur  Einmündung  des  Anio  ist  der  Tiberis  Grenze  zwischen 
Tuscia  und  Sabina  (!!)  und  von  der  Mündung  des  Anio  bis  zur  eige- 
nen Ausmündung  in  das  Meer  scheidet  er  Latium  von  Tuscia.'  Unbe- 
greiflich wird  es  dem  Schüler  auch  bleiben,  wenn  S.  170,  wo  von 
Etrurien  die  Hede  ist,  Tuscia  in  Klammern  beigesetzt  ist  und  es  nun 
S.  171  heiszt:  ^  Die  Tuskcr  (Tyrrhencr)  wurden  von  Ra.senern  (Etrus- 
kern)  unterjocht.'    Vergebens  wird  sich  der  Schüler  nach  Aufklärun- 


Hdfler:  Lehrbach  der  allgemoincD  Geschichte.  125 

gen  Über  solche  verworrene  Punkte  in  dem  Bache  umsehen,  —  ob  etwa 
der  von  Hrn  Hof  1er  beigegebene  Atlas  diese  bieten  sollte?  Wir  kom- 
men auf  diesen  Atlas  noch  surück. 

H  is  torisches.  Der  erste  Abschnitt  der  eigentlichen  Geschichts- 
darstellung  beginnt  mit  den  vorderasiatischen  Reichen,  und  zwar  a)  mit 
Babylon,  wobei. als  Unterabtheilung  ^Ursprung  der  Staaten'  eigen- 
thämlich  in  die  Augen  fällt.  Ob  Hr  Höfler  die  Babylonier  zu  den  Cha- 
miten  oder  Semiten  rechnet,  bleibt  vollständig  unklar,  wenn  er  sagt: 
^lieber  den  Ursprung  und  die  Entstehung  der  ältesten  Reiche  besitzen 
wir  nur  wenige  sichere  Nachrichten.'  Als  zuverlässig  stellt  hierauf 
Hr  Höfler  nur  die  ^Berichte  der  Semiten  und  insbesondere  der 
Hebräer'  hin.  ^Ihnen  zufolge,  heiszt  es  dann  weiter,  ist  das  chamitische 
Babylon ,  in  dessen  nächster  Nähe  semitische  Stämme  wohnten, 
als  das  erste  Reich  anzuführen,  ob  wol  die  Gründung  desselben  nicht 
sowoi  den  Semiten  als  Nimrod  dem  Chamiten  zuzuschreiben  ist.'  Man 
ahnt  wol  da^z  der  Vf.  hier  sich. bestrebt  die  Tradition  der  Bibel  mit 
den  neuern  wissenschaftlichen  Ansichten  in  Einklang  zu  bringen ,  was 
gewis  nnr  zu  billigen  ist;  allein  dies  geschieht  mit  einer  so  handgreif- 
lichen Absichtlichkeit  und  mit  so  plumper  Ungeschicklichkeit,  dasz 
selbst  bei  dem  blödesten  Knaben  der  Verdacht  entstehen  musz,  dasz 
hier  eine  bedeutende  Unklarheit  zu  Grunde  liege.  Wenn  dann  gleich 
im  folgenden  Paragraphe,  der  mit  ^jedoch'  beginnt,  gesagt  wird,  dasz 
die  Nachkommen  Noes  ^den  Bau  eines  allgemeinen  Denkzeichens,  eines 
Thurmes',  begannen,  wobei  sie  *jene  Verwirrung  der  Gemüter  traf, 
Velche  sich  in  dem  Abfalle  von  dem  einen  and  höchsten  Gotte  in  der 
Verschiedenheit  der  Religionen  wie  der  Sprachen,  bald  auch  in  der 
der  Farbe  and  des  Körperbaues  ausdrückte',  so  musz  dies  als  eine 
ganz  willkürliche  and  rationalistische  Interpretation  von  Genesis  XI 
6 — 9  bezeichnet  werden,  wobei  wir  noch  von  der  ungeschickten  Stili- 
sierang  ganz  absehen  wollen.  In  diese  Kategorie  gehört  auch  der  Satz  : 
^Allein  schon  unter  seinen  (Noes)  Söhnen  tritt  eine  Ausartung  hervor, 
80  dasE  Noe  selbst  den  Fluch  über  den  zweiten  (Chom)  ausstöszt,* 
-welcher  alle  Ehrfurcht  vor  dem  Vater  und  Priesterfürsten  mit  Fäszen 
getreten  hat.^  Welches  Bild  übrigens  Hr  Höfler  von  dem  Leben  der 
alten  orientalischen  Völker  zu  entwerfen  sich  bemüht,  mit  welcher 
Sicherheit  jer  dieses  zeichnet,  obwol  er  den  Mangel  an  Nachrichten 
darüber  selbst  erwähnt,  leuchtet  aus  wenigen  Sätzen  hervor  (S.  21)- 
^Die  Aufforderung  aber  ....  zu  essen,  zu  spielen,  zu  schlemmen, 
alles  übrige  sei  nichts  werlh',  beweist  am  besten,  dasz  im  mächtigen 
Ninive,  yvie  in  Babylon,  zuletzt  die  Befriedigung  gemeiner  Sinnlich- 
keit als  einziger  Zweck  des  Daseins  galt.  S.  24  wird  noch 
vieles  über  ^Aberglauben  und  Ausschweifungen'  hinzugefügt  und  wie 
die  Chamiten  mit  ^Krieg  und  morden'  begannen.  S.  33  heiszt  es  dann 
auch  voo  den  Phöniciern :  sie  ^überlieszen  sich  nicht  blos  allen  sinn- 
lichen Ausschweifungen,  sondern  fühlten  wie  alle  kanaanitischen  Völ- 
ker einen  wahren  Beruf  darin,  ihre  Nachbarn  mit  derselben  Aus- 
gelassenheit'anzustecken.'   Was  die  Chronologie  betrifft,  so  wäre  es 


126  Höfler:  Lehrbuch  der  allgemeinen  Geschiehte. 

freilich  sehr  verkehrt,  wenn  man  in  einem  Lehrbuche  der  Weltge- 
schichte über  diese  älteste  Zeit  eben  nur  lauter  sichere  Daten  erwar- 
ten wollte ;  aber  ganz  unpraktisch  wird  für  den  Anfangsunterricht  ein 
Buch  sein,  welches,  wie  das  vorliegende,  vage  oder  unbestimmte  und 
nichtssagende  Zeitangaben  enthält,  da  der  Schüler  dadurch  nur  ver- 
wirrt wird:  ^520  Jahre  lang  hatte  die  Herschaft  Assyriens  gedauert, 
nachdem  ihr  die  Babylons  in  angemessener  Dauer  vorangegangen 
war.'  S.  23:  ^Ninive  gross  durch  den  Untergang  anderer  gleich 
alter  Städte'  u.  dgl. 

In  der  Geschichte  Aegyptens,  die  von  S.  36  bis  öl  behandelt 
wird,  erfreut  uns  Hr  Höfler  gleich  im  ersten  Satze  mit  einer  Ent- 
deckung, die  den  Schülern  gewis  Stoff  zu  vielem- Nachdenken  geben 
wird :  *Die  aegyptischen  Denkmäler ,  welche  auf  unsere  Tage  gekom- 
men sind,  beginnen  die  Geschichte  ihres  Landes  und  damit  der  ihneit 
bekannten  Welt  mitMenes,  welcher  als  der  älteste  König  Aegyptens 
bezeichnet  wird,  wol  der  erste  Mensch  (Adam)  gewesen 
ist.'  Damit  ist  schon  der  folgende  Satz  unvereinbar:  ^Von  ihm  an 
werden  26  Königsdynastien  erwähnt';  und  so  finden  wir  auch  hier 
wieder  ein  Beispiel,  wie  unbesonnen  der  Vf.  zuweilen  seine  eigenen 
Combinationen  mit  der  geschichtlichen  Wahrheit  vermengt  hat.  Doch 
wenden  wir  uns  von  diesen  orientalischen  Geschichten  zur  Betrachtang 
der  Darstellung  griechischer  und  römischer,  indem  wir  nur  eine  ali- 
gemeine  Bemerkung  noch  hinzufügen  wollen,  dasz  eine  so  unverhilt- 
nismäszig  ausführliche  Behandlung  der  orientalischen  Völkergesohichte, 
wie  es  in  dem  vorliegenden  Buche  der  Fall  ist,  gewis  am  wenigsten 
für  die  untere  Unterrichtsstufe  geeignet  ist.  Wir  glauben  nicht  sn 
irren ,  wenn  wir  behaupten  dasz  dies  übrigens  mit  einer  gewissen  Ab- 
sichtlichkeit geschah,  um  auf  Kosten  der  unerquicklicheren  Partien  des 
Alterthums  dem  Schüler  auch  das  Studium  der  griechischen  und  römi- 
schen Geschichte  nach  Möglichkeit  zu  verleiden.  Die  Art  und  Weise, 
wie  Hr  Höfler  die  letzteren  behandelt,  bestätigt  diese  Behauptung  lei- 
der nur  zu  sehr. 

Da  ist  es  denn  eben  so  bezeichnend  als  erheiternd,  welche  An- 
schauungen Hr  HöHer  aus  den  griechischen  Tragikern  gewonnen  habfin 
mag,  wenn  er  uns  die  älteste  griechische  Sagengeschichte  in  folgen4er 
Weise  erzählt:  ^Die  griechische  Sage  berichtet  nun  beinahe  von  allen 
Königsfamilien  gräu^lhafte  Thaten  nnd  ein  blutiges  Verhängnis, 
das  sich  von  Geschlecht  zu  Geschlecht  fortgepflanzt.  Da  hatte  zuerst 
Atreus,  Pelops  Sohn,  die  Söhne  seines  Bruders  Thyesles  gesohlach- 
tet  und  dem  Vater  als  Speise  vorgesetzt.  Atreus  Sohn  Agamemnon 
wird  bei  der  Heimkehr  von  Troja  durch  seinen  Neffen  Aigisthos  und 
die  eigene  Gattin  erschlagen,  die  dann  später  dem  Mordstahl 
des  Orestes  verfallen,  welcher  um  deA  Vater  zu  rächen  nicht  blos  den 
Mörder,  sondern  auch  die  eigene  Mutter  erschlägt.  In  Theben  ist  es 
das  Hans  des  Leios,  welches  auf  ähnliche  Weise  zu  Grunde  geht.  Um 
der  Gefahr  zu  entgehen,  welche  nach  einem  Orakelspruche  dem  König 
von  seinem  neugebornon  Sohn  (Oidipus)  droht,  wird  dieser  als  Knabe 


H5ll6r:  Lehrbaeh  der  allgemeioen  Geschiehte.  127 

ausg^eseUt;  jedoch  g^etettet  erschlfigt  er  später  seinen  Vater,  ohne  iha 
%n  kennen,  heiratet  seine  Mutter  lokaste,  wird  König  von  Theben  und 
Vater  einer  zahlreichen  Familie.  Da  erst  erlangt  er  allmählich  Einsicht 
in  sein  eigenes  Schicksal ;  aus  Verzweiflung  begibt  er  sich  des  König, 
ihums,  lokaste  erhfingt  sich  ...    In  ähnlicher  Weise  hatte  nach  der 
Sage  auch  Orestes,  der  Mnttermörder ,  als  ihm  die  Reue  über  die  Er- 
mordnng  der  Mutter  gekommen,  die  Rachegöttinnen  (Er  y  nnien  ! ! )  ihn 
verfolgten,  theils  im  Tempel  des  Apollon  zu  Delphoi,  theils  auf  dem 
Areiospagos  Befreiung  von  der  Wuth  seiner  Verfolgen  n  en  und  Schuld- 
losigkeit erlangt.    Allein  in  der  älteren  Auffassung  der  Sage  und  bei 
dem  wilden  Leben  der  Vorzeit  hatte  Orestes  volles  Recht  die  Mutter 
zu  erschlagen.    « Für  blutigen  Mord  war  blutiger  Lohn  als  Busze  ge- 
setzt, für  feindliches  Wort  gleich  feindliches  Wort  als  vollgültiger 
Lohn.»  Erst  später  und  langsam  entsagten  auch  die  Hellenen  der  Blut- 
rache, der  Menschenopfer,  während  anfänglich  noch  die  Sage  galt, 
Apollon,  der  Herscher,  der  Gott  der  Hellenen,  habe  selbst  den  Mar- 
syas ,  welchen  er  nach  hartem  Kampfe  in  der  Dichtkunst  überwunden, 
lebendig  geschunden'  usw.   Wir  glaubten  diese  Stelle  ganz  an- 
führen zu  müssen,  weil  sie  in  der  That  den  Standpunkt  des  Verfassers 
aufs  beste  charakterisiert.    Auch  in  der  historischen  Zeit  weisz  Hr 
Ilöfler  seinen  gründlichen  Abscheu  vor  dem  klassischen  Alterthum 
fiberall  mit  angemessenen  Farben  zu  schildern ,  und  es  werden  uns 
noch  Stellen  ähnlicher  Art  häufig  genug  begegnen.    Von  der  ältesteii 
Geschichte  der  Griechen  ist  hier  noch  das  bemerkenswerth,  dass,  nach 
der  Ansicht  des  Verfassers ,  die  Stammesuntersohiede  der  Hellenen 
durch  die  fremden  Einwanderungen  der  Aegypter,  Phönicier  usw.  ent- 
standen seien.    S.  95  lesen  wir  wenigstens:  ^Durch  diese  verschie« 
denen  Einwanderungen  und  Einflüsse  spaltete  sich  zuletzt  das  grosze 
pelasgische  Volk  in  z  w  e  i  H  ä  1  f  t  e  n !!   Die  eine  behielt  den  alten  Ge- 
famtnamen  Felasger,  löste  sich  aber  in  eine  Anzahl  kleiner  Stämme 
auf,  die  andere  aber  empfieng  zuerst  den  Namen  Aeoler  oder  Achaeer, 
später  den  der  Hellenen.'  Hier  haben  wir  es  also  mit  einer  ganz  neuen  • 
Hypothese  zu  thun,  deren  Beweisgründe  vor  der  Hand  freilich  ein  Pri- 
vateigenthum  des  Hm  Höfler  sein  mögen.   Zu  vergleichen  ist  noch  die 
SleUe  S.  103:  ^Da  Griechenland  nicht  einen  Staat  bildete  . . .,  sondern 
neben    den  Doriern   der   jonisch  pelasgische  Stamm  in 
Attika,  die  Aiolier  (Boiotier)  sich  erhielten'. . .    In  der 
That  ist  das  das  höchste,  was  in  ethnographischer  —  Verwirrung  — 
geleistet  werden  kann.   Nicht  besser  gelingt  es  dem  Verfasser ,  wenn 
er  Verfassungs-  oder  Sittenzustände  schildert.   Da  erzählt  er  uns  wol, 
wie  in  Sparta  (S.  104)  *das  stehende  Heer  stete  Beschäftigung 
haben  muste',  wie  den  *  Mädchen  und  Frauen  mehr  Freiheiten  erlaubt 
als  bei  andern  griechischen  Völkern.'    S.  125  heiszt  es :  *  Die  Um» 
Wandlung  der  Verfassung  in  eine  Demokratie,  was  nachher  als  Ur- 
sache der  grösten  Güter  für  die  Hellenen  gepriesen  wurde ,  übernahm 
nun  Kleisthenes',  und  weiter :  *Die  vier  ursprünglichen  Phylen  Athens 
warden  aufgehoben  und  zehn  neue  geschaffen ,  in  welche  Kleisthenes 

/V.  Jakrb.  f.  PkU,  «.  Paei.  Bd  LXXVllI.  Oft  7.  9 


128  Höflor:  Lehrbaeh  der  allgemeioen  Geschiolite. 

die  bisherigen  Demen  einschaltete.'  Dann  wird  S.  143ge8agty 
dasz  die  ^demokratische  Verfassung  die  Bürger  zu  unsinnigen  Unter- 
nehmungen verleitete'.  Dasz  sich-  neben  sotchen  Declamationen,  ia 
welchen  wahres  und  falsches  neben  einander  schwimmt,  ganz  unwahre 
Histörchen  y  wie  das  von  der  Zusammenkunft  des  Solon  und  Kroesoa, 
sehr  breit  behandelt  finden  (S.  123),  liesz  sich  erwarten,  eben  aus 
keinem  andern  Grunde ,  als  weil  es  dem  Geschmacke  des  Herrn  Ver- 
fassers so  zusagte.  Auf  die  Geschichte  der  Perserfcriege  dagegen 
wurde  weniger  Sorgfalt  verwendet:  *Den  Hellenen  fehlte  es  wie  ge- 
wöhnlich an  Einheit  und  Führung'  (S.  127).  Die  Schlacht  bei  Ma- 
ralhon wird  folgendermaszeu  geschildert  (S.  128):  ^Nachdem  sie  sich 
vor  einem  Angriffe  von  der  Seite  geschützt,  griffen  die  Hellenen  aoi 
29.  Sept.  490  in  der  Ebene  von  Marathon  die  Perser  in  vollem  Laufe 
an,  warfen  sie  zurück,  trieben  einen  Theil  in  die  Sümpfe,  den  andern 
auf  die  Schiffe  und  verfolgten  sie  bis  in  das  Meer  hinein.  AU  die 
Flotte  auf  dieses  um  Sunion  gegen  Phaleron  segelte,  Athen  zu  Qber- 
raschen ,  hatten  sich  die  Athener  bereits  an  ihrer  südlichen  Küste  auf- 
gestellt; die  Flotte  wagte  keinen  Landungsversuch  und  fuhr  mit  einen 
Verluste  von  etwa  6400  (!!)  Mann  nach  Hause.'  Noch  langweiliger  isl 
dann  der  zweite  Ferserkrieg  dargestellt :  ^Bereits  hatte  dieser  sich  dem 
Hellesponte  genähert,  ihn  auf  doppelter  Schiffbrücke  innerhalb  sie- 
ben Tage  und  sieben  Nachte  unausgesetzten  Marsches  fiberschriUen, 
sich  Makedonien,  dann  Thessalien  genähert,  als  am  schmalen  Paise 
zwischen  Meer  und  Berg  die  hellenische  Landmacht  auf  ihn  stiess«' 
Und  in  diesem  Tone  bewegt  sich  die  Erzählung  fort,  nur  da  wo  von 
^niedermetzeln'  (S.  130)  oder  von  ^zu  Tode  prügeln'  S.  146  die  Rede 
ist,  erhebt  sich  dieselbe  Über  das  gewöhnliche  Masz  der  Dürre  nnd 
Langweiligkeit  durch  kraftvolle  Phrasen  empor.  Eine  Ungeschicklich- 
keit eigenthümlicher  Art,  die  uns  in  andern  Lehrbüchern  derart  nicht 
bekannt  ist,  bemerken  wir  darin,  dasz  die  Geschichte  der  Perserkriege 
ohne  Absatz  bis  zum  Jahr  356  v.  Chr.  fortgeführt  wird  und  daran  sich 
wiederum  unter  einem  neuen  Titel :  ^  Blujte  von  Athen '  die  Geschichte 
Griechenlands  abermals  seit  Miltiades  anschlieszt.  Hier  ist  auch  erst 
der  Ort,  wo  wir  von  Miltiades,  der  in  dem  frühern  nur  in  Klammern 
einmal  auftrat,  dann  von  Themistokles,  Aristides  und  Kimon  nähere 
Nachrichten  erhalten,  und  während  der  Abschnitt  über  die  Perserkriege 
bereits  S.  134  mit  der  Redensart  schlieszt:  ^Die  Hälfte  des  Blutes,  das 
die  Hellenen  seit  hundert  Jahren  in  gegenseitigem  Kampfe  vergossen, 
hätte  hingereicht  die  asiatischen  Hellenen  zu  befreien  und  die  Perser 
zu  demütigen',  erfahren  die  Schüler  erst  viel  später  S.  142  von  deai 
peloponnesischen  Kriege.  Die  erste  Abtheilung  desselben  wird  mit 
folgenden  Worten  abgethan:  *Der  Krieg  war  bereits  in  allen  helleni- 
schen Landen  ausgebrochen,  als  der  Athener  Nikias  421  den  nach  ibaa 
benannten  Frieden  schlosz.'  Alkibiades  wird  ein  ^fiuszerst  talentvoller 
aber  sittenloser  Mann'  genannt;  dann  lesen  wir,  wie  ^jede  Sache  miL 
dem  Schwerte  ansgemacht  wird'.  ^Gab  es  zuHausenichtsmehr 
zu  kriegen,  so  verspritzte  der  Hellene  sein  Blut  in  fremdem  Diensle;' 


Möfler:  Lehrbabh  der  allgemeinen  Geschichte.  129 

(S.  144)  weiter:  Mn  Pherai  wurde  damals  Jason,  dann  Alexandros 
Haupt  von  Thessalien,  und  als  diese  Herschaft  gestürzt  wurde,  erhob 
sich  im  Norden  langsam  Philipp,  König  von  Makedonien,  und  suchte 
dieser  von  den  hellenischen  Streitigkeiten  für  sich  den  möglichsten 
Vortheil  zu  ziehen.  17  Jahre  lang  dauerte  der  thebani'sche  Krieg,  der 
an  Wildheit  den  peloponnesischen  noch  übertraf.  Schon  vergriffen  sich 
die  Arkader  an  den  geheiligten  Tempelschätzen  von  Olympia;  1200 
Einwohner  von  Argos ,  aristokratischer  Gesinnungen-  verdächtig,  wur- 
den von  ihren  Gegnern  zu  Tode  geprügelt.  Siegreich  drang  Epa- 
meinondas  bis  zum  Marktplatze  von  Sparta  vor,  aliein  K.  Agesilaos 
warf  ihn  wieder  hinaus,  und  als  Epameinondas  jetzt  zu  einer 
Hauptschlacht  drängte,  erfolgte  der  Sieg  der  Thebaner  bei  Mantineia, 
wobei  Epameinondas  Gel.' 

Doch  genug  an  diesen  Beispielen!  lieber  die  Darstellung  der 
römischen  Geschichte  wollen  wir  uns  kurz  fassen.  Wir  erinnern  uns 
nicht  jemals  ein  so  verzerrtes  Bild  historischer  Thatsachen  gesehen  zu 
haben,  wie  das  ist,  welches  Hr  Höfler  von  der  römischen  Geschichte 
onsern  Augen  entrollt.  ^Mord',  ^ Todschlag'  und  ^Schlächterei'  füllt 
den  Inhalt  desselben  so  vollständig  aus,  dasz  es  fast  erscheint  als 
hätte  der  Vf.  allen  Sinn  für  die  edleren  Regungen  des  menschlichen 
Lebens  bei  Seite  gesetzt,  als  hätte  er  nicht  ohne  Absicht  die  alte  Ge- 
eohichte  mishandelt.  Der  ^bluti^e  Gründer  Roms'  wird  Won  Senatoren 
ermordet'.  ^Hatten  nach  der  Sage  Romulus  den  Zwillingsbruder,  La- 
tiner den  Titus  Talius,  die  Römer  den  Romulus  erschlagen  und  so  Rom 
mit  Blut  eingeweiht,  so  mordeten  unter  dem  dritten  (romulischen)  Kö- 
nige Tullus  die  horazischen  Drillingsbrüder  die  curiatisphen  der  Alba- 
ner, und  der  einzige  Römer,  welcher  der  Schlächterei  entrann,  die  ei- 
gene Schwester'  (S.  173).  ^  Die  Patricier  griffen  zum  Morde'  S.  177. 
Scipio  ^raubte,  plünderte,  brandschatzte'  (S.  184).  ^Die  Römer  wa- 
ren allmählich  aus  räuberischen  Hirten  der  Vorzeit  die  Räuber  der  Völ- 
ker geworden'  (S.  185).  Das  römische  Volk  ^an  morden  gewöhnt' 
(S.  186).  Sulla  ^belagerte  Athen,  dessen  Umgebung  er  gräulich  ver- 
wüstete, richtete  ein  unerhörtes  Blutbad  an,  schlug  dann  mörderische 
Schlachten',  (S.  188)  ^begab  sich  nach  Puleoli  dort  in  schlemmen  seine 
Tage  zuzubringen ,  bis  er  dann  auch  an  der  Läusekrankheit  starb' 
'(S.  189).  Cajus  Julius  Caesar,  ^der  ehrgeizigste,  gescheuteste,  laster- 
hafteste' (S.  190),  'zog  an  der  Spitze  des  Heeres,  das  1190000  Men- 
aeben  erschlagen  hatte,  über  den  Rubikon'  (S.  191).  'Niemals  hatte 
ein  Heerführer  einen  solchen  Blutkreis  beschrieben  wie  Caesar.'  'Bald 
Dach  Caesars  Tode  begann  das  morden  aufs  neue  und  dauerte  mit  ge- 
ringen Unterbrechungen  14  Jahre'  (S.  191).  Dem  allen  drückt  die 
^Hordschlacht  bei  Philippi'  (S.  192),  'Das  Volk  freute  sich  über  die- 
ses morden'  (S.  196),  'Tiberius  erfüllte  den  Erdkreis  mit  Hinrich- 
tangen'  S.  197  und  endlich  die  letzte  'grosze  Mordperiode  des  sin- 
kenden heidnischen  Reiches'  S.  203  den  Stempel  der  Vollendung  auf. 
Nicht  ohne  Anstrengung  geschieht  es,  wenn  wir  unser  Urteil  über  die- 
ses Machwerk  des  Urn  llöfler  hier  zu  mäszigen  suchen,  aber  niemand 

^  9* 


130  H5ner:  Lehrbach  der  allgemeiiieii  Geschichte. 

wird  ohne  Enlrfistung  dieses  Buch  aas  der  Hand  legen ,  wenn  er  be- 
denkt dasz  dasselbe  für  die  Jagend,  für  zwölfjährige  Knaben  bestinnt 
ist.  Wenn  wir  noch  hinzafügen,  dasz  Hr  Hofier  von  der  römischen 
Verfassungsgeschichte  nicht  einmal  das  allerdürfligste  erwähnt,  und 
wo  er  etwa  die  Kampfe  der  Patricier  nnd  Plebejer  in  12  sage  12  Zeilen 
erzählt,  diese  so  verworren  darstellt,  dasz  auch  besser  dies  wenige 
weggeblieben  wäre,  wenn  wir  dann  noch  hinzufügen,  dasz  Aemter  wie 
Tribunen,  Ccnsoren,  Dictatoren  zwar  nebenher  erwähnt,  aber  mit  kei- 
nem Worte  erklärt  werden,  dasz  die  Prätur  nicht  einmal  genannt  and 
auch  vom  Census  keine  Rede  ist,  so  dürfte  wol  alles,  was  für  die  Be- 
urteilung des  Buches  entscheidend  ist,  so  weit  dies  das  rein  histo- 
Hsche  betrifft,  hervorgehoben  sein ;  über  die  Form  erübrigt  noch  eioi- 
ges  zu  sagen. 

Stilproben.  Ohne  Zweifel  wird  der  aufmerksame  Leser  schon 
aus  den  angeführten  Beispielen  die  Mängel  des  Stils  erkannt  haben, 
welche  jede  Seite  dieses  Lehrbuchs  füllen.  Dennoch  können  wir  ans 
nicht  versagen ,  noch  auf  einige  ganz  besondere  Eigenheiten  des  Ver- 
fassers aufmerksam  zu  machen,  welche  nicht  eine  Ungeschicklichkeit 
und  Unbeholfenheit  der  Diction  allein,  sondern  selbst  oflfenbar  fehler- 
hafte Constructiouen,  Sünden  wider  die  einfachsten  syntaktischen  Re- 
geln bemerken  lassen.  Fehlerhafter  Gebrauch  der  Partikeln  kann  aaf 
jedem  Blatt  nachgewiesen  werden,  uncf  nur  beispielsweise  können  wir 
hier  einiges  herausheben.  S.  96:  ^während  Homer  wol  Kleinasien  an- 
gehörte, sieben  Städte  sich  jedoch  um  seine  Geburtstättestritten.' 
S.  101:  ^Obwol  keine  einheitliche  Leitung  ....  daraus  hervorgieng, 
so  war  es  denn  doch  von  groszer  Wichtigkeit.'  S.  112:  ^Nachdem 
aber  einmal  die  Griechen  in  diese  Gegenden  gekommen  waren,  ver- 
legten sie  selbst  den  Schauplatz  ihres  groszen  Heldengedichts  von  den 
Irrfahrten  des  Odysseus  in  die.  italischen  Gewässer  und  den  Westen, 
während  die  Ilias  von  einem  in  den  aiolischen  Niederlassungen  be- 
wanderten Sänger  herzurühren  scheint,  ob  wol  beide  dem  Homeros 
zugeschrieben  werden.'  S.  135:  ^sie  erhöhten  die  Beiträge  nach  Will- 
kühr  von  anfänglich  460  Talente  bis  1300  und  verwendeten  sie  auch  ao/ 
S.175:  ^Die  Sklaven  wurden  nicht  weiter  gerechnet,  bildeten  aber 
in  allen  alten  Staaten  den  grösten  Theil  der  Bevölkerung.'  S.  179: 
Der  Senat  verwarf  den  Friedensvorschlag.  ^Dadurch  blieb  diesem' 
usw.  S.  180:  Die  Homer  ^sagten  den  räuberischen  Mamerlinern  Hälfe 
zu,  um  dadurch  einen  festen  Fusz  in  Sicilien  zu  gewinnen  ...  Da- 
durch kam  es  zum  ersten  punischen  Krieg'.  Ebd.:  ^Sie  bahnten  sieb 
durch  den  Seesieg  bei  Mylä,  durch  den  Consul  Dnilius,  welcher 
karthagische  Schilfe  enterte,  und  den  noch  gröszeren  bei  Eknomos  der 
Weg  nach  Afrika.'  S.  183:  ^  Wol  zog  auch  dieser  über  die  Alpen, 
aber  zwei  römische  Heere  stellten  sich  zwischendieBrflderanff/ 
Bezeichnend  ist  es,  dasz  da,  wo  Hr  Höfler  sich  bemüht  einfach  nnd 
schlicht  zu  erzählen,  eben  derlei  Stilfehler  am  häufigsten  vorkommen, 
keineswegs  aber  da,  wo  er  sich  auf  dem  Gebiete  hochtönender  Phrasen 
bewegt;  eß  möchte  uns  bedünken,  dasz -eben  daraus  zu  ersehen  iati^-^ 


HAfler:  Lehrbnok  der  «Ugemeinen  Gesciuebte.  131 

wie  wenig  Hr  Höner  som  popeliren  Schriftsteller,  sam  Verfasser  eines 
Lehrbachs  geeignet  war.  Wir  liönnten  noch  eine  Legion  von  Beispie- 
len aufzählen,  wo  angeschickte  and  nndentsche  Wendungen  selbst  das 
Verständnis  nicht  selten  trüben  oder  gar  unmöglich  machen,  doch 
müsten  wir  dasu  mindestens  die  Hälfte  des  Buches  abschreiben. 

Schreibangen  und  Dmckfehler.  S.  13:  Ephesus  neben  Miletos. 
S.  M:  Tainarion  und  an  andern  Orten  wie  S.  106,  S.  37  Japhetiden. 
Ebd.  Sphynxe.  S.  47:  Ptolomaeer,  ebenso  S.  168.  S.  97:  Eryn- 
nien.  S.  101:  Alpheus.  S.  102:  Aiolier.  S«  104:  deren.  S.  105: 
Kynoreia.  S.  108:  Troizene,  vgl.  S.  130.  S.  110:  Plataia,  ebenso 
S.  131.  142.  145.  S.  110  u.  111:  Pyxos  {nv^ovg).  S.  141:  Eurypi- 
des  (!!!).  S.  147:  der  phokeische.  S.  168:  Hasmonäer  und  Idu- 
mäer.  S.  153:  Memnon.  S.  170:  Sabine.  S.  172:  2  Z  willingsbra- 
der.  S.  173:  plebes  Romanae.  S.  187:  Gleichstellung  der  Römer  und 
Italiener.  S.  193:  Rhodus  nnd  Samos.  S.  194:  Belgia.  Ebd.: 
Adrian  und  vallura  Uadriani. 

Diese  Beispiele,  welche  leicht  verdoppelt  werden  können,  wenn* 
man  unbedeutendere  hinzufügen  will,  sollen  nicht  ausschlieszlich  als 
Irthttmer  des  Herrn  Verfassers  gelten ,  wir  haben  sie  absichtlich  unter 
der  Kategorie  ^Schreibungen  und  Druckfehler'  zusammengestellt,  um 
dem  freundlichen  Leser  zu  fiberlassen ,  was  er  davon  der  erstem  und 
was  er  der  andern  Gattung  zuschreiben  will.  Für  den  Gebrauch  ist 
das  gleichgültig;  es  leuchtet  ein,  dasz  man  Schülern  ein  Buch  mit  der- 
artigen Druckfehlern  nicht  in  die  Hände  geben  kann. 

Richtung  und  Tendenz  des  Lehrbuches,  Wenn  wir  schon  über 
Stellen,  die  wir  zur  Beurteilung  der  eigentlich  historischen  Darstel- 
langsweise  des  Hrn  Höfler  angeführt  haben ,  die  Bemerkung  machen 
konnten,  dasz  sich  in  ihnen  die  Absichtlichkeit  unschwer  verkennen 
liszt,  das  Alterthum  zu  discredilferen ,  dem  Schüler  vor  den  Thaten 
der  alten  Völker  einen  gewissen  Ekel  und  Abscheu  einzuflöszen,  so 
seigt  sich  dies  noch  im  höheren  Grade,  wenn  man  auf  dasjenige  ein- 
geht, was  Hr  Höfler  über  die  Religionen  des  Allerthums  und  die  Sit- 
tonznstände  desselben  mittheilt.  Dasz  man  in  jeder  beliebigen  Periode 
der  Wellgeschichte  eben  so  viel  von  Mord  und  Todtschlag  erzählen 
kann  wenn  man  es  darauf  abgesehen  hat,  dasz  man  in  Zeiten  wie  die 
des  zehnten  Jahrhunderts  oder  des  siebzehnten  noch  mehr  Scheusz- 
Uehkeiten  in  einem  kleinen  Räume  zusammenstellen  könnte,  als  Hr  Hof- 
ier in  seiner  römischen  Geschichte  gethan  hat,  bedarf  kaum  einer  Er- 
örterung. Aber*auch  die  religiösen  Seiten  des  Alterthums  finden  in 
nauehen  Richtungen  der  neueren  Zeit  ihre  Analogien ,  nnd  wir  glauben 
dasz  der  Aberglaube,  der  zu  den  Hexenprocessen  geführt  hat,  um  uns 
des  Ausdrucks  eines  geistreichen  Jesuiten  jener  Zeit  zu  bedienen,  kaum 
•eines  gleichen  im  Alterthume  gehabt  hat.  Die  Frage,  die  einsichtsvolle 
Paedagogen  sich  stellen  müssen,  wird  im  allgemeinen  in  diesen  Dingen 
die  sein:  kann  es  als  Aufgabe  des  Geschichtsunterrichtes  gelten  den 
Schülern  diese  Kehrseiten  des  menschlichen  Lebens  zu  zeigen ,  oder 
soll  dieselbe  vielmehr  eine  veredelnde,  Geist  nnd  Gesittung  belebende. 


132  Höfler:  Lehrbuch  der  allgemeinen  Geschichte. 

sein?  Wie  Ut  Höfler  in  dieser  Beziehang  von  der  Behandlang  der 
mittleren  und  neueren  Geschichte  denkt  wissen  wir  nicht;  die  nnver> 
ständlichen  Phrasen ,  die  er  als  Einleitung  seinem  Lehrbuch  der  Well- 
geschichte voranschickt,  wo  der  BegriflT  der  Geschichte  in  der  Weise 
festgestellt  wird :  ^Geschichte  ist  alles  was  einen  bestimmten  Anfang 
und  ein  bestimmtes  Ende  hat%  —  diese  und  andere  Redensarten  geben 
aber  jene  Frage  keinen  Aufschlusz,  aber  soviel  ist  sicher,  dasz  sein 
Lehrbuch  der  alten  Geschichte  eben  mit  Vorliebe  bei  dem  Raszlioheu 
und  verkehrten  verweilt  und  eben  bemäht  ist  die  Menschen  der  alten 
Welt,  wenn  nicht  als  Narren  so  doch  wenigstens  als  uubewuste  Teufel 
erscheinen  zu  lassen.  Wem  dies  aus  den  angeführten  Sätzen  noch  nicht 
klar  geworden  ist,  mag  insbesondere  die  Stellen  über  religiöse  Dinge 
nachsehen.  Wenn  wir  da  lesen  (S.  19):  ^War  so  die  Ausgelassenheit 
des  Lebens  durch  Religion  und  Sitte  geheiligt;'  ^Der  Göttin  Mylitta 
waren  alle  Frauen  dienstpflichtig'  (!?);  S.  32:  Dem  Moloch  zu  Ehren 
wurden  ^die  erstgebornen  Kinder  geopfert,  überhaupt  Kinder  durchs 
Feuer  gezogen ,  in  die  ausgestreckten  Arme  des  Götterbildes  gelegt, 
von  welchen  sie  in  die  unterhalb  befindliche  Glut  fielen  und  unter 
gräszlichen  Windungen  zu  Asche  wurden';  dnnn :  es  wurden 
^sorgsam  gemästete  Kinder  geopfert',  und  ähn^'f^^hes  in  ahnlicher  Art 
und  Weise  fast  bei  jedem  der  alten  Völker;  \tenn  wir  dies  betrachten, 
so  kann  darüber  kein  Zweifel  sein ,  dasz  Hr  Höfler  das  religiöse  Ge^ 
fühl  im  Menschen  verkennt,  mi^^feC^  und  mit  Koth  bewirft.  Anstalt 
den  Schülern  zu  zeigen  ipj^^ucb  di^unerlöste  Menschheit  religiöses 
Bedürfnis  gewahrt  haUj^  eb«^  nur  in- den  Erscheinungsformen  fehU 
griff,  macht  er  die  F  *\  ^.-am  Wesen,  und  erzielt  die  entgegengesetzte 
Wirkung  von  dem  '^'.^  ein  christlicher  Unterricht  zu  leisten  hat.  Alles, 
was  eine  hSszliche  und  abgeschmackte  Phantasie  vermag,  hat  aber  Hr 
Höfler  in  den  einen  Satz  zusammengedrängt,  der  am  Schlüsse  des  Ba- 
ches der  ganzen  Art  und  Weise  desselben  90  recht  die  Krone  aufsetst, 
^enn  es  heiszt:  'Umsonst  erfreute  sich  (das  römische  Volk)  an  Nerob 
nächtlichen  Cirken,  wo  die  gepfählten  in  Pech  getränkten  Christen  als 
Fackeln  brannten  und  Menscheufett  zugleich  mit  siedendem  Peche  xa 
Boden  rann.' 

Damit  schlieszen  wir  den  Bericht  über  ein  Buch,  welches  wir  mit 
dem  Gefühle  durchblättert  haben,  das  viele  Lehrer  mit  uns  theilen 
werden,  dasz  es  eine  Versündigung  an  der  Jugend  wäre,  wenn  wir 
dasselbe  unseren  Schülern,  und  sei  es  auch  nur  zur  Leetüre,  in  die 
Hand  geben  würden. 

Der  beigegebene  Atlas  endlich  macht  bei  seinem  groszen  Forma( 
besondere  Erwartungen  rege,  ohne  dieselben  im  mindesten  zu  erfüllen. 
Zunächst  ist  nicht  abzusehen,  wie  die  sieben  (eigentlich  nur  fünf) 
Blätter  desselben  beim  Unterricht  auch  nur  genügen  sollen,  da  nicht 
einmal  Griechenland  eine  besondere  Karte  erhalten  hat:  dennoch  aber 
findet  Hr  Höfler  noch  Raum,  auf  nicht  weniger  als  zwei  Blättern  eine 
Darstellung  der  Umgebungen  von  Athen  und  sogar  eine  Abbildung  der 
Akropolis  in  ihrem  heutigen  Zustande  zu  ireben.   Auf  dem  erateren 


Personalnotizen.  133 

Blatte  ist  dabei,  so  weit  es  sich  bei  der  Undeatlichkeit  des  ganzen  er- 
kennen Ifiszt,  in  den  Umring  des  alten  Athen  ein  Plan  der  jetzigen 
Stadt  mitten  hinein  gezeichnet.  Noch  schlimmer  aber  ist  der  Umstand, 
dasz  die  drei  mit  besonderer  Sprgfalt  in  Farbendruck  aasgeführten 
oro- hydrographischen  Karten  der  alten  Welt  und  der  ital.  Halbinsel 
einfach  irgend  einem  Atlas  der  neueren  Welt  entnommen  sind,  somit 
auch  alle  seither  in  den  Bodenverbaltnissen  eingetretenen  Aenderungen 
mit  auffähren.  So  zeigt  uns  gleich  das  erste  Blatt  nicht  nur  den  Zny- 
der  See,  den  Dollart  und  den  Jabdebusen  schon  in  ihrer  vollen  Aus- 
dehnang,  den  Oxus  schon  mit  der  Einmündung  in  den  Aralsee  u.  dgl., 
sondern  auch  dio modernen  Canäle  sind  in  ziemlicher  Zahl  mit  aufge- 
nommen, namentlich  in  Deutschland,  ja  selbst  der  Verbindungscanal 
zwischen  Donau  und  Theysz  in  Ungarn!  Hat  Hr  Höfler  seinem  neuen 
Vaterlande  seither  noch  kein  besseres  Studium  zugewendet?  Aucji 
Wien,  Prag,  Buda-Pestb,  London  und  Paris  werden  als  grosze  Haupt* 
Städte  parallel  mit  Rom,  dem  aegyptischen  Theben,  Babylon  usw.  auf- 
geführt. Auf  die  fehlerhaften  Schreibungen  der  Namen,  an  denen 
es  auch  nicht  fehlt,  brauchen  wir  daneben  wol  nicht  erst  noch  einzu- 
gehen.  Sapienti  sat. 


u 


Personalnotizen. 

An^ntelli  oder  bemfeni  Bartsch,  DrKarl,  Conservator  am 
germanischen  Museum  in  Nürnberg,  als  Profe*<sor  dor  deutschen  und 
neueren  Litteraturen  an  die  Universität  zu  J^^^.'v-l^  berufen.  —  Bin- 
der, Dr,  Prof.  am  Gymnasium  zu  Ulm,  zum  lai"'  jd  des  Oberstudien- 
raths  zu  Stuttgart  ern.  —  Bresler,  Dr  F.  R.  ]b^,  Schulamtscandidat, 
als  Collaborator  am  Gymn.  zu  Stettin  angest.  —  Candotti,  AI.,  Welt- 
priester, als  wirkl.  Lehrer  am  neuerrichteten  Staatsgymnasium  zu  Udine 
angest.  —  Cassetti,  Job.,  Weltpriester,  desgl.  —  Conrads,  Dr, 
Schulamtscandidat,   als   ordentlicher  Lehrer  am  Gymn.  zu  Trier  angof^. 

—  Jäger,  Dr,  Prof.  am  Gymn.  zu  Stuttgart,  in  gleicher  Eigenschait 
an  das  Gymnasium  zu  Ulm  versetzt.  —  Pontoni,  Jos.,  Weltpriester, 
vis  wirkl.  Lehrer  am  neu  errichteten  Staatsgymn^  zu  Udine  angestellt. 

—  Sohenkl,  Dr  Karl,  Gymnasiallehrer  zu  Prag,  zum  Prof.  der  alt- 
klassischen Philologie  an  der  Universität  zu  Innsbruck  orn.  —  S^nd- 
chant,  Schulamtscandidat,  als  ordentlicher  Lehrer  am  Gymnasium  zu 
Düren  angestellt.  —  Ulaga,  Dr  Jos.,  Weltpriester,  als  Religionslebrer 
am  Gymnasium  zu  Cilli  angest.  =  Terstorben:  Am  12.  Dec.  1857  zu 
Wien  der  berühmte  Statistiker  Fried r.  von  Reden.  —  Am  12.  Jan. 
2U  Greif swald  der  ord.  Professor  der  Geschichte  an  der  dasigen  Uni- 
versität, Dr  Frdr.  Wilhelm  Barthold,  im  59.  Lebensjahre. 


Bemerkung. 


Die  Berichte  über  gelehrte  Anstalten  usw.  sind  nur  für  dieses  Heft 
zurückgestellt.  Z>.  Red, 


Zweite  Abtheilung 

heransgegebcB  roii  Ridolph  Dietsch. 


Die  Structuren  mit  bI  av  und  et  ov  geordnet  und  jede  in 
ihrem  Zusammenhange  nachgewiesen. 

(Schlusz  von  S.  95—102.) 


c.  V.   Die  Erklärungen   von   et  ov    durch   Gleichsetzung 
mit  ^si  non'  und  ^artissima  coniunctio'. 

1.  Wir  haben  bereits  3  FaUe  wahrgenommen ,  wo  sich  das  bI  ov 
im  Zusammenhang  mit  andern  Structuren  erklarte,  ohne  uns  mit  den 
üblichen  bisherigen  Erklärungen  desselben  aufzuhalten.  Es  bleibt  noch 
eine  kleine  Anzahl  Stellen  zurück,  die  unter  den  bisherigen  Fällen 
Bicht  milgedeckt  werden.  Wir  haben  daher  zunächst  die  bisher  über 
il  ov  üblichen  Erklärungen  ins  Auge  zu  fassen,  wobei  wir  jedoch  die 
Ansicht  und  das  Verfahren  Fritsches  für  ein  eignes  Capitel  über  die 
Negationen  aufsparen. 

Fast  immer  findet  man  für  sl  ov  ciliert  Herm.  ad  Vig.  p.  830  und 
8B3,  wo  gelehrt  wird,  dasz  in  e^  d'  ov  das  ov  mit  einem  folgenden 
l/Korte  in  6inen  Begriff  zu  verbinden  sei.  An  sich  wird  das  niemand 
beatreiten,  sobald  es  gilt  einen  allgemeinen  Gesichtspunkt  aufzustellen. 
Aber  es  wird  auch  Hermanns  Meinung  selber  schwerlich  gewesen  sein, 
dasz  mit  Wiederholung  seiner  Worte  aller  Gebrauch  im  einzelnen  sollte 
erklärt  sein.  Die  Erklärer  erweitern  aber  sogar  noch  das  Feld  für 
die  Gültigkeit  der  Regel ,  während  Herm.  doch  nur  von  bI  öi  spricht. 
Z.  B.  Stallb.  ad  Apol.  25  B  iavzs  ov  q)ijxe  iavzs  gyfJTBj  behauptet, 
dasz ,  wo  ov  q)dvat  =  negare,  ^nein  sagen^  sei,  immer  ov  stehe ;  aber 
S.  Dem.  47,  37  bI  ^e  fttj  gnjaiv.  Vgl.  34,  46.  21,  205  avx^  iyoa  9x0,  avts 
fifl  96).  20,  119.  22,  10.  Auch  hat  Stallb.,  soviel  ich  sehe,  nachher 
im  ganzen  Plato  keine  Gelegenheit  weiter  gefunden,  von  dieser  Ansicht 
Gebrauch  zu  machen ,  noch  weniger  freilich  die  für  ihn  jetzt  sehr  nahe 
liegende  Consequenz,  nach  welcher  er  behauptet,  dasz  bei  den  Final- 
partikeln ov  im  selben  Falle  eintrete  wie  bei  bI,  durch  irgend  ein  Bei- 
spiel zu  beweisen.    Vgl.  a.  0.  ind.  s.  v.  ov.  —  Bremi  ad  Lys.  acc. 

iV.  Jahrb.  f.  Pkil.  H.  Paed.  Bd  LXXVIU.  HftZ.  10 


1 36  lieber  el  av  and  el  ov, 

Agor.  62  erklärt  {/  ftJv  ov  noXXol  riaav  durch  pauci;  ib.  §  76  ii(v  8 
ov  q)cca7iji  durch  negare;  ebenso  das  einzige  auszerdem  ihm  noch  aus 
Lysias  bekannte  Beispiel  von  el  ov  ib.  §  82 :  iav  ovv  anoXoylci  %QririUy 
vnokaiißdvHv  %qyi  ,  el  "Awxog  —  eyiveto  xai  el  iQQttf}ev  avrov  Afaifiog 
rriv  cedTclda  nai  ov%  eia:  =  IxcsAvev,  obwol  dies  gar  kein  Conditio- 
naisatz,  sondern  ein  Substantivsatz  ist,  der  vorher  §  81  schon  als  Be- 
hauptung aufgestellt  war:  ^ob  ihm  nicht'  =  ^dasz'.  Ebenso  ad  D.  cor. 
119  soll  nach  Bremi  EUir.  Med.  87  el  ov  Gxiqyei,  =  {iiöel^  oder  sonst 
il  z=  an  sein ;  und  doch  ist  das  ganz  bestimmt  el  =  ^da,  weil'  c.  III. 
Zu  Thuc.  I  121  Seivov  av  el  ov  —^  W^l^S  ^^  ov  c.  Fot.  verweisen  Poppo 
und  Goeller  einfach  auf  die  Definitionen  der  Grammatiker,  obwol  die 
Stelle  nach  c.  1  gehört,  und  weiteres  el  ov  im  Thuc.  wol  schwerlich 
vorkommt.  Aehnlich  Mätzner  adfAntiph.  1,  12  bei  detvov,  Schöm.  ad 
Cleom.  31,2  erklärt  durch  una  netto  und  sinon.  Auch  Kühner  verlangt 
ad  An.  7,  1,  29  für  An.  1 ,  7, 18  f^  otJ  wegen  des  lateinisch  nöthi^en  si 
nan^  obwol  er  selber  dort  el  (irj  ^ci%eixciL  gelesen  hat. 

Wir  können  es  nicht  für  richtig  halten,  dasz  in  der  Wiederholung 
der  Definition  von  arUssima  coniunctio  für  die  einzelneu  Stellen  eine 
Erklärung  gegeben  sei,  am  wenigsten  in  ihrer  erweiterten  Anwendung. 
Denn  erstens  würde  damit  jede  Unterscheidung  aufhören,  da  nicht 
blosz  die  oben  von  uns  geforderten  Fälle  zusammenfallen  würden,  son- 
dern auch  stait  jedes  el  (ii^  ein  el  ov  sich  setzen  liesze.  Zweitens 
findet  sich  häufig  el  (ii^  auch  da,  wo,  namentlich  in  Gegensätzen,,  durch 
Gedanke  und  Stellung  die  engste  Zusammengehörigkeit  des  ov  mit  ei- 
nem andern  Worte  als  el  ausgesprochen  wird.  Dero.  14,  12  iav  (iti 
noi^e,  ^unterlaszt'.  D.  42, 32  el  olKixrjg  vfimv^  |l»^  noUxrjg  i^v.  D.  44, 
57  ^l  (Jt'fi  ioxiv^  ^unmöglich  ist'.  D.  44,  5  iav  (liv  yaq  firi  fonv.  D.22, 
7  ov  yaQj  el  nmcoxe  firj  nara  xovg  v6(iovg  iitqa%^,  D.  56,  27  el  fiiv 
TteTtolrinag^  el  6i  (Arj  nenoltjKag,  26,  13  iav  noXXa  xoiavxa  noiy  »al 
firi  navrixai^  ^fortfahre',  ib.  23, 91  el  iöldov  xai  fiii  aq)riQetro.  ib.  99 
oihr'  el  (piXog^  ovx^  el  fir^  (pikog.  Vgl.  c.  II 2,  Aesch.  fals.  36.  PI.  Theaet. 
163 D.  Isoer.  12,  92  ar(yitog  av  eiriv^  el  xavx^  el(^ct>g  ixe/vcov  jiti)  (i^ff^ 
Cd-elriv.  Vgl.  12,  120.  10,  24.  16,  48  el  nal  X6ya>  xvy%avG}  firi  dvm-- 
fievog.  Vgl.  10,  21.  Bei  idm  namentlich  wird  öfter  behauptet,  es  stehe 
stets  mit  ovx,  wenn  es  ^hindern'  beisze.  Es  steht  aber  iav  ^i;  Uhi 
Dem.  16, 12;  mit  firi  im  Inf.  D.  19,  142  u.  275.  Aesch.  Tim.  176,  anbe- 
streitbar  beim  Impcr.  z.  B.  D.  45,  40.  24, 131  u.  138;  beim  Conj.  D.  19, 
29  (iridiv  idarixe.  16,  5  anenxiov  firj  idamfiev:  in  den  letztern  Pätlen 
ist  ein  ov  völlig  unmöglich;  das  zeigt  aber  nur,  dasz  andere  Diofe 
entscheiden  als  die  Zusammenziehbarkeit  in  ^inen  Begriff.  Dem.  19, 
77  (iri  —  (Afi  öoxco  öUriv,  Drittens  ist  kein  Grund  abzusehen,  inwie- 
fern jene  Regel  auf  eine  Unterscheidung  der  Bedeutungen  von  ov  and 
fii}  sich  gründe ;  warum  juif,  das  sonst  zu  begrifflicher  VerschmelzuBg 
vorzugsweise  verwendet  wird,  in  Sätzen  mit  el  diese  Fähigkeit  oioht 
haben  sollte,  xb  fiii  ov,  xo  fiii  KaXov,  Dem.  57,  26  ^ivov  xal  fi/q  fcolt- 
xn\v.  ib.  61  Tcov  fii}  A^rjvoUmv.  ib.  45  ov  yag  el  nivrixeg  fjfuv^  alk 
il  lifl  Ttolixai,  24,  52  tovg  fiij  dlnaia  nouhf  iyvmanivovg.  Isoer.  19, 


lieber  d  av  and  el  ov.  137 

17  ivoiv  yiiq  nQtty^ixuov  fi^  ajtovöaloDv,  D.  23,  91.  19,  2.  24,  52.  An- 
genommen es  stände  hier  ov^  so  hinderte  nichts  die  Erklärung  durch 
Zusammenziehung  in  ^inen  BegriiT.  Es  werden  ov  und  fti^  beide  zu 
Zusammenschmelzungen  in  ^inen  BegrifT  verwendet  werden  können, 
aber  eben  mit  demselben  Unterschiede,  der  sonst  zwischen  ihnen  be- 
steht. Direct  zum  sl  kann  freilich  ov  nie  gehören.  Viertens  ist  die 
Zahl  der  Stellen  mit  el  ov,  nach  Abzug  der  oben  cap.  I,  II,  III  bereits 
ihre  bestimmte  Erklärung  anderswo  gefunden  habenden,  so  gering, 
dasz  es  unmöglich  ist,  für  jene  nun  noch  eine  so  allgemeine  Regel  auf- 
zustellen, die  jede  Scheidung  unmöglich  macht. 

Ebenso  klar  ist  die  Unzulänglichkeit  der  Erklärungen  durch 
Gleichsetzung  mit  si  non.  Letzteres  hat  einen  weit  ausgedehn- 
teren Gebrauch,  als  sl  ov,  wenn  man  von  sl  ov  den  Gebrauch  in  indi- 
recten  Fragen  abnimmt,  wo  wieder  sinon  nicht  steht.  Für  wirkliche 
Bedingungsvordersätze  wird  sich  kaum  ein  Fall  denken  lassen,  wo  für 
el  ov  nicht  auch  sl  firf  möglich  wäre,  wahrend  nach  voraufgehendem 
si  statt  nisi  immer  si  non  stehen  musz.  Dagegen  griechisch  unendlich 
oft  nach  sl  (asv  —  e^  ös  (ii]y  so  dasz  es  sogar  nach  idv  und  nach  sl  fi'q 
fast  stereotyp  =  ^ sonst'  geworden  ist.  Lyc.  Leoer.  76  sl  oficifioxs^ 
el  ÖS  fifi  o^iciiiOTiS.  Dem.  47,  37  sl  Ss  firj  q>riiSi,v,  45,  38.  45,  84.  22,  8. 
21,  90.  56,  27.  prooem.  1,  25.  1,  64.  or.  21,  198  six*  äfisivov^  sizs  fi'q. 
50,  49  iav  (ihv^  iav  6s  fiij.  prooem.  49  iccv  fihv  ag)avii  — ,  iicv  6^  Üqu 
fi^  xoiavxa  evQS&y.  or.  56,  32  sl  fisv  öUtp^oiQxai,  ^  vavq  — ,  sl  d'  siSxi 
Cc^  Kai  (lij  öUfp^aQxaij  und  wieder  §  34  ovxot  oi  öoo^slarjg  xijg  vsoig 
itai  ov  duq^aQ^ivrig  oi'ovxat,  Hom.  IL  1,  135  sl  öoioovatv^  sl  6i  xe 
fiij  öcioaciv  usw.  —  Nach  obiger  Regel  müste  auch,  da  £/  ov  =  si  iton, 
el  (iij  nisi  decken.  Dasz  das  nicht  angeht,  hat  sich  schon  gezeigt. 
"Man  kann  eher  umgekehrt  aufstellen,  dasz  das  Griechische  ein  Wort 
wie  nisi  gar  nicht  hat  Mij  und  ovx  sind  durchaus  verschiedene  Wör- 
ter; in  non  dagegen  steckt  ne  darin.  Ob  das  ne  in  nisi  das  positive 
sei,  ist  wenigstens  höchst  problematisch ;  es  ist  wol  nur  die  im  Latein 
allein  und  für  alle  Falle  vor  der  Entstehung  von  non  gebrauchte  Ne- 
gation. Bei  nisi  steht  die  Negation  vor  dem  s»,  bei  sl  in  beiden  Fäl- 
len dahinter.  Vgl.  sl  xuLund  xal  sl.  Daher  leitet  nisi  stets  nur  eine 
Aasnahme  ein,  aus  der  man  dann  den  umgekehrten  Satz  als  Hauplregel 
entnehmen  kann.  Zumpt  erklärt  5t  non  durch  das  Beispiel  impüne 
Hin  erit^  si  pecuniam  non  dederis.  Das  ist  aber  ein  Fall,  wo  nisi  und 
ft  non  gar  nicht  concurieren  können,  und  zu  bestimmen  dadurch,  dasz 
das  Latein  in  Substantivsätzen  ungern  si  setzt;  turpe  est  müiiem  fu- 
gere^  nicht  5t  fugit;  höchst  selten  miror  si;  in  indir.  Fragen  nur  in 
^iner  Klasse  si.  Setzt  es  aber  in  Substantivsatzen  einmal  st,  so  kann 
das  nur  st  non^  nicht  ntst  werden;  und  obiges  Beispiel  hat  den  Satz 
mit  st  an  der  Stelle  eines  mit  ^ dasz'.  Ware  es  reiner  Bedingungs- 
Vordersatz,  so  gienge  auch  nist;  z.  B.  wenn  jemand  bei  einer  verbote- 
oen  Sammlung  unterzeichnet  hätte:  wie  Zumpt  das  jetzt  auch  zugesteht. 

2.  An  der  üblichen  Erklärung  ist  das  wahr,  dasz,  wo  sl  ov  steht, 
das  ov  gedacht  werden  mosz  als  schon  vorher  mit  irgend  einem 

10* 


1 38  Ueber  sl  av  and  {{  ch}. 

andern  Satzgliede  verbanden  gewesen,  ehe  es  mit  diesem  in  den  Sals 
mit  d  aufgenommen  ward.  Da  aber  ein  gleiches  auch  bei  d  ^itf  statt- 
gefunden haben  kann ,  musz  hinzugesetzt  werden ,  dasz  bei  sl  ov  dai 
ov  immer  mit  jenem  andern  Satzgliede  in  einen  Behauptungssatz 
verbunden  gewesen  seiend  zu  denken  ist.  Ob  diese  Behauptung  nun 
eine  des  redenden  Subjects  oder  die  eines  andern,  also  ob  für  richtig 
gehalten  oder  nicht,  darüber  ist  an  sich  nichts  ausgesagt.  Im  ersten 
Falle,  dem  bei  weiten  häufigeren,  haben  wir  unsere  Klasse  cap.  III, 
h{ov^  gleich  einem  verallgemeinerten  ^da,  weil'.  Im  zweiten  bleibt 
il  =  ^wenn';  der  redende  behauptet  nichts,  nur  wird  die  Existenz 
des  Hauptsatzes  nicht  von  der  einer  Handlung,  sondern  von  der  eines 
Satzes  abhängig  ausgesagt.  Hom.  II.  24,  296  si  öi  xoi  ov  ödast.  iov 
ayysXov:  ^falls  das  allerdings  mögliche,  von  manchem  wol  gefürchtete 
eintritt,  dasz'.  11.  15,  162  sl  di  (iol  ovx  inkoa*  iiti^itsiasxm.  ib.  3, 
289«^  d\  Sv  ifiol  n/iti^i/ — xlvstv  ovk  i&ilcoaiv, —  (laxrjöofiat.  Od.  12,5^ 
sl  öi  [loi  ov  xlaovöi.  Od.  2,  274  sl  6^  ov  %sivov  y*  IqA  yovog.  Die 
Fassung  des  sl  ==  ^da'  zeigt  z.  B.  II.  4,  55  stnsQ  yetg  gf^ovico  tc 
Kai  ovK  slm  dianigdat^  ovn  ai/vco  (pd-oviovaa.  Eine  Nothwendigkeit 
dieses  e^  ov  besteht  nicht.  Die  Anwendung  auszer  der  eignen  Behaup- 
tung wird  hauptsächlich  hervorgerufen  durch  eine  Lebhaftigkeit, 
welche  dadurch  sich  ausdrückt,  dasz  man  den  Satz  mit  ov  als  eine 
schon  irgendwo  bestehende  Behauptung  faszt,  sei  sie  nun  wirklich 
von  jemand  gethan  oder  nicht.  Im  Einklang  damit  erscheint  diese  An- 
wendung nach  den  homerischen  Reden  erst  wieder  bei  den  Rednern, 
und  auch  hier  nur  selten,  als  Behauptung  des  redenden  bei.  Demostb. 
sehr  häufig,  bei  Plato  und  Thucyd.  auch  dann  höchst  selten. 

Als  Stellen,  die  nicht  unter  cap.  III  fallen,  sind  mir  nur  aufge- 
fallen: 1)  für  den  In  die.  erster  Stufe:  sl  nuvxa  xavxa  ti^  '^yvoriKSv  i} 
dl  akXo  XI  ovijl  ßovXsxai  xovrovg  xovg  xgoTtovg  ins^Uvai,^  xov  ävö^a- 
q>6vov  6^  OQa  xrA.  D.  15,  24  sl  öi  xov  (ihv  tag  (pavkov  ov%  ifivvovfis- 
^ff,  TC3  öl  vnsi^o^sv^  nqog  xlvccg  naqaxcil^6iiks^a\  D.  23, 123  e^  fe^  näci 
^rjtpiovfisd'a  xavxdj  Xi^ao^sv  fiLd^OfpoQCDV  Sqyov  notovvxsg'  sl  öh  %» 
lisvy  xolg  ö  oti,  ömaltog  iyKaXsöovöL.  Lys.  20,  19  ösiva  av  Ttad-oifUUj' 
sl  ov  xaQista^'S,  Dem.  20,  24  £^  4'  vg)riQt]fiivov  q>iq(Sovai,v ^  iq  xiva  «X- 
Xov^  ovx  ov  ngogi^KSi^  xQoitoVy  slcl  vdftoi:  das  ovx  zu  einem  parenthe- 
tischen olfiai  zu  denken.  Flut.  Oleom.  31  sl  yitq  ov%  alaxQov  icxi  öov- 
Xsvsiv  xotg  aTto  OtlXitnov  aal  ^AXs^ivöqov  xovg  atp  ^HganXiovg^  nXovv 
noXvv  xsQÖavovfisv^Avxtyovo)  Ttagaöovxsg  iavxovg.  —  U)  beim  Conj. 
c.  Sv:  PI.  Apol.  25  B  idvxs  ov  (pfjxs,  idvxs  q>ijxs.  Lys.  Agor.  76  iitv 
Sri  ov  q)ceöKji.  Is.  3,  47  ovxs  inixlfiiov  xaig  slgayysXlaig  StcscxIj  ovd^ 
iav  ovöi  (ilttv  xmv  (jpi^gxDv  ot  slgayysiXavxsg  fisxaXdßciHHv,  Dem.  26, 
24  idv  xig  ovx  ovxa  vofiov  nagdcxrixcet :  ovx  gehört  speciell  zu ovra,  es 
könnte  aber  doch  sehr  gat  ftij  heiszen;  ov  ist  nicht  auffälliger  als  Isoor. 
12,  120  alöxvvofisvog^  sl  nsql  avöqcSv  ovösv  (loi  Tt^gtjxovxmv  dio- 
Xsx^slg  firiösfiiav  oroii^Oftoi  fivslav,  —  III)  beim  Opt.  (ohne  ov}: 
Isae.  6,  2  Sxonov^  sl  ixstva  vni^isvov^  vvv  ös  ov  Tcsigtiiiriv,  Pflr  den 
Opt.  passt  nicht  Behaaptong,  sowie  dies  Beispiel  für  sl  ov  c.  Opt.  ein- 


AnliaDg  aber  iiv  e.  Opt.  (Thuo.  III  44).  139 

Eig  dasteht.  Die  Erklfirang  liegt  darin,  das«  der  Opt.  als  or.  obliq.  za 
fassen  ist:  ^vvenn  ihr  glauben  solltet,  dasz  ich  nicht  versuchen  wollte'; 
firi  wörde  axönov  äv  Btti  verlangen.  —  IV)  Lys.  Agor.  62  ßovXofiixi 
iniÖBi^at,  o^av  avdq^v  vtv  Ayoqaxov  aiceoxiQtjad^s,  ei  fiiv  ovv  ov 
Ttollol  rjaav^  xa^*  exadtov  av  %£qI  avx^v  i)xoi;£T£,  vvv  öl  CvkXi^ßöfiv 
neql  tucvvcdv:  =  *wenn  es  wahr  wäre,  was  die  Gegner  sagen  wer- 
den, dasz  es  nur  wenige  sind  oder  seien'.  Vgl.  ^war  dies  nicht  der 
Baum,  zu  dem  du  uns  führen  wolltest'.  PI.  Phaedr.  in.  —  Isoer.  12, 
206  ei  fiiv  evXoystg  avxovg  oidiv  axrpiOGyg  xcäv  ifiioi/,  ilriQHg  fi£v,  ov 
(iffv  ivavxla  ys  Xiycov  iq>aivov  aavxm.  Der  angeredete  hat  hier  sogar 
gehört ;  denn  es  folgt :  vvv  d'  i%rivB%6xi  aoi  xbv  ifwv  Xoyov.  —  End- 
lich erwähnen  wir  noch  Dem.  19,  74  £^  fi^  üqo^bvov  ovx  vfcsöi^avxo^ 
wo  der  entscheidendste  Grund  für  ov  das  voraufgeheude  fti;  ist,  auszer- 
dem  dann  die  Kraft  des  Ausdrucks,  am  zugleich  eine  Behauptung  aus- 
cusprechea. 


Anhang  über  idv  c.  Opt.  (Thuc.  III  44). 


1)  Die  letzten  Capitel  der  vorstehenden  Abhandlung  haben  über 
Modalformen  gehandelt,  durch  welche  ein  Bedingungsvordersatz  be- 
fähigt wurde,  bei  si  zugleich  eine  Behauptung  aufzunehmen.  Es  fan- 
den sich  so  verwendet  si  c.  Ind.  c.  ov^  bI  c.  Opt.  c.  av  (fti^),  wogegen 
bI  c.  Praeter,  c.  orV  geleugnet  werden  muste.  Danach  drängt  sich  die 
Frage  auf,  ob  etwa  für  die  vierte  noch  übrige  Stufe,  die  conjunctivi- 
sche,  das  iav  c.  Opt.,  welches  nach  Absonderung  der  Fälle  der  orat. 
obliq.  nur  Thuc.  III  44  erscheint,  in  dieser  Weise  zu  fassen  sei.  Es 
entspricht  dort  das  idvxB  c.  Opt.  einem  vorausgehenden  idvxB  c.  Conj., 
und  enthält  diejenige  Annahme,  welcher  der  redende  entschieden  sich  zu- 
neigt. Ferner  ist  durch  Hinzusetzung  etwa  eines  äv,  trotz  dem  in  idv^ 
solcher  Ausdruck  nicht  zu  erwarten ,  obwol  das  allerdings  nach  der 
jetzt  manchmal  wieder  auftauchenden  Scheidung  zwischen  einem  av 
das  zur  Conjunction,  und  einem  das  zum  Verbo  gehöre,  möglich  er- 
scheinen könnte.  Dennoch  bleibt  nicht  abzusehen ,  wie  die  Verände- 
»mng  des  Conj.  in  den  Opt.  solchen  Sinn  sollte  hervorbringen,  wenn 
immerhin  auch  materiell  die  Bestandlheile  eines  bI  c.  Opt.  c.  äv  damit 
vorliegen.  Viel  wahrscheinlicher  ist,  dasz  iäv  c.  Conj.  ebensowie  bI 
c.  Praeter,  schon  zu  sehr  die  Farbe  einer  bestimmten  Ansicht  über  das 
Verhältnis  der  gemachten  Annahme  zur  Wirklichkeit  an  sich  trage,  als 
dasz  da  die  Aufnahme  noch  einer  subjectiven  Behauptung  statthaft 
wäre.  Endlich  steht  noch  zur  Frage,  ob  an  der  beregten  Stelle,  der 
einzigen  dafür,  überhaupt  iäv  c.  Opt.  noch  stehe.  Seit  Goeller  ent- 
scheiden sich  alle  Herausgeber  für  Correctur. 

2.  Thuc.  lll  44  fivxB  yaQ  ä7tog)rjv(o  nävv  aöiKOvvxag  ccvxovg,  ov 
iiä  xovxo  xal  aTroxtavat  übXbvüwi,  bI  ftt;  ^v(jL(piQ0v'  tjvic  Kai  ijifivxig 
XL^^vyyvii^rig  bIbv^  Blxiji  noXsi  (lii  äya^ov  tpalvoixo. 


140  Ankang  Qber  iav  o.  Opt.  (Thoc'  III  44).  ' 

Man  Dimmt  jetzt  allgemein  shv  als  Nachsatz  und  corrigiert  dann, 
so  dasz  idv  c.  Opt.  dann  gar  nicht  existiert.  G.  Hermann  corrigiert 
nicht,  nimmt  aber  sUv  doch  als  Nachsatz  ad  Vig.  p.  822,  als  Vorder- 
satz praec.  Attic.  p.  XVI,  kehrt  aber  part.  äv  p.  149  zu  seiner  ersten 
Ansicht  zurück. 

Ist  slsv  Nachsatz,  so  musz  im  Vordersatz  ein  Verbum  erganst 
werden,  nach  Herm.  ad  Vig.  822  (oai^  part.  äv  p.  149  adixad.  Aber 
beide  Ergänzungen  bleiben  hart ,  selbst  für  Thnc,  zumal  bei  einem  so 
unbestimmten  Nachsatz,  wie  sUv^  der  dazu  die  ganze  abstimmige  Sen* 
tenz  des  Diodot  enthalten  müste.  Es  soll  nemlich  das  sUv  nach  Herrn. 
sein  =  ov  Kelevo)  dia  xovxo  xai  xvyBiv  ^vyyvdiifig.  Aber  slev  steht 
doch  unabhängig  da  und  könnte  also  nur  heiszon :  ^dann  laszt  sie  lau«* 
fen ,  dann  mögen  sie  Verzeihung  erhalten';  so  dasz  also  noch  das  (iti 
bei  qxxivoixo  zu  streichen  wäre  und  doch  die  wirkliche  Abstimmung 
Diodots  eine  ganz  andere  bleibt.  Vgl.  c.  48.  Auch  passte  solches  bUv 
überhaupt  nur,  wenn  der  Redner  entschuldigen  und  demnächst  abwägen 
wollte ,  was  hier  nicht  stattfindet. 

Die  übrigen  .Ausleger  (freilich  kenne  ich  nur  Poppoedit. 
min. ,  troeller  ed.  I  und  Boehme)  ergänzen  im  Vordersatz  aitoqyqvatj 
formell  sehr  leicht,  aber  durchaus  nicht  passend.  Für  Diodot  ist  Schuld 
oder  Unschuld  der  Lesbier  ganz  gleich;  nur  der  Nutzen,  will  er,  soll 
entscheiden;  iivxa  a7coq>riv(o  aber  würde  die  Absicht  die  Entschuld- 
barkeit darzuthun  involvieren  (s.  Herm.  Äd  Vig.  a.  0.),  und  derartige 
Versuche  folgen  nicht.  Allerdings  steht  im  ersten  Gtiede  ccTCOfprjvcOj 
aber  nur,  weil  Diodot  sein  Verfahren  dem  des  Kleon  usw.  parallel  ge- 
genüberstellt: ^wenn  ich  auch,  wie  Kleon,  nachweise,  —  stimme 
ich  nicht,  wie  Kleon,  dasz'  usw.  Im  zweiten  Gliede  fehlt  solche 
Veranlassung,  und  iav  anotpi^vG)  wird  hier  schon  deshalb  unmöglich, 
weil  Diodot,  auch  wenn  es  seine  Absicht  wäre  zu  entschuldigen,  dies 
keinenfulls  vorher  andeuten  dürfte.  Zweitens  sind  auch  nach  Er- 
gänzung des  a7tog>iqvci)  noch  mehrere  Conjecturen  nöthig:  1)  entschie- 
den S%oyxag^  gegen  alle  codd.;  denn  dasz,  abweichend  von  den  Anga- 
ben der  Vorgänger,  jetzt  Boehme  erklärt,  es  habe  6in,  aber  nicht  nä- 
her bezeichneter  cod.  den  Accus.,  kann  kein  Gewicht  haben ;  2)  muss 
(vgl.  oben)  dann  statt  shv  emendiert  worden:  ^ijv^  iäv  oder  iKenvj 
neml.  ov  xeAevo.  Es  kann  freilich  nslevm  ohne  ov  nicht  ergänzt  werden, 
aber  auch  von  ov  xelsvcD  würde  natürlicher  die  Negation  wenigstens 
wiederholt  sein ,  etwa  ovdh  Srjvy  und  dies  vorangestellt.  Sobald  der 
Hauptsatz  ein  anderer  wird,  erwartet  man  nicht  die  Verbindung  der 
beiden  idv  mit  t£,  sondern  der  Hauptsätze. 

Jedoch,  da  trotz  der  Conjecturen  jedenfalls  noch  Schwierigkeiten 
bleiben,  versuchen  wir  es  den  handschriftlichen  Text  mit  slev  als^ 
Vordersatz  zu  fassen,  die  Frage  nach  der  grammatischen  Möglich- 
keit solcher  Form  einstweilen  bei  Seite  lassend.  Was  soll  dann  Haupt- 
satz sein?  natürlich  derselbe,  welcher  beim  ersten  Gliede,  und  eben 
deshalb  ist  er  nicht  wiederholt:  ov  nekevco  öioc  xovxo  inonxüvcii^  wie 
das  Hermanus  zweite  Ansicht  war ,  praec.  Att.  p.  XVI.    Herrn,  weist 


Anliang  über  iav  c.  Opt.  (Thac.  111  44).  141 

sogar  auf  diese  Form  der  Stmctur  als  eine  besonders  schöne  hin, 
aber,  wie  es  scheint,  sieb  selbst  nicht,  viel  weniger  für  die  Auslegetr 
überzeugend  in  Betreff  des  Sinnes.  Es  musz  unklar  erschienen  sein, 
was  da  solle  ein:  *wenn  sie  unschuldig,  stimme  ich  nicht  für  den  Tod.' 
Aber  der  Sinn  ist  auch  mir:  ^ich  werde  nur  dann  für  den  Tod,  d.  h. 
für  Anfrechtbaltung  eures  frühern  Beschlusses  stimmen, 
'  wenn  das  im  Nutzen  der  Stadt  liegt,  ganz  unbekümmert  darum 
o  b  (i^vts  —  '^vre  =  sive  —  sive)  sie  schuldig  sind  oder  nicht.'  Die- 
ser Sinn  ist,  sobald  man  festhalt,  dasz  die  ganze  Rede  nichts  von  Ver- 
suchen für  die  fintschuldbarkeit  enthalt,  der  allein  mögliche.  Auch 
nach  der  Auffassung  fjvxs  sc.  a7to(p7]vta^  ov  xeiUva)  iäv  usw.  müste 
man  immer  Versuche  jener  Art  erwarten. 

3.  Da  also  der  Sinn  bIbv  als  Vordersatz  völlig  rechtfertigt,  ja 
fordert,  wäre  das  leichteste  nöthigenfalls  liv  in  ü  zu  verwandeln, 
wie  das  Herm.  freistellt.  Aber  es  ist  doch  ohne  Frage  schwerer  dem 
^Thucyd.  als  Vertreter  alterthümlicher  Beredtsamkeit  eiu  ausweichen 
jius  der  einmal  angekündigten  Einleitungsform  zuzumuten,  als  mit 
Beibehaltung  letzterer  ein  ausweichen  in  eine  selbst  ungebräuchliche, 
vielleicht  nur  zu  raffinierte  Structur,  wie  dergleichen  Thuc.  auch  sonst 
nicht  scheut ,  voll  Gewissenhaftigkeit  dem  Gedauken  sein  volles  Recht 
werden  zu  lassen.  Es  mästen  hier  eigentlich  beide  Vordersätze  in 
il  c.  Opt.  stehen:  bXzb  adtTtotev^  bXxb  dev.  Nun  aber  hat  im  ersteren 
der  Umstand,  dasz  der  Redner  der  vorgefundenen  Ansicht  des  Kleon 
sich  gegenüber  zu  stellen  halte,  eine  der  letztern  analoge  Ausdrucks- 
form, die  Einsetzung  des  anogy^vai  und  damit  idv  c.  Conj.  veran- 
laszt.  Obwol  nun  für  das  zweite  Glied  diese  Form  nicht  passte,  war 
.es  doch  für  diese  Stufe  der  Rhetorik  fast  Nothwendigkeit,  mit  Beibe- 
haltung der  einmal  angekündigten  Satzform  sich  weiter  zu  helfen;  vgl. 
s.  B.  roaovxa)  (laXXov  oaco  ohne  Comparativ,  also  für  ou  Veil',  Thuc. 
6,  78  fittxov^svog  toßovxca  aatpaXiatSQOVy  odp  —  avx  iQfjiiog  ayoo- 
viBhai,  , Sonach  würde  es  sich  hier  um  eine  aus  rhetorischen 
Gri|nden,  und  zwar  sehr  subjectiver  Art,  veranlaszte  Abweichung  vom 
gewöhnlichen  Sprachgebrauch  handeln.  Deshalb  und  da  zu  historischer 
Erfassung  weiter  kein  Material  vorliegt,  erscheint  es  unthunlich  die 
Bedeutung  eines  idv  c.  Opt.  odet  die  Möglichkeit  solcher  Form  con- 
•truieren  zu  wollen.  Subjective  Auffassung  behält  da  zu  viel  Spiel- 
raum. Für  unsere  Stelle  ist  die  Bedeutung  klar  =:  el  c.  Opt.  Mit  el 
c.  Opt.  c.  Sv  hat  dies  idv  c.  Opt.  nichts  zu  thun,  wenn  auch  für  die 
Chemie  kein  Unterschied  wäre.  Es  würde  d  c.  Opt.  c.  dv  die  Geneigt- 
heit jene  Möglichkeit  zu  behaupten  viel  zu  sehr  hervorheben,  was  für 
die  Situation  Diodots  nicht  passt.  In  bI  c.  Opt.  liegt  die  hier  nöthige 
Bedeutung  der  Möglichkeit  freilich  nur  insoweit,  als  dieselbe  nicht 
hinweggeleugnet  ist,  aber  sie  liegt  hinreichend  im  Zusammenbang; 
keinesfalls  ist  sie  etwa  durch  das  dv  in  idv  hervorgebracht.  —  Eine 
Heranziehung  der  Fälle  des  idv  c.  Opt.  per  or.  obliq.  kann  hier  nichts 
helfen.  In.  diesen  isi  das  dv  zu  nehmen  als  geblieben  zur  Andeutung, 
dasz  als  or.  dir.  ein  Conj.  c.  dv^  kein  Indic.  oder  Opt.  anzunehmen  sei. 


142  Anhang  aber  iuv  c.  Opt.  (Thuc.  lll  44). 

Es  können  ja  Structurformen  gleich  sein ,  nnd  doch  von  verschiedener 
Bedeutung,  je  nachdem  der  hörende  sie  entstanden  nehmen  mnsz ,  wo- 
mit eine  gleiche  Bedeutung  dessen ,  was  die  Form  an  sich  ausspricht, 
nicht  weggeleugnet  wird.  An  unserer  Stelle  aber  wird  kein  Hörer 
an  or.  obliq.  denken;  daher  Versuche,  wie  Poppo  einen  anführt,  von 
dieser  aus  die  Structur  zu  erklären  künstlich  und  unhaltbar  ausfallen 
müssen.  Nur  das  könnte  man  sagen,  dasz  iav  hier  zu  einem  gans 
analogen  memento  dient;  in  der  or.  obliq.  erinnert  es  an  die  Form  der 
or.  dir. ,  an  unserer  Stelle  an  die  eingeschlagene  Satzformel.  Nothig 
ist  es  in  beiden  Fällen  nicht. 

4.  Einen  sehr  analogen  Fall  für  das  logische  Verhältnis  der  Sat£- 
theile  bietet  Thuc.  VI  49,  3,  wo  ebenfalls  Weglassungen  von  selbstver- 
ständlichen Gliedern  ähnliche  Schwierigkeiten  verursacht  haben.  Lama- 
chus  will  direct  auf  Syrakus  losgehen  und  führt  unter  den  Gründen  an: 
^es  sei  natürlich  dasz  dann  viele  Landbewohner  würden  abgeschnitten 
werden,  und  wenn  sie  auch  (mit  ihren  Vorräthen)  in  die  Stadt  sich 
retteten,  würde  das  Heer  doch  keine  Noth  haben,  wenn  es  nur  sieg- 
haft vor  der  Stadt  sich  setze',  d.  h.  ^wenn  nur  das  Heer  sieghaft 
vor  der  Stadt  sich  setzt,  w^ird  es  keine  Noth  haben,  s  e  i  e  s  (=  einer- 
lei ob)  dasz  die  Landbewohner  durch  unsere  rasche  Ankunft  gehindert 
werden  sich  (mit  ihrer  Habe)  in  die  Stadt  zu  flüchten,  sei  es  dass 
ihnen  das  gelingt,  denn  (§  4)  sobald  wir  so  unsere  Ueberfegenheit 
documentieren,  wird  uns  doch  die  ganze  Nachbarschaft  zufallen.'  Der 
Satz  rjvxs  nQog  ty  noXei  KQaTOvaa  xfif^/^i^rat  gehört  also  zu  beiden 
Hauptsätzen,  aitoXijcpdijvai,  nnd  ciTtOQ'^astv y  er  war  nur  beim  ersten 
nicht  speciell  ausgedrückt,  weil  dies  als  die  Sentenz  des  Lamachuf 
schon  §  1  vorausgeschickt  war  und  auch  in  dem  dioc  rb  aTtiCxetv  ag)ag 
fiti  ri^Biv  hinlänglich  liegt,  dasz  er  den  Fall  der  Ueberraschung  vor 
Augen  habe.  Endlich  liegt  im  ersten  Hauptsatz  iv  roig  ayQoig  noX-' 
Xovg  a7toXriq)^ijvcii  schon  implicile,  dasz  das  Heer  dann  die  Bedürf- 
nisse haben  werde,  so  dasz  es  nicht  nöthig  war  dies  etwa  durch  ein 
äars  anzufügen  oder  aitoXriq)d'rjvai  in  einen  genet.  absol.,  analog  i<ixo- 
fiitoiiivmv^  zu  ovK  anoQtiöHv  zu  setzen.  Erst  bei  Behandlung  der  zwei- 
ten gefährlicheren  Möglichkeit  setzt  Lamachus  jene  oben  weggelasse- 
nen Gedankenglieder  in  Vollständigkeit  hinzu.  Hiernach  verstehe  ick 
nicht  Poppos  Auflösung  des  iaKOiit^ofiivcov  durch  quamquam  statt 
durch  licet  oder  etiamsi.  Goellers  und  Boehmes  Scheidung,  daas 
einmal  an  die  Personen  mit  der  Habe,  das  anderemal  an  sie  ohne  Habe 
zu  denken  sei,  ist^  wie  an  sich  unglaublich,  so  auch  durchaus  unnöthig 
und  falsch.  Krügers  Conjectur  stört  sogar  den  ganzen  Zusammenhang. 

Nachträglich  zu  der  voraufg.  Abb.  übtreiav  cap.  I  noch  die  Bemer- 
kung, dasz  das  mir  verheiszene  Reichhaltige  Material'  in  Schaf,  app. 
crit.  Dem.  I  p.  340  in  einer  einzigen  auch  von  mir  schon  berücksich- 
tigten Stelle  besteht. 

Güstrow.  Aken. 


Cariias:  ie  «oriBli  latini  reliqaiis.  143 

8.     . 

G.  Curtius:  de  aoristi  kuint  reliquüs  im  index  scholamm  der 
Universität  Kiel  für  das  Wintersemester  1857 — 58. 

Wer  die  ^  sprachvergleichenden  Beiträge  zur  griechischen  und 
lateinischen  Grammatik  Ir  Theil'  des  Hrn  G.  Curtius  kennt,  der  ver- 
folgt gewis  gern  die  Forschungen  desselben  Verfassers  auf  diesem 
Felde.  So  geht  es  mir:  keine  seiner  Gelegenheitsschriften,  welche 
Gegenstände  dieser  Art  behandeln,  habe  ich  gelesen,  die  mir  nicht 
anregend  durch  die  Schärfe  der  Prüfung  und  gewinnreich  durch  ihren 
Inhalt  gewesen  wäre.  Ich  brauche  hier  nur  aus  jüngster  Zeit  zu 
nennen  den  index  schol.  des  Sommersemesters  1856,  der  quaestionea 
etymologic.  enthält,  und  den  index  schol.  des  Sommersemesters  1857 
mit  einer  Abhandlung:  de  anomaliae  cuiusdam  graecae  aualogia.  — 
Erst  in  diesem  Jahrhundert  haben  wir,  und  das  zwar  durch  deutsche 
Forschung,  richtige  Vorstellungen  über  das  Wesen  der  Sprache  über- 
haupt erhalten  und  die  Verwandtschaft  der  besondern  Sprachen  durch 
die  Wortbildung  und  Flexion  derselben  bei  den  Culturvölkern  erkannt. 
Fortan  hat  der  Streit  aufgehört,  ob  die  Sprache  (pvcu  und  ^iasi  — 
durch  Satzung  oder  mit  Naturnothweudigkeit — entstanden  sei,  der 
schon  im  Kratylus  des  Plaio  geführt  wird  zwischen  Hermogenes,  dem 
Vertheidiger  der  d-iaig,  und  Kratylos,  der  da  behauptet  ovofiaTO^  6^6- 
trjfta  elvai  iadaTO)  rcov  ovrtov  q>v06ine(pvKviav^  ein  Streit,  über 
den  selbst  Fichte  wegen  seines  subjectiven  Idealismus  nicht  hinaus- 
kommen konnte  in  seiner  Schrift  von  der  Sprachfähigkeit  und  dem 
Ursprünge  der  Sprache  (1805).  Wir  wissen  jetzt  dasz  die  Sprache 
keine  Erfindung  sei,  denn  bei  ihrer  Bildung  werden  nicht  Stoffe,  die 
sich  ursprünglich  gegen  einander  fremd  verhalten,  von  dem  reflectie- 
rendeu  Menschengeiste  zu  einem  bestimmten  Zwecke  benutzt,  sondern 
die  ihr  inwohnenden  Gesetze  sind  zugleich  schaffende  Kraft  der  Sprache, 
das  heiszt:  die  Sprache  ist  ihrem  Ursprünge  nach  eine  natürliche 
Schöpfung.  Die  Entwicklung  der  Sprache  hält  gleichen  Schritt  mit 
der  geistigen  Entwicklung  im  Menschen,  sie  ist  eine  Emanation  der 
Seele;  allein  über  die  einzelnen  Momente  ihrer  Fortbildung  bis  zum 
adaequaten  Ausdruck  des 'logisch  entwickelten  Gedanken  können  wir 
historisch  nichts  wissen.  —  Was  nun  das  Verhältnis  der  Sprachen 
des  indogermanischen  Stammes  betrifft,  so  zeigt  nicht  allein  die  Iden- 
tität der  Wurzeln  die  Urverwandtschaft  dieser  Sprachen  unter  einander, 
sondern  der  übereinstimmende  Typus  ihres  Formbaues  liefert  den  über 
allen  Widerstreit  erhabenen  Beweis,  dasz  die  Verzweigung  der  Ur- 
sprache nicht  sogleich  nach  vollendeter  Wurzelbildung  geschah,  son- 
dern viel  später,  nachdem  die  Bildung  der  phonetischen  Formen  auch 
für  die  Beziehungen  der  Begriffe  schon  vollendet  oder  doch  wenigstens 
ihren  wesentlichen  Grundzügen  nach  fertig  war.  Nun  übertrifft  zwar 
das  Lateinische  und  Griechische  unsere  deutsche  Sprache  an  Formcn- 
reichthum ,  wie  das  Griechische  wieder  mehr  formale  Ausbildung  hat 


144  Cartios:  de  aorisii  latint  reliqaits. 

als  das  Lateinische ;  allein  es  finden  sich  doch  auch  Sparen  derjenigen 
Formen,  die  früher  als  dem  Griechischen  eigenthümliche  angesehen 
wurden,  nicht  blos  bei  den  Indern,  sondern  auch  bei  den  andern  Sprach- 
zweigen desselben  Stammes.  So  ist  im  Sanskrit,  Zend,  Littauischen 
der  Dual ,  im  Gothischen  und  Althochdeutschen  dagegen  zeigt  er  sich 
nur  bei  dem  Personalpronomen,  im  Lateinischen  finden  sich  duo  und 
ambo  als  Duälformen.  Dasz  der  Optativ  ein  ^Gemeingut  des  Stammet* 
war,  darüber  vgl.  Curtius  Mie  Bildung  der  teropora  und  modi'  S.  251  ff. 
Dasz  nun  aber  auch  vom  Aorist  Spuren  bei  den  Römern  vorhanden  seil 
würden,  darauf  muste  schon  die  Vermutung  deswegen  führen,  weil  uns 
auch  sonst  das  Verhältnis  zwischen  dem  Griechischen  und  Lateinischen 
eine  nähere  Verschwisterung  beider  zeigt,  so  dasz  wir  annehmen  mAs- 
sen,  es  sei  die  Trennung  dieser  beiden  Sprachzweige  relativ  später 
vorgegangen.  Passend  bezeichnet  daher  Schleicher  *die  Spraches 
Europas'  S.  132  beide  Sprachen  mit  dem  Namen  ^pelasgisches  Fanii- 
lienpaar'.  Gegen  Bopps  Ansicht,  der  auch  Benary  fo^gt,  dasz  das  la- 
teinische Perfectum  dem  Aorist  der  Griechen  entspreche ,  sind  von  G. 
Curtius  schon  1843  in  der  Ztschr.  für  d.  Alterth.-Wiss.  Bedenken  er- 
hoben, die  fiberzeugend  genug  sind,  und  in  der  ^Bildung  der  tempert 
und  modi '  finden  wir  S.  206  ff.  die  Gründe  gegen  Bopps  Hypothese 
nochmals  kurz  zusammengefaszt.  Besonders  ist  bei  dieser  Frage  darauf 
Gewicht  zu  legen,  dasz  ja  die  Endungen  des  lateinischen  Perfects  durch- 
aus den  sanskritischen  analog  sind :  tetuli  =  tutöla,  tetulisti  =  tatd- 
litha,  tetulit  =  tutöla,  tetulimus  =  tutolima.  Aber  auch  die  Natur 
der  rednplicierteu  Aoriste  ist  von  der  des  Perfects  ganz  verschiedeBi 
wie  Curtius  das  nachweist.  Dagegen  versucht  Curtuis  an  einer  andern 
{Stelle  der  lateinischen  Verbalformen  die  Spuren  zu  zeigen,  die  dea 
sogenannten  Aorist  II  des  Griechischen  entsprechen.  Da  dieser  soge- 
nannte Aorist  II  als  tempus  der  Vergangenheit  mit  dem  imperfectam 
das  Augment  gemein  hat  und  ebenso  wie  das  imperfeclum  in  Folge 
der  stärkeren  Belastung  durch  das  Augment  am  Anfange  dieselbe  Ab- 
schleifung  der  volleren  Personalendungen  fu^  <Si>j  t»  —  vxi  zu  v,  g,  w 
zeigt,  so  liegt  das  unterscheidende  beider  tempore  nur  darin,  dasz  der 
Aorist  II  den  reinen  Stamm  des  Verbums,  das  Imperfectum  dagegen 
den  verstärkten  Praesensstamm  enthalt  (vgl.  Curtius  Bildung  der 
tempora  und  modi  S.  144).  Ursprunglich  war  die  Nasalierung  ebense 
wie  die  Verstärkung  durch  Zulaut  (mit  diesem  Ausdruck  bezeichnel 
Curtius  passend  die  Gunierung  auf  dem  Gebiete  des  Griechischen  nnd 
Lateinischen)  rein  lautlicher  Natur;  aber  es  trafen  auf  eine  zweck- 
mäszige  Weise  im  Praesens  die  Verstärkungen  dos  Stammes  mit  der 
diesem  Tempus  eigenthümlichen  Bedeutung  der  Dauer  zusammen.  Das 
Gefühl  für  die  darin  liegende  passende  Uebereinstimmung  von  Form 
nnd  Bedeutung  mochte  allmählich  die  einfachen  Praesentia  seltner 
werden  und  dafür  jene  verstärkten  Formen  mehr  und  mehr  eintreten 
lassen  (a.  0.  S.  124).  Wollen  wir,  von  der  einfachen  Beschaffenheil 
der  Formen  als  der  früheren  fortschreitend  zu  der  erweiterten,  einen 
älteren  Zustand  der  Sprache  annehmen,  in  welchem  alle  Praeeenlia 


Cflrtioi :  de  aoritli  lalini  reliqniis.  145 

nocb  die  anverslfirkte  Form  hatten,  ao  wflrde  in  diesem  voraoagesetz* 
ten  Sprachzustaode  der  Unterschied  awischen  Aorist  II  und  Imperfec- 
tum  ganz  wegfallen.  Sobald  aber  in  der  phonetischen  Entwicklung 
jene  Erweiterungen  des  Verbalstammes  im  Praesens  erwachsen  waren, 
so  musle  das  aus  dem  reinen,  unverslärkten  Stamme  gebildete  Prae* 
teritum  (Aorist  II)  dem  aus  dem  erweiterten  Stamme  erwachsenden 
(Imperfeclum)  gegenabertreten.  So  wurde  die  ursprünglich  rein  laut* 
liehe  Verstärkung  zum  ^Symbol'  der  Dauer  verwendet,  denn  darin 
liegt  das  Wesen  des  Imperfeots.  Der  leichtere  Aorist  dagegen  ver- 
blieb der  Erzählung  zur  Bezeichnung  der  reinen,  nicht  näher  modi- 
ficierten  Vergangenheit.  So  schieden  sich  der  Bedeutung  nach :  tpvya 
—  (psvym^  TtTiot  —  xixxoi  *),  ßaXuv  —  ßalleiv^  yvovg  —  yiyvMiMov^ 
IXaße  —  ikdfißave.  Diesem  Vorgange,  wodurch  sich  auf  dem  Gebiete 
der  griechischen  Sprache  die  beiden  Praeterita  auseinander  legten, 
stellt  Hr  Curtius  nun  S.  IV  in  vorliegender  Abhandlung  zur  Seite: 
pagunt^  iagil^  aitigai^  und  sagt:  quorum  ratio  non  haec  est,  nt  anti* 
qniore  tempore  eae  formae  quae  littera  nasali  carent  solae  nsarpatae 
fnerint,  postea  ampliores,  quae  sunt  panyuni^  tangii,  attingnl^  in  bre- 
viornm  locnm  successerint.  Er  führt  d^zu  aus  demselben  Dichter  Al- 
tins  beide  Formen  an  V.  231  (Ribbeck):  attingam  und  V.  304:  attigas, 
ans  Plautus  Mercat  V.  32:  quae  nihil  attingunt  ad  rem  neo  nsui  sunl 
nnd  filostellar.  V.  408:  ne  attigatis.  Da  nun  beide  Formen  im  gleich- 
zeitigen Gebrauch  waren  und  bei  denselben  Schriftstellern,  so  liegl 
die  Vermutung  schon  an  sich  nahe,  dasz  zwischen  atUngam  und  aUi^ 
gas  dasselbe  Verhältnis  stattgefunden  habe ,  das  wir  zwischen  TS^otf- 
^vyyavm  und  TtQoa&lyrjg  erkennen.  —  Zur  vierten  Verbalklasse,  d.  h. 
deren  Stamm  durch  Reduplication  verstärkt  wird,  gehört  gigno,  was 
aus  gigeno  in  derselben  Weise  entstanden  ist  wie  yfyvofuxi  aus  yi-ya- 
vofiai.  Für  die  Bedeutung,  bemerkt  der  Vf.  S.  V  vorliegender  Abhand- 
lung, möchte  darin  sich  der  Unterschied  beider  Formen  zeigen:  quod 
genitur  saepius  in  testamentorum  formulis  de  futuro  tempore  dicitur 
*si  mihi  fllius  genitur'.  —  Ferner  findet  Hr  Curtius  S.  V  Spuren  des 
griechischen  Aorist  auch  bei  den  beiden  Verben  fero  und  stim,  deren 
Tempora  nicht  durch  Erweiterung  des  Stammes  unterschieden,  sondern 
ans  ganz  verschiedenen  Wurzeln  gebildet  sind.  Aus  der  Wurzel  von 
ffero  wird  bekanntlich  das  Praesens  und  was  damit  zusammenhängt 
gebildet.  Im  Lateinischen  wird  vom  Praeseusstamme  auch  das  Futurum 
gebildet,  was  dem  griechischen  Optativ  praesent.  entspricht.  Es  stehen 
tieh  also  gegenüber  ferö  —  9/po,  feramus  —  q>iQfO(Uv  und  ebenso 
auch  Futurum  feremus  —  und  Optativ  praes.  q>iQoifiev,  Dem  Perfeet, 
nnd  Aorist  liegt  im  Griechischen  iveyTC  zum  Grunde,  das  lateinische 
Perfect.  hiesz  ursprünglich  tetuli^  woraus  nach  Abwerfung  der  Re- 
duplication tuli.    Dies  Perfectum  aber  hat  dieselbe  Wurzel  mit  tollo, 

*)  Stamm  t£x.  Dieselbe  Verwaudlung  dos  stammhaften  £  in  i  sehen 
wir  bei  h^qvtjul  neben  TieQdvvvviii,  Tt^Xvrjfii  neben  XBXd^taj  nCzvrnti 
neben  netdvwiiL  u.  m.  a.;  vgl.  Curtius  'Bildung  der  tempora  nnd 
modi »  S.  83  Not. 


146  Cnrtios:  de  aoristi  laiini  reliqaiis. 

tolero,  Tlfjvaij  xhlrina^  raAag,  toA/iicir;  die  arsprünglich  sinnliehe  Be^ 
deutung  dieser  Wurzel  zeigt  sich  noch  in  rcAa/iioi)!/  und  xdlavtov,  E§ 
ist  also  zwischen  den  Wurzeln  fer  und  tul  ein  ähnliche^  Verhällnis 
wie  zwischen  dem  griechischen  (peQ  und  ivsyK,  —  Von  el^il^  i6  -  fii^ 
sum  ='es  -  u  -  m  gibt  es  weder  im  Griechischen  noch  im  Latei- 
nischen ein  Perfectum  derselben  Wurzel.  Die  griechische  Sprache  be- 
dienle  sich  der  Perfecta  yiyova^  Tticpvxa^  als  Aorist  aber  tritt  sehr 
hauflg  gwvai  ein.  Daher  erklart  der  Hr  Vf.  beiläufig  das  homerische 
iv  6^  aQa  ot  qw  %BtQl  fQr  iyivexo  iv  %Hqi  ^er  kam  ihm  in  die  Hand% 
wie  sich  ja  die  ähnliche  Verbindung  durch  die  Praeposition  bei  diesen 
Verbnm  auch  sonst  findet:  iyivexo  iv  iavxm  ^er  kam  zu  sich  selbst*, 
iyivexo  ano  öeLnvov  u.  a.  m.  Bei  den  Römern  ist  fui,  futurus,  fore 
ganz  stellvertretend  fQr  die  entsprechenden  Temporalformen  von  sum 
geworden,  ohne  den  Begriff  des  nascendi,  gignendi  zu  bewahren.  Von 
einem  Praesens  desselben  Stammes  finden  sich  für  den  Conjunctiv  die 
drei  Singular- Personen  und  die  dritte  Perf.  des  Plural.:  fuam,  fuas, 
fnat  und  fuant,  die  ganz  dem  fpvta^  ^P^St  9>^V —  qwfoai,  entsprechen. 
Wir  müssen  dem  Hrn  Verfasser  darin  beistimmen,  wenn  er  sagt  S.  VIU: 
locis  in  quibus  leguntur  accurate  inspectis  mihi  quidem  veri  simile  eal 
fuam  et  sim  sive  Stent  non  prorsus  idem  significasse,  immo  in  priore 
aliquid  inesse  propter  quod  magis  cum  graeco  yivcafjuti  vel  yevotfiipf 
quam  cum  cd  vel  eiriv  comparetur.  Z.  B.  Plant,  mil.  V.  299:  quid  fuai 
me  nescio  kann  doch  wol  nur  sein  xl  yivafiat  oder  xl  yeviqaofiai^  ovx 
o7da,  daher  hat  auch  fore  futurische  Bedeutung  erhalten,  die  sich 
gleichfalls  in  forem  findet.  Beachtenswerth  für  die  Bedeutung  ist  es, ' 
dasz  die  eben  erwähnten  Conjunctive  attigas  usw.  am  häufigsten  sich 
mit  ne  verbunden  finden,  denn  nicht  so  häufig  sagt  der  Lateiner  ne 
facias,  ne  feras,  wol  aber  ne  feceris,  ne  tuleris,  ebenso  wie  die  Grie- 
chen nicht  firi  jtQoa&tyyavjig ,  fii}  ^^,  sondern  statt  dessen  fifi  tiqoö^C^ 
fTfjgj  firj  yivrj  sagten.  —  Zum  Schlusz  wird  von  den  Verben  gehandelt, 
die  ihren  Stamm  durch  ein  i  vermehren.  Von  der  ursprünglich  inten- 
siven Bedeutung,  welche  das  Verbnm  nach  Anleitung  des  Sanskrit 
<lurch  dies  yoD  oder  to  erhielt,  findet  sich  im  Griechischen  und  Latei- 
nischen nichts  mehr:  es  erscheint  vielmehr  in  beiden  Sprachen  diese 
Stammeserweiternng  rein  lautlicher  Natur  zu  sein.  Sollten  aber  beide 
Sprachen  diese  dadurch  erwachsene  Verschiedenheit  des  erweiter- 
ten und  des  einfachen  Stammes  nicht  benutzt  haben  zur  Modificio- 
rnng  der  Zeit?  — •  Die  Griechen  konnten  das  sanskritische  }i  oder  ja, 
was  sich  zwischen  Wurzel  und  Endung  einschiebt  in  der  vierten  so  sehr 
zahlreichen  Verbalklasse  im  Sanskrit ,  mit  ihrem  Organ  nicht  festhal- 
ten. Daher  wird  bei  ihnen  entweder  das  j  vocalisiert  zu  »  oder  es 
geht  durch  Assimilation  in  andere  Laute  über:  aXkofiai  (salio),  ßaX- 
kca ,  naXXcD^  xqI^(o  (xix  Qtya)^  &(OQrja6(o  (d'oiQrjK-g^j  i^iööca  (  ^  ^  et  - 
flog).  Das  Römische  ist  nun  zwar  in  der  Festhaltung  des  überkomme- 
nen treuer  als  das  Griechische,  allein  das  j  zeigt  sich  bei  ihnen  doch 
nur  in  Verbindung  mit  Vocalen,  nicht  nach  Consonanlen.  So  hat  denn 
im  Lateinischen  die  Endung  jdmi  die  Gestalt  io  angenommen  nnd  das 


Gariius:  de  aoristi  Ittini  reliqaiis.  147 

10  der  Verba  der  sogenannten  3n  Conjagalion  hält  das  i  nur  im  Prae- 
sens und  den  davon  abgeleiteten  Temporibus  fest;  alle  übrigen  Tem- 
pora erkennen  diese  Stammeserweiterung  nicht  an  (Gurt.  ^Bildung 
der  tempora  und  modi''  S.  110  u.  IJJ).  Bei  den  Griechen  dagegen 
blieb  das  i  in  den  sehr  wenigen  Fällen ,  wo  es  anverfälscht  hervor- 
tritt {idl(o  im  Sanskrit  svidjdmi  mit  Abfall  des  anlautenden  a  /,  fti^v/m, 
KtlKidOj  welches  dem  x/co  gegenüber  intensive  Bedeutung  hat)  durch 
die  ganze  Temporalbildung  hindurch.  Daher  ist  zwischen  den  beiden 
Per ticipial formen  par  iens  und  parens  dasselbe  Verhalten  anzunehmen, 
was  wir  erkennen  zwischen  xrelvoov  i.  e.  ntsv-l-cav  und  Aorist  xra- 
vdv  zwischen  ßaXl(ov  i.  e.  ßak-  t-ayv  und  ßakoiv.  Es  ist  also  par  iens 
1}  tlKvovaaj  dagegen  parens  i}  xsTtovöa,  parentes  ot  xeKovxeg.  So 
vorsichtig  der  Hr  Vf.  sich  auch  über  das  fehlende  und  »stattfin- 
dende i  in  diesen  Formen  ausspricht,  so  gibt  doch  der  analoge  Fall 
von  potens  (qui  potitus  est)  und  potiens  seiner  Ansicht  in  meinen 
Augen  zuviel  Gewicht ,  dasz  ich  nicht  an  eine  aoristische  Bedeutung 
der  Formen,  welchen  das  i  fehlt,  denken  sollte;  mithin  ist  parens 
nichts  anderes  als  mulier  quae  peperit.  Ferner  steht  doch  wol  ein 
altes  Particip  sentens  dem  sententia  iu  aoristischer  Bedeutung  nahe 
genug,  um  nicht  eine  blos  zufällige  Elision  des  i  anzunehmen,  wie 
Pott  elym.  Forsch.  1  116.  Sententia,  sagt  Quintilian  VIII 5  init.  veteres 
quod  animo  sensissenl  vocarunt,  und  im  Senate  wurden  doch  wol 
aensa,  rcc  do^avra,  xoc  yvcacd'ivta  ausgesprochen,  wenigstens  wird 
sich  jeder  hierfür  mehr  entscheiden  als  für  rcc  öoxovvra, 

Eutin.  Ernst  Hausdörffer. 


9. 

Zur  allgemeinen  Ethnologie  und  Urgeschichte  der 

Menschheit. 


Die  Frage  nach  der  Abstammung  der  sämtlichen  Bewohner  un- 
serer Erde  von  Einern  oder  mehreren  Menschenpaaren,  welche  im  letz- 
leren Falle  wirklich  verschiedenen  Species  von  ungleicher  physischen 
Beschaffenheit  und  Begabung  angehören  würden,  ist  auch  in  dem  letz- 
ten Jahrzehend  auf  verschiedene  Weise  behandelt  und  beantwortet 
worden. 

Dasz  die  meisten  englischen  Gelehrten  Monogenisten  sind,  d.  h. 
die  Abstammung  von  6inem  Menschenpaare  annehmen,  wird  bei  ihrer 
groszen  Verehrung  gegen  die  Autorität  der  biblischen  Erzählung  kaum 
befremden;  doch  würde  man  ihnen  unrecht  thun,  wenn  man  ihre  Be- 
weisführung als  gänzlich  von  religiöser  Pietät  beeiufluszt  ansehen 
wollte.  Nach  dem  Vorgange  des  berühmten  Pritchard  entschied 
sich  für  die  gleiche  Ansicht  auch  Robert  Gordon  Latham,  der  vor- 


148  Zar  allgemeiBen  Ethnologie. 

'  sugsweise  die  Sprachen  zu  klassißcieren  bemttht  war  and  in  seiner 
Schrifl  : 

The  Natural  Eislory  ofthe  Varieiies  of  Man.    London  1850.  8. 

die  Völker  der  Erde  in  3  Hauptstdmme  mit  zahlreichen  Unterabthei- 
Inngen  eintheiit:  Mongoliden  (in  Nordeuropa,  Mittel-  und  Ostasien, 
Polynesien  und  Amerika),  Atiantiden  (in  Afrika,  mit  Einschlusz  der 
Semiten)  und  Japetiden  (unter  denen  er  die  Gelten  als  occiden- 
laiische  Japetiden  von  den  europäischen  und  iranischen  Indo- Ger- 
manen geschieden  wissen  will). 

In  einem  Cyclus  von  6  in  der  Mechanics  Institution  zu  Liverpool 
gehaltenen  Vorlesungen  unter  dem  Titel : 

Man  and  his  Migralions.  London  1851.  8. 

spricht  er  zwar  aus,  dasz  der  Ursprung  der  gesamten  Menschheit  von 
einem  besondern  Orte  keineswegs  absolut  und  conclusivzu  beweises 
sei,  sucht  aber  doch  die  Localitat  im  zwischentropischen  Asien,  wo 
das  erste  Menschenpaar  gewohnt  haben  soll,  dadurch  annähernd  zu  be- 
stimmen, dasz  er  sechs  fiuszerste  Punkte  annimmt,  bis  zu  denen  tob 
jenem  provisorischen  und  hypothetischen  Centrum  aus  die  Abkömm- 
linge gewandert  sein  müssen.  So  zieht  er  nun  6  Linien  ])  von  dem 
Feuerlande  nach  dem  nordöstlichen  Asien ,  2)  von  Vandiemensland  nach 
dem  südöstlichen  Asien,  3)  von  den  Osterinseln  bis  zu  den  südöstliches 
Theilen  Asiens,  4)  vom  Cap  der  guten  Hoffnung  nach  dem  südwest- 
lichen Asien,  5)  von  Lappland  nach  dem  nordwestlichen,  endlich  6)  von 
Irland  nach  den  westlichen  Theilen  Asiens.  Eine  besondere  Abthei- 
lung der  beiden  vorerwähnten  Werke  bildet  die  Schrift: 

The  Ethnology  of  the  British  Colomes  und  Dependencies,  London 
1851  •). 

Auszer  diesen  allgemeinen. elhnographischen  Untersuchungen  hat 
Latham  sich  auch  insbesondere  mit  der  Ethnographie  der  europäischen 
Völker  und  namentlich  der  Bewohner  Groszbritanniens  beschäftigt: 

The  Ethnology  of  Europe  und  the  Ethnology  of  the  British  Islands. 
London  1852. 

in  welcher  Schrift  er  im  Gegensatz  gegen  die  tendenziösen  Declamationen 
der  Panslavisten  von  Reinheit  und  Unvermischtheit  einer  Race  darauf 
hinweist,  aus  wie  verschiedenartigen  Elementen  in  einer  oft  kaum  mehr 
nachweisbaren  Weise  die  Culturvölker  Europas  gemischt  sind,  wie 
z.  B.  die  Englander  aus  Gelten,  Römern,  Sachsen,  Scandinaviern  and 

*)  Uebor  diese  3  Schriften  enthalten  die  münchnor  gelehrten  An- 
zeigen der  bajrischen  Akademie  der  Wissenschaften  1852  Nr  20 — 24 
ein  ansführliches  Referat ;  über  die  beiden  folgenden  das  Londoner  Atbe- 
naenm  rem  27.  November  ldö2  S.  1293  f.  eine  anerkennende  Benr- 
teilnng. 


Zar  allgemeioen  Ethnologie.  149 

franxösischen  Norminnern,  welche  letzteren  wieder  von  dänischen  oder 
norwegischen  männlichen  Eindringlingen  und  gallischen  Müttern  aus 
früher  dort  einheimischen  celtischen,  römischen  und  germanischen  Fa- 
milien abstammen. 

Den  linguistischen  Standpunkt  Lathams  adoptiert  DrCarpenter 
in  seinen 

Varieties  ofMankind.  T.  I.  IL    London  1851.  52  (in  Todds  Cy- 
clopaedia  ofÄnatomy  and  Physiohfy,  Part,  41. 42). 

in  welchem  Buche  er  das  Material  fleiszig  und  umsichtig  zusammen- 
stellt und  gehörig  kritisch  sichtet;  er  beweist  vom  physiologischen 
Standpunkte  aus,  dasz  man  nicht  berechtigt  sei  mehrere  verschiedene 
Menschenspecies  anzunehmen,  sondern  dasz  alle  Völker  der  Erde  einen 
gemeinschaftlichen  Ursprung  gehabt  haben,  und  gibt  bei  dieser  Ge- 
legenheit eine  allgemeine  Uebersicht  über  die  Verschiedenheiten  der 
physischen  Merkmale,  wie  sie  von  den  verschiedenen  Menschenracen 
dargestellt  werden,  welche  er  in  fünf  Hauptfamilien  nach  ihrer  geo- 
graphischen Vertheilung  absondert:  1)  europaische,  2)  asiatische,  3) 
flfrikanische,'4)  amerikanische  und  5)  oceanische. 

Im  Widerspruch  mit  den  Monogenisten  in  England  haben  sich 
seit  einigen  Jahren  einige  Gelehrte  in  Nordamerika  für  die  Behauptung 
erhoben,  dasz  das  Gepräge  der  einzelnen  Racen  und  auch  die  geistige 
Befähigung  derselben  zu  weit  von  einander  abweiche,  als  dasz  man 
berechtigt  sei  sie  alle  von  6inem  Menschenpaare  abzuleiten  und  jene 
groszen  Verschiedenheiten  nur  auf  Einwirkung  der  BodenbeschaflTen- 
heit  und  des  so  manigfaltigen  Klimas  oder  aus  Entartung  und  Verwil- 
derung zurückzuführen. 

Zu  diesen  Gelehrten  gehört  der  schon  verstorbene  Morton, 
welcher  in  seinen  ^Crania  Americana'  und  den  *Crania  Ae- 
gyptiaca'  diese  Ansicht  aufstellt  und  zu  erweisen  suchte,  und  in 
den  letzten  Jahren  haben  zwei  Nordamerikaner  sich  mit  andern  For- 
achern  auf  verschiedenen  wissenschaftlichen  Gebieten  verbunden  und 
in  zwei  Sammelwerken  die  Beweisführung  versucht,  deren  ersteres 

Types  of  Mankind^  or  Ethnological  Researches,  by  J.  C.  Nolt 
and  George  R.  Gliddon.   London,  Trübener  u.  Comp.  1854. 

dem  damals  noch  lebenden  Morton  dediciert  ist.  —  Die  erste  Abhand- 
lung von  dem  bekannten  schweizerischen ,  jetzt  in  der  Nähe  von  Bo- 
aton angestellten  Naturforscher  Agassiz*),  handelt  über  die  natür- 
lichen Provinzen  der  Thierwelt  und  ihre  Beziehungen  zu  den  verschie- 
denen charakteristischen  Merkmalen  (Typen)  der  Menschenracen, 
welche  in  den  verschiedenen  Ländern  und  Welttheilen  von  ganz  ver- 


*)  Vergleiche  über  dessen  Leistungen  anf  dem  Gebiete  der  Natur- 
ffeschichte  den  Aafsatz  von  Aug.  Langel :  nn  naturaliste  philosophe ,  in 
d.  Revue  des  denx  mondes  jr.  I .  Se|>t.  1857  S.  57  ff.,  Über  die  hier  er- 
w&hnte  Abhandlung  S.  10&— 108. 


150  Zar  allgemeinen  Eihnologie. 

schiedenen  Gruppen  der  Thierwelt  umgeben  sind.  Seine  HanptslUe 
sind  folgende: 

Das  zusammentreffen  zwischen  der  Umgrenzung  der  Menschen- 
racen  und  den  natürlichen  Grenzen  der  verschiedenen  Provinzen  der 
Thierwelt  ist  eine  Thatsache,  welche  in  der  Zukunft  einmal  ein  Licht 
auf  die  Verschiedenheiten  unter  den  Menschen  selbst  werfen  mnss, 
weil  es  beweist  dasz  die  physische  BeschalTenhelt  der  Menschen  durch 
dieselben  Gesetze  wie  die  der  Thiergattungen  modificiert  wird,  and 
dasz  die  allgemeinen  Resultate,  welche  man  im  Thierreich  ein  Betreff  der 
organischen  Verschiedenheiten  der  einzelnen  Typen  erreicht  hat,  sich  tof 
den  Menschen  anwenden  lassen  müssen.  Wir  haben  also  nur  die  Alterna- 
tive :  entweder  kommt  die  ganze  Menschheit  aus  ^iner  gemeinschaftlichen 
Quelle  und  alle  verschiedenen  Racen  müssen  späteren  Veränderungen 
zugeschrieben  werden  —  eine  Annahme,  zu  deren  Gunsten  man  keinen 
Beweis  beibringen  kann,  und  welche  sofort  zu  dem  Zugeständnis  nö- 
thigt,  dasz  auch  die  Verschiedenheit  der  Thiere  unter  einander  keine 
ursprüngliche  ist  und  dasz  ihre  Verlheilung  nicht  nach  einem  tllge- 
roeineii  und  seit  der  Schöpfung  festgesetzten  Plane  bestimmt  worden 
ist  —  oder  man  musz  anerkennen,  dasz  die  Verschiedenartigkeit  der 
Thiere  eine  vom  Willen  des  Schöpfers  selbst  angeordnete  Thatsache 
ist  und  dasz  ihre  geographische  Verlheilung  mit  zu  dem  allgemeinen 
Plane  gehört,  welcher  alle  organischen  Wesen  in  6iner  groszen  orga- 
nischen Conception  begreift:  und  daraus  folgt  dann,  dasz  was  wir 
Menschenracen  nennen,  von  Anfang  der  Welt  an  unterschiedene  For- 
men des  menschlichen  Typus  sind.  Er  scheidet  hiernach  folgende  8 
Provinzen  der  animalischen  Welt  im  allgemeinen:  die  arktische,  mon- 
golische, europäische,  amerikanische,  afrikanische,  hottentottische, 
malayische  und  australische.  Der  zweite  Beitrag  von  J.  C.  Nolt  ent- 
hält eine  Reihe  von  Aufsätzen  mit  allgemeinen  Bemerkungen  über  die 
charakteristisch  verschiedenen  Züge  des  Menschengeschlechts :  jfl- 
dische,  afrikanische,  aegyptische,  Negerformen,  amerikanische  and 
andere  Züge.  Hierauf  folgen  Auszüge  aus  Mortons  Manuscripten  — 
dann  ein  Aufsatz  von  W.  Usher:  Geologie  und  Palaeontologie  in  Be- 
ziehung auf  den  Ursprung  des  Menschengeschlechts,  —  endlich  zwei 
Aufsätze  von  dem  zweiten  Herausgeber  G.  R.  Gliddon,  eine  kritische 
Abhandlung  über  das  lOe  Kapitel  der  Genesis  und  über  biblische 
Ethnographie,  und  eine  zweite  über  die  Chronologie  des  Menschenge- 
schlechts und  verwandte  Gegenstände. 

In  ähnlicher  Weise  haben  sich  dieselben  Herausgeber  mi(  Agla8- 
s  i  z ,  dem  Franzosen  Alf.  M  a  u  r  y  und  dem  medicinischen  Prof.  zu  Phi- 
ladelphia zu  einer  sehr  voluminösen  Fortsetzung  dieser  Untersuchung 
verbunden,  unter  dem  Titel: 

Indigenous  Races  of  the  Barth  or  New  -  Chapters  of  Ethnological 
Inqmry,  London  1857. 

Voran  steht  ein  Brief  von  A  ga  ssiz,  der  wiederholt  seine  Ueber- 
zengung  von  der  Abstammung  der  Menschheit  von  acht  verschiedenen 


Zar  allgeneinei  Ethnologie.  151 

Stammvälerii  aasspricht,  da  man  die  Menschen  in  den  verschiedenen 
Landern  der  Erde  von  achterlei  verschiedenen  Thiergruppen  umgeben 
finde,  was  aaf  eine  achtfache  Verschiedenheit  der  anter  denselben  lor- 
benden  Meosohen  za  schlieszen  berechtige. 

Hiergegen  wendet  freilich  ein  Berichterstatter  im  londoner  Athe- 
naeum  (vom  12.  Sept.  1857)  ein ,  dasz  ja  keines  der  Thiere  mit  Thie> 
ren  einer  davon  verschiedenen  und  entlegenen  Gruppe  sich  mit  Erfolg 
begatten  könne,  wahrend  dies  bei  den  Menschenracen  sich  anders  ver- 
halte, da  ja  Menschen  der  verschiedensten  Zonen  sich  begalten  und 
frachtbare  Nachkommenschaft  erzeugen  können,  —  eine  Wahrneh- 
mang,  die  uns  zu  groszer  Vorsicht  im  ziehen  solcher  Schlüsse  auf- 
fordert. Sein  zweiter  Beweis  ist  die  Verschiedenheit  der  Laute,  durch 
welche  Menschen  in  weit  von  einander  entfernten  Landern  dieselben 
Gegenstände  bezeichnen,  wahrend  Baren  z.  B.,  obgleich  verschiedeneu 
Species  angehörend,  doch  das  verwandte  Gebrüll  in  den  verschiedenen 
Ländern,  wo  sie  vorkommen,  ansstieszen! 

Von  dem  einen  der  Herausgeber,  dem  Arzte  Nott,  ist  ein  Aufsatz 
aber  Acclimatisierung  oder  über  die  vergleichweisen  Einflüsse  des 
Klimas  endemischer  und  epidemischer  Krankheiten  auf  den  Menschen, 
worin  er  nachweisen  will ,  dasz  es  gewisse  charakteristisch  verschie- 
dene Typen  der  menschlichen  Familie  so  alt  und  so  durchgehend  gibt, 
wie  die  sie  umgebende  Fauna  und  Flora  ist.  Auch  er  behauptet  von 
den  weiszen  Racen  Europas,  den  Mongolen  Asiens,  den  Schwarzen 
Afrikas  und  den  Ureinwohnern  Amerikas,  dasz  die  Züge  und  der  Cha^ 
rakter  der  diesen  verschiedenen  Reichen  angehörenden  Menschen  hin- 
ter allen  menschlichen  Erinnerungen  um  tausende  von  Jahren  zurück- 
liegen und  so  alt  wie  die  Fauna^s  seien  deren  jede  einen  originalen  Be- 
•tandtbeil  bilde,  und  dasz  die  Züge  der  Menschen  von  einander  durch 
•peciiische  Merkmale  getrennt  seien,  die  eben  so  gut  markiert  und  eben 
80  beharrlich  seien  als  die,  welche  die  Species  anderer  Geschlechter 
bezeichnen. 

Von  dem  andern  der  beiden  Herausgeber,  G 1  i  d  d  o  n ,  der  früher 
als  nordamerikanischer  Cousul  in  Cairo  sich  auch  mit  dem  Studium 
der  Ueberreste  von  allen  Aegyptern  beschäftigt  hat  (Verfasser  einer 
archaeologischen  Einleitung  in  das  lOe  Kapitel  der  Genesis  in  dem 
oben  erwähnten  Werke  ^Types  of  Mankind'),  enthält  das  vorliegende 
Sammelwerk  eine  längere  Abhandlung:  die  Monogenesisteu  und  Poly- 
genesislen,  eine  Auseinandersetzung  der  Schulen,  welche  dogmatisch 
die  Einheit  oder  Verschiedenheit  der  Menschenracen  behaupten ,  nebst 
einer  Untersuchung  über  das  Alter  des  Menschengeschlechts  auf  Erden, 
vom  Standpunkte  der  Chronologie,  der  Geschichte  und  der  Faiaeonto- 
logie.  Als  Polygenesist  hält  er  au  der  Vielfältigkeit  der  Menschenpaare 
fest,  welche  zu  verschiedenen  Zeiten  geschaffen  worden  seien,  und  be- 
schuldigt alle,  welche  die  entgegengesetzte  Behauptung  bewahren,  der 
Beeinflussung  durch  die  Geistlichen  und  eines  abergläubischen  fest- 
haltens  an  der  Wahrheit  der  biblischen  Festsetzungen.  Am  Schlüsse 
seiner  Abhandlang  antersacht  Gliddon  die  geographische  Vertheilang 

M.  Jahrb.  f,  PhU.  u.  Paed.  Hd  LXXVIII.  BftS,  11 


152  Zar  tllgemeinen  Ethpologie. 

der  AlTenarlen  in  Vergleich  mit  der  der  nntergeordneten  Memchen- 
raceD,  und  sucht  zu  beweisen,  wie  unwahrscheinlich  es  sei  dass  oile 
jene  verschiedenen  Species  der  Affen  von  jenem  öinen  Paare  herstara- 
men,  das  mit  Noah  aus  der  Arche  stieg  —  nud  dasz  da  die  Menschen 
eine  besondere  Ordnung  der  Saugethiere  bilden  wie  die  Affen,  es 
auch  ebenso  verschiedene  Species  von  Menschen  geben  mösse! 

Eine  andere  Abhandlung  von  Alfred  Maury,  Buchhändler  des 
Institut  fran^ais  und  Secretair  der  pariser  geographischen  GesellsehafI, 
behandelt  den  umfangreichen  Stoff  *über  die  VerUieilung  und  Klassi- 
fication  der  Sprachen^  in  oberflächlicher  Weise ;  eine  fünfte  von  dem 
Ungarn  Franz  Pulszky  ^iconographische  Untersuchungen  über  Men- 
schenracen  und  ihre  Kunst'  behandelt  den  Gegenstand  vom  Stand- 
punkte  der  Kunstgeschichte  und  will  aus  dem  constanten  Charakter 
der  nationalen  Kunst,  wie  sie  sich  bei  den  einzelnen  Völkern,  beson- 
ders des  Alterthums,  verschieden  entwickelt  hat,  auf  eine  specifisehe 
Verschiedenheit  dieser  Völkerstamme  s.chlieszen. 

Die  letzte  Abhandlung  in  dem  Sammelwerke  ist  von  dem  Prof. 
am  medicinischen  Institut  zu  Philadelphia  Dr  J.  Aitken  Meigs  *über 
die  charakteristischen  Unterschiede  an  den  Schädeln  der  Menschen- 
racen'  und  sncht  zu  beweisen,  dasz  es  gewisse  permanente  charakteri- 
stische Verschiedenheiten  in  den  SchSdeln  der  einzelnen  Menscbenrtcen 
gebe ;  doch  ist  der  Verfasser  bescheiden  genug  einzngesteben ,  ^daaz 
bei  dem  gegenwartigen  Stande  unserer  Kenntnis  wir  keineswegs  sicher 
sind,  dasz  solche  charakteristische  Eigeuthümlichkeiten  auch  von  allem 
Anfange  her  verschieden  waren'. 

Auch  der  schon  oben  erwähnte  Berichterstatter  im  londoner  Atbe- 
nacum  bekennt,  die  Einheit  der  Abstammung' des  Menschengeschleobis 
von  einem  Paare  nicht  als  eine  sicherstehende  Thatsache  behaapten  so 
wollen ;  er  verlangt  nur ,  dasz  auch  die  übrigen  Mitarbeiter  an  jenem 
polygenesistischen  Sammelwerke  nach  einer  evidenten  Beweiafuhrung 
(evidence)  urleilen  und  Gründe  für  ihren  Glauben  angeben  sollen; 
dasz  sie  statt  Namen  zu  nennen  und  Parteistellungen  zu  nehmen  an  die 
groszen  und  interessanten  Fragen,  welche  sie  besprochen  haben,  mit 
dem  Ernst  und  der  Aufrichtigkeit  herantreten  sollen,  welche  Minnem 
bei  der  Forschung  nach  Wahrheit  geziemen. 

Die  neueste  Leistung  vom  osteologischen  Standpunkte  ana  ist  die. 
von  Peters  übersetzte  Schrift: 

BUck  auf  den  gegenwärtigen  Standpunkt  der  Ethnologie  in  Besag 
auf  die  Gestalt  des  knöchernen  Schädelgerüstes  ^  von  Andr. 
Retzius.    Berlin  1857. 

über  welche  der  Uebersetzer  in  der  Sifzüng  der  berliner  geographi- 
schen Gesellschaft  am  7.  Nov.  berichtete.  Der  Verfasser  nimmt  zwei 
Schädelformen  an:  Dolichocephalen  und  Brachycephalen ,  deren  jede 
er  wieder  in  Orthognathen  und  Prognathen  eintheilt.  Von  den  Baro- 
päern  (sämtlich  Orthognathen)  gehören  zu  den  Dolichocephalen  die 
Germanen  und  die  Gelten,  zn  den  Brachycephalen  die  Ungarn,  Tflrken, 


Zar  tllgemeineo  Ethnologie.  153 

Slaven,  Letten,  Albanier,  Etrarier,  RbStier  und  Basken.  Unter  den 
Asiaten  gehören  zu  den  Dolicbocephaien  die  Hindus,  die  arischen  Per- 
ser, die  Araber,  die  Juden  und  die  prognatbischen  Tungusen  und  Chi- 
nesen, zu  den  Bracbycepbalen,  welche  meist  Prognalben  sind,  die  übri- 
gen Völker.  Von  den  südwestlichen  Anwohnern  des  indischen  Oceans, 
samtlich  Prognathen,  sind  die  Australneger  Dolicbocephaien,  die  Ma- 
layen,  Poiynesier  und  Papuas  Brachycephalen;  die  Völker  Afrikas 
Dolichooephaien  und  Prognatben.  In  Amerika  sind  die  Eingebornen 
auf  der  Ostseite  vom  höchsten  Norden  bis  Uruguay  Dolicbocephaien, 
auf  der  Westseite  von  den  Kurilen  bis  zu  den  Feuerländern  Brachy- 
cephalen. Bei  dieser  Gelegenheit  berichtete  Professor  Ritter  über 
die  Entdeckung  uralter  Pfahlbauten  und  Graber  an  Men  kleinen  Seen 
der  Schweiz,  in  denen  die  vorgefundenen  Schädel  zwei  ganz  ver- 
schiedenen Racen  angehörten ,  von  denen  die  Gelten  die  jüngere  zu 
sein  schienen;  das  wiese  also  auf  eine  von  den  Gelten  besiegte  und 
vernichtete  frühere  Bevölkerung  zurück. 

Wie  es  bei  der  Besprechung  der  interessantesten  wissenschaft- 
lichen Streitfragen  nicht  leicht  ist,  sich  von  dem  Einflüsse  nationaler 
Vorurteile  oder  einer  gewissen  Zeilströmung  frei  und  ganz  auf  der 
Höhe  der  Wissenschaft  zu  halten,  *so  ist  es  gerade  bei  dieser  Frage, 
welche  so  verschiedene  wissenschaftliche  Gebiete  berührt,  der  Fall, 
und  eben  darum  ist  es  auch  kaum  zu  vermeiden ,  dasz  der  Polemik 
sich  Leidenschaft  und  Verdächtigung  der  Motive  beimische.  Wie  jene 
Mitarbeiter  der  Nordamerikaner  den  Monogenesisten  die  abergläubische 
Bibelverehrung  als  hauptsächlichstes  Motiv  zum  Vorwurf  machen,  so 
gibt  wiederum  der  englische  Berichterstatter  dem  Argwöhn  Baum,  als 
möchte  dem  'Sklavenbesitzer  Gliddon  daran  gelegen  sein  zu  beweisen, 
dasz  die  schwarze  Bevölkerung  von  der  weiszen  specifisch  verschie- 
den und  nach  dem  Willen  der  Natur  ihr  untergeordnet  und  zu  dienen 
verpflichtet  sei  *),  E  b  e  n  so  dürfte  es  auch  nicht  befremden,  wenn  bei 
onsern  Nachbarn  jenseits  des  Rheins  die  im  Gegensatz  zu  den  Nivel- 
Hernngstendenzen  der  communistischen  Partei  seit  1848'  eingetretene 
Strömung  rückwärts  der  Annahme  ursprünglicher  Ungleichheit  der 
Menschen  wie  der  Völker  und  der  Geschlechter  wie  der  Reiche  leich- 
teren Eingang  verschafft  haben  sollte.  Auch  fehlt  es  nicht  an  einem 
Gelehrten,  A.  deGobineau  (erstem,  frauzös.  Legationssecretair  in  der 
Schweiz),  der  in  seinem 

Essai  sur  Vin^gaUti  des  races  humaines.  Paris,  Didol  1853.  Fol. 
IV  Bde 

darauf  ausgeht,  theils  mit  physiologischen,  theils  und  vorzüglich  aber 
mit  wissenschaftlich -sprachlichen  Gründen  die  Ungleichheit  der  Men- 

*)  Den  gleichen  Vorwurf,  als  wenn  es  den  Herren  Nott  und  Glid- 
don bei  ihrer  früheren  Veröffentlichung  besonders  um  wissenschaftliche 
Begründung  der  Negemnterdrückung  zu  thuu  gewesen  sein  möchte, 
macht  ihnen  Aug.  Lange!  in  dem  oben  erwähnten  Aufsätze  über 
Agassiz  S.  107  f. 

11*         .  . 


I 

154  Zur  allgemeinep  Etlmologio. 

»chenarten  zu  beweisen,  deren  er  drei  gänzlich  rerschiedene  annimml, 
die  weisze,  die  gelbe  und  die  schwarze.  Von  diesen  stehe  die  weisse 
am  höchsten  über  den  beiden  andern  und  in  ihr  seien  wiederum  die 
arischen  Völker  die  kräftigsten.  Die  weisze  Menschenart  habe  auch 
zu  jedem  der  vom  Verfasser  überhaupt  angenommenen  10  grossen 
Standpunkte  und  Kreise  menschlicher  Bildung  den  Anstosz  gegeben; 
diese  sind  der  indische,  aegyptische,  assyrische  (mit  Einschlusz  des 
phönicischen ,  himyaritischen  und  der  Völker  der  zarathustrischen  Re- 
ligion), der  griechische,  chinesische,  italische  (mit  dem  celtischen  und 
iberischen),  der  deutsche,  alleghanische,  mexicanische  und  peruanische. 
Dabei  möchte  es  auf  den  ersten  Blick  befremdend  erscheinen,  dasz  er 
als  guter  Katholfk  und  Conservaliver  auch  an  der  Erzählung  der  Bibel 
festhalt,  aber  dieselbe  freilich  mit  seiner  Theorie  durch  die  Erklimng 
in  Einklang  zu  bringen  versucht,  dasz  Adam  nur  als  Stammvater  der 
weiszen  Menschenrace  zu  verstehen  sei,  denn  von  den  gelben  Men- 
schen sei  Genes.  I  und  X  nichts  gesagt  und  Cham  werde  ganz  falsch 
als  *der  schwarze'  erklärt!  Zwar  ist  dieser  auch  Stammvater  der 
Phoenicier,  aber  sein  zweiter  Sohn  Kusch  soll  ja  das  Bild  aller  schwar- 
zen sein,  wie  sich  aus  der  ganzen  Erzählung  in  der  Genesis  ergibt. 
Mit  Recht  erinnert  ein  deutscher  Recensent  Gobineaus  (H.  Ewald  in 
den  göttint^ischen  gelehrten  Anzeigen  v.  1  Mai  1854  S.  681— 69&,  bu- 
sonders  S.  689  (,}  daran,  dasz  das  unsere  früheren  Vorstellungen  unge- 
mein übertreffende  Alter  des  Menschengeschlechts,  wie  es  sich  ans 
sprachlichen  und  geschichtlichen  Gründen  sicher  ergebe,  endlich  auch 
bei  der  leiblichen  Seite  der  Frage  in  Anschlag  gebracht  werden  müsse, 
ond  dasz  eben  in  der  Urzeit,  als  der  Mensch  von  der  Natur  noch  weit 
abhängiger  war  und  eine  ganz  andere  Empfänglichkeit  besitzen  mochte, 
sein  junger  Leib  an  den  verschiedenen  Stellen  der  Erde,  wohin  er  so 
früh  zerstreut  wurde ,  sicher  auch  in  gewissen  Aeuszerlichkeiten  früh 
ziemlich  verschieden  sich  gestalten  mochte. 

Aber  selbst  wenn  man  sich  zu  der  Annahme  berechtigt  halten 
sollte,  dasz  der  Mensch  eben  so  wie  die  Pflanze  und  besonders  die 
niederen  Thiere  in  jedem  Lande  besonders  hätte  hervorgebracht  wer- 
den müssen,  ändere  dies  nichts  an  dem  wahren  Sinn  der  biblischen 
Erzählung,  die  sicher  mehr  aus  innerer  Anschauung  und  schöpferischer 
Ahnung  der  Wahrheit  als  aus  solcher  Erforschung  und  Erfahrung  ent- 
sprossen sei ,  dergleichen  wir  heute  lieben  und  suchen :  der  Ahnung 
und  dem  höheren  Gefühle,  dasz  alle  Menschen  trotz  ihrer  jetzigen  ob- 
endlichen  Spaltung  und  Verschiedenheit  dennoch  in  allen  den  letzten 
und  höchsten  Beziehungen ,  wodurch  der  Mensch  Mensch  and  nicht 
Thier  ist,  eine  Einheit  bilden,  und  insofern  alle  als  unter  sich  gleidi- 
stehend  betrachtet  werden  müssen.  Es  heiszt  hier  streng  6in  Gott  ^in 
Mensch:  zuletzt  musz  für  alle  Menschen  desselben  Volkes,  ja  aller 
Völker  ^in  wahrer  Gott ,  ^in  höchstes  heilsames  Gesetz  und  6in  letztes 
klares  Recht  gelten,  so  dasz  alle  die  besondern  Trennungen  und  Ver- 
schiedenheiten davor  verschwinden,  wie  die  bunten  Farben  der  Däm- 
merung vor  dem  hellen  Lichte. 


Ndgdlsbaeh:  hebräische  Grammatik.  155 

Die  hier  besprochene  Schrift  Gobioeaos  hat  aach  eioem  andern 
berühmten  Sprachforscher,  Pott,  Veranlassung  zar  Untersuchung  die- 
ser Frage  vom  sprachwissenschaftlichen  Standpunkte  in  der  Schrift: 

Die  Ungleichheil  menschlicher  Rassen^  hauptsächlich  vom  sprach- 
wissenschaftlichen  Standpunkte^  unter  besonderer  Berück- 
sichiigung  von  des  Grafen  Gobineau  gleichnamigem  Werke. 
Mit  einem  Ueberblicke  über  die  Sprachverhältnisse  der  Völ- 
ker.  Lemgo,  Meyer  1856 

gegeben,  über  welche  der  unterzeichnete  sich  eine  besondere  Bespre- 
chung vorbehält. 

^Erfurt.  Prof.  Dr  U.  Weiszenbom. 


(2.) 

Lehrbücher  der  hebräischen  Sprache. 

(Fortsetzung  von  S.  15—28  n.  103—112.) 


3. 
Hebräische  Grammatik  als  Leitfaden  für  den  Gymnasial-  und  aka- 
demischen Unterricht  von  Carl  Wilhelm  Eduard  Na- 
gels b  ach  ^  Dr  phiL  lAc.  theol.^  Pfarrer  in  Bayreuth  und  or- 
dentlichem Mitglied  der  histor.  theol.  Gesellschaft  in  Leipzig. 
Leipzig,  Druck  und  Verlag  von  B.  6.  Teubner  1856.  XII  u. 
248  S.  8. 

Eine  neue  hebräische  Schulgrammatik!  Nun  wir  haben  nichts 
dagegen  nach  dem,  was  wir  über  Ewalds  und  Gesenius  -  Rüdigers 
Grammatiken  in  dieser  Zeitschrift  gesagt  haben;  denn  da  wir  uns  mit 
keiner  von  beiden  ganz  einverstanden  erklärt,  könnte  ja  eine  neue 
das  gewünschte  bringen.  Wir  sind  nicht  mit  dieser  Hoffnung  an  das 
Buch  gegangen,  besonders  da  Nägelsbach  in  der  Vorrede  erklärt,  dasz 
er  Ewald  und  Gesenius  vereinigen  wolle  und  dasz  dies  sein  Hauptbe- 
atreben sein  solle.  Wir  haben  bei  einer  früheren  Anzeige  von  Rödi- 
gers  Grammatik  darüber  am  meisten  geklagt,  dasz  durch  solche  Ver- 
einigung, da  Rödiger. Gesenius^  Grammatik  mit  Ewaldschen  Lehren  ver- 
brämt, die  Vorzüge  von  Gesenius  verloren  gehen,  ohne  dasz  die  von 
Ewald  gewonnen  werden.  N.  will  die  Wissenschaftlichkeit  Ewalds 
mit  der  praktischen  Form  der  Gesenius^schen  vereinigen.  Aber  er  ver- 
spricht noch  mehr,  nemlich  ^erkleckliche  materielle  Verbesserungen', 
die  angeführt  werden.  Dann  hebt  er  als  eigenthümlicben  Vorzug  her- 
vor, dasz  die  Syntax  erweitert,  die  Formenlehre  verengt  sei  und  so 
der  Schüler  nicht  ^durch  zn  viel  Detail  aufgehallen  werde,  während 


156  NfigeUbaoh:  hebrfiische  GrammaUk. , 

auf  dem  Gebiete  der  Syntax  noch  so  viele  Eigenthamlichkeiten  des 
hebräischen  Spracbcbarakters  der  Aufhellung  bedürfen'.    ^Indern  ich 
so  in  der  Formenlehre  mich  auf  das  nothwendigste  beschränkte,  ge- 
wann ich  Raum  [der  wäre  wol  auch  so  dagewesen]  für  die  Syntax. 
Und  indem  ich  überhaupt  alles,  was  mir  minder  wesentlich  schien, 
wegliesz,  namentlich  alles  gelehrten  Apparates  mich  geflissentlich  ent- 
hielt, ist  das  Buch  klein  und  woifeit,  und  doch,  wie  ich  hoffe,  so  reich- 
haltig geworden ,  dasz  es  Anfängern  lange  hinaus  zum  Führer  wird 
dienen  können  '    Dies  ist  das  wichtigste  ans  der  Vorrede;  es  folgt  ein 
-Inhaltsverzeichnis,  dann  zwei  Seiten  Druckfehler  oder  Berichtigungen. 
—    Nach   Vorgang  von  Gesenius  handelt  §  1   von   der  hebräischen 
Sprache,  §  2  von  der  hebräischen  Schrift,  §  3  von  der  hebräischen 
Grammatik.     Im  §  1  wird  gesagt,  dasz  der  semitische  SprachstBmm 
sich  in  drei  Aeste  theilt:  1)  das  Aramäische;  dies  zerfällt  in  das 
Chaldäische  und  Syrische,   und  es  wird  mit  ^ziemlicher  Wahrschein- 
lichkeit' geschlossen,  dasz  das  Chaldäische  eine  ältere  Sprache  sei  als 
das  Hebräische,  weil  es   die  Sprache  der  Heimat  und  FreundschafI 
Abrahams  ist  und  dieser  und  seine  Nachkommen  erst  das  Hebräische 
von  den  Cananitern  gelernt  haben.    Es  fragt  sich  doch  erst,  wie  lange 
haben  die  Cananiter  schon  vorher  ihre  Sprache  gesprochen,  ehe  sie 
Abraham  lernte.    Doch  alle  Beweise,  für  und  wider  nützen  nicht,  denn 
*wir  sind  weit  entfernt  das  Chaldäische  in  seiner  ursprünglichen 'Ge- 
stalt zu  kennen'.    2)  ^Der  zweite  Hauptzweig  des  semitischen  Sprach- 
stammes ist  das  Arabische.    Wie  diese  Sprache  das  gröste  terri- 
toriale Gebiet  einnimmt,  so  übertrifft  sie  auch  die  andere  an  Reich- 
thnm  der  Vocallaute  und  Formenentwicklung,  so  wie  der  litterarischen 
Froduclion.     Man  könnte  die  arabische  Sprache  mit  der  heiszen,  die 
hebräische  mit  der  gemäszigten ,  die  aramäische  mit  der  kalten  Zone 
vergleichen'  (!).    Wenn  man  das  nun  thut,  was  hat  man  davon?  Was 
lernt  der  Anfänger  durch  diesen  Vergleich?   3)  ^Der  dritte  Ast,  exten- 
siv genommen  der  kleinste,  aber  intensiv  der  gröste  und  bedeutendste 
von  allen,  ist  die  hebräische  Sprache.'    Was  soll  der  Anfänger 
anter  intensiv  und  gröste  sich  denken?    Im  §  2  wird  auf  Gese- 
nius Grammatik  16e  Auflage  verwiesen,  um  etwas  zu  beweisen;  das 
ist  freundlich,  aber  der  Schüler  soll  nur  ^ine  Grammatik  haben.    Der 
Schlusz  schlieszt  nicht:  Weil  zu  Christi  Zeit  Matlh.  5,  18  die  jetzige 
Schrift  gebräuchlich  war,   denn  der  Herr    kann  vom  Jod    und   fila 
%6Qaia  nur  in  dieser  Schrift  so  reden,  ^musz  also  ungefähr  in  dem  der 
Geburt  Christi  vorausgehenden  Jahrhundert  der  Uebergaug  der  alten 
Schreibweise  in  die  neue  stattgefunden  haben'.    Warum  nicht  früher? 
Wie  es  scheint,  weil  aus  dem  2n  Jahrhundert  noch  Münzen  vorhanden 
sind  mit  anderer  Schrift.    Steht  nicht  auf  nnsern  Münzen  auch  latei- 
nische Schrift,  während  sich  schon  seit  Jahrhunderten  eine  deutsche 
daneben  gebildet  hat.    Es  wird  doch  zuletzt  alles  sperren  und  zieren 
nichts  helfen,  und  die  Ueberlieferung  hat  doch  auch  gewisse  Rechte, 
noch  dazu,  so  lange  man  auch  gar  nichts  dagegen  vorzubringen 
weisz  als  ausgedachte  Zweifel. 


NigeUbtch:  hebridsche  Grammatik.  157 

fiis  hieher  geht  die  Einleitung.  Wir  haben  sie  besonders  be* 
handelt,  sie  ist  noch  ein  fremdes  Stück,  was  in  den  neuen  Bau  herein- 
reicht.  Wir  wollten  auf  die  Schwächen  dieser  §§  aufmerksam  ma- 
chen, neben  denen  sie  vieles  wahre  und  passepde  enthalten.  Es  ist 
aber  schwer  für  den  Anfänger  eine  Geschichte  der  Sprache  zu  schrei- 
ben und  sie  nützt  ihm  auch  nicht  viel.  Wir  sind  nun  an  den  Punkt 
gekommen ,  wo  wir  unser  Urteil  über  die  Grammatik  sagen  müssen, 
and  der  ungeduldige  Leser  wird  es  schon  langst  erwartet  haben.  II r 
Piagelsbach  hat  wie  Prof.  Rödiger  Gesenius  und  Ewald  zu  vereinigen 
gesucht,  wie?  da  fallt  unsere  Zustimmung  entschieden  auf  Seite  Nä- 
gelsbachs. Rödiger  ist  von  Gesenins  Klarheit  und  praktischer  Form 
ausgegangen  und  musz  sich  immer  mehr  in  'das  oft  nebelhafte  Ewald- 
scher Regeln  verlieren;  Nägelsbach  l^iegt  zurück  und  genährt  von 
Ewaldscher  Erkenntnis  und  Wissenschaftlichkeit  sucht  er  die  Klarheit 
eines  Gesenins  wieder  zu  gewinnen,  die  Richtungen  also,  die  beide 
Grammatiken  nehmen,  sind  entschieden  entgegen,  und  nur  dieser  Rich- 
tung, nicht  der  ^materiellen  Verbesserungen'  wegen  hallen  wir  das 
erscheinen  dieser  Grammatik  nach  der  in  vieler  Hinsicht  so  trefflichen 
und  in  den  Einzelheiten  so  tüchtigen  uud  zuverlässigen  Grammatik 
von  Rödiger  für  gerechtfertigt. 

Wir  glauben  Hm  Nägelsbach  zu  seiner  Arbeit  Glück  wünschen 
so  können,  die  Lehrer  werden  allmählich  immer  mehr  sich  dieser 
Grammatik  zuwenden.  Zu  loben  ist  die  Klarheit  der  Darstellung,  und 
hier  hat  man  erst  die  Freude  an  Ewald  und  söhnt  sich  mit  ihm  aus, 
wenn  man  bedenkt  dasz  durch  seine  Bemühungen  diese  Grammatik 
möglich  geworden  ist.  Wir  lobten  die  Richtung,  noch  nicht  die  Lei- 
slnng;  aber  auch  diese  ist  bedeutend  schon  in  dieser  ersten  Auflage 
und  erweckt  die  Hoffnung,  dasz  sie  immer  bedeutender  werden 
wird,  wenn  der  Verfasser  immer  mehr  sich  der  Schule  entwindet. 
Wir  'glauben  zu  bemerken,  dasz  in  der  Hinsicht  er  während  der  Ar- 
beit gewachsen  ist,  dasz  der  Anfang  noch  mehr  Befangenheit  zeigt 
als  tiefer  hinein  erscheint,  und  darauf  stützt  sich  unsere  Hoffnung  für 
später;  aber  auch  darauf,  dasz  Hr  Nägelsbach  klaren  Blick  in  die  Er- 
scheinungen der  Sprache,  nicht  getrübt  durch  Gelehrsamkeit,  das  heiszt 
durch  die  Masse  der  Einzelheiten,  dann  einen  richtigen  Takt  für  die 
Bedürfnisse  des  Schülers  hat.  Man  hat  eine  wahre  Freude  eine  ganze 
Grammatik  durchlesen  zu  können  ohne  viel  Bedenken  was  d^r  Ver- 
fasser gemeint  habe,  und  wir  hoffen,  es  wird  das  wenige,  was  unklar 
ist,  in  der  zweiten  Auflage  auch  noch  verschwinde^n.  Hierbei  wollen 
wir  gleich  noch  daran  erinnern,  dasz  dann  auch  eine  Menge  Fremd- 
wörter, die  ohne  Noth  d.  h.  ohne  dasz  es  die  Deutlichkeit  erforderte, 
eingeführt  sind,  wieder  verschwinden  werden.  Die  nun  einmal  ge- 
bränchlichen  termini  technici  der  Grammatik  erträgt  jeder,' aber  neue 
einzuführen  für  alte,  wie  Praeformant  für  Praeformativ,  was  sich  nicht 
einmal  durch  richtigere  Bildung  empfiehlt,  oder  noch  gar  nicht  ge- 
brauchtes in  Gebrauch  bringen  zu  wollen  und  damit  den  Schüler  immer 
mehr  mit  nnverslandcnen  und  misverstandenen  Wörtern  zu  belasten, 


1 58  Nftgelsbach :  'hebräische  Grammatik, 

halten  wir  entchieden  für  schädlich.  Solche  Wörter  sind:  Reprlsen- 
taut,  Inamovibililät,  conserviert,  Potenz,  Volumen,  ideelles  Genus,  oob* 
stitaieren,  Individualisation,  restringiert,  compendiös,  IdentitätsgeaetiT, 
subtile  Subordination,  determiniert  wechselt  mit  bestimmt  S.  131,  Re- 
striction,  latent,  concentrierter  Satz  repräsentiert,  explicite,.  einen  ex- 
pliciten  Satz  repräsentieren,  Duplicität,  intellectuelle  Verbdltnisse  osw. 
Daneben  sind  öfter  als  es  die  Kürze  forderte  zu  lesen:  qualitatiy, 
quantitativ,  numerisch,  organisch,  mechanisch,  rhetorisch,  Kategorie 
usw.  Manche  werden  auch  in  dieser  Beurteilung  noch  vorkommen 
müssen.  Eine  andere  Aeuszerlichkeit,  die  wir  gern  entfernt  sSheii^ 
ist  die  Länge  der  Citate  wie:  §  27,  2  ad  l^  vgl.  §  38,  3,  §  18,  III  3 
Anm.  —  §  11,  4  B  a  y,  vgl.  §  56,  4  Anm.  —  Vgl.  S,  4.  5.  13. 14.  — 
§  93,  2  B  b  j3.  —  §  84,  1  b  B,  2  a  /9  und  ähnliche.  Es  ist  gans  gai 
alles  recht  scharf  einzutheilen ,  aber  so  zu  citieren  bleibt  uBpaaseiid, 
und  es  liesze  sich  wol  durch  an  den  Rand  gestellte  Zahlen  nachhel- 
fen, werni  es  nicht  anders  geht.  Bei  seinem  Bestreben  nach  Klarheil 
wird  Hr  Nägelsbach  unsere  Bemerkung  ganz  in  der  Ordnang  finden. 

Da  wir  eine  neue  Auflage  bestimmt  erwarten,  wollen  wir  in 
einzelnen  das ,  was  wir  noch  verbessert  wünschten ,  angeben  and  sa- 
gleich  für  Lob  und  Tadel  Belege  beibringen: 

S.  11 :  Hier  ist  von  D''^.'^^  für  D'^^niä  und  dies  für  uS  gespro- 
chen und  wird  hinzugesetzt:  ^Hier  ist  also  das  ~  eigentlich  und  ur- 
sprünglich nicht  ein  voller  Vocal  in  offener  Silbe,  sondern  blos  Re- 
präsentant eines  Schwa.'  Damit  wird  man  nicht  klüger,  wenn  aueli 
das  Wort  Repräsentant  ganz  hübsch  klingt.  Die  ganze  Anmerkang 
hätten  wir  später  gesetzt,  wenn  erst  die  Regel,  zu  der  sie  eine  Aas- 
nahme  bilden  soll,  die  über  die  offenen  und  geschlossenen  Silben^  vor- 
gebracht war.  —  S.  12 :  ^  Dnorum  schwaim  initio  vocabuli  concarres- 
tium  prius  mutatur  in  chirek'  ist  hier  ebenfalls  au  falscher  Stelle  an- 
geführt; es  war  ja  hier  nur  die  Rede  von  den  Arten  des  Sohwa,  nicht 
davon,  was  an  deren  Stelle  treten  kann.  Aber  die  Regel  selbst  ist  viel 
zu  einseitig  aufgefaszt,  und  darum  musz  man  nun  noch  S.  13  Anm.  S 
mit  hinnehmen  als  Ausnahme,  während  die  da  angeführten  Erschei- 
nungen ganz  regelrecht  sind.  Es  kann  der  Hebräer  eben  3  Consonan- 
ten  im  Anfang  der  Silbe  nicht  aussprechen,  wie  andere  Leute  aach 
nicht;  ganz  natürlich  dasz  sich,  da  sie  doch  gesprochen  werden  sollee, 
ein  Hülfsvocal  einschleicht,  und  noch  natürlicher  dasz  es  immer  der 
sein  wird,  der  am  meisten  hilft,  und  das  ist  wieder  der,  der  am  leich- 
testen sich  mit  dem  2n  Buchstaben  (der  3e  hat  seinen  Halt  am  Vocale 
der  Silbe)  spricht;  daher  die  Regel,  dasz  der  le  Buchstabe  den  Yoöal 
annimmt,  mit  dem  sich  der  zweite  am  leichtesten  spricht:  "^pMI,  '^^'«^ 
asw.  Hat  der  zweite  Consonant  nicht  eine  bestimmte  Neigung  für 
einen  besondern  Vocal,  so  kan;i  der  erste  sie  haben  und  dann  geltend 
machen  VbVl ,  "^cSDfi^ ;  steht  keiner  der  beiden  Consonanten  mit  einem 
Vocale  in  besonderer  Verwandtschaft,  so  hilft  der  einfachste,  kürzeste 
und  spitzeste  Laut:  das  kurze  i.  —  S.  15  ist  wieder  eine  verfrähte 
Regel,  wie  die  Worte  schon  zeigen;  ^die  wenigen  Ausnahmen  s.  n.  bei 


Nftgelsbadi :  kebrüiche  Grafflmatik.  169 

der  Lehre  vom  Tone.'  Und  sofort  klebt  sich  daran  der  durch  Dent- 
lichkeit  sich  eben  nicht  empfehlende  Satz:  *Dasz  ein  Vocal  folge  ist 
nicht  absolut,  sondern  nur  dann  nothwendig,  wenn  das  Interesse  vor- 
handen ist,  die  Duplicitit  des'  Consonanten  zur  vollen  Geltung  kom- 
men zu  lassen.  So  wird  z.  B.  bei  der  Flej^ion  gewisser  Verba  ein 
Halfsvocal  nur  deswegen  nach  einem  Doppelconsonanten  eingeschoben, 
weil  derselbe  als  radical  berechtigt  ist,  in  seiner  vollen  StSrke  gehört 
zn  werden.'  Da  sind  viel  Redensarten,  aus  denen  und  wegen  deren 
der  Schaler  nicht  Einsicht  in  die  Sache  gewinnen  kann.  Auch  S.  16 
§  7  erscheint  als  verfrüht  und  unverständlich.  Schon  das  allgemeine 
dieser  Regel  ist  zu  lang  gehalten,  die  Ausführung  aber  muste  unter 
Hitbpael  usw.  untergebracht  i^^den,  hier  isfs  unbrauchbar.  Was 
*ein  Consonant  schwachen  Lautes'  ist,  ist  unklar,  nn  für  npn  (!),  ge- 
hört nicht  hieher  und  ist  falsch  erklärt.  Und  das  ganze  liesz  sich  mit 
wenigen  Worten  abmachen,  es  betrifft  ja  nur  den  Gebrauch  des  Zei- 
chens für  Verdoppelung.  ~  S.  19  b  konnte  auch  der  Grund  der  ver- 
schiedenen Schreibweise  von  ^M'T  und  ^fit*!^  nachgewiesen  werden, 
die  Nummer  c  enthält  nur  wieder  einen  Fall  mit  Schwa  mobile  und  ge- 
hörte daher  unter  b.  —  S.  21  §  3:  *Aber  in  andern  Formen  wechseln 
beide  Aussprachen.'  In  welchen?  Erst  steht  l^K,  dann  n73^,  ganz 
dieselben  Formen,  keine  andere.  Es  reichte  hier  wieder  die  allge- 
meine Regel  hin,  das  besondere  gehörte  unter  die  Verba  primae  guttn- 
ralis.  —  Wie  der  Schüler  die  Änm.  unter  §9,1  verstehen  und  wozn 
sie  Oberhaupt,  wenn  sie  wirklich  verstanden  würde,  nützen  soll,  sehen 
wir  nicht  ein.  —  S.  22  II  sind  zwei  Fälle  über  das  quiescierende  M 
angegeben,  aber  nicht  gesagt  wenn  der  eine,  wenn  der  andere  eintritt. 
—  III  zeigt  eine  unnütze  Breite:  ^H  quiesciert  wie  &^  nur  am  Ende 
der  Silbe,  aber  nur  am  8nde  solcher  Silben,  die  zugleich  das  Wort 
flchlieszen.'  —  Wenn  IV  gesagt  wird,  dasz  i  sich  vor  Schwa  simplex 
in  ^  erweiche,  musz  man  freilich  QmiJl^l  als  Ausnahme  anführen;  die 
zweite  Ausnahme  gehört  aber  gar  liicht  zur  Regel,  denn  das  zwei  zn- 
sammengehörige  Begriffe  verbindende  ^  ist  ja  eben  kein  i,  steht  übri- 
gens nicht  vor  dem  Vor  ton,  wie  hier  gelehrt  wird,  sondern  vor  dem 
Tone,  im  Vortone. 

Auch  gegen  die  Fassung  von  3  a  und  b  hätten  wir  manches  ein- 
zuwenden, und  es  scheint  uns  als  hätte  dieser  §  9  über  die  litterae 
qniescibiles,  deren  Behandlung  in  der  Vorrede  ahi  ein  besonderes  Ver- 
dienst hervorgehoben  wird,  sich  wol  einfacher  darstellen  lassen;  an- 
zuerkennen ist  das  Bemühen  die  einzelnen  Fälle  zu  specificieren,  bei 
einer  neuen  Bearbeitung  wird  sich  auch  die  Vereinfachung  finden :  es 
läszt  sich  eben  nicht  alles  auf  den  ersten  Wurf  nach  allen  Seiten  hin 
vollendet  liefern  bei  einer  so  im  ganzen  wie  im  einzelnen  die  gröste 
Anstrengung  erfordernden  Arbeit.  Es  ist  viel  leichter  Aussetzungen 
zu  machen,  und  die  wir  machen  sollen  eben  nur  die  Sache  fördern; 
nicht  wollen  wir  damit  sagen  als  hätten  wir  eine  bessere  Grammatik 
liefern  können.  *—  Für  den  §  11  mit  seinem  Nachtrage  warten  wir 
wol  am  besten  die  zweite  Bearbeitung  ab,  wo  wir  dann  von  einem 


163  Nägelsbach:  hebräische  Grammatik. 

Einflasz  auch  an  dieser  Grammatik  noch  bewährt  habeu.  Doch  daria 
steht  sie  den  andern  vor,  dasa  sie  doch  schon  einaelne  Strahlen  ia 
die  Wolken  fallen  läszt,  and  hoffen  wir  dasz  sie  dieselben  noch  ler» 
streuen  wird. 

S.  39  durfte  nicht  gesagt  werden ,  das  Particip  sei  ^nur  eines  fOr 
alle  Zeiten',  denn  es  bezeichnet  gar  nicht  die  Zeit,  sondern  eineo  Zv* 
stand;  es  ist  aber  ausserdem  ein  grosser  Unterschied,  ob  es  von  Fiel 
oder  Pual  ist,  so  dasz  man  nicht  so  im  allgemeinen  sprechen  darf,  was 
nur  einzelne  trifft.  N.  3  ist  ziemlich  undeutlich  gesagt,  und  halteo  wir 
dafür,  es  sei  nicht  didaktisch  Unterschiede  in  den  Conjugationen  feslsa- 
stellen  ohne  Noth,  und  dasz  die  zwei  Grundformen  btyp^  und  bbf>  in  allaa 
Conjugationen  sich  halten  lassen.  —  §  20  wird  behauptet,  Affomaal 
sei  ^bequemer'  als  Afformativ ,  und  doch  hat  es  Hm  N.  Mühe  gemadil 
die  neue  sehr  unglücklich  gebildete  Form  bei  sich  selbst  dnrehsa- 
setzen ;  auf  nächster  Seite  liest  man  wieder  Afformative  und  Prifor- 
mative.  Uebrigens  ist  Bequemlichkeit  kein  Lob.  Die  Betrachtung  flbar 
die  Kindlichkeit  hebräischer  Sprache  konnte  wegbleiben  (sie  kehrt 
wieder  S.  204;  da  findet  sich  gar  *eiq  kindliches  nebeneinander');  sie 
erweckt  die  Meinung,  als  habe  man  in  ihr  infantes  Tor  sich!!  aad 
schlieszlich  hat  diese  Erscheinung ,  dasz  die  3e  Person  keine  Person* 
endung  hat,  nur  in  syntaktischer  Eigenthümlichkeit  ihren  Grand,  oder 
hat  die  2e  Person  Imperalivi  kein  Afformativ  auch  aus  kindlicher  Aaf- 
fassung?  Jede  Grammatik  musz  siqh  frei  halten  von  leerem  Gerede, 
das  doch  nichts  erklaren  kann.  So  ist  *^n  statt  "^a  wahrscheinlich 
durch  Altraction  der  zweiten  Person'  schief  ausgedrückt,  aber  sehr 
zu  loben,  dasz  beim  n  des  Fem.  111  Pers.  dabei  steht  ^Ungewissen  Ur- 
sprungs', dasz  die  morschen  Stützen  weggeworfen  sind,  dass  ehrlioh 
das  nichtwissen  eingestanden  wird.  Dagegen  genügt  die  Erkläraag 
A.  1  S.  44:  dasz  das  Fem.  von  Vt3]^,  ^\^^  hat  und  nicht  Sibt}]!),  nicht, 
denn  es  gibt  ja  im  Adjectiv  auch  solche  Formen;  hier  aber  erscheial 
sie  als  nicht  möglich,  was  auch  §  23  A.  1  c  wieder  behauptet  wird. 
Probatur  nimium.  —  §  22  *^  wird  um  einen  Grad' länger  (was  heisil 
das?)  mit  -7  gesprochen.'  —  §  23  ist  schon  syntaktisches  eiage* 
mischt,  und  wenn  der  Imperativ  ^aus. Mangel  an  Formen'  sieh 
durch  das  Imperfect  vertreten  lassen  soll  und  Mangel  ^das  nichtvor- 
handensein  einer  nöthigen  Vollkommenheit'  ist,  so  geschieht  ihm  Ua- 
recht,  deirn  die  Vollkommenheit  kann  er  nicht  beanspruchen  aach  eiaa 
erste  and  dritte  Person  haben  zu  wollen ,  wie  auch  das  in  seinem  We- 
sen liegt  nicht  mit  der  Negation  verbunden  sein  zu  können.  Wosa 
soll  es  überhaupt  dienen  von  Mangel  zu  sprechen,  ein  heruntersetaea 
der  Sprache,  die  gelernt  werden  soll.  So  wird  gleich  wieder  von  *fir- 
satz  der  fehlenden  Conjunctiv-  und  Optativformen'  gehandelt.  Kaaa 
denn  etwa  das  Hebräische  das,  was  andere  Sprachen  mit  diesen  er- 
reichen ,  nicht  ausdrücken  ?  —  §  24.  Das  fortrücken  des  Tones  im 
Perfect  nach  dem  Vav  conjuuctiyum  steht  bekanntlich  nur  fest  als  Spe- 
culation  der  alten  Grammatiker,  nicht  als  Tendenz  der  Sprache,  und 
dass  das  Fatnr  mit  1  ^entschiedene  Aoristbedeotaag'  habe,  kann  maa 


Nijpabbteh :  hebrftifdie  GttMlialik. .  161 

iei  eiBsiehtigen  sich  doch  eben  nur  als  solche  ankündigen.  So  dasz 
das  Cbirek  im  Fiel  der  Bedeutung  der  Form  entspreche ,  ist  eine  gani 
hibscK  klingende  Redensart,  die  aber  auch  weiter  nichts  ist;  bS3.ß  ist 
aoch  eine  Pielform.  Wir  wundern  uns  nicht,  dasz  dergleichen  ans  der 
Sehole  kleben  geblieben  ist,  wir  wundern  uns  eher,  dass  das  doch  ver- 
biltnismfiszig  wenig  der  Fall  ist,  und  glauben  daher  auch,  dergleichen 
werde  allmählich  ganz  verschwinden.  Solche  Bemerkungen,  dasz  Fiel 
ofkoicki  vorkomme,  sind  nicht  nöthig;  dasz  Fiel  das  ungebräuchli(;he 
Kai  ersetze  ist  falsch ,  and  führt  zu  der  Annahme ,  dasz  die  Formen 
gau  and  gar  keine  sichere  Bedentnqg  haben.  Wenn  das  Kai  unge- 
briocblieh  ist,  also  nicht  ist  (vielleicht  nie  gewesen  ist),  kann  man 
doch  auch  seine  Bedeutung  nicht  wissen ,  und  wenn  die  Lexica  darin 
eis  übriges  thun ,  so  braucht  der  Grammatiker  daraus  noch  keine  Re- 
gel sa  machen.  Nebenbei  sei  bemerkt,  dasz  auch  darin  Hr  N.  sieb 
eiiaicipiert  hat,  dasz  er  statt  des  monströsen  Qal  wieder  Kai  schreibt. 
Wir  wissen  ja  wol  dasz  b|^  mit  p  geschrieben  wird  und  dies  dem  Q. 
ntspricht,  aber  die  lateinische  Schrift  hat  doch  auch  gewisse  Rechte, 
md  leider  auch  in  solchen  Stücken  begegnet  man  jetzt  fiberall  dem 
lohjectiveu  Belieben.  Dies  eine  Kai  zeigt  schon ,  dasz  Hr  N.  nicht  in 
Ewaldsche  Theorien  und  Einfällen  verrennt  ist.  — In  §  19  ist  mit  Naoh- 
draok  hervorgehoben,  dasz  die  Formen  VtSjj  and  bb^7  nicht  nach 
der  Zeit  sich  unterscheiden  und  dies  weiter  ausgeführt.  Wie  freut 
MB  sieh  dergleichen  doch  einmal  gedruckt  zu  lesen.  Aber  .zweierlei 
verdirbt  ans  wieder  die  Freude:  erstens,  dasz  (und  das  ist  ein  durch- 
gehender  Fehler  in  den  ersten  §§)  nun  auch  gleich  alles  bis  in^s  kleine 
abgemacht  werden  soll,  was  späteren  Kapiteln,  hier  sogar  der  Syntax 
tn\  zaiiele,  wie  schon  das  Vav  conversivum  hier  vorgebracht  wird, 
ehe  nur  das  Paradigma  von  Katal  und  über  die  Aoristbedeutung 
des  Falars  etwas  zu  lesen  ist,  noch  vor  der  Formenlehre.  Zwei- 
tens, dasz  trotz  der  Einsicht  beim  eingehen  in  das  einzelne  die  nebel- 
haften Anschauungen  früherer  Grammatiker  den  Blick  trüben;  daher 
b*he&  wir  wieder  ein  Imperfect,  erfahren  wir,  dasz  das  Perfect  dem 
Ivdicativ,  das  Imperfect  dem  Conjuncliv  entspreche;  daher  nicht  die 
I^8Bien,  die  allein  die  Nebel  zerreiszen  können,  Abhar  und  Athidb,  her- 
gestellt sind.  Diese  Verbesserung  hat  endlich  in  seinem  Vocabular 
6*  Stier  aufgenommen.  Nun  vielleicht  dringen  sie  von  diesen  kleinen 
•^orangen  aus  wieder  in  die  gelehrten  Grammatiken ,  die  sich  von  der 
sllen  Ueberlieferung  zu  ihrem  Nachtheile  losgemacht  haben.  So  lange 
BQch  Perfect  und  Imperfect,  Modus  1  und  II,  Indicativ  und  Conjunctiv 
Qnd  überhaupt  die  Nomen  der  Tempora  und  Modi ,  so  lange  Genetive, 
^ssus  und  Nomen  regens  und  rectum  in  den  hebräischen  Grammatiken 
vorkommen,  so  lange  haben  wir  noch  keine  hebräische,  ans  der  Sprache 
selbst  nnd  nicht  nach  lateinischem  Schema  entwickelte  Grammatik.  Es 
"luas  doch  jeder,  der  Hebräisch  kennt,  einsehen,  dasz  die  Sprache 
''icbt  nach  unserer  Art  zu  reden  Tempora,  Modos,  Casus  hat;  man  darf 
*l8o  auch  nicht  aus  unsern  Sprachen  Bezeichnungen  in  sie  hinüber 
^^men,  die  falsche  VorstellnDgen  weoken  und  ihren  verwirrenden 


163  Nägelsbach :  hebräische  Grammatik. 

V 

Einflnsz  auch  an  dieser  Grammatik  noch  bewährt  habeu.  Doch  darii 
steht  sie  den  andern  vor,  dasz  sie  doch  schon  einzelne  Strahlea  ü 
die  Wolken  fallen  Uszt,  and  hoffen  wir  dasz  sie  dieselben  noch  Mr 
streuen  wird. 

S.  39  durfte  nicht  gesagt  werden ,  das  Particip  sei  ^nnr  eines  ftti 
alle  Zeiten',  denn  es  bezeichnet  gar  nicht  die  Zeit,  sondern  einen  Zi- 
atand;  es  ist  aber  auszerdem  ein  groszer  Unterschied,  ob  ea  von  Piii 
oder  Pual  ist,  so  dasz  man  nicht  so  im  allgemeinen  sprechen  darf,  wm 
nur  einzelne  trifft.  N.  3  ist  ziemlich  undeutlich  gesagt,  und  halten  wir 
dafär,  es  sei  nicht  didaktisch  Unterschiede  in  den  Conjugationen  featia- 
atellen  ohne  Nolb,  und  dasz  die  zwei  Grundformen  btyp^  und  bbp  in  allsi 
Conjugationen  sich  halten  lassen.  —  §  20  wird  behauptet,  AfforoMal 
sei  ^bequemer'  als  Afformativ,  und  doch  hat  es  Hm  N.  Mühe  genaeU 
die  neue  sehr  unglücklich  gebildete  Form  bei  sich  selbst  dnrehii- 
aetzen ;  auf  nächster  Seite  liest  man  wieder  Afformati?e  und  PräiW" 
native.  Uebrigens  ist  Bequemlichkeit  kein  Lob.  Die  Betrachtung  Abai 
die  Kindlichkeit  hebräischer  Sprache  konnte  wegbleiben  (sie  kehrl 
wieder  S.  204;  da  findet  sich  gar  *eiq  kindliches  nebeneinander'):  sii 
erweckt  die  Meinung,  als  habe  man  in  ihr  infantes  Tor  sich!!  od 
schlieszlich  hat  diese  Erscheinung,  dasz  die  3e  Person  keine  Perao» 
endung  hat,  nur  in  syntaktischer  Eigenthamlichkeit  ihren  Grand,  odai 
hat  die  2e  Person  Imperativi  kein  Afformativ  auch  aus  kindlicher  Aal 
fassung?  Jede  Grammatik  musz  siqh  frei  halten  von  leerem  Gerada 
das  doch  nichts  erklären  kann.  So  ist  *  ^n  statt  "^a  wahrscheinlie] 
durch  Altraction  der  zweiten  Person'  schief  ausgedrückt,  aber  sah 
zu  loben,  dasz  beim  n  des  Fem.  lll  Pers.  dabei  steht  ^ungewiasen  Ur 
Sprungs',  dasz  die  morschen  Stützen  weggeworfen  sind,  dasi  ehrliel 
das  nichtwissen  eingestanden  wird.    Dagegen  genügt  die  Erklirwi 

A.  1  S.  44:  dasz  das  Fem.  von  Vt^)^,  ^^Pl^  ^^^  °°^  "'^^^  ^^^T>i  *^^ 
denn  es  gibt  ja  im  Adjectiv  auch  solche  Formen;  hier  aber  eraohoii 
sie  als  nicht  möglich,  was  auch  §  23  A.  1  c  wieder  behauptet  wM 
Probatur  nimium.  —  §  22  *^  wird  um  einen  Grad' länger  (waa  haiai 
das?)  mit  -7  gesprochen.'  —  §  23  ist  schon  syntaktisches  einfi 
mischt,  und  wenn  der  Imperativ  ^aus.Mangel  an  Formen' aia 
durch  das  Imperfect  vertreten  lassen  soll  und  Mangel  ^daa  nichtroi 
handensein  einer  nöthigen  Vollkommenheit'  ist,  so  geschieht  ihm  Ui 
recht,  deirn  die  Vollkommenheit  kann  er  nicht  beanspruchen  aaok  eil 
erste  und  dritte  Person  haben  zu  wollen ,  wie  auch  das  in  seinem  Wi 
aen  liegt  nicht  mit  der  Negation  verbunden  sein  zu  können.  Wm 
«oll  es  überhaupt  dienen  von  Mangel  zu  sprechen ,  ein  heruntersetü 
der  Sprache,  die  gelernt  werden  soll.  So  wird  gleich  wieder  voo  *A 
aatz  der  fehlenden  Conjnnctiv-  und  Optativformen'  gehandelt.  Ktl 
denn  etwa  das  Hebräische  das,  was  andere  Sprachen  mit  dieaaa  «1 
reichen ,  nicht  ausdrücken  ?  —  §  24.  Das  fortrücken  des  Tonea  i 
Perfect  nach  dem  Vav  conjuuclivum  steht  bekanntlich  nur  fest  als  Sp 
culation  der  alten  Grammatiker,  nicht  als  Tendenz  der  Sprache,  w 
dasz  das  Futur  mit  1  ^entschiedene  Aoriatbedentoog'  habe,  kaim 


Nigeltbaoh:  hebräische  Grammatik.  163 

nr  bei  ginzlicher  Verkennang  der  Bedealnng  dieses  Vay  behanpieo. 
*— Zo  §  28  massen  wir  gestehen  keine  Form  zu  kennen,  wie  '!|'ia  in 
Verbea  mit  der  Media  Cheth.  Gefunden  habe  ich  nnr  ^nb  Es.  21 ,  18, 
WM  von  manchen  als  Pual  Impersonale  erklart  ist,  wird  aber  meist 
nod  richtiger  als  Substantiv  gefaszt:  probatio.  Das  ist  aber  die  ein- 
lige  mir  bekannte  Stelle,  wo  man  eine  Form  der  Art  annehmen  könnte. 
Geaenias  hat  in  seinem  Lexicon  jene  Form  als  Pual  anfgefahrt,  aber 
sebon  Winer  and  neuerdings  Fürst  haben  sie  als  Substantiv  anerkannt. 
—  In  §  29  sind  solche  Formen  wie  ^nbtDK  wie  Ausnahmen  hinge- 
itellt  von  nr|b\D,  während  doch  in  dieser  Form  das  Schwa  quiesciert, 
dort  aber  mobile  ist  und  daher  Chateph  haben  musz.  —  Den  Nutzen 
der  Eintbeilung  in  absolut  und  relativ  veränderlichen  Vocal  hier  ge- 
rade haben  wir  nicht  finden  können ;  eben  so  wenig  wie  die  Annahme 
ddr  Form  n^A  S  dO  für  ntin  uns  die  letztere  Form  erklart.  So  §  38 
br  aus  ;A'^.  Wir  haben  dies  schon  oben  erwöhnt.  —  Ueber  §  31 
haben  wir  uns  schon  oben  lobend  ausgesprochen,  dasselbe  mQssen  wir 
aber  %  32  thun ,  besonders  mit  Berücksichtigung  der  sein  sollenden 
Erkifirong  der  Verba  fit'b  bei  Ewald  und  Rödiger.  So  §  35.  Auch  §  33 
V.  i'b  ist  manches  schon  besser  als  in  andern  Büchern,  aber  ^^plSi 
ns  ^'nzJlSi  zu  erklären  ist  der  Natur  der  Spraehe  entgegen  und  zeigt 
loeh  die  Abhängigkeit  von  fremden  Vorurteilen ,  ebenso  wenn  §  34 
gesagt  wird:  Mn  Hiphil  entsteht  ans  n*^p^r]  ebensowol  wie  ans 
3^*^  n^p'^n';  beide  Formen  sind  ohne  Raison  fingiert  —  In  §  36 
wird  für  Di^^Sl  aus  D;i]:tn  auf  §  11,  4  B  b  a  zurückgewiesen,  dort  hie- 
bier,  aber  nirgend  erfährt  man,  wo  das  \  hingekommen  ist,  nur  wie 
III  7-  hat  ?  werden  köfinej). 

Wiederum* müssen  wir  §  40  entschieden  der  Auffassung  enlge- 
antreten,  als  wäre  die  Gestalt  einiger  AfTormativen  verändert,  um  die 
Aibligung  der  Suffixe  zu  erleichtern.  Wir  sind  hierbei  Irie  so  oft  in 
der  Lage  nicht  blos  gegen  Hrn  N.  zu  fechten,  ja  gerade,  wo  er  von 
deajaagsten  Grammatikern  abweicht,  stehen  wir  fast  immer  auf  seiner 
Seite.  Die  Suffixen  sind  so  alt,  dasz  sie  gerade  alte  Formen  festge- 
Mteo  haben.  Alle  Welt  sieht  in  &nK  eine  Abschwächnng  aus  D^n^i, 
n  Buste  also  die  älteste  Form  isinbap  heiszen ;  traten  daran  die 
Suffixe,  schwand  das  weiche  m,  wie  in  ü'^D^D,  *^p?D ,  wie  es  im  Latei- 
lisehen  elidiert  wird.  Das  deutsche  m  ist  viel  härter.  So  ist  *^nbup 
FtMiainalform,  wie  ja  N.  selbst  zugibt  §  13  A.  An  diese  älteste  Form' 
^■gle  sich  das  Suffix.  Später  fiel  dies  i  in  der  Aussprache  am  Ende  aus, 
iber  vor  dem  Suffix  konnte  es  nicht  weg;  wäre  das  i  nicht  schon  da- 
fiwesen,  so  hätte  ein  Bindevocal  eintreten  müssen.  Das  Feminin  rt^bb^ri 
Ittai  bedenke  dasz  I.  blos  Männer,  2.  Männer  und  Frauen,  3.  blos 
i^ranen  bezeichnen  kann ,  und  nur  für  diesen  dritten  Fall  kann  diese 
^ona  gebraucht  werden]  dagegen  ist  spätere  Bildung.  Die  Feminin- 
l^Üdongen  forderten  freilich  eine  eingehendere  Besprechung ,  aber 
^er  würden  wir  zu  sehr  von  unserer  Aufgabe  abweichen;  hier 
fcicbt  es  bin  anzudeuten,  wie  die  in  Rede  stehenden  Formen  zu 
i^bUren  aiod.     Im  einzelnen  gentigt  die  Erklärung  von  ^sbtjp  und 


164  NIgelsbach:  hebräische  Grammatik. 

**3nVt]7^  ans  wenigstens  nicht ,  die  wir  faszbare  Grfinde  Jlberall  ror- 
langeri. 

In  Kap.  III  ^vom  Nomen'  gehört  §  42,  2  in  die  Syntax,  anoh  riel 
von  4.    Da  haben  wir  auch  gleich  wieder  die  Bezeichnung  von  nomeu 
regens  und  rectum*,  die  das  richtige  Verständnis  des  stat.  constr.  nod 
absolutns  anmöglich  macht.    Wollte  man-  doch  nur  die  Formenbildang 
beachten,  so  mflste  man  doch  das  rechte  sehen.  —  Wer  §  43  die  Worte 
^ausser  im  Pentaleuch  nur  in  derPoäsie'  liest,  findet  hier  einen  Gegen- 
satz, und  doch  ist  in  der  einzigen  Stelle  Gen.  1 ,  24  das  in^n  nor  ge- 
schrieben, weil  Gott  der  Herr  redet,  also  eine  feierliche  Form. ga- 
braaeht,  wahrend  der  Mensch  Moses  im  nächsten  Verse  das  prosaisehe 
ri>in  setzt.  —  §  46  richten  sich  auch  noch  die  Suffixformen  je  nach- 
dem bald  nach  dem  stat.  constr.  bald  n.  d.  absol. ;  sie  müssen  wol  ein 
friedliches  Uebereinkommen  getroffen  haben.   Wäre  dieser  cimonisebe 
Friede  nicht  angenommen,  so  wären  die  Ausnahmen  und  lahmen  Recht- 
fertigungen in  der  Anm.  nicht  nöthig  gewesen.    In  den  Anmerkaogan 
zu  §  46  ist  mitunter  zu  verschiedenartiges  gemischt.    Es  ist  ein  Abel 
Ding,  aber  was  hilfts,  die  Sprache  ist  einmal  so  eigenwillig,  man  nasi 
eben  die  einzelnen  Täile  in  den  Declinationen  alle  aufführen  und  wenn 
noch  ein  paar  Seitenteil  werden  sollen.  —  §  60  S.  100  Anm.  S  steht 
ein  Citat;  man  hofft  da  einen  Beweis  für  das  gesagte  za  finden,  irrt 
sich  aber.  —  In  §  64  d  schlügen  wir  statt  der  zwei  ersten  Zeilen  vor: 
vor  der  Tonsilbe.  —  §  68  ist  das  MJ,   diese  schöne  Partikel, 
nicht  genau  erklärt.    §  69,  1  muste  poätischer  und  prosaischer  Ge- 
brauch unterschieden  werden.  —  In  §  60  wird  ein  Satz  wie :  *Es  gibt 
kein  Masculinum,  das  nicht  als  Femininum  oder  Nentrum,  nnd  kein 
Femininum,  das  nicht  als  Masculinum  oder  Neutrum  gedacht  und 
demgemäsz  geb  ra  ucht  werden  könnte'  den  lernenden  stutzig  naeben. 
Warum  also  nicht  voran  die  Bemerkung  gestellt ,  dasz  d^  Hebräer 
stets  nach  dem  >Sinne  fragt ,  dasz  bei  ihm  der  Sinn  stets  über  die 
Form  herscht,  dasz  aberall  also  xonror  tfvi/ecriv  construiert  wird,  daiz 
diese  Eigenthümlichkeit  gerade  specifisch  für'^s  Hebräische  ist,  dasz 
es  darin  über  das  Griechische  hinausgeht,  das  in  der  Art  iwbohen 
ihm  und  dem  Lateinischen  steht.    Mit  dieser  Eigenthümlichkeit  hängt 
auch  zusammen  die  Neignng  für  Abstractionen ,  die  so  hänfig  i.  B. 
Substantive  für  Adjective  setzt,  was  die  Herren  Grammatiker  gewöhn- 
lich als  einen  Mangel  darzustellen  belieben,  und  auch  in  der  Art  ateht 
das  Hebräische  weit  ab  vom  Latein ,  von  dem  es  sich  auch  an  meisten 
durch  seine  Satzverbindung  unterscheidet.    Daher  eine  Uebersetiang 
ins  Latein  so  schwierig  ist,  da  die  Sprachen  zu  fremdartig  sind.    Ob 
deshalb  im  preuszischen  Prüfungsreglement  die  Uebersetznng  ins  La- 
teinische gefordert  ist,  wissen  wir  nicht;  das  wissen  wir,  dasz  oft  bd 
Fehlern  die  Beurteilung  schwer  ist,  ob  Unkenntnis  des  Hebräischen,  ob 
Unbehilflichkeit  im  übersetzen  dieselben  erklären  soll.  —  Doch  wo 
gerathen  wii*  hin?   Es  mnsz  also  die  Grammatik  nachweisen ,  weshalb 
in  den  einzelnen  Fällen  abgewichen  ist.   Ein  zweites ,  was  hier  Un- 
klarheit bringt,  ist  das  Neutrum ,  was  fast  so  behandelt  ist  als  bitte 


Nägelsbaob:  bebriiscfae  Gratamalik.  165 

der  Hebräer  gewnst,  er  mOsse  eigentlich  auch  ein  Neotram  haben,  and 
nun  tappt  er  zwischen  Masc.  and  Fem.  im  Sin^.  und  Plar.  ziemlich  nn- 
aicher  herum.  Das  iiönnen  wir  nimmer  zugeben ,  das  Blindekubspiel 
wird  nur  von  den  Graanmatikem  getrieben;  an  sie  nusz  die  Anfor- 
derung gestellt  werden,  die  einzelnen  Falle  genau  zu  untersuchen  und 
nicht  in  Bausch  und  Bogen  abzumachen.  So  viel  wir  wissen,  würde 
eich  eine  Fern  finden  lassen;  aber  man  darf  nicht  lehren  wie  S.  113: 
die  9  P-  M-  Sing,  steht  im  Sinne  unseres  deutschen  ea,  denn  wenn  ea 
auch  an  sich  nicht  gerade  falsch  ist,  kommt  man  doch  auf  diesem 
Wege  nicbt  weiter ,  so  wenig  als  mit  *einem  neutral  gebrauchten  Fe- 
mininum'. 

Aus  Jos.  24,  2  folgt  nicht,  wie  hier  behauptet  wird  §  61,  3  A., 
dasz  Q*^^'^.  aus  einem  polytheistischen  Sprachgebrauche  herstammen 
mnsz,  sondern  nur,  dasz  sich  eben  von  einer  Pluralform  nicht  noch 
einmal  eine  neue  bilden  laszt.  Ebendaselbst  N.  4  hatten  Wiederholun- 
gen wie  tZTM  UTK  nicht  als  Plnrale  aufgeführt  werden  sollen,  jeder 
ist  doch  nicht  einfach  Plural.  —  Weil  der  statoa  oonstruotus  nicht  afai 
das  was  er  wirklich  ist  anfgefaszt'wird ,  musz  man  sich  §  63,  4  c  zo 
einer  Erklärung  durch  eine  ^confusio  duarnm  constructionum '  ver- 
atehen,  vnd  §  66  wieder  beweisen,  dasz  er  nicht  die  Bedeutung  des 
bloszen  Genetivs  haben  könne,  dann §66  lehren,  dasz  scheinbar  der 
Status  absolutus  für  den  construclus  stehe.  Wozu  soll  man  sich  auf 
den  Schein  einlassen ;  da  könnte  eine  Grammatik  noch  sehr  anschwellen, 
wenn  man  auf  alle  Möglichkeiten  eines  falschen  constrnierens  eingehen 
wollte.  Aber  durch  so  ein  ^scheinbar'  wird  der  lernende  unsicher 
gemacht.  Zuletzt  handelt  noch  ein  ganzer  §67  über  ^die  Umschreibung 
des  Genetivs'.  Eins  treibt  zum  andern :  weil  §  66  von  scheuibar  fal- 
schem Gebrauche  des  Substantivs  im  stat  abs.  die  Rede  iat,  kommt 
achliesziich  heraus,  dasz  das  Substantiv  ^Surrogat'  für  ein  Adjectiv  ist, 
ond  zugleich  wird  bewiesen,  dasz  es  ^starker'  als  ein  entsprechendes 
Adjectiv  ist.  Der  fühlbare  Mangel  an  Adjectiven  macht  nach  §  69 ,  3  a. 
die  Sprache  sogar  unlogisch.  So  weit  kommt  man,  wenn  man  eine 
fremde  Sprache  als  Maszstab  anlegt,  dann  ist  auch  Oceisus  Caesar 
egregium  facinus  videbatur  unlogisch.  In  dem  Abschnitt  vom  Nomen 
adjectivum  ist  der  erste  §  74  überschrieben  ^Ersatz  für^s  Adjectivum'? 
In  der  Lehre  von  dem  Artikel  entsprechen  §  71,  4  a  die  Beispiele  nicht 
der  Regel ,  denn  in  ihnen  ist  meist  das  vergleichende  p ,  uiid  bei  Ver- 
fleichungen  setzen  die  Hebräer  nicht  nach  der  angegebenen  Regel, 
sondern  deshalb  den  Artikel,  weil  sie  das  verglichene  als  bekannt 
voraussetzen.  Wenn  das  nicht  wäre,  nützte  ja  die  Vergleichung  nichts. 
Deshalb  dürfen  die  Deutschen  sich  immer  noch  anders  ausdrücken.  — 
In  §  72,  3  wird  gelehrt,  dasz  *der  bestimmende  und  erläuternde  Bfr- 
grilT  in  der  Regel  nachsteht',  ausgenommen  Ifb^ti.  Wie  kann  man  das 
erläutern,  was  man  noch  nicht  einmal  genannt  hat?  Die  Apposition 
steht  immer  nach,  aber  nicht  immer  ist  der  Titel  Apposition,  sondern 
der  Eigenname.  Einen  Deutschen  kann  das  doch  nicht  Wunder  neh- 
men. —  Warum  ist  §  74,  3  nicht  auch  rtn  und  besondecs  "iid^i  angi^ 


166  NIgelsbach:  hebrfiische  Grammatik. 

fahrt?  —  Welches  sind  §  74,  1  ^ansere  Sprachen'?  gehört  dasa  aadi 
das  Latein?  Ist  es  da  so  leicht  Substantiv  and  Adjectiv  tu  trennen? 
Es  liegt  übrigens  auch  hier  im  Ausdruck  ein  Tadel  des  Hebrfiischen, 
wie  es  S.  165  heiszt,  dasz  wir  an  feinere  syntaktische  Fügungen  ge- 
wöhnt sind,  wie  bereits  §  69  gesagt  war,  dasz  der  Unterschied  swi- 
achen  transitiv  und  intransitiv  noch  nicht  so  klar  fixiert  sei  ata  bei 
uns.  Ist  das  wirklich  wahr  ?  Und  wie  geht  es  zu ,  dasz  in  neaerer 
Zeit  die  Grammatiker  solche  Bemerkungen  lieben ;  findet  man  derglei- 
chen in  lateinischen  und  überhaupt  andern  Grammatiken?  Es  ist  hier 
nicht  oft  und  nicht  so  stark  wie  in  andern  dieser  Fehler,  aber  solcher 
Tadel  gehört  nicht  iu  die  Grammatik.  Wird  der  Naturhistoriker  beiai 
Sperling  als  Mangel  bezeichnen,  dasz  er  nicht  vier  Ffisze  hat,  and 
beim  Frosche,  dasz  ihm  die  Federn  fehlen?  Jede  Sprache  ist  eigeaU 
thümlich  und  ihre  Natur  musz  dargelegt  werden.  Wer  Sprachen  ver- 
gleicht, der  mag  eine  über  die  andere  setzen  nach  Belieben. 

In  §  75  ist  die  Erklärung  des  vergleichenden  yn  nnrichtig;  bVT| 
'^llsp^  fi^lSi  heiszt  einfach :  er  ist  grosz  vor  mir  oder  von  mir  am  ge- 
rechnet, also  ich  bin  gegen  ihn  klein,  folglich  ist  er  gröszer.  In  dar 
gegebenen  Erklärung  ist  ein  schwanken  von  plus  and  minus  and  dabei 
eine  ganz  willkürliche  Entscheidung  angenommen.  Widersprach  fer- 
ner in  sich  ist  ein  ^absolut  gesetzter  Comparativ'. 

In  §  76  konnten  die  seltenen  Ausnahmen  wol  angeführt  wer^ 
den  und  §  78  das  o  f  t  in  der  Anm.  wegbleiben.  Das  Object  lasseo 
nemlich  die  Hebräer  aus,  wenn  sich^s  von  selbst  versteht  und  keie 
besonderer  Nachdruck  die  Wiederholung  fordert,  wie  im  Lateiniaehea 
und  Griechischen.  —  Warum  nach  §  77,  2  ein  erklärendes -NoneB 
nach  dem  Verbalsuffix  weniger  auffällt  als  nach  dem  Nominalsnf&x,  ht- 
ben  wir  nicht  finden  können ,  und  was  hat  das  subjectiv  empfondene' 
auffallen  mit  den  Regeln  der  Grammatik  zu  than  ?  Solcher  Snbjeeti- 
vismus  zeigt  sich  noch  öfter  in  dem  wir  wie  S.  156  a  und ß;  *mm 
wenigsten  befremden  kann  es'  S.  172.  —  In  §  80  würden  wir  die  nota 
relationis  nicht' Adverbium  nennen. 

Wir  hatten  nicht  unsere  Freude  unterdrücken  können  über  die 
Auffassung  der  Tempora  in  §  19 ,  so  können  wir  denn  auch  hier  ab«r 
§  84  ff.  nicht  verschweigen ,  dasz  jene  richtige  Auffassang  hier  ohne 
grosze  Folgen  ist  und  die  Darstellung  der  Bedeutung  jener  Fornea  ia 
das  gewöhnliche  Geleise  wieder  einbiegt,  was  §  19  schon  befürchtea 
liesz.  Wir  können  hier  nicht  wiederholen,  was  wir  zo  Ewalde  Gran- 
matik  bemerkt  haben ,  wir  müsten,  um  unsere  Ansicht  darzulegen,  wie 
wir  sehen,  eine  eingehende  Abhandlung  schreiben,  was  wir  hier  niobt 
dürfen;  aber  darauf  wollen  wir  jeden  unbefangenen  hinweisen,  daai 
ein  Regelwerk,  wie  es  auch  hier  steht,  nimmermehr  den  bescheiden- 
aten  Ansprüchen  au  eine  Grammatik  entspricht;  wie  würde  man  eine 
lateinische  Grammatik  beurteilen,  die  für  dieselbe  Form  anf  6iner  Seite 
S.  156  alle  Zeiten  in  Anspruch  nähme?  Weil  man  nicht  die  zwei  For- 
men, welche  die  Sprache  so  scharf  geschieden  hat,  dasz  sie  gana  entge- 
gengesetzte Bildang  haben ,  auseinander  zu  halten  sich  die  Mühe  gibt. 


Nägel^bach:  hdirfiisdie  Graminatik.  167 

dadurch  hindert  man  sich  selbst  die  durchgehenden  Unterschiede  zn 
finden.    Ja  nachdem  wir  von  der  Aoristbedeutang   des  Perfects  and 
Futurs  gelesen  haben,   belehrt  sind  dasz  das  Vav  conversivum  ge- 
wisserroaseen  ein  augmenlnm  temporale  ist  S.  165,  finden  wir  S."166 
folgenden  Satz:  ^Selten  steht  Sl^i^l  für  '^tl*)],  womit  nicht  zu  verwech- 
seln ist  das  Si^Sni,  welches  nicht  im  aori'stischen  Sinne,  sondern  als 
Ausdruck  der  Vergangenheit  überhaupt  (kt.  Imperfect  oder  (!)  Perf.) 
steht/    Wir  wissen  nicht  mehr  was  Aorist  ist,  wenn  nicht  Vergan- 
genheit Oberhaupt  ohne  alle  besondere  Nebeobestimmungen.     Wie  wir 
aus  der  Grammatik  die  Bezeichnung  Aorist,  die  doch  immer  an  den 
griechischen  Aorist  erinnert,  was  anderes  kann  man  ja  gar  nicht  ver- 
stehen, —  wie  wir  diesen  griechischen  Aorist  wegwünschten,  so  die 
griechische  Note  S.  163,  so  überall  in  diesen  §§  die  griechischen  Er- 
klärungen ,  die  entweder  nichts  erklären  oder  den  Gesichtspunkt  ganz 
verrücken.  Müssen  wir  doch  rügen  dasz  das  erste  Verbum,  was  in 
der  heiligen  Schrift  vorkommt,  falsch  Obersetzt  ist  mit  iv  agxy  iTcolrj- 
üsv^  wenn  nemlich  das  M^i^  aoristiscbe  Bedeutung  haben  soll.    Denn 
wenn  der  Grieche  so  übersetzt,  so  braucht  er  eben  seine  Mittel  den 
gefundenen  Sinn  wiederzugeben,  wie  bei  uns  es  heiszt:  im  Anfang 
schuf;  aber  wenn  vorher  gesagt  wird,  es  sei  Aorist  und  dann  das 
griechische  Wort  noch  zugesetzt  wird,  ist  es  nicht  ein  Nolhbehclf  der 
Uebersetzung,  sondern  eine  grammatische  Erklärung,  und  gleich  darauf 
ß)  wird  das  zweite  Verb  Sin'^n  als  Imperfect  gefaszt.    Mit  welchem 
Rechte?    Ueber  ^ins  dächte  ich  müste  man  da  erschrecken,  entweder 
fiber  die  Sprache,  die  so  wirr  ist,  oder  über  die  eigene  Erklärung, 
die  solche  Sprachverwirrung  annimmt.    Die  Stellen,  die  noch  ange- 
führt sind.  Gen.  23,  19.  29,  9.  Jes.  6,  3,  haben  nichts  vom  griechischen 
Aorist  an  sich ,  sondern  wir  glauben  jeden  von  der  eigensten  Bedeu- 
tung des  Abhar  in  diesen  Stellen  überzeugen  zu  können.    Aber  um 
einmal  an  einem  Beispiele  zu  zeigen ,  wie  wichtig  genaue  Fassung  in 
der  Art  für  das  Verständnis  der  Bibel  selbst  ist,  wollen  wir  dies  K'n^ 
genauer  ansehen.    Wenn   Moses   nur  eine  Erzählung  machen  wollte, 
warum  setzte  er  nicht  ^das  aoristische  Imperfeclum'  mit  i  ?    Das  war 
doch  dann  eben  an  seinem  Orte,  vergleiche  mit  Jes.  6,  3  gleich  6,  1,  wo 
Baeh  der  Zeitangabe:    Im  Todesjahre   des    Königs  Usia    an- 
schlieszt  ^TK'1K1  da  sah  ich,  und  solcher  Stellen  gibt'^s  viel,  ja  es 
ist  die  Regel]    Warum  also  nicht,  wenn'^s  das  sein  sollte,  was  ge- 
wöhnlich daraus  gemacht  wird,  N'i^l'JT  D'^^ÖK'na  ?    Es  musz  doch  wol 
anders  sein.  Nicht  als  Erzählung,  sondern  als  eine  ausgemachte  Sache, 
die  allem  andern  zum  Grunde  liegt,  aus  der  alle  Entwicklung,  alle  Ge- 
schichte erst  folgt,  als  Dogma  steht  voran  die  Erschaffung  Himmels 
nnd  der  Erde.    Zweitens  liegt  Moses  daran  den  Urzustand  der  Erde 
als  chaotisch  darzustellen.  Endlich  ist  gleichzeitig  mit  jenem  Zustande 
des  erschalTenen  Stotfs  das  schweben  des  Geistes  Gottes,  dies  wird 
aber  als  ein  andauernder  Zustand  bezeichnet  (Particip).    So  haben 
wir  erst  die  Scene,  auf  der   das  folgende  geschieht.    Was  man 
Schöpfungsgeschichte  zu  benennen  beliebt,  ist  ja  nur  Entwicklungs- 

/V.  Jahrb.  f.  PhU,  u.  Paed.  Vd  LXXVIII.  ffß3,  12 


16S  Nägelsbach:  hebräische  Grammatik. 

geschichte  des  bereits  erschaffenen  Stoffes.    Man  hätte  daher  mehr  im 
Geiste  des  Hebräischen  die  beiden  Perfecle  als  Plusquamperfecta  auf- 
fassen können.    Geschafifen  wird  nnr  dreimal ,  zuerst  der  Stofif ,  die 
Materie,  die  sich  gleich  als  Himmel  und  Erde  unterscheidet;  aot  der- 
selben wird  gebildet  Licht,  die  Feste  des  Himmels  und  der  Erde,  Ge- 
wachse, Gestirne.    In  diesen  Bestand,  in  diesen  Stoff  hinein  tchnf 
Gott  von  neuem  (es  ist  also  nicht  dieselbe  Art  mit  der  Materie,  wie 
die  Materialisten  sich   vorstellen)  das   Leben,  das   lebendige, 
animal,  Tbier,  V.  2L    Zu  dritt  wird  geschaffen,  also  wieder  als 
specüisch  verschieden,  der  Mensch,  für  den  ja  das  alles  geschaffen 
ist,  und  bei  seiner  Erschaffung  wird  das  Wort  K*!!!  dreimal  ge- 
braucht V.  27  zum  Beweise,  um  wie  viel  wichtiger  die  Schöpfung  des 
Menschen  sei,  der  Gottes  Ebenbild  auf  Erden  trug ,  und  zweimal  steht 
es  im  Perfect;   die  beiden  Thatsachen  stehen   nemlich  fest   für  alle 
Ewigkeit,  dasz  Gott  den  Menschen  nach  seinem  Bilde  geschaffen  hat 
[es  ist  also  unchristlich  die  Menschen  ans  Affen  oder  Fröscbeo  (Ba- 
trachiern)  entwickelt  zu  wähnen,  die  Menschen  wie  Vieh  za  behan- 
deln ,  wie  ja  auch  bei   den  Hebräern  die  Fremden  und  Sklaven  nneh 
dem  Gesetze  sehr  mild  behandelt  wurden] ,  und  zweitens  dasi  Gott 
Mann  und  Weib  geschaffen,  dasz  also  das  Weib  nicht  insofern  unter 
dem  Manne  steht,  als  er  der  Gottheit  näher  verwandt  ist  (und  so  tritt 
h^er  die  Schrift  gleich  der  im  Oriente  so  herschenden  Knechtschaft 
der  Weiber  entgegen).    Man  wird  wenigstens  dem  Erzähler  nach  die- 
ser Erklärung  nicht  den  Vorwurf  eines  Darstellers  machen,  der  aich 
seiner  Absichten  und  Mittel  nicht  bewust  ist.    Aber  es  ist  arg,  wie  die 
Gelehrten  mit  den  Formen  umspringen.     So  sagt  Hnpfeld ,  um  einen 
namhaften  Gelehrten  der  Jetztzeit  anzuführen,  in  seinen  Psalmen  S.  9 
wörtlich:  Mn  ^T^n**  ist  das  Imperf.  zum  Ausdruck  des  Praesens 
gebraucht,  während  V.  L  dafür  (!!)  Perfecta  stehen.'    Es  ist  eben 
durchweg  noch  solche  Gleichstellung  im  Gebranch.    Und  doch  maeht 
der  Psalmist  in  dem  ersten  Verse  die  Gluckseligkeit  davon  abhfingig, 
nicht  dasz  man  jetzt  nicht  wandelt  in  gottloser  Leute  Rath,  sondern 
davon,  dasz  man  dies  nie  und  nimmer  gethau  hat.    Nur  einem  solchen, 
und  wo  ist  ein  solcher  zu  finden?  nur  ihm  ist  zugesagt  unendliche 
Glückseligkeit,  ein  Glück,  was  mit  ihm  gleichsam  verwachsen,  von. 
ihm  unzertrennlich  ist;  das  bedeutet  d'^&^l^  ^T4^  ""^  ^^®  Constrnction 
ist  gleich  'nn'^  ^K ,  und  nicht  ist  da:^  Substantiv  als  Surrogat  des  Ad- 
jectivs  anzusehen.    So  liegt  dem  Anfang  der  Genesis  und  der  Psal- 
men ein  tieferer  Sinn  zu  Grunde  als  man  gewöhnlich  annimmt,  nnd 
so  an  vielen  Stellen,  denen  eine  eingehende  grammatische  Erklirnng 
erst  ihren  wahren  Werth  noch  geben  wird. 

Bei  dem  Infinitiv  ist  nicht  viel  besonderes  zu  erinnern,  eis 
dasz  Infinitive,  die  Femininform  haben,  vgl.  §  95,  1  c,  wirklieh 
im  stat.  constr.  stehen,  weil  dann  der  Infinitiv  in  das  Substantiv 
Obergegangen  ist.  Nicht  will  uns  gefallen  der  Ausdruck  ^ohliqner 
Satz',  2.  nicht,  dasz  nnd  t^  133,  1  als  Prädicat  gefaszt  wird, 
dasz  von  einem  Prädicatsihfinitiv  als  einer  besondern  Art  gespro- 


NAgdUbach :  hebräische  Gramnalik.  169 

eheB  wird,  dasz  §  95  2  d,  a/  aa)  gar  ein  ablativischer  Infinitiv  auf- 
taucht. 

Das  Participium  soll  stehen  Mm  Sinne  unseres  Imperfect'  §  97, 
1  a,  damit  ist  aber  die  Bedeutung  desselben  nicht  erschöpft,  es  kann 
neben  jeder  Zeitangabe  stehen ;  in  den  angegebenen  Beispielen  schlieszt 
es  sich  an  eine  vergangene  Handlung  an  und  bezeichnet  einen  Umstand 
bei  der  Erzählung.  In  Anm.  2  möchte :  in  Apposition  steht  das  Particip 
ohne  Artikel  usw.  deutlicher  sein,  und  in  §  98  kann  das  aber  weg- 
fallen. Das  Particip  hat  natürlich  zwei  Constructionsweisen,  einmal  als 
Verb,  wie  das  Verb  also  mit  einem  Object,  dann  als  Adjectiv^  indem 
es  selbst  im  stat.  constr.  den  Gegenstand  seiner  Thätigkeit  in  den  stat. 
abs.  zu  sich  nimmt. 

In  §  99  würde  eine  Uebersetzung  der  Beispiele  dem  Schüler  zu- 
träglich sein;  in  §  100  sind  mehrere  gelehrte  Ausdrücke,  die  wir 
durch  einfachere  ersetzt  wünschten  zum  Vortheil  des  lernenden,  wie: 
es  scheint,  dasz  in  diesem  Falle  das  Passivum  den  Begriff  eines  Acti- 
vums  einschlieszt.  Es  ist  nichts  weiter  zu  erklären,  als  wie  die  Hebräer 
dazu  kommen,  beim  Passiv  das  Object  im  Accusativ  zuzusetzen.  Also 
man  sagt  richtig  ich  liebe  -—^  dich;  für  ich  liebe  kann  man 
sagen :  von  mir  wird  geliebt  —  dich,  und  so  kann  der  Hebräer 
sprechen,  eben  weil  er  nur  den  Sinn  der  Phrase,  nicht  die  Form  der- 
selben beachtet.  In  3.  4  A.  i.  2  überall  finden  wir  Unklarheit,  so 
wenn  es  heiszt,  ^dasz  im  Passivum  ein  ideelles  Transitivum  verborgen 
liege'  usw. 

Im  zweiten  Buche,  Syntax  des  Satzes,  müssen  wir  uns  nun  kurz 
fassen,  wir  müssen  zum  Ende  eilen.  §  102  hätte  das  letzte  wol  unter 
die  Bedeutung  des  fi^^ii,  nicht  der  Copula  gehört.  §  104  ist  die  letzte 
Zeile  ^nicht  nöthig'.  §  105  ist  die  Sache  einfacher  als  sie  hier  aus- 
sieht; wenn  D'^ir;'":;fit ,  Götter,  Richter ,  al&o  eine  Mehrheil  bezeichnet, 
nimmt  es  den  Plural  zu  sich.  Das  versteht  sich  eigentlich  von  selbst. 
N.  5  ist  bei  Rüdiger  bereits  erklärt,  N.  6  aber  findet  seine  Erklärung 
wieder  in  dem,  dasz  der  Hebräer  den  Sinn  vorhersehen  laszt.  Wo  sich 
das  zeigt,  konnte  einmal  zusammengestellt  werden.  N.  7  ist  nun  gar 
nichts  weiter  als  dasz  das  Pradicat  bei  mehreren  Subjeclen  zum  näch- 
sten gezogen  und  zu  den  übrigen  dann  ergänzt  wird.  Die  Stellen 
unter  A.  2  müssen  einzeln  erklärt  werden.  §  106  Imper.  Inf.  oder 
Part,  ist  nicht  mit  tkh  zu  verbinden,  aber  aus  verschiedenen  Gründen, 
die  angegeben  werden  konnten.  —  §  107  steht:  ^sei  es  dasz  es  un- 
bestimmt bleibt,  welche  Antwort  der  fragende  zu  bekommen  hat'  usw. 
Im  Begriff  der  Frage  liegt  es,  dasz  der  fragende  nicht  weisz  was  für 
eine  Antwort  er  erhält,  sonst  brauchte  er  ja  nicht  zu  fragen.  — 
Weiter  steht:  ^sehr  selten  und  nicht  ohne  besondere  Veranlassung 
steht  &fi^.'  Da  musz  diese  Veranlassung  gegeben  werden.  §  108,  1 
scheint  beim  Wunsche  ih  und  QK  gleichbedeutend  zu  sein,  was  nie 
der  Fall  ist,  und  wenn  es  Gesenius  an  manchen  Stellen  annimmt. 
§  112,  3  b  bedarf  nach  der  vorangehenden  Eintheilung  allerdings  einer 
Bemerkung.    §  113,  4  ist  der  Unterschied  nicht  nöthig;  aus  5:  4hre 

12' 


170  Nigelsbach:  hebräische  Grammatik. 

Stellung  hängt  von  Sinn  und  Wohlklang  ab '  lernt  man  nichts.  EnÜ^ 
lieh  ist  die  ganze  Ableitungslehre  in  die  Paradigmen  gebracht;  so  g^ 
schickt  dies  auch  ausgeführt  ist,  wünschten  wir  eine  Ausfabrang  ibo- 
lich  der  bei  Ködiger. 

Wir  sind  sehr  umständlich  gewesen  in  der  Beurteilnng,  wir  haben 
Tielerlei  getadelt,  aber  wir  haben  es  gethan,  weil  uns  die  Leistaag 
solchen  eingehens  werth  schien,  und  wir  glauben^sie  damit  genugsam 
zu  loben,  dasz  wir  den  Plan  eine  Grammatik  zu  schreiben,  den  wir 
seit  mehreren  Jahren  verfolgen ,  nach  dem  erscheinen  dieser  Gramoia- 
tik  aufgegeben  haben,  noch  dazu  weil  wir  hoffen,  dass  sie  noch  die 
von  uns  gewünschten  Verbesserungen  annehmen  werde ,  da  sie  ja  in 
der  Richtung  mit  uns  übereinstimmt.  Wir  sind  nicht  gewillt  Con- 
currenz  zu  machen,  zweifeln  auch  ob  wir^s  könnten,  und  wenn  nur 
das  rechte  geschieht,  durch  wen  gilt  ja  gleich.  Aber  das  vetsichern 
wir  und  daher  ist  auch  Form  und  Inhalt  dieser  Recensionen  zn  beur- 
teilen, dasz  es  uns  Gewissenssache  ist  den  Schlendrian  in  der  Erklä- 
rung der  Bibel  zu  stören  und  durch  richtige  Methode  den  vielen  Wirr- 
warr in  der  Auffassung  so  viel  wir  können  aufzulösen  und  das  wahre 
Verstöndnis  zu  fördern ,  damit  doch  endlich  die  Herren  Gelehrten  ein- 
sehen, welche  groszartige  Litteratur  sie  hier  vor  sich  haben,  dass  das 
Gefäsz  seines  Inhaltes  nicht  unwürdig  ist.  Ist  es  nicht  mitunter  Feind- 
schaft gegen  den  Inhalt  gewesen,  die  auch  das  Gefasz  misachten  liess. 
Unbeholfenheit  im  Ausdruck  da  fand,  wo  nur  von  Unbeholfenheit  in 
der  Erklärung  die  Rede  sein  kann?  Hoffen  wir  dasz  auch  dieses  Baek 
mehr  und  mehr  dazu  beitrage,  die  hebräische  Sprache  in  ihrem  wah- 
ren Lichte  leuchten  zu  lassen ! 

Quedlinburg.  Goszrau. 


(6.) 

Briefe  über  neuere  Erscheinungen  auf  dem  Gebiete  der 

deutschen  Philologie 

an  Herrn  Dr  S.,  Obericliror  am  Gjmnasiam  zn  B.  von  Dr  F.  Zacher, 
auBzer ordentlichem  Professor  der  deutschen  Sprache  und  Litteratnr  an 

der  Universität  zu  Halle. 

(Fortsetzung  von  S.  103  f.) 


4. 

Noch  einmal ,  verehrtester  Freund ,  sehe  ich  mich  zu  dem  nner- 
quicklichen  Geschäfte  genöthigt,  ein  Stück  aus  der  Vorrede  absii- 
schreiben. 

Herr  Holtzmann  fährt  fort  (Seite  17):  ^Vielleicht  scheint  es  hum- 
chem^  dasz  ich  gegen  einen  so  bedeutenden  Mann  u>ie  Lachmann  wmr^ 


Briefe  ühtt  neuere  ErscheinoDgeii  «nf  d.  6.  der  deateohen  Pkilol.  171 

zumal  nach  seinem  Tode^  die  schuldige  Rücksicht  verleM  habe^  tu- 
dem  ich  den  Widerspruch  Arochen  hinstelle^  ohne  ihn  mit  den  her- 
kömmlichen Lobeserhebungen  und  Ausrufungen  der  Bewunderung  ein-- 
zuhüllen.  Aber  ich  sehe  keinen  Grund  jetzt  zurückzuhalten^  was  ich 
viel  lieber  und  dann  viel  schärfer  dem  lebenden  gegenüber  ausge- 
sprochen haben  würde  ^  und  ich  gestehe  es  dasz  ich  bei  Lachmann^ 
dessen  Verdienste  meiner  Anerkennung  nicht  bedürfen^  einen  Ton 
herschend  finde  ^  der  mein  Gefühl  (um  auch  einmal  von  Gefühl  zu 
sprechen^  verletzt.  Wie  ein  unfehlbarer  aufzutreten^  in  geheimnis- 
vollen Winken  seine  Weisheit  errathen  zu  lassen  y  statt  der  Beweise 
Schmähungen  vorzubringen  ^  das  sollte  nie  und  nirgends ,  auch  dem 
grasten  Gelehrten  nicht  gestattet  sein;  und  dasz  es  unter  uns  rltög- 
lich  war^  einen  solchen  Ton  auch  nur  anzuschlagen  und  gar  Erfolge 
damit  zu  haben  j  das  gereicht  der  Bildung  unserer  gelehrten  WeU 
nicht  zur  Ehre? 

Die  zu  Anfang,  dieses  Absatzes  ausgesprochene  Besorgnis  ist 
höchst  seltsam.  Verletzt  man  die  einem  ansgezeichneten  Manne  schul- 
dige Rücksicht  denn  dadurch,  dasz  man  sich  ganz  frei  und  olfen  über 
und  sogar  gegen  ihn  erklärt?  Oder  ist  es  nicht  eben  der  Vorzag  des 
echten  Ruhmes  und  der  wahren  Grösze,  dasz  sie  keines  Flitters  be- 
dürfen und  selbst  die  schonungsloseste  Beleuchtung  ihrer  Mängel  und 
Gebrechen  vertragen  können?  Wie  mochte  der  Verfasser  auch  nur  ein 
Wort  an  solche  Schwachköpfe  verschwenden,  die  daran  Aergernis 
nehmen  würden?  —  Wol  aber  ist  andererseits  zu  fragen:  welches  ist 
die  schuldige  Rücksicht,  die  auch  der  unbedeutendste  von  jedem 
zu  fordern  hat,  der  öffentlich  über  sein  thun  zu  urteilen  sich  heraus- 
nimmt? Hat  er  nicht  vor  allen  Dingen  mit  Recht  zu  fordern,  dasz  der 
Beurteiler  den  ihm  zugänglichen  Thatbestand  und  Sachverhalt  sich  aus- 
reichend bekannt  gemacht  habe?  dasz  er  ihn  nicht  anders  darstelle  als 
er  wirklich  beschaffen  ist?  Und  wie  entspricht  des  Verfassers  Buch 
dieser  allerersten  und  allergerechtesten  Forderung,  der  unerläszlichsten 
schuldigen  Rücksicht?  Wir  haben  davon  schon  einiges  erfahren 
müssen ;  wir  werden  bald  noch  ernstere  Erfahrungen  zu  machen  haben. 

Wie  herlich  sticht  gegen  diesen  Anfang  der  Schluszsatz  ab,  den 
Sie,  Verehrtester  Freund,  gewis  so  vortrefflich  finden,  dasz  Sie  ihn 
gern  noch  einmal  in  seiner  buchstäblichen  Fassung  lesen.  So  beher- 
zigenswerlhe  Wahrheiten  können  nicht  oft  genug  wiederholt  werden. 
Dieser  Schluszsatz  lautete:  ^statt  der  Beweise  Schmähungen  vorzu- 
bringen ^  das  sollte  nie  und  nirgends^  auch  dem  grösten  Gelehrten 
nicht  gestattet  sein.'    Streichen  Sie  ihn  doppelt  an. 

^Wie  ein  unfehlbarer  aufzutreten^  in  geheimnisvollen  Winken 
seine  IVeisheit  errathen  zu  lassen ' . . .  mit  diesen  Worten  hat  der 
Verfasser  doch  wol  den  Eindruck  bezeichnen  wollen,  den  Lachmanns 
Schriften  auf  ihn  gemacht  haben.  Sie  scheinen  ihm  einigermaszen 
sibyllinisch  vorgekommen  zu  sein.  Das  läszt  sich  auch  vollkommen 
glaublich  und  begreiflich  finden.  Denn  sie  tragen  groszentheils  einen 
Charakter,   den  man  wol  am  richtigsten  einen  esoterischen  nennen 


t72  Briefe  Ober  neuere  Erscheinungen  anf  d.  G.  der  denfscben  Philol* 

kann.  Selbst  wer  schon  recht  leidliche  Vorkenntnisse  zu  ihrem  Sta-> 
diam  milbringt,  wird,  ohne  die  Beihülfe  mündlicher  Unterweisung«  nar 
durch  angestrengte  und  beharrliche  Arbeit  zu  ihrem  vollen  Verständ- 
nisse gelangen.  Nicbt  dasz  Lachmann  verwirrt  und  unklar  geschrieben 
hätte.  Im  Gegentheil !  alles  was  er  geschrieben  hat  ist  durchaus  klar, 
scharf  und  bestimmt.  Aber  er  hat  bei  weitem  nicbt  alles  hingeschrie- 
ben was  er  wüste.  Mit  der  knappsten  Kurze  sagt  er  jedesmal  nar  so- 
viel, als  eben  am  betrelTenden  Orte  gerade  nothwendig  ist.  Bald  gibt 
er  nur  das  Resultat,  ohne  die  oft  langwierige  Untersuchung  hinzuzu- 
fügen, aus  welcher  es  gewonnen  wurde,  bald  einen  gerade  hier  zur 
Anwendung  kommenden  Thcil  einer  Regel  oder  eines  Gesetzes,  deren 
anderer  Thüil  an  einer  weit  entfernten  Stelle,  vielleicht  sogar  in  einem 
anderen  Buche  zu  finden  ist.  Wer  aber  unverdrossen  Mühe  und  Arbeit 
nicht  scheut,  der  wird  aus  seinen  Schriften  einen  reichen  Schatz  der 
trefTlichsten  Belehrung  schöpfen,  wird  bald  erfahren,  wie  ungemein 
geistbildend  sie  wirken,  und  auch  bald  zu  der  Einsicht  und  Ueber- 
zeugung  kommen,  dasz  Lachmann  nie  etwas  geschrieben  hat,  worüber 
er  nicht  die  genauste  und  bestimmteste  Rechenschaft  zu  geben  wosle. 
Das  gilt  bis  auf  die  scheinbar  unbedeutendsten  Kleinigkeiten  herab, 
bis  auf  Wortkürzungen,  Elisionen,  Quantitalsschwankungen  und  wie 
alle  jene  Dinge  heiszcn,  die  ich  Ihnen,  als  einem  Kenner  der  klas- 
sischen Philologie,  nicht  herzuzählen  brauche. 

In  seinen  mündlichen  Vorlesungen  dagegen  verfuhr  Lachmann 
natürlich  mehr  cxoterisch.  Da  zeigte  er  die  Methode,  gab  die  Regeln 
und  Gesetze  im  Zusammenhange,  fügte  den  Resultaten  eine  Uebersieht 
der  sie  begründenden  Untersuchungen  bei  usw.  Wer  diesen  Vorlesun- 
gen mit  Aufmerksamkeit,  Fleisz  und  eigenem  Nachdenken  folgte,  der 
erlangte  nicht  nur  eine  klare  Vorstellung  von  den  Aufgaben  der  dent- 
sehen  Philologie,  sondern  auch  von  den  Wegen  und  Mitteln  zu  deren 
gedeihlichster  Lösung.  Die  ganze  Technik  der  Wissenschaft  nnd  die 
sicherste,  förderndsle  Methode  wurde  ihm  aufgeschlossen:  er  lernte, 
mit  einem  Worte,  wie  man  wissenschaftlich  arbeiten  und  forschen 
musz.  Nun  war  ihm  der  Weg  zu  dem  völligen  Verständnisse  der 
Lachmannschcn  Schriften  geebnet;  nun  war  er  in  den  Stand  gesetzt 
die  Aufstellungen  des  Meisters  nicht  nur  zu  begreifen,  sondern  anch 
selbständig  zu  prüfen,  und  der  Meister  verlangte  sogar,  dasz  er  niebts 
ohne  eigene  Prüfung  annehme. 

Das  ist  der  Charakter  von  Lachmanns  schriftstellerischer,  von 
Lachmanns  mündlicher  Lehrthätigkeit.  Sie  begreifen,  verehrtester 
Freund,  dasz  dcrjenig^e,  welcher  das  Glück  hatte  seinen  mündlichen 
Unterricht  zu  empfangen,  bedeutend  im  Vortheile  war  gegen  jenen, 
dem  nur  die  Schriften  zugänglich  blieben.  Ihm  wurde  es  viel  feichter 
die  Ansichteu  und  Lehren  des  Meisters  richtig  und  vollständig  za  er- 
fassen, sich  vor  Irthum  zu  bewahren  und  nach  seinen  Grundsätzen 
weiter  zu  arbeiten.  Daher  die  Erscheinung,  dasz  wol  kaum  einer  von 
Lachmanns  nahmhaflen  unmittelbaren  Schülern  sich  durch  K(errn 
Holtzmanns  Aufstellungen  hat  beirren  lassen. 


Mälb  ibeir  nenere  KrsobeinmigeD  auf  d.  G.  der  deotochea  PbiloL  1 7^ 

Ueber  Lachmanns  esoterische  Schriftstellerei  läszt  sich  manches 
för  und  wider  sagen.  Sie  geradehin  als  gemeingiltiges  Stilmnster  zu 
erklären  wäre  am  so  thörichter,  je  mehr  auf  sie  der  alle  Spruch  An- 
wendung findet:  Doctor  Luthers  Schuhe  sind  nicht  allen  Dorfpfarrern 
gerecht.  Aber  lernen  und  sehr  viel  lernen,  das  kann  jeder  an  ihr,  und 
ihre  segensreiche  erziehende  Kraft  wird  jeder  mit  Freuden  erfahren, 
der  sich  von  ihr  will  erziehen  lassen.  Sagt  je.nand,  Lachmann  wurde 
doch  in  viel  weitere  Kreise  hingewirkt  haben,  wenn  er  minder  eso- 
terisch geschrieben  hatte',  so  mag  das  nnbestritten  bleiben.  Aber  würde 
die  Wirkung  in  die  Breite  der  Wirkung  in  die  Tiefe  keinen  Eintrag 
gethan  haben?  Das  ist  eine  ganz  andere  und  unzweifelhaft  viel  wich- 
tigere Frage.  Auch  die  Grimmschen  Schriften  tragen  zum  groszen 
Theil  einen  esoterischen,  einen  exclusiven  Charakter,  wenn  gleich  in 
anderer  Art  als  die  Lachmannschen.  Die  Heldensage,  die  Mythologie, 
die  Kecbtsalterthümer  und  sogar  die  Grammatik  (um  der  übrigen  za 
geschweigen)  sind  doch  ursprünglich  offenbar  auch  nicht  für  einen 
groszen  Leserkreis  bestimmt.  —  Das  ist  ein  Umstand  von  der  folgen- 
reichsten Bedeutung. 

Da  Sie  auch  selbst  schon,  verehrtester  Freund,  auf  jenen  exclu- 
siveren  Charakter  angespielt  haben,  der  gerade  in  den  wichtigsten 
Werken  der  Häupter  der  deutschen  Philologie  zn  Tage  tritt  —  Vor- 
nehmheit der  deutschen  Philologen  hört  man  das  wol  auch  nennen  — , 
80  denke  ich  durch  diesen  kleinen  erläuternden  Abstecher  nicht  eben 
Ihr  Misfallen  zu  erregen. 

Jene  sogenannte  Vornehmheit  ist  keineswegs  eine  tadelnswerthe 
Laune,  sondern  vielmehr  aus  einer  recht  edlen  Wurzel  entsprungen. 
Indem  nemlich  die  eigentlichen  Gründer  der  deutschen  Philologie  neben- 
einander arbeiteten,  jeder  zwar  in  seiner  eigenthümlichen  Weise,  alle 
«her  demselben  Ziele  zustrebend,  einander  persönlich  befreundet,  ein- 
ander neidlos  ja  freudig  fördernd:  hatten  sie  auch  bei  denjenigen  For- 
schungen, die  sie  im  Drudie  erscheinen  lieszen,  immer  einander  gegen- 
seitig im  Auge.  Die  Forschung  selbst  mit  der  aus  ihr  erwachsenden 
Wahrheit  war  ihr  Zweck:  das  Bedürfnis  der  mitforschenden  Freunde 
war  ihr  Maszstab.  So  verdarben  sie  ihre  Zeit  weder  mit  Eifersüchte- 
leien und  Polemik,  noch  mit  Trivialitäten,  und  so  wurde  es  ihnen  mög- 
lich, die  neue  Wissenschaft  der  deutschen  Philologie  in  dem  kurzen 
Zeiträume  eines  Menschenalters  in  einem  solchen  Umfange  und  mit 
einer  solchen  Solidität  auszubauen,  dasz  der  tausendjährige  Palast  der 
klassischen  Philologie,  an  dem  so  manches  groszen  Meisters  Hand  sich 
verewigt  hat,  —  dasz  dieser  altehrwürdige  Palast  sich  der  Nachbar- 
schaft des  neben  ihm  aufgestiegenen  Neubaues  wahrlich  nicht  zu  schä- 
men hat. 

Der  mitforschenden ,  die  mit  den  groszen  Meistern  an  demselben 
Werke  arbeiteten,  waren  so  viele  eben  nicht.  Fast  alle  waren  sie 
einander  persönlich  bekannt  und  einander  in  Freundschaft  verbunden. 
Es  umhegte,  um  es  im  Bilde  auszudrücken,  ihren  Garten  zwar  keine 
Mauer  and  kein  Eisengitter,  aber  doch,  wie  wol  mit  einem  anf  das 


174  Briefe  über  neuere  Erscheinungeu  aaf  d.  6.  der  de«UelMA  EkileL 

Gedicht  vom  Rosengarten  anspielenden  ^Seherze  gesagt  wnrde,  ein 
Seidenfaden.  —  Und  die  jüngeren  nachwachsenden  Forscher ,  welehe 
fast  samtlich  unter  der  mündlichen  Anweisung  der  älteren  Meister  sich 
herangebildet  halten,  rechneten  es  sich  zur  Ehre,  wenn  auch  sie  nns 
gleichsam  innerhalb  dieses  Seidenfadens  Zutritt  erhielten.  Natürlich 
brachten  sie  eine  wol  begründete  Liebe  und  Pietät  gegen  ihre  Lehrer 
mit  in  diesen  Kreis  und  bekannten  sich  in  Worten  und  Werken  bu  den 
gleichen  Grundsätzen. 

Welches  aber  die  Grundsätze  wareu,  die  in  diesem  Kreise  hersch- 
ton,  das  hat  Lachmann  in  der  Vorrede  zum  Iwein  so  klar,  bündig  und 
schön  ausgesprochen,  dasz  ich  mir^s  nicht  versagen  kann,  jdie  wenigen 
Zeilen  herzusetzen. 

^Die  theilnehmende  menschliche  Auffassung  der  alten  Schrift- 
steller^ ein  anschauen  der  Bildung  und  des  gesamten  Lebens  ihrer 
Zeit^  das  vergegenwärtigen  der  Vergangenheit^  der  Umgang  mii  dem 
Aller thum  ^  für  den  deutschen  Gelehrten  ^  tceil  ihm  Egoismus  wider» 
natürlich  ist^  ebensowol  Bedürfnis  als  die  Hingebung  an  die  Gegi 
wart  und  bescheidenes  einwirken  auf  die  Zeitgenossen^  leitet 
Ernst  und  zur  Milde^  zum  Trost  und  zum  Aufschwung^  zur  Besonnen- 
heit und  Gewandtheit^  vor  allem  aber  zu  sorgfältiger  Treue ^ 
zum  Eifer  für  die  Wahr heit  und  wider  den  Sckein. 
Dahin  richtet  sich  unser  wol  bewustes  Streben^  und 
wenigstens  gefühlt  haben  als  das  seinige  musz  dies  wer 
sich  zu  uns  rechnen  will.  Wieviel  jeder  einzelne  wirklich  /et* 
Sien  kann^  darüber  haben  wir  nicht  zu  richten:  aber  nur  Wahr- 
haftigkeit und  sich  selbst  vergessende  strenge  Sorg- 
falt kann  uns  fördern.^ 

Das  waren  die  Grundsatze  der  Gründer  der  deutschen  Philologie 
und  insonderheit  die  Grundsätze  Lachmanns.  Und  dasz  aie  nieht  etwa 
blos  schöne  Redensarten  gewesen  und  geblieben  sind ,  sondern  data 
ihnen  die  That  durchaus  entsprochen  hat,  das  kann  jeder,  der  ehrlieh 
und  ^unbefangen  seine  Augen  brmichen  will,  in  Lachmanna  SchriftaB 
selbst  klärlich  und  deutlich  ersehen.  Ich. finde  auch  wol  in  eiien 
späteren  Briefe  noch  Gelegenheit,  es  Ihoen  an  der  Praxia  anfzaweiacB. 

In  welchem  Lichte  erscheinen  aber  nun  die  gerügte  ^Us^ehlbar^ 
heit"*  und  die  ^geheimnisvollen  Winke*  *l 

5. 

Auf  derselben  fünften  Seite  der  Vorrede  zum  Iwein  sagt  Leebf 
mann  weiter:  ....  ^Die  Nachwelt^  die  unser  mühselig  gewönne*- 
nes  schon  fertig  überliefert  empfängt^  wird^  weil  sie  unsere  DürfH^ 
heit  nicht  begreift .^  unsern  Fleisz  und  unsere  geistige  Am^ 
strengung  nicht  genug  ehren:  dafür  haben  wir  die  herzliche 
Lust  des  ersten  Erwerbes  voraus  gehabt.' 

Wie  bald  ist  diese  Weisz^sagung  in  Erfüllung  gegangen!  Kauai 
hat  der  Meister  die  Augen  geschlossen,  so  kann  es  sogar  schon  eineai 
akademischen  Lehrer  der  deutschen  Philologie  begegnen,  daas  er  an 


f 

Mifb  flbe^  fliDiiere  Ers^dicanimgea  auf  d.O.  der  denUchea  KUblJ  175 

m 

den  Mitteln  irre  wird,  denen  einer  der  Hanplgrflnder  der  deateehen 
Philologie  seine  groszen  Erfolge  verdankte. 

Aber  was  ist  es  denn ,  was  den  Herrn  Verfasser  so  sehr  rerietsl 
hat?  —  Der  in  Lachmanns  Schriften  herschende  Ton! 

Läszt  sich  wol  wissen,  was  in  Sachen  des  Tones  rechtens  ist,  nm 
darnach  bemessen  zu  können,  wie  weit  der  beschuldigte  vom  Gesetze 
abgewichen  sei? 

Wir  pflegen  mit  bewnstem  Stolze  zn  behaupten,  dasz  in  Dingen 
der  Kritik  niemand  über  den  Deafschcn  nnd  unter  den  Deutschen  nie- 
mand über  Lessing  stehe.  Einmütig  wird  er  einheimischen  wie  frem> 
den  als  Muster  eines  Kritikers  vorgehalten.  Sehen  wir  doch  einmal 
zn,  wie  das  Grundgesetz  des  Tones  bei  diesem  Altmeister  lautet!  Wir 
finden  es  bekanntlich  im  57n  antiquarischen  Briefe  klar  nnd  bestimmt 
folgendermaszen  ausgesprochen : 

^Jeder  Tadel,  Jeder  Spott^  den  der  Kunstrichter  mit  dem 
kritisierten  Buche  in  der  Htnd  gut  machen  kann^  ist  dem 
Kunstrichter  erlaubt.  Auch  kann  ihm  niemand  vorschreiben^  wie 
sanft  oder  toie  hart ,  wie  lieblich  oder  wie  bitler  er  die  Ausdrucke 
eines  solchen  Tadels  oder  Spottes  wählen  soll.  Er  musz  wissen^  welche 
Wirkungen  er  damit  hervorbringen  will^  und  es  ist  nolhwendig  dasz 
er  seine  Worte  nach  dieser  Wirkung  abwäget,^ 

*Aber  sobald  der  Kunstrichter  verräth ,  dasz  er  von  seinem  Au- 
tor mehr  weisz  als  ihm  die  Schriften  desselben  sagen  können ,  sobald 
er  sich  aus  dieser  nähern  Kenntnis  des  geringsten  nachtheiligen  Zu- 
ges wider  ihn  bedient:  sogleich  Wird  sein  Tadel  persönliche  Betei-- 
digung.  Er  hört  auf  Kunstrfchler  zu  sein  und  wird  —  das  verde ht* 
lichste^  was  ein  vernünftiges  Geschöpf  werden  kann  —  Klätscher^ 
Anschwärier^  Pasquillant^ 

^Diese  Bestimmung  unerlaubter  Persönlichkeiten 
und  eines  erlaubten  Tadels  ist  ohnstreitig  die  wahr^j 
und  nach  ihr  verlange  ich  auf  das  strengste  gerichtet  zu  sein!*   . 

Jene  Rüge  des  Tones  gieng  deutlich  zur  einen  Hälfte  auf  Lach- 
manns eigene  schriftstellerische  Erzeugnisse:  nnd  zu  erklären  wie  es 
um  die  sogenannte  ^Unfehlbarkeit'  und  die  ^geheimnisvollen  Winke* 
beschaffen  sei,  schien  nicht  sowol  der  Rüge  gegenüber  erforderlich  als 
für  die  Sache  selbst  ersprieslich. 

Die  andere  Hälft-e  der  Rüge  aber  bezieht  sich  eben  so  deutlich 
avf  die  Urteile  Lachmanns  über  die  Leistungen  dritter.  Und  wie  be- 
liebt es  dem  Herrn  Verfasser  diese  zu  nennen?  ^Schmähungen!* 

....  ^Ich  selbst  kanfi  mir  keine  angenehmere  Beschäftigung 
machen  als  die  Namen  berühmter  Männer  zu  mustern^  ihr  Recht  auf 
die  Ewigkeit  zu  untersuchen^  unverdiente  Flecken  ihnen  abzuwischen^ 
die  falsclien  Verkleisterungen  ihrer  Schwächen  aufzulösen^  kurz  alles 
das  im  moralisclien  Verstände  zu  thun^  was  derjenige^  dem  die  Auf-r 
sieht  über  einen  Bildersaal  anvertraut  ist,  pliysisch  verrichtet* 

*Ein  solcher  wird  gemeiniglich  unter  der- 31  enge  einige  Schill 
dereien  haben ,   die  er  so  vorzüglich  liebt  dasz  er  nicht  gern  ein 


176  Briefe  fiber  neoere  Erscheinungen  auf  d.  6.  der  deatsehea  PliiieL 

Sonnenstäubchen  darauf  sitzen  läszi.  Ich  bleibe  also  in  der  Ver- 
gleichung  und  sage^  dasz  auch  ich  einige  grosze  Geister  so  verehre^ 
dasz  mit  meinem  Willen  nicht  die  allergeringste  Verleumdung  auf 
ihnen  haften  soll.' 

Nun  Sie  kennen  ja ,  verehrlester  Freund ,  die  herlichen  Lesaing- 
schen  Sätze  zu  Anfange  seiner  ^Rettungen',  und  sie  sind  Ilinen  hier 
eben  so  gut  unwillkürlich  eingefallen  als  mir.  Lachmann  freilich  be- 
darf meiner  nicht  zur  Rettung  seiner  £hre,  bedarf  überhaupt  keiner 
^Rettung'.  Ich  aber  bedurfte  des,  mich  nachdrücklich  gegen  Sie  ans- 
zusprechen ,  dergleichen  Beschuldigungen  auf  das  entschiedenste  sa- 
rfickzuweisen.  Denn  welcher  Mensch,  der  auch  nur  einen  Funken  vob 
Pietät  im  Herzen  hat,  kann  es  geduldig  hinnehmen,  dasz  ihm  das  Bild 
seines  verdienten  Lehrers  mutwillig  verunglimpft  wird? 

Ich  wünschte  von  ganzem  Herzen,  dasz  ich  den  Verfasser  hier 
misverstanden  hätte;  allein  wir  werden  noch  üblere  VerunglimpfuDg 
im  Verlauf  des  Buches  anzumerkA  finden.  Mutwillig  aber  bleibt  die 
Verunglimpfung,  so  lange  ihr  der  Beweis  gebricht,  und  dieseo  so 
liefern  hat  der  Herr  Verfasser  weder  hier  sich  herbeigelassen,  noch 
habe  ich  ihn  sonst  wo  in  seinem  Buche  antrelTen  können. 

Eine  so  schwere  Beschuldigung  bedarf  aber  eines  Beweises,  ood 
es  musz  dem  Herrn  Verfasser  zur  Begründung  derselben  eine  stattliche 
Reihe  von  Belegstellen  aus  Lachmanns  Schriften  zu  Gebote  stehen. 
Wohlan  denn !  er  zeige  uns  diese  Belegstellen,  er  zähle  das  ganze  Re- 
gister derselben  auf:  und  ich  mache  mich  anheischig  zu  erweisen,  dasi 
auch  nicht  eine  einzige  Stelle  darunter  sein  wird,  die  nicht  dem  oben 
angeführten  Lessingschen  Kanon  die  strengste  Genüge  leistete.  Es 
wird  sich  dann  zeigen  dasz  höchstens  nur  ein  einziges  Bedenken  für 
sanfte  Seelen  übrig  bleibt,  das  Bedenken,  ob  nicht  Lachmann  mitunter 
etwas  zu  herbe  sich  ausgedrückt  habe.  Und  auf  dies  Bedenken  kann 
ich  gleich  hier  die  Entgegnung  vorweg  nehmen  mit  Leasings  Antworl 
in  seinem  weltberühmten  letzton  antiquarischen  Briefe ,  mit  jener  Ant- 
wort, die  vor  nahezu  hundert  Jahren  so  geschrieben  wurde,  als  wire 
sie  genau  für  unseren  hier  vorliegenden  Fall  vcrfaszt,  als  wire  sie 
gerade  eben  für  Lachmann  wider  des  Herrn  Verfassers  Beschuldigun- 
gen bestimmt  worden. 

....  ^Kurz ,  von  allen  diesen  Vortoürfen  bleibt  nichts  als  AöcA- 
stens  der  Skrupel^  ob  es  nicht  besser  gewesen  ujärCj  etwas  sauber^ 
l icher  mit  dem  Herrn  Klotz  zu  verfahren?   Die  Höflichkeit  sei  doch 
eine  so  artige  Sache  — ' 
^        ^Gewis!  denn  sie  ist  eine  so  kleine!' 

^Aber  so  artig  wie  man  will:  die  Höflichkeit  ist  keine  Pflicht^ 
und  nicht  höflich  sein  ist  noch  lange  nicht  grob  sein.  Hingegen  %um 
besten  der  mehrern  freimütig  sein  ist  Pflicht^  sogar 
es  mit  Gefahr  setn,  darüber  für  ungesittet  und  bösar- 
tig gehallen  zuwerden^  ist  Pflicht.' 

Ja,  wäre  es'denn  überhaupt  zu  bedauern,  wenn  zu  den  unmit- 
telbar folgenden  Worten  Leasings  sich  Beispiele  aus  den  Lachmann- 


Briefe'  ftbeir  neuere  Erscheinmi^if  nf  d.  6.  der  dentschea  PliiroL'  177 

sehen  Werken  beibringen  lieszen?  zn  jenen  mit  Recht  gefeierten 
SäUen : 

*  Wenn  ich  KunstrichUr  wäre^  wenn  ich  mir  getraute  das  Kunst* 
richterschild  aushängen  zu  können:  so  würde  meine  Tonleiter  diese 
sein.  Gelinde  und  schmeichelnd  gegen  den  Anfänger;  mit  ßewun-' 
derung  zweifelnd ^  mit  Zweifel  bewundernd  gegen  den  Meister;  ab^ 
schreckend  und  positiv  gegen  den  Stümper;  höhnisch  gegen  den  Prah- 
ler und  so  bitter  als  möglich  gegen  den  Cabalenmacher.' 

^Der  Kunstrichter ^  der  gegen  alle  nur  Ünen  Ton  hat^  hätte  bes- 
ser  gar  keinen.  Und  besonders  der^  der  gegen  alle  nur  höflich  isi^ 
ist  im  Grunde  gegen  die  er  höflich  sein  könnte  grob.* 

Weiter  bemerkt  der  Herr  Verfasser  in  der  Vorrede,  dasz  ihm  die 
Darlegung  seiner  neuen  Ansicht  über  das  Nibelungenlied  in  doppelter 
Beziehung  erschwert  sei.  Sie  steh^  nemlich  in  engem  Bezüge  einer- 
seits zu  einer  ebenfalls  neuen  Ansicht  Über  das  Wesen  und  die  Ent- 
wicklung des  Epos,  andererseits  zu  einer  neuen  Auffassung  des  Ver- 
hältnisses der  Germanen  zu  den  Kelten ,  welche  beide  im  Rahmen  die- 
ses Buches  nicht  ihre  genugende  Entwicklung  finden  könnten.  Ueber 
die  Stellung  der  Germanen  zu  den  Kelten  hat  er  seitdem  eine  beson- 
dere Schrift  veröffentlicht,  und  da  diese  Frage  mir  zn  fern  liegt,  als 
dasz  ich  mir  über  sie  ein  Urteil  anmaszen  möchte,  musz  ich  mich 
darauf  beschränken,  Sie  auf  diese  besondere  Schrift  und  die  darauf 
erfolgten  Entgegnungen  anderer  zu  verweisen.  Auf  das  Epos  komme 
ich  wol  in  einem  späteren  Briefe  noch  mit  einigen  Worten  zurück. 

Die  Vorrede  schlieszt  mit  der  Hoffnung,  dasz  des  Verfassers  Buch 
zn  weiteren  Forschungen  anregen  und  daraus  ein  Gewinn  für  die  Kritik 
und  das  Verständnis  des  Nibelungenliedes  erwachsen  werde. 

Nun  höre  ich  Sie,  verehrtester  Freund,  besorglich  aufathmen.  — 
Acht  Seiten  der  VorstUcke  sind  erst  besprochen,  und  dazu  ist  soviel 
Raum  verbraucht:  wie  endlos  wird  die  Besprechung  der  noch  übrigen 
200  Seiten  des  Buches  anschwellen!  —  War  es  also  -zu  viel  gesagt, 
wenn  ich  die  Kritik  dieses  Buches  eine  Aufgabe  für  einen  Lessing 
nannte  ? 

Dennoch  verholTe  ich  Ihre  Geduld  nich^  über  Gebühr  anzuspan- 
nen, weil  ein  ziemlich  umfänglicher  Theil  des  Buches  ohne  irgend- 
welche Beeinträchtigung  der  Sache  und  der  Gerechtigkeit  ganz  unbe- 
sprochen  bleiben  kann,  ja  nnbesprochen  bleiben  musz.  Es  läszt  sich 
nemlich  der  gesamte  Inhalt  des  Buches  füglich  unter  folgende  Fragen 
erschöpfend  begreifen:  1)  Wie  verhält  sich  der  Verfasser  gegenüber 
den  Thatsachen?  Berichtet  er  treu  und  wahrheitsgemäsz  ?  oder  wenn 
nicht, —  wie  sind  die  Abweichungen  besdhafTen  und  welches  ist  der 
wirkliche  Sachverhalt?  2)  Welches  sind  die  Hauptsätze  der  neuen 
Lehre  des  Verfassers  und  in  welcher  Ordnung  entwickelt  er  sie?  3) 
Wie  begründet  der  Verfasser  seine  Sätze  und  wie  erprobt  er  deren  Wahr- 
heit durch  Anwendung  auf  die  Einzelheiten  ^es  rorliegenden  Stoflfes? 


178  Briefe  Qbet  neuere  Ersoheinungen  auf  d.  Gi  der  denlseliaii  PMIoL 

Aaf  alle  Einzelheiten  der  ersten  nnd  dritten  Frage,  selbst  in  eineai 
besonderen  Buche,  einzugehen,  wäre  ein  durchaus  verfehltes  beginnen. 
Wem  hier  eioe  massige  Auswahl  charakteristischer  Beispiele  nicht  ge- 
nügt, für  den  würde  auch  eine  Besprechung  aller  einzelnen  Punkte 
gänzlich  unnütz  bleiben.  Ueberdies  kommt  hierbei  fortwährend  so 
viel  fach  wissenschaftliches  nnd  technisches  in  Betracht,  dasz  nur  der 
Kenner  dem  ganzen  Verlaufe  wirklich  folgen  kann,  und  der  bedarf 
nicht  eines  solchen  Commentars  von  der  Hand  eines  dritten,  oder 
sollte  dessen  doch  wenigstens  nicht  bedürfen.  Deshalb  meine  ich  für 
das  folgende  mich  mit  gutem  Fuge  auf  die  Erwägung  des  principiellen 
und  auf  einige  zur  Veranschauiichung  und  zum  Belege  dienende  Bei- 
spiele beschränken  zu.  dürfen. 

6. 

Im  ersten  Abschnitte  seines  Buches  handelt  Herr  Holtzmann  von 
den  Handschriften  des  Nibelungenliedes. 

Sie  wissen  im  allgemeinen,  verehrtester  Freund,  dasz  der  Streit 
sich  wesentlich  um  drei  Handschriften  dreht,  die  im  kritischen  Ge- 
brauche mit  der  von  Lachmann  eingeführten  Bezeichnung  ABC  be- 
nannt werden.  Da  ich  jedoch  nicht  erwarten  kann,  dasz  Ihnen  ge- 
naueres über  diese  Handschriften  und  deren  Geschichte  bekannt  sei, 
auch  Herr  Holtzmann  so  gut  wie  nichts  davon  erzählt,  will  ich  hier 
in  gedrängtem  zusammenhängendem  Berichte  wenigstens  soviel  voraus- 
schicken, als  für  das  Verständnis  der  Sache  unentbehrlich  ist. 

Vor  nun  gerade  hundert  Jahren  ward  zuerst  ein  längeres  zusam- 
menhängendes Stück  des  fast  verschollenen  Nibelungenliedes  durch 
den  Druck  bekannt  gemacht,  indem  Bodmer  aus  der  damals  noch  anf 
dem  Schlosse  Hohenems  (im  jetzt  österreichischen  Vorarlberg  unfern 
des  Bodensees)  befindlichen  Handschrift  C  die  kürzere  zweite  Hilfle 
des  Gedichtes  (von  Str.  1582,  4  der  Lachmannschen  Ausgabe  an)  nebst 
der  ^Klage'  unter  dem  Titel  ^Chriemhilden  Rache'  usw.  im  Jahre  1767 
itt  Zürich  veröffentlichte.  Einige  zwanzig  Jahre  später  wagte  sieh 
der  Professor  Christoph  Heinrich  Myller  in  Berlin  zuerst  an  die  Herans- 
gabe des  ganzen  Gedichtes.  Er  erhielt  dazu  eine  Abschrift  der  länge- 
ren ersten  Hälfte  durch  Bodmer ,  wie  er  vermeinte  und  auch  am  Schlüsse 
des  Abdruckes  sagte,  aus  derselben  hohenemser  Handschrift  C  Allein 
der  Zufall  hatte  es  so  gefügt,  dasz  man  im  Jahre  1779  auf  Hohenems 
die  Handschrift  C  gerade  nicht  zur  Hand  gehabt  und  deshalb  die  an- 
dere Handschrift  A  zur  Ergänzung  des  vorderen  Theiles  an  Bodmer 
gegeben  hatte.  Sonach  bestand  der  im  September  1782  vollendete  nnd 
in  seiner  ^Sammlung  deutscher  Gedichte  aus  dem  XII.,  XIII.  und  XIV. 
Jahrhundert'  erschienene  Myllersche  Druck  des  Nibdi4Pgenliedes  aus 
^wei  ihrer  Quelle  nach  durchaus  verschiedenen  Hälften,  was  aber  eben, 
wie  schon  gesagt,  der  Herausgeber  selbst  nicht  wusle  und  auch  die 
gelehrten  Benutzer  seines  Druckes  nicht  alsbald  gewahr  wurden.  Da 
nun  Bodmer  wie  Myller  irgendwelche  Correctur  oder  anderweite  Aen- 
derung  des  Textes  weder  beabsichtigten  noch  überhaupt  vermochten, 


Briefe  iber  neuere  Erscheinan^en  aaf  d.  G.  der  deatsehen  PlnloL  1 79 

ist  diese  Myllerscbe  Aasgabe  (abgesehen  von  den  etwa  eingeschliehe- 
nen  Schreib-  und  Druckfehlern)  bis  Vers  6304  ==  Lachm.  Str.  Id82,  3 
ein  buchslahlicher  Abdruck  der  Handschrift  A^  und  ebenso  von  da  ab 
bis  zu  Ende  ein  buchstäblicher  Abdruck  der  Handschrift  C,  Wollen 
wir  also  vorkommenden  Falls  uns  überzeugen,"  wie  der  Text  von  A 
lautet,  so  brauchen  wir  bis  Vers  6304  oder  Str.  1582,  3  nur  denMyllef^ 
sehen  Druck  nachzusehen. 

In  diesem  beschrankten  und  verwirrten  Zustande  verblieb  die 
Kenntnis  der  urkundlichen  Ueberlieferung  des  Nibelungenliedes ,  bis 
Herr  von  der  Hagen  ihm  seine  verdienstliche  und  fdr  die  Förderung 
des  Materials  unermüdliche  Forschung  zuwendete.  Seine  erste  Ant- 
gabe  des  Textes  erschien  1810  und  Jacob  Grimm  mnste  über  sie  noch 
folgendermaszen  urteilen  (altdeutsche  Wälder,  Frankf.  1815,  Tb.  II 
S.  146  f.) : 

^Es  behälty  fcie  die  Sacken  dermalen  stehen^  die  Myllersche  Au$- 
gäbe  dennoch  den  meisten  Werth;  sie  liefert  zwar  zweierlei  Texi^ 
jeden  aber  rein  für  sich^  Schreib-  und  Druckfehler  abgerechnet^  so 
wie  die  unterlassene  Strophenabsetzung.  Die  neueste  durch  tmi  der 
Hagen  1810  besorgte  Ausgabe  y  obgleich  eine  unvergleichbar  mühstp- 
mere^  gelehrtere  Arbeit^  deren  Werth  ich  anfangs  bei  mir  selbst  viel 
höher  anschlug^  mengt  allerlei  Lesarten  nach  bekannt  getoesenen 
groszen  und  kleinen  Stücken  verschiedener  Texte  unter  einander 
und  schwärzt  eigene  kritische  Verbesserungen  ein.  Dieser  Heraus 
geber  hatte  nemlich  auszer  der  münchener  (zwar  wichtigen^  doch 
unter  den  übrigen  geringsten}  Handschrift  [D]  nichts  mit  eigenen 
Augen  gesehen^  aus  der  St  Gallener  [Bj.blos  für  nicht  viel  mehr  ak 
ein  Neuntel  des  ganzen  sich  die  Abweichung  der  Lesarten  zu  ver- 
schaffen gewust^  und  stand  über  das  wahre  Verhältnis  der  Hand- 
schriften in  einer  zu  entschuldigenden ,  aber  seinem  Beginnen  durch- 
aus nachtheiligen  Ungewisheit^  dessen  sonstigem' subjectivem  ^  aller 
Anerkennung  werthem  Verdienst  damit  nichts  benommen  wird.' 

Auch  Docens  Urteil  über  diese  Ausgabe  in  der  Jenaischen  allg. 
Litteraturzeitung  1814  März  Nr  51.  52  kommt  ziemlich  genau  zu  dem- 
selben Ergebnisse. 

War  sonach  diese  erste  Hagensche  Ausgabe  freilich  an  sieh  für 
die  Kritik  fast  werthlos,  so  gab  sie  doch  einen  nachhaltigen  Antrieb 
zn  weiteren  Nachforschungen.  Bodmer  hatte  seiner  ^  Chriemhilden 
Rache'  einige  Bruchstücke  aus  dem  ersten  Theile  und  später  (1781) 
seinen  Balladen  einige  Zeilen  aus  der  zweiten  Hälfte  des  Nibelungen- 
liedes gelegentlich  beigegeben,  die  sämtlich  von  dem  Myllerschen 
Texte  stark  abwichen  und  schon  längst  Bedenken  über  die  Beschaffen- 
heit und  die  Quellen  dieses  Textes  erregt  hatten.  Nun  erfuhr  man  ans 
einem  durch  Johann  Horner  zu  Zürich  im  J.  1810  unter  Bodmers  Nach- 
lasse gefundenen  Briefe  an  Myller  von  1781  das  genanere  über  die 
zwitterhafte  BeschafTenheit  des  Myllerschen  Druckes  und  deren  Ur- 
sache, und  ersah  ferner,  dasz  Bodmer  auch  schon  eine  dritte  Hand- 
schrift benutzt  hatte;  die  noch  jetzt  in  St  Gallen  und  ehemals  im  Besitz 


1 80  Briefe  Aber  neaere  Erscheinang^en  auf  d.  6.  der  deatsefaei  fUM. 

von  Ae^idins  Tschudi  (f  1571)  beRndlicbe,  welche  nach  Lacbmanos 
Vorgange  im  kritischen  Gebrauche  durch  B  bezeichnet  wird. 

Diese  St  Galler  Handschrift  B  legte  von  der  Ilagen  seiner  zweiten 
im  Spätjahr  1815  erschienenen  (auf  dem  Titel  die  Jahrzahl  1816  tra- 
genden) Ausgabe  zu  Grunde,  lieferte  aber  auch  diesmal  kein  diplo- 
matisch genügendes  Material. 

Von  einer  zu  Brunn  an  der  Altmühl  gefundenen  and  scho» 
1575  durch  Wiguleus  Hund  der  herzogt,  bairischen  Bibliothek  ge- 
schenkten Handschrift,  die  noch  jetzt  in  München  sich  befindet  und 
im  kritischen  Gebrauche  mit  D  bezeichnet  wird,  besasz  Herr  von 
der  Hagen  zwar  Abschrift,  doch  ohne  sie  für  die  Kritik  zu  verwer- 
tben,  worüber  Docen  in  der  oben  angeführten  Recension  sein  Bedauern 
aussprach. 

Inzwischen  verlautete  nun  wieder  Kunde  über  das  Schicksal  der 
nicht  mehr  auf  Hohenems  befindlichen  Handschriften  ^.und  C.  Beide 
waren  (nach  Jac.  Grimms  Angabe  in  den  ^altdeutschen  Wäldern')  mit 
einer  Gräfin  von  Harrach  nach  Prag  und  dann  durch  Geschenk  zn  Ban- 
den eines  Privatmannes  Namens  Frickart  gekommen.  Frickart  hatte 
darauf  die  Handschrift  A  an  einen  Dr  Schuster  in  Prag  abgetreten  und 
dieser  solche  wiederum  an  die  bairische  Bibliothek  zu  Manchen  ver- 
kauft. C  bot  Frickart  zu  Wien  um  hohen  Preis  feil ,  als  Jacob  Grinn 
Gelegenheit  erhielt  sie  einzusehen  und  in  Folge  dessen  Nachricht  über 
sie  und  eine  Anzahl  von  Strophen  aus  ihr  (die  im  Drucke  17  Seiten 
einnehmen)  in  den  ^altdeutschen  Wäldern'  (II  145 — 180)  mittheilte. 
Nicht  lange  ^darauf  (1816)  erkaufte  der  Freiherr  Joseph  Von  Lassberg 
die  Handschrift  und  rettete  sie  so  vor  der  Verschleppung  nach  Eng- 
land. Nach  dessen  Tode  ist  sie  nun  endlich  in  die  fürstl.  Fürstenber- 
gische  Bibliothek  nach  Donaueschingen  gelangt.  (Einen  treuen  und 
verlässigen  Abdruck  dieser  Handschrift  C  hat  Freiherr  von  I^assberg 
gegeben  in  dem  4n  Bande  seines  ^Liedersaales',  der  1821  erschien  und 
1846  in  den  Buchhandel  gelangte.) 

So  standen  die  Dinge  als  Lachmann  seine  Untersochungen  ^flber 
die  ursprüngliche  Gestalt  des  Gedichts  von  der  Nibelungen  Nolh' 
(Berlin  1816)  veröfTeutlichte.  Bei  der  Ausarbeitung  dieser  Abhand- 
lung hatte  ihm  mithin  nicht  mehr  als  folgendes  handichriftliches  Ma- 
terial vorgelegen  und  zu  Gebole  gestanden: 

1)  vom  ganzen  Nibelungenliede:  eine  zwar  vollständig,  aber  un- 
zuverlässig abgedruckte  Handschrift,  die  St  Galler  B^  in  von  der 
Hagens  Ausgabe  von  1815; 

2)  von  der  gröszercn  ersten  Hälfte  (bis  1582,  3): 

a)  ein  Abdruck  von  A  in  Myllers  Ausgabe, 

b)  die  wenigen  mit  leidlicher  Sorgfalt  abgedruckten  Strophen 
aus  C,  welche  Badmcr  gelegentlich  mitgetheilt  hatte, 

c)  die  verhältnismäszig  auch  nur  wenigen  treu  abgedruckten 
Strophen  ans  C,  welche  Jac.  Grimm  im  zweiten  Bande  der 
altdeutschen  Wälder  veröffentlicht  hatte; 

a)  von  der  kleineren  z  weiten  Hälfte  (von  1582,  4  ab):  der  Myller- 


BrMb  über  nenere  Erscheinungen  «nf  d.  G.  der  deotockett  PkHoi.   181 

sehe  und  der  genauere  Bodmersche  Abdruck  von  C  (aber,  wie  er 

selbst  S.  6S  sagt,  nichts  von  A)\ 
4)  von  der  Klage,  der  durch  Bodmer  besorgte  Abdruck  von  C 

Oder  mit  kurzen  Worten :  Lachmann  kannte  und  benutzte  damals 
für  die  erste  Halfle  des  Nibelungenliedes  (bis  1582,  3)  nur  B^  A  ond 
einige  Strophen  von  C,  für  die  zweite  Hfilfte  nur  B  C  (nichts  von 
A),  Was  er  etwa  aus  andern  Handschriften,  wie  z.  B.  aus  />,  erfah- 
ren haben  konnte,  war  verhiltnismiszig  so  unbedeutend,  dasz  es  nicht 
in  Betracht  fiel. 

Was  hat  nun  Lachmann  auf  Grund  dieser  Halfsmittel  in  seiner 
eben  genannten  Schrift,  mit  welcher  die  wirklich  wissensehaft- 
liehe  Behandlung  des  Nibelungenliedes  beginnt,  geleistet?  Zweierlei. 

Erstens:  angeregt  durch  die  Wolfschen  Untersuchungen  über  die 
Homerischen  Gesfinge  wies  er  nach,  dasz  das  Nibelungenlied  in  der 
uns  vorliegenden  Gestalt  entstanden  sei  ans  einer  noch  jetzt  erkenn- 
baren Zusammensetzung  einzelner  Lieder.  Er  führte  diesen  Nachweis 
zunächst  (in  den  ersten  26  Abschnitten  seiner  Schrift)  für  den  zwei- 
ten Theil  des  Nibelungenliedes  unter  Vergleichung  des  Inhaltes  der 
^Klage',  und  zwar  wesentlich  auf  Grundlage  von  B^  indem  er  C  eine 
hierfür  nicht  maszgebende  Ueberarbeitung  nannte,  und  A  für  diesen 
zweiten  Theil,  als  noch  ungedruckt,  überhaupt  nicht  benutzen  konnte. 
Mit  Seite  67  begann  er  denselben  Nachweis  für  den  ersten  Theil  des 
I^ibelungenliedes,  auch  hier  wieder  hauptsächlich  auf  Grundlage  von 
B.  Die  Untersuchung  des  zweiten  Theiles  war  erleichtert  worden 
durch  die  Vergleichung  des  mit  verwandtem  Inhalte  nebenher  gehenden 
Gedichtes  der  Klage.  Dem  ersten  Theile  gebrach  ein  solches  Gegen- 
stück. Dafür  aber  lagen  hier  neben  B  der  vollständige  Text  von  A 
und  einige  Stücke  des  Textes  von  C  vor.  Welchen  Gebrauch  nun  Lach- 
mann hier  von  A  gemacht,  wieviel  er  daraus  für  seine  Liedertheorie 
gezogen  hat,  das  ist  aus  dem  weiteren  Verlaufe  seines  Buches  leicht 
zu  sehen,  und  er  gibt  es  überdies  selbst  an,  wenn  er  auf  S.  68  sagt: 
^Ja  es  zeigt  sich  auch  hier  ganz  unertoariei  ein  sehr  nahe  lie~ 
gende^ Zeugnis^  wenigstens  für  einiges^  das  unsere  Frage  zu- 
nächst betrifft^  und  fco  es  auch  diese  nicht  genau  berührt^  doch 
immer  für  die  Geschichte  unseres  Liedes,  Ich  meine  die  jetzt  in 
München  befindliche  zweite  Hohenemser  Handschrift  desselben,y  deren 
Vergleichung  auch  in  der  zweiten  Hälfte^  wo  ihre  Lesarten  noch  un- 
bekannt Sf'nd,  rielleicht  eine  neue  Seite  für  unsere  Untersuchungen 
darbieten  möchte^  usw.  —  Das  kann  für  einen  logisch  denkenden 
Menschen  doch  nimmermehr  etwas  anderes  heiszen  als :  der  Nachweis 
der  Entstehung  der  uns  vorliegenden  Nibelungennoth  aus^  einzelnen 
Liedern  ist  an  und  für  sich  unabhängig  von  dem  wechselseitigen  Ver- 
hältnisse der  drei  Texte  A  B  C;  es  können  jedoch  einzelne  Partien 
dieses  Nachweises  eine  Unterstützung  ziehen  aus  dem  Zeugnisse ,  wel- 
ches in  der  Verschiedenheit  der  drei  Texte,  und  zumal  der  Texte  A 
und  jj?,  thatsächlich  vorhanden  ist  und  unmittelbar  vorliegt.  Dai  ist 
auch  ein  so  natürlicher  und  gleichsam  von  aliein  sich  ergebender  Ge- 


182  Briefe  über  neuere  Erscheinungen  auf  d.  6.  der  deutschen  PUlol. 

danke,  dasz  Jac.  Grimm  schon  1815  (altdeutsche  Walder  U  159)  sn 
einer  ziemlich  eben  dahin  zielenden  Ansicht  gediehen  war.  —  Es  ist 
also  die  sogenannte  Licdertheorio  keineswegs  ein  neuer  in  Lachmanos 
Kopfe  entstandener  und  von  ihm  zuerst  ausgesprochener  Einfall  ^  denn 
der  Gedanke  findet  sich  in  jener  Zeit  öfter,  z.  B.  schon  in  dem  eben 
genannten  und  von  Lachmann  bereits  benutzten  Aufsalze  Jacob  Grimms 
in  den  altdeutschen  Wäldern  (1815  Bd  II  S.  152)  ganz  entschieden 
hingestellt:  aber  die  wissenschaftliche  Fassung,  Verfolgung,  Be- 
gründung und  Durchführung  des  Gedankens,  der  Nachweis  seiner 
Richtigkeit,  welcher  mit  der  Schrift  ^über  die  ursprüngliche  Gestalt 
des  Gedichtes  von  der  Nibelungennoth'  beginnt,  das  ist  Lacbmanns 
eigontbfimliches  Werk. 

Zweitens:  über  die  Bedeutung  der  Handschrift  C  war  man  be- 
reits 1815  dahin  gediehen,  dasz  Lachmann  (über  die  ursprüngliche  Ge- 
stalt usw.  S.  68)  unter  ausdrücklicher  Beziehung  auf  von  der  Hagens 
Vorrede  zu  seiner  Ausgabe  von  1815  S.  VIII  und  XXIII  sagen  konnte: 
^E$  ist  ausgemacht^  dasz  die  erste  hohenemser  Handschrift  [C] 
das  Gedicht  in  einer  augenscheinlich  späteren ,  besonders  in  fielen 
Punkten  gemilderten  U eher  arbeitung  liefert,^  Auch  Grimm  hatte  (altd. 
Wälder  II  162)  sich  schon  dahin  geäuszert,  dasz  er  den  Text  von  A 
Tür  älter  halte  als  den  Text  von  C;  die  St  Galler  lls.  kenne  er  noch 
zu  wenig,  um  über  sie  abzuurteilen.  Lachmann  aber  erkannte  und 
sagte  zuerst  (ursprüngliche  Gestalt  S.  68),  dasz  die  drei  Handschriften 
ABC,  ganz  abgesehen  Ton  ihrem  Alter  als  Handschriften ,  d.  h.  von 
dem  Datum  ihrer  Niederschreibung,  Repräsentanten  dreier  auf  einan- 
der folgender  Recensionen  seien,  und  zwar  so  dasz  A  die  ilteste, 
B  die  mittlere,  C  die  jüngste  dieser  drei  Recensionen  darbiete. 
Dnrcb  diese  bestimmte  scharfe  Fassung  war  ein  Satz  von  wissen- 
schaftlichem Werthe  gewonnen,  dessen  Folgen  sich  mit  solcher 
logischer  Nothwendigkeit  entwickelten,  dasz  man  ihnen  nur  aufmerk- 
sam nachzugehen  brauchte,  um  an  denselben  die  Richtigkeit  oder  Un- 
richtigkeit des  aufgestellten  Satzes  selbst  eben  so  sicher  nnd  hand- 
greiflich zu  erkennen,  wie  an  der  Probe  eines  Rechenexempel/. 

Wesentlich  auf  die  vier  vollständigen  Handschriften  i4  BC  D  hatte 
sich  im  Jahre  1816  die  Kenntnis  der  handschriftlichen  Ueberliefernng 
des  Nibelungenliedes  beschränkt.  Seitdem  ist  durch  glückliche  Funde 
die  Zahl  der  theils  vollständig,  theils  nur  in  Bruchstücken  erhaltenen 
Handschriften  auf  mehr  als  20  gestiegen.  Sie  sind  wiederholt  Qber- 
sichtlich  zusammengestellt  worden,  z.  B.  von  Zarncke  in  seinem  *Vor- 
trage  zur  Nibelungenfrage',  Leipzig  1854,  und  in  seiner  Handausgabe 
des  Textes  von  C,  die  unter  dem  Titel  ^der  Nibelungen  Lied'  1856  zu 
Leipzig  erschien.  In  der  Sache  selbst  ist  jedoch  durch  das  hinzatre- 
ten  der  neu  aufgefundenen  Handschriften  insofern  nichts  wesentliches 
geändert  worden,  als  sie  sämtlich  sich  um  die  drei  zuerst  bekannt 
gewordenen  Handschriften  ABC  gruppieren,  oder  mit  anderen 
Worten  sich  je  einer  der  drei  Recensionen  unterordnen,  deren  Re- 
prisentanten die  Handschriften  ABC  bilden.    Die  Vertheilung  ist 


Briefe  fiber  neuere  Erscheinongen  auf  d.  G.  der  deatsclieii  PhiIoL  183 

aber  der  Zahl  nach  so  ungleichmäszig  ausgefallen,  dass  fflr  die  Re* 
cension  X  die  Handschrift  A  allein  stehen  geblieben  ist,  an  C  sich 
nur  vier  Brnchstucke  und  eine  junge  und  nachlässige  Papierhandschrift 
(die  Wallersteinsche  =  d)  anschlieszen,  alle  übrigen  aber  sich  bald 
enger,  bald  etwas  loser  an  B  lehnen,  so  dasz  die  durch  ungefähr  16 
theils  vollständige,  theils  fragmentarische  Handschriften  vertretene  Re- 
cension  Et  als  die  am  meisten  verbreitet  gewesene,  als  die  Vulgata 
gelten  rnnsz.«  Da  nun  die  Handschriften  ABC  von  keiner  neu  aufge« 
fuDdenen  Handschrift  ihrer  Gruppe  an  Correctheit  übertroflfen  werden, 
so  sind  die  Handschriften  A  B  C  in  ihrer  Bedeutung  als  Repräsen- 
tauten  der  Recensionen  ABC  ungestört  verblieben.  Dabei  ist 
aber  ein  eigenthömlicher  Umstand  sehr  genau  ins  Auge  zu  fassen  und 
bei  der  kritischen  Beurteilung  nach  Gebühr  zu  würdigen  und  festzu- 
halten :  der  Umstand,  Jasz  die  Handschrift^  verhältnismaszig  jung 
und  nachlässig  geschrieben  ist,  dagegen  die  Handschrift  C  unter 
den  erhaltenen  Nibelungenhandschriften  eine  der  ältesten  ist  und,  was 
die  Tugenden  ihres  Schreibers  angeht,  die  Sauberkeit,  Sorgfalt, 
Correctheit,  zu  den  besten  aller  mittelhochdeutschen  Handschriften 
gehört. 

Hiernach  stellt  sich,  wenn  wir  der  Lachmannschen  Chronologie 
der  Recensionen  zustimmen,  das  Verhältnis  folgendermaszen : 
Ä  älteste  Recension,  repräsentiert  durch  A^  eine  verhältnis- 
maszig junge  und  nachlässige  Handschrift; 
i  mittlere  Recension,  repräsentiert  durch  ^,  eine  ziemlich 

alte  und  leidlich  correcte  Handschrift; 
(f  jüngste  Recension,  repräsentiert  durch  C,  eine  sehr  alte 
und  sehr  vorzügliche  Handschrift. 
Das  ist  denn  doch  ^gewis  sehr  einfach  und  deutlich !    Habe  ich^s  nicht 
klar  und  verständlich  genug  dargestellt,  so  liegt  der  Fehler  diesmal 
an  meiner  mangelhaften  Darstellungsgabe   und  nicht  an  der  Sache. 
Ihnen  jedoch,  verehrtester  Freund,  verhoflfe  ich  so  weit  genügt  za 
haben,  dtfsz  Ihnen  der  ganze  Sachverhalt  nun  mit  vollkommener  Be- 
stimmtheit und  Klarheit  vor  Augen  liegt. 

Aber  nun  die  Folgerung  für  deu  kritischen  Herausgeber  des  Nibelnn- 
gentextes?  Ja,  Freund,  wenn  ich  diese  Ihnen  hier  auseinandersetzen 
sollte,  ich  würde  mich  schämen  und  fürchten  zugleich.  Fürchten  dasz  . 
Sie,  sonst  ein  so  ruhiger  und  milder  Mann,  auffahren  und  mir  zurufen 
würden:  *Was?  Sie!  Freund !  Herr!  Sie  halten  es  für  nöthig  mir  eine  so  ^ 
simple  philologisch -kritische  Grundregel  noch  besonders  zu  explicie- 
ren?  Eine  Recension  ist  doch  eine  Bearbeitung  irgend  eines  vorlie- 
genden Textes,  die  irgend  ein  Mann  zu  irgend  einem  Zwecke,  dessen 
er  sich  klarer  oder  dunkler  bewust  sein  kann,  so  vernimmt,  dasz  er 
den  vorliegenden  Text  nach  freiem  Ermessen  ändert,  überarbeitet,  um- 
gestaltet, um  ihn  eben  durch  diese  absichtlichen  Aenderungen  für  sei- 
nen Zweck  geschickt  oder  doch  wenigstens  geschickter  zu  machen. 
Und  wenn  dem  so  ist,  so  kann  und  darf  ein  kritischer  Herausgeber 
doch  eben  nur  6ine  Recension  auf  einmal  herausgeben,  und  er  muss 

iV.  iahrh.  f.  PkU.  «.  Paed.  Bd  LXX VIII.  ffft3.  13 


184  Briefe  aber  neuere  Erscheinougen  auf  d.  6.  der  deatielieB  PlitoL 

sie  rein  heraasgebcn,  darf  sie  nicht  durch  Entlehnangen  aus  Hand- 
schriften einer  anderen  Recension  verunreinigen.  Jedes  Wort,  worin 
die  Handschriften  einer  anderen  Recension  von  dem  Texte  seiner  xu 
edierenden  Recension  abweichen,  kann  freilich  die  alte,  echte,  nr- 
sprüngliche  Lesart  des  ersten  Verfassers  enthalten,  es  braucht  sie 
aber  nicht  zu  enthalten :  der  Herausgeber  hat  durchaus  gar  keine  Ge- 
währ, weder  für  noch  wider.  Mithin  hat  jede  Abweichung  der  Hand- 
schriften einer  anderen  Recension  für  den  Herausgeber  nur  den  Werth 
einer  Conjectur:  und  die  eigene  Conjectur  des  Heraasgebers  ist  jedes- 
mal gerade  so  sehr,  ja  aus  leicht  einleuchtenden  philologischen  Grün- 
den noch  mehr  berechtigt,  als  die  ihm  ebenfalls  nur  als  Conjectur  gel- 
tende Variante  irgend  eines  alten  Ueberarbeiters.  Entscheidet  sich  nnn 
der  Herausgeber  des  Nibelungenliedes  für  die  Herausgabe  der  von 
ihm  für  die  älteste  gehaltenen  Recension  Ä  und  steht  ihm  also  nur 
die  ^ine  nachlassige  Handschrift  A  zu  Gebote,  so  hat  er  freilich  eine 
sehr  schwere ,  mühsame  und  wenig  dankbare  Aufgabe.  Denn  bei  der 
schlechten  Beschaffenheit  seiner  einzigen  Handschrift  musz  sein  Text 
ziemlich  unvollkommen  und  mangelhaft  bleiben,  selbst  wenn  der  Heraus- 
geber das  gröste  kritische  Genie  wäre.  Sogar  die  ansprechendsten 
Varianten  dar  f  er  ja  gar  nicht  aus  B  oder  C  in  seinen  Text  A  herttber- 
nehmen ,  weil  er  sonst  augenblicklich  ins  willkürliche  und  bodenlose 
verfallen  würde.  Nur  in  dem  ^inen  Falle,  wo  eine  Emendation  ron 
A  aus  kritischen  Gründen  nothwendig  ist  und  des  Herausgebers  eigene 
emendiercnde  Conjectur  mit  der  Variante  eines  alten  Ueberarbeiters 
zusammenfällt,  nur  in  diesem  Falle  darf  der  Herausgeber  Lesarten  aus 
Handschriften  anderer  Recensionen  in  seinen  Text  aufnehmen.  Finde 
sich  einmal  durch  glückliche  Fügung  noch  eine  gute  Handschrifl  sei- 
ner Recension  X^  dann  erst  könnte  sein  Text  möglicherweise  eine 
vielfach  veränderte  unverbesserte  Gestalt  gewinnen.  So  aber  mnss' 
der  Herausgeber  zuweilen  das  schlechtere  mit  vollem  Bewnstseia 
stehen  lassen,  weil  er  sich  von  dem  einzigen  Zeugen  und  Gewfihrs- 
manne  seiner  Recension  als  treuer  gewissenhafter  Kritiker  nicht  ent- 
fernen darf!' 

So  würden  Sie  sagen,  verehrtester  Freund,  und  Sie  hätten  natttr- 
Hch  vollkommen  Recht! 

Und  so,  nach  dieser  kritischen  Grundregel  von  fast  trivialer  Ein- 
fachheit, ist  Lachmann  bei  seiner  Ausgabe  verfahren  und  bat  sunt 
Ueberflusz  sein  Verfahren  auf  Seite  X  noch  ausdrücklich  beschrieben. 
Abgedruckt  ist  bei  ihm  der  kritisch  berichtigte  Text  von  A ;  unter  die- 
sem, am  unteren  Rande  der  Seite,  stehen  die  wesentlichen  Lesarten 
des  gemeinen  Textes  oder  der  Vulgata  (J9) ,  und  in  den  1836  als  be- 
sonderes Buch  erschienenen  ^Anmerkungen'  sind  die  Lesarten  aller  ihni 
bis  dahin  bekannt  gewordenen  Handschriften  vollständig  mitgetheilt. 

(Fortsetzung  folgt.) 


Berlebte  fibdr  (^lebrle  Anstellen,  VerordnaniTOB,  stetist.  Notise».  185 

Berichte  über  gelehrte  Anstalten,  Verordnungen,  statistische 
Notizen,  Anzeigen  von  Programmen. 


Bericht  Ober  die  Lyceen  and  Gymnasien  des  Groszhersogthams  Baden 

nebst  Anzeige  nnd  Inhaltsangabe  der  am  Schlüsse  des  Schuljahres  1856 

— 57  (Sept.  1857)  erschienenen  Programme  (vgl.  Bd  LXXVl  S.  620). 

1.  Bischofsheim  a.  T  ]  Ueber  den  Bestand  des  Lehrerpersonals  des 
Gymnasiums  ist  folgendes  sn  berichten:  Der  Lehramtspraktikant  Dr 
Braan  trat  als  Volontär  in  das  Lehrercollegiam  ein,  verliesz  aber 
schon  nach  einigen  Monaten  die  Anstalt  wieder,  um  eine  Hauslehrer- 
stelle in  Paris  zu  übernehmen.  Ebenso  schied  von  der  Anstalt  der  äe- 
ligionslehrer  Kaplan  Benz,  nachdem  demselben  die  Verwaltung  einer 
Pfarrei  übertragen  war.  Da  zu  derselben  Zeit  der  geistliche  Lehrer 
Ehrat  von  einer  scliweren  Krankheit  befallen  wurde,  so  musten  die 
übrigen  Mitglieder  des  Lehrercollegiums  die  freistehenden  Lehrstnnden 
besorgen,  bis  um  die  Mitto  Juli  der  seitherige  Stadtkaplan  Stetter  mit 
der  einstweiligen  Besorgung  des  gesamten  Religionsunterrichts  beauf- 
tragt wurde.  Zu  gleicher  Zeit  übernahm  der  Hauptlehrer  der  hiesigen 
Gewerbschule,  Schwab,  die  Besorgung  einiger  RealfAcher.  Der  gegen- 
wärtige Bestand  des  Personals  des  G^^mnasinms  ist  folgender:  Professor 
Reinhard,  Director;  Klassenvorstände :  in  V  (höchste  Klasse):  Prof. 
Reinhard,  in  IV*:  Gymnasiumslehrer  Bauer,  in  IV  ^:  Lehramts- 
praktikant Kuhn,  in  III:  Lehramtspraktikant  Büchler,  in  II:  geist- 
licher Lehrer  Ehrat,  in  I:  Lehrer  Gnirs;  Fachlehrer:  Reallehrer 
Schüszler,  Kaplan  Benz.  18  Schüler  der  Oberquinta  wurden  in  die 
TJntersexta  eines  Lyceums  befördert.  Eine  Abhandlung  ist  dem  Pro- 
gramm nicht  beigegeben. 

2.  Bbuchsal.]  In  dem  Lehrercollegium  traten  keine  weiteren  Ver- 
änderungen ein,  als  dasz  der  geistliche  Lehrer  Linder  yom  Gymna- 
sium in  Donaueschingen  an  die  hiesige  Anstalt  yersetzt  wurde  und  dasz 
mit  dessen  Eintritt  zwei  bisherige  Lehrer  der  Anstalt,  HofpfaiTer  Küst- 
ner, welcher  während  5  Jahren  den  katholischen  Religionsunterricht 
besorgt  hatte,  und  Lehramtspraktikant  Schindler  ihrer  Dienste  ent- 
hoben wurden.  Letzterer  wurde  dem  Gymnasium  in  OfFenburg  zugewie- 
sen. Gegenwärtiger  Bestand  des  Lehrerpersonals:  Professor  Scherm, 
Director,  die  Gymnasinmslehrer  Riyola,  Herrmänn,  Wolf,  geist- 
licher Lehrer  Linder,  Reallehrer  Dr  Schlechter,  Lehrer  Schleyer, 
Lehramtspraktikant  Dr  Seidenadel,  Hofdiaconus  W  öl  fei,  Bezirks- 
rabbiner Fricdb^erg,  Israel.  Religionslehrer.  Am  Schlüsse  des  Schul- 
jahres wurden  6  Schüler  nach  Untersexta  eines  Lyceums  promoviert. 
Die  Beilage  zum  Programm  enthält  eine  Abhandlung  des  Gymnasiums- 
lehrers  Herrmann:  Senaius  Romani  sub  primis  quinqite  Caesaribus  quae 
fuerii  fortuna  ac  dignitas  ex  ipsuf  veierum  scriptorum  historiis  coliigere  ae 
probare  instituit  Franciitc,  Xnv.  Herrmänn,  Der  Verfasser  sagt  in  der 
Einleitung,  dasz  der  Zustand  des  römischen  Senats  unter  den  ersten 
fünf  Kaisern  bei  weitem  nicht  so  kläglich  und  yerzweifelt  gewesen  sei, 
als  in  der  Zeit  der  durch  Militärgewalt  erhobenen  Herscher.  Es  sei 
unrichtig  anzunehmen,  dasz  der  Senat  yon  den  Cäsaren  eines  Rechtes 
nach  dem  andern  beraubt,  nach  und  nach  so  herabgedrückt  worden  sei, 
dasz  ihm  yon  seiner  früheren  auctoritas  nichts  mehr  übrig  geblieben- 
sei;  im  Gegentheil  hätten  einzelne  Kaiser  entweder  aus  Laune  oder  ans 
Rücksicht  auf  Vortheil  das  Ansehen  des  Senats  rcspectiert,  bisweilen 
sogar  erhöht ,  so  dasz  man  denselben  in  den  ersten  Zeiten  der  Allein- 
herschaft nicht  unpassend  mit  einer  Meereswoge  vergleichen  könne ,  die 

13* 


186  Berichte  Qber  gelehrte  Anstalten,  Verordnongen,  etatitt.  NölilM« 

sich  bald  erhebe,  bald  senke.  Mit  Galba  freilich,  der  die  Beihe  der 
durch  Militärgewalt  erhobenen  Herscher  eröffnete ,  wo  der  Senat  geneh- 
migen muste,  was  von  den  Pratorianem  ausgeführt  worden  war,  sei 
seine  Lage  eine  ganz  andere  geworden.  Bevor  nun  der  Verf.  den  Zu- 
stand und  die  Lage  des  römischen  Senats  unter  den  fünf  Kaisem  des 
Augusteischen  Hauses  schildert,  stellt  er  den  Satz  voraus,  dass  auch 
unter  diesen  der  Senat  nicht  immer  die  ihm  gesetzmäszig  zugestandenen 
Hechte  und  Geschäfte  hahe  ausüben  und  besorgen  dürfen ,  da  er  auch 
hierin  von  dem  Willen  und  der  Person  des  Alleinherschers  abfaieng. 
Diese  rechtmäszige  Gewalt  des  Senats  sei  zwar  schon  von  den  ersten 
Kaisern  vielfach  verletzt  worden,  aber  vom  Senat  immer  wieder  bean- 
sprucht und  auch  ausgeübt  worden.  So  habe  der  Senat  in  dieser  Zeit 
mehr  und  gröszere  Rechte  gehabt,  als  zu  der  Zeit  des  römischen  Frei- 
staats. 'Nam  non  solum  et  domesticarum  et  extemamm  rerum  admi- 
nistratio,  maxime  extraneorum  populorum  cum  legatis  agendi  ins,  sena- 
toriarum  provinciarum ,  rerum  sacrarum,  aerariique  cura,  sed  etiam 
summa  universi  populi  iura  magistratus  creandi,  leges  constituendi, 
reos  aut  condemnandi  aut  absolvendi  iam  ad  senatum  translata  sunt.* 
Der  Verf.  weist  nun  im  folgenden  nach,  in  wie  weit  der  Senat  unter  den 
einzelnen  Cäsaren  des  Augusteischen  Hauses  jene  Rechte  habe  ansüben 
dürfen,  oder  in  wie  weit  die  Gewalt  und  Schlauheit  der  Imperatoren 
oder  des  Senates  eigene  Schwachheit  und  Feigheit  diesen  an  der  Ana- 
übung seiner  Rechte  gehindert  habe. 

3.  Carlsbuue.]  Das  Lehrerpersonal  des  Lyceums  hat  während  des 
Schuljahres  1856 — 57  nur  wenig  Veränderungen  erlitten.  Professor  £i- 
senlohr  wurde  nach  vierjähriger  Wirksamkeit  an  der  hiesigen  Anstalt 
mit  Gehaltserhöhung  an  das  Gymnasium  in  Lahr*  versetzt,  und  nachdem 
derselbe  einen  zeitwevsen  Urlaub  erhalten,  zur  Ausfüllung  der  dadnreh 
in  Lahr  entstandenen  Lücke  Dr  Deimling  berufen,  welcher  seit  Juli 
1856  am  hiesigen  Lyceum  gelehrt  hatte.  Der  Lehramtspraktikant  Roth, 
bitiher  als  Klassen  vor  st  and  der  Tertia  an  dem  Pädagogium  zu  Lörrach 
verwendet,  trat  provisorisch  in  die  Hauptlehrerstelle  der  hiesigen  Unter- 
quarta ein.  Der  Ordinarius  der  Secunda  und  Prima,  Eisen,  wnrde 
zum  Lehrer  mit  Staatsdienereigenschaft  ernannt;  der  Lehramtspraktikant 
Traub  trat  als  Volontär  ein.  Das  Lehrerpersonal  des  Lyceums  besteht 
aus  folgenden  Mitgliedern:  a)  des  Lyceums:  Dr  Vierordt,  geheimer 
Hofrath,  Director,  Gockel,  Hofrath,  Platz,  Hofrath,  den  Professoren 
Gerstner,  Böckh,  Zandt,  Bissinger,  Kirn,  den  Lyceumslehrem 
Hauser,  Eisen,  den  Lehramtspraktikanten  Roth,  Durban,  Tranb, 
Böhringer,  den  Lyceumslehrem  Foszler,  Zeuner,  Hofmann, 
Beck;  b)  der  Lycealvorschnle :  Zeuner,  Hofmann,  Beck;  c)  iür 
den  Religionsunterricht  der  drei  untersten  Lycealklassen :  Diaoonus 
F  r  o  m  m  e  1.  Zur  Universität  wurden  22  Seh.  entlassen.  Mit  dem  Programm 
ist  eine  vom  Hofrath  Platz  verfaszte  Abhandlung  als  Beilage  ausge- 
geben: die  Götterverwandlungen,  Eine  Frage  der  homerischen  Theolagie, 
'Dasz  die  homerischen  Götter,  sagt  der  Verf.,  vielfach  in  menschliooer 
Gestalt  erscheinen,  wenn  sie  mit  den  Sterblichen  in  persönlichen  Ver- 
kehr treten,  ist  bekannt  und  unbestritten ,  da  die  hier  einschlagenden 
Stellen  keine  doppelte  Deutung  zulassen'.  Anders  aber  verhalte  es  sieh 
mit  einer  Anzahl  solcher  Stellen,  wo  auch  von  Verwandlung  in  Thier- 
gestalt,  ja  sogar  in  leblose  Dinge  die  Rede  sein  soll.  Nach  der  An- 
sicht anderer  jedoch  sei  hier  nicht  von  Vei'wandlung  der  Götter  in  Thier- 
gestalt,  sondern  nur  von  Vergleichung  derselben  mit  Thieren  in  einzel- 
nen Eigenschaften  die  Rede.  Diese  Tradition  doppelter  Auslegung  g^he 
bis  ins  Alterthum  zurück;  bei  den  neueren  Commentatoren  Homers 
werde  die  Frage  gleichfalls  in  verschiedener  Weise  entschieden.  Der 
Verf.  stellte  sich  daher  die  Aufgabe ,  die  Ilias  nnd  Odyssee  snm  Zweek 


Btrtdite  Ober  gelehrte  Anstalten,  Verordnungen,  Statist.  Notiiea.  187 

einer  eigenen  Untersnchang  dieser  Streitfrage   einer  genauen  Dorchfor- 
«chnng  EU  unterwerfen  nnd  Eugleich  die  beiden  bedeutendsten  späteren 
£piker,  die  sich  am  nächsten  an   den  Sprachgebrauch  Homers  halten, 
den  ApoUonins  Bhodius  nnd  Quintus  Smjrnäus,   mit   beiznziehen.    Das 
Ergebnis  dieser  Untersuchung  stellte  bei  dem  Verf.   die  Ueberzengung 
fest,   dasz  auch  nicht  an  ^iner  der  so  gedeuteten  Stellen  von  einer  An- 
nahme thierischer  Gestalt  durch  die  Götter  die  Rede  sei,  dasz  es  überall 
sich  nur   um  Vergleichungen  handle  der  Götter  mit  Thieren  in  Bezug 
auf  einzelne  Aeuszerungen  ihrer  Thätlgkeit.     Nachdem    der  Verf.   zu- 
nächst Nägelsbach,  der  sich  in  seiner  homerischen  Theologie  (S.  139  ff.) 
für   die   Göttorverwandlnngen   ausgesprochen   und   dieselbe    auch   prin- 
cipiell  zu  erklären  gesucht  hat,   widerlegt  und  dessen  Darstellung  über 
dieJdodalitäten  der  Götterverwandlungen  die  wichtigsten  Bedenken  ent- 
gegengestellt hat,   wendet  sich  derselbe  zur  Betrachtung  der  einzelnen 
Stellen  des  homerischen  Epos,  wo  von  einer  Verwandlung  die  Rede  sein 
soll.     Er  beginnt  mit   Od.   I  320.     Gegen  die  Verwandlung  sprechen 
die  gewichtigsten  sprachlichen  und  sachlichen  Gründe.     Der  erste  sei, 
däsz  die  Partikel  (ög  im  Homer  sonst  nie  in  der  Bedeutung  vorkomme, 
die  hier  angenommen  werde;   stets  diene  sie  nur  der  Vergleichung ,  nie- 
mals bedeute  sie  als,  so  auch  hier  nicht,  sondern:  wie  ein  Vogel,  d.  h. 
so   schnell  wie  ein  Vogel.    Nirgends  komme  eine  Stelle  vor,  wo  es 
die  Identität  einer  Person  mit  etwas  anderem   ausdrücke.    Wie  Men- 
schen mit  Thieren  oder  Sachen  in  Betreff  einzelner  Eigenschaften  ver- 
glichen  werden,  so   auch   die  Götter.     Hiermit  hänge  auch  das  Wort 
dpoTtaia  zusammen»    Die  aristarchische  Erklärung,  dasz  es*  eine  Ergän- 
zung des  Begriffs    ogvig  sei  und  eine  Adlerart  bedeute,   sei  die  einzig 
richtige.    Das    ogvig   avonaia   entspreche    dem   an  andern  Stellen   ge- 
brauchten aUzog  OQVig.     Döderleins  Erklärung  von  avonaia  (Glossar. 
II  S.  261)  wird  in  einem  Nachtrag  verworfen  und  die  Art  des  Fluges 
als  tertium  comparationis  vertheidigt.     Die  Beifügung  der  Art  des  Vo- 
^Is  sei  hier  durchaus  nothwendig,    wo    der  Dichter    die  Schnelligkeit 
versinnlichen  wolle,  da   nicht  alle  Vögel  gleich  schnell   fliegen.     Eury- 
machos,    der  die  Entfernung  des  Fremden  eben   so  sah  wie  sein  kom- 
men, hätte  sicher  die  wunderbare  Erscheinung  seiner  Verwandlung  be- 
rührt und  nicht  länger  sich  nach  ihm ,  als  einem  Fremden  ,  iind  seiner 
Abkunft  und  dem  Anlasz  seiner  Herkunft  erkundigt.    Das  Wort  Siinzato 
aber  sei  zu   einer  stehenden  Formel  geworden,   um   schnelles  enteilen 
Überhaupt  auszudrücken.     Die  Worte  OQVig  d*   mg   dvonceia   diintato 
seien  also  nur  als  eine  ins  kurze  gezogene  Vergleichung  zu  fassen,  (og 
gehöre  zu  disjeraTO.    Die  zweite  Stelle  der  Odyssee,   die  als  eine  Ver- 
wandlung der  Athene  in  Vogelgestalt  gedeutet  wird  (so  von  Fäsi,  Nä- 
gelsbach, auch  Ameis  u.  a.) ,   findet  sich  III   371.      Das   nachfolgende 
staunen,  welches  für  Ameis  den  Grund  der  Verwandlung  abgibt,  beziehe 
sich,  wie  anderwärts  so  auch  hier,  auf  das  übermenschlich  schnelle  ver- 
schwinden der  Göttin.     Gegen  die  Berufung  auf  sldofiivrj  wird  bemerkt, 
dasz  die  Worte  iomiDg  und  slSofisvog  überall  vorkommen,  wo  die  Göt- 
ter   menschliche   Gestalt   annehmen,    dasz    sie    aber  niemals  eine 
Verwandlung  in  Thiergestalt  oder  einen  leblosen  Gegenstand  bedeuten. 
Dasz  abör  in  den  andern  Fällen  die  Götter,  wenn  es  von  ihnen  heisze: 
qnjpjj  sldofiivrj,  alyvnioiaiv  iomotsg  und  ähnliches  eben  auch  nur  mit 
diesen  Thieren  verglichen  werden ,   wie  die  Menschen  im  gleichen  Fall, 
gehe   aus  allen  Stellen  hervor.     Es  stehe  daher  fest,  dasz  kein  sprach^ 
liches  Hindernis  vorliege,  auch  bei  den  Worten  q>ijvjj  Bldofiivrj  nur  an 
die  adlerschnelle  Entfernung  der  Athena  zu  denken  (celeriter  ut  evolasse 
putares).  —  3).  Od.  V  1^9   sollen   sich  die  Worte  XccQtp  ogvid'i  iomtog 
und  Ttp  t%eXog  wieder  nur  auf  die  Eigenschaft,    nicht  auf  die  Gestalt 
beziehen.  — <  4)  Od.  V  852:  'wie  ein  Taucher.'  Ebenso  eine  Vergleichung 


188  Berichte  über  gelehrte  Anstalten,  Verordnungen,  Statist.  NotiiM. 

Apoll.  Rhod.  IV  90C.  —  5)  Od.  XXII  239  finde  eine  Verwandlung  statt, 
aber  nach  Ablegung  von  Mentes  Gestalt  nur  die  in   der  Göttin  eigene 
Gestalt,  was  auch  daraus  hervorgehe,    dasz  sie  mit  der  Aegis  yersehen 
sei.     Sie  werde  die  Acgis  doch  nicht  als  Schwalbe   etwa  im  Schnabel 
oder  in  der  Klaue  tragen.   Sie  werde  mit  einer  Schwalbe  verglichen,  weil 
dieser  Vogel   gern   auf  Dächer  sich  setze.     In   avtr^v  abei:  liege  keine 
zwingend^  Nothwendigkeit   für   die  Annahme   einer   Verwandlung,    es 
hciszo  ^gegenüber '  und  stehe   darum   ganz   angemessen  bei  •  einer  Ver^ 
gleichung,   da   diese   eine  Gegenüberstellung  voraussetze  (ebenso  awttt 
11.  XXIV  630).  —  Ferner  in  Ilias  IV  7.5,  wo  nach  Nägelsbach  Athene 
als  ein  fallender  Stern  kommen  soll,   deute  tg»  Bl%via  aosdrücl^ich  auf 
ein  tertlum  comparationis,  nicht  auf  eine  Verwandlung  hin.  Nehme  man 
aber  die  Verwandlung  in  einen  fallenden  Stern  an,  so  sei  eine  neue  Ver- 
wandlung aus  diesem  in  die  Gestalt  des  Laodokos  nothwendig.     Wosu 
aber  solle  beim  kommen  eine  Verwandlung  stattfinden?     Die  Absicht, 
dasz  die  Gottheit  sich  zu  erkennen  geben  wolle  (wie  man  beim  gehen 
die  Verwandlung  erkläre),    könne    beim    kommen   nicht   angenommen 
werden,  da  die  Göttin,    um  sich  zu  verhüllen,  ja  Menschengestalt  an* 
nehme.     Um   aber  schnell  zu  kommen  bedürfe  sie  der  Verwandlung 
nicht,  da  die  Schnelligkeit  der  ^Götter  jede  andere  übertreffe.    Das  na- 
türliche  sei  daher  anzunehmen,  dasz  die  Göttin  rasch  wie  ein  Meteor 
vom  Himmel  herabsteige  und  sofort  menschliche  Gestalt  annehme.   Gans 
falsch  sei  auch  die  Vorstellung  FUsi^s  zu  dieser  Stelle,  sie  sei  plötzlich 
zwischen  den  Heeren  erschienen,  aber  unsichtbar.   Dem  widerspreche 
geradezu   der  Znsatz   d'ccfißog    d'  i%iv  slgoQomvrag.     Aehnlich    sei  IL 
17,  547  ff.,  wo  das  herabsteigen  der  Athene  mit  einem  Regenbogen,  und 
II.  5 ,  864  ff. ,    wo  Ares ,    der  aufsteigende ,    mit   einer   anfschwebenden 
Wolke  verglichen  werde.  —  Auch  II.  7,  50  beziehe  sich  ioixoxsg  nicht 
auf   die  Gestalt,   sondern  die  Eigenschaft.     Verglichen   wird  Paus.  IV 
16,  2,    wo  die  Dioskuren   in   der   Schlacht  bei  Stenykleros   anf  einem 
Baume  zusehen.     Noch  an  anderen   Stellen  wie  II.  13,   65 ff.    15,  237. 
19,   350  sei  nicht   eine  Verwandlung,   sondern  eine  Vergleichnng  ansn- 
nehmen;    ebenso   II.  14,  280   werde   das   sitzen  verglichen,  nicht  die 
Gestalt.  —  Als  Ergebnis  der  Untersuchung  stellt  sich  heraus,  dass 
die  Partikel  dag  nirgends  in  dem  Sinn  der  Identität  der  Gestalt  mit 
etwas  anderem  vorkomme,  sondern  immer  nur,   nm  Eigenschaften 
zu  bezeichnen,  die  ein  Gott  oder  ein  Mensch  mit  einem  Thier  oder  einer 
Sache  gemein  habe;   ferner  dasz  die  Worte  iomsvai,  itSea^eu,  tnelogy 
ivaXCy%iogy  oLxdlavzog,  laog  ebensowol  von  Annahme  einer  Gestalt  als  von 
bloszer  Vergleichnng  mit  dem  Wesen  und  Eigenschaften  von  lebendigem 
und  leblosem  gebraucht  werden,   und  dasz   die  Worte  iomoig,  Mbü^m 
usw.  in   dem  Sinne  der  Annahme  einer  Gestalt  bei  Göttern  nur  dann 
vorkommen,   wenn  sie   menschliche  Gestalt  annehmen;    femer  dass 
da,   wo  bei  Homer  die  Worte  ioi%<6g,  stSousvog,  t%eXog  usw.  Ton  Göt- 
tern in  Bezug  auf  Thiere  und  leblose  Dinge  gebraucht  werden,  sie 
nur  der  Vergleichnng  dienen.  —  Anhang  I  enthält  die  Göttererscheinun- 
gen  bei  Quintus  Smymäus,  bei  welchem  nirgends  die  Spur  einer  Götter- 
Verwandlung  im  Sinne  der  bei  Homer  angenommenen  zu  finden  seL 
Anhang  II:  Die  Göttcrcrscheinungen  bei  ApoUonius  Rhodius,  bei  wel- 
chem eine    einzige  Göttcrverwandlung   in  Sachen  vorkomme,    nemlieh 
4,  1427  die  der  Hesperiden  in  Bäume.     Da  sei  aber  von  keinem  loi* 
xcoff,   BidofiBvog  die  Rede,  sondern  von  einem  yiyvia^ai,  wie  i&hnlieh  in 
der  Odyssee  von  Proteus  Verwandlungen    ylvsad'ai    gebraucht  sei.  — 
Da  der  Verf.  in  seinen  KrJh'teruugen ,   denen  wir  mit  groszem  Interesse 
gefolgt  sind ,  über  Homer  hinausgegangen  ist,  so  hätten  wir  gewünsobt, 
dasz  auch  ^iQ  sogenannten  homerischen  Hymnen  in   die  Untersuchung 
mit    hineingezogen   wären,    namentlich   die    eine    Stelle   des  Hjmiins 


Bdriehte  Aber  gelehrte  Anstalten,  Verordnitagen,  etatist.  Notisen.  189 

auf  Apollo  221  —  223,  welche  wegen  des  bei  SaXiptvi  iomcig  stehenden 
Ssfiag  nicht  leicht  anders  als  Yon  einer  wirklichen  Verwandlung  yerstan» 
den  werden  kann. 

4.  CoNSTAKz.]  Der  Lehramtspraktikant  Lehmann,  der  seit  1850 
den  mathematischen  und  naturhistorischen  Unterricht  an  dem  Ljceum 
ertheilte,  istznmLeHrer  mit  Staatsdiener eigenschaft  ernannt  worden ;  der 
Lehramtspraktikant  Löhle  wurde  bei  dem  Beginne  des  Sommerseme- 
sters  an  das  Gymnasium  zu  Donaueschingen  berufen.  Weitere  Verän- 
derungen haben  in  dem  Lehrerpersonale  nicht  stattgefunden,  und  es  be- 
steht also  noch  aus  folgenden  Mitgliedern:  a)  ordentliche  Lehrer:  Pro- 
fessor Ho  ff  mann,  Director,  den  Professoren  Kreuz,  Wörl,  den 
Ljceumslehreru  Ueinemaun,  Kern,  Frühe,  Lehmann,  geistl.  Leh- 
rer Uummelsheim,  den  Lehramtspraktikanten  Stephan,  Maier; 
b)  auszei'ordentliche  Lehrer :  Prof.  S  e  i  z ,  Lehrer  der  Physik  ,  Pfarrer 
Partenheime r,  evang.  Religionslehrer.  Dem  Programm  ist  beigefügt : 
Beridit  über  eine  Anzahl  im  Jahr  1849  aufgefundener  römischer  Münzen  in 
Grosz-,  Mitlei-  und  Kleinerz  von  Prof.  Dr  Wörl. 

5.  DoNAüEscHiNGEN.]  Der  geistliche  Lehrer  Linder  wurde  von 
dem  hiesigen  Gymnasium  an  das  zu  Bruchsal  versetzt;  an  seine  Stelle 
trat  Vicar  Birkenmeier.  Der  älteste  Lehrer  der  Anstalt,  Professor 
Schuch,  starb  den  25.  März.  Die  durch  dessen  Tod  erledigten  Lehr- 
stunden wurden  dem  Lehramtspraktikanten  Löhle,  bisher  am  Lyceum 
in  Constanz  thätig ,  übertragen.  Personal. des  Gymnasiums:  Professor 
Duffner,  Vorstand,  Prof.  Hagg,  Gyranasiumslehrer  Schaber,  geist- 
licher Lehrer  Birkenmeier,  Lehramtspraktikanten  Dr  Winnefeld, 
Baer,  Löhle,  Hofprediger  Dr  Becker,  evang.  Religionslehrer.  Dem 
Programm  ist  beigefügt:  über  Sitten ^  Ausdrücke  und  Symbole  des  Gruszes 
dvilisierter  Völker  alter  und  neuer  Zeit.  Ein  Beitrag  zur  Vergleichung 
der  Sitten  und  der  Denkungsart  civilisierter  Völker.  Von  M.  S  chaber. 
I.  Abteilung.    Orientalische  Völker:  Ebräer,  Muslimen,  Chinesen. 

6.  Freiburg.]  In  dem  Schuljahre  1856^7  haben  im  'Lehrerper- 
sonale des  Lyceums  einige  Veränderungen  stattgefunden.  Geheimer 
Bath  und  Domdecan  Dr  v.  Hirscher  wurde  seinem  Wunsche  gemäsz 
von  der  Stelle  einesEphorus  an  dem  Lyceum  enthoben  und  diese  Stelle 
dem  Stadtdirector  Faller  übertragen.  Professor  Intlekofer  wurde 
als  erster  Lehrer  an  das  Gymnasium  in  Offenburg  versetzt;  an  dessen 
Stelle  trat  der  Lehramtspraktikant  Mayer,  bisher  an  dem  Gymnasium 
in  Offenburg.  Prof.  Weiszgerber  erhielt  den  Charakter  als  Hofrath. 
Der  Lehramtspraktikant  Am  mann  wurde  zum  Lehrer  mit  Staatsdiener- 
eigenschaft ernannt.  Personal  des  Lyceums:  Hofrath  Dr  Nokk,  Direc- 
tor, Hofrath  Weiszgerber,  Prof.  Furtwängler,  die  Lyceumslehrer 
£ble,  Kappes,  Zipp,  Ammann,  LehramtspraSlikant  Rheinaucr, 

^geistliche  Lehrer  Bi  schoff,  Haus  er,  Lehraro  tspraktikant  Mayer, 
Reallehrer  Koller.  Anszorordentliche  Lehrer:  Director  und  Prof.  Dr 
Frick,  evang.  Stadtpfarrer  Helbing,  evang.  Vicar  Bahr.  Dem  Pro- 
gramm ist  beigefügt  eine  Abhandlung  vom  Lyceallehrer  Zipp:  Ansich- 
ten über  den  Unterricht  in  der  französischen  Sprache. 

7.  Heidelbero.]  Während  in  den  vorhergehenden  zwei  Jahren  in 
dem  Lehrerpersonale  des  hiesigen  Lyceums  kein  Wechsel  stattgefunden, 
hat  das  Schuljahr  1856 — 57  in  dieser 'Beziehung  mehrere  wesentliche 
Veränderungen  herbeigeführt.  Dr  Habermehl  wurde  an  dal^  Lyceum 
in  Wertheim  und  der  Lyceumslehrer  v,  Langsdorff  yon  Wertheim  an 
das  hiesige  Lyceum  versetzt.  Der  Lehramtspraktikant  Pf  äff  von  der 
höheren  Bürgerschule  in  Baden  trat  an  dem  hiesigen  Lyceum  ein,  wäh- 
rend der  Lehramtspraktikant  Dietz  von  hier  an  das  Pädagogium  in 
Durlach  abgieng.  Der  Reallehrer  Riegel  erhielt  die  zweite  Hauptleh- 
jrecstelle  an  der  hiesigen  katholischen  Volksschule;  die  Unterrichtsstan- 


190  Berichte  aber  gelehrte  AnstalteD,  Verordnaogeii,  ftalifi.  Noii 

den  desselben  wurden  zum  grösten  Theile  dem  Lebramtspraktikanten 
8tizenberger  übergeben.  Bestand  des  Personals  des  LjceumB:  ge- 
heimer Hofrath  Dr  Bahr,  Ephorus,  Prof.  Cadenbach,  d.  Z.  Direcior 
des  Lyceums,  Hofrath  Prof.  Haatz,  alternierender  Director,  die  Pro- 
fessoren Behaghel,  Helferich,  Dr  Arneth,  die  Ljceamslebrer  Dr 
Schmitt,  Y.  Langsdorff,  geistlicher  Lehrer  DrKössing,  Ljceams- 
lebrer Dr  Süpfle,  die  Lehramtspraktikanten  Stizenberger ,  Pfaffi 
8tadtpfarrer  Dr  Holtzmann,  evang.  Religionslebrer  Fürst  und  Bei- 
sels, israel.  Keligionslehrer.  Dem  Jahresbericht  ist  beigelegt  eine  histo- 
rische Abhandlung  von  Hofrath  Hautz:  urkundliche  Geschichte  der  Stir 
pendien  und  Stiftungen  an  dem  groszher zog  liehen  Lyceum  und  der  l/mvern- 
tdt  zu  Heidelberg  mit  den  Lebensbeschreibungen  der  Stifter,  Nebst  den 
Ehm' sehen  und  den  Bernhard* sehen ^ Pfälzer -Stipendien  an  der  Universität 
Basel  und  Utrecht,  dem  Neuspitzer'' sehen  Familien-Stipendium  und  einem  An- 
hange über  den  Geldwerth  in  früherer  und  jetziger  Zeit,     Zweites  Heft, 

8.    Lahb.]     Der   Gymnasiumslehrer  Müller  wurde    an    das  Päda- 
gogium  und  die  höhere  Bürgerschule  zu  Lörrach  versetzt«    Der  Lebr- 
amtspraktikant  Dr    Deimling  vom  Lyceum   zu   Karlsruhe  wurde  mit 
Yersehung  von  Lehrstuuden   beauftragt,   da  der  von  dem  Ljceum  sa 
Carlsruhe  hierher  versetzte  Prof.  Efsenlohr  einen  Urlaub  auf  Jahres- 
frist erhielt.     Lehrerpersonal  des  Gymnasiums:  Hofrath  Gebhar-d,  Di- 
rector, die  Professoren  Fesenbeckh,  Joachim,  Wagner,  Eisen- 
lohr,    Lehramtspraktikaut   Dr   Deimling,    Steinmann,   Hiiiert, 
Förderer,  kath.  Religionslehrer.   Die  Beigabe  des  Programms  enthält: 
Uebertragungen  einiger  deutscher  Gedichte  ins  Lateinische  von  Hofrath  Geb- 
hard.    Die  übersetzten  Gedichte  sind   A)  von  Göthe:  Mignons  Sehn- 
sucht, Gefunden,  Heidenröslein ,  der  Erlkönig,  der  Zauberlehrling.     B) 
von  Schiller:  der  Antritt  des  neuen  Jahrhunderts,  Thekla,  das  Mäd- 
chen aus  der  Fremde,  Hektors  Abschied.     C)  von  Rückert:   ein  Gha- 
sel.     D)    von   Max   v.   Schenken dorf:    das  Bergschlosz    in   Baden. 
E)  von  Just  in  US  Kerner:    der  reichste  Fürst,   Preis  der  Tanne.    F) 
von  Bürgerf'  das   Dörfchen  (ein  Auszug).     Der  Uebersetzer  hat  sieh 
bei  diesen  Uebertragungen   nicht   mit  dem  Wortaccente  begnügt,  wie 
dies  in  so  vielen  geistlichen  Liedern,   namentlich  in  dem  schönen  *8ta- 
bat  mater  dolorosa  luxta  crucem  lacrymosa'  usw.  und  in  dem   'Dies 
irae,  dies  illa'  usw.  und  in  der  berühmten  Uebersetzung  von  Schillere 
Lied  an. die  Freude:  'Gaudium  divinum  claris  Genitum  coelitibos'  usw.  . 
geschehen  ist,   sondern  sich  an  die  klassische  Strenge  des  Metrums  ge- 
bunden.    Auch  hat  derselbe  auf  die  erlaubte  Freiheit  der  alten  klassi- 
schen Dichter  verzichtet,  den  lambus  mit  Tribrachys,   den  Spoodeos 
«nit  dem  Anapäst  oder  Dactylus  zu  vertauschen,  weil  diese  Vertauschong 
den  modernen  Anstrich   der  deutschen  Verse  theilweise  verwischt  haben 
würde.    Das  Versmasz  des  deutschen  Originals  ist  nur  in  zwei  Gedich- 
ten,  und   zwar  absichtlich,  ein  wenig  verlassen  worden.     In  ^Hektors 
Abschied'  ist  der  dritte  und  sechste  Vers  einer  jeden  Strophe  um  ^inen 
Fusz  kürzer  als  im  Deutschen.    Die  zweite  Abweichung  besteht  darin, 
dasz  im  'Dörfchen '  nur  männliche  Reime  vorkommen.     Im  'Heidenrös- 
lein'  ist  der  jedesmalige  deutsche  Refrain   im  Lateinischen   nicht  bei- 
behalten, sondern  in  jeder  Strophe  der 'jedesmaligen  Empfindung  gemäss 
abgeändert.  » 

9.  Mannueim.]  In  dem  verflossenen  Schuljahre  18d6/57  sind  keine 
wesentlichen  Aenderungen  am  Lyceum  eingetreten.  Lehramtspraktikant 
Heingärtner  erhielt  zur  Uebernahme  einer  Lehrerstelle  in  England 
einen  anderthalbjährigen  Urlaub.  Das  Personal  des  Lyceums  ist  gegen- 
wärtig folgendes:  Prof.  Behaghel,  Director,  Hofrath  Scharpf,  Hof- 
rath Kilian.  die  Professoren  Dr  Fickler,  Baumann,  Waag,  Ebner, 
Schmidt,  Deimling,  Lyceumslehrer  Rapp,  Spitalpfarrer  Sohmiit, 


Beridile  Aber  ^lehrte  ÄBStiltoii,  Verordnoiigeii,  ftatift.  Notiiat.  191 

kath.  Religionslehrer,  Gamisonsprediger  Riehm,  evang.  Religionsleh- 
rer,  Lehramtspraktikant  Kremp,  Lehrer  Selz.  Dem  Programme  ist 
beigefügt:  Geschulte  und  Statifiik  des  LyceioM  zu  Mannheim  von  der 
Gründung  desselben  im  Jahr  1807  bis  Herbst  1857  von  dem  Director 
Behaghel. 

10.  Offekbübo.]  Der  bisherige  Vorstand  des  hiesigen  Gymnasiums, 
Professor  .Trotter,  erhielt  eine  Lehrstelle  am  Lyceum  in  Rastatt.  An 
seine  Stelle  trat  Professor  Intlekofer  vom  Lyceam  in  Freiburg.  Der 
Lehramtspraktikant  L  Ö  h  1  e  wurde  vom  Pädagogium  in  Durlach'  an  das 
hiesige  Gymnasium,  bald  darauf  nach  Donaueschingen,  und  der  Lehramts- 
praktikant Mayer  von  dieseAi  an  das  Lyceum  nach  Freiburg  berufen. 
Der  Lehramtspr.  Schindler  vom  Gymnasium  in  Bruchsal  trat  an  die 
Stelle  des  versetzten  Löhle.  Der  Praktikant  Eytenbenz  trat  als 
Volontär  ein.  Personal  d^s  Gymnasiums:  Prof.  Intlekofer,  Director, 
die  Professoren  Stumpf,  Schwab,  geistl.  Lehrer  Eckert,  die  Gym- 
nasiuraslehrer  Blatz,  Schlegel,  die  Lehramtspraktikanten  Schind- 
ler, Eytenbenz,  Pfarrer  Müller,  evang.  Religionslehrer.  Dem  Pro- 
gramm ist  beigegeben  eine  Abhandlung  des  Prof.  S^chwab:  die  latei- 
nisehe  Wortfolge,  Bevor  der  Verf.  an  die  Aufstellung  der  Regeln  über 
die  Wortfolge  der  latein.  Sprache  selbst  geht,  gibt  er  in  der  Einleitung 
eine  gedrängte  Geschichte  der  Lehre  über  die  Stellung  der  Worter,  je- 
doch so,  dasz  er  nur  bis  auf  Sc  hell  er  zurückgreift.  Die  von  Schee- 
ler, Bauer,  Grotefend,  Wenk,  Bröder,  Ramshorn,  Zumpt, 
Feldbausch,  Raspe  aufgestellten  Theorien  werden  als  ungenügend 
oder  willkürlich  oder  unrichtig  verworfen.  Wochers  Theorie  in  seiner 
Schrift:  die  lateinische  Wortfolge  nach  logischen  und  phonetischen  Grund- 
sätzen 1849 y  gerichtet  gegen  Jahns  Ansichten  und  Grundsätze  (in  der 
Recension  von  Raspes  Schrift  in  den  N.  Jahrb.  Bd  XXXXV  S.  55 — 59)» 
welcher  dreierlei  Wortstellnngsarten  unterscheidet:  die  grammatische, 
die  rhetorische  und  die  euphonistische  (nicht  viel  verschieden 
davon  sind  die  Ansichten  von  Hand  und  Heinichen)  wird  in  ihrer 
Gmndansicht  dargestellt  und  seine  Behauptungen  einer  Prüfung  unter- 
zogen. Der  Verf.  stimmt  mit  Wocher  darin  überein ,  dasz  es  keine 
Trennung  geben  könne  zwischen  einer  grammatischen  und  logischen 
Wortstellung,  weil  das,  was  logisch  richtig  ist,  es  auch  grammatisch 
sein  müsse.  Wenn  aber  Wocher  meine,  es  lasse  sich  nicht  angeben,  wie 
der  Römer  im  ruhigen,  afifcctlosen  Gedankengang  die  Reihenfolge  der 
Wörter  geordnet,  so  habe  er  sehr  unrecht.  Dasz  ferner  das  Masz  von 
Freiheit  oder  Ungebtmdenheit  der  möglichen  Wortfolge  bei  verschiedenen 
Sprachen  ein  verschiedenes  sein  müsse  und  von  der  Natur  des  eigen- 
thümlichen  Sprachbaues  abhänge,  dies  sei  natürlich.  Die  möglichst 
vollkommene  Ausprägung  der  Nominal-  und  Verbalflexion ,  in  Genus, 
Knmerus,  Casus  und  Personenverhältnissen,  welche  man  in  den  klassi- 
schen Sprachen  finde,  gewähre  eine  gröszere  Freiheit,  Beweglichkeit  und 
manigfaltige  Gliederungsfähigkeit  der  Wortfolge ,  als  die  Flexionslosig- 
keit  oder  doch  grosze  Ünvollkommenheit  der  Flexion  in  den  romanischen, 
vorzüglich  der  französischen  Sprache.  Der  Verf.  macht  ferner  auch 
Wochers  Ansicht  zu  der  seinigen,,  dasz  es  zunächst  und  zumeist  von 
der  verschiedenen  logischen  Ordnung  des  Gedankenablaufes  abhänge,  -^ 
natürlich  bei  gehöriger  Berücksichtigung  der  euphonischen  und  sonstigen 
ästhetischen  Einflüsse  —  ob  man  sage:  vana  est  omnis  gloria,  oder  omnis 
gloria  vana  est,  oder  omnis  vana  gloria  est,  oder  omnis  gloria  est  vana  usw. 
—  aber  er  gibt  nicht  zu ,  dasz  man  eine  besondere  Rangordnung  für 
den  Philosophen,  für  den  Redner,  Geschichtschreiber  und  Dichter  habe. 
Wenn  nun  Wocher  eine  für  alle  Fälle  giltige ,  starre  grammatisch  lo- 
gische Wortfolge  nicht  ertragen  könne,  so  könne  auch  der  Verf.  seine 
leitenden  Grundsätze,  in  vier  Ordnungen  aufgestellt,  ebenfalls  nicht,  am 


192  Berichte  Aber  gelehrte  Anstalten,  Verordnungen ,  etatuL  Notiien. 

allerwenigsten  aber  als  grammatische  Kegpeln  {gelten  lassen.  Seine  erste 
OrdnuDg  leide  an  Einseitigkeit.  Wenn  das  wichtigste  Wort  aus  irgend 
einem  Grnnde  an  den  Anfang  des  Satzes  treten  müsse,  so  sei  im  La- 
teinischen nur  dann  die  absteigende  Ordnung  der  Art ,  dasz  die  übrigen 
Wörter  nach  ihrer  Wichtigkeit  sich  anreihen,  so  dasz  das  minder  be- 
deutsame am  Ende  erscheine,  wenn  man  die  rhetorische  Figur  anwen- 
den wolle,  die  man  dvvi'nkifia^  nennt,  und  seine  zweite  Ordnung  sei  eine 
%Xi}ict^.  Der  Verf.  erklärt  aus  Wochers  Schrift  den  Grund  kennen  g»> 
lernt  zu  haben,  warum  im  Lateinischen  die  Wortfolge  sich  leicht  an  die 
Gedankenabfolgc  anschlieszon  könne;  aber  Regeln,  wie  man  nun  die 
Wörter  aufeinander  folgen  lassen  solle ,  *  vermöge  er  bei  ihm  nicht  la 
finden.  In  der  Abhandlung  unterscheidet  der  Verf.  zunächst  eine  ge> 
wohnliche  und  eine  invertierte  Stellung.  A.  Einfacher  Sats. 
I)  Gewöhnliche  Stellung.  11)  Invertierte  Stellung.  III)  Stellang  der 
Präpositionen.  IV)  ^Stellung  der  Conjunctioncn.  V)  Stellung  der  Ne* 
gation.  VI)  Stellung  der  Pronomina.  —  B.  Der  zusammengesetate  Sats. 
I)  Die  Satzverbindung.  II)  Das  Satzgefüge.  Von  der  Stellang  bei 
Perioden.  —  Der  Verf.  hat  die  aufgestellten  Sätze  an  einer  Reihe  von 
Beispielen,  welche  meist  Ciceros  Schriften  entnommen  sind,  naohiu- 
weisen  gesucht.  Es  genüge  hier  nur  einzelnes  anzuführen,  worin  dar 
Verf.  von  der  Ansicht  anderer  abweicht.  §  0:  'Das  Substantiv  wird 
der  Beifügung  vorangestellt,  weil  es  das  allgemeine  ist  und  darch  die 
Beifügung  das  besondere  angegeben  wird,  das  besondere  zugleich  auch 
das  wichtigere  ist,  denn  bei  homo  bonus  ist  es  dem  redenden  um  den 
Begriff  bonus  zu  thnn.  Homines  ist  das  ganze,  aber  ein  homo  bonos 
ist  etwas  aus  der  groszen  Masse,  aus  dem  allgemeinen  herausgenomme- 
nes, besonderes.'  Besser  Zumpt  §  793.  Krüger  §  Ö74  A.  3.  —  §  23 
wird  die  Kegel,  wie  sie  Jahn  und  Nägelsbach  aufstellen,  wenn  zum 
Prädicatsbegriff  mehrere  Ergänzungen  gehören  (das  Subject  begannt  den 
Satz ,  der  Verbalbegriff  schlieszt  ihn ;  vor  ^em  Verbalbegriff  erscheint 
das  Object,  vor  diesem  der  Dativ  oder  überhaupt  die  Zweckcyns,  vor 
diesen  die  Satztheile  der  Zeit,  des  Ortes,  der  Ursache,  des  Mittels)  in 
dieser  Allgemeinheit  für  unrichtig  gehalten.  Man  müsse  den  Verbalbe- 
griff zum  Anhaltspunkt  machen  und  darauf  sehen,  ob  ein  Begriff  sieh 
enger  an  diesen  anschliesze,  mit  ihm  sich  zur  gröszeren  Einheit  Ter- 
binde;  sei  dieses  der  Fall,  so  werde  er  näher  zu  demselben  hiniatreten 
als  ein  anderer.  Wenn  dieses  Gesetz  befriedigt  sei,  gelte  für  die  Rang- 
ordnung der  übrigen 'Bestimmungen  die  Kegel,  dasz  das  früher  gedachte 
voranzugehen  pflege,  dasz  die  weitere  Bestimmung  vor  der  engeren,  das 
persönliche  Object  vor  dem  sachlichen  den  Vortritt  habe,  dasa  die  Art 
und  Weise  dem  Prädicate  näher  rücke  als  die  übrigen  Bestimmongen, 
ja  oft  näher  als  der  Accusativ.  Diese  allgemeinen  Regeln  werden  dann 
in  ihren  einzelnen  Theilen  dargestellt.  Bei  der  invertierten  Btellnng, 
welche  ihren  Grund  habe  in  dem  Gedankenablauf  und  Gefühlserregiings- 
gang  oder  in  dem  Gegensatz,  oder  auch  hervorgerufen  werde  durch  den 
Wohlklang  und  die  Wohlbewegung,  die  Abrundung  des  ganzen,  durch 
die  Stimmung  des  schreibenden  oder  sprechenden ,  zeigt  der  Verf.  dass 
Wörter,  welche  in  näherer  Beziehung  zu  einander  stehen,  wie  Snbject 
und  Prädicat,  Object  und  Zeitwort  usw.  ihre  gewöhnliche  Stellang  nnter 
sich  vertauschen,  weil  das  im  Gegensatz  stehende  Wort  vorantritt  oder 
weil  der  Vorantritt  eines  Wortes  gefordert  wird,  damit  es  nfther  an 
das  vorhergehende  gerückt  werde,  wo  es  schon  angeregt  ist,  oder  weil 
es  im  Gedankenablauf  oder  Gefühl.sentwicklungsgang  früher  erscheint, 
oder  weil  eine  Hervorhebung  durch  eine  Umstellung  bewirkt  werden 
soll;  es  wird  ferner  nachgewiesen,  dasz  auch  Object  und  Subject  usw., 
überhaupt  Wörter,  die  nicht  in  dieser  engen  Beaiehung  la  einimder 
Stehen,  doch  ihre  Stelle  nach  den  eben  angedeuteten  Gründen  Terftwi- 


Berichte  Aber  gelehrte  AnstalteD,  Verordiiangen,  sUHisL  Notizea.  198 

sehen.     Nicht   nothwendig ,  sondern  nur  zufällig  sei  aber  das  Yorantre- 
tende  Wort  das  bedeutsamste  und  wichtigste. 

11     Rastatt.]     An  dem  hiesigen  Ljceum  trat  in  dem  Lehrerperso* 
nale  keine  weitere  Aendernng  ein,   als   dasz  Professor  »Schneyder  in 
den  Ruhestand  versetzt  wurde  and  Prof.  Trotter,  bisher  Director  des 
Gymnasiums  in  Ofifenbnrg,    an   seine   Stelle  trat.     Ersterer  starb   bald 
nachher.     Das   Lehrercoliegium   bestand  aus   dem  Director  Schraut, 
den  Professoren  geistl.  Rath  Gri  es  ha  her,  Trotter,  Nicolai,  Dons* 
bach,  Eisinger,  Dr  Ranch  und  Dr  Holzherr,  dem  geistl.  Lehrer 
Merz,   den  Lehramtspraktikanten  Forster  und  Seidner,  dem  Real- 
lehrer Santo.     Dlc~  wissenschaftliche   Beigabe  zum  Programm  enthält 
eine  Abhandlung  vom  Lyceumsdirector  Schraut:   über  die  Bedeutung 
der  Partikel  ydg  in  den  scheinbar  vorgeschobenen  Sätzen.   Unter  dem  Titel : 
*rfi>  griechischen  Partikeln  im  Zusammenhange  nnt  den  ältesten  Stämmen  der 
Sprache*  hat  derselbe  Verf.  in  den  Jahren  1847,  1848  und  1849  als  Bei- 
gaben zu  den  Programmen  des  Progymnasiums  zu  Neusz  drei  Abhandlun- 
gen veröffentlicht,  die  zum  Zwecke  hatten  die  Geltung  und  den  Gebrauch 
einer  Anzahl  von  griechischen  Satzadverbien  auf  eine  wissenschaftliche 
Grundlage  zurückzuführen,    da    die  Lehre    von  den  griech.   Partikeln 
nach  Härtung  wie   vor  ihm  auf  bloszer  Empii-ie  beruhe.    Wartung 
schicke  zwar  der  Zusammenstellung  über  den  Gebrauch  einer  jeden  Par- 
tikel eine  Abhandlung  über   die  Etymologie  derselben  voraus,   aber  er 
gehe  erstens  von  der  Voraussetzung  über  die  Verkommenheit  der  äuszerell 
Form  derselben  aus  und  suche  die  verwandten  Stämme  in  jeder  andern 
Sprache  eher  als   im  Griechischen,   und  zweitens  habe  er   schon   eine 
Grundbedeutung    aus    der  Leetüre   sich  abstrahiert,    so   dasz   also   die 
Etymologie  ins    Schlepptau    genommen    werde,    anstatt    ihren   eigenen 
selbständigen  Cours  zu  steuern;   er  grabe  nicht  nach  Wurzeln,  sondern 
schliesze  auf  dieselben ,   indem  er   seine   vorgefaszte  Meinung  von  der 
Grundbedeutung   durch   indo  -  germanische  Anklänge  und  Analogien   zu 
bekräftigen  suche.    So  komme  auch  H.  über  eine  Verknüpfung  der  ver- 
schiedenen Gebrauchsweisen  auf  dem  Wege   der  logischen  Abstraction 
nnd  Sublimation  nicht  hinaus.     Unbefriedigt  gelassen  durch  dergleichen 
vage  Abstractionen  und  abgestoszen  durch    die  gedankenlose  Empirie, 
will  der  Verf.  für  jede  Partikel  zu  einer  faszlichen,  concreten,  wo  mög- 
lich aus  sinnlicher  Anschauung  genommenen  Grundbedeutung  gelangen 
dadurch,  dasz    er    auf  der  Spur    der  lautlichen  Umbildung  Schritt  für 
Schritt  nicht  blos  vorwärts  die  Entfaltung  des  Begriffs,  den  Uebergang 
▼on  der  einfachsten  Sinnesanschauung    zum    Bilde    und   zur   logischen 
Abstraction    zu   verfolgen  ,   sondern  auch  rückwärts  den  Weg  von    der 
abstracten  Verstandesbenennung  bis  zur  primitiven  Gefühlsbezeichnung 
surückzulegen  bemüht   ist.     Nach  diesem  Grundsatze  hat  er  in  der  er- 
sten der  erwähnten  Abhandlungen  fiiv  und  ^^,    in   der   zweiten  äv  und 
%9v,   in  der  dritten  yi  und  äga  behandelt,  von  denen  allen  er  nachge- 
wiesen hat,   dasz  sie   alte  adverbialisch  fiectierte  und  adverbialisch  ge- 
brauchte  Stammwörter    seien,    deren  nähere  und  entferntere  Nach- 
kommenschaft in  zahlreichen  Fortbildungen  und  Ableitungen  einen  an- 
sehnlichen Theil  des  griechischen  Sprachschatzes  bilde.    Als  praktischer 
Gewinn  ergab  sich  auf  diesem   Wege  für  jede  einzelne   Partikel  eine 
feszliche,  der  sinnlichen  Anschauung  entnommene  Grundbedeutung,  aus 
der  die  logischen   und   ethischen  Anschauungsweisen  sich  nach  klaren 
Gesetzen  des   denkcns  und  Sprechens  gleichsam  von  selbst  entwickeln. 
Ans  dieser  eben  so  reichen  als  interessanten  Materie  hat  der  Verf.  seine 
Aufgabe  gewählt,  zu  deren  Bearbeitung  und  Veröffentlichung  er  sich  um 
so  lieber  entschlossen  hat.  als  er  die  Verwirklichung  eines  langgehegten 
Wunsches,  die  gesamte  Lelire  von  den  griechischen  Partikeln  im  ZuSam* 
menhang  zu  bearbeiten,  durch  die  Lasten  eines  mühseligen  Amtes  immer 


194  Beriohte  Ober  gelehrte  Anstalten,  Verordnangen,  staiitt  Nolaseii 

wieder  von  neuem  in  die  Feme  gerückt  sieht.    Wenn,  wie  es  gew5hii- 
lich  geschehe,  yaq  dorch  ^denn'  übersetzt  werde,  so  sei  dies  bei  einor 
grossen  Anzahl  von  Stellen  nur  dadurch  möglich  und  zulässig,  dass  eine 
Umstellunfl^  der  Sätze  statuiert  werde,   wie  Herod.  I  30  ^tivB  *A9^- 
vaiSy  nag'  rjiiias  yocQ   xti.    Anstatt  nun   den  Grund  dieser  Verschie- 
denheit im  Satzbau  in  der  divergierenden  Geltung  von  yceg  and  'denn* 
zu  suchen,  bürde  man  dem  Schriftsteller  oder  seinem  Satze  die  Schuld 
davon  auf,  dasz  ein  Hellene  seine  Gedanken  nicht  ordne  wie  ein  Deat- 
scher:  'der  Satz  hat  sich  vorgedrängt',  'es  geschieht  in  Folge  der  Leb- 
haftigkeit der  Bede%  'der  Gedanke  wird  so  emphatischer  ausgedrückt.' 
Es  springe  in  die  Augen,  dasz  diese  Erklärung,  so  anziehend  and  geist- 
reich  sie  auch  neuerdings  durch  einen  verdienten  Gelehrten,  den  Direc- 
tor  Dr  Classen,  im  Programm  des  Gymnasiums  zu  Frankfurt  a.  M.  1854 
aufgefrischt  worden  sei,  niur  für  einen  Nothbehelf  gelten  könne.    Die 
Spracherscheinung   sei  so   häufig,  nicht  blos  bei  Homer  und  Herodot, 
sondern  durch  alle  Schriftsteller  hindurch,  dasz  man  die  Griechen  eines 
wahrhaften  Misbrauchs  der  Lebendigkeit   der  Rede,   der  Emphase  osw. 
beschuldigen  müste,  wenn  dieser  'Unregelmäszigkeit'  nichts  anderes  sa 
Grunde  läge.    Der  Verf.  geht  nun  zurück  auf  yi  und  agct  als  die  Be- 
standtheile  von  ydff.    Er  weist  nach,  dasz  die  Grund bedentong  von  fi 
als  Adverbinm  die  sei,  dasz  der  redende  besagt  er  halte  an  dem  dorch 
yi  markierten  Begri£fe  fest  (der  alte  Verbalstamm  ytv  :=:  er  fasite). 
Entweder  fühle  er  selbst,  dasz  er  in   einem  Ausdrucke  zu  weit  ge- 
gangen sei,  und  erkläre  sich  bereit  einen  Theil  davon  zurückzunehmen, 
während   er  am  andern  Theile  festhalte,    oder  aber  der  sprechende 
vermute  aus  irgend  einem  Grunde,  dasz  der ,  zu  dem  er  spricht ,  nicht 
geneigt  sei  das  ausgesagte  in  seinem  ganzen  Umfange  gelten  za  lassen, 
dann  drücke  er  seine  Geneigtheit  etwas  davon  abzulassen  indirect  ans, 
indem  er  durch  ys  dasjenige  bezeichne  worauf  er  bestehe.    Gans  aas 
demselben  Gedankenzusammenhange  gehe  unser  'wenigstens'  hervor 
(das  wenigste,  woran  man  festhalten  müsse),  'auf  jeden  Fall,  unter 
allen  Umständen'  (ein  bestehen  auf  etwas).     So  besitze  unsere  Mat- 
tersprache noch  eine  Menge  von  Wörtern  und  von  Satzfügungen,  durch 
die  sie  den  Gedanken  in  der  Weise  näher  bestimme,  wie  dies  die  grie- 
chische durch  yi  thuo.    Hiernach  seien  die  Definitionen  der  älteren  Er- 
klärer, von   denen  einige  die  Bedeutung  von  yi  im  res tringieren, 
andere   in   der   Hervorhebung   sehen,    nicht    geradezu   falsch,   aber 
höchst  einseitig,  das  Resultat  bloszer  Abstraction  aus  einzelnen  Steilen. 
In  yi  liege  die  Beschränkung  auf  das,   was  unter  allen  Um- 
ständen festgehalten*  werde;  durch  yi  werde  auch  eine  Hervor- 
hebung dessen,  worauf  der  redende  besteht,  angedeutet.    Die 
Voraussetzung,  die  der  ganzen  Doctrin  Härtung^  über  yi  zu  Grande 
liegt,  dasz  nemlich  yi  ein  Synonymon  von  niq  sei,  wird  als  eine  ety- 
mologisch unbegründete  und  thatsächlich  irrige  bezeichnet  (ni^  gehöre 
zu  «cVi  ^^P^  bedeute  'Vorzug',  durch  nig  drücke  also  der  r^ende 
aus,  seine  Aussage  beziehe  sich  vorzugsweise   auf  den  durch  «if 
markierten  Begriff).    Von  einer  Mehrheit  der  Bedeutungen  könne,   wie 
überhaupt  bei  einfachen  Stammwörtern,  so  bei  yi  nicht  die  Rede  sein, 
aber  es  finden  Abstufungen  statt,  da  der  Gedanke,  von  dem  der  redende 
abzugehen  sich  bereit  erkläre,  bald  mehr,  bald  weniger  nahe  liege,  dem 
Schriftsteller  an  der  einen  Stelle  mehr,  an  der  andern  weniger  klar  vor- 
geschwebt  habe;  einmal  sei  er  genannt,   andere  male  sei  er  ans  dem 
allgemeinen  Zusammenhange  zu  ergänzen.   Und  je  bestimmter  und  hand- 
greiflicher dieser  Gegensatz  sich  geltend  mache,  desto  schärfer  trete  die 
ursprüngliche  Geltung  der  Partikel  hervor;  je  mehr  er  sich  in  das  allge- 
meine verliere ,  desto  mehr  büsze  das  Beziehungswort  an  begrifflicher 
Klarheit  ein.     Bemerkt  wird  endlich  noch  (gegen  Härtung) ,  dass  yi 


toriehfe  Ober  gelehrte  ÄDstalten,  VerordiinBgeB,  slatist.  Noiisei.  195 

mit  der  Form  des  Satzes  dnrchans  nichts  zu  schaffen  habe,  sondern 
nur  an  einen  bestimmten  Begriff  so  wie  äuszerlich  durch  die  Stellang, 
so  logisch  sich  anschliesze.  '  Der  Verf.  geht  sodann  za  dem  zweiten 
Bestandtbeile  von  yag^  zn  iffv,  aber.  Ziemlich  allgemein  werde  aner- 
kannt, dasz  dieses  Wörtchen  die  durch  a  fortgebildete  Wurzel  AF 
{dQ€iQBiv)  sei.  aga  heisze  in  erster  Bedeutung  'sofort,  alsbald'  (der 
Stamm  AP  'anfügen,  sich  anfügen'  besage,  dasz  ein  sinnlicher  Ge- 
genstand sich  an  einen  andern  ohne  Zwischenraum  anlege,  erst  local, 
dann  temporal).  Diese  erste  Bedeutung  von  aga  trete  dann  gegen  die 
vielfachen  abgeleiteten  Anwendungsweisen  yerhältnismäszig  zurück,  da 
die  Sprache,  nachdem  aga  vorzugsweise  logische  und  ethische  Beziehun- 
gen auszudrücken  übernommen ,  neue  prägnantere  Formen  für  den  Zeit- 
begriff geschaffen  habe.  Der  Verf.  setzt  darauf  auseinander,  wie  die 
Partikel  äga  aus  einer  zeitlichen  eine  sjllogistische  ('folglich,  dem- 
nach, also')  geworden  sei.  Wie  aus  der  temporalen  Bedeutung  von 
aga  die  logische,  so  gehe  aus  der  logischen  die  ethische  ganz  natürlich 
hervor.  Statt  der  Begründung  selbst  trete  nur  das  Zeichen  derselben  in 
den  Satz ;  so  drücke  also  aga  im  selbständigen  Redegliede  aus,  dasz  die 
Aussage  einen  natürlichen  Zusammenhang  habe,  für  den  reden- 
den eine  wolbegründetc,  eine  gesicherte,  mit  einem  Worte  ein 
feststehendes  Factum  sei.  Dieses  ethische  aga  werde  im  Deut- 
schen auf  verschiedene  Art  wiedergegeben:  'ja,  nun,  also,  natür- 
lich'). —  Aus  yi  und  äga  sei  nun  ydg  zusammengewachsen,  und  zwar 
sei  der  eine  Begriff  die  nothwendige  Ergänzung  und  Vervollständigung 
des  andern.  Erkläre  nemlich  der  sprechende  durch  yi,  dasz  er  an 
einer  Aussage  festhalte,  so  sei  es  natürlich,  dasz  der  Zuhörer  den 
Qrund  davon  zu  wissen  wünsche;  unter  Umständen  nun  werde  jener 
sich  herbeilassen  die   Aufklärung  in  extenso  zu  geben;   meist  aber  be- 

•  gnüge  er  sich  anzudeuten,  dasz  das,  woran  er  festhalte,  für  ihn  ein 
gefolgertes,  ein  durch  Erfahrung  begründetes,  mit  einem  Worte 
ein  factisch  feststehendes  sei,  und  diese  Andeutung  eben  enthalte 
aga.  Und  weil  nun  die  eine  Partikel  die  durch  die  andere  ausgedrückte 
Beziehung  vervollständige  und  bekräftige,  so  wachsen  beide  zusammen 
lu  yäg.  Der  Verf.  weist  darauf  an  ^inem  (aus  hunderten)  Beispiele 
nach,  dasz  diese  Grundbedeutung  auch  in  der  concreten  Sprache  wirk- 
lich noch  Geltung. habe  und  zur  Anwendung  komme.  Von  logischer 
Begründung  also,  wie  unser  'denn'  sie  ausdrücke,  liege  zunächst  und, 
anmittelbar  in  ydg  nichts;  diese  Bedeutung  erhalte  das  Glied  mit  yag 
erst  dadurch,  dasz  stillschweigend  vorausgesetzt  werde,  dasz  die  sub- 
jeetive  Aussage  inUebereinstimmung  sei  mit  dem  objectiven  gegen 
Widerspruch  gesicherten  Erfahrungssatze.  Als  Ergebnis  der  bis- 
herigen Erörterung  von  ydg  stehe  fest,  dasz  diese  Partikel  ursprünglich 
nnd  in  ihrer  vollen  Kraft  weit  mehr  andeute,  als  unser  'denn'  auszu- 
drucken im  Stande  sei,  und  die  Anwendung  von  letzterem,  auch  wo  sie 
eich  ungezwungen  ergebe,  nur  ein  Nothbehelf  sei,  bis  sie  dann  später 
im  Laufe  der  Zeit  von  ihrer  feineren  Bedeutung  mehr  und  mehr  ein- 
bfisze  und  zuletzt  nur  noch  als  abstraotes  Formwort  der  logischen  Be- 
gründung gelte,  und  der  Grieche  bei  ydg  dasselbe  denke,  wie  wir  jetzt 
bei  'denn'.  —  Zu  den  mit  der  Abstumpfung  von  ydg  auszer  Gebrauch 

,  gekommenen  Sprech  weisen  gehöre  nun  auch  die  Erscheinung,  dasz  der 
durch  ydg  'begründete'  Satz  voranstehe,  welche  der  Verf.  als 
wolbereditigt  und  als  Ausflusz  lebendigen  Sprachgefühls  darlegt,  wäh- 
rend die  alexandrinischen  Grammatiker  darin  nichts  als  einen  Archais- 
mus oder  eine  dichterische  Ldcenz  gesehen.  Zunächst  werden  derartige 
Stellen  aus  Homer  erläutert  und  wird  gezeigt ,  dasz  von  einer  Umstel- 
lung der  Sätze  keine  Rede  sein  könne,  da  im  Gegentheil  der  logische 

,  Zosammenhang  und  die  Gliedemng  der  Satztheile  durch  eine  Umstellnng 


196  Berichte  über  gelehrte  Anstalten,  Verordnungen,  fltatisi.  Notiiei. 

nnr  yerlieren,  anch  dnrch  die  Uebersotznng*  mit  'denn'   der  denisehe 
Ansdmck  nichts  gewinnen  würde.     Die   besprochenen  iStellen   sind:  IL 
VII  328   noXXol  yäq  Tt&väai  mX,    'In  Mcng-e  sind  ja  (yi)  die  haiipt- 
umlockten  Achner  gefallen;  darum  (äga)  must  dn  dem  Kriege  Einhalt 
tbnn';   ebenso  11.  XXIV  3M4    (In  derartigen  Sätzen  wird  auf  swei  Qe- 
setze  aufmerksam  gemacht:  erstens  sei  das  zweite  Satzglied  immer  ein 
Befehlsatz    [wenn   auch  nicht   der  Form,    sondern  nur   dem   Gedanken 
nach] ,  zweitens  könne  dieses  selbe  Glied  zwar  durch  ein  rückweiaendet 
Adverb  angeknüpft  werden,  aber  auch  asyndetisch  herantreten).     II.  I 
123.  X  Gl.  XV  201,  wo  yäg  in  einem  Fragesatze  steht.  Wenn  sich  «mn 
bei  Homer  schon  ergeben  habe,   dasz  bei  dem   fraglichen  Satzbaa  von 
einer  Besonderheit  des   Sprachgebrauchs,  von  Archaismus,  von  prolep- 
tischer  Wendung  usw.   durchaus  nicht  die  Rede  sein  könne,   so  werde 
diese  Ueberzougung  bei  der  Betrachtung  solcher  Stellen  aus  Horodot 
(im    ersten  Buch   10,    im  sechsten   12)    zur   vollen   Gewisheit.     Sieben 
Stellen  aus  Buch  1   entsprechen  den   homerischen  insofern  ganz  genau, 
als    sie    nicht    in    der   Darlegung   des  Geschichtschreibers  vorkommen, 
sondern  in  directcn  Reden,  und  zwar  zumeist  am  Anfang.    I  8:  'Gjges, 
ich  bin  nun  einmal  nicht  der  Ansicht,  dasz  du  mir  glaubst,  wenn  ich 
von  der  Schönheit  meiner  Frau  spreche  (wenigstens  finden  ja  die  Ohren 
bei  den  Menschen  weniger  Glauben   als   die  Augen),   so   mache  denn, 
dasz  du  sie  nackt  zu  sehen  bekömmst.'     I  30:   'Gastfreund  von  Athen, 
zu  uns  ist  ja  vielfach  Gerede   gelangt  von  deiner  Weisheit  sowol  alt 
deinen  Reisen,  wie  du  aus  Weisheitsdrang  ein   g^t  Stück  Erde  bereist 
hättest  des  schens  wegen;   da  wandelt  mich  denn  jetzt  die  Last  an  in 
fragen.'   I  69.  I  97.  I  121.  I  124.  I  155.    Auch  bei  Herodot  finden  sieh 
die  beiden  oben  erwähnten  Gesetze  wieder.  —  I  129;  'H.  aber  antwortete, 
er  sei  ja  nun   einmal  def ,  welcher  den  Brief  geschrieben  habe ;  die 
Thiit  gehöre  demnach  ihm  mit  Fug  und  Recht  an.'    I  14.  I  24.  I  27. 
I  85.    I  114.   I  166.    I  174.    I   191   enthalten  Worte  des   Schriftstelleri 
selbst,  wenn  auch  zum   Theil  in  der  Form  der  or.  obliqua.  —  Diese 
Anwendung  von  ydcQ  finde  sich  nun  aber  nicht  blos  bei  einem  oder  zwei 
Autoren,  sondern  durch  die  ganze  Zeit  der  lebendigen  Sprache  hindoreb. 
Sophocl.   Philoct.   79    (ed.  Wunder):   'Wol   weisz   ich,   Sohn,   dasi   da 
von  Haus  aus  nicht  so  geartet  bist  dergleichen  zu  sprechen,  noch  böses 
ins  Werk  zu  setzen;   aber  es  ist  ja   nun  doch  einmal  etwas  afisses 
nm  Erreichung   und   Besitz  des   Sieges,    so  wag^    es   denn.'     Ebenso 
'  144.  495.  856. '  1003.  —  Das  Gesamtergebnis  der  geführten  Untersachnng 
ist  dahin  zusammenzufassen:   1)  Die  Partikel  ydo  ist  ursprünglich  and 
ihrem  Wesen  nach  nichts  weniger  als  mit  dem  deutschen  'denn'  gleich- 
bedeutend, drückt  vielmehr  ganz  andere  Beziehungen  ethischer  Art  aus, 
wie  sie  in  yi  und  aga  gesondert  enthalten  sind,  von  denen  die  verstmn- 
desmäszige  Begründung  nur   indircct  die  Folge   ist.     2)  Nur  da  kann 
yuQ  durch  Menn'  wiedergegeben  werden,  wo  erstens  die  ursprüngliche 
Geltung  von  yi  und  ccqcl  sich  abgeschliffen  hat  und  blos  der  Verstandes^ 
mäszige   Anschlusz   übrig   geblieben  ist,    und    zweitens    das   Glied   mit 
ydg   nachsteht;   dagegen    musz   überall,   wo    noch    irgend    die  ethische 
Bedeutung    gefühlt   werden   kann,    eine    andere    Uebersetzung   gewählt 
werden. 

12.  Wertheim.]  In  dem  Personal  des  Lyceums  hat' in  dem  Schal- 
jahre 1856 — 57  die  Veränderung  stattgefunden,  dasz  der  Lehrer  v.  Längs - 
dorff  an  das  Ljceum  in  Heidelberg  und  der  Lehrer  Dr  Habermehl 
von  dem  Lyceum  zu  Heidelberg  an  das  hiesige  versetzt  wurde.  Perso- 
nal des  Lyceums:  Hofrath  Hertlein,  welchem  die  Direction  übertm- 
gen  ist,  die  Professoren  Dr  Neuber,  Föhlisch,  Caspari,  die  Ly- 
cenmslehrer  Dr  Habermehl,  Müller,  Reallehrer  Ströbe,  Pfarrer 
Maar  er,  evang.  Religionslehrer,  Pfarrverwalter  Mayland,  kath.  Ba- 


PersomlnoliMB.  t07 

li^onslehror.  Eine  wissenschaftliche  Abhandlung  ist  dem  rrogramm 
nicht  beifi^c^ehen.  Dagegen  erschien  bei  der  vierten  Säcnlarfeier  der 
Universität  Freiburg  von  dem  Director:  specimen  novae  JuUani  Caesarum 
edUionis  (ed.  Spanh.  8.  300—311).  S.  3—10  Text  mit  Angabe  der  ver- 
schiedenen Lesarten,  S.  12 — 20  enthält  annotationes.  In  dieser  Textes- 
recension  sind  anszer  den  bisherigen  Aasgaben  vier  pariser  Handschrif- 
ten benutzt,  welche  L.  Häuszcr  mit  der  Ausgabe  von  Harlesz  ver- 
glichen hat. 

Fulda.  I^f  Ostermann. 


Personalnotizen. 


Anstellnng^en,  BefBrdcmng^en «  Versetzang^en : 

Baeck,  Joh. ,  SchAC. ,  als  ord.  Lehrer  am  Gymnasium  zu  Beck- 
linghausen angestellt.  —  Bredow ,  Dr  Ferd. ,  als  Oberlehrer  an  dem 
neu  errichteten  Gymnasium  zu  Treptow  a.  R.  angestellt.  —  Breiter, 
Dr,  ord.  Lehrer  am  Gymnasium  zu  Hamm,  in  gleicher  Eigenschaft  an 
das  Gymnasium  zu* Marienwerder  berufen.  —  Brühl,  Dr  med.,  zum 
ord.  Professor  der  vergleichenden  Anatomie  an  der  Universität  Krakau 
ernannt.  —  Charg^,  Geistlicher,  als  ord.  Lehrer  am  katholischen  Gym- 
nasium zu  Köln  angestellt.  —  Den  sc  hie,  Dr  JuL,  ordentl.  Lehrer  am 
Pädagogium  zum  Kloster  U. -L. -Fr.  in  Magdeburg,  zum  Oberlehrer  er- 
nannt. —  Diestel,  Lic.  LudW.,  Privatdocent  in  Bonn,  zum  ao.  Prof. 
in  der  evangelisch  -  theologischen  Facultät  der  dasigen  Universität  befor- 
dert. —  Dümmler,  Dr  C.  L. ,  Privatdocent  an  der  Universität  zu 
Halle,  zum  ao.  Professor  in  der  philosophischen  Facultät  daselbst  er- 
nannt. —  Drygalski,  J.  L.  H.  von,  SchAC,  als  ordentlicher  Lehrer 
am  Kneiphöfischen  Gymnasium  zu  Königsberg  in  Preuszen  angestellt.  — 
Friedemann,  Dr  Moritz,  als  Oberlehrer  am  Gymnasium  zu  Treptow 
a.  R.  angestellt.  —  Geier,  Dr  Robert,  Prorector,  zum  Director  des 
Gymnasiums  in  Treptow  a.  B.  ernannt.  —  Karow,  SchAC,  als  ordent- 
licher Lehrer  am  Gymnasium  zu  Potsdam  angestellt.  —  Krause,  Dr 
Jul. ,  ordentlicher  Lehrer  am  Pädagogium  zum  Kloster  U.-L. -Fr.  zu 
Magdeburg,  zum  Oberlehrer  ernannt.  —  Lehnerdt,  Dr,  Gonsistorial- 
rath  und  Prof.  der  Theol.  an  der  Universität  zu  Berlin,  zum  Gencral- 
snperlnlendenten  für  die  Provinz  Sachsen  ernannt.  —  Lindner,  Dr 
Gust. ,  SchAC,  als  ordentlicher  Lehrer  am  Pädagogium  zu  Züllichau 
angestellt.  —  Mayring,  V.,  Studienlehrer  in  Amberg,  als  Professor 
an  das  Gymnasium  zu  Neuburg  an  der  Donau  versetzt.  —  Most, 
SchAC,  als  Collaborator  an  der  Friedrich  -  Wilhelms  -  Schule  zu  Stettin 
ernannt.  —  Roth,  Karl,  Lehramtspraktikant  am  Lyceum  zu  Karls- 
ruhe, zum  Lehrer  mit  Staatsdienereigenschaft  ernannt.  —  Schäfer, 
Dr  Paul,  SchAC,  zum  Collegen  am  Gymnasium  zu  Schweidnitz  be- 
rufen. —  Schwartz,  Dr,  Director  des  Gymnasiums  zu  Fulda,  als 
Director  an  das  herzoglich  nassauische  Gymnasium  zu  Hadamar  beru- 
fen. —  Simon,  Eug. ,  SchAC,  als  Collaborator  am  Gymnasium  St 
Maria  -  Magdalena  zu  Breslau  bestätigt. —  Späth,  Assistent  am  königl. 
Wilhelms -Gymnasium  zu  München,  als  Studienlehrer  nach  Amberg  ver- 
setzt. —  Tauscher,  Lic.  Jul.,  zum  Oberlehrer  am  Gymn.  zu  Treptow 
a.  R.  ernannt.  —  Todt,  Dr  Beruh.,  Lehrer,  als  ordentlicher  Lehrer 
am  Gymnasium  zu  Treptow  a.  R.  angestellt.  —  Vahlen,  Dr  Jph., 


198  Personalnotizeu. 

ao.  Professor  an  der  Universität  zu  Breslan,  als  ord.  Professor  der 
klassischen  Philologie  an  die  Universität  zu  Freibarg  im  Breisgau  be- 
rufen. —  Ziegel,  Ludw.,  als  ordentlicher  Lehrer  am  Gymnasium  su 
Treptow  a.  B.  angestellt. 

Praedlcieriuii^eii  und  Ehrenbemeng^oBi^eii  t 

Cholevius,  Leo,  Oberlehrer  am  Kneipböfischen  Gymnasium  au 
Königsberg  in  Pr. ,  als  Professor  praediciert.  —  Hauser,  Dr,  Lehrer 
am  Lyceum  su  Karlsruhe,  als  Professor  praediciert.  —  Müller,  Dr 
Job.,  ordentl.  Lehrer  am  Gymnasium  zu  Wesel,  erhielt  den  Titel 
Oberlehrer.  —  Schönborn,  Prorector  am  Gymnasium  zu  Krotoschin, 
als  Professor  praediciert. 

Pensioniert  s 

Mörtl,  Dr  Th.,  Professor  der  Oberklasse  am  Gymnasium  zu  Neu- 
bürg  an  der  Donau,  aus  administrativen  Erwägungen  vorbehaltlich  lei- 
ner  Wiederverwendung. 

Geetorben  t 

Am  27.  Jan.  auf  seinem  Schlosse  Polangis  Chapsal,  Maire  Ton 
Joinville-Pont,  allgemein  bekannt  durch  die  von  ihm  in  Verbindung  mit 
Noel  herausgegebene  französische  Gramm.  —  Am  3.  Febr.  zu  Leipsig 
der  ordentliche  Professor  der  Medicin,  Dr  Joh.  Karl  Wilhelm  Wal- 
ther. —  Am  0.  Febr.  in  Leipzig  der  Buchhändler  Georg  Wigand, 
50  Jahr  alt,  durch  seine  Unternehmungen  von  litterarischem  Verdienste. 
—  Am  15.  Febr.  in  Marienwerder  der  bekannte  nationalökonomiaohe 
Schriftsteller  Prof.  Dr  C.  Kr i es.  —  Am  16.  Februar  zu  Heidelberg 
der  Geh.  Rath  Professor  Dr  Georg  Friedrich  Creuzer,  geb.  la 
Marburg  1771,  seit  1804  in  Heidelberg,  ein  um  die  Vertiefung  und  Er- 
weiterung der  Alterthumsstudien  höchst  verdienter  Gelehrter  und  Leh- 
rer. —  Am  18.  Febr.  zu  Darmstadt  der  Oberstudiendirector  Neid- 
hardt. 


Zweite  Abtheilung 

herausgegeben  Ton  Rudolph  Rfetsch. 


10. 

Die  Regierung  der  Kinder.  Für  gebildete  Eltern^  Lehrer  imd 
Studierende  bearbeitet  von  Dr  Tuisko  Ziller ^  Privatdo- 
centen  in  Leipug.  Leipzig,  bei  B.  G.  Teubner  1857.  VIII  n. 
J82S.  8.  22%Ngr. 

Manche  Saat  branoht  lange  um  aufzugehen.  Wie  in  der  äuszern 
Natur,  so  auch  im  Gebiete  der  geistigen  Bildung.  Herbarts  allge- 
meine Paedagogik  erschien  bereits  1806,  und  wie  freudig  sie  auch  von 
einielnen  Männern,  unter  denen  auch  Jean  Paul  (vgl.  dessen  Levana),  be- 
gruszt  wurde,  kam  sie  hinterher  noch  viele  Jahre  hindurch  fast  in  Ver- 
gessenheit. E^  fehlten  die  zu  einer  tiefern  Apperception  nöthigen  Ge- 
danken, ja  noch  mehr:  Sucht  man  frappante  Beispiele  für  das  patboa 
ignorantiae  mit  obligaten  Absprechungen  und  Verdrehungen,  so  sehe 
man  die  zur  Zeit  erschienenen  Recensionen  nicht  allein  der  Paedago- 
gik, sondern  auch  der  Ethik  Herbarts  an,  und  man  wird  staunen.  Die 
psychologische  Blasiertheit  der  halbkantischen  Popularpbilosophie  und 
der  idealistisch -spinozistische  Schwindel  von  Fichte  bis  Hegel  übten 
auf  die  erste  Hälfte  dieses  Jahrhunderts  einen  so  nachlheiligen  Ein- 
flusz  aus,  dasz  es  der  zweiten  Hälfte  erst  vorbehalten  ist,  das  ver- 
säumte nachzuholen.  Und  in  der  That  steht  es  gegenwärtig  so,  dasz 
alle  aus^zeichneteren  Paedagogen  auf  die  Stimme  Herbarts  groszea 
Gewicht  legen ,  und  man  kann  überhaupt  sagen ,  dasz  je  mehr  aus  der 
Paedagogik  die  bloszen  Redensarten  und  wüsten  Groszthuereien  ver- 
schwinden, umsomehr  auf  die  sehr  umfassenden  und  noch  viel  zu  we- 
nig benutzten  Leistungen  Herbarts  Rücksicht  genommen  wird.  Freilich 
stellen  sich  dabei  noch  manche  Misverständnisse  ein.  Ethik  und  Psy> 
chologie  gehören  noch  nicht  gerade  zu  den  starken  Seiten  derber-, 
sehenden  Bildung,  die  Menge  eingesogener  Vorurteile  sind  nicht  so 
leicht  zu  beseitigen,  und  es  kostet  noch  manche  Zeit  und  Mühe  die 
mancherlei  Dissonenzen  des  in  falsche  Stimmung  gerathenen  Gedanlcen- 
kreises  zu  lösen.  Deshalb  sind  solche  litterarische  Erscheinungen, 
welche  einen  Beitrag  zu  diesem  Umschwünge  liefern,  besonders  dan- 
kenswerlh.    Als  einen  recht  schätzbaren  Beitrag  der  Art  haben  wir 

N.  Jahrb,  f.  Phü.  «.  Paed,  Bd  LXXVIII.  Hfti.  14 


200  Ziller :  die  Regierung  der  Kinder. 

die  Monographie  des  Dr  Ziller  über  die  Regierung  der  Kinder  za 
bezeichnen. 

Bekanntlich  hielt  Herbart  ganz  besonders  darauF  die  Thatigkeit 
der  Regierung  von  def  der  Zucht  begrifflich  streng  auseinander  zn 
halten.  Dagegen  sind  in  neuerer  Zeit  sehr  gewichtige  Bedenken  er- 
hoben. Man  fragte  z.  B.  ob  eine  Thätigkeil,  welche  keinen  bildenden 
Einflnsz ,  sondern  nur  einen  Druck  auf  den  Zögling  ausübe,  überhaupt 
zur  Erziehung  gehöre,  und  ob  eine  solche  Thatigkeit  mit  der  Sitt- 
lichkeitstendenz des  Erziehers  sich  vereinigen  lasse.  Die  gewöhnliche 
Meinung  geht  immer  noch  dahin,  dasz  alle  erziehende  Thatigkeit,  welche 
neben  dem  Unterrichte  stattfindet,  von  einerlei  Art  sei  und  ausschliesz- 
lieh  darin  bestehe,  den  Zögling  durch  unmittelbare  moralisch-reli- 
giöse Einwirkungen  zu  heben.  Die  gesunde  Praxis  geht  freilich  still- 
schweigend von  dieser  eben  so  falschen  als  gefährlichen  Ansicht  ab. 
Sie  hat  es  erfahren,  was  es  mit  dem  fortNvahrendcn  Innern  anfassen' 
durch  moralische  und  religiöse  Vorstellungen  für  eine  Bewandtnis  hat. 
Stumpfheit,  Heuchelei  oder  schwächliche  Sentimentalität  sind  die  häu- 
figen Folgen  davon.  Nichtsdestoweniger  sind  selbst  solche  Erzieher, 
die  das  richtige  Verfahren  anwenden  und  nur  regieren  wo  es  hinge- 
hört, ohne  dabei  schon  auf  die  Gemütsstimmung  des  Zöglings  unmittel- 
bar einzuwirken,  oft  geneigt  diesem  ihren  thun,  wenigstens  in  der 
Theorie,  einen  höheren  Werth  beizulegen  und  dasselbe  in  glänsea- 
derem  Lichte  zn  betrachten  als  ihm  eigentlich  zukommt.  Deshalb 
erfordert  es  in  unserer  Zeit  einen  gewissen  Mut  mit  der  Wahrheit  ge- 
rade herauszurücken  und  ein  von  der  Moralität  und  Relfgiosität  niobt 
unmittelbar  abhängiges  Gebiet  der  erziehenden  Thatigkeit  abm- 
grenzen,  in  welchem  andere  als  moralisch -religiöse  Mittel  in  Anwei* 
düng  kommen. 

Es  kam  also  zunächst  darauf  an  zu  untersuchen,  ob  der  Begriff 
der  Regierung,  den  Herbart  aufstellt,  sich  rechtfertigen  lasse.  Diet 
ist  in  §  1  der  Zillerschen  Schrift  geschehen.  Es  wird  S.  17  daraof 
aufmerksam  gemacht,  ^dasz  in  der  Wissenschaft  die  Begriffe  sorgfältig 
getrennt  und  genau  unterschieden  werden  müssen ,  damit  man  nicht 
da  wahrhaft  zu  erziehen  meint  wo  man  blos  regiert,  nnd  damit  man 
nicht  umgekehrt  in  den  Ton  und  die  Handlungsweise  der  RÜgiemng. 
verfällt  wo  es  sich  um  die  eigentliche  Bildung  handelt'.  Besondm« 
Deutlichkeit  gewinnt  der  Unterschied  der  Regierung  von  der  eigentliek 
erziehenden  Thatigkeit  durch  Vergleichung  der  Erziehungslebre  mit 
der  Staatslehre  S.  6  f.  Es  hätte  zu  weiterer  Verdeutlichnng  das  Ver- 
hältnis zwischen  der  gesellschaftlichen  Ordnung  und  dem  Rechte  en- 
geführt  werden  können.  Ordnung  halten  ist  noch  nicht  Recht  stiften, 
wol  aber  ist  eine  bestimmte  Ordnung  die  Vorbedingung  für  Rechtsbe- 
stimmungen, und  wiederum  gehören  zur  Aufrechterhaltung  von  Rechts- 
verhältnissen gewisse  Ordnungen.  Es  ist  dies  ein  Punkt,  von  welchem 
aus  in  den  gesellschaftlichen  Rechtslheorien  sich  ähnliche  Misverstind- 
nisse  gebildet  haben,  wie  in  der  Paedagogik  in  Betreff  der  Regierang 
nftd  Zucht. 


Ziller:  die  Regierung  der  Kinder.  201 

Nach  Beantwortung  jener  allgemeinen  Vorfragen  kam  es  nun  darauf 
an,  das  durch  den  Begriff  der  Regierung  bezeichnete  Verfahren,  von 
welchem  Herbart  sowol  in  seiner  ^allgemeinen  Paedagogik'  als  auch 
in  seiliem  1835  erschienenen  und  1841  mit  betrachtlichen  Vermehrun- 
gen wieder  herausgegolienen  ^Umrisse'  nur  eine  kurze  Skizze  entwor- 
fen hatte,  so  zu  detaillieren ,  dasz  es  der  Anwendung  des  praktischen 
Erziehers  nahe  genug  gelegt  wurde.  Damit  hat  es  der  übrige  Theil 
der  Untersuchung  zu  thun.  Er  ist  in  zwei  Abschnitte  getrennt.  Im 
ersten  Abschnitte,  unter  dem  Titel  Anordnung  S.  21  —  39,  sind  nur 
erst  im  allgemeinen  die  Maszregeln  angeführt,  welchen  das  Kind  un- 
terworfen werden  musz,  damit  es  sich  in  seinen  Schranken  halte.  Sie 
werden  bezeichnet  als  die  Maszregeln  des  leiblichen  aufer- 
Ziehens,  der  Beschäftigungen ,  der  a  uszern  Gewalt,  der 
Auctorität  und  Liehe.  Im  zweiten  Abschnitte  S.  43  — 179  unter 
dem  Titel  Ausführ ung^sind  dann  die  näheren  Bestimmungen  hinzu- 
gefügt, welche  bei  Anwendung  der  einzelnen  Regierungsmaszregeln 
beobachtet  werden  müssen ,  wenn  der  Zweck  erreicht  werden  soll'. 
Wir  haben  hier  in  einzelnen  Paragraphen  folgende  Artikel :  das  leib- 
liche auferziehen;  die  Beschäftigungen;  der  Befehl ;  die 
Strafe;  die  Arten  und  Grade  der  Strafe;  die  Aufsicht 
als  ein  Glied  in  der  Reihe  harter  Regierungsmaszregeln; 
positive  Vorschriften  liber  die  Einrichtungen  der  Auf- 
sicht; die  Buchführung;  die  speciellen  Ursachen  der 
Auctorität;  di  e  speciellen  Ursachen  der  Liebe;  dieFol- 
gen  von  Auctorität  undLiebe  für  dieRegierung  über- 
haupt; das  Haus  und  die  Schule  in  Beziehung  aufAucto- 
ritfit  und  Liebet  Schwierigkeit  und  Leichtigkeit  der  Re- 
gierung; Uebergang  zum  Ende  der  Regierung.  Der  Ver- 
fasser sucht  bei  diesen  Ausführungen  die  zuvor  festgestellte  Eigen* 
tbarolichkeit  der  Regierung  und  ihren  Unterschied  von  dem  moralisch- 
religiösen Verfahren  der  Zucht  streng  festzuhalten,  und  zu  zeigen, 
welch  ein  ganz  verschiedenes  Gepräge  die  einzelnen  Maszregeln  der 
Regierung  annehmen  und  welchen  anderen  Geist  sie  in  sich  tragen  in 
Vergleich  zu  ähnlichen  Maszregeln  der  Zucht.  Es  werden  hierdurch 
nicht  allein  die  hauptsächlichsten  Misverständnisse  über  die  Lehre  von 
der  Regierung  beseitigt,  sondern  es  gelingt  dem  Verfasser  dabei  auch 
eine  eben  so  natürliche  als  sichere  Entscheidung  über  berühmte  Streit- 
fragen zu  geben,  z.  B.  über  die  Zulässigkeit  sinnlicher  Strafmittel  und 
die  Anwendung  eines  unbedingten  Zwanggehorsams.  Auch  wird  nicht 
unterlassen  darauf  aufmerksam  zu  machen ,  wie  leicht  die  Regierung 
in  Gefahr  kommt,  in  ein  Uebermasz  auszuarten,  eine  Gefahr,  welcher 
besonders  höhere  Schulen  ausgesetzt  sind,  wenn  bei  ihnen  die  Er- 
ziehung nicht  recht  in  den  Gang  kommt.  Einen  Schutz  dagegen  soll 
die  Nachweisung  bilden,  wie  die  einzelnen  Regierungsmaszregeln  in 
ihre  natürlichen  Grenzen  einzuschlieszen  sind. 

Wie  reichhaltig  und  belehrend  nun  auch  diese  Ausführungen  sein 
mögen  und  in  der  That  sind,  so  bleib:  immer  noch  die  Frage  zu  beant- 

14* 


202  Ziller :  die  Regierung  der  Kinder. 

werten  übrig,  auf  welche  Weise  die  Regierung  mit  dem  Unterricht  und 
der  Zucht  in  Verbindung  zu  setzen  sei.  Die  Beantwortung  dieser  Frage 
behält  sich  der  Verf.  vor.  Er  will  nemlich  zuvor  erst  noch  diese  bei- 
den llauptzweige  der  Erziebnng  behandeln  und  damit  dann  die  Lehre 
von  der  Regierung  in  Verbindung  bringen.  Dagegen  finden  wir  in 
dem  bereits  gegebenen  sehr  dankenswerthe  Andeutungen  darüber,  wie 
die  Maszregeln  der  Regierung  im  einzelnen  und  im  ganzen  psycholo- 
gisch auf  den  Zögling  wirken.  Auf  eine  besondere  psychologische 
Begründung  der  Maszregeln  der  Regierung  hatte  Herbart  sich  nicht 
eingelassen,  sondern  nur  die  allgemeinsten  Gesetze  dafür  in  seiner 
Psychologie  aufgestellt,  im  guten  Vertrauen  dasz  andere  schon  nach 
dem  besondern  Bedürfnisse  dieselben  auf  die  concreten  Verhfiltnisse 
anwenden  würden.  Dazu  gehörte  aber  freilich,  dasz  man  sich  nicht 
in  psychologischen  Dingen  von  den  schlechten  Prodncten  der  Mode- 
Philosophie  imponieren  liesz.  Davon  hatte  die  Päedagogik  nicht  Dar 
keinen  Gewinn,  sondern  es  wurde  vielfach  das  Vertrauen  verminderi, 
welches  einer  guten  Theorie  überhaupt  gebührt.  Eine  gute  Theorie 
aber  leistet  in  der  Praxis,  die  sich  nicht  mit  dem  hergebrachten 
Schlendrian  begnügen  will,  immer  den  Dienst,  dasz  sie  denen,  ^die 
sich  ihr  hingaben,  eine  Menge  nützlicher  Aufhellungen  darbietet  and 
eine  grosze  Sicherheit  in  Ergreifung  der  rechten  Mittel  zum  Zwecke 
erzeugt.  Diesen  Zusammenhang  einer  gründlichen  Theorie  mit  einer 
gnten  Praxis  hat  der  Verfasser  in  seiner  ^Einleitung  zur  allgemeinen 
Paedagogik'  recht  gut  nachgewiesen  und  dadurch  dem  Vorurteile  zu 
begegnen  gesucht,  als  ob  vorzugsweise  die  Praxis  der  richtige  Weg 
zur  theoretischen  Einsicht  sei.  Es  soll  dadurch  der  Praxis  ihre  Be- 
deutung nicht  genommen  werden,  denn  nur  Uebung  macht  den  Meister. 
Aber  es  gilt  auch  eben  so  sehr  der  Satz:  dasz  der  Werth  des  eipe- 
rimentierens  für  die  weitere  Erkenntnis  davon  abhängt,  wie  geschickt 
man  Fragen  an  die  Erfahrung  zu  stellen  versteht.  Die  Theorie  aber 
stellt  nicht  allein  Fragen  auf,  sondern  gibt  auch  die  Antworten  daxa,. 
deren  Bewährung  sie  von  der  praktischen  Ausführung  erwartet. 

Diese  Andeutungen  mögen  genügen,  um  das  Interesse  unserer 
Leser  auf  die  recht  tüchtige  und  dabei  sehr  verstandlich  geschriebene 
Schrift  des  Hm  Dr  Ziller  zu  richten.  Namentlich  sei  sie  den  Can« 
didaten  des  Schulamts  und  künftigen  Hauslehrern  bestens  empfohlen. 
Dem  Hrn  Verfasser  aber  möge  es  bald  gelingen  seine  versprochenen 
^Unterrichtslehren'  erscheinen  zu  lassen.  Nach  dem  bisher  gegebenen 
versprechen  wir  uns  viel  davon. 

Halle.  DrAlUhn. 


Mezger :  hebräisches  Uebangshuch.  203 

(2.) 

Lehibücher  der  hebräischen  Sprache. 

(Schlufiz  von  S.  155—170.) 


4. 

1)  Hebräisches  Uebungsbuch  für  Anfänger  von  K,  L.  F.  Mezg  er, 

Professor  am  evangelisch -theologischen  Seminar  zu  Schön- 
thal  im  Königreiche  Würlemberg.  Mit  einer  Schreibvorschrifl. 
Leipzig  1856,  Hahn'sche  Yerlags-Buchhandlung.  XY  u.  183  S.  8. 

2)  Idber  Ruth  ex  Hebraico  in  Latinum  versus  perpeluaque  inter- 

pretatione  illuslratus.  Scr,  C,  L.  Fr.  Mezger^  Professor, 
Tubingae  ex  off.  Lud.  Frid.  Fues.   1856.   28  S.   4. 

Bei  der  dargelegten  EigeDthümiichkeit  auch  der  Ewaldschen  klei- 
nen Grammatik,  der  *  Sprachlehre',  war  es  ein  glücklicher  Gedanke 
durch  ein  vorbereitendes  Hülfsbuch  den  Anfänger  in  das  Hebräische 
einzufuhren,  damit  er  dann  um  so  leichter  die  wissenschaftliche  Dar- 
stellung bewältigen  könne,  und  Ewald  selbst  hat  die  Nützlichkeit  eines 
solchen  Unternehmens  anerkannt  und  das  Werk  des  Hrn  Prof.  Mezger  ' 
in  der  Vorrede  zu  seiner  Sprachlehre  als  *eine  zum  leichtern  einUben 
der  ersten  guten  Anfänge  nützliche  Zugabe'  im  voraus  empfohlen.  Es 
schlieszt  sich  daher  billig  auch  die  Anzeige  dieses  Buches  an  die  der 
Ewaldschen  Lehrbücher  an.    Auch  hat  Hr  Mezger  auf  das  Titelblatt 
schon  setzen  lassen :  ^Eine  Zugabe  zu  H.  Ewalds  hehr.  Sprachlehre  fflr 
Anfinger,  zweite  Ausgabe  1855,  so  wie  zu  jeder  hebr.  Grammatik.' 
Er  citiert  auch  allerdings  Gesenius,  weist  aber   in  der  Vorrede  su 
bestimmt  auf  die  ^Unvollkommenheit'  von  dessen  Grammatik  hin,  als 
dasz  man  in  seinem  Sinne  handeln  würde,  wenn  man  neben  seinem 
Uebungsbuche  Gesenius  Grammatik  benutzeu  wollte.    Der  Verfasser 
ist,  wie  Titelblatt  und  Vorrede  hinreichend  belegen,  Verehrer  Ewalds 
ond  seiner  Behandlung  des  Hebräischen:   deshalb  fahren» wir  zur  Be- 
stätigung unseres  Urteils  über  Ewald  gleich  die  Worte  Vorrede  S.  XU 
selbst  an:  *Wer  nun  aber  Ewalds  Sprachbücher  auch  nur  einigermaszen 
kennt,  wird  sich  überzeugt  haben,  dasz  zur  Erkenntnis  und  fruchtba-^ 
ren  Benutzung  derselben  eine  längere  Beschäftigung  mit  der  Ausdruoks- 
"weise  und  streng  wissenschaftlichen  Ordnung  des  Verfassers  durchaus 
nothwendig  ist',  das  heiszt  doch  eben,  man  musz  erst  die  deutsche 
Sprache  Ewalds  lernen,  um  dann  mit  Hülfe  dieser  Kenntnis  auch  das 
Hebräische  zu  begreifen.    Das  ist  aber  eben  Ewalds  schlimmster  Feh- 
ler, und  wenn  jetzt  noch  aller  Orten  seine  Bücher  gerühmt  werden, 
und  wenn  jetzt  es  noch  einzelne  gibt  wie  Hr  M. ,  der  seine  Werke 
'durchgearbeitet',  werden  diese  doch  schnell  aus  wirklichem  Gebrauch 
kommen,  wenn  nicht  mehr  der  lebendige  Vortrag  bei  vielen  das  Ver- 
ständnis vermittelt,  und  es  wird  wenige  geben  von  denen,  die  Ewald 


204  Mezger:  hebräisches  Uebungsbaeh. 

nie  selbst  gehört  und  gesehen,  die  wie  wir  uns  rühmen  können  —  ^ 
denn  Ausdauer  gehört  dazu  —  die  5e  AuQage  von  658  und  die  6e  von 
784  Seiten  durchgearbeitet  zu  haben,  wobei  wir  allerdings  selten  Ge- 
nusz  und  für  die  Qual  oft  auch  nicht  Gewinn  genug  gehabt  haben.  Und 
hier  müssen  wir  gleich  an  Mezgers  Buche  rühmen,  dasz  es  einfache 
und  klare  Sprache  hat,  und  indem  es  viele  grammatische  Regeln  in 
Ewaldscher  Auffassung  aber  in  dieser  verständlichen  Form  gefaszt  gibt, 
ein  ganz  vortrefTliches  Mittel   ist  zum  Verständnis  der  Evoildschen 
Werke  und  insofern  seinem  Zwecke  vollkommen  entspricht.  Es 
hat  aber  auch  noch  einen  andern  Zweck:  ^Dieses  Uebungsbuch  hat  den 
Zweck ,  eine  stufenmäszig  geordnete  Anleitung  zur  gründlichen  Erler- 
nung der  ersten  Anfänge  der  hebräischen  Sprache  zu  geben.'    Für  die 
Einrichtung  desselben  beruft  sich  der  Verfasser  auf  eine  mehr  als 
zwanzigjährige  Erfahrung,  und  gegen  Erfahrungen  Ifiszt  sich  eben  nicht 
mit  Theorien  streiten ,  doch  läszt  sich  dagegen  eine  andere  Erfahrung 
setzen,  und  wir  können  auch  wenn  auch  nicht    überzwanzigjährige 
doch  nahezu  zwanzigjährige  Erfahrung  geltend  machen ,  und  da  haben   . 
wir  nie  die  Nolhwendigkeit  gefunden  oder  ist  uns  nur  der  Gedanke  ge- 
kommen: dasz  ein  Uebungsbuch,  das  ^Lehr-,  Uebungs-  und  Lesebuch 
zugleich'  ist,  wie  man  solche  im  Lateinischen  für  zehnjährige  Knaben 
hat,  bei  achtzehn-  bis  zwanzigjährigen  Primanern  und  Secnndaneni 
nützlich  sei.    Die    Hülfsbücher  der  Art  haben   immer   etwas  mar- 
terndes für  Schüler  und  Lehrer;  sie  sind  in  manchen  Kreisen  sehr 
beliebt,  ob  sehr  fruchtbringend  ist  wol  die  Frage,  d.  h.  für 
den  nächsten  Zweck ;  denn  dasz  ein  solches  hetzen  des  jugendlichen 
Geistes  durch  allerlei  Sätze  und  Sätzchen,  mit  Sinn  oft  auch  mit  Wi- 
dersinn, dessen  glücklichem  gedeihen  nicht  zuträglich  ist,  ist  wol  kMne 
aufzuwerfende  Frage.   Wo  es  freilich  auf  ein  vorführen  in  einem  Exa- 
men abgesehen  ist,  da  mag  sich  ein  übersetzen  der  Art  empfehlen. 
Die  Sätze  bei  Mezger  haben  den  Vorzug,  dasz  sie  aus  der  Bibel  ge- 
nommen sind  und  also  ihren  guten  Sinn  haben ,  aber  es  stehen  doch  in 
den  hebräischen  Sätzen  gar  zu  verschiedene  Sachen  nebeneinander, 
und  die  deutschen  zum  rückübersetzen  gemachten  Sätze  haben,  wie 
sich  beinah»  in  allen  solchen  Büchern  nachweisen  läszt,  manches  son- 
derbare, wie:  *ein  gnädiges  Wort  ist  wie  Morgenröthe.    In  Aegypten 
war  Mosen  viel  Schmerz.    Wer  war  listiger  als  jedes  Thier?  (A.  die 
Schlange).    Diese  Sache  ist  beschrieben  im  Buche  der  Helden.   (Ob 
das  nebenbei  die  richtige  Uebersetzung  des  'nt^^tl  'nsD  ist?).    Rosl- 
barer  ist  das  Erdreich  als  Silber  und  Gold.'  —  Dergleichen  findet  sich, 
wie  gesagt,  fast  bei  jedem  solchen  Versuche  das  eben  gelesene  wieder 
in  Anwendung  zu  bringen:  aber  auch  im  Hebräischen  findet  sich  z.  B. 
S.  61 :  *Es  hat  Golt  gemacht  die  Sonne  um  zu  regieren  den  Tag,  and 
den  Mond  und  die  Sterne  um  zu  regieren  die  Nacht.'   Solche  Ver- 
änderungen des  Textes  sind  auf  keine  Weise  zu  verantworten,  sie  ge- 
ben ja  falsche  Vorstellungen  von  dem  Inhalte  der  BibeL   Andere  Sätze 
finden  sich  wiowol  sehr  einzeln,  die  gar  keine  entsprechende  Stelle 
im  A.  T.  haben ,  die  rein  vom  Verfasser  zum  Zweck  einer  Regel  go- 


MeBger:  hebräisches  Uebangsbaoh.  205 

machl  sind,  man  vergleiche  §  10  u.  15.   Dergleichen  ist  immer  gewagt 
ond  auch  nicht  recht,  oder  man  musz  geradezu  die  Sätze  als  eigenes 
Fabrikat  verkaufen;  so  aber  geht  selbstgemachtes  als  echt  biblisches 
mit  durch.  Man  mag  ja  Beispiele  macheu,  wer^s  kann,  aber  sie  müssen 
uicht  zwischen  Bibelverse  gesetzt  werden.    Es  ist  nun  das  Uebungs- 
buch  so  eingerichtet,  dasz  in  jedem  Paragraph  zuerst  einige  Regeln 
stehen,  dann  eine  Reihe  Vocabeln,  dann  hebräische,  dann  deutsche 
Sätze,  in  denen  die  Regeln  und  Vocabeln  ihre  Anwendung  finden.   Die 
Regeln  zuerst  sind  geordnet  fiir  den  ersten  Gebrauch ,  sie  sind  geord- 
net nicht  wissenschaftlich  sondern  methodisch,  in  der  Reihe,  wie  sie 
zu  wissen  dem  Lehrling  nothwendig  ist.    Die  Nolhwendigkeit  wird 
hier  offenbar  bedingt  durch  die  Anlage  des  Buchs,  der  Verfasser  hat 
es  in  seiner  Gewalt  was  nothwendig  sein  soll;  darum  ist  es  auffallend, 
dasz  er  manche  Bemerkung  mit  f  bezeichnet  und  damit  sagen  will, 
dasz  sie  ^vorerst  noch  aufgespart  werden  soll,  bis  späteres  Bedürf- 
nis darauf  führt  es  nachzuholen,  in  welchem  Fall  sodann  am  geeig- 
neten Orte  darauf  verwiesen  ist.'    Das  Bedürfnis  kommt  doch  nur  in 
diesem  Buche,  also  konnte  jede  Bemerkung  genau  dahin  gestellt  wer- 
den, wo  sie  nöthig  war.    Solche  Hülfsbücher,  wie  das  vorliegende, 
haben  gewöhnlich  den  Zweck  ^die  Grammatik'  vor  der  Hand  noch  nn- 
Dölbig  zu  machen,  und  auch  in  diesem  sind  zwar  stels  die  Grammatiken 
von  Ewald  und  Gesenius  citiert,  aber  doch  braucht  man  sie  nicht,  es 
steht  alles  im  Buche  selbst,  von  den  Namen  der  Vocale  bis  zu  den 
Declinationen,  die  sich  doch  auch  verständlich  in  jeder  Grammatik  fin- 
den müssen;  das  Buch  wäre  nun  selbständig  zu  brauchen  und  dann  erat 
recht  eine  Vorbereitung  auf  Ewalds  Grammatik,  wenn  es  noch  die  Buch- 
staben, Zahlen  und  Verba  enthielte.    Die  rathen  wir  in  eiuer  zweiten 
Auflage  zuzufügen,  dann  wäre  das  Buch  allein  für  den  ersten  Cursus 
aasreichend  und  der  Schüler  nicht  noch  mit  einer  Grammatik  belästigt. 
Die  Berechtigung  eines  solchen  Buches,  wie  das  vorliegende,  besteht 
ja  eben  nur  darin,  dasz  es  die  schwierigere  Grammatik  noch  ent- 
behrlich-macht. 

Einzelnes  aber  nicht  viel  läszt  sich  an  den  Regeln  aussetzen.  Der 
oft  wiederkehrende  Verweis :  ^weiteres  siehe  unten'  wird  dem  Schüler 
unangenehm,  jedenfalls  aber  unnütz  sein,  denn  er  kann  nicht  wissen  wo 
er  nun  suchen  soll.  —  §  3,  3:  ^Schwächere  Wörter  werden  manchmal 
tonlos.'  Was  soll  der  Schüler  darunter  verstehen?  —  §  4  A.  2:  ^Ein- 
zelne Buchstaben  nehmen  deshalb  gedehntere  Form  an ,  damit  keine 
Lücken  entstehen.'  Da  war  nöthig  diese  anzugeben ,  konnte  ja  recht 
gut  in  der  zu  diesem  §  beigefügten  Schreib  Vorschrift  geschehen.  — 
§  5,2  A.  2  wird  von  geschärften  Consonanten  gesprochen;  was  das 
sei,  dafür  musz  man  sich  eine  Erklärung  anderswo  suchen.  —  §  5,  3  t 
A.  2  enthält  Regeln ,  mit  denen  niemand  etwas  wird  anfangen  können. 
Weiter  wird  §5,4  1)  u.  2)  mancherlei  Regelwerk  gegeben,  und  zu- 
letzt folgt:  ^Anm.  Ausnahmefälle  s.  d.  Gr.  1.  c'  Die  Regeln  soll  man 
^  also  hier,  die  Ausnahmen,  die  zu  wissen  doch  nothwendig  scheint, 
sonst  würde  ja  nicht  auf  sie  hingewiesen,  in  einem  andern  Buche  su- 


206  Mezger:  hebräisches  UebuDgsbacIi. 

chen,  das  die  Regeln  selbst  anders  gibt!  —  §  7:  Die  Vergleiohimg 
des  Dagesch  lene  mit  dem  v  iq)sXKv6nK6v  kann  doch  nur  Ungleichhei- 
ten an  den  Tag  bringen.  —^  §  8  ist  *^b'^b  aus  »^ib^jbtib  doch  nur  ver- 
drackt,  aber  die  Zusammenziehung:  ^iriinVi::!:)  für  ^tiTsn^CSp'  ist  doch 
sehr  wunderlich.    Um  die  Form  ^riinV::^  zu  erklären,'  wird  man  doch 
nicht  auf  DZnbup  zurückgehen.    Die  Anmerkungen  zu  diesem  §  sind 
übrigens  alle'  als  nicht  für  Anfanger  gehörig  bezeichnet ,  was  sehr 
richtig  ist.  —  §  10  b  Z.  6  sieht  zweimal  das  vergleichende  ^  ohne 
Artikel  und  ebenso  fand  es  sich   bereits  §  6  b  Z.  3  u.  5.    Soll  der 
Schüler,  der  noch  nicht  conjugieren  kann,  schon  sich  in  poetischen 
Licenzen  üben?  —  In  §  21,  der  unverhältnismäszig  lang  ist  und  gar 
keine  Ueberselzungsstücke  hat,  heiszt  es  III  1  Anm.  2:  *Es  gibt  anch 
Fälle  mit  halber  Verkürzung,  z.  B.  D^p;  Dp;  (ganze  Verkürzung 
tlp^^n).'  Was  macht  ein  Schüler  damit?  Ebenso  mit  dem  S.  31  ^f  Aus- 
nahmen ''l^y^  u.  dgl.';  so  schon  die  Regel  II,  so  Anm.  1:  ^Hie  und  da' 
usw.  so  III  1  b)  a)  Menn  einfache  Silben  haben  meist  lange  Vocale« 
Aber  '^mn^'^  von  shiD"*  s.  unten  IV  2.'    Das  aber  hat  keinen  Grund, 
es  wird  eben  etwas  anderes  angegeben,  was  mit  dem  vorhergehenden 
in  keiner  Beziehung  steht;  so  ist  das  aber  S.  34  ^K'i^^  aber  M'n^b/als 
Präpos.  =  bis — ',  das  musz  ja  so  sein;  ebenso  musten  nicht  "^HP^ 
nsw.  als  besondere  Fälle  aufgeführt  werden,  das  *^iirn  ist  so  regel- 
recht, wie  nur  irgend  eine  Form  sein  kann.    Dagegen  ist  fraglich,  ol; 
in  Q^n^in^  um  statt  uam  sieht.    Nicht  blos  undeutlich  ist  manches  in 
diesem  langen  §,  manches  muste  unbedingt  wegbleiben,  wie  die  An- 
gabe, dasz  SN,  riÄ,  n;,  D^j  für  *i2fi},  in«,  tinj,  Tiiy^  stehe,  also 
Apokope  stattfinde;   eben  so  bei  ti^zS,,  1^,  y^^  u.  a.    Wie  mancher 
grundgelehrte  Theolog  hat  die  ganze  hebräische  Bibel  schon  durch- 
studiert und  nicht  gewust,  dasz  n^  die  Hand  eigentlich  Si'i'^  heissen 
müsse  (vgl.  über  diese  Formen  Ewald  §  149),  und  einem  Anfänger,  der 
noch  nicht  ans  Verbum  ist,  soll  dies  geboten  werden!  Man  musz  doch 
alles  meiden,  was  den  Schüler  abschrecken  kann  und  was  ihm  unnütz 
ist.    Das  ist  ja  eben  der  Vortheil  des  Uebungsbuches,  dasz^es  nicht 
alles  ans  der  Grammatik  aufnehmen  musz ,  sondern  nur  einzelnes  pas- 
sende.  So  wird  §  22  Note  14  schon  bemerkt,  dasz  auch  bei  einem 
Passivum  *nK  (nfi^J  stehen  kann !    Diese   von  andern  Sprachen  ab- 
weichende, daher  auffallende,  wenn  auch  nicht  unerklärliche  Erschei- 
nung muste  hier  noch  nichtvorkommen.    Der  Schüler  erhält  schon  im 
Anfange  so  viel  sonderbares,  dasz  er  damit  nichts  anzufangen  weiss. 
—  §  23:  Die  Lehre  vom  Ton  musz  man,  so  ungern  man  es  thut,  als 
falsch  bezeichnen.    Es  heiszt:   1)   ^Der  Ton   des  einzelnen  Wortes 
(Wortton)  ruht  gewöhnlich  auf  der  letzten  Silbe,  auf  der  vorletzten 
kann  er  nur  dann  sein ,  wenn  die  letzte  entweder  eine  einfache  ist 
n!pb?9  oder  eine  zusammengesetzte  mit  kurzem  Vocal,  die  einer  ein- 
faciien  Silbe  folgt:  Qn^ti^.'  Nach  dieser  Regel  kann  es  auch  heiszen: 
b^r> ,  SttVilV    Es  ist  nenilich  hier  das  Melheg  ebenfalls  als  gramma- 
tisches Accentzeichen  benutzt.   Hat  denn  Hr  Mezger  an  seinen  Beispie-^ 
len  nicht  gesehen,  dasz  Afformative  und  Suffixe  antreten?    Von  vorn 


Mezger:  hebräisches  UebuDgsbuch.  207 

berein  hat  jedes  hebräische  Wort  den  Accent  auf  der  letzten  Silbe. 
Ausnahmen  machen  nur  solche,  wo  ein  Hülfsvocal  am  Ende  eintritt,  # 
wie  *Tb?3  aus  ibTS,  oder  es  treten  fremde  Zusätze  mit  dem  Worte  in 
engen  Znsammenhang  wie  ripCS^,  so  dasz  alle  Ausnahmen  nur  schein- 
bar sind.  Weiler  geht^s:  ^Keinerlei  Hüifsvocale  haben  je  den  Ton, 
noch  weniger.'  Was  nun  da  noch  weniger  sein  kann  finde  ich  nicht; 
bei  den  Hülfsvocalen  ist^s  sehr  die  Frage  was  man  so  nennt,  denn  es 
beiszt  n'l^D.  Im  weitern  Verlaufe  werden  recht  viel  Regeln  aufge- 
stellt und  Techt  viel  Ausnahmen  zugelassen ,  alles  weil  die  Lehre  vom 
Ton  nicht  ganz  einfach  hingestellt  ist  und  nicht  von  der  Tonsilbe  aus- 
gegangen wird.  Regeln  wie :  *Wenn  eine  neue  betonte  Silbe  ans  Ende 
des  Wortes  tritt'  usw.  siud  ganz  dazu  gemacht  einen  in  der  Schwebe 
za  erhalten.  —  §  24  werden  in  einem  Uebungsbuche  für  Anfänger 
sogar  die  Accente  wie  Rbia,  Tiphcha  erwähnt!  —  In  §  25  c  26  ist  die 
Lehre  von  ^  beim  Verbot  nicht  ganz  richtig  gefaszt :  ^  ^  wenn  die 
bestimmte  Erwartung  ausgesprochen  werden  soll,  dasz  etwas  nicht  ge- 
schieht, Vk  bei  einer  Warnung,  Bitte,  Wunsch.'  Warum  wurde  nicht 
schon  im  Gegensatze  zu  b&$  gesagt:  ^b  steht  beim  bestimmten  Ver- 
bote, ^bn  ^b  du  sollst  nicht  stehlen.  Der  Wille  des  verbie- 
tenden  ist'  sehr  entschieden,  aber  nicht  die  Erwartung.  Dennoch  geben 
"wir  gern  die  Richtigkeit  des  obigen  zu,  wenn  der  Ursprung  des  Ge- 
brauches nachgewiesen  werden  soll.  Ebendaselbst  N.  39  ist  schon 
Tom  Intransitivum  gesprochen,  nebenbei  für  intransitiv'  als  richtiger 
der  Ausdruck  ^halbpassiv'  erklärt,  ein  Ausdruck,  bei  dem  sich  der 
Schaler  doch  wol  nichts  denken  wird.  Bei  der  Gelegenheit  wird  ge- 
sagt, dasz  bei  den  Hebräern  manche  Verba  intransitiva  seien,  die  bei 
uns  transitiva  sind  und  umgekehrt.  Das  ist  eine  üble  Bemerkung,  denn 
der  Schüler  wird  ungewis,  weil  ihm  nicht  gesagt  wird  aufweiche  Verbji 
sie  Anwendung  findet;  dann  musz  sie  ihn  bedenklich  machen  über  die 
.Logik  der  Hebräer,  und  endlich  ist  sie  nicht  wahr,  es  liegt  nur  an  un- 
serem übersetzen.  Es  versteht  sich  ja  von  selbst,  dasz  dasselbe  Verb 
nach  verschiedener  Beziehung  transitiv  und  intransitiv  sein  kann.  — 
So  lernt  der  Schüler  nichts  aus  der  Bemerkung  §  27  b  4,  dasz  das  Par- 
ticip  häufig  zum  Ausdruck  von  unserem  Präsens  dient,  und  daneben  gibt 
sie  ihm  leicht  eine  ganz  falsche  Auffassung;  es  gibt  ja  verschiedene 
Participien.  Aehnlich  ist  §  26  b,  21  die  Regel,  dasz  Kitl  zur  Bezeich- 
nnngder  Copula  diene;  musz  dies  nicht  so  im  allgemeinen  gesagt  irre 
fahren?  Und  gleich  darauf  steht :  *N^!i  hier  =  selbst.'  —  §  30  S.  55 
Note  4  steht:  ^Weiteres  in  der  Grammatik  später  nachzuschlagen',  das 
beiszt  doch  wol,  wenn  dies  Buch  längst  zurückgelegt  ist,  diese  Erin- 
nerang  also  nicht  mehr  gelesen  wird.  —  §  31  S.  58,  18 :  ^Das  Perfect* 
dient  auch  zum  Ausdruck  des  Plusquamperfects.'  Sehr  am  unpassenden 
Orte  ist  gleich  darauf  eine  Regel  über  die  Bildung  des  Plural  bei  Sub- 
stantiven. Es  war  ^Name'  zu  übersetzen,  dazu  reichte  hin  das  Wort 
t3t3  anzuführen,  aber  es  wird  noch  gesagt,  dasz  es,  obgleich  mascnli- 
omn,  doch  im  Plural  ni72'4  hat,  den  man  hier  gar  nicht  braucht;  und 
nun  werden  Masculina  angegelAn  mit  dem  Plural  auf  olh  und  Feminina 


208  Mezger :  hebräisches  Uebungsbucb. 

mit  dem  Plural  auf  imj  ja  es  werden  dabei  U'^'^üf  vod  1^^,  13^12$}  von 
^  mSK  angeführt!    Formen,  die  ja  Hr  Mesger  selbst  in  seiner  Ruth  als 
Metaplasraen  erklärt.   Aber  hier  wird  der  Schüler  verleitet  die  eine 
Form  als  von  der  andern  abgeleitet  anzusehen.  In  §  32  steht  wieder  ein- 
mal ein  Ewaldscher  aber  schwer  zu  verstehender  Ausdruck:  ^das  Wort 
in  Anziehung'  d.  h.  in  Abhängigkeit.    In  diesem  §  aber  wird  behaup- 
tet, dasz  die  Verbindung  durch  stat.  constr.  auf  alle  möglichen  Ver- 
hältnisse der  Abhängigkeit  angewendet  wird;  Hr  M.  läszt  sie  sogar  fibr 
Attribut  und  Apposition  stehen,  was  doch  geradezu  falsch  ist;  diese 
Construclion  in  ihrer  Bedeutung  ist  ja  wesentlich   verschieden   von 
Apposition«    Und  wenn  man  einen  Ewald  zum  Vorgänger  hat,  musz 
man  doch  erst  sich  besinnen,  ob  der  Vormann  irre  geht.    Und  gleich 
darauf  biegt  Hr  Mezger  mit  Recht  von  Ewald  etwas  ab,  er  fühlt  das 
falsche  in  der  Auffassung  von  regens  und  rectum,  dasz  der  stat.  constr. 
regens  heiszen  soll  und  der  stat.  abs.  rectum,  und  daher  das  Einschieb- 
sei ^das  nach  unserem  Sprachgefühl  regierende,  im  Hebräischen  aber 
regierte  Nomen',  aber  los  kann  er  sich  nicht  machen  von  dem  regier 
ren.    Es  ist  die  leidige  Gleichstellung  des  Status  constructus  mit  dem 
Genetive  unserer  Sprachen,  und  nun  müssen  sogar  ganze  Völker  ganz 
widersprechendes,  d.  h.  zum  Theil   verdrehtes  Sprachgefühl  haben. 
Die  Angaben,  wie  der  stat.  constr.  sich  bildet,  sind  ungenau :  ^Es  wer- 
den a)  im  stat.  constr.  des  Singulars  a  in  ä,  6  in  ^  verkürzt,  b)  im 
stat.  constr.  des  Plurals  aber  ganz  verdrängt.'     Danach  möchte  der 
Schüler  manchen  stat.  constr.  falsch  machen.  —  Auch  hier  findet  sich 
§  33,  2  die  Annahme,  dasz  die  schweren  Suffixe  sich  durchweg  an  die 
Form  des  stat.  constr.  anhängen,  ^auch  das  e  bei  der  Form  ^ni3,  ^tn^X} 
wird  hier  in  Chirek  oder  Segol  verkürzt'.   Ja  wol ,  aber  wie  entsteht 
so  ein  i? —  So  hat  in  §  36  über  die  Segolatformen  die  allgemeine  Re- 
gel, dasz  sie  einen  Uülfsvocal  annehmen,  ihren  Platz  erhalten,  und  da- 
zwischen geschoben  wird:  ^mit  wenigen  Ausnahmen  wie   bei  ti^Vi 
Schulter,  ^3^1.  Honig.'    Es  war  nicht  noth  auch  alle  Worte  anterza- 
bringen,  daher  war  es  überQüssig  solche  Ausnahmen  anzuführen,  die 
den  Blick  des  lernenden  verwirren.    Und  wer  hat  denn  schon  bewie- 
sen, dasz  diese  Formen  Segolatformen  sind?  haben  sie  denn  nicht  ge- 
rade die  entgegengesetzte  Bildung,  den  Vocal  nach  dem  zweiten  Stamm- 
buchstaben? Dasz  manche  Grammaliken  diese  Formen  mit  den  Segola- 
ten  in  Zusammenhang  bringen  ist  wahr,  aber  so  ein  Hülfsbnch  für  An- 
fänger hat  sich  mit  dieser  sehr  unklaren  Sache  noch  nicht  zu  befasaea. 
—  So  halten  wir  für  unnölhig  hier  $  36  S.  72 ,  29  die  Angabe  Aber 
die  verschiedeneu  Pausalformen  der  Segolaten.  Hier  am  Ende  des  §  3ßr 
das  heiszt  vor  dem  zweiten  Abschnitte,  der  da  handelt  über  *  Stimme 
mit  Wurzelbuchstaben,  die  irgend  etwas  eigenthümliches  haben',  also 
vor  den  Verbis  primae  gutturalis  steht:  'Bevor  man  zum  folgendeo 
übergeht , «mache  man  sich  mit  der  voUständigenLehre  vom  Nu- 
merus, Genus,  Status  constructus  und  Sufßxeu  am  starken  Nomen 
bekiTnnt,  wie  sie  die  Grammatik  (E.  171—200.  208 — 215.  254 — 260. 
G.  87—95.  114—116)  abhandelt.'   Ich  fürchte  fast,  wer  das  alles  so 


Mezger:  hebräisches  Uebaogsbuch.  209 

vollständig  kennt  wie  hier  betont  ist,  denn  das  hier  hervorgehobene 
hat  eben  Hr  H.  selbst  durch  den  Druck  ausgezeichnet  —  ich  fürchte 
dasz  der  nicht  mehr  Lust  hat,  sich  an  so  ein  HQlfsbuch  noch  fesseln 
SU  lassen.  In  diesem  zweiten  Abschnitte  des  zweiten  Theiies  §  37 — 57 
flnden  wir  nichts  irgend  erhebliches  zu  bemerken. 

Was  die  zu  den  einzelnen  Paragraphen  zum  lernen  vorgesetzten 
Yocabeln  betrifft,  so  versteht  es  sich  von  selbst,  dasz  dieselben  mit 
Absicht  ausgewählt  sind,  obgleich  wir  dieselbe  nicht  immer  erkannt 
haben.  Es  sind  Worte,  die  in  dem  zugehörigen  hebräischen  Stücke 
vorkommen,  aber  es  sind  nicht  immer  alle  die  vorkommen,  und  so 
stehen  denn  auch  noch  öfter  welche  unter  dem  hebräischen  Texte, 
nach  welchem  Grundsatze,  ist  uns  nicht  klar  geworden.  Aber  was 
wir  bei  dieser  Aufstellung  der  Yocabeln  zu  tadeln  hätten,  ist  nicht 
sowol  dies,  als  dasz  dabei  lediglich  der  Zufall  obwaltet,  welche 
gerade  im  Stücke  vorkommen ,  und  so  stehen  denn  auch  Verba ,  Sab- 
stantiva,  Partikeln  durcheinander,  wie  sie  eben  bei  fortlaufender  Lectüre 
ein  Präparationsbuch  eines  Schülers  auch  zeigen  würde.  Wenn  einmal 
einzeln  vorgeschriebene  Vocabeln  gelernt  werden  sollen ,  müssen  sie  * 
doch  nach  einem  Plane  geordnet  sein.  So  musz  es  denn  auch  kom- 
men, dasz  manchmal  dieselbe  Vocabel  noch  zweimal  angegeben  wird; 
80  steht  §  16  ^'^y  als  zu  lernende  Vocabel ,  die  schon  §  13  c  unten 
steht;  so  '^n'^py  §  20  oben  und  §  16  Note  2  unten ,  so  steht  §  16  ^'ji': 
als  Vocabel  und  §  34  a  wieder,  §  25  a  r\V2  und  §  34  a  wieder.  — 
Warum  sind  'n]:^  S.  44  und  i»^  S.  45  nictit  gleich  nebeneinander  ge-  . 
setzt?  —  Die  Präpositionen  werden  einzeln  zugelheilt;  noch  mehr 
fillt  auf  dasz  §  13  die  Zahl  7,  §  27  die  Zahl  5  zum  lernen  aufgegeben 
wird.   Nur  zusammen  gelernt  können  die  Zahlen  behaltbar  bleiben. 

Der  dritte  Theil  für  geübtere  enthält  Punktierübungen  und  zu- 
sammenhängende Stücke  zum  übersetzen,  die  tüchtige  Methodik  und 
Gelehrsamkeit  des  Verfassers  beweisen,  und  ans  denen  derjenige,  der 
sie  ordentlich  durcharbeitet,  viel  lernen  wird.  Zuletzt  folgt  ein  An- 
hang, der  eine  Schreib  Vorschrift  enthält,  eine  nützliche  Sache  für  den, 
der  keinen  Lehrer  hat,  dann  Declinationen,  eine  Tabelle  über  den  Ge- 
brauch von  1*«^^t,  alles  sehr  nützliche  Beigaben,  weniger  nothwen- 
dige  Ergänzungen  des  früher  gesagten.  Und  so  schlieszen  wir  mit 
dem  Urteile,  dasz  das  Buch  namentlich  denen,  die  ihre  Schüler  recht 
bald  in  Ewaldsche  Grammatik  einführen  wollen,  recht  nützlich  sein 
wird,  dasz  aber  dazu  noch  nöthig  ist  dasz  es  in  einer  zweiten  Auflage, 
so  weit  es  eben  zum  Gebrauche  bestimmt  ist,  so  eingerichtet  werde, 
dasz  es  die  Grammatik  so  lange  ganz  unnöthig  macht.  Druckfehler 
haben  wir  sehr  wenig  gefunden ,  der  Druck  ist  sehr  gut.  Das  ganze 
macht  somit  nach  allen  Seiten  hin  den  Eindruck  eines  fleiszigen  durch- 
dachten Werkes,  und  wir  würden  nicht  so  lange  dabei  verweilt  haben, 
wenn  eine  solche  Arbeit  nicht  Beachtung  bis  ins  einzelne  verdiente. 

2.  Derselbe  Herr  Prof.  Mezger  hat  im  Programm  des  Seminars 
von  Schönthal  1856  eine  Uebersetzang  und  Commentar  zu  Ruth  ge* 


210  Mezgor :  liber  Ruth. 

liefert,  uod  zwar  die  Uebersetznng  in  wirklichem  Latein,  nicht  blof 
mit  lateinischen  Worten,  sondern  in  lateinischer  Salzform.  Diese 
durchweg  richtige  Uebersetzung,  geringe  Abweichungen  die  wir  mia 
erlauben  würden  andern  dies  Urteil  nicht,  hat  noch  das  empfehlende 
einer  flieszenden  Sprache,  so  dasz  man  bei  diesem  Latein  vergiizt  dan 
es  ein  hebräisches  Original  wiedergibt.  Was  den  Commentar  betriffk 
erklärt  Hr  M.  sich  selbst  dahin:  Hoc  munusculum  discessnris  in  manu 
traditum  ita  volui  instilui,  ut  et  ea,  quae  pridem  hac  in  schola  perse- 
cuti  sunt  studia,  gralam  in  memoriam  revocaret  et  ad  strenue  colendu 
proliuus  pleniusqne  perscrutandas  has  litteras  tacite  moneret.  Libelli 
autem  enm  in  modum  instituti  eo  minus  me  poeniluit,  quia  sie  alteram 
simul  usum,  qui  mihi  propositus  erat,  ex  opera  mea  redundatumm  oon- 
fido.  Etenim  id  quoque  mea  intererat,  ut  simplice  aliquo  et  quasi  ro- 
tando  specimine  pericli tarer ,  si  possem  docere,  quaenam  fere,  post- 
quam  discipuli  primis  linguao  rudimenlis'satis  instructi  fnerint,  in 
tractando  V.  Tti  libro  historico  sequenda  esset  via  ac  ratio.  Es  ist 
die  dasz  alles,  was  irgend  grammatisch  oder  historisch  wichtig  scheint, 
erwähnt,  in  grammatischen  Sachen,  wo  dies  hinreichte,  auf  die  Gram- 
matik verwiesen  wird,  versieht  sich  die  von  Ewald,  sonst  auch  um- 
stfindlichere  Untersuchungen  geführt  werden.  Auszerdcm  gibt  der  VL 
mancherlei  Bemerkungen  mit  einem  Stern  bezeichnet,  die  Sachen  enthal- 
ten ,  welche  über  den  Standpunkt  der  oben  bezeichneten  Leser  hinaos- 
gehen  oder  doch  über  das  Bedürfnis  der  Erklärung.  Es  ist  selten  eil 
Vers  ganz  ausgefallen,  der  ohne  Bemerkung  wäre.  Am  Ende  jedes 
Kapitels  ist  eine  Inhaltsübersicht,  zum  vierten  Kapitel  eine  weitere 
Auseinandersetzung  über  die  Rechte  des  Rückkaufs  und  die  Ausdeh- 
nung der  Leviratsehe,  dann  am  Ende  über  die  Zeit  der  Abfassung,  dea 
mntmaszlichen  Verfasser  und  zuletzt  den  Zweck  des  Buches.  Wie  du 
Buch  Ruth  nun  selbst  ein  liebliches  Idyll  ist,  wie  es  oft  genannt  wird, 
und  das  lesen  desselben  in  augenehme  Stimmung  versetzt,  wird  diese 
erhalten  durch  diesen  Commentar,  der  in  angenehmer  Breite  bei  Be- 
urteilung verschiedener  Meinungen  in  mildester  Form  aber  in  bestisui- 
teister  Fassung  und  klarer  Auseinandersetzung  der  Gründe  eine  meisien- 
theils  annehmbare  Erklärung  gibt.  Das  Latein  steht  dem  der  Ueber- 
Setzung  nahe.  Wir  glauben  und  wünschen,  dasz  Hr  Mezger  bei  seinen 
Schülern  das  erreichen  möge  dasz  sie  die  Schrift  durchstudieren,  sie 
werden  Genusz  und  Nutzen  davon  haben,  aber  auch  jeder  andere. 

Wir  möchten  gern  auf  einzelnes  eingehen,  um  dem  gelehrten 
Herrn  Verfasser  zu  zeigen  mit  welcher  Aufmerksamkeit  und  welchem 
Vergnügen  wir  seinen  Commentar  gelesen,  aber  wir  fürchten  in  einer 
Zeitschrift,  die  sämtlichem  wissen  des  Gymnasiums  gewidmet  ist,  für 
diese  nur  gelittene  Sprache  und  nun  in  dieser  für  die  Beurteilung  eines 
so  kleinen  Buches,  wie  die  Ruth  ist,  nicht  so  viel  Raum  beansprachen 
zu  dürfen.  Wir  haben  ja  schon  viel  des  Hebräischen  gegeben.  Doch 
einiges  können  wir  uns  nicht  versagen. 

C.  1 ,  2  ist  Hm  M.s  Ansicht  über  den  geschichtlichen  Werth  des 
Buchs  nicht  ganz  klar,  es  scheint  als  nehme  er  die  Erzählung  als  rein 


Mezger:  Über  Ru(h.  211 

geschichtlich ,  aber  der  Schluszsalz  macht  wieder  irre :  Verorom  no- 
minom  memoria  putanda  est  vetuslate  abiisse.  Sind  also  die  Namen 
erdichtet,  warum  nicht  auch  und  nicht  vielmehr  die  Ereignisse  selbst, 
und  doch  stellt  er  dieser  Auffassung  als  einer  reinen  Dichtung  sein 
absit  illud  quidem  entgegen.  —  V.  3'  wird  ganz  ohne  zwingenden 
Grund  ein  Beispiel  der  ^gegenseitigen  Satze'  Ewalds  gefunden.  —  V.  4 
ist  Num.  9,  31  falsches  Citat.  —  V.  5  den  hier  ausgeführten  Gedanken 
muste  wol  jeder  selbst  finden.  —  V.  8  ^Locis  quibusdam  ab  Ew.  224 
notatis  docemur,  ne  tertiam  quidem  personam  sing.  Voluntativi  for- 
roas,  quas  dicunt  apocopatas,  prorsus  requirere.  At  in  prima  pers. 
sing,  et  plur.  pleniorem  formam  frequentius ,  ne  dicam  unice,  usitatam 
fuisse,  cf.  Gen.  1,  26,  Grammatici,  quod  sciam,  satis  premere  omiserunt.' 
Wir  können  nicht  ßnden,  was  da  die  Grammatiker  versäumt  haben 
sollen;  es  liegt  im  Wesen  des  sogenannten  Voluntativ,  dasz  eine  Ver-' 
kärzung  der  Form  nur  in  der  2n  und  3n  Person  sich  findet,  in  der  In 
Person  wenn  eine  Veränderung,  eine  Dehnung  durch  das  He  parago- 
gicum.  Aber  die  citierte  Stelle  Gen.  1 ,  26  gibt  das  reine  Futur,  denn 
was  Gott  will,  das  wird- auch.  Wir  übersetzen  es  wol  wir  wollen, 
aber  warum  nicht  gleich  wir  werden?  Was  ein  groszer  Philosoph 
der  Neuzeit  vom  Menschen  gesagt  hat:  *der  Mensch  kann  was  er  will' 
usw.,  das  wird  doch  vom  wahren  Gott  gelten,  was  dieser  vom  ver- 
götterten Menschen  behauptet.  —  Die  Verwechselung  des  Genus  in 
den  Suffixis  auch  im  Buche  Ruth  hätte  wol  bei  der  hier  ausdrücklich 
zugegebenen  Genauigkeit  der  Hebräer  im  Genus  eine  eingehendere  Be- 
urteilung verdient  als  die:  Hebraeos  haud  inique  dixeris  hoc  quidem 
in  nsu  generis  minus  diligentes  fuisse.  Namentlich  hätten  hier  die  ein- 
zelnen Falle  aus  diesem  Buche  zusammengestellt  werden  sollen ;  da- 
durch erst,  dasz  man  dies6  so  auffallende  Erscheinung  nach  den  einzel- 
nen Büchern  und  nach  strenger  Beurteilung  der  einzelnen  Stellen  geord- 
net übersieht,  wird  ein  billiges  Urteil  über  diese  Nachlässigkeit  mög- 
lich sein.  So  konnte  V.  9  das  :\  in  der  Form  ^1fi<^72^  und  ähnliche, 
die  sich  hier  finden ,  benutzt  werden  zur  Untersuchung  über  die  Ab- 
fassung des  Buches ,  und  es  lieszen  sich  manche  auffallende  Formen 
und  Constructionen  aus  diesen  4  Kapiteln  zusammenbringen.  —  V.  17 
ist  als  besonders  merkwürdig  hervorgehoben,  dasz  in  der  Beschwö- 
rungsformel ii'^O'v  tite;^  nicht  der  Voluntativ  vorkomme.  Der  ver- 
sichernde sieht  und  erwartet,  dasz  Gott  so  thun  werde,  und  in  dieser 
sicheren  Erwartung  spricht  er  seinen  Willen  aus.  —  V.  19  das  !i  hat 
weder  die  Bedeutung  dasz  der  fragende  eine  Bejahung,  noch  dasz  er 
eine  Verneinung  erwartet.  —  K.  II  V.  8  sind  die  Stellen  aus  Rödiger 
Gr.  48,  3  A.  1.  —  V.  9  ist  die  Andeutung  von  absoluten  Casus  zu 
kurz  um  zu  belehren,  ja  nur  die  Meinung  des  Hrn  M.  erkennen  zu 
lassen.  —  V.  11  wird  als  seltenes  Beispiel  von  Nachstellung  des  Inf. 
abs.  nur  Jer.  38,  3  beigebracht,  da  steht  inan  linati !  —  V.  14  hätten 
wir  zu  der  bemerkten  Erscheinung  auch  gern  eine  Erklärung  gehabt. 
—  K.  III 3  lesen  wir  nach  einigeni  anderem  was  uns  auffällt:  ^modo  ne 
illud,  quod  Ewaldus  imperfectum  (sehr  mit  Unrecht)  nominat,  falso  (ja) 


212  Stier:  hebräisches  Vocabalarium. 

antiqaatoquc  (auch  wol  beinahe  wahr)  nomine  fuluri  appclles;  oonfra 
quaeritur,  num  rectius  dicas  temp.  praesens.'  Ja  nicht!  Es  ist  acbon 
genug  des  grausamen  Spiels:  Futurum,  modns  secundus,  imperfectan, 
praesens!  Sind  nicht  soviel  Namen  schon  Beweis,  dai^z  man  immer 
noch  auf  dem  Holzwege  ist?  —  In  V.  J]  wäre  es  mir  besonders  lieb 
zu  der  angegebenen  Bedeutung  von  'ni^iD  Belegstellen  zu  haben.  —  Die 
V.  13  gegebene  Erklärung  von  "-i^  in  i/;  2,  12  hat  wörtlich  schon  vor 
langen  Zeiten  Hieronymus  und  1855  Hupfeld  gegeben;  hier  hat  sie  das 
Ansehen  von  etwas  neuem.  —  K.  IV  3  nehmen  wir  an,  dasz  Elimelech 
seinen  Acker  bei  seinem  Wegzuge  nach  Moab  verkauft  hat,  nicht  erst 
Noomi  nach  ihrer  Rückkehr.  —  lieber  die  V.  20  angenommene  laeana 
haben  wir  andere  Ansicht.  — ^  Wir  könnten  hie  und  da  noch  einzelnes 
aussetzen,  aber  wir  wollen  nicht  undankbar  sein  ffir  den  Genasz,  den 
uns  das  lesen  dieses  Werkchens  gemacht  hat,  und  ihn  uns  nicht  selbst 
verderben. 


o. 


1 )  Hebräisches  Vocabvlarium  mm  Schulgebrauch.    Mit  Bimoü- 

suug  auf  die  Lehr-  und  Lesebücher  von  Nägelsbach^  RödigfTj 
Seffer  und  Brückner  zusammengesteUt  von  G,  Stier  j  Gym- 
nasiallehrer in  Wittenberg^  ord.  tlitglied  der  d.  morgenländ, 
Gesellschaft.  Leipzig,  Druck  nnd  Verlag  von  B.  6.  Tenbner 
1857  (I.Heft  68  S.). 

2)  Scholae  Hebraicae  minores,    Curavit  Dr  C,  A.  Friedlän- 

der,  GymnasH  Sedinensis  ordinum  superiorum  praecepitur^ 
collegii  Jageteufeliani  antistes.  Fasciculus  I,  Berolini  sampti- 
bus  Julii  Springen.   MDCCCLVII.   85  S. 

Wir  haben  in  diesen  beiden  bald  nacheinander  erschienenen  Wer- 
ken auch  einen  Beweis,  dasz  man  dem  Unterricht  im  Hebräisehen 
mehr  Aufmerksamkeit  zuwendet;  beide  wollen  besonders  den  Unter- 
richt fördern  und  erleichtern.  -  Das  erste  ist  in  seinem  Zwecke  schon 
aus  dem  Titel  deutlich;  es  will  ein  Vocabular  sein  zum  answeudig- 
i erneu.  Dasz  ein  solches  Buch  von  Nutzen  ist,  darüber  ist  nicht  erst 
zu  streiten.  Doch  ist  allenfalls  auch  ohne  ein  solches  durchzukommen. 
Wir  haben  die  Vocabeln  in  Gosenius  Lesebuche,  Verba  und  Nomina, 
nach  ihrer  Gleichartigkeit  geordnet,  in  Secunda  lernen  lassen,  dann  in* 
Prima  nach  der  Reihe,  und  dabei  die  stamm-  nnd  sinnverwandten  Wör- 
ter mit  herangezogen.  So  bot  sich  von  selbst  in  der  audern  Klasse  die 
Repetition  und  zugleich  eine  nochmalige  in  der  Leetüre.  Von  dem  vor- 
liegenden Vocabular  haben  wir  erst  das  erste  Heft,  enthaltend  die  Verba, 
grammatisch  geordnet,  ein  zweites  soll  die  Nomina,  auch  grammatiseb 
geordnet,  ein  drittes  Nomina  und  Verba  nach  den  Bedeutungen  grup- 
penweise zusammengestellt  enthalten.    Diese  Vertheilung  ist  an  sich 


Stier:  hebräisches  Vocabalarinm.  213 

nicht  TU  misbiUigen,  obgleich  dieselben  Wörter  öfters  vorkomneD 
mfissen  nnd  sich  wol  hätte  eine  Einrichtung  im  Druck  müssen  finden 
lassen  dies  zu  vermeiden.  Indes  ist  der  Schade  so  grosz  nicht,  wenn 
nar  nicht  das  Buch  fär  Schulen  su  theuer  wird.  Wie  die  beiden  fol- 
genden Abschnitte  werden  behandelt  werden,  müssen  wir  abwarten; 
dasB  es  mit  Plan  und  Einsicht  geschehen  wird,  kann  man  aus  dieser 
ersten  Probe  erwarten.  Voran  stehen  regelmässige  Verba  nnd  zuerst 
Verba  mediae  A,  da  wieder  die  blos  in  Kai  (lO),  dann  die  in  Kai  und 
Niphal  vorkommenden  (2),  dann  die  mit  lilteris  nDD'n:;:!  nur  im  Kai 
(9),  die  in  Kai  und  Niphal  vorkommenden  (8),  dann  blos  im  Niphal  (1), 
endlieh  2  Verba  fb  nnd  rr"^.  Nun  folgen  die  blos  im  Piel  Pnal  Hithp.  ^ 
vorkommen,  auch  da  mit  besonderen  Unterschieden  (12),  dann  die  blos 
im  Hiph.  und  Hophal  (l).  —  Darauf  folgen  die  in  Kai  N.  und  Piel  P. 
vorkommenden  (28) ,  dann  die  in  Kai  N.  und  Hiph.  H.  (13) ,  dann  die 
PP.  und  HH.  haben  (5);  nun  die,  die  alle  drei  ^Stämme'  habe»  (19). 
Immer  wird  genau  angegeben,  ob  auch  alle  zu  einer  Gattung  gehörigen 
Conjugationcn  vorkolnmen  und  für  jede  Conjngation  die  Bedeutong. 
So  haben  wir  nun  110  Verba.  Es  folgen  die  mediae  A  Futuri  A.  wie- 
der nach  dem  vorkommen  der  drei  Conjugationsklassen  geordnet,  dann 
Verba  primae  sibilantis,  blos  des  Hithpaels  wegen.  Zusammen  haben 
wir  nun  126  Verba.  So  geht  es  fort;  es  beginnt  eine  neue  Zahl  mit 
den  Verba  mediae  E.,  die  nun  selbst  wieder  in  ähnlicher  Weise  ge- 
ordnet sind  (14),  dann  Verba  mediae  0  (3).  Der  zweite  Haupttheil 
enthält  die  Verba  guttnralia,  primae,  secundae,  tertiae  gutturalis,  alle 
mit  den  oben  angegebenen  Unterabtheilungen.  Im  dritten  sind  die  un- 
regelmäszigen  Verba :  I)  Verba  assimilaulia.  ])  Verba  primae  assimi- 
latae.  «)  Verba  f  c.  ß)  Verbam  V'd.  y)  Verba  assimilaulia  Jod.  2)  Ver- 
bam  primae  itemque  nltimae  assimilatae  inj.  3)  Verba  mediae  gemi- 
nat«fe.  II)  Verba  quiescentia.  l)  Verba  primae  quiescentis.  a)  Verba 
rfc.  ß)  Verba  i't.  y)  Verba  propria  "^"Bt  8)  Verba  mixta.  2)  Verba 
mediae  quiescentis.  Radices«cavae.  a)  Verba  f^.  ß)  Verba  "^"j^.  y) 
Verba  mixta.  3)  Verba  tertiae  quiescentis.  a)  Verba  rfV».  ß)  Verba 
fif^.  y)  Verba  mixta.  Und  in  allen  diesen  Reihen  werden  die  beim 
regelmäszigen  Verbum  angegebenen  Eintheilungen  bis  ins  einzelnste 
festgehalten.  Es  ist  also  hier  ein  streng  durchgeführter  Plan,  der  den 
Vortheil  hat  dasz  man  jedes  Verb  sogleich  finden  kann,  und  dann  dasz 
man  bei  jedem  Verb  die  vorkommenden  Conjugationcn  gleich  findet. 
Alles  hat  seinen  guten  Grnnd;  dasz  aber  die  sibilantia  besonders  ste- 
hen, die  ein  Hithp.  haben,  hat  den  Nachtheil  dasz  beim  suchen  man  sie 
nicht  gleich  fiudet,  denn  alle  anderen  Verba  primae  sibilantis  stehen 
unter  den  anderen  mit.  Ferner  kommen  unter  den  regelmäszigen  Ver- 
bis,  die  nur  Piel  haben,  üW,  »TOrj,  pDK  vor,  ja  bVs,  weil  diese  in 
den  wirklich  vorhandenen  Formen  nichts  unregelmäsziges  haben;  aber 
wer  kann  solche  Verba  an  dem  Orte  suchen?  Wir  schlügen  vor  zur 
Leichtigkeit  des  Gebrauchs  diesen  Unterschied  nicht  zu  machen,  jedes 
Guttural  unter  die  Gutturalien  zu  stellen,  wenn  auch  die  gerade  vor- 
kommenden Formen  keine  Eigenthfimlichkeit  derselben  zeigen,  nnd  so 


214  Stier:  hebräisches  Vocabularium. 

in  allen  Fällen.  —  Gelehrte  Forschungen  sind  ffir  ein  solches  Bach 
nicht  zo  verlangen ,  aber  doch  wäre  es  sehr  förderlich  viel  and  wenig 
gebrauchte,  prosaische  und  poötische  Worte  und  Formen  unterschei- 
den zu  können.  Es  sind  Formen  angeführt,  die  nur  einmal  vorkommen, 
ja  wo  es  sehr  streitig  ist  ob  sie  vorkommen.  Man  vergleiche  s.  B.  die 
neben  einander  stehenden  )m  und  'nn^  über  die  Pielformen.  Dann  siid 
die  Bedeutungen  mitunter  etwas  zu  allgemein  gehalten,  man  vergleiche 
das  auf  jene  folgende  tSn^.  Es  ist  dies  freilich  eine  starke  Zumutang, 
die  wir  machen,  indessen  ist  es  nicht  zu  viel.  So  lange  man  indes 
nicht  an  so  ein  Buch  solche  hohe  Anforderungen  stellen- kann,  wfire 
.  es  das  einfachste  es  folgte  einem  anerkannten  gröszeren  Lexikon;  das 
scheint  hier  nicht  geschehen  zu  sein. 

Erwähnen  müssen  wir  die  Terminologie,  die  wir  oben  absichtlich 
umgangen  haben.  Die  Verba  werden  eingetheilt  in:  regelmässige, 
hal  b  regelroäszige  (das  sind  die  Gutturalen)  und  anreget- 
mäszige,  —  dann  je  nachdem  ein  Verb  alle  drei  Stamme  hat,  oder 
nar  zwei  oder  nur  einen:  trinär,  binär,  singulär.  Die  Kai-  and 
Niphalform  heiszen  positive,  Fiel  Pual  intensive,  Hiph.  Hoph. 
causative.  Uns  will  das  halbregelmäszig  als  unklarer  Begriff,' 
das  positiv  als  undeutlich,  auch  singulär  usw.  nicht  zusagen.  Ein 
hübscher  Einfall  ist  noch  hervorzuheben :  unter  dem  Texte  stehen  noch 
voces  memoriales,  mitunter  sehr  eigenthümlicher  Art,  die  wol  an  ver- 
klungene  Mnemonik  erinnern.  Uns  hat  das  sehr  gefallen;  doch  gibt^s 
vielleicht  andere,  die  dergleichen  als  Spielerei  verwerfen.  Ein  bischen 
Spielerei  ist  oft  förderlicher  als  zu  steifer  Ernst.  Uebrigens  liegt  anch 
hier  Ernst  in  dem  Spiele.  Wir  wünschen  dasz  dergleichen  noch  mehr 
gegeben  werde.  Hie  und  da  sind  auch  besonders  wichtige  einzelne 
Formen  untergesetzt,  was  sehr  eu  loben.  Druck  ist  gut,  Orthographie 
neumodisch:  VU")^  töten.  Das  Buch  ist  auch  gut  zu  brauchen,  wenn 
man  Verba  besonderer  Art  gleich  übersichtlich  haben  will  und  wissen 
ob  und  wie  viel  es  solcher  gibt,  und  wir  möchten  den  Verfasser  bitten 
^unbedingte  Vollständigkeit'  zu  erstreben.  Nur  dann  hat  diese  An- 
ordnung ihre  volle  Berechtigung.  Dafür  verzichten  wir  gern  auf  alle 
neue  termini  technici. 

Was  das  zweite  Werk  beabsichtigt  lässi  ich  am  leichtesten  Bei- 
gen durch  die  sehr  kurze  praefatio :  ^Inilio  scholae  cuiusque  uon  amplins 
quam  denn  vel  quinadena  vocabula  tironibus  ediscenda  tradantor ;  qnae 
memoriter  pronuntiata  duodecimam  fere  horae  consument  partem.  Re- 
petitioni  verborum  addenda  exercitatio  frequeus  formarum  gramma- 
ticarum,  indagalio  originis  vocum ,  hebraicae  li.'gnae  cum  occidentali- 
bus  comparatio;  praepositiones  simul  atque  fieri  poterit  provectioribna 
formandae  traduntor.  Quae  ut  omnia  etiam  atque  etiam  retractentnr, 
occasio  obvenit  largissime,  ferc  omnibus  vcrbis  regularibus,  guttarali- 
bus,  quicscentibus  et  imperfectis,  nominumque  formationibus  primariif 
huio  libello  insertis,  quo  . .  .  magis  ad  agendum  quam  ad  sciendam 
instigeutur.'  Diese  bis  auf  den  Buchslaben  genaue  Abschrift  kann  nun 
jeden  in  den  Stand  setzen  den  Plan  zu  erkennen.    Es  folgen  Vooabei- 


.1 


Friedlfinder:  scholae  hebraicae  minores.  215 

reiben:  I)  familia,  gens,  die  dahin  gehörigen  nomina  mit  stat.  constr. 
and  Plural  und  die  Pronomina  personalia.    II)  creatio,  27  Subst.  mit 
stat.  constr.  und  PI.    III)  verbum  gibt  eine  Reihe  Verba  mit  der  Con- 
jngation  des  Praeteritum.    IV)  nomina  primigenia,  enthalten  Segolate 
wie  l^M.     V)  adjectivum,  allerlei  Adjective  mit  Fem.  und  Plural. 
VI)  particulae,  das  sind  uS;;,  l'^M,  fiib,  ^i^.tl ,  Yl^  und  dazu  das  con- 
JQgierte  Praeteritum  von  Tiri,    VII)  verba,  auch  schon  Gutturalen  mit 
dem  conjngierten  Futur;  auch  hier  sind  solche  gewählt,  die  ihrer  Be- 
deutung nach  oft  vorkommen,  im  ganzen 52.  VIII)  nomina  primigenia, 
wie  oben  26,  so  hier  20.'  IX)  suffixum  nominis,  dies  besonders  an 
ni^,  &K,  nm»,  113.,  n:3,  ^^"i  gezeigt,  also  gerade  an  solchen,  die 
viel  Veränderung  zeigen.    X)  verba ,  und  zwar  die  verba  k"d  und  26 
verba  Wb.    XI)  nomina  primigenia  wie  'nsD  19.    XII)  praepositio,  17 
mit  Sufßxen.    XIII)  pronomen.  Alle  ausser  dem  Pron.  pers.  XIV)  no- 
mina primigenia  wie   ttänp  23.     XV)  verba  «"b  10.    XVI)  verba  fö 
nach  ^^^  und  d'n'^*;  geordnet.  *^"SD.    XVII)  nomina  cum  terminatione 
fem.  plur.  beginnt  mit  ni<  30.    XVIIl)  femin.  cum  terminatione  masc. 
plnr.    XIX)  verba  n'V  41.'  XX)  suffixa  an  4  Präpositionen.    XXI)  be- 
stiae  49.    XXII)  verba  -^"y  12.    XXIII)  verba  fc  35.    XXIV)  nomina 
primigenia  TOa  12.   XXV)  wie  'n^tü  36.   XXVI)  verba  fy  34.  XXVII) 
adjectiva  wie  nss,  tiEJ,  T'pn  25.    XXVIII)  verba  I  gult.  24.  XXIX) 
nomina  augmentata  (praepos.  !d)  20.    XXX)  verba  II  gult.  24.   XXXI) 
nomina  augm.  (N.  praeform.  73)  18.     XXXII)   nom.  plur.  tantum  6. 
XXXIII)  verba  III  gutt.  19.     XXXIV)  n.  a.  n  abstractnm,    instru- 
mentale,  loci  27.    XXXV)  numerale  cardinale  vollständig  bis  10000. 
XXXVI)  nomina  feminina  (c.  term.  fem.)  65.    XXXVII)  num.  ordinale. 
XXXVIIl)  membra  40.    XXXIX)  nom.  cum  termin.  Schwa  4.    XL)  nom. 
monosyllaba  t9  24.  XLI)  n.  mon.  32  nb.   XLII)  n.  mon.  bu  23.  XLIII) 
wie  Vh  XLIV)  wie  ^in  17.    XLV)  n.  augmentata  ^  praef.)  17.  XLVI) 
mit  n  praeform.  21.     XLVII)  nomina  poaica  ^^  28.    XLVIII)  Con- 
janctiv  30.     XLIX)  templum  41.    Dazu  L)  und  LI)  Tempeigerälh  und 
beim  Opfer  vorkommende  Worte.     LH)  sacerdotium  und  Stoffe  ihrer 
Kleidung.    LIII)  gemmae  12.    LIV)  sacrificinm  24.     LV)  dies  festi  13. 
—  Diese  Aufstellung  ist  r^~^^nthümlich  genug;  wir  wüsten  nicht  anders 
dem  Leser  eine  Vorstelliibg  ^ku  geben  als  durch  diese  genaue  Angabe 
der  einzelnen  Reihen,  in  denen  sich  grammatische  mit  dem  Sinne  nach 
geordneten  mengen ;  auch  die' grammatischen' sind  vielfach  abweichend 
von  der  gewöhnlichen  Ordnung,  so  stehen  die  Gutturalen  von  allen 
Verben  zuletzt.    Für  diese  ganze  Anordnung  denken  wir  die  Gründe 
gefunden  zu  haben  (könii^n  freilich  nicht  fremde  Gedanken  erratlien) 
und  zweifeln  nicht  dasz  ein  Lehrer,  der  sich  dem  zdm  Grunde  liegen- 
den Plane  hingibt,  sehr  viel  wird  mit  seinen  Schulern  ausrichten  kön- 
nen, aber  Lebendigkeit  und  Regsamkeit  des  Geistes  gehört  dazu.    Das 
sind  freilich   überall  wünschenswerthe  Eigenschaften  eines  Lehrers. 
Aber  das  Buch  ist  bei  weitem  nicht  ein  bloszes  Vocabular,  wie  in  ein 
solches  znm  Theil  ausgeführte  Declinationen  nnd  Conjugationen  doch 
nicht  gehörten:  es  folgen' von  S.  73  Elementa  ^ammaticae  10  Seiten; 

iV.  Jahrb,  f.  Phii,  ».  Paed,  Bd  LXXVIII.  F/l  4.  15 


216  Briefe  aber  neuere  Erscheinungen  auf  d.  G.  der  deutschen  PUlol. 

da  sind  die  Buchstaben,  ihre  Eintheilung  in  Klassen,  die  Vocalc,  Namen, 
QuantitSt,  Aussprache,  die  Regeln  vom  Schwa,  Bagesch,  Raphe,  die 
Arten  der  Silben,  Gutturalen^  Qaiescibiles,  Veränderungen  der^ocale, 
Bildung  neuer  Vocale  und  die  Gonjugationen  gegeben;  endlich  noek 
eine  Tabelle  der  Suffixen  am  Nomen  und  Praepositionen.  Alles  dies 
auf  12  kleinen  weitgedruckten  Seiten,  bei  Nagelsbach  109,  bei  ROdiger 
202.  Das  heiszt  KQrze  und  das  ist  Geschick.  Und  doch  kann  man  mn 
sehen,  dasz  manches  noch  kfirzer  gefaszt  werden  konnte.  Das  ist  eben 
zum  Lobe  gesagt.  Manches  ist  ganz  vorlrefTlich;  so  die  Tabelle  Ton 
den  Buchstaben,  besonders  der  Vocale  und  Suffixen.  Mit  diesem  Buche 
in  der  Hand  wird  man  also  gar  keine  Grammatik  vorläufig  brauchen 
und  wird  den  Schüler  selbst  v.iel  bilden  und  finden  lassen ,  und  onn 
treten  auch  die  Vocabelreihen  erst  in^s  rechte  Licht.  Es  soll  eben  das 
Hebräische  lebendige  Sprache  werden,  lebendig  in  den  Schülern.  Mit 
diesem  Bächelchen  den  ersten  Cursus  durchmachen,  dann  ea  einer 
Grammatik  greifen  in  Prima,  woneben  ein  Vocabular  wie  das  Ton 
Stier  brauchbar  ist,  das  müste  die  Schüler  fördern  und  nichts  hier  TOn 
zu  fürchtender  Bequemlichkeit.  Der  Druck  ist  gut,  Fehler  nicht  der 
Rede  werth  und  leicht  vom  Schüler  gleich  zu  erkennen.  Aber  was 
wird  der  zweite  fasciculus  enthalteu?    Wir  sind  neugierig. 

Quedlinburg.  Gos^rau. 


(6.) 

Briefe  über  neuere  Erscheinungen  auf  dem  Gebiete  der 

deutschen  Philologie 

an  Herrn  Dr  S.,  Obcrldircr  am  Gymnasinm  zu  B.  von  Dr  F.  ^  seh  er, 
anszerordentlicbem  Professor  der  deutschen  Sprache  und  Litteratur  an 

der  Universität  za  Halle. 

(Fortsetzung  von  S.  170  ff.) 


7. 

Nachdem  wir  nun  den  klaren  und  einfachen  Thatbestand^  sowol 
in  Beziehung  auf  die  Handschriften  des  Nibelungenliedes  als  anf  Lneli- 
manns  Abhandlung  von  1816  und  seine  Ausgabe,  hinreichend  kennen 
gelernt  haben ,  sind  wir  befähigt  der  Holtzmannschen  Darstellung  Mit 
sicherem  Blicke  zu  folgen  und  sie  nach  Maszgabe  der  Tbatsachen  xn 
würdigen. 

Auf  den  ersten  59  Seiten  seines  Buches  bespricht  Herr  Holtsmam 
die  Handschriften,  und  zwar  nach  einem  kurzen  Vorworte  von  S.  d 
bis  17  das  Verhältnis  von  A  zu  B  und  von  S.  17  bis  59  das  Verhfillms 
von  B  zu  C. 

Im  Vorworte  weist  er  darauf  hin,  dasz  jede  Betrachtang  des  Ni- 
belungenliedes ,  vom  historischen  ivie  vom  philologischen  oder  itUie* 


Briefe  aber  neuere  ErschoioHogen  auf  d.  G.  der  deutochen  PhiIoL   217 

tischen  Standpunkte,  wesentlich  davon  abhangen,  und  bedingt  sein 
werde,  welchen  der  verschiedenen  Texte  man  zu  Grnnde  lege.  Auch 
ilie  Ansicht  über  die  Entstehung  and  die  ursprüngliche  Gestalt  des 
Werkes  werde  ganz  davon  abhängig  sein,  ob  man  den  einen  oder 
den  anderen  Text  für  den  alteren  und  echteren  halle.  Dasz  diese 
tehroffe  Auffassung  unrichtig  ist,  dasz  die  Ansicht  über  die  Entste- 
hang  und  die  illeste  unserer  Forschung  erreichbare  Gestalt  des  Wer- 
kM  in  den  Abweichungen  der  Texte  nicht  ihre  Wurzel  hat,  sondern 
nar  in  Einzelheiten  durch  sie  unterstützt  wird,  das  denke  ich  nun  be- 
reits in  meinem  sechsten  Briefe  erledigt  zu  haben. 

Der  Herr  Verfasser  klagt,  dasz  Lachmanns  Ansicht  über  die  chfo- 
Dologische  Aufeinanderfolge  der  Texte  ABC  fast  ausnahmslose  GeU 
lang  erlangt  habe.  Sogar  Herr  von  der  Hagen  bekenne  sich  zu  ihr; 
^doch  würde  er  nichts  tote  Lachmann  S,  X^  behauptet  haben ^  dan 
jedes  Wortj  das  nicht  in  A  stehe  ^  keine  gröszere  Beglaubigung  habe 
als  eine  Conjectur.^  Ob  Herr  von  der  Hagen  sich  dieses  philologischen 
Complimentes  gefreut  habe,  das  wollen  wir  gern  dahin  gestellt  bleiben 
lassen.  Wahr  könnte  es  freilich  immerhin  sein,  denn  mit  Logik  und 
Kritik  stand  er  wol  ein  wenig  auf  gespanntem  Fusze;  dafür  hatte  er 
seine  groszen  und  bleibenden  Verdienste  auf  eiuem  ganz  anderen  Ge- 
biete, und  das  dürfen  wir  uns  vollkommen  genügen  lassen,  denn  non 
omnia  possumus  omnes. 

Der  Herr  Verfasser  wundert  sich  nun  sehr,  dasz  die  Lachmannsche 
Ansicht  noch  immer  ohne  Beweis  geblieben  sei.  Behauptet  habe  wol 
Lachmann,  der  Text  von  A  sei  offenbar  der  älteste,  aber  nachgewiesen 
habe  es  weder  er  selbst  sonst  fast  irgend  einer.  Deshalb  wolle  nun 
er,  der  Verfasser,  ^das  Verhältnis  der  Nibelungenhandschriften  *w 
einander  nicht  ton  neuem ,  sondern  zum  erstenmal  einer  Unter- 
suchung unterwerfen.^ 

Da  sehe  ich,  verehrtester  Freund,  Ihr  feines  Lächeln  um  Ihren 
Mand  spielen.  Die  Freude  gönnen  Sie  dem  Verfasser  herzlich  gern, 
dasz  er  sich  für  den  ersten  hält,*  der  jene  kritische  Untersuchung  vor- 
nimmt. Was  aber  den  von  ihm  erhobenen  Vorwurf  bclrifTt,  so  sind 
Sie  als  Philolog  natürlich  der  Ansicht,  dasz  wer  die  erste  kritische 
Ausgabe  irgend  eines  Textes  besorgt,  eben  durch  die  Ausgabe  selbst 
den  Beweis  dafür  zu  liefern  meint,  dasz  er  mit  gutem  Fuge  und  nach 
reiflicher  Prüfung  gerade  die  von  ihm  gewählte  Handschrift  oder  Re- 
cension  zu  Grunde  gelegt  habe.  Wer  da  glaubt  dasz  es  ihn  angehe, 
der  mag  dann  die  Ausgabe  nachprüfen.  Findet  er  dabei  die  Grundsätze 
nnd  das  Verfahren  des  Herausgebers  richtig,  so  wird  er  doch  aber 
wahrlich  nicht  aufs  Dach  steigen  und  in  die  Welt  hinausrufen:  auch 
ich  habe  nachgeprüft  und  die  Sache  richtig  befunden.  Findet  er  sie 
dagegen  irrig,  so  kann  er  das  zwar  der  gelehrten  Welt  verkündigen, 
er  braucht's  aber  doch  nicht  zu  Ihun.  Mithin  ist  aus  dem  schweigen 
der  anderen  Forscher  doch  nimmermehr  ein  Schlusz  auf  ihre  Kopf- 
losigkeit, ihre  blinde  Nachbeterei  zulässig.  Erst*  wer  eine  neue  kri- 
tische Ausgabe  desselben  Textes  auf  anderer  handschriftlicher  Grund- 


218  Briefe  aber  neuere  Erscbeinungen  auf  d.  G.  der  deotochett  FfeiloL 


läge  besorgt  und  das  Verfahren  des  frfiheren  Heransgebers  verwirft, 
erst  der  musz  beweisen  dasz  jener  unrecht  hatte,  und  er  kann  das 
thun  entweder  implicitc  durch  seine  blosze  neue  Ausgabe  allein  oder 
—  und  das  wird  der  gewöhnlichere  Fall  sein  —  explicite,  durch  eiae 
besondere  Deduction. 

Immerhin  aber  musz  doch  irgend  ein  Grund  da  gewesen  aein,  dar 
das  ausgehen  von  A  veranlaszte.  Und  diesen  Grund  sucht  nun  der  Ver- 
fasser zu  entdecken.  Und  nun  schauen  Sie  einmal,  wie  er  mit  dea 
Thatsachen  umspringt !  —  Die  Handschrift  A  sei  doch  vcrhiltniamiaiig 
jung  und  nachlässig.  —  Das  ist  leider  wahr,  das  wissen  wir  alle.  — 
Ja  sie  sei  noch  viel  schlechter  als  sie  in  Lachmanns  Texte  erscheine, 
denn  — 

Nein ,  das  mOssen  Sie  mit  eigenen  Augen  sehen : 


Lachmann ,  Vorrede  der  dritten  Ausgabe  S.  XI 
(wiederholt  aus  der  Vorrede  der  ersten  Ansg.): 

....  ^auch  die  siillschtoeigend  verbeuerlm 
Fehler  in  A  sollten  wol  angegeben^  manche  Les- 
arten und  allerlei  orthographisches  oder  eomA 
grammatisches  näher  besprochen  werden^, . . . 
Aber  ich  bin  Jetzt  das  alles  auf  ein- 
mal auszuführen  nicht  vorbereitet 
....  Berlin^  den  5.  Februar  18  2  6.* 
(Unmittelbar  darauf  folgend,  wiederholt  ans 
der  Vorrede  der  zweiten  Ausgabe): 

^Noch  mehr^  hoffe  tcA,  trt'rd  die  zweite  ver- 
besserte Ausgabe^  in  Vereinigung  mit  den  An- 
merkungen^ die  das  versprochene  sa 
Ifisten  suchen^  tcoltoollenden  Lesern  ge- 
nügen ....  In  die  Anmerkungen  sind^  gegen 
den  ursprünglichen  Plan ,  damit  niemand 
einlas  vermissen  möchte^  auch  amede» 
Handschriften  B  CD  EFGHI  b  c  ef  g  hi 
sämtliche  Abweichungen  vom  gemeinen  Text 
aufgenommen ,  so  weit  ich  sie  gekannt  oder 
nichts  versehen  habe  ....  Berlin^  den  19*  JuU 
1340,' 

(Dasz  auch  sämtliche  stillschweigend  ver- 
besserte Fehler  der  Handschr.  A  in  den  Anaier- 
kungen  verzeichnet  stehen,  sieht  jeder  anf  den 
ersten  Blick,  der  die  Anmerkungen  sUur  eben 
aufschlagen  will). 

Also,  der  Herr  Verfasser  ignoriert  das,  was  bei  Lachmann  anf 
derselben  Xln  Seite  klar  und  deutlich  gedruckt  steht,  und  schiebt  iliB 
dafär  einen  Beweggrund  eigener  Fabrik  unter.  Und  was  fQr  einen  Be- 
weggrund? Lachmann  habe  die  Leser  hinteres  Licht  fahren,  tia- 
sehen  oder,  deutsch  gesagt,  betragen  wollen. 


Holtzmann,  Untersu- 
chungen S.  3 : 
^Dasz  ferner  A  sehr 
nachlässig  und  flüchtig 
geschrieben  ist^  zeigt 
sich^  wenn  man  sieht^ 
welches  die  Fehler  siVirf, 
von  denen  Lachmann 
S,  XI  sagt^  das'i  er  sie 
stillschweigend  verbes- 
sert habe.  Er  gesteht 
zu^  dasz  er  diese  Feh- 
ler hätte  -angeben  sol- 
len; aber  wol  nicht 
aus  B  equemlich- 
keil  hat  er  dies 
unterlassen^  son- 
dern absichtlich  ^ 
um  bei  dem  Leser 
nicht  Zweifel  an 
der  Richtigkeit 
seines  Verfahrens 
zu  erwecken* ,.. . 


iMb  aber  neuere  Erscheinangen  auf  d.  G.  der  deutschen  Pfailol.  219 

Wie  nennen  Sie  das,  verehrtester  Freund? 

Weiter  wundert  sich  der  Herr  Verfasser  mächtig  (S.  3.  4),  ^dasz 
f^iele  offenbare  Fehler  der  Handschrift  . .  .  stillschweigend  t>er- 
yueri  werden  musten ',   und  kann  es   *  allerdings  nicht  begreifen^ 

rm  in  anderen  Fällen  eine  wunderliche  Lesart  eon  Ay  die 
einfach  ebenfalls  als  einen  Fehler  beseitigen  könnte  ^  in  der  ge- 
mmgensten  Weise  als  die  ursprünglichste  gerechtfertigt  werden 
MS.'  Werden  Sie,  Freund,  sich  als  Philolog  nicht  auch  machtig 
■sdern  und  nicht  begreifen ,  dass  der  Herr  Verfasser  sich  also  ge- 
ändert und  nicht  begriffen  hat?  Werden  Sie  nicht  zu  ihm  sagen: 
!i,  irerthester  Herr!  das  geliört  ja  zum  Abc  von  der  Kritik!  Offen- 
ire  Fehler  sind  eben  Fehler,  und  die  werden  im  geschriebenen  Buche 
yrade  eben  so  und  mit  demselben  Rechte  stillschweigend  corrigiert, 
ie  Sie  es  selber  im  gedruckten  Buche  mit  den  Druckfehlern  machen. 
id  wunderliche  Lesarten  sind  eben  Lesarten ,  und  die  müssen  stehen 
eiben,  bis  sie  durch  eine  bessere  Handschrift  derselben  Recen- 
|fl  beseitigt  werden  oder  bis  ein  spaterer  mit  gröszerem  Scharfsinne 
ler  glücklicherem  Einfalle  ans  ihnen  das  richtige  herauslockt.  Das 
osze  und  schwere  Kunststück  besteht  nur  darin,  dasz  der  Kritiker 
Tiel  gelernt  haben  und  so  viel  Scharfsinn  besitzen  musz ,  um  in  je- 
l# einzelnen  Falle  aafs  Haar  wissen  zu  können,  was  blos  ein  Feh- 
r  and  was  wirklich  eine  Lesart  ist  oder  sein  kann.' 

Es  kommt  noch  besser ,  verehrtester  Freund ! 

Der  Herr  Verfasser  sagt  S.  4:  Lachmann  erganze  stillschwei- 
md  nicht  nur  kleinere  Wörter,  sondern  auch  gröszere,  verbessere 
illschweigend  sinnlose  Verwechslangen  von  Wörtern,  und  be- 
Äl  dazu :  *  Wenn  Lachmann  in  solchen  Fällen  stillschweigend 
(t  richtige  setzte  das  die  anderen  Handschriften  bieten ,  so  hat  dies 
r  den  Nachtheil  y  dasz  man  nicht  erfährt  wie  schlecht  A  geschrie- 
k  üt;  wenn  er  aber  zuweilen  ....  eben  so  stillschweigend 
pa$  seisUy  das  in  keiner  Handschrift  steht  und  das  also  nur  den 
'9tih  einer  Conjectur  haben  Arann,  so  ist  ein  solches  Verfahren  aller- 
•yt  bedenklich.* 

Das  ist  keine  geringe  Beschuldigung,  und  der  Herr  Verfasser  hat 
vis  seine  Beweise  dafür,  zahlt  eine  Anzahl  von  Stellen  auf,  die  ihm 
I  Belege  dienen  können !  —  Das  wird  freilich  jeder  erwarten.  Dem 
*■  Verfasser  jedoch'schien  eine  Stelle  ausreichend,  nemlich  204,  1. 
»rt  steht  aber  bei  Lachmann :  Volgen  der  von  Rine  nieman  man  im 
efty'und  buchstäblich  eben  so  in'^l  bei  Myller  V.  808,  und  genau  eben 
«neb  in  B  und  in  C.  Mithin  wird  das  wol  einer  der  zahllosen  Druck- 
der  in  den  Ziffern  des  Buches  sein,  die  dem  nachprüfenden  Leser  die 
olrole  so  sehr  erschweren  und  verleiden.  Ohne  Zweifel  aber  hat 
r  Herr  Verfasser  gemeint  204,  4  (denn  auf  S.  15  wiederholt  er  von 
es  er  Zeile  dieselbe  Beschuldigung),  wo  allerdings  im  Lachmann- 
lien  Texte  etwas  gesetzt  ist,  was  in  keiner  Handschrift  seht,  nemlich 
d  her  LiudgSren  vor  sinen  hergesellen  vant.  Dagegen  in  der  Vul- 
la:  unz  er  Liudegiren  o.  s,  h,  o.,  und  in  A :  den  herren  liudgern     er  ^ 


220  Briefe  über  neuere  ErschoinuDgeii  aof  d.  G.  der  dealsolwii  PbUoL 

fiti  f)or  sinen  h.  e.  Der  Herr  Verfasser  sei  aber  einmal  anfriohtif  and 
sage  uns,  woher  er  denn  selbst  erfahren  hat  was  \n  A,  in  der  Hand- 
schrift, steht.  Etwa  aus  der  Handschrift  selber?  Oder  aas  demHyller^ 
sehen  Drucke?  Es  ßodet  sich  in  seinem  Buche  nicht  die  geringste 
Spur ,  welche  ein  selbständiges  zurückgehen  auf  diese  beiden  Quellen 
vermuten  liesze.  Deshalb  bleibt,  kaum  eine  andere  Möglichkeit  ÖDTig 
als:  der  Herr  Verfasser  hat  seioe  Kunde  eben  aus  keiner  dieser  bei- 
den Quellen  unmfttelbar  geschöpft !  sondern  —  der  die  Fehler  der 
Handschrift  verheimlichende  Lachmann  selbst  hat  es  ihm  ^stillscbwei* 
gend'  gesagt  in  seinen  Anmerkungen  zu  204,  4  S.  33.  Denn  da  steht 
mit  deutfichen  Worten  zu  lesen :  ^Den  Herren  Uudgem  \  er  nu  90T 
sinen  hergesellen  vant  A.  Die  Richligkeit  meiner  Verbesserung 
ist  nicht  Mi  bezweifeln,  Sowol  end  für  6  (wovon  wir  noch  den  Com- 
paraliws  ehuder  haben)  als  her  für  er  hat  die  Handschrift  A  öfter 
(z.  B.  403,  2  =  Myller  1603.  410,  2  —  Myller  1630].  Beide  deuten^ 
wie  viel  anderes ,  auf  eine  sächsische  oder  thüringische  Handschrift 
die  zum  Grunde  lag.^  —  Und  wie  an  dieser  Stelle,  so  ist  ja  doch  je- 
desmal in  den  ^Anmerkungen'  jede  Abweichung  des  Druckes  von  den 
Buchstaben  der  Handschrift  angegeben! 

Nun,  Freund!  Sie  staunen!  Heisztdas  stillschweigend  etwM 
in  den  Text  setzen,  das  in  keiner  Handschrift  steht,  wenn  jemam^die 
Gründe  seiner  Emendation  so  deutlich  angibt?  Und  ist  et  nieht 
vollkommen- gleichbedeutend,  ob  die  Belege  des  Verfahrens  in  einem 
besonderen  zugehörigen  ffuche  oder  als  Randnoten  unmittelbar  unter 
dem  Texte  stehen?  'Welche  übermütige  Verachtung  seines  Publikina 
zeigt  der  Herr  Verfasser  bei  dieser  und  ähnlichen  Gelegenheiten  da- 
durch, dasz  er  ihm  zumutet,  es  werde  sich  von  ihm  so  etwas  aufbiadea 
lassen  I  Und  diese  Behauptung  stillschweigender  Textesinderung !  still» 
schweigender  Textesänderung  um  den  Leser  zu  täuschen,  zu  hinter- 
gehen !  D^ese  Behauptung,  die  den  sittlichen  Charakter  Lachmannt  verw 
dachtigt  und  in  den  Schmutz  zieht!  Wie  stimmt  das  zum  Lessingsohen 
Kanon?  Kann  der  Verfaser  diesen  Tadel  ^mit  dem  kritisierten  Bueke 
in  der  Hand  gut  machen?^  Ist  das  nicht  ärger  noch  als  SchmihuBg? 
und  hatte  der  Verf.  S.  VI  nicht  selber  gesagt:  ^Statt  der  Be- 
weise  Schmähungen  vorzubringen^  das  sollte  nie  und  nirgemdtj  auch 
dem  grasten  Gelehrten  nicht  gestattet  sein!' 

Ehrlich  gestanden,  lieber  Freund!  —  als  ich  in  dem  Bnohe  bis 
hierher  gekommen  war,  ist  mir  der  Geduldfaden  gerissen,  und  es  bat 
mioh  einige  Ueberwindung  gekostet  mich  wieder  daran  zu  geben  und 
ruhig  weiter  zu  lesen  und  zu  prüfen.  Wenn  aber  einem  solchen  Ver* 
fahren  gegenüber  einem  und  dem  anderen  Verehrer  Lacbmanns  die 
Galle  übergelaufen  ist,  wenn  er  dem  Herrn  Verfasser  gereizt  und  bitter 
geantwortet  hat:  ich  kann  ihm  das  wahrlich  nicht  verargen. 

Der  Herr  Verfasser  fuhrt  fort  nach  dem  Grunde  der  Bevorzugang 
von  A  zu  suchen.  Er  meint,  vielleicht  habe  die  Kürze  von  A  und  diese 
allein  das  bewirkt.  Man  gicng,  so  sagt  er,  von  der  Voraussetzung  tos, 


Brijefe  aber  oeuere  Erscheinungen  auf  d.  G.  der  deutschen  Philol.  221 

das£  das  Nibelungenlied  aus  dem  Munde  des  Volkes  geschöpft  sei; 
man  meinte,  solche  Volksgesänge  erhalten  fortwährend  Erweiterun- 
gen; in  dieser  ßefangeDheit  erklärte  man  ^ohne  weitere  Untersuchung' 
den  kürzesten  Text  A  für  den  ältesten  und  richtigsten.  —  Hätte  es 
dem  Herrn  Verfasser  nur  beliebt  uns  diesen  klugen  ^man'  mit  Namen 
ZQ  nennen,  uns  Titel  und  Seitenzahl  der  Werke  anzugeben,  wo  jene 
genialen  Behauptungen  und  Folgerungen  dieses  geistreichen  *man'  zu 
finden  sind. 

Nach  des  Herrn  Verfassers  dafürhalten  ist  aber  gerade  die  Kürze 
ein  Verdachtgrund  gegen  den  Werth  von  A^  denn  —  die  Schrei- 
ber kürzten  fast  immer,  besonders  deutsche  Handschriften,  und 
*man  kann  im  allgemeinen  den  Grundsatz  aufstellen^  dasz 
90H  verschiedenen  Handschriften  desselben  altdeutschen  Buchs  die 
längere  den  besseren  und  echteren  Text  habe*^  wie  z.  B.  aus  dem 
kürzeren  Alexanderliedo  der  Verauer  Handschrift  verglichen  mit  dem 
längeren  der  Straszburger  zu  ersehen  sei. 

Das  ist  denn  doch  wieder  eine  Behauptung,  die  ziemlich  in'^s 
blane  geht!  So  allgemein  läszt  sich  ja  gar  nicht  über  die  Sache  ab> 
sprechen,  vielmehr  kommt  es,  wie  jeder  Litterarhistoriker  weisz,  we- 
sentlich auf  den  Inhalt  und  auf  den  Zweck  des  betreffenden  Werkes 
an.  Werke,  welche  einen  volksmäszigen  Inhalt  haben,  so  dasz  der 
Schreiber  mehr  wüste  als  in  seiner  Vorlage  stand,  werden  in  der  Re- 
gel so  lange  durch  Zusätze  erweitert  als  noch  das  Interesse  am  Stoffe 
vollkommen  lebendig  ist,  während  daneben  nur  einzelne  geringere 
Partien  ausfallen,  für  welche  das  Interesse  sich  bereits  abgeschwächt 
katw  Durchgreifende  Abkürzung  findet  bei  Werken  dieses  Charakters 
erat  dann  statt,  wenn  die  Lust  am  ganzen  StolTo  zu  erlöschen  beginnt, 
wie  sich  an  den  verschiedenen  Bearbeitungen  der  Alexandersage,  der 
Brandansage  und  anderer  Sagenstoffe  mit  Leichtigkeit  überzeugend 
nfchweisen  läszt.  Werke  praktischen  Zweckes  dagegen,  wie  z.  B. 
Bechtsbücher,  als  der  Sachsenspiegel,  der  Schwabenspiegel  und  was 
tonst  dahin  einschlägt,  erleiden,  je  nach  den  praktischen  Bedürfnissen, 
die  mannigfachsten  Aenderungcn ,  Zusätze ,  Kürzungen,  Umstellungen 
V.  dgl.  Blosze  Abkürzung  erfahren  von  poetischen  Werken  nur  solche, 
die  ihrer  Form  nach  zur  Kunstpoesio  gehören  und  deren  Inhalt  die 
Schreiber  nichts  hinzuzufügen  wüsten;  dann  aber  steht  wiederum  die 
Ofite,  d.  h.  die  Reinheit  und  Correctheit  des  Textes,  nicht  in  nothwen- 
diger,  gleichen  Schritt  haltender  Verbindung  mit  der  Kürzung.  So  ist 
I.  B.  die  Heidelberger  Handschrift  des  Alexander  >on  Ulrich  von 
Eschenbach  erheblich  älter,  hat  aber  gleichwol  bedeutend  kürzeren' 
und  doch  zugleich  auch  bedeutend  besseren  Text  als  die  jüngere 
Wolfenbüttler  Handschrift  desselben  Gedichtes.  Wie  es  yn  dieser  Be- 
siehung um  die  beiden  Texte  von  Lamprechts  Alexander  steht  weisz 
ich  nicht,  da  ich  sie  noch  nicht  zu  diesem  ßchufe  unter  sich  und  mit 
ihrer  Quelle  kritisch  verglichen  habe. 

Das  wäre  im  wesentlichen  die  allgemeine  Betrachtung  des  Herrn 
Verfassers.    Er  selbst  faszt  ihr  Ergebnis  (S.  6)  dahin  zusammen:  dasz 


222  Briefe  über  neuere  Erscheinungeuauf  d.  G.  der  dealiolmi  FUloL 

A  *  eine  junge  ^  flüchtig  geschriebene^  alleinstehende^  hur%e  Hand-' 
Schrift  ist*  —  Nun,  dieser  Satz  ist  seit  nahezu  vierzig  Jahren  be- 
kannt und  unbestritten.  —  Der  Herr  Verfasser  hält  es  darnach  iwtr 
nicht  für  wahrscheinlich,  dasz  sie  den  echten  Text  enthalte,  masx  aber 
doch  die  Möglichkeit  zugeben. 

8. 

Um  die  Möglichkeit  zu  bestreiten,  dasz  A  den  echten,  d.  h.  den 
ältesten  vorhandenen  Text  enthalte ,  wendet  sich  der  Herr  Verfasser 
auf  S.  6  dann  weiter  zur  Specialuntersuchung. 

Zuerst  faszt  er  den  Umstand  in^s  Auge,  dasz  B  ungefähr  60  Stro- 
phen mehr  hat  als  A^  und  versucht  darzuthun  dasz  nicht  B  durch  Hin- 
zufügung  dieser  Strophen  aus  A  erweitert,  sondern  umgekehrt  A  durch 
Weglassung  derselben  aus  B  verkürzt  sei.  Zu  diesem  Behnfe  zähll  er 
die  betreffenden  Strophen  einzeln  nach  ihrer  Reihenfolge  im  Gedichte 
auf  und  bespricht  sie  mit  einigen  Worten.  Dabei  kommen  Muster  von 
Schluszfölgerung^n  zu  Tage ,  wie  folgendes  auf  S.  7 :  Es  soll  zwar 
eben  erst  bewiesen  werden ,  d  a  s  z  ^4  das  Bestreben  zeige  [einen  Alte- 
ren Text]  zu  kürzen;  aber  wenn  ^4  im  vierten  Strophenhundert  das 
Bestreben  zeigt  zu  kürzen,  wenn  ^4  nach  348  vier  Strophen,  nach  358, 
359  und  376  je  eine  übergeht:  dann  wird  auch  der  Mangel  zweier 
Strophen  in  A  nach  341,  obschon  sie  allerdings  das  Ansehen  eines 
[jüngeren]  ungeschickten  Zusatzes  haben,  ebenfalls  diesem  sichtbaren 
und  hier  gerade  nicht  tadelnswerthen  Streben  nach  gröszerer  Kürze 
zuzuschreiben  sein. 

Leitende  Grundsätze  treten  in  dieser  ganzen  Besprechung  der 
StrophendifTerenz  nicht  merklich  hervor.  Auch  betrachtet  sie  die  be- 
treffenden Strophen  nur  in  ihrer  Vereinzelung,  sich  lediglich  an  deren 
arithmetische  Folge  haltend.  Dadurch  verschwimmt  dann  die  Aus- 
führung in  eine  gewisse  Nebelhaftigkeit,  welche  das  Urteil  dessen, 
der  eben  nur  so  geduldig  hinliest ,  einschläfert.  Es  wäre  nnn  sehr 
leicht,  die  Aufstellungen  des  Herrn  Verfassers  im  einzelneu  vollständig 
zu  widerlegen,  allein  ich  habe  Ihnen  bereits  gesagt,  verehrlester 
Freund ,  dasz  und  warum  ich  in  diesen  meinen  Briefen  auf  das  Detail 
nur  ausnahmsweise  eingehen  will  und  kann.  Auch  bedürfen  wir  hier 
dessen  nicht. 

Nehmen  wir  einmal  an,  es  sei  richtig  was  der  Herr  Verfasser 
hier  aufgestellt  hat,  und  suchen  wir^  indem  wir  uns  möglichst  an  seine 
eigenen  Worte  halten,  die  Principien  und  die  Consequenzen  seiner  Be- 
hauptungen aufzußnden. 

Also:  in  A  möge  ein  Text  vorliegen,  der  aus  einem  älteren  Texte. 
B  durch  Abkürzung  entstanden  sei.  Da  ergeben  sich  üenn  doch  notb- 
wendig  sofort  die  beiden  Fragen:  l)  wer  hat  abgekürzt?  2)  wie  und 
warum  hat  dieser  *wer'  abgekürzt? 

Auf  die  erste  Frage  suchen  wir  bei  dem  Herrn  Verfasser  vergeb- 
lich eine  bestimm  te  Antwort.  Er  sagt  entweder  nur  in  abstracto: 
A  hat  gekürzt  oder:  ^der  Schreiher*  hat  gekürzt;  ob  er  aber  unter 


Bitefe  aber  neuere  Erscheinangen  auf  d.  G.  der  deatschen  Philöl.  S23 

letzterem  einen  Abschreiber  oder  einen  Redaclor  versiehe,  darüber 
hat  er  keine  besondere  Erklärung  gegeben.  Ans  dem  Umstände ,  dasz 
«ach  in  der  Handschrift  /  einige  dieser  Strophen  fehlen,  folgert  der 
Herr  Verfasser  auf  S.  9,  dasz  schon  vor  der  Abfassung  von  A  Kürzungen 
eines  älteren  Textes  ^gemacht  worden  seien.  Mithin  sind  wir  berechtigt 
die  Ansicht  des  Herrn  Verfassers  zunächst  folgendermaszen  festzustel- 
len: mindestens  zwei  aufeinander  folgende  Abschreiber  oder  Redactoren 
haben  einen  älteren  Text  B  dnrch  Abkürzung  auf  die  Form  A  gebracht. 

Auf  das  Varum'  der  zweiten  Frage  gibt  der  Herr  Verfasser 
S.  7  bis  9  vier  Antworten :  Gekürzt  ist  worden  aus  ^ Nachlässigkeit^^ 
ans  ^ Trägheit ^  aus  ^Versehen'  und  ^absichtlich^» 

Auf  das  Vi  e'  der  zweiten  Frage  wird  S.  7  die  Antwort  bei  Ge- 
legenheit eines  speciellen  Falles  ertheilt.  A  hat  nemlich  nach  Nr  442 
drei  Strophen  übergangen,  ^und  zwar  nicht  aus  Versehen  sondern  ab- 
sichtlichy  u>eil  der  Schreiber  meinte^  ihr  Inhalt  sei  ja  schon  bekannt'^ 
nnd  ^deshalb  ersetzt  A  den  Fers  424,  4  mit  nichtssagenden  Worten.' 

So!  Nun  sind  wir  in  Ordnung!    Also  nicht  blos  Strophen  sind 
aasgelassen  und  mit  überlegter  Absicht  ausgelassen,  sondern   auch 
Verse  der  anstoszenden  Strophen  sind  geändert  worden,  sobald   in- 
Folge  der  entstandenen  Lücke  ihre  unveränderte  Beibehaltung  eine 
Störung  des  Sinnes  oder  gar  einen  Widersinn  ergeben  hätte. 

Wer  absichtlich,  wer  aus  Gründen  und  mit  Ueberlegung  Strophen 
ansläszt,  wer  die  in  Folge  der  Auslassungen  entstandenen  Störungen 
dea  Sinnes  und  Zusammenhanges  durch  Veränderung  des  stehengeblie- 
benen beseitigt,  der  ist  ein  Redactor.  Ob  ein  guter  oder  schlech- 
ter, ein  geschickter  oder  ungeschickter,  das  ist  erst  die  zweite  wie« 
der  für  sich  zu  untersuchende  Frage.  Und  was  er  nebenbei  als  Ab- 
schreiber durch  Nachlässigkeit  oder  Trägheit  versehen  haben  mag,  das 
iil  wieder  eine  dritte  Frage,  die  auch  besonders  untersucht  werden  kann. 

Mithin  sind  wir  nun  berechtigt  die  Ansicht  des  Herrn  Verfassers 
folgendermaszen  endgiltig  festzustellen : 

Mindestens  zwei  auf  einander  folgende  Redactoren  haben  einen 
älteren  Text  B  durch  Auslassung  von  Strophen  und  durch  Aeoderung 
beibehaltener  benachbarter  Strophen  auf  die  kürzere  Form  A  gebracht. 
Allerdings  spricht  der  Herr  Verfasser  auch  von  Strophen,  die  lediglich 
durch  Nachlässigkeit,  Trägheit  oder  Versehen  ausgefallen  seien.  Doch 
nfcht  einmal  für  eine  einzige  Stelle  hat  er  bewiesen,  dasz  durch  die 
anveränderte  Beibehaltung  der  benachbarten  Verse  wirklicher  Unsinn 
in  A  entstanden  wäre.  So  lange  dieser  Beweis  aber  gebricht,  bleibt 
die  Annahme  der  Nachlässigkeit,  Trägheit,  des  Verschens  eben  eine 
blosze  unbewiesene  Annahme,  eine  Ansicht,  eine  Meinung,  eine  Be- 
hauptung. Und  hiermit  sind  dieser  Annahme,  ihrem  Werthe,  und  den 
daraus  zu  ziehenden  Folgerungen  ihre  festen ,  engen  Grenzen  mit  Be- 
stimmtheit angewiesen. 

Sie  sehen  hier  wiederum ,  verehrtester  Freund !  wie  sehr  der 
Herr  Verfasser  für  sein  Buch  aufmerksame  und  geduldige  Leser  ver- 
langt, welche  sich  die  Müheoiicht  verdrieszen  lassen,  seine  Darstellung 


224  Briefe  Ober  neuere  Erscheinangett  aaf  d.  G.  der  dei|Uo|Mtfi,FMM. 

auf  ihrisn  logischen  Gehalt  abzuklären  und  seine  Principien  hervona- 
locken.    Lassen  Sie  uns  nun  einmal  den  Consequenzen  nachgehen ! 

Wenn  wir  genau  der  Aufstellung  des  Herrn  Verfassers  folgei, 
so  zerfallen  die  Strophen,  um  welche  sich  B  von  A  unterscheidet,  ia 
zwei  Klassen.  Die  einen  erklärt  er  theils  selbst  geradezu  für  entbehr- 
lich, theils  gibt  er  zu  dasz  sie  ohne  Beeinträchtigung  des  Sinnes  und 
Zusammenhanges  entbehrt  werden  können,  obsqhon  man  manche  ungern 
vermissen  werde;  es  sind  deren  49  an  40  Stellen  des- Gedichtes.  .  Voa 
den  anderen  behauptet  er  dasz  sie  nothwendig,  dasz  sie  unentbehrlich 
seien;  deren  sind  14  an  8 Stellen  des  Gedichtes,  nemlich  diejenigen,  die 
aus  dem  gemeinen  Texte  in  Lachmanns  Ausgabe  am  unteren  Hände  der 
Seite  stehen,  hinter  den  Strophen  338.^48.  428.  437.  442.  589. 1614.  1818. 

Wollen  Sie  sich  die  Mühe  nehmen,  die  angeführten  Stellen  in 
Lachmanns  Ausgabe  nachzuschlagen  und,  ohne  Berücksichtigung  dessea 
was  am  untern  Rande  der  Seite  aus  B  augeführt  ist,  den  bloszen  Text 
A  hintereinander  fort  zu  losen,  dann  werden  Sie  freilich  finden,  dau 
dies  ohne  merklichen  Anstosz  möglich  ist.  Wenn  Sie  recht  scharf 
achtgeben,  dann  können  Sie  vielleicht  hie  und  da  eine  kleine  Härte 
gewahren,  aber  eine  wirkliche  Störung  des  Sinnes,  eine  wirkliche 
Unterbrochung  des  Zusammenhanges  sollen  Sie  wol  kaum  spüren.  Und 
doch  nur  wenn  solche  Störung,  solche  Unterbrechung  fühlbar  hervor- 
träte, könnten  jene  Strophen  mit  Recht  ^nothwendige'  oder  *nnent- 
bohrliche'  genaunt  werden. 

Doch  es  sei!  Des  Verfassers  Behauptung  möge  unangefochten 
bleiben.  Dann  wird  uns  doch  die  Frage  zustehen  und  sogar  von  seibat 
sich  aufdrängen:  wie  sich  wol  jene  Strophen,  die  ^noth wendigen'  wie 
die  ^entbehrlichen',  im  Gedichte  vertheilen  mögen?  Als  Antwort  er- 
halten wir  fglgendet  Tafel: 

Lachmanns  Lie-   anStel-  Zahl  der  nö-    anStel-  Zahl  der  eot» 
dereintheilung        len        thigenStr.         len     behrlicben  Str. 

1  2 
11                13                19- 

12  14 

1                10  10 

2  2 
1  1 

1                  1                   1 
1 

Summa  8  14  40  49. 

Oder  noch  mehr  vereinfacht: 

Altes  echtes  Lied  IV  5  II  13  19 

Fortsetzung  von  IV  12  14 

V 1 1 10 10 

Summa  6  12  35  43. 

Uebriger  erster  Theil  der  Nibclungc  Not  4  0 

zweiterTheil  derN.N.  2  2«  1  1. 


Altes  echtes  Lied  I 

Fortsetzung  von  IV 

5 

IV 

V 

1 

Vlll 

IX 

XV 

1 

XVII 

1 

Bcieib  Qber  iieaere  Brscbeinangeo  auf  d.  G.  der  d^atfolKMi  PhiloL  S95 

Siod  Sie  überrascht,  Freund?  Wie  aehr  recht  hatten  Sie,  die 
Fragstelluiig  so  zu  betonen !  Wie  erscheint  nun  bei  anderer  FragsleU 
lang  die  Sache  sofort  auch  in  einem  ganz  anderen  Lichte !  Und  setzen 
Sie  nun  einmal  die  gefundenen  Zahlen  in  Yerhültnisse  um !  Was  er- 
gibt sich  dann  ? 

lieber  43  Procent  oder  fast  die  Hälfte  sämtlicher  fraglicher  Stro- 
phen fallen  allein  auf  das  kurze  alte  vierte  Lied.  Oder  mit  andereu 
Worten :  zwischen  Strophe  338  und  443,  also  innerhalb  des  engen  Be- 
reiches von  nur  105  Strophen,  hätte  der  Redactor  oder  der  Schreiber 
von  A  ganze  30  Strophen,  d.  h.  jede  vierte  Strophe  ausgelassen. 

Ueber  22  Procent  oder  über  ein  Fünftel  fallen  auf  die  Fortsetzung 
des  vierten  Liedes.  Und  fassen  wir  das  alte  vierte  Lied  mit  seiner 
FortQetzung  zusammen,  so  fallen  hierauf  über  69  Procent  oder  über 
swei  Drittel  sämtlicher  Strophen. 

Ueber  17  Procent  oder  fast  ein  Sechstel  fallen  auf  das  fünfte  Lied 
und  nicht  volle  8  Prooent  oder  noch  unter  ein  Zwölftel  fallen  auf  die 
^anze  übrige  erste  Hälfte  des  Nibelungenliedes,  und  endlich  gar  nicht 
ToUe  5  Procent  oder  nur  ein  Einundzwanzigstel  auf  die  ganze  zweite 
Hälfte  desselben.  Oder  mit  anderen  Worten :  zwischen  Strophe  662 
und  2316,  also  im  Verlaufe  von  1654  Strophen^  hätte  derselbe  Mann 
nur  6  Strophen  oder  jede  276e  und  von  Strophe  1000  ab  gar  nur  3 
Strophen  oder  jede  439e  weggelassen ! 

Kann  ein  so  auffallendes  Misverhältnis  Zufall  sein?  Wäre  der 
Abschreiber  nur  in  dem  beschränkten  Bereiche  des  vierten  und  fünften 
Liedes  träge,  nachlässig,  unaufmerksam  gewesen  und  dann  plötzlich 
wieder  fleiszig,  sorgfältig  und  achtsam  geworden?  Das  ist  schon  an 
aieh  nicht  wahrscheinlich,  ja  es  ist  sogar  entschieden  unmöglich,  weil, 
wie  wir  ermittelt  haben,  überhaupt  nicht  ein  Abschreiber,  sondern  ein 
mit  überlegter  Absicht  verfahrender  Redactor  die  Strophen  weggelas- 
gen  haben  musz.  Verfuhr  aber  der  Mann  mit  überlegter  Absicht,  — 
welcher  Grund  hat  ihn  bewogen  gerade  im  fünften  und  noch  mehr  im 
vierten  Liede  so  überwiegend  viel  Strophen  zu  verwerfen?  Diese 
Frage  musz  doch  nothwendig  aufgeworfen  und  ihre  Beantwortung  ge- 
ancbt  werden! 

Sollte  diese  so  höchst  sonderbare  Ungleichmäszigkeit  in  der  Ver- 
theilnng  der  streitigen  Strophen  dem  Herrn  Verfasser  denn  gar  nicht 
aufgefallen  sein?  Lachmann,  der  freilich  in  eigensinniger  Verblerfdung 
die  richtige  Aufeinanderfolge  der  drei  Recensionen  so  gänzlich  ver- 
kannte, hatte  doch  schon  1816  (ursprüngl.  Gestalt  S.  68  f.)  nachdrücke 
Heb  genug  darauf  hingewiesen.  Und  da  der  Herr  Verfasser  doch  die 
einschlägigen  Schriften  des  Mannes,  dem  er  widerlegen  will,  mit  Be- 
dacht gelesen  haben  musz,  so  kann  ihm  die  Stelle  nicht  unbekannt  ge- 
blieben sein.  Aber  er  schweigt!  Hat  er  ein  eingehen  auf  diese  so 
stark  sich  hervordrängende  und  zugleich  so  wichtige  Frage  absichtlich 
oder  unabsichtlich  vermieden?    Wir  wissen^s  nicht;  er  schweigt! 

Er  schweigt!  und  es  ist  klug,  sehr  klug,  dasz  er  schweigt!  Denn 
man  darf  diese  gefährliche  Frage  nur  eben  anrühren,  so  spriugt  äugen- 


226  Briefe  über  iieaere  Erscheinangen  auf  d.  G.  der  denlsoheB  PhÜol. 

blicklich  ein  ganzes  Heor  recht  stachlicher  and  eben  so  gef&hrlieher 
Fragen  aus  ihr  hervor.  '*') 

Mit  den  bisher  zur  Sprache  gekommenen  Mitteln  Ifiszt  sich  die 
Frage  auch  nicht  lösen,  läszt  sich  die  Losung  nicht  einmal  beginnea. 
Deshalb  möge  sie  vorläuflg  bei  Seite  gestellt  bleiben;  ein  ipiterar 
Brief  wird  wol  Gelegenheit  geben  ihrer  wieder  zu  gedenken  nnd  die 
einzig  mögliche  endgiltige  Lösung  als  längst  geliefert  nachzuweiseD. 

In  ähnlicher  Weise  wie  die  Strophendifferenz  zwischen  A  und  B 
bespricht  der  Herr  Verfasser  S.  17 — 36  den  Strophenunterschied  zwi- 
schen B  und  C,  doch  so,  dasz  er  diesmal  nicht  sämtliche  Fälle  einzeln 
aufzählt,  sondern  sich,  nach  seiner  eigenen  Angabe  (S.  20),  aaf  die 
Heraushebung  einiger  beschränkt.  Auch  hier  wieder  spricht  er  .wie* 
derholt  von  Versehen  (S.  21.  22.  23),  vom  Schreiber  (S.  21.23.  31. 
33) ,  vom  Abschreiber  (S.  25.  29)  und  am  häufigsten  ipom  abstractani 
B^  welches  dies  oder  das  gothan  habe.  Aber  diesmal  hat  der  Herr 
Verfasser  den  Schalk  noch  mehr  im  Nacken  als  bei  der  früheren  Be- 
sprechung. Und  hat  er  nicht  auch  ein  Recht  dazu?  Kann  er  denn  nicht 
füglich  verlangen  und  voraussetzen,  dasz  der  Leser  nun  schon  Fort- 
schritte gemacht,  schon  gröszere  Uebung  und  Gewandtheft  erlangt 
habe  in  der  Kunst,  den  versteckten  logischen  Gehalt  aus  seiner  Dar- 
stellung sich  abzuklären  und  seine  Principien  zu  entdecken?  Das  ist 
auch  nöthig,  denn  schon  die  Sache  selbst  ist  diesnual  nicht  so  ein- 
fach als  bei  der  frflheren  Besprechung. 

Die  Wirksamkeit  des  abstractums  B  äuszert  sich  nemlich  riet 
reicher  und  mannigfaltiger  als  jene  des  abstractums  A.  Das  abstractnn 
B  läszt  nicht  nur  ebenfalls  Strophen  aus,  *und  zum  Theil  auch  auf  Grand 
einer  Ueberlegung,  weil  es  sie  für  aberflüssig  hält'  (S.  19),  und  ^ab- 
sichtlich*^ besonders  von  Strophe  1654  ab  (S.  21);  ändert  nicht  enr' 
ebenfalls  die  benachbarten,  die  anstoszenden  Zeilen,  nm  die  in  Folge 
der  Lücke  entstandene  Sinnesstörung  zu  beseitigen  oder  ein  Versehen 
gut  zu  machen  (S.  20.  22.  23.  30) ,  —  sondern  es  greift  viel  weiter 
aus,  es  wagt  viel  kühneres.  Es  beseitigt  nach  Strophe  1083  ganze 
acht  Strophen ,  weil  —  ^die  Nachricht  in  der  Klage  [V.  1839  fT.J  9« 
finden  war*  (S.  25),  d.  h.  B  combiniert  S.  149  der  Lachmannicbea 
Ausgabe  mit  S.  360,  ändert  also  mit  einer  über  200  Druckseiten  hinflber' 
reichenden  und  vorausschauenden  Erwägung.    Und  mit  eben  solcher, 

*)  Herzlich  gern  der  Wahrheit  die  £hre  gebend  trage  ich  nach, 
da8z  ich  nun  auf  S.  14  allerdings  die  zuvor  übersehenen  Zeilen  bemerke: 
* Aenderungen  waren  in  diesen  breiteren  und  offenbar  jüngeren  Ab- 
schnitten des  ersten  Theils  sehr  leicht  zu  inachen."*  Aber  branche  ich  des- 
halb anch  nur  ^in  Wort  des  oben  gesagten  zurückzunehmen?  Oder  fin- 
det dies  nicht  vielmehr  gerade  hierin  wieder  eine  neue  Bestätigung? 
Eben  nur  angerührt  ist  die  Frage,  und  siehe  da!  was  springt  heraas? 
Breitere,  offenbar  jüngere  Abschuitte  des  ersten  Theils!  Was  heiazt 
das?  Wären  also  doch  in  unserem  Nibelungenliede  Abschnitte  verschie- 
denen Alters  und  verschiedenen  Stiles  zu  einem  ganzen  vereinigt?  Wie 
passt  das  zu  den  übrigen  Aufstellungen  dos  Herrn  Verfassers! 


Briele  Aber  leaere  Erscheinungen  auf  d.  G.  der  deutocben  Pbilol.  227 

S.  164  mit  S.  320  combinioreoder  Erwägung  wird  nach  Strophe  1201 
eine  Slrophe  gestrichen,  well  ja  in  der  Klage  (V.  494)  Etzels  Rücktritt 
vom  Christenthum  gemeldet  war  (S.  25).  Ja  das  äbstractum  B  wagt 
noch  gewaltsameres :  es  greift  in  die  Psychologie  des  Gedichtes  ein 
und  gewinnt  damit  selbst  ein  concretes,  persönliches,  leidenschaft- 
liches Leben.  Aus  ^Gehässigkeit  gegen  Grimhilde*  ^streiche  es  ^ab- 
sichtlich*  Strophen,  in  denen  Kriemhilt  entschuldigt  wird  (S.  26),  und 
stellt  ^ganz  unnöthigerweise  Brunhilde  als  geizig*  dar  und  macht  sie 
^lächerlich'  (S.  32).  Und  wenn  es  noch  mit  bloszen  Auslassungen  sich 
begnügt  hatte!  Es  wird  aber  sogar  selbst  productiv:  es  setztauch 
Strophen  zu.  Bald  will  es  nur  ^ einen  alten  fehler'  seiner  Vorlage 
corrigieren  (S.  34)  oder  nur  ausmalend  erweitern  (S.  35),  bald  benutzt 
es  *tfi  einer  Zeit^  tco  Milde  als  die  erste  Fürstentugend  galt^  die  Ge^ 
legenheit^  um  die  Freigebigkeit  der  Burgundischen  Helden  auf  Kosten 
der  Brunhilde  hervorzuheben'  (S.  32),  bald  soll  schon  zeitig  *ein  Hasi 
tiagens  gegen  Siegfried'  sich  ausdrücken  (S.33),  bald  ^der  erste  Grund 
%ur  Feindschaft  Hagens  gegen  Grimhilde  gelegt  u>erden'  (S.  34). 

Der  Leser  hat  nun  auch  in  der  That  schon  so  viel  Geschick  er- 
worben, dasz  er  mit  ziemlicher  Leichtigkeit  auf  die  Neckerei  des  Ver- 
fassers eingeht  und  zu  ihm  spricht:  ^Geehrtester  Herr  Verfasser,  Sie 
selbst  haben  mir  doch  auf  S.  VI  Ihres  Buches  ausdrücklich  gesagt, 
dasz  Sie  Ihre  Lehre  ausschlieszlich  ^auf  den  Verstand'  gegründet 
haben.  Der  Verstand  aber  zwingt  mich  in  dem  äbstractum  B^  welches 
seinen  Text  nach  so  weit  ausgreifenden  Combinationen  und  nach  so 
mannigfaltigen  Beweggründen  geändert  hat,  ein  recht  lebendiges  con- 
cretum,  einen  recht  rührigen  Redactor  zu  erkennen.  Und  weil  der 
'  Verstand  mich  dazu  eben  zwingt,  so  mnsz  das  nothwendig  auch  Ihre 
eigene  nnd  eigentliche  Ansicht  sein,  die  Sie  wahrscheinlich  nur  des- 
jbalb  so  versteckt  haben,  damit  ich  in  Aufspürung  derselben  meinen 
Verstand  uncl  Scharfsinn  üben  und  bilden  solle.  Es  thut  mir  nun  aber 
wirklich  leid,  von  Ihnen  zu  erfahren  dasz  der  Redactor,  der  sich  so 
viel  Hübe  gegeben  hat,  ein  so  garstiger,  den  Charakter  seiner  Helden 
verschlechternder  und  zugleich  ein  so  ^ungeschickter'  (S.  20.  24.  26), 
^armseliger'  (S.  31),  ^ganz  einfältiger'  (S.  33),  ^sinnloser'  (S.  27) 
Geselle  gewesen  ist,  der  statt  der  vermeinten  Verbesserung  ^ganz 
$ekleekte  Reimerei'  (S.  32)  zu  Tage  gefördert  hat.  Der  Nann  hätte 
doch  um  so  mehr  in  sich  gehen  und  sein  Leben,  denken  und  dichten 
bessern  sollen,  als  ihm  ja  fromme  und  gelehrte  Rathgeber  zur  Seite 
standen,  indem  ^Geistliche  bei  der  Gestaltung  des  Textes  von  B  be- 
iheiligt  toaren'  (S.  35),  welche  ihn  lehrten  die  Strophen  994.  995  und 
1000  einzuschalten,  ^da  des  Opfers,  der  Messen  und  der  Vergabung 
an  die  Kirche  zum  Heile  von  Siegfrieds  Seele  nicht  vergessen  werden 
dürfe!'  — 

Heben  Sie  nicht  den  Finger  drohend  auf,  verehrtester  Freund, 
schelten  Sie  mich  nicht,  dasz  ich  hier  selber  in  einen  vielleicht  zu 
heiteren  Ton  gefallen  bin.  Es  war  wirklich  nicht  meine  Absicht,  und 
ich  werde  sogleich  wieder  ernsthaft  fortfahren ,  ja  vielleicht  noch  viel 


228  Briefe  Aber  nenere  Erschoiniingen  aur  d.  G.  der  deolgolieii  PMIOI. 

ernster  werden  müssen  als  ich  wOnsche.  Der  Herr  Verfasser  wird  mir 
diese  Heiterkeit  gewis  verzeihen,  hat  er  sie  doch  selbst  hervorgerufenf 
indem  er  frohe  Jiigenderinnerungen  erweckte  durch  Entdeckung  eines 
Geniestreiches,  den  der  Schreiber  von  B  begangen  hat.  Nach  Strophe 
1191,  1  bietet  nemlich  der  Text  B  11  Zeilen,  an  deren  Stelle  in  C  Dor 
3  Zeilen  stehen,  und  Herr  Holtzmann  erklärt  (S.  35)  diese  Erscheiunng 
folgendermaszen :  *  Wahrscheinlich  schrieb  der  Schreiber  nach  1191, 1 
die  Etzelen  man  unbesonnen  ein  Relativ ;  um  nun  nicht  ausstreichen 
zu  müssen^  füllte  er  den  Relativsatz  mit  einem  Gedanken  von  seiner 
Erfindung  aus  ....  Drei  volle  Strophen  brauchte  er  um  wieder  im 
rechte  Geleise  zu  kommend 

Was  hätte  midi  lebendiger  gemahnen  können  an  das  immer  nene 
gaudium,  mit  welchem  Vorjahren  die  Schaler  Ihres  Gymnasinma  jede 
neue  Geschichte  von  den  Wunderliehkeiten  des  alten  Kectors  X.  be- 
grüszten?  Sie  haben  ja  den  alten  Herrn  selbst  gekannt,  der  ein  ao 
verdienter  Gelehrter  und  mit  Recht  von  seinen  Schalem  geliebter  Leh- 
rer war,  trotz  seinen  Seltsamheiten.  Verbargen  kann  und  mag  ich 
ihre  Wahrheit  natürlich  nicht,  aber  erzählt  wurde  die  Geschichte  und 
von  der  lustigen  Jugend  mit  groszem  Jubel  vernommen,  wie  dem  alten 
Herrn  auf  einen  eben  vollendeten,  kaum  eine  halbe  Seite  betragenden 
Bericht  ein  groszer  Klex  gerathen  sei  und  wie  er  sofort  einen  nenen 
Bogen  ergriffen  und  auf  vier  Folioseiten  bewiesen  habe,  das  Provin- 
zialschnlcollegium  könne  ihm  die  Einsendung  der  beklexten  halben  Seite 
durchaus  nicht  als  Respectsverletzung  aufmutzen,  denn  er  habe  un- 
möglich so  viel  Zeit  erübrigen  können  nm  die  halbe  Seite  noch  einmal 
zu  schreiben. 

9. 

Doch  genng  des  Scherzes !  —  Fragen  wir  aber  ernsthaft,  wns 
denn  nun  durch  die  ganze  Verhandlung  aber  die  Strophendifferens  für 
die  Bestimmung  der  Uecensionenfolge  wirklich  gewonnen  sei,  so  finden 
wir  bei  ruhiger,  verstündig  nüchterner  Erwägung,  dasz  der  Gewinn  so 
beträchtlich  eben  nicht  ausgefallen  ist.  Direot  ist  für  die  Entscheid 
düng  der  Streitfrage  so  gut  wie  gar  nichts  erreicht.  Denn  verfahren 
wir  exact,  d.  h.  beschränken  wir  uns  genau  und  lediglich  auf  die  in 
Frage  gestellten  Strophen  selbst,  und  sehen  wir  gänzlich  ab  von  den 
Veränderungen,  welche  der  Text  anderer  Strophen  in  Folge  der  Ans- 
Inssung  oder  Einschiebung  jener  fraglichen  Strophen  erlitten  hat,  so 
kommen  wir  schlechterdings  nicht  über  jene  blosze  doppelte  Mög- 
lichkcit  hinaus,  die  wir  schon  vor  dem  Beginn  der  ganzen  Bespre- 
chung als  bestehend  anerkennen  musten :  über  die  Möglichkeit  der  Er- 
weiterung einerseits  oder  der  Verkürzung  andererseits.  Indireot 
aber  ergibt  sich  bei  demselben  cxacten  Verfahren  in  Beziehung  auf 
die  Grundfrage  nichts  weiter  als  eine  geringere  Wahrscheinlich- 
keit für  die  von  dem  Herrn  Verfasser  verfochteue  Möglichkeit.  Ja 
durch  die  Behandlung  der  Sache,  welche  dem  Herrn  Verfasser  beliebt 
hat,  wird,  trotz  dem  zuversichtlichen  Tone  seiner  entgegengesetzten 


.Briefe  äiMr  aevere  Erscheinangcn  auf  d.  G.  der  dentschen  Philol.  229 

Behanphing',  jene  Wahrscheinlichkeit  sogar  noch  bedeutend  ver- 
mindert. 

Lassen  Sie  uns,  verehrtester  Freund,  die  Sache  einmal  mit  mathe- 
Mdatischer  Strenge,  wie  ein  liecbenexempel ,  behandeln,  und  die  Fol- 
gerung wird  sich  sofort  auch  mit  maüiematischer  Evidenz  Jieraus- 
slellen.  * 

Gegeben  sind  die  drei  Handschriften  ABC,  Diese  können,  wie 
Sie  als  Philolog  nicht  bestreiten,  durch  den  Kritiker  von  ihren  zafalli- 
gen  Fehlern  befreit  werden ,  dasz  wir  erhalten  drei  kritisch  gereinigte 
Texte  Ä  B^  C\  Nach  unseren  gesicherten  Ermittlungen  aber  sind  diese 
Texte  nicht  schlechthin  Texte,  sondern  drei  Recensionen  Ä  B'  C^,  deren 
jede  ihre  eigen thümliche  unterscheidende  Gestalt  erhalten  hat  durch 
einen  nach  Ueberlegung  und  mit  Absicht  verfahrenden  Redactor.  Und 
vergleichen  wir  diese  drei  Recensionen  unter  einander  lediglich  in  Be- 
ziehung auf  die  Zahl  ihrer  Strophen,  so  sehen  wir  dasz  in  runder  Zahl 
sieh  B'  von  Ä  durch  ein  mehr  von  60  Strophen  unterscheidet,  und  eben 
so  zwischen  B'  und  C  ein  Unterschied  von  40-r50  theils  zugesetzten, 
Uieils  weggelassenen  Strophen  stattfindet,  so  dasz  wir  den  Abstand 
von  Ä  zu  C'  in  runder  Summe  auf  100  Strophen  annehmen  können. 
Nun  steht  unbestrittenermaszen  B!  zwischen  Ä  und  C\  folglich  sind 
für  die  chronologische  Aufeinanderfolge  der  drei  Becensionen  drei 
Annahmen  möglich:  1)  ausgehend  von  i^,  einerseits  Verkürzung  zu 
X^  andererseits  Erweiterung  zu  d ;  2)  ausgehend  von  X^  Erweiterung 
durch  B'  zu  (/;  3)  ausgehend  von  C',  Verkürzung  durch  B!  zu  4'. 

Die  erste  von  B'  ausgehende  Annahme  ist  zwar  auch  sohon  auf- 
gestellt, aber  diesmal  nicht  in  Frage  gezogen  worden,  darf  mithin  hier 
unberücksichtigt  bleiben.  .Die  beiden  anderen  Annahmen  aber  gestat- 
ten eine  fortgesetzte  über  die  blosze  Möglichkeit  hinausgehende  Fol- 
gerung erst  nach  Erledigung  einer  auf  die  innere  Beschaffenheit  der 
drei  Recensionen  bezüglichen  Vorfrage,  und  die  Richtigkeit  der  Fol- 
gerung wird  von  der  Richtigkeit  der  Fragstellung  abhängen. 

Wie  musz  nun  diese  Vorfrage  lauten  und  worauf  allein  darf  sie 
sieh  beziehen?  Natürlich  darf  sie  sich  nur  allein  beziehen  auf  die- 
jeni{^e  Beschaffenheit  der  Texte,  welche  lediglich  von  dem  mehr  oder 
minder  der  fraglichen  Strophen  abhängt,  und  musz  von  allem  anderen 
gänzlich  absehen.  Sie  darf  also  nicht  Rücksicht  nehmen  auf  den  poä- 
tischen  Werth,  auf  die  grammatischen  und  metrischen  Mängel  oder 
Vorzüge,  auf  die  stilistische  Unbeholfenheit  oder  Gewandtheit  der  ver- 
schiedenen Recensionen  und  wie  alle  jene  einzelnen  inneren  Eigen- 
schaften weiter  heiszen:  sondern  sie  darf  nur  gerichtet  sein  auf  die 
^ine  Eigenschaft  des  Zusammenhanges  im  groszen  und  ganzen.  Mithin 
musz  sie  folgendermaszen  lauten :  Ist  jede  der  drei  Recensionen  in  sich 
so  abgeschlossen  und  so  weit  ausgebildet,  dasz  Sinn  und  Zusammen- 
hang keine  empfindliche  und  nur  durch  Herbeiziehnng  einer  anderen 
Recension  zu  behebende  Störung  und  Beeinträchtigung  des  Verständ- 
nisses zeigen?  Und  auf  diese  in  so  bestimmte  Grenzen  gefaszte  Frage 
gibt  es  nur  eine  bejahende  Antwort.    Und  die  bejahende  Antwort  ist 


230  Briefe  über  neacrc  Ersehe innngen  auf  d.  G.  der  dentfohen  PUlol. 

nichts  weiter  als  eine  offene  Anerkennung  des  wirklichen,  vor  jeder- 
manns Augen  liegenden  Thatbestandes.  Und  dieser  Tbatbestaod  ist  so 
klar  und  steht  so  fest,  dasz  Niemand  ihn  ausdrücklicher  anerkannt  und 
bezeugt  hat  als  gerade  Herr  Holtzmann  selbst.  Denn  eben  deshalb, 
weil  ia  Lachmanns  Ausgabe  der  Text  der  Kecension  Ä  so  rein  and  un- 
vermischt  vorliegt  und  weil  dieser  angeblich  schlechteste  Text  durch 
30  Jahre  von  jedermann  ohne  Anstosz  gebraucht,  gelesen,  erkliirt, 
übersetzt  worden  ist,  weil  niemand  für  nöthig  befunden  hat  ihn  aoi 
B!  und  d  zu  ergänzen :  eben  deshalb  hat  ja  der  Herr  Verfasser  sein 
Buch  geschrieben. 

Wenn  dem  aber  so  ist,  was  folgt  daraus  unmittelbar  für  die  100 
in  Frage  stehenden  Strophen?  Es  folgt  unmittelbar,  dasz  diese  den 
Sinn  und  Zusammenhang  des  ganzen  nicht  empfindiioh  beeinträchtigen* 
den  Strophen ,  so  vortrefflich  sie  auch  theilweise  an  sich  sein  mögen, 
doch  eben  für  das  ganze  unwesentlich,  unnöthig,  flberflOssig  sind. 

Was  ist  nun  leichter :  in  ein  Werk  zahlreiche  mittelmäszige  and 
selbst  gute,  aber  nicht  gerade  nothwendige  Zusätze  einzuschieben, 
oder  zahlreiche  mittelmäszige  und  selbst  gute  Stelleu  eines  Werke» 
als  unwesentlich  für  das  ganze  zu  erkennen  und  deshalb  heranssn- 
scheiden?  Die  Antwort  auf  diese  Doppelfrage  kann  doch  nicht  einen 
Augenblick  zweifelhaft  sein ,  am  wenigsten  für  einen  erfahrenen  Gyn* 
nasiallehrer,  der  sie  allmonatlich  bei  der  Correctur  der  deutschen  Anf- 
sätze  seineu  Primanern  mit  der  streichenden  reihen  Feder  ad  hominem 
demonstriert  I 

UeberflOssige  Sätze,  die  mehr  oder  minder  an  die  Phrase  rühren, 
kann  jeder  machen.  Sie  erkennen,  vermeiden,  beseitigen:  dazn  gehört 
schon  ein  geübtes  denken  und  ein  gereiftes  Urteil.  Gute  Kritiker  sind 
selbst  im  I9n  Jahrhunderte,  selbst  unter  uns,  die  wir  von  Kindesbeinen 
ab  zur  Reflexion  erzogen  werden,  eine  nicht  eben  allzuhäufige  Erschei- 
nung.   Und  nun  gar  im  dreizehnten  Jahrhunderte! 

Ja  hätte,  wie  der  Herr  Verfasser  behauptet,  der  zweite  Redaotor 
des  Nibelungenliedes  bei  der  Kürzung  von  ^  sich  auch  wirklich  an  8 
Stellen  des  ganzen  über  2000  Strophen  langen  Gedichtes  geirrt,  weleh 
ein  Lessing,  welch  ein  Lachmann  für  seine  Zeit  wäre  er  immer  noch 
gewesen ! 

Der  Herr  Verfasser  betont  S.  VI  mit  besonderem  Nachdrnek,  dtsi 
seine  neue  Ansicht  ^auf  den  Verstand^  gegründet  sei.  Mithin  hat  er 
eine  rein  verstandesmäszige  Erwägung  und  Prüfung  derselben  zu  for- 
dern. Urteilen  Sie  nun  selbst,  verehrtoster  Freund,  ob  die  eben  hier 
versuchte  kurze  Deduction  den  Namen  einer  schlichten,  folgerichtigen, 
streng  verstandesmüszigcn  verdiene !  Und  wenn  Sie  diesen  ihr  zner- 
kennen ,  zu  Gunsten  welcher  Wahrscheinlichkeit  spricht  dann  ihr  Er- 
gebnis? Zu  Gunsten  der  von  Herrn  Holtzmann  vertretenen  Wahrschein- 
lichkeit einer  Verkürzung  des  Textes,  oder  zu  Gunsten  der  von  Laoh- 
mann'^ vertretenen  Wahrscheinlichkeit  einer  Erweiterung? 

Ist  die  Wahrscheinlichkeit  der  Verkürzung  nicht  schon  an  sich 
die  geringere,  deshalb,  weil  .sie  die  schwerere  und  seltenere  Thätig- 


Briefe  Aber  neuere  Erscheinungen  auf  d.  G.  der  deutschen  Philol.  23t 

keit  eines  ausscheidenden,  eines  auf  Ermittlung  und  Beseitigung  des 
entbehrlichen  bedachten  Redactors  vorraussetzt?  Und  wird  durch  die 
fibrigen  Behauptungen  des  Herrn  Verfassers  die  von  ihm  verfochtene 
Wahrscheinlichkeit  irgendwie  erhöht  oder  nicht  im  Gegeutheile  noch 
mehr  vermindert? 

Wenn  ein  Redactor  ein  überlegender  Mann  ist,  der  nach  Vorbe- 
dacht nnd  mit  Absicht  handelt:  ist  es  dann  wahrscheinlich,  dasz  ihm 
alles  nur  misrathe?  Liegt  es  im  Charakter  des  13n  Jahrhunderts,  dass 
mehrere  Redactoren  nacheinander  dieselbe  Absicht  verfolgt  und  ver- 
mrklicht  hätten  überflüssiges  auszuscheiden?  Gibt  es  eine  für  des 
Verfassers  Ansicht  günstige  Erklärung  der  merkwürdigen  Thatsache, 
dasz  die  Auslassungen  gerade  im  Bereiche  des  IV  und  V  Li^es  mas- 
senhaft, dagegen  durch  das  ganze  übrige  Gedicht  nur  vereinzelt  vor- 
kommen? Müssen  nicht,  je  mehr  und  je  verschiedenartigere  Personen, 
Redactoren,  Abschreiber  u.  dgl.  für  dieselbe  Verkürzung  mitwirken, 
je  mannigfaltiger  die  Ursachen  der  Auslassung  sein  sollen,  als  Ab- 
sicht, Trägheit,  Nachlässigkeit,  Versehen:  müssen  dann  nicht  die  Mis- 
griffe  und  Fehler  so  unvermeidlich  anwachsen,  dasz  zuletzt  unmöglich 
etwas  anderes  übrig  bleiben  kann  als  ein  ganz  zerrütteter  und  ver- 
stümmelter Text?  Und  ist  es  dann  nicht  ein  wahres  Wunder  dasz  der 
Text  il'  dennoch  in  sich  zusammenhängend,  lesbar  und  ohne  empfind- 
liche, für  Jedermann  sofort  bemerkliche  Störungen  des  Sinnes  geblie- 
ben ist? 

Diese  Fragen  lieszen  sich  noch  vermehren.  Der  Herr  Verfasser 
hat  nicht  ^ine  derselben  aufgeworfen,  geschweige  dasz  er  sie  beant- 
wortet faätte.  Sie  brauchen  aber  eben  nur  aufgeworfen  zu  werden,  um 
dorch  ihre  blosze  Existenz  den  schlagenden  Beweis  zu  liefern,  dasz 
die  weit  geringere  Wahrscheinlichkeit  für  die  vom  Herrn  Verfasser 
verfochtene  Möglichkeit  spricht:  für  jene  Möglichkeit,  dasz  die  Re- 
cension  B"^  durch  Kürzung  aus  (f  und  weiter  A'  durch  Kürzung  aus  B^ 
hervorgegangen  sein  könne. 

10. 

Die  gröszere  Wahrscheinlichkeit  also  auf  Seiten  der  Lach- 
mannschen,  die  geringere  auf  Seiten  der  Holtzmannschen  Ansicht  — 
nar  bis  dahin  und  nicht  einen  Schritt  weiter  gelangen  wir,  we«n  wir 
uns  lediglich  an  die  StrophendifTerenz  halten.  Aber  wir  wollen  nicht 
Wahrscheinlichkeit,  wir  wollen  Gewisheit.  Ist  diese  zu  erreichen? 
und  wodurch? 

Da  haben  Sie,  verehrtester  Freund,  wieder  einen  Beleg  für  die 
Richtigkeit  des  Taktes ,  mit  dem  Sie  so  groszen  Nachdruck  auf  die 
Fragstellung  gelegt  haben.  In  der  That,  vorzugsweise  durch  die 
falsche  Pragstellung  ist  diese  ganze  Angelegenheit  in  solche  Verwir- 
rung gerathen. 

Darf  man  denn  überhaupt  die  Untersuchung  mit  der  Strophen- 
difTerenz beginnen?  und  darf  man  überhaupt  die  Frage  so  fassen:  zu 
welchem  Schlüsse  auf  das  relative  Alter  der  Recensionen  berechtigt 

iV.  Sokrh,  f.  PAfl.  I».  Paed.  BdLXXVIII.  Ä/ie4.  16 


232  Briere  Ober  nenere  Erscheinangon  auf  d.  G.  der  denfsclien  PUIot. 

die  blosse  StropliendifTerenz  ?  Freilich  ist  die  StrophendifTereiiK  wol 
dasjenige  unterscheidende  Merkmal  gerade  dieser  drei  KecenBionen, 
ifvelche  aofden  ersten  Blick  am  meisten  in  die  Augen  springt.  Aber  ist 
es  darum  auch  das  wesentlichste?  Können  denn  drei  Recenaionen 
nicht  eben  so  sehr,  ja  noch  mehr  von  einander  verschieden  sein  aach 
ohne  StrophendiiTerens? 

Lautet  nicht  die  Grundfrage  folgendermaszen :  welche*  der  drei 
Recensionen  Ä  Bl  Cf  ist  die  älteste,  welche  die  mittlere,  welche  die 
jflngste?  und  erwachst  daraus  nicht  sofort  die  folgende  Frage:  wie 
und  wodurch  bestimmt  man  Oberhaupt  das  relative  Aller  zweier  oder 
mehrerer  Texte  oder  Recensionen?  Und  gibt  es  darauf  eine  andere 
Antwort^als  die  einfach  auf  der  Hand  liegende,  die  jeder  Philolog  so- 
fort aussprechert  wird :  man  vergleicht  eben  die  Texte  unter  einander 
Zeile  für  Zeile  und  ermittelt  ihr  relatives  Alter  aus  den  Abweichnn- 
gen,  aus  den  Lesarten.  Die  Abweichungen  der  Texte,  die  Lesarten, 
sind  es  ganz  allein,  die  hier  zu  einem  sicheren  und  beweisbaren  Ur- 
teile fähren  können.  Sie  geben  die  Grundlage  für  den  ganzen  Bao, 
nnd  von  der  Besehaffenhoit  dieses  Fundamentes  hängt  die  Festigkeil 
des  ganzen  Gebäudes  ab.  Und  die  Strophen diffcrenzen  sind  ja  doch 
eigentlich  auch  nichts  anderes  als  eben  nur  Abweichungen,  die  wegen 
ihres  betrachtlicheren  änszcren  Umfanges  etwas  mehr  in  die  Angen 
fallen.  Sollen  sie  in  nähere  Erwägung  gezogen  werden,  so  darf  das 
nur  in  Verbindung  mit  den  übrigen  Abweichungen,  mit  den  Lesarten 
im  engeren  Sinne  geschehen.  Die  Frage  lautet  dann  aber  nicht:  was 
folgt  aus  der  Strophendifferenz  für  das  relative  Alter  der  Recensionen? 
sondern  sie  lautet  beinahe  umgekehrt:  wenn  durch  die  ErwSgnng  der 
gesamten  Varianten  das  relative  Alter  der  Recensionen  ermittelt  ist, 
was  folgt  aus  dieser  Ermittelung  für  die  Erklärung  der  Exisleni  and 
des  Charakters  der  Strophendifferenz? 

Dasz  die  Lesarten  in  Betracht  genommen  und  sehr  in  Betrteht 
genommen  werden  müssen,  das  konnte  freilich  auch  Herrn  Holtimann 
nicht  entgehen.  Schon  bei  Besprechung  der  StrophendifPerenz  sah  er 
sich  gar  oft  genöthigt,  zugleich  auch  den  abweichenden  Wortlaut  des 
Textes  zu  berücksichtigen.  Das  war  aber  eine  logische  Inconseqneni, 
die  ihn  wol  hatte  stutzig  machen  sollen.  Und  dieser  logische  Fehler 
blieb  ^enn  auch  nicht  ohne  gewichtige  Folgen.  Er  verleitete  ihn  xa 
den  meisten  jener  Aeuszerungen ,  die  im  vorhergehenden  Briefe  einer 
Prüfung  ihres  wahren  Gehaltes  unterzogen  wurden  und  in  Folge  dessen 
zu  Ergebnissen  geführt  haben ,  welche  theilweise  seinen  eigenen  Auf- 
stellungen nnd  B^auptnngcn  widerstreiten. 

Erst  nach  Abhandlung  des  Strophenunterschiedes  widmet  er  auch 
den  Lesarten  einige  Seiten,  und  zwar  bespricht  er  von  S.  9 — 17  eiae 
Anzahl  von  Stellen  in  denen  A  von  B  abweicht,  und  eben  so  S.  36 — 54 
verschiedene  Abweichungen  der  Texte  B  und  C,  endlich  S.  55 — 58  an- 
hangsweise einige  Varianten  der  Klage. 

Dabei  kehrt  denn  auch  auf  S.  17  nochmals  der  Vorwurf  wieder, 
dasz  man  ^nte  und  nirgends  sich  herabgelassen '  habe  zu  beweisen, 


ober  neoere  Erscheinangen  aaf  d.  G.  der  deutschen  Philol.  233 

dasz  der  Text  von  A  der  aKeste  sei  and  die  Grundlage  aller  weiteren 
wissenschaftlichen  Forschung  und  Thätigkeit  bilden  müsse. 

Hier  nun,  verehrtester  Freund,  sind  wir  auf  dem  Punkte  ange< 
langt,  wo  die  Grundlosigkeit  dieses  Vorwurfs  für  jedermann,  für  jeden 
wenigstens  der  auf  den  Namen  eines  Philologen  Anspruch  macht,  son- 
nenklar zu  Tage  tritt,  wo  es  dem  Philologen  sogar  fast  unbegreiflich 
erscheinen  mag,  wie  der  Herr  Verfasser  jenen  Tadel  nur  überhaupt 
aussprechen  konnte. 

Was  hat  denn  Lachmann  in  seiner  Ausgabe  und  in  seinen  ^An- 
merkungen' dargeboten?  In  der  Ausgabe  den  kritisch  berichtigten 
Text  von  A  und  am  Fnsze  der  Seite  die  wesentlichen  Abweichungen 
des  geraeinen  Textes  oder  der  Vulgataj  in  den  Anmerkungen  den  voll- 
ständigen kritischen  Apparat,  d.  h.  eine  musterhaft  geordnete  Samm- 
lung der  Varianten  aller  ihm  damals  (1836)  bekannten  und  überhaupt 
in  Betracht  kommenden  Handschriften,  nebst  eingestreuten  Erklörungen 
wirklich  schwieriger  Stellen,  nnd  bald  längeren,  bald  kürzeren  Er- 
örterungen kritischer  Fragen.  Für  wen  ist  eine  solche  Ausgabe  mit 
solehen  Anmerkungen  bestimmt?.  Für  den  Dilettanten,  für  den  Schüler, 
für  den  Anfänger,  der  eben  leidlich  mit  der  Formenlehre  und  mit  dem 
BOthdärftigsten  Wortvorrathe  bekannt  worden  ist?  oder  für  den  Ken- 
ner,'fflr  den  Fachgelehrten?  Jener  mag  sie  allerdings  auch  brauchen, 
doch  nur  so  gut  er  eben  kann.  Steht  ihm  ein  tüchtiger  Lehrer  hilf- 
reich zur  Seite,  so  wird  er  sie  bald  benutzen  und  allmählich  immer 
l^ser  verstehen  und  würdigen  lernen.  Nnsz  er  allein  sich  daran  ab- 
nfihen,  so  wird  ihm  gar  manches  des  vortrefflichsten  lange  Zeit  mit 
sieben  Siegeln  verschlossen  bleiben.  Dieser  aber,  der  Gelehrte,  der 
Facfakenner,  dem  soll  sie  genügen,  so  weit  es  die  Kritik  betrifft,  und 
wenn  er  seine  Sache  recht  versteht  so  wird  sie  ihm  genügen,  denn  sie 
gibt  ihm  alles  was  er  bedarf:  die  gesichteten  und  geordneten  That- 
Mehen,  aus  denen  er  sich  die  Folgerungen  selbst  ziehen  kann. 

Und  ist  es  denn  ein  Mangel,  wenn  eine  kritisch^  und  mit  dem  eV- 
fofderlichen  kritischen  Apparate  versehene  Ausgabe  sich  auf  das  Be- 
dfirfnie  des  KennerSii  des  Fachgelehrten  beschränkt?  Wäre  Ihnen  wol 
-eine  Ausgabe  des  Horaz  angenehm,  welche  Ihrem  gelehrt  philologi- 
neben  Bedürfnisse  und  dem  Ihrer  Primaner  zu  gleicher  Zeit  völlig  aus- 
miohende  Genüge  leisten  wollte?  Ja  halten  Sie  eine  solche  Ausgabe 
wirklich  für  wünschenswerth  oder  überhaupt  auch  nur  für  möglich? 

Der  philologische  Fachgelehrte  ist  also  sehr  wol  im  Stande  aus 
einer  solchen  und  mit  einem  solchen  kritischen  Apparate  versehenen 
Ansgabe  nicht  nur  den  Beweis  für  die  Richtigkeit  oder  Unrichtigkeit 
4ee  vom  Herausgeber  befolgten  Verfahrens  selbst  zu  entnehmen,  son- 
dern auch  alle  diejenigen  Folgerungen  selbst  zu  ziehen,  welche  sich 
aus  einem  solchen  Apparate  ableiten  lassen.  Er  wird  aber  gewöhn- 
lich weder  eine  besondere  Veranlassung  noch  auch  überhaupt  die 
M usze  haben ,  a  1 1  e  jene  Folgerungen  nach  allen  verschiedenen  Rich- 
tungen hin  zu  entwickeln.  Darum  laszt  er  sich^s  sehr  gern  gefallen 
nnd  nimmt  es  mit  anerkennendem  Danke  auf,  weni  ein  kundiger  Mann 

16' 


234  Briefe  über  neuere  Erscheinungen  auf  d.  G.  der  deaitelwii  PUldf. 

das  thut,  was  der  Herausgeber  schon  deshalb  nicht  thun  durfte,  weil 
es  den  Umfang  seiner  Ausgabe  ins  maszlose  angeschwellt,  weil  es 
deren  innere  wie  auszore  Oeconomie  vernichtet  haben  würde  —  wenn 
ein  kundiger  Mann  eine  bestimmte  Seite  jener  Folgerungen  zqm  Gegen- 
stände einer  Specialuntersuchung  macht  und  diese  Untersnchang.nil 
ihren  Ergebnissen  in  geordneter  Darstellung  vorlegt.  Das  hal  für  an« 
Sern  Fall  Freiherr  R.  von  Liliencron  gethan  in  einer  besonderen  Schrift 
^über  die  Nibelungenhandschrift  C  (Weimar  1856),  auf  die  ich  später 
mit  einigen  Worten  zurückzukommen  gedenke.  In  diesem  Boche  isl 
das  Verhältnis  der  Recension  C  zum  gemeinen  Texte  so  ausführlich 
und  klar  dargelegt,  dasz  ich  Sie,  verehrter  Freund,  dorthin  verweisen 
und  deshalb  hier  das  Detail  der  Besprechung,  welche  Herr  HoUimnnn 
den  Lesarten  gewidmet  hat,  um'  so  eher  übergehen  kann. 

Aber  freilich  nur  das  Detail  kann  und  darf  ich  hier  übergehen, 
denn  was  er  im  allgemeinen  über  die  Lesarten  sagt  muss  ich  sehon 
deshalb  in  Erwägung  ziehen,  weil  von  den  allgemeinen  Ansichten  nnd 
von  den  kritischen  Grundsätzen  die  Behandlung  und  Beurteilung  des 
Details  wesentlich  abhangt.  Und  wiederum  wird  es  zumeist  das  lo- 
gische verhalten  sein,  was  hier  in  den  Vordergrund  tritt;  das  philo- 
logische soll  an  einer  späteren  Stelle  in  Betracht  gezogen  und  dnbei 
vielleicht  eine  und  die  andere  Notiz  ans  dem  hier  übergangenen  Detail 
nacligeholt  werden. 

Das  Gesamtergebnis  dessen,  was  er  aus  Betrachtung  des  Strophen- 
unterschiedes und  der  Lesarien  von  A  gewonnen  hat,  fasst  der  Herr 
Verfasser  S.  16.  17  in  folgenden  Worten  zusammen:  ^Wenn  die  Sache 
sich  nun  so  verhält ,  dasz  die  Handschrift  A  sich  als  eine  junge^ 
flüchtig  geschriebene  y  von  Fehlern  aller  Art  wimmelnde  erweisi^  de- 
ren Text  absichtlich  aus  Trägheit  und  unabsichtlich  aus  Versekem 
verkürzt  ist^  und  nirgends  eine  höhere  Alter thümlichkeit  oder  gröiMere 
ürsprünglichkeit  verräth^  wie  kommt  es  dann^  das*  doch  dieser  Teafi 
von  A  die  einzige  Grundlage  für  die  Herstellung  des  Gedichts  in  sei" 
ner  ältesten  Gestalt  sich  das  gröszte  Ansehen  erwerben  kannief  Ei 
kommt  daher ^  dasz  der  Text  von  A  für  die  vorgefaszte  Theorie  Lack- 
manns  über  die  Entstehung  des  Nibelungenliedes  besonders  yOmsiig 
ist.  Wenn  erwiesen  werden  sollte  y  dasz  das  Gedicht  nichts  sei  mis 
eine  Sammlung  von  Volksliedern,  so  muste  derjenige  Texi^  der  am 
meisten  innere  Widersprüche ,  am  meisten  abgerissenes  und  holperi- 
ges hatte  y  der  willkommenste  sein.  Der  Ton  des  Volksliedes  mmsie 
alles  entschuldigen^  und  die  gröszere  Abrundung  und  Glätte  der  am- 
deren  Texte  bestätigte  die  Ansicht  ^  dasz  die  ursprünglichen  Volks- 
lieder erst  durch  eine  wiederholte  Ueberatbeitung  zu  einem  leid- 
lichen ganzen  verschmolzen  werden  konnten.  Dies  ist  der  einzige - 
Gründe  weshalb  der  Text  von  A  für  den  echtesten ^  ursprüngliehsim 
erklärt  wurde ,  eine  Behauptung ,  die  man  zu  beweisen  nie  und  nir- 
gends sich  herabgelassen  hat.' 

Ja  wol,  Verehrtester  Freund,  diese  Behauptung,  dasi  deshalb 


Berkhte  über  gelehrte  Anstalten,  Verordnungen,  statist.  Notizen.    235 

der  Text  Ä  von  Lachmann  zu  Grunde  gelegt  worden  sei  und  deshalb 
Grundlage  zu  sein  verdiene:  diese  Behauptung  ist  freilich  nie  und 
nirgends  bewiesen  worden,  und  der  Herr  Verfasser  kann  sich  des  ge- 
trosten, dasz  sie  auch  nie  und  nirgends  bewiesen  werden  wird,  da 
Qie  nie  und  nirgend  existiert  hat  als  lediglich  in  seiner  Phantasie. 

Wem  Lachmanns  Grundsätze  und  Verfahren  so  ganzlich  uner- 
kannt oder  unbekannt  geblieben  sind,  der  mag  dreist  versuchen  ob  er 
die  Lacher  auf  seine  Seite  ziehen  könne,  durch  einen  Spott  von  der 
Sorte,  wie  Hr  H.  ihn  auf  S.  37  zum  besten  gibt,  wenn  er  sagt:  ^Er 
[Laehmann]  scheint  also  anzunehmen^  dasz  die  Eribeiterer  des  Gedichts 
ihre  Zusätze  absichtlich^  wenn  auch  etwas  frei  auf  Kosten  der  Gram- 
matik, kenntlich  gemacht  hätten,  damit  es  so  einsichtsvollen,  tiefen 
Kritikern  wie  Lachmann  künftig  einmal  gelinge  ^  sie  wieder  auszu^ 
scheiden.'  Denn  gewis  den  Beifall  der  also  gewonnenen  Lacher  wird 
niemand  ihm  streitig  machen.  Und  niemand  auch  wird  ihm  die  Aner- 
kennnng  der  Kühnheit  versagen,  wenn  er  an  Lachmanns  Wort  (An- 
merkungen S.  116),  dasz  der  durch  Str.  854,3  entstandene  Anstosz 
^ allzu  viel  besprochen'  sei,  ohne  Besorgnis  vor  dem  omen  das  Ver- 
dammungsurteil knüpft  (S.  29) :  ^Für  seine  Theorie  scheint  es  aller- 
dings das  beste,  wenn  sie  gar  nicht  besprochen  wird,'    . 

(Fortsetzung  folgt.) 


Berichte  über  gelehrte  Anstalten,  Verordnungen,  statistische 
Notizen,  Anzeigen  von  Programmen. 


Eutin.]  Programm  der  vereinigten  Gelehrten-  und  Bür- 
gerschale Ostern  1857.  Das  LehrercoUegium  bestand  aus  dem 
Beotor  Dr  Pansch,  den  Ordinarien  Conr.  Hausdörffer  (für  IJU, 
Ck^aborator  Knorr  (für  III),  Kürschner  (für  IV,  Roligionslehrer), 
W  o  1  b  e  r g  (füi*  V) ,  Collaborator  R  o  1 1  o  c  k  (interimistisch  Ar  die  Ober- 
klasse I ,  Lehrer  dev  Mathematik  und  Naturwissenschaften) ;  ferner  Dr 
Jaep,  Lehrer  der  neueren  Sprachen,  sowie  noch  mehreren  anderen  Leh- 
rern, welche  im  übrigen  der  Bürgerschule  angehören.  Nach  längerer 
^Snklichkeit  starb  Pastor  Drost,  Lehrer  des  Hebräischen.  —  Die 
Schülerzahl  betrug  im  verflossQnen  Jahre  für  das  Gymnasium  und  die 
dazu  gehörige  Oberklasse  I  151,  nemlich  für  I  12,  II  12,  IJI  23,  IV 
46 ,  V  21 ,  Oberklasse  I  37 ,  eine ,  wenn  man  den  Umfang  des  Fürsten- 
thnms  bedenkt ,  gewis  sehr  erfreulich  zu  nennende  Frequenz ;  vermut- 
lich wird  aber  die  Schule  auch  von  nicht  wenigen  aus  dem  übrigen  Hol- 
stein \  einzeln  wol  noch  aus  weiterer  f^eme ,  besucht.  —  In  Betreff  der 
erwähnten  Oberklasse  I  sieht  man  aus  dem  Lehrbericht,  dasz  dies  ejLne 
Klasse  ist,  in  welcher  die  Anfangsgründe  der  beiden  neueren  Sprachen 
(mit  je  3  Stunden),  femer  Physik  1  Stunde  und  Mathematik  4  Stunden 
(neben  rechnen  3  Stunden)  vorkommen.  Die  darauf  folgende  Quinta 
bringt  dann  das  Lateinische,  während  von  den  übrigen  genannten  Ge- 
genständen (vom  rechnen  abgesehen)  nur  das  Französische,  und  zwar 
für  eine  Parallelklasse  III  bleibt.    Für  die  Humanisten  tritt  dieses  wie- 


236  Berichte  über  gelehrte  AnstaUen,  Yerordaungen,  statial.  Nottsea. 

der  in  IV,  das  Englische  in  II  ein.  Neben  IV  bis  II  bestehen  noch  eine  U 
und  I  Parallelklasse.   Das  zeichnen  hört  mit  Tertia,  das  singen  schon  mit 
Quarta  auf;  vom  turnen  verlautet  nichts.  —  Die  'öffentliche'  (nicht  blos 
^$chul-)  Bibliothek  weist   für  ein   einziges  Jahr  einen  so  beträehtlickeB 
(übrigens  mit  musterhafter  Sorgfalt  gewählten)  Zuwachs  auf,  daas  man 
gratulieren  kann,  da  es  nicht  viele  (Gymnasien  in  kleineren  Städten  ge* 
bcn   dürfte ,  welche  in  dieser  l^linsicht  so  günstig  situiert  wären.     Von 
223  Bänden  kommen  auf  den   '  Landesantheil '  150,  auf  den  'Schnlan- 
thciP  73.     Auszerdem  wurde  angefangen  für  einen  kleinen   Theil  der 
Einnahme  der  Scbulbibliothek  solche  Bücher  anzuschaffen,  die  sieh  sor 
I*rivatlectüre  für   die  Schüler  der  unteren  Klassen  eignen.    Mit  Bedifc 
wird  bemerkt,  wie   schwierig  es  in  den  meisten  Fällen  für  die  Eltern 
sei  in  dieser  Hinsicht  das  richtige  und  passende  zu  wählen.     Vielleicht 
würde  es  sich  übrigens  der  Mühe  lohnen,  diese  ganze  Frage  einmal  von 
einem  allgemeineren  Standpunkt  zu  beleuchten,  festzustellen  wie  weit 
das  Bedürfnis   einer  solchen  Privatlectüre  für  paedagogiseh  begründet 
zu  achten  und  was  und  wie  viel  von  ihrem  Werthe  zu  halten  sei,  dann 
aber   auch,  das  Bedürfnis   zugegeben,    eine   eingehende  Mosterang   des 
vorhandenen  vorzunehmen,  mit  der  ganz  besonderen  Absicht  der  groszen 
Masse   von  Fabrikarbeiten  gegenüber   das  wahrhaft    klassische    immer 
wieder  ins  Licht  "zu  stellen  und  zur  Anerkennung  zu  bringen.  —  Den 
Schulnachrichteu  voran  geht  1)  eine  Abhandlung  über  Hebmert  de  Fe§ 
und  Reineke  Vos  vom  Collaborator  Knorr  (68  S.),    Nachdem  der  Verf. 
in   der  Einleitung  kurz   die  Entdeckungsgeschichte  jener  älteren,  dem 
niederdeutschen  Keinoko  vorangegangenen  (flämischen)  Dichtungen  be- 
richtet hat ,  beschäftigt  er  sich  im  I.  Theile  seiner  Abhandlnng  mi^  der 
Frage  über  Abfassungszeit   und  Verfasser  sämtlicher   drei  vor- 
liegenden Bearbeitungen  und  kommt  dabei  nach  sorgfältiger  Abwägung 
der  Ansichten  der  neueren  Forscher  (wobei  in  den  Differenzen  zwischen 
dem    gelehrten   Genter  Willems    und   unserem  Grimm   die  Gründe  und 
Folgerungen    des  letzteren   durchgängig  Recht  behalten)  in  Betreff  der 
beiden  Hämischen  zu  folgendem  Resultat:   ^Von  dem  Verfasser  des  älte- 
ren Reinaert  kennen   wir  nur  seinen  Vornamen  Wilhelm;   von  ihm  ist 
der  Prolog  V.  l — 10  geschrieben,   ob  auch  11 — 40  ist  mindestens  zwei- 
felhaft.   Er  dichtete   im  I3n  Jahrhundert  vor  1270  nach  französischen 
Quellen,    die   uns  aber  verloren  gegangen  sind.     Sein  Werk  ward  im 
14n  Jahrhundert  überarbeitet  und  fortgesetzt  von   einem  ungenannten 
Verfasser,  fortgesetzt  vorzüglich  nach  französischen  Quellen.    Beide  fla- 
mische Dichter  waren  Geistliche.'     Was   sodann    den   niederdentachen 
Reineke  Vos  betrifft,   so   sieht  sich  auch  unser  Verf.  in  der  bekannten 
Frage  über  Nie.  Baumann  durch   das  dazwischenkommen  des  räthsel- 
haften  Heinr.  von  Alkmar  genöthigt  es  bei  dem  ^non  liqnet'  bewenden 
zu  lassen.    Im  II.  Theil  seiner  Abhandlung  gibt   derselbe  sodann  eine 
vergleichende  Charakteristik  und  Beurteilung  jener  Thier- 
epen,  wie  sie  in  solcher  Ausführlichkeit  noch  nicht  versucht  sein  dürfte 
und  welcher  wir  daher  mit  besonderem  Interesse  gefolgt  sind.    Der  11* 
tere,  dem   ersten  Buch  des  Reineke  entsprechende,  flämische  Reinaert, 
von  dem  der  Verf.  eine  ooncise  Darstellung  des  epischen  Verlaufs  gibt, 
ist  nach  ihm  ^sicher  das  vorzüglichste,  was  uns  an  epischen  Thierge- 
dichten  überliefert  ist.    Es    ist   eine   fest   in   sich   zusammenhängende) 
lebensvolle  Erzählung,  von   einer  launig  behaglichen  Anschauung  des 
eigenthümlichen  lebens   und  troibens  der  Thiere  durchdrungen,  lediglich 
von  der  Lust  an  dem  Gegenstände  selbst  getragen;   daher  nirgends  die 
Absicht  zu  lehren,  nirgends  Einmischung  der  Satire  auf  menschliche  Zu- 
stände.   Die  Erzähhmg  schreitet  zwar  mit  epischer  Breite,  aber  immer 
mit  steigendem  Interesse  fort,   öfter  durch  köstlichen,  wenn  auch  mit- 
unter derben  AVitz  den  Leser  erheiternd.'    Und  zur  Rechtfertigung  des 


Berichte  über  gelehrle  AnstaUeo,  YerordauDgen,  stallst.  Noüsen«  237 

S.chlasses  der  Handlung  als  solchen:   'man  wende  nicht  ein,   der  Vor- 
schlag des  Leoparden ,  mit  Heeresmacht   gegen  Beinaert  auszuziehen, 
verlange  eine  Fortsetzung,  in  welcher  von  der  Ausfülirung  desselben  die 
Rede  sein  müste;   denn  da  vorher  erzählt  ist,  dasz  Reineke  seine  Burg 
verlassen  und  einen  Zufluchtsort  in  weit  entlegener  Wildnis  aufgesucht 
habe,  so  weisz  der  Leser  dasz  der  etwaige  Versuch,  einen  solchen  Vor- 
schlag auszuführen,  erfolglos  bleiben  musz,  unds^erwartet  nichts  weiteres 
mehr.'    Nun  wird  der  (flämische)  Umaibeiter  vorgenommen;  seine  Aen- 
derungen'  als  durchgängige  Verschlechterung ,  häuflg  Misverständnis  und 
Verwirrung,  seine  Fortsetzung  aber,  ungeschickt  genug  angeknüpft,  als 
Kach'ahmung  mit  vorwiegend  satirischer  Tendenz  aufgewiesen.     Endlich 
der  niederdeutsche  Reineke  'zum  ^o^zern  Theil  Uebersetzung,  zum  klei- 
nem bald  mehr,   bald   minder   selbständige  Bearbeitung  des  in   dieser 
"Weise  erwachsenen  flämischen  Reinaert',  welches  Vorbild  er,  nach  dem 
Verf.,   in  vielen  Punkten  übertrifft,  ihm   in   einigen  freilich   nachsteht, 
fast  überall  aber   sich   durch  Geschicklichkeit  und  Anschaulichkeit  der 
Darstellung  auszeichnet.  —  Resultate,  die,  wenn  sie  gleich  nicht  durch- 
aus neu  sind ,   hier  wenigstens  so  sorgfältig  und  lichtvoll  aus  einer  bis 
ins   einzelnste   durchgeführten   Prüfung    entwickelt    werden,    dasz   alle 
Freunde   des  Gegenstandes   dem   Verf.  für   seine   fleiszige  Arbeit  Dank 
wissen   dürften.    Aber  auch  der  Schule   sollten   diese  Studien  zu  gute 
kommen.     Denn  wenn  irgend  etwas  iieben  den  Alten  auf  unseren  Gym- 
nasien einen  Platz  verdient,  so  sind  es  doch  wol  die  Denkmäler  unserer 
Muttersprache,  und  da  möchten  wir  Norddeutschen  diesem  'bedeutendsten 
Denkmal  der  älteren  niederdeutschen  Si)rache'  ein  besonderes  Interesse 
schuldig  sein.    Ja  selbst  wer  die  Dichtung  nur  in  einer  der  neueren  Be- 
arbeitungen liebgewonnen,  wird  über  ihre  so  auffälligen  Ungleichheiten 
erst  aus  Untersuchungen  wie  den  vorliegenden  Licht  erhalten.  —  2)  Worte 
des  Reciors  bei  der  Entlasaung  der  AbUwienlen  Ostern  1S54.    Eine  Rede 
gehört  der  Situation  an ;  sie  genieszt,  gesprochen,  des  groszen  Vortheils 
verstanden  zu  werden  nicht  nur  mit  dem  was  sie  sagt,   sondern  auch 
mit  dem  was  sie  meint;   sie  will   auf  den  Willen  wirken,   und  das 
geschieht  weit  mehr  durch  die  Persönlichkeit  als  durch  Dialektik.     Ge- 
druckt bewahrt  sie    den    persönlichen    Anthoil    für   fernerstehende    nur 
noeh  in   einem  gewissen   Ton  des  ganzen.     Und  der   väterliche  Ernst, 
der  sich  in   den  hier  mitgethoilten  Worten  ausspricht,  mag  wol   dafür 
bürgen,    dasz  sie  nicht  wirkungslos  geblieben.     Ob  damit  zugleich  das 
Becht  gegeben  ist,   das  gesagte   objectiv  zu  prüfen?     Wenn  dem  so 
wäre  (und  nur  unter  dieser  Voraussetzung),  dann  möchten  wir  freilich 
gegen  den  geehrten  Verf.   ein   Bedenken  nicht    verschweigen,   nemlich 
dasz  die  Art,   wie  hier  vom  idealen  geredet  und  dasselbe  ohne  weiteres 
mit  allem   'höheren'   gleichgesetzt  wird,   uns   zu  vag   und  unbestimmt 
vorkommt,   so  wie  ferner  dasz  wir  der  Aufstellung,  wonach  das  ideale 
zu  erstreben,   die  Ideale    aber    ein  Irweg  —    keineswegs    beipflichten 
können.     Aber  wie  gesagt,    eine  Rede,   zumal  in  diesen  Grenzen,  ist 
keine  Abhandlung,   sondern  ein  Ausdruck    der  Gesinnung,   und  da   er- 
scheint solches  rechten  weniger  am  Orte.  W.  G, 

Herspeld]  Am  31.  October  v.  J.  hat  das  Gymnasium  zu  Hersfeld 
einen  Tag  der  innigsten  und  tiefsten  Freude  gefeiert.  Es  war  der  Tag, 
an  welchem  vor  25  Jahren  der  Director  des  Gymnasiums,  Dr  Wilhelm 
Münscher,  die  Leitung  dieser  Anstalt  übernommen  hatte.  —  Wenn  nun 
die  unendlich  reichen  Beweise  der  Liebe  und  Hochachtimg,  welche  dit^- 
sem  Manne  von  seinen  Collegen ,  von  zahllosen  Freunden,  von  alten 
und  jungen  Schülern,  ja  selbst  von  vielen  Männern,  welche  nur  in  loser 
Verbindung  mit  ihm  stehen,  bei  dieser  Gelegenheit  dargebracht  wurden, 
diesem  Feste  eine  solche  Bedeutung  gegeben  haben ,  dasz  es  weit  über 
die  Grenzen  einer  bloszen  Schulfeier  hinausragte,  wenn  die  allgemeine 


238  Berichte  über  gelehrte  Anstalten,  Verordnungen,  staust.  Noüsen. 

Theilnahme,  welche  es  gefanden  hat,  ein  lantredendes  Zeugnis  für  die 
Bedeutsamkeit   des  Jubilars  selbst  ist,  so  wird  die  nachstehende  Schil> 
derung  der  Festlichkeiten   keiner   weiteren  Rechtfertigung   für    ihr  er- 
scheinen vor  der  Oeffentlichkeit  bedürfen.  —  Es  wird  nicht  nöthig  sein 
das  freundliche  Bild   des    für  Wahrheit  so  begeisterten  Mannes  in  ge- 
naueren Zügen  vorzuführen ;  die  Thatsachcn  des  Festes  werden  Charak- 
ter und  Wesen  desselben  besser   darlegen  als  blosze  Worte;  wol  aber 
mögen  die  Uuszereu  UmstKnde  desselben  eine  kurze  Erwähnung  finden. 
—  Doctor  Wilhelm   Philipp  Münscher  wurde  1795  den   25.  Mars 
zu  Marburg  geboren.    Sein  Vater  war  der  Consistorialralh  und  Profeasor 
der  Theologie,  Dr  Wilhelm  Münscher  zu  Marburg,  aus  Hersfeld  gebür- 
tig (Sohn  des  Metropolitans  Philipp  George  Münscher  zu  Hersfeld).  Seine 
Mutter  war  eine  Tochter  des  Raths  und  Stiftsamtmannes  Hartert  zu  Uers- 
fcld,  mit  Taufnamen :  Christine  Jacobine.    Der  Jubilar,  der  älteste  Sohn, 
wurde  den  2.  October  180(5  in  die  Secunda  des  Paedagoginms  zu  Mar- 
burg aufgenommen  und  zu  Ostern  1807,  nach  kaum  zurückgelegtem  12. 
Lebensjahre,  in  Prima  versetzt.   Auf  Pfingsten  1809  wurde  er  confirmiert 
und  im  Herbst  desselben  Jahres    gieng  er  vom  Paedagogium  zur  Uni- 
versität über.   Am  '25.  October  1809  liesz  er  sich  als  studiosus  der  Theo- 
logie immatriculieren.     Seine  Studien  beschränkten  sich  aber  nicht  auf 
Theologie,  sondern  erstreckten  sich  auch  auf  Philologie.   Im  Herbst  1813 
bezog  er   die  Universität  Göttingen,    wo   er  aboc  nur  ein   halbes  Jahr 
Vorlesungen  aus  dem  Bereiche  der  Theologie  und  Philologie  hörte.  Unter 
seinen  dortigen  Lehrern  dürfen  wir  die  Namen  Plank,  Dissen,  Stäadlin 
und  Blumenbach   nicht  unerwähnt  lassen.     Als    im  Frühjahr   1814  sein 
Vater  schwer  erkrankte,   kehrte   er  zu  dessen  Pflege  nach  Marburg  zu- 
rück.  Am  28.  Juli  1814  starb  sein  Vater,  berülimt  in  der  litterarischen 
Welt,  besonders  durch  sein  Handbuch  der  christlichen  Dogmengeschichte 
xind  erkannt  von  den  Machthabern  seiner  Zeit*),   Im  Winter  von  1814  auf 
1815   gab   unser  Jubilar  aushilfsweise  Unterricht   am  Paedagogium   sa 
Marburg  und  bestand   am  8.  März   1815  das   theologische  Examen  vor 
der  theologischen  Facultät   zu  Marburg,   bald   nachher  auch  das  soge- 
nannte  tentamen    vor  dem  Superintendenten    zu   Cassel.     Im  Frühjahr 
1815  wurde  er  Erzieher  der  Söhne  des  Bankiers  Gruneliua   zu  Frank- 
furt a.  M.  und  blieb   in   dieser  Stellung   bis   zum  Frühling   1817.    Kun 
wurde   er  4r  Lehrer  am  Gymnasium   zu  Hersfeld,   trat  diese  Stelle  am 
1.  Mai  desselben  Jahres  an  und  bekleidete  sie  bis  zum  September  1826. 
Um  diese  Zeit  erhielt  er  die  2e  Lehrerstclle  am  Gymnasium  zu  Hanau 
und  verlebte  daselbst  6  Jahre,  bis  seine  mittelst  allerhöchsten  Beschlusses 
im  Gesamtstaatsministerium  vom   26.  October  1832   erfolgte  Versetzung 
in   seine  jetzige  Stellung  als  Director  des  hiesigen  Gymnasiums  ihn  iu 
das  alte  Vaterland  zurückführte.    Durch  mehrere  herausgegebene  Schrif- 
ten  in   der  Gelehrtenwelt  von  vortheilhaftem  Rufe,    erhielt  er   bei  dem 
Jubiläum    der  Universität   Marburg    im   Jahr    1827    die    philosophiBcha 
Doctorwürde  als  Ehrenbezeigung.     In  der  Weise   mit  Hochachtung  an- 
erkannt   von  seinen  zahlreichen  Freunden  und  Bekannten  und  vorehrt 
von  seinen  Schülern   verschönerte  er  sein  häusliches  Leben  durch    die 
im  Jahre  1820  einqfcpangene  Ehe  mit  der  Tochter  des  Amtmanns  Scham- 
bach zu  Vacha,  Philippine ,  wovon  ihn  drei  erwachsene  Kinder  erfreuen. 
—    Schon   einige    Monate    vor    dem    feierlichen    Tage    hatte  sich    am 
mehreren  Collegen  des  Gymnasiums   tmd  einigen  Bürgern  der  Stadt  ein 
Comit^  gebildet   zu  dem  Zwecke,   die  alten  Freunde  und  Schüler  Mün- 

*)  Unter  dem  Ministerium  .Johann  v.  Müller  war  er  zum  Ritter  des 
(Ordens  von  der  westphälischen  Krone,  zu  einer  Charge  erhoben  worden, 
vor  der  die  königl.  Militärwachen  zu  den  höheren  Ehrenbezei^fungen 
verpflichtet  waren.    ■ 


Berichte  über  gelehrte  Anstalteu,  Verordnangen,  Statist.  Motizen.  239 

«chers  auf  den  so  wichtigen  Tag  aufmerksam  zu  mächen  und  eine  wür- 
dige Form  des  Festes  selbst  einzuleiten  und  anzuordnen.  Die  Anregung, 
welche  von  diesem  Comitd  ausgieug,  hat  eine  noch  über  das  Erwarten 
hinausgehende  glänzende  Theihiahme  an  dem  Jubeltage  hervorgerufen. 
Selbst  auswärts  folgte  man  dem  Beispiele,  und  vor  allem  in  Cassel  trat 
ein  Centralcomit^  zusammen,  welches  eine  i*eiche  Wirksamkeit  entfaltete 
und  ganz  besonders  viel  zur  Verherlichung  des  Tages  beitrug.  —  Die 
Feier  selbst  begann  am  Vorabende  des  Jubeltags.  Die  vielen  fremden, 
welche  sich  im  Laufe  des  Tages  eingestellt  hatten,  verbreiteten  in  ver- 
schiedenen Kreisen  eine  freudige  feierliche  Stimmung ;  nicht  nur  im  Hause 
des  Jubilars  selbst,  wo  dessen  Bruder,  Gymnasialdirector  in  Marburg, 
dessen  Sohn,  Gymnasialpraktikant  in  Hanau,  sowie  mehrere  Freunde 
angelangt  waren,  nicht  nur  im  Verelnslocale,  wo  sich  die  vielen  frem- 
den begrüszten,  sondern  in  der  ganzen  Stadt  gab  sich  eine  freudige  Er- 
regung, das  Vorgefühl  eines  Feiertages,  kund,  und  diemuntere  Jugend 
konnte  kaum  den  Augenblick  erwarten,  wo  der  das  Fest  einleitende 
Fackelzug  sich  in  Bewegung  setzte.  Nachdem  schon  gegen  8  Uhr  die 
hiesige  Liedertafel  den  Jubilar  mit  dem  Vortrag  einiger  Gesänge  be- 
giüszt  hatte,  zogen  sämtliche  Gymnasiasten  mit  freudig  schallcndender 
Musik  und  hellleuchtenden  Fackeln  in  geordnetem  Zuge,  welcher  von 
einigen  älteren  mit  Schärpen  und  Schlägern  geschmückten  Schülern  ge- 
führt wurde,  aus  der  Stiftskirche  um  den  Markt  herum  durch  die  Haupt- 
straszen  der  Stadt  vor  das  Haus  des  Jubilars.  Als  der  Zug  Halt  ge- 
macht hatte,  spielte  die  Musik  mehrere  Stücke.  Hierauf  sprach  der 
älteiste  Primaner  in  einigen  herzlichen  Worten  die  Gefühle  der  Liebe 
und  Ehrerbietung  im  Namen  der  Schüler  gegen  den  Jubilar  aus  und 
schlosz  mit  einem  dreifachen  Lebehoch  auf  denselben,  in  welches  die 
dichtgedrängte  zahllose  Volksmenge  freudig  mit  einstimmte.  Der  Di- 
rector  dankte  tiefgerührt,  indem  er  die  ilim  erwiesene  Ehre  für  eben  so 
grosz  als  unerwartet  erklärte,  einen  Beweis  der  wahren  Liebe  und  Ach- 
tung seiner  Schüler  darin  erkannte  und  auf  das  Wohl  der  Anstalt  ein 
Hoch  ausbrachte.  Nachdem  noch  mehrere  Musikstücke  vorgetragen 
waren,  zog  die  ganze  freudige  Menge  auf  den  Markt  nnd  verbrannte 
hier  unter  dem  Gesänge  des  Gaudeamus  igitur  die  Fackeln.  Mehrere 
der  oberen  Schüler  folgten  darauf  noch  der  Einladung  des  Directors  in 
seine  Wohnung.  —  Am  31.  October,  dem  eigentlichen  Festtage,  fand  die 
Hauptfeierlichkeit  in  dem  Saale  des  Gymnasiums  statt.  Hier  war  alles 
würdig  vorbereitet,  der  Saal  selbst  freundlich  ausgeschmückt,  ein  Ehren- 
platz für  den  Jubilar,  um  welchen  sich  seine  Collegen  schaarten,  und 
besondere  Plätze  für  die  zahlreichen  Deputierten  und  sonstigen  fremden, 
sowie  für  die  Familienglieder  des  Directors  und  der  Collegen  bestimmt. 
Gegen  11  Uhr  hatte  sich  der  Raum,  der  leider  nicht  so  viele  faszte  als 
gern  an  dem  Feste  theilgenommen  hätten,  gefüllt.  Es  war  ein  Augen- 
blick der  tiefsten,  innigsten  Rührung,  als  der  greise  Jubilar  von  einigen 
der  älteren  Collegen  abgeholt  in  den  Saal  eintrat.  Bei  dem  Anblick  der 
zahlreichen  ganz  unerwarteten  Versammlung,  namentlich  der  vielen  alten 
Freunde  und  Schüler,  die  zu  seiner  Ehre  gekommen  waren,  hatte  er  nur 
Thränen,  und  liesz  sich  bescheiden  und  halbgcsenkten  Hauptes  in  dem 
ihm  angewiesenen  Ehrensessel  nieder.  Und  nun  verflossen  einige  Stun- 
den, die  allen  Theilnehraern  des  Festes  unvergeszlich  sein  müssen,  ei- 
nige Stunden,  in  denen  si^h  Freude  und  Rührung  bei  allen  anwesenden 
Yon  Augenblick  zu  Augenblick  bis  zum  höchsten  Grade  steigerte.  Da 
war  wol  keiner,  der  nicht  mit  dem  Jubilar  viel  Thränen  vergossen,  da 
waren  wol  wenige,  die  schon  erhebendere  zugleich  und  ergreifendere 
Momente  erlebt  hatten,  da  ward  manch  Zeugnis  abgelegt,  wie  man 
einen  Mapn  ehrt,  der  sich  zum  Hauptspruch  gewählt  hat  die  Worte  des 
Buchs:  ^Seid  beflissen  der  Wahrheit   und  Liebe.'     Und   wir  dürfen  es 


240  Berichte  über  gelehrte  Austalten,  Verordnungen ,  statisL  Nottien. 

geradezu  behaupten ,  manche  Männer  haben  wol  an  bedeutenderen  Ab- 
schnitten ihrer  Wirksamkeit  vielleicht  glänzendere  Zeichen  der  Aner- 
kennung erhalten,  doch  gewis  nur  wenige  haben  sich  eine  solche  Fülle 
der  Liebe  von  so  vielen  Seiten  her  entgegengebracht  gesehen.  —  Als 
der  IVBstgosang,  welcher  beim  Eintritt  des  Jubilars  in  den  Saal  began- 
nen hatte,  verhallt  war,  bestieg  zunächst  der  älteste  der  Collegen,  Dr 
Deich  mann,  die  Rednerbühne  und  hielt  die  eigentliche  Festrede.  Es 
muste  dieser  Mann  um  so  tiefer  von  der  Bedeutung  des  Festes  ergriffen 
sein,  als  es  auch  ein  Fest  für  ihn  war,  insofern  er  ebenfalls  vor  25  Jah- 
ren zugleich  mit  dem  Director  seine  Wirksamkeit  an  der  Anstalt  begon- 
nen hatte.  Und  so  war  denn  seine  Rede  der  Ausflusz  einer  wahren  and 
tiefen  Begeisterung,  die  in  edler,  würdiger  Sprache  die  Verdienste  des 
Jubilars  hei'vorhob.  Er  begrüszte  zunächst  denselben  und  wies  anf  die 
Bedeutung  des  Festes  hin.  Dann  verweilte  er  bei  dem  Charakter  des 
Jubilars  und  hielt  das  Bild  desselben  als  eines  edlen  Menschen,  eines 
wahren,  die  freie  Forschung  im  Worte  verfechtenden  und  gegen  ändert- 
gläubige  duldsamen  Christen,  als  eines  in  die  Tiefe  der  Wissenschaft 
eindringenden  Gelehrten,  als  eines  von  seinem  Berufe  ganz  erfüllten- 
Lehrers,  als  eines  treuen  Collegen  und  Freundes  vor.  Hierauf  entwickelte 
er  die  Verdienste,  welche  der  Jubilai'  während  seiner  langen  Wirksam- 
keit um  die  Gymnasien  überhaupt  und  das  Hersfclder  insbesondere  ge- 
habt  habe,  und  zeigte,  wie  in  der  ihm  nun  von  so  vielen  Seiten  zu  Theil 
werdenden  Liebe  und  Achtung  die  schönsten  Früchte  seines  edlen  den- 
kens  und  handelns  lägen.  Er  schlosz  mit  dem  Wunsche,  dasz  die  so 
reich  gesegnete  Wirksamkeit  des  Jubilars  noch  lange  dauern  mochte, 
und  sprach  zugleich  für  sich  als  besondern  Wunsch  aus ,  mit  einem 
solchen  Manne  auch  die  ganze  künftige  Zeit  seines  Lebens  zusammen 
wirken  zu  können.  Nach  beendigter  Rede  trat  er  zum  Jubilar  hin  und 
bat  ihn  als  kleines  Andenken  von  den  Collegen  und  deren  Frauen  und 
Töchtern  den  oben  erwähnten  Sessel  anzunehmen,  und  überreichte  ihm^ 
eine  Gratulationsode.  —  Münscher  war  so  tief  ergriffen,  dasz  die  Worte 
des  Dankes,  in  denen  er  bescheiden  jene  Verdienste  von  sich  abznlehnen 
suchte,  in  Rührung  fast  erstickt  wurden,  einer  Rührung,  die  sich  na- 
menlos steigerte ,  als  drei  Primaner  vortraten  und  im  Namen  der  Gym- 
nasiasten einen  silbernen  Pokal  überreichten ,  wobei  der  älteste  Schüler 
die  Gefühle  der  Ehrerbietung  und  Liebe  gegen  den  Jubilar  aussprach.  — 
Der  Pokal  ist  von  einem  anerkannten  Hanauer  Fabrikanten  sehr  ge- 
schmackvoll gearbeitet  und  trägt  auf  der  einen  Seite  die  Inschrift: 
'Li  Liebe,  Ehrerbietung  und  Dankbarkeit  die  Schüler  des  Hersfelder  Gym- 
uasiimis  am  31.  October  1857^;  auf  der  anderen  den  sinnvollen  Sprach: 

In  dubiis  libertas 

In  necessariis  unitas 

In  Omnibus  Caritas. 
Die  Dankesworte  des  Jubilars  legten,  wie  die  Anrede  des  Schülers»  mn 
lebendiges  Zeugnis  von  dem  innigen  gegenseitigen  Verhältnis  ab,  welches 
hier  besteht,  und  bekundeten  dasz  der  Jubilar  seinen  SchUWn  nicht 
blos  Lehrer,,  sondern  auch  väterlicher  Freund  ist ,  der  mit  nnausgeseti- 
ter  Sorge  auch  über  den  engeren  Lebensverhältnissen  derselben  wacht. 
Diese  Zeichen  der  Anerkennung  seitens  der  Schule  schlosz  ein  Festge- 
sang, welchen  der  eifrige  Gesanglehrer  des  Gymnasiums  Ründnagel 
zu  Ehren  des  Jubilars  componiert  hatte.  Es  begann  nun  gleichsam  ein 
neuer  Act  des  Festes,  in  welchem  die  Ehrenbezeigungen  aus  immer  wei- 
teren Kreisen  auf  einander  folgten.  Zunächst  trat  der  Landrath  Auf- 
fahrt vor  und  überreichte  mit  passenden  Worten  ein  Ancrkennnngfs- 
schreiben  dos  kurfürstlichen  Ministeriums  des  Innern.  Der  Jubilar  freute 
sich  inniglich  über  diese  ihm  seitens  seiner  vorgesetzten  Behörde  ge- 
wordene Anerkennung  und  dankte  dem  Ueberbringer  derselben,   indem 


über  gelehrte  Anstalten,  Verordnungen,  stati»!.  Notiases*  241 

er  seiner  freundschaftlichen  nnd  geschäftlichen  Yerbindiing  mit  dem- 
selben, als  einem  Mitgliede  der  Gymnasialcommission,  gedachte  und  den 
Wunsch  eines  ferneren  einmütigen,  dem  Interesse  der  Anstalt  dienenden 
Zusammenwirkens  aussprach.  Nun  erhob  ^ich  der  zeitige  Prorector  der 
lAttdesuniversität,  Professor  Dr  theol.  Sehe  ff  er  aus  Marburg,  und  über- 
reichte als  Deputierter  der  theologischen  Facultät  dem  Jubil^  ein  gewia 
seltenes  Zeichen  der  Anerkennung,  nemlich  das  Diplom  der  theologi- 
schen Doctorwürde.  Selbst  früherer  Schüler  Münschers,  gedachte 
Scheffer  dieser  Zeit  und  entwickelte  in  edler,  würdevoller  Rede  die  Mo- 
tive, welche  eine  hohe  theologische  Facultät  bewogen  hätten,  dem  Jubi- 
lar diese  Ehre  zu  erweisen,  und  erklärte,  wie  namentlich  der  Hinblick 
auf  die  grosze  Zahl  würdiger  Diener,  welche  er  der  Kirche  erzogen  habe, 
und  das  Andenken  an  seinen  Vater,  der  auch  Professor  und  Dr  theol. 
in  Marburg  war,  die  Facultät  veranlaszt  habe,  an  dem  heutigen  Tag 
eine  Fietäts-  und  Ehrenschuld  abzutragen.  -^  Münscher  war  auf  das 
tiefste  ergriffen  und  wüste  sich  kaum  zu  fassen.  ^Doctor  der  Theologie', 
das  kam  seinem  bescheidenen,  anspruchslosen  Sinne  als  zuviel  vor.  Er 
bekannte  offen,  wie  wenig  er  sich  einer  solchen  Ehre  werth  halte,  wie 
weit  er,  wenn  er  auch  nach  Zeit  und  Kräften  in  den  theologischen  Wis- 
senschaften geforscht  habe,  do>c]i  noch  von  dem  entfernt  sei,  was  man 
▼on  einem  Dr  theol.  verlange,  und  wollte  in  der  Erweisung  dieser  Ehre 
lediglich  eine  Rücksicht  auf  seinen  seligen  Vater  erkennen.  ^Die  Facul- 
tät mag  es  verantworten,  dasz  sie  mich  zum  Doctor  der  Theologie  ge- 
macht hat'  waren  Worte,  die  er  noch  später  in  freudigem  Scherze  fallen 
liesz.  Es  folgten  nun  die  Vertreter  der  anderen  fünf  hessischen  Gym- 
nasien, theils  in  gröszerer,  theils  in  geringerer  Anzahl,  von  Marburg  so 
Bahlreich,  dasz  mit  Genehmigung  des  Ministeriums  dort  der  Unterricht 
mehrere  Tage  ganz  ausgesetzt  wurde.  Diese  Deputierten,  unter  denen 
sich  3  Directoren  befanden,  Schi  eck  von  Rinteln,  Schwarz  von 
Fulda  und  Münscher  von  Marburg,  der  Bruder  des  Jubilars,  über- 
brachten die  mannigfachsten  Zeichen  der  Ehre  und  Anerkennung.  Zu- 
nächst gratulierte  Schieck  von  Rinteln  als  der  älteste  Director  im  Na- 
men sämtlicher  Gymnasien  und  überreichte  ein  Festgedicht.  Dann  trat 
Schwarz  von  Fulda  vor  und  übergab  im  Namen  des  Fuldaer  Gymnasiums 
eine  geschmackvoll  ausgestattete  Votivtafel  nnd  als  besonderes  Geschenk 
eine  geschriebene  noch  nicht  im  Druck  erschienene  Abhandlung  von  sich: 
'de  anonyme  qui  dicitur  Gemblacensi  vitae  S.  Lulli  scriptore.'  Ein  noch 
mit  anwesender  College  von  Fulda,  Dr  Os Hermann,  fügte  hierzu  noch 
ein  eigens  verfertigtes  griechisches  Gedicht,  um,  wie  er  sich  ausdrückte, 
seinem  früheren  Lehrer  damit  eine  kleine  Garbe  von  dem  Acker,  welchen 
dieser  gepflegt,  zu  spenden.  —  Jetzt  erschienen  die  zahlreichen  Depu* 
tirten  des  marbnrger  Gymnasiums.  Dr  CoUmann  von  dort  hielt  eine 
herzliche  Anrede,  verglich  die  geringere  Gabe,  mit  deren  Ueberreichung 
ihn  die  marburger  Schwesteranstalt  betraut  habe,  mit  den  anderen,  die 
schon  von  Marburg  gekommen,  und  überreichte  mit  dem  Gedanken,  dasz 
er  nur  Worte  bringe,  während  ein  anderer  ehrwürdiger  Deputierter  Mar- 
burgs eine  That  gebracht  habe,  eine  in  einer  Kapsel  eingeschlossene 
sehr  reich  ausgestattete  Votivtafel.  Daran  schlosz  sich  der  Bruder  des 
Jubilars  und  gratulierte  unter  Ueberreichung  einer  von  ihm  verfaszten 
gedruckten  Dissertation  über  des  Tacitus  Germania,  wobei  er  auf  das 
besondere  Studium  dieses  Schriftstellers  hinwies.  Im  Namen  des  eben- 
falls sehr  zahlreich  vertretenen  Casseler  Collegiums  überreichte  Dr 
Schimmelpfeng  eine  auf  Glanzpappe  mit  prachtvollen  Lettern  ge- 
druckte Votivtafel.  Endlich  brachte  der  von  Hanau  erschienene  Depu- 
tierte, Dr  Fliedner,  eine  Gratulationsschrift  über  einige  Steilen  aus 
Cic.  de  erat,  von  dem  Director  des  dortigen  Gymnasiums,  welcher  fol- 
gende Dcdication  vorangesohickt  ist:  ^ Unter   allen  Gymnasien  unseres 


242  Berichte  über  gelehrte  Anstalten ,  Verordnungen,  statUk  NotiiM. 

.  hessischen  Vaterlandes  musz  sich  nächst  der  Anstalt ,  die  Ihrer  Leitung 
anvertraut  ist,  ganz  besonders  das  hiesige  Gymnasium  gedrungen  fühlen, 
Ihnen ,  hochveirchrtcr  Jubilar ,   an  dem  heutigen  festlichen  Tage  seinen 
Glückwunsch  darzubringen.     Bs  ist  nicht  alleia  die   allgemeine  Theil- 
nahme  aller  Ihrer  Amtsgenossen  an  der  Feier  Ihres  fünfundzwansigjäh- 
rigen  Director-Jubiläums,  die  uns  dazu  treibt,  sondern  vornehmlich  auch 
die  Erinnerung  daran,  dasz  gerade  das  hiesige  Gymnasium  sich  vor  den 
übrigen  eine  Zeit  lang  Ihrer  Wirksamkeit  zu  erfreuen  gehabt  hat.    Denn 
eben  von  hier  aus  sind  Sie  im  October  1832  am  Ende  einer  sechsjähri- 
gen, von  vielen  Ihrer  dankbaren  Schüler  noch  nicht  vergessenen  Lehrer- 
thätigkeit  zu  dem  Amte   berufen  worden,   das  Sie  nun  schon  fünfund- 
zwanzig Jahre  mit  treuer  Liebe  und   unermüdlichem  Eifer  begleitet  ha- 
ben.    So  nehmen  Sie  denn  um  dieses  doppelten  Bandes  willen,  durch 
das  sich   die  Lehrer  des  hiesigen   Gymnasiums   mit  Ihnen    verbunden 
wissen,  unsere  herzlichen  Glückwünsche   zu  Ihrem  heutigen  Jubelfeste 
gütig  auf,  und  gestatten  Sie  uns,  Ihnen  als  ein  Zeichen  unserer  innig- 
sten Theilnahme  und  Verehrung  die  nachstehende  Gratulationsschrift  zu 
überreichen,  die  einige  Stellen  desselben  Meisterwerks  zu  behandeln  ver- 
sucht, dessen  Erklärung  Sie  vor  nunmehr  auch  fast  fünfundzwanzig  Jah- 
ren Ihr  erstes  Directorialprogramm    gewidmet   haben.     Der  Direetor 
und  die  Collegen  des  Han.  Gymn.'   —   Die  mehrmals  begonnenen,  aber 
durch  die  rasche  Aufeinanderfolge  der  sich  drängenden  Deputierten  immer 
wieder  unterbrochenen  Dankesworte  des  Jubilars  unterbrach  nochmals 
sein  Sohn,    Gymnasialpraktikant   zu  Hanau,    zwar   nicht  mit  Worten, 
welche    die   tiefe  Rührung  erstickte,   aber  mit  Uebcrreichung  eines  von 
ihm  verfaszten  griechischen  Gedichts.     Es  bedurfte  einiger  Augenblicke, 
ehe  sich  der  von  der  Macht  der  auf  ihn  einstürmenden  Gefühle  fast 
überwältigte  Jubilar  sammeln  konnte,  um  nach  so  vielen  Seiten  hin  sei- 
nen Dank  auszusprechen.    Und  wie  konnte   er   es  passender  thun,  als 
indem  er  seine   innige  Freude  darüber  äuszerte ,   dasz   er  einen  seiner 
Lieblingsgedanken,  nemlich  die  gegenseitige  Annäherung  der  Gymnasien, 
an  dem  heutigen  Tage  der  Verwirklichung  weit  näher  gerückt  sähe.  — 
Noch  war  er  mit  der  Ausführung  dieses  Gedankens  beschäftigt,  da  gab 
ihm  das  Ehrengedicht,  welches  Dr  Grebe,  der  Direetor   der  Casseler 
Realschule,  als  Deputierter  dieser  Anstalt,  überreichte,  Gelegenheit  den- 
selben noch  weiter   zu  führen  und  auf  die  Wichtigkeit   einer  engeren 
Verbindung  von  Gymnasien  und .  Realschulen  hinzuweisen.  —  Wenn  nun 
alle  diese  mannigfachen  Ehi?enbezeugungen  den  greisen  Jubilar  so  tief 
ergriffen,  dasz  man   manchmal  glauben  muste  er  sänke  zusammen,  so 
sollte  doch  noch  der  erhebendste  und  rührendste  Augenblick,  der  gewis 
kein  Auge  trocken  liesz,  folgen.    Es  war  der  Moment,   als  eine  Depu- 
tation   der   alten   Schüler  Münschers  mit   ihren   herlichen  Geschenken, 
einer  auszerordentlich  schön  ausgestatteten  Prachtausgabe  des  Didot- 
schon  Horaz,  die  mit  einer  Ehrendedication  und  den  Namen   von  190 
alten  Schülern  selbst  aus  der  friihesten  Zeit  der  Lehrerthätigkeit  des 
Jubilars  versehen  ist ,   einer  Ausgäbe  des  Reineke  Fuchs  mit  den  E^anl- 
bachschen  Illustrationen  und  der  Bildsäule  des  Bonifazius  erschien,  und 
ein  Mitglied  dieser  Deputation,   Dr   Roth   von  Cassel,   in  einer  ganz 
vortrefflichen  rührenden  Ansprache  Zeugnis  ablegte  von  der  unendlichen 
Liebe,  mit   welcher  so  viele   Schüler  gegen  ihren  alten  Lehrer  erfüllt 
seien  ,  und  hervorhob ,  wie  bei  allen  den  vielen  nur  ^ine  Stimme  gewe- 
sen sei,  ihren  theurcn  Lehrer  an  seinem  Jubeltage  zu  ehren.    Dies  war 
der  Augenblick,   wo    der  Jubilar  die   unendlich   reichen  Früchte   seiner 
langgesegneten  Wirksamkeit  gleichsam  vor  sich   aufgeschichtet,  wo  er 
das  Denkmal,   welches  er  sich  in  dem  Herzen  so  vieler  gegründet,  in 
wunderbarer  Pracht  vor  sich  schimmern  sehen  konnte,  es  waren  einige 
unvergeszliche  Minuten,  wie  sie  wol  keiner  aller  anwesenden  je  erleot 


Berichte  fiber  gelehrte  Anstalten,  Verordnungen,  Statist.  Notizen.  243 

• 

hatte.  Da  konnten  nur  Thränen  antworten.  Noch  wai^  die  Wirkung 
dieses  erhebenden  Augenblicks  nicht  vorüber,  da  erschien,  gefolgt  von 
dem  Stadtrath  Hersfelds,  der  Bürgermeister  Schiramelpfeng,  und 
überreichte  dem  Jubilar  mit  einer  kurzen  Anrede  eine  Urkunde  über 
das  ihm  einstimmig  zuerkannte  Ehrenburgerrecht.  Münscher  war  hoch- 
erfreut über  eine  solche  Ehre,  bekannte  sich,  wenn  auch  als  guten  Deut- 
schen, doch  auch  als  guten  Hersfelder,  gedachte  seiner  und  seiner  Fa- 
milie Beziehungen  zu  Her^feld  und  versprach  auch  fernerhin  sich  als 
echten  Hersfelder  bewähi*en  und  nach  Kräften  zum  Wohl  der  Stadt  mit- 
wirken zu  wollen.  —  Es  folgte  nun  der  Choralgesang:  'Nun  danket  alle 
Gott',  worauf  der  Jubilar  selbst  die  Rednerbühne  bestieg,  nochmals  den 
nach  so  vielen  Sciteo  hin  zu  zollenden  Dank  in  einigen  herzlichen  Wor- 
ten zusammcnfaszte  und  die  Feierlichkeit  mit  Gebet  beschlosz.  —  Auszer 
den  bis  hierher  erwähnten  Zeichen  der  Anerkennung  und  Geschenken 
erhielt  der  Jubilar  deren  noch  viele  andere  von  verschiedenen  Seiten  in 
seine  Wohnung  geschickt.  Sie  bestanden  gröstentheils  aus  Büchern  in 
meist  eleganten  Einbänden,  Bildern  und  sonstigen  werthvollen  Gegen- 
ständen. Dazu  war  eine  grosze  Anzahl  von  Gratulationsbriefen  in  deut- 
scher und  lateinischer  Sprache,  von  Gedichten,  Adressen  und  sonstigen 
Zuschriften  eingegangen,  die  bezeigen,  wie  dieser  Mann  von  allen  die 
ihn  kennen  geliebt  und  geehrt  wird.  —  Nachmittags  gegen  2  Uhr  wurde 
der  Jubilar  von  einigen  Mitgliedern  des  Comites  zu  einem  Festmahle 
abgeholt,  zu  welchem  sich  etwa  130  Theilnehmer  im  Vereinslocale  der 
Stadt  versammelt  hatten.  Den  ersten  Toast  brachte  der  Landrath  Sr 
königl.  Hoheit  dem  Kurfürsten,  dem  gnädigen  Beschützer  der  Wissen- 
schaften, dar,  der  ungetheilten  Anklang  fand.  Unter  vielen  anderen 
Toasten  auf  den  Jubilar,  die  Stadt,  das  Gymnasium,  die  theologische 
Facultät  zu  Marburg  u.  a.  zog  sich  das  Festmahl  bis  in  die  späte  Nacht 
hinein.  —  Am  folgenden  Nachmittage  sah  der  Jubilar  sämtliche  Gäste 
und  einen  groszen  Theil  einheimischer  Freunde  in  seiner  Wohnung  bei 
sich.  Tags  darauf  verlies zen  die  meisten  fremden  wieder  unsere  Stadt, 
und  gewis  ein  jeder  mit  dem  auch  von  uns  gehegten  Wunsche,  dasz  der 
allgütige  Gott  den  trefflichen  Mann  noch  recht  lange  in  ungeschwächtor 
körperlicher  und  geistiger  Kraft  unserer  Anstalt  und  der  Wissenschaft 
erhalten  möge.  Friedrich  Spangenberg, 

Kiel.]  Der  dritte  Band  der  Schriften  der  Universität  zu 
Kiel  aus  dem  J.  1856  ist  so  eben  erschienen,  aus  welchem  für  unsere 
Zeitschrift  an  Nachrichten  und  Mittheilungen  folgendes  hervorzuheben 
ist:  Prof.  G.  Curtius  gibt  vor  dem  Index  zum  Sommersemester  1856 
qaaestiones  etymologicas  S.  III — IX,  die  sich  auf  den  Namen  des  Zeus, 
die  Wörter  %aXn]  und  cclla  ,  oofiog  und  hnmerus ,  cardo  usw.  beziehen. 
Unter  den  Vorlesungen  heben  wir  folgende  hervor:  Prof,  Forchham- 
mer hat  im  Sommer  1856  gelesen  Aristoteles  vom  Staat  und  Ovids  Me- 
tamorphosen, im  philol.  Seminar  Demosthencs  Rede  wider  Aristokrat^s, 
Chalybäus  Ethik  und  Geschichte  der  neueren  und  neuesten  Philoso- 
phie, Curtius  römische  Litteraturgeschichte  und  Homers  Ilias,  im  Se- 
minar Ciceros  Brutus,  Müllenhoff  alte  Geographie  und  Ethnographie 
nach  Strabon,  deutsche  Mythologie,  deutsche  Grammatik,  Thaulow 
Anthropologie  und  Psychologie,  Gymnasialpaedagogik,  Leitung  des  pae- 
dagogischen  Seminars.  Der  Index  zu  den  Wintervorlesungen  1856 — 57 
bringt  von  Curtius  ein  corollarium  commentationis  de  nomine  Homeri 
scriptae  S.  III — IX.  Die  hier  in  Betracht  kommenden  Vorlesungen  sind : 
Forchhammer:  Demosthenes  Kranzrede,  aristotelische  Uebungen;  im 
Seminar  Cicero  de  republica;  Chalybäus:  Logik  und  Metaphysik, 
Geschichte  der  älteren  Philosophie;  Curtius:  philologische  Encyklo- 
paedie  und  Methodologie,  Prolegomena  der  vergleichenden  griechisch- 
lateinv  Grammatik ,  Horazens  Briefe ,   im  Seminar  Euripides  Phönissen ; 


244  Berichte  über  gelchrle  Anstalten,  Verordnnng^en,  statisl.  NötiiM. 

Müll enh off  Erkirmin«:   der    Nibelungo    Not   und    Tacitns    Germania; 
Thaulow   Einleitung   und  Eucyklopaedie  der  Philosophie,    allgemeine 
Geschichte  der  Künste ,   über  die  Beziehungen  zwischen  der  Paodagogik 
und  Psychologie,  Politik  und  Ethik,    paedug.  Seminar.     Nitzach  d.  j. 
alte  Geschichte  von  Lykurg' bis  zur  Zerstörung  Corinths,   deutsche  Ge- 
schichte  bis   zum   westphHI.  Frieden.     In   dem    ersten  Halbjahre  waren 
141,  in  dem  zweiten  150  Studierende  auf  der  Universität.  —  Unter  den 
Personalveränderungen  bemerken   wir  folgende :   Der  Lector  der  frani. 
Sprache,  Schwob-DoUe,  folgte  einem  Kufe  als  Lehrer  am  Gjmn.  in 
Gotha.     Es   starben   am  9.   Aug.    1856  der  Etatsrath  Prof.  Dr  W.   £. 
Wilda  in  der  juristischen  und  der   Privatdocent  Physikus  Dr  W.  H. 
Valentiner   in  der   medicin.    FacultUt.     In   der  juristischen  Facnltilt 
wurden  3 ,   in   der  medicin.   15  zu  Doctoren ,   2  zu  Licentiaton ,  in  der 
philosoph.  3  rite  und  5  in  absentia  zu  Doctoren  promoviert,  in  der  letc- 
tercn  5  Bewerbungen  wegen  ungenügender  Abhandlungen  zurüekgewie> 
scn;  als  Privatdocent  habilitierte  sich  in  der  Jurist.  Facultät  Mich.  d.  J. 
Dr  jur.  A.  Voege.  —  Ein  weiterer,  höchst  interessanter  Yheil  der  Chro- 
nik S.  7 — 39  berichtet  über  die  Universität  im  allgemeinen  und  die  üni- 
versitätsinstitute  insbesondere  und  bringt  namentlich  zu  der  ersten  muehe 
Mittheilungen  aus  der  Geschichte  des  Universitätswesens  überhaupt,  die 
von  weiterer  Wichtigkeit  sind.    Unter  den  Instituten   gehören   hierher 
insbesondere  das  philologische  Seminar,  an  welchem' im  ganzen  11  Mit- 
glieder theilnahmen,  nnd  das    paedagogische ,   an  welchem  sich  resp.  0 
und  4,  lauter  Philologen,  betheiligten.  —  S.  39  f.  sind  einige  Nachrich- 
ten von  den  Gelehrtenschulen  in  den  Herzogthümern  Schleswig,  Holstein 
und  Lauenburg  gegeben,  wovon  wir  hier  das  wesentlichste  nm  so  lieber 
mittheilen,   als  namentlich  über  die   schleswigschen  Anstalten  jetit  wol 
wenig  Kunde  mehr  über  die  Elbe  dringt.     Kiel.    Der  6e  Lehrer  an  der 
dortigen  Gclehrtenschule ,   Scharenberg,  ward  im  Mai   1856  an  das 
Gymnasium  Christianeum  zu  Altona  versetzt,  für  ihn  trat  interimistisch 
der  Privatdocent  an  der  Universität  Dr  Büttel  zum  Unterrichte  in  den 
Naturwissenschaften  ein ;   den   franz.  Unterricht  des   nach  Gotha  abge- 
gangenen (s.  oben)  Schwob-DolH  übernahmen  die  Lehrer  Strave 
lind  Jansen;    den  Unterricht  im  zeichnen  besorgte  L.  Wolperding. 
Besucht  war  die  Schule  von  2»S8  Schülern  und  hatte  11  Lehrer.  —  Am 
Realgymnasium   in  Rendsburg  wurde  der  Dr  Vcchtmann,  ein  ge- 
borener Hannoveraner,  unter  Ertheilung  des  Indigenatrechts  definitiy  sb 
Rector  angestellt;  die  Schülorzahl  dieser  Anstalt  war  auf  182  gestiegen. 
—  Das  Programm  der  Glückstädter  Gelehrtenschule  enthält  vom  Dr 
E.  Vollbchr  de  Oedipi  regis  Sophocleae  oeconomia  scenica;  die  Schale 
hatte  8  Lehrer  und  9Q  Schüler;  mit  dem  Bau  des  beabsichtigten  Schnl- 
hauses   war  noch  nicht  begonnen.  —  Das  Programm  der  Meldorfer 
Gclehrtenschule  enthält  Dr  Kalls  ens  Uebersetzung  der  ersten  drei  Aete 
von  Corneilles   Cid   mit  einem  Nachwort;    die  Schülerzahl  hetrng  in  5 
Klassen  64.  —  In  Plön  erschien  als  Programm  eine  exegetische  Abhand- 
Inng  vom  Collab.  C  lausen:  der  Ostermorgen  nach  der  Schrift;  die  Schil- 
lerzahl war  in  6  Klassen  92.  —  Das  Programm  der  Gelehrten-  nnd  Real- 
schule in  Flensburg  vom  Juli  1^50  enthUlt  vom  Conrector  Schuma- 
cher:  der  Lehvcrheruf  in  seinen  Antinomien.     Die  Zahl  der  Schüler  war 
215,    von   denen  45   in   den  4  lateinischen  (Gymnasial-),    120   in   den  6 
Real-,    74  in   den  pemeinschaftlii4icn  oder  Vorbereitnngsldassen  waren. 
Die  Gohalto  mehrerer  Lehrer  wurden  erhöht,  neu  angestellt  als  Adjnncten 
Engel hardt  und  Wülsten;  auszerdem  wurden  2  noue  Collaboratnren 
zu  750  und  675  r.  preusz.  eingerichtet.    Mit  diesen  hat  die  Schule  einen 
Rector,  Conrector,  Subrector,  6  Collaboratoren,  8  Adjuncten,  1  Schreib-, 
1  Zeichen-,  1  Gesang-,  1  Gymnastiklehrer,  mithin  im  ganzen  21  Lehrer, 
von  denen  17  fest  angestellt  sind.   —  Hadersleben.    Das  Programm 


f 

Berichte  über  gelehrte  Anstalten ,  Verordnangen,  Statist.  Notizen.  245 

enthält:  Udwnlgte  Oden  af  Horats  mrersatte  af  (ausgewShlte  Oden  des 
Horaz  übersetzt  von)  Edv.  Lembke,  Conrector.  Von  den  100  Stshulern, 
die  die  Anstalt  besuchten,  gicngcn  aus  der  7n  (obersten,  nach  dänischer 
Einrichtnng)  Klasse  6  zur  Universität  nach  Kopenhagen.  Im  Juli  1856 
(Schlnsz  des  Schuljahrs  wie  in  Dänemark)  war  die  Schülerzahl  117,  von 
denen  15  in  der  7n,  11  in  der  6n,  14  in  der  5n,  15  in  der  4n,  22  in  der 
3n,  21  in  der  2n,  19  in  der  In  Klasse  waren.  Als  Lehrer  wirken  ein 
Rector,  Conrector,  Subrector,  CoUaborator,  6  Adjuncten  und  ein  Lehrer 
für  rechnen,  schreiben  und  Gymnastik.  Die  aus  2040  Werken  bestehende 
Bibliothek  erhielt  noch  eineti  Zuwachs  von  330  Werken.  —  Das  Pro- 
gramm der  Schleswiger  Domschule  enthalt  von  dem  Adjuncten  C 
Johansen:  über  Anschauungsunterricht.  Zu  Adjuncten  sind  die  Lehrer 
W.  Th.  Johansen,  Muusmann  und  Grünfeld  (früher  constituiert) 
ernannt  und  das  Schnlinspectorat  (?)  dem  CoUaborator  Bliche rt  über- 
tragen worden.  Die  Schule  hat  einen  Rector ,  Conrector ,  Subrector, 
CoUaborator,  6  Adjuncten  und  3  Hülfslehrer  für  Musik  (Gesang?),  zeich- 
nen und  Gymnastik.  Die  Zahl  der  Schüler  betrug  102,  4  in  I,  7  in  II, 
18  in  Ober  III,  16  in  Unter  III,  6  in  Real  III,  12  in  IV,  16  in  V,  23 
in  der  Vorbereitungsklasse  (für  Schüler  von  6 — 9  Jahren).  Für  die  Schnl- 
bibliothek  war  die  Summe  von  375  r.  preusz.  bewilligt  und  die  mathe- 
matisch-physikalische und  chemische  Sammlung  ansehnlich  vermehrt 
worden.  —  Als  Osterprogramm  der  lauenburgischen  Gelehrtenschule  zu 
Ratzeburg  erschien  1856  von  dem  Director  derselben,  Prof.  Zander, 
die  4e  Fortsetzung  der  Andeutungen  zur  Geschichte  des  römischen  Kriegs- 
wesens (die  3e  erschien  1853).  Die  Schülerzahl  in  5  Klassen  war  76, 
nnterrichtet  von  7  Lehrern.  —  Ferner  sind  als  Anlage  der  Universitäts- 
chronik von  1856  Nachrichten  über  das  physikalische  Institut  und  das 
mineralogische  Museum  der  Universität  Kiel  von  Prof.  Karsten,  nebst 
3  lithogr.  Tafeln,  beigegeben;  weiter  eine  Rede  des  Kirchenraths  Lude- 
rn Ann  beim  Tode  eines  Studierenden;  endlich  ein  Bericht  über  die 
Wirksamkeit  des  Kunstvereins  zu  Kiel.  —  Die  übrige  gröszere  Hälfte 
dieses  3n  Bandes  der  Kieler  Universitätsschriften  bilden  1)  ein  Programm 
mm  Geburtstage  des  Königs  von  Dänemark:  über  die  Weltkarte  tend 
Chorographie  des  Kaisers  Augustus  von  Prof.  K.  MüUenhoff  (55  S.  4). 
Der  Verf.  hält  die  nach  einer  stattgehabten  Vermessung  des  römischen 
Reichs  entworfene  Karte,  die  Augustus  (wahrscheinlich  um  7  v.  Chr.) 
ex  destinatione  et  commentariis  M.  Agrlppae  im  porticus  der  Polla  aus- 
fahren liesz,  in  der  er  nach  Plin.  3 ,  3  orbem  terrarum  orbi  spectandum 
hinstellte,  für  eine  der  groszartigsten  und  einfluszreiohsten  geographi« 
sehen  Arbeiten,  die  je  gemacht  sind,  und  die  nicht  nur  das  Alterthum^ 
sondern  die  Geschichte  überhaupt  aufzuweisen  hat.  Es  wird  ausserdem 
in  gründlicher  und  gelehrter  Weise  dargethan,  dasz  Augustus  aus  den 
Commentarien  seines  Schwiegersohns  auch  eine  Schrift  zusammenstellte 
und  zum  Gebrauch  neben  der  Karte  herausgab.  Endlich  ist  ein,  wenn 
auch  nicht  vollständiger ,  doch  klarer  Beweis  geliefert  worden,  dasz  bei 
Entwerfung  der  römischen  Welt-  und  Reichskarte  durch  Agrippa  die 
Karte  des  Eratosthenes  zu  Grunde  gelegt  und  ihre  Projection  in  aUem 
wesentlichen  beibehalten  wurde.  —  2)  Rede  des  Prof.  Dr  theol.  Fr  icke 
an  demselben  königl.  Geburtstage:  de  necessitudine  qua  singulae  inter  se 
coniinentur  disciplinae  (12  S.  4).  Der  Verf.  geht  auf  das  'viel  citierte, 
aber  wenig  gelesene'  Ruch  Bacos  von  Verulam  de  dignitate  et  augmen-' 
tis  scientiarum  und  auf  die  darin  gemachte  Eintheilung  zurück,  die  auf 
den  Gegensatz  der  ethischen  und  der  Naturwissenschaften  einfach  zn- 
rückzuführen  ist,  de^-en  ganze  Mannigfaltigkeit  aber  vorzugsweise  diurch 
die  von  dem  Protestantismus  wesentlich  gepflegte  Individualität  und  die 
ungestörteste  Entwicklung  derselben  allein  beherscht  werden  kann.  In 
dieser  Beziehung  berücksichtigt  er  besonders  auch  die  Gymnasien  und 


246  Berichtigung. 

die  in  ihnen  herschende  Noth  des  vielerlei,  die  den  Geist  ertödtet  und 
die  Kräfte  lähmt,  wobei  er  sich  auf  die  unter  den  Lehrern  selbst  immer 
allgemeiner  werdende  und  zuletzt  auf  der  Stuttgarter  Versammlung  laut 
gewordene  Stimme  beruft  und  die  klassischen  Studien  im  Gegensatce 
der  modernen  und  realen  Bestrebungen  mit  Nachdruck  und  Wärme  em- 
pfiehlt. —  3)  15  medicinische  und  2  juristische  (die  philosophischen 
scheinen  gar  nicht  durch  den  Druck  veröffentlicht  zu  werden)  Doctor- 
dissertationen ,  von  denen  wir  die  des  oben  erwälmten  Privatdocenten 
Dr  Adam  Voege  aus  Lutterbeck:  de  origine  ei  natura  eorum,  quae 
apud  veter  es  Romanos  per  aes  et  libram  fiebant  (5G  S.  4)  hier  noch  nennen 
wollen.  Egg, 


Berichtigung  zu  S.  45. 


Je  schwieriger  es  ist  einen  einmal  gehörten  Vortrag  in  seinen 
ßpecialitäten  genau  wiederzugeben,  um  so  dankbarer  sind  wir  für  die 
Einsendung  folgender  Erklärung: 

'Meiner  dem  geehrten  Präsidium  gemachten  Anzeige  gemäsz  sprach 
ich  über  einen  Versuch,  den  ältesten  Text  der  Odyssee  zu  ermitteln,  so 
weit  dieser  von  Aristarch  herrühre  oder  herzurühren  scheine.  Es  ist 
ebenso  bekannt  l&ls  ausgemacht,  dasz  das  erste  Hülfsmittel  für  diese 
Arbeit  in  den  Schollen  liegt;  der  Werth  der  Citate  ist  dem  der  Hand- 
schriften unter  Umständen  vorzuziehen.  Unter  den  Handschriften  aber 
habe  ich  bisher  dem  Texte  des  Eustathius  entschieden  den  Vorzog  ein- 
geräumt, während  mir  von  den  wiener  Handschriften  nur  die  i3de  einen 
hervorstechenden  Werth  zu  haben  schien,  um  in  zweiter  Linie  eine  Stelle 
zu  verdienen. 

In  Betreff  der  erörterten  Stellen  glaube  ich  durch  die  vorgelegten 
Zeugnisse  erwiesen  zu  haben,  dasz  Wolf  II  II  mit  der  Lesart  xvVcff 
noSag  ccQyol  weder  die  Vulgata,  noch  diejenige  Variante  gab,  welche  er 
nach  seinen  Voraussetzungen  für  aristarchisch  halten  muste.  Die  Vul- 
gata ist  Svto  Hvvsg  agyot^  auch  Verg^l  hatte  diese  bei  seiner  Nach- 
ahmung Aen.  VIII  401  vor  Augen.  Wenn  also  Wolf  seiner  Ueber- 
Zeugung  treu  bleiben  wollte,  dasz  der  römische  Dichter  von  Jugend  anf 
einen  aristarcbischen  Text  des  Homer  benutzt  habe,  so  konnte  er  nicht 
umhin  Svca  yivvis  dgyol  für  Aristarchs  Lesart  anzusehen.  Die  Haltbar- 
keit jener  Voraussetzung  selbst  habe  ich  weder  vertheidi^t  noch  be- 
stritten. JPerner  leitete  ich  die  Variante  Hvvsg  noöag  dgyol  ans  XVII 
02  ab,  wo  sie  unzweifelhaft  der  Vulgata  angehört,  indem  ich  bemerkte, 
dasz  sich  umgekehrt  auch  iu  diese  Stelle  in  der  augsburger  Handschrift 
ein  dvoo  x.  d.  aus  II  11  eingeschlichen  habe. 

Bei  dem  dritten  Beispiele  XXIV  28  zählte  ich  den  Vind.  56  zu  den 
Handschriften,  welche  die  sinnlose  rocepta  Tr^cora  stützen;  ich  erwiUmte 
die  Art,  wie  Giphauius  (nicht  Epiphanius)  die  Stelle  gegeben  hat 
Nicht  Eustathius  hatte  ngcat  vor  Augen,  sondern  der  Scholiast,  welcher 
die  Erklärung  ngo  tov  yrigoag,  TtQO  xov  Ötovxog  niederschrieb,  die  uns 
der  Harl.  bietet.  Aus  dem  alten  Lemma  der  Schol.  Vulg.  und  ans 
Hesych.  s.  v.  schlosz  ich,  dasz  sich  nach  dem  richtigen  ngtot  eine  alte 
Variante  ngto  xi  Eingang  verschafft  hätte.  Aus  dieser  ist  nach  Butt- 
manns richtiger  Andeutung  das  schlechte  ng(aza  entstanden  ,  was  sich 
bereits  vor  Eustathius  festgesetzt  hatte.  Die  Lesart  ngoat  findet  sich 
in  drei  Handschriften,  deren  Benutzung  mir  möglicli  wurde.  Die  wei- 
tere Erörterung  liefern  die  Verhandlungen  selbst,  deren  Druck  die  Presse 
beschäftigt.' 

Sagan.  W'.  C,  Kayser 


Zweite  Abtheilung 

heraugegeben  Ton  Rudolph  Dietsch. 


SkaJtsperes  Werke.  Herausgegeben  und  erklärt  con  Dr  Nico- 
laus  Delius.  3  Bde.  Elberfeld  1854— 57.  —  Erster  Band: 
Tragedies:  Hamlet  —  Othello  —  King  Lear  —  Macbeth  — 
Timon  of  Athens  —  Titus  Andronicus.  —  Zweiter  Band  : 
Tragedies :  Romeo  and  Juliet  —  CymbeUne  —  Troilus  and 
Cressida  —  Coriolanus  —  Julius^  Caesar  —  Antony  and 
Cleopatra.  —  Dritter  Band:  Tragedies:  King  John  —  King 
Richard  II  —  King  Henry  IV  Part  I  —  King  Henry  IV 
Part  II  —  King  Henry  V. 

Das  Verdienst,  welches  sich  Herr  Professor  Delius  durch  seine 
Ansgabe  des  Shakspere  bereits  erworben  hat,  ist  ein  hervorragendes. 
Bereits  sind  drei  Bände  dieser  so  werthvollcn  Ausgabe  erschienen. 
Die  Arbeit  des  gelehrten  Herausgebers  schreitet  rüstig  vorwärts  und 
in  wenigen  Jahren  werden  wir  hoflfentlich  sämtliche  Werke  Shaksperes 
mit  den  Erklärungen  des  Herrn  Delius  besitzen ,  ein  für  alle  Freunde 
des  Dichters  unschätzbares  Werk.  Bisher  hat  es  niemand  in  Deutsch- 
land  unternommen,  die  gesamten  Werke  Shaksperes  herauszugeben 
and  zu  erklären;  es  gehörte  zu  einer  solchen  Arbeit  ein  groszer  Um- 
fang von  Kenntnissen,  eine  tiefe  Vertrautheit  mit  dem  Dichter,  eine 
reiche  Belesenheit  in  den  schriftstellerischen  Zeitgenossen,  eine  grosze 
Ausdauer,  Sorgfalt  und  philologische  Akribie;  Eiger^schaften ,  welche 
der  Natur  der  Sache  nach  nur  wenige  in  sich  vereinigen  können.  Herr 
Delius  besitzt  diese  Eigenschaften;  er  war  zu  dem  groszen  und -um- 
fangreichen Werke,  das  er  nnternahm,  in  der  seltensten  Weise  vor- 
bereitet; er  hatte  durch  treffliche  Schriften,  vor  allem  durch  sein 
Shakspere  -  Lexicon ,  schon  früher  bewiesen,  welches  gründliche  und 
fördernde  Studium  er  dem  groszen  Dichter  zugewandt  hatte.  So  ge- 
bührt denn  dem  Herrn  Prof.  Delius  in  der  Geschichte  des  deutschen 
Shaksperestndiums  eine  der  bedeutendsten  Stellen;  nachdem  wir  seit 
Lessing  und  Goethe,  seit  Wielands  und  Schlegels  Uebersetzungen  eine 
üeihe  historischer  und  ästhetischer  Erläuterungsschriften  erhalten  hatten, 

N.  Jahrb.  f.  PhU.  %.  Paed.  Bd  LXXVIll.  Bßb.  17 


248  Shakspere  von  Delius. 

erscheint  nun  der  Dichter  in  seiner  eigensten  Gestalt,  zum  crstenmale 
von  einem  Deutschen  würdig  und  trefTiich  herausgegeben  und  commen- 
ticrt.  Wie  sehr  durch  diese  Ausgabe  die  Leetüre  des  Dichters  erleich- 
tert wird  wissen  alle  diejenigen,  welche  sich  bisher  mit  den  alteren 
englischen  Ausgaben  und  Commentatoren  begnügen  musten ;  bei  schwie- 
rigen und  dunkeln  Stellen  wie  viel  Bemerkungen  verschiedener  Inter- 
'  preten  sind  da  gehäuft,  von  denen  der  eine 'den  andern  zu  widerle- 
gen sucht! 

Der  Shakspere  von  Delius  ist  nun  durch  zwei  grosze  VorzOge 
ausgezeichnet:  durch  einen  vortreflTlichen  Text  und  durch  eine  nm> 
fassende,  präcise  und  elegante  Erklärung.  * 

Rücksichllich  des  Textes  ist  in   den   letzten  Jahren   durch   den 
Collierschen  Shakspere-Corrector  in  England  wie  in  Deutschland  eine 
grosze  Bewegung  entstanden;  die  Stellung,  welche  Herr  Prof.  Delios 
zu  dieser  Bewegung  einnahm,  ist  bekannt;  er  hat  sie  in  einer  Schrift 
(J.  P.   Colliers  alte   handschriftliche  Emendationen  zum  Shakspere) 
scharf  und  entschieden  bezeichnet.    Er  hat  gezeigt,  dasz  biainfwe-^ 
nige  Stellen  die  Aendernngen  und  Streichungen  des  Correctora  wertb- 
los  sind,  dasz  sie  auf  Unkenntnis  oder  einer  Furchtsamkeit  beroheo, 
welche  der  Kühnheit  und  Grösze  des  Shakspereschen  Ausdruck»  so 
entgehen  sucht.    Herr  Detius  folgte  daher  in  seiner  Arbeit  im  wesent- 
lichen der  Folioausgabe  von  1623,  er  berücksichtigt  indessen  auch 
die  vorher  erschienenen  Quartausgaben ;  er  ist  der  Meinung,  dasx  sich 
absolut  weder  nach  der  einen  noch  nach  den  anderen  der  Text  wie- 
dergeben lasse;  vielmehr  hat  er  die  richtige  Ansicht,  dasz  *sa  der 
streitigen  Autorität  der  Qs,  resp.  der  Folio,  die  inneren  Gründe  hinzu- 
treten müssen,  welche  die  Vorzüglichkeit  der  einen  oder  der  anderen 
Lesart  darthun  und  damit  der  streitigen  Autorität  der  einen  oder  der 
anderen  allen  Ausgabe  ein  Gewicht  verleihen,  das  ans  der  Menge  sol- 
cher für  die  eine  oder  für  die  andere  sprechenden  Beispiele  so  enl-* 
nehmen  ist'  (vgl.  Schluszwort  zum  ersten  Bande  S.  115).    Wir  haben 
gefunden,  dasz  Herr  Prof.  Delius  in  der  Auswahl  der  Lesarten  ¥01 
Scharfsinn,  Belcsenheit  und  einem  sicheren  Shaksperegefühl  geleitet 
worden  ist;  und  während  der  CoUiersche  Corrector  herliche,  kflhne 
W^endungen  der  Shakspereschen  Diction  verflacht,  wird  Delius  tob 
einem  durchgebildeten  Sinne  für  das  echte  Korn  der  Sprache  Shik- 
speres  beherscht.    Es  wird  aber  auf  diesem  Gebiete  der  Natnr  der 
Sache  nach  doch  noch  vieles  nur  der  subjectiven  Kritik  zur  Entschei- 
dung überlassen  bleiben;  es  wird  daher  Stellen  geben,  wo  der  Leser 
über  den  Werth  oder  die  Bichtigkeit  der  aufgenommenen  Lesart  mit 
dem  Herausgeber  streiten  wird.    Wir  begnügen  uns  der  Kürze  wegen 
mit  der  Anführung  nur  6ines  Beispiels.    Herr  Prof.  Delius  Ifiszt  in  sei- 
ner Ausgabe  den  Komeo  nach  dem  Scheintode  Juliens,  der  für  ihn  ein 
gewisser  ist,  in  den  Ausruf  ausbrechen  (S.  Hl):    * 

Is  it  e'^en  so?  then,  I  deny  you,  stars. 
Die  Lesart  1  deny  ist  ans  Qs.  und  Fol.  von  Delius  aufgenommen. 
Die  Q.  A.  hat  I  defy  my  stars,  und  andere  Herausgeber  haben  dieser 


Shaksperc  von  Didlins.  '  249 

Lesart  in  dem  Texte  eine  Stelle  gegeben.  Delios  bemerkt,  ^Romeo  in 
seiner  todesmutigen  Verzweiflung  verleugne  die  Sterne,  an  die  er 
bisher  geglaubt  habe.  Das  sage  mehr  als  die  von  den  Herausgebern 
adoptierte  Lesart  von  Q.  A.  I  defy  my  stars/  Dessenungeachtet  möchte 
ich  der  letzteren  Lesart  den  Vorzug  geben.  Romeo  in  seiner  wilden 
Stimmung  sucht  den  Kampf;  die  Schicksalsmichte  selbst,  die  er  in  den 
Sternen  sieht,  möchte  er  zum  Kampfe  herausfordern.  Der  astrolo- 
gische Glaube,  der  in  Shaksperes  Zeitalter  herschte,  tritt  in  dieser 
Lesart  um  so  deutlicher  hervor;  einen  Gegensatz  zu  Romeo,  der  mit 
den  Schicksalsmächten  selbst  einen  Kampf  aufnehmen  möchte,  bildet 
iCent  im  Lear,  welcher  (4,  3  Delins  S.  104)  sagt:  It  is  the  stars,  tlie 
Stars  above  us,  govern  our  conditions;  und  diesen  Glauben  verspottet 
Cassius  im'Julius  Caesar,  wenn  er  zu  Brutus  sagt  (i,  2  Delius  S.  22): 

The  fault,  dear  Brutus,  is  not  in  our  stars, 
But  in  ourselves,  that  we  are  underlings. 

Die  Erklärung,  welche  Delius  zu  den  Stücken  gegeben  hat^  musz 
als  musterhaft  bezeichnet  werden.  Die  Anmerkungen  sind  klar,  kurz 
und  pracis;  jede  Abschweifung,  die  sich  in  eine  der  Sache  fremde  Ge- 
lehrsamkeit verliert,  ist  mit  Strenge  vermieden;  Parallelstellen  sind 
nur  dann  angeführt,  wenn  sie  entweder  einen  seltsamen  Sprachge- 
brauch oder  ein  kühnes  Bild  erläutern  und  sicher  stellen  oder  zum 
Verständnis  des  Sinnes  förderlich  sind.  Die  Anmerkungen  sind  ferner 
elegant;  sie  geben  Zeugnis,  dasz  der  Erklärer  den  Dichter  mit  poeti- 
schem Sinne  auffaszte;  sie  erläutern  oft  das  specifisch  poetische;  oft 
beleuchtet  der  Erklärer  den  bildlichen  Ausdruck,  eröffnet  die  entle- 
genen oder  wenig  bekannten  Quellen,  aus  denen  er  flosz,  und  fördert 
dadurch  das  poätische  Verständnis  sehr  wesentlich.  Die  Anmerkungen 
sind  ferner  tief  eindringend.  Es  liegt  in  der  Sache  selbst,  dasz  Herr 
Delias  seine  Vorgänger,  namentlich  die  englischen  Erklärer,  benutzen 
ood  von  ihnen  entlehnen  muste;  aber  eine  Vergleichung  beweist,  dasz 
er  sich  auch  hier  ein  Verdienst  erwarb,  indem  er  die^ weiten  Samm- 
langen verschiedener  Noten,  wie  sie  die  englischen  Ausgaben  oft  zu 
ein  und  derselben  Stelle  enthalten,  ins  kurze  zusammenzog  und  auf 
den  prägnantesten  Ausdruck  zurückführte.  Aber  in  vielen  Anmerkun- 
gen tritt  auch  der  Scharfsinn  des  Verf.  in  ganz  selbständiger  und  neuer 
Erklärung  hervor,  und  er  hat  durch  richtige  Interpretation  manche 
Lesart  gerettet,  die  man  durch  Conjecturen  zu  verdrängen  suchte.  Ich 
fähre  ein  Beispiel  aus  König  Lear  an,  die  berühmten  Worte  des  Ritters 
aber  Cordelia  (4,  3  Delius  S.  103): 

patience  and  sorrow  strove 
Who  should  express  her  goodliest.    You  have  seen 
Sunshine  and  rain  at  once:  her  smiles  and  tears 
Were  like  a  better  way. 

Die  Worte  a  heiter  way,  welche  in  den  Quartos  stehen,  gaben 
Anstosz;  Warburton  conjicierte  Ma^^  Theobald  day  (vgl.  Delius, 
Shakspere-Lexicon  S.  233)%    Man  möchte  geneigt  sein  für  day  Partei 

17* 


250  Shakspere  von  Delius. 

KU  nehmen,  wenn  man  das  ahnliche  schöne  Bild  in  AIPs  well  Ihal  ends 
well  (5,  3)  liest,  wo  der  Köjiig  sagt: 

Jam  not  a  day  of  soason, 
For  Ihou  may^st  see  a  snnshine  and  a  hail 
In  me  at  once.   Bot  to  the  brigbtest  beams 
Distracted  cloads  give  way;  so  stand  thon  forlh, 
The  time  is  fair  again. 

Aber  da  sich  day  durch  keine  alte  Ausgabe  rechtfertigen  läfit, 
hat  Delius  den  richtigen  Weg  getroffen,  indem  er  a  better  way  adver> 
bial  erklärt  und  bemerkt:  ^Cordelias  gleichzeitiges  lächeln  und  wcIdmI 
glich  einem  gleichzeitigen  Regen  und  Sonnenschein,  nor  auf  bessere 
Weise,  d.  h.  insofern  es  schöner  war.'    Da  Delius  mit  den  Sitten  und 
Gebrauchen  des  Shakspereschen  Zeilalters  sehr  genau  bekannt  ist,  ge- 
w  innen  viele  Stellen  durch  seine  Erklärung  einen  überraschend  schö- 
nen Sinn.    Mancher  Leser  des  Shakspere  hat  vielleicht  im  König  Lear 
die  Worte  Kents  nicht  genügend  beachtet,  mit  welchen  der  Verbannte 
beim  König  sich  einführt  (1,  4  Delius  S.  32):  to  fight  when  I  cannot 
clioosc  and  to  eat  no  fish.    Man  nehme  die  Bemerkung  von  Delius  hin- 
zu,  welcher  sagt:  ^Durch  das  Fischessen  an  Festtagen  verriethen  sich 
zu  Shaksperes  Zeit  die  Katholiken,  die  zugleich  damals  für  schlechte 
IJnterlhanen  und  illoyale  Engländer  galten.'   Diese  ausgedehnte  Kennt- 
nis von  Sitten  und  Gebräuchen,  verbunden  mit  einer  eminenten  Spraeh- 
kenntnis,  setzte  Herrn  Delius  auch  in  den  Stand  die  Wortspiele  and 
doppelsinnigen  Wendungen  in  Shaksperes  Dramen  befriedigend  ond 
allseitig  zu  erklären ,  und  wir  sehen  daher  dem  erscheinen  der  Lust- 
spiele mit  lebhafter  Erwartung  entgegen,  da  in  diesen  Delius  noch  ein 
weiteres  Feld  gewinnen  wird  seine  Meisterschaft  in  der  Interprelaliou 
solcher  Feinheiten  zu  bewähren.  —  Zu  der  Erklärung  gehören  fenier 
die  Einleitungen ,  welche  Herr  Delius  zu  den  einzelnen  Dramen  gege- 
ben hat.    Sie  sind  äuszcrst  zwcckmäszig.    Sie  sind  nicht  ästhetisch; 
wozu  wäre  das  nach  so  vieUn  ästhetischen  Erläuterungen  Shaksperes, 
wie  sie  in  Deutschland  vorhanden  sind,  noch  nöthig?   Sie  bestehen 
vorzugsweise  in  der  Geschichte  des  einzelnen  Drama,  in  der  Angabe 
der  Quellen  die  der  Dichter  benutzte,  in  der  Mittheilung  von  wichtigen 
und  interessanten  Stellen  aus  dieser  Quelle,  mögen  diese  nun  in  No- 
vellen oder  in  Chroniken  und  Biographien  oder  in  Balladen  und  Wer- 
ken der  dramatischen  Poesie  selbst  bestehen.    Die  Auszüge  aus  Ho- 
linsheds  Chronik,  aus  welcher  der  Dichter  z.  B.  die  Gesehichle  des 
Macbeth  und  Lear  schöpfte,  die  Auszüge  aus  Arthur  ßrookes  Gedicht 
(The  Tragicall  Historye  of  Romens  and  Juliet),  an  das  sich  Shakspere 
neben  der  Novelle  des  Bandello  anschlosz ,  müssen  vor  allem  denjeni- 
gen, denen  diese  Werke  selbst  nicht  zur  Hand  sind,  vom  höchsten 
Wertho  sein.    Durch  diese  Auszüge  wird  eine  Vergleichung  möglich, 
welche  das   ästhetische  Verständnis  der   Dramen   in  der  solidesten 
Weise   fördert  und  nns    die  Kunstthäligkeit  des  Dichters  erblicken 
läszt,  welcher  einen  gegebenen  Stoff  zur  echten  und  schönen  Kunstr 


Shakspere  von  Delius.  251 

forin  bildete.  Sorg^faltig^  erörtern  die  Einleitungen  von  Delius  das 
Abfassungsjabr  der  Stücke  oder  sie  handeln  über  die  ganz  oder  theiU 
weise  bezweifelte  Autorschaft  des  Dichters,  wie  die  Einleitungen  zu 
Titus  Andronicus  und  Timon  von  Athen.  Auch  wo  der  Dichter  zwei 
Bearbeitungen  desselben  Drama  vornahm ,  wie  bei  Hamlet  und  Romeo 
und  Julie ,  setzen  die  Auszüge  von  Delius  den  Leser  in  den  Stand  den 
groszen  Fortschritt  zu  erkennen,  den  Shakspere  in  der  späteren  Be- 
arbeitung machte ,  und  fördern  das  tiefere  Verständnis  der  Stücke  in 
gründlichster  Weise. 

Je  höher  wir  nun  die  Interpretation  des  Herrn  Delius  schätzen, 
desto  verzeihlicher  wird  es  sein,  wenn  wir  wünschen  dasz  wir  die 
Stimme  eines  so  tiefen  Kenners  und  sicher  trelTenden  Erklärers  über 
manche  Stelle  ausführlicher  gehört  hätten.  Wir  machen  unseren 
Wunsch  durch  Anführung  von  vier  Stellen  deutlich.  Lady  Macbeth, 
indem  sie  nach  Empfang  des  Briefes  von  ihrem  Gemahl  spricht,  braucht 
die  Worte  (l,  5  Delius  S.  35) : 

thou  ^dst  have,  great  Glamis, 
That  which  cries:  ^Thus  thou  must  do,  if  thou  have  it;' 
And  that  which  rather  thou  dost  fear  to  do, 
Than  wishest  should  be  undone. 

Delius  macht  zu  dieser  Stelle  folgende  treffliche  Bemerkung: 
^Daßjenige,  was  dem  Macbeth  zuruft:  so  must  du  handeln,  wenn  du 
es  hast!  ist  nach  der  Erklärung  der  Herausgeber  die  Königskrone. 
Ob  aber  Shakspere  unter  that  which  cries  nicht  etwas  anderes,  viel- 
leicht die  gewissenlose,  kaltblütige  Ermutigung  zum  Morde,  die  Mac- 
beth haben  möchte  oder  sollte,  vjerstanden  hat,  ist  zweifelhaft.  Jeden- 
falls erscheint. es  angemessener,  das  folgende  and  that  ebenfalls  als 
Object  zu  thou  Mst  have  zu  fassen,  also:  du  möchtest  haben  das,  was 

dir  zuruft und  das,  was  du  eher  scheuest  zu  thun  als  ungethan 

wünschest,  d.  h.  Dunkans  Ermordung.'  Dasz  mit  den  Worten  if  thou 
have  it  die  Königskrone  nicht  gemeint  sein  kann  ist  klar ;  ganz  richtig 
lieht  Delius  die  Worte  and  that  zu  thou  ^dst  have.  Aber  die  Schwierig- 
keit des  Wortes  il  in  dem  Satze  if  thou  have  it  ist  durch  die  Erklärung 
von  Delius  noch  nicht  beseitigt.  So  lange  dieses  ü  in  dem  Texte 
sieht  ist  die  Stelle  nicht  verständlich;  wahrscheinlich  wollte  Shak- 
spere me  schreiben  und  liesz  sich  durch  die  Worte  That  which  cries 
xa.t7  verleiten.  Schreibt  oder  denkt  man  me  an  die  Stelle  von  <7,  so 
haben  die  Worte  einen  folgerichtigen  Sinn,  und  Lady  Macbeth  sagt: 
^Du  möchtest  das  haben,  groszer  Glamis,  was  dir  zuruft:  so  must  du 
handeln,  wenn  du  mich  hast  (d.  h.  den  gewissenlosen  Mut  zur  Ermor- 
dang),  und  das  möchtest  du  haben,  was  du  eher  zu  vollbringen  fürch- 
test als  unvollbracht  wünschest  (d.  h.  die  Ermordung  Dunkans).'  In 
der  Tieckschen  Uebersetzung: 

>    ^möchtest  gern 
Das  haben,  groszer  Glamis,  was  dir  zuruft: 
^Dies  must  du  thun,  wenn  du  es  haben  willst!' 


252  Shakspere  von  Delius. 

Und  was  da  mehr  dich  scheust  za  thon  als  dass 
Diuungethan  es  wAnschest' 

ist  if  IhoQ  have  it  unrichtig  wiedergegeben. 

Ferner  hätten  wir  über  eine  Stc;Ue  im  König  Lear  (3 ,  4  Delins 
S.  76)  eine  Aufklärung  von  Herrn  Delius  gewünscht;  wir  ifteinen  die 
Worle  des  Narren : 

When  priests  are  more  in  word  than  matter; 
When  brewers  mar  their  malt  with  water; 
When  nobles  are  their  tailors'^  tutors; 
No  heretics  burn^d ,  but  wenches^  suitors : 
When  every  case  in  law  is  right; 
No  squire  in  debt,  nor  no  poor'knight; 
When  slanders  do  not  live  in  tongues; 
Nor  cutparses  come  not  to  throngs; 
Whon  usurers  teil  their  gold  i^  the  field; 
And  bawds  and  whores  do  churches  build; 
Then  shall  the  realm  of  Albion 
Come  to  great  confusion: 
Then  comes  the  time,  who  lives  to  see't, 
That  going  shall  be  used  with  feet. 

Der  allgemeine  Sinn  dieser  Prophezeiung  isl  klar.  Der  Narr 
meint:  wenn  das  Sittengesetz,  das  in  einzelnen  concreten  Pfilleo  spe- 
cioU  bezeichnet  wird,  von  allen  wird  befolgt  werden,  dann  wird  ta 
Ueiche  von  Albion  grosze  Eintracht  und  Ordnung  herschen.  Den  Ge- 
danken des  Nachsatzes  drückt  der  Narr  in  seiner  Weise  einmal  In  der 
Form  der  Caricalur,  dann  in  einer  humoristischen  Wendung  ans.  Die 
Vordersätze  der  Prophezeiung  haben  in  der  Form  eine  grosse  Sya* 
metrie;  man  erwartet  dasz  diese  auch  in  dem  Sinne  sich  findet.  Aber 
die  beiden  ersten  Verse  weichen  von  den  folgenden  dem  Sinne  naeli 
unsymmetrisch  ab ;  denn  da  die  ganze  Prophezeiung  in  den  Vorder- 
sätzen nichts  anderes  ist  als  eine  poetisch  individualisierte,  darek 
concreto  Fälle  ausgedrückte  Darstellung  des  Begriffes  *niemalf%  so 
erwartet  man  von  dem  Dichter  den  Eingang:  *wenn  Priester  mehr 
sind  in  Thaten  als  in  Worten,  wenn  Brauer  nicht  ihr  Malz  doroh  Was- 
ser verderben'  usw.,  während  gerade  das  Gegentheil  steht.  Wie  ist 
diese  Erscheinung  zu  erklären?  sind  diese  beiden  ersten  Verse  der 
Prophezeihnng  ironisch  gesagt  und  charakterisieren  sie  speciftsch  die 
Sprache  des  Narren  ?  Denn  gewis  wird  niemand  von  den  sämtlielmi 
Versen  der  Prophezeiung  sagen,  was  WarbuMon  schreibt:  The  Jadi- 
cious  reader  will  observe  through  this  heap  of  nonsense  and  ••■- 
fusion,  that  this  is  not  one  but  two  propheoies. 

Eine  dritte  Stelle ,  über  welche  wir  von  einem  Interpreten  toi 
Delius^  Scharfsinn  und  Gelehrsamkeit  eine  längere  Erörternng  ge- 
wünscht hätten,  heben  wir  aus  Richard  II  hervor.  Der  König  sagt  zu 
Bolingbroke  und  Norfolk  (1,  3  Delius  S.  26) : 


Shakspere  von  Delius.  253 

Aad  for  our  eyes  do  bale  tbe  dire  aspect 

Of  civil  wounds  ploughM  ap  wilh  aeighbours^  swords , 

And  for  we  Ihink  tbe  eagle-winged  pride 

Of  sky-aspiring  anä  ambitious  Ihoughts, 

Witb  rival-hating  envy,  set  on  yoa 

To  wake  our  peace,  wbicb  in  our  coantry^s  cradle 

Draws  tbe  sweet  infanl  breatb  of  gentle  sleep; 

Wbicb  so  rous'd  up  wilb  boisterous  untunM  drums, 

Witb  barsb  resounding  trumpets,  dreadful  bray, 

And  grating  sbock  of  wbalbful  iron  arms, 

Alight  from  our  quiet  confines  fright  fair  peace, 

And  make  us  wade  even  in  our  kindreds  blood,  usw. 

Delius  bemerkt  zu  dieser  Stelle:  ^Die  folgenden  fünf  Verse  (And 
for  we  tbink  usw.  bis  breatb  of  gentle  sleep)  feblen  in  der  Fol.  VieU 
leicht  waren  sie  im  Bübnenmanuscript  gestrichen ,  da  sie  den  obnebia 
langen  Vordersatz  in  der  Rede  des  Königs  übermaszig  ausdehnen.  Man 
beachtete  dabei  nicht,  dasz  der  Relativsatz  wbicb  so  rousM  up  usw. 
sich  nur  auf  gentle  sleep  bezieben  läszt.'  Indessen  wenn  diese  fünC 
Verse  in  dem  Texte  stehen ,  so  tritt  uns  ein  anderer  Uebelstand  ein, 
eine  fast  unerträgliche  Wiederholung  tritt  uns  entgegen,  die  durch 
die  Hinweglassang  der  Nebenbestimmungen  recht  sichtbar  wird:  ^Der 
stolze  AdlerQug  himmelslrebender  und  ehrgeiziger  Gedanken  hat  euch 
gereizt  zu  wecken  unsern  Frieden,  der  in  unseres  Landes  Wiege  den 
süssen  Kindesa Ibem  holden  Schlafes  schöpft,  welcher  aufgeweckt  — 
ans  ansern  stillen  Grenzen  den  holden  Frieden  schrecken  möchte.' 
Gern  würden  wir,  um  die  schönen  fünf  Verse  zu  retten  und  doch  die 
listige  und  fast  verworrene  Wiederholung  zu  vermeiden,  uns  an  einen 
Englander  anschlieszen,  welcher  statt  fright  fair  peace  lesen  möchte 
be  affrighted,  wenn  die  vorgeschlagenen  Worte  mehr  als  blosze  Con- 
jectur  wären.  Wofern  man  aber  die  fünf  Verse,  wie  englische  Aus- 
gaben thun,  einklammert  und  damit  aus  dem  Texte  verbannt,  läszt 
sich  der  Relativsatz  wbicb  so  rousM  up,  den  Delius  nur  auf  gentle 
sleep  bezogen  wissen  will,  auf  swords  bezieben,  wodurch  eine  Per- 
soniftoation  von  swords  entsteht,  wie  sie  dem  Shaksperescben  Sprach- 
gebrauche  nicht  fremd  ist. 

Die  vierte  Stelle,  über  welche  wir  eine  ausführlichere  Erklärung 
gewünscht  hätten,  findet  sich  in  Romeo  und  Julie  (3,  2  Delius  S.  114). 
Wir  hofften  von  Delius  eine  Bestätigung  oder  Widerlegung  der  Er- 
klärung, welche  Halpin  (Tbe  Shakspeare's  Society^s  Papers  Vol.  II 
p.  114)  von  dem  Worte  runaway  gegeben  bat.  Die  Abhandlung  Hai- 
pins  ist  auszerordontlich  schön;  in  Bezug  auf  das  Wort  runaway  sucht 
er  zu  beweisen,  dasz  dasselbe  den  Cupido  bedeutet.  Delius  erklärt 
runaway  einfach  durch  ^Wegläufer  oder  Vagabunden';  aber  Halpins 
Abhandlung  ist  so  bedeutend,  seine  Erklärung  von  runaway  so  scharf« 
sinnig,  dasz  wir  von  einem  Manne  wie  Delius,  da  er  Halpin  nicht  bei- 
tritt, die  Gründe  dieser  Nichtübereinstimmung  gern  vernommen  hätten. 


254  Eine  neue  Rede  des  Hyperides. 

Wir  schlieszen  unsere  kurze  Anzeige  mit  dem  Wunsche,  die 
rastlose  Arbeit  des  Herrn  Deliur  möge  den  Erfolg  haben ,  dasx  das 
Studium  des  groszen  Briten  in  Deutschland  immer  mehr  sich  einbAr- 
gere.  Herr  Delius  hat  bereits  bewundernswerthes  ffir  das  Verst&nd- 
nis  Shaksperes  geleistet;  möge  er  Kraft  behalten  sein  grosses  und 
schönes  Werk  glücklich^  zu  Ende  zu  führen. 

Halberstadt.  Dr  C.  C.  Hense. 


12. 

Auffindung  einer  neuen  Rede  des  Hyperides. 


John  Hogg,  der  die  erste  Mittheilung  über  die  von  Ar  den  in 
Theben   aufgefundenen  Papyrus  mit  den  bald  darauf  von  Babington 
herausgegebenen  Reden  des  Hyperides  veröffentlicht  hat ,  berichtel 
im  Londoner  Athenaeum  vom  18.  Juli  1857  über  die  Auffindung  einet 
neuen  Manuscripts  durch  den  Rev.  Stobagt  aus  einem  Briefe  des  Rey. 
Churchill  Babington  von  Cambridge,  welcher  dasselbe  schon  im  Febraar 
und  März  d.  J.  auf  dem  britischen  Museum,  dessen  Verwaltongsratli 
(Trustees)  es  erkauft  hatte,  abgeschrieben  hat.    Das  sehr  beschädigte 
Manuscript  enthalt  etwa  12  Columnen  in  gröszerem  Format  als  das 
früher  von  Arden  anfgeftfndene,  steht  diesem  aber  an  Güte  und  Alter 
nach,  denn  es  reicht  wol  nicht  über  das  dritte  Jahrhundert  n.Chr. 
hinauf  und  hat  eine  barbarische  Orthographie.    Die  einzelnen  Frag* 
mente ,  deren  Ordnung  Babington  mit  vieler  Mühe  zu  Stande  gebracht 
hat,  sind  l)  eine  halbe  Columne,  welche  wahrscheinlich  die  zweite 
Hälfte  der  Anfangsseite  bildete;  2)  10  Columnen  unzweifelhaft  in  fort- 
laufendem Zusammenhange,  theilweise  verstümmelt,  die  wahrschein- 
lich auf  jene  erste  folgten;  doch  sind  zwei  derselben  sehr  verstümmelt, 
die  dritte  in  der  Mitte  zerissen;  3)  2  vollständige  Columnen  in  Zusam- 
menhang; 4)  eine  Viertelcolumne  für  sich;   5)  4 — 5  kleinere  Frag- 
mente, mit  denen  nichts  anzufangen  ist.    Nach  Babingtons  Annahme 
haben  wir  in  diesen  Fragmenten  den  gröszeren  Theil  des  berühmten 
Epitaphius  des  Hyperides,  da  sie  die  Erwähnung  des  Leosthenes, 
der  athenischen  Streitkräfte  und  ihrer  Verbündeten,  der  Stadt  Lamia 
und  Antipalers  enthalten,  Hyperides  aber  nach  Diodors  Bericht  (XVIII 
13)  eine  Leichenrede  nach  Leosthenes  Fall  im  Junius  oder  Julius  3S9 
hielt.    Ueberdies  hat  Babington  auch  ein  von  Harpocration  aus  dem 
Epithaphius  des  Hyperides  erwähntes  factum  in  dem  Manuscript  ge- 
funden.   Dasz  die  Rede  überhaupt  von  Hyperides  herrührt,  beweist 
schon  ein  Citat  des  Stobaeus  aus  einer  Rede  des  Hyperides :  tpoßrithv 
ov%  avÖQog  aneikiiv^  alka  vofiov  gxovtiv  kvqisvsiv  dsi  rav  ilev^^ 
Q(0Vy  welches  in -dem   Manuscript  mit  geringer  Abweichung  lautet: 
ov  yciQ  ccvdo.  kxX,  —  dei  xmv  evdccifwvGiv, 

Erfurt.  B.  Weiszenbom. 


Briefe  über  neuere  Erscheinungen  aaf  d.  6.  der  deutschen  Philol.  255 

(6.) 

Briefe  über  neuere  Erscheinungen  auf  dem  Gebiete  der 

deutschen  Philologie 

an  Herrn  Dr  S.,   Oberlehrer  am  Gymnasium  zu  B.  von  Dr  F.  Zacher, 
auszerordentlichem  Profei^sor  der  deutschen  Sprache  und  Litteratur  an 

der  Universität  zu  Halle. 

(Fortsetzung  von  S.  216  ff.) 


11. 

Doch  wir  wollten  ja  die  eigenen  kritischen  Grundsätze  des  Herrn 
Holtzmann  kennen  lernen. 

Auch  diese  hat  er  nach  seiner  uns  nun  schon  bekannten  Weise 
nicht  in  neiler  und  scharfer  Fassung  besonders  ausgesprochen.  Sie 
lassen  sich  jedoch  mit  genügender  Sicherheit  entnehmen  ans  den  all- 
gemeinen Betrachtungen,  welche  er  an  den  Beginn  seiner  Besprechung 
gen  des  Verhältnisses  der  .Texte  A  und  B  so  wie  der  Texte  B  und  C 
(S.  5  u.  17)  und  an  den  Schlusz  der  erstgenannten  Besprechung  (S.  16) 
gestellt  hat.  Die  erste  dieser  drei  Stellen  ist  im  siebenten  Briefe  ge- 
prüft, die  dritte  im  zehnten  Briefe  ausgehoben  worden;  die  zweite 
lautet  auf  S.  17  und  18  folgendermaszen : 

^ Dabei  müssen  wir  bemerken ,  dasz  allgemein ,  auch  von  Lach» 
mann,  der  Text  von  C  als  der  bessere  bezeichnet  wird.  Unleugbare 
Vorwge  musz  er  also  getois  haben.  Aber,  das  bessere  von  C  sei  eben 
erst  durch  Besserung  hineingekommen.  Der  Text  von  B  sei  zwar  we- 
niger  gut ^  aber  ursprünglicher^  älter^  echter.  Das  ist  nun  sehr  auf- 
fallend  und  gegen  alle  sonstige  Erfahrung^  dasz  das  bes- 
sere nicht  das  ursprüngliche  sein  soll  und  dasz  das  ur- 
sprüngliche offenbare  Mängel  und  Fehler  gehabt  haben  musz,,  die 
erst  allmählich  durch  verständige  Nachhülfe  entfernt  wurden.  Sonst 
ist  es  doch  bei  allen  Gedichten  Grundsatz  der  Kritik^  dasz 
diejenige  Lesarty  die  dem,  Zusammenhang  am  ange- 
messensten und  zugleich  die  schönste  und  genaueste 
in  Sprache  und  Vers  <5/,  für  die  echteste  erklärt  tper- 
den  musz^  von  der  die  andern  sich  um  so  weiter  entfernen ^  je 
schlechter  sie  sind.  Hier  soll  es  anders  sein^  weil  wir  hier  Ursprung^ 
liehe  Volkslieder  vor  uns  haben.  Werden  aber  die  Volkslieder  etwa 
besser  im  Munde  des  Volkes?  Lehrt  nicht  vielmehr  die  Erfahrung^ 
dasz  nichts  fürchterlicher  entstellt  wird  als  der  von  Mund  zu  Mund 
fortgehende  Volksgesang ,  von  dem  zuletzt  nichts  übrig  bleibt  als  die 
Melodie  und  vollkommen  sinnlose  Worte?  Aber  freilich  nicht  wäh- 
rend die  einzelnen  Lieder^  aus  denen  das  ganze  bestehen  soll^  noch 
im  Munde  des  Volkes  waren^  soll  die  allmähliche  Verbesserung  statt- 
gefunden haben  y  sondern  erst  nachdem  sie  zu  einem  geschriebenen 
ganzen  vereinigt  waren.  Der  erste  Sammler  habe  eben  nur  nothdürf- 
tig  die  ursprünglich  gar  nicht  für  einander  bestimmten  Lieder  neben 


256  Briefe  Gber  neuere  ErscheinüugeD  auf  d.  G.  der  deaUcheiniM« 

« 

einander  gestellt^  und  da  haben  dann  spätere  Dickter  VeranioiSMmg 
genug  gehabt  abzurunden  ^  auszugleichen  ^  zu  verbinden  und  m»  glät- 
ten. So  nun  soll  unser  Text  von  C  eine  absichtliche  VerbeueruMg 
sein  von  einem  ^  dem  der  ursprünglichere  Text  von  Bjhicht  genügte. 
Die  Sache  ist  von  vorn  herein  schwer  zu  glauben  ;  ein  ähnliches  Ver- 
hältnis zweier  Texte  desselben  Gedichtes  kommt  sonst  nirgendswo  vor; 
überall  sind  wir  gewohnt  echt  und  gut  für  gleichbedeu- 
tend zu  halten^  und  hier  sollen  wir  nun  sagen:  Je  schlechter  desto 
besser  und  Je  besser  desto  schlechter.  Doch  es  kommt  auf  die  Frohe 
an.   Wir  wollen  die  Sache  untersuchen,^ 

In  diesem  kurzen  Absätze  ist  wieder  so  viel  falsches  nnd  verkehr- 
tes zusammengewürfelt,  dasz  ich  wol  mehrere  Bogen  brauchen  wQrde, 
wenn  ich  alles  einzelne  auseinanderwickeln,  prüfen  und  beriebtigeu 
wollte.  Das  alles  zu  schreiben,  dazu  habe  ich  weder  Zeit  noch  Lost;' 
und  Ihnen,  verehrtester  Freund,  würde  nicht  minder  die  Geduld  aus- 
gehen, wenn  ich  Ihnen  zumuten  wollte  das  alles  zu  lesen.  Daher  greife 
ich  nur  die  wichtigsten  Banptsachen  heraus  und  überlasse  das  Obrige 
ganz  Ihrem  eigenen  gebildeten  philologischen  Urteile. 

Zunächst  nur  ein  paar  Worte  über  die  ^Volkslieder'. 

Hat  denn  der  Herr  Verfasser  ganz  und  gar  nicht  bedacht^  dasi 
jede  Entwicklung  nach  einem  ewigen  Naturgesetze  nicht  allein  ibre 
absteigende,  sondern  auch  ihre  aufsteigende  und  ihre  gipfelnde  Periode 
hat?  Wir,  die  wir  in  der  Zeit  der  Entartung  des  Volksliedes  leben, 
wir  kennen  aus  persönlicher  Erfahrung  freilich  nur  überwiegenden 
Verfall  und  Verschlechterung  des  Volksgesanges:  aber  muss  es  nieht 
eine  Zeit  gegeben  haben,  in  der  das  gerade  Gegentheil  stattfand,  in 
der  die  Volkslieder  im  Munde  des  Volkes  allerdings  besser  wurden 
oder  doch  werden  konnten?  Und  hat  er  denn  auch  hur  den  Schatten 
eines  Beweises  dafür  geliefert,  dasz  im  Beginn  des  13n  Jahrhunderts 
der  Volksgesang  im  Verfall  begriffen  gewesen  sei?  Weiss  er  denn 
gar  nicht,  was  Lachmann  zu  St.  1182  (S.  156  der  ^Anmerkungen')  Aber 
den  Stil  der  edleren  volksmäszigen  Poesie  des  13n  Jahrhunderts  be- 
merkt? Oder,  wenn  er  es  weisz,  warum  übergeht  er  es?  Und  ist  ilun 
denn  gar  nicht  zum  Bewustsein  gekommen  dasz  die  Lieder,  welche  naoii 
Lachmanns  Ansicht  unserem  Nibelungengedichte  unmittelbar  zu  Gründe 
liegen,  überdies  auch  etwas  wesentlich  anderes  waren  als  das,  was 
wir  heutzutage  gemeinhin  unter  dem  Namen  ^Volkslieder'  verstehen? 

Doch  das  ist  erst  ein  Punkt  zweiten  Ranges.  Der  eigentliche 
Kernpunkt  von  dem  Raisonnement  des  Verfassers  liegt  in  der  Behanp- 
tung:  es  sei  Grundsatz  der  Kritik  für  alle  Gedichte,  dasz  die  in 
jeder  Beziehung  angemessenste  unter  den  vorhandenen  Lesarten 
auch  die  echteste  sei,  oder,  mit  anderen  Worten,  dasz  diese  Lesart 
für  den  vom  Dichter  selbst  gewählten  und  gebrauchten  Ausdruck  oder 
doch  für  einen  demselben  ganz  nahestehenden  erachtet  werden  muss. 
Was  sagt,  verehrtester  Freund,  Ihr  logisches  und  philologisches  Ge- 
wissen  zu  dieser  fast  abenteuerlich  zu  nennenden  Behauptung?  Sagen 
Sie  nicht  dasz  der   Satz  vernünftigerweise  folgendermaszen  Unten 


Briefe  Aber  neuere  Erscheinungen  auf  d.  6.  der  deutoohmi  PMIbL  257 

müsse:  Bei  den  vorzGglichsten,  bei  den  im  engeren  und  eigentlichen 
Sinne  klassischen  Gedichten  der  KunstpoÖsieist  anzunehmen,  dasB 
der  Dichter  fast  überall  den  in  jeder  Beziehung  angemessensten  Aus- 
druck gewählt  habe?  Aber  darf  man  denn  den  Satz  geradezu  umkeh- 
ren? Darf  man  denn  sagen:  der  Dichter  wählt  jedesmal  den  ange- 
messensten Ausdruck;  folglich  ist  der  angemessenste  unter  den  ver- 
schiedenen bandschriftlich  vorhandenen  Ausdrücken  der  vom  Dichter 
gewählte?    Was  würde  Aristoteles  zu  solcher  Logik  meinen? 

Hat  denn  der  Herr  Verfasser  auch  nur  ein  einzigesmai  versnebt, 
ein  Stück  von  einem  Dichter  etwa  dritten  Ranges,  wie  z.  B.  von  Rudolf 
von  Ems,  kritisch  in  Ordnung  zu  bringen?  und  wenn  ers  versucht  hat 
ist  er 'nie  in  Gefahr  gerathen,  den  Text  besser  zu  machen  als  er 
wirklich  sein  darf,  als  ihn  der  Dichter  selbst  gemacht  hat?  Da  stehen 
sehiefe  Gedanken,  ungeeignete  Ausdrücke  in  der  Handschrift,  bei 
denen  es  dem  strengen  Kritiker  in  allen  Fingern  kribelt,  und  er  darf 
sie  doch  nicht  verbessern,  weil  der  Dichter  selber  nicht  scharf,  nicht 
streng  logisch  gedacht,  nicht  stets  das  passendste  Wort  gesucht  und 
gefunden  hat.  Ein  solcher  unlogischer  und  unpoätischer  Gehalt  ist  ja 
selbst  bei  leidlicher  Handschrift  oft  viel  schwieriger  zu  behandeln  als 
ein  klassischer  Meister  bei  schlechter  Ueberlieferung.  Und  das  wird 
doch  selbst  der  Herr  Verfasser  nicht  leugneli  können,  dasz  in  den  Ni- 
belungen neben  den  herlichsten  Strophen,  und  manchmal  unmittelbar 
daneben,  zuweilen  recht  mittelmäszige  stehen :  Strophen  ersten  Range» 
neben  Strophen  dritten  oder  gar  vierten.  Zu  seiner  Theorie  passl 
diese  Thatsache  freilich  nicht  eben  zum  besten:  aber  Thatsache  ists 
doch ,  und  der  Wahrheit  wird  er  doch  die  Ehre  geben  müssen ! 

Wenn  dem  aber  so  ist,  wenn  unleugbar  von  Haus  aus  verbes- 
serungsfähige Strophen  dritten,  vierten  Ranges  in  den  Nibelungen 
stehen,  und  wenn  mehrere  Redactoren  nacheinander  das  Lied  überar- 
beitet haben,  also  Männer,  die  vernünftigerweise  nicht  die  Absicht 
haben  konnten  den  Text  zu  verschlechtern,  sondern  nur  zu  verbessern : 
müssen  dann  nicht  in  guten  Handschriften  der  jüngeren  Recensionen 
Stellen  genug  vorhanden  sein,  die  einen  wirklich  oder  doch  scheinbar 
vorzüglicheren  Text  darbieten  als  die  entsprechenden  Stellen  der  älte- 
sten Recension?  müssen  dann  nicht  auch  jüngere  Lesarten  dem  Zn- 
sammenhange angemessener,  schöner,  in  Sprache  und  Vers  genauer  er- 
scheinen als  ältere? 

In  der  That,  der  vom  Herrn  Verfasser  an  die  Spitze  gestellte 
Grundsatz  ist  so  falsch,  sein  darauf  gebautes  Raisonnement  ist  so 
schief,  und^  die  echte  einfache  Wahrheit  liegt  so  auf  der  Hand,  dasB 
er  selbst  sich  ihr  nicht  ganz  entziehen  konnte,  und  dasz  er  da,  wo  sie 
ihm  einmal  ungesucht  in  den  Weg  lief,  darüber  unwillkürlich  sein 
vorausgeschicktes  Raisonnement  fast  ganz  vergessen  muste. 

Lesen  Sie,  verehrtester  Freund,  nur  folgenden  Satz,  der  auf  S.  36 
seines  Buches  steht:  ^ Immer  ist  darauf  zu  achten^  welche  Lesart  nitht 
nur  die  bessere  sei^  sondern  die  ältere^  aus  der  die  andere  enislan- 
den  sein  /rann.' 


258  Briefe  Ober  oeuere  ErscheinimgeD  auf  d.  G.  der  deotfolMM  Pülol. 

Streichen  Sie  ans  diesem  Satze  das  einzige  Wort  ^besser^^  wol- 
ohes  aas  dem  früheren  Raisounement  des  Herrn  Verfassers  hersUmnt, 
bringen  Sie  den  Rest  in  die  gewöhnliche  richtige  syntaktische  Form, 
und  was  erhalten  Sie  dann?  Sie  erhalten  den  Satz:  ^  1mm er  tsl 
darauf  au  achten^  welche  Lesart  die  ältere  sei^  aus  der 
die  andere  enlitanden  sein  kann,' 

Nan ,  und  dieser  Satz  ?  —  Nun  dieser  eben  so  einfache  als  ein- 
leuchtende Satz  ist  ja  bekanntlich  ein  Fundanientalsatz  der  Lachmano- 
sehen,  sowie  überhaupt  jeder  echten  Kritik.  Hatte  der  Herr  Verfasser 
ihn  rein  gehalten,  ihn  an  die  Spitze  seiner  ganzen  Untersuchung 
gestellt  und  lediglich  von  ihm  sich  leiten  lassen,  dann  wfire  er  zu 
ganz  anderen  Ergebnissen  gelangt,  und  sein  Buch  würde  ganz  ander» 
aussehen,  ja  vielleicht  —  gar  nicht  existieren. 

Beginnt  Ihnen  nun  völlig  klar  zu  werden,  verehrtester  Freand, 
in  welchen  Zauberkreis  des  Irthums  sich  der  Herr  Verfasser  gebannt 
hat  und  durch  welche  logische  Versehen  das  geschehen  ist? 

Stellen  Sie  jetzt  einmal  die  beiden  Hauptsätze  nebeneinander,  die 
er  S.  5  und  S.  18  an  die  Spitze  der  beiden  Tbeile  seiner  Untersachnn- 
gen  über  das  Verhältnis  von*  A  zvl  B  und  von  B  zu  C  gesetzt  hat.  Der 
erste  lautete:  ^Man  kann  im  allgemeinen  als  Grundsatz  auf  steile»^ 
dasü  von  verschiedenen  Handschriften  desselben  altdeutschen  Bueks 
die  längere  den  besseren  und  echteren  Text  habe,'  Der  zweite  lau- 
tete: Es  ist  ^ gegen  alle  sonstige  Erfahrung^  dasz  das  bessere  nicht 
das  ursprüngliche  sein  soll'  und:  ^es  ist  Grundsatz  der  Kritik  die  an- 
gemessenste Lesart  für  die  echteste  zu  erklaren,  und  »ir  sind  ge- 
wohnt echt  und  gut  für  gleichbedeutend  zu  halten,' 

Leuchtet  nicht  schon  aus  der  bloszen  unsicheren  Fassung  dieser 
beiden  Sfitze  deutlich  genug  hervor,  dasz  sie  im  Grunde  den  Herrn 
Verfasser  selbst  nicht  recht  befriedigt  haben?  Er  musz  doch  Bolh- 
wendig  wissen  dasz  maszgebenden,  die  ganze  Untersuchung  beatia- 
menden  Grundsätzen,  welche  an  die  Spitze  des  ganzen  gestellt  werden, 
apodiktische  Form  gebührt.  Warum  schreibt  er:  ^man  kann  auf-' 
stellen'^  ^wir  sind  gewohnt  zu  hallen' ^  und  nicht  in  apodiktisoher 
Fassung:  *der  längere  Text  ist  der  bessere',  *echt  und  gut  ist  gleich- 
bedeutend'? Hätte  er  sich  ein  Herz  gefaszt  diese  Sätze  in  ihrer  apo- 
diktischen Schroffheit  hinzustellen ,  sie  darauf  ein  wenig  schärfer  an- 
zusehen und  auch  nur  in  ihren  nächsten  Consequenzen  zu  verfolgen: 
es  hätten  ihm  wenigstens  einige  der  Gründe  unmöglich  entgehen  kön- 
nen, aus  denen  hier  im  siebenten  und  im  gegenwärtigen  elften  Briefe 
ihre  Verwerfung  unvermeidlich  gefolgert  werden  muste. 

Wie  er  aber  dieser  apodiktischen  Fassung  aus  dem  Wege  ge- 
gangen ist,  so  hat  er  es  auch  vermieden  die  beiden  unmittelbar  daraoa 
folgenden  Syllogismen  offen  hinzustellen: 

1)  der  längere  Text  ist  der  bessere 
C  hat  den  längeren  Text 

also  ist  der  Text  der  Recension  C  der  bessere. 


Briefe  aber  neaere  Erscheinungen  anf  d.  G.  der  deutschen  Phltol.   259 

2)  echt  und  gut  ist  gleichbedeutend ,  oder : 
das  bessere  ist  das  ursprüngliche 
nun  hat  C  den  besseren  Text 

folglich  ist  der  Text  der  Recension  C  der  ursprüngliche. 

Diese  beiden  Syllogismen  hat  der  Herr  Verfasser  allerdings  nicht  offen 
aufgestellt,  sie  sind  in  seinem  Buche  nirgend  ausdrücklich  zu  lesen, 
und  ich  bin  auch  sehr  bereit  anzunehmen,  dasz  er  sie  gar  nicht  beab- 
sichtigt hat ;  gleichwol  stecken  sie  fortwahrend  zwischen  den  Zeilen 
und  beherschen  seine  ganze  Darstellung. 

Ich  scherze  nicht,  verehrtester  Freund;  ich  will  auch  dem  Herrn 
Verfasser  nicht  das  geringste  andichten;  das  sei  ferne  von  mir!  Aber 
sehen  Sie  selbst  zu,  lesen  Sie  den  ganzen  bis  jetzt  besprochenen  ersten 
und  hauptsächlichsten  Theil  seines  Buches  (bis  S.59):  und  Sie  werden 
fast  auf  jeder  Seite  bemerken ,  wie  er  sich  zuweilen  ernstliche  Mühe 
gibt,  sich  windet  und  dreht  um  den  beiden  Syllogismen  zu  entkommen, 
and  wie  er  doch  immer  wieder  in  ihren  Bann  zurückfällt. 

Und  warum  hat  er  denn  ihren  Banden  so  durchaus  nicht  entrin- 
nen können?  Weil  er  versäumt  hat  die  verschiedenen  in  Betracht 
kommenden  Begriffe  streng  auseinander  zu  halten.  Da  finden  Sie  fort- 
während untereinandergeworfen,  oder  gar  verwechselt  und  identisch 
gesetzt  die  Begriffe:  Handschrift,  Text,  Recension;  Abschreiber, 
Schreiber,  Redaclor;  Verkürzung,  Verschlechterung;  gut,  echt,  alt, 
ursprünglich. 

Namentlich  ist  es  die  Gleichsetzung  von  gut  und  alt  und  die 
Verwechslung  von  alt  und  alter  th  um  lieh  die  ihn  auf  das  gefähr- 
lichste Glatteis  geführt  hat. 

Er  hat  ganz  übersehen  dasz  ^älter'  eine  absolute,  ^besser' 
dagegen  eine  relative  Bedeutung  hat.  Werden  zwei  verschiedene  Les- 
arten zweier  nicht  gleichzeitiger  Recensionen  mit  einander  verglichen, 
80  kann  doch  nur  die  eine  das  Prädicat  älter  erhalten,  denn  die 
andere  musz  nothwendig  jünger  sein.  Wol  aber  können  beide  das 
Prädicat  besser  verdienen,  weil  dies  ja  davon  abhängt  in  welche 
Beziehung  sie  gesetzt  werden.  Für  eine  Weihnachtsreise  ist  eine  Pelz^ 
mutze  besser  als  ein  Strohhut,  für  eine  Hundstagsreise  isis  gerade' 
umgekehrt.  So  kanu  die  eine  Lesart  in  metrischer,  die  andere  in 
grammatischer  Beziehung  besser  sein,  die  eine  besser  zum  poetischen 
Stile  des  Gedichtes,  oder  zum  Sinne  des  einzelnen  Satzes,  die  andere 
besser  zum  Zusammenhange  des  ganzen  passen.  Handelt  es  sich  also 
um  die  Altersbestimmung  zweier  oder  mehrerer  Jexte  oder  Recensio- 
nen, so  darf  zunächst  doch  nur  lediglich  eben  nach  dem  Alter  der 
betreffenden  Lesarten  gefragt  werden.  Jede  als  älter  erkannte  Lesart 
werden  wir  freilich  in  diesem  Falle  und  für  diesen  Zweck  auch 
die  bessern  nennen  dürfen,  aber  doch  nur  in  Folge  ihres  anderswo- 
her erkannten  höheren  Alters.  Dagegen  wäre  es  doch  vollkommen  wi- 
dersinnig, wenn  wir  die  Sache  umkehren ,  und  jede  aus  irgend  einem 
Grunde  und  für  irgend  eine  bestimmte  Beziehung  als  besser  erklärte 


260  Briefe  aber  neaero  Erscheinungen  aaf  d.  G.  der  dentsoliea  PUM. 

Lesart  eben  deshalb  auch  für  die  altere  ausgeben  wollten.  Es  wird  ja 
nicht  der  in  grammatischer,  metrischer,  stilistischer,  poetischer  oder 
irgend  welcher  andern  Beziehung  vollendetste  oder  beste  Text  gesucht, 
sondern  ganz  einfach  der  älteste  und  lediglich  der  älteste.  Ergäbe  sieh 
dann,  dasz  der  gesuchte  und  gefundene  älteste  Text  unter  mehreren 
vorhandenen  in  der  oder  jener  Beziehung  der  schlechteste  wilre,  dann 
würde  der  Forscher  dennoch  nicht  das  vom  Herrn  Verfasser  (S.  18) 
selbst  gemachte  und  dann  verspottete  Paradoxon :  ^je  schlechter  detio 
besser^  aufstellen,  d.  h.  er  würde  nicht  sagen:  weil  dieser  Text  in 
der  oder  jener  Beziehung  schlechter  ist  als  die  anderen,  ist  er  abso- 
Int  der  beste;  sondern  er  würde  sagen:  obgleich  dieser  Text  in 
der  oder  jener  Beziehung  schlechter  ist  als  die  andern,  ist  er  doch  fflr 
meine  Zwecke  der  beste,  denn  ich  bedurfte  den  Ältesten,  und  In  ihn 
habe  ich  den  ältesten  erkannt. 

Mindestens  ebenso  übel  hat  sich  der  Hr  Verf.  berathen  dnroh  die 
Verwechslung  von  ^  a  1 1 '  und  ^  a  1 1  e  r  t  h  fl  m  1  i  c  h ',  die  sich  durch  sein 
ganzes  Buch  zieht.  Ihr  zu  Liebo  hat  er  sich  viel  überflüssige  NQbe 
nicht  verdrieszen ,  und  sich  in  manche  Föhrlichkeit  verlocken  lassen. 
Der  filteste  Text  soll  durchaus  auch  das  alterthümlicbste  Aussehen  ha- 
ben nnd  das  alterthömliche  durchaus  auch  das  ursprüngliche  sein. 
Darnm  ist  dem  Herrn  Verfasser  ^alterthümlich'^  (oder  das  in  gleichem 
Sinne  gebrauchte  ^all')  ein  Hauptkriterium;  darum  spürt  er  flberall 
nach  alterthümlichcn  Formen  und  Ausdrücken;  darum  musz  der  Schrei- 
ber so  häufig  ein  alterthümliches  Wort,  oder  eine  alterthümliche  Con- 
struclion  nicht  me^r  verstanden  und  deshalb  den  Text  geändert  nnd 
sugleich  fast  regelmäszig  auch  eine  Verschlechterung  desselben  ver- 
schuldet haben ,  obschon  die  beiden  auszersten  Recensionen  höchstens 
um  wenige  Jahrzehnte  auseinander  liegen.  —  Znm  Belege,  dass  ich 
nicht  zu  stark  auftrage,  mögen  hier  nur  einige  Stellen  aus  dem  loletit 
besprochenen  Abschnitte  folgen: 

S.  10.  M  verstand  wol  nicht  mehr  das  ganze  Gewicht  der  Worte 
der  Brunhüde.^  —  S.  11.  ^Hier  ist  deutlich^  dasz  A  das  alte  nnd  sel- 
tene Worte  nicht  verstand,^  M  verstand  das  alle  Worf  nicht  mehr,* 
—  S.  13.  *  Ebenso  ist  dd  gestuont  durchaus  nicht  alter tkümliche  Les- 
art.* —  S.  14.  ^Wer  diese  Vergleichung  anstellt^  der  wird  überall 
mit  Verwunderung  fragen  aus  welchen  Gründen  die  Lesarten  von  A 
alter thiimlicher  ^  ursprünglicher  genannt  werden^  als  die  von  B*  -^ 
S.  15.  *  Vergeblich  sucht  man  in  A  alter thümlic her e  Wendungen  und 
Wörter.*  ^  Im  Gegentheil  hat  B  häufig  alte  seltene  Wörter  j  die  der 
Schreiber  von  A  nicht  mehr  verstand.*  —  S.  40.  *So  erweist  sich  die 
Lesart  von  C  als  ein  alterthümliches  Wort.*  ^Aüf  diese  Weise  setzt 
B  öfter  das  gewöhnlichere  an  die  Stelle  des  seltenem^  veralteten  und 
altmodischen  in  C*  S.  41.  ^B  verstand  das  Wort  nicht  mehr,*  *Das 
alle  Wort  wurde  nicht  mehr  verstanden^  daher  die  Aenderung  in  B,'* 
S.  42.  ^Die  Abschreiber  verstanden  es  (das  Wort  joch)  nicht  meAr, 
und  änderten.* 

Der  Herr  Verf.  hat  zwar  selbst  an  einer  späteren  Stelle  (S.  89) 


Briefe  Olber  nenero  ErscheiirangeD  auf  d.  6.  der  denlschen  PhRol.  261 

den  richligen  Satz  aufgestellt:  *  Es  versteht  sich  von  selbst^  dasz  Un- 
tersuchungen über  das  aussterben  der  Wörter  sehr  schmerig  sind; 
man  kann  mit  Bestimmtheit  behaupten^  dasz  ein  Wort  in  einer  ge- 
wissen Zeit  gebräuchlich  war  ^  aber  nie  mit  Sicherheit^  dasz  es  nicht 
mehr  gebräuchlich  war^.  Aber  nichtsdestoweniger  trägt  er  kein  Be- 
denken sich  immer  wieder  in  die  gefährlichsten  Altersbestimmungen 
einzulassen  und  darüber  kurzweg  abzusprechen.  Namentlich  kann  er 
dem  Texte  A  den  Mangel  der  vorausgesetzten  Alterthümlichkeit  nicht 
verzeihen.  Er  sagt  darüber  auf  S.  15 :  ^  So  hat  A  überall  den  allge- 
meineren^ puchcren^  farbloseren  Ausdruck  an  der  Stelle  des  be- 
stimmteren^ bezeichnenderen :  und  das  soll  ein  Beweis  von  Ursprüng- 
lichkeit sein?  Vergeblich  sucht  man  in  A  alter thümlic her e  Wendun- 
gen und  Wörter^  die  etwa  in  B  durch  jüngere^  zeitgemäszere  ersetzt 
wären.' 

Es  ist  nun  zwar  niemandem  eingefallen  zu  behaupten,  dasz  die 
Recension  A  deshalb  für  alter  zu  halten  sei,  weil  ihr  Text  den  all- 
gemeineren,  flacheren,  farbloseren  Ausdruck  habe;  wol  aber  wird  je- 
der kundige  zugestehen,  dasz  eine  solche  BeschafTenheit  des  Textes 
nicht  ausreichenden  Grund  abgäbe,  ihm  das  relativ  höhere  Alter  abzu- 
sprechen. Dieselbe  unbegründete  Voraussetzung  hat  auf  anderen  Lit- 
teratnrgebieten  schon  zu  ähnlichen  MisgrifTen  gefuhrt,  welche  als  war- 
nendes Beispiel  dienen  können. 

So  fand  vor  etwa  20  Jahren  Herr  von  Spruner  eine  Handschrih 
des  Paulus  Diaconus,  deren  meist  in  oratio  directa  fortschreitender 
Text  einen  so  frischen,  lebendigen,  bestimmten  Charakter  zeigte,  dasz 
der  Entdecker  ihn  sofort  auf  dieses  Merkmal  hin  für  den  Originaltext 
erklärte,  aus  welchem  der  gewöhnliche,  mehr  in  oratio  indirecta  ver- 
laufende Text,  mit  seinem  allgemeineren,  flacheren,  farbloseren  Ans- 
drncke  durch  Willkür  und  Verderbnis  entstanden  sei.  Dennoch  hat 
der  gelehrteste  und  feinste  Kenner  des  Paulus  Diaconus,  Bibliothekar 
Dr.  Bethmann  in  Wolfenbüttel,  seitdem  ganz  schlagend  bewiesen,  dasz 
Herr  von  Spruner  sich  geirrt  hat,  und  dasz  der  angeblich  flachere, 
farblosere  Text  ganz  einfach  wieder  in  sein  altes  Recht  als  Original- 
text eingesetzt  werden  musz. 

12. 

So  wären  wir  denn ,  verehrtester  Freund,  an  den  Schlusz  des  er- 
sten und  wichtigsten  Abschnittes  von  Herrn  Holtzmanns  Buche  gelangt, 
durch  welchen  die  Lachmannsche  Ansicht  von  der  chronologischen 
Aufeinanderfolge  der  drei  Recensionen  A^ B'  (T  heseUigi  werden  sollte. 
Was  der  Herr  Verfasser  durch  seine  Darstellung  geleistet  und  erreicht 
za  haben  meint,  das  hat  er  auf  S.  58  selbst  in  folgende  Sätze  summiert : 

*  Fassen  wir  nun  das  Ergebnis  unserer  Untersuchung  zusammen. 

Der  Text  von  C  ist  keinesweges  eine  Ueber arbeitung ^  eine  verbessernde 

Entstellung  oder  entstellende  Verbesserung  des  ursprünglichen  Textes ; 

sondern  C  kam  dem  ursprünglichen  Text  am  nächsten ;  C  gibt  densel- 

'  ben  allerdings  nicht  ganz  vollständig  und  ist  nicht  frei  von  Fehlern ; 


262  Briefe  über  neuere  Erscheinungen  auf  d.  6.  der  deotMhet  PhiM. 

aber  die  Lesarten  von  C  sind  immer  die  älteren^  edleren ,  benerem 
in  jeder  BeUekung, 

B  und  die  zahlreichen  Handschriften^  die  zu  dieser  Familie  ge- 
hören ,  geben  einen  abgekürzten ,  überarbeiteten  und  durch  9ieie  un- 
absichtliche Fehler  entstellten  Text,  Die  Quelle  ^  aus  welcher  B  ßon^ 
ist  zujar  nicht  gerade  unsere  Handschrift  C,  aber  eine  derselben  sehr 
nahe  stehende  und  oft  in  den  Fehlern  mit  derselben  übereinstimmende. 

Der  Text  von  A  ist  eine  nochmalige  Abkürzung  und  mü  ftaU" 
losen  Fehlern  vermehrte  Entstellung  von  B,  A  gibt  den  schleekiesUn 
Text.* 

Abgesehen  von  der  auch  hier  wieder  durchbrechenden  Vemen- 
gnng  und  Verwechslung  der  BegrifTe  älter  und  besser,  jflnger  iid 
schlechter,  nehmen  sich  diese  Satze  gar  nicht  übel  aus,  und  mSgei 
auf  sahireiche  Leser  auch  die  vom  Verfasser  beabsichtigte  Wirkang 
geübt  haben.  Für  uns  jedoch  leiden  sie  an  dem  empfindlichen  Uebei- 
stande,  dasz  sie,  in  Folge  unserer  vorgängigen  Beleuchtung,  ans  nicht 
als  bewiesene  Ergebnisse  gelten  können,  sondern  nach  wie  vor  blosse^ 
Behauptungen  sind  und  bleiben ,  die  nur  eben  an  das  Ende  des  Ab- 
schnittes gestellt  worden  sind,  während  sie  von  rechtswegen,  als  Boel 
unbewiesene  Behauptungen  ihren  gebührenden  Platz  am  Beginn  des 
ganzen  hätten  erhallen  sollen.  Denn  unsere  Beleuchtung,  am  noch 
diese  hier  übersichtlich  zu  recapitulieren,  hatte  vielmehr  zu  folgenden 
Ergebnissen  geführt: 

Die  beiden  von  dem  Herrn  Verfasser  an  die  Spitze  gestelUen 
Grundsätze ,  welche  seine  ganze  Darstellung  mehr  oder  minder  beher- 
schen,  haben  sich  entweder  als  falsch,  oder  als  unzulänglich,  und  mit- 
bin in  beiden  Fällen  als  verwerflich  erwiesen.  Falsch  sind  sie  dui, 
wenn  sie  in  allgemeiner  Fassung  ^dcr  längere  Text  ist  der  bessere' 
und  ^das  bessere  ist  das  ursprüngliche'  apodiktische  Geltung  haben 
sollen.  Unzulänglich  sind  sie  dann,  wenn  sie  partikular  gefasit  wer- 
den, als  ^der  längere  Text  pflegt  der  bessere  zu  sein',  und  ^das  bes- 
sere pflegt  zugleich  für  das  ursprüngliche  gehalten  zu  werden.'  Denn 
in  dieser  partikularen  Fassung  haben  sie  ja,  auch  ganz  abgesehen  von 
ihrer  Wahrheit,  keine  nolhwendigo  Anwendung  auf  die  Ueberliefernng 
des  Nibelungenliedes,  und  folglich  auch  keine  beweisende  Kraft  für 
das  relative  Alter  seiner  verschiedenen  Textesrecensionen. 
'  Den  Strophenuntepschied  vorweg  zu  besprechen,  erschien  als  ein 
methodischer  Fehler,  als  ein  erfolgloses  beginnen.  Denn  das  blose 
mehr  oder  minder  und  die  Vertheilung  der  differierenden  Strophen 
für  sich  zu  erwägen,  konnte  höchstens  zu  einer  WahrschciDlichkeit 
aber  zu  keiner  Gewisbeit  führen;  und  selbst  die  Wahrscheinlichkeit 
sprach  nicht  einmal  zu  Gunsten  der  Aufstellung  des  Herrn  Verfassers. 

Gewisheit  aber  ist  lediglich  nur  zu  erreichen  durch  Prüfung  der 
Texte,  durch  Vergleichung  der  Varianten ,  der  abweichenden  Lesarten. 
Und  handelt  es  sich  um  Ermittelung  des  relativen  Alters,  der  chrono- 
logischen Aufeinanderfolge  mehrerer  Texte,  so  ist  nur  ein  einsiges 


ftber  neuere  Erscbeinungeo  auf  d.  G.  der  deutseben  Pbilel.  263 

Kriterium  entscheidend ,  und  folglich  auch  nur  dieses  6ine  Beweismit- 
tel zulässig,  welches  sich  am  bequemsten  und  kürzesten  mit  einem 
Fremdausdrueke  bezeichnen  laszt:  das  Kriterium  der  Priorität.  Oder 
in  bestimmter  Fassung  für  unseren  vorliegenden  Fall:  wenn  alle  drei 
Recensionen  des  Nibelungenliedes  auseinandergehen  so  ist  von  allen 
dreien,  wenn  nur  zwei  auseinandergehen  von  diesen  beiden  mit  ein- 
leuchtenden und  überzeugenden  Gründen  darzuthun,  dasz  die  erste 
Lesart  nur  aus  der  zweiten,  die  zweite  nur  aus  der  dritten  entstanden 
sein  kann,  und  nicht  umgekehrt.  Der  Beweis  wird  für  die  einzelne 
Stelle  in  der  Regel  dann  als  geführt  gelten  dürfen;  wenn  die  zwei  oder 
drei  Lesarten  in  dieser  ^inen  Aufeinanderfolge  eine  ihren  Entstehungs- 
grnnd  aufzeigende  ungezwungene  Erklärung  finden,  während  die  ge- 
-  gentheilige  Annahme  entweder  gar  keine  oder  keine  genügende  Er- 
klärung erlaubt.  Der  Beweis  wird  für  die  ganze  Recension  als  geführt 
gelten  dürfen,  wenn  dargethan  ist,  dasz  die  gleiche  Erscheinung  sich 
durch  die  ganze  Recension  wiederholt.  Alle  übrigen  Kriterien,  die 
sich  etwa  kleiden  mögen  in  die  Stichworte:  Verkürzung,  Verschlech- 
terung, gut,  alterthümlich,  ursprünglich  u.  dgl.,  können  entweder  nicht 
das  beweisen  was  bewiesen  werden  soll,  oder  sind  überhaupt  nur 
Phrase,  und  folglich  sämtlich  nutzlos,  und  daher  unbedingt  zu  ver- 
werfen. 

Allerdings  hat  der  Herr  Verfasser  an  einigen  Stellen  zwar  auch 
zü  beweisen  versucht,  dasz  die  eine  Lesart  älter  sei  als  die  entspre- 
chende zweite,  aber  den  strikten,  durch  alle  drei  Recensionen  gehen- 
den Beweis  für  die  ungezwungene  und  aus  den  Entstehungsgrunden 
sich  erklärende  Begreiflichkeit  der  einen,  und  für  die  gleichzeitige 
Unbegreiflichkeit  der  entgegengesetzten  Recensionenfolge  hat  er  nir- 
gend geleistet.  Deshalb  war  es  auch  unnölhig  bei  der  Beurteilung 
dieser  Partie  seines  Buches  auf  die  Einzelheiten  einzugehen,  und  es 
genügte  vollkommen  auf  die  Schrift  des  Herrn  von  Liliencron  zu  ver- 
weisen, wo  die  Einzelheiten  des  Verhältnisses  von  B'  zu  (f  au^fü)irlich 
beleuchtet  sind. 

Bis  jetzt  ist  fast  nur  die  Logik  des  Herrn  Verfassers  in  Betracht 
gezogen  worden.  Sie  hat  nicht  Stand  gehalten;  vielmehr  hat  sich  vor 
der  Leuchte  der  Kritik  der  ganze  Bau  seines  ersten  und  grundlegenden 
Kapitels  wie  ein  Nebel  verfluchtigt.  Es  bedurfte  dazu  noch  keiner 
Erwägung  seiner  philologischen  Kenntnis  und  Technik:  auf  diese  ein- 
engehen wird  sich  später  Veranlassung  ergeben ,  und  dabei  wird  sich 

erweisen,  ob  es  besser  um  sie  bestellt  ist  als  um  seine  Logik. 

« 

^ier  könnte  ich  meinen  Brief  schlieszen;  denn  meiner  Aufgabe 
einer  Rechenschaft  über  des  Verfassers  Darlegung  seiner  Ansicht  von 
den  drei  Recensionen  des  Nibelungenliedes  darf  ich  mich  nun  wol  ent- 
ledigt glauben.  Aber  da  stehen  ganz  am  Ende  seines  ersten  Abschnit- 
tes (S.  59)  noch  folgende  merkwürdige  Sätze : 

^  Wir  haben  uns  durch  den  Machispruch  Lachmanns  bestimmen 
lassen ,  das  Gedicht  fast  immer  nur  in  der  schlechtesten  Verstumme- 

N.  Jahrb,  (.  Phü,  «.  Paed,  Bd  LXXVIll.  Hft  5.  18 


264  Briefe  aber  neuere  ErscheinongeD  auf  d.  G.  der  deatseben  PUlol. 

(ung  und  Enlsiellung  zu  lesen;  die  U  eher  Setzungen  halten  sich  mei- 
stens an  Lachmanns  Ausgabe.  Einen  viel  hessern  und  älteren^  einen 
durchweg  edleren  Text  liesz  man  unbeachtet  bei  Seite  liegen.  [Nach- 
dem nun  das  Verhältnis  der  Handschriften  dargestellt  ist,  wird  die 
Nation  sich  nicht  länger  mit  den  bisherigen  Ausgaben  und  lieber- 
Setzungen  begnügen;  sie  wird  verlangen,  dasz  ihr  einer  ihrer  host- 
barsten  Schätze  von  den  Gelehrten  in  der  ächtesten  und  würdigsten 
Gestalt  dargeboten  werde,' 

Ueber  diese  Schluszbetrachtang  hat  vielleicht  mancher  gleicbgil- 
tig  weggelesen,  oder  wol  gar,  befangen  durch  des  Verfassers  ent- 
schiedenes auftreten,  ihr  unbesehen  zugestimmt.  Ihnen  aber,  verehr- 
tester  Freund,  ist  es  sicher  nicht  unbemerkt  geblieben,  dass  ein  böchsl 
bedenkliches  Wort  drinnen  steckt,  und  Ihr  feiner  Sinn  hat  ohne  Zwei- 
fel sofort  gewahrt,  welche  unheilvolle  Perspective  sich  eröffnet,  wenn 
man  das  Wort  auszudenken  beginnt:  das  Wort  Nation!  Das  ist  in 
dieser  ßedeutuug  an  dieser  Stelle  und  in  dieser  Verbindung  ein  Anfrnf, 
den  ich  leider  kaum  anders  nennen  kann  als  leichtfertig;  ein  Aufruf 
der  ganz  darnach  angethan  ist,  unsere  gesamte  Wissenschaft  «ofs 
ernstlichste  zu  gefährden.  Soll  die  Nation ,  soll  das  gesamte  Heer  der 
sogenannten  gebildeten  Richter  sein  über  Fragen  solchen  Charakters, 
über  Fragen  die  nur  von  speciellen  Fachkennern  gelöst,  ja  eigentlich 
lediglich  von  solchen  überhaupt  nur  vollständig  begriffen  werden  kön- 
nen —  dann  wirds  nicht  lange  säumen,  dasz  Kleon  der  Gerber  regier! 
in  der  Gelebrtenrepublik. 

Und  dies  war  einer  der  gewichtigsten  Gründe,  die  mich  bewogen, 
die  mich  moralisch  genöthigt  haben,  in  dieser  Sache  auch  mein  Wort 
noch  in  die  Oeffentlichkeit  hinauszugeben,  indem  ich  an  den  Philologen 
von  Fach  mich  wende,  als  welchem  zufolge  seiner  philologischen 
Fachbildung  eine  wirkliche  Einsicht  in  die  Natur  der  Streitfrage  ond 
ein  Urteil  über  den  Werth  oder  Unwerth  der  dargebotenen  Lösang 
zuzumuten  ist.  Komme  ich  vielleicht  später  noch  einmal  anf  diesen 
Punkt  zurück,  so  wird  sich  zeigen,  dasz  ich  ihn  nicht  zu  streng  betont, 
nicht  den  Elephanten  aus  der  Mücke  gemacht  habe. 

Nun  aber,  Freund,  lassen  Sie  uns  das  Iloltzmannsche  Buch  auf  eine 
Weile  schlieszen.  Was  weiter  drin  steht  dreht  sich  um  Fragen,  die  er 
als  secundäre  betrachtet:  um  den  Verfasser  des  Nibelungenliedes  und 
*um  die  sogenannte  Li^dertheorie.  Wird  Ihnen  des  lesens  nicht  zu  viel,* 
so  verhoffe  ich  meine  Briefe  spater  auch  über  diese  ebenso  wichtigen 
als  anziehenden  Fragen  auszudehnen.  Inzwischen  denke  ich  Ihrem 
Wunsche  entgegenzukommen ,  wenn  ich  versuche ,  Ihnen  in  der  Kürze 
darzulegen,  ob  und  wie  sich  auf  Lachmanns  Wege  zu  einem  begründe- 
ten, stichhaltigen  Urteile  über  das  relative  Alter  der  drei  Recensionen, 
und  zu  einem  kritisch  ausgearbeiteten ,  allen  vernünftigen  Anforderan- 
gen  genügenden  Texte  des  Nibelungenliedes  gelangen  läszt. 


O.  L.  Roth:  kleine  Schriften  padag.  o.  biograph.  Inhalti.     265 

13. 

Kleine  Schriften  pädagogischen  und  biographischen  Inhalts ,  mit 
einem  Anhang  lateinischer  Schriftstücke.  Von  Carl  Lud- 
toig  Roth^  th.  Dr^  Gymnasial-Rector^  Oberstudienrath^  JRi7- 
ter  des  Ordens  der  W.  K.  Stuttgart.  1857.  J.  F.  Sleinkopt 
Erster  Band  VII  u.  446  S.    Zweiter  Band  440  S. 

Wenn  ein  Schulmann  von  der  ernsten,  strengen  Tüchtigkeit,  von 
der  vielseitigen  und  reichen  Erfahrung,  wie  €.  L.  Roth,  in  einer 
Sammlung  von  Reden  und  kleineren  Aufsätzen  uns  die  Beobachtungen 
and  Ueberseugungen  mittheilt,  welche  sich  ihm  während  einer  Reihe 
von  Jahren  in  verschiedener  amtlicher  Stellung  aufdrängten,  so  werden 
diese  Gabe  jüngere  und  ältere  Schulmänner,  die  ihre  Pflicht  nicht  leicht 
nehmen,  Schulfreunde  und  Schulvorstände,  welche  die  Bedeutung  der 
gelehrten  Schule  für  das  Leben  zu  würdigen  wissen,  mit  Dank  aner- 
kennen und  gern  J)enützen.  Es  mag  zwar  anszer  der  Kunst  zu  regie- 
ren nicht  wol  eine  andere  geben,  in  welcher  sich  das  grosze  Publicum 
leichter  für  urteilsfähig  hält,  und  ohne  die  Jugend  und  ihre  wahren 
Bedürfnisse  recht  zu  kennen,  sieh  befähigt  glaubt,  in  Fragen  der  Schule 
mitzusprechen;  doch  weisz  der  überlegendere,  dasz  auch  lehren  und 
erziehen  gelernt  sein  will,  und  wie  wäre  dies  sicherer  möglich,  als  an 
freVnder  und  eigener  Erfahrung?  Wol  dem  Schulmann,  der  durch  ge- 
wissenhafte Benützung  fremder  Erfahrungen  vor  eigenen  MisgrifTen 
sich  zu  wahren  verstund;  wol  den  Schulen,  die  von  Anfang  an,  und 
nicht  erst  nachdem  sie  Gegenstand  verschiedener  Experimente  gewor- 
den waren,  der  rechten  Leitung  und  Methode  sich  erfreuen  durften ! 

Die  Mittheilungen  des  Verfassers,  aus  den  Jahren  1822 — 1857 
herrührend,  umfassen  sehr  verschiedene  Wirkungskreise,  welchen  der 
Vf.  als  Rector  zu  Nürnberg,  Ephorus  des  evang.  Seminars  zu  Schön- 
thal, Rector  des  Stuttgarter  Gymnasiums  und  Mitglied  des  Studienraths 
angehörte.  Wir  erhalten  erstlich  Amtsreden,  und  zwar  im  ersten 
Bande  19,  nemlich  1)  von  der  Erziehung  im  Unterricht;  2)  ob  die 
Menschheit  fortschreite  ?  3)  von  der  Pflicht  ein  gutes  Beispiel  zu  ge- 
ben; 4)  über  den  Bestand  des  Unterrichts  in  den  fünf  jungem  Klassen 
der  Studienanstalt  zu  Nürnberg;  5)  die  Pflicht  der  äuszern  Bildung;  6) 
Qber  Preise  in  der  Schule;  7)  die  protestantische  Schule;  8)  von  der 
Theilnahme  der  Jugend  an  den  Zeitbegebenheiten;  9)  ob  der  klassische 
Unterricht  bildend  fürs  Leben  sei?  10)  von  der  Pflege  der  Vaterlands- 
liebe; 11)  von  der  Pflege  des  Gehorsams;  12)  von  der  Wahl  eines 
wissenschaftlichen  Berufes;  13)  von  der  rechten  Art  d^s  studierens; 
14)  vom  Bestände  des  Unterrichts  in  der  lat.  Schule  und  im  Gymna- 
sium; 15)  der  Weg  zur  Wissenschaft  und  der  Weg  zur  Industrie;  16) 
zur  Geschichte  des  nürnbergischen  gelehrten  Schulwesens  im  16n  und 
17n  Jahrhundert;  17)  der  Segen  der  Buchdruckerkunst;  18)  Anfange 
der  Kirchenreformation  in  Nürnberg;  19)  Abschied  vom  Rectorat  und 

18' 


266     C.  L.  Roth:  kleine  Schriften  pädag.  u.  biograph.  Inhalts/ 

von  dor  Stadt  Nürnberg.  Im  zweiten  Bande  3,  nemlich  l)  zum 
Antritt  des  Gymnasial -Rectorats  in  Stuttgart;  2)  bei  Eröffnung  des 
Pensionats  und  zur  Einführung  des  neuen  Gymnasialrectors  in  Ulm; 
3)  wie^  die  Beschäftigung  mit  dem  klassischen  Alterthum  der  religio- 
sen  Jugendbildung  förderlich  sein  könne.  PädagogischeAbhand- 
langen  finden  sich  im  ersten  Bande  folgende:  1)  Wünsche,  an  die 
Eltern  der  Schüler  gerichtet;  2)  Empfehlung  gemeinschaftlicher  Sing- 
end Turnübungen ;  3)  zerstreute  Blatter  eines  Schulmannnes ;  4)  Manu- 
Script  für  Eltern ,  deren  Söhne  in  der  Studienanstalt  zu  Nürnberg  un- 
terrichte! werden;  5)  aus  einer  Anzeige  des  Klumppschen  Werkes: 
die  gelehrten  Schulen;  6)  zur  Frage  über  die  Principien;  7)  Bericht 
an  den  kön.  Studienrath  in  Stuttgart,  betr.  die  Mängel ,  welche  an  den 
im  Herbst  1844  in  das  niedere  evang.  Seminar  Schönthal  eingetretenen 
Zöglingen  wahrgenommen  worden  sind;  8)  zur  Beantwortung  der 
Frage:  aus  welcher  Facultät  Gymnasiallehrer  genommen  werden  sol- 
len? 9)  Begründung  des  Antrags:  dasz  in  den  vier  obern  Gymnasial- 
klassen und  in  den  betreffenden  Klassen  der  parallelen  Anstalten,  im- 
mer nur  ^in  Lateiner  und  ^in  Grieche  gleichzeitig. behandelt  werden 
sollen;  10)  Erlasz  des  kön. Studienraths  in  Stuttgart:  Pflege  der  Hand- 
schrift; 11)  schriftliche  Ansprache  an  Eltern  und  Pflegeeltern;  12) 
Andeutung  einiger  Umstände,  welche  das  gedeihen  des  Schulunterrichts 
bei  Knaben  und  Jünglingen  aus  den  höheren  Ständen  zu  erschwerei| 
scheinen.  Im  zweiten  Bande  flnden  sich:  Briefe  des  altern  an  den  jun- 
gem Schulmann.  Es  folgt  dann  biographisches:  l) Erinnerung^ an 
die  Königin  Katharina  von  Württemberg;  2)  Kaspar  Hauser;  3)  Noti- 
zen über  einen  merkwürdigen  Verbrecher  geistlichen  Standes ;  4)  Fran- 
zesco  Spieras  Lebensende;  5)  Nachricht  von  dem  Leben  P.  W.  Mer- 
kels, von  Friedr.  Roth ;  6)  Johann  Merkel ;  7)  Erinnerung  an  drei  Leh- 
rer des  Gymnasiums  in  Stuttgart,  J.  A.  Werner,  Chr.  Fr.  Roth,  Fr. 
Ferd.  Drück;  8)  zur  Erinnerung  an  C.  Job.  Fr.  Roth.  Ein  Anhang 
enthält  l)  oratio  saecularis ,  habita  in  curia  Noribergensi  X  Kai.  Jan. 
1826;  2)  de  satirae  natura;  3)  de  satirae  romanae  indole  einsdemqve 
de  ortu  et  occasu. 

Es  spricht  sich  in  diesen  Mittheilungen  in  schlichter,  kerniger 
Sprache  ein  ernster  Geist  aus,  der  die  Schule  über  den  engen  Gesidits- 
kreis  der  materiellen  und  zeitlichen  Interessen  empor  weist  za  dem 
^inen  ewigen  Ziel,  der  nicht  in  schwächlicher  Nachgiebigkeit  den 
Forderungen  und  Strömungen  der  Zeit  Rechnung  trägt,  der  nicht  «of 
jeden  Wind  einer  neuen  Lehre  lauscht,  der  festhält  an  dem  durch  die 
Erfahrung  erprobten.  Dasz  es  zeitgemäsze  Fragen  sind,  welche  erör- 
tert werden ,  ersieht  man  aus  der  Inhaltsangabe.  Wie  manches  Wort 
wird  hier  def  erfahrene  Schulmann  finden ,  das  ihm  gleichsam  aus  der 
Seele  genommen  ist,  oder  womit  entschiedener  dasjenige  ausgespro- 
chen ist,  worüber  er  minder  mit  sich  einig  war,  wie  manches  der  jün- 
gere,-das  ihn  aufmerksam  macht  auf  die  rechte,  erfolgreiche  Weise 
der  Amtsführung,  oder  das  ihn  warnen  kann  nicht  zu  schnell  von  dem 
blendenden  neuen  sich  hinreiszen  zu  lassen.    Manche  ernste,  der  Be- 


G.  L.  Roth:  kleine  Scbrifleo  pädag.  u.  biograpb.  Inhalte.     267 

hersigung  werthe  Wahrheiten  enthalten  schon  die  frühesten  Reden 
snd  Aufsätze,  und  .Ref.  würde  die  Grenzen  einer  Anzeige  Überschrei- 
teo  müssen,  wollte  er  alle  die  Aussprüche  des  Verfassers  mittheilen, 
die  als  Früchte  eigener  Beobachtung  sich  darstellen,  und  eben  so  wahr 
wie  für  die  Erziehung  wichtig  sind.  Es  gehören  dahin  z.  B.  (l)  die 
Mahnung  an  den  Lehrer  unterrichtend  zu  erziehen,  vor  allem  den 
Willen  anzuregen  und  zu  stärken,  die  Warnung,  nicht  alles  leicht  und 
angenehm  machen  zu  wollen,  wobei  die  Tüchtigkeit  und  der  Genusz 
verloren  gehe.  Denn  in  der  That:  r^$  aQttrjg  fd^cora  ^iol  nqcaciqoi- 
&ev  ld'ri%av,  und  was  leicht  gewonnen  wird,  wird  auch  leicht  verloren. 
^Lasse  man  den  Erziehern  ihren  schönen  Beruf,  für  die  Ewigkeit  zu 
erziehen,  so  werden  sie  für  das  Leben  branchbare  Jünglinge  erziehen. 
Halten  die  Erzieher  und  Lehrer  ihren  Blick  dahin  gerichtet,  so  werden 
sie  über  das,  was  zum  Leben  nöthig  ist,  nicht  irren  können.  Der  Un- 
terricht sei  deswegen  erziehend!  Was  die  Phantasie  bändigt,  was  den 
Geist  anstrengt  und  des  träumens  entwöhnt,  was  richtig  denken  lehrt, 
was  die  Gedächtniskraft  stärkt,  endlich,  was  das  Herz  bessert,  zur 
Ifacbeiferung  und  Selbstüberwindung  spornt,  das  sei  allein  Gegenstand 
des  lehrens  und  des  lernens.  Dagegen  was  eine  Geistesarbeit  zu  sein 
scheint,  während  es  nur  ein  Spiel  ist,  was  die  Sinnlichkeit  und  Eitel- 
keit nährt  statt  sie  zu  bändigen,  das  werde  oder  bleibe  weit  von  uns 
Yerbannt'  (S.  17).  S.  343  mit  Rücksicht  auf  neue  Methoden,  welche 
nagische  Erfolge  und  eine  neue  Aera  im  Erziehungswesen  verspre- 
chen. ^Man  nimmt  die  Opposition  gegen  das  bestehende  aus  der  Wirk- 
lichkeit' (oft  nur  ihren  dunkelsten  Partien)  '  und  die  Empfehlung  des 
neuen ,  das  da  kommen  soll ,  aus  der  idealen  Welt.'  S.  352  (wo  von 
den  Frincipien  die  Rede  ist  [6],  dasz  nicht  das  Wissen ,  sondern  Bil- 
däog  Zweck  der  Schule  sein  müsse)  ^wenn  irgend  etwas  in  unsern 
gegenwartigen  Schulzuständen  einer  genauen  Untersuchung  seines 
noralischen  Gehaltes  bedarf,  so  sind  es  ganz  vorzugsweise  die  Prü- 
fingen.  Man  frage  die  tüchtigsten  und  wiszbegierigsten  Studenten, 
wie  sie  sich  für  das  Exaftien  vorbereiten,  und,  wenn  sie  es  mit  Ehren 
hastenden  haben,  was  ihnen  von  den  Schätzen  des  Wissens  bleibe, 
wMche  sie  in  der  Prüfung  auszulegen  gehabt  haben.  Die  Art  der  Vor- 
bereitung fü^s  Examen  ist  der  rechten ,  fruchtbaren  Weise  des  studie- 
reiis  diametral  entgegengesetzt,  die  Frucht  dieser  Vorbereitung  ist 
(aoszer  der  errungenen  Note)  Ermüdung,  Abspannung  und^Ueberdrusz. 
Prtifangen  sind  allerdings  nothwendig;  aber  eben  die  unnatürliche 
Manigfaltigkeit  der  Gegenstände ,  worin  geprüft  wird ,  erzeugt  jene 
▼ollständige  Verschiedenheit  des  uneigennützigen  lernens  von  der 
Vorbereitung  auf  die  Prüfung.'  S.  359  wird ,  nachdem  über  die  Ab- 
nahme wahrer  Bildung  geklagt  worden  ist,  mitgetheilt,  was  dem  Verf. 
ein  älterer  Freund,  dessen  Geburtstadt  Sitz  eines  Regierungscolle- 
ginms  war  und  ist,  aus  seiner  Erfahrung  erzählte:  *vor  etlichen  und 
vierzig  Jahren  hatte  jeder  der  Räthe  irgend  eine  wissenschaftliche 
Liebhaberei,  welche  seine  Erholung  zu  Hause  ausmachte,  wenn  er  von^ 
den  Sitzungen  heimkam  oder  mit  der  Arbeit  fertig  war.  Jetzt  weiss 


268     C.  L.  Roth:  kleine  Schriften  pädag.  a.  biograph.  lahafltg. 

man  von  dergleichen  nichts  mehr:  die  freie  Zeit  gehört  der  Geaell« 
Schaft.'  S.  574.  ^Wer  Mathematik  gründlich  studieren  will,  hat  keine 
Zeit,  auch  Latein  und  Griechisch  gut  zu  lernen,  und  was  man  obenhin 
lernt  fruchtet  ja  nichts.  Aber  gerade  ebenso  haben  diejenigen,  welche 
Latein  und  Griechisch  gründlich  studieren ,  und  daran  sich  bilden  wol- 
len, keine  Zeit  Mathematik  daneben  zu  lernen,  und  ebensowenig,  was 
z.  B.  auf  preuszischen  Gymnasien  ist,  Naturgeschichte  und  Physik. 
Man  tauscht  sich  hierin  gar  leicht  damit,  dasz  man  glaubt,  die  mensch- 
lichen Köpfe  seien  ebenso  beschaffen,  wie  die  Tabellen,  auf  denen  man 
die  Lebrplane  aufzeichnet.'  Wenn  Ref.  die  letzte  Aeuszerung  nichl 
ganz  zu  der  seinigen  machen  möchte,  obwol  er  auch  hier  in  der  Grund- 
anschauung  mit  dem  Vf.  übereinstimmt,  so  gibt  es  noch  anderes,  worin 
er  entschiedener  von  dem  Vf.  abweicht.  Ref.  findet  z.  8.  in  dem  An- 
trag, dasz  in  den  vier  oberen  Gymnasialklassen  und  in  den  betreffen- 
den Klassen  der  parallelen  Anstalten  immer  nur  ^in  Lateiner  und  €\n 
Grieche  gleichzeitig  behandelt  werden  sollen  (I  9  S.  405 — 422)  zwar 
manche  Wahrheit  ausgesprochen,  die  Beherzigung  verdient,  er  erkennt 
es  mit  dem  Vf.  als  eine  ernste  Aufgabe  der  gegenwärtigen  Pädagogik 
möglichst  der  Zersplitterung  entgegenzuarbeiten,  welche  aus  dem  mo- 
dernen vielerlei  über  die  Schule  gekommen  ist  und  uns  auf  geradem 
Wege  dem  glänzenden  Ziel  entgegenzuführen  droht:  in  omnibaa  ali- 
quid, in  toto  nihil;  er  ist  mit  dem  Grundsatz  einverstanden,  dass 
gleichzeitig  möglichst  wenige  Gegenstände,  diese  aber  in  einer  grösie- 
ren  und  genügenden  Anzahl  von  Stunden  den  Schüler  beschäftigen 
sollen,  dasz  z.  B.  eine  Zersplitterung  des  griech.  Unterrichts  in  2  St. 
Plutarch,  2  Memorabilien,  1  griech.  Anthologie  fehlerhaft  ist,  aber  er 
kann  den  Folgerungen  nicht  beitreten ,  welche  der  Verf.  S.  419  f.  aus- 
spricht: Venu  wir  dieses  thun,  dasz  man  also  eine  ganze  längere  Zeit 
von  den  Lateinern  nur  Livius,  dann  wieder  nur  Vergil  usw.  and  von 
den  Griechen  ebenso  immer  nur  ^inen  liest,  so  haben  wir  folgende 
Vortheile,  für  deren  Wirklichkeit  ich  nach  vieljähriger  Beobacktug 
einstehe.  Es  wird  erstens  diejenige  Zerstreuung  der  VorBtellangen 
ferne  gehalten,  welche  die  nothwendige  Folge  des  gleichzeitigen  lesens 
mehrerer  Schriftsteller  derselben  Sprache  ist,  und  der  Geist  des  Sohfl- 
lers  nimmt  den  Eindruck  von  dem  eben  vorliegenden  Autor  williger 
und  mit  Theilnahme  auf.  Zweitens  überwindet  der  Schüler  die  Schwie- 
rigkeiten des  Ausdrucks,  der  Satzbildung,  auch  die  des  Stoffes,  welche 
bei  den  Autoren  nach  ihrer  Zeit  und  Individualität  verschieden  sind, 
leichter  und  in  kürzerer  Zeit,  oder  vielmehr:  er  kann  auf  diese  Weise 
jene  Schwierigkeiten  wirklich  überwinden,  während  er  sie  bei  jener 
vielfachen  Theilung  niemals  überwindet.  Eben  dadurch  kann  mtn 
drittens  schneller  und  dadurch  mehr  lesen,  ohne  der  Grflndliohkmt 
der  Erklärung  Eintrag  zu  ihun.  Viertens  ist  es  im  Unterricht  ein 
groszer  Gewinn,  nach  der  Aneignung  und  Bewältigung  des  ^inen 
Stoffes  dem  Schüler  zu  einem  ganz  neuen  führen  zu  können,  so  dasz 
derselbe  mit  einer  gewissen  Neugierde  den  neuen  Stoff  erfaszt.  End- 
lich ist  am  Ende  des  Gymnasialcurses  ein  vollständigerer  Erfolg  des 


0.  L.  Roth:  kleine  Schriften  pädag.  u.  biograph.  Inhalts.     269 

klassischen  Unterrichts   zu  erwarten,  so  dass   durch  denselben  der 
Schüler  auf  die  Universität  in   dem  Grade  vorbereitet  ist,  welcher 
eben  durch  den  klassischen  Unterricht  erzielt  werden  soll.'  —  Der 
Yf.  kennt  nur  eine  Einwendung  (S.  420)  Masz  die  eine  Zeit  lang  allein 
behandelten  Dichter  einen  nachtheiligen  Einflusz  auf  die  Compbsition 
ansüben  könnten',  welche  Einwendung  beim  Griechischen  (weil  hier 
keine. Compositionen  statt  Qnden  sollen)  wegfalle,  beim  Lateinischen 
ebenfalls  keine  Beachtung  verdiene,  weil  hier  eine  poetische  Färbung 
des  Stils  keineswegs  nachtheilig  sei.    Ueber  die  griechischen  Compo- 
sitionen  würde  der  Vf.  freiKch  nicht  so  leicht  weggehen,  wenn  er  den 
griechischen  Studien  die  gleiche  Bedeutung  wie  den  lateinischen  bei- 
legen  wollte  und  nicht  selbst  den  Wegfall  der   Compositionen   im 
Griechischen  bevorwortet  hätte.   Indessen  Ref.  will  hier  auf  die  Klage, 
wie  die  Gründlichkeit  in  der  Erkenntnis  der  griechischen  Sprache 
dorch  Vernachlässigung  der  Compositionen  gefährdet  wird,  nicht  wei- 
ter eingehen,  er  will  nur  auf  ein  doppeltes  hinweisen.   Sollte  nicht  za 
befflrchten  sein,  dasz  wenn  nach  diesem  Vorschlage  im  Griechischen 
oder  Lateinischen  ein  Prosaiker  mit  Ausschlusz  des  Dichters  gelesen 
wird,  die  Neigung  zu  diesem  längere  Zeit  keine  Befriedigung  findet, 
and  umgekehrt  die  Neigung  zur  Prosa?   Das  Auskunftsmittel,  gleich- 
leitig  in  der  einen  Sprache  einen  Dichter,  in  der  andern  einen  Prosai- 
ker ZQ'^lesen,  wird  nicht  ausreichen,  indem  die  Zeiten,  welche  in  der 
einen  und  der  andern  Sprache  e^em  Autor  zu  widmen  sind,  nicht  im- 
ner  zosammentreiTen.    Ohnehin  würde  auf  diese  Weise  der  Zweck,  in 
jeder  Sprache  immer  das  Interesse  aller  zu  fesseln,  sowol  derer, 
welche  vorzugsweise  von  ^Werken  der  Dichtkunst,  als  derer,  welche 
Ton  prosaischen  Schriften  vornemlich  sich  angezogen  fühlen,  nicht  er- 
reicht werden.   Doch  Ref.  will  hierauf  kein  zu  groszes  Gewicht  legen, 
aber  ihm  und  andern  ist  das  Bedenken  gekommen,  ob  nicht  durch  Con- 
eentrierung  aller  lat.  oder  griech.  Expositionsstunden  je  anf  ^inen  Au- 
tor auch  in  strebsamen  Schülern  zuweilen  eher  Uebersättigung   als 
Steigerung  des  Interesses  hervorgerufen  werde.    Indessen  auch  hierin 
liegt  noch  nicht  das  Hauptbedenken,  das  Ref.  gegen  diesen  Vorschlag 
hegt,  welcher  ihm  mehr  doctrinär  als  praktisch  und  aus  der  Natur  der 
Objecto  und  Subjecte  geschöpft  scheint.    Der  wichtigste  Einwurf  ist 
.Yielmehr  der,  dasz  hierdurch  eine  unnatürliche  Zersplitterung  der  Le- 
otfire,  eine  Zerreiszung  des  innerlich  zusammengehörigen  entsteht.  Wenn 
in  der  poetischen  und  prosaischen  Leetüre  des  Griechischen  oder  des 
Lateinischen  ein  natürlicher  Zusammenhang  und  passender  Fortschritt, 
so  dasz  das  eine  in  dem  andern  seine  Vorbereitung  oder  seine  charak- 
teristischere Auffassung  findet,  nothwendig,  so  ist  die  Unterbrechung 
s.  B.  der  poetischen  Leetüre  durch  die  prosaische  und  umgekehrt  un- 
natürlich und  unthunlich.  Das  ist  besonders  im  Griechischen  schlagend 
nachzuweisen.   Wer  es  bedenkt,  wie  die  griechischen  Tragiker  oder 
Lyriker  in  ihren  Mythen  und  ihrer  Spracl^e  an  Homer  anschlieszen, 
wird  es  nicht  gerathen  finden  können  zwischen  Homer  und  die  lyrische 
oder  dramatische  Poäsie  einen  Prosaiker  einzuschieben,  den  natürlichen 


270     C.  L.  Roth :  kleine  Schriften  pädag.  u.  biograph.  Inhatttf. 

Zasammenhang  zwischen  ihnen  zu  unterbrechen,  und  auf  die  Fördernng 
des  Verständnisses  zu  verzichten,  welche  das  eine  aus  dem  andern 
schöpfen  kann.  Liegt  schon  in  der  Zerreiszung  dieses  natürlichen  Zn- 
sammmenhangs  ein  Misstand,  so  entsteht  ein  noch  gröszerer,  wenn  etwa 
die  Lectüre  Homers,  die  doch  jedenfalls,  auch  wenn  alle  griechischen 
Stunden  diesem  Dichter  zugewiesen  würden,  über  ein  Jahr  in  Anspruch 
nfihme ,  oder  wenn  die  Lectüre  griechischer  Tragoedien  durch  Prosa 
unterbrochen  würde.  Und  doch  wäre  dies  unvermeidlich;  Wenigstens 
finden  solche  Unterbrechungen  da  statt,  wo  man  jenem  Princip  huldigt. 
Darum  hat  sich  Ref.  längst  im  Einverständnis  mit  seinen  Collegen  da- 
für ausgesprochen,  dasz  im  Griechischen  und  Lateinischen  je  6in  Dich- 
ter und  ^in  Prosaiker  (aber  auch  nicht  weiter)  nebeneinander  zu  lesen 
seien,  und  wenn  er  seither  bei  zwei  wöchentlichen  Stunden  immer  viel 
Interesse  für  Homer  und  entsprechende  Fortschritte  wahrnehmen  konn- 
te, so  kann  er  die  schlimmen  Folgen  nicht  anerkennen,  die  nach  dem 
Vf.  mit  der  Theilung  zwischen  Dichter  und  Prosaiker  verbunden  sein 
aollen,  übrigens  würde  er  es  nur  natürlich  finden,  wenn  die  Stunden 
der  griechischen  Lectüre  (jedoch  nicht  auf  Kosten  der  Compositionen 
und  der  Gründlichkeit)  vermehrt  würden. 

Um  auch  die  wissenschaftliche  Ausbeute,  welche  der  Leser  in 
diesen  ^kleinen  Schriften'  findet,  mit  wenigem  zu  berühren,  so  sind 
des  Vf.s  Programme  *de  satirae  natura'  und  ^de  satirae  romanae  indole 
eiusdemqne  de  ortn  et  occasu'  bereits  in  weiteren  Kreisen  bekanni 
und  benützt  worden;  aufmerksam  will  aber  Ref.  machen,  dasz  wir  in 
der  3n  Abhandlung  des  2n  Bandes  aus  Veranlassung  der  Behauptung, 
wie  *die  Lehre  von  der  Einheit  Gottes  i)nd  von  Gottes  Eigenschaften 
in  der  Regel  das  jugendliche  Gemüth  nicht  in  dem  Grade  anspreche, 
wie  sie  als  Fundamentallehre  unseres  Glaubens  dasselbe  ansprechen 
sollte,  wenn  dieser  Lehre  nicht  die  sittlichen  Verirrungen  des  Poly- 
theismus und  zwar  gerade  die  der  alten  Welt  gegenübergestellt  wer- 
den' Erörterungen  über  die  (positiven  oder  negativen)  Vorstellongen 
der  Griechen  und  Römer  von  der  göttlichen  Weltregierung,  namentlich 
von  der  (lotgcc  und  der  Tv%riy  sowie  über  den  Zweck  des  Menschen- 
lebens erhalten.  Ref.  erlaubt  sich  zu  einigen  Punkten  seine  Anmer- 
kungen mitzutheilen.  Wir  lesen  S.  26  *  während  der  Gott  sonsl  wol 
auch  dem  Menschen  zutheilt,  waj  ihm  eben  beliebt,^hat  derselbe  beim 
wichtigsten,  nemlich  wo  es  sich  um  Sieg  oder  Niederlage,  nm  Le- 
ben oder  Tod  handelt,  für  den  Menschen  zu  loosen.  H.  8,  69  ff.  33, 
209  f.  Es  ist  eine  andere  Macht,  «Is  die  des  Gottes  selbst,  welche  fQr 
den  einen  und  wider  den  andern  entscheidet.  Der  oberste  Gott  er- 
scheint, nicht  zwar  immer,  aber  oft,  nur  als  Vollstrecker  der  alaa  oder 
der  (lotQcc,  die  in  dieser  Vorstellung  dennoch  als  ausserhalb  seines 
Willens  stehende  Mächte  angesehen  werden.'  Es  ist  hier,  nur  bestimm- 
ter, dasselbe  ausgesprochen,  was  Nägelsbach  in  seinem  bekannten 
Werke  behauptet  hat.  Indessen  finden  wir  bei  Homer  nirgends  eine 
klar  durchdachte  und  durchgeführte  Vorstellung  von  einer  selbsiindi- 
gen  Macht  des  Schicksals  und  die  von  Nägelsbach  angeführten  SteÜM 


C.  L.  Roth:  kleine  Scbrifien  pidag.  u.  biograph.  Inhtlts.     271 

können  nicht  in  gleichen  Rang  treten  mit  den  entschiedensten  und  hau- 
igen  Aassprüchen  von  dem  unbeschrankten  Willen  des  Zeus,  mit  wel- 
chem, wie  Nägelsbach  selbst  S.  117  IT.  am  besten  dargethan  hat,  die 
^oiQcc  öfter  identisch  scheint.    Zu  den  scheinbarsten  Stellen  mögen  6^ 
69  ff.  .^209  ff.  gehören.    Ref.  zweifelt  jedoch  nicht,  dasz  wie  hier  nur 
symbolische  Handlungen,  in  welchen  die  Entscheidung  des 
Zeus  sich  kund  thut,  zu  erkennen  haben.    Wenigstens  stimmt  damit 
11668  ^loq  Iqu  rdkavta;  aus  ^95  f.  geht  aber  hervor,  dasz  schon 
ehe  Zeus  X209  ff.  die  Todesloose  in  die  Wagschaalen  legt,  das  Ge- 
schick Hektors  und  Achilles,  dasz  nemlich  zuerst  Hektor,  dann  Achilles 
fallen  solle,  entschieden  war.    Ohne  hier  auf  die  weiteren  Gründe,  mit 
welchen  Nägelsbach  die  selbständige  Macht   der  fioTga  zu  erweisen 
sachte,  ausführlich  eingehen  zu  können,  bemerkt  Ref.  nur,  dasz  er  in 
T  127  keinen  Ausdruck  der  Resignation  finden  kann,  dasz  il 4^3 — 457* 
vnd  Jri74 — 181  namentlich  mit  igö^  durchaus  die  unumschränkte  Macht 
des  Zeus  vorausgesetzt  ist,  die  fioiQa  aber  eher  als  Resultat  eines  ge- 
meinsamen Götterbeschlusses  erscheint.   Auch  0613,  r293 — 305,  e  41 
sengen  nicht  für  eine  selbständige,  noch  weniger  für  eine  unabänder- 
liche Macht  der  fiotga.    Od.  £  41  f.  ist  der  Schlusz  einer  ßerathung 
m  48 — 95,  in  welcher  offenbar  der  Gesamtwille  der  olympischen  Götter 
a  82  f.,  namentlich  aber  der  Wille  des  Zeus  a  59 — 62  als  entscheidend, 
das  Schicksal  des  Odysseus  bestimmend  aufgefaszt  wird.  —  Ref.  will, 
wie  gesagt,  nicht  in  Abrede  ziehen,  dasz  schon  in  Homer  die  Keime 
des  Glaubens  an  die  Macht  des  Schicksals  liegen,  die  später  zu  be- 
stimmter Vorstellung  sich  entwickelten,  aber  er  kann  auch  nur  unent- 
wickelte Keime,  dunkle,  unklare  Vorstellungen  finden,  die  in  keiner 
Weise  mit  dem  klar  ausgesprochenen  Glauben  an  die  alles  bestimmende 
und  ordnende  Gewalt  der  olympischen  Götter  und  insbesondere  des 
Zeus,  wie  er  von  ^  5  an  durch  die  ganze  llias  und  von  a  17.  33.  59. 
62  an  durch  die  ganze  Odyssee  hindurchgeht,  auf  gleiche  Linie  gestellt 
werden  können. 

Gegen  die  Bemerkung  S.  28  ^iu  der  nachhomerischen  Zeit  springt 
(Hes.  Theog.  411  ff.)  auf  einmal  Hekate  als  ein  Wesen  hervor,  das  mit 
den  Attributen  der  späteren  rvxri  schon  bekleidet  ist'  musz  erinnert 
werden,  dasz  diese  Stelle  orphische  Ansichten  und  weder  den  Glau- 
ben Hesiods  noch  den  des  griechischen  Volks  enthält. 

Ref.  hat  nach  den  Beobachtungen,  die  er  machen  konnte,  nie  be- 
fOrchtet,  es  möchten  die  Glaubens-  und  Sittenlehren,  welche  sich  in 
griechischen  und  römischen  Schriftstellern  abweichend  von  unsern 
christlichen  Ueberzeugungen  finden,  für  unsere  Gymnasialschüler  ver- 
fOhrerisch  wirken;  eher  besorgte  er,  dasz  sie  von  dieser  Altersstufe 
im  Bewustsein  einer  weit  richtigeren  Einsicht  zu  unbillig  angesehen 
werden  möchten.  Darum  schien  es  ihm  von  Werth,  wie  der  Gerech- 
tigkeit angemessen,  auch  die  besseren  Ahnungen  und  Ueberzeugungen 
anzuerkennen  und  hervorzuheben.  Wenn  der  Vf.  S.  35  bemerkt:  ^es 
ist  unbedenklich  anzunehmen,  dasz  Odysseus,  Od.  9  zu  Anfang,  die 
volle  Ueberzeugung  des  Griechen  vom  höchsten  Gute  ausspricht,  wenn 


272    C.  L.  Roth:  kleine  Schrifleo  pädag.  u.  biograph.  lahalU; 

er  das  sitzen  beim  reiehlichen  Mahle  ond  vollen  Bechern  nnter  lantef 
fröhlichen  Gesellen  und  beim  herzerhebenden  Liede  des  Sängers  als 
den  grösten  Lebensgenusz  anpreist',  so  durfte  doch  auch  die  Aeusze- 
rung  desselben  Odysseus  ^  182  fiF.  nicht 'übersehen  werden,  wo  er  als 
höchstes  Gluck  das  einträchtige  Leben  der  Gatten  rühmt.  Gegenüber 
der  Behauptung  S.  39  *so  ist  denn  die  Schande  oder  die  üble  Meinung 
der  Welt  nach  den  Vorstellungen  des  Alterthums  mehr  zu  fürchten, 
als  der  Tod;  und  die  Versündigung  selbst  schreckt  den  Menschen  nicht 
Ton  der  Frevelthat  ab,  wol  aber  die  Schande,  die  er  damit  anf  sick 
laden  wird'  ist  auf  ./3  64—66, 134  f.  S  221  f.  286—288  hinzuweisen,  wo 
neben  der  Rücksicht  auf  üble  Nachrede  der  Menschen  oder  auf  die 
Ahndung  der  Götter  auch  das  sittliche  Gefühl  an  und  für  sich,  die 
sittliche  Scheu  als  Bestimmuugsgrund  für  das  thun  und  lassen  erscheinl. 
Demgemäsz  dürfte  auch  S.  42  ^  die  Meinung  des  Alterthums  von  der 
Tugend'  nicht  richtig  dargethan  sein.  Als  Lehrer  müste  der  Vf.  e& 
jiicher  tadeln,  wenn  seine  Schüler  agezri  geradehin  mit  Tugend  ttber- 
setzen  wollten,  welches  Wort  in  unserem  Sprachgebrauch,  abweicheDd 
von  dem  früheren,  einen  viel  engeren,  rein  sittlichen  Begriff  hat.  Wie 
kann  er  nun  S.  43  sagen :  ^Antinous  und  Eurymachus  erscheinen  als  die 
gewaltthätigsten  und  frechsten  nnter  den  Freiern ;  dennoch  heiszen  sie. 
Od.  21, 181-  weitaus  die  ersten  in  Tugend.  So  arg  es  Antinous  treibt, 
80  heiszt  er  doch  17,  381  ein  edler  und  Eurymachus  15,  519  (521)  bei 
weitem  der  tüchtigste  Mann',  als  ob  agstri,  ia&log,  aqtatoq  iin^q  eine 
sittliche  Würdigung  enthalten  sollten,  und  der  Dichter  nicht  überall 
das  treiben  der  Freier  als  frevelhaft  bezeichnete.  ~  Man  erinnere  sieh, 
wie  die  homerischen  Gedichte  die  häuslichen  Tugenden  im  Verhältnisse 
der  Gatten,  der  Eltern  und  Kinder  hochstellen,  wie  Mitleid  mit  dem 
dürftigen,  wie  Gastfreundschaft  als  heilige  Pflicht  erscheinen ^  wie 
Wahrhaftigkeit  geachtet  wird  und  selbst  um  keiner  Vortbeile  willen 
verletzt  werden  soll  1  312  f.  g  156  f.  y  328,  wie  ß  47.  230—234  und  a 
8 — 12  das  walten  eines  guten  Ilerschers  geschildert  wird,  and  nan- 
wird  nicht  behaupten ,  dasz  nach  homerischer  Vorstellung  die  Tagend 
des  Mannes  auf  ^Stärke  und  Verstand'  (Tapferkeit  und  Einsicht,  aller- 
dings wesentliche  Tugenden  eines  homerischen  Helden)  die  Tugend 
des  Weibes  auf  ^groszen  Wuchs,  Schönheit,  Verstand,  Gesohiekiioh- 
keif  beschränkt  sei. 

Maulbronn.  W,  Bäumlem. 


14. 

Dr  E.  Nicmeyer.    lieber  Herders  Cid.    Crefeld,  Köhler  1857. 

86  S.  SO. 

Herders  Cid  hat  in  der  Beurteilung  der  Kenner  der  deataehen 
Litteratnr  gröszere  Wandlungen  erfahren ,  als  in  der  Werthschltsofig 


E.  Niemeyer:  Ober  Herders  Cid.  273 

des  deutschen  Volks.  Wfihrend  jene  darcli  ihre  kritische  Laune  oder 
ihre  Kenntnis  des  spanischen  Originals  sich  nicht  selten  veranlaszt 
fühlten  über  das  edle  Dichtwerk  mit  Geringschätzung  sich  auszuspre- 
chen,  blieb  das  deutsche  Volk  im  ganzen  seiner  ursprünglichen  An- 
sicht getreu,  dasz  wir  im  Cid  einen  Spiegel  biederer  Mannessitte  be- 
sitzen, eine  treffliche  Darstellung  mittelalterlichen  Ritterlebens,  eine 
gelungene  Nachbildung  des  Volktones,  ein  Gedicht,  in  welchem  auch  das 
von  Herder  zugedichtete  dem  Geiste  des  Originals  entspricht,  und  das 
eine  Zierde  der  deutschen  Litteratur  ist.  So  ist  mit  mancherlei  Schwan- 
kungen das  Urteil  der  deutschen  Nation  über  Herders  poätisches  Testa- 
ment sich  gleich  geblieben,  ungeachtet  der  Bemäkelungen,  welche  Ger- 
vinns,  die  Nachbeter  Villemains,  oder  Duttenhofer,  der  Fanatiker  des 
Urtextes,  sich  erlaubten.  Die  neueste  Monographie  über  die  vielbe- 
sprochene Frage  liegt  hier  vor  uns. 

Durch  seine  Arbeiten  über  die  Litteraturgeschichte  dea  vorigen 
Jahrhunderts  uns  wolbekannt,  als  gründlicher  Forseher  zum  urteilen 
berechtigt,  gibt  Hr  Niemeyer  zuerst  eine  Geschichte  der  Abfassung^ 
nnd  Aufuahme  der  Dichtung,  wobei  er  sich  wesentlich  dem  zuletzt  von 
Mönnich  festgestellten  sehr  anerkennenden  Urteil  über  Herders  Cid 
anschlieszt.  Im  zweiten  Abschnitt  vergleicht  er  Herders  Arbeit  mit 
dem  Original  nach  den  getreueren  Verdeutschungen  von  Duttenhofer 
und  Regis,  und  gerade  dieser  Abschnitt  wird  den  Freund  der  deutschen 
Litteratur  in  hohem  Bfasze  interessieren,  weil  derselbe  ganz  kurz  die 
Gestalt  der  spanischen  Volksromanzen  von  der  Herderscheiv  Weiter- 
dichtung scheidet,  uns  einerseits  Gelegenheit  gibt  in  manchen  Zusätzen 
die  gerügte  deutsche  Gemütlichkeit'  Herders  zu  erkennen ,  anderseits 
auch  wieder  zu  bemerken,  wie  er  auch  in  den  meisten  Erweiterungen 
den  Volkston  so  getreu  bewahrt  hat,  wie  er  das  allzuharte  mildert 
ohne  weichlich  zu  werden,  wie  er  das  unnütze  und  störende  wegschnei- 
det, nnd  so  statt  eines  lockeren  Conglomerates  ein  schön  aufgebautes 
ganzes  hergestellt  hat.  In  den  Charakterbildern  werden  die  am  mei- 
sten hervortretenden  Heldengestalten  der  Dichtung  entwickelt  nnd  in 
einer  Weise  beleuchtet,  wie  sie  gerade  dem  Lehrer  besonders  erwünscht 
sein  mnsz.  Im  vierten  Abschnitt  bespricht  der  Verfasser  die  Form  des 
Gedichtes  ausführlich,  so  wie  die  rhetorischen  Freiheiten  und  Hülfs- 
mittel,  welche  er  zu  gröszerer  Vertiefung  des  poetischen  Eindrucks 
sich  gestattete.  Deh  Schlusz  bildet  ein  kurzer  Commentar  zu  dem 
Gedichte^  welcher  die  nöthigsten  Erläuterungen  in  Bezug  auf  Geschichte, 
Geographie  bringt  usw.  —  Diese  Inhaltsangabe  mag  dazu  dienen,  vor 
allem  die  Freunde  und  Lehrer  der  deutschen  Litteraturgeschichte  auf 
ein  Buch  hinzuweisen,  welches  ohne  störende  Weitschweifigkeit  und 
lästige  Gelehrsamkeit  die  besten  Winke  gibt,  wie  das  edle  Gedicht 
pädagogisch  zu  verwerthen ,  in  der  Schule  nach  Inhalt  und  Form  zu 
verarbeiten  ist.  Ohne  wesentlich  neues  zu  bringen  faszt  das  Werk  des 
Herrn  Niemeyer  alles  nothwendige  zusammen,  und  seine  CoUegen  wer- 
den ihm  für  die  verdiensHiche  Arbeit  dankbar  sein.  Büchner, 


274  Ungarisdies  oder  ciceromanisches  Latein. 

15. 

Ungarisches  oder  ciceronianisches  Latein? 


De  slultüia  qtwrundam^  qui  se  Ciceronianos  vocant.  PesÜDi  1858. 
Typis  Josephi  Gyarian.   16  S.  8.  "> 

Es  scheint  als  wenn  zn  gewissen  Zeiten  bestimmte  AbnormitSten 
auch  auf  geistigem  Gebiet  an  mehreren  Orten  zugleich  entstünden,  wie 
Krankheiten  ähnlicher  Art  zuweilen  zugleich  in  entfernten  Gegenden 
sich  zeigen.  Schon  ehe  Herr  Thiersch  in  Marburg  als  landator  tempo- 
ris  acti  in  Bezug  auf  die  Gymnasien  auftrat  und  Znrückführung  der 
Schnleinrichtungen  der  Reformationszeit  als  das  alleinige  Heilmittel 
der  wirklichen  und  eingebildeten  Schäden  unserer  Schulen  empfahl,  ist 
10  Tyrnau  am  Fusz  der  kleinen  Karpathen  ein  noch  entschiedenerer 
Yertheidiger  des  alten  und  herkömmlichen  aufgetreten,  der  die  öster«. 
reichischen  Gymnasien  noch  hinter  die  Zeit  der  Reformation,  in  du 
15e  Jahrhundert  zn  dem  Latein  der  magistri  nostri  zurückschrauben 
^möchte.  Com.  Hidasy,  Lehrer  am  fürsterzbischöflichen  Obergyra- 
nasium  hat  im  Osterprogramm  1857  unter  dem  Titel  ^  de  stilo  bene  la- 
lino'  die  neuen  Schuleinrichtungen  (oder  wie  er  sich  ausdrückt  das 
noTum  systhema  scbolasticnm)  in  Oestreich  namentlich  deshalb- ange- 
griffen, weil  nach  denselben  die  lateinische  Sprache  den  klassischen 
Vorbildern  gemasz  getrieben  werden  soll,  also  nicht  mehr  das  alte 
ungarische  Latein,  das  so  lange  dort  ^lingua  diplomatica,  lingna  ad- 
ministrationis  publicae'  -war  nnd  sich  allerdings  sehr  von  der  Sprache 
des  goldenen  Zeitalters  unterschied.  Dieser  in  vollem  Ernst  von  Hm 
Hidasy  vorgeschlagene  Rückschritt  zum  alten  Schlendrian  ist  von  den 
Hrn  Linker  und  Bonitz  in  der  Zeitschr.  für  d.  östr.  Gymnasien  1867. 
Is  Heft  gebürend  gewürdigt  worden  (S.  92 — 96).  Hr  Hidasy  hat  aber 
in  dem  vorliegenden  Schriftchen  einen  Yertheidiger  gefunden,  der  die 
*  bonitas  causae '  des  Hrn  Hidasy  zn  verfechten  suclit  und  gewaltig 
Über  die  loszieht,  welche  sich  Cicero  beim  lateipschreiben  zom  Mu- 
ster nehmen.  Doch  miisz  es  mit  der  *  bonitas  causae'  nicht  alUnweit 
her  sein,  denn  der  ungenannte  Yertheidiger  sucht  ihr  durch  göttliche 
Grobheit  zu  Hülfe  zu  kommen.  Die  Ansichten  seiner  Gegner  sind  ihn 
gerrae,  nugae,  viles  neniae,  absurdae  opiniones,  absonae  fabellae  ani» 
les;  er  wirft  ihnen  amentia,  imbecillitas ,  impudentia,  singnlaris  incre- 
dibilis  Stupor,  ignorantia,  stultitia  vor;  er  nennt  sie  salputia,  barbatnli, 
scioli,  barbari  homunciones,  homines  desipientes,  ignavi,  imperiti,  bal- 
butientes,  leguleii,  homines,  quos ,  nisi  ego  desipio,  vix  inter  inii  sab- 
sellii  discipulos  grammaticus  ille  Priscianus  admitteret.  Ref.  weisi 
aber  nicht,  auf  welche  Bank  Priscian  den  Yerf.  und  Hrn  Hidasy  setzen 
würde,  denn  beide  geben  uns  in  ihren  Schriflcben  Proben  eines  unge- 
ni(Brten  Lateins,  das  uns  von  einem  Schüler  wundern  würde,  für  Lehrer 
aber  vollständig  unbegreiflich,  um  nicht  zu  sagen  unwürdig ,  ist.   Um 


UngariBcbes  oder  ciceroniiiiisches  Latein.  275 

so  anbegreiflicher  wird  dieses  Latein,  da  der  Ver^  S.  4  sagt:  ^non  qui> 
dem  ac  si  impolito  scribendi  et  loquendi  delectarer  genere,  expurgan- 
dam  hoc  iterum  atqae  iterum  commendo  —  davon  aber  ist  in  dem 
Sobriftchen  selbst  wenig  zu  spüren ;  —  und  da  er  S.  6  selbst  den  Un- 
terschied zwischen  dem  goldnen,  silbernen,  eisernen  und  bleiernen 
Zeitalter  hervorhebt,  um  den  Ausdruck  'stilus  bene  latinus'  su  recht- 
fertigen, so  musz'es  dem  Leser  auGfallen,  dasz  der  Verf.  diesen  Unter- 
schied in  seiner  Schreibart  gar  nicht  berücksichtigt,  sondern  im  Ge- 
gentheil  Worte  welche  bei  vor-  oder  nachklassischen  Schriftstellern 
sich  finden  oder  gar  erst  bei  den  Kirchenvätern ,  vorzugsweise  zu  lie- 
ben scheint.  Wenn  er  S.  4  sagt,  seine  Gegner  tadelten  jeden,  der  nur 
*in  syllaba'  von  Cicero  abweiche,  so  kann  Ref.  dies  *in  syllaba'  in 
Bezng  auf  den  Verf.  nur  ^  fast  in  jeder  Sylbe '  übersetzen.  Er  gibt  zu 
S.  5,  dasz  nicht  alle  lateinische  Schriftsteller  sich  gleich  stehn  (re- 
sponde,  quaeso,  an  inter  se  stili  nobilüate ,  elegantia  et  artificio  pares 
existant)  aber  namentlich  in  Bezug  auf  die  Wahl  der  Ausdrücke  schein! 
er  Cicero,  Arnobius  und  Apuleius  ziemlich  gleich  zu  stellen.  Der  Vf. 
wirft  (S.  9)  den  Vertheidigern  des  ciceronianischen  Lateins  vor  *  cir- 
Gunvallant  se  glossariis',  aber  Ref.  musz  gestehn,  dasz  er  alle  4  Bände 
des  Freundschen  Wörterbuchs  nölhig  gehabt  hat,  um  sich  zu  überzeu- 
gen, dasz  die  auf  diesen  16  Seiten  de  stultitia  zusammengebrachten 
mgewöhnlichen  Wörter  wirklich  lateinisch  sind.  Bei  myrothecia  *^ 
nad  bei  dem  Adverbium  terse  bat  ihn  selbst  dieses  Lexicon  im  Stich 
gelassen  (auch  den  Ausdruck  omnis  ramus  scientiarum  hat  Ref.  im 
Lezicoa  nicht  gefunden),  das  freilich  nur  für  gewöhnliches  Latein, 
nicht  für  ungarisches  berechnet  ist.  Die  kühnen  syntaktischen  Verbin- 
dongen  darf  Ref.  wol  nicht  angreifen ,  denn  Hr.  Hidasy  hat  in  seinem 
Programm  *de  stilo  bene  latino'  S.  4  als  Ziel  seines  Unterrichts  im  La- 
teinischen ausgesprochen ,  dasz  die  Schüler  sich  ^audaciam  in  propo- 
nendo'  erwerben,  mit  der  sie  sich  gewis,  dem  Beispiel  ihrer  Lehrer 
folgend,  ungeniert  über  alle  hemmenden  Regeln  hinwegsetzen. 

Mit  der  Vertheidigung  dieses  ungewöhnlichen  Lateins  ist  der  Vf. 
schnell  fertig:  der  sonst  als  Autorität  nicht  anerkannte  Cicero  musz 
hierbei  als  Beispiel  dienen:  er  habe  ja  auch  vieles  neue  eingeführt 
(Cicero  et  ipse  multa  novavit  S.  10);  auch  auf  Tertullian  beruft  sich 
der  Vf.:  ein  index  bene  longus  feliciter  novatorum  vocabulorum  sei 
aus  seinen  Schriften  zusammengestellt.  ^An  fortassis',  fährt  der  Vf. 
dann  fort,  ^personale  illud  Privilegium  fuit,  ut  cum  Cicerone  extinctnm 
esse  videatur  7  Ciceroni  fingere  licnit,  quidni  aliis  alia  ad  eundem  mo- 
dam  postea  fingere  licuerit?!'  —  natürlich,  Hrn  Hidasy  und  seinem 
Vertheidiger  musz  dasselbe  erlaubt  sein,  was  Cicero  erlaubt  war,  denn 
sie  haben  gewis  dieselbe  philosophische  und  rhetorische  Bildung  und 
dieselbe  Sprachgewandheit,  welche  Cicero  besasz,  davon  dasz  latei- 
nisch Ciceros  Muttersprache  war,  abgesehn.    Und  nur  ihre  Gegner 


*)  kommt  ein  einziges  Mal  in  einem  Briefe  des  Cicero  an  Atticns 
▼or,  aber  als  griechisches  Wort. 


276  Ungarisches  oder  ciceronienisches  Lateio. 

können  sie  fragen:  ^qvLis  vestrum  attigit  lalinitate  Tertulliannm?'  von 
ihnen  versteht  sich  das  von  selbst.  In  der  That,  mit  dem,  was  in  Ter« 
tullians  Latein  barbarisch  ist,  hat  dieses  ungarische  Latein  sehr  viel 
Berührungspunkte. 

Man  könnte  die  Herrn  diesen  angenehmen  TrSnmen,  dem  Cicero 
und  TortuUian  gleichzustehn ,  überlassen;  Ref.  will  wenigstens,  seine 
Schüler  ausgenommen ,    niemanden  in   dem   Privatvergnügen  stören 
schlechtes  Latein  zu  schreiben;  seinethalben  möchten  sie  Lalein  spre- 
chen und  schreiben,  wie  weiland  Philander  von  Sittcnwald Vorschlag: 
Farimus  in  schlittis,  cum  talribus  atqne  ducatis 
Klingimus  et  totam  moscherati  erfreuimas  urbem. 
Auf  dem  besten  Wege  dazu  sind  sie,  und  es  würde  einem  solchen  La- 
tein noch  weniger  die  von  Hrn  Hidasy  so  empfohlene  perspicnitas  — 
wenigstens  für  einen  Deutschen  —  fehlen,  als  dem  Latein  dieser  unga- 
rischen Autoritäten.   Leider  aber  wollen  uns  die  Herren  nicht  in  Ruhe 
lassen,  die  wir  uns  bestreben  wirkliches  Latein  zu  schreiben  und  da- 
bei Cicero  zum  Muster  nehmen.   Mit  vielen  Ausrufungen,  Fragen  und 
vielem  Aufwand  von  Rhetorik  werden  alle  ^Ciceronianer'  bekämpft  — 
leider  aber  mit  wenig  wirklich  stichhaltigen  Gründen.    Denn  das  ist 
schwerlich  ein  überzeugender  Grund,  wenn  der  Vf.  S.  6  sagt,  auch  die 
schrieben  doch  noch  französisch,  welche  nicht  gerade  wie  Chateau- 
briand und  Iramartine  schrieben  •—  gewis ,  französisch  schreiben  sie 
noch,  nur  möglicherweise  schlechtes ;  so  ist  auch  das  Latein  der  Hrn 
Hidasy  und  seines  Yertheidigers  auch  noch  Latein,  aber —  ungari- 
sches. —  Dem  Einwurf  von  Bonita,  es  sei  unmöglich  in  allen  Di^cipli- 
nen,  namentlich  in  Mathematik  und  Naturwissenschaften,  das  wirkliche 
Latein  als  Unterrichtssprache  zu  gebrauchen,  wird  entgegengehalten, 
es  habe  ja  so  viel  Juristen,  Philosophen,  Theologen  und  Mediciner  ge- 
geben, welche  lateinisch  geschrieben  hfitten.   Gewis,  namentlich  die 
Mediciner  haben  sich  stets  durch  klassisches  Latein  ansgeieiohnel:  es 
war  blose  Verleumdung,  wenn  sie  Moli^re  schon^  vor  200  Jahren  spre- 
chen liesz : 

.  .  et  vos  altri  messiores 

qui  hie  assemblati  estis  etc. ; 
und  das  bekannte  theologische  Examen:  ^quot  sunt  sacramenta?'  Tres. 
^Quas?'  Fides,  spes,  Caritas  —  ist  ja  auch  ^  lateinisch'  gehalten  wor- 
den. Doch,  im  Ernst  zu  reden,  glaubt  der  Hr  Vf.  wirklich,  dasi  wer 
aber  Theologie  gut  lateinisch  schreibt,  auch  über  juristische  oder  ma- 
thematische Gegenstände  ebenso  gut  lateinisch  schreiben  und  sprechen 
könne  ?  Und  wenn  es  der  Lehrer  kann  in  seinem  Fach ,  vielleicht  in 
mehreren  Fächern,  können  es  deshalb  auch  schon  die  Schüler?  Unga- 
risch lateinisch  können  sie  wol  reden,  denn  das  ist,  mit  einiger  anda- 
cia,  keine  grosze  Kunst :  kann  Cicero  novare,  kann  der  Lehrer  novare 
—  warum  sollte  der  Schüler  nicht  dasselbe  Recht  haben  und  sich  no- 
vando  im  Adlersflug  über  die  höchsten  Berge  syntaktischer  Regeln  und 
Wortbildungsgesetze  hinwegheben?  —  Wir,  die  wir  noch  mit  der,  in 
Ungarn  wie  es  scheint  ziemlich  überflüssigen,  lateinischen  Grammatik 


UngarischeB  oder  ciceronianischeB  Latein.  277 

die  Jagend  plagen,  schrecken  nach  p..8  die  Jünglinge  ab,  sich  dea 
Studien  zu  widmen.  —  Gewis,  wer  zu  faul  ist,  eine  Sprache  gründlich 
so  lernen,  der  wird  sich  durch  die  Schwierigkeiten  beim  festlegen  der 
Elemente  vielleicht  abschrecken  lassen  und  lieber  Hrn  Uidasys*  und 
seines  Vertheidigers  Methode  acceptieren  —  er  wird  glauben ,  er  ver- 
atfinde  Latein ,  wenn  seine  audacia  vor  nichts  mehr  zuruckbebt  und  in 
Folge  dessen  auch  auf  andere  Gegenstände  diese  Leichtfertigkeit  des 
Halbwissens  fibertragen.  —  0  ja,  es  ist  kein  Zweifel,  würde  Hrn  Hi- 
dasys  leichteste  und  schnellste  Methode  in  24  Stunden  Latein  sprechen 
SU  lernen',  in  Deutschland  bekannt  — .schaaren weise  würden  Schüler 
hersuströmen ,  um  nach  absolviertem  Cursus  wenigstens  mit  einem 
'hnmanium  erarium  est',  gleich  jenem  Frankfurter  Bürger,  Beweis  da« 
von  abzulegen,  dasz  sie  auch  lateinisch  ^können'.  Der  Hr  Vf.  gibt  ja 
S.  9  diesen  seinen  zukünftigen  Anhängern  einen  vortrefflichen  Weg 
an,  wie  sie  sich  der  unbequemen  Erinnerung  an  Cicero  entschlagen 
können:  wir  haben  von  Cicero,  sagt  er,  nur  etwa  ein  Zehntel  (?)  seiner 
Schriften  und  das  ist  noch  dazu  lückenhaft  und  verstümmelt  —  wer 
wagt  es  nun  noch,  sich  auf  die  vorhandenen  Schriften  Ciceros  zu 
berufen ,  da  Herr  Hidasy  und  sein  Vertheidiger  sich  bei  jeder  audacia 
anf  Ciceros  verlorne  Schriften  stützen  können?  Wer  weisz,  ob  nicht 
glüeklicherweise  uns  gerade  das  Zehntel  von  Ciceros  Schriften  erhal- 
ten ist,  worin  er  das  Latein  schreibt,  was  wir  ciceronianisch  nennen^ 
und  ob  er  nicht  in  den  übrigen  verlornen  neun  Zehnteln  so  geschrieben 
hat,  wie  Hr  Hidasy  und  sein  Genosse? 

Doch  wir  finden  auf  S.  10  glücklicherweise  auch  einen  Einwurf» 
der  doch  diesen  Namen  verdient.  Quis  enim  non  videat,  sagt  dort  der 
Vf.,  qnod  rebus  novis  iriventis  plura  quoque  nova  vocabula  inducere 
necesse  Tuerit?  Das  ist  richtig:  neue  Dinge  erfordern  neue  Bezeichnun- 
gen und  Ref.  würde,  mit  J.  G.  Scheller  zu  reden,  Flinte  nnbedenklicb 
dnrch  sclopetum  übersetzen,  ehe  er  eine  vielleicht  unverständliche  und 
schleppende  Umschreibung  anwendete.  Auch  wird  es  keinem  noch  so 
enragierten  ^Ciceronianer'  einfallen,  lateinische  Bezeichnungen,  welche 
in  einer  bestimmten  Wissenschaft  einmal  hergebracht  sind  und  aus  ei- 
ner Zeit  stammen,  in  welcher  die  lateinische  Sprache  noch  lebende 
Sprache  war,  zu  ändern,  so  z.  B.  in  der  Theologie,  auf  die  sich  eine  ' 
Stelle  ans  Muret  (vom  Vf.  gewis  nicht  ohne  Absicht  eingeführt)  S.  J5 
bezieht.  Das  neutestamentliche  nliStig  mit  persuasio  auszudrücken  statt 
mit  dem  herkömmlichen  fides  wäre  ein  entschiedner  Fehler,  für  Chri- 
stus Jupiter  0.  M.  zu  setzen  eine  Lästernng.  —  Aber  gerade  der  Um- 
stand, dasz  in  Aisern  Schulen  so  viel  unterrichtet  wird,  was  den  alten 
Römern  unbekannt  Var,  macht  es  unmöglich,  die  lateinische  Sprache, 
ohne  ihr  fortwährend  Gewalt  anzuthnn,  zur  Unterrichtssprache  auch  in 
solchen  Fächern  zu  nehmen  —  und  so  spricht  dieser  Einwurf  gegen 
den  Hrn  Vf.  selbst.  —  Besser,  wir  lassen  uns  den  Vorwnrf  (S.  ll)  des 
Hrn  Vf.s  gefallen ,  wir  würden  in  vielen  Dingen  stumm  sein  (pudeat 
vos  delitescere  ob  sermonis  inopiam  tacitos  et  obscuros)  als  dasz  wir, 
ihm  durch  dick  and  dünn  nachtretend,  wünschen  sollten,  in  Bchlechtem 


278  Ungarischeis  oder  cioeronianisches  Latein. 

Latein  oder  Unlateiu  uns  über  alles  ausdracken  zu  können.  Wenn  das 
^amplius  Studium  linguae  Lalinae'  ist,  wie  der  Verf.  sein  Bestreben  za 
bezeichnen  beliebt  (1.  1.),  so  ist  kein  Zweifel ,  dasz  mit  der  weitern 
Ausbreitung  desselben  eine  neue  Barbarei  sich  ausbreiten  würde.  — 
Denn  des  Vf.s  pathetischer  Ausruf:  ^pereant  itaque  nomina  restra,  Ci- 
cero, Caesar,  Terenli,  Livi,  SaliustÜ'  könnte  leicht  eine  Wahrheit  wer- 
den, wenn  jeder  den  Klassiker  in  seiner  eignen  Brn^t  träge.'  Wer  würde 
noch  Lust  haben,  Cicero,  Caesar  oder  Sallust  zu  studieren,  nm  Latein 
zu  lernen ,  wenn  er  ohne  solche  Mühe  mit  einiger  audacia  sich  anch 
^lateinisch'  ausdrücken  könnte  ?  Und  es  ist  doch  ein  Zeichen  von  Bar- 
barei, wenn  man  sich  um  keine  Schranke  kümmert,  keine  Regel  noch 
Gesetz  achtet  —  ein  Zeichen  wahrer  Bildung  aber,  streng  gegen  sich 
selbst  zu  sein;  auch  von- lateinsprechen  und  lateinschreiben  gilt  das: 
wollen  wir  unsere  Schüler  bilden,  so  müssen  wir  sie  an  feste  undnrcli- 
brechliche  Gesetze  gewöhnen,  nicht  ihn^n  Zaum  und  Zügel  achieszen 
lassen. 

Doch  der  Vf.  hofiTt  seine  Gegner  schlieszlich  mit  einem  langenCItat 
aus  Muret,  von  dem  er  auch  den  Titel  seines  Scjiriflchens  entlehnt  za 
haben  scheint,  aus  dem  Felde  zu  schlagen :  allegabo  tibi  virum,  quem  tott 
caterva  philoiogorum  pygmaeorum  non  minus  et  giganteornm  eea  anto- 
ritatem  suspicere  cogitur,  magnum  illum  Muretum  (S.  14)  *),  Muret  sagt 
in  der  angeführten  Stelle,  dasz  er  zuweilen  selbst  aus  Arnobius,  Apnleins 
und  Sidonius  Apollinaris  ein  Wort  aufnehme ,  um  die  Rede  reicher  and 
mannigfaltiger  zu  machen.  Aber  dies  war  bei  Muret  eben  Aosnahme, 
da  er  sich  sonst,  wie  ^r  unmittelbar  vorher  sagt,  an  Cicero,  Caesar 
und  Terenz  anschlieszt  und  deren  Redeweise  reproduciert  ^  bei  Hrn 
Hidasy  und  seinem  Vertheidiger  scheint  es  dagegen  Regel  zu  sein, 
eben  so  gern  ein  aus  dem  Xehricht  der  Latinität  herausgeklaabtea 
Wort  zu  brauchen  als  ein  ciceronianisches.  Hätte  es  Mnret  eben  ao 
gemacht,  hätte  er  ungarisches  Latein  geschrieben,  ex  wäre  längst  ver- 
gessen, denn  er  ist  uns  nicht  dadurch  Stilmuster,  dasz  er  Arnobins 
und  Apulejus,  sondern  dasz  er  Cicero  nachgeahmt '  ;:t.  Wahrlich,  wenn 
sich  der  Verf.  auf  Muret  beruft,  so  erinnert  das  an  den  Magister  Ort- 
winus  Gratius  in  den  epistolis  obscurorum  virorum,  wenn  er  sich  für 
sein  furchtbares  Latein  auf  Cicero  beruft:  ipsi  deridentnos,  qnia  non 
dicimus  grossa  verba,  sicut  ipsi  faciunt.  Ast  nos  loquimnr  melins 
secundum  Ciceronem,  quam  ipsi  non  faciunt.  Cicero  quidem  non  ha- 
bebat,  nisi  verba  intclligentia.  Sed  isti  credunt  se  fecisse  nnum  ma- 
gnum miraculum ,  si  ipsi  dixerint  unum  grossnm  vocabulum.  In  bona 
veritate ,  ego  vidi  duos  Theologos  in  Daventria  .  .  et  Tpsi  ambo  seie- 
baut  bene  tot,  sicut  faciunt  isti  bufones,  sed  tameirnon  volebant  alle- 
gare isla  grossa  vocabula,  quia  Cicero  non  amabat  ea^*). 

*)  Die  Kamen  der  übrigen  groszen  Männer,  denen  der  Verf.  nach 
S.  16  presso  pede  gefolgt  ist  und  die  er  wörtlich  benutzt  haben  will, 
verschweigt  er,  vielleicht  absichtlich  und  wolweislioh.  **)  So  erinnert 
auch  der  blinde  Eifer  des  Hrn  Verf.  stark  an  den  Hrn  Mag.  Ortwinns : 
Ego  vellem,  qnod  isti  omnes  Latisinatores  essent  in  profnndo  inferai, 


Ungarisches  oder  ciceronianiscbes  Latein.  279 

• 

So  lobt  sich  also  der  Hr  Verf.  selbst  zu  viel,  wenn  er  am  Schiasse 
(S.  16)  sich  in  Bezug  aaf  sein  Latein  mit  einer  Biene  vergleicht,  welche 
aber  den  Blumen  fliegt  —  denn  da  die  Bienen  das  beste  aus  den  Blu- 
inen  saugen ,  so  dürfte  das  Gleichnis  in  dieser  Beziehung  besser  auf 
feine  Gegner  passen.  Die  andere  Hälfte  des  Gleichnisses,  dasz  die 
Bienen  gereizt  stechen,  passt  besser  auf  den  Verf.,  da  sich  bekannt« 
lieh  die  Bienen  mit  diesem  stechen  selbst  den  Tod  anthun.  Eben  des- 
luilb  wäre  es  vielleicht  überJüssig  gewesen  so  lange  bei  einem  so 
■nbedeutenden  Schriftchen  zu  verweilen,  wie  das  des  Hm  Verf.  ist, 
wenn  nicht  sein  Client,  Hr  Hidasy,  seinen  Wunsch  nach  Zuröckführung 
des  alten  ungarischen  Lateins  als  ein  ^desiderium  instum  Nationis'  be- 
leichn'et  hätte.  Ref.  will  zugeben,  dasz  dieses  ungarische  Latein  im 
Geschäftsleben  durch  das  herkommen  unentbehrlich  geworden   sein 


«nde  nnmquam  revenire  posseat,  oder  an  Jacob  de  alt«  platea,  wenn  er 
fiber  Erasmus  schreibt:  si  ego  venio  ad  Almaniam  et  lego  saos  codiculos 
et  invenio  anam,  parvissimam  punctam  ubi  eiTavit,  vel  ubi  ego  non 
intelligo  (dem  neuen  Latein  fehlt  es  ja  nach  Hrn  Hidasy  auch  an  'per- 
spicuitas'),  ipse  debet  videre,  quod  ego  volo  sibi  super  cutem.  —  Wie 
der  Verf.  sich  über  das  neue  Latein  beklagt,  so  schreibt  auch  schon 
Kag.  Ortwinus:  isti  latinizatores  possunt  modicum  latinizare,  ipsi  pu- 
tant  quod  faciunt*  magna  miracula  dicendo  grossa  yerba  .  .  .  Sed  isU 
htäkeni  suum  latinum  per  se  et  volunt  corrigere  magnificat.  Die  Berufung 
des  Verfassers  auf  die  Theologen,  Juristen  und  Mediciner,  welche  La- 
tein geschrieben  hätten,  scheint  gleichfalls  den  epistolis  obscurorum  yi- 
reram  entlehnt  zu  sein,  denn  auch  M.  Ortwinus  schreibt:  luristae,  Le- 
gistae,  Apothecariiy  Domini  de  Parlamento,  omnes  Clerici  villagiorum 
loqaontur  sicut  nos.  Wie  der  Verf.  hat  auch  schon  M.  Ortwinus  sei- 
nen Gegnern  Dummheit  und  Unwissenheit  vorgeworfen:  Creditis  quod 
ipsi  sciunt  aliquid  fundamentaliter  ?  In  bona  veritate,  ego  anderem 
bene  pouere  caput  meum,  quod  ipsi  non  sciunt  suos  terminos  .  .  .  Cre- 
ditis, quod  sciunt  praedicamenta  et  praedicabilia  ?  .  .  .  ego  opto,  ut  tot 
iwscipiam  pediculos,  quot  carnifices  occidunt  post  Pascha  vitulos,  si  ipsi 
sciont  de  hoc  unum  vocabulum.  Der  Vorwurf  der  Stummheit:  Non 
oporteret,  nisi  facere  unam  parvam  quaestionem  contra  istum  latini- 
satorem  Erasmum,  quod  ipsi  esset  statim  ad  metam  non  loqui.  Wenn 
Jae.  de  alta  platea  von  Erasmus  schreibt:  Ipse  scribit  etiam  Graece, 
qvod  non  deberet  facere,  quia  nos  sumus  Latini  et  non  Graeci,  so 
brauchen  wir  nur  für  Graece  Ci^eroniane  zu  setzen  (der  Verf.  ist  ja  so 
kühn  im  bilden  von  Adverbien)  und  quia  nos  sumus  Hungari  et  non 
Latini,  um  auch  das  folgende  passend  zu  finden:  si  vult  scribere,  quod 
nemo  intelligat,  quaie  non  scribit  etiam  Italicum  et  Bohemicum  et 
Ehmgarictan  et  sie  nemo  intelligeret  eum?  Faciat  se  conformem  nobis 
Theologis  in  nomine  centum  diabolorum.  So  ist  es  als  wenn  der  Verf. 
bei  dem  abfassen  der  epistolae  obscurorum  virorum  als  Modell  gesessen 
hätte,  —  das  Latein  hat  ja  ohnehin  einige  Aehnlichkeit.  Ist  das  zu- 
fällig oder  stehen  wirklich  Hr  Hidasy  und  seine  Gesinnungsgenossen  zu 
den  'Ciceronianern'  in  demselben  Verhältnis  wie  Mag.  Ortwinus  Gratius, 
Jacobus  de  alta  platea  und  M.  Job.  Pellisex  zu  Erasmus  und  Reuchlin? 
Wenn  das  ist,  so  mögen  sie  bei  Zeiten  schweigen,  dasz  sie  nicht  sagen 
müssen,  wie  Jac.  de  alta  platea:  ego  vellem  quod  nunquam  inceplssem, 
omnes  derident  me  et  vexant  me  .  .  monstrant  cum  digitis  super  noa 
et  rident  et  dicunt:  vide  ibi  yadupt  duo  (Hr  Hidasy  und  sein  Verthei- 
diger),  qui  yolant  comedere  Benchlin. 

iV.  JahTh,  U  PMl,  N.  Ptwd,  Bd  LXXVIII.  ffft  &.  19 


280  UngarUches  oder  ciceronianisches  Latein. 

kaan,  —  es  schadet  auch  nichls,  wenn  im  Geschäftsleben  hier  und  da 
Friscian  eine  Ohrfeige  lerhölt,  wenn  nur  alles  sonst  so  geht,  wie  es 
gehen  soll;  Kaiser  Sigismund,  als  er  einst  in  Constans  anhob:  videle 
patres,  nt  eradicetis  schismam  Hussitarum,  hatte  recht  den  anbern- 
fenen  Tadler  zurückzuweisen,  der  ihm  den  Fehler  aufmntite.  Aber 
mit  der  Schule  ist  es  doch  ein  ander  Ding.  Es  w&re  zn  beklagen, 
wenn  viele  in  Ungarn  es  wie  der  Verf.  für  den  Gipfel  der  Bildang  hiel- 
ten, in  einem  Halblatein  über  alle  Gegenstände  zn  sprechen,  das  in 
Deutschland  wie  in  Frankreich  und  England  für  barbarisch  gelten 
würde.  Wird  rechtes  und  reines  Latein  auf  den  Schulen  Ungarns  ge- 
trieben, so  wird  dies  das  herkömmliche  Latein  als  offlcielle  Sprache 
allmählich  läntern,  befestigen  und  es  verhindern,  zuletzt  zu  einen  ganz 
unverständlichen  Jargon  zn  werden.  Man  fürchte  nicht  dasz  durch  ein 
^ciceronianisches '  Latein  der  Unterricht  und  der  Ausdruck  in  dieser 
Sprache  in  allzu  enge  Schranken  eingeengt  würden ;  einmal  ist  ea  nicht 
wahr  dasz  diejenigen,  welche  sich  bestreben  das  klassische  Latein 
nachzuahmen,  allein  Cicero  folgten  und  nicht  seine  Zeitgenossen  eben- 
falls als  Quellen  klassischer  Lalinität  betrachteten,  —  und  gesetzt 
treibst  dies  wäre,  der  Fall,  so  ist  das  angeblich  übrig  gebliebene  Zehn- 
tel von  Ciceros  Schriften  doch  immer  noch  eine  unerschöpfliche  Fand- 
grübe  für  rechte  Latinität,  die  der  Theolog  wie  der  Jurist  ond  der 
Philosoph  ni^r  recht  zu  studieren  braucht,  um  des  'novare'  za  ent- 
rathen.  Denn  für  wie  viele  moderne  Ausdrücke  wird  er  echt  latei- 
nische Bezeichnungen  finden  und  die  halb  oder  ganz  barbarischeii  ent- 
behren können.  Und  statt  der  ^audacia'  ist  etwas  besseres  zu  lernen, 
nemlich  fleisziges  aufmerken  auf  den  wirklich  lateinischen  Sprachge- 
brauch und  enges  anschlieszen  an  denselben.  Dann  wird  unsem  Schü- 
lern das  LateinUrnen  ein  wirklicher  Nutzen  sein,  auch  für  alle  flbrigeii 
Disciplinen ;  plappern  sie  aber  obenhin ,  mag  es  gerathen  oder  nicht, 
gutes  Latein  sein  oder  schlechtes,  so  werden  sie  sich  in  allen  Fiebern 
an  ein  solches  halbwissen  gewöhnen,  und  unter  der  Maske  der  Gelehr- 
samkeit —  mehr  wäre  ja  ein  solches  lateinreden  nicht  —  würde  die 
Unwissenheit  und  Halbbildung  sich  bequem  verbergen  können;  wu 
aber  die  Vertheidiger  dieses  Deckmantels  der  Unwissenheit,  des  ^kflh- 
nen'  Lateins,  betrifft,  so  zeigen  ihre  eigenen  Schriften  hinlänglich  (mit 
dem  Verf.  zu  reden)  *quid  veri  de  huiusmodi  hominibns  tenendnm  ao 
sentiendum  sit.' 

Hanau.  Dr  Otto  VUmar. 


16.  . 

Dr  K.  von  Spruners  historisch-geographischer  Schtdaüaswm 
Deutschland.  Zwölf  illuminierte  Karten  in  Kupferstich  mU  er- 
läutemdenVorbemerkungen  (20  S.).  Gotha,  Justns  Perthes  1858. 

Es  liegt  in  der  Natur  der  Sache,  dasz  der  Geschichtsunterricht  anf 
den  Nittelschnlen  sich  gleichsam  von  selbst  in  drei  Curse  vertheill.  Der 


Dr  K.  T.  Spraner:  historisch-geograph.  Schulaiias  ?.  Doolschland.  281 

erste  Curs  fahrt  in  das  erlernen  der  Gescbichle  ein  nnd  gibt  ein  die  am 
Bieisten  hervortretenden  Momente  umfassendes  Material  in  der  Weise, 
welche  dem  dieses  Fach  beginnenden  Schüler  am  geläufigsten  ist,  in 
biographischer  Form,  in  welcher  der  mit  dem  Material  nnd  der  sprach- 
lichen Darstellang,  der  Erzählung  noch  kämpfende  Neuling  die  leichte- 
sten Anhaltspunkte  flndet,  von  welchen  aus  er  sich  in  Stoff  und  Repro- 
duction  am  leichtesten  znrecht  findet.  Ist  in  diesem  Curs  der  Anfanger 
IB  einer  gewissen  üebersicht  über  das  allmähliche  entstehen  und  neben- 
eiMnderwirken  der  Völker  heimisch  geworden,  so  folgt  die  Mittheilnng 
eines  reicheren  Materials,  aus  welchem  der  Zusammenhang  der  Fort- 
schritte der  einzelnen  Völker  nnd  Zeiten  erkannt  werden  soll.  Der 
Schaler  musz  jetzt  von  dem  einzelnen  Volk,  insofern  es  fär  die  Ent- 
wicklung der  Menschheit  von  besonderer  Wichtigkeit  ist,  ein  vollstän- 
diges Bild  seines  Anfanges  und  Fortschrittes  erhalten.  An  die  Stelle 
der  biographischen  Darstellung  tritt  die  Darstellung  des  Zusammen- 
hangs und  Fortgangs  der  Ereignisse,  jedoch  namentlich  beim  Anfange 
noch  so,  dasz  sich  das  ganze  immer  noch  um  die  leitenden  Persönlich- 
keiten gruppiert,  ohne  darüber  den  Znsammenhang  jener  unter  sich 
ansier  Acht  zu  lassen.  Dieser  zweite  Curs,  welcher  sich,  da  jetzt  die 
Geschichte  naelMen  einzelnen  Völkern  ausfuhrlicher  durchgenommen 
werden  musz,  in  mehrere  Jahre  theilt,  gibt  gleichsam  das  Fundament, 
auf  welches  sich  stützend  ein  dritter  Curs  die  eigentliche  Entwick- 
Inngsgeschichte  der  Völker  und  Staaten  lehrt.  Der  zweite  Curs  gibt 
daher  auch  vorzugsweise  nur  auszere  Geschichte ,  damit  der  Schüler 
gleichsam  das  Gerippe,  welches  ans  den  bedeutendsten  Ereignissen  des 
Volkes  zusammengesetzt  ist,  erhält,  so  daszider  lernende  in  der  groszen 
Masse  nnd  Manigfaltigkeit  der  äuszeren  Begebenheiten  sich  leicht  zn- 
recht ßndet.  Der  innere  Zusammenhang  und  Entwicklungsgang  im  Le- 
ben der  Völker,  ihr  geistiges  und  sittliches  auf-  und  absteigen,  die 
Wechselwirkung  änszerer  Geschichte  und  innerer  Entwicklung,  alles 
dies  bleibt  der  gereifteren  Einsicht  und  der  gröszeren  Bewandertheit 
in  der  äuszeren  Geschichte  in  einem  letzten  Curse  vorbehalten.  Hier 
tritt  die  Cnlturgeschichte  mehr  hervor,  welcher  die  äuszere  Geschichte 
als  Unterlage  im  Unterrichte  dienen  musz.  Eine  möglichst  klare  An- 
schauung der  äuszeren  Völkerverhältnisse  wird  diesen  Unterricht  der 
letzten  Stufe  sehr  erleichtern,  ja  seine  Erspieszlichkeit  allein  möglich 
mitehen.  Es  wird  daher  auch  vor  allem  im  Unterricht  des  zweiten  Cur- 
ses  auf  eine  klare  Anschaulichkeit  alle  mögliche  Rücksicht  genommen 
werden  müssen.  Durch  bloszes  vorsagen,  vorlesen  und  nachsagenlassen 
wird  diese  nicht  gewonnen ;  das  unmittelbar  anschauliche  Bild  ist  es, 
was  sich  dem  jugendlichen  Geiste  am  leichtesten  einprägt,  ans  dem 
heraus  er  die  Complicalionen  der  Ereignisse,  wie  er  sie  im  Lehrbucbe 
liest,  am  deutlichsten  erklären  und  festhalten  kann.  Was  der  Schüler 
unmittelbar  vor  seinem  Auge  sieht  bleibt  ihm  immer  am  klarsten  und 
festesten.  Und  von  diesem  Standpunkte  ans  musz  obiges  Kartenwerk 
als  ein  unentbehrliches  und  höchst  dankenswerthes  Hulfsmittel  für  den 
Geschichtsunterricht  auf  Schulen  erscheinen.  Die  Geschichte  Deutseb- 

19* 


282  Dr  K.  ?.  Spraner :  historiscb-geograph.  Schalallas  v.  Deotscbltt^J^ 

lands  bildet  in  den  deutschen  Schulen  immer  für  die  ganze  Geschichte 
vom  Abschlusz  des  Alterthums  an  den  Mittelpunkt;  ihr  ronsz  ganz  be- 
sondere Sorgfalt  im  Unterricht  gewidmet  werden.  Darum  ist  auch 
dieser  Atlas  neben  Herrn  v.  Spruners  früher  erschienenem  historisch- 
geographischen Schulatlas  in  22  Karten,  welcher  die  gesamte  Ge- 
schichte ¥on  der  Völkerwanderung  an  umfaszt,  nichtsweniger  als 
überflüssig.  In  dem  Atlas  für  deutsche  Geschichte  sieht  der  Schaler 
so  recht  sein  Vaterland  werden,  wie  es  von  Epoche  zu  Epoche  durch  '• 
Veränderungen,  Vergröszerungen,  Zerstückelungen  und  Wiederver- 
einigungen so  manche  Phase  bis  zur  letzten  Gestaltung  durchschritten 
hat;  er  gewinnt  in  diesen  Blättern  so  zu  sagen  erst  einen  richtigen 
geographischen  Begriff  des  alten  und  neuen  Deutschland.  Indessen 
läszt  sich  am  besten  die  Reichhaltigkeit  iind  Zweckmäszigkeit  dieses 
für  die  Schule  unentbehrlichen  Kartenwerkes  aus  den  Karlen  selbst 
erkennen.  Nr  1  gibt  Deutschland  zur  Zeit  der  Römerherscbaft.  Nr  2 
Deutschland  zur  Zeit  der  Merovinger.  Nr  3  Deutschland  unter  den 
Karolingern.  Nr  4  Deutschland  unter  den  sächsischen  und  fränkischen 
Kaisern.  Nr  5  Deutschland  unter  den  Hohenstaufen.  Nr  6  Deutschland 
um  die  Mitte  des  14n  Jahrhunderts.  Nr  7  Deutschland  von  der  Mitto 
des  14n  Jahrhunderts  bis  1493.  Nr  8  Deutschland  von  1493—  1618. 
Nr  9  Deutschland  während  des  dreiszigjährigen  Krieges  und  seine  po- 
litische Gestaltung  am  Ende  desselben.  Nr  10  Deutschland  vom  dreiszig- 
jährigen Kriege  bis  zur  französischen  Revolution  und  seine  politische 
Gestaltung  beim  Ausbruche  derselben.  Nr  11  Deutschland  von  der  fran- 
zösischen Revolution  bis  zum  ersten  pariser  Frieden.  Nr  12  das  jetzige 
Deutschland.  Die  beigegebenen  erläuternden  Bemerkungen  zn  jeder 
Karte  zeichnen  sich  durch  Klarheit  und  Kürze  aus  und  unterstfliien  den 
Schüler  beim  lernen  der  Geschichte  sehr.  Für  die  treffliche  inssere 
Ausstattung  der  in  Kupfer  gestochenen  Karten  ist  der  Name  des  Ver- 
legers schon  Beweis  genug.  Hr  v.  Spruner  hat  sieb  aber  durch  dieses 
neue  Kartenwerk  ein  ganz  besonderes  Verdienst  um  den  Unterrieht  fn 
der  Geschichte  erworben ;  zugleich  empfiehlt  sich  dasselbe  durch  sei- 
nen für  seinen  klassischen  Werth  und  sein  sorgfältiges  äuszere  billi- 
gen Preis.  K,  K, 


17. 

Historischer  Atlas  nach  Angaben  von  Heinrich  Dittmar.  Driiie 
Auflage^  revidierty  neu  bearbeitet  und  ergänzt  von  D.  V äl- 
ter ^  Prof.  in  Esslingen.  L  Abthlg  in  7  Blättern ^  IL  AbtUg 
in  1 1  Blättern.  Heidelberg ,  Karl  Winter. 

Als  eine  niedliche  Beigabe  nicht  nur  zu  den  Dittmarsohen ,  son- 
dern auch  zu  andern  Geschichtsbüchern,  namentlich  so  weit  sie  auf 
Schulen  gebraucht  werden,  erscheint  dieser  historische  Atlas,  der  in 
zwei  Abtheilnngen  die  alte  und  neue  Zeit  umfaszt,  in  seiner  dritten 


Ueiiir.  Ditimar:  historischer  Atlas.  283 

Auflage.   Dieselbe  ist,  wie  der  Titel  richtig  angibt,  neu  bearbeitet  und 
vielfach  ergänzt,  so  dasz  in  Beziehung  auf  Vollständigkeit  und  Ge- 
nauigkeit der  Angaben  wenig  zu  wünschen  übrig  bleibt.    Die  ganze 
üuazere  Erscheinung  ist,  wie  dies  schon  bei  den  früheren  Auflagen  der 
Fall  war,  niedlich,  fast  zierlich;  der  Stich  ist  auszerordentlich  scharf 
und  rein  und  die  Colorierung  mit  nur  stark  hervorstechenden  Farben 
durchgeführt.    Diese  beiden  Eigenschaften  sind  aber  auch  durchaus 
BOthwendig  bei  Karten ,  die  in  so  kleinen  Dimensionen ,  wie  in  diesem 
Atlas,  so  vieles  auf  einem  Blatte  geben,  ohne  dasz  die  Deutlichkeit 
Noth  leiden  soll.    Die  Schrift  ist  nemlich,  wenn  auch  auszerst  scharf 
and  deutlich,  so  klein  dasz  sie,  namentlich  für  den  Schulgebrauch,  fast 
lu  klein  erscheinen  müste,  wenn  sie  nicht  durch  die  sorgfältigste  Rein- 
heit gehoben  würde.  Diese  läszt  sich  ohne  besonderen  Schaden  für  das 
Auge  dann  gut  anwenden,  wenn  die  Karte  nur  mit  den  allernöthigsten 
Namen  und  Zeichnungen  ausgefüllt  wird,  so  dasz  der  die  Schrift  zu- 
nächst umgebende  Raum  ziemlich  frei  bleibt  und  diese  um  so  schärfer 
hervortritt.  Deshalb  haben  auch  einige  Karten  in  dieser  neuen  Auflage 
im  Vergleiche  zur  früheren  an  Vollständigkeit  zwar  sehr  gewonnen, 
aber  doch  ein  wenig  von  ihrer  Deutlichkeit  bei  aller  Schärfe  und  Rein- 
heit, eingebüszt.    Wenigstens  wird  das  Auge  leichter  angegriffen  und 
ermüdet.    Ein  klein  wenig  Beschränkung  oder  eine  für  so  kleine  Di- 
mensionen nothwendige  strenge  Aussonderung  des  mehr  und  minder 
nothwendigen  dürfte  einer  folgenden  Auflage  zum  wesentlichen  Vortheil 
gereichen.    Die  vortreffliche  Colorierung  unterstützt  die  Deutlichkeit 
und  Uebersichtlichkeit  sehr.   Nur  da,  wo  auf  kleinen  Cartons  auf  einem 
sn  kleinen  Raum  zu  vielerlei  Farben  neben  und  durcheinander  gehen, 
wie  z.  B.  auf  dem  Blatt  der  Schweiz  von  1218 — 1331  (Nr  12),  hat  die 
Uebersichtlichkeit  der  früheren  Auflage  der  Vollständigkeit  in  dieser 
4ritten  Ausgabe  ein  Opfer  gebracht.   Auch  glauben  wir  bei  einer  Ver- 
gleichung  zu  finden,  dasz,  wenn  vielfache  Grenzabtheilungen  in  einem 
Lande,  wie  z.  B.  auf  Bl.  V  Abthlg  1  (das  Reich  Alexanders),  nothwen« 
dig  sind,  die  Bezeichnung  für  das  Auge  wolthuender  in  einer  von  den 
äus^ren  Grenzlinien  verschiedenen  Farbe  geschieht.   Wenn  z.  B.,  wie 
auf  Bl.  VIII  2e  Abthlg,  die  äuszeren  Umfassungslinien  des  weströmi- 
schen Reiches  roth,  die  inneren  Gretizen  mit  gelb  und  grün  in  dünnen 
and  doch  scharfen  Linien  bezeichnet  sind ,  so  erhält  das  ganze  Bild, 
ohne  an  Deutlichkeit  einzubüszen ,  viel  mehr  Leichtigkeit  und  ist  dem 
Auge  wolthuender,  als  wenn  in  der  neuen  Auflage  alles,  äUszere  wie 
innere  Linien ,  mit  hartem  roth  bezeichnet  sind.    Die  Deutlichkeit  ist 
swar  in  gleich  hohem  Grade  da,  aber  das  ganze  Bild  wird  schwerer 
oder  schwerfälliger,  und  gerade  das  sollte  nach  unserer  Ansicht  bei 
so  kleiner  Schrift  vermieden  werden.  Die  gleiche  Bemerkung  gilt  noch 
für  Nr  4  und  6  a  in  der  In  und  Nr  7,  9,  11  in  der  2n  Abtheilnng.  Weit 
entfernt  durch  diese  Bemerkungen   gegen  die  mit  der  pünktlichsten 
Sorgfalt  und  Eleganz  ausgeführte  Ausstattung  einen  Vorwurf  ausspre- 
chen zu  wollen,  machen  wir,  durch  mehrfachen  Gebrauch  in  der  Schule 
darauf  hingeführt,  dieselben  nur  deshalb,  weil  wir  den  Atlas  als  einen 


284  Heinr.  Dittmar :  historischer  Atlas. 

der  brauchbarsten  kennen  gelernt  haben  nnd  ihm  daher  jede  mögHohe 
VerTollkommnnng  von  Herzen  wünschen.  Um  ein  Bild  seiner  Volü 
stfindigkeit  zu  geben,  mögen  noch  kurz  die  einzelnen  BUtter  aufge- 
zählt werden:  le  Abtheilung:  Nr  1  die  Welt  der  Alten,  mit  der  home- 
rischen Welttafel;  genau  verzeichnet  sind  das  Reich  der  Parser  am 
500,  das  karthagische  Reich  um  218  und  das  römische  Reich  um  218. 
Beigegeben  auf  einem  Carton  ist  noch  das  Ruinenfeld  ¥on  Theben. 
Nr  2  Phönicien,  Palästina,  peträisches  Arabien,  Aegypten  und  Cypara, 
2  Carton :  Jerusalem  und  Palästina  mit  den  12  Stämmen.  Nr  3  Griechea- 
land, die  griechischen  Inseln  und  die  Westküste  von  Kleinasien,  5  Car- 
tons  init  Plauen.  Nr  4  in  2  Abtheilangen,  Hellas  und  die  PelopooMf, 
und  Kleinasien  und  Syrien.  Nr  5  2  Abtheilangen :  das  Reich  Alexan- 
ders und  die  Reiche  der  Nachfolger  Alexanders.  Nr  6  a  Italien  bis  4ö0 
und  das  römische  Reich  unter  Trajan.  Nr  6  b  Italien  als  Republik  in 
ihrem  vollen  Bestand ;  3  Carton  mit  Campanien ,  einem  Plan  von  Rom 
und  Carthago.  2e  Ablheilnng:  Nr  7  das  alte  Gallien,  Britannien  and 
Germanien  mit  den  Oberdbnauländern  (liesze  sich  dies  Blatt  nicht  bes- 
ser der  ersten  Abtheilung  beigeben?).  Nr  8  in  2  Abtheilangen:  das 
weströmische  Reich  bis  zu  seinem  Untergang  und  der  Occident  im  An- 
fang des  6n  Jahrhunderts  n.  Chr.  Nr  9  in  2  Abtheilungen:  daa*  Reich 
Karls  d.  Gr.  und  das  byzantinische  Reich  nebst  dem  Reich  der  Kalifeii 
im  Orient  zur  Zeit  Karls  d.  Gr.  Nr  10  in  2  Abtheilnngen :  Europa-  in  der 
hohenstaußschen  Zeit  und  Karte  za  den  Krenzzügen  (Eine  Karte  la 
der  Zeit  der  sächsischen  and  fränkischen  Kaiser  würde  namentlich  fAr 
die  deutsche  Geschichte  eine  vortheilhafte  Zugabe  zwischen  Nr  9  and 
Nr  10  sein).  Nr  11  Deutschland  und  Frankreich  von  Radolf  v.Hababarg 
bis  Maximilian  I.  Nr  12  die  Schweiz  von  1218 — 1331.  Das  Land  der 
Eidgenossen  im  14n  Jahrhundert  und  das  Mongolenreich  anter  Dsehin- 
gis-Chan.  Nr  13  Deutschlands  Kreiseintheilang  anter  MaxinüUan. 
Deutschland  nach  seinen  ehemaligen  Bisthümem  nnd  Ersbifthttaiiern. 
Deutschland  im  dreiszigjährigen  Kriege.  Nr  14  Buropa  von  Friedrich 
d.  Gr.  bis  zur  französischen  Revolution.  Die  Zeit  der  ersten  Repablik. 
Europa  zur  Zeit  Napoleons.  Nr  16  die  Länder entdeckungen  im  15n  und 
]6n  Jahrhundert.  Nr  16  die  deutschen  Bundesstaaten  mit  den  angren- 
zenden Ländern.  —  Schlieszlich  noch  die  Bemerkung,  das«  sieh  dieaer 
Atlas  noch  ganz  besonders  für  Schulen  empfiehlt  darch  den  fir  die 
Vollständigkeit  und  in  jeder  Beziehung  schöne  Ausstattung  sehr  bUli- 
gen  Preis ;  auch  werden  die  Abtheilungen  einzeln  abgegeben.  Wann 
auch  für  die  alte  Geschichte  schon  mehrere  gute  Atlanten  vorhaodea 
sind ,  so  ist  die  betreffende  Abtheilung  in  dem  angezeigten  Atlas  kei- 
neswegs eine  Oberflüssige  Arbeit;  die  zweite  Abtheilung  dagegen  sieht 
bis  jetzt,  den  ausgezeichneten  umfassenderen  Atlas  v.  Sprunera  abge- 
rechnet, fast  allein  in  ihrer  Art.  Denn  alle  anderen  hierher  gehörigen 
Kartenwerke  sind  theils  veraltet,  theils  für  eine jgrosze  Zahl  Schaler 
zu  kostspielig.  Wir  wünschen  daher  auch  dieser  verdieustvollea  Arbeit 
im  Interesse  der  Schule  eine  recht  weite  Verbreitung.  Jif.  K, 


leriehke  Aber  gelehrte  Anstalten,  Verordnangen,  statift.  Noiises.  285 

Berichte  über  gelehrte  Anstalten,  Verordnungen,  statistische 
Notizen,  Anzeigen  von  Programmen. 


Bericht  Aber  die  Gymnasien  des  Königreichs  Sachsen  nebst  Anzeige 
der  am  Schlüsse  des  Scholjahres  1857  erschienenen  Programme. 

1.  BuDissiN.]  In  dem  LehrercoUegiam  fand  im  Schuljahre  1850—57 
keine  YerÄnderang  statt.  Die  Gesamtzahl  der  Schüler  betrug  151  (I  19, 
II,  16,  m  21,  IV  30,  V  37,  VI  28).  Abiturienten  IL  Den  Schulnach- 
richten geht  voraus:  die  Seelenlehre  des  Tertullian  nach  dessen  Traciat: 
de  anima,  dargestellt  von  F.  A.  Barckhardt.  27  S.  4.  —  In  der 
Schrift  de  anima  sucht  Tertullian  im  Gegensatz  zu  allen  damals  aner- 
kannten Meinungen  auf  Grund  der  heiligen  Schrift  das  Wesen  der  mensch- 
lichen Seele,  ihr  Verhältnis  zu  Goti,  zur  Sünde,  zum  Leibe,  ihre  Thätig- 
keiten  usw.  zu  bestimmen.  Bevor  der  Verfasser  zu  seiner  eigentlichen 
Aofgabe  übergeht,  dem  groszeu  Kirchenvater  in  seinen  Untersuchungen 
fiber  die  Seele  zu  folgen,  wird  der  Mann  selbst  in  einigen  kurzen  Zügen 
charakterisiert,  in  wenig  Worten  seine  Stellung  zur  Kirche,  in  der  er 
wirkte,  und  zum  Heidenthum,  das  er  bekämpfte,  bezeichnet,  damit  er 
aus  seiner  Zeit  heraus  verstanden  und  gerecht  beurteilt  werden  könne. 
Tertullian  bezeichnet  in  der  vorliegenden  Schrift  von  vorn  herein  seinen 
Standpunkt,  indem  er  sagt:  Will  man  die  Seele  erforschen,  so  wende 
man  sich  zu  den  Kegeln,  die  Gott  gegeben  hat,  denn  sicherlich  kann 
niemand  die  Seele  besser  erklären  als  ihr  Schöpfer ;  von  Gott  lerne  man 
kennen,  was  man  von  ihm  empfangen  hat,  und  nicht  von  einem  andern 
aoazer  Gott,  denn  wer  will  offenbaren,  was  Gott  verhüllt  hat?  Woher 
will  man  es  wissen?  Daher  ist  das  nichtwissen  das  sicherste.  Es  ist. 
beaser  durch  Gott  etwas  nicht  zu  wissen,  weil  er  es  nicht  geoffenbart 
bat,  als  durch  einen  Menschen  es  zu  wissen,  der  es  nur  voraussetzt. 
Darauf  wird  das  wesentliche  von  Tertullians  Seelenlehre  mitgetheilt.  Es 
ist  nicht  die  Absicht  des  Verf.  ein  Urteil  über  Tertullians  Ansicht  zu 
fällen,  aber  das  scheine  daran  namentlich  für  unsere  Zeit,  in  welcher 
das  Wesen  der  Seele  wiederum  Gegenstand  wissenschaftlicher  Unter- 
auchnng  geworden  sei  und  sich  der  Materialismus  in  bedenklicher  Weise 
geltend  mache,  beherzigenswerth  zu  sein,  dasz  man  bei  der  Untersuchung 
von  der  Schrift  ausgehe,  wenn  auch  nicht  mit  völliger  Verwerfung  alles 
philosophischen  Wissens,  wie  es  Tertullian  thue«  sondern  nach  echt 
evangelischem  Grundsatz  mit  Zurückweisung  nur  alles  schriftwidrigen, 
es  zeige  sich  in  einem  so  gelehrten  Gewände  als  es  wolle.  Denn 
die  Schrift  genüge,  wie  der  Kirchenvater  sagt,  der  gläubigen  Wiszbe- 
gierde,  obgleich  sie  aller  müszigen  Neugierde  ein  verschlossenes  Buch 
bleibe. 

2  u.  3.  Dresden.]  In  dem  Lehrercollegium  des  Gymnasiums  Stae  Crucis 
ist  keine  weitere  Veränderung  eingetreten,  als  dasz  DrRichard  Franke 
und  Dr  Adam,  ersterer  zu  Michaelis  1856,  letzterer  Ostern  1857,  nach 
Absolvierung  ihres  Probejahres  die  Anstalt  verlassen  haben.  Dasselbe 
besteht  gegenwärtig  aus  folgenden  Lehrern:  Rcctor  Dr  Klee,  Conrector 
Dr  Böttcher,  den  Oberlehrern  Heibig,  Dr  Götz,  Dr  Baltzer,  dem 
sechsten  Collegen  Otto,  den  Gymnasiallehrern  Lindemann,  Albani, 
Sachse,  Schöne,  Dr  Pfuhl,  Dr  Mehnert,  Dr  Häbler,  Glausz, 
dem  Schreiblehrer  Kellermann  und  dem  Gesanglehrcr  Eisold.  Am 
Schlusz  des  Schuljahres  betrug  die  Zahl  der  Schüler  321  (I  27,  II  33, 
III  41,  IV  49,  V  51,  VI  52,  VII  27,  VIII  20,  IX  21).  Abiturienten  32. 
Den  Schulnachrichten  steht  voran :  de  verborum  slavicorum  natura  et  po- 
testaie  scr.  Pfuhl,  Dr  phil.  (42  6.  8).  —  An  dem  Vitzthumschen  Ge- 


286  Berichte  aber  gelehrte  ÄDstalten,  Verordnungen,  statiit  Hotisei^ 

Bchlechtsgymnasium  und  der  damit  yereinigten  Erziehangsanstalt 
unterrichteten  im  Schuljahre  1856 — 57  folgende  Lehrer:  Schalrath  Prof. 
Br  Bezzenberger,  DrBiermatin,  Erler,  Dr  Grandmann,  Hen- 
Singer,  Dr  Hübner,  Prof.  Hughes,  Lehrer  Hughes,  Kellermann, 
Br  Klein,  Balletmeister  Lepitre,  Maillard,  Michael,  Müller, 
Prof.  Dr  Müller,  Dr  Opel,  Pnschner,  Robert,  Dr  Boqaette, 
Prof.  Dr  Scheibe,  Dr  Schlemm,  Schröder,  Prof.  Sehurig,  Con- 
sistorialrath  Stepänek,  Suszdorf.  Die  Zahl  der  Zöglinge  betrug 
113  (I  gym.  16,  II  gym.  10,  III  gym.  13,  IV  gym.  10;  I  real.  3.  II  real. 
12,  III  real.  18.  le  Progymnasialklasse  14,  2e  17).  Den  Nachrichten 
über  die  Anstalt  geht  voraus:  Untersuchung  eines  van  C,  G,  J.  Jaoobi  auf' 
gestellten  Correlationssystems.     Von  Dr  H.  Klein   (48  8.  8). 

4.  Freibebo.]  In  dem  Lehrercollegium  des  Gymnasiums  zu  Frei- 
berg traten  im  Schuljahre  (Michaelis)  1856 — 57  folgende  Veränderungen 
ein:  Dr  Noth  wurde  sufolge  lioher  Verordnung  von  seinem  Amte  ent- 
lassen; Dr  Zimmer  wurde  zum  Conrector  ernannt;  Dr  Hermann 
Wunder  als  achter,  Hacker  als  neunter  Lehrer  angestellt.  Lehrer- 
hestand:  Rector  Prof.  Dr  Frot scher,  Dr  Zimmer,  Dr  Prölsi,  Dr 
Dietrich,  Dr  Brause,  Dr  Michaelis,  PrÖssel,  Dr  Wunder, 
Hacker.  Die  Zahl  der  Schüler  betrug  am  Schlüsse  des  Schuljahrs  180 
(I  24,  II  21,  III  22,  IV  25,  V  21,  VI  23).  Abiturienten  Ostern  1857  2, 
Michaelis  1857  6.  Eine  wissenschaftliche  Abhandlung  ist  der  Chronik 
nicht  beigefügt.  Dagegen  enthält  die  Einladungsschrift  zu  geneigter 
Anhörung  von  zwei  zum  Andenken  edler  Wohlthäter  des  Gymnasiums 
zu  Freiberg  in  demselben  zu  haltenden  Gedächtnisreden :  kulturhistorische 
Skizzen  aus  dem  Bereiche  des  19,  Jahrhunderts  von  dem  Conreotor  Dr 
Zimmer  (32  S.  4). 

5.  Grimma.]  Mit  dem  Ende  des  Jahres  1856  trat  im  Lehrerpenonal 
der  Landcsschule  folgende  Veränderung  ein:  Nach  Erledigung  der  Stelle 
eines  Musik-  und  Gesanglehrers  an  der  Landesschule  zu  Meiszen  hatte 
das  Ministerium  beschlossen,  den  Musik-  und  Ctesangunterricht  daselbst 
künftig  einem  ordentlichen  Lehrer  zu  übergeben,  und  zu  dem  Ende  den 
damals  hier  angestellten  neunten  Oberlehrer  G.  E.  Pöthko  vom  I.Jan« 
d.  J.  an  als  neunten  Oberlehrer  an  die  Landesschule  zu  Meiszen  mit 
der  Verpflichtung,  zugleich  den  Musik-  und  Gesangunterricht  daselbst 
zu  erthoilen,  zu  versetzen  und  dagegen  den  dermaligen  neunten  Ober> 
lehrer  an  der  Landesschule  zu  Meiszen,  Dr  Dinter,  an  Pöthko*8  Stelle 
in  die  Landesschule  zu  Grimma  eintreten  zu  lassen.  Dem  Candidaten 
des  höheren  Schulamts,  Dr  Voigt  aus  Geithain,  wurde  gestattet  im 
Jahre  1857  an  der  dasigen  Anstalt  sein  Probejahr  zu  bestehen.  Das 
Schulcolleginm  bestand  aus  folgenden  Lehrern:  Dr  Eduard  Wunder, 
Kector  und  erster  Professor,  Ritter  des  königl.  sächs.  C.-V.-O.,  Lorenz 
zweiter  Professor,  Fleischer  dritter  Professor,  Dr  Petersen  vierter 
Professor,  Dr  Rudolph  Dietsch  fünfter  Professor,  Dr  Maller 
sechster  Professor,  Löwe  siebenter  Oberlehrer,  Dr  Arnold  Schäfer 
Professor ,  Dr  D  i  n  t  e  r  ,  neunter  Oberlehrer.  Auszerdem  sind  als 
Turn-  und  Tanzlehrer  Ha ugwitz  ,  als  Zeichenlehrer  Maler  rLut her 
und  als  Schreiblehrer  Ar  1  and  thätig.  —  Im  Winterhalbjahre  1856—57 
bestand  der  Cötus  aus  133  Schülern  (I  34,  II  35,  III  26,  IV«  23,  IV  »• 
15);  im  Sommerhalbjahr  aus  136  (1  33,  II  26,  lU  26,  IV*  26,  IV»»  19). 
Abiturienten  zu  Michaelis  1856  7,  zu  Ostern  1857  14.  —  Als  das  erfreu- 
lichste Ereignis  des  verlebten  Schuljahres  wird  der  hohe  Besuch  Sr  Ma- 
jestät des  Königs  in  der  Chronik  mit  Recht  besonders  hervorfi^ehoben. 
Den  7.  August  Vormittags  gegen  9  Uhr  traten  Se  Majestät  in  die  fest- 
lich geschmückte  Anstalt  und  wurden  beim  Eintritt  in  den  Schnihof  von 
dem  versammelten  Schulcollegium  und  dem  Cötus  mit  dem  Gesänge  des 
ersten  Verses  aus  dem  Liede  'den  König  segne  Gott*  empfangen.    Nach 


Aber  gelehrte  Anstalten,  Verordnungen,  Statist  Notiseo.    287 

diesem  herzlichen  Segenswünsche  ergriff  der  Bector  das  Wort  nnd  bat 
8e  Majestät  die  Versicherung  huldvoll  anzunehmen,  dasz  Lehrer  und 
Schüler  der  Anstalt  durch  die  Gegenwart  des  allverehrten  Landesvaters 
and  ihres  allerhöchsten  Schutzherrn  um  so  inniger  sich  erfreut  und  ge- 
ehrt fühlten,  je  lauter  ihrer  aller  Herzen  in  Treue  und  Liebe  Sr  Maje- 
stät entgegenschlügen,  aber  auch  zugleich  um  so  mächtiger  gedrung^ 
würden  zu  erhöhtem  Eifer  in  Erfüllung  aller  Pflichten,  die  ein  christ- 
licher Unter than  seinem  Könige  nnd  dem  Vaterlande  schulde,  je  offen- 
barer die  Kenntnisnahme  Sr  Majestät  von  dem  Zustande  ihrer  Anstalt 
nicht  blos  die  huldvollste  Herablassung  sei,  sondern  auch  eine  heilige 
Mahnung  an  Lehrer  und  Schüler,  dasz  jeder  in  seinem  Berufe  sich  der 
äuszersten  Gewissenhaftigkeit  befleiszige.  Hierauf  überreichte  ein  Pri- 
maner Sr  Majestät  eine  gedruckte  lateinische  Ode,  in  welcher  er  in  sei- 
nem und  seiner  Mitschüler  Namen  die  Empfindungen  ausgesprochen, 
welchie  das  erscheinen  des  allverehrten  Königs  in  der  Anstalt  in  den 
Herzen  der  Schüler  erweckt  habe.  Nachdem  Se  Majestät  allergnädigst 
das  Gedicht  angenommen  und  sich  das  Schulcollegium  hatten  vorstellen 
lassen,  nahmen  Allerhöchstdieselben  unter  Führung  des  Rectors  zunächst 
alle  Räumlichkeiten  der  Anstalt  in  Augenschein  und  wohnten  sodann 
einer  Lection  des  Rectors  über  Horat.  Od.  und  einem  Geschlchtsvor- 
. tragendes  Prof.  Schäfer  bei.  Nach  dem  Schiasse  der  erstcren  drück- 
ten Se  Majestät  noch  vor  der  Klasse  die  besondere  Billigung  darüber 
aas,  dasz  die  Uebung  der  Schüler  in  Fertigung  lateinischer  Gedichte 
hier  fortgesetzt  werde.  Nachdem  Se  Majestät  beim  scheiden  an  den 
auf  dem  Schulhof  versammelten  Cötus  noch  eine  Mahnung  zu  Fleisz 
and  braver  Gesinnung  gerichtet  hatten,  verlieszen  Allerhöchstdieselben 
anter  einem  herzlichen  Lebehochruf  der  Lehrer  und  Schüler  gegen  11  Uhr 
die  Anstalt.  —  Dem  Jahresbericht  geht  voraus  eine  wissenschaftliche 
Abhandlung  vom  Rector  Dr  Ed.  Wunder:  de  Aeschyli  Agamemnone  dis- 
aeriatio  critica  et  exegetica  (31  S.  4).  Die  behandelten  Stellen  sind  V. 
1 — 21.  V.  2:  tpQovqäg  itsiag  ii7J%og  =:  fiangov  XQOVOV  q>QOVQäg  itsias 
s.  9icc  qfQOVQug  irs^ag,  'deos  quidem  precor,  ut  me  malis  quibus  premor 
liberent,  pe(  long^tudinem  custodiae  annuae  —  ergo  adhuc  frustra  — 
verum  nunc  opinor  malis  meis  liberabor,  scilicet  postquam  elapsus  est 
annus  nonus  obsidionis  Troiae.  —  Quae  interiecta  sunt  inter  v.  2  et 
V.  20,  eorum  summam  nexumque  hunc  esse:  quam  (custodiam)  adhuc 
egi,  ita  ut  totius  coeli  sidera  eorumque  cursum  cognorim,  et  etiam  nunc 
ago  (v.  8)  eo  consilio,  ut  facis  signum  observem,  quo  Troiae  ezci- 
dium  nuntiabitur.  Misera  est  autem  custodia;  etenim  dum  excubo  cet. 
V»  2:  %oifi,(Ofiai  tpQovQoiv  =  iacens  custodiam  ago  (ich  liege  Wache 
nach  der  Analogie  von  'ich  stehe  Wache'.  —  V.  12 — 19:  summa  eorum, 
quae  dicit,  haec  est:  quo  vero  tempore  insomnis  excubias  ago,  quando 
eanere  lubet,  semper  deploro  cet.  V.  12:  ivvri  vviiz£nXctyiizog  nihil  est 
nisi  cubile  noctumum;  'quando.noctu  cubile  roscidum  occupo.'  V.  14: 
iffrijy  pronomen  a  grammatico  quodam  additum  esse,  ut  saivum  metrnm 
versus  trimetri  esset ,  cum  librarii  incuria  excidisset  aliquod  vocabulum. 
Es  wird  daher  vermutet  dasz  Aeschylus  geschrieben  habe:  q}oß6g  yäg 
alhv  av^'  vtcvov  nagaazarsi.  V.  19:  dianovstv  ti  =  laborare  in  ali- 
qua  re ,  diligenter  exercere  aliquam  rem.  otnov  =  negotia  domestica. 
—  V.  31:  'Faciam  enim,  ut  secundae  sint  res  dominorum  (Agam.  et 
Clyt.),  postquam  mihi  contigit,  ut  rebus  maxime  secundis  utar,  finito 
excubiarum  onere.  —  V.  40 — 59:  V.  57  soll  so  geändert  werden:  yoov 
divßocev  tovSs  fistoiTimv,  attov  —  oloavoQ'qoov  yoov  o^vßoav  xovds 
lL9xoC%tov  :=  audiens  acutum  hunc  clamorem  inquilinarum  avium,  i.  e. 
vulturum,  quibus  pnlli  erepti  sunt.  —  V.  104:  nvgiog  ilfii  nxX,  =  fausta 
potestas  ominis  viatici  ducum,  i.  e.  fausta  illa  (victoriam  portendens) 
potestas    sive    vis    ominis  ante    ipsum    discessum    ducibus    oblati«    — 


288  fieriehte  fiber  gelehrte  Anstalten,  Verordnungen,  ataliit.  Notiiti. 

V.  160  — 166:  Zcvff,  Scug  xot'  ^€x£v  %xl.  Seiuas:  lovi  (qaiciimqae 
enim  est,  si  ita  ei  iucundam,  hoc  eum  nomine  appello)  non  possam 
qoicqaam  comparare  omnia  perpendens  praeter  lovem.  o^%  $%m  ngoeti- 
luiaai  —  nXrjv  Jiog  =  incomparabilis  est:  hat  seines  gleichen  nicht. 
In  den  folgenden  Versen  soll  statt  ^dtav  /Ltaray  gelesen  werden  nnd 
der  Sinn  dieser  Stelle  der  sein:  lovi  — *  neminem  omniam  d«*oram  pa- 
rem  esse  invenio,  si  insipientiae  onus  ab  animo  amovendam  omnino 
est|  i.  e.  hoc  si  agendum,  at  insipientiam  amoveas  sive  procul  babeas 
ab  animo,  per  neminem  deomm  id  conseqnere,  nrsi  per  lovem,  prae- 
stantissimum  omniam  deorum.  —  184 — 221 :  Agamemnon  nihil  accnsans 
Calchantem  placidoqne  animo  calamitatem  ferens,  quo  tempore  classis 
Aalide  maximis  tempestatibus  impedita  est,  qaominus  in  Troadem  tra- 
iiceret,  postquam  Calchas  effatus  est,  quid  Diana  postularet,  vehement^ 
effatum  eins  indignatas  est  ac  primam  fluctimvit  animo,  atmm  belle 
absisteret  an  filiam  mactaret,  deinde  vero  socionim  auctoritati  oedens 
nefarium  consilium  mactandae  filiae  cepit.  —  264 — 267:  Sinn:  ntinam 
qnidem  (opto  quidem)  dies  tam  faustus  sit,  quam  noz  fait!  Foit  vero, 
ut  andies,  noz  faustissima,  supra  quam  sperari  potuit  felicem  non^am 
offerens.  Troiam  enim  Argivi  expngnarunt.  —  V.  332  soll  gelesen  wer- 
den: yijtfretg  TCffog  dg^cxoiciv,  av  ixv  ^o^^S»  —  Die  Verse  343 --347 
sollen  so  umgestellt  und  interpungiert  werden: 

Sil  yoLQ  nqog  oCnovg  voar^fiov  amtrigtag. 

^BOtg  d*  ttVttfinXäTLTjTog  ei  /üO'.ot  otgardg, 

üdfAyfai,  Siaviov  ^dxBgov  umlov  ncUiv 

yivoiT '  aVj  si  ngoanaia  fiiq  tsvxoi  (statt  tvx^O  ^^^^^ 

iYgriyogog  to  wrjita  tcov  olaXotcap, 
Der  Sinn  der  Worte  von  d'soig  d'  —  oXmXoxmv:  sin  autem  non  obnozius 
dis  ezercitus  veniat,  fieri  quidem  possit,  ut  alteram  stadii  partem  eme- 
tiatur,  nisi  improyisa  mala  paret  reviviscens  clades  hominnm  ocoisomm. 
Der  Sinn  der  Verse  362 — 377  wird  nach  Widerlegung  der  Ansicht  yon 
Schneidewin  so  angegeben:  neg^runt  quidem  non  pauci,  persona  sna 
dignum  duoere  deos,  curare  mortales,  a  quibus^  quae  sancta  et  aogusta 
essent,  violarentur;  qui  quidem  impii  sunt;  verum  patefattum  hoc  est 
liberis  intolerabiliter  Hartem  spirantium  supra  quam  fas  erat,  nimis 
.affluente  opibus  domo.  —  437--45I.  437—444:  Der  Gold  gibt  für  le- 
bende Leiber  und  die  Wage  hält  im  Kampfe  des  Speeres,  Ares,  sen- 
det Terbrannt  ans  Ilium  den  Freunden  zu  heiszen  Thränen  ein  schweres 
Stäubchen  mann  vertretender  Asche  in  wolgefügten  Krügen.  —  445:  in- 
dignantur,  quod  id  alienae  muiieris  causa  factum  sit.  xddk  ciyd  tig  •— 
'Azgfidaig :  haec  taciti  quidem  mussitant ,  verum  dolor  eos  sabit  invidus 
Atridis  regibus  i.  e.  eiusmodi  dolor,  qui  invideat  Atridis  sive  ut  invl- 
deant,  succenseant  Atridis.  —  V.  504  soll  gelesen  werden:  dindxov 
as  (piyyn  xtpd^  dtpmofirjv  ixovg,  —  525:  TgoCa  %axaa%i^i^a9ta 
xov  ii'Kri(p6gov  =  qui  in  Troiam  ingruerit  vindicantis  lovis  folmine, 
quo  solum  eversum  est  i.  e.  ita  ut  solum  everteretur.  —  584  wird  ge- 
schrieben: du  ydg  -^ßat  xotg  ysgovciv  bv  ykci^ftv  =  semper  iuventos 
est  senibus ,  bona  discere  i.  e.  semper  senibus  tantum  roboris  iavenilis 
est,  ut  bona  discant. 

6.  u.  7.  Leipzig.]  Das  CoIIegium  der  Nicolaischule  hat  in  dem  Schul- 
jahre 1856—57  mehrere  bedeutende  und  sehr  wesentliche  Veränderungen 
in  seinem  Bestände  erfahren,  welche  durch  den  Abgang  zweier  sehr  ver- 
dienter Lehrer  herbeigeführt  wurden.  Am  13.  Febr.  1857  starb  der  bis- 
herige Hauptlehrer  der  5n  Klasse  Dr  Fritzsche;  Dr  O.  Kren  ssler 
schied  aus  dem  CoIIegium,  um  als  dritter  Professor  der  Landesschole 
zu  St  Afra  einzutreten.  In  das  erledigte  naturhistorische  Lehramt  ist 
Dr  Tittmann  eingetreten.  Der  fünfte  ordentliche  College  zu  St  Thomä, 
Dr  Jacobitz,    wurde  in   gleicher  Eigenschaft  als  fünfter  College  au 


Berichte  aber  gelehrte  Anstalten,  VerordflaBgeo,  Statist.  Notuea.  289 

St  Nieolai  an  die  Stelle  des  Prof.  DrKreaszUr  bernfen.  In  die  Stelle 
eines  sechsten  Collegen  rückte  der  dermalige  erste  Adjanct  Dr  Fiebig 
ein;  der  zweite  Adjunot  Dr  Gebauer  rückte  in  die  erste  Adjnnctnr 
auf  und  der  Candidat  des  höheren  Schulamts  Dr  Hultsch  in  die  zweite 
ein,  während  der  bisherige  Vicar  Dr  Lipsius  die  dritte  Adjunctur  zu 
St  Thomü  erhielt.  Die  Candidaten  Dr  Schulze  (Mathematiker)  und 
Dr  Vogel  (Philolog)  haben  ihr  Probejahr  anjgetreten.  Das  Gymnasium 
wurde  am  Schlüsse  des  Schuljahrs  von  158  Schülern  in  6  Klassen  be- 
sucht. Zur  Universität  wurden  reif  entlassen  20;  auszerdem  bestanden 
12  fremde  in  dem  Maturitätsezamen.  Dem  Programm  ist  keine  wissen- 
schaftliche Abhandlung  beigegeben,  sondern  verschiedene  lateinische  Ge- 
dichte des  Kector  N  o b b  e.  —  In  den  Schulnachrichten  über  die  Tho- 
masschule wird  mitgetheilt,  dasz  der  Schulamtscandidat  Dr  Scher- 
ber mit  Michaelis  seine  Lehrprobezeit  beendigte,  während  die  Schul- - 
emtscandidaten  Dr  Klein  (Mathematiker)  und  Dr  Lipsius  (Philolog) 
dieselbe  mit  dem  Anfange  des  Sommersemesters  begannen,  jedoch  be- 
reits mit  Michaelis  zufolge  ehrenvoller  Berufungen  an  andeien  vaterlän- 
dischen Unterrichtsanstalten  zu  beschlieszen  veranlaszt  waren.  Mit  der 
üblichen  Valedictions  -  und  Entlassungsfeier  am  8.  April  verband  sich 
die  Jubelfeier  dreier  hochverdienter  Lehrer  der  Anstalt,  des  Conrectors 
Dr  Lipsius,  des  Tertius  Dr  Koch  und  des  Quartus  Dr  Zestermann, 
welche  im  Jahre  1832  als  neue  Lehrer  an  die  Schule  berufen  wurden. 
Die  Zahl  der  Schüler,  welche  sich  am  Ende  des  vorigen  Jahres  auf  210 
beUef,  ist  auf  218  gestiegen  (I  46,  II  42,  III  50,  IV  36,  V  31,  VI  13), 
darunter  60  Alumnen.  Abiturienten  Michaelis  8,  auszerdem  4  auswärts 
vorbereitete,  Ostern  21  und  4  auswärtige.  Den  Schulnachrichten  geht 
voraus  eine  wissenschaftliche  Abhandlung  vom  Rector  G.  Stallbaum, 
welche  den  vorher  genannten  drei  Jubilaren  gewidmet  ist:  brevis  re- 
cognüio  iudictorum  de  fforat,  Sat.  I  10,  exordio  (38  S.  4).  'Apparuit 
enlm  satis  clare ,  opinor ,  fragmentum  illud  poeticum  non  quidem  ab 
Horatio  compositum,  sed  tarnen  satis  antiquum  esse  ac  verisimiliter  e» 
aetate  litteris  perscriptum,  qua  apud  Romanos  primum  recentioris  poe^ 
sis  elegantia  cum  vetustioris  poesis  incondita  simplicitate  atque  rudi- 
täte  tamquam  inito  certamine  quodam  contendere  coepit.  Quodsi  ita 
est,  sponte  iam  intellectum^  iri  putamus ,  unde  illud  in  Horatium  migra- 
▼erit  et  qui  factum  sit,  ut  in  aliis  poetae  codicibus  apponeretur,  in  aliis 
omitteretur.  Etenim  habet  illud  saue  cum  argnmento  satirae  Horatia- 
nae  arctiorem  qnandam  cognationem  et  necessitudinem ,  quand'oquidem 
inde  clare  cognoscitur,  iam  ante  Horatium  extitisse,  qui  ad  versus  cupi- 
dos  Lucilii  admiratores  atque  laudatores  similiter  decertarent  atque  a 
poSta  Venusino  factum  esset.  Itaque  praescripsit  illud  olim  gramma- 
ticns  aliquis  tamquam  meraorabile  monumentum  historiae  litterarum 
Bomanarum,  unde  etiam  superiorum  temporum  de  bis  rebus  iudicia 
eognoscerentur  et  quanta  illorum  fuisset  cum  iudicio  Horatii  consensiu, 
planius  intelligeretur.  Nee  tarnen  illud  in  omnes  Horatii  Codices  trans- 
iit,  quandoquidem  a  critici»  iam  mature  intellectum  est  non  esse  illud 
Horatii  sed  potius  alius  cuiusdam  poetae  opusculum.  Ex  quo  ipso 
etiam  perspicitur,  cur  in  optimis  codicibus,  quales  sunt  Blandiniani, 
fere  desideretur  atque  etiam  a  scholiastls  silentio  transmissum  sit.' 

8.  Meiszen.]  In  dem  Lehrercollegium  der  königlichen  Landesschule 
waren  einige  Veränderungen  eingetreten.  Der  Professor  Dr  Kran  er 
wurde  zum  Director  des  Gymnasiums  in  Zwickau  ernannt;  an  seine 
Stelle  wurde  der  bisherige  fünfte  ordentliche  Lehrer  an  der  Nicolai- 
schulo  in  Leipzig,  Dr  O.  Kreuszler,  unter  Beilegung  des  Professor- 
titels ernannt.  Nach  dem  Tode  des  Gesang-  und  Musiklehrers  Pietscli 
trat  der  an  der  Landesschale  zu  Grimma  angestellte  neunte  ordentliche 
Lehrer  Pöthko  als  neunter  Oberlehrer  hier  in  die  Stelle  des  Oberlehrer 


290  Berichte  Aber  gelehrte  Anstalten,  Verordnungen,  stalisl.  NotisM. 

Br  D  int  er  und  übernahm ,  zugleich  den  Gesangsunterricht,  starb  aber 
leider  schon  den  6.  Juni,  wähi*end  Dr  Dinter  als  neunter  Oberlehrer 
nach  Grimma  abgieng.  'Die  Zahl  der  Alumnen  und  Eztraneer  betrug 
150  (I  34,   II  36,   III  34,   IV*  24,   IV^  22).     Abiturienten  MichaeUa 

1856  9,  Ostern  1857  11.  Dem  Jahresbericht  ist  vorausgeschickt:  C  G, 
Mübergi  mcmorahüia  Vergüiana  (38  S.  4).  Der  Verf.  handelt  in  dieser 
Abhandlung  de  memorabiU  ac  superstitioso  cultu  Virgilio  Maroni  inde 
ab  antiquo  Caesarum  tempore  per  media m  aetatem  usque  tributo.  'In 
quo  argumcnto  ita  versabimur,  ut  primum  breviter  tantum  enarremus, 
ut  poeta  iusta  ac  sana  eius  ingenii  aestimatione  in  sempiterna  hominum 
memoria  imtigniore  quodam  prae  ceteris  Romanorum  poetis  cultu  habitus 
'sit;  tum  yero  singularis  cuiusdam  ac  ndrae  aestimationis  vestigia  Inda- 
gando  persequamur  et  e  fontibus  derivemus,  quae  praecipue  in  cevioni- 
ÖU8  ac  sortibus  quas  dixerunt  Virgilianis,  in  allegorica  nonnullorum  huius 
poetae  inierpretatione ,  in  fabulis  portentosis  de  eo  fictis  et  circumlatis, 
denique  in  mystica  üla  huius  poetae  quasi  transfiguratione  a  Dantio  Italo 
suscepta  conspicua  sunt. 

9.  Plauen.]  Aus  dem  Lehrercollegium  schied  vor  dem  Schlosse 
des  Schuljahrs  der  Gymnasiallehrer  Volkmann,  welcher  bisher  das 
Amt  eines  zweiten  Religionslehrers  verwaltet  hatte.  An  seine  Stelle 
trat  der  Predigtamtscandidat  Vogel.  Gymnasiallehrer  Vogel  und 
Zeichnenlehrer  Heubner  feierten  ihr  25 jähriges  Amtsjnbilänm.  Die 
Zahl  der  Schüler  betrug  am  Schlüsse  des  Schuljahrs  200  (I  15,  II  18, 
III  25,  IV  18,  V  36,  VI  40,  I  real.  5,  II  real.  7,  III  real.  33).  Abi- 
turienten Ostern  1856  5,  Michaelis  1856  2.  Dem  Jahresbericht  geht 
Toran  eine  Abhandlung  des  Gymnasiallehrers  Dr  Beetz:  über  ctUaeau- 
stische  Curven  oder  Brennlinien  durch  ZurüchOerftmg  (22  S.  4). 

10.  Zittau.]  Die  Vermehrung  der  Schülerzahl  machte  beim  Anfang 
des  neuen  Schuljahrs  die  Anstellung  eines  sechszehnten  ordentlichen 
Lehrers  noth wendig.  Als  solcher  trat  Habenicht  ein.  Der  Candidat 
Häusel  hielt  sein  Probejahr  ab.  Das  Lehrercollegium  bestand  aas 
folgenden  Lehrern :  Director  K ä m m e  1 ,  Conrector  Lachmann, 
Preszler,  Subrector  Michael,  Cantor  Scheibe,  Lange,  Dr  Jahn, 
Cantieny,  Dietzel,  Dr  Seidler,  Dr  Knothe,  Seidemann, 
Dr  Tobias,  Bluhm,  Schulze,  Habenicht,  Garbe  (Schreib- 
lehrer). Das  Schuljahr  schlosz  mit  242  Schülern  in  10  Klassen  (I  10, 
II  18,  III  22,  IV  13;  I  r.  12,  U  r.  Abth.  1  20,  Abth.  2  25,  III  r.  42, 
Progymn.  I  39,  II  32).  Abiturienten  8.  Dem  Jahresbericht  geht  voraus: 
Versuch  Ober  den  Begnff  des  Kunststils,  Vom  Conrector  Lachmann 
(24  S.  4). 

11.  Zwickau.]  Nachdem  am  24.  October  1856  der  Director  des 
Gymnasiums ,  Dr  ß  i  e  c  k ,  sein  Amt  niedergelegt  hatte ,  übernabm  Pro- 
rector  Dr  Heinichen,  zum  Professor  ernannt ,  interimistisch  die  Di- 
rection  der  Anstalt.  Unter  dem  5.  December  1856  wurde  dem  Professor 
Dr  Fr.  Er  an  er  an  der  Landesschule  zu  Meiszen  die  Stelle  des  Direc- 
tors  übertragen,  demselben  aber  gestattet  sein  neues  Amt  erst  zu  Ostern 

1857  mit  Beginn  des  neuen  Cursus  anzutreten.  Dem  Oberlehrer  Opits 
wurde  der  gesamte  Religionsunterricht  übertragen;  Dr  R.  Franke 
wurde  als  Gymnasiallehrer  angestellt.  Die  Zahl  der  Schüler  betrag 
bei  dem  Schlüsse  des  Sommersemesters  HO  (I  10,  II  13,  III  20,  IV  23, 
V  26,  VI  18).  Abiturienten  Ostern  1857  6,  Michaelis  1857  2.  Dem 
Jahresbericht  voran  steht  die  Antrittsrede  des  Directors  (17  S.   4). 

Fulda.  Br  Ostermann. 


Personalootizeo.  291 


Personalnotizen. 


Anstellungen,  BefSrderungen 9  Tergetsungen t 

• 

Ahn,  Dr  K.,  Sappl.  am  Gyxnn.  in  Cilli,  zum  wirkl.  Lehrer  6m,  — 
Amati,  Amatns,  provisor.  Gymnasiall.,  zum  wirkl.  Lehrer  für  die 
lombard.  Staatsgymnasien  ern.  — Argenti,  DrEug.,  Lehramtsc.  und 
Sapplent ,  zum  wirkl.  Lehrer  am  kk.  Obergymnasium  zu  Veroiia  ern.  -^ 
Bahr  dt,  Dr  Heinr.,  als  Oberl.  am  Gymn.  zu  Colberg  angestellt.  — 
Bellinger,  Prof.  am  Gymn.  in  Hadamar,  zum  Bector  am  Pädagog.  in 
Dillenburg  ern. —  Belyiglieri,  Karl,  Lehramtscandidat ,  zum  wirkl. 
Lehrer  für  die  lombardischen  Staatsgymnasien  ern.  —  Blümel,  Emil, 
ord.  Lehrer  an  der  Realschule  in  Graudenz,  in  gl.  Eigenschaft  an  das 
Gymnasium  in  Hohnstein  yers.  —  Bbhnstedt,  DrKarl,  yorher  an  d. 
Bealsch.  in  Perleberg  zvoä  ord.  Lehrer  am  Gymn.  in  Elrotoschin  ern.  — 
Bortoli,  Job.,  de,  Lehramtscand. ,  zum  wii'kL  Lehrer  am  Gymn.  zu 
Spalato  ern.  —  Breiter,  Dr,  ord.  Lehrer  am  Gymn.' zu  Hamm,  in  gl. 
Eigensch.  an  das  Gymn.  zu  Marienwerder  y ersetzt.  —  Burckhardt, 
Dr  Jac,  Prof.  am  Polytechn.  zu  Zürich,  zum  ord.  Prof.  der  Geschichte 
an  der  Uniy.  u.  am  Pädagog.  zu  Basel  ern.  —  Clebsch,  Dr,  yon  der 
Königsstädt.  Healschule  in  Berlin  als  ord.  Lehrer  an  das 'franz.  Gymn. 
daselbst  yers.  —  Clodigh,  Dr  Joh.,  Lehramtscand.,  zum  wirkl.  Lehrer 
am  kk.  Obergymn.  zu  Udine  ern. —  Denicotti,  Dom.,  Lehramtscand« 
sum  wirkl.  Lehrer  am  kk.  Obergymn.  zu  Cremona  ern.  —  Drbal,  Dr 
Matth.,  Suppl.  am  kk.  Gymn.  zu  Linz,  zum  wirkl.  Lehrer  ernannt.  — 
Ebert,  Heinr.,  Conrector  in  Spandau,  zum  Oberlehrer  am  Gymn.  zu 
Starg^d  befördert.  —  Fabricius,  Lehrer  am  Gymn.  in  Kastenbarg, 
som  ord.  Lehrer  am  Altstädtischen  Gymnasium  in  Königsberg  ern.  — 
Fischer,  Frdr.  Wilh.,  Lehrer,  als  ord.  Lehrer  am  Gymn.  zu  Colberg 
ang.  —  Fischer,  Dr  Heinr.,  zum  ord.  Lehrer  am  Gymn.  zu  Greifs« 
wald  ern.  —  Fusinato,  Job.,  Lehramtscand.  u.  Suppl.  am  Gymn.  San 
Procolo  in  Venedig,  zum  wirkl.  Lehrer  für  die  yenetianischen  Staats- 
gymnasien ern.  —  Garke,  Dr,  Oberl.  am  Pädagog.  zu  Halle,  als  Prof. 
an  das  Friedrichsgymnasium  zu  Altenburg  berufen.  —  Gilbert,  Alfr., 
Diaconus  ttn  Herbsleben  im  Gothaischen,  zum  8n  Prof.  an  d.  königl. 
Landesschule  zu  Grimma  ern.  —  Girschner,  Dr  Nestor,  als  Pro- 
rector  am  Gymn.  zu  Colberg  angest.  —  Gruhl,  Emil,  Gymnasiall.  zu 
Lyck,  zum  ord.  Lehrer  am  Gymnasium  zu  Greifswald  ern.  —  Hetzel, 
SchAC.  aus  Wiesbaden,  zum  CoUabor.  am  Gymn.  zu  Hadamar  ern.  — 
Hilliger,  Ludw.,  Predigt-  u.  SchAC, -als  ord.  Lehrer  am  Gymn.  zu 
Greiffenberg  in  Pommern  angest.  —  Jahn,  Dr  K.  Frdr.,  Conrector  an 
der  Knabenschule  in  Schwedt,  zum  ord.  Lehrer  am  Gymn.  zu  Königs- 
berg in  d.  N.  ernannt.  —  Jandaurek,  Jul.,  Suppl.,  zum  wirkl.  Lehrer  am 
Gymn.  zu  l'arnow.  ern.  —  Jaseniecki,  Paul,  Priester,  zum  g^iech.- 
kath.  Religionslehrer  am  Gymn.  zu  Sambor  ern.  —  Ilnicki,  Bas., 
Lehrer  am  Gymn.  zu  Stanii^awow  in  gl.  Eigensch.  an  das  akad.  Gymn. 
zn  Lemberg  yers.  —  Intra,  Job.,  proyisor.  Gymnasiall.,  zum  wirkl. 
Gymnasiallehrer  für  d.  lombardischen  Staatsgymnasium  ern.  —  Kalis, 
Präceptor ,  auf  die  2e  Lehrstelle  am  untern  Gymn.  in  Bottweil  befördert. 

—  Karpinski,  Andr. ,  Suppl.  am  Untergymn.  in  Bochmia,  zum 
wirkl.  Gymnasiall.  ebendas.  ern.  —  Kellner,  Mich.,  Suppl.  am  kk. 
Gymn.  zu  Cilli,  zum  wirkl.  Lehrer  ern. —  Kleiber,  Collab.  am  Gymn. 
zu  Leobschütz,  zum  ord.  Lehrer  an  ders.  Anst.  befördert.  —  Kleinei- 
dam,  SchAC,  als  Ir  Collab.  am  Gymn.  in  Neisze  angest.  —  Kleisz- 
ner,  Mich.,  Suppl.,  zum  wirkl.  Religionslehrer  am  Gymn.  zu  Eger  ern. 

—  Kluge,  Dr,  Lehrer  am  Waisenhaus  und  tKatechet  zu  Leipzig,  als 


292  Personalnotizen. 

Prof.  an  das  Friedrichsgymn.  zu  Altenburg  berufen.  —  Küstlin,  Prof. 
Dr,  Privatdoc,  zum  ao.  Prof.  der  Philosophie  an  der  Univ.  Tübingen 
ern.  —  Kornicki,  Adalb.,  Suppl.,  zum  wirkl.  Lehrer  am  Gymn.  zu 
Brzezan  bef.  —  Kräh,  Dr  £d.,  Ober!,  am  Altstadt.  Gymn.  in  Königs- 
berg, zum  Director  der  Realsch.  in  Insterbnrg  ern.  —  Krahner^  Dr 
Leop.,  Conrector  am  Gymn.  zu  Friedland  in  Mecklenburg,  zum  Dir. 
am  Gymnasium  zu  Stendal  ern.  —  Krystyniaki,  Joh.,  Snppl-,  smn 
wirkl.  Lehrer  am  zweiten  Gymn.  zu  Lemberg  ern.  —  Künzer,  SchAC^, 
als  wissenschaftlicher  Hülfslehrer  am  Gymn.  in  Marienwerder  angest.  — 
Kuhse,  ord.  Lehrer  an  der  hohem  Bürgerschule  in  Culm.  in  gleicher 
Eigenschaft  an  das  Gymn.  zu  Lyck  vers.  —  Lade,  Kector  am  Plidag. 
in  Dillenburg,  zum  Prof.  am  Gymn.  in  Hadamar  ern.  —  Lange,  Dr 
Alb.,  Privatdoc.  in  Bonn,  zum  ord.  Lehrer  am  Gymn.  zu  Duisburg 
ern.  —  Leidenroth,  Dr  Jul.,  an  der  Realsch.  in  Lübben,  als  ord. 
Lehrer  am  Gymn.  in  Hamm  angest.  —  Lepaf ,  Job.,  Gymnasiall.  in 
Iglau,  zum  wirkl.  Lehrer  am  Gymn.  zu  Tropflau  cm.  —  Liehhardt, 
Dr  Job.,  Weltpr.,  zum  Religionslehrer  am  Gymn.  zu  Kaschau  ern.  — > 
Löwe,  Dr  Job.  Heinr.,  ao.  Prof.  d.  Philosophie  an  der  Prager  Univ., 
zum  ord.  Prof.  ebendas.  ern.  —  Madiera,  Ant.,  Gymnasiall.  zu  ^eu* 
sohl,  zum  Lehrer  am  kath.  Gymn.  zu  Pressburg  ern.  —  Maresch, 
Ant.,  Snppl.  am  kk.  Gymn.  zu  Gratz,  zum  wirkl.  Lehrer  ern.  u.  dann 
an  das  Gymnasium  zu  Pressburg  versetzt.  —  Markieifioz,  Mich., 
Nebenlehrer  der  poln.  Sprache  am  Gymnasium  zu  Tamopol,  zum  wirid. 
Lehrer  ern.  —  Marufic,  Ant.,  Weltpr.,  zum  Religionsl.  am  Gymn.  zu. 
Görz  ern.  —  Meibom,  Dr  von,  Unterstaatsprocurator  in  Marburg, 
zum  ord.  Prof.  der  Rechte  an  d.  Univ.  Rostock  ern.  —  Mönch sroth^ 
Her  Yon,  Lehramtsc,  erhielt  die  le  Lehrerstelle  am  untern  Gymn.  in 
Rottweil.  —  Müller,  Prof.  am  Gymn.  zu  Hadamar,  von  den  provis* 
Functionen  eines  Referenten  in  Schulsachen  bei  der  Landesregiemng 
entbunden  und  zum  Prof.  am  Gelehrten -Gymn.  zu  Wiesbaden  ern.  — 
Müller,  Job.,  Suppl.  am  Gymn.  zu  Fiume,  zum  wirkl.  Lehrer  ern.  — 
Mnttke,  Collab.  am  Gymn.  zu  Neisze,  zum  ord.  Lehrer  befördert  — ' 
Mutzl,  E.,  Assistent  an  der  Studienanstalt  in  Bamberg,  zum  Stadien], 
an  d.  lat.  Schule  in  Straubing  ern.  —  Nauck,  Dr  Aug.,  A'dinnot  am 
Joachimsth.  Gymn.  in  Berlin,  zum  Oberl.  am  Gymn.  zum  grauen  Klo- 
ster das.  ern.  —  Nedok,  Jos.,  Suppl.,  zum  wirkl.  Gymnasiallehrer  n 
Rzeszow  befördert.  —  Nenmann,  Vinc,  Gymnasiall.  zu  Keuhaus,  in 
gl.  Eigenschaft  an  das  Gymn.  zu  Troppau  vers.  —  Nitzseh,  Dr  O., 
Oberlehrer  am  Gymn.  zu  Duisburg,  zum  Prorector  am  Gymn.  zu  Greifs- 
wald ern.  —  Passow,Wald.,  Adi.  am  Pädagog.  in  Puttbus,  zum  ord« 
Lehrer  an  der  Realschule  in  Stralsund  ern.  —  Pisoni,  Frz,  Weltpr., 
Lehrer  und  provis.  Dir.  des  Gymn.  zu  Roveredo,  zum  wirkl.  Lehrer 
ern.  —  Reicnenbach,  Dr  Rad.,  als  ord.lLehrer  am  Gymn.  zu  Col- 
berg  angest.  —  Roseck,  DrWalth.,  Collab.  an  d.  lat.  Hauptsehnla 
zu  Halle,  zum  ord.  Lehrer  am  Gymn.  in  Mühlhausen  ern.  —  Rosen- 
hauer, DrW.  G.,  Privatdoc,  zum  ao.  Prof.  in  der  philopoph.  Facultlt 
der  Univ.  Erlangen  ernannt.  / —  Roudolf,  ord.  Lehrer  Am  Gymn.  in 
Neusz,  zum  Oberl.  befördert.  —  Sägert,  Carl,  Lehrer,  als  ord.  Leh- 
rer am  Gymn.  zu  Colberg  angest.  —  Saltiero,  Karl,  Lehramtscand., 
zum  wirkl.  Lehrer  für  die  lombardischen  Staatsgymn.  ern. —  S  oh  aper, 
Dr,  Lehrer  am  Gymn.  zu  Tilsit,  zum  ord.  Lehrer  am  Altstadt.  Gymn. 
in  Königsberg  era.  —  Scherbor,  Dr  Karl,  SchAC.,  zum  3n  AdL  an 
der  Thomasschule  zu  Leipzig  em.  —  Schiekopp,  wissensch.  Httlfsl. 
am  Gymn.  zu  Tilsit,  zum  ord.  Lehrer  ebendas.  befördert.  —  Schmidt, 
Gymuasialdirector.  in  Osnabrück,  mit  Wahrnehmung  der  Stelle  eines 
geistl.  Raths  im  das.  kön.  kathol.  Consistorium  beauftragt.  —  Schnel- 
ler, Christi.,  Suppl.  am  kk.  Gymn.  zu  Roveredo,  zum  wirkl.  Lebrer 


Personalnotuen.  293 

ebendas.  em.  —  Seidel,  Dr  Rieh.,  als  ord.  Lehrer  am  Gjmn.  in  Col- 
berg  angest.  —  Simon,  Lic.  Dr  Aug.,  Privatdoc.  in  Königsberg,  znm 
ao.  Prof.  in  der  theol.  Facultät  der  das.  Univ.  ern.  —  Skornt,  Job., 
Suppl.,  znm  wirkl.  Lehrer  am  Gymn.  zu  Tamow  ern.  —  ßoltjs,  Ign., 
Suppl.  u.  Lehramtsc.  am  Gjmn.  zu  Stanialawow,  zum  wirkl.  Lehrer  am 
Gjmn.  zu  Tamow  em.  —  Sorof,  Dr  Gust.,  ord.  Lehrer  am  Marien- 
Magdal.-Gymn.  in  Breslau,  znm  Oberlehrer  am'  Gjmn.  zu  Potsdam  ern. 
'. —  Sporer,  Dr,  Professor  am  Gymn.  zu  Hadamar,  erhielt  proTis.  die 
Fonetionen  eines  Referenten  in  Schulsaohen  bei  der  herz.-nassauischen 
Landesregierung  in  Wiesbaden.  —  Stanek,  Frz,  Gymnasiallehrer  zu 
Presffburg,  in  gl.  Eigensch.  an  das  Gymn.  zu  Brtinn  Ters.  —  Stechow, 
Dr  Frdr.,  Oberl.  am  Friedrich-Werderschen  Gymn.  in  Berlin,  zum  Dir. 
des  Gymn.  in  Colberg  ern.  —  Szavaniewicz,  Isid.,  als  wirkl.  Leh- 
rer am  akadem.  Gymn.  zu  Lemberg  eingerückt.  —  Theissing,  Lehrer 
am  Progymn.  in  Rheine,  am  Gymn.  zu  Warendorf  angest.  —  Thurin, 
Casp.,  Weltpr.  u.  Suppl.,  zum  wirkl.  Lehrer  am  Gymn.  zu  Warasdin 
ern.  —  Tticking,  Dr,  Hülfslehrer  am  Gymn.  in  Münster,  als  ordentl. 
Lehrer  an  d.  Gymn.  zu  Coesfeld  vers.  —  Urban,  Em.,  Gymnasiall.  zu 
Ofen,  in  gl.  Eigenschaft  an  das  Gymn.  zu  Troppau  vers.  —  Vasek, 
Ant.,  Suppl.  am  Gymn.  zu  Troppau,  zum.  wirkl.  Lehrer  am  Gymn.  zu 
Iglau  em.  —  Wagler,  Emil,  Conrector,  als  Conr.  am  Gymnasium  zu 
Colberg  angest.  —  Walz,  DrMich.,  Gymnasiall.  zu  Kaschau,  zum 
Lehrer  am  kath.  Gymn.  zu  Pressburg  ern.  —  Weis,  Dr  u.  Prof.  iur. 
zu  Wurf  bürg,  als  Rath  an  das  Appellationsgericht  in  Mittelfranken 
▼ers.  —  Wratschko,  Suppl.,  zum  wirkl.  Gymnasiallehrer  zu  Warasdin 
befördert.  —  Wuttke,  SchAC,  als  Collab.  am  Gymn  in  Neisze  angest.- 
Zelechowski,  Just.,  Priester,  zum  griech.-kathol.  Religionslehreram 
Oymn.  zu  Przemysl.  ern. 

Praedlcierangen  und  Ehrenbexeoguiigeii : 

Bergmann,  Jos.,  Custos  der  Ambraser  Sammlung  und  am  kk. 
Münz-  und  Antiken- Cabinet  in  Wien,  zum  ausw.  Mitgl.  der  k.  bayeri- 
schen Akademie  lu  München  ern.  — •  Blase,  ord.  Lehrer  an  der  Ritter- 
akademie zu  Bedburg,  als  Oberl.  prädiciert.  —  Chmel,  Jos.,  kk.  Re- 
gierungsrath  in  Wien ,  zum  corresp.  Mitgl.  d.  kön.  Gesellschaft  der  Wis- 
aenschaften  in  Göttingen  ern.  —  Flügel,  Dr  Gust.,  Prof.  zu  Dresden, 
cum  corresp.  Mitgl.  der  kais.  Akademie  der  Wissensch.  zu  St  Peters- 
burg em.  —  Löwe,  Herm.,  7r  Oberlehrer  an  der  königl.  Landesschule 
zu  Ghrimma,  als  Prof.  prädiciert. —  Rot  he,  Dr  Frdr.,  ord.  Lehrer  am 
Gymn.  zu  Eisleben,  als  Oberlehrer  prädic.  —  Weyl,  ord.  Lehrer  am 
Kneiphöf.  Gymn.  zu  Königsberg  als  Oberl.  präd. 

Pensloniernngen : 

*  Burger,  Dr  J.  F.,  Studienlehrer  an  d.  lat.  Schule  zu  Straubing, 
auf  sein  Gesuch  auf  ein  Jahr.  —  Die  Oberlehrer  Rector  Hertel  und 
Rectoc  Dr  Rüdiger  am  Gymnasium  zu  Zwickau. 

Todesfftlle  i 

Am  12.  Oct.  1857  zu  Teschen  Ludw.  Paul  Wieland  Lütke- 
müller,  provisor.  Lehrer  am  kk.  kathol.  Gymn.  das.,  früher  protest. 
Prediger  zu  Brüssel,  geb.  am  8.  Mai  1810.  —  Am  24.  Oct.  zu  Strasz- 
gang  bei  Gratz  Dr  Wenzel  Müller,  Prof.  der  Physik  u.  Mathera.  am 
kk.  Gymnasium  zu  Ofen.  —  Am  13.  Nov.  zu  Tassarolo  bei  Novi  der 
bekannte  Naturforscher  Marohese  Massim.  Spinola  im  70.  Lebens- 
jahr. —  Am  6.  Dec.  zu  Pressburg  d.  emer.  Prof,  d.  griech,  Bprache  u. 


x 


294  Personalootizen. 

Litteratur  Gregor  Alois  Denkovzky,  geb.  16.  Febr.  1784.  —  Im 
Dec.  zu  Pisa  der  bekannte  Chemiker  Prof.  Dr.  Ces.  Bertagnini.  — 
Qögen  Ende  1857  zu  Acton  der  durch  wissenschaftliche  Arbeiten  be- 
rühmte Botaniker  DrForbes  Rojle.  —  Am  6.  Jan.  1858  zu  Meran 
Fat.  Magnus  Tschenett,  Lehrer  der  Mathematik  am  das.  Gjmn.  u. 
Regens  des  Knabenconvicts ,  im  noch  nicht  vollendeten  41.  Lebensj.  — 
9.  Jan.  zu  Saaz  Fat.  Octavian  Neuzil,  Lehrer  der  Ge9chichte  und 
des  Deutschen  am  kk.  Obergymn.  das.  im  38.  J.  seines  Lebens.  —  Am. 
17.  Jan.  zu  Triest  der  Dir.  des  botanischen  GarteuH,  Dr  Biasoletto, 
als  Naturforscher  verdienstvoll.  —  Am  30.  Jan.  zu  Berlin  der  Frof.  am 
Friedrich- Wilhelms-Gymn.  G.  Drogan.  —  Am  14.  Febr.  zu  Wien  Jos. 
Jenko,  Pension.  Frof.  der  Mathematik  an  der  das.  Universität,  im  83. 
Lebensj.,  von  vielen  ausgezeichneten  Schülern  geliebt  und  geachtet.  — 
Am  27.  Febr.  Prof.  Wert  her,  Prorector  am  Gjmn.  zu  -Herford.  — 
Am  28.  Febr.  in  Frankfurt  a  M.  der.  bekannte  Historiker  und  Dichter, 
geistl.  Rath  und  kath.  Stadtpfarrer  Beda  Weber,  geb.  20.  Oct.  1708 
zu  Lienz  in  Tirol.  • —  Im  Febr.  zu  Leyden  der  Director  des  natorhiator. 
Museums  Tomminek,  Verfasser  einer  Schrift  über  NiederlKndisdi- In- 
dien, im  80.  Lebensj.  —  Am  4.  März  in  Sti:^tgart  der  Director  der  k. 
Ober-Real  -  und  Real-Anstal^,  Job.  Frdr.  v.  Kieser,  68  Jahr  ajt.  — 
15.  März  in  Berlin,  Prof.  med.,  Geh.  Medicinalrath  Dr  Dietrich  Wil- 
helm Heinrich  Busch,  geb.  zu  Arnstadt  1788,  1829  von  Marburg 
nach  Berlin  berufen.  —  An  dems.  Tage  in  Brüssel  der  Dir.  des  botani- 
schen Gartens  und  Mitglied  der  Akad.  Heinr.  Wilhelm  Galeo^ti» 
geb.  10.  Sept.*  1814.  —  An  demselben  Tage  in  Gotha,  Oberst  Ja  1.  von 
Plänckner,  geb.  zu  Penig,  ein  ausgezeichneter  Geograph  und  Karten- 
zeichner. —  Am  16.  März  in  Breslau  Dr  Nees  von  Esenbeck,  seit 
1817  Präsident  der  Leopoldinischen  Akademie,  seit  l£(ö2  von  der  ord. 
Professur  an  der  Univ.  entlassen,  geb.  14.  Febr.  1776  bei  Erbacb.  — 
Am  18.  März  in  Berlin  Frz  Kugler,  Geh.  Ober  Reg.-Rath  und  Prof., 
geb.  19  Jan.  1808,  bekannt  durch  seine  Forschungen  auf  dem  Gebiete 
der  Kunstgeschichte.  —  Am  20.  März  zu  Zerbst  der  Oberlebrer  ^m  das. 
Gymnasium,  Prof.  Fried r.  Sintenis.  —  Am  4.  April  in  Zittau  der 
Gymnasiallehrer  Gott  fr.  Cantieny.  —  Anfangs  April  in  Strassborg 
Dr  Ludw.  Schneegans,  Archivar  der  Stadt  Straszbnrg  und  Korre- 
spondent des  Staatsministeriums  für  die  gescbichtlichen  Denkmale,  45  J. 
alt.  —  Am  7.  April  in- Wien  Dr  Jos.  Alois  Jystel,  wirkl.  Geh. Rath, 
gewesener  Rector  magnif.  d.  Univ.,  vor  1848  thatsächl.  Unterrichtsmi- 
nister, geb.  zu  Leitmiritz  7.  Febr.  1765.  —  Am  12.  April  in  Berlin  der 
Cnstos  der  kön.  Bibliothek,  Prof.  Siegfried  Wilhelm  Dehn. 


Zweite  Abtheilimg 

äerausgegeben  tob  Rudolph  Dietsch. 


18. 

Goethes  Lehen  und  Schriften,  Von  G.  U.  Lew  es,  Uebersetzi 
f>on  Dr  Julius  Frese.  Berlin,  Franz  Dancker  1857.  2 Bde. 
8.  I  S.  357  u.  XII.   II  S.  384  u.  XVI.  ♦) 

Haben  die  deutschen  Forseber  und  Darsteller  des  goetheschen 
Lebens  nnd  Wirkens  meist  bittere  Klage  über  die  Abgunst  oder 
Gleichgültigkeit  der  Lesewelt  zu  führen,  die  ihre  Verstimmung  gegen 
den  Dichter  auf  sie  überträgt  und  alle  so  berechtigten  wie  dankens-> 
werthen  Bestrebungen  zu  seiner  Aufhellung  achselzuckend  ablehnt,  so 
bat  dagegen  das  Werk  eines  Ausländers  neuerdings  der  allergfinstig* 
Sien  Aufnahme  sich  zu  erfreuen  gehabt,  so  dasz  es  nicht  blos  von 
deir  bedeutendsten  Stimmen  der  Oeffentlichkeit  gepriesen,  sondern 
auch  in  zwei  verschiedenen  Ausgaben  übersetzt  unter  uns  einen  weiten 
Leserkreis  gewonnen.  Leider  müssen  wir  gestehn,  dasz  dieser  reiche 
Beifall  mehr  darin  begründet  lag,  dasz  es  das  Werk  eines  Ausländers 
als  das^  es  durch  eine  neue  groszartige  Auffassung,  lebenswarme 
Darstellung,  sorgfältige  Forschung  sich  desselben  würdig  gemacht. 
Wir  sind  weit  entfernt  den  Ausländern  die  Befugnis  streitig  machen 
%n  wollen,  über  unsere  groszen  Dichter  mitzusprechen,  vielmehr  freuen 
wir  uns  der  begeisterten  Theilnahme,  welche  diese  in  England  und 
Schottland  gefunden,  da  man  dort,  wie  mir  neuerlich  ein  mit  Goethe 
innigst  befreundeter  höchst  schätzcnswerther  Mann  schrieb,  der  Ueber- 
sengnng  lebt:  ^the  glory  of  Goethe  is  the  glory  of  that  entire  Teutohio 
race  to  which  we  all,  Germans,  English  and  Scotch,  alcke  belong': 
aber  gerade  diese  Gunst,  welche  das  Werk  des  Engländers  gefunden, 
wirft  ein  um  so  grelleres  Licht  auf  die  Ungerechtigkeit,  welche  die 
gleichen  auf  eindringende  Studien  gestutzten  Bestrebungen  unserer 
deutschen  Landsleute  verfolgt.  Wir  freuen  uns,  dasz  viele  endlich 
dem  Engländer  glauben ,- worauf  Deutsche  vergebens  so  lange,  wahr- 


*)  Die  Urschrift :  Tho  lifo  and  works  of  Goethe :  with  skctschos  of 
his  age  and  contemporaries,  from  published  and  unpublished  sonrees. 
By  G.  H.  Lewes ,  erschien  zu  J^ndon  im  Jahre  1855  in  zwei  Bünden. 

iV.  Jahrb,  f.  Pfui.  u.  PMd.  Bd  LXXVIII.  Hß  6.  20 


296  Lowes:  Goethes  Leben  und  Schriften. 

lieh  nicht  weniger  triftig  nnd  mit  viel  genauerer  Kenntnis ,  hingewie- 
sen: aber  beschtmend  ist  es,  dasz  man  deutsciie  auf  tüchtigster  Grund- 
lage beruhende  Werke  bekämpft,  verleumdet,  verspoltet,  um  alle  Ehre 
dem  Ausländer  zu  bieten,  der  auf  ihren  Schultern  steht.  Wer  das, 
was  bisher  für  Goethe  geschehen,  genau  kennt,  kann  jenen  Beifall  nur 
höchst  unverdient  finden ,  wie  erfreulich  es  auch  für  ihn  sein  mnss, 
der  aus  Neid,  Parteilichkeit  nnd  Unkenntnis  gegen  Goethe  aufgestas- 
denen  Schaar  gegenüber  diesen  von  einem  Engländer  als  einen  wahr- 
haft groszen  Mann  begeistert  verkündet  zu  sehn.  Dem  allgemeinen 
Lobe  des  Buches  von  Lewes  haben  bisher  wenige  zu  widersprechen 
gewagt;  nur.  Schäfer  und  seine  Freunde  haben  auf  die  zahlreichen 
wörtlichen  Entlehnungen  aus  seinem  Werke  hingedeutet,  der  gepriese- 
nen neuen  Erscheinung  den  Werth  gründlicher  Forschung  nnd  tiefer 
Auffassung  abgesprochen ,  und  ganz  neuerdings  hat  Adolf  Scholl  in 
*  Weimarer  Sonntagsblatt'  (Nr  60.  52)  ein  wol  begründetes  entschieden 
ungünstiges  Urteil  über  das  Buch  von  Lewes  gefällt.  Wir  können  uns 
nach  genauester  Einsicht  nur  im  vollsten  Masze  mit  Schäfer  und  SchöU 
einverstanden  erklären,  wenn  wir  auch  manche  gelungene  AusfOhrnng 
zugestehen  und  der  die  ganze  Beurteilung  Goethes  durchziehende  Geist 
warmer  Liebe  und  innigster  Verehrung  wolthätig  uns  anweht.  'Das 
Buch  enthält  mehr  Flitter  und  Gerede  als  wahren  Gehalt,  und  die  viel- 
gepriesene Kunst  der  Darstellung  hält  vor  genauerer  Betrachtung  nicht| 
vielmehr  vermissen  wir  jede  reine  Entwicklung  und  die  wahre  Kunst 
glücklicher  Anordnung. 

Fragen  wir  zunächst  nach  der  Zuverlässigkeit  der  Angaben  Ton 
Lewes,  so  tritt  hier  gleich  eine  der  schwächsten  Seiten  des  Baches 
hervor,  welche  den  Werth  desselben  als  Lebensbeschreibung  höehst 
bedenklich  erscheinen  läszt.  Der  Verfasser  berichtet  uns  selbst,  er 
habe  Goethes  eigene  Bekenntnisse  in  ^Wahrheit  nnd  Dichtung'  und 
deren  verschiedene  Fortsetzungen  aus  gleichzeitigen  Zeugnissen  be» 
richtigt,  für  die  spätere  Zeit  neben  der  Masse  gedruckter  Nachrichten 
auch  manche  Schriftstücke  benutzt,  *die  nie  das  Licht  gesehen  haben 
und  wahrscheinlich  nie  sehen  werden',  dann  auch  diejenigen  befragt^ 
die  unter  demselben  Dache  mit  ihm  gelebt  oder  in  freundschafllicheB 
Verkehr  mit  ihm  gestanden  oder  aus  seinem  Leben  und  seinen  Werken 
ein  besonderes  Studium  gemacht.  Indem  er  so  ein  Zeugnis  mit  des 
andern  verglichen ,  das  gestern  gelernte  durch  das  heute  gelernte  er- 
gänzt, nicht  selten  zu  einem  einzigen  Satze  durch  Einzelnheilen  ge- 
langt, die  ihm  von  sechs  verschiedenen  Seiten  zugegangen,  sei  er  in 
den  in  diesem  Werk  dargelegten  Ergebnissen  gelangt.  Leider  ist  die 
hier  so  bedeutsam  hervorgehobene  Ausbeute  von  neuem,  wie  wir  nadi 
genauester  Vergleichung  aussprechen  müssen,  höchst  unbedentend. 
Den  Briefwechsel  des  Herzogs  Karl  August  mit  Goethe  durfte  Lewei 
freilich  einsehn ,  aber  wir  vernehmen  daraus  nur,  was  wir  längst  wüs- 
ten ,  dasz  Goethe  später  gegen  den  Herzog  einen  respectvollern  Ton 
anschlug  und  die  ernstere  Haltung  eines  altern  Freundes  und  Führmv 
annahm  (II  29  f.).   Nur  einmal  ([  281  f.)  wird  auf  eine  Aenssera^g 


Lewes:  Goethes  Leben  and  Schriften.  297 

eines  (nngedrnckten)  Briefes  des  Herzogs  an  Goethe  hingedeutet,  aber 
die  betreffende  Stelle  ist  langst  wörtlich  bei  Riemer  (II 19  f.)  zn  lesen. 
Die  zwei  Stellen  aas  Briefen  der  Herzogin  Amalia  an  Goethes  Mutter 
(1 277)  sind  nicht  sehr  bedeuteiid,  und  andere  bekannte  Briefe  derselben 
an  Merck  und  Knebel  gewis  eben  so  bezeichnend.  Auszer  diesen  fin- 
den sich  nur  zwei  Briefe  Goethes  an  die  Herzogin  Amalia  in  Betreff, 
Herders  (I  284)'*')  und  eine  Aeuszerung  aus  einem  an  Christiane  Vul- 
pins  (II  82)  angefahrt.  Weiter  erstreckt  sich  die  Benutzung  unge* 
dmckter  Schriftstücke  nicht,  was  höchlich  zn  verwundern,  da  dem 
Verfasser  das  groszherzogliche  und  das  goethescbe  Archiv  zn  Gebote 
standen  und  er  in  der  Vorrede  mit  solchem  Nachdruck  davpn  spricht. 
Mag  er  anch  in  Bezug  auf  die  Mittheilung  daraus  beschränkt  gewesen 
seiD,*dasz  er  nicht  mehr  darans  zu  geben  wüste  zeigt  deutlich,  wie 
wenig  er  die  ihm  zu  Gebote  stehenden  Mittel  benutzt.  Einige  Angaben 
verdankt  Lewes  Goethes  geistreich  liebenswürdiger  Schwiegertochter 
(1279.  Goethes  merkwürdiges  Geständnis  bei 'Eckermann  III 67  f.  war 
hier  nicht  zu  übergehen.  II  199),  von  der  auch  vielleicht  ein  paar 
andere  Bemerkungen  stammen  (11222,303),  anderes  berichtete  der 
SecretSr  Kräuter  (I  103,  308  f.).  Was  er  sonst  noch  von  besondern 
Kennern  Goethes  erkundet  haben  möchte,  wüsten  wir  kaum  zu  sagen; 
was  I  259  aus  ^guter  Quelle'  berichtet  wird,  möchte  auf  Misverständnis 
beruhen  (etwas  ähnliches  wissen  wir  von  der  Herzogin  Mutter  berich- 
tet. Vgl.  Lndecus  ^  alis  Goethes  Leben^  S.  67),  und  von  Minna  Herzlieb 
(II  311)  wüsten  wir  bereits  früher.  Ein  paar  Aeuszerungen  von  Rauch 
(II 101.  158)  und  der  Brief  Thackerays  über  seinen  Aufenthalt  zu  Wei- 
mar (II  377  ff.)  können  kaum  in  Betracht  kommen. 

Ist  so  das  neue,  was  Lewes  an  geschichtlichem  Stoffe  bietet,  gar 
nicht  hoch  anzuschlagen ,  so  steht  es  um  die  Benutzung  des  vorhande- 
nen viel  schlimmer;  denn  wir  vermissen  hier  gehörige  Kritik  wie  ge- 
naue Bekanntschaft  mit  den  Quellen  und  den  bisherigen  Forschungen. 
Wir  wollen  es  dem  Vf.  nicht  zum  Vorwurf  machen,  dasz  er  der  Dar- 
stellung in  ^Wahrheit  und  Dichtung'  noch  an  manchen  Stellen  gefolgt 
ist,  wo  sich  die  Irrigkeit  nachweisen  läszt,  aber  dasz  er  den  Klatsche- 
reien Böttigers  (I  277.  287  f.)  unbedingten  Glauben  schenkt,  nicht  we- 
niger allen  Erzählungen  Bettinens  ans  Goethes  Jugendjahren,  und  Falks 
Berichte,  wie  I  293  f.,  für  ganz  unverfälscht  hält,  zeugt  vom  Mangel 
richtiger  Würdigung.  Manche  Briefwechsel,  wie- den  Knebeischen,  den 
Lavaterschen,  den  Jacobischen,  um  weiter  entlegener  nicht  zu  gedenken, 
scheint  Lewes  kaum  näher  gekannt  zu  haben ;  er  begnügte  sich  mit 
dem,  was  Riemer,  Schäfer,  Viehoff,  Rosenkranz,  Gervinus,  seine  Haupt- 
quellen, ihm  boten.  Noch  viel  weniger  hat  er  die  Untersuchungen. über 
Goethes  Leben  und  Werke  sich  angeeignet.  Dazu  kommt,  dasz  er  selbst 
manches  leichtfertig,  ohne  irgend  eine  stichhaltige  Begründung  uns 
berichtet,   und  vielfache  Irthümer  sich  zu  Schulden  kommen   läszt. 


*)  Man  vergleiche  hierzu  jetzt  die  Mittheilungen  von  Diezmann  im 
'Qoethe-Schiller.Museam'  S.  147  ff.  aus  Briefen  Goethes  an  den  Herzog. 

20* 


298  Lowes:  Goethes  Leben  und  Schriften. 

Einzelne  Beispiele   mögen  die   völlige  UnZuverlässigkeit  von  Lewes 
darlhun. 

I  28  musz  es  heiszen:  ^Kurz  vor  dem  Tode  dieses  Bruders'  statt 
bald  nach;  denn  jener  Bruder  starb,  was  Lewes  unbekannt  war,  am 
11.  Januar  1759.  —  Dasz  Goelhe  irrig  den  Actuar  Salzmann  1770  als 
einen  sechzigjährigen  bezeichnet,  hatte  Lewes  (1 82)  aus  meinen  ^Fraucn- 
bildcrn'  (S.  15)  ersehn  können.  —  Pfeiffers  Mystißcation  mit  den  fran- 
zösischcn  Versen  hätte  wahrlich  nicht  eine  so  weitläufige,  die  Ent- 
scheidung offen  lassende  Erwähnung  (I  80)  verdieuL  Bergk  hat  nener- 
dings  (Acht  Lieder  von  Goethe  S.  24)  die  zuverlässige  Auskunft  gege- 
ben, dasz  ein  französischer  Sprachlehrer  aus  Besanpon  in  Altena  die 
Verse  nach  Pfeiffers  Anleitung  verfertigt;  da,  wie  ich  zuerst  nachge- 
wiesen und  Lewes  zugibt,  das  ganze  Buch  Pfeiffers  eine  Täuschung 
ist,  verstand  sich  dieses  auch  von  jenen  Versen.  Wunderlich  ist  es, 
wie  der  Uebcrsetzcr  (S.  IIO)  sich  auf  Pfeiffers  ^Sesenheimer  Lieder- 
buch' beziehen  kann.  —  Die  Beziehung  der  beiden  Lieder  ^Stirbt  der 
Fuchs,  so  gilt  der  Balg'  und  ^Blinde  Kuh'  auf  Straszburg  (l  94)  ist 
eben  so  halllos  als  der  darauf  gestützte  Beweis  von  ^Liebeleien'  da- 
selbst. Es  ist  ein  entschiedener  Irthum,  wenn  man  glaubt,  bei  allea 
einzelnen  Liebesliedern  Goethes  lägen  wirkliche  Beziehungen  zu  Grun- 
de; dasz  er  schon  in  Sesenheim  manchen  Melodien  Texte  untergelegt, 
berichtet  er  uns  selbst.  —  Dasz  der  I  109  erwähnte  Besuch  zu  Sesen- 
heim  nicht  in  den  November  fallen  kann,  ist  augenfällig;  aber  Lewes 
kümmert  sich  bei  der  ganzen  Darlegung  der  Sesenheimer  Liebesge- 
schichte gar  wenig  um  entgegenstehende  Bedenken,  ja  er  weiss  uns 
sogar  zu  berichten,  welch  ein  Lied  Friderike  gesungen,  als  sie 
beim  Mondschein  mit  Goethe  und  Weyland  ins  Freie  gieng  (I  105), 
wovon  freilich  bei  Goethe  und  sonst  nichts  zu  lesen.  —  Die  Rede  auf 
Shakespeare  (I  113  ff.)  oder  vielmehr  der  nach  Straszburg  einge- 
schickte Vortrag  gehört  erst  in  das  Frühjahr  1772 ,  nach  dem  ersten 
Entwurf  des  ^Götz'.  —  Ganz  falsch  ist  es,  wenn  es  I  124  heiszt,  Goe- 
the habe  1771  ^ wegen  seiner  Wildheit'  bei  Freunden  den  Spitznamen 
Bär  und  Wolf  gefüJirt.  Goethe  berichtet  (B.  22,  285),  er  sei  (im  Jahre 
1774)  Svcgen  oftmaligen  unfreundlichen  abweisens'  von  Einladnngen, 
in  Gesellschaft  zu  erscheinen  dort  wol  als  Bär  angekündigt  worden. 
Der  Name  Wolf,  womit  die  Stolberge  ihn  1775  bezeichnen,  ist  Abkür- 
zung des  Vornamens  Wolfgang,  worüber  meine  ^Freundesbilder^  S.  156. 
So  verwirrt  also  Lewes  das  verschiedenste  und  entstellt  es.  —  Dais 
die  Abänderungen,  welche  der  erste  Entwurf  des  ^Götz'  erfahren,  sehr 
unbedeutend  seien  und  hauptsächlich  in  der  Weglassung  zweier  Sce- 
nen  bestehen  sollen  (1  167),  ist  durchaus  unwahr.  Die  Umgestaltung 
des  Stückes  ist  eine  durchgreifende,  und  liefert  den  erfreulichsten  Be- 
weis von  der  in  kurzer  Zeit  gewonnenen  höhern  Ginsicht  und  der  sel- 
tenen Selbstüberwindung  des  jungen  Dichters,  der  mit  besonnenster 
Gewissenhaftigkeit  dem  ihm  vorschwebenden  Bilde  eines  eben  so  na- 
türlich wahren  als  maszvoU  schönen  Kunstwerkes  nachstrebte.  Das 
lag  schon  früher  unverkennbar  vor,  ehe  noch  Goethes  Briefe  an  Herder 


Leires:  Goelbes  Leben  vtnä  Schriften.  299 

uns  die  eigene  Sliiflmnng  des  Dichters  verriefhen.  Dieser  so  bezeich- 
nende Fortschritt  ist  aber  für  Lewes ,  der  sich  an  Viehhoff  sehr  unge- 
nau hält,  gar  nicht  vorhanden.  N^cht  im  Frühjahr  (I  170),  sondern  im 
Sommer  1773  erschien  Götz ;  die  Zeit,  in  welche  die  Umarbeitung  fällt, 
ergibt  sich  aus  Goethes  Briefen  an  Kestner.  —  Wenn  I  175  behauptet 
wird,  Goethe  habe  von  seinem  ^Mahomet'  nur  ^Mahomets  Gesang'  nie- 
dergeschrieben, so  ist  hierbei  ganz  unbeachtet  geblieben,  dasz  Goethe 
selbst  der  das  Stück  beginnenden  Hymne  gedenkt,  nnd  dasz  diese  be- 
reits 1846  von  Scholl  in  den  mehrfach  von  Lewes  angeführten  ^Briefen 
und  Aufsätzen  von  Goethe'  bekannt  gemacht  worden.  —  Dasz  die  Farce 
auf  Wieland  vor  dem  Mai  1774  geschrieben  worden  (I  179),  ist  freilich 
richtig;  aber  Lewes  hätte  wissen  sollen,  dasz  sie  bereits  in  den  ersten 
Monaten  des  Jahres  erschien.  Lessing  gedenkt  ihrer  schon  unter  dem 
20.  April.  Vgl.  meine  ^Fraueubilder'  S.  212  —  I  181  werden  wir  be- 
lehrt, dasz  Stahr  zuerst  das  richtige  Datum  der  ersten  Zusammenkunft 
des  Herzogs  mit  Goethe  im  Briefwechsel  Knebels  gefunden ;  dies  sei 
Goethes  Bericht  zum  Trotz  unzweifelhaft  der  11.  Februar  1774.  Wäre 
die  Entdeckung  richtig,  so  gehörte  sie  dem  Herausgeber  des  wol  von 
Lewes  gar  nicht  eingesehenen  Briefwechsels  zwischen  Goethe  und 
Knebel,  dem  trelTlichen  Guhrauer,  dessen  Herausgabe  jenes  Briefwech- 
sels, freilich  aus  ganz  besondern  Gründen,  seine  sonstige  Genauigkeit 
sehr  vermissen  läszt.  Allein  wer  nur  irgend  auf  das  Leben  Goethes 
während  des  Jahres  1774  einen  Blick  wirft,  sieht  die  Unmöglichkeit 
ein,  dasz  jener  Besuch  in  den  Februar  gefallen;  aus  urkundlichen 
Nachrichten  wissen  wir,  dasz  der  Herzog  damals  noch  keine  Reise  an- 
getreten, diese  erst  in  den  December  fällt.  In  meinen  Treundesbildern', 
die,  wie  so  manches  andere,  für  Lewes  gar  nicht  vorhanden,  habe  ich 
S.  420  bemerkt,  dasz  in  der  Urschrift  des  Briefes  wirklich  December 
(10  br.),  nicht  Februar  steht,  wie  denn  auch  der  damit  in  Verbindung 
stehende  Brief  von  Henriette  Knebel  an  ihren  Bruder  vom  19.  Decem- 
cer  1774  datiert  ist.  Wir  verbinden  hiermit  ein  weiter  unten  I  256 
folgendes  Versehen ,  wonach  der  Herzog,  ^eben  vermählt,  auf  dem 
Wege  nach  Weimar',  im  September  1775  in  Goethe  gedrungen ,  auf 
einige  Wochen  ihn  in  Weimar  zu  besuchen.  Aber  die  Vermählung 
erfolgte  erst  am  3.  October,  und  am  12.  kam  der  Herzog  nach  Frank- 
furt; freilich  hatte  sich  dieser  auch  schon  auf  der  Reise  nach  Karls- 
rahe vom  20.  September  an  ein  paar  Tage  zu  Frankfurt  aufgehalten 
nnd  nnsern  Dichter  gesehen.  Bei  Lewes  verwirrt  sich  alles,  und  er 
hält  es  auch  nicht  einmal  für  nöthig  der  von  Goethe  wirklich  ange- 
tretenen Reise  nach  dem  Süden  zu  gedenken,  welche  durch  die  in  Hei- 
delbsrg  cintrefTcnde  Nachricht  von  der  Ankunft  des  Kammerjunkers 
Kalb  mit  dem  versprochenen  Landauer  Wagen  und  durch  dessen  dring- 
liche Einladung  gehemmt  wurde.  —  Schon  Scholl  hat  darauf  hinge- 
wiesen, wie  Lewes  1  229  das  Verhältnis  ganz  umgekehrt  hat,  da  die 
Worte,  welche  er  Lavatcr  an  die  Brauconi  schreiben  läszt,  von  dieser 
an  jenen  gerichtet  sind,  und  daher  für  das,  worauf  es  hier  ankommt, 
nichts  beweisen.  —  Die  neue  Behauptung,  Goethe  nehme  in  dem  gleich 


300  Lowes:  Goethes  Leben  nnd  Schriften. 

darauf  angeführten  Briefe  an  Pfenninger  auf  Spindfca  Bezug,  ist  ganz 
haltlos;  jene  Aeuszerung  flosz  ganz  aus  Goethes  innerster  Seele,  ist 
nichts  weniger  als  eine  ^Umschreibung  einer  Stelle  in  Sffinozas  Ethik'. 
—  Dasz  ^Prometheus'  kein  Bruchstück  (I  241),  sondern  in  den  beiden 
Acten  vollendet  sei,  habe  ich  mit  Beislimmung  Schäfers  erwiesen,  and 
es  liegt  thäisächlich  vor.    Vgl.  meine  Bemerkungen  in  der  zweiten 
Ausgabe  meiner  Schrift  über  das  Stück  S.  125  f.  —  Auf  blosz^r  Ein- 
bildung beruht  die   Behauptung  (I  250),  Merck,   Hörn  nnd  andere 
Freunde  seien  Goethes  Verbindung  mit  Lili  entgegen  gewesen.  —  Die 
Schilderung  Knebels  als  ^eines  offenen,  biedern,  satirischen  Repu- 
blikaners' (I  283)  zeigt  zu  deutlich ,  dasz  Lowes  sich  in  den  zahlrei- 
chen VeröfTentlichungen  aus  Knebels  Nachlasz  gar  nicht  umgesehen 
haben  kann ,  wie  höchst  bedeutsam  sie  auch  für  das  Weimarer  Leben 
sind.    Dafür  hat  er  freilich,  wie  er  sich  rühmt  ([  265),  nicht  ohne 
Mühe  zum  Theil  entlegene  Quellen  benutzt,  um  sich  eine  Yorstelinnf 
von  den  damaligen   gesellschaftlichen   Zustanden   zu  machen;   aUeia 
die  höchst  unvollständige  und  rohe  Darlegung,   dasz  es  damals  an 
jetzigen  Comfort  gemangelt  nnd  das  Geld  in  viel  höherm  Werthe  als 
jetzt  stand ,  ja  dasz  sich  auch  das  jetzige  Thüringen  in  dieser  Besie- 
hung mit  England  nicht  messen  kann  *)^  hätte  man  ihm  gern  erlassen, 
und  sie  trägt  gar  wenig  zur  richtigen  Beurteilung  der  Weimarer  Ver- 
hältnisse bei ;  eine  kurze  Hindeutung  darauf  hätte  geniigt.    Man  Ter- 
gleiche  jetzt  Diezman  ^Goethe  und  die  lustige  Zeit  in  Weimar'. —  Anf 
ganz  unverantwortliche  Weise  wird  I  287  eine  Aeuszerung  über  einfcn 
Abend,  wo  Goethe  sich  durch  die  Abwesenheit  der  Frau  von  Stein  «n- 
glücklich  fühlte,  zum  Beweise  der  Thatsache  gestempelt,  dasz  er  in 
Weimar  überall  umhergeflattert  und  jedem  schönen  Augenpaar  den 
Hof  gemacht.   Gerade  seine  Briefe  an  Frau  von  Stein  strafen  die  Be- 
hauptung von  einer  ^  groszen  Zahl  flüchtiger  Neigungen'  (I  399)  ent- 
schieden Lügen.   Ein  freundliches  zusammenleben  mit  Jüngern  and  al- 
tern Damen  ist  von  einer  wirklichen  Neigung  weit  entfernt.    Man  lese 
nur  seine  Berichte  an  die  Freundin  über  die  Damen  in  Eisenach,  an 
sich  hiervon  zu  überzeugen.   Freilich  fehlt  uns  im  einzelnen  hierüber 
noch  manche  Auskunft,  nnd  es  wird  der  Zukunft  aufbehalten  blei- 
ben, noch  einzelne  Beziehungen  ins  Licht  zu  setzen:  aber  eine  wirk- 
liche Herzensneigung  in  den  zehn  ersten  Jahren  seines  Weimarer  Auf- 
enthaltes wird  nie  behauptet  werden  können.  ^  Dasz  die  Bemerkun- 
gen über  die  Ungebildetheit  des  weimarischen  Adels  und*  das  strenge 
halten  auf  Hoffähigkeit  (I  270  ff.)  auf  grober  Entstellung  beruhen,  hat 


*)  Wozu  dient  die  Hindeutung  auf  die  Mäcberlich  geringen  Ein- 
künfte des  GroBKherzogthum  Weimar  and  die  Bcbarf  übertriebene  Be- 
merkung, das  Volk  daselbst  sei  das  dümmste  und  vielleicht  das  blas- 
liebste,  unter  dem  er  je  gelebt?  Das  sind  höchst  wunderliche  -Gastge- 
Bchcnko,  die  gerade  nicht  für  Feinheit  der  Sitten  zeugen,  und  die  ein 
ehrlicher  Deutscher  sich  kaum  erlaubt  haben  würde.  Kannte  denn 
Lewes  das  Volk  genug,  um  so  über  seine  ^Dummheit'  entscheiden  su 
können  ? 


Lowes:  Goethes  Leben  and  Schriflen.  301 

SchöU  im  einzelnen  nachgewiesen.  So  wenig  zeigt  Lowes  sich  ge- 
schickt, solche  Zustände  zu  beurteilen.  Auch  seine  Charakteristiken 
Yon  Personen  sind  meist  roh  und  plump,  ohne  tieferes  eingehen  und 
feines ,  reines  erfassen  des  individuellen.*  Wie  ungeschickt  sind  nicht 
Lavater  und  Basedow  dargestellt,  wie  unfein  die  Herzogin  Amalia  nnd 
Herder?  Von  letzlerm  heiszt  es  I  270,  er  sei  ein  entschiedener  Demo- 
krat, wogegen  wir  II  162  lesen,  die  französische.  Revolution  habe  ihn 
gar  wenig  gekümmert.  Und  doch  geben  seine  und  seiner  Gattin  Briefe 
unzweideutig  za  erkennen,  mit  welcher  begeisterten  Erwartung  sie 
die  Revolution  begrüszten,  welche  grosze  Wendung  sie  später  von 
Napoleon  und  den  Franzosen  erwarteten,  wie  sie  mit  diesen  Gesinnun- 
gen selbst  am  Hofe  nicht  zurückhielten.  —  Dasz  I  279  der  Kammer- 
herr von  Eiusiedel  mit  seinem  Bruder,  dem  Bergrath,  verwechselt  wird, 
kann  bei  Lowes  eben  so  wenig  auffallen,  als  dasz  I  296  ein  Brief  des 
Jahres  1781  zwanzig  Jahre  später  gesetzt  wird.  —  I  331  bemerkt  Lo- 
wes, das  Sprichwort,  es  gebe  für  Kammerdiener  keine  Helden,  habe 
Hegel  tiefsinnig  erläutert:  nicht  darum  weil  dieser  kein  Held,  sondern 
weil  jener  ein  Kammerdiener  sei;  Goethe  habe  dies  als  Epigramm  wie- 
derholt. Er  meint  damit  offenbar  die  Stelle  in  den  ^Wahlverwandt- 
schaften' nnter  den  Sprüchen  aus  Ottiliens  Tagebuche  (B.  15,  198): 
'Es  gibt,  sagt  man,  für  den  Kammerdiener  keinen  Helden.  Das  kommt 
aber  blos  daher,  weil  der  Held  nur  vom  Helden  anerkannt  werden 
kann.  Der  Kammerdiener  wird  aber  wahrscheinlich  seines  gleichen 
Ba  9ohätzen  wissen.'  Jene  Sprüche  giengen  später  unter  die  ^Maximen 
and  Reflexionen'  über.  Hegel  sagt  an  der  von  Lowes  angeführten  Stelle, 
er  habe  zn  dem  Sprichwort  hinzugefügt :  ^Nichl  aber  darum,  weil  die- 
ser kein  Held ,  sondern  weil  jener  der  Kammerdiener  ist',  und  dieses 
habe  Goethe  zehn  Jahre  später  wiederholt.  Die  ^Wahlverwandtschaf- 
ten' waren  bereits  im  Herbst  1809  ausgedruckt;  Hegel  lebte  von  1801 
bis  1806  in  Jena ,  wo  er  zuletzt  auch  mit  Goethe  verkehrte.  Damals 
mag  er  gesprächsweise  die  Aeuszerung  gethan ,  und  Goethe  daran  Ge- 
fallen gefunden  haben;  die  Wendung,  welche  dieser  dem  Gedanken 
gab,  ist  eigenthümlich.  —  Auf  die  willkürlichste  Weise  wird  Goethes 
Plan,  Lessing  zu  besuchen,  als  eine  Folge  der  erneuerten  Verbindung 
mit  Herder  dargestellt  (II  26),  und  auch  die  letztere  irrig  auf  Rech- 
nung von  Goethes  veränderter  ernsterer  Haltung  gesetzt.  Die  Schuld 
lag  hier  auf  der  Seite  Herders  und  seiner  Frau.  Von  der  hohen  Be- 
deutung, welche  die  innige  Verbindung  mit  Herder  von  1783  bis  1794 
für  Goethe  hatte,  flndet  sich  bei  Lowes  kaum  eine  Spur.  —  Die  Dar- 
stellung von  dem  Rückzüge  der  Preuszen  aus  der  Champagne  und  von 
Goethes  Freude,  dasz  es  nun  mit  den  Mühseligkeiten  des  Kriegslebens 
vorbei  sei  (II  148),  ist  durchaus  irrig.  Lag  dem  Dichter  auch  an  der 
Sache  selbst  nichts,  der  Rückzug  war  auch  ihm  höchst  ärgerlich,  wie 
die  Art,  auf  welche  derselbe  erfolgte,  äuszerst  beschwerlich.  Von 
diesen  Beschwerlichkeiten  weisz  Lowes  nichts,  ihm  geht  der  Rück- 
marsch nur  langsam.  —  Dasz  Goethe  bei  der  Rückkehr  die  prächtige 
Treppe  seines  Hauses  angelegt  (II  151),  ist  irrig;  schon  gleich  nach 


302  Lowes :  Goethes  Leben  und  Schriften. 

der  Rückkehr  meldet  er  an  Jacobi,  dasz  er  Treppen  und  Vorhaus  wol 
gerathen  gefunden.  Der  Neubau  des  Hauses  war  für  ihn  nichts  weni- 
ger als  eine  Ueberraschnng ;  er  selbst  hatte  den  Plan  dazu  gemacht, 
und  er  halte  Jacobi  davon  unterhalten.  Uebrigens  ist  die  ganze  Schil- 
derung von  Goethes  Haus  mit  wenigen  Zusätzen  wörtlich  aus  Schölls 
Schrift  über  Weimar  genommen.  —  Entschieden  irrig  ist  es,  dass 
Maltzahn  nach  den  Originalhandschriften  der  Xenien  einigermaszen 
das  Eigeuthumsrecht  der  einzelnen  Xenien  nachgewiesen  (II  169) ;  die 
Handschrift,  welche  Maltzahn  benutzt  hat,  erstreckt  sich  nur  auf  eine 
kleine  Anzahl  Xenien  und  ist  auch  bei  diesen  nicht  beweisend,  ich 
habe  die  Frage  genau  erörtert  in  dem  ^Archiv  für  neuere  Sprachen'  X 
74  f.  und  in  der  Kölnischen  Zeitung  1856  Nr.  239.  —  Lewes,  der  Aus- 
länder, hat  gefunden,  dasz  die  beiden  letzten  Bücher  des  ^Wilhelm 
Meister\  die  fast  nur  von  der  Erziehung  handeln  sollen,  den  frühera 
an  Stil,  Charakter  und  Interesse  jämmerlich  nachstehen  (II  174)  — -  im 
geraden  Gegensatz  zu  Schiller,  Fr.  Schlegel  und,  wir  dürfen  hinzu- 
fügen ,  jedem  vorurteillos  urteilenden  Leser.  Die  Sprache  werde  hier 
schwach,  bisweilen  förmlich  schlecht,  der  Stil  sei  ohne  Farbe  und  Le- 
ben (II  177),  und  man  brauche  nur  eine  Stelle  darin  aufs  gerathewoki 
aufzuschlagen,  um  auf  einen  oder  den  andern  Satz  zu  stossen,  deu 
Goethe  wol  nie  geschrieben  haben  würde,  und  der  sich  hlos  durch  das 
dictieren  erkläre.  Als  ob  Goethe  nicht  auch  die  ersten  Bücher  sub 
Theil  dictiert  hätte  und  seine  besten  Sachen!  Ein  Satz,  wie  der  von 
Lewes  angeführte,  wo  wir  lesen  ^dasz  sie  mich  auf  meinem  Wege 
gerade  deswegen,  weil  es  mein  Weg  ist,  keineswegs  stören', 
dürfte  sich  kaum  sonst  in  diesen  Büchern  auffinden  lassen;  Nachlfissig- 
keiten  dieser  Art  können  aber  unmöglich  die  harten  Anklagen  gegen 
den  Stil  begründen.  Lewes  weisz  aber  den  Unterschied  zwischen  den 
sechs  ersten  und  den  zwei  letzten  Büchern  sich  gar  wol  zu  erklären; 
es  stehe  nemlich  fest,  dasz  jene  vor,  diese  nach  der  italienischen  Reise 
geschrieben  worden  (U  172.  177).  Das  also  war  des  Pudels  Ker«; 
jene  Thalsache  leitete  sein  Urteil.  Allein  die  Thatsadhe  selbst  ist  na« 
wahr;  denn  abgesehen  davon,  dasz  der  ganze  Roman  kurz  vor  der 
Herausgabe  völlig  umgeschrieben  wurde,  hatte  der  Dichter  vor  der 
italiänischen  Reise  nicht  die  sechs,  sondern  die  vier  ersten  Bacher 
vollendet.  Freilich  hören  wir  vom  Dichter  slslbst,  dasz  im  Noven- 
ber  1785  das  sechste  Buch  abgeschlossen  worden,  aber  schon  die 
weitere  Bemerkung,  dasz  er  am  .8.  December  den  Plan  zu  nlleB 
sechs  folgenden  Büchern  aufgeschrieben,  muste  Lewes  die  Frage 
aufnöthigen,  ob  denn  jene  ersten  sechs  Bücher  unsern  jetzigen 
entsprochen,  und  da  würde  er  gefunden  haben,  dasz,  wie  SchöU 
längst  bemerkt,  jene  nur  bis  zum  Ende  unseres  vierten  Buches  ge- 
reicht, womit  denn  seine  ganze  gegen  die  beiden  letzten  Bücher  ge- 
richtete Batterie  zum  Schweigen  gebracht  ist.  Ein  ganz  ähnlicher  Yer- 
stosz  ist  ihm  bei  ^Hermann  und  Dorothea'  begegnet'*').    ^Man  fahlt% 


*)  Eben  kommen  mir  die  'Bemerkungen  über  Goethes  nermann  und 


Lewes:  Goethes  Leben  und  SohriRen.  303 

schreibt  er  (II  202),  ^dasz  die  kräftige. Bergloft  von  Ilmenau,  wo  er 
das  Gedicht  im  Laufe  von  sechs  Monaten  derllauptsache  nach  verfaszte, 
den  Dichter  aus  der  matten  prosaischen  Stimmung  erhob  und  ihm  eine 
ganx  sichere  Kraft  gab.'  Aber  nahm  Goethe  auch  einzelne  Züge  vom 
Stadtchen  Ilmenau,  so  erblickte  er  dort  doch  auch  nicht  ^den  Saum 
des  Kleides  einer  Nuse' ;  sämtliche  neun  GesSnge  entstanden  zu  Jena, 
die  fünf  ersten  vom  August  bis  zum  October  1796,  die  andern  im  MSrz 
1797.  —  II  229  wird  nach-  VieholT  der  bei  Goethe  sich  versammelnde 
Abeodkreis  irrig  beschrieben.  Nicht  die  Gräfin  Einsiedel  befand  sich 
in  diesem  Kreise,  sondern  die  Gräfin  EgloiTstein,  die  auch  schon  Schä> 
fer  richtig  nennt  nach  dem  Berichte  von  Ludecus  ^  aus  Goethes  Leben' 
S.  7  f.,  woraus  wir  auch  ersehen,  dasz  die  Göchhausen  ein  Mitglied 
dieses  Kreises  war,  über  den  ich  näheres  in  der  Erklärung  von  Goe- 
thes lyrischen  Gedichten  beigebracht  (zu  den  geselligen  Liedern). 
Gleich  darauf  S.  231  wird  Hubers  Urteil  über  die  natürliche  Tochter, 
sie  sei  marmorglatt  und  marmorkalt,  A.  W.  Sohlegel  zugeschrieben; 
wie  wenig  dasselbe  zutreffe ,  ist  neuerdings  im  ^  Weimarer  Sonntags- 
bktt'  ausgeführt  worden.  —  Am  fabelhaftesten  ist,  was  Lewes  II  238 
ftber  die  Entstehung  des  ersten  Theils  des  ^Faust'  berichtet.  D^n  ersten 
Monolog  und  die  erste  Scene  mit  Wagner  schrieb  Goethe  hiernach  1774 
oder  1775 ;  walirend  seines  Verhältnisses  zu  Lili  entwarf  er  den  Plan 
sur  Geschichte  Gretchens,  schrieb  die  Sccnen  auf  der  Strasze,  in  Gret- 
chens  Schlafzimmer  und  auf  dem  Spaziergange,  wie  auch  die  Garlen- 
scene;  auf  der  Schweizerreise  (er  meint  die  erste)  brachte  er  die  erste 
Begegnung  mit  Mephisto  und  den  Pact  zu  Papier,  eben  so  die  Scene 
Tor  dem  Thore,  die  zwischen  Mephisto  nnd  dem  Schüler,  die  in  Auer- 


Dorothea'  von  Director  Schweiger  im  Programme  von  Insterbarg  zu  Ge- 
eicht I  die  ich  nur  als  eine  Nullität  bezeichnen  kann.  Seine  gegen  mich 
^richteten  Aeuszerungen  zeugen  von  wenig  Vorstündnia.  l>as  bei  der 
Oiarakterisicrung  von  Personen  die  Bestimmung  des  Alters  nicht  ohne 
Bedeutung  sei ,  versteht  sich  von  selbst ,  besonders  auch  ob  der  geliebte 
Uter  oder  jünger  als  die  geliebte.  Die  gegen  mich  gewandte  Stelle  des 
'Faust'  besagt  etwas  ganz  anderes,  als  Schweiger  hineinlegen  möchte. 
Gern  überlasse  ich  es  jedem  über  eine  ins  einzelne  gehende  Erklärung 
lU  spotten;  etwas  wissen  und  verstchn  ist  immer  gut,  und  gar  häufig 
fätit  der  Spott  auf  den  Spötter  zurück ,  besonders  bei  einer  so  völligen 
Unzulänglichkeit,  wie  sie  Schweiger  hier  überall  verräth.  Dasz  ich  die 
Hauptsache  über  Kleinigkeiten  vernachlässige,  ist  ein  ans  der  Luft  ge- 
griffener Vorwurf.  Dagegen  halte  ich  es  für  meine  Pflicht  als  Erklärer 
auch  Kleinigkeiten  nicht  zu  vernachlässigen. .  Schweiger  klagt  über 
Schulstaub,  der  ihm  sehr  beschwerlich  sein  rousz;  ich  aber  glaube,  dasz 
man  einem  Erklärer  bei  den  neuern  ebenso  wenig  als  bei  den  Alton 
gründliches  und  allseitiges  Studium  erlassen  dürfe,  und  lasse  mich  des- 
halb gern  einen  Pedanten  von  denjenigen  schelten,  die  eine  solche  Mühe 
nicht  auf  sich  nehmen  mögen  und  das  von  andern  geleistete  statt  dank- 
barer Anerkennung  mit  oberijächlichen  Ausstellungen  erwiedern,  deren 
Nichtigkeit  sich  auf  den  ersten  Blick  ergibt.  Möchte  doch  nicht  jeder 
sich  gleich  berufen  fühlen,  die  ITuzahl  der  Abhandlungen  über  Goethe 
nnd  Schiller  durch  halt-  und  inhaltloses  Gerede  zu  vermehren!  an  ge- 
diegenen Arbeiten  haben  wir  freilich  noch  keinen  Ueberflusz. 


304  Lowes:  Goethes  Leben  und  SchrifleD. 

bachs  Keller,  und  er  entwarf  den  Plan  zur  ^Helena'.  Was  Lewea  nicht 
alles  weiss,  und  wie  genau  er  die  Zeit  bestimmt,  als  ob  das  Verhiltnis 
EU  Lili  nicht  schon  1774  begonnen  und  bis  nach  der  Schweiserreise 
angedauert!  Wahrscheinlich  waren  der  Anfang  des  Stückes  und  fast 
die  ganze  Scenenreihe  mit  Gretchen,  so  weit  sie  im  ^Fragment'  in 
Jahre  1790  erschien,  im  Februar  1775  vollendet;  davon,  dasz  er  auf  der 
Schweizerreise  den  ^ Faust'  im  Sinne  gehabt,  ist  keine  Spur  vorhan- 
den. Erst  nach  der  Schweizerreise,  im  August  und  September ,  wird 
ein  groszer  Theil  der  zwischen  der  ersten  Unterredung  mit  Wagner 
und  dem  auftreten  Gretcbens  gelassenen  Lücke  ausgefüllt  worden  sein; 
dasz  das  ^Fragment'  diese  nur  von  den  Worten  des  Faust  an  gibt  ^nad 
was  der  ganzen  Menschheit',  hätte  hier  angeführt  werden  müssen,  wie 
auch  dasz  die  Schiuszscene  fehlt.  Der  italiänischen  Reise  gehört  frei- 
lich die  Hexenküche  an,  aber  mit  welchem  Rechte  der  Monolog  *  er- 
habner Geist'  und  die  Scene  im  Dom  von  Lew  es  dahin  verlegt  wird, 
weisz  ich  nicht,  und  wird  dieses  auf  bloszer  Einbildung  beruhen,  wie 
auch  die  hier  behauptete  Umarbeitung  des  ganzen  im  Jahre  1797«  und 
die  Vollendung  im  Jahre  1801.  Dasz  die  Zusammenstellung  des  *  Frag- 
ments' 1789  erfolgte,  der  Dichter  1798  das  ganze  von  neuem  vomahai, 
scheint  Lewes  eben  so  wenig  zu  wissen,  als  dasz  die  Brockensoene 
und  Valentins  Tod  ins  Jahr  1800  fallen.  Bei  einer  solchen  Leichtfertig- 
keit kann  es  uns  denn  auch  gar  nicht  verwundern,  dasz  wir  II  24& 
lesen ,  die  Wette  zwischen  Mephistopheles  und  Gott  bilde  einen  Be- 
standtbeil  der  Faustsage  und  Goethe  sei  beim  Prolog  ganz  dem  alten 
Puppenspiel  gefolgt —  und  diese  Unwahrheit  wird  dann  zur  Erklärung 
der  goetheschen  Behandlung  des  Vorspiels  im  Himmel  verwandt.  Die 
Wette  zwischen  Gott  und  Mephistoles  gehört  Goethe  eigenthflmlich  an. 
—  Die  II  M7  angeführten  Verse :  ^  sei  das  Wort  die  Braut  genannt' 
sind  nicht  von  Goethe,  sondern  von  Hafls  selbst. —  Dasz  Goethe  ganze 
Bibliotheken  bei  seinen  Lebzeiten  mit  Untersuchungen  Ober  das  was 
er  gewollt  habe  (1341)  sich  füllen  gesehn,  gehört  zu  den  gewaltigen 
Uebertreibungen ,  die  Lewes  liebt.  —  Völlig  der  Wahrheit  zuwider 
lauft  die  Behauptung  (II  348))  dasz  die  zweite  Bearbeitung  die  *Wan- 
derjahre'  nur  noch  lückenhafter  und  unvollkommener  gemacht  habe; 
die  Art  ihrer  Umgestaltung  ist  für  Goethe  gerade  höchst  belehrend. 
Dasz  die  Einschiebung  von  einer  Reihe  Betrachlungen,  die  wenigstens 
einen  äuszern  Anhalt  hatte,  einer  weitern  Kritik  eines  so  liebevoll  ge- 
pflegten Werkes  überhebe,  wird  niemand  zugeben  (II  351),  der  be- 
denkt, dasz  Goethe  selbst  die  spatere  Ausscheidung  aus  dem  Roman 
angeordnet,  und  der  überhaupt  der  Sache  einen  eindringenden  Bliek 
gönnen  will. 

Wir  glaubten  an  einer  gröszern  Anzahl  von  Stellen  die  Uninver- 
lassigkeit  des  Buches  nachweisen  zu  müssen,  damit  man  sich  dieser 
als  eines  Charakterzuges  bewust  werde  und  sich  hüte  auf  irgend  eine 
Angabe  von  Lewes  zu  bauen ,  zugleich  aber  um  die  nöthige  Berichti- 
gung hinzuzufügen,  da  wir  das  Buch  schon  in  den  Händen  mancher 
Lehrer  voraussetzen  müssen.    Sehen  wir  aber  von  diesen  Einzelheiten 


Lowes:  Goethes  Leben  and  Schriften«  305 

•  » 

ab,  and  fragen  nach  der  Eigcnthamlicbkeit  der  Behandlang,  so  mflssen 
whr  hier  zunächst  hervorheben,  dasz  Lewes  sich  darch  die  Sucht  mit 
geistreichen  Bemerkungen  zu  glänzen  hinreiszen  lässt,  und  dadurch 
die  einfache,  natürliche  Auffassung  dhr  Dinge  oft  leerem  Gerede  und 
einer  einseiligen  Darstellung  hat  weichen  müssen,  wodurch  unkundige 
sich  nur  zu  leicht  blenden  lassen,  darunter  leiden  gerade  manche  sehr 
bedeutende  Abschnitte. 

Schon  die  gesuchten  Ueberschriften  deuten  auf  einen  geistreichen 
Schein  hin.  Das  ganze  zerfallt  in  sieben  Bücher.  Das  erste,  die  Kind- 
heit behandelnde  trägt  die  Ueberschrift:  ^das  Kind  ist  des  Mannes  Va- 
ter'; die  Eigenthümlichkeit  soll  sich  nemlich  eher  in  den  geistigen  Zü- 
gen des  Knaben  als  im  Jünglinge  nachweisen  lassen ,  da  diesen  mehr 
die  Leidenschaft  als  der  Character  behersche.  So  sollen  hei  dem  Kna- 
ben nnd  dem  Manne  Goethe  Verstand  mit  Klarheit,  Ruhe  mit  Freiheit 
Ton  Verirrung  hervortreten,  während  er  als  Jüngling  wild,  ruhelos, 
siellos  sich  verirrend  und  so  keck  ausgelassen  sich  zeige,  dasz  dem 
glQhendsten  Verehrer  genialer  Wüstheit  Genüge  geschehe.  Als  ob  die- 
ser echt  rlieinische  Frohsinn,  der  das  Leben  mit  entschiedener  Keck- 
beit  ergreift,  nicht  unsern  Dichter  als  Knaben  ebenso  wie  als  Jüngling 
kennzeichne!  Man  denke  sich  den  mit  offnem,  freiem  Sinne,  mit  den 
.höchsten  Ansprüchen  an  heitern  Lebensgenusz  auftretenden  Knaben, 
dem  nichts  zu  hoch  ist,  der  eine  ganze  Welt  in  seinem  Busen  fühlt, 
wie  Goethe  sich  selbst  in  dem  Knabenmärchen  und  sonst  schildert,  und 
y\T  finden  hier  denselben  kräftigen  Lebensmut,  dieselbe  sprudelnde 
Kraft,  die  im  Jünglinge  nur  noch  gewaltiger  sich  regt.  Von  einer  ei- 
gentlichen Wildheit,  von  genialer  Wüstbeit  kann  auch  bei  dem  Jüng- 
ling Goethe  nicht  die  Rede  sein,  weder  in  Leipzig  noch  zu  Straszburg. 
Am  ersten  Orte  thut  sich  eine  gewisse  Altklugheit  und  eine  frühreife 
Ueberspannung  hervor,  die  wir  groszentheils  einer  gewissen  Ueberbil- 
dang Schuld  geben  müssen,  welche  durch  den  Vater  veranlaszt  wurde; 
die  körperliche  Krisis,  welche  er  anderthalb  Jahr  laug  bestand,  scheint 
aach  hierauf  bedeutend  gewirkt  zu  haben,  indem  sie  den  Jüngling  mehr 
in  sich  versenkte,  so  dasz  er  mit  frischem  Jugendmute  sich  nach 
Straszburg  begab ,  wo  sein  Geist  seine  Schwingen  erhob.  Ein  leben- 
diges Bild  des  Knaben  erhalten  wir  bei  Lewes  nicht;  wir  erfahren  gar 
mancherlei,  ohne  dasz  diese  merkwürdige  Individualität  sich  vor  uns 
entfaltete.  Eben  so  wenig  genügt  im  ganzen  das  zweite  die  Univer- 
sitätsjahre behandelnde  Buch.  Dasz  die  Beurteilung  des  Verhältnisses 
za  Friederiken  an  Unklarheit  leide,  hat  Scholl  nachgewiesen.  Goethe, 
heiszt  es,  habe  das  Verhältnis  zu  dem  Mädchen  gelöst,  weil  es  nicht 
stark  genug  gewesen  seine  Liebe  ganz  auszufüllen,  and  es  sei  sittli- 
cher von  ihm  gewesen  sie  zu  verlassen,  als  wenn  er  das  Unrecht  eines 
Treubruchs  durch  den  schlimmem  Treubruch  einer  Ehe  voll  Abneigung 
ohne  Liebe  vermieden  hätte.  Als  ob  denn  die  Verbindung  mit  einer 
geliebten,  die  unsere  ganze  Liebe  nicht  auszufüllen  vermöge,  nothwen- 
dig  zu  einer  Ehe  voll  Abneigung  führe.  Und  wo  haben  wir  irgend 
einen  Beweis,  dasz  Goethe  damals  geglaubt,  Friederike  könne  seine 


306  Lewcs :  Goethes  Leben  und  ScbrifKen. 

• 
Liebe  nicht  ganz  aasfallen?  Das,  was  ihn  abhielt,  den  Band  anfa  Leben 
mit  ihr  zu  sohliessen,  lag  einestheils  in  der  ihm  immerfort  anhaftenden 
Sehen  den  äussern  Verhältnissen  su  trotzen  (sich  mit  dem  Vater  so 
Überwerfen  und  anderwärts,  wenn  ihm  in  Frankfurt  kein  annehmliches 
Leben  sich  gestalten  sollte,  eine  sichere  Stellung  sich  zu  gründen),  an- 
dernlheils  in  dem  Gefühle,  dasz  er  sich  noch  nicht  binden  dürfe,  er  sieh 
selbst  innerlich  selbständiger  ausbilden  müsse,  ehe  er  den  Forderongen 
zu  genügen  vermöge,  welche  das  eheliche  Leben  au  ihn  stelle.  Die 
unendliche  Herzensgüte  Friederikens  hatte  ihn  bezaubert,  aber  iiatte 
er  auch  sich  leidenschaftlich  hinreiszen  lassen,  so  fühlte  er  doch  Kraft 
genug  sich  noch  zur  Zeit  zurückzuziehen.  Freilich  hatte  er  in  Frie- 
derikens Herzen  Neigungen  und  Wünsche  wach  gerufen,  die  er  nieht 
befriedigen  konnte,  die  ihr  schönes  Herz  in  seiner  Tiefe  erschatterten, 
und  er  war  und  fühlte  sich  deshalb  schuldig,  wie  er  es  auch  selbst 
offen  gestand;  aber  ein  Versprechen,  sich  mit  ihr  zu  verbindon,  hatte 
er  nie  gegeben ,  und  schon  während  seines  längern  za  PAngsten  be- 
ginnenden Besuches  deutlich  genug  zu  erkennen  gegeben,  dasi  er  sieh 
nicht  binden  könne;  am  wenigsten  hat  er  Friederiken  verführt,  wie 
man  neuerdings  wieder  auf  den  ganz  fabelhaften  Bericht  von  A.  Weill 
hin  zu  behaupten  gewagt  hat.  Goethe  war  einer  solchen  Trealosig- 
keil  ganz  unfähig,  und  dasz  er  sich  Friederiken  gegenüber  niohta 
weiter  vorzuwerfen  hatte,  als  dasz  er  seine  und  der  Freundin  Leiden- 
schaft unbesonnen  aufs  gerathewohl  genährt,  beweist  sein  eigener  Be- 
richt, beweist  die  Art,  wie  er  Friederikens  gegen  Salzmann  erwähnt, 
beweist  sein  Besuch  derselben  im  Jahre  17719  mit  der  SchilderoDg  an 
Frau  von  Stein,  beweist  Lenzens  Stillschweigen ,  der  sich  später  m 
Friederiken  verliebt  stellte,  beweist  endlich  alles,  was  Kr.,  der  Zoh6- 
rer  Näkes  (vgl.  meine  ^Frauenbilder'  S.  115  IT.),  von  Friederikens  jün- 
gerer Schwester  und  von  anderer  Seite  an  Ort  und  Stelle  erkundete. 
Dieser  Zuhörer  Nükes  ist,  wie  ich  jetzt  hinzufügen  kann,  der  jetaige 
Uedacteur  der  kölnischen  Zeitung,  Dr  H.  Kruse. 

Das  dritte  Buch,  welches  die  Jahre  1771  bis  1775  umfasBt,  ist 
Sturm  und  Drang  überschrieben;  aber  findet  sich  das,  was  hier  mit 
Slurjn  und  Drang  bezeichnet  wird,  nicht  auch  zum  Theil  in  der  Genie- 
periode in  Weimar,  die  Lewes  bis  1779  setzt  und  zum  Inhalt  des  Tier- 
ten  Buches  macht?  Wenn  es  von  der  Sturm-  und  Drangperiode  heisst, 
sie  habe  1771  eben  angefangen  durch  neue  Schriften,  wie  Gerstenbergs 
^Ugolino',  Goethes  ^Götz',  Klingers  ^Sturm  und  Drang'  und  Schillert 
^Uäuber',  in  Deutschland  alle  Kegeln  über  den  Haufen  zu  werfen ,  so 
bringt  er  hier  Werke  zusammen,  die  vierzehn  Jahre  auseinander,  die 
beiden  letzten  ganz  auszerhalb  der  von  ihm  als  Sturm  und  Drang  be- 
zeichneten Periode  Goethes  liegen.  Und  sehen  wir  denn  wirklich  Goe- 
the in  dieser  so  abgegrenzten  Periode  als  Stürmer  und  Dränger,  *  re- 
gellos, roh,  natürlich^  zeigt  nicht  schon  die  zweite  Bearbeitung  des 
^Götz'  im  Gegensatz  zum  ersten  Entwurf,  dasz  er  jenem  genialen,  kein 
Gesetz  anerkennenden  drängen  sich  enthoben  hatte?  Viel  besser  hätte 
Lowes  sich  dieser  leicht  verwirrenden  Bezeichnung  ganx  enthalten, 


Lewes:  Goethes  Leben  und  l^cbriften.  307 

oder  wenigstens  Goctlio  im  Gegensotz  zn  Lenz  und  Klinger,  den  beiden 
bedealcndsten  Vorirctcrn  dos  Sturmes  und  Dranges,  schildern  müssen. 
Aber  auch  sein  Gegensatz  zu  Lavater,  Jacobi,  den  Stolbergen  u.  a.  war 
hier  hervorzuheben  und  diese  Figuren  ihm  gegenüber  und  im  Zusam- 
mensein mit  ihm  ins  Leben  zu  setzen.    Dazu  bedurfte  es  freilich  einer 
koBstvoll  gruppierenden  Composition,  von  der  sich  in  dem  nur  von 
unkundigen  bewunderten  Leben  von  Lewes,  das  roh  und  ohne  innere 
Einsicht  die  Abschnille  aneinander  rückt,  keine  Spur  findet.   Wir  kön* 
Ben  nicht  in  einzelne  gelin,  und  nur  auf  die  Darstellung  von  Goethes 
Uebesverhällnissen    hindeuten,   worin    der  Verfasser    auch    keines- 
wegs glücklich  ist  *y    In  Lotten  soll  Goethe  nicht  verliebt  gewesen 
sein,  sondern  nur  in  das  zärtliche  Spiel  der  Gefühle;  es  sei  eine  Lei- 
denschaft voll  köstlicher  Unruhe  gewesen,  keine  tiefe,  verzehrende 
Leidenschaft;    die  Seltsamkeit   ihrer  Stellung,   dasz  sie   mit  seinem 
Freunde  verbunden  war,  habe  den  Reiz  erhöht,  diese  Liebe  mehr  den 
Dichter  als  den  Menschen  angegangen  (I  158).    Liest  man  die  Briefe 
Goethes  an  Kestner  und  Lotte,  so  müssen  einem  solche  Behauptungen 
ganz  unbegreiflich  scheinen.    Weisz  doch  Lewes  sonst  sehr  wol,  dass 
Goethe  in  allen  seinen  Darstellungen  das,   was  er  wirklich  in  sich 
durchlebt  hat,  zur  Darstellung  bringt;  und  hier  sollen  seine  Gefühle 
nicht  aus  dem  Herzen,  sondern  aus  den  Wolkengebilden  der  Einbil- 
dungskraft stammen?  Wie  Friederikens  heitere  Herzensgute,  so  risz 
lA>ttens  ruhig  besonnener  häuslicher  Sinn  ihn  machtig  hin  und  zeigte 
ihm  in  der  Verbindung  mit  ihr  das  süszeste  Lebensglück;    dasz  er, 
wäre  sie  frei  gewesen,  von  ihr,  wie  von  Friederiken  geflohen  sein 
würde,  können  wir  Lewes  unmöglich  zugeben:  das  Verlangen  nach 
einem  häuslichen  Familienleben  hatte  sich  seiner  bemächtigt.   Als  er 
bereits  Lotten  verloren,  sehen  wir  noch  immer  die  Sehnsucht  nach  der 
Gründung  eines  gleiches  Glückes,  wie  es  Kestner  zu  Theil  ward,  seine 
Brust  erfüllen.    Lewes  meint,  Lotte  sei  gewis  nicht  das  sentimentale 
Madchen  gewesen,  welches  wir  im  ^W^erther'  finden.   Aber  er  über- 
sieht hierbei,  dasz  diese  Gefühlseligkeit  in  der  Zeit  lag,  und  dasz  ge- 
rade die  gefühlvolle  Unterhaltung  am  Schlüsse  des  ersten  Theiles  des 
Romans,  wie  wir  wissen,  ganz  aus  der  Wirklichkeit  geschöpft  ist. 
Wenn  Lewes  I  173  zweifelt,  ob  das  am  11.  Januar  geborene  Mädchen, 
das  Goethe,  wie  er  im  Januar  1773  an  Lotten  schreibt,  lieb  hatte,  die 
von  mir  zuerst  genannte  Anna  Sibylla  Münch  sei,  so  habe  ich  bereits 
in  meinen  Erklärungen  zu  ^ Werther'  S.  30  urkundlich  nachgewiesen, 
dass  hier  an  deren  ältere  Schwester  zn  denken;  diese  Verbindung  mit 
Sosanna  Magdalena  Münch  im  Anfange  des  Jahres  1773  kann  aber  kein 
Bedenken  gegen  die  spätere  mit  deren  Schwester  (im  Sommer  1774) 
begründen.    Zu  den  durch  nichts  zu  rechtfertigenden   Aufstellungen 
von  Lewes  gehört  sein  Zweifel  an  der  Behauptung  Goethes,  dasz  Lili 

*)  Die  für  Goethe  so  wichtige  Verbindung  mit  Darmsiadt  und  ITom- 
bnrg,  auf  die  nencrdings  durch  den  Briefwecbeel  zwischen  Herde»  und 
seiner  Braut  ein  so  erwünschtes  Licht  gefallen,  tritt  bei  Lewes,  wie 
«uch  neuerdings  bei  Goedeke,  nicht  hervor. 


308  Lewes :  tloetbes  Leben  and  Scliriflen. 

seine  tiefste  nnd  innigste  Liebe  gewesen  (I  245  f.).  Er  bernfl  sich 
hierbei  auf  die  Darstellung  in  ^Wahrheit  und  Dichtung',  der  jede 
Wfirme,  ja  fast  ganz  die  Erinnerungskraft  der  Liebe  fehle.  Dieses 
Urteil  von  Lewes  steht  einzeln  da ;  denn  von  der  innig  zarten  Schilde« 
rung  dieses  Liebesverhältnisses  fühlen  sich  die  meisten  Leser  tief  er- 
griffen, und  wenn  die  Darstellung  dieses  herrlichen  LiebesfrQhlings 
durch  manches  andere  gestört  wird,  so  verschuldet  dies  zum  Theil 
der  Zudrang  so  vieler  in  der  Lebensbeschreibung  nicht  wol  zu  Qber- 
gehender  Dinge,  und  darf  man  nicht  auszcr  Acht  lassen,  dasz  dieser 
Theil  von  ^Wahrheit  und  Dichtung'  so  viele  Jahre  später  als  die  Dar- 
stellung von  den  seligen  Sesenheimer  Tagen  abgefaszt  wurde.  Und 
wird  etwa  die  Erzählung  vop  Friederiken  nicht  auch  von  manchen 
andern  Dingen  unterbrochen,  wie  es  kaum  anders  sein  konnte!  Wer 
die  Geschichte  von  Goethes  Liebe  zu  Lili  verfolgt,  wer  die  aas  der- 
selben hervorgequollenen  Lieder  auf  sich  wirken  iSszt,  wird  an  der 
anendlichen  Glut  dieser  Leidenschaft  für  die  fein  gebildete  Bankiers* 
lochter  nicht  zweifeln  können;  ja  das  sehnsüchtige  schmachten  noch 
dieser  verfolgte  ihn  nach  Weimar,  wo  ihn  die  erhebende  Freundschaft 
des  jungen  Fürsten  und  die  zarte  Neigung  einer  von  edelstem  Bildnngs- 
trieb  ergriffenen,  sein  innigstes  Vertrauen  hervorrufenden,  ihn  sanfl 
beruhigenden  schönen  Seele  herstellen  sollte.  Auch  dieses  VerhäUnis 
zu  Frau  von  Stein  hat  Lewes  keineswegs  richtig  gewürdigt.  Im  vier- 
ten Buche  werden  nur  die  ersten  vier  Jahre  dieser  Verbindung  behan- 
dell.  Von  dem  eigentlichen  Wesen  derselben  findet  sich  keine  Spar, 
die  Darstellung  ist  ganz  in  der  Art  eines  flachen  Journalisten, ^er  nur 
an  der  äuszersten  Oberfläche  haftet.  Wie  schal  ist  nicht  der  Schlasz 
des  ihr  gewidmeten  vierten  Abschnitts!  Wir  hören  nur,  dasz  sie- sich 
ihm  nothwendig,  ihre  Liebe  zum  Ziel  seiner  Sehnsucht  gemacht.  Keioe 
Ahnung  scheint  Lewes  zu  haben ,  dasz  Goethe  in  ihr  den  Leitstern  sei- 
nes Lebens  gefunden,  der  ihn  sicher  durch  die  brandende  Flut  fahrte, 
dasz  sie  sein  Herz  zu  vollstem  Vertrauen  erschlosz ,  dasz  ihr  reiner, 
ihn  tief  durchschauender  Sinn  sich  berufen  fühlte  dem  leidenschaftliGh 
aufwogenden  Dichter  hülfreich  zur  Seite  zu  stehn,  ihm  einen  sichern 
Halt  in  ihrer  den  Genius  verehrenden  Liebe  zu  bieten.  Von  kalter 
Berechnung,  von  stolzem  Selbstbewustsein,  dasz  sie  ihn  an  an  sieh 
gefesselt  habe,  von  einer  ihn  kurz  haltenden,  mit  ihm  kokettierendeB 
Herschsucht  kann  nicht  die  Rede  sein. 

Das  fünfte,  ^Krystalle'  überschriebene  Buch  nmfaszt  die  Jahre 
1779  bis  1793.  Die  gezierte  Ueberschrift  soll  darauf  hindenten,  dasz 
im  Manne  vieles  bis  dahin  flüssige  durch  den  Ernst,  d£r  dem  Leben 
eine  feste  Richtung  gebe,  sich  krystallisiere.  ^Alle  genialen  Minner 
machen  diesen  Krystailisalionsprocess  durch;  ihre  Jugendzeit  wird  yon 
dem  Gewirr  der  Irthümcr  und  Leidenschaften  getrübt,  aber  wenn  sie 
diese  Irthümer  überleben,  so  werden  sie  ihnen  zu  Gewinn.'  Also  nichts 
anders  wird  uns  hier  praetentiös  gesagt,  als  dasz  der  Mann  sa  beeon« 
neuer  Ruhe  gelange,  ohne  das  reine  Gefühl  der  leidenschaftlich  aafge- 
regten  Jugend  zu  verlieren.  Wann  aber  soll  denn  diese  KrystaUisatioB 


Lewes:  Goethes  Leben  und  lächriflen.  309 

eingetreten,  wann  zam  Abschlasz  gelangt  sein?  Den  Beginn  derselben 
haben  wir  ohne  Zweifel  vor  das  Jahr  1779  zu  setzen.    Zeigt  sich  nicht 
schon  im  Jahr  1777  das  unverkennbare  bestreben  sich  zu  beschränken 
sich  dem  rein  menschlichen  zuzubiiden,  allen  falschen  Anforderungen 
and  Strebnngen  zu  entsagen?   Und  noch  entschiedener  bricht  diese 
fette,  genügsame,  heitere  Selbstbeschrfinkung  in  dem  folgenden  Jahre 
hervor.   Und  wodurch  ist  Lewes  berechtigt  diesen  Krystallisations- 
process  bis  zum  Jahre  1793  auszudehnen?  Goethe  bezeichnet  die  Ver* 
inndang  mit  Schiller,  welche  Lewes  zum  Inhalt  des  sechsten  Buches 
macht,  als  einen  neuen  Frühling,  und  das  war  sie  ohne  Zweifel  fQr 
sein  dichterisches  schaffen;  aber  wie  verhält  sich  denn  dieser  neue 
Frflhling  zu  jener  Zeit  der  KrystaHisation?   Man  sieht,  wie  die  Ein« 
theiinng  des  Verfassers  nichts  weniger  als  glücklich  und  in  der  Sache 
begründet  erscheint.    Auch  die  Datierung  von  Goethea  Sonnenunterr- 
gang  vom  Jahre  1805  ist  in  keiner  Weise  zu  billigen ;  denn  mag  «auch 
immer  die  dichterische  Kraft  nach  Schillers  Tod  zu  versiegen  8t5heinen, 
bald  erhebt  sie  sich  von  neuem ,  die  Naturwissenschaft  wi-rd  auf  das 
emsigste  getrieben,  und  mit  der  Befreiung  des  Vaterlandes  ergreift 
ihn  ein  netter  Schwung;  auf  das  entschiedenste  wendest  er  sich  der 
Welt  wieder  zu,  und  noch  im  Jahre  1823  ergreift  ihn   die  glühendste 
Liebe.    Will  man  von  einem  Sonnenuntergang  des  D'ichters  sprechen, 
80  kann  man  diesen  erst  in  sein  letztes  Jahrzehnt  setzen  —  aber  diese 
ganze  Bezeichnungsweise  scheint  uns  mehr  bleridend,   als  dasz  sie 
einen  treffenden  Einlheilungsgrund  abgäbe.  Auch  in  den  Büchern  selbst 
sind  die  Abschnitte  nicht  glücklich  abgegrenzt,  ornddie  wirklich  fort- 
schreitende Entwicklung  dadurch  oft  verwischt.    Man  nehme  nur  ein- 
mpl  die  Abschnitte,  in  welche  Lewes  die  Darstellung  des  Verhältnisses 
tn  Schiller  zerfallen  läszt:  die  Dioskuren,  Wilhelm  Meister,  die  roman- 
tische Schule,  Hermann  und  Dorothea,  Goethe  als  Theaterdirector, 
Schillers  letzte  Jahre,  Faust,  die  lyrischen  Gedichfe;  wir  haben  hier 
nichts  als  ein  buntes  Durcheinander,  das  die  wahre  Einsicht  in  den~ 
Fortgang  dieses  wunderbaren  Zusammenwirkens  verwirrt.     Mag  das 
bewandern  wer  da  will,  uns  tritt  hier  nur  die  UnzuMinglichkeit  des 
Lebensbeschreibers  entgegen. 

Wir  können  auf  das  einzelne  der  letzten  Bücher  nicht  eingehen, 
aber  nirgendwo  zeigt  sich  deutlicher  als  hier,  wie  wenig  der  Verfasser 
im  Stande  war,  das  Bild  dieses  groszartigen  geistigen  Lebens  in  einen 
klar  umspannenden,  entschieden  hervorhebenden  Rahmen  zu  fir;ssen. 
Gerade  in  der  glücklichen  Anordnung  und  Gruppierung  der  in  massefi- 
hafter  Häufung  erdrückenden  Einzelheiten,  von  denen  jede  an  ihrer 
rechten,  bedeutsamen  Stelle  hervortritt,  kein  wichtiger  Punkt  fiber- 
gangen wird  oder  sich  mehr  als  billig  zurückzieht,  wird  der  Lebens- 
beschreiber  Goethes  seine  Einsicht  und  Kunst  bewähren.  Wir  geden- 
ken hier  nur  der  Darstellung  des  Bruches  mit  Frau  von  Stein.  Nach 
der  Schweizerreise  kühlt  sich,  wie  Lewes  (11  26)  bemerkt,  Goethes 
Leidenschaft  für  Fran  von  Stein  etwas  ab,  in  den  Jahren  1781  and  1782 
erhebt  sich  der  Ton  wieder  sa  Wfirme  and  Leidenschaft,  Goethe  fühlt 


310  Lewes:  Goethes  Loben  und  Schriflen. 

sich  giacklich;  woher  das  letztere  komme,  gesteht  Lewes  nickt  bii 
wissen.  ^Möglich,  dasz  eine  sechsjährige  Probezeit  sie  von  seiner 
Treue  überzeugt  hatte;  möglich,  dasz  sie  auf  Corona  Schröter  eifer- 
süchtig wurde;  möglich,  dasz  sie  fürchtete  ihn  ganz  zu  veriieren.' 
Von  diesen  drei  Möglichkeiten  kann  für  denjenigen,  der  das  Verhältnis 
genau  verfolgt  und  richtig  faszt,  nicht  die  Rede  sein..  Frau  voo  Stein 
machte  gar  keine  solche  Ansprüche  auf  Goethe,  wie  sie  hier  angedeu- 
tet werden,  sie  wollte  nur  die  eiuzige  Vertraute  seines  ganzen  seins, 
die  Sonne  sein,  nach  welcher  sich  seine  Seele  immer  hinwenden  sollte; 
zu  dieser  reinen,  man  könnte  sagen  mystischen  Liebe  aber  vermochte 
Go.-  he  sich  nur  schwer  zu  erheben,  die  Leidenschaft  machte  immer 
"■in/  indero.  Ansprüche,  welche  die  Freundin  zurückwies,  bis  sich 
tili  endlich  ganz  in  dieses  wunderbare  VerhäUnis  geistiger  Schwe- 
^..nriit'lic  zu  ßnden  wüste.  Ihren  Gipfelpunkt  erreichte  diese  Liebe 
m  J:hrt;  1784,  WO  der  Dichter  an  ihrer  Hand  zur  reinsten  BeruhigVDg 
seiuLM*  -  lii'  isch  bewegten  Seele  gelangt  war.  Aber  hiermit  hatte  sie 
auch  üir  ;\  -timmung  erreicht,  das  Verhältnis  verlor  schon  im  fol- 
gcndcu  .liiü  '  >'n  seiner  warmen  Innigkeit,  wo  das  Verlangen  ihn  er- 
griff seir  M  ■  .  ^«t  durch  die  Anschauung  reinster  Kunslvollendang  so 
befruchti-  !  -.  '■  Frau  von  Stein  bereits  damals  ihre  volle  Anziehangi- 
kraft  nich>  rriiii  unf  ihn  übte,  ergibt  sich  schon  daraus,  dasi  er  den 
Gedanken  an  uiiu'  ^  «  lange  Entfernung  von  ihr  zu  fassen  vermochte: 
freilich  entgioiig  il:i  i  die  allmählich  eintretende  Veränderung  so  gut, 
wie  der  Freundin,  ürr  er  noch  kurz  vor  der  Abreise  nach  Italien 
schrieb,  das  Leben  .vnde  ihm  erst  durch  sie  werth.  Das  beweist  eben 
so  wenig,  wie  w  1 1:  ^  y  (in  paar  Monate  spater  aus  Italien  sie  bittet: 
^laszt  uns  keinen  U'>,icrii  ^ledanken  haben  als  unser  Leben  miteinander 
zu  endigen!'  Solch;  ^ .  .uUnisse  lösen  sich  nicht  auf  einmal,  und  man 
glaubt  noch  an  ihn  '  m)  Bestand,  wenn  sie  schon  innerlich  im  hin- 

schwinden begrilTci.  wiu  die  bereits  untergegangene  Sonne  noch  Aa- 
genblicke  lanr  ■<  ni  Au:;ü  ihr  Bild  zeigt.  Die  Frage,  ob  Goethe  seine 
Absicht  na^^i  -:)'i  -i  n  reisen  Frau  von  Stein  milgctheilt  habe,  Iftsxt 
Lewes  un  nuM.!i.  '^v':;  aber  alle  Zeugnisse  sprechen  trotz  Scholl  dafür, 
dasz  d\  l'i'"!t  ■>.  eben  so  wenig  als  Herder  vom  Ziele  nnd  der  Dnaer 
seinf;:  i;.  i^  ■  .  uvas  gewust;  unter  den  Freunden,  die  er  am  1.  Novem- 
be  '<  '  '  ■  .!'.  das  Geheimnis  und  die  gleichsam  unterirdische  Reise 
.  /u  verzeihen,  haben  wir  uns  diese  beiden  vor  allen  zn  denkea. 
^  '  11  aus  wird  er  den  Freunden  die  erste  Nachricht  haben  sakom- 
ii: '..  aussen  und  zugleich  die  ^Aclen'  seiner  bisherigen  Heise  zugesandt 
uriitM.  Schölls  gegentheilige  Gründe  scheinen  uns  ohne  Gewicht;  die 
f'iiefe  aus  Italien  liegen  uns  nicht  in  der  ursprünglichen  Gestalt  Yor, 
und  die  Aeuszerung,  die  Gräfin  von  Lanthieri  habe  ihm  in  Karlsbad 
die  weiszen  kleinen  Feigen  versprochen,  deutet  nur  auf  eine  Untere 
haltung  mit  derselben  über  Italien  hin,  nicht  darauf,  dasz  er  die  gleich 
anzutretende  Reise  nach  Italien  ihr  vcrrathen  habe.  Lewes  bringt  an- 
ter dep  Gründen,  welche  Goethes  Leidenschaft  für  Frau  von  Stein  ab- 
gekühlt, auszer  der  Ungern  Abwesenheit  auch  die  Liebe  zu  jener  Mai- 


Lewes:  Goethes  Leben  und  Schriftea.  311 

ISnderin  in  Anschlags,  die  aber  keineswegs  so  stark  auf  ibn  wirkte,  «Is 
man  neoerdings  meist  anzunehmen  geneigt  ist.    Jene"  vorübergehende 
Neigang  mochte  ihm  noch  zuweilen  angenehm  schmeicheln,  aber  es 
war  nur  ein  lieber  Sternblick  gewesen,  der  ihm  hold  gelächelt  ohne 
seine  innerste  Seele  zu  ergreifen.    Das  bedeutendste  Gewicht  legt  Lo- 
wes darauf,  dasz  Frau  von  Stein  unterdessen  zwei  Jahre  älter  g'ewor- 
deo.    ^Was  im  tSglichen  Verkehr  unmerklich  und  unbemerkt  geblieben 
wire,  das  trat  ihm  nun  plötzlich  vor  die  Augen.    Und  sehen  hatte  ja 
er  in  Italien  gelernt.'   Aber  dies  wire  für  ihn  ganz  ahne  Bedeutung 
geblieben,  hätte  er  die  Freundin  noch  mit  jenem  Blick  mystischer 
Liebe  anzusehn  vermocht,  der  ihn  früher  beseligt  und  in  dem  Anfang 
seiner   *  Geheimnisse'  seinen  berlichsten  Ausdruck   gefunden    hatte. 
Dieser  süsze  Lichtschein  begann  schon  mit  dem  Jahre  1785  sich  za 
lösen,  ganz  schwinden  muste  er,  als  er  in  der  reinen  Klarheit,  in 
der  vollendeten  Gestaltenschönheit,  in  der  fasziichen  Bestimmtheit  der 
Kanst  seine  Seele  geweidet  und  ausgeweitet  hatte.   Dazu  hatte  ihn  in 
Italien  das  gerade  Gegentheil  jener  mystischen  Liebe  erfreut,  wenn  er 
auch  den  Genusz,  den  ihm  seine  dortige  geliebte  bot,  zu  verklären 
wüste,  nnd  wie  wir  es  bei  unserm  Dichter  immer  finden  so  oft  er  in 
der  Fremde  weilte,  das  Bedürfnis  einer  engen  Häuslichkeit,  eines  stil- 
len Familienlebens,  eines  eigenen  von  geliebter  Hand  gepflegten  Her- 
des hatte  sich,  eindringlicher  als  je,  vor  ihm  aufgethan.  Die  mystische 
Liebe  war  zu  Ende,  ein  wirkliches  gesundes  Liebesglück  war  es,  nach 
dem  seine  Seele  dürstete ,  nnd  so  war  das  Verhältnis  zu  Frau  von 
Stein  in  seiner  frühern  Weise  unmöglich  zu  halten.  Welche  unendliche 
Aeoderung  eingetreten  sei,  mnsle  diese  an/  das  schmerzlichste  bei 
seiner  Rückkehr  empfinden,  wogegen  Goethe  sich  bewust  war,  an  sei- 
ner alten  treuen  Liebe  festzuhalten,  ohne  zu  ahnen,  wie  anders  er  die- 
ser erscheinen  müsse.   Der  Schmerz,  das  schöne,  natur-  und  kunstge- 
segnete Land  verlassen  zu  haben,  muste,  wie  in  seinem  Verhalten  ge- 
gen die  übrigen  Freunde,  so  auch  Frau  von  Stein  gegenüber  heraii- 
stimmend  wirken,   so  dasz  er  dieser  noch  viel  kälter  erschien,  die 
nicht  ahnte,  was  in  seiner  Seele  vorgegangen,  wie  sie  nicht  einsehn 
wollte,  dasz  jene  mystische  Liebe  unmöglich  fortdauern  könne,  dasz 
der  Dichter  nach  ift|klichem  Liebesgenusz,  nach  einer  Seele  sich  sehne, 
die  ihm  ganz  angenöre,   und  so  entfremdele  sie  ihn  noch  mehr. durch 
ihre  eifersüchtige  Kälte.    So  von  keiner  Seite  verstanden,   vergasK 
sich  der  Dichter  ganz;  Frau  von  Stein  hätte  ihn  zu  leiten  vermocht, 
wäre  sie  im  Stande  gewesen  seiner  Liebe  zu  entsagen  und  sich  mit 
seiner  innigst  anhänglichen  Freundschaft  und  der  Freude  des  höchsten 
Liebes-  und  Familienglückes  des  Freundes  zu  begnügen.     Noch  nicht 
ein  Monat  war  nach  seiner  Rückkehr  vergangen,  und  schon  hatte  ihn 
das  Bedürfnis  seiner  sinnlich  aufgeregten  Natur  mit  Christiane  Vulpius 
verbunden,  die  zu  verlassen  und  aufzugeben  sein  sittliches  Gefühl  sich 
nicht  entschlieszen  konnte,  da  das  arme  Mädchen  ihm  das  höchste  ge- 
opfert hatte.   Christiane  war  nnd  blieb  die  seine,  nachdem  er  sich  mit 
ihr  vergangen,  er  betrachtete  sein  Verhältnis  zu  ihr  als  eine  unanf- 

Pf,  Jahrb.  f,  PkU.  u.  Paed,  Bd  LXXVIII.  HftQ.  21 


31 2  Lowes:  Goethes  Leben  und  Schriflen. 

lösliche  Verbindung,  mochte  anch  die  ganze  Welt  über  seine  bfirger* 
lieh  beschränkte  BcgrifTe  nnd  seine  hausbackene  Sittlichkeit  spotten. 
Wenn  Lewcs  die  erste  Begegnung  mit  Christianen  in  den  Herbst  setst 
(11  78),  so  wird  diese  Angabe  widerlegt  durch  die  AeusKerung  GoeQies 
in  einem  Briefe  an  Schiller  vom  13.  Juli  1796:  ^  Heute  erlebe  ich  auch 
eine  eigene  Epoche :  mein  Ehestand  ist  eben  acht  Jahre  und  die  fran- 
zösische Revolution  sieben  Jahre  alt.'  Freilich  fehlt  diese  Stelle  merk- 
würdig genug  in  der  neuen  Ausgabe  des  Briefwechsels  —  die  erste 
hat  den  ganzQn  Brief  nicht  —  aber  es  ist  kein  Grund  vorhanden  an 
Riemers   Zuverlässigkeit '  zu  zweifeln,  der  mit   diesen  Worten   den 
von  ihm  zuerst  mitgetheilten  Brief  (Briefe  von  nnd  an  Goethe  S.  138) 
schlieszt.   Aeuszerlich  hielt  sich  das  Verhältnis  zu  Frau  von  Stein  in 
der  ersten  Zeit  noch  ruhig  fort,  aber  als  die  Neigung  zu  Christiane 
Vulpius  sich  bestätigte  und  öffeutlich  wurde,  da  konnte  die  Freundin 
sich  vor  tiefstem  Schmerz  nicht  halten,  dasz  der  Dichter  ihre  Liebe 
einem  solchen  unbedeutenden  Mädchen  geopfert.  Auf  ihre  leidenschaft- 
lichen Vorwürfe  erwiedert  Goethe  mit  ruhiger  Gelassenheit  in  dem 
von  SchüU  richtig  hierauf  bezogenen  Briefe  (aus  dem  Alai  1789),  in 
dessen  Schluszworten:  ^gelegentlich  sollst  Du  wieder  etwas  von  den 
schönen  Geheimnissen  hören'  unter   den  ^Geheimnissen'  weder  mit 
Scholl  die  Liebesgeschichte  mit  der  Mailänderin ,  noch  mit  Lewes  die 
römischen  Elegien,  sondern  «eine  botanischen  Entdeckungen  zu  ver- 
stehn  sind,  die  ihn  damals  beschäftigten,  bei  denen  ihm  auch  Christiane 
freundlich  zur  Hand  gieng.   Als  Frau  von  Steigi  sich  bald  darauf  in  ein 
rheinisches  Bad  begab,  liesz  sie  ihm  einen  über  sein  jetziges  Verhält- 
nis sich  scharf  aussprechenden  Brief  zurück,  den  Goethe  auf  die  mil- 
deste Weise  am  1.  Juni  zu  beantworten  suchte,  wenn  er  auch  nicht 
unterlassen  konnte  der  Freundin  über  ihr  kaltes  Benehmen  gegen  ihn 
.Vorwürfe  zu  machen,  wogegen  er  sich  selbst  ihr  gegenüber  frei  weiss. 
Der  Uebersetzer  findet  es  ^wenig  treu  und  männlich',  wenn  Goethe  von 
seinem  Verhältnis  zu  Christiane,  das  die  Freundin  so  sehr  zu  kränken 
scheine,  dieser  schreibt:  ^und  welch  ein  Verhältnis  ist  es?   Wer  wird 
dadurch  verkürzt?  wer  macht  Anspruch  an  die  Empfindungen,  die  ich 
dem  armen  Geschöpf  gönne?  wer  an  die  Stunden,  die  ich  ihm  gönne', 
aber  er  übersieht,  dasz  Goethe  die  edle  Freund^Unöglichst  schonea 
will,  dasz  er  sich  scheut  ihr  gerade  zu  gestehn,^asz  das  Verhältnis 
zu  ihr  ihn  unmöglich  allein  habe  befriedigen  können.    Und  deutet  er 
nicht  bestimmt  genug  an,  dasz  er  dieses  glücklichen  Liebeslebens,  daf 
ihm   die  Freundin  unmöglich  gewährt,  nicht  entbehren  könne  noch 
wolle.   Mag  er  der  verletzten  Freundin  gegenüber  auch  dieses  neae 
Verhältnis  als  ein  weniger  bedeutendes  darstellen,  sie  muste  fühlen, 
wie  innig  er  an  Christianen  hieng.    Man  fasse  nur  den  Ausdruck  *das 
arme  Geschöpf  nicht  verächtlich,  es  ist  eine  freundliche  Bezeichnung, 
wie  wenn  er  sonst  geliebte  Mädchen  ^Grasaffe,  Puppe'  nennt,  und  auch 
das  ^gönnen'  ist  hier  keineswegs  in  vornehmem  Sinne  zu  fassen.  Wenn 
er  in  einem  darauf  folgenden  Brief  die  Freundin  bittet:  ^hilf  mir  selbst, 
dasz  das  Verhältnis,  das  Dir  zuwider  ist,  nicht  ausarte,  sondern  steha 


Lowes:  Goethes  Leben  and  Schriften.  313 

bleibe,  wie  es  steht',  so  faszt  er  auch  hier  noch  die  Freundin  als  seine 
geistige  Leiterin,  die  ein  entschiedenes  Recht  auf  ihn  habe,  ohne  aber 
dem  anmuthigen  Liebesgenusse,  der  ihn  jetzt  beglückt,  sein  Recht 
irgend  zu  vergeben.  Aber  Frau  von  Stein  fühlte  sich  viel  zu  erhaben, 
als  dass  sie  den  Freund  mit  einem  solchen  an  Rang  und  Geist  weit 
unter  ihr  stehenden,  mit  reizender  Sinnlichkeit  und  natürlicher  Anmuth 
begabten,  in  dem  Antheil  welchen  der  Dichter  ihr  zuwendete  sich 
hochbeglückt  fühlenden  Mädchen  hätte  theilen  könnnen :  der  Bruch  war 
eben  so  unvermeidlich  als  der  Groll  auf  jene,  die  ihr  den  Freund  ent* 
rissen  hatte,  und  die  Ungerechtigkeit  gegen  beide  ist  so  natürlich,  dasz 
man  für  Frau  von  Stein ,  die  ihr  ganzes  geistiges  sein  ganz  in  Goethe 
versenkt  hatte,  am  wenigsten  einer  Entschuldigung  bedarf.  Und  dasz 
der  Dichter  sich  wenigstens  die  ersten  Jahre  über  in  dem  Liebesglücke, 
das  ihm  Christiane  bot,  ganz  behaglich  fühlte,  das  zeigen  auszcr  den 
gerade  hierdurch  hervorgerufenen  römischen  Elegien  besonders  die 
Briefe  an  Herder.  Ueber  die  spätere  Entwicklung  des  Verhältnisses, 
wie  über  Christianens  Persönlichkeit  wird  so  viel  irriges  berichtet, 
dasz  man  wol  thut  sich  nur  an  die  in  jeder  Beziehung  zuverlässigen 
Zeugnisse  zu  halten.  Jedenfalls  blieb  Goethe  der  geliebten  treu  und 
erkannte  dankbar  an,  was  sie  ihm  geworden,  wenn  er  es  auch  oft  be- 
dauern mochte,  dasz  er  keine  ihm  ganz  gleichstimmige,  ihm  geistig 
ebenbürtige  Gattin  gefunden  hatte.  Dasz  aus  diesem  Gefühle  die 
*  Wahlverwandtschaften'  bervorgewachsen  seien,  habe  ich  bei  Erklä- 
rung derselben  ausgeführt. 

Begegneten  wir  bisher  bei  der  Betrachtung  des  Lewesschen  Wer- 
kes keiner  erfreulichen  Seite,  so  können  wir  dagegen  die  grosze,  freie 
Weise,  welche  der  Verfasser  in  der  Beurteilung  Goethes  als  Mensch, 
Dichter  und  Forscher  bewährt,  nur  auf  das  freudigste  anerkennen. 
Lewes  faszt  ihn  als  eine  edle,  tüchtige  Nafur,  die  mit  ureigener  Kraft 
sich  mächtig  entwickelt,  deren  wollen,  streben  und  wirken  Ausstrah- 
lungen einer  bedeutenden  Entelechie  sind.    ^Eine  wahrhaftige  Natur 
zu  sein,  das  war  seine  Grösze',  sagt  er  mit  dem  geistvollen  Carlyle. 
*Wie  seine  bedeutendste  Fähigkeit,  die  Grundlage  aller  andern.  Ver- 
stand, Tiefe  und  Kraft  der  Phantasie  war,  so  war  Gerechtigkeit,  der 
Mut  gerecht  zu  sein,  seine  erste  Tugend.    Das  gröste  Herz  war  zu- 
gleich das  bravste:    furchtlos,   unermüdlich,   friedlich  unbesiegbar.^ 
Dem    sohlechten  Gerede   von   Goethes   Kälte,  Selbstsucht,  Igitelkeit, 
Kleinlichkeit,  Philisterhaftigkeit,  Behäbigkeit,  Servilität  tritt  er  mit 
der  warmen  Ueberzeugung  entgegen,  dasz  eine  solche  Dichtergrösze 
!■      unmöglich  mit  einem  kleinen  Geiste,  einem  engen  Herzen,  einer  trocke- 
I«     nen  Seele  sich  vereinigen  lasse,  und  indem  er  diese  Beschuldigungen 
*     des  Neides  und  Unverstandes  über  Bord  wirft,  sucht  er  überall  den 
^     Spuren  seines  Geistes  liebevoll  nachzugehn,  ohne  sich  zu  schaler  Lob- 
'^    rednerci  zu  verirren,  die  alle  Flecken  wegzuleugnen,  alle  Schwächen 
1*    als  Tilgenden  zu  stempeln  bemüht  ist,  oder  einer  Frivolität  zu  huldi- 
^^    gen,  welche  von  den  Anforderungen  der  Sittlichkeit  Umgang  zu  neh- 
^   men  glaubt.   Freilich  ist  dasselbe  auch  längst  von  Deutschen  bervor- 

21* 


314  Leweg:  Goethes  Leben  and  Schriften. 

gehoben  and  entschieden  daraaf  hingewiesen  worden,  aber  es  that 
wol,  auch  den  Englander  mit  frischem  Geiste  die  menschliche  Grösse 
unseres  Dichters  so  warm  aussprechen  zu  hören,  der  mit  lebendigster 
Kraft  sich  zu  einem  ganzen  Menschen,  wie  ihn  die  Natar  beabsichtigt, 
za  bilden  bestrebt  war.  Dem  Ausländer  scheinen  die  Deutschen  aoch 
hier  mehr  zu  glanben,  während  sie  ihre  Landsleute  so  gern  als  Goetbo- 
koraxe,  Goethebewunderer  beseitigen.  Zu  den  gelungenem  Absohnit- 
len  gehört  besonders  der  über  Goethes  Naturstudien,  obgleich  wir 
nach  hier,  wie  sonst  häufig,  eine  zusammengehallenere  Darstellang 
wünschten.  In  Hinsicht  der  Farbenlehre  steht  Lewes  auf  der  Seite 
seines  groszen  Landsmanns  Newton,  dem  gegenüber  er  ansern  Dich- 
ter nicht  zu  seinem  Recht  kommen  läszt;  doch  ist  diese  Ungerechtig- 
keit neuerdings  in  vellstem  Slasze  ausgeglichen  worden  darch  die 
höchst  beachtenswerthe  Schrift  von  F.  Grävell  ^Goethe  im  Recht  gegen 
Newton',  welche  unsern  Dichter  auf  das  glänzendste  rechtfertigt  and 
Newtons  Irthum  wie  die  Befangenheit  der  Männer  der  Wissenschaft 
ins  klarste  Licht  setzt.  Bei  der  Frage  über  die  Priorität  der  Vertebral- 
theorie  zwischen  Oken  und  Goethe  lagen  Lewes  die  Acten  nicht  voll- 
ständig vor,  besonders  entgieng  ihm  das  Zeugnis  Riemers  in  den  ^Brie- 
fen  von  und  an  Goethe'  S.  dOO.  Ich  habe  den  Gegenstand  ausführlich 
erörtert  im  ^  Morgenblatt'  1864  Nr  35  ff.,  was,  wie  so  manches  andere, 
Lewes  entgangen  ist.  Uebrigens  hatte  Lewes  bei  den  naturwissenschaft- 
lichen Arbeiten  besonders  an  Carus  und  Ilelmholz  viel  bedeatendere 
Vorgänger,  als  die  Vorrede  einzuräumen  scheint.    . 

Einen  beträchtlichen  Raum  nehmen  die  Besprechungen  von  Goe- 
thes bedeutendem  Werken  ein,  welche  die  Darstellung  des  Lebens 
meist  auf  störende  Weise  unterbrechen,  und  nicht  immer  da  eintreten, 
wo  sie  an  der  rechten  Stelle  sind.  Aber  gerade  diese  ^Analysen  und 
Kritiken'  scheinen  uns  höchst  oberflächlich,  nirgends  eindringend. 
Wir  geben  dem  Verfasser  durchaus  Recht,  wenn  er  sich  (il  l7l.  312) 
gegen  diejenige  Beurteilung  von  Dichtwerken  erklärt,  welche  statt  in 
den  Geist  demselben  einzudringen  über  dieselben  speculiert,  und  indem 
sie  ihre  eigene  philosophische  Anschauung  hineinlegt  das  Gedicht 
selbst  auf  die  offenbarste  Weise  misversteht.  Seine  eigene  Art  der 
Betrachtung  beschreibt  er  in  folgenden  Worten:  Moh  studiere  ein 
Kunstwerk  nicht  anders  als  wie  ein  Werk  der  Natur;  ich  frene  mich 
an  seiner  Wirkung  und  suche  dann  die  Mittel  zu  erkennen,  durch  wel- 
che die  Wirkung  hervorgebracht  wird.  —  Ich  habe  ein  Gedicht  vor 
mir,  ich  zerlege  es,  nehme  ein  Glied  nach  dem  andern,  zeige  die  Stel- 
lung auf  die  es  einnimmt,  und  suche  seine  Function  nachznweisen.' 
Auch  hiergegen  hätten  wir  nichts  zu  erinnern,  aber  der  Verfasser  er- 
füllt das,  was  er  hier  verspricht,  keineswegs;  er  läszt  das  Stück  anf 
sich  wirken,  und  urteilt,  ehe  er  zum  eigentlichen  Verständnis  desseU 
ben  gelangt  ist;  von  einem  auffassen  des  einzelnen  an  sich  and  in 
seinem  Zusammenhange  des  ganzen  findet  sich  keine  Spur,  ja  er  be- 
schränkt sich  meist  anf  eine  blosze  magere  Inhaltsangabe,  die  in  die 
innere  Bildung  des  Gedichtes  gar  keinen  Einblick  gewährt  und  aiclit 


Lewes:  Goethes  Leben  and  Schriften.  315 

# 
selten  hält  er  sich  bei  Dingen  weitläufig  auf,  die  gar  keine  Ansftlhrang 
verdienen. 

Beim  ^Götz'  weist  er  weitläufig  nach,  dasz  es  sehr  ungenau  sei, 
das  StQck  shakespearisch  zu  nennen,  wie  es  allgemein  geschehe  (1 137). 
Aber  neuerdings  fällt  es  kaum  jemand  ein  solch  eine  Behauplutfg  auf- 
xnslellen,  man  beschränkt  sich  auf  die  Bemerkung,  dasz  der  Dichter 
an  Shakespeare  seinen  Geist  ausgeweitet,  und  er  durch  ihn  veranlasit 
worden  die  beschränkte  dramatische  Form  keck  zu  durchbrechen. 
Uebrigens  durften  nicht  alle  Bemerkungen,  welche  Lewes  in  weiterer 
Ausführung  jener  Behauptung  macht,  gegründet  sein,  und  er  verrückt 
geradezu  den  richtigen  Standpunkt,  wenn  er  meint,  der  Dichter  habe 
in  diesem  Stücke  ein  Bild  des  Mittelalters  oder,  wie  es  bald  darauf 
heiszt,  der  Zeit  des  Götz  dramatisieren  wollen;  nicht  seine  Zeit,  son- 
dern den  in  den  Netzen  der  einbrechenden  Arglist  fallenden  edlen,  tren- 
herzigen,  tapfern  freien  Ritter  bringt  er  uns  zur  leibhaftesten  Anschaa- 
nng.  Von  einer  eingehenden  Würdigung  findet  sich  hier  so  wenig  als 
bei  ^Werther',  wo  1.  über  Aeuszerlichkeiten  kaum  herauskommt,  und 
seine  Bemerkungen  gar  nicht  den  rechten  Fleck  treffen.  Eine  unge- 
nauere und  weniger  zutreffende  Schilderung  des  Verlaufes  des  ^  Wer- 
iher'  als  die  hier  I  191  entworfene  könnte  kaum  gegeben  werden. 
Nichi  ein  Uebermasz  von  Liebe,  wird  gegen  Lessing  bemerkt,  treibe  * 
den  Werther  zum  Selbstmord,  sondern  die  Krankheit  seiner  sittlichen 
Natur  mache  ihm  das  Leben  wierträglich,  die  unglückliche  Liebe  werde 
ffir  diese  nur  zum  zündenden  Funken  (I  194).  Das  Leben  wird  ihm 
aber  nicht  deshalb  unerträglich,  weil  er  sein  Herz  nicht  zu  zügeln 
weisz,  sondern  weil  diese  Zügellosigkeit  es  ihm  unmöglich  macht, 
dem  Besitze  Lottens  zu  entsagen.  Das  gegen  Lessing  vorgebrachte 
Beispiel  des  sophokleischcn  Hämon  ist  auderer  Art;  dieser  straft  das 
Unrecht  des  Vaters  durch  seinen  Tod  (ptccrgl  (irivlaag  g>6vov).  Wie 
dürftig  ist  das,  was  über  ^Prometheus'  (I  241  ff.)  gesagt  wird,  nichts 
als  leere  Worte,  die  vom  eigentlichen  Inhalt  keine  Vorstellung  geben ! 
Der  Titan  fühlt  sich  nicht  als  Gott,  sondern  im  Gegensatz  zu  den  Göt- 
tern, die  ihm  seine  Selbständigkeit  und  seine  schaffende  Kraft  nicht 
rauben  können.  Bei  der  ^Iphigenie'  wird  den  Deutschen  Schuld  gege- 
ben, sie  hätten  einstimmig  das  Stück  für  das  schönste  moderne  grie- 
chische Trauerspiel  erklärt.  Eine  solche  Aeuszernng  ^eigt  nur,  wie 
wenig  Lewes  in  der  betreffenden  Litteratur  sich  umgesehen  hat;  Jahn, 
Rinne  u.  a.  haben  den  Unterschied  aufgezeigt.  Hier  hören  wir,  dass 
die  im  griechischen  Drama  herschende  Ruhe  der  Entwicklung  durch 
die  scenische  Nothwendigkeit  ihrer  Bühne  bedingt  war,  die  Handlung 
selbst  aber  so  wenig  Ruhe  zeige,  dasz  in  ihr  leidenschaftlichstes  Leben 
"pulsiere.  Goethe  habe  in  seiner  ^Iphigenie'  ohne  Noth  die  durch  die 
Umstände  den  Griechen  aufgedrungene  Ruhe  der  Darstellung  in  das 
innerste  Leben  seiner  Dichtung  eindringen  lassen ;  in  dem,  was  neben- 
sächlich, was  ein  Bedürfuis  der  Zeit  gewesen,  habe  Goethe  die  Grie- 
chen nachgeahmt,  im  wesentlichen,  charakteristischen  nicht.  Hätte 
Lewes  geahnt,  dasz  bei  einem  Kunstwerk  die  innere  und  änszere  Form 


310  Lowes:  Goethes  Leben  und  Schriften. 

sich  entsprechen,  dasz  bei  den  Griechen  sich  alles  natnrgemiss  eol- 
"wickeUe  und  jene  Ruhe  der  Darstellung^  das  innerste  Wesen  ihrer 
Dichtung  ist,  so  würde  er  sich  gehütet  haben  solche  Sätze  als  hohe 
Weisheit  zu  verkünden.  Von  einer  Nachahmung  der  Griechen  kann 
bei  Goethe  nie  und  nimmer  die  Rede  sein;  seine  ganze  Seele  trieb  ihn 
SU  jener  klaren  Ruhe  der  Darstellung,  die  er  bei  den  Griechen  so 
herlich  ausgeprägt  fand,  die  er  selbst  in  seiner  ^Ipbigenie'  zuerst  er- 
reichte. Wie.  aber  kann  man  zu  behaupten  wagen,  diese  Ruhe  sei  in 
der  ^Iphigenie'  in  die  Handlung  eingedrungen,  angesichts  der  von  tief- 
ster Herzens-  und  Geisteserregung  durchglühten  Scenen  des  Orest,  be- 
sonders im  dritten  Acte,  und  der  durch  den  machtigen  Seelenkampf 
erschütternden  Monologe  der  Iphigenie.  Dasz  das  Stück  durchans 
deutsch  gedacht  und  gefühlt  sei ,  brauchen  wir  uns  nicht  erst  von  Le<^ 
wes  sagen  zu  lassen,  der  sonderbar  genug  unter  den  Uebereinstimmun- 
gen  mit  der  griechischen  Tragoedie  auch  die  ^Sättigung  mit  mythischem 
Stoff'  anführt.  Als  Drama  stellt  er  die  euripideische  Iphigenie  hoch 
über  die  deutsche,  während  ganz  neuerdings  Goedeke  erstere  nicht 
tief  genug  herabsetzen  zu  können  glaubt.  Als  ein  dramatischer  Fehler 
wird  es  betrachtet,  dasz  Iphigenie  nach  den  Worten  Orests:  ^icb  bin 
Orest!'  nicht  gleich  in  des  Bruders  Arme  stürze  und  sich  ihm  als 
Schwester  zu  erkennen  gebe;  sowol  die  Natur  als  die  dramatische 
Wirkung  verlange  hier  einen  Aufschrei  von  Iphigehiens  Hersen.  Al- 
lein es  entspricht  ganz  dem  Charakter  der  in  leidenschaftloser  Rahe 
ihre  Seele  andächtig  den  Göttern  vertranlnden  Priesterin,  dasz  sie  die 
in  leidenschaftlichster  Aufregung  vorgebrachte  Entdeckung  mit-  iusze- 
rer  Ruhe  vernimmt;  ist  ja  der  Bruder  so  aufgeregt,  dasz  sie  ein  rohi- 
ges  Wort  —  und  eines  solchen  bedarf  es ,  um  ihn  von  der  Wahrheit 
XU  überzeugen  — jetzt  nicht  anbringen  kann,  und  drängt  sie  ja  ihre 
ganze  Seele  den  Göttern,  deren  Gnade  sie  ihr  Leben  dankt,  vorab  ih- 
ren wärmsten  Dank  auszusprechen  und  sich  selbst  im  dankbaren  Auf- 
blick zu  ihnen  zu  beruhigen.  Nichts  aber  liegt  Lewes  ferner  als  vor- 
urteilsfrei zu  erwägen,  weshalb  der  Dichter  hier  die  Erkennungsscene 
nicht  sofort  eintreten  liesz.  Wir  enthalten  uns  anderer  Bemerkungen 
über  die  iphigenie',  zu  denen  uns  Lewes  Veranlassung  bietet,  um  uns 
zu  ^Egmont'  zu  wenden,  welcher  der  beiden  Grundbedingungen  deu 
Dramas,  d.  h.  ^ eines  für  die  Darstellung  angelegten  Werkes',  entbeh- 
ren ,  nur  ein  dialogisierter  Roman  sein  soll.  Freilich  wenn  ein  Kampf 
mit  dem  Schicksal,  ein  gewaltig  fortdrängendes  handeln  zum  Drama 
unumgänglich  erforderlich  ist,  so  kann  Egmont,  der  in  unserm  StQcke 
nur  ein  ruhig  festes  Vertrauen  auf  den  König  zeigt,  sich  auf  seine 
Verdienste,  sein  Ansehen,  seine  ritterliche  Kraft  stützt,  unmöglich  als 
echtes  Drama  gelten:  aber,  ist  jene  Begriffsbestimmung  wirtlich  eine 
berechtigte,  ist  sie  nicht  viel  zu  eng  gefaszt?  Hierüber  habe  ich  mich 
in  der  Einleitung  zu  den  Erklärungen  von  Goethes  Dramen  weiter  aus- 
gesprochen. Was  Lowes  sonst  über  ^Egmont'  bemerkt,  ist  theils  an- 
bedeutend thoils  unbegründet;  so  können  wir  die  Herabsetznng  der 
goetheschcn  Volksscenen   gegen   die  von  Shakespeare  nur  für  ganz 


Lewes:  Goethes  Leben  and  Schriften.  317 

^illkfirlich,  die  Behaoptung,  man  merke  bei  Goethes  Leuten  ans  dem 
Volke  in  jedem  Worte  die  Absicht  des  Dichters  heraus,  nur  für  höchst 
ungerecht  halten.  Wie  treffend  characterfsieren  sich  Jelter  und  Soest, 
um  von  Vansen  gar  nicht  zu  reden !  Dasz  Lewes  für  den  organischen 
Zusammenhang  der  Scenen  keinen  Sinn  hat,  zeigt  die  Aeuszernng  über 
die  zweite  Scene,  die  er  nicht  allein  ganz  überflüssig,  sondern  anch 
höchst  schwach  findet;  Wir  möchten  sehr  wünschen,  Lewes  könnte 
sich  entschlieszen  einmal  eine  genaue  Erörterung  eines  der  goethe- 
schen  Stücke,  etwa  von  ^Cgmont'  oder  ^Tasso',  mit  Bedächt  durchzn- 
gehn;  wir  zweifeln  nicht,  dasz  er  hier  an  manchen  Stellen  Wider- 
sprach erheben  würde,  aber  jedenfalls  würde  er  daraus  lernen,  dasz 
esxu  Erfassung  eines  mit  so  entschiedener  Klarheit  und  Kunsteinsicht 
entworfenen  und  mit  solcher  dichterischen  Begabung  ausgeführten 
Dichtwerkes  mehr  als  eines  oberflächlichen  lesens  und  raschen  abur- 
ieilens  bedürfe,  und  er  würde  sich  in  Zukunft  scheuen  Satze  in  die 
Lese^elt  zu  streuen  wie  der  womit  er  die  Besprechung  des  ^Tasso' 
anhebt,  dieser  sei -eine  Reihe  tadelloser  Verse,  kein  Drama,  seine 
Schönheit  liege  lediglich  in  seiner  Poäsie,  im  Zauber  seiner  Form. 
Dasz  es  ihm  schwer  gefallen,  in  den  Inhalt  des  Stückes  kritisch  einzn- 
gehn,  glauben  wir  ihm  gern,  aber  die  Ursache  davon  liegt  grösten- 
Iheils  darin,  dasz  er  es  nur  oberflächlich  berührt  hat,  ohne  um  den 
Sinn  des  Dichters  sich  zu  kümmern.  Er  selbst  gesteht,  dasz  er  mit  der 
Geschichte  des  italiänischen  Dichters  gar  wenig  vertraut  sei,  und  doch 
wagt  er  (II  98)  ein  Urteil  über  den  Character  des  wirklichen  Tasso 
und  der  Prinzessin,  die  Goethe  verfehlt  habe.  Wer  das  Leben  Tassos 
genauer  kennt,  weisz,  wie  genau  der  Dichter  hier  der  Geschichte  ge- 
folgt ist.  Dasz  er  den  Streit  zwischen  Antonio  und  Tasso  nicht  richtig 
za  fassen  vermochte,  kann  bei  seiner  leichtfertigen  Behandlung  des 
Stückes  nicht  Wunder  nehmen.  Sehr  anspruchsvoll  wird  die  Bespre- 
chang  des  ersten  Theiles  des  ^Fanst'  eingeleitet,  über  den  Lewes  be- 
reits früher  in  einem  besondern  Aufsatz  gehandelt  hat.  Aber  fragen 
wir,  was  denn  hier  neues,  von  allen  Kritikern  bisher  ^übersehenes' 
aafgestelU  wird  —  nascetur  ridiculus  mus.  Der  Zauber  des  Gedichtes 
soll  darin  liegen,  dasz  es  zugleich  ein  Problem  und  ein  Bild  sei.  ^Als 
Problem  umfaszt  es  alle  höchsten  Fragen  des  Lebens,  als  Bild  stellt 
es  alle  Meinungen,  alle  Empfindungen  und  alle  Klassen  dar,  die  sich 
aaf  der  Bühne  des  Lebens  bewegen.  Das  grosze  Problem  ist  in  seiner 
ganzen  Schärfe  hingestellt,  das  Bild  in  seiner  ganzen  Manigfaltigkeit 
gemalt.'  Nachdem  Lewes  die  Hauptscenen  ganz  oberflächlich  an  uns 
hat  vorüberziehen  lassen,  schlieszt  er  mit  der  vermessenen  Zuversicht, 
diese  Uebersicht  mit  ihrer  Reihe  manigfach  wechselnder  Lebensbildjsr 
werde  nicht  nur  die  Popularität  des  Taust^  fördern,  sondern  auch  das 
Geheimnis  seiner  Composion  erhellen.  Ein  beneidenswerthes  Selbst- 
vertrauen, wenn  es  nicht  gar  zu  komisch  wäre!  Was  Lewes  hier  an  ein- 
zelnen Stellen  richtig  bemerkt  hat,  ist  natürlich  längst  von  den  übrigen 
Kritikern,  deren  er  nicht  zu  viele  gesehen  haben  wird,  vorweggenom- 
men, aber  seine  Bemerkungen  reichen  am  wenigsten  zur  Einsicht  in  das 


318  Lewes:  Goetbea  Leben  and  Schriften. 

Wesen  der  Dichtung  aus,  sind  dazu  oft  schief  und  nnriohtig.  Das  *Vor« 
spiel  auf  dem  Theater'  soll  die  Frage  über  das  Verhältnis  des  Dichters 
und  des  Publicums  zur  dramatischen  Kunst  erschöpfeu,  und  sie  mit  der 
einfachen  Aeuszeruug  der  lustigen  Person  Lösen :   ^  wer  machte  denn 
der  Mitwelt  Spasz?'    Also  die  Frage  würde  ganz  im  Sinne  dßr  lusti- 
gen Person  entschieden,  dasz  es  allein  auf  Unterhaltung  ankäme?  Die 
Aosprüche  des  Dichters  träten  ganz  zurück?   Lowes  denkt  gar  nicht 
daran,  sich  die  Bedeutung  der  drei  Personen  klar  z^  machen ,  beson- 
ders die  des  Directors  in  Beziehung  zur  lustigen  Person,  nnd  eben  so 
wenig  bemüht  er  sich  nachzuweisen,  wie  die  Ausgleichung  stattfinde; 
seine  Betrachtung  hält  sich  behaglich  an  der  äuszersten  Oberfläche. 
So  bezieht  er  denn  auch  die  Schluszworte  des  Prologs  unbedenklich 
auf  den  Bau  des  folgenden  Dramas,  wobei  er  unter  der  ^Welt'  nicht 
blosz  das  ^geistige  Labyrinth',  sondern  auch  die  Scenen  des  wirklichen 
Lebens  versteht.    Aber  sollte  dieser  Prolog  nicht  vielmehr  darauf  hin- 
deuten, dasz  ^ Faust'  kein  Stück  sei,  wie  der  Theaterdirector  und  die 
lusliga  Person,  der  gewöhnliche  Geschmack  es  wünsche,  kein  Theater- 
stück, sondern  ein  dichterischer  Ergusz?  Der  ^Prolog  im  Himmel'  soll 
den  Grundton  des  ganzen  Werkes  anschlagen,  die  Welt  von  Wundern 
und  Wunderglauben  eröfifnen ,  in  der  das  grosze  und  mystische  Schau- 
spiel des  Lebens  vor  sich  gehe.  Doch  die  Hauptabsicht  desselben  liegt 
offenbar  darin,  die  Idee  des  ^Faust',  wie  ihn  der  Dichter  auffaszt,  dar- 
zustellen und  die  Handlung  im  Himmel  zu. beginnen,  wo  sie  auch  im 
Gegensatz  zur  Volkssage  enden  soll.  Lewes  aber,  ganz  hingerissen  von 
seiner  Entdeckung  der  zwiefachen  Natur  unseres  Dramas,  ergeht  sich 
in  weitere  Betrachtungen  über  den  Umstand,  dasz  wir  hier  zwei  Pro- 
loge haben.    ^Die  Welt  und  das  treiben  der  Welt  soll  dargestellt  wer- 
den, die  Seele  des  Menschen  und  ihre  Kämpfe  sollen  gezeichnet  wer- 
den.   Jener  Absicht  entspricht  das  Vorspiel  auf  dem  Theater,  .die 
zweite  Richtung  leitet  der  Prolog  im  Himmel  ein ;  denn  der  Himmel 
ist  der  Mittel-  und  Angelpunkt  aller  Kämpfe,  Zweifel  und  andächtigen 
Stimmungen,  und  zum  Himmel  empor  strebt  Faust   (Aber  im  Stücke 
selbst  gewis  nichts  weniger  als  dieses!).  Noch  eine  weitere  organische 
Nothwendigkeit  fordert  die  zwei  Prologe:  im  ersten  setzen  der  Thea- 
terdirector und  sein  Dichter  die  Personen  der  Bühne  (? !),  im  zweiten 
setzen  Gott  und  Mephisto  die  Personen  des  wirklichen  Dramas  in  Be- 
wegung (?!);  von  Schauspielern  geht  die  Ausführung  aus,  vom  Uim-r 
mel  stammt  das  Drama  der  Versuchung.'   Was  man  nicht  für  ^organi- 
sche Nothwendigkeiten'  ersinnen  kann,  wenn  man  nur  will!  hier  ist 
ja  Lewes  auf  einmal  in  ein  inhaltloses  speculieren  hineingerathen ,  das 
er  sonst  den  Deutschen  behaglich  vorrückt.   Wenn  er  II  252  bemerkt, 
Faust,  ganz  dem  Zweifel  verfallen,  vermache  seine  Seele  dem  Teufel 
wenn  er  jemals  sich  glücklich  fühlen  sollte,  so  entgeht  ihm  hier  sogar 
der  nicht  zu  verkennende  Fadeu  der  Handlung.    Faust  übergibt  sich 
dem  Teufel  im  Jenseits  ohne  Bedingung,  er  fügt  aber  noch  hinzu,  dasz 
er  gleich  sterben  wolle,  wenn  er  auf  einen  Augenblick  sich  wahrhaft 
beruhigt  finden  sollte.  In  der  Scene  zwischen  Mephistopbeles  und  dem 


Lewes:  Goethes  LebeD  ood  Scbriflea.  319 

Sl^hüler  sieht  Lewes  ^  eine  vernichtende  Satire  auf  jede  Art  menseh* 
Uchen  Wissens/  ^  Und  wo  steht  sie  als  gerade  da ,  wo  der  Held  auf 
alles  Wissen  verzichtet,  seine  Bücher  zugemacht  hat  für  immer  und 
des  Lebens  sich  freuen  will?'  Aber  bedenkt  denn  Lewes  nicht,  dass 
Mephistopheles  selbst  Vernunft  und  Wissenschaft  für  die  allerhöchste 
Kraft  des  Menschen  erklart?  Der  Spott  trifft  offenbar  die  todte  aka- 
demische Weisheit,  und  es  ist  nichts  weniger  als  zufällig,  dass 
fast  unmittelbar  darauf  das  rohe  akademische  Leben  uns  zur  An- 
schauung kommt.  Faust  flieht  die  Akademie,  deren  todtes  und  rohes 
Wesen  hier  an  uns  herantritt.  Wenn  gleich  darauf  (II  266)  der  Ver- 
fasser gesteht,  dasz  ihm  die  Beziehung  der  Scene  in  Wald  und  Höhle 
sum  ganzen,  bei  allem  Reichthum  an  Schönheiten,  nicht  klar  sei,  so 
hätte  er  sich  hier  leicht  bei  den  Erklärern  Rath  erholen  können ,  die 
ihm  gesagt  haben  würden,  dasz  Faust  von  der  geliebten  geflohen,  weil 
er  fürchte  sie  zu  verderben,  sie  dem  gierigen  Triebe  seiner  Leiden- 
schaft zu  0[ffern ;  er  kämpft  gegen  seine  Sinnlichkeit  an ,  die  ihn  aber 
endlich  unwiderstehlich  zu  Gretchen  zurückreiszt.  Von  der  ßehanp* 
lang:  ^die  Scene  auf  dem  Blocksberg  ist  ein  Bestandlheii  der  alten 
Sage  und  flndot  sich  in  vielen  Bearbeitungen  des  Puppenspiels'  ist 
das  gerade  Gegenlheil  wahr;  aber  Lewes  liebt  es  von  solchen  Dingea 
ohne  alle  Kenntnis  zu  sprechen,  oder  er  müsle  ein  sehr  schlechtes  Ge- 
dächtnis haben.  Ganz  irreführend  finden  wir  die  weitere  Bemerkung, 
Goethe  lasse  die  Scene  auf  dem  Blocksberg  unmittelbar  auf  die  im 
Dome  folgen,  um  das  höllische  Zauberwesen  mit  dem  religiösen  Ele- 
ment in  Gegensatz  zu  bringen.  Mephistopheles  will  den  Faust  immer 
mehr  in  seine  gemeinen  Kreise  hineinziehen;  deswegen  führt  er  ihn 
aach  auf  den  Blocksberg,  wo  er  des  durch  ihn  in  Jammer  und  Noth 
versankenen  Mädchens  ganz  vergessen  soll. 

Das  angeführte  möge  genügen  zum  Beweise,  wie  wenig  Einsieht 
uod  Studium  der  goelheschen  Werke  Lewes  durchweg  verräth,  so  dass 
derjenige  übel  beralhen  sein  möchte,  der  ihn  sieb  zum  Führer  erwfih- 
l^B  würde.  Auch  die  beiden  Abschnitte  über  die  deutsche  Litteratnr 
and  die  romantische  Schule  sind  ohne  tiefere  Kenntnis  geschrieben, 
wie  sehr  sie  auch  durch  Flitter  za  bestechen  suchen.  Für  Deutschland 
ist  überhaupt  das  Werk  von  Lewes  ohne  Werth,  und  steht  weit  hinter 
Rosenkranz  und  besonders  hinter  Schäfer  zurück,  dessen  Leben  Goe- 
thes bei  einzelnen  Mängeln,  die  wir  in  der  ^allgemeinen  Monatsschrift' 
aufgezeigt,  mit  groszer  Sachkenntnis  und  reifem  Urteil  geschrieben 
ist.  Der  in  Aussicht  stehenden  zweiten  Ausgabe  des  Schäferschen 
Werkes  wünschen  wir  die  freundlichste  Aufnahme.  Auch  für  England 
hätten  wir  ein  solches  Werk  in  einer  bessern  Hand  gewünscht;  welch 
ein  anderes  Werk  würde  uns  Carlyle  geboten  haben,  wenn  er  sich 
einer  solchen  Aufgabe  unterzogen  hätte!  Ein  gewisser  äuszerer  Glans 
der  Darstellung,  vielseitige  Bildung  uod  Begeisterung  für  die  Grösse 
Goethes  thun  allein  nicht  alles ,  Goethes  Lebensbeschreiber  musz  sieh 
ganz  in  den  Dichter  hineinleben  und  aus  tiefster  Versenkung  in  sein 
Wesen  uns  dieses  groszartige  Dasein,  diese  reiche  Entwicklung  ent- 


320  Goedeke:  GrondriBZ  zar  Geschichte  der  deatsohen  DichUuif . 

falten.  Nur  wer  das  einzelnste  auf  das  genanste  erforscht  hat,  wial 
im  Stande  sein  dieser  Aufgabe  vollkommen  zu  entsprechen;  denn  nur 
dieser  wird  alles  nach  seiner  Bedeutung  für  den  Dichter  za  schätzen, 
jedem  die  gebührende  Stellung  anzuweisen  wissen. 

Wir  verbinden  mit  dieser  Anzeige  eine  kürzere  Hindentang  auf 
den  Goethe  behandelnden  Abschnitt  des  Grundrisses  »ur  GeschichU 
der  deutschen  Dichtung  von  Karl  Goedeke,  Das  vierte  Heft  (U  3) 
dieses  Werkes  eines  tüchtigen  Kenners  unserer  vaterländischen  Dich- 
tung ist  vorzugsweise  Goethe  gewidmet.  Der  Verfasser  sagt  in  einer 
auf  dem  Umschlage  abgedruckten  Anzeige  (vom  December  1857),  er 
mache  hier  den  Versuch,  ^aus  dem  umfassend  gesammelten  und  kritisch 
gesichteten  Material  eine  kurze  Biographie  Goethes  aufzuführen,  die 
in  der  Darstellung  mit  keiner  voraufgegangenen  wetteifern,  an  Zuver> 
lässigkeit  der  Angaben  es  mit  jeder  aufnehmen  dürfe',  worauf  gele- 
gentlich bemerkt  wird,  dasz  über  das  Jahr  1775  bisher  noch  nirgends 
eine  fehlerlose  Darstellung  geliefert  worden.  Wir  müssen* das  letztere 
bestreiten;  in  unsern  ^ Frauenbildern  aus  Goethes  Jugendzeit'  ist  das 
Jahr  1775  im  einzelnsten  auf  das  genaueste  chronologisch  festgestellt 
und  die  sömtlichen  frühern  Irthümer  verbessert  worden,  so  dasz  Goe- 
deke hieraus  schöpfen  konnte  und  ohne  Zweifel  geschöpft  hat;  auch 
die  irrige  Darstellung  Goethes  von  Zimmermanns  Tochter  ist  dort  des 
weitern  aufgezeigt  worden.  Leider  müssen  wir  gestehn,  dasz  aveh 
Goedeke  unsere  Erwartung  nicht  befriedigt  hat.  Die  Anordnung  des 
ganzen,  freilich  eine  höchst  schwierige  Aufgabe,  scheint  ona  nieht 
überall  gelungen.  Bei  der  Beurteilung  der  Werke  ist  Goedeke  tos 
Scheu ,  sich  einer  übermäszigen  Verehrung  des  Dichters  schuldig  zn 
machen,  meist  nichts  weniger  als  gerecht,  und  es  dünkt  nns,  dasz  er 
oft  die  über  die  Entstehung  der  einzelnen  Werke  uns  zugekommeBei 
Nachrichten  misbraucht,  um  M&ngel  aufzuspüren,  die  in  Wirklichkeil 
gar  nicht  vorhanden  sind,  die  er  blos  als  nothwendige  Folge  der  Art 
der  Entstehung  sich  einbildet. 

Beginnen  wir  mit  der  Lebensskizze,  so  sei  es  uns  erlaubt  auf 
einzelnes  hinzudeuten.  Dasz  Jung  Stilling  nur  vorübergehend  za  Goe- 
thes Tischgenossen  in  Straszburg  gehört  (S.  713),  ist  unbegründet;  er 
blieb  langer  als  Goethe  zu  Straszburg.  Unser  Dichter  wurde  sa 
Straszburg  nicht  Doctor  (S.  714),  sondern  Licenliat,  wie  auszer  einem 
Brief  an  Salzmann  seine  positiones  iuris  beweisen,  die  er  vertheidigle 
pro  iicentia  usw.  Ganz  irrig  wird  die  Concoption  und  Ausführung  des 
'Götz'  (S.  715)  nach  Wetzlar  verlegt;  der  erste  Entwurf  fällt  Ende 
1771,  wo  er  in  Frankfurt  weilte,  die  Umarbeitung  in  das  Frühjahr  1773. 
Dasz  Goethe  die  Geschichte  mit  dem  Bauernknecht  1786  in  den  *  Wer- 
ther' eingefügt  habe,  um  den  zerstörenden  Ausbruch  der  unglüoklichen 
Leidenschaft  im  Contrast  zu  Werther  hinzustellen  (S.  717),  glauben 
wir  nicht;  die  Vertheidigung  der  Greuel Ihat  des  Bauernbursphen  soll 
uns  Wcrtbers  eigene  Zerrüttung  zeigen,  gerade  dieser  Vertheidigung 
wegen  ist  die  ganze  Geschichte  cingosclioben.  Nicht  nach,  sondern 
vor  seinem  Abgange  von  Wetzlar  (S.  718)  hielt  sich  Goethe  in  Gieszeo 


Goedeke:  Grondrisz  znr  Geschichte  der  deutschen  Diehtang.  321 

auf.  Vielleicht  ist  dies  Druckfehler,  wie  S.  719,  5  1775  für  177d  u.  a. 
Die  ganz  neue  Behauptung ,  dasz  *  Hans  Sachseos  poetische  Sendung' 
nicht  in  den  April  1776,  sondern  in  das  J.  1774  falle  (S.  720),  scheint 
uns  durchaus  haltlos,  gegenüber  dem  bestimmten  Zeugnisse  in  den 
Briefen  an  Frau  von  Stein  (I  41)  und  der  dem  Tagebuche  entnommenen 
Angabe  Riemers  (11  25).  Wie  es  sich  mit  dem  ^  Monolog  von  Stella' 
verhält,  der  nach  Riemer  auf  der  Reise  nach  Leipzig  am  25.  März  1776 
gedichtet^ ward,  ist  nicht  zu  sagen;  das  Drama  dieses  Namens  war 
längst  gedruckt.  Ganz  willkürlich  wird  S.  723  das  ^Lustspiel  mit  Ge- 
sängen, dessen  Goethe  im  Briefe  an  Kestner  vom  25.  December'*')  1773 
gedenkt,  auf  Erwin  und  Elmire'  bezogen,  das  dem  Frühjahr  1775  an- 
gehört, wenn  auch  ein  Lied  darin  schon  früher  für  sich  gedichtet  war. 
Dasz  Goethe  den  ersten  Plan  zum  ^Faust'  gefaszt  habe,  als  er  das  Pup- 
penspiel in  der  Frankfurter  Frühjahrsmesse  1773  gesehen  (S.  724),  ist 
durch  nichts  zu  begründen;  wenn  in  jener  Messe,  wie  gewöhnlich,  ein 
Puppenspiel  nach  Frankfurt  gekommen,  wie  ein  Brief  an  Kestner  zum 
Ueberflusz  beweist,  so  kann  dies  wahrlich  keinen  Grund  zu  einer  sol- 
chen Behauptung  abgeben.  Das  Puppenspiel  von  Doctor  Faust  hatte 
Goethe  ohne  Zweifel  schon  als  Knabe  gesehen;  seine  eigene  Angabe, 
dasz  er  zu  Straszburg  den  Gegenstand  desselben  im  Sinne  gehabt, 
scheint  wenig  glaublich,  erst  im  Spätjahr  1774  zugleich  mit  oder 
gleich  nach  dem  Prometheus  scheint  er  ihn  ergriffen  zu  haben.  Dasz, 
wer  den  Prolog  im  Himmel  bedacht  habe,  keines  andern  Fanstcommen- 
tars  bedürfe,  ist  eine  ganz  ungerechtfertigte  Phrase;  nur  die  allge- 
meinste Idee  des  Stückes  kann  uns  dieser  Prolog  lehren,  den  Goedeke 
Abrigens  ganz  irrig  dem  Jahre  1806  zuweist,  er  gehört  dem  Jahre  1797 
an.  —  Dasz  ^Claudine  von  Villa-bella'  Ende  März  1775  fast  vollendet 
war  (S.  726) ,  ergibt  sich  als  ungenau  durch  den  Brief  vom  14.  April 
an  Knebel,  wo  Goethe  schreibt,  er  habe  ein  Schauspiel  bald  fertig.  Die 
Ankunft  der  Grafen  Stolberg  wird  ^in  die  letzten  Tage'  versetzt,  wo 
die  Monatsangabo  ausgefallen;  sie  erfolgte  im  Mai,  aber  wol  in  der 
Mitte  des  Monats.  Der  Verbindung  mit  Klinger,  Kraus  und  Ph.  Chr. 
Kayser  wünschte  man  hier  auch  gedacht.  Das  Gedicht  ^sie  kommt 
nicht'  kann  unmöglich  auf  einer  Selbsttäuschung  beruhen  (S.  726), 
wenn  Goethe  sich  auch  über  den  Tag  der  Abfassung  irrte.  S.  738  läszt 
Goedeke  irrig  nach  einem  Briefe  an  Frau  von  Stein  Goethe  schon  am 
11.  Februar  1776  im  Conseil  sitzen ;  ich  habe  schon  früher  bemerkt, 
dasz  die  Jahrzahl  1776  auf  Irthum  beruhen  musz,  und  der  Brief  ein 
Jahr  später  fällt.  Erst  am  28.  Juni  ward  er  ins  Conseil  eingeführt. 
Wenn  Goedeke  die  Entstehung  des  Gedichtes  *  rastlose  Liebe'  auf  den 
11.  Februar  1776  verlegt  (S.  743),  so  scheint  dies  ein  Versehen;  w^ 
nigstens  ist  mir  nicht  der  allergeringste  Haltpunkt  hierfür  bekannt. 
*  Wanderers  Nachtlied'  dichtete  Goethe  .am  12.  Februar  1776.  Jenes 
Lied  bezieht  sich  eben  so  wenig  auf  Frau  von  Stein  als  auf  Lili.  -; — 
lieber  die  drei  ersten  Gestalten  der  ^Iphigenie'  ist  Goedeke  S.  755  sehr 

♦)  Nicht  aus  dem  Herbst,  wie  Goedeke  sagt;  denn  der  Brief  (Nr 83) 
ist  falsch  gestellt  und  offenbar  der  fehlende  Schlusz  zu  Nr  88. 


322  Goedeke:  Grondrisz  zur  Geschiohte  der  deotsohen  Diektmf. 

im  anklaren.  Schon  in  die  erste  Hölfte  des  Jahres  1780  fällt  die  rhyth- 
mische Ablheilang  des  Stückes,  wie  Lavaters  Abschrift  ergibt,  «ds 
welcher  der  Abdruck  in  Armbrusters  ^schwäbischem  Magazin'  er- 
folgte. AufTallend  ist  es,  wie  Goedeke  noch  (S.  781)  nachschreiben 
kann,  Mphigenie'  sei  1786  mehr  Entwurf  als  Ausfahrung  gewesen,  da 
das  Stück  ja  auszer  der  metrischen  Form  keine  weitere  Verftndernng 
in  Italien  erlitt.  Ein  gleicher  Irthum  liegt  in  der  Behauptung,  Goethe 
habe  von  der  ^Nausikaa'  nichts  aufgeschrieben  (S.  786);^da8  von 
Stücke  wirklich  angeführte  und  der  vorhandene  Entwurf  stammen  ge- 
rade aus  Italien.  Unter  den  drei  Personen,  von  denen  Goethe  sagt,  sie 
würden  nie  wiederfinden,  was  sie  an  ihm  in  Rom  besessen,  ist  nicht 
an  die  Mailänderin  zu  denken  (S.  789);  der  dritte  ist  unzweifelhaft 
sein  Hausgenosse,  der  Maler  Friedrich  Bury,  der  zweite  Fritz,  dessen 
er  auch  in  den  Briefen  an  den  jungen  Fr.  von  Stein  gedenkt.  Ein  ent- 
schiedener Irthum  ist  es,  wenn  S.  798  die  Entfremdung  von  Wieland 
und  Herder  schon  in  das  Jahr  1789  gesetzt  wird ;  gerade  damals  and  in 
nächstfolgenden  Jahren  war  die  Verbindung  eine  sehr  innige,  die  auch 
durch  das  Verhältnis  zu  Christiane  Vulpius  keine  Erkältung  erlitt.  Ich 
verweise  auf  meine  ^Freundesbilder'  und  auf  Goethes  Briefe  an  Herder, 
von  deren  Benutzung,  wie  manchen  willkommenen  Anfschlusz  sie  ans 
ouch  bieten,  sich  seltsam  genug  bei  Goedeke  gar  keine  Spur  findet, 
wenn  er  auch  bei  Herder,  aber  nicht  bei  Goethe  die  Sammlung  *aas 
Herders  Nachlasz'  anführt.  Auch  ist  die  Darstellung  von  dem  Einfiusi, 
den  Christiane  Vulpius  auf  Goethe  geübt,  von  der  Kälte,  die  seitdem 
nach  innen  gedrungen,  ganz  willkürlich;  Goethe  fühlte  sieh  vielmehr 
jetzt  heiterer  als  je  in  Weimar,  wozu  auch  die  Anwesenheit  H.  Meyers 
wesentlich  beitrug.  Unter  den  paar  im  Briefe  aus  dem  Juli  1793  er- 
wähnten Stücken  ^die  sie  nicht  aufführen  werden'  kann  unmöglich  der 
^Bürgergeneral'  gemeint  sein  (S.  803  f.),  da  dieser  ganz  eigentlich  lar 
Aufführung  bestimmt  war.  Goethes  Aeuszcrung  über  dieses  Stflck, 
das  er  in  drei  Tagen  gemacht,  im  Briefe  an  Herder  vom  7.  Jnni  1793 
ist  übergangen.  Unbegreiflich  ist  es,  wie  Goedeke  S.  822  Goethes 
^Amyntas'  in  den  Mai  1798  setzen  und  auf  ihn  die  Aeuszerung  im  Briefe 
an  Schiller  vom  28.  Mai  beziehen  kann,  da  das  Gedicht  bekanntlich  anf 
der  Schweizerreise  am  19.  September  1797  entstand  und  am  25.  aa 
Voigt  gesandt  ward.  Ueber  die  während  der  Jahre  1797  und  1798  ent- 
standenen lyrischen  Gedichte  geben  meine  eben  erscheinenden  Erläu- 
terungen neuen  Anfschlusz,  auch  über  die  von  Goedeke  irrig  in  einer 
der  vielen  Schriften  von  Erasmus  Francisci  vermutete  Quelle  der  Bal- 
lade ^  der  Gott  und  die  Bajadere'.  Was  Goedeke  S.  829  von  Sonetten 
Goethes  aus  dem  Jahre  1799  sagt,  beruht  auf  Irthum;  in  den  beiden 
angezogenen  Briefstellen  ist  bei  den  ^famosen  Sonetten'  nicht  an  Ge- 
dichte Goethes,  sondern  an^lie  Sonette  A.  W.  Sohlegels  anf  Kotiebne 
in  der  diesem  gewidmeten  ^Ehrenpforte'  zu  denken,  lieber  das  Krinc- 
ehen  bei  Goethe  im  Winter  180^^  findet  sich  bei  Goedeke  (S.  842) 
derselbe  Irthum  wie  bei  Lewes.  Nicht  der  Marschall  Ncy  (S.  847), 
sondern  Augereau  war  im  October  1806  bei  Goethe  einquartiert. 


Cioedeke :  Orundriäz  snr  Geschichte  der  deutschen  Dichtauf.  323 

Wir  begnügen  uns  mit  diesen  wenigen  leicht  zu  vermehrenden 
thatsächlichen  Bericlitigungen,  wie  sie  in  der  Kürze  gegeben  werden 
konnten,  zum  Beweise  dasz  auch  Goedeke  nicht  durchaus  zuverlässig 
ist  und  sich  oft  zu  nicht  zu  rechtfertigenden  Schlüssen  hinreiszen 
llszt  oder  andern  unbedacht  folgt  *).  Auf  die  manchen  Nisurteile  und 
die  falsche  Beleuchtung,  welche  auf  nicht  wenige  Punkte  fällt,  können 
wir  hier  nicht  eingehn;  die  Anerkennung  ist  höchst  spärlich,  dagegen 
der  Tadel  oft  herbe  und  bitter,  und  die  Einseitigkeit,  welche  überall 
Flecken  und  Schwächen  sucht,  wirkt  nicht  wolthuend,  als  ob  der 
Verfasser  darauf  angewiesen  geweseh,  dem  Dichter  überall  etwas  an- 
suhaben.  Der  richtigen  Würdigung  werden  auch  diese  häufig  blinden 
Hiebe  nicht  nachhaltend  entgegen  wirken,  vielmehr  den  wahren  Werth 
ins  rechte  Licht  zu  rücken  beitragen,  aber  in  einem  Grundrisz  ist  uns 
diese  Weise  doch  gar  zu  störend. 

Die  in  §  234  gegebene  Zusammenstellang  der  Briefe,  Gespräche 
and  biographischen  Schriftfn  können  wir  weder  für  vollständig  noch 
für  wolgeordnet  halten.  Manches  unbedeutende  ist  angeführt,  dagegen 
wichtiges  übergangen ,  die  Ordnung  nichts  weniger  als  zurechlführend 
in  diesem  bunten  Gewirre.  Man  begreift  nicht,  mit  welchem  Rechte, 
es  wäre  denn  des  Titels  wegen,  Diezmanns  Schrift  den  Reigen  führt; 
nanche  Bücher  verdienen  gar  keine  Erwähnung,  wie  Nr  3.  31.  38  (ent- 
kalten in  Nr  36)  51  usw.,  dagegen  wären  die  bedeutendem  Schriften 
als  solche  hervorzuheben,  wogegen  jetzt  manche  im  Nachtrab  stehen, 
ans  denen  früher  angeführte  gezogen  sind.  Wir  vermissen  n.  a.  die 
Briefsammlungen  von  Herder,  J.  v.  Müller,  Gentz,  um  von  ferner  lie- 
genden Briefen  und  einzelnen  Schriften  nicht  zu  sprechen.  Auch  in 
den  folgenden  §§  findet  sich  hierin  eine  grosze  Ungleichheit,  doch 
können  wir  hier  auf  Berichtigung  und  Vervollständigung  dieses  biblio- 
graphischen Abschnittes  nicht  näher  eingehn.  §  235 — 246  geben  nach 
Jahren  geordnet  biographische  Notizen,  zwischen  denen  die  Ausgaben 
der  einzelnen  Werke  nebst  den  dadurch  veranla^zten  Schriften,  frei- 
lich nicht  gleichmaszig  und  vollständig,  angeführt  werden.  Zum  ersten 
Mal  erscheint  hier  vollständig  das  von  Goethe  selbst  im  Jahre  1809  als 
Grundlage  für  seine  Lebensbeschreibung  aufgesetzte  ^biographische 
Schema'  (1742 — 1809),  wovon  ein  Theil  (1749 — 1775)  schon  im  Jahre 
1849  von  Goedeke  in  einer  Zeitschrift  mitgelheilt  worden.  An  ein 
paar  Stellen  hat  Goedeke  irrig  gelesen.  Unter  dem  Jahre  1775  steht 
hier:  ^Wirklichkeits  Wuns(ch)  —  Graf  Thur...  Faust  —  Bewustseyn 
Sich  Jug  ...  zu..'  Das  letztere  hat  Goedeke  S.  736  benutzt,  und  ist 
die  Ausfüllung  ^sich  jugendlich  zu  fühlen',  wenigstens  dem  Sinne  nach, 
kaum  zu  bezweifeln.  Statt  ^Thur'  ist  aber  ^Thun'  zu  lesen.  Ueber  den 
Graf  Thun,  der  sich  durch  seine  wunderlichen  Erscheinungen  lächerlich 
machte^  vgl.  man  meine  ^ Freundesbilder'  S.  88  f.    Unter  dem  Jahre 


*)  So  schreibt  er  auch  S.  665  ohne  weiteres  A.  Stüber  nach ,  H.  L. 
Wagner  sei  1783  gestorben,  obgleich  dieser  schon  1779  starb;  der  Brief, 
anf  den  sich  Stöber  bernft,  ist  von  einem  ganz  andern  Wagner,  einem 
Mainzer. 


324  Goedeko :  drundrisz  zur  GeschicUte  der  dentschBii  DicbtOBfC.    ' 

1802  ist  Jan  verlesen  oder  verdruckt  statt  Jnni.  Irrig  liest  Goedeke 
die  Abkürzung  *Al.  Fr.  nach  Frankf.'  —  *  Mit  Fraa  nach  Frankfurt'  — 
statt  ^  Meine  Fraa  nach  Frankfurt'.  Goethe  besuchte  in  diesem  Jahre 
seine  Vaterstadt  nicht,  wonach  die  Angabe  S.  847  zu  berichtigen  ist. 
Was  bald  darauf  das  nach  ^  Bettine'  stehende  *  Nov.' bedeute,  sagt 
Goedeke  nicht;  sollte  es  (Novalis)  ein  bloszer  Schreibfehler  für  ^Bren- 
tano'  sein?  die  darauf  genannte  Fraa  von  Savigny  ist  Bettinens Schwe- 
ster. Zwei  Zeilen  weiter  ist  wol  ^  neuer  Raymor'  statt  Raymond'  ver- 
lesen. Raymund  ist  aus  der  Melusinensage  bekannt,  und  da  diese  Auf- 
zeichnungen aus  Tagebuchbemerkungen  gezogen  sind ,  so  könnte  mit 
diesem  Namen  dieselbe  Geschichte  gemeint  sein,  die  kurz  vorher  unter 
dem  jetzigen  Namen  der  neuen  Melusine  vorkommt.  Dasz  dieses  *bio- 
graphische  Schema'  nicht  durchaus  richtig  sei,  gibt  Goedeke  selbst  zti, 
aber  er  hat  nicht  alle  falschen  Angaben  desselben'  verbessert,  noch 
überall  die  nöthigcn  Erläuterungen  beigefügt.  Wenn  die  ansgefQhrten 
^Aunalen'  manche^  Zeitverschiebungen  aufzeigen,  so  ist  dies  um  so  we- 
niger hier  zu  verwundern;  eine  der  bedeutendsten,  denen  wir  hier  be- 
gegnen, ist  die  Versetzung  der  Batschischen  naturwissenschaftlichen 
Gcsellscl^ft  in  das  Jahr  1783;  diese  ward  erst  1793  gegründet.  Wie 
sehr  wir  auch  die  Wichtigkeit  des  Schemas  anerkennen,  besonders  so 
lange  die  Tagebücher  selbst  noch  nicht  veröfTenllicht  sind ,  so  können 
wir  doch  die  Art,  wie  es  in  unserm  Grundrisz  mitgetheilt  wird,  nicht 
billigen;  hier  waren  kurze  Angaben  mit  Benutzung  sämtlicher  Quellen 
an  der  Stelle,  wie  sie  auch  sich  vom  Jahre  1810  an  wirklich  finden. 

Köln.  H.  Düntzisr. 


19. 

<  • 

Uebungsbtich  zum  übersetzen  aus  dem  Deutschen  in  das  Latei- 
nische, Von  Lorenz  Brnglmann^  königU  Gymnasialpro- 
fessor. Vierter  Theil:  Aufgaben  zur  Wiederholung  der  ge- 
samten Grammatik  und  zur  Erlernung  und  Einübung  der 
leichteren  stilistischen  Regeln^  aus  den  besten  alten  und  neue- 
ren lateinischen  Autoren  gezogen  und  mit  steten  Hinweisungen 
auf  die  Grammatiken  von  Englmannund  Ferd.  Schultz 
versehen.  Zweite  neu  bearbeitete  Auflage.  Bamberg  1857, 
Verlag  der  Buchnerschcn  Buchhandlung.    IV  u.  130  S.   gr.  8. 

Der  durch  seine  lateinische  Grammatik  vortheilhaft  bekannte  Hr 
Verfasser  hat  sich  durch  eine  Reihe  von  Uobersetzungsbüchern  vor- 
züglich um  solche  Schulen  verdient  gemacht,  in  denen  seine  lateinische 
Sprachlehre  oder  die  von  Ferd.  Schultz  in  Gebrauch  sind.  Das  vor- 
liegende Uebungsbuch  beabsichtigt  in  81  Nummern  die  grammatischen 
Kenntnisse  der  Schüler  zu  befestigen  und  zu  vervollständigen.  Deshalb 
ist  stete  Rücksicht  auf  die  Grammatik  genommen  durch  Verweisangen, 


L.EnglmaoDt  UebuBgsbach  zum  ubers.  aus  d.  Deutschen  ins  Ltlein.  325 

die  den  Schüler  zum  nachdenken  fördern  und  selbständig  machen.  Das 
Material  wurde  zum  groszen  Theil  ans  Cicero,  auch  aus  Livius,  SaU 
lustius  und  Curtius  entlehnt,  wie  dann  von  Neulateinern  dem  Muretus 
besondere  Berücksichtigung  zu  Theil  wurde.  Mit  der  Auswahl  erklä- 
ren wir  uns  zum  groszen  Theile  einverstandeir.  Billigen  können  wir 
die  Aufnahme  solcher  Stücke  nicht,  die  in  den  verbreiteten  Loci  Me- 
moriales  von  Goszrau  usw.  stehen  und  auch  sonst  in  Lesebüchern  sehr 
gewöhnlich  sind,  nicht  zu  erwähnen,  dasz  Schriften  des  Cicero  wie 
de  amicitia,  de  senectute  von  Schülern  auf  dieser  Bildungsstufe  oft  ge- 
lesen  werden.  Dahin  zählen  wir  z.  B.  Nr  22:  das  alte  Syracus,  Nr  32, 
Nr  60,  Nr  63.  Eben  so  wenig  hätten  wir  Nr  20:  wie  die  Athener  den 
Homer,  die  Lakedämonier  den  Tyrläus  geehrt  haben,  Nr  39:  Rede  des 
Mioipsa,  aufgenommen:  Stücke,  die  man  sehr  oft  findet  und  gewöfao- 
lich  in  wörtlichster  Weise,  so  in  dem  verbreiteten  Uebungsbuche  für 
Tertia  von  Spiesz.  Da  galt  es  andere,  noch  unbenutzte  Aufgaben  za 
sammeln,  oder  unter  Zugrundelegung  des  lateinischen  Textes  eigene 
anzufertigen ,  wie  dies  in  trefflicher  Weise  von  Süpfle  geschehen  isL 
Ein  Uebungsstück  wie  Nr  18  aus  Cic.  off.  1,  10  scheint  uns  für  die  ge- 
dachte Bildungsstufe  weniger  geeignet,  ist  wol  auch  zu  schwer.  Wenn 
wir  ferner  es  loben  müssen,  dasz  sich  der  Verf.  bei  der  Uebertragung 
möglichst  an  den  lateinischen  Text  anschlosz,  ohne  im  ganzen  dadurch 
der  Muttersprache  beengende  und  zwingende  Fesseln  anzulegen,  so 
gehören  Sätze  wie  der  folgende  zu  den  nichtgelungenen.  Nr  9:  denn 
sowol  der,  welcher  gut  regiert,  musz  nothwendig  irgend  einmal  ge- 
horcht haben,  als  auch  scheint  der,  weither  bescheiden  gehorcht,  wür- 
dig zu  sein  einst  zu  regieren.  Daselbst  ist  6)  zu  lesen:  Gr.  E.  §  208  b 
A.  3.  Die  öfters  gestellten  Fragen  in  den  zureichenden  Noten  sind 
praktisch;  ebenso  gefallt  uns  die  öftere  Verweisung  aufCäsars  Schrif- 
ten. Die  synonymen  Unterschiede  sind  recht  zweckmäszig;  vielleicht 
gefällt  es  dem  Hrn  Herausgeber  bei  einer  neuen  Auflage,  die  nicht 
ausbleiben  wird,  hierin  etwas  mehr  j^  thun.  Gelegenheit  dazu  ist  vor- 
handen. Die  Rücksicht,  die  auf  einzelne  Stilregeln  genommen  wurde, 
ist  nur  zu  billigen.  —  Die  äuszere  Ausstattung,  groszer  gefälliger  Druck, 
weiszes  Papier,  gefällt  sehr. 

Sondershausen.  Harimann. 


20. 

Aufgaben  zu  lateinischen  Slilübungen  con  K.  Fr.  Süpfle,  groszh* 
badischem  Hofrathe,  Zweiter  Theil.  Aufgaben  für  obere 
Klassen.  Achte  verbesserte  und  vermehrte  Auflage.  Karls- 
ruhe 1857,  Druck  und  Verlag  von  Chr.  Th.  Groos.  VIII  u. 
432  S.    8. 

Obschon  die  Süpfleschen  Uebungsbücher  ihrer  Anlage  und  inneren 
Einrichtung  nach  genugsam  bekannt  sind,  wie  dies  die  rasche  Auf- 


326        K.  Fr.  SQpflo:  Aufgaben  za  lateinischen  Stiiabangea. 

einandorfolge  der  Annagen  beweist,  so  glaubte  Ref.  doch  mit  einer 
kurzen  Anzeige  und  Nachweisung,  wodurch  sich  die  neue  Aasgabe 
wesentlich  von  der  älteren  unterscheidet,  nichts  üborflassiges  ca  tbnn. 
Die  Verbesserungen  anlangend,  so  beziehen  sich  diese  besonders  auf 
den  Text  der  Aufgaben,  indem  sowol  der  Inhalt  an  vielen  Stellen  be- 
richtigt als  auch  die  Darstellung  bestimmter  und  schärfer  gefaszt  wurde. 
Die  erste  Abtheilung  des  Buches,  Aufgaben  über  bestimmte  Theile  der 
Grammatik  enthaltend,  wurde  mit  16  neuen  Stücken  vermehrt,  weil 
gerade  diese.  Abiheilung  jedes  Jahr  vorzugsweise  übersetzt  wird.  Eine 
Abwechslung  wird  daher  nur  erwünscht  sein.  Des  Ref.  Wunsche,  das 
90e  Stück  mit  einem  anderen  zu  vertauschen ,  ist  Genüge  geschehen. 
Die  zweite  Abtheilung,  freie  Aufgaben,  erhielt  einen  Zuwachs  von  10 
neuen  Nummern,  vorzugsweise  damit  zwischen  den  grösseren  susam- 
menhängenden  Partien  und  denjenigen  Aufgaben,  welche  jede  fflr  sich 
ein  abgeschlossenes  ganzes  bilden,  ein  richtigeres  Verhiltnis  herge- 
stellt werden  sollte.  Ref.  hat  die  neuen  Aufgaben,  auch  eine  Zahl  der 
älteren,  wiederholt  verglichen  und  dabei  mit  Vergnügen  gesehen,  dasz 
ein  von  ihm  für  seine  Zwecke  ausgearbeitetes  Stück  (Nr  117)  mit  eini- 
gen Abänderungen  Aufnahme  gefunden  hat.  Nachfolgende  Bemerkun- 
gen glaubten  wir  machen  zu  können ;  vielleicht  sind  einige  geeignet 
auch  in  der  nächsten  Auflage  Berücksichtigung  zu  erhalten. 

Entbehrlich  ist  Nr  120,  2,,denn  das  Stück  wird  doch  ganz  über- 
setzt, und  118,11  war  kaum  erst  das  nöthige  angegeben  worden;  ebenso 
139,  8.  Nr  162,  6  entweder  kurz  durch  das  impcrf.  des  conatus  oder 
vgl.  142,  18.  Nr  164,  20  konrite  leicht  ein  lateinisches  Beispiel  weg- 
bleiben ,  dafür  z.  B.  elg  *ji(ifi(ovog.  Mit  Nr  150,  3  vgl.  auch  Caes.  b.  g. 
7,  69:  ante  id  oppidum  planicies  patebat.  179,  16  wol  auch  subigere. 
Im  Texte  Nr  82  ist  die  Stellung  unklar :  denn  gleichwie  der  Tod  ver- 
haszt  sei  ihm.  In  125 ,  10  ist  sub  zu  tilgen.  Vgl.  Wüstemann  opnse. 
Doeringi  p.  135, 15;  Stürenburg  Cic.  p.  Arch.  §  25.  Zu  304:  der  Grösse 
der  Thatsachen  usw.  konnte  wol^all.  Cat.  3,  2  oder  Cic.  orat.  36,  123 
abgedruckt  werden.  Verweisungen  sind  nöthig  Nr  119,  17  auf  160»  SO, 
und  genügen  Nr  134,  7  vgl.  128,  6;  Nr  189,  14  auf  181,  4,  wo,  wenn 
überhaupt  nöthig,  auch:  adverb.  steht;  Nr  219,  6  vgl.  184,  3;  Nr  305 
vgl.  258,  21. 

Druck  und  Papier  schön;  indes  sind  uns  folgende  Druckfehler  yor- 
gekommen.  S.  89  lies:  Nahrung ^^);  S.  101  im  Texte  fehlt  zu:  *von 
Seiten'  die  ZilFer;  S.  151  l.  Tib.;  S.  172  l.  C.  B.  C.  3,  56;  S.  198  fehlt 
zu:  'frei'  die  ZilTcr  17;  S.  199  1.  alicui;  S.  228  l.  Caes.;  S.  256  I. 
Terenz;  S.  266  l.  habitus.  Im  übrigen  wird  das  zweckmuszige  und 
tüchtige  Buch  auch  ferner  der  Schule  ersprieszliche  Dienste  leisten. 

Sondershausen.  Hartnumn. 


Br  CA«  Kletke:  die  BegrQadoog  der  breslaaer  Beahcbale.  32/ 

Die  Begründung  oder  Vorgeschichte  der  breslauischen  Bürger^ 
oder  Realschule  am  Zwinger.  Von  dem  Ursprünge  ihrer  Idee 
im  Jahre  1816  bis  zu  deren  Ausführung  im  Jahre  1836  nach 
amtlichen  Quellen  dargestellt  von  Dr  C.  A.  Kletke.  (Pro- 
grdLmm  der  Realschule  am  Zwinger  vom  Jahre  1857). 

Ich  hatte  erst  kürzlich  Veranlassung  darauf  hinzuweisen,  wie 
eine  historische  Betrachtung  des  Realschulwesens  demselben  von  we- 
seBtlichem  Nutzen  sein  werde.  Denn  die  abliebe  Methode  aber  das-» 
selbe  sich  zu  äuszern  pflegt  gerade  das  zur  Voraussetzung  zu  machen, 
was  Hauptgegenstand  der  Untersuchung  sein  sollte,  das  Bedürfnis. 
Dieses  aber  gründlich  kennen  zu  lernen  genügt  nicht  einmal  eind 
allgemeine  historische  Betrachtung,  sondern  die  Sache  müste  auf 
verschiedenen  Punkten  angefaszt  werden.  Specialgeschichte'n 
der  einzelnen  Realschulen  scheinen  mir  darum  höchsf  wün- 
schenswerth,  indem  sich  aus  ihnen  deutlich  ergeben  mäste,  welchen 
Bedürfnissen  und  Mängeln,  welchen  Wünschen  und  Absichten  durch 
die  Gründung  solcher  Schulen  begegnet  werden  sollte,  unter  welchen 
Verhältnissen  sie  ins  Leben  traten,, wie  sie  sich  allmählich  gestalteten, 
nil  welchen  Hindernissen  sie  zu  kämpfen  hatten,  welche  Erfolge  sie 
ui  erringen  wüsten.  Hier  werden  nicht  Phrasen  und  allgemeine  Ge* 
danken  die  Grundlage  der  Darstellung  bilden,  sondern  bestimmte,  nach- 
gewiesene Thatsachen.  Auf  diesem  Wege  wird  ein  Material  anwach- 
sen, das  ganz  vorzugsweise  beitragen  wird  die  noch  immer  nicht  ab- 
geschlossene, salbst  in  ihren  Fundament&lsätzen  nicht  feste  Realschul- 
frage  so  weit  zur  Lösung  zu  bringen,  als  es  bei  ihrer  Natur  überhaupl 
mdglich  sein  wird. 

So  kann  denn  die  vorliegende  Programmabhandlung  des  verdien- 
ten Director  Dr  Kletke  in  Breslau  nur  mit  aufrichtigstem  Danke  be- 
grfiszt  werden :  es  ist  ein  Stück  Specialgeschichte  in  dem  oben  erörter- 
ten Sinne,  jedem  Freund  des  Schulwesens  lebhaft  zur  Beachtung  zu 
empfehlen. 

Am  22.  Januar  1816  schrieb  der  Probst  Rahn  in  Breslau  an  den 
Magistrat,  ob  £s  nicht  ersprieszlich  sei  bei  Gelegenheit  der  Friedens- 
feier eine  fromme  Stiftung  als  ein  ^immerwährendes  Bundesdenkmal' 
SU  veranlassen,  und  schlug  die  Gründung  einer  eigentlichen  Bürger- 
schule nach  dem  Muster  der  leipziger  vor.  Als  der  damalige  Bürger- 
meister von  Breslau,  Menzel,  auf  diesen  Gedanken  sofort  eingieng  und 
bemerkte,  dasz  ohnedies  damit  ein  vorhandenes  Bedürfnis  angeregt 
werde,  wandte  sich  jener  schon  am  28.  Januar  an  die  Einwohnerschaft 
Breslaus  mit  der  Bitte  um  Beiträge.  Die  Stadtverordneten  bewilligten 
einen  Bauplatz  und  begründeten  einen  Bürgerschul-Fond  durch  Schen- 
kung von  1000  Tbalern ,  Probst  Rahn  selbst  fügte  andere  1000  Thaler 
hinzu  ;  doch  kam  der  Plan  noch  nicht  gleich  zur  Ausführung.  Eine  Be- 
kanntmachung des  Magistrats  in  der  schlesischen  Zeitung  tom  29.  October 

N,  Jahrb.  f,  PhU.  u.  Paed.  Vd  LXXVIII.  Bß  6.  22 


328  Dr  C.  A.  Kletke:  die  Begrandong  der  bresliner  Realiehiltb 

• 

1817  zeigt  schon  bestimmter  den  Charakter  der  künftigen  Schule;  sie 
soll  mitten  inne  stehen,  heiszt  es,  zwischen  Gymnasium  und  Elemen- 
tarschule; sie  soll  mehr  gewahren  als  den  bloszen  Elementaranterricht, 
sich  aber  auch  nicht  einlassen  auf  denjenigen  höheren  wissensohafl- 
liehen  Unterricht,  dessen  nur  die  biedürfen,  die  sich  den  eigeotliohen 
gelehrten  Studien  widmen.  Darauf  ward  denn  am  1.  November  1817 
der  Grundslein  zu  der  i^euen  Schule  gelegt;  ansehnliche  Geschenke 
flössen  dem  Unternehmen  zu.  Am  13.  September  beschlosz  die  Schul- 
deputation^  dasz  die  Bürgerschule  so  weit  gehen  solle  als  die  mittle- 
ren Klassen  der  Gymnasien.  Aber  erst  Ende  1825  war  das  Haas  vol- 
lendet, noch  fehlte  es  an  den  Mitteln,  um  ein  LehrercoUegiam  %m  be- 
solden. Die  Sache  verzögerte  sich,  aber  in  diesem  langsamen  Bat- 
wicklungsprocesz  bildete  sich  die  ursprüngliche  Idee  weiter  aoa.  Man 
kam  von  der  ^Bürgerschule'  auf  die  ^höhere  Bürgerscbale%  also  anf 
ein  Gebiet,  dessen  Organisation  noch  nicht  feststand,  also  allerlei  Aa- 
sichtsverschiedenheiten  zuliesz.  Es  ist  gar  interessant  zu  sehen,  wie 
in  dieser  Einzelgeschichte  fast  alle  die  Fragen  auflreteA,  nm  deren  Lö- 
sung sich  es  im  Grunde  noch  heute  handelt.  Bürgermeister  Meniel 
faszt  die  Bestimmung  der  Realschule  scharf  ins  Aoge,  wenn  er  (29.  April 
1828)  die  Schule  denjenigen  Jünglingen  bestimmen  will,  die  nicht 
studieren  wollen;  sie  sollen  in  ihr  so  viel  lernen  als  nöthig  ist, 
nm  aus  ihr  vollständig  vorbereitet  und  gebildet  in  diejenigen  Facker 
des  bürgerlichen  Geschaftslebens ,  welche  nicht  gerade  eine  wissen- 
schaftliche Bildung  im  strengen  Sinne  dieses  Wortes  erfordern,  Qber- 
gehen  zu  können.  Ebenso  will  Menzel  den  Unterricht  in  Sexta,  Quinta, 
Ouarta  noch  nicht  trennen,  dagegen  soll  «eben  den  drei  oberen  Gym- 
nasialklassen eine  Bürgerschcn-Tertia,  Secunda,  Prima  gegründet  wer- 
den,—  wir  sehen  hier  offenbar  die  Organisation  der  sachsischen  Scha- 
len zu  Plauen  und  Zittau.  Ferner  warnt  derselbe  einsichtige  Mann  Tor 
allem  zuweitgehen,  weil  die  Bürgerschule  doch  nie  eine  polytech- 
nische werden  könne;  —  die  neue  Schule  sollte  auch  keine  Fach- 
schule werden. 

Menzels  Promemoria  veranlaszte  gatachtliche  Adnszernngen  der 
Rectoren  vom  Magdalenen-  und  vom  Elisabeth-Gymnasium,  Prof.  Reiche 
und  Prof.  Kluge,  so  wie  des  Superintendenten  Dr  Tscheggey.  Wahrend 
der  letztere  mehr  die  gewerbliche  Tendenz  der  neuen  Schule  ins  Auge 
faszt  und  auf  der  obern  Stufe  eine  Scheidung  nach  Berufsfftcbem  (G^ 
werbs-  und  Handelsklasse)  vorschlügt,  geht  Reiche  gründlich  nnd  tief 
in  die  Realschulfrage  ein.  Bei  aller  Begeisterung  für  den  humanisti- 
schen Bildungsgang,  bei  der  Anerkennung,  dasz  dieser  zu  dem  Ziele 
der  höchsten  Bildung  führe,  behauptet  er  doch  dasz  es  noch  einen 
andern  Weg  geben  müsse ,  auf  dem  man  wenigstens  ein  sich  jenem 
höchsten  Ziele  näherndes  erreichen  könne :  wo  nicht,  so  sei  es  nm  die 
Tüchtigkeit  vieler  Menschen  geschehen,  die  sich  ^zu  einer  Stufe  der 
Bildung  erhoben  haben  müsten ,  deren  letzte  Ergebnisse  denen  eines 
philosophisch -wissenschaftlichen  Studiums  ähnlich,  wenn  auch  nicht 
gleich  seien'.  Ihm  ist  der  Zweck  einer  ^höheren',  d.  h.  wahren  Bflrger- 


Df  C.  A.  Klötke :  dio  BegrüBdang  der  breslaaer  Reatedhol«.  329 

schule  folgender:  ^dem  für  das  Gewerbe  bestimmten  Schüler  eine 
höhere  und  ebenso  formale,  nur  eine  andere  Richtung  nehmende  Bil- 
dung zu  geben,  wie  sie. der  Litterat  erhält;  den  Sinn  und  die  Empfäng- 
lichkeit für  diejenigen  Wissenschaften  zu  wecken,  welche  die  allge- 
■i^ine  Grundlage  einer  geistvollen,  nicht  blos  mechanisch  angelernten 
Gewerbsthatigkeit  sind;  ihn  mit  den  Elementen  dieser  Wissenschaften 
SU  Yersorgen  und  demselben  die  Bahn  su  zeigen ,  auf  welcher  er  ver- 
mittelst des  Selbststudiums  weiter  fortschreiten  könne;  ihm  den  Zu- 
sammenhang zu  eröffnen,  in  welchem  jene  Wissenschaften  mit  dem 
Leben  stehen;  seinen  Blick  zu  erheben  über  die  eingeschränkte  Gegen- 
wart und  die  engen  Grenzen  seiner  Provinz;-  sein  Denkvermögen  auf 
alle  Weise  in  Anspruch  zu  nehmen ,  auch  vermittelst  solcher  Kennt- 
nisse, welche  nicht  unmittelbar  Brod  bringen,  doch  ihm  stets  dieRich- 
lung  auf  das  praktische  zu  geben ;  endlich  nichts  weniger  zu  vernach- 
lässigen als  sein  Sprachvermögen ,  insonderheit  die  Kraft  der  Sprache 
mächtig  zu  werden  welche  ihm  angeboren  ist.' 

Eingerichtet  will  Reiche  die  höhere  Bürgerschule  in  der  Art  wis- 
se!,  dasz  sie  6  Klassen  enthalten  solle,  deren  drei  untere  ganz  denen 
der  Gymnasien  parallel  gehen  sollten,  weil  sich  für  diese  Klassen  kein 
geeigneteres  formales  Bildungsmittel  fände  als  das  Latein;  erst  von 
Tertia  ab  sei  eine  besondere  Organisation  nöthig.  Von  da  a^  läszt  er 
den  lateinischen  Unterricht  ganz  (?)  fallen  und  legt  dafür  Gewicht  auf. 
das  Deutsche  und  Französische:  bei  jenem  will  er  sogar  die  praktische 
Philosophie,  Psychologie  und  Logik  herbeiziehen.  Mit  Nachdruck  be- 
lOBl  er  die  historischen  Wissenschaften,  Mathematik  und  Naturwissen- 
schaft.  Die  Aufgabe  einen  Lehrplan  zu  entwerfen  lehnt  er  ab. 

Rector  P.rof.  Kluge  erblickt  in  dem  Plan  der  Begründung  einer 
höheren  Bürgerschule  zwei  Absichten:  die  gelehrten  Gymnasien 
ihrer  ursprünglichen  Bestimmung  ganz  wiederzugeben 
and  ein  neues  Bildungsinstitut  für  nichtStudierende  zu 
errichten.  Die  Existenz  einer  höheren  Bürgerschule  werde  die  Gym- 
nasien aus  ihrer  bisherigen  Halbheit  befreien:  beide  Anstalten  werden 
ihr  Princip  consequent  durchführen  können.  Kluge  will  die  Anstal- 
ten von  unten  auf  trennen,  weil  zwar  in  beiden  Schulen  Latein  zu  leh- 
ren sei,  dieses  aber  in  der  höheren  Bürgerschule  .eine  andere  Stellung 
einnehme:  es  müsse  beschränkt  werden  und  bereite  eigentlich  nur  zur 
formalen  Bildung  vor.  Uebrigens  faszt  er  nur  eine  Unterrealschule 
ins  Auge,  indem  ^Alter,  Lage,  Bestimmung  der  Schuler  in  den  meisten 
Pillen  den  Aufenthalt  in  der  Tertia  schon  nicht  gestatten  werden.' 

Der  Magistrat  beschlosz  die  neue  Schule  selbständig  zu  organi- 
sieren und  ersuchte  den  Rector  emer.  Etzler  einen  Plan  zu  entwerfen. 
Dieser  bestreitet  in  seinem  Gutachten  (22.  August  1828)  überhaupt  das 
Bedürfnis  einer  solchen  Schule.  Man  mute  den  Eltern  eine  zu  zeilige 
Entschlieszung  über  den  Bildungs-  und  Berufsweg  ihrer  Söhne  zu  und 
erbaue  die  neue. Schule  durch  die  Voraussetzung,  dasz  ihre  Schüler 
nicht  studieren  werden,  auf  einem  sehr  schwankenden  Grunde.  Die 
Schule  werde  über  kurz  oder  lang  ein  Gymnasium  oder  eine  polytech- 

22* 


330  Dr  C.  A.  Klelke:  die  BegrOndang  der  breslaaer  Realsehnk« 

nische  Anstalt  werden.  Auf  der  andern  Seite  misbilligte  er  das  Be- 
streben der  Gymnasien ,  den  realen  Unterricht  von  sieb  absowilxen, 
und  befürwortet  denselben  mit  warmen,  immerhin  beachtenswerthell 
Worten  (S.  18). 

Sein  nur  auf  drei  untere  Klassen  angelegter  Plan  ward  tqbi 
Magistrat  nicht  angenommen ,  dagegen  die  städtische  SchuldeputatioD 
mit  der  Abfassung  betraut:  unter  dem  18.  Januar  1830  legten  Tscheggey, 
Reiche  und  Rector  Morgenbesser  (an  der  Bürgerschule  cum  heiligen 
Geist  in  Breslau)  den  Entwurf  eines  Lehrplans  vor,  worauf  der  letst- 
genannte  beauftragt  wurde  einen  definitiven  Schulplan  auszuarbeiten ; 
dieser  ward  im  folgenden  Jahre  genehmigt  und  von  der  königlicheD 
Regierung  im  allgemeinen  bestätigt,  wobei  die  bei  der  Anwendung 
durch  einen  Schuldirigenteu  nölhig  werdenden  Veränderungen  vorbe- 
halten wurden.  Dieser  Plan  definiert  die  Schule  als  eine  allgemeine 
Bildungsanstalt  und  gibt  ihr  6  Klassen,  von  denen  die  4  unteren  einen 
Cursus  von  1^^  Jahren,  die  2  oberen  einen  zweijährigen  haben.  Latein 
^4  Stunden)  und  Französisch  (2  Stunden)  beginnen  in  Klasse  4  und  er- 
halten sich  in  Klasse  3  in  derselben  Stundenzahl:  in  den  beiden  oberen 
Klassen  findet  das  umgekehrte  Verhältnf^  statt; 

Aber  erst  1835  konnte  man  daran  gehen  die  Schule  wirklich  ins 
Leben  zu  rufen.  Nachdem  der  zum  Rector  designierte  Rector  zu  Frank- 
furt a./O. ,  Wiecke,  abgelehnt  hatte,  wurde  der  Gymnasiallehrer  and 
Privatdocent  Dr  Kletke  gewählt  und  bestätigt.  Durch  diesen  wurde 
sofort  der  Morgenbessersche  Plan  dahin  modificiert,  dasz  anszer  den 
beiden  Elementarklassen  6  Realklassen  errichtet  wurden,  deren  oberste 
den  inzwischen  erschienenen  Bestimmungen  des  Regulativs  für  die  Bnt« 
lassungsprüfungen  vom  8.  März  1832  genügen  sollten,  eine  Aendernng, 
die  nicht  blos  die  Genehmigung,  sondern  auch  die  ausdrückliche  Appro- 
bation der  Regierung  erhielt.  Mit  4  Klassen  ward  die  höhere  Barger- 
schule eröffnet,  zunächst  nur  bis  Tertia ;  die  Eröffnung  fand  am  15.  Oe- 
iober  1836  statt. 

So  weit  führt  uns  Herr  Dir.  Dr  Kletke  in  seiner  interessanten 
Schrift,  die  sich  hoffentlich  bald  vervollständigt,  ind^  sich  an  die 
Vorgeschichte  die  Geschichte  der  Anstalt  anschlieszt.  Für  die  BbU 
Wicklungsgeschichte' der  Realschule  wird  auch  die  weitere  Geschiohte 
der  Anstalt  sicher  interessante  Beiträge  liefern. 

Wir  glaubten  den  Freunden  des  Schulwesens  einen  Hinweis  auf 
dieses  Schriftchen  schuldig  zu  sein,  und  empfehlen  es  insbesondere 
Freunden  wie  Gegnern  der  Realschule  und  allen,  die  sieh  für  Organi* 
sationsfragen  interessieren,  angelegentlichst. 

• 

Frankfurt  a.  M.  F.  Paldamus. 


J«riehl«  Ober  gelehrte  Anstalten,  Verordnungen,  Statist.  Notiiea«-  331 

m 

Berichte  über  gelehrte  Anstalten,  Verordnungen,  statistische 
Notizen,  Anzeigen  von  Programmen. 


Cassel.]  Aus  der  Chronik  des  Gymnasioms  ist  folgendes  mit^thei- 
len:  der  l]|^aaftrBgte  Lehrer  Kellner  gieng  an  das  Gymnasium  zu  Rin- 
teln über ,  wo  durch  das  abieben  des  Dr  L  o  b  e  eine  Aushülfe  im  Unter- 
richte nöthig  geworden  war,  kehrte  jedoch  vom  1.  Januar  d.  J.  an  in 
seine  frühere  Stellung  am  hiesigen  Gymnasium  zurück.  Der  Gymnasial- 
lehrer Dr  Weher  am  Gymnasium  zu  Marburg  wurde  in  gleicher  Eigen- 
schaft an  das  hiesige  Gymnasium,  der  ordentliche  Lehrer  DrFürstenau 
yon  dem  Gymnasium  in  Cassel  an  das  zu  Hanau  versetzt.  Der  Zeichen- 
lehrer Pf  äff  wurde  auf  sein  nachsuchen  vom  Zeichenunterricht  ent- 
bunden; an  seine  Stelle  trat  der  Zeichenlehrer  Schwarz«  Die  Prak- 
tikanten Gorland  und  Stähle,  welche  zur  Erstehung  ihres  Probejah« 
res  dem  hiesigen  Gymnasium  zugewiesen  waren,  verlieszen  ihre  Thil- 
tigkeit,  indem  ersterer  mit  Aushülfe  im  Unterricht  am  Gymnasium 
jsu  Hanau,  letzterer  an  dem  zu  Rinteln  beauftragt  wurde.  Der  Prakti- 
kant Dr  E.  Yilmar  wurde,  ohne  seinen  Vorbereitungsdienst  als  Gjm- 
nasialpraktikant  vollendet  zu  haben,  zum  zweiten  Repetenten  an  der 
Stipendiatenanstalt  zu  Marburg  bestellt  Der  bisherige  Praktikant  Rie- 
del wurde  zum  Hülfslehrer  ernannt.  Der  Candidat  der  Philologie  Sie- 
bert wurde  zur  Erstehung  seines  Probejahrs  als  Praktikant  zugelassen. 
Nach  Maszgabe  dieser  Veränderungen  im  Personalbestande  des  Lehrer- 
oollegiums  ertheilen  dermal  Unterricht:  l)neun  ordentliche  Lehrer:  Dr 
Matthias  Director,  Dr  Flügel,  Dr  Riesz,  Dr  Schimmelpfeng, 
Dr  Klingender,  G.-L.  Schorre,  Dr  Weber,  Dr  Grosz,  Dr  Lin- 
denkohl;  2)  ein  Hülfslehrer:  Riedel;  3)  sechs  beauftragte  Lehrer: 
Preime,  Auth,  Ernst,  DrVogt,  Kellner,  Caplan  Breidenback 
(Religionslehrer  für  die  katholischen  Schüler);  4)  ein  Auscultant:  Sie- 
bert;  vier  auszerordentlicbe  Lehrer:  Geyer  (im  Schreiben  und  Rech- 
nen), Rosenkranz  (im  Singen),  Schwarz  (im  Zeichnen),  Reinhardt 
(anshülfsweise  im  Schreiben).  Den  Unterricht  in  Leibesübungen  leitete 
der  Gymnasiallehrer  Schorre:  Die  Schülerzahl  betrug  am  Schlüsse  des 
Schuljahres  249  (1  21,  II  34,  IH  56,  IV  62,  V  48,  VI  28).  Das  Gym- 
nasium bestand  aus  zehn  in  besonderen  Lehrzimmem  unterrichteten  Klas- 
sen ,  —  einer  Prima ,  einer  Gesamt-  und  einer  Unter- Secunda ,  einer  Ge- 
samt- und  einer  Unter-Tertia,  zwei  parallelen  Quarten,  zwei  parallelen 
Quinten  und  einer  Sexta.  Abiturienten:  10.  Den  Schulnachrichten  geht 
Toraus:  commeniationis  de  Antigoni  Gonaiae  vUa  ei  rebus  gestis  pari,  I. 
27  S.  8.  Von  dem  Hülfslehrer  Riedel.  Cap.  I.  De  Antigoni  Qonatae 
genere,  anno  natali,  nomine.  Cap.  II.  De  rebus  ab  Antigono  gestis 
Tivo  patre  Demetrio.  1.  De  hello  Thebis  illato.  2.  De  reliquo  tem- 
pore usque  ad  mortem  Demetrii.  Cap.  III.  Antigonus  Macedoniae 
regnum  occupat.  Die  Regierungszeit  des  Antigonus  soll  den  Inhalt  des 
zweiten  Theiles  bilden. 

FiTLDA.]  In  dem  verflossenen  Schuljahre  1857 — 58  trat  in  dem  Leb- 
rercoUegium  eine  Personalveränderung  nicht  ein ;  mit  dem  Schlüsse  des- 
selben aber  schied  der  bisherige  Gymnasialdirector  Schwartz  aus  sei- 
ner amtlichen  Stellung,  indem  demselben  die  in  FUge  einer  von  der 
herzoglich-nassauischen  Landesregierung  als  Ober-Schulrath  und  Direc- 
tor des  Gymnasiums  zu  Hadamar  an  ihn  ergangenen  Berufung  nachge- 
suchte Entlassung  aus  dem  Staatsdienste  vom  1.  April  d.  J.  ertheilt 
wurde.  Der  Nachfolger  desselben  ist  noch  nicht  ernannt;  die  Directo- 
rial-Geschäfte  werden  daher  einstweilen  von  dem  ältesten  Lehrer  des 


332  Berichte  aber  gelehrte  Aostallen,  Verordnangeo,  itatift  NoUsml 

• 

Gjmnasiams ,  Dr  Weis  mann,  besorgt  werden.  Bestand  des  Lehrercol- 
logiums  am  Schiasse  des  Schuljahrs:  Gymnasialdirector  Schwarte, 
Dr  Weismann,  Dr  Gies,  Hahn,  Dr  Lotz,  Bormann,  Donner, 
Schmitt,  Geg'enbaur,  Dr  Osterniann,  Schmittdiel,  evangel. 
Keligionslehrer  Pfarrer  Roll  manu,  Schreiblehrer  J  e  s  s  1  e  r ,  Gesang- 
lelirer  Henkel,  Zeichenlehrer  Binder.  Am  Schlüsse  des  Schuljahres 
betrug  die  Zahl  der  Schüler  217  (I  24,  II  40,  lU«  13,  Ul^  28,  IV  35, 
y  38,  VI  39),  darunter  130  katholische,  75  evangelische,  6  israelitische. 
Die  Frequenz  des  Gymnasiums,  welche  schon  seit  mehreren  Jahren  in 
fortwährendem  steigen  begriffen  war,  hat  in  dem  letzten  Schuljahre  eine 
Höhe  erreicht,  auf  welcher  sie  sich,  so  lange  die  Anstalt  besteht,  nicht 
befundeu  hat.  Abiturieirten:  5.  Den  Schulnachrichten  ist.Yorausgedchickt 
eine  wissenschaftliche  Abhandlung  von  dem  Director:*  Eigils  Leben  dee 
h,  Sturmius,  üeberseizung  und  Anmerkanycn.  Zweite  Abtheilung.  32  S.  4. 
Dieselbe  bildet  die  Fortsetzung  und  den  Schlusz  der  von  demselben  Vf. 
im  Jahre  1850  als  Programm  zur  tausendjährigen  Hrabannsfeier  nnter 
dem  Titel  'Bemerkungen  zu  Eigils  Nachrichten  über  die  Gründang  und 
Urgeschichte  des  Klosters  Fulda'  herausgegebenen  Abhandlung.  Es  liegt 
hiermit  die  Hauptquelle  der  ältesten  Geschichte  Fuldas,  das  von  EigU 
verfaszte  Leben  des  h.  Sturmius,  in  deutscher  Bearbeitung  vollständig 
vor.  Der  Uebersetzung  liegt  der  Text  der  Monumenta  Gerraaniae  hi- 
storica  (Pertz  II  372  —  377  Kap.  15  —  25)  zu  Grunde,  und  der  Voll- 
ständigkeit wegen  ist  derselben  auch  der  an  die  Jungfrau  Engeltrnd 
gerichtete  Prolog  vorausgeschickt.  In  den  der  Uebersetzung  nachfol- 
genden Anmerkungen  ist  nicht  nur  die  gedachte  Biographie  selbst, 
wo  es  erforderlich  oder  wünschcnswerth  schien,  erläutert,  sondern  ea 
sind  auch  alle  bei  der  älteren  Geschichte  des  Klosters  Fulda  in  Frage 
kommenden  Puncto  mit  Benutzung  der  Quellenschriften  und  Urkunden 
sowie  der  besten  neueren  Hülfsmittel  beleuchtet.  —  Von  demselben  Ver- 
fasser wurde  zur  Feier  des  25jährigen  Directorat- Jubiläums  des  Gjm- 
nasialdirectors  Dr  W.  Münscher  zu  Hersfeld  eine  demnächst  im  Druck 
erscheinende  Abhandlung  geschrieben ,  welche  den  Titel  führt :  de  Arno- 
nymo  tpti  dicüur  Gemblacensi,  Vitae  S,  Lullt  seriptore,  commentaUo  adieeti» 
monwnentU  et  iestmoniit  quihusdam  hisioiicU  ad  S,  LuHum  KpectanUbue,  Ge- 
genstand der  Abhandlung  ist  eine  Untersuchung  über  die  von  Mabillon 
in  seinem  Elogium  S.  Lulli  benutzte  Lebensbeschreibung  des  Ersbisohofs 
Lullus,  Gründers  des  Klosters  Horsfeld,  insbesondere  über  die  Heimat 
und  Zeit  des  Verfassers,  über  den  Werth  dieser  Schrift  und  ihr  Ver- 
hältnis zu  den  Nachrichten  der  älteren  Quellenschriften.  Ergebnis  der 
Untersuchung  ist,  dasz  diese  Schrift  von  dem  bekannten  Chronographen 
Sigibert  von  Gemblours,  der  sie  nach  Mabillons  Vermutung  verfasit 
haben  soll ,  nicht  herrühren  könne ,  dasz  der  unbekannte  Verfasser  über- 
haupt nicht  in  Gemblours,  sondern  höchst  wahrscheinlich  in  dem  Klo- 
ster Hersfeld  zu  suchen  sei  und  die  Zeit  der  Abfassung  der  Schrift  swi- 
sohen  die  Jahre  852  und  1040  fallen  müsse,  dasz  mithin  dieselbe  den 
eigentlichen  Quellenschriften  zur  Geschichte  des  Lullus  nicht  beizusSfa- 
len  sei,  ihr  vielmehr  nur  ein  untergeordneter  Werth  zugestanden  werden 
könne.  Als  Anhang  ist  der  Abhandlung  beigefügt  eine  Auswahl  der 
historisch  wichtigsten  von  und  an  Lullus  geschriebenen  Briefe  und  eine 
Zusammenstellung  der  in  den  gleichzeitigen  Quellenschriften  über  das 
Leben  und  wirken  des  Lullus  enthaltenen  Nachrichten. 

Hanau.]  Auid^  der  Chronik  des  Gymiiasiunis  ist  mitzutheilen ,  dan 
der  Gymnasialpraktikant  Melde  zu  Fulda  mit  Aushülfeleistnng  während 
der  Erkrankung  des  Dr  Dommerich  beauftragt,  der  Hülfslehrer  Dr 
O.  Vilmar  zum  ordentlichen  Lehrer  befördert,  der  Gymnasialpraktikant 
am  Gymnasium  zu  Cassel  G  o  r  1  a  n  d  mit  Aushülfeleistung  beaoftragt 
und  der  ordentliche  Lehrer  am  Gymnasium  zu  Cassel  Dr  FSritenaa 


Berichte  iber  f  elefarle  Anstalten,  Veirordnangen,  «tatuL  Notisea.   333 

in  gleicher  Eigenschaft  an  das  hiesige  Qymnasinm  versetzt  wurde,  nach- 
dem der  beauftragte  Lehrer  Dr  Her  ans  seine  Stellung  verlassen  hatte, 
um  als  Lehrer  an  das  königlich-preuszische  Gymnasinm  zu  Hamm,  wo- 
hin er  berufen  war,  überzugehen.  Der  Gymnasialpraktikant  Münscher, 
dessen  Probejahr  zu  Anfang  Janaar  abgelaufen  war,  wurde  mit  Fort- 
versehung  des  Unterrichts  bis  zum  Schlusz  des'  laufenden  Semesters  be- 
auftragt. Das  Lehrerpersonal  hat  gegenwärtig  folgenden  Bestand:  Dr 
Piderit,  Director,  Dr  Dommerich,  Dr  Fürstenan,  Dr  Fliedner, 
Casselmann,  Dr  Vilmar,  Hülfslehrer  Dr  Suchier,  beauftragte  Leb- 
rer  Pfarrer  Fuchs,  Junghann,  Gerland,  Münscher,  auszer- 
ordentliche  Lehrer  Zimmermann,  Eichenberg.  —  Die  Schülerzahl 
belief  sich  im  Sommerhalbjahr  auf  105  (I  17,  II  15,  Ul  35,  IV  18,  V 
12,  VI  8),  Abiturienten  4,  jm  Winterhalbjahr  auf  101,  Abiturienten  6. 
Den  Schnlnachrichten  ist  vorausgeschickt:  zur  Kritik  und  Exegese  von 
Cicero  de  oraiore  von  Dr  E.  W.  Piderit.  20.  S.  4.  Die  Abhandlung 
ist  die  Fortsetzung  einer  kleineren  Gklegenheitsschrif t ,  die  zur  Feier 
des  25jährigen  Directorat-Jubiläums  des  Gjmnasialdir.  Dr  W.  Münscher 
SU  Hersfeld  am  31.  October  vorigen  Jahres  unter  dem  gleichen  Titel: 
zur  Kritik  und  Exegese  von  Cicero  de  oratore  (9  S.  4)  erschienen  ist. 
Die  dort  behandelten  Stellen  sind :  I  12,  53,  wo  statt  des  herkömmlichen 
^uod  volei  zur  Vermeidung  der  unerträglichen  Anakoluthie  vielmehr 
guoad  volet  oder  quod  in  dem  Sinne  von  quoad  zu  lesen  sei;  fcl3,  6Ö 
soll  gelesen  werden  entweder:  decivium,  de  comnami  omnium  hominum  iure 
(gentium  Glossem),  oder  noch  besser:  de  dvium^  de  gentium  iure  (com- 
mtmi  und  hominum  Glossem);  I  27,  125  sollen  nach  habet  die  Worte 
übtd  (nemlich  das  crudum  esse  und  nolle  des  Schauspielers)  habet  durch 
ein  Versehen  des  Abschreibers  ausgefallen  sein;  I  29,  132  statt  unns 
ptUerfamUias  lieber  unus.  e  multis;  I  59 ,  253  wird  mit  Streichung  des 
Glossems  ^iuris  peritos'  qui  ipsi  sint  peritissimi  gelesen ;  II  2,  6  werden  die 
grammatisch  nicht  zu  rechtfertigenden  Worte  et  ingeniis  als  auch  in  den 
Zusammenhang  der  Stelle  nicht  recht  passende  Interpolation  aus  dem 
Text  wieder  entfernt;  II  9,  38  wird  der  Concessivsatz  für  unpassend 
#rklSrt,  etsi  und  tamen' daher  gestrichen  und  weiter  ifo* gelesen:  hoc 
eerUu$  nihil  esse  potest,  quam  ( —  quod  omnes  artes  aliae  sine  eloquen- 
iia  monus  suum  praestare  possunt,  orator  sine  ea  nomen  suum  obtinere 
Aon  potest  — )  ut  ceteriy  si  diserti  sint,  aliquid  ab  hoc  (sc.  oratore)  ha- 
beant,  hie  (orator)  nisi  domesticis  se  instruzerit  copiis,  aliunde  dicendi 
eopiam  petere  non  possit;  II  20,  86  sollen  nach  dem  unleugbaren  Zusam- 
menhang die  Worte  von  ^quod'  an  so  gelesen  werden :  quod  alterumy  non 
ftteere  quod  non  optime  po8$is,  divinUatis  mihi  cuiusdam  videtur,  alterum,  fa- 
eere  quod  non  pessime  faciasy  humamtaivt.  An  diese  acht  Stellen  sollen 
^h  nun  die  zwölf,  die  den  wissenschaftlichen  Inhalt  des  diesmaligen 
Osterprog^amms  bilden,  weiter  anreihen,  und  so  zugleich  mit  jenen  ge- 
uriasermaszen  eine  etwas  ausführlichere  prolusio  zu  der  bereits  angekün- 
digten Ausgabe  von  Cicero  de  oratore  bilden,  die  noch  im  Laufe  dieses 
Jahres  erscheinen  wird.  Die  hier  behandelten  Stellen  sind:  I  10,  41  wird 
gründlich  nachgewiesen,  dasz  die  recipierte  Lesart  zu  verwerfen  und  an 
der  ursprünglichen  zurückzukehren  sei:  ceteri  in  iure  vindicarent  pkyski. 
Mit  dem  Ausdruck  in  iure  vindicare  bezeichne  Scävola  das  Verfahren 
▼or  dem  Magistrat,  wodurch  das  Prozessverhältnis  zwischen 
den  Parteien  begründet  wird  und  seine  Form  erhält, 
im  Gegensatz  von  in  iudicio  'vor  dem  Richter',  wohin  alles  andere  ge- 
hört, was  zur  Erledigung  des  Rechtstreites  erforderlich  ist.  Es  werde 
also  mit  dem  Ausdruck  in  iure  vindicarent,  der  ganz  parallel  steht  mit 
agerent  lege,  sehr  passend,  da  es  sich  eben  um  einen  Eigenthumstreit 
handele,  diese  specielle  Form  der  legis  actio ,  die  vindicatio  in  iui-e  be- 
Beichnet.  I  51,  219  sei  die  Lesart  rerum  omnium  naturam  falsch,  und  ea 


334  Beriohle  über  gelehrt  Anstalten,  YerordnoDgen,  statisL  NoIiMB. 

werde  dem  Zusammenhange  nach  (Antonias  weise  die  an  den  Eedner 
gestellte  Anforderung,  das  specielle  Studium  der  Ethik,  als  unberechtigt 
zurück)  zu  lesen  sein :  hominum  nahtram  (oder  naturas)  mores  atque  ratüh 
nes,    II  16,  69:   die  Behauptung  Eilendts,  dasz  per  ge,  das  in  der  Val- 
gatlcsart  vor  non  incommode  steht ,  handschriftlich  nicht  begründet  sei, 
sei  nicht  ganz  richtig,  da  der  Erlangcnsis  II  per  so  tuentar  habe.    Es 
sei  aber  per  se  um  des  nachdrücklichen  Gegensatzes  gegen  das  yorher- 
gehende  ^a  doctore  tradi'  und  Misccre'  nicht  zu  entbehren;  seine  rich- 
tige Stellung  finde  es  dann  hinter  incommode.    Das  folgende  Verbau 
aber  sei  nicht  perseqni,  sondern  adsequi  gewesen;  hinter  per  se  hätten 
namentlich  am  Ende  der  Zeile  die  Silben  ^ad  se'  leicht  wegfallen  können. 
Es  führe  demnach  die  Lesart  des  Erlang.  II  tuentnr  auf  das  futurum 
adsegiieniur j    was  als   Ausdruck   der  Versicherung,    dasz    dies  unzwei- 
felhaft eintreten  werde,    hier  jedenfalls  den  Vorzug  verdiene;    nur  sei 
dann  auch  im    unmittelbar  vorhergehenden  didicerint  statt  didieeruni  za 
schreiben.    II  17,  73  wird  idcm  artifex  für  ein  Glosscm  erklärt  und  ge- 
lesen :  non  sane  quemadmodum  in  clipeo  minora  illa  opera  facere  discat 
laborabit,   so  dasz  die  Einschiebung  von  ut  nicht  nöthig  ist;   Antonius 
stelle  nemlich  hier  nicht  Bild  und  Gogcnbild,  jedes  gesondert,    gegen- 
über, so  dasz  auf  der  einen  Seite  die  künstlerische  ThUtigkeit  des  Phi> 
dias,  auf  der  andern,  dieser  gegenüber,  die  des  Redners  stünde,  sondern 
er  lassft  Bild  und  Gegenbild  zusammenfallen.    II  23,  96  wird  die  hand- 
schriftliche Lesart  in  Schutz  genommen  und  gezeigt,  wie  durch  unrich- 
tige Interpunction  die  Auffassung  des  Sinnes  getrübt  wird.     Das  Komma 
soll  nicht  hinter  dicere,  sondern  erst  hinter  ubertate  gesetzt  und  also 
die  Worte  in  summa  ubertate  zu  dem  Zwischensatz  ut  in  herbis  rustici 
Bolent   diccre   sc.    incsse   luxuriem   gezogen   werden.     II  41 ,    170  wird 
gezeigt,  wie  der  auf  den  ersten  Anblick  etwas  fremdartige  Sati  ai  yero 
adseqnetur  cet.,   welchen  Bnke  schol.  hypomn.   II  p.   163  f.  ganz  ana- 
stoszen   oder  ihm   eine  andere   Stelle  am  Schlusz   des  §  178  anweisen 
will ,  sich  bei  genauerer  Betrachtung  so  wenig  als  störend  erweise,  dass 
in  ihm   vielmehr   eine  hier  ganz    passend    angebrachte  Ergänzung  and 
Vervollständigung  des  vorausgehenden  Gedankens  zu  finden  sei.    II  61« 
248  soll  statt  des  unerklärbaren  severe   gelesen  werden  et  severiSj  wo- 
durch auch  der  Parallelismus  mit  dem  Gegensatz:  in  turpicnlis  et  quoH 
defomdbus  hergestellt  und   zugleich  eine  specielle  Bestimmung  zu  hone- 
stis  in  rebus  hinzugefügt  werde,   die  nicht  wol  entbehrt  werden  könne. 
III  25,  99  soll  mit  Rücksicht  auf  Plin.  bist.  nat.  XIII  3,  4  und  XVII 
5,  3  statt  ceram  terram  und  statt  olere  sapere  gelesen  werden.    III  28, 
110  soll  dem  Gedankengang  gemäsz  geschrieben  werden:  atque  haetenus 
etiam  in  instittiendo  divisiune  utuntur,  nemlich  ei  qui  institunnt,    die  rhe- 
torischen Techniker:   ^und  insoweit  braucht  man  ja  auch  die  eben  eir- 
wähnte  (hac)  Eintheilung  beim  Unterricht\  III  46,  181  soll  das  zweite 
inventnm  nach  gratum  durch  ein  Versehen  in  den  Text  gekommen  sein; 
es  sei  hier  gar  nicht  zu  brauchen,  da  der  Satz  id  enim  cet.  die  ästhe- 
tische Angemessenheit  des  erwähnten  inventum  durch  eine  allgemein 
anerkannte  Thatsache  (nicht  durch  ein  neues  in ventum)  begründen 
solle.   III  47,  1K2,  wo  der  Inhalt  von  Aristot.  Rhet.  III  8  genau  wiedei^ 
gegeben  wird,   habe  Cicero  ganz  Recht,  wenn  er  von  Aristoteles  sage: 
priimtm  ad  herouin  nos  pedem   invitat  —  prohaiur  autem  ab  eodem  illo 
tnaxinie  paeon.    Die  Worte  dactyli  et  anapaesti  et  spondei  seien  offenbar 
ein  spätes  Glossem,   das   am  Rand  die  drei  Versfüszc   des  yivaq  twv 
zusammenstellte.    Aristoteles  und  nach   ihm  Cicero   sprechen  hier  nur 
vom  heroischen  Rhythmus «   d.  h.  dem  daktylischen  Rhythmus  des 
heroischen  Verses,   und  eben  darum  weil  hier  genau  genommen  eigent- 
lich nur  von  Rhythmen  die  Rede  sei,  werde  vielleicht  auch  'pedem'  sn 
streichen   und  zu  'heroum*   ganz  einfach  numerum  zu  supplieren  sein. 


iMriolile  41b«r  gelehrte  ÄBstalten,  VerordoiiBgeii,  statisi  NoÜsm.  335 

Das  heröi  nach  Jii  tres  sei  ans  grobem  Misverstaad  in  den  Text  gekom« 
men,  indem  der  Glossator  unter  den  ^hi  pedes'  fälschlicherweise  entwe* 
der  die  drei  Yersfüsze  des  als  Beispiel  angeführten  Fragments  oder  die 
drei  oben  unrichtig  hinzugefügten  Versftisze,  Daktylus,  Anapäst  und 
Spondeus  yerstanden  habe.  I  46,  202  wird  die  kürzlich  V^ersuchte  Ver* 
theidigung  der  überlieferten  Liesart  esse  deas  (neue  Jahrb.  für  Phil,  und 
Pädag.  Bd.  75  Heft  12  S.  842)  wieder  aufgegeben  u^d  mit  Kücksicht 
auf  Quiptil.  X  7,  14  vermutet,  dasz  hier  zu  lesen  sei:  tum  adfmsse  deus 
putatur,  —  Ans  den  gründlichen  Studien,  von  denen  die  kritische  und 
exegetische  Behandlung  vorliegender  Stellen  Zeugnis  gibt,  laszt  sich  theil- 
weise  schon  jet:H  ein  Schlusz  ziehen  auf  die  Gediegenheit  der  neuen 
Ausgabe  des  ciceronianischen  Werkes,  deren  baldigem  erscheinen  wir 
mit  Freuden  entgegensehen. 

Hebsfeld.]  Im  Lehrerpersonale  des  Gymnasiums  haben  sich  im 
Verlaufe  des  Schuljahres  1857 — 58  keine  Aenderungen  ergeben.  Der 
Oesanglehrer  Rundnagel  wurde  durch  den  Tod  der  Anstalt  entrissen. 
Lehrerpersonal:  Dr  W.  Münscher,  Director,  Dr  Deichmann,  Lich- 
tenberg, Pfarrer  Wiegand,  Dr  Wiskemann,  Dr  Dieterich,  Dr 
Suchier,  Dr  Ritz,  Hülfslehrer  Spangenberg  und  Heermann, 
Zeichenlehrer  Mutzbauer,  Turnlehrer  B e n e c k e.  Die  Gesamtzahl  der 
Schüler  betrug  am  Schlüsse  des  Schuljahres  130  (I  20,  II  23,  III  33, 
IV  27,  V  16,  VI  11).  Abiturienten  im  Herbst  1857  3,  zu  Ostern  1858 
6.  Am  31.  October  feierte  das  Gymnasium  das  2ö jährige  Directorat- 
Jubiläum  des  Gymnasialdirectors  Dr  W.  Münscher.  Den  Schulnach- 
richten geht  voraus:  Untersuchungen  über  das  Geschichlswerk  des  Polyhiua 
vom  Gymnasialhüllslehrer  Spangenberg,  68  S.  4.  Die  kürzlich  or- 
Bchienene  Schrift:  Charakteristik  des  Polybius  von  Paul  La  Roche, 
Leipzig  1857,  hat  der  Verf.  nicht  benutzen  können,  doch  soll  in  dem 
zweiten  Theile,  der  hauptsächlich  von  der  politischen  und  ethischen 
Auschauungsweise  des  Polybius  handeln  soll,  öfters  darauf  Rücksicht 
genommen  werden.  I.  Art  und  Weise  der  Darstellung.  Das  Re- 
sultat Brandstätters  (über  das  Geschichtswerk  des  Polybius,  Danaig 
1843  S.  21),  welcher  zwar  den  richtigen  Weg  zur  Feststellung  des  Be- 
griffes Pragmatismus  gezeigt  habe,  dasz  nemlich  Polybius  die  Geschichte 
nicht  eigentlich  an  und  für  sich  in  ihrem  Werthe  als  Wissenschaft  an- 
erkannt ,  sondern  sie  als  einen  sehr  geeigneten  Text  zu  politischen,  mo- 
ralischen und  andern  Belehrungen  angesehen  habe ,  scheint  dem  Vf.  die- 
ses Geschichtschreibers  nicht  ganz  würdig.  Die  Grundanschauung  des 
Wortes  könne  nicht  blos  auf  den  Erklärungen  fuszen,  welche  das 
Wert  »pay/Urorrtxo's  zulasse,  sondern  sie  müsse  sich  als  Resultat  ei- 
ner Betrachtung  des  ganzen  Werks  ergeben ;  sie  hange  mit  den  Vorstel- 
lungen, die  Polybius  von  dem  Entwickelungsgange  der  Weltgeschichte 
gehabt,  mit  seiner  ganzen  politischen,  sittlichen  und  religiösen  An- 
schauung, sowie  mit  der  Tendenz  seines  Werkes  auf  das  engste  zusam- 
men. Als  Resultat  dieser  ganzen  Betrachtung  stelle  sich  folgendes  her^ 
ans:  ^die  Grundtendenz  des  Polybius  ist  eine  praktische.  Er.  hat  be- 
ständig die  diOp'9'a}ffie »seiner  Leser  im  Auge,  womit  er  ebensowol  Be- 
lehrung, als  sittliche  Veredlung  bezeichnen  will.  Diese  Belehrung, 
namentlich  der  Feldherrn  und  Staatsmänner,  welche  er  als  den  wesent- 
lichsten Hebel  für  das  Wohl  eines  Staates  ansieht ,  •  soll  eben  hervor- 
gehen aus  einer  richtigen  Erkenntnis  und  Würdigung  der  Thatsachen 
und  Begebenheiten  nach  ihrem  Zusammenhange.  Das  Gewicht  der  ein- 
zelnen handelnden  Personen  in  der  Weltgeschichte  und  dem  gegenüber 
die  Betheilignng  einer  unbestimmten  Tyche,  deren  dazwischentreten  der 
Mensch  nicht  bemessen  kann,  an  der  Gestaltung  der  Geschichte  dem 
Leser  zur  Erkenntnis  vorzuhalten  ist  dem  Polybius  Hauptsache.  £r 
will  überall  nachweisen,  ob  in  der  Entwickelnng  der  Thatsachen  der. 


336  Berichte  Aber  gelehrte  Anstalteo,  Yerordniuigeii,  elatiiL  HetiMa, 

X6yog  gehersoht  hat  oder  die  ^vx^i ,  und  in  erster  Hinsicht  seigen  dass 
da,  wo  eine  Person  oder  ein  Staat  nazä  loyov  gehandelt,  gewöhnlieh 
auch  ein  gutes  Resultat  erzielt  worden  ist,  wogegen  uXoyCa  and  cex^»- 
c£a  zum  schlimmen  geführt  haben;  in  zweiter  Hinsicht  dasz  da,  wo 
die  "^vxri  den  Verlauf  anders  gestaltet  als  die  Berechnung  der  handeln- 
den Person  war,  deren  Verantwortung  aufhört.'  Es  folgt  dann  eine 
Charakteristik  des  Geschichtswerks  im  einzelnen.  H.  Zweck  dea  Qe- 
.schichts Werks.  Polybius  will  vor  allem  eine  politische  QroAdwahr- 
heit,  in  deren  Lichte  alle  die  einzelnen  politischen  Lehren  betrachtet 
werden  müssen,  darlegen,  nemlich  diejenige,  dasz  gute  Verfassungen 
und  richtiges  politisches  handeln  die  Staaten  grosz  machen,  aber  schlechte 
Organisationen  sie  zu  Grunde  richten.  Er  führt  diesen  Satz  an  der  Ge- 
schichte des  römischen  Staats  aus ,  indem  er  zeigt ,  wie  Kom  durch  die 
Kraft  seiner  Verfassung  und  durch  richtiges  Verfahren  (liav  svloyoig 
aqfOQfiatg  xQ<ofi€voi)  zu  der  Weltherschaft  gelangte  und  gelangen  muste. 
III.  Plan  und  Anlage  des  Werks.  Auswahl  des  Stoffes.  IV. 
Wahrheitsliebe  und  Kritik  des  Polybius.  V.  Ansicht  dea 
Polybius  vom  Gange  der  Weltgeschichte 

Holstein.]  Normativ  für  eine  Maturitätsprüfung  der 
Abiturienten  auf  den  höheren  Lehranstalten  dea  Heriog- 
thums  Holstein.  §1.  Jeder  Schüler,  welcher  sich  den  akademischen 
Stodien  widmen  will,  hat,  um  zum  Abgange  auf  die  Univeraitit  ain 
Zeugnis  der  Reife  zu  erlangen  (§  4  des  Regulativs  vom  28.  Januar  1848) 
und  selbiges  bei  der  Meldung  zu  Amts  -  oder  akademischen  Examiniboa 
event.  producieren  zu  können,  an  der  der  Zeit  von  ihm  besuchten  Lehr- 
anstalt sich  einer  Maturitätsprüfung  zu  unterziehen.  —  §  2.  Zu  dieaer 
Prüfung  werden,  falls  nicht  eine  specielle  Dispensation  dea  Mimateriuma 
erwirkt  worden,  nur  solche  Schüler  zugelassen,  welche  im  ganzen  2  Jahre 
eine  erste  Klasse  der  hiebei  in  Betracht  kommenden  höheren  Lehran- 
stalten des  Herzogthums  Holstein  besucht  haben.  —  §  3.  Die  Abiturien- 
ten haben  sich  ein  Vierteljahr  vor  dem  Schlüsse  des  Semesters  bei  dem 
Rector,  resp.  dem  Director  der  Lehranstalt  zu  dieser  Prüfung  zu  mel- 
den (vgl.  §  21  des  Regulativs  für  die  Gelehrtenschulen  vom  28.  Janoar 
1848).  —  §  4.  Die  Prüfungsvornahme  findet  halbjährlich,  cesp.  um  Ostern 
und  Michaelis,  möglichst  gleichzeitig  mit  den  allgemeinen  KlasaenpriU 
fungen  jeder  Schule  (§  20  des  Regulativs  vom  28.  Januar  18*18),  wenn 
«uch  im  ganzen  für  die  Theilnahmo  an  dem  Maturitätsexamen  abge- 
sondert, statt  und  zerfällt  in  einen  schriftlichen  und  einen  mündlichen 
Theil.  —  §  5.  Für  die  Abhaltung  der  Prüfung,  welcher  übrigens  der 
Inspector  der  Holsteinischen  Gelehrtenscliulen  stets,  wo  er  will,  bei- 
wohnen kann,  darf  vom  Rector  resp.  Director  der  betreffenden  Anstalt 
die  Thätigkeit  eines  jeden  an  derselben  unterrichtenden  Lehrers  in  An- 
spruch genommen  werden ;  indes  gilt  dabei  als  allgemeine  Regel  für  die 
mündliche  Prüfung,  dasz  in  jeder  Disciplin  von  demjenigen  Lehrer 
examiniert  werde,  welcher  in  dieser  den  Unterricht  in  der  ersten  Klaaae 
ertheilt.  Die  zu  stellenden  Aufgaben  und  schriftlichen  Fragen,  sowie 
etwaigfe  sonstige  Details  der  Prüfung  werden  dusch  einen  BesohlnaB  dea 
Lehrercollcgiums  jeder  Schule  speciell  bestimmt,  und  haben  in  aolcher 
Hinsieht  die  Schulrectorate  resp.  Directorate  das  erforderliche  stets 
rechtzeitig  zu  veranlassen.  —  §  6.  Der  Zweck  der  Maturitätsprüfung 
besteht  darin,  für  die  zur  Universität  abgehenden  Schüler  den  Erfolg 
des  von  ihnen  durchgemachten  Schulcursus  nicht  sowol  mit  RUcksioht 
auf  einzelne  vielleicht  nur  zeitweilig  angelernte  Kenntnisse,  als  vielmehr 
darnach  schlieszlich  festzustellen,  ob  sie  nach  Umfang  und  Art  ein  sol- 
ches Wissen  und  diejenige  Reife  des  eignen  denkena  und  urteilena  er- 
worben haben,  die  für  erforderlich  zu  erachten,  um  akademische  Sta- 
dien mit  Nutzen  zu  beginnen.  —  §  7*  Geprüft  werden  die  Abitorienten 


SaritiM  AiMr  gelefarle  AnaUlteii,  YorerdaaDgea,  stttiiL  Hottstt.  337 

in  allen  regnlativmäszigen  GegenstSnden  des  Gymnasialanterrichts  (ygL 
ÜislMsondere  §  5  des  Begnlativs  vom  28.  Januar  1848).  —  §  8.  JÜle 
schriftlichen  Arbeiten  werden  unter  Aufsicht  eines  Lehrers  angefertigt, 
ond  ist  dabei  den  Examinanden  der  Kegel  nach  weder  die  Benutsung 
eines  Lexikons,  noch  einer  Grammatik,  noch  sonstiger  Hülfsmittel  aa 
gestatten.  Die  Arbeiten  bestehen:  1)  in  einer  gröszeren  lateinisdunt 
Uebersetzung,  füi*  die  das  deutsche  Pensum  dictiert  wird,  falls  es  nicht 
in  Abschrift  oder  in  einem  gedruckten  Werke  den  Examinanden  vorge- 
legt werden  kaxui;  2)  in  einem  deutschen  Aufsatze,  dessen  'Thema  je- 
doch nicht  auszerhalb  des  nach  dem  vorangegangenen  Schulunterrichte  bei 
den  Examinanden  vorauszusetzenden  Wissens-  und  Begrilfskreises  ge- 
legen sein  darf;  3)  in  der  Uebersetzung  eines  kürzeren  deutschen  Di- 
Ctats  in  das  Griechische;  4)  in  der  Lösung  zweier  Aufgaben  aus  der 
Mathematik,  einer  geometrischen  und  einer  arithmetischen;  5)  in  der 
Beantwortung  von  vier  Fragen  des  positiven  Wissens  aus  dem  Gebiete 
resp.  der  Religionslehre,  der  Geschichte,  der  Kunde  des  klassischen 
Alterthums  und  der  Naturwissenschaften.  Die  verschiedenen  einzelnen 
Aufgaben  der  schriftlichen  Prüfung,  für  die  übrigens  im  ganzen  nur  eine 
Zeit  von  höchstens  2^^  Tagen  gestattet  wird,  sind  den  Examinanden 
in  der  Weise  mitzutheilen,  dasz  dadurch  ihnen  die  Benutzung  unerlaub- 
ter Hülfsmittel  thunlichst  erschwert  wird.  —  §  9.  Die  mündliche  Prü- 
fung, deren  Dauer  sich  im  allgemeinen  nach  der  Zahl  der  Abiturienten 
richtet,  aber  nicht  über  2  Tage  hinausgehen  darf,  soll  den  Examinanden 
Gelegenheit  geben,  sowol  die  Gründlichkeit  als  den  Umfang  ihres  Wia- 
sens  darzuthun,  insbesondere  aber  zu  zeigen,  in  wie  weit  sie  ihre  Kennt- 
nisse gegenwärtig  haben  und  klar  darzulegen  verstehen.  Bei  derselben 
ist  ein  angemessenes  Stück  aus  einem  lateinischen  und  griechischen 
Schriftsteller ,  und  zwar  aus  der  Zahl  derjenigen ,  welche  in  der  ersten 
Gymnasialklasse  gelesen  werden,  zu  übersetzen  und  sprachlich  wie  sach- 
lich zu  erklären ,  aufzerdem  aber  den  der  The<^logie  sich  widmenden 
Abiturienten  eine  Stelle  aus  dem  alten  Testamente  in  •  der  Ursprache 
snm  fibersetzen  vorzulegen.  Femer  sind  aus  einem  dänischen  und  einem 
französischen,  und  falls  auch  die  englische  Sprache  zu  den  UnterrichtS7 
gegenständen  der  ersten  Klasse  an  der  betreffenden  Schule  gehört,  eben- 
falls ans  einem  englischen  Schriftsteller  einzelne  Stellen,  die  von  den 
betreffenden  Abiturienten  während  ihrer  Schulzeit  nicht  gelesen  wordeUi 
an  fibersetzen,  und  endlich  den  Examinanden  Fragen:  a)  aus  der  Se- 
lig^onslehre,  b)  der  Geschichte  und  der  Geographie,  c)  der  Mathematik, 
d)  der  Naturwissenschaft  und  e)  der  deutschen  Literaturgeschichte  bo- 
wie  der  Rhetorik  vorzulegen.  —  §  10.  Für  die  Anforderungen,  denen 
die  Schüler  im  Examen  in  Ansehung  ihrer  Reife  zu  genügen  haben,  die- 
nen-im  allgemeinen  folgende  Bestimmungen  als  Maszstab:  1)  Während 
bei  der  schriftlichen  lateinischen  Arbeit  grammatische  Correctheit  und 
Latinität  des  Stils  zu  verlangen  ist,  genügt  für  das  schriftliche  grie- 
chische Pensum  Sicherheit  in  den  grammatischen  Regeln  und  der  Ao- 
oentlehre.  Bei  der  mündlichen  Uebersetzung  aus  einem  lateinischen  nnd 
griechischen  Klassiker  musz  der  Examinand  die  ihm  vorgelegte  Stelle 
richtig  und  in  gutem  Deutsch  zu  tibersetzen  und  den  Sinn  derselben 
deutlich  zu  erklären,  auch  prompt  und  präcis  auf  die  Fragen,  die 
in  sprachlicher  und  sachlicher  Hinsicht  über  die  Stellen  oder  zu  den* 
selben  gethan  werden,  zu  antworten  im  Stande  sein;  ebenso  musi  er 
auf  erfordern  einige  Uebung  im  mündlichen  lateinischen  Ausdruck  an 
den  Tag  legen  können.  2)  In  der  hebräischen  Sprache  sollen  die  Abi« 
turienten,  für  welche  diese  Prüfung  eintritt,  die  Hauptregeln  der  Gram* 
matik  sowol  in  der  Formenlehre  als  in  der  Syntax  kennen  und  im 
Stande  seiu  ein  nicht  zu  schweres  Pensum  aus  den  historischen  Bü* 
^hern  oder  aus  den  Psalmen  an  übersetsen  und  an  erklären*    3)  Bei 


338  Beriehte  flbor  gelehrte  Anstalteo,  Yerordnangen,  ilatisL  IMiMfl. 

dem  deutschen  Aufsätze  ist  zunächst  eine  richtige  Aoffaesang  dee 
Themas  nebst  einer  eingehenden  Durchführung  desselben  nach  folge- 
rechter Eintheilung  zu  fordern,  und  musz  die  Darsteliunff  nicht  nur 
sprachlich  correct  und  gewandt,  sondern  zugleich  klar  und  der  Sache 
angemessen  sein.  4)  In  den  neueren  Sprachen,  die  ausser  der  Mutter- 
sprache Gegenstand  der  Prüfung  sind ,  hat  der  Examinand  beim  tiber- 
setzen Leichtigkeit  des  Verständnisses  auch  eines  nicht  zu  schweren 
Dichterwerkes  und  eine  hinlängliche  Kenntnis  der  grammatischen  Ke- 
geln darzuthun.  5)  In.  der  Religion  soll  der  Examinand,  insofern  er 
der  lutherisch -evangelischen  Landeskirche  angehört  oder  auch  sonst  an 
dem  Religionsunterrichte  der  Schule  etwa  theilgenommen  hat,  ein  klares 
-Yerständnis  der  Ilauptwahrheiten  des  Christenthums  und  speciell  der 
Unterscheidungslohren  des  protestantischen  Bekenntnisses  besitzen,  ui^ 
mit  den  bezüglichen  Stellen  der  heiligen  Schrift,  wie  auch  den  wichtig- 
sten und  folgenreichsten  Begebenheiten  der  Kirchengeschichte  bekannt 
sein.  6)  In  der  Geschichte  soll  der  Examinand  die  Hauptbegebenheiten 
and  Erscheinungen  der  Universalgeschichte,  insbesondere  aber  der  alten, 
und  auszerdem  der  deutschen  und  dänischen  Geschichte  mit  ihren  näch- 
sten Vorgängen  und  Folgen  näher  anzugeben  im  Stande  sein.  7)  In 
der  Geographie  ist  eine  allgemeine  Kunde  der  astronomischen  nnd 
physikalischen  Verhältnisse  des  Erdkörpers,  sowie  eine  nähere  Bekannt- 
schaft mit  der  Hydrographie  und  Orographie  Europas  samt  einer  lieber^ 
sieht  der  politischen  Geographie  desselben  zu  fordern.  8)  In  der  Ma- 
thematik sollen  dem  Examinanden,  und  zwar  a)  in  der  Geometrie: 
die  Sätze  der  Planimetrie  und  der  Stereometrie,  mit  Ausschlusi  jedoch 
der  Kegelschnitte,  und  b)  in  der  Arithmetik:  die  Algebra  bis  zu  den 
Gleichungen  des  zweiten  Grades  Ind.,  sowie  die  Lehre  von  den  Loga- 
rithmen, den  Progressionen  und  den  Kettenbrüchen,  endlich  die  Cknnbina- 
tionslehre  bekannt  sein.  9)  In  den  Naturwissenschaften,  ist  Yon 
dem  Examinanden  eiqe  klare  Anschauung  insbesondere  der  beim  Unter- 
terichte  durch  Experimente  dargestellten  wichtigsten  Naturerscheinungen 
und  ihrer  Gesetze,  sowie  einige  Kenntnis  der  anorganischen  Chemie  sn 
fordern,  wobei  es  jedoch  besonders  anzuerkennen  sein  wird,  wenn  je- 
mand die  einzelnen  Erscheinungen  auf  allgemeinere  Principien  nnd 
Fundamentalsätze  zurückzuführen  verstehen  sollte.  10)  In  der  deut- 
schen Literaturgeschichte  musz  der  Examinand  die  Hauptschrift- 
steller aus  der  Blütezeit  der  neueren  deutschen  Literatur  (seit  Hage- 
dorn und  Haller)  kennen  und  einige  Bekanntschaft  mit  den  Hauptwerken 
der  schönen  Literatur  aus  dieser  Periode  besitzen.  11)  In  der  Rhe- 
torik hat  der  Examinand  Kenntnis  der  verschiedenen  Stil-  und  Dieh- 
tungsarten,  sowie  der  hauptsächlichsten  Tropen  und  Figuren  darznthon. 
—  §  II.  Zur  Durchsicht  der  gelieferten  schriftlichen  Arbeiten  circnlieren 
entweder  dieselben  unter  allen  Mitgliedern  des  Lehrercolleginms  der 
Schule,  oder  aber  es  wird,  so  weit  nach  dem  Ermessen  des  Rectorats 
oder  Directorats  die  resortiven- Arbeiten  dazu  sich  eignen,  zu  deren 
Verlesung  eine  Sitzung  des  Collegiums  anberaumt,  während  das  münd- 
licl^e  Examen  stets  vor  dem  versammelten  CoUegium  stattfindet.  Jedes 
Mitglied  desselben  ist  in  Ansehung  der  Zeugnisertheilung  stimmberech- 
tigt und  hat  demgemäsz  auch  während  des  Examens  sowol  die  schrift- 
lichen als  die  mündlichen  Leistungen  jedes  Examinanden,  nach  den  ein- 
zelnen Prüfungsgegenständen  gesondert,  ordnungsmäszig  näher  zu  wilr- 
digen  und  respective  für  solche  zu  prädicieren,  wobei  im  allgemeinen 
die  Anwendung  der  Specialpraedicate  sehr  gut  (3),  gut  (2),  nicht  unge- 
nügend (1)  und  ungenügend  (0)  empfohlen  wird.  Das  Ergebnis  der 
ganzen  Prüfung  ist  hiernach  in  einer  desfalls  respective  von  dem  Reo- 
torate  oder  Directorate  zu  berufenden  besonderen  Conferenz  des  Lehrer- 
collegiums  zwar  sohlieszlich  nach  dem  gesamten  Eindrucke,  den  der  dar- 


Bmohto  ühw  gelehrte  AnsUiUen,  VerordnaQgen,  stelift  Notifea.  339 

gelegte  Vorrath  an  positivem  Wissen  samt  der  bewiesenen  Gewandtheil 
in  Anwendung  desselben  hinsichtlich  der  geistigen  Keife  jedes  £zami- 
nanden  hinterläszt,  zu  bestimmen,  jeder  votierende  musz  jedoch  allemal 
im  Stande  sein  sein  Votum  auf  Grund  der  von  ihm  notierten  Specialr 
praedicate,  sowie  unter  gehöriger  Berücksichtigung  der  Wichtigkeit  der 
verschiedenen  Examenfächer ,  in  denen  der  Examinand  mehr  oder  we^ 
niger  gut  bestanden  ist,  desgleichen  endlich  etwa  auch  der  von  selbigemf 
während  seiner  Schulzeit  gezeigten  allgemeinen  Tüchtigkeit  näher  zu 
motivieren.  —  §  12.  Für  das  nach  Beschlusz  der  absoluten  Majorität 
des  LehrercoUegiums  dem  Examinanden  endlich  zu  ertheilende  und  naöh 
einem  näher  vorzuschreibenden  Formulare  einzurichtende  Zeugnis  sind 
3  Praedicate:  völlig  reif,  reif,  und  nicht  unreif,  zulässig,  und 
zwar  ist  in  Ermangelung  einer  absoluten  Majorität  für  das  eine  oder 
das  andere  Praedicat  allemal  nur  der  mittlere  Zeugnisgrad,  event.  bei 
Stimmengleichheit  über  zwei  auf  einander  folgende  Praedicate,  derjenige 
Grad,  für  den  eine  Majorität  der  4  obersten  Lehrer  sich  erklärt  hat, 
ohne  eine  solche  stets  der  niedrigere  Grad  «zu  verleihen.  —  §  13.  Nachdem 
über  den  von  jedem  Examinanden  verdienten  Grad  der  Reife  ein  Be- 
schlusz gefaszt  worden,  verständigt  sich  das  Lehrercollegium  zugleich 
über  ein  dem  Abiturienten  wegen  des  während  seiner  Schülerzeit  von 
ihm  bewiesenen  Fleiszes  und  Betragens  zu  ertheilendes  Testat,  welche« 
als  besonderer  Zusatz  mit  in  das  Maturitätszeugnis  aufzunehmen  ist« 
lieber  den  ganzen  Hergang  und  die  stattgehabten  Abstimmungen,  bei 
denen  übrigens  von  oben  nach  unten,  d.  h.  von  den  oberen  Lehrern 
saerst,  votiert  wird,  ist  schlieszlich  ein  ProtocoU  aufzunehmen  und  von 
allen  Lehrern  zu  unterschreiben  und  erst  hiernach  jedem  einzelnen  Abi- 
torienten  vor  der  Lehrerconferenz  der  Inhalt  des  ihnen  zuerkannten 
Zeugpiisses  durch  den  Rector  oder  Director  zu  verkündigen.  Nachdem 
die  schriftliche  Ausfertigung  des  Zeugnisses  besorgt  worden,  wird  das- 
selbe mit  der  Lehrer  Unterschrift  und  dem  Siegel  der  Schule  versehen 
dem  betreffenden  zugestellt.  Vorstehendes  im  Anschlüsse  an  den  §  22 
der  Altonaer  Gjmnasienordnung  vom  10.  Februar  1844,  sowie  den  §  4 
des  Regulativs  für  die  Gelehrtenschulen  vom  21.  Januar  1848,  resp.  den 
§  2  des  provisorischen  Regulativs  für  das  Rendsburger  Realgymnasium 
vom  28.  November  1854  entworfene  Normativ  ist  hier  selbst  genehmigt 
und  wird  zur  Nachachtung  hiermittelst  bekannt  gemacht.  Königliches 
Ministerium  für  die  Herzogthümcr  Holstein  und  Lauenburg,  den  ^.  De- 
oember  1857. 

Kübhessen.]  Durch  ein  Rescript  kurfürstlichen  Ministeriums  des 
Innern  vom  14.  Januar  1858  wurde  die  in  dem  Beschlüsse  vom  9.  Ja- 
nuar 1855  ausgesprochene  Beschränkung  des  Unterrichts  in  den  Leibes» 
Übungen  als  eines  zur  Theilnahme  verpflichtenden  Gegenstands  auf  die 
Quarta,  Quinta  und  Sexta,  wie-  bereits  früher  für  das  Gymnasium  zn 
Hersfeld,  so  nunmehr  auch  für  die  Gymnasien  zu  Cassol,  Marburg, 
Fulda  und  Rinteln  vom  kommenden  Sommersemester  an  bis  auf  weiter 
res  in  der  Weise  auszer  Anwendung  gesetzt,  dasz  eine  Entbindung  von 
dieser  Theilnahme  auf  den  -begründeten  Wunsch  der  Eltern  den  Qjm- 
nasialdirectoren  vorbehalten  bleibt.  —  Dem  in  den  Neuen  Jahrb.  für 
PhU.  und  Paedag.  Bd  LXXVI  S.  503  mitgetheilten  Ministeriab-escfipt 
vom  11.  September  1857,  die  Maturitätsprüfung  betreffend,  war  noch 
folgendes  hinzugefügt:  «Indem  den  Herren  Gjmnasialdirectoren  diese 
Bestimmungen  zur  allenthalbigen  Vollziehung  zugehen,  werden  dieselben 
daneben,  angewiesen,  sich  mit  den  Lehrercollegien  darüber  in  Berathung 
zu  setzen,  wie  zugleicl\  seitens  der  Schule  dem  erfahrungsmäszig  her- 
vorgetretenen Nachtheile,  dasz  selbst  bei  befähigten  und  fleiszigen  Sohü- 
lern  das  Maturitätsezamen  zu  einer  Ueberanstrengung  im  letzten  Se- 
mester Veranlassung  gegeben  hat,  wirkswn  vorgebeugt  werden  kann. 


340  Bericbte  aber  gelehrte  Anstalten,  Verordnungen ,  itatint.  Motiiea. 

Wenn  man  dabei  an  die  Yersnchnng^  erinnert,  über  den  für  das  V^ymnim 
bestehenden  Maszstab  noch  hinauszugehen ,  wie  an  die  weitere ,  dem 
blos  gedächtnismiiszigen  Wissen  einen  besonderen  Werth  beizulegen,— 
an  die  Noihwendigkeit ,  durch  öftere  Repetitionen  in  den  Unterrichta- 
gegenstUnden,  welche  vorzugsweise  das  Gedächtnis  in  Anspruch  nehmen, 
der  Einprägung  der  Schüler  zu  Hülfe  zu  kommen,  so  sind  damit  Ge- 
sichtspunkte bezeichnet,  die  auch  in  den  Berichten  der  einzelnen  Herren 
Directoren  bereits  hervorgehoben  worden  sind  und  als  die  nächaten  An- 
haltspunkte sich  darstellen,  den  Umkreis  der  Berathung  aber  keines- 
wegs begrenzen.' 

Marburg.]  Das  Lehrercollegium  hatte  im  verflossenen  Schuljahre 
keine  weitere  Veränderung  erfahren,  als  dasz  der  ordentliche  Lehrer  Dr 
Weber  an  das  Gymnasium  zu  Cassel  versetzt  und  zum  Ersatz  für  den- 
selben der  Gjmnasialpraktikant  Krause,  der  bisher  am  Gymnasxnm  zu 
Rinteln  thätig  gewesen  war,  mit  der  Aushülfeleistung  beauftragt  and 
bald  darauf  zum  Hülfslehrer  bestellt  wurde.  Der  Candidat  des  Gjm- 
nasialfehramts  Buderus  wurde  dem  Gymnasium  als  Praktikant  zuge- 
wiesen. Bestand  des  Lehrercollegiums :  Dr  F.  Münscher  Director, 
Dr  Soldan,  Dr  Ritter,  Pfarrer  Fenner,  Dr  Collma&n,  Pfarrer 
Dithmar,  Fürstenau,  Hülfslehrer  Dr  Buchenan  und  Krause, 
beauftr.  Lehrer  Dr.  Schimraclpfeng,  Praktikant  Buderus,  Schreih. 
lehrer  Kutsch,  Gesang-  und  Turnlehrer  Peter.  Die  Schülerzahl  belief 
sich  auf  143  (I  19,  II  18,  III  ;i8,  IV  21,  V  29,  VI  18).  Abiturienten  8. 
Den  Schulnachrichten  ist  vorausgeschickt  eine  Abhandlung  des  Gymna- 
siallehrers Dr  Buchenan:  über  Burcard  Waldis  (40  S.  4).  Zuerst  wird 
das  Leben  des  B.  Waldis  erzählt,  in  dessen  Schicksalen  so  manche  R&ib- 
sel  zu  lösen  sind,  da  er  seine  Laufbahn  als  Mönch  beginnt,  dann  die 
Religion  wechselt  und  zu  einem  Handwerke  Übergeht  und  endlich  als 
evangelischer  Pfarrer  seine  Tage  beschlieszt;  sodann  werden  die  Schrif- 
ten desselben  mit  genauer  Angabe  des  vollständigen  Titels  der  Reihe 
nach,  und  zwar,  da  eine  Anordnung  derselben  nach  dem  Inhalte  wegen 
der  g^oszen  Verschiedenartigkeit  derselben  keinen  wesentlichen  Nntsen 
bieten  würde,  nach  der  Zeit  ihrer  Abfassung  vorgeführt.  Hier  und  da 
hat  der  Verf.  Ergänzungen  zu  Mittlers  und  Gödekes  trefflichen  Zusam- 
menstellungen geliefert  und  vor  allen  Dingen  die  Vorreden ,  auf  denen 
ja  wesentlich  die  Kenntnis  von  Waldis  Persönlichkeit  und  Lebensschick- 
salen  beruht ,  in  extenso  abdrucken  lassen. 

Rostock,  10.  Nov.  1857]  Am  heutigen  Tage  feierte  der  Herr  Prof. 
J)r  Bachmann  das  Fest  seiner  25jährigen  Amtsführung  als  Director 
des  Gymnasiums  und  der  Realschule  hierselbst.  Am  frühen  Morgen  brach- 
ten die  Schüler  der  verbundenen  Lehranstalten  ihrem  innigst  geliebten 
und  verehrten  Director  einen  festlichen  Morgengesang.  Um  8*;^  Uhr  be- 
glückwünschten den  Jubilar  die  Herred  Condir.  Dr  Mahn  und  Condir. 
Prof.  Dr  Busch  yn  Namen  des  gesamten  Lehrercollegiums,  and  über- 
reichten ihm  folgende  auf  Pergament  gedruckte  und  in  Seide  gebundene  Vo- 
tivtafel:  Q.F.F.F.Q.S.  LUDOVICO  ERNESTO  BACHMANNO 
Philosophiae  Doctori  Antiquarum  litterarum  in  Academia  Rostochiensi 
Prof.  P.  O.  Societatum  antiquar.  et  Teuton.  Lips.  et  Natur.  Scmtator. 
Lips.  Socio  et  Graec.  Lips.  Socio  Honorario.  Viro  abundanti  prompta 
parataque  doctrina  qui  quam  incluta  Porta  celeberrimum  illud  litterarum 
domicilium  adolescenti  viara  commonstraverat  eam  naviter  constanter 
strenueque  persecutus  cum  accuratissima  non  e  libris  solis  petita  sed 
ipsius  aeterqae  urbis  et  antiquae  artis  miraculorum  adspectn  parta  em- 
ditae  antiquitatis  cognitione  band  mediocrem,  recentiomm  litterarum 
omniumque  graviorum  disciplinarum  scientiam  coninngit  omnibosqne 
summae  solertiae  gravitatis  et  vegeti  ingenii  in  vivido  pectore  vigentis 
exempliim  praebet  illustre;   Critico  singnlari  mentis  acie  praedito  qvi 


Berichte  fiber  gelehrte  Anstalten,  Verordnungen,  Statist.  Notisen.  341 

doctrinae  late  diffnsae  docnnienta  edidit  praeclarissima  et  qxmm  mnlt» 
q[tiae  latuerapt  antiqnitatis  monnmenta  primus  in  lucem  protulit  tum 
scriptori  difficillimo  et  prope  conclamato  viiam  ac  salatem  reddidit, 
Oratori  et  Poetae  ornatissimo  venustisslmo  gravissimo  quf  summa  di- 
eendi  ae  scribendi  facultate  praestat  et  canrminibns  caooris  et  yerboram 
elegantia  splendoreque  sententiamm  maxime  insignibns  Prineipem  ac 
patriam  celebravit,  Amico  amicis.  quos  plnrimos  vel  in  remotis  terris 
'momm  snavitate  doctrina  pmdentia  sua  sibi  eonciliavit  fidelissimo,  CoU 
legae  dilectissimo  et  coniunctissimo,  Adolescentinm  ad  praeclarissima 
hmnanitatis  studia  dnci  egregio,  hune  festnm  maltoraroqne  yotis  exopta- 
tnm  diem  quo  ante  hos  quinqne  et  viginti  annos  scholani  publicam  civi- 
tatis Rostochiensis  quam  difficillimis  saepe  temporibus  snmmo  patriae 
et  littlBrarum  emolumento  ad  magnum  florem  adduxit  faustis  oqpinibns 
regendam  snscepit  piis  votis  ex  intimo  pectore  nuncnpatis  ut  reliqnam 
eins  vitam  salva  iidelissima  atqne  amantissima  coniuge  salvis  dilectissi- 
miB  liberis  generis  nepotibns  quibns  se  auctum  merito  laetatur  ad  Ion- 
gissimnm  finem  Dens  Optimns  Maximns  protrahat  et  lenissimo  cnrsu 
protrahat  ex  animo  gratulantur  CoUegae  scholae  pnblicae  civitatis  Ro- 
stochiensis D.  D.  D.  die  X.  m.  Novembris  a.  MDCCCLVII.  Auszerdem 
tiberreichte  Herr  Dr  Wen  dt  dem  Jubilar  als  Gratulationsschrift  eine 
Abhandlung  über  Kriemhildens  Traum  und  Herr  Prof.  Dr  Fritzsche  ein 
lateinisches  Programm  de  choris  Euripideis ,  während  der  Jubilar  seine 
Collegen  durch  einen  Abdruck  der  lateinischen  Rede,  welche  er  beim 
Antritte  seines  Amtes  vor  25  Jahren  gehalten  hatte  ,  und  durch  eine 
Bestandsliste  der  damaligen  Schüler  des  Gymnasiums  und  der  Real- 
schule erfreute.  Um  10  Uhr  wurde  der  Jubilar  von  den  jüngsten  Mit- 
gliedern des  Collegiums,  den  Herren  Dr  Holst en  und  Dr  Krüger,  aus 
seiner  Amtswohnung  in  den  festlich  geschmückten  Schulsaal  geleitet, 
wo  sUmtliche  Lehrer  und  Schüler  versammelt  waren  und  den  Jubilar 
emipfiengen.  Nach  einem  von  den  Schülern  vorgetragenen  Festgesange 
sprach  Herr  Pastor  Dr  Balck  ein  erhebendes  Dankgebet,  worauf  die 
Primaner  Philippi  und  Engel  ihre  und  ihrer  Mitschüler  Gefühle  und 
Wünsche  in  lateinischer  und  deutscher  Sprache  ausdrückten.  Nachdem 
Herr  Dir.  Prof.  Bachmann  in  tiefster  Rührung  seinen  Dank  für  die 
Tielen  Beweise  der  Liebe  iftid  Achtung,  welche  ihm  dargebracht,  ausge- 
sprochen hatte,  schlosz  ein  feierliches  Amen  diesen  festlichen  Act.  Um 
2  Uhr  Nachmittags  versammelte  ein  Festmahl  das  gesamte  Lehrercolle- 
giom  im  Hotel  de  Russie. 


Personalnotizen. 


ErnennuBapen,  Anitellmni^eii »  TersetsanipeB  s 

Aschenbach,  Dr,  Rector,  zum  Director  des  Paedagogiums  zu  Sfeld 
ernannt.  —  Berdnscheck,  Dr  Herrn.,  Lehrer  am  Cadettenhause  in 
Berlin,  zum  ordentl.  Lehrer  am  neu  errichteten  Progymn.  zu  Berlin  er- 
nannt. —  Bill,  Conr.  am  Gjmn.  zu  Hadamar,  als  Pror.  mit  dem  Titel 
Professor  an  das  Paedagog.  zu  Dillenburg  versetzt.  —  Binde,  F.  R., 
SchAC,  als  ord.  Lehrer  am  ev.  Gjmn.  in  Groszglogau  angestellt.  — 
Bogler,  Collaborator  am  Gelehrtengjmn.  zu  Wiesbaden,  zum  Conrector 
befördert.  —  Ebhardt,  CoUabor.  das.,  desgl.  —  Eickemeyer,  Dr, 
Conr.,  vom  Gymn.  in  Weilburg  in  gleicher  Eigensch.  an  d.  G.  zu  Ha- 
damar versetzt.  —  Haaow»  Octav.,  ord.  Lehrer  am  Gymn.  zu  Luckan, 


342  Personalnotizen. 

in  gleicher  Eigenschaft  an  d.  Gvmn.  zn  Lissa  yersetzt.  —  Hirsch- 
felder, Dr  W.ilh.y  SchAC,  zam  ord.  Lehrer  am  neu  err.  Progymn.  in. 
Berlin  ernannt.  —  Ilberg,  Dr  Hug.,  vorher  am  Gymn.  za  Stettin,  als 
ord.  Lehrer'an  d.  Paedagoginm  des  Kl.  U.-L.-Fr.  in  Magdeburg  beru- 
fen. — ^  Junghans,  Dr,  Gymnasiallehrer  in  Greifswald,  als  Oberl.  an 
d.  Gymn.  zu  Dortmund  versetzt.  —  Kalmus,  Otto,  wissensch.  Hülfsl. 
am  Domgymn.  zu  Halberstadt,  zum  ord.  Lehrer  am  Gymn.  su  Treptow 
a.  R.  ernannt.  —  Krause^  Dr  Jul.,  Oberlehrer  am  Kl.  U.-L. -Fr.  in 
Magdeburg,  zum  Kector  des  neu  errichteten  Progymnasiums  in  Berlin 
(Bellevue  Str.)  ernannt.  —  Kruse,  Frdr.,  SchAC. ,  zum  ord.  Lehrer 
an  ders.  Anst.  ernannt.  —  Kühlenthal,  Geh.  Regier ungsrath,  zum 
Geh.  Ober-Regierungsrath  im  Ministerium  der  geistl.,  Unterrichts-  und 
Medicinalangclegenheiten  in  Berlin  ernannt.  —  Lang,  Dr  L.,  Studien- 
lehrer in  Regensburg ,  an  das  Ludwigsgymn.  in  München  yersetzt.  -^ 
Lichtenberg,  Gymnasiallehrer  in  Hersfeld,  in  gleicher  Eigenschaft  an 
das  Gymn.  zu  Hanau  versetzt.  —  Paul,  Dr  The  od.,  Lehrer  am  ev. 
Gymn.  zu  Groszglogau,  zum  ord.  Lehrer  am  neu  errichteten  Progymn. 
zu  Berlin  ernannt.  —  Rathmann,  Jo.,  wiss.  Hülfslehrer,  cum  ord. 
Lehrer  am  Paedagog.  des  Kl.  U.-L. -Fr.  in  Magdeburg  befördert.  — 
Schmidt,  DrArn. ,  SchAC,  zum  ord.  Lehrer  am  neu  err.  Progymn. 
in  Berlin  ernannt.  —  Schuh,  G.,  Lehraratsc,  als  Studienlehrer  an  d. 
lat.  Schule  in  Regcnsburg  angestellt.  —  Schwarz,  Dr  Alex.,  ColUbor. 
an  d.  lat.  Hauptsch.  zu  Halle,  als  ord.  Lehrer  an  die  Realschule  in 
Siegen  versetzt.  —  Seeber,  Lehramtsc. ,  als  Lehrer  der  Mathem.  und 
Physik  am  Gymn.  zu  Münnerstadt  angestellt.  —  Seyberth,  Coll»bor« 
am  Gymn.  zu  Wiesbaden,  zum  Conrector  befördert.  —  Voigt,  Wilh., 
Oberl.  an  der  Realschule  in  Aschersleben,  in  gl.  Eigensch.  an  d.  Gymn« 
zu  Dortmund  versetzt.  —  Wagner,  Collabor.,  von  Wiesbaden  an  das 
Gymn.  zu  Weilburg  versetzt.  —  Wiese,  Dr  L.,  Geh.  Regicrungsrath  im 
Ministerium  der  geistl.  u.  Unterrichtsangelegenheiten  in  Berlin,  lom  Oeh, 
Ober-Regierungsrath  ernannt. 

Praedlciernnipen : 

Franoke,  Conr.  am' Gymn.  zu  Weilburg,  als  Professor.  — Mei- 
ster, Conr.  am  Gymn.  zu  Hadamar,  als  Professor.  —  Österwald,  Dr 
C.  W.,  Oberl.  am  Gymn.  in  Merseburg,  als  Professor.  —  Stier,  Gli., 
ord.  Lelurer  am  Gymn.  zu  Wittenberg,  als  Oberlehrer. 

Q^ulescieri  t 

Schmztthenner,  Prof.  am  Gelehrtengymnasium  in  Wiesbaden. -^ 
Thomas,  Collaborator  am  Gymn.  in  Hadamar. 

Gestorben  t 

Am  25.  März  in  Danzig  Dr  C.  Theod.  Anger,  Prof.  der  Mathe- 
matik am  das.  Gymn.  —  Am  13.  April  Dr  Beckel,  Gymnasialprofessor 
in  Münster,  um  die  Geschichte  Westphalens  verdient.  —  Am  28.  April 
in  Berlin  der  grosze  Physiolog  Prof.  Dr  Job.  Müller,  geb.  zu  Coblens 
am  14.  Juli  1801.  —  Am  10.  Mai  in  Frankfurt  a.  d.  O.  der  durch  viele 
Schriften  bekannte  Oberprediger  Dr  C.  W.  S  piek  er,  früher  Prof. 
theol.  an  der  das.  Universität.  —  Am  12.  Mai  ßu  Leipzig  Dr  tb.  Qe. 
Bened.  Winer,  Kirchenrath  und  ord.  Prof.  der  Theol.  an  der  das. 
Univ.,  geb.  1780  in  Leipzig,  1817  Privatdoc.  in  Leipzig,  1823  Prof.  in 
Erlangen,  seit  1832  wieder  in  Leipzig. 


Zweite  Abtheilung 

henmsgegeben  tob  RHdolph  Dietsch. 


22. 

Ueber  die  Bildung  des  Gefühls. 


Ich  kann  es  nicht  in  Abrede  stellen  dass  W  i  e  s  e  s  Vortrag  über 
die  Bildung  des  Willens  zu  den 'nachfolgenden  Betrachtungen  die  erste 
Anregung  gegeben  hat.  Ich  fand  in  diesem  Vortrage  eine  Reihe  von. 
Ideen  tief  und  ernst  entwickelt  in  denen  ich  wiederzuerkennen  glaubte 
was  mich  selbst  lange  und  schöne  Jahre  voll  idealen  strebens  bewegt 
und  beschäftigt  hatte,  und  es  knflpften  sich  daran  sofort,  fast  ohne 
mein  lathnn,  Beobachtungen  und  Reflexionen  wie  sie  einem  denkenden 
Schalmanne  die  tägliche  Erfahrung  und  Sorge  zuführt.  Darüber  nun 
dasi  die  Bildung  des  Willens  zum  Zielpunkt  der  erziehenden  Thatig- 
keit,  zum  Centralpunkte  der  Schule  zu  machen  sei  war  ich  längst  nicht 
mehr  in  Zweifel,  und  hatte  gelegentlich  in  gleichem  Sinne  wie  Wiese 
mich  auszusprechen  gewagt;  über  das  Verhältnis  aber  in  weiches  zu 
dieser  Willensbildung  die  übrigen  Kreise  des  geistigen  Lebens  zu 
setzen,  über  die  Art  und  Weise  wie  alle  Kräfte  des  Leibes  und  der 
Seele  dem  Willen  und  seiner  Bildung  tribulär  zu  machen,  über  die 
Mittel  und  Wege  wie  dem  Willen  neue  und  reiche  Hülfsquellen  zu 
eröffnen  seien ,  war  ich  ununterbrochen  bemüht  mir  klarere  festere 
Vorstellungen  zu  verschaffen  und  überhaupt  die  Frage  von  dem  Boden 
des  theoretischen  und  geschichtlichen,  auf  welchem  sie  Wiese  gehalten, 
aaf  den  des  empirischen  und  praktischen  zu  verlegen.  So  sind  die 
folgenden  Betrachtungen  entstanden,  die  es,*  eben  aus  dieseqi 
Grande,  ablehnen  mästen  als  eine  wissenschaftliche  Behandlung,  wie 
es  die  Wiesesche  Schrift  ist,  zu  gelten. 

Es  hat  nicht  blosz  in  der  Pädagogik,  sondern  auch  in  der  Litte- 
ratur,  ja  selbst  im  Leben  des  deutschen  Volkes,  Zeiten  gegeben  in 
denen  das  Gefühl  eine  überaus  hohe  Bedeiitung  gehabt,  die  sorgfältig- 
ste Betrachtung  und  treueste  Pflege  erfahren  und  faclisch  eine  gewisse 
Macht  ausgeübt  hat.  Es  hält  bei  solchen  Zeitrichtungen  und  Zeitbe- 
stimmungen überhaupt  schwer  mit  Zahlen  scharfe  und  feste  Grenzen 
ziehen  zu  wollen:  man  wird  jedoch  im  allgemeinen  nicht  sehr  irren 

iV.  Jahrb,  f,  Phü,  u.  Paed.  Bd  LXXVIIl.  Hft  7.  23 


344  Ueber  die  Bildung  des  Gefühls. 

wenn  man  die  Periode  der  deutschen  Freiheitskriege  als  eine  solche 
Grenze  ansieht.  Ich  habe  früher  oft  Gelegenheit  gehabt  mit  gebildeten 
Personen  deren  Jugendbildung  jenseits  jener  Kriege  lag  innigst  lu 
verkehren,  ihre  geistige  Eigenthümlichkeit  genau  zu  beobachten  und 
ihren  Charakter  mit  dem  der  jüngeren  Generation  zu  vergleichen,  und 
es  ist  mir  stets  ein  merkwürdiger  und  tiefer  Unterschied  zwischen 
ihnen  aufgefallen.  Nicht  dasz  die  letztere  nicht  gleichfalls  starker  oifd 
tiefer  Gefühle,  welche  sich  zu  Leidenschaften  steigerten,  fähig  gewe- 
sen wäre:  aber  diese  Gefühle  standen  vereinzelt:  das  Gefühl  als  eine 
Totalität,  als  eine  Sphäre  des  geistigen  Lebens  für  sich  war  nicht 
mehr  in  der  früheren  Weise  bei  ihr  zu  finden.  Offeni^r  waren  die 
Zeiten  der  Schmach,  des  Druckes  und  der  Noth,  welche  über  Deutsch- 
land gekommen  waren,  dann  die  der  groszen  Erhebung,  der  helden- 
müthigen  That  und  der  stolzen  Erinnerung  dem  leisen,  zarten,  nach 
innen  gekehrten,  in  sich  selbst  stille  Befriedigung  suchenden  Gefühle 
nicht  günstig,  —  und  die  Gesinnungen  und  Bestrebungen  welche  seit- 
dem gefolgt  sind,  die  politischen,  industriellen,  materiellen  und  egoi- 
stischen Tendenzen  haben  von  Jahr  zu  Jahr  mehr  dahin  gewirkt  das 
innere  Heiligthum  der  Seele,  in  welchem  die  Gefühle  quellen,  zu  zer- 
stören und  zu  entweihen.  Denn  das.Princip  des  Gefühlslebens  ist  die 
Liebe:  die  Selbstsucht  aber  im  groszen  wie  bei  dem  einzelnen  ist  der 
Tod  des  Gefühls.  Wir  nun ,  meine  ich ,  nähern  uns  dem  Momente  wo 
diese  Sphäre  unseres  inneren  Lebens,  des  tiefsten,  verborgensten, 
erlöschen  und  die  kühlen,  frischen  Brunnen  des  Herzens  versiegen 
werden. 

Wenn  ich  hier  vom  Gefühle  spreche  so  denke  ich  natürlich  nicht 
an  die  vielen  Gefühle  mancherlei  Art  welche  heut  wie  immer  die  Brust 
des  Knaben  und  des  Jünglings  erfüllen :  sie  sind  zum  Theil  physischer, 
zum  Theil  pathologischer  Natur  und  gehören  insofern  nicht  in  unsere 
Betrachtung:  sie  sind,  auch  wenn  sie  mehr  sind  als  das,  doch  mehr 
vereinzelte  Regungen  und  vorübergehende  Stimmungen:  ich  spreche 
vielmehr  von  jenem  dauernden  und  allgemeinen  Zustande  der  Seele  in 
welchem  sie  empfänglich  und  fähig  ist  von  einer  ObjectivitSt  welche 
ihr  gegenüber  tritt  oder  treten  möchte  ergriffen,  bewegt,  in  eine  ge» 
wisse  Spannung  gebracht  und  in  dieser  Spannung  ihrer  sich  bewnst 
zu  werden.  Ich  würde  mich  gern  des  Ausdrucks  GefühlsTernO- 
gen  bedienen,  wenn  d.ieser  nicht  in  der  neueren  Psychologie  einiger- 
maszen  in  Miscredit  gekommen  wäre.  Versuchen  wir  es  jedoch  uns 
über  das  worum  es  sich  hier  handelt  zn  verständigen.  Die  Natar  ist, 
während  sie  objectiv  die  eine  und  selbe  ist,  für  die  verschiedenen 
Personen  welche  zu  ihr  in  eine  Beziehung  treten  eine  durchiae  ver- 
schiedene. Der  Knabe  durchstreift  den  Wald  um  Vogelnester,  Käfer 
oder  Blumen  zu  suchen  oder  in  den  dunkeln  Verstecken  desselben  sieh 
an  knabenhaftem  Spiel  zu  erfreuen:  der  Jüngling  ergeht  sich,  ohne 
an  Vögel,  Käfer  oder  Blumen  zu  denken,  in  der  grünen  Waldesnacht 
und  gibt  sich,  je  uach  der  tiefen,  innerlichen  Empfänglichkeit  und 
Fähigkeit  seiner  Seele  die  Natur  auf  sich  wirken  zu  lassen,  bis  iwn 


lieber  die  Bildung  dei  Gefäbls.  345 

selbstvergessen  an  die  Macht  der  Natur  hin.  Geschieht  dies  nun  nicht 
eiamal,  unter  besonderen  äusseren  Einflüssen  oder  sufälligen  Stim- 
mangen ,  sondern  ist  seine  Seele  dauernd  in  der  Verfassung  von  der 
Natar  in  dieser  Weise  afficiert  zn  werden,  so  besitzt  er  das  was  wir 
Gefahl  far  die  Natur  nennen  wOrden.  In  derselben  Weise  würden  wir 
Bun  von  einem  Gefühle  für  das  schickliche  und  geziemende,  für  das 
grosie  und  edle,  für  das  wahre  und  sittliche,  für  die  Religion  spre- 
eben  können,  wenn  diese  Objectivitälen  dauernd  für  jemand  eine  span- 
nende Kraft  besitzen.  Eben  so  könnte  nun  von  dem  Gefühle  überhaupt, 
ohne  eine  Beziehung  auf  diese  oder  jene  specielle  Objectivität,  die 
Rede  sein ,  wenn  die  aligemeine  Empfänglichkeit  für  eine  derartige 
Objectivität  jemand  zugesprochen  wird.  Diese  Verständigung  ist  mir, 
obwol  sie  natürlich  keinen  philosophischen  Werth  hat,  ausreichend, 
da  wir  es  ^ier  nicht  mit  einer  psychologischen,  sondern  mit  einer 
pädagogischen  Frage  zn  thun  haben. 

Wenn  man  nun  fragt  ob  dies  Gefühl  denn  als  dauernde  Qualität 
Hnd  habitoelle  Kraft  der  Seele  in  früheren  Zeiten  wirklich  vorhanden 
gewesen  sei ,  so  werden  wir  diese  Frage  im  allgemeinen  mit  ja  beant- 
worten müssen. 

Ein  groszer  Theil  unserer  schönen  Litteratur  spricht  direct  die 
Innigkeit  und  Tiefe  des  Gefühls  ans  welches  nicht  blos  die  Dichter 
beseelte,  sondern  überhaupt  die  gebildeten  Kreise  der  deutschen  Na- 
tion durchdrang.  Denn  Dichter  und  Leser  haben  hier  wie  überall  in 
energischer  Wechselbeziehung  zueinander  gestanden.  Die  Töne  welche 
der  Dichter  anschlug  waren  durch  die  allgemeine  Stimmung  des  Vol- 
kes, der  sie  erst  den  entsprechenden  Ausdruck  gaben,  hervorgerufen 
worden;  andererseits  haben  die  Dichter  allerdings  ebenso  sehr  die 
Heilbarkeit  der  Seele  welche  ihnen  entgegenkam  gesteigert  und  das 
Gefühl  zu  einem  Bewustsein  über  sich  selbst  erhoben.  Der  Werther 
kitte  von  Goethe  nicht  geschrieben  werden  können,  wenn  diese  Stim- 
■MDg  nicht  im  Leben  und  in  der  Wirklichkeit  vorhanden  gewesen 
wäre:  wie  denn  dies  die  vor  kurzem  von  Kästner  herausgegebenen 
Briefe  Goethes  auf  die  allerunzweifelhafteste  Weise  darthun.  Was 
dem  Werther  seine  ungeheure  Wirkung  gab  war  eben  die  innere  Wahr- 
keit dieses  Buches,  welche  die  Leser  fiberwältigte.  Und  so  möge  man 
sieh  in  den  Kreisen  des  leipziger  Dichtervereins ,  unter  den  Freunden 
Klopstocks,  unter  den  Halberstädtern  und  Braunschweigern,  im  Hain- 
konde,  unter  den  Romantikern  und  wo  es  sonst  ist  umsehen,  und  man 
wird  flberali  das  Gefühl  in  gleicher  Stärke  hervorquillen  sehen.  Clau- 
dius hat  nicht  allein  gestanden ,  sondern  ist  von  unzähligen  edlen  und 
sdiönen  Seelen  empfunden  und  verstanden  worden. 

Es  sind  andere  Kreise  die  für  Klopstock,  andere  die  für  den  wei- 
marischen Kreis  begeistert  waren;  aber  selbst  Wieland  und  seine 
Verehrer  würde  es  sehr  schmerzlich  betroffen  haben,  wenn  man  an 
ihrer  Seele  das  Vermögen  zarter  Empfindung  und  tiefen  Gefühles  hätte 
bezweifeln  wollen.  Es  wäre  sehr  Ihöricht  zu  glauben  dasz  es  in  den 
Zeiten  der  Aufklärung,  des  Rationalismus,  des  Kosmopolitismus  inner- 

23* 


346  lieber  die  Bildung  des  Geftthls. 

halb  der  Kreise  welche  diesen  Tendenzen  huldigten  an  Gefühl  gefehlt 
hätte:  so  viel  ich  mich  selbst  erinnern  kann  und  so  viel  ich  aus  den 
Werken  der  Litteratur,  aus  Briefwechseln  und  Biographieen  sehe,  bat 
man  gerade  hier,  dicht  neben  der  kahlen  und  kalten  Verständigkeit, 
eine  kaum  geahnte  Tiefe,  Innigkeit  und  Stärke  des  Gefühls  gehabt. 
Damit  man  nicht  glaube  dasz  ich  blos  ins  allgemeine  rede  will  ich 
einem  und  dem  andern  meiner  Leser  einen  Mann  in  die  Erinnerung  za- 
rückrufen  der  nicht  blos  der  gefeierte  Kanzelredner',  der  würdige 
Seelsorger,  sondern  in  unzahligen  Häusern  Berlins,  und  zwar  in  des 
besten  und  edelsten,  der  angebetete  Seelenfreund  war,  an  den  Probst 
H  an  stein:  wie  ihm  die  Herzen  entgegenschlugen  und  sich  öffneten, 
wenn  er  in  eine  Familie  eintrat,  und  wie  durch  sein  bloszes  erscheinea 
•^  und  es  bedurfte  selbst  dessen  kaum  —  ein  Strom  der  heiligsten  und 
reinsten  Gefühle  eröffnet  wurde.  Meine  Erinnerungen  gehen  noch  wei- 
ter zurück,  bis  in  den  Freundeskreis  der  den  verehrten  Mann  in  Tau- 
germünde  umschlosz,  dessen  letzte  Glieder  ich  noch  oft  als  Knabe  und 
Jüngling  gesehen  habe.  Es  würde  unserec  Zeit  als  ein  Mährchen  er- 
scheinen in  welcher  Gemeinschaftlichkeit  des  reichsten  nnd  edelsten 
Gefühles  jene  Männer  lebten  nnd  webten,  wenn  das  Factum  nicht  ganz 
unzweifelhaft  bezeugt  wäre,  wie  'ja  auch  die  Biographie  Hansteint 
davon  Belege  gibt.  Man  mag  doch  über  den  Rationalismus  sagen  was 
man  will;  aber  vor  der  Meinung  wenigstens  sollte  man  sich  hüten ^  es 
habe  in  seinem  Kreise  nur  ein  kalt  verständiges,  herz- nnd  gemütloses, 
für  höhere  und  edlere  Gefühle  unempfängliches  Wesen  geheraoht.  Dia 
Innigkeit  und  Wärme  des  Gefühls  ist  vielmehr  im  Leben  auch  da  ansn- 
treffen  wo  man  in  Litteratur,  Politik,  Religion  offenbar  entgegenge- 
setzten Tendenzen  huldigte :  man  hat  sich  von  Klopstock,  Glandioa  oaw. 
oft  mit  Widerwillen  abgewandt,  und  doch  in  Gefühlen  gelebt  nnd  aiok 
auf  sein  fühlen  können  selbst  etwas  zu  gute  gethan. 

Diese  Richtung  auf  das  Gefühl  ist  aber  auch  in  denjenigen  Kreisen 
um  die  es  sich  für  uns  handelt,  d.  h.  im  Kreis  der  Schale,  eine  aahr 
starke  gewesen.  Es  sind  uns  nicht  viele  Mittel  geboten  in  das  innere 
Leben  und  den  Geist  der  Schulen  viele  Blicke  zu  thnn:  wo  wir  aber 
näheres  finden,  sehen  wir  eine  Fülle  von  Empfindung,  frühzeitig  ein 
poetisches  Interesse  und  Drang  zu  poetischer  Schöpfung ,  Verlangen 
nach  persönlicher  Auszeichnung  ohne  niederen  Egqismus>n.  dgl.  Se 
lernen  wir  Klopstocks,  Wielands,  Herders,  Goethes,  Schillers  Jagend 
kennen;  von  der  Schule  des  hallischen  Waisenhauses  hat  dieser  ge- 
mütvolle und  sinnige  Ton  sich  nach  allen  Seiten  hin  verbreitet,  und 
die  groszen  und  hochgebildeten  Pädagogen  welche  uns  an  der  Schwelle 
dieses  Jahrhunderts  entgegentreten,  ein  Niemeyer,  ein  Schwärs, 
sind  völlig  von  diesem  Geiste  durchdrungen:  es  könne  niemand  ein 
wahrer  Erzieher  sein  der  nicht  von  warmer  Liebe  Seelen  zu  snehea 
und  zu  bilden  sich  getrieben  fühle. 

Indes  konnte  es  nicht  fehlen  dasz  diese  Richtung  auf  das  Gefühl 
starke  Gegensätze  gegen  sich  hervorrief.  Wenn  das  Gefühl  eine  Span- 
nung ist  ia  welche  die  menschliche  Seele  durch  ein  objectives  welehes 


Ueber  die  Bildang  des  Gefühls.  347 

ihr  gegen  übertritt  versetzt  wird,  so  liegt  es  nahe  dasz  diese  Spannung 
zü  einer  Ueberspannung  sich  steigere,  und  das  Gefühl  zur  Sentimentali- 
lit  forciert  werde,  in  welcher  das  Gefühl  zu  einer  Unwahrheit  und 
Carricatur  wird  und  sich  selber  vernichtet.  Die  Litteraturgeschichte 
gibt  uns  mehr  als  einen  Beweis  dafür  dasz  diese  Sentimentalität  in  ihr 
Gegentheil  umschlägt.  Man  vergleiche  Wieland  in  den  dunkeln  Alleen 
des  Klosters  Bergen  mit  dem  späteren ,  und  man  hat  einen  Beleg  für 
das  gesagte.  Diese  Sentimentalität  ist  im  groszen  und  ganzen  den 
Schalen  fern  geblieben :  in  der  Litteratur  dagegen  hat  sie  einen  breiten 
Raum  eingenommen  und  in  Romanen  eine  ungeheure  Wirkung  ausge- 
übt. Neben  dieser  Ueberspannung  des  Gefühls  haben  jedoch  auch  an- 
dere Kräfte  demselben  entgegengewirkt.  Das  Gefühl  liebt  die  Stille, 
*Zarfickgezogenheit  und  Einsamkeit:  wo  neue  Gebiete  sich  der  mensch- 
lichen Thätigkeit  oder  dem  Gedanken  eröffnen  fühlt  es  sich  nicht  hei- 
misch. Nun  gieng  in  dem  18n  Jahrhundert  allerdings  neben  diesem 
Gefühle  ein  reges  streben  her:  das  Studium  des  Alterthums  verjüngte 
sich  in  Winckelmann  und  Wolf:  die  Kritik  erhob  sich  mit  Lessing  über 
den  Standpunkt  der  Schöngeisterei :  die  Philosophie  wurde  durch  Ha- 
mann und  Kant  aus  ihrer  Sicherheit  aufgeschreckt :  es  gab  kein  einzi- 
ges wissenschaftliches  Gebiet  in  das  nicht  neue  Bewegung,  Leben  und 
Fortschritt  gekommen  wäre:  der  Krieg  in  Amerika  und  die  französi- 
sche Revolution  rissen  die  Gemüter  aus  ihrer  behaglichen  Ruhe  auf 
ODd  riefen  die  heftigsten  Leidenschaften  wach.  Viele  bedeutende  Gei- 
ster welche  früher  von  Empfindung  geglüht  halten  folgten  dem  Zuge 
der  Bewegung:  Goethe  vertiefte  sich  in  die  Welt  des  antiken  welche 
sich  vor  seinen  Blicken  aufthat,  Schiller  ergriff  die  philosophische 
Richtung,  Claudius  wandte  sich  den  groszen  Problemen  der  Religion 
und  der  Politik  zu.  Da  wurde  die  Zahl  der  schönen  Seelen,  deren 
Schönheit  in  stillem,  seligem  empfinden  geruht  hatte,  für  die  es  ge- 
BQgte  da  zu  sein ,  auch  wenn  sie  nichts  thaten  und  schufen,  immer  ge- 
ringer, bis  sie  endlich  in  dem  ersten  Jahrzehnt  unseres  Jahrhunderts 
Tcrschwand.  Was  sich  über  die  Stürme  hinaus  erhielt  welche  über 
QDser  Land  und  Volk  hereinbrachen  waren  wenige  Trümmer,  die  man 
kaum  noch  zu  verstehen  im  Stande  war. 

Und  nun  da  die  Zeiten  des  Gefühls  vorüber  sind  möchtest  du  er- 
alorbenes  wieder  ins  Leben  zurückrufen?  und  dem  das  sich  selbst  nicht 
hat  erhalten  können  einen  neuen  Halt  geben?  Gewis,  das  möchte  ich, 
weil  ich  fühle  wie  viel  gutes  uns  mit  dem  Gefühle  verloren  gegangen 
isl,  und  weil  ich  sehe  dasz  es  sowol  unserm  denken  als  auch  unserm 
leben  und  handeln  ohne  das  Gefühl,  ohne  ein  tiefes,  inniges  und  star- 
kes Gefühl,  an  einer  festen  und  sicheren  Grundlage  fehlen  müsse. 

Man  macht  unserer  Zeit  den,  wie  ich  glaube,  durchaus  nicht  un- 
verdienten Vorwurf  dasz  sie  keiner  Begeisterung  und  keiner  Thatkraft 
für  die  Wissenschaft,  für  die  Tugend,  für  die  Wahrheit,  für  das  Vater 
land,  für  den  Glauben,  keiner  Achtung  für  das  Verdienst,  für  sittliche 
Grösze  mehr  ßihig  sei ;  woher  aber  soll  doch  diese  Begeisterung,  d.  b. 
dies  erfalltsein  des  einzelnen  Geistes  von  einem  höheren  Geiste,  kom- 


348  Ueber  die  Bildung  des  Gefabli. 

Dien,  wenn  die  Seelenkrafl,  welche  zuerst  diesen  höheren  Geist  m 
empfangen  und  zu  empfinden  bestimmt  ist,  abgestumpft  ist  ?  Im  G^fQhle 
tritt  dir  die  Natur,  das  edle,  das  wahre,  das  sittliche,  Gott  selbst  zu- 
erst als  eine  Macht  entgegen  die  du  zwar  mit  deinem  vorstellen  noch 
nicht  erreichen >  die  du  aber  doch,  da  du  ihre  Gewalt  und  ihre  Wir- 
kung fühlst,  als  eine  wahrhafte  Macht  anerkennen  muszt.  Wenn  der 
denkende  und  der  wollende  Geist  erst  im  Gefühle  eine  feste  Grundlage 
für  ihr  denken  und  wollen  erhalten  haben ,  so  streben  sie  mit  anderer 
Kraft,  anderem  Vertrauen,  anderer  Liebe  vorwärts,  als  wenn  sie  sieh 
um  nie  empfundenes  und  nie  selbst  erfahrenes  in  Indifferenz  abmflhen 
sollen.  Doch  ich  musz  es  andern  überlassen  diesen  ernsten  Gedanken 
weiter  zu  verfolgen;  ich  halle  mich  jedoch  fiberzeugt  dasz  viel  von 
dem  Unheil  unserer  Zeit  darin  seinen  Grund  habe  dasz  das  Gefühl  als 
die  allgemeine  Fähigkeit  der  Seele  von  einer  höheren  Objectivitit,  ich 
will  geradezu  sagen,  von  einem  unendlichen  und  abersinnlichen  be- 
wegt zu  werden  nicht  allein  vernachlässigt,  sondern  mit  gutem  Be- 
wustsein  geschwächt,  abgestumpft  und  ertödtet  ist. 

Auch  in  der  Schule  bricht  der  Mangel  an  Gefühl  in  der  Jngend 
von  Jahr  zu  Jahr  mehr  hervor,  wird  in  seinen  Aeuszernngen  imner 
mehr  erkennbar.  Ich  habe  bereits  eine  Reihe  von  SohülergeneratioBen 
um  mich  gesehen:  aber  so  weit  ich  in  der  Erinnerung  znrflckgelM, 
sehe  ich  in  ihnen  die  Macht  des  Gefühles  mehr  und  mehr  schwinden 
und  den  Boden  unter  meinen  Füszen  zurückweichen.  Ich  kann  nidit 
mehr  wie  sonst,  wenn  ich  den  faulen  Schüler  zum  Fleisze,  den  rohen 
zur  Sittsamkeit,  den  dissolnten  zu  Zucht  und  Gehorsam,  den  frechen 
zur  Gottesfurcht  anhalten  will,  an  eine  Stimme  in  ihm,  eben  nn  jenei 
Gefühl  in  welchem  er  jene  Mächte  als  Mächte  anerkennt  und  lieh  vor 
ihnen  beugt,  appellieren:  ich  finde  in  der  Jugend  nicht  mehr  tief  im 
Innern  die  Saite  welche,  angeschlagen,  widerklingen  sollte,  nickt  nMhr 
die  herzliche  wenn  auch  geheime  und  zurückgehaltene  Znstinmnnf  ■■ 
meinen  Worten.  Und  wenn  ich  durch  Gesetz  und  Strafen  den  inniero 
liehen  Gehorsam  und  den  gesetzlichen  Fleisz  erzwingen  kann,  so  ver- 
misse ich  doch  oft,  und  besonders  schmerzlich  bei  heranwachsenden 
Schülern,  die  volle  Harmonie  der  Seele  welche  sieh  in  Frendigkeit  des 
Strebens,  edler  Sitte,  offnem  Vertrauen  nnd  dauernder  Liebe  und  Ver- 
ehrung für  den  Lehrer,  für  die  Schule,  für  die  Wissenschaft  ansspriekl^ 
Es  ist  uns  wahrlich  nicht  zu  verdenken,  wenn  wir  schmerilich  fragen 
wohin  das  auslaufen  und  was  aus  der  Jugend  werden  solle,  wenn  es 
mit  uns  in  gleicher  Weise  fortgeht. 

Ich  könnte  mich  in  Beispielen  ergehen:  ich  denke  jedoch,  die 
älteren  Lehrer,  welche  bessere  Zeiten  gesehen  haben,  werden  eich 
deren  selbst  in  Menge  vorführen:  ich  unterlasse  es  aber  am  ao  nelnr, 
da,  wie  einmal  der  Charakter  der  Zeit  ist,  das  unangenehme  als  ans 
Uebelwollen  gesagt  erscheint,  zumal  wenn  die  Personen  sich  in  ihrer 
Blösze  getroffen  sehen.  Ich  frage  mich  daher  vielmehr  ob  es  nicht 
Mittel  und  Wege  geben  könnte  duroh  bewuste  Behandlung  dem  Geflihle 
neue  Lebenskraft  zuzuführen. 


lieber  die  Bildung  des  Gefühls.  349 

Es  hat  in  der  Pädagogik  eine  Zeit  gegeben  in  der^  wie  obei 
erwähnt,  das  Gefühl,  die  Erweckuog,  Pflege  and  Bildung  desselben, 
eine  hervorragende  Stelle  eingenommen  hat,  wo  man,  namentlich  in 
der  Schule  Pestalo'zzis,  das  Auge  darauf  gerichtet  hat,  in  ganz 
ähnlicher  Weise  wie  der  Mensch  durch  den  Umgang  mit  anschaulichen 
Gegenständen  zur  Kraft  eines  tieferen  abstracten  denkens  gelangt  und 
der  Weg  von  jenen  Anschauungen  zum  denken  festgestellt  und  vorge- 
schrieben wird,  ein  System  zu  gewinnen  durch  welches  der  Mensch 
TOD  Gefühlen,  die  seiner  sich  entwickelnden  moralischen  Natur  ent- 
sprechend sind,  zu  dem  Streben  gefuhrt  werde  nach  Grundsätzen 
fut  SU  handeln.  Denn  darin,  nach  Grundsätzen  gut  zu  handein,  sah 
man  was  den  Seelenadel  des  Menschen  bekunde  und  vollende:  die  Ge- 
fOhle  seien  als  das  Mittel,  die  Grundsätze  dagegen  als  der  Zweck  za 
betrachten.  Niederer  hat  sicher,  geglaubt  dasz  ein  solches  System 
moralischer  Bildung  zu  gewinnen  sei.  Jedenfalls  müsse  die  moralische 
Erziehung  mit  Erweckung  und  Pflege  der  Gefühle,  d.  h.  der  unmittel- 
baren innigen  Erfahrungen  des  Herzens,  der  moralischen  Anschauun- 
gen, wie  man  sich  ausdrückte,  beginnen,  und  hierzu  bereits  von  der 
Mutter  beim  Säuglinge  der  Grund  gelegt  werden.  Es  ist  einleuchtend 
dasz  für  eine  Pädagogik  welche  von  solchen  Principien  ausgieng,  sol- 
che Hoffnungen  hegte,  solchen  Zielen  zustrebte  es  kaum  fraglich  sein 
konnte  ob  eine  Erweckung  und  Pflege  des  Gefühls  möglich  sei,  .ob 
die  Kraft  des  Gefühles  erhöht  und  gesteigert  werden  könne;  um  so 
weniger  fraglich  da  man  ja  klar  erkannt  hatte  dasz  es  Mittel  gebe  dies 
selbe  Gefühl  systematisch  zu  schwächen  und  zu  zerstören ,  oder  aber 
die  UeberschwängUchkeit  des  Gefühles  in  seine  rechten,  natürlichen 
Schranken  einzuweisen.  Die  besonnenen  deutschen  Pädagogen  hegten 
in  Bezug  auf  jenes  erstrebte  System  weniger  sanguinische  Hoffnungen 
als  die  Schweizer:  indes  wiesen  sie  es  darum  nicht  zurück  gewisse 
Winke  zu  geben  wie  das  Gefühl  einerseits  gepflegt,  gehütet,  gefördert, 
nnderseits  gezügelt,  geleitet  und  beschränkt  werden  könne.  Man  findet 
dergleichen  bei  Niemeyer  sowol  in  seinem  gröszeren  Werke  als  in 
dem  kleineren  Compendium,  wo  sie  jeder  selbst  nachlesen  mag :  in  den 
neueren  Lehrbüchern  der  Erziehung,  z.  B.  dem  von  Palm  er,  sucht 
man  oft  vergebens  nach  einer  umfassenden  und  zusammenhängenden 
Behandlung  dieses  Gegenstandes ,  der  den  älteren  Pädagogen,  wie  ge- 
nagt, so  hochwichtig  erschienen  ist.  Ich  will  daher,  nachdem  ich  die 
Tragweite  der  Frage,  so  denke  ich,  in  volles  Licht  gesetzt  habe,  einige 
Anmerkungen  folgen  lassen ,  mehr  um  anzuregen  und  zu  reizen  als  um 
aelbst  diese  Frage  zu  erledigen. 

Es  versteht  sich  freilich  von  selber  dasz  die  Kraft  des  Gefühles 
picht  so  in  abstracto  und  im  allgemeinen  gepflegt  werden  könne,  son- 
dern indem  in  concreto  die  specißschen  Gefühle  culti viert  werden: 
hier  ist  nun  ein,  wie  es  mir  scheint,  wenig  beachtetes  Gesetz:  dasz, 
wenn  die  Kraft  des  Gefühls  verstärkt  werden  soll,  diese  specifischen 
Gefühle  gleichmäszig  und  sämtlich  gepflegt  werden  müssen. 

Ich  sage  nicht:  alle  zugleich,  alle  gleichzeitig:  denn  die  Seele 


350  lieber  die  Bildung  des  Gefühls. 

ij^ird  nicht  für  alle  zu  gleicher  Zeit  empfänglich.    So  werden  z.  B.  die 
Gefühle  der  Dankbarkeit ,  der  Liebe ,  des  Vertrauens  in  der  ersten  Ge- 
genseitigkeit in  welche  das  Kind  eintritt  und  zu  einem  Bewustsein  ge- 
langt, der  zwischen  Eltern  und  Kindern,  belebt  und  gebildet  werden 
können :  das  fromme  Gefühl,  in  der  bewust  werdenden  Gegenseitigkeil 
zwischen  Gott  und  dem  Menschen,  wird  sich  vielleicht  hieran  an- 
schlieszen ;  erst  spater  wird  das  Gefühl  für  das  schickliche  und  gezie- 
mende, gegenüber  dem  rohen  und  unanständigen,  sich  zeigen;  dann 
vielleicht  das  Gefühl  für  die  Natur  sich  beleben;  hierauf  erst  die  ei- 
gentlich moralischen  Gefühle,  für  Wahrheit,  Pflicht,  Recht,  Tugend, 
zur  Geltung  kommen.  Es  gibt,  wie  gesagt,  in  den  verschiedenen  Arten 
der  Gefühle  eine  Stufenleiter,  aber  nicht  bei  allen  Personen,  auch  nicht 
bei  allen  Lebensentwickelungen  dieselbe,  sondern  durch  die  Umstände 
sehr  manigfach  modificiert :  wie  sich  denn  jeder  erinnern  wird  bei  ei- 
ner bestimmten  Veranlassung  wo  alle  Altersgenossen  tief  bewegt  wa- 
ren allein  ohne  Empfindung  geblieben  zu  sein.    So  erinnere  ich  mich 
allein  an  dem  Sterbebette  eines  nahen  Verwandten  ohne  Thränen ,  fast 
allein  in  der  letzten  Religionsstunde  vor  der  Einsegnung  ohne  tieferes 
Gefühl  geblieben  zu  sein  und  mich  dieser  Gefühllosigkeit  recht  herzlich 
geschämt  zu  haben ,  ohne  jedoch  daran  etwas  andern  zu  können.    Es 
kommt  im  Grunde  nicht  sowol  darauf  an  dasz  die  Gefühle  in  einer  be- 
stimmten Folge  hervortreten  als  vielmehr  darauf  dasz  keines  der  we- 
sentlichen Gefühle  unbelebt  und  unentwickelt  bleibe.    Denn  man  wird 
mit  Sicherheit  darauf  rechnen  können,  dasz  wenn  eines  derselben  ver- 
kümmert, auch  die  übrigen  mehr  oder  weniger  darunter  leiden  und 
erkranken  werden. 

Denn  die  Gesamtheit  der  Gefühle  ist  kein  bloszes  Aggregat  Yon 
vielen  einzelnen,  sondern  vielmehr  ein  organisches,  lebendiges  ganzes, 
in  welchem  jedes  einzelne  Glied  seine  bestimmte  Stelle  einnimmt  nnd 
über  sich  selbst  hinaus  auf  die  andern  Glieder  in  diesem  ganzen  hin- 
weist. Wir  haben,  es  kann  dies  nicht  ernst  genug  erwogen  werden, 
einen  Organismus  von  Gefühlen  vor  uns,  welcher,  wenn  auch  nur  6in 
Glied  an  demselben  fehlt  oder  unausgebildet  bleibt,  zwar  nicht  völlig 
zerstört  wird,  aber  doch  als  verkrüppelt  erscheint.  Die  Wahrheit 
dieses  Satzes  kann,  einmal  ausgesprochen,  nicht  wol  verkannt  werden: 
indes  wird  es  nicht  unangemessen  sein  uns  durch  einige  rasche  Blieke 
von  ihr  zu  überzeugen.  Man  nehme  z.  B.  das  Gefühl  für  die  NaUir  hin- 
weg: wie  werden  das  fromme  Gefühl,  wie  der  Sinn  für  das  schöne, 
wie  die  Innigkeit  des  Herzens  dadurch  verkümmert  werden!  wie  durch 
diese  Rohheit  der  Natur  gegenüber  die  Gefühle  leiden  welche  den  Men- 
schem  dem  Menschen  gegenüber  beleben  sollen !  Ich  habe  es  oft  ge- 
sehen wie  Gefühllosigkeit  gegen  die  Natur  und  ihre  Geschöpfe  mit 
sittlicher  Rohheit  in  Verbindung  getreten  ist.  Wer  heut  Vogelnester 
ausnimmt,  mishandelt  morgen  seine  schwächeren  Mitschüler  und  ver- 
übt mit  Wolgefallen  gegen  seinen  Lehrer  Bubenstreiche.  So  halte  ich 
bei  Knaben  das  sammeln  von  Käfern  für  eine  sehr  bedenkliche  Sache: 
der  Gewinn  den  ihre  Naturkenntnis  daraus  zieht  steht  in  keinen  Ver- 


lieber  dießilduDg  des  Gefühls.  351 

baltnis  zu  dem  Schaden  den  ihr  defühl  hierdurch  erleidet.    Ich  habe 
Schüler  gekannt  die,  sobald  diese  Wut  Käfer  zu  sammeln  sie  ergriff, 
durch  das  herumstreifen  im  Walde  mit  Abneigung  gegen  das  sitzen  bei 
der  Arbeit  und  durch  die  Jagd  auf  diese  Thiere  mit  Gefühllosigkeit 
erfüllt  wurden,  an  der  sie  denn  auch  später,  ohne  dasz  wir  sie  hätten 
zurückbringen  können,  verkommen  und  untergegangen  sind.   Dagegen 
füllt  die  Botanik  die  Seele  mit  Aufmerksamkeit  und  Liebe  für  die  Na- 
tur, und  es  ist  mir  immer  als  ein  Schade  an  der  Seele  der  Knaben  vor- 
gekommen, wenn  die  Verhältnisse  es  uns  an  einer  Schule  unmöglich 
gemacht  haben  die  Botanik  mit  den  beiden  untern  Klassen  zu  treiben. 
Die  Praxis  stimmt  hier  mit  der  Theorie  völlig  überein;  der  Mangel  an 
Gefühl  für  die  Natur  ist  ein  schwerer  Verlust  für  die  zu  bildende  Ja- 
gend und  thut  allen  übrigen  Arten  der  Gefühle  Abbruch.  Man  vernach- 
lässige doch  den  Sinn  für  das  decorum,  für  Form,  für  Ordnung,  und 
man  wird  die  Folgen  bald  in  den  anderen  Kreisen  des  Gefühls  wahr- 
nehmen: das  Gefühl  für  die  Natur,  die  Verehrung  Gottes  wird  in  rohe 
nnd  stumpfsinnige  Gleichgültigkeit  umschlagen:  es  wird  dem  Erzieher 
eine  der  Stufen  fehlen  um  zur  Belebung  des  moralischen  Gefühles  em- 
porzusteigen, wenn  er  nicht  mehr  an  den  Sinn  für  das  schickliche  ap- 
pellieren, wenn  er  nicht  das  moralisch  schlechte  mit  einem  ^Pfui,  schäme 
dich!'  zurückweisen  kann.   Es  ist  von  einem  zwar  alten,  aber  doch 
nicht  veralteten  Pädagogen  das  schöne  Wort  gesprochen:  die  leibliche 
Reinigkeit  und  Sauberkeit  sei  eine  Vorschule  der  Frömmigkeit,  und 
der  Ordnungssinn  eine  Vorschule  der  Tugend.   Ich  nehme  ein  drittes 
Beispiel:  man  lasse  die  specifisch  moralischen  Gefühle,  für  Wahrheit, 
Recht,  Tugend,  Pflicht,  unbeachtet,  wie  man  es  denn,  mich  dünkt, 
vielfach  gethan  hat,  in  der  Meinung,  dasz  der  lebendige  Glaube  auch 
jene  Gefühle  bereits  in  sich  schliesze,  dasz  die  Sittenlehre  sich  von 
selbst  aus  der  Glaubenslehre  ergebe,  und  daher'nur  als  ein  integrie- 
render Theil  der  letzteren  vorzutragen  sei.    Ich  halte  dies  für  einen 
der  folgenreichsten  Irthümer,  der  offenbar  daraus  entsprungen  ist  weil 
man  mit  dem  Rationalismus  auch  die  Moral,  das  Hauptbollwerk  dessel- 
ben, aufgeben  zu  müssen  meinte.    So  ist  auch  die  Belebung  und  Bil- 
dung des  moralischen  Gefühles  in  den  Hintergrund  getreten,  was  denn 
natürlich  für  den  christlichen  Glauben  in  der  Jugend  die  Folge  gehabt 
hat  dasz  demselben  die  Beziehung  zu  dem  tief  in  der  Menschennatur 
liegenden  religiösen  und  sittlichen  Bewustsein  verloren  geht.    Ich  für 
meine  Person  sehe  hierin  besonders  den  Grund  zu  der  lief  betrübenden 
Erscheinung,  dasz  es  gerade  die  Söhne  von  strenggläubigen  und  eifri- 
gen Geistlichen  sind  welche  so  oft  dem  tadicalsten  Unglauben  und 
einem  zuchtlosen  Wandel  verfallen.    Das  fromme  Gefühl  ist.  in  ihnen 
frühzeitig  und  mit  einer  gewissen  einseitigen  Ueberspannung  angeregt 
worden,  ohne  dasz  die  moralischen  Gefühle  gleichmäszige  Pflege  er- 
fahren hätten.    Wohin  endlich  die  Geringachtung  der  Bildung  des  reli- 
giösen Gefühles  führe  ist  kaum  noch  einer  Erörterung  bedürftig.  Allen 
übrigen  Gefühlen  wird,  wenn  es* an  diesem  fehlt,  gleichsam  die  Krone 
abgebrochen;  allen  aber  wird  eben  so  woltief  im  Grunde  des  Herzens 


352  lieber  die  Bildung  des  Gefühls. 

die  Lebensworsel  abgeschniUen  welche  ihnen  gesande  nnd  heilBame 
Nahrangssäfte  zuführt.  Ja  man  kann  mit  Recht  sagen  dasz ,  wie  alle 
Objecti  vi  taten  welche  dem  Menschen  begegnen  allein  dadurch  dasi  sie 
in  der  letzten  dieser  Objectivitäten ,  in  Gott ,  ruhen  eine  Objeolivitit 
erhalteu  und  ohne  dies  nur  flüchtige  Schatten  sein  würden,  also  der 
Mensch  nur  dadurch  irgend  eines  Gefühles  fähig  und  theilhaflig  werde 
weil  alle  diese  Gefühle  von  dem  religiösen  Gefiähle  eingeschlossen  und 
getragen  sind.  Die  Ansicht  dasz  man  sittlich  fühlen  könne  ohne  das 
heiligende  und  läuternde  Gefühl  des  lebendigen  Gottes  bat  bis  jetsi 
nar  zu  schnödem  Egoismus  geführt.  Möge  also  für  uns  dies  feststehen 
dasz  die  Erziehung  alle  Gefühle  ohne  Ausnahme  zu  pflegen,  keines 
derselben  gegen  die  andern  gering  zu  achten  habe.  Sie  sind  in  diesen 
ihrem  Bunde  gleichsam  eine  schöne  nnd  grosze  Harmonie,  aas  der 
man  nicht  nach  belieben  diese  oder  jene  Stimme  herausnehmen  kani. 
Die  Fäden  in  denen  sich  diese  Gefühle  verschlingen  laufen  in  wander- 
baren Verknüpfungen  durcheinander,  und  wie  die  höchsten  and  heilig- 
sten Gefühle  es  nicht  verschmähen  sich  zu  den  scheinbar  bedeatungi« 
losesten  herabzulassen,  so  sind  die  letzteren  gewürdigt  den  höchsten 
httlfreich  und  dienstbar  zu  werden. 

Ich  überlasse  es  den  Lesern  diese  Andeutuirgen  weiter  sa  verfol- 
gen and  zu  verwerthen  und  wende  mich  einem  andern  Punkte  so« 

Der  Ursprung  der  Gefühle  ist  einer  jener  Streitpunkte  über  wel- 
che es,  wie  es  scheint,  der  Psychologie  schwer  fällt  mit  sich  ins  reine 
SU  kommen.  Wir  anserentheils  sind  so  glücklich  uns  auf  dem  Boden 
der  Erfahrung  halten  zu  dürfen.  Offenbar  entspringt  das  Gefühl  «uerst 
aus  dem  begegnen  zweier  Potenzen,  der  einer  Spannung  fähigen  Seele 
and  der  einer  auf  die  Seele  einwirkenden  Objectivität.  Es  liegt  daher 
im  Gefühle  stets  etwas  geheimnisvolles  und  wunderbares:  es  ist  wie 
der  Ton  einer  Aeolsharfe  welche  von  einer  unsichtbaren  Macht  in 
Schwingungen  versetzt  wird.  Die  Worte  der  Schrift:  *der  Wind  bla- 
set wo  er  will,  und  du  hörest  sein  mausen  wol;  aber  du  weiszt  nicht 
von  wannen  er  kommt  und  wohin  er  fähret'  gelten  überall  wo  der  eid- 
liche Geist  von  dem  unendlichen  ergriffen  wird.  So  entstehen  deu, 
wie  jeden  die  Praxis  lehrt,  auch  noch  heut  Gefühle  in  der  menschliohea 
Brust;  aber  es  ist  die  bei  weitem  seltenste  Art  wie  dies  geschieht. 

Im  Zusammensein  des  Menschen  mit  Menschen  entspringen  sie 
vorzüglich  durch  Sympathie  und  Antipathie.  Wir  lernen  in  dem 
Entwicklungsgange  in  dem  wir  nun  einmal  stehen  fühlen  dadurch 
dasz  wir  andere  von  diesem  oder  jenem  Gefühle  bewegt  sehen.  Wie 
das  Kind  mitweint  und  mitlacht,  wenn  es  andere  seines  gleichen  wtt- 
nen  und. lachen  sieht,  so  bildet  sich  jede  Art  des  Gefühls  dnrch  die 
Wahrnehmung  des  gleichen  Gefühls.  Hierauf  laufen  im  Grande  die 
vielen  Regeln  hinaus  welche  man  früher  über  die  Bildung  namenUick 
der  sittlichen  Gefühle  gegeben  hat.  Fühlende  Eltern,  fühlende  Lehrer 
werden  eine  fühlende  Jugend  erziehen.  Schlimm  genug  ist  es  freilich 
dasz  gerade  hier  die  Schule  mit  dem  Hause  sich  oft  in  der  tiefsten 
Differenz  befindet  und  beide  einander  entgegenwirken.  Für  die  Schale 


lieber  die  Bildung  dei  Gefühli .  353 

selbst  gilt  immer  und  ewig:  sei  das  was  deine  Schüler  sein  sollen, 
liebe  das  was  sie  lieben  sollen,  und  wenn  sie  es  nicht  sind,  und 
wenn  sie  diese  Liebe  nicht  haben,  fange  nicht  damit  an  auf  deine 
Schaler  zu  schelten,  sondern  frage  dich,  die  Hand  aufs  Herz,  selbst 
ob  es  nicht  deine  eigene  Unwahrheit  und  Heuchelei  ist  welche  dies 
verschuldet  hat.  Du  willst  die  Liebe  deiner  Schüler:  hegst  du  wahre 
Liebe,  Heilandsliebe,  zu  ihnen?  du  willst  ihre  Achtung:  beweisest  da 
ihnen  stets  das  Gefühl  für  das  schickliche,  ernste,  würdige  Haltung  in 
deinem  auszern  wie  in  deinem  innern?  du  wunderst  dich  der  Rohheit 
der  Jugend,  und  sie  sieht  dich  in  Leidenschaft  schimpfen  und  schlagen? 

Neben  diesen  beiden  gibt  es  jedoch  noch  ein  drittes ,  was  freilich 
in  unseren  Tagen  weniger  als  recht  ist  geschätzt  wird,  die  Vorstellung, 
das  belehrende  Wort.  Es  ist  im  Gefühle  selbst  bereits  ein  Moment  der 
Vorstellung  enthalten,  an  welches  unter  gewissen  Umstanden,  z.  B.  bei 
einem  vorgerückteren  Lebensalter,  angeknüpft  werden  kann,  ja  an- 
geknüpft werden  musz  um  der  Seele  noch  diejenige  Spannung  la 
geben  zu  welcher  sie  durch  Sympathie  nicht  leicht  mehr  würde  ge- 
bracht werden  können.  Es  ist  demnächst  überhaupt  die  Weise  wie  der 
gebildete  Lehrer  mit  dem  edlen  und  denkenden  Jünglinge  zu  verkehren, 
und  so  zu  gleicher  Zeit  in  ihm  Gefühle  zu  bilden  und  mit  ihm  über  die 
Gefühle  zu  ernstem  denken  und  beiligem  wollen  hinauszugehen  hat. 
Das  Wort  von  Novalis  ^es  ist  umsonst  die  Natur  lehren  und  predigen 
zn  wollen'  ist  nur  halb  wahr:  die  Belehrung  kann  sehr  viel  nachholen 
was  in  der  früheren  Bildung  versäumt  worden  ist.  Niemeyer  hat 
die  Belehrung  nicht  über  Bord  werfen  mögen :  ich  habe  dann  selbst 
das  grosze  Glück  gehabt  einen  Lehrer  zu  besitzen  und  als  angehender 
Lehrer  unter  diesem  Lehrer  zu  lernen  der  von  Niemeyers  Geist  erfüllt 
war  und  in  seinem  Geiste  wirkte  und  wirken  lehrte. 

In  dem  Punkte  aber  sind  unsere  Pädagogen  von  August  Hermann 
Franke  bis  auf  Niemeyer  herab ,  so  ungleichen  Sinnes  sie  sonst  waren, 
eins  gewesen  dasz  die  Bildung  des  Gefühls  eine  Sache  von  höchster 
Bedeutung  sei  und  dasz  eine  Erziehung,  ohne  auf  dieser  Grundlage  in 
ruhen,  ein  Gebäude  ohne  Fundament  sei.  Aus  einem  tiefen,  warmen, 
lebendigen  Gefühlsvermögen  —  ich  will  einmal  diesen  Ausdruck  ge- 
brauchen ^  wird  die  Bildung  des  Willens  ihre  besten  Lebenssäfte 
empfangen.  P.  Jlf. 


23. 

Das  Mittelhochdeutsche  als  Unterrichtsgegenstand  auf  deut- 
schen Gymnasien. 


Der  Zweck  und  das  Ziel,  welches  unsere  Gymnasien  verfolgen, 
ist,  wenn  man  anch  über  die  Mittel  snr  Erreichung  desselben  weniger 


354  Das  Mittelhochdeutsche  in  den  Gymnasien. 

einig  sein  möchte ,  anerkanntermaszen  eine  formale  Bildung  der  gei- 
stigen Kräfte.  Die  den  Schülern  vorgelegten  Unterrichtsgegenstande 
sind  gleichsam  die  geistigen  Tarngerüste,  an  denen  die  jungen  Krifte 
lu  der  Ausdauer  und  Gewandheit  herangebildet  werden  sollen,  welche 
den  manigfachen  Forderungen  des  Lebens  gegenüber  dem  Manne  eigen 
sein  müssen,  wenn  er  sich  als  tüchtig  bewähren  will;  Ob  und  in  wiefern 
dieser  Zweck  erreicht  sei,  erkennt  man  am  sichersten  am  mflndlichen 
und  schriftlichen  Ausdruck  in  der  Muttersprache ;  der  mündliche  Aus- 
druck unterliegt  zwar  allerlei  individuellen  Bedingungen,  aber  er  muss 
doch  neben  dem  schriftlichen,  welcher  die  Hauptsache  bleibt,  mit  zu 
Rathe  gezogen  werden,  um  ein  vollständiges  Urteil  zu  bilden.  Dia 
Sprache  ist  die  Form  der  Gedanken,  wir  können  nichts  denken  ohne 
es  in  Worte  zu  kleiden ,  und  so  wird  der  Gebrauch  derselben  unfehU 
bar  zeigen,  wie  ein  Mensch  das,  was  er  an  geistigem  Fond  besitzt,  ge- 
übt und  ausgebildet  hat.  Und  dieser  geistige  Besitz  ist  es  gerade,  an 
welchen  das  Leben  seine  Anforderungen  macht,  er  ist  das  Pfund,  mit 
dem  ein  jeder  wirthschaften  und  wuchern  soll,  durch  ihn  bedeutet  ein 
Mensch  etwas  oder  nichts,  durch  ihn  wird  er  bewundert  oder  verach- 
tet, gehaszt  oder  geliebt;  eine  würdige  Aufgabe  also,  ihn  zu  dem  zo. 
machen  was  er  sein  kann ,  und  die  einzige  Form ,  in  der  er  erscheint, 
so  herauszubilden,  dasz  sie  nicht  nur  nichts  von  dem  vorhandnen  ver- 
berge, sondern  auch  das  erscheinende  edel  und  geschmückt  an  den 
Tag  fördere. 

Dasz  man  die  Bedeutung  der  Muttersprache  im  Gymnasialanter- 
richte  genügend  erkannt,  lehrt  schon  ein  flüchtiger  Blick  auf  die  Le- 
otionspläne  hinreichend;  da  gibt  es  für  jede  Klasse  durchschnittlich 
3  wöchentliche  Stunden  für  das  Deutsche ,  die  für  deutsche  Aufsitze, 
Leetüre  und  Grammatik  verwendet  werden  sollen.  Noch  im  Anfange 
dieses  und  am  Ende  des  vorigen  Jahrhunderts  würde  man  deutsche 
Aufsätze  und  namentlich  deutsche  Leetüre  als  etwas  völlig  unnützes 
verworfen  haben;  man  war  der  Meinung,  dasz  Gewandheit  im  lateini- 
schen Ausdruck  eine  solche  für  die  deutsche  Sprache  einschliesze, 
und  suchte  also  nur  die  Kenntnis  des  Lateinischen  zu  fördern.  Und 
wer  VoUte  verkennen,  dasz  jene  Ansicht  ihre  Wahrheit  hat;  haben 
doch  die  Heroen  unserer  deutschen  Litteratur,  die  uns  ersfl^zeigt  ha- 
ben, was  deutsche  Prosa  und  deutsche  Poesie  sein  kann,  nicht  in  der 
Schule  gelernt,  wie  man  deutsch  schreiben  müsse,  sondern  höchstens 
lateinisch  und  wenig  griechisch  gelesen  und  geschrieben,  um  daran 
ihren  Geist  zu  bilden,  so  gut  es  eben  gehen  wollte,  und  sind  dann  ih- 
rem Genius  gefolgt  und  das  geworden,  was  sie  immer  sein  werden, 
anerreichte  Muster  an  Inhalt  und  Form.  Aber  die  haben  durch  ihr  Ge- 
nie ihr  groszes  Ziel  erreicht;  wir  müssen  einen  Weg  verfolgen,  der 
auch  für  minder  begabte  Geister  gangbar  ist  und  sicher  zum  Ziele 
führt,  und  darum  bieten  wir  die  Mittel  auch  Anlagen,  die  der  Weoknng 
bedürfen,  zu  fördern  und  zu  zeitigen ;  durch  Leetüre  unter  Leitung  des 
Lehrers  führen  wir  ein  in  die  Litteratur  und  geben  Master  für  den 
eigenen  Ausdruck;  durch  Uebung  im  doutschschreiben  bilden  wir  zu 


Das  Mittelhochdeutsche  in  den  Gymnasien.  355 

der  Gewandheit  des  Stiles  heran,  die  schon  Gemeingut  der  Nation  ge- 
worden ist.  Und  die  deutsche  Grammatik?  fragen  wir.  Sie  erscheint 
neben  der  übrigen  Gymnasialbiidunjg  mit  ihrer  grammatischen  Grund- 
lage mindestens  unnütz,  oft  aber  schädlich,  wenn  die  lebendige  Sprache 
in  die  Zwangsjacke  eines  grammatischen  Systems  gezwängt  werden 
soll  und  den  Schülern  Ueberdrusz  an  aller  Grammatik  überhaupt,  für 
die  deutsche  speciell  aber  Langweile  und  die  böse  Gewohnheit  der 
Unaufmerksamkeit  erzeugt.  Wenden  wir  also  die  auf  deutsche  Gram- 
matik verschwendete  Zeit  lieber  der  Lectüre  zu  und  wir  .werden  mehr 
erreichen.  Und  das  haben  wir  nöthig  bei  den  Anforderungen,  wel- 
che die  Zeit  mit  Recht  an  uns  macht.  Es  ist  ja  nicht  nur  die  stili- 
stische Tüchtigkeit  für  die  Schrift,  um  den  ganzen  ungeheuer  erwei- 
terten Ideenkreis  der  Zeit  bequem  in  eine  schöne  Form  kleiden,  za 
können,  welche  heut  gefordert  wird,  auch  das  Wort,  die  freie  Rede 
mnsz  dem  zu  Gebote  stehen,  der  in  allen  Fällen  gerüstet  und  tüchtig 
sein  will.  Es  ist  darum  eine  möglichst  genaue  Bekanntschaft  mit  der 
deutschen  Sprache  nothwendig;  erst  auf  dieser  Grundlage  sind  Stil- 
übungen,  ist  Uebung  in  freien  mündlichen  Vorträgen  förderlich. 

Als  nun  das  neue  sprachvergleichende  Studium  auftauchte,  die 
fast  verschollenen  früheru  Entwicklungsperioden  unserer  Sprache  wie- 
der ans  Licht  traten  und  nnter  der  Pflege  hochbegabter  Leiter  vom 
schwachen  Dämmer  ersten  erwachens  an  durch  die  nothwendigen  Gäb- 
rungs'processe  hindurch  sich  zu  wissenschaftlicher  Klarheit  herausge- 
arbeitet hatten ,  da  glaubte  man  in  der  Freude  über  den  schönen  Ge- 
winn, über  den  Fund  einer  Blüteperiode  der  deutschen  Litteratur  in 
Zeiten  wo  man  sie  nicht  gesucht,  nichts  besseres  thun  zu  können,  als 
wenn  man  auch  der  Jugend  einen  Theil  gönnte  an  dem  Stolz  über  dio 
Herlichkeit  ihrer  Vorfahren ,  als  wenn  man  sie  einen  Blick  thun  liesze 
in  die  alten  Schätze  unserer  Sprache,  um  dadurch  ihre  Kenntnis  des 
jetzt  vorhandenen  Materials  zu  vergröszern  und  ihr  den  Gebranch  des- 
selben zu  erleichtern;  man  führte  das  Mittelhochdeutsche  unter  die 
Unterrichtsgegenstände  unserer  Gymnasien  ein.  Das  Wesen,  das  Leben 
der  deutschen  Sprache  sollte  nun  noch  klarer  erkannt  werden;  der 
Lehrer  sollte  seine  Schüler  heranführen  an  den  Born ,  aus  dem  das  le- 
bendige Wort  in  seinem  Munde  entsprungen;  sie  sollten  das  gewordene 
richtiger  beurteilen  und  auffassen,  wenn  sie  das  werden  selbst  ver- 
folgen könnten.  Und  wer  diese  Studien  kennt,  der  weisz'-wie  sehr  ihm 
die  Sprache  durch  sie  an  etymologischer  Durchsichtigkeit  gewonnen 
hat,  wie  ihm  erst  der  volle  Sinn  manches  Wortes  entgegengetreten 
ist,  wenn  er  die  naive  und  doch  so  tiefsinnige  Anschauung  gefunden, 
die  der  Bildung  des  Wortes  zu  Grunde  liegt.  Es  läszt  auch  keine 
andere  europäische  Sprache  einen  so  tiefen  Blick  in  die  Werkstatt 
thun  aus  welcher  sie  hervorgegangen  ist  als  die  deutsche,  weil  von 
keiner  andern  die  Entwicklungsstufen  welche  sie  durchgemacht  hat 
so  vorliegen.  Das  Gothische,  wenn  auch  nicht  in  directer  Linie  die 
älteste  Form  unserer  heutigen  Sprache,  doch  ein  nahe  verwandter 
Dialekt  dieser  Urform,  hat  uns  ein  Bruchstück  der  ehrwürdigen  Bibel- 


356  Das  Mittelhochdeatsche  in  den  Gymnasien. 

flbersetznng'  des  Ulfiias  erhalten ;  daran  schlieszt  sich ,  schon  reicher 
in  Schriftwerken  vertreten,  das  Althochdeutsche,  dann  das  Mittelhoch- 
deutsche, die  Muttersprache  des  Neuhochdeutschen  wie  wir  es  reden, 
und  immer  sind  die  Gesetze  erkennbar,  nach  denen  sich  das  eine  aas 
dem  andern  entwickelt  hat,  wie  eine  Pflanze,  die  von  ihrem  Keime 
an  bestimmten  Gesetzen  folgend  wächst  und  lebt  durch  alle  Metamor- 
phosen ihres  Daseins  hindurch.  Eine  solche  Erkenntnis  des  innem  Or- 
ganismus einer  Sprache  musz  ihr  Licht  auch  auf  die  todten  Sprachen 
werfen ,  welche  die  Hauptunterrichtsgegeustande  der  Gymnasien  aas- 
machen ;  auch  sie  müssen  dem  lernenden  lebendiger  werden  and  ihre 
Bestandtheile  weniger  als  todte  Werkstücke  erscheinen,  welche  man 
nach  den  Regeln  der  Grammatik  nur  zusammenzufügen  hat.  Darch- 
schaut  man  aber  so  den  organischen  Bau  einer  Sprache,  der  lebern- 
volien  Haut  gleichsam,  welche  den  Körper  der  Gedanken  des  Volkes 
von  jeher  umschlossen  hat  und  noch  umschlieszt,  welchen  Anfschlosi 
über  das  geistige  Leben,  über  den  ganzen  Zustand  eines  Volkes  sa 
Zeiten,  über  welche  weder  monumentale  noch  schriftliche  Qaellen  be- 
richten ,  wird  man  da  bekommen ,  und  was  kann  einem  Deutschen  för- 
derlicher sein,  als  ein  tiefer  Blick  in  die  Natur  seines  Volkes? 

Und  wenn  ans  aus  der  Sprache  «elbst  der  ursprüngliche,  darck 
fremde  Einflüsse  nngeänderte  Geist,  gleichsam  der  Kindheitsgeist  an- 
seres  Volkes,  entgegentritt,  wie  er  seine  frühesten  Gedanken  gefasxt, 
seine  Gefühle  Lauten  anvertraut,  wie  er  die  ersten  Keime  seiner  Cal-. 
tar  gelegt  hat,  so  redet  noch  deutlicher  zu  uns  die  Litteratnr,  welche 
in  dieser  Sprache  vorhanden  ist.  Was  unser  Volk  bewegt  und  erregt, 
was  es  gefühlt  und  gedacht  hat,  seit  durch  das  wiederaufblOheo  der 
klassischen  Studien  die  Cultur  des  Alterthums  die  Grundlage  der  ons- 
rigen  geworden  ist,  das  lehren  uns  die  Koryphäen,  der  Häupter  der- 
jenigen klassischen  Periode  unserer  Litteratur,  in  welcher  die  Namen 
Goethe  und  Schiller  strahlen;  aber  wie  unser  Volk  gedacht  and  gefahlt, 
ehe  es  das  klassische  Allerthum  kannte,  wie  seine  ei^fenste  selbst 
geschaffene  Cultur  gewesen,  das  lernen  wir  aus  der  altdentscheo  lit- 
teratur. Zwar  können  wir  auch  für  jene  Zeiten  eine  gewisse  gleieh- 
sam  stillschweigende,  in  der  Lebenslnft  liegende  Einwirkung  der  Cal- 
tur,  welche  das  Alterthum  geschaffen,  auf  germanisches  Wesen  niobt 
leugnen;  aber  es  war  wenigstens  kein  directer  Einflnsz,  man  kam 
nicht  sagen,  dasz  in  jener  Zeit  die  deutsche  Cultur,  wie  jetzt  aof  den 
Schultern  der  klassischen  gestanden  hätte.  Also  das  arspranglleh 
Deutsche  lehrt  uns  die  Kenntnis  des  deutschen  Alterthams  in  seiner 
Sprache  und  Litteratur  von  dem  aus  der  Fremde  eingebürgerten  anter- 
scheiden,  eine  Kunde,  die  wir  jedem  gebildeten  des  deutschen  Volkes 
wünschen  möchten.  Und  sollten  \.  ir  jener  Litteratur ,  in  welcher  sieh 
ein  so  reicher  und  tiefsinniger  VolksgeiAt,  wie  der  dentsche  es  ist, 
ausgeprägt  und  sich  eine  Form  chafTen  hat,  deren  feine  Kflnstlicli* 
keit  wir  noch  heute  bewundern ,  dc^en  Reinheit  wir  nicht  erreichen 
können  und  darum  aufgegeben  bah'  ,  sollten  wir  nicht  einer  solchen 
Litteratur  auch  einen  selbständige» ,  allgemein  menschlichen  Werlh  bei- 


Das  Mitt^lhochdeatsche  in  den  Gymnasien.  357 

legen  dörfen,  eine  Klassicität  im  eigentlicben  Sinne  des  Wortes,  wenn 
ihr  auch  gerade  das  vorzugsweise  so  genannte  klassiiscbe  Element 
fehlt?  Wir  können 'nicht  bezweifeln,  dasz  die  eigenen  Schöpfungen 
eines  Volkes,  welches  ein  Haupttrager  der  Cultur  der  neuen  Welt  ge- 
worden ist,  werth  sind  von  wahrhaft  gebildeten  gekannt  und  geschätzt 
zu  werden. 

Das  etwa  mögen  die  Vortb^le  für  die  Kenntnis  der  deutschen 
Sprache  und  des  deutschen  Volkes  sein ,  die  mau  bei  der  Einführung 
des  Mittelhochdeutschen  auf  deutschen  Gymnasien  im  Auge  gehabt  hat. 
Sehen  wir  nun  wie  sich  das  wirklich  erreichte  und  erreichbare  diesen 
.Anforderungen  gegenüber  verhält.  Zuerst  müssen  wir  zugestehen  dasz 
das  eindringen  in  das  Wesen  der  Sprache  an  der  Hand  des  historischen 
Studiums  des  Altdeutschen  einen  wissenschaftlichen  Charakter,  ein 
männlich  ernstes  Studium  voraussetzt,  wie  es  den  Gymnasien  fern  ist 
und  fern  sein  musz.  Ist  es  nicht  die  Sache  eines  wissenschaftlichen 
Mannes  im  besten  Siune  des  Wortes  in  die  tiefen  Schachte,  welche  das 
Lebensstudium  geistig  bevorzugter  Männer  in  das  Material  der  Sprach- 
wissenschaft hineingetrieben  hat,  hiuabzusteigen,  die  Wurzeln  kennen 
zu  lernen,  welche  den  Baum  unserer  Sprache  noch  heute  mit  Leben 
und  Saft  versorgen,  und  daraus  Aufschlusz  zu  gewinnen  über  die  Blät- 
ter und  Triebe  am  Sonnenlicht?  Für  Jünglinge  ist  das  keine  Aufgabe, 
wenn  wir  auch  davon  absehen,  dasz^  ihnen  nur  die  obere  Stufe  über- 
haupt zugänglich  ist,  da  es  nie  Absicht  gewesen  nnd  auch  nicht  sein 
kann  sie  in  das  Gothische  und  Althochdeutsche  einzuführen.  Man  wird 
ihnen  also  in  dieser,  wie  in  andern  Wissenschaften  die  Resultate  mit- 
theilen, welche  Mannesarbeit  geschaffen,  nicht  versuchen  sie  den 
.iiQhsamen  Weg  der  Forschung  durchmachen  zu  lassen. 

Wie  aber  das  Mittelhochdeutsche  allein  nicht  das  nothwendige  zu 
leisten  vermag  für  einen  Einblick  in  das  Wesen  und  treiben  der  Spra- 
che, so  ist  es  ^uch  gar  nicht  erforderlich  für  jene  Mittheilungen;  der 
litteraturgeschiclitliche  Unterricht  bietet  Raum  und  Gelegenheit  genug 
dafür.  Treibt  man  es  aber  dennoch,  so  wird  man  nicht  un\{iin  können, 
zuweilen  etymologisches  vorzulegen,  und  nähert  sich  damit  der  bösen 
Klippe,  vor  der  sich  Lehrer  und  Schüler  gleich  zu  hüten  haben,  in 
etymologische  Spielereien  zu  verfallen,  welche  heutzutage,  wo  man 
die  Gesetze  gefunden  hat,  nach  denen  mit  Gewisheit  die  Verwandschaft 
der  Worte  nachgewiesen  werden  kann,  eine  Versündigung  an  der 
Sprachwissenschaft  enthalten.  Nimmt  man  noch  hinzn,  was  fast  über- 
all die  Erfahrung  gelehrt  hat,  dasz  das  Mittelhochdeutsche  unter  den 
sogenannten  Nebenfächern  der  Gymnasien,  die  von  den  Schülern  mei- 
stens sehr  stiefmütterlich  behandelt  werden,  eigentlich  den  letzten 
Platz  einnimmt  nnd  den  Schülern  gtt\^  natürlicherweise,  wie  wir  gleich 
sehen  werden,  selten  auch  nur  einiges  Interesse  einflöszt,  so  werden 
wir  leicht  erkennen,  wie  wenig  Er f'/^  ^^^^  ^lo  Lehrer  auf  diesem 
verlorenen  Posten  versprechen  da  *f. 

Ein  eigentlich  sprachlicher  ^  ^winc.  ist  also  ohne  Wissenschaft- 
liohkeit  nicht  möglich  und  diese  füi  !lie  Schule  unerreichbar  nnd  nicht 


358  Das  Mitlelhochdeutsclie  in  den  Gymnasien. 

einmal  wänschenswerth;  aber  vielleicht  wird  eine  (ficbtige  Kenntnis 
der  mittelhochdeutschen  Litteratur  leisten,  was  wir  vorhin  als  so  wün- 
schenswerth  für  den  gebildeten  erkannten.  Da  dürfen  wir  uns  zaerst 
nicht  verhehlen ,  dasz  von  einer  auch  nur  annähernd  guten  Kenntnis 
jener  Litteratur  auf  dem  Gymnasium  gar  nicht  die  Rede  sein  kann. 
Schon  die  Zeit,  welche  dazu  übrig  ist,  macht  dies  unmöglich;  was 
wird  man  bei  wöchentlich  einer  Sti^nde  in  den  beiden  obern  Klassen 
lesen  können,  wenn  auch  statt  der  durchgangigen  Gleichgiltigkeit  der 
Schüler  für  den  Gegenstand  das  gröstmöglichste  Interesse  vorhanden 
wäre?  Kaum  den  wichtigen  Unterschied  zwischen  Volks-  und  Kanst- 
poesie,  wie  ihn  die  Litteratur  des  Mittelalters  besser  als  jede  andere 
erkennen  laszt,  wird  man  durch  sprachliche  Proben  zum  Bewastsein 
bringen  können,  wenigstens  nicht  viel  besser,  als  es  in  einer  litteratur- 
geschichtlichen  Stunde  geschehen  kann.  Die  Schwierigkeit  der  Spra- 
che, wenn  mau  ein  jedenfalls  nachtheiliges  rathen  der  Schüler  vermei- 
den und  ein  wirkliches  Verständnis  erzielen  will,  ist  auch  zu  gross, 
nm  nachdrücklich  auf  den  Geist  hinweisen  zu  können,  gerade  weil  die 
beiden  vorhergehenden  Sprachstufen,  deren  Bekanntschaft  das  Ver- 
ständnis erleichtern  würde,  nicht  gelehrt  werden  können;  die  Sprache 
musz  dem  erfassen  des  Geistes,  und  umgekehrt  der  Geist  der  Sprache 
im  Wege  stehen. 

Wenn  aber  auch  dies  tflles  nicht  wäre,  wenn  Zeit  und  Verständ- 
nis reichlich  vorhanden  wären,  so  musz  es  doch  aus  dem  reichea 
Schatze  jener  Litteratur  immer  nur  ein  sehr  beschränkter  Kreis  bleiben, 
in  den  Jünglinge  eingeführt  werden  können.  Mit  wenigen  Ausnahmen 
musz  alles,  was  sich  auf  Minne  und  Frauendienst  bezieht,  auf  diese 
eigenthümlichste  Seite  des  Mittelalters  welche  gerade  die  schönsten 
Blüten  getrieben  hat,  ausgeschlossen  werden  und  den  SciUllern  unbe- 
kannt bleiben.  Man  braucht  nur  der  Minnesinger  zu  gedenken,  nm  die 
Wahrheit  dieser  Behauptung  zuzugeben;  oft  trägt  das  zarteste,  innig- 
ste einen  Makel  durch  die  allgemeine,  jener  Zeit  nicht  zuzurechnende 
Verirrung^n  sich,  den  der  Mann  richtig  würdigt,  der  aber  das  Gemflt 
eines  Jünglings  leicht  anstecken  könnte.  Tristan  und  Isoll  braachen 
wir  gar  nicht  zu  nennen ;  kaum  eines  der  ritterlichen  Knnstepen,  nicht 
einmal  des  Volksepos  ist  von  anstöszigen  Einzelheiten  frei,  die  frei» 
lieh  bei  der  Leetüre  weggelassen  werden  können.  Die  Schwierigkeit 
des  Gedankens  würde  ferner  die  Kenntnis  der  grösten  Meisterwerke, 
der  Epen  Wolframs  von  Eschenbach,  geradezu  unmöglich  machen ;  eia 
psychologisches  Epos  wie  der  Parcival  ist  für  einen  Mann,  nicht  fflr 
einen  Jüngling.  Und  endlich  ist  es  ganz  offenbar,  dasz  der  Mangel  des 
vorzugsweise  so  genannten  klassischen  Elementes  in  der  Litteratnr  des 
Mittelalters  dieselbe  den  Zöglingen  unserer  Gymnasien,  welche  so  gani 
an  das  klassische,  selbst  in  der  neuen  deutschen  Litteratur,  gewöhnt 
sind,  weniger  mundgerecht  und  interessant  macht.  Könnte  man  diea 
nicht  schon  aus  der  Sache  selbst  aprioristisch  schlieszon,  so  wfirde 
die  vielfache  Erfahrung  es  zur  Genüge  lehren.  Es  ist  auch  nicht  za 
leugnen,  dasz  manche  Seiten  des  Mittelalters,  wie  sie  sich  in  seiner 


Fritzsche:  Theokrifs  Idyllen.  359 

LiUeratar  ausprägen,  fär  denjenigen,  der  noch  nicht  den  höherii  cuUnr- 
historischen  Standpunkt  der  Beurteilung  gewonnen  hat,  sondern  mehr 
einem  instinktmäszigen  Gefühle  für  das  allgemein  menschlich  schöne 
folgt,  etwas  weniger  befriedigendes,  ja  etwas  langweiliges  und  läppi- 
sches haben  können. 

Sind  nun  die  Vortheile  des  Mittelhochdeutschen  auf  dem  Gymna- 
sium nicht  so,  wie  man  aqf  den  ersten  Blick  annehmen  möchte,  warum 
will  man  denn  die  ohnehin  übergrosze.  Masse  der  Unter  rieh  tsgegen- 
Sünde,  über  die  in  neuerer  Zeit  so  vielfach  geklagt  ist,  durch  seine 
Einführung  noch  vermehren,  die  Uebersättigung  der  Schüler  noch 
vergröszern  und  ihnen  den  gesunden  Appetit  rauben,  den  sie  für  den 
reich  besetzten  Tisch  der  Universität  mitbringen  sollten?  Auf  dem 
Gymnasium  erscheint  es  zweckmäszig  auf  das  Vorhandensein  und  den 
Inhalt  einer  mittelalterlichen  Litteratur  durch  mitgetheilte  Proben  auf- 
merksam zu  machen,  um  einen  Vorschmack  von  dem  zu  geben  was 
auf  der  Universität  eignes  Studium  besser  erreichen  kann. 

Hildesheiff'-  Dr  Wolter. 


24. 

Theokrits  IdyUen.  Für  den  Schul  -  und  Privatgebrauch  erklärt 
von  Ad.  Theod.  Hermann  Fritzsche.  Leipzig  1857, 
Druck  und  Verlag  Yon  B.  G.  Teubner. 

Die  Leser ,  welche  der  Verf.  bei  Bearbeitung  seiner  Ausgabe  b»- 
sonders  in^  Auge  hatte,  sind  tüchtige  Primaner  oder.  Secnndaner,  junge 
Philologen,  welche  der  Gang  ihrer  Studien  auf  die  Leetüre  der  grie- 
chischen Bukoliker  führt,  und  endlich  Freunde  der  Klassiker,  welche 
den  Theokrit  zur  Hand  nehmen,  um  sich  in  die  alten  Zeiten,  in  die 
eigene  schöne  Jugendzeit,  zurückzuversetzen.  Für  den  ersten  Anlauf 
des  Lesers  soll  die  clavis  Theocritea  dienen,  von  deren  Nothwendigkeit 
den  Vf.  die  Erfahrung  überzeugt  hat.  Für  den  jungen  Philologen  inson* 
derheit  sind  die  kritischen  Notizen  zu  den  schweren  Stellen  bestimmt^ 
aus  denen  er  sich  StolF  zu  einer  Abhandlung  suchen  möge.  Ausführ- 
liche Erörterungen  der  Gründe,  aus  denen  der  Hg.  bei  Constituierung 
des  Textes  von  Ameis,  Ahrens  oder  Meineke  abgewichen  ist,  sollen 
spater  gegeben  werden.  Die  Hauptsache  sollte  hier  die  Erklärung 
sein,  die  sich  auch  auf  astronomische,  botanische  und  archäologische 
Fragen  erstreckt.  Dem  Texte ,  der  mit  reichlichen  und  vortrefflichen, 
auf  genauer  Kenntnis  der  Sprache  und  des  Dialects  beruhenden  An- 
merkungen versehen  ist,  geht  eine  ziemlich  ausführliche  Einleitung 
voraus,  in  welcher  alle  neueren  Untersuchungen  über  diesen  Gegen- 
stand sorgfältig  und  gewissenhaft  benutzt  sind,  die  aber  zugleich  auch 
die  Resultate  der  eigenen  Forschungen  des  Herrn  Verfassers  enthält, 
von  denen  derselbe  schon  vor  längerer  Zeit  in  seiner  Abhandlung  über 

Pf.  Jahrb,  f.  PhU.  «.  Paed,  Bd  LXXVIII.  Hß  7.  24 


360  Fritzsche:  Theokrits  Idyllen. 

die  bukolischen  Dichter  der  Griechen  Zeugnis  abgelegt  hat.  Die  Ein- 
leitung handelt  zunächst  von  Theokrits  Leben.  Der  Verf.  hat  sich  aach 
hier  trotz  der  dagegen  von  Ameis  ausgesprochenen  Einwinde  für  Kos 
als  Geburtsort  entschieden.  Dasz  Theokrit,  wie  neuerdings  Haoler  an- 
genommen hat,  seinen  Vater  früh  verloren,  seine  Erziehung  einem 
Stiefvater  zu  verdanken  gehabt  und  dessen  Namen  2ifii%(^ag  sich  bei- 
gelegt habe,  sei  noch  nicht  ausgemacht;  es  hänge  nemlich  alles  ab 
von  dem  richtigen  Verständnisse  des  Scholion  zu  VIl  21;  es  frage 
sich,  ob  die  Nachricht,  die  sich  als  g)aal  ankundige,  ttberhaapt  Glau- 
ben verdiene;  dann  sei  aber  nicht  zu  übersehen,  dasz,  auch  wenn 
man  ihr  Glauben  schenke,  xbv  xoiavzov  nicht  auf  Theokrit,  sondern 
auf  den  Mann  gehe,  der  nach  der  Ansicht  jener  alten  Erklärer  unter 
der  Person  des  Simichidas  auftrete;  diese  nähmen  also  und  wol  nicht 
mit  Unrecht  an,  dasz  iyd  in  V.  1  nicht  Theokrit  sei,  sondern  dasz  eine 
andere  Person,  welche  Theokrit  Simichidas  nenne,  die  ganze  Geschichte 
erzähle.  Der  Verf.  vermutet  daher,  dasz  der  Dichter  einer  andern  Per- 
son die  Erzählung  in  den  Mund  lege  und  selbst  maskiert  erscheine, 
dasz  V.  1  durch  den  Namen  EvxgiTog  des  Dichters  Name  BEongaog 
angedeutet  sei.  —  Die  Einleitung  behandelt  dann  weiter  Theokrits. 
Dichtungen.  Die  Gedichte  Theokrits  werden  eingetheilt  in  mimische 
und  b  ukolische  zusammengenommen,  in  epische,  lyrische  und 
Epigramme.  Der  Verf.  rechnet  Idyll  11  zu  der  Klasse  der  buko- 
lischen, während  es  wol  richtiger  zu  den  epischen  zu  rechnen  ist; 
ebenso  Id.  16  und  17  zu  den  epischen,  die  uns  mit  grösierem  Rechte 
lyrische  Gedichte  zu  sein  scheinen.  Idyll  19.  20.  21.  23.  27  und  das 
Carmen  auf  den  Tod  des  Adonis  werden  als  unecht  bezeichnet.  Der 
Name  Idyll ,  nur  allgemeiner  Titel  für  die  verschiedenartigen  Poesien, 
die  wir  hier  vereinigt  finden,  wird  durch  den  modernen  Aosdrack 
Genrebilder  oder  poetisches  allerlei  wiedergegeben.  Theo- 
krits bukolische  Gedichte  werden  als  Mimen  bezeichnet,  die 
entweder  als  Monologe  oder  als  Dialoge  in  sich  abgeschlossene  Scenen 
des  ländlichen  Lebens  in  poetischer  Form  darstellen,  damit  der  Laser 
sich  an  ihnen  ergötze.  Nachdem  der  Verf.  einiges  über  das  Versmass, 
dessen  sich  der  Dichter  bedient,  über  den  stetig  wiederkehrenden 
Schaltvers  sowie  über  die  strophische  Eintheilung  der  Lieder  vorans- 
geschickt  hat,  spricht  er  zuletzt  noch  von  dem  dorischen  Dialeet  als 
einem  bedeutenden  Mittel,  wodurch  Theokrit  sowol  die  mimischen  als 
die  bukolischen  Gedichte  der  V^ahrheit  des  Lebens  nahe  gebracht  habe. . 
Indem  wir  das  oben  ausgesprochene  Urteil  über  den  Werth  die- 
ser Ausgabe  von  Theokrit  wiederholen  und  uns  gedrungen  fühlen  die- 
selbe sowol  Lehrern  für  den  Gebrauch  der  Schule  als  auch  Philologen 
vom  Fache,  namentlich  jungen  Philologen,  als  praktisch  and  wolgelna- 
gen  zu  empfehlen,  fühlen  wir  uns  doch  zu  einigen  Bemerknngen  ver- 
anlaszt,  ans  denen  man  zugleich  ersehen  möge,  dasz  Referent  den  er- 
klärenden Anmerkungen  eine  genauere  Beachtung  geschenkt  hat.  Wir 
wählen  uns  hierzu  gleich  die  erste  Idylle.  Die  Ueberschrift  mitj  hätte 
einer  Erklärung  bedurft.   Die  Bemerkung  zu  V.  1:  *äem  %€tl  vor  u  fU- 


Fritzsche:  Thcokrits  Idyllen.  361 

Tvg  entspricht  V.  2  das  steigernde  6s  xorl'  scheint  uns  nicht  ausreichend. 
Wir  haben  hier  zu  Anfang  des  Gedichtseine  Vergleichung;  der  Dichter 
hat  aber  die  vergleichenden  Partikeln  weggelassen  und  beide  Sätze 
nebeneinander  hingestellt.  In  diesem  Falle  wird  im  ersten  Glied  ge- 
wöhnlich fiev^  im  zweiten  dh  gesagt,  oder  es  steht,  wie  an  unserer 
Stelle,  in  beiden  Gliedern  xaL  Die  Auslassung  der  Vergleichangs- 
partikeln  findet  namentlich  in  Sprüchwörtern  häufig  statt.  Vgl.  auch 
Pindar  Nem.  IV  83.  —  Bei  'ipt&vQLCiia  fielladsTai.  konnte  hinge- 
wiesen werden  auf  (liXog  '^i^vql^Biv  und  verglichen  werden  Verg. 
ecL  VIII  22.  V.  20  inl  xo  nkiov  vgl.  Herod.  VI  126.  V.  27  ma6vßi.ov 
bedeutet  zunächst  nicht  ^ein  aus  Holz  geschnitztes  Gefäsz%  sondern 
ein.Aus  Epheuholz  geschnitztes  Trinkgefäsz,  dann  überhaupt  frei- 
lich einen  ans  Holz  gearbeiteten  Becher,  auf  dem  jedoch  immer  Ver- 
sierungen  mit  Epheu  dargestellt  waren;  vgl.  Athen.  XI  p.  474.  Die 
xiöCvßia  der  Hirten  waren  gewöhnlich  nur  mit  Einern  Henkel  {ovg) 
versehen;  der  hier  erwähnte  hat  deren  zwei.  V.  32  Svtoö&ev  nicht 
inwendig,  auf  dem  Grunde  des  xtaavßiov^  unter  dem  der  Verf.  des- 
halb hier  einen  Napf  (j^a'^v?)  verstanden  wissen  will,  sondern  es  ist, 
wie  auch  Ameis  will,  die  Auszenseite,  der  Bauch  des  Gefäszes  zu  ver- 
stehen, auf  welchem  die  sämtlichen  nun  folgenden  Bilder  zu  suchen 
sind.  ivTOö^sv  heiszt  weiter  nichts  als  ^darauf  (iv),  und  zwar  in 
der  Mitte  des  Gefäszes;  vgl.  Mosch.  II  43.  V.  32  wird  vor  rl  ein 
Komma  gesetzt;  alsdann  ist  rl  anstöszig,^  daher  ist  das  Komma  besser 
80  streichen,  damit  sich  die  Apposition  mit  rl  ganz  genau  an  das  Sub- 
stantiv anschliesze;  vgl.  Hom.  II.  I  62.  V.  41  6  Ttglaßvg  =r  jener 
Greis,  wie  der  Artikel,  oft  bei  den  Alexandrinern  demonstrative  Be- 
deutung bat.  V.  46  wird  mit  Ahrens  ans  den  Schollen  geschrieben 
nv^Qcciaig  statt  des  gewöhnlichen  nvgvalatg.  Letzteres  ist  abzuleiten 
von  nvQvog  =  die  reife  Frucht  des  Walzens,  also  nvgvaiog  =  das, 
was  die  Farbe  des  reifen  Weizens  hat.  V.  66  wird  aioXCxov  gelesen, 
das  Ahrens  aus  AIoXikov  hergestellt  hat.  Wir  billigen  diese  Lesart 
eben  so  wenig,  wie  das  von  andern  vorgeschlagene  cdnoh^ov^  da  uns 
AloXiMv  völlig  richtig  und  angemessen  scheint.  Der  Ziegenhirt  sagt 
ja  nicht,  dasz  er  den  Becher  gemacht  habe,  sondern  dasz  er  aus  Kaly- 
donien  sei.  Kalydonien  hiesz  aber  in  alteren  Zeiten  AioUg  (Thuc.  III 
102)9  weil  aeolische  Bevölkerung  da  war.  V.  65  möchte  ich  statt  der 
Conjectur  aöia  das  ursprüngliche  äö^  a  vorziehen.  Spondeen  finden 
sich  auch  bei  Theokrit  im  fünften  Fusze;  durch  ad'  a  wird,  dem  od 
(S|  entsprechend,  der  von  Theokrit  so  häufig  angewandte  Parallelismus 
der  Glieder  bewirkt.  V.  67  vi(in€a  möchte  ich  hier  nicht  als  nom. 
propr.  von  der  Niederung  des  Peneus  nehmen ;  malerischer  steht  es 
als  appellat. 

Nehmen  wir  noch  einige  Stellen  aus  der  siebenten  Idylle  heraus, 
welche  Heins,  omnium  eclogarum  reginam  nennt.  Zu  bemerken  war, 
dasz  dieses  Gedicht  Beziehung  auf  Zeit-  und  persönliche  Verhältnisse 
nimmt,  dasz  es  eine  Allegorie  ist  und  sich  in  dieser  Hinsicht  von  den 
übrigen  echt  bukolischen  Gedichten  unterscheidet,  wir  auch  nicht  eine 

24* 


362  Fritzsche :  Theokrits  Idyllen. 

getreue  Schilderung  des  landlichen  Lebens  in  demselben  erhallen.  Der 
Verf.  verwirft  mit  Recht  die  Annahme  der  Scholiasten,  welche  die  Er- 
zählung auf  die  Insel  Kos  verlegen,  und  stimmt  Hermann  bei,  der  unter 
Haies  einen  Flusz  Lucaniens  und  unter  nokig  die  Stadt  Velia  verslaB- 
den  wissen  will.  Zu  V.  130  inl  Ilv^ag  wird  bemerkt,  dasz  nach  Her- 
manns Vermutung  die  Stadt  Buxentum  in  Lucanien  gemeint  sei.  Soll 
diese  von  Velia  verschieden  sein?  Unseres  erachtens  ist  es  dieselbe 
Stadt,  die  aber  von  den  Römern  Buxentum  genannt  wurde;  vgl.  Strabo 
VI  p.  253  (Casaub.).  Zu  V.  6  BovQivav  nqavav^  was  hauptsächlich 
für  Kos  spricht,  wird  nur  eine  Bemerkung  aus  Rosz:  Reisen  auf  den 
griech.  Inseln  des  aegaeischen  Meeres,  hinzugefügt,  ohne  dasz  erklirt 
wird,  woher  der  Name  ^Quell  Burina%  der  sich  doch  auf  Kos  finde. 
Es  werden  hier  nur  Abkömmlinge  der  kölschen  Familien  genannt,  die 
sich  in  Velia  aufliielten.  Viele  koische  Familien  hatten  sich  in  Sicilien 
niedergelassen,  und  von  hief  oder  von  Zankle  aus  mögen  Leute  YOn 
koischer  Abkunft  nach  Velia  gekommen  sein.  V.  4  statt  iad'kov  wol 
besser  iakov.  Für  den  Schüler  war  wol  hier  beizufügen,  dasi  man 
eigentlich,  da  von  Personen  die  Rede  sei,  das  Masc.  erwarten  solle; 
ebenso  die  Bedeutung  desselben,  nach  der  es  häufig  den  beseichne, 
der  durch  uralte  adelige  Abkunft  sich  auszeichnet.  V.  13  zn  AvuUduv 
wird  bemerkt :  ^welchen  Freund  Theokrit  unter  diesem  Namen  ans  vor- 
führl,  ist  nicht  zu  ermitteln.'  Lykidas  musz  nothwendig  ein  gleichzei- 
tiger Dichter  gewesen  sein,  da  das  ganze  Gedicht  einen  allegorischen 
Charakter  trägt.  Ob  bei  Kvöarvtnov  Stvdqu  die  Stadt  Kydonia  aif 
Sicilien  oder  Kydon  auf  Greta  gemeint  sei,  läszt  sich  nicht  entschei- 
den. Aber  wir  wissen  aus  dieser  Zeit  weder  von  einem  Dichter  auf 
Greta  noch  auf  Sicilien.  Nähme  man  an,  dasz  Kv8oivi%ov  eine  verdor- 
bene Lesart  sei  und  substituierte  dafür  XaAvdcovtoi/,  so  könnte  Ali^xan- 
der  der  Aetolier  gemeint  sein,  der  freilich  ursprünglich  aus  Pleuren 
stammte;  aber  Kalydon,  welches  in  der  Nähe  von  Pleuron  liegt,  wird 
oft  statt  dessen  gebraucht.  Alexander  war  ein  Zeitgenosse  des  Theo- 
krit und  zeichnete  sich  nicht  nur  in  der  Elegie,  sondern  auch  dqrch 
bukolische  Gedichte  aus,  welche  cclnoXoi  betitelt  sind.  In  jenen  aU 
noXoig  halte  Alexander  auch  die  Sage  vom  Daphnis  behandelt.  Weil 
nun  Alexander  alitoXma  geschrieben  hatte,  so  konnte  er  von  dem  Dich- 
ter leicht  als  alnoXog  dargestellt  werden.  —  XIII  30  oq^nov  i^evto 
wird  übersetzt  =  sie  wählten  sich  ihren  Landungsplatz.  Warum  nicht 
oQfiov  rl&ead'at,  --  oQiil^ea&at  =  anlanden?  V.  31  statt  svQWOVti' 
wol  besser  elQvovzi  ({qv(o)  und  dann  auf  aqoxqa  zn  beziehen.  XiU 
69  wird  iit^soi  gelesen,  was  solche  bezeichnet,  die  eben  ins  Jünglings- 
alter getreten  sind.  Dies  passt  nicht  recht;  wir' möchten  daher  die 
Lesart  ruil&eoi  aus  dem  cod.  Mediol.  vorziehen,  die  kein  Bedenken  hat, 
da  ja  fast  alle  die  Helden  Göttersöhne  waren.  XVI  30.  Statt  ^Atioo 
ist  wol  besser  zu  schreiben  ^jitSa,  weil  bei  Theokrit  muta  cum  liquid« 
Fosilionslänge  bilden.  V.  38  ivötäaonov,  ivöiaca  bedeutet  =  im  freieu 
sich  aufhalten,  dazu  ist  (lijka  Subject.  Statt  noiiiiveg  ist  daher  wol 
no£(Avatg  (Weideplätze)  zu  lesen. 


Lahmeyer :  Ciceros  Cato  maior.  363 

In  vorstehenden  Bemerkangen  habe  ich  nnr  weniges  heransge- 
nommen,  worin  ich  dem  gelehrten  Herrn  Herausgeber  nicht  giaabte 
beipflichten  zn  können;  dem  Werthe  der  vorliegenden  Ausgabe  glaube 
ich  dadurch  nicht  geschadet  zu  haben,  auch  nicht,  wenn  ich  noch  eine 
Reihe  anderer  Stellen  angeführt  hatte,  in  denen  mir  die  Erklärung  des 
Herrn  F.  nicht  zu  genügen  schien.  Sollte  die  eine  oder  die  andere 
meiner  Bemerkungen  bei  dem  Herausgeber  selbst  Anerkennung  finden, 
80  würde  mir  das  keine  geringe  Freude  sein. 

Wir  schlieszen  unsere  Anzeige  von  dieser  dem  angegebenen 
Zwecke  vollkommen  entsprechenden  Ausgabe  des  Theokrit  mit  der 
Bemerkung,  dasz  der  Herr  Heransgeber  die  verdienstlichen  Arbeiten 
seiner  Vorgänger  mit  groszer  Sorgfalt  benutzt  und  selbst  bedeutendes 
geleistet  hat,  sowol  für  die  Kritik  des  Textes,  die  er  mit  groszem 
Scharfsinn  handhabt,  als  besonders  für  die  ErklÖrung,  die  sprachlich 
und  sachlich  gefördert  erscheint.  Die  Ausgabe  ist  durch  den  Namen 
des  Herausgebers  schon  genug  verbürgt  und  empfohlen  und  bedarf  in- 
sofern nicht  meines  Lobes. 

Fulda.  Dr  Oslermann, 


25. 

Jf .  TviUi  Ciceranis  ad  T,  Pomponium  Atticum  de  senectute  Über 
qui  inscribilur  Cato  maior.    Für  den  Schulgebrauch  erklärt 
von  Gustav  Lahmeyer.   Leipzig  1857,  Druck  und  Verlag 
.   von  B.  G.  Teubner. 

Bei  ier  Ausarbeitung  dieses  Werkes  hat  sich  der  Verfasser  be- 
strebt den  eigentlichen  Zweck  und  Charakter  einer  Schulausgabe  überall 
treu  im  Auge  zu  behalten,  und  daher  auch  alle  polemischen  Bemerkun- 
gen, sowie  alle  rein  gelehrten  Auseinandersetzungen  aus  dem  Gebiete 
der  philologischen  Kritik  und  Exegese  von  derselben  fern  gehalten. 
Dagegen  hat  der  Verfasser  die  Abweichungen  des  hier  gegebenen 
Textes  von  der  höchst  verdienstlichen  Textesrecension  von  Reinhold 
Klotz,  welche  am  Ende  des  Textes  kurz  zusammengestellt  sind,  sowie 
einige  wichtigere  Punkte  in  Betreff  der  Erklärung  und  der  ganzen  Ein- 
richtung des  Werkes  in  seiner  Recension  der  Ausgaben  des  Cato  maior 
von  C.  W.  Nauck  (Berlin  1855),  J.  Sommerbrodt  (zweite  Aufl.  Berlin 
1855)  und  Reinh.  Klotz  (Leipzig  1855)  zu  rechtfertigen  gesucht  (in 
diesen  Jahrb.  1857  Bd  LXXVl  S.  133 — 156)  und  neuerdings  auszerdem 
Ober  eine  einzelne  Stelle  (19,  71)  im  Fhilologus  XI  3  S.  592  f.  seine 
Ansicht  ausgesprochen,  welche  er  auch  noch  jetzt,  obwol  Rauchenstein 
(ebendas.  S.  593)  davon  abweicht,  für  die  richtige  hält.  Bei  den  ein- 
gehenden Studien,  welche,  wie  der  Verf.  im  Vorwort  bemerkt,  auch 
einer  Schulausgabe  immer  vorangehen  und  ihr  erst  eine  sichere  Grund- 
lage schaffen  müssen,  hat  derselbe  allen  ihm  bekannten  Stoff  gewissen- 


364  Lahmeyer:  Ciceros  Cato  maior. 

haft  zu  Rethe  gezognen.  Auszer  den  schon  genannten,  in  ihrer  Art  sehr 
anerkennenswerthen  Werken  and  den  bekannten  älteren  Ausgaben  sind 
namenllich  berücksichtigt  die  verschiedenen  Beiträge  von  C.  W.  Nanck 
in  Jahns  Archiv  VIII  S.  552  f.  und  XII  558 — 568,  sowie  in  dem  Oster- 
programm  des  Gymnasiums  zu  Königsberg  i.  d.  N.  von  1850;  die  ad- 
notationes  in  Cic.  Cat.  mai.  et  Laelium  von  Prof.  Kleine  im  Wetzlarer 
Programm  von  1855;  die  gelehrten  Citate  und  Bemerkungen,  welche 
Prof.  F.  A.  Mcnke  in  früheren  Jahren  am  Rande  seiner  Handausgabe 
eingetragen  hat. 

Dem  mit  erklärenden  Anmerknngen  versehenen  Texte  gebt  eine 
den  Schuibodürfnissen  entsprechende  Einleitung  zu  dieser  Schrift  vor- 
aus, die  sich  über  Zeit,  Veranlassung,  Form  derselben,  über  die  Per- 
sonen und  die  Zeit  des  Dialogs  verbreitet,  und  weil  Cicero  dem  alten 
Cato  die  Rede  nicht  nur  äuszerlich  in  den  Mund  gelegt,  sondern  die- 
selbe auch  überall  mit  geeigneten  Hinweisungen  und  Anführungen  ans 
dessen  eigenem  Leben  durchzogen  hat,  so  ist  ganz  zweckmSszig  za 
deren   leichterem  Verständnisse    auch  ein  tabellarischer  Abrisz  der 
Hauptumslände  aus   dem  Leben  Catos  beigefügt,   unter  Angabe  der 
Stellen  dieser  Schrift,  wo  jene  erwähnt  werden.    Die  historischen  und 
biographischen  Notizen  über  die  in  der  Schrift  angeführten  Eigen- 
namen sind  in  einem  Index  am  Schlüsse  zusammengestellt,  was  wir 
bei  einer  Schulausgabe  für  angemessener  halten,  als  wenn  dieselben 
der  jedesmaligen  einzelnen  Stelle  beigefügt  sind,  zumal  wenn  öftere 
gegenseitige  Hinweisungen  nöthig  sind    Was  zunächst  den  Text  be- 
triirt,  so  hat  der  Herausgeber,  wie  oben  bemerkt,  die  Recension  von 
R.  Klotz  zu  Grunde  gelegt,  in  welcher  er,  abgesehen  von  Abweichnn-^ 
gen  in  Orthographie  und  Interpunction ,  nur  an  18  Stellen  eine  Aen- 
derung  hat  eintreten  lassen,  nemlioh  1,  1  iisdem  rebus  statt  eisdem 
rebus;  1,  2  nunquam  laudari  igitur  statt  nunquam  igitnr  laudari;  2,4 
a  se  ipsi^  statt  a  se  ipsi;  3,  9  ne  extreme  quidem  tempore  statt  ne  in 
extremo  usw.;  5,  14  cum  ego  statt  cum  ego  quidem;  6,  16  zeptimo 
decimo  anno  statt  Septem  et  decem  annos;  7,  24  quanquam  hoc  mirnm 
sä  statt  q.  h.  m.  est;  8,  25  atque  in  ea,  qnae  non  vult  statt  a.  ia  ea 
quidem,  q.  n.  v. ;  8  26  ei  ego  feci  statt  ut  ego  f.;  9,  27  nee  nono  qui- 
dem statt  ne  n.  q.;  14,  49  contentionum  statt  contentionis ;  15,  52  aut 
stirpium  statt  ac  stirpium;  15,  53  sarmentorum  ea  statt  sarmentornoi- 
que  ea ;  16,  57  oUvetorumve  statt  olivetorumque;  19, 67  meUus  et  pra- 
dentius  statt  et  melius  et  pr.;  20,  72  et  mortem  coutomnere  statt  mor- 
temque  cont. ;  23,  83  eos  solum  convenire  statt  eos  solos  oonv. ;  23, 84 
ad  illud  divinum  statt  in  illud  div.  —  Die  hier  bemerkten  Abweiobaa- 
gen  von  dem  Klotzschen  Texte,  die  wir  meist  für  begründet  erachten, 
finden  wir  auch  theil weise  in  der  Ausgabe  von  Orelli,  sowie  ia  der 
Madvigschen  Recension,  welche  sich  bekanntlich  auf  die  erste  sorg- 
fältige CoUation  des  besten  aller  Codices,    des   rogius   Pariaieaais, 
stützt.' 

Der  dem  Texte  beigegebene  Commentar,  in  welchem  aich  der 
Verf.  auch  bezüglich  der  Citate  nicht  über  den  Standpunkt  and  die 


Lahmeyer:  Ciceros  Cato  maior.  365 

BedOrfaisse  der  Sobfller,  für  welche  die  ErKKrang  bestimmt  ist,  er- 
hoben hat,  bietet  (in  sachlicher  und  sprachlicher  Beziehung)  den  Stoff 
20  einer  gründlichen  und  umfassenden  Vorbereitung  auf  die  Lecture 
in  der  Klasse ,  und  sucht  dem  Schüler  das  Verständnis  des  einzelnen 
%n  erleichtern,  ohne  dasE  durch  Qberflüssige  Bemerkungen ,  durch  Ue- 
bersetzung  einzelner  Stellen ,  die  gar  keine  Schwierigkeit  bieten ,  die 
Selbstthatigkeit  gehemmt  wird.  Dasz  eine  genaue  Angabe  des  Inhalts 
und  Gedankengangs  bei  jedem  Kapitel,  wie  wir  dieses  in  Schulausgaben 
80  oft  finden,  hier  fehlt,  halten  wir  für  einen  Vorzug,  insofern  als  der 
Lehrer  alsdann  nicht  einer  sehr  nützlichen  Aufgabe  für  den  Zweck  der 
Repetition  beraubt  wird.  —  Wie  Referent  der  zweckmSszigen  und 
paedagogischen  Behandlung  seinen  Beifall  schenkt,  so  stimmt  er  auch 
in  der  Erklärung  des  einzelnen  in  den  meisten  Fällen  tnit  dem  Heraus- 
geber überein.  Einige  wenige  Differenzen  nebst  einigen  anderen  Zu- 
sätzen mögen  noch  am  Schlüsse  dieser  Anzeige  ihre  Stelle  finden. 

Die  Bedeutung  von  coquere  (1,  1),  welches  sich  in  diesem  Sinne 
nur  bei  Dichtern  und  späteren  Prosaikern  findet  (Verg.  Aen.  VII  345. 
Qaintil.  XH  10,  77),  konnte  bemerkt  werden;  ebenso  war  für  den 
Schüler  bei  den  Worten  band  magna  cum  re  die  Erklärung  von  res  = 
res  familiaris  nothwendig.  Zu  plenus  fidei  wird  bemerkt,"  dasz  bei  den 
älteren  Dichtern  häufig  zur  Vermeidung  von  Positionslänge  schlieszen- 
des  8  in  der  Aussprache  ausgestoszen  werde.  Ob  hlos  im 
sprechen  oder  auch  in  der  Schrift  ist  ungewis;  aber  wol  nur  in  den 
Endsilben  ts  und  Üs^  seltener  in  ts;  von  anderen  Endungen  auf  $  mit 
vorhergehendem  kurzen  Vocal  äs^  Ös,  ^s  finden  sich  keine  Beispiele 
dieser  Elision,  welche  in  der  gebildeten  Dicbtersprache  des  Augustei- 
schen Zeitalters  nicht  mehr  gebräuchlich  war.  Cicero  billigt  übrigens 
die  alte  Sitte  (Grat.  48, 161). 

Auf  den  Unterschied  von  cerio  scio  (1)  und  cerle  scio  (2)  konnte 
aufmerksam  gemacht  werden,  wenn  auch  nur  in  der  Form  einer  an  den 
Schüler  gestellten  Frage.  Noctesque  diesque  ist  wol  dem  homerischen* 
vvfnag  re  xccl  ri(iciQ  nachgebildet. 

I  3  Aristo  Cius.  Statt  der  vulgata  Chins  haben  Klotz  und  Nad- 
vig  mit  Recht  aus  mehreren  Handschriften  Ceus  aufgenommen.  Warum 
Cius,  wenn  die  Insel  Cea  bei  Livius  auch  Cia  genannt  wird?  Der  Be- 
nerknng  zu  suis  libris,  dasz  das  Possessiv  durch  die  Stellung  hervor- 
gehoben werde,  hätte  es  wol  nicht  bedurft.  II  4.  Die  Erklärung  des 
Coni.  senserim  *er  weist  darauf  bin ,  dasz  diese  Beobachtung  schon 
fr&her  bei  jener  Bewunderung  wiederholt  zu  Rathe  gezogen  sei%  ist 
für  den  Schüler  nicht  verständlich.  Dieser  Conjunctiv  ist  derselbe, 
wie  der  eines  Nebensatzes  der  oratio  oblique.  Scipio  deutet  damit  an, 
dasz  er  bei  seinen  früheren  derartigen  Gesprächen  mit  Lälius  diesen 
Grund  im  Sinne  gehabt  und  geäuszert  habe ;  der  Indicativ  würde  ge- 
setzt sein,  wenn  er  zu  der  Erwähnung  seiner  Bewunderung  des  Cato 
jetz  t  den  Grand  hinzufügte.  II  5  zu  extremum  actum  heiszt  es:  *das 
Leben  wird  mit  einer  fabula  verglichen.'  Passend  konnte  die  Frage 
angereiht  werden:  wer  ist  der  Dichter?  wer  die  Schauspieler?    III  7. 


3G6  Lahmeyer :  Ciceros  Cato  maior. 

Bei  senectutem  sine  qaerela  muste  auf  diese  Verknapfung  obne  Particip 
hingewiesen  werden ,  welche  nach  Ciceros  Zeit  häufiger  vorkommt. 

111  8  verwirft  der  Herausgeber  mit  Madvig  nobilis.  Prorsus  enim, 
sagt  dieser,  perverse  duo  adiectiva  ad  suam  utrumque  conditionem  ro- 
feruntur,  tanquam  alia  sit  nobilitas,  alia  claritas,  ad  illam  Seripbiaa,  ad 
hanc  homo  iners  nequeat  pervenire,  quum  haec  ^it  sententia,  eidem  rei 
utrumque  obstare,  patriae  nimiam  parvitatem  et  ingeuii  inopiam.   Soll- 
ten aber  nicht  vielmehr,  wie  Haacke  (in  den  N.  Jahrb.  Bd.  LVIIl  S.  B92) 
vermutet,  dem  griechischen  Text  (Fiat.  Rep.)  entsprechender  die  letz- 
ten Worte  (clarus  unquam  fuisses)  zu  verwerfen  sein,  so  dass  die 
Stelle  lautete:  nee  hercule,  inquit,  si  ego  Seriphius,  essen  nobilis: 
nee  tu,  si  Atbeniensis?  Dann  entspräche  nobilis  dem  ovo^ucctog  und 
stände  au  derselben  Stelle,  wie  dies  bei  Plato;  das  schleppende  und 
neben  esses  unpassende  unquam  fuisses  fiele  weg,  und  vor  allem  der 
Witz  erhielte  seine  griechische  Kürze  wieder.   YllI  25  wird  bei  videt, 
wozu  aus  diu  vivendo  ein  allgemeines  Subject  (=  diu  vivens)  tu  ent- 
nehmen sei ,  mit  Unrecht  auf  Herod.  I  32  iv  xa  fiaKQm  XQOvca  nokl« 
iati  (besser  TtoXXa  (lev  iaxi  Idieiv^  ra  ^i^  t ig  ibiksi)  hingewiesen,  wo 
ja  das  Subject  nicht  fehlt,  sondern  statt  im  Hauptsatze  zu  stehen,  in 
den  relativen  Nebensatz  gezogen  ist.  XIV  49  liest  der  Verf.  mit  Madvig 
videbamus  in  studio  dimetiendi   paene  coeli  atque  terrae  C.  Gallan 
statt  mori  paene  vid.  in  slud.  dim.  coeli  usw.    Den  Vorzag  der  leti- 
teren  Lesart  vor  der  ersteren  hat  Haacke,  dem  wir  beipflichten,  aas- 
einandergesetzt  in  den  N.  Jahrb.  1850  S.  393.    XIX  71  vix  evellnntar. 
Die  Vergleichung  (sie  vitam  adolescentibus  vis  aufert)  verlangt  vi, 
und  dieses  passt  sehr  gut  zu  evelluntur,  während  von  dem  abreisten 
unreifen  Obstes  doch  wol  nicht  leicht  vix  gesagt  werden  kann.   Was 
die  Lesart  et  cocta  anbetrifft,  wofür  sich  bei  Burley  et  tacta  findet,  so 
kann  ich  dem  Herrn  Herausgeber  nicht  beipflichten,  wenn  derselbe  in 
Philologus  Jahrg.  XI  Heft  3.  S.  593  sagt,  dasz  biei  dem  Obste,  wie  bei 
den  Greisen,  allein  die  Reife  in' Betracht  kommen  müsse,  und  dtsi 
folglich  die  Aenderung  tacta  einen  nicht  blos  unnöthigen,  sondern  ge- 
radezu ungehörigen  und  störenden  Gedanken  in  den  Zusammeobang 
bringe.    Es  hängt  die  Entscheidung  hierüber  auch  davon  ab,  ob  wir 
vix  oder  vi  gelesen  wissen  wollen.    Dem  cruda  steht  gegenüber  na- 
tura, dem  evelluntur  decidunt,  dem  vi  tacta.    Wollten  >/yir  den  Ver- 
fasser beistimmen,  so  wäre  am  besten  auch  et  cocta  zu  streichen,  wo- 
für freilich  alle  Autorität  fehlt.    Rauchenstein  hält  (Philologus  Jahrg. 
XI  Heft  3  S.  593)  die  Lesart  et  tacta  für  sehr  gefällig,  wünscht  aber 
statt  et  tacta  vel  tacta.    Referent  hält  diese  letztere  Aenderung  niobt 
für  nöthig,  will  aber  et  |acta  auch  nicht  mit  matura,  sondern  mit  deci- 
dunt verbinden.  ^Das  unreife  Obst  wird  mit  Gewalt  abgerissen,  das 
reife  fällt  ab,  wenn  es  auch  nur  berührt  wird.'   Die  Anwendang 
auf  die  Jugend  und  das  Greisenalter  verliert  auf  diese  Weise  nicbt 
nur  nicht,  sondern  der  Vergleich  erscheint  um  so  treffender  und  schla- 
gender. 

Fulda.  Dr  Osiermann, 


Schwab :  deutsche  Lieder  und  Gedichte.  367 

Fünf  Bücher  deutscher  Ideder  und  Gedichte.  Von  A.  von  HaUer 
bis  auf  die  neusele  Zeit.  Eine  Mustersammlung  mit  Rüchsicht 
auf  den  Gebrauch  in  Schulen.  Herausgegeben  ton  Gustat 
Schwab.  Vierte  neu  vermehrte  Auflage.  Leipzig,  Verlag 
von  S.  Hirzel,    1857. 

An  Gedichtsammlungen  für  den  Gebrauch  in  Schulen  ist  kein 
Mangel,  sondern  vielmehr  Ueberflnsz:  fragt  man  aber  nach  wirlilich 
empfehlenswerlhen  Anthologien,  so  schrumpft  die  lange  Reihe  der 
sich  zum  Schulgebrauch  darbietenden  Bücher  gar  sehr  zusammen. 
Dieser  kleineren  Zahl  aber  gehört  ohne  Zweifel  das  oben  verzeichnete 
Buch  von  Gustav  Schwab  an,  ja  es  darf  sich  den  besten  zuzählen. 

Nach  dem  Tode  des  Verfassers  —  Schwab  starb  bekanntlich  an 
4.  Nov.  1850  —  hat  Hr  Rector  Dr  J.  L.  Klee  in  Dresden  die  Bearbei- 
tung der  4n  Auflage  übernommen  und  sich  durch  dieselbe  um  Sehnte 
und  Haus ,  um  alle  Freunde  deutscher  Dichtung  ein  dankenswerthes 
Verdienst  erworben.  Denn  ist  es  überhaupt  wünschenswerth,  dasz 
brauchbaren  Büchern,  insbesondere  Schulbüchern,  ihre  Brauchbarkeit 
erhalten,  dasz  dieselbe  durch  weitere  vorsichtige  Verbesserungen  er- 
höht werde,  und  sollte  man  überhaupt  nicht  so  leicht,  wie  es  geschieht, 
das  schon  vorhandene  durch  ganz  neue  Producte  zu  ersetzen  unterneh- 
men: so  gilt  das  gewis  erst  recht  an  derartigen  Sammlungen,  Antholo- 
gien, Chrestomathien  und  wie  sie  sonst  heiszen,  die  durch  wiederholte 
Durchsicht  und  aufmerksames  nachbessern  bei  längerem  bestehen  nur 
gewinnen. 

In  diesem  Sinne  ist  Herr  Rector  Klee  an  die  gern  übernommene 
Aufgabe  gegangen :  er  hat  voll  Takt  und  Pietät  die  Grundlage  des  Ba- 
ches nicht  angetastet,  sondern  nur  in  einzelnen  Stücken,  was  Inhalt 
und  Anordnung  betrifft,  geändert,  namentlich  aber  das  5e  Buch,  wel- 
ches die  Dichter  seit  1815  behandelt,  wesentlich  erweitert.    Dieses 
Buch  enthält  in  der  neuen  Auflage  nicht  weniger  als  19  Dichter,  welche 
bisher  nicht  vertreten  waren,  zum  Theil  noch  nicht  vertreten  sein 
konnten,  und  zwar:  Pfarrius,  Daumer,  Mises  (Fechner),  Fein,  Hammer, 
Sallet,  Frey  tag,  Groth,  Fischer,  Sturm,  Bodenstedt,  Wolfgang  Müller, 
Storm,  Lingg,  Scriba,  Roquette,*Heyse,  Bodenberg,  Treitschke.    Es 
sind  das  zum  groszen  Theil  Namen,  deren  Anspruch  auf  Berücksichti- 
gung nicht  bestritten  werden  wird:  dagegen  leuchtet  mir  bei  anderen 
nicht  ein,  weshalb  sie  den  Vorzug  vor  manchem  nicht  aufgenommenen 
Dichter  verdienen.    Ich  will  nur  an  Bechstein,  Soheuerlin,  Kngler, 
Dräxler-Manfred,  Strausz,  Prutz,  Hartmann,  L.  v.  Plönnies,  L.  Hensel, 
Strachwitz  erinnern,  dabei  aber  keineswegs  dem  Urteile  entgegentreten, 
welches  der  Bearbeiter  in  seinem  Vorwort  (S.  XII)  über  die  neueste 
deutsche  Lyrik  fällt.    Vielleicht  gestattet  ein  baldiger  Wiederabdroek 
weitere  Rücksichtnahme,  die  immerhin  den  Umfang  des  Baches  nicht 
wesentlich  zu  vergröszern  brauchte. 


368  Schwab :  deutsche  Lieder  und  Gedichte. 

War  die  Auswahl,  welche  der  verstorbene  Schwab  getroffen 
hatte,  schon  im  ganzen  eine  feine  und  glückliche  zu  nennen,  so  haben 
Klees  Veränderungen  diesen  Vorzug  nur  noch  erhöht.  Man  kann  über 
einzelnes  leicht  andrer  Meinung  sein,  da  ja  das  Urteil  Aber  die  ein- 
zelnen Gedichte  der  Dichter  so  schwankend  ist,  und  jeder  gern  seine 
Lieblingsstücke  in  solchen  Sammlungen  alle  fände.  Aber  prüft  mau 
sorgfältig  und  erwägt,  dasz  eine  Auswahl  sich  doch  auch  beschränken 
musz,  um  nicht  unhandlich  zu  werden,  so  wird  man  die  meisten  Be- 
denken leicht  fahren  lassen  können.  Nur  das  bleibt  bedauerlich,  dasz 
der  Spaziergang  von  Schiller,  vielleicht  gerade  dasjenige  Gedicht,  das 
keiner  Sammlung  für  den  Gebrauch  in  Oberklassen  fehlen  dürfte,  durch - 
ein  Versehen  nicht  zur  Aufnahme  gelangt  ist.  Läszt  sich  einerseits  in 
der  Schule  dieser  Mangel  gerade  bei  Schiller,  dessen  Gedichte  ja  fast 
in  allen  Familien  vollständig  zu  finden  sind,  leicht  ausgleichen,  so 
wird  anderseits  auch  hier  eine  folgende  Aufiage  abhelfen  können. 

Ist  nun  ferner  die  äuszere  Ausstattung  des  Buches  masterhaft, 
der  Druck  sauber  und  correct  zu  nennen,  so  kann  die  neue  Auflage 
der  Schwabschen  Mustersammlung  wol  allen  höheren  Lehranstalten, 
sowie  zum  Hausgebrauche  lebhaft  empfohlen  werden.  Sie  wird  bei 
dem  deutschen  Unterrichte  vortrefflich  benutzt  werden  können,  wenn 
neben  ihr  noch  ein  Prosa-Lesebuch  gebraucht  wird.  Eine  solche  Tren- 
nung aber  ist  in  höher  strebenden  Schulen  nur  räthlioh,  wenn  nicht  bei- 
den Stilgattungen  in  der  Auswahl  zu  viel  Eintrag  gethan  werden  soll 
oder  die  Lesebücher  zu  Folianten  anschwellen  sollen. 

Frankfurt  a.  M.  F.  Paldamus. 


27. 

Bucher  zum  französischen  Unterricht. 


Schwalb  Elite  des  classtques  frangais  avec  les  notes  des  meU- 
leurs  commentatetirs,  Essen,  Baedeker.  —  Vol.  1.  AlhaUe^ 
trägste  de  Racine^  seconde^  edition,  1854.  2.  Le  Cid^  trag, 
de  Corneille  1849.  3.  Le  Misanthrope^  comädie  de  Moliire. 
1849.  4.  VAvare^  comedie  de  Molidre.  1850«  b.  Boileau 
Chefs'd^oeuvre  poiliques,  1850.  Q,  Horace^  tragidie  de  Cor- 
neille, 1851.  7.  Lucrice^  tragidie  de  Ponsard^  avec  des  no- 
tes par  Dr  A.  Scheler.  1852.  8.  IpMgänie  enAuUde^  iragi- 
die  de  Racine.  1855. 

Seit  einer  Reihe  von  Jahren  sind  die  Schwalbschen  Scbulaasgaben 
französischer  Klassiker  den  Lehrern  bekannt,  so  dasz  wenigstens  fttr 
die  schon  früher  erschienenen  Bände  eine  eingehende  Besprechung  fig- 
lich  unnutz  ist.   Die  meisten  Lehrer  des  Französischen  wissen  wol  ans 


Bficher  «am  fransösisohen  Unterricht.  369 

eigner  Erfahrang,  daszdie  in  diesen  Schalansgaben  gebotenen  sach- 
lichen and  grammatisciien  Bemerkungen,  ohne  zu  ausführlich  zu  sein, 
doch  flicht  die  bequeme  cursorische  Leetüre  erlauben,  über  welche 
man  im  Französischen  nicht  immer  hinauskommt.  So  verdienen  diese 
Ausgaben  nach  ihrer  Behandlung  alles  Lob.  Ob  die  Auswahl  derselben 
den  neuerdings  in  Bezug  auf  die  französische  Leetüre  mehr  und  mehr 
befolgten  Grundsätzen  ganz  entspreche,  erlaube  ich  mir  eher  in  etwas 
zu  bezweifeln,  ich  neige  mich  wenigstens  zu  der  Ansicht,  dasz  der 
Jugend  die  gute  neuere  Prosa  müsse  vornehmlich  zugeführt  werden, 
von  poetischen  Werken  aber  auch  die  Erzeugnisse  der  klassischen 
Periode  mit  vorsichtiger  Auswahl  darzubieten  seien,  nicht  als  ob  die- 
selben schädlich  wären  wie  die  leichtfertigen  Bühnenfabrikationen  der 
Gegenwart,  wol  aber  fürchte  ich,  dasz  sie  die  Jugend  nicht  anspreches. 
Ich  kann  hier  zum  Theil  aus  eigner  Erfahrung  reden,  und  zwar,  daaz 
meine  Schüler  die  Atbalie  und  vor  allem  Moli^res  Prosa  mit  lebhaftem 
Interesse  lasen;  die  Iphigenie  mit  ihrem  Pathos,  der  der  Jugend  um 
seines  Stoffes  willen  nicht  zusagende  Misanthrop  wurden  gelesen  mit 
Verehrung  vor  den  Namen  der  Verfasser,  doch  ohne  warmen  Antheil. 
Dasz  ziemlich  ein  gleiches  stattfinden  würde  bei  Corneilles  Dramen, 
musz  ich  fuglich  annehmen;  Boileaus  schöne  Sprache  ist  für  den  frem- 
den kaum  herauszufühlen,  sein  feiner  Witz  bedarf  zu  vollem  Verständ- 
nis eine  Einzelkenntnis  der  damaligen  Litteraturverhältnisse;  die  Lo- 
cr^ce  erlaubt,  was  die  poetische  Bedeutsamkeit  betrifft,  mancherlei 
Ausstellungen,  noch  mehrere  bezüglich  des  geschichtlichen  Inhalts, 
welcher  mir  jederzeit  etwas  bedenklich  vorkam.  Das  sind  nun  aller- 
dings keine  Bemerkungen  gegen  die  Herausgeber,  die  Herren  Schwalb 
und  Scheler,  sondern  nur  gegen  die  Passlichkeit  der  genannten  Dichter 
für  den  Unterricht.  Lehrern  aber,  welche  glauben  bei  ihren  Schülern 
für  jene  Werke  des  goldenen  Zeitalters  Verständnis  und  Interesse  lu 
finden  oder  erwecken  zu  können,  diesen  sind  die  Schwalbschen  Ana- 
gaben  langst  vortheilhaft  bekannt,  und  es  handelt  sich  so  nur  darum, 
sie  denselben  nochmals  ins  Gedächtnis  zu  rufen. 

Schwalb  BibUothique  choisie  de  la  Utt^rature  frcmi^aise  tn 
prose.  Essen,  Baedeker.  1857.  T.  I.  Gmzot  Discours  sur 
Vhistoire  de  la  r&oolution  d^Angleterre.  (6  Sgr.).  II.  Cm- 
zot  histoire  de  Charles  I  depuis  son  aeenement  jusqu^  ä  sa 
mori.  (10  Sgr.).  III.  Lettres  et  po^sies  de  FrMMe  le 
Grand,  I.  (15  Sgr,) 

Diese  zweite  unter  Herrn  Schwalbs  Leitung  heraaskommende 
Sammlung  schlieszt  sich  der  ersteren  an,  ob  sie  gleich  nicht  nur  im 
Format,  sondern  auch  in  der  ganzen  Behandlung  sich  von  jener  unter- 
scheidet. Die  grammatischen  Bemerkungen  fallen  hier  ganz  weg,  und 
es  sind  dem  Text  nur  bisweilen  kurze  sachliche  Erläuterungen  beige- 
fügt, welche  bei  Werken  wie  das  zweite  und  dritte  durchaus  nolh- 
wendig  erscheinen.     Gute  Prosawerke  der  Jugend  zu  bieten,  iai  in 


370  Bficher  eom  frantösischen  Unterricht. 

neaerer  Zeit  das  emsige  bestreben  der  mit  der  französiscben  Litteratar 
vertrauten  Manner:  verschiedene  Sammlungen  sind  begonnen  worden. 
Die  Auswahl  scheint  mir  hier  sehr  schwer  zu  sein,  denn  gleich  gewagt 
ist  es,  Dinge  zu  wfihlen ,  welche  zu  hoch,  wie  solche,  welche  zu  nied« 
rig  sind,  obgleich  man  seltener  in  den  letzteren  Fehler  als  in  den  er- 
ateren  verfallen  mag.  So  musz  ich  bezweifeln,  dasz  die  Wahl,  des 
Discours  glQcklich  sei.  Um  dies  schwere  Buch  mit  Nutzen  und  WoU 
gefallen  zu  lesen,  erfordert  es  eine  Kenntnis  der  Geschichte,  wie  sie 
von  einem  Schüler  nicht  erwartet  werden  kann ;  warum  also  ihm  rai- 
sonnement  Qber  Ereignisse  zumuten,  welche  er  nicht  genau  kennt  noch 
kennen  kann?  So  halte  ich  es  für  einen  weit  glücklicheren  Griff,  wel- 
chen Herr  Schwalb  mit  der  Histoire  de  Charles  1  gethan  hat.  Das  ist 
ein  Stoff,  ii^  welchem  so  viel  äuszere  Handlung,  soviel  Kraft  der  Lei- 
denschaft, solch  gewaltige  Charaktere  vorkommen,  dasz  ungeachtet 
des  ausschliesziich  politischen  Stoffes  doch  von  einer  geweckten  Ober- 
klasse das  zu  gedeihlichem  lesen  erforderliche  Interesse  vorausge- 
setzt werden  kann.  Nicht  dasselbe  kann  ich  annehmen  vom  dritten 
Bändchen,  zu  welchem  in  der  Kürze  noch  ein  viertes  sich  gesellen  soll. 
Es  ist  einem  König  nicht  zuzumuten ,  dasz  er  seine  Briefe  nach  den 
Gymnasiasten  zurichte,  welche  dieselben  nach  hundert  Jahren  lesen 
konnten.  Friedrich  der  grosze  steht  in  der  Geschichte  als  eine  gewal- 
tige Heldengestalt  da.  In  vielen  seiner  Briefe  zeigt  er  seinen  Geist, 
seine  Liebenswürdigkeit  im  schönsten  Lichte;  hfinflg  aber  ist  deren 
Inhalt  wieder  dergestalt,  dasz  sie  zwar  den  Geschichtsforscher  und 
reifen  Mann  aufs  wärmste  interessieren;  aber  nicht  alles  interessante^ 
ist  auch  für  die  Schule  brauchbar.  Darum  würde  diese  Auswahl  aoa 
Friedrichs  des  groszen  Schriften  nur  als  ein  verfehltes  Unternehmen 
erscheinen  um  des  Inhaltes  willen,  auch  wenn  die  Form^eine  solche 
wäre,  wie  sie  als  Muster  des  klassischen  Französisch  der  Schule 
geboten  werden  kann. 

Bekannt  ist  Friedrichs  des  groszen  Abneigung  vor  dem  Ehebnnd 
mit  der  Prinzessin  Elisabeth  von  Braunschweig,  seiner  nachherigen 
Gemahlin.  Mancher  hat  schon  über  ein  Mädchen  seine  Witze  gemacht, 
sie  verabscheut,  und  sie  nachher  doch  geheirathet;  aber  ein  anderes 
ist  es ,  ob  solch  unglückliche  Verhältnisse  der  Jugend  zum  Bewustsein 
sollen  gebracht  werden,  ob  man  dieselbe  geflissentlich  in  dieses  glän- 
zende Elend  einführen  soll.  Jedenfalls  halte  ich  es  für  sehr  bedenklieh, 
der  Jugend  ein  Buch  in  die  Hand  zu  geben,  worin  sie  Stellen  findet  wie 
S.  321  j'aime  mieux  6tre  oocu  ou  ä  servir  sous  la  fontange  alti^re  de 
ma  future  qne  d^avoir  une  hhie  qui  me  fera  enrager  par  des  sottises 
et  que  faurais  honte  de  produire;  S.  33.  Vous  ponvei  croire  eneore 
oombien  je  serai  embarrass6,  devant  faire  Tamoroso  peut-6tre  sans 
r^re,  et  de  goüter  ä  une  laideur  muette.  Si  eile  voulait  tonjours 
danser  snr  un  pied ,  apprendre  la  musique  et  devenir  plntöt  trop  libre 
que  trop  vertneuse ,  ah !  alors  je  me  sentirais  du  penchaut  pour  eile ; 
roais  si  eile  est  stupide,  naturellement  je  renonce  ä  eile  et  aa  diable; 
und  daselbst:  je  vous  en  croirais  snr  tout  au  monde  hormis  snr  le 


Bücher  zum  französischen  Unterricht.  371 

sojet  des  fenimes,  quoiqae  je  sache  bien  qne  vous  les  avez  fr^quent^e« 
jadis.  S.  45.  J'^aime  le  sexe  mais  je  Paime  d^on  amour  bien  volage;  je 
D^en  veax  que  la  jouissaoce  et  apr^s  je  le  möprise.  Je  tiendrai  ma  po- 
rolOf  je  me  marierai,  mais  apr^s,  voilä  qni  est  fait,  et  bonjoar  madame, 
et  bon  chemin  usw.  Männer  mögen  hier  den  Unmut  über  eine  erzwuur 
gene  Ehe,  die. leichtsinnigen  Reden  übersprudelnder  Jugendkraft  ohne 
Bedenken  lesen,  aber  Jünglingen  sind  dieselben  in  keinem  Falle  za 
bieten.  Aehnlichen  unangenehmen  Eindruck  macht  eSy'wenn  Fr.  dem- 
selben Grumbkow,  welchem  er  im  Anfang  diese  freundschaftlichen,  bis 
ins  Extrem  offenherzigen  Briefe  schreibt,  nach  seinem  Tode  eine  nicht 
eben  schmeichelhafte  Grabschrift  verfaszt,  und  wenn  er  fast  gleichzeitig 
an  Voltaire  die  grösten  Schmeicheleien  verschwendet,  und  gegen  AU 
garotti  ihn  mit  einem  Affen  vergleicht,  und  meint,  er  könne  ihn  unge- 
achtet seines  verächtlichen  Characters  doch  zum  erlernen  des  FranzÖ* 
sischen  gebrauchen. 

Das  Französische  war  Friedrichs  Lieblingssprache,  aber  mag  er 
sich  darin  noch  so  gewandt  ausgedrückt  haben,  so  blieben  doch  der 
^störenden  Fehler  und  genialen  Willkürlichkeiten  der  königlichen  Or- 
thographie' genug  übrig,  welche  die  Akademie  in  ihrer  Ausgabe  nicht 
immer  gebessert  zu  haben  scheint.  Der  Briefstil  ist  sehr  zu  solchen 
Willkürlichkeiten  geneigt,  und  sogar  Frau  v.  S^vign^  ist  ^icht  frei 
von  denselben,  um  so  weniger  ist  es  wahrscheinlich,  dasz  ein  muster- 
gültig Französisch  gelernt  werde  an  den  Briefen  geborner  Deutscher, 
wie  Friedrich,  Grumbkow,  Seckenderf ,  Suhm  usw.  So  fängt  ein  Brief 
der  Frl.  v.  Grumbkow  an  ihren  Vater  an  mit  den  Worten :  Four  m^ao- 
quitter  de  mon  devoir,  et  en  mdme  temps  ponr  ex6cuter  ses  ordres, 
j^ai  Thonneur  de  lui  mander  qne  usw.  ^S.  43.  Friedrich  schreibt  S.  54 
Le  Roi  ira  le  quatri^me  ä  Brunswik.  S.  60  ist  ein  Brief  datiert 
Salzdahlum  ädouzeheures.  S.  169  schreibt  Friedrich:  Je  ne  sais 
point  comment  j^ai  m^rit^  sa  disgcäce;  mais  sais-je  bien  que  je  ne 
permets  pas  dans  mon  pays  que  usw.  Solche  königliche  Sprachfreihei- 
ten darf  eine  Akademie  durchgehen  lassen,  aber  nicht  ein  Lehrer  des 
Französischen.  Nach  diesem  kann  ich  die  Auswahl  aus  Friedrich  des 
groszen  Briefen  bei  allem  Interesse,  welches  diese  Urkunden  jedem 
Freund  der  Geschichte  darbieten,  für  die  Schule  nicht  für  empfehlens-* 
werth  halten. 

Brandon  Vorschule  für  die  französische  Cotwersation.  Aus* 
toahl  leichler  und  unterhaltender  Theaterstücke,  Zum  über- 
setzen aus  dem  Deutschen  ins  Franwsische  bearbeitet. 
Zweite  Auflage.  1854.  Leipzig,  B.  G.  Teoluier.  —  Zweite 
Vorschule  usw.  1849. 

^Der  Zweck  dieser  Bücher,  sagt  die  Vorrede,  ist  kein  anderer  als 
Französisch  lernenden,  welche  sich  mit  der  Formenlehre  und  den  nöthi- 
gen  Regeln  der  Syntax  bekannt  gemacht  haben,  ein  Uebersetzungsbuch 
in  die  Hand  zu  geben,  welches  ohne  zu  viele  grammatische  Schwierig- 


372  Bücher  zum  fraoEÖsischen  Unterricht. 

keiten  darzabieten,  Anleitung  zu  einer  leichten  und  gefälligen  Umgangs- 
sprache gibt.'  Dasz  die  Wondungen  der  täglichen  Gonversation  durch 
das  französische  Lustspiel  sich  am  besten  lernen  lassen ,  ist  nicht  zu 
leugnen,  wenn  gleich  dem  Gebrauche  derselben  jedenfalls  eine  tüchtige 
Kenntnis  der  Sprache  rorausgehen  musz,  welche  sich  in  der  Unterhal- 
tung über  wissenschaftliche  Gegenstände,  soweit  dieselben  im  Bereich 
der  Schule  liegen,  am  besten  gewinnen  laszt.  Die  von  Hm  Brandon 
getroifene  Auswahl  ist  im  ganzen  nicht  unglücklich ,  mehrere  der  auf- 
genommenen Scenen  und  Stücke  sind  lebhaft,  anziehend  und  dabei,  wtis 
den  überrheinischen  Stücken  nicht  immer  nachzurühmen  ist,  rein.  So 
um  die  beiden  Bände  zusammenzurechnen,  das  Huhn,  der  resende, 
die  Verschwenderin,  der  taube  in  I,  der  launenhafte,  die  kleinen  Lei- 
den in  11;  andere  sind  etwas  langausgesponnere,  doch  wolgemeinte 
dramatisierte  Anekdoten,  wie  Vaterliebe  und  die  Jagdpertie  Heinrichs 
IV.  in  I,  die  beiden  Pagen  in  II.  Echtes  Futter  für  die  Boulevards- 
theater, deshalb  für  den  Zyreck  der  Schule  nicht  wol  geeignet,  sind 
zwei  Worte  in  I,  die  Früchte  der  Erziehung  in  II ;  gegen  die  Spieler 
in  I  Ifiszt  sich  einwenden ,  dasz  vom  Kartenspiel  die  Jugend  nichts  zu 
wissen  braucht.  Ein  entschiedner  Fehlgriff  ist  es,  wenn  ein  Stück  wie 
'er  geht  aufs  Land'  der  Jugend  geboten  wird,  ein  Stück,  welches  die 
abscheulichen  Sitten  der  französischen  Hauptstadt  in  aller  Blösze  nnd 
mit  der  gefahrlichen  Prätension  darlegt,  natnrgeraäss  zu  sein.  Statt 
dieses  Stückes  hatte  sich  sicherlich  ein  zweckmfiszigeres  auffinden 
' lassen.  ' 

Barbieux:  le  livre  des  demoiselles.    Französisches  Lesebuch 
ßr  Mädchenschulen.  Leipzig,  B.  G.  Teubner.   1857.  381  S. 

Der  unermüdliche  Verfasser  gibt  hier  ein  Lesebuch  für  Töchter- 
schulen. Die  ersten  21  Seiten  des  Buches  mit  der  Ueberschrift  Gran- 
maire  geben  kleine  leichte  Lesestücke,  welche  zwar  einige  bereits  er- 
worbene Kenntnisse  voraussetzen ,  aber  doch  zur  Wiederholung  der 
Regeln  über  die  Formenlehre  bestimmt  sind  und  darauf  bezügliche 
kurze  Anmerkungen  haben,  sowie  die  Anmerkungen  der  nächsten  34 
Seiten  zur  Erlöiiterung  syntaktischer  Regeln  dienen.  Ein  Wörterver- 
zeichnis für  diesen  elementaren  ersten  Theil  folgt.  Der  zweite  Theil 
bringt  moralische  Abschnitte,  Erzählungen,  Naturgeschichte,  Reisebe- 
schreibung, Geschichte,  Briefe,  Röcröations  (ich  weisz  für  die  in  die- 
sem Abschnitte  vereinigten  längeren  Geschichten  und  Stücke  aus  dem 
Livre  des  Gl  keinen  Namen  zu  finden)  Gedichte,  gut  gewählte  Lese- 
stücke, nur  dasz  die  Poesie  mit  28  Seiten  sich  hat  begnügen  müssen 
will  mir  etwas  wonig  scheinen.  Den  Schlusz  bildet  ein  Wörterbuch 
zur  seconde  partio.  Das  Buch  ist  von  ansprechendem  reinem  Inhalt, 
wird  der  Jugend  zusagen  und  so  seinem  Zwecke  entsprechen. 

Borel:  des  r^fotmes  Hfteraires operees  par  Maiherbe.  Programm 
des  k.  Gymnasiums  zu  Stuttgart  1857. 


Bachner:  Cardanas  -  Formel.  373 

Eine  schöne  Abhandlung  aber  Malherbe,  den  Opitz  der  Franzosen, 
welcher  durch  strenge  Gesetzgebung  über  Reim  und  Versbau,  durch 
Feststellung  des  cchtfranzosischen  Sprachgebrauchs  der  späteren 
Dichtung  die  feste  sprachliche  Grundlage  gab,  auf  welcher  der  Ro- 
coco-Frachtbau  der  Litteratur  des  goldenen  Zeitalters  sich  erhob. 
Freunde  der  französischen  Litteraturgeschichte  werden  die  schön  ge- 
schriebene Abhandlung  mit  Nutzen  und  Vergnügen  lesen. 

Crefeld.  Buchner. 


28. 

Cardanus  iFormel^  deren  Verwandlung  zur  Berechnung  der  Wur- 
zeln von  Zahlengleichungen  von  der  Gestalt  a^  —  Px —  Q=o^ 
und  eine  allgemeine^  aus  jener  abgeleitete  Form  der  Wurzeln 
der  letzteren.  Lösung  des  dreihundertjährigen  Problems  vo'ß 
Dr  E,  Büchner^  Professor  am  herzoglichen  Gymnasium  zu 
Hildburghausen.  Hildburghausen  (Kesselring)  1857.  8. 

Um  die  vorliegende  Schrift  richtig  zu  beurteilen,  darf  man  nicht 
wegen  der  Titelangabe  ^Lösung  des  dreihundertjahrigen  Problems'  sich 
im  voraus  gegen  dieselbe  durch  die  Ansicht  einnehmen  lassen,  als 
solle  hier  die  Lösung  eines  noch  gar  nicht  gelösten  Problems  ange- 
kündigt werden ,  während  man  ja  längst  auf  trigonojnetrischem  Wege, 
wie  auch  S.  12  und  13  genau  nachgewiesen  ist,  den  sogenannten  irre- 
duciblen  Fall  bei  den  kubischen  Gleichungen  bewältigt  hat,  sondern 
man  musz  durch  sorgfältige  Prüfung  der  hier  gegebenen  Lösung  des 
vor  ungefähr  300  Jahren  zuerst  Aufsehen  erregenden  Problems  sieh 
eine  feste  Ansicht  darüber  bilden,  ob  sie  blos  eine  Wiederholung 
früherer,  längst  bekannter  Lösungen  sei,  oder  vielmehr  nur  das  In- 
teresse der  Mathematiker  fesselnde  Gesichtspunkte  darbiete  und  er- 
sprieszliche  die  Wissenschaft  bereichernde  Ergebnisse  liefere.  Dasi; 
der  letztere  Fall  stattfinde,  da  eine  vollständige  Enthüllung  des 
alten  Räthsels  gegeben  wird,  musz,  was  das  allgemeine  der  Schrift 
anlangt,  von  dem  unparteiischen,  in  das  Wesen  derselben  eindringen- 
den Beurteiler  zugestanden  werden,  obgleich  im  einzelnen  hier  und  da 
eine  Aenderung  wünschenswerth  scheinen  möchte. 

Nach  einer  in  der  Vorrede  gegebenen  geschichtlichen  Einleitung 
werden  im  ersten  Abschnitt  die  Wurzeln  der  Gleichung  x'  —  Px 
—  Q  =  0  entwickelt.  Es  musz,  weil  ihre  Summe  gleich  Null  und 
das  letzte  Glied  negativ  ist,  wenn  sie  alle  drei  reell  sind,  eine  positiv 
und  zwei  negativ  sein,  weshalb  sie  durch  +  P»  —  P'  ^^^  —  P"  ^®- 
zeichnet  werden.  Nun  wird  durch  Rechnung  auf  leichte  Weise  ge- 
funden, dasz  von  den  beiden  Kubikwurzeln  der  Cardanischen  Formel, 


374  Buchner:  Cardanus -  Formel. 


ji      ^i 


wenn  sie  den  Werlh  von  p  geben  soll,  die  eine  =  —  -(- ^-^ ^, 

P        P"  —  P'  1 

die  andere  =  — W — —  sein  masz.    Auch  wird  nachge- 

wiesen,  dasz  für  —  p'  die  beiden  ohne  Kubikwurselseichen  darge- 
stellten Theile: 

2  2       y  3  2  2       f^  3 

sowie  für  —  p": 

2^2*^  3  2  2      y  3 

sind.  Diese  schönen  mit  (5)  bezeichneten  Formeln  (S.  3)  lehren  aus 
den  bereits  bekannten  3  Wurzeln  einer  kubischen  Gleichung  die  bei- 
den Theile  einer  jeden  ohne  Kubikwurzel  darstellen.  Sie  fiaben  deaa- 
nach  ein  groszes  theoretisches  Interesse,  und  insofern  auch  ein  prak- 
tisches, als  es  mitunter  nothwendig  werden  kann  zu  sehen,  wie  bei 
bereits  bekannter  Lösung  einer  kubischen  Gleichung  die  beiden  Theile 
jeder  Wurzel  nach  Ausziehung  der  Kubikwurzel  einzeln  gestaltet  sind, 
was  durch  gewöhnliche  Wurzelausziehung  ans  der  Cardanisohen  For- 
mel im  irreduciblen  Fall  gar  nicht ,  im  reduciblen  nur  mit  Mflhe  er- 
reicht wird.   Im  letzteren  Fall  sei  z.  B.  x'  +  6  x  —  45  =  o  gegeben, 

wovon  die  Wurzeln  sind:  p  =  3,  —  p'  =-  (3  +  J^  —  61)  und — p" 
=  —  (3  —  >^  —  51).    Die  Cardanische  Formel  gibt: 

3y 3 

F    45    ,    l/  2057     ,    1/45         l/  2075 
^ 2  4  2  4 

und,  weil  j/20o7  =  45,35416188  ist, 

3^ 3. 

p  ==  j/45,17708094..  —  j/o,l  7708084.. 

=       3,561553..    —        0,561553..  =  3. 

Da  man  nun  weisz,  dasz  die  Kubikwurzeln  die  Formen  — h  ^d  and 
3  ^ 


]/ n  haben  müssen,  so  gibt: 


--  +  ^  n  =  3,561553  und 

3         /- 

--—  /  n  =  —  0,561553; 


subtrahiert:  2  j/  n  =  4,123106 

j/^  =  2,061553 

17 
n  —  4,25  =  — - 


Büchner:  Cardanns- Formel.  375 


Also  hat  man 
S 


r       2    ^        ^  2^2*^*  '^      2  4  2        2*^ 

als  Formen  der  beiden  Cubikwiirzeln.    Dasselbe  findet  sich  weit  leich- 
ter nach  obigen  Formeln  (5).    Denn  wir  haben : 


3    .     1 


also  ist:  p''  —  p'  =  ^ —  51.    Daher: 

p^     p!1.zlp/— i_  ^  -L  i )/—  51.  j/—  1  _  3  _  1  y~n 

22  322  3~22 


end   P  —  ^^P  /-  1  ^  3  _  1  /-  51.  J/— _l  ^  3        1  /i7. 
2  2  322  32"''  i 

Dieser  Nutzen,  den  die  Formeln  aach  für  den  redacibeln  Fall  haben, 
ist  im  Buche  unerwähnt  geblieben,  indem  der  irreducible  den  eigent- 
lichen Gegenstand  desselben  ausmacht. 

Auf  eigenthümliche  sinnreiche  Art  wird  (Seite  5)  nachgewiesen, 
dasz  für  eine  cubische  Gleichung  mit  3  reellen  Wurzeln  die  cardanische 
Formel  imaginäre  Gröszen  bringen  musz.  Ist  x' —  Px  +  Q  =  o  eine 
solche  Gleichung,  und  setzt  man  in  der  cardanischen  Formel  die  eine 

P  P 

Cubikwnrzel  =  y,  so  ist  die  andere  -— ,  aIsox  =  y H ,  für  welche 

3y  3y 

l/p" 
Formel  x  =  2      --  als  ein  Minimum,  bei  variablem  y,  sich  erweist. 

o 

Es  können  daher  durch  jene  Formel,  bei  reellen  Werthen  von  y,  solche 

r/T 

Werlhe  von  x,  die  kleiner  als  2     •-  sind,  nicht  dargestellt  werden, 

ö 

and  y  musz  daher  für  solche  nothwendig  imaginär  werden.  Bei  die- 
ser Nachweisung  vermiszt  man  aber  noch   den  Grund,  .weshalb  bei 

lauter  reellen  Wurzeln  der  Fall:  x  <  2      --  wirklich  immer  eintreten 

3 

i/T 

(von  dem  einen  Fall  x  =  2  --  abgesehen),  und  deshalb  die  cardani- 
sche Formel  nothwendig  dann  2  imaginäre  Cubikw  nrzeln  geben  musz. 
Der  leichteste  Beweis  für  letzteres  ist  dieser:  die3Wurselnsind  A  +  B, 

2  2  2  ^  2  * 

wobei  A  und  B  als  ungleich  vorausgesetzt  werden,  so  dasz  nicht 

'^ —  =:  0  ist.    Sind  nun  A  und  B  reell,  so  kann,  weil  sie  un- 

4       27  '  * 


N.  Jahrb,  f.  PhU,  ».  Pat(L  Bd  LZXVIII.  Bft  7. 


25 


376  Büchner:  Cardanus- Formel. 

gleich  sind,  das  imaginäre  der  beiden  letzten  Wurzeln  sich  nicht  he- 
ben ,  also  sind  diese  beiden  im  genannten  Fall  nothwendig  imaginfir.. 
Daher  müssen,  wenn  alle  3  reell  sind,  A  und  B  imaginär  sein,  weil, 
wenn  A  und  B  reell  waren,  2  Wurzeln  der  Gleichung,  wie  eben  ge- 
zeigt wurde,  imaginär  sein  würden.  Ausgenommen  ist  nur  der  eine 

Fall,dasz^ -=  0,  also  A  =  B -^ '^  —  z=:^  -  ist:   dann 

'  4        27  '  2  3 

hebt  sich  das  imaginäre  der  Wurzeln,  welche  nun  2A,  — A  und  noch- 
mals —  A  sind. 

Im  zweiten  Abschnitt  wird 'mit  Benutzung  der  mit  (5)  be- 
zeichneten Formeln  die  cardanische  Formel  zum  Zweck  des  Warzel- 
ausziehens umgestaltet.    Setzt  man 

y^  +  j/^Zr^^^LL  + ,  V^l)  „„a 

r      i^  r     ^         27        2\'  3/ 

so  ergibt  sich  wegen  ^ 

T  ("m  +  y  y-}\     =  1  (  m»+  3 nf/-]i  _  my»  +  1  y'^^i') 
'^  V    "^  3/ J        8  \    ■"  3  ""3  3/ 

2  4        27 ' 

da  das  reelle  dem  reellen  gleich  sein  musz, 

J  =  -i(m»  —  m  y«),  also  4Q  =  m  »-  m  y*  u.  y«  =  ^llll?^ 

Da  die  beiden  Cubikwurzeln : 


.        j(m  +  y  ^)  and  \  (m  ~/~\) 

zusammen  m  geben,  so  ist  m  immer  eine  von  den  jetzt  noch  als 
bekannt  angenommenen  Wurzeln  der  cabischen  Gleichung^  i.  B  üi 
X»—  19  X  —  30  =  0  ist: 

x=  7/15 +^^^_j_  7/15-/=^ 

Bekannt  sind  als  Wurzeln  +  5,  —  2  und  —  3.    Nimmt  man  in 

,       m'— 4Q 
y«= 

m 
erstens  m  =  5,  so  wird,  weil  Q  z=  30  ist, 

,125  —  120  ,  ,  ^        . 

y      1 —  ^^  ^ » ®'*^  y  =  dt  1  ""^ 


Buchner:  Canianas- Formel.  377 


Nimmt  man  zweitens  m  =  —  2,  so  wird: 

,       m'—  4  Q        —  8  —  120 
y*  = = —-  =  64;  also  y  =  +  8;  und 


m         —  2 

ist  die  Darstellung  beider  Theile  der  Wurzel.  Nimmt  man  endlich 
m  =  —  3,  so  wird: 

,       m'— 4Q         —27  —  120         ^^      ,  ,    ^ 

y'= = —  ==  49;  also  y  =  +  7. 

m  —  3  .  *        — 

DaheriB.i(-3  +  7^)+l(-3-7^)  =  _3 

die  Darstellung  beider  Theile  der  Wurzel.  Die  negativen  Wurzeln 
lassen  sich  also  hier  ebenso  behandeln  wie  die  positiven.  Der  Verfas- 
ser hätte  einen  Unterschied  in  der  Behandlung  beider  Arten  zu  machen 
hier  nicht  nöthig  gehabt,  zumal  da  es  wie  ein  Rechnungsfehler  aus- 
sieht, wenn  es  S.  16  heiszt:  wählt  man  m  =  —  2,  so  ergibt  sich : 

4  0  -I-  m'        120  +  8  .     .  ,  ^       ^^. 

(es  ist  0  =  30) 


m  1 

und  dann  für  m  =  —  3: 

4  Q  +  m"  _  120  +  3' 

m  3 

und  (S.  17  unten)  für  m  =  —  4: 

4Q-|-m'        32+64 


(ebenfalls  Q  =  30) 


(0  =  8). 


m  4 

Auch  fällt  es  etwas  auf,  dasz  (wegen  der  Gleichung:  x' — Px  —  0  =  0) 
immer  nur  von  einer  positiven  upd  zwei  negativeh  Wurzeln  die  Rede 
ist.  Es  sollte  darauf  hingewiesen  sein,  dasz  mit  der  Gleichung  x^  — 
Px  —  0  =  0  zugleich  auch  x'  —  Px  -(-  0  =  0  gelöst  wird,  indem 
die  eine  negative  und  zwei  positiven  Wurzeln  der  letzteren  dieselben 
wie  die  der  ersteren,  aber  mit  entgegengesetzten  Vorzeichen  sind. 
Endlich  ist  noch  zu  bemerken,  dasz  S.  15  in  der  Rubrik  E)  die  Worte 
so  gestellt  sind,  als  mäste  immer  bei  zwei  negativen  irrationalen 
Wurzeln  die  dritte  positive  rational  sein,  während  doch  sehr  oft  (z.B. 
bei  x' —  7  X  —  2  ==:  0)  alle  3  Wurzeln  irrational  sind.  Indes  wird 
dies  dadurch  entschuldigt,  dasz  von  derartigen  Gleichungen  bei  dem 
hier  angewandten  verfahren  gar  nicht  die  Rede  ist,  sondern  nur  von 
solchen,  die  wenigstens  eine  rationale  Wurzel  haben.  Brüche  hindern 
dabei  nicht.    Denn,  wäre 

25' 


378  Bachner:  Cardanas  -  Formel. 


,      a      •      c 


gegeben-,  worin  die  Brüche  bereits  auf  gemeinschaniichen  Nenner  b 
gebracht  sind,  so  maltiplicieren  wir  mit  b',  also: 

bV —  ^^^Y  —  b*c  =  0 
und  setzen  by  =  x,  also: 

x' —  abx  —  b*c  =  0, 
so  dasz  nun  P  =  a  b ,  Q  =2  b'c  ist. 

Im  dritten  Abschnitt,  worin  das  vorige  verfahren  Kom  prak- 
tischen Gebrauch ,  d.  h.  zur  wirklichen  Berechnung  der  Wurzeln  cabi- 
scher  Gleichungen  im  irreducibeln  Fall  umgestaltet  wird,  berechnet 
der  Verfasser  die  Grenzen,  zwischen  denen  die  Wurzeln  immer  liegen 
mfissen.  Wir  beschränken  uns  hier  auf  die  positive  Wurzel,  und  et 
wäre  besser  gewesen,  wenn  der  Verfasser  es  auch  gethan,  da  far  die 
negativen  hinsichtlich  der  anzuwendenden  Grenzmethode  Schwierig- 
keiten, die  nicht  ganz  überwunden  worden  sind,  sieh  entgegenstellen, 
und  da  nach  Berechnung  der  positiven  Wurzel  die  negativen  bekannt- 
lich leicht  durch  eine  quadratische  Gleichung  gefunden  werden.    Die 

l/T" 
positive  Wurzel  musz  immer  kleiner  als  2     ~-  und  immer  grösser  als 

3^ ^ 

^  4  Q  sein.  Dasz  dies  wirklich  so  ist,  wird  durch  die  gegebene  Rech- 
nung nicht  ganz  evident  bewiesen.  Es  wäre  ein  beigefügter  Beweis 
wie  der  folgende  wol  nicht  fiberflüssig  gewesen:  Wäre  die  positive 

Wurzel  X  >  2      — ,  so  hatten  wir  ans  x'  —  Fx  —  Q  =  0: 

ö 

0  =  X  (x*—  F).    Dies  mit 

l/T 
X  ^  2      ~  multipliciert  und  mit  x 

gehoben:  0  >  2  '^  -  (x*—  P) 

ö 

t/t        l/T  l/T 

Q  +  2P^->2'^    g-x*.    Ausx>2'^    j 

4  F 

würde  folgen :  x'  ^  — .   Beides  multipliciert 

«5 

j/  p  8  F  l^  F 

und  gehoben:    Q  +  2F'^—   >-~^   — 

3  3         3 

2      l/T 

2   ^  -^   3  3 

4    "^    -^   27 


Bflchner:  Cardanus  -  Formel.  379 

Ebenso  folgt  aus  X  =  2      ~,   indem   überall  =   statt   ^   steht: 

i-  Q«  =  4;  P".    Es  ist  aber ,  da  im  irreducibeln  Fall  ;^  P'  >  t  Q' 
4  27  27  4 

ist,  sowol  —  Q*  >  —  P'als  i-  Q*  =  :^F'  unstatthaft;  also  ist  immer 
4        ^  27  4  27 


l/T 


3 


X  <  2  '^  X-.   Wäre  aber  x  <  j/  4  Q,  so  hätten  wir: 
^  Q  =  X  (x«  —  P) 

3 

x<^4Q 
3 


nultipliciert  und  gehoben :  Q  <C  1^  4  Q  (x*  —  P) 

3  3^ 3 

Q +/ j/T0"< /Tq"x*.   Ausx</4Q 

3 

Würde  folgen :  x*  <  2  /Tq* 

3 

maltipliciert  und  gehoben  :Q  +  P^4Q^4Q. 

3 

Pj/4Q<3Q 

4  P'  Q  <  27  0' 

i  P»  <  i  Q*. 
27        ■      4  ^ 

3 

Ebenso  folgt  ans  x  =  ^  4  Q,  indem  überall  =  statt  <:^  steht,  J.  P' 

1  11 

=  —  Q*.   Es  ist  aber,  da  --  P*  >  T  Q*  voransgesetst  ist,  sowol 

i  P«  <  ~  Q*als  auch  --  P'=  -i  Q«  unstatthaft.  Also  ist  immer  x  > 


y~f 


j/4Q.  Durch  x  <  2       —■  und  x  >  y^Q  wird,  wie  der  Verfasser 

o 

an  mehreren  Beispielen  nachweist,  bei  nicht  sehr  groszen  Zahlen  der 
Werth  von  x  in  so  enge  Grenzen  eingeschlossen,  dasz,  weil  x  ein 
Factor  von  Q  sein  musz,  in  vielen  Fallen  schon  hierdurch  der  Werth 
Yon  X  als  unzweifelhaft  sich  darstellt.  Nimmt  man  aber  die  im  zwei- 
ten Abschnitt  bewiesene  Gleichung : 

Y*  =z  m'  —  4  Q  oder  y*  =  x'  —  4Q  =  x'— 4Q 

m  i  X     3^t_4Q 

noch  hinzu ,  so  wird  auch  bei  gröszeren  Zahlen  dadurch  dasz  — 

X 

eine  Quadratzahl  (y*)  sein  musz,  die  Bestimmung  von  x  oft  sehr  leicht. 
Zugleich  findet  man  y  und  somit 

worin  m  =  x  ist,  als  die  beiden  Theile  woraus  x  besteht.   Von  In- 


380  Büchner:  Cardanas -Formel. 

x'  —  4  Q 

teresse  dürfte  es  sein  hinzuzufügen,  dasz  aus =  y*  folgl: 

x'  —  xy*  —  4  Q  =  0,  wo?on  x'  —  Px  —  Q  =  o  abgezogen  gibt: 
(P  —  y*)  X  —  3  Q  =  o:  also: 

SO  dasz  OS  also,  wenn  alle  Wurzeln  rational  sind,  unter  den  Factoren 
von  3  Q  immer  3  geben  musz,  die  durch  Abzng  einer  Quadratzahl  (y*) 
vou  F  entstehen  und  in  3  Q  dividiert  x  zum  Quotienten  geben. 

Mit  der  Auflösung  cubischer  Gleichungen  ist^  wie  S.  24  and  25 
gezeigt  wird,  zugleich  die  Aufgabe  gelöst,  die  Cubikwurzel  ans  einem 

Binomium  vou  der  Form  A  +  ^  B  zu  ziehen,  indem  zu  der  Gleiehang 

3 


x' 


—  Sj/A^  —  B  X  —  2  A  =  0 
als  Auflösung 


y  A  +  y B  +  j/a  —  j/b 


gehört,  und  diese  Cubikwurzein  sich  entweder  so  wie  im  dritten  Ab- 
schnitt gezeigt  wird,  oder  nach  den  Formeln  (5)  und  den  auf  gewöhn- 
liche Weise  vorher  zu  suchenden  3  Wurzeln  der  angegebenen  Glei- 
chung berechnen  lassen. 

Zum  Schlusz  stellt  der  Verfasser  die  cardanische  Formel  noch 

durch  das  Maximum  2      —  und  das  Minimum  j/  4  Q  dar,  indem  F  =: 

o 

3  1 

--  (Max)'  und  Q-=z  —  (Min)'  eingesetzt  wird.     Er  sagt,  dasz  diese 

Bezeicbnungsweise  wol  auch  auf  Gleichungen  vom  vierten  Grad  ausge- 
dehnt werden  könne:  wozu  jedoch  zu  bemerken  ist,  dasz  wegen  der 
drei  Coefficienten  inx^-|-bx*+cx  +  d=o  zwei  Gröszen,  oem- 
lich  das  eine  Maximum  und  das  eine  Minimum ,  nicht  wie  bei  den  co- 
bischen  Gleichungen  ausreichen  würden. 

Wir  sprechen  zum  Schlüsse  noch  den  Wunsch  ans ,  dasz  es  dem 
Herrn  Verfasser  gefallen  ipöge,  die  Freunde  der  Wissenschaft  noch 
durch  fihnlicho  Arbeiten  wie  diese,  die  mit  Becht  als  eine  Bereichernng 
der  Theorie  der  cubischen  Gleichungen  angesehen  werden  kann,  ii 
erfreuen. 

Moiningen.  Märker, 


Bmohto  Ober  gelehrte  AnsUllen,  Verordniuigeii,  statitL  Noliseo*  381 

Berichte  über  gelehrte  Anstalten,  Verordnungen,  statistische 
Notizen,  Anzeigen  von  Programmen. 


Altona].  Der  Einladungsschrift  zu  der  am  25.  M&rz  1858  gehalten 
nen  öffentlichen  Prüfung  und  den  am  Tage  darauf  gehaltenen  Abschieds- 
reden der  zur  Universität  abgehenden  Schüler  geht  vorauf:  des  C,  Cor- 
melius  Tacüus  Agricola.  Lateinisch  und  deutsch  mit  kritischen  und  er- 
klärenden Anmerkungen  von  Dr  A.  J.  F.  Henrich sen,  zweitem  Lehrer. 
Erste  Hälfte.  74  S.  gr.  4.  Die  Arbeit  gibt  den  Text  nebst  der  Ueber- 
setzung  und- Erklärung  der  ersten  22  Kapitel;  in  den  Anmerkungen  ist 
natürlich  auf  die  Ausgabe  von  W  e  x  vorzugsweise  Rücksicht  genommen, 
doch  ist  der  Verfasser  dem  kritischen  Verfahren  desselben  ebenso  wenig 
als  Kritz  überall  günstig.  Wir  behalten  uns  vor  ausführlicher  auf 
die  Besprechung  dieser  Arbeit  zurückzukommen.  —  Die  Schulnachrichten 
sind  auf  4  Seiten  gegeben.  Zum  9n  Lehrer  an  der  Anstalt  war  Herr 
Schüder  ernannt  und  am  3n  April  1857  eingeführt  worden.  Den  Un- 
terricht in  der  französischen  Sprache  hatte  Hr  de  Cästres  aufgegeben 
und  war  dafür  Hr  Demory  eingetreten.  Eine  Visitation  der  Anstalt 
hatte  durch  den  Inspector  der  holsteinischen  Gelehrtenschulen,  Etatsrath 
Dr  Trede,  unter  Anschlusz  des  Oberpräsidenten  Conferenzrath  Hein- 
Eelman  vom  8. — 12.  Febr.  stattgefunden.  Die  Schülerzahl  betrug  im 
Sommer  1857  164,  nemlich  21  in  I,  21  in  II,  22  in  III,  21  in  IV,  32  in 
V,  34  in  VI,  13  in  VII;  im  Winter  1857—58  160,  nemlich  21  in  I,  25 
II,  15  in  III,  24  in  IV,  35  in  V,  24  in  VI,  16  in  VII.  Ueber  ungünstige 
Gesundheits Verhältnisse  bei  Lehrern  und  Schülern  wird  sehr  geklagt,  2 
Schüler  sind  gestorben.  Zur  Universität  giengen  Mich.  1857  2  Schüler 
(Theol.)  und  Ostern  1858  nach  dem  zufolge  des  neuen  Normativs  be- 
standenen Examen  3  Schüler  (2  Theol.,  1  Jur.)  und  wegen  Krankheit 
ohne  das  Examen  1  (Theol.)  Eing,     « 

Badex.]  Bei  den  zur  Zeit  tagenden  Ständen  wurde  bei  Gelegenheit 
der  Bndgetverhandlung  betreffs  der  allgemeinen  Aufbesserung  der  Staats- 
diener von  der  groszh.  Regierung  für  den  gelehrten  Schulunterricht  die 
Forderung  von  58138  fl.,  um  5600  fl.  gröszer,  als  früher  gestellt.  Dar- 
unter befindet  sich  in  §  5  für  Besserstellung  im  allgemeinen  die  Forde- 
rung von  12800  fl.  statt  8000  fl. ,  welche  letztere  Summe  der  Staat  bisher 
EU  den  Besoldungen  der  Lehrer  an  den  Mittelschulen  zugeschossen  hatte, 
insofern  die  betreffenden  Schulfonds  nicht  ausreichten.  Die  Durchschnitts- 
aufbesserung der  Lehrer  an  den  Lyceen  und  Gymnasien  soll  85  fl.,  an 
den  Pädagogien  95  fl.  betragen.  Die  Budgetcommission  beantragte  die 
Bewilligung,  da  sie  bei  der  Wichtigkeit  des  Berufs  dieser  Lehrer  und 
in  Anbetracht  der  mit  beträchtlichen  Kosten  verknüpften  Vorbereitung 
dazu  diese  Aufbesserung  im  Vergleiche  zu  jener  bei  den  übrigen  Bran- 
chen vorgeschlagenen  nur  als  eine  ganz  mäszige  bezeichnen  könne.  Der 
niedere  Dnrchschnittsatz  erklärt  sich  durch  den  Umstand,  dasz  einzelne 
Anstalten  aus  den  Mitteln  ihrer  Fonds  die  beschlossene  Aufbesserung 
ohne  Staatszuschusz  zu  leisten  im  Stande  sind.  Der  Antrag  wurde  ohne 
Einsprache  von  der  Kammer  zum  Beschlusz  erhoben.  Bing, 

Oesterreich.]  Bei  dem  lebhaften  Interesse,  welches  ganz  Deutsch- 
land an  der  Entwicklung  des  Gymnasialwesens  in  Oesterreich  nimmt, 
scheint  es*  uns  an  der  Zeit,  über  den  Kampf,  welcher  neuerdings  sich 
dort  entsponnen  hat,  ausführlich  zx\  berichten.  Wir  haben  früher  Band 
LVIII  S.  296—335  und  Supplem.  XIX  S.  118—158  dem  Organisations- 
entwurfe eine  eingehende  Besprechung  gewidmet,  wir  haben  ferner  über 
die  angeordneten  Ausführungsmaszregeln  und  Modificationen  unsern  Le- 


382  Berichte  über  gelehrte  Anstalteo,  Verordonngen,  ttttitt.  Noliita. 

Bern  so  genaue  Mittbeilangen  gemacht,    dasz   wir   glanben,    dieselben 
werden  binlänglich    im  Stande    sein  dem    nachfolgenden   Bericht  ohne 
längere  Einleitung    folgen   zu  können.     Ala   der    Organisationsentwnrf 
mittelst  Handschreibens  vom  0.  Dec.  1854  unter  einigen  wenigen  Modi- 
ücationen  (s.  diese  Jahrbb.  Bd  LXXII  S.  203)  die  allerhöchste  Sanction 
erhielt,  wurde  zugleich  angeordnet ,  dasz  im  J.  1858  eine  aus  yertranens- 
würdigen  und  bewährten  Fachmännern  verschiedener  Kronländer,  ao  wie 
aus  einigen  Facultätsprofessorea  zu  bildende  Commission  zusammentre- 
ten solle,  um  die  Wirkung  der  Gymnasialeinrichtung  zu  prüfen  imd  ihre 
Anträge  über  etwaige  Verbesserungen   zu  erstatten.     Das   Mlnisteriun 
hat  nun  aus  den  ihm  yorliegenden  Amtsberichten  diejenigen  Bedenken,' 
welche  gegen   die  bestehende  Organisation  am  meisten  erhoben  worden 
sind,  und  die  sich   daraus  ergebenden  Veränderungsvorschläge  susam- 
mcDstellen  lassen  und  unter  d.   10.  Oct.  1857   der   Redaction  der  Zeit- 
schrift für  die  österreichischen  Gymnasien  (VlII  S.  794  ff.)  mitgetheilt, 
um  eine  kritische    Beleuchtung   zu  yeranlassen  und  auch    auf   diesem 
Wege  die  Verständigung  über  bestehende  Meinungsverschiedenheiten  an- 
zubahnen. ■  Die  Vorschläge  aber  sind  folgende:    1)  dem  Unterrichte  im 
Latein  werden  in  jeder  Klasse  des  Untergymnasiums  2  St.  wöch.  ange- 
legt, so  dasz  künftig  in  der  I  u.  II  je  10,  in  III  u.  IV  je  8  8t.  diesem 
Gegenstande  gewidmet  werden.      Motiviert  wird   dieser  Vorschlag   da- 
durch, dasz  das  im  Org. -Entw.  dem  Untergymnasium  gesteckte  Unter- 
richtsziel, namentlich   die  nöthigen  Wort-  und  Grammatik -Kenntnisse 
und  die  Sicherheit  und  Fertigkeit  in  Anwendung  derselben,   ohne  Ver- 
mehrung der  Stundenzahl  in   der  den  Erfolg  des  Unterrichts  im  Ober- 
gymnasium ausreichend  verbürgenden  Weise  nicht  erreicht  werden  könne. 
Ausdrücklich  wird  dabei  das  gründliche  lernen  und  vielseitige  üben  in 
der  Schule  selbst  als   ohne  jene  Vermehrung  unausführbar  betont  und^^ 
die  vielseitig  gewünschte  Vermehi*ung  der  schriftlichen  Hausaufgaben 
zurückgewiesen.     2)  Dem  Griechischen  wird  in  IV  1  St.  zugelegt,  dage- 
gen in  V,  VI  u.  VllI  1  entzogen,  so  dasz  also  III  u.  IV  wöchentlich  5, 
Y — VIII  w.  4  Stunden  hätten.     Der  Grund  dafür  wird  in  die  unter  6)  an- 
gegebenen Maszregelu  gesetzt  und  eine  Schmälerung  des  bisherigen  Er- 
folgs deshalb  nicht  befürchtet,  weil  eine  tüchtigere  Vorbereitung,  welche 
durch  die  Vermehrung  in  IV  ermöglicht  werde,  die  Leetüre  der  Klassi- 
ker im  Obergymuasium  erleichtern  werde.     3)  Für  das  Dentsche  wird  in 
VII  die  Stundenzahl  von  3  auf  2  vermindert,   ebenfalls  in  Folg^  der 
unter  G)  zu  bezeichnenden  Masznahmen  und  mit   der  Bemerkung,  dass 
die  der  Klasse  zugewiesene  Aufgabe:   'Leetüre  einer  Auswahl  ans  dem 
Mittelhochdeutschen'   nur  an   sehr  wenigen  Gymnasien   der  Monarchie 
praktische  Geltung  gewinnen  möge.    4)  Um  dem  geographischen  Unter- 
richte zu  seinem  Rechte  zu  verhelfen,  wird  folgender  Plan  aufgestellt: 
in  II  soll  dem  historischeu  Unterrichte  die  Wiederholung  der  Geographie 
von  Asien  und" Afrika,    in   III  von  Europa  und  Amerika,  in  IV  im  1, 
Sem.  die  Wiederholung  und  Fortsetzung  d.  Geogr.  v.  Europa  mit  Ans- 
Fchlnsz  des  österreichischen  Kaiserstaats  voraus(;ehn,  im  2.  Sem.  die 
Kunde  des  österreichischen  Staats  unter  Vorausschickung  der  Haaptmo- 
mente  der  österreichischen  Geschiehte  in  Form  einer  Einleitung  mitge- 
theilt  werden.     Im   Obcrgymnasinm   dagegen  soll   die  Geogpraphio    der 
Geschichte   nachfolgen,   und   zwar  z.  B.  in  V   nach  der  Yollendnng 
der  alten  asiatischen  und  afrikanischen  Geschichte  die  politische  Geogra- 
phie von  Asien  und  Afrika ,  nach  Vollendung  der  mittlem  Geschichte  die 
Geographie  von  Amerika  angeschlossen  werden ,  in  VIII  aber  nach  dem 
.Schlüsse  der  neueren  Geschichte  die , Staatenkunde  Europas  mit  beson- 
derer Berücksichtigung  Oesterreichs ,  die  Geographie  von  Australien  nnd 
das  wichtigste  von  den  Colonien  an  die  Ueibe  kommen.    Die  mathema- 
tische und  phvsische  Geogr.  bleibt  den  Lehrern  der  Naturwissenschaften 


BMriekte  Ober  ^ehrto  Anstalten,  Verordnungen,  Statist.  Nottsen.  383 

überwiesen.  5)  Die  geometrische  Anschttnungslehre  wird  in  I,  II  n. 
in  fallen  gelassen  und  die  dadurch  gewonnene  Zeit  unverkürzt  dem 
rechnen  zugewiesen;  die  'zusammengesetzten  Verhältnisse'  werden  aus 
IV  in  II,  die  Gleichungen  In  Grades  mit  ^iner  unbekannten  in  III  ein- 
gereiht, in  IV  aber  die  verfügbar  gewordenen  Stunden  der  Wiederholung 
des  mathematischen  Unterrichts  der  vorangegangenen  Klassen  mittelst 
Bchulübungen  in  Lösung  von  Aufgaben ,  dann  aber  die  geometrische  An- 
schauungslehre als  Propädeutik  zur  systematischen  Geometrie  gewidmet. 
Die  tüchtigere  Uebnng  im  rechnen  wird  als  Grund  bezeichnet  und  die 
Hoffnung  ausgesprochen,  dasz  dadurch  und  zugleich,  weil  die  Schüler 
in  IV  schon  gereifter  zur  geometrischen  Anschauungslehre  kommen ,  die 
Vorbildung  für  das  Obergymnasium  genügender  sein  werde.  6)  Der  Un- 
terricht in  der  Naturgeschichte  und  Physik  wird  im  Untergymnasium 
ganz  fallen  gelassen,  dagegen  der  Naturgeschichte  in  V  u.  VI  und  der 
Physik  in  VII  u.  VIII  je  1  St.  w.  zugelegt.  Die  im  O.-E.  bezeichnete 
Nothwendigkcit  das  Üntergymn.  als  eine  Vorschule  für  die  Oberreal- 
achule  und  für  praktische  Lebenszwecke  zu  betrachten,  wird  als  jetzt 
durch  die  neu  errichteten  Unterrealschulen  beseitigt  betrachtet,  da- 
gegen der  £rfolg  jenes  Unterrichts  in  dem  Untergymnasium  nach  der 
Erfahnmg  als  ein  solcher  bezeichnet,  dasz  man  die  darauf  verwendete 
Zeit  als  eine  verlorne  betrachten  müsse.  Man. hofft,  dasz  durch  gröszere 
Concenti'ation  des  Untergymn>  auf  die  sprachlichen  Fächer  eine  gröszere 
Bürgschaft  für  den  Erfolg  erreicht  werde,  wobei  auf  die  Möglichkeit 
den  Unterricht  mehr  in  der  Hand  ^ines  Lehrers ,  des  Klassenordinarius, 
BU  concentricren  bedeutender  Werth  gelegt  wird;  ebenso  aber  dasz  durch 
die  Vermehrung  der  Stunden  im  Obergymnasium  den  Naturwissenschaf- 
ten, einem  nothwendigen  Bestandtheile  der  Gymnasialbildnng ,  zumal 
bei  gereifterem  Geiste  und  geweckterem  gehaltvollerem  Interesse  für  den 
Gegenstand  auf  Seite  der  Schüler  und  dem  gewisseren  Vorhandensein 
der  Voraussetzungen  eine  ausgiebigere  Wirkung  gesichert  werde.     ^ 

Erkennen  wir  die  Weisheit  und  Hochherzigkeit  an ,  mit  welcher  das 
kk.  Ministerium  diesen  Entwurf  vor  seiner  endgiltigen  Berathung  einer 
öffentlichen  wissenschaftlichen  Erörterung  unterworfen  zu  sehen  wünschte, 
wobei  nicht  zu  übersehen  ist,  dasz  ausdrücklich  die  eindringliche  Prü- 
fung verlangt  wird:  ^ob  und  in  wie  weit  diese  Modificationen  vereinbar 
seien  mit  der  Aufrechterhai tnng  der  wesentlichen  Grundzüge  des  O.-E. 
der  österr.  Gymnasien,  dem  diese  Anstalten  ihren  nunmehr  bereits  zur 
Anerkennung  gelangten  erfreulichen  Aufschwung  verdankten',  so  müssen 
wir  auch  den  in  der  genannten  Zeitschrift  g^ebenen  Besprechungen  um 
80  mehr  unsere  Aufmerksamkeit  schenken ,  als  wir  in  denselben  eine  le- 
bendige Begeisterung  und  hohe  wissenschaftliche  Begabung  der  Verfasser 
überall  erkennen  und  denselben  einen  bedeutenden  Werth  in  der  pädag. 
Litteratur  mit  Recht  beilegen  zu  können  glauben.  Als  entschiedener 
Gegner  des  Modificationsentwurfs  tritt  zuerst  mit  groszer  Schärfe  und 
Klarheit,  aber  wissenschaftlicher  Ruhe  und  Würde  auf  Dr  F.  C.  Lott, 
Professor  der  Philosophie  an  der  Wiener  Univ.  VIII  11  S.  837—857. 
Indem  er  zunächst  darauf  fuszt,  dasz  wenn  die  Erfahrung  nicht  genü- 
genden Erfolg  des  Lateinischen  im  Üntergymn  beweise,  damit  noch 
nicht  bewiesen  sei  dasz  der  Grund  davon  in  der  Lehreinrichtung,  nicht 
vielmehr  in  den  methodischen  Fehlem  und  individuellen  oder  localen 
Gebrechen  ruhe,  zeigt  er  dasz  die  Modification  nicht  eine  blosze  Ver- 
änderung in  der  praktischen  Ausführung ,  sondern  ein  Umsturz  des  Prin- 
cips  und  damit  des  Wesens  der  Gymnasialeinrichtnng  sei;  denn  wenn 
einmal  die  Erfolglosigkeit  des  naturwissenschaftlichen  Unterrichts  im 
Unterg.  —  die  Ausartung  in  Spielerei  und  das  vorgreifen  in  die  höhern 
Stufen  —  nnr  didactischcn  Fehlern  zugeschrieben  werden  könne,  so 
werde,    wenn    dasselbe    die  Vorstufe  unä  Vorschule    des   naturwissen- 


3S4  Berichte  über  gelehrte  ÄDstalten,  Verordnangen,  statiit. 

schaftlichen  Unterrichts  für  das  Obergymnasiam  zu  sein  aufhören  solle« 
nicht  etwa'  nur  ein  nicht  mehr  vorhandenes  praktisches  Bedürfnis 
fortan  unberücksichtigt  gelassen,  sondern  damit  das  Princip,  auf  wel- 
chem der  Örganisationsentwurf  beruhe,  die  psychologisch  und  pädagO" 
gisch  nothwendig  gebotene  Stufenabtheilung  des  Unterrichts  anfge* 
hoben.  Eingehend  wird  dann  unter  Hinweisung  auf  den  Entwicklungs- 
gang, den  die  Wissenschaft  selbst  durchlaufen  muste,  weiter  gezeigt^ 
dasz,  wenn  die  Naturwissenschaften  in  einer  für  die  Bildung  ein  ergie- 
biges Resultat  liefernden  Weise  im  Obergymn.  betrieben  werden  sollen, 
allerdings  eine  Uebung  der  dazu  gehörenden  Anschauung ,  eine  Weckung 
des  Sinnes  und  Interesses  im  früheren  Alter  nothwendig  sei,  nicht  TOn 
selbst  oder  als  Wirkung  anderen,  besonders  sprachlichen  Unterrichts  er- 
wartet werden  könne  und  dürfe,  so  wie  dasz  das  zeitweilige  fallenlas- 
sen des  Unterrichts  bis  zu  seiner  Wiederaufnahme  nur  Schuld  der  Leh- 
rer, nicht  der  Sache  sein  werde.  Indem  am  Schlüsse  dann  die  Noth- 
wendigkeit  die  Naturwissenschaften  als  Bestanditheil  der  allgemeinen 
Bildung  zu  der  ihnen  gebührenden  Geltung  kommen  zu  lassen,  ans  den 
Interessen  der  menschlichen  Gesellschaft  abgeleitet  und  die  gegen  die- 
selben erhobenen  Vorwürfe,  namentlich  der  des  Materialismus,  beseitiget 
werden,  kommt  der  Verf.  zu  dem  Resultate,  dasz  mit  Annahme  des 
Modificationsentwurfes  die  Wirksamkeit  dieses  Unterrichts  beeinträchtigt 
und  geschwächt  werden  würde.  Uebrigens  findet  sich  in  einer  Anm.  8. 
853  auch  die  Anwendung  derselben  wissenschaftlichen  Principien  auf 
das  fallenlassen  der  geometrischen  Anschauungslehre  im  Untergymn.  In 
einem  Anhange  zu  dem  yorstehtonden  Aufsatze  S.  857  —  8Ö0  bezeichnet 
Professor  Dr  B  o  n  i  t  z  die  Klage  über  Ueberbürdung  der  Schüler  alt 
dasjenige  Mittel,  dessen  sich  die,  welche  das  durch  die  dringend- 
sten und  allgemein  anerkannten  Bedürfnisse  beseitigte  frühere  Unter- 
richtswesen wieder  aufrichten  wollen , ,  am  liebsten  bedienen ,  weil  sie 
damit  auf  den  mächtigsten  Anklang  bei  Aeltern  und  Schülern  hoffen 
können.  Indem  er  sodann  die  Nothwendigkeit  die  Realschule  von  den 
Gymnasien  ganz  getrennt  zu  halten  darthut,  beweist  er  durch  die  sta- 
tistische Thatsaohe,  dasz  V5  der  Schüler  in  den  Gymnasien  stets  vor- 
rücken ,  wie  in  den  gesetzlichen  Forderungen  ein  Masz ,  das  die  Lei- 
stungsfähigkeit der  Jugend  überschreite,  nicht  vorhanden  sein  könnsi 
wobei  er  nicht  vergiszt  die  Convicte  als  Beweis  dafür,  dasz  bei  stren- 
ger Durchführung  der  gesetzlichen  Finrichtung  das  leibliche  wolbefinden 
nicht  leide,  anzuföhren.  Aus  der  unendlichen  Manigfaltigkeit  der  Punkte^ 
worauf  die  Klagen  über  Ueberbürdung  hingeführt  werden,  indem  die 
einen,  das  Griechische,  die  andern  die  Physik,  die  andern  wieder  and^ 
res  als  den  Grund  bezeichnen,  und  aus  der  Erfahrung  entnommenen 
Thatsachen  (z.  B.  dictieren  und  auswendiglernen  lassen  der  alten  graeos 
grammatica  brevis)  wird  sodann  der  Beweis  geführt ,  dasz  man  die  Män- 
gel nicht  der  Organisation,  sondern  der  mangelhaften  Ausführung,  her-- 
beigefährt  durch  den  Mangel  an  Vorbildung  und  harmonischem  zusam- 
menwirken der  Lehrer,  zuschreiben  dürfe  und  schlieszlich  darauf  hin- 
gewiesen, dasz  nach  den  gesetzlichen  Bestimmungen  die  zusammentre- 
tende Commission  nicht  über  die  Aufhebung  und  Umkehrung  der  prin- 
cipiellcn  Einrichtungen ,  sondern  nur  über  die  Erleichterimg  der  zweck- 
mäszigen  Ausführung  zu  becathen  haben  werde.  Dr  J.  Grailioh  in 
Wien,  der  in  ders.  Zeitschr.  1856,  3  S.  173  ff.  die  methodische  Behand- 
lung des  naturwissenschaftlichen  Unterrichts  in  ausgezeichneter  Weite 
behandelt  hat,  spricht  als  Fachmann,  welcher  aber  die  sprachliche  und 
historische  Bildung  in  ihrem  Werthe  zu  würdigen  versteht  und  deshalb 
den  Vorzug  des  Untergymnasiums  vor  der  Unterrcalschule  klar  und  be- 
stimmt hervorhebt,  in  seinem  Aufsatze  S.  867 — 881,  mit  eingehender 
Begründung  sein  Urteil  über  die  beantragten  Modificationen  des  natur- 


fiber  gelehrte  AnsUlten ,  VerordDuagen,  Statist,  Notisen.  385 

wiasenschaftlichen  Unterrichts  aus,  und  zeigt  1)  wie  das  Untergymna« 
sium  zur  lateinischen  Schale  werden  und  die  bildenden  Elemente,  wel- 
che in  den  Naturwissenschaften  liegen  und  durch  andere  nicht  ersetzt 
werden  können,  ihm  entzogen  werden  würden;  2)  die  Unterbrechung 
des  Unterrichts  bringe  keinen  Schaden ,  fördere  vielmehr  das  reifen,  die 
innqire  Nachwirkung  der  richtig  erworbenen  und  zweckmäszig  geübten 
Anschauungen,  zumal  wenn  dieselben  bei  dem  übrigen  Unterrichte  nicht 
unbeachtet  gelassen  würden ;  3)  der  Unterricht  namentlich'  der  Naturge- 
sohichte  im  Obergjmnasium  werde  unmöglich ,  wenn  nicht  die  Weckung 
des  Sinnes  und  die  richtige  Uebung ,  so  wie  die  Aneignung  der  bestimm- 
ten Kenntnisse  im  Knabenalter  im  Untergymnasium  vorausgegangen;  4) 
diMS  Leben  aber  und  die  Fortschritte  der  Wissenschaft  machten  die  Auf- 
nahme des  naturwissenschaftlichen  Elements  in  die  Schulen  der  allge- 
meinen Bildung  unumgänglich.  Kräftig  werden  am  Schlusz  die  Träger 
der  Naturwissenschaften  aufgefordert  den  Gymnasien  und  ihrer  Gestal- 
tung ja  nicht  ihre  Aufmerksamkeit  zu  entziehen. —  Dr  A.  Gernerth, 
welcher  in  der  Ztschr.  1851  S.  684  ff.  über  die  Art  der  Uebungen  in 
der .  geometrischen  Anschauungslehi'e  und  das  damit  zu  verbindende 
rechnen  klare  und  allgemein  anzuerkennende  Grundsätz.e  aufgestellt  und 
dieselben  in  seinen  ^Grundlehren  der  ebenen  Geometrie'  (Wien  1858)  in 
einer  Weise ,  welche  die  Beachtung  in  allen  pädagogischen  Kreisen  ver- 
dient, praktisch  durchgeführt  hat,  behandelt  in  seinem  Aufsatze  a.  a. 
0.  S.  881*— 890  die  vorgeschlagenen  Modificationen  im  mathematischen 
Unterrichte  und  zeigt,  dasz  einmal  die  geometrische  Anschauungslehre 
im  Untergymnasium,  wenn  man  demselben  eine  dem  Alter  angemessene 
Stufe  der  allgemeinen  Bildung  vindiciere,  wolberechtigt  und  unentbehr- 
lich, sodann  aber  —  was  wir  allenthalben  beachtet  zu  sehen  wünschten 
~-  die  leichteste,  zugleich  aber  nothwendige,  weil  allein  eine  si6here 
Aneignung  der  systematischen  Geometrie  verbürgende  Vorübung  sei. 
Das  Resultat  seiner  Erörterungen  ist,  dasz  durch  die  Veränderung  dem 
geometrischen  Unterrichte  ein  imheilbarer  Schaden  zugefügt,  für  die 
Arithmetik  kein  reeller  Nutzen  gewährt  und  der  O.-E.  in  seinen  inner- 
sten Grundfesten  untergraben  werden  würde.  —  Ein  darauf  folgender  Auf- 
satz von  J.  Matzun,  Prof.  zu  Agram  (S.  891  —  900),  war  an  die  He- 
daction  schon  vor  erscheinen  des  hohen  Erlasses  eingesandt^  greift  aber 
in  die  vorliegende  Frage  wesentlich  ein,  indem  als  Hindernisse,  mit  wel- 
ehen  in  der  Uebergangsperiode  der  Unterricht  im  Lateinischen  zu  käm- 
pfen habe ,  zum  Theil  durch  Tabellen  bewiesen  ,  atif gezeigt  werden  1)  der 
Mangel  geeigneter  Lehrkräfte,  der  sich  indes  schon  wesentlich  gemindert; 
2)  der  Mangel  tauglicher  Schulbücher  und  der  in  Folge  davon  in  den- 
selben häufig  eingetretene  Wechsel;  3)  der  häufige  Wechsel  der  Lehrer 
nicht  allein  in  den  verschiedenen,  sondern  auch  in  denselben  Klassen. 
Der  IX.  Jahrg.  bringt  im  2n  Hefte  folgende  Aufsätze :  zuerst  legt  die 
Bedaction  S.  97  — 120,  nachdem  sie  .die  Stellung,  welche  sie  bisher 
zur  Organisation  eingenommen,  gezeigt  hat,  ihre  Ueberzeugung  in  fol- 

f enden  Punkten  dar:  I,  indem  sie  davon  ausgeht,  dasz  nach  der  ah. 
anction  und  der  dabei  getroffenen  Bestimmung  die  Commission,  deren 
Zoeammentritt  in  diesem  Jahre  statt  finden  soll ,  sich'  nur  innerhalb  der 
durch  die  Organisation  gesetzlich  gegebenen  Grenzen  zu  bewegen  habe, 
bezeichnet  sie  die  Vorschläge  unter  5  u.  0  als  solche,  welche  sie  nicht 
zu  den  ihrigen  machen  könne,  weil  darunter  Anträge  auf  Aufhebung 
des  gesetzlich  bestehenden  verhüllt .  seien.  Denn  die  Organisation  sei 
nicht  eine  Copie  einer  fremdländischen  Einrichtung,  sondern  beruhe 
wesentlich  auf  den  Grundsätzen:  Hinstellung  der  Gymnasien  als  Mittel- 
schulen, deren  Zweck  die  vom  Leben  geforderte  höhere  allgemeine  Bil- 
dung sei,  daher  Aufnahme  der  Mathematik  und  Natur\vis8enschaften  als 
vollberechtigter  Elemente;   Abstufung  des  Unterrichts  in  seiner  Gesamt- 


386  Berichte  fiber  gelehrte  Anstalten,  Verordnungen,  i tttii t.  NoiUeft. 

heit,* nicht  darch  Yerlegnng  einzelner  Fächer  in  verschiedene  Stufen 
sondern^  durch  die  pädagogisch  und  psychologisch,  ja  natürlich  gege- 
bene in  2  Kreise  abgestuften  Unterrichtsweisen  im  Unter-  und  Obergym- 
nasien; endlich  der  Geltendmachung  der  deutschen  Sprache  in  ihrem 
Verhältnisse  zu  den  Landessprachen;  diese  Qrundsätze  würden  aber  durch 
die  in  Betreff  der  Mathematik  und  Naturwissenschaften  gemachten  Vor- 
schläge aufgehoben  und  damit  die'  gesamte  Organisation  beseitigt.  II. 
Die  Durchführung  der  Modificationsanträge  werde  keine  Dauer  haben, 
weil  sie  nicht  auf  ^inem  Prinoip  beruhten,  sondern  nur  das  eine  bei* 
behielten,  das  andere  änderten,  sodann  weil  sie  den  Qegnem  der  bis- 
herigen Organisation,  möchten  sie  nun  von  dem  Streben  nach  Bequem- 
lichkeit ausgehen  oder  die  Einfachheit  und  die  Gewichtlegung  auf  das 
Latein  (mit  vollem  Rechte  wird  hier  nachgewiesen ,  wie  gerade  durch  die 
Vermehrung  der  Naturwissenschaften  im  Obergymn.  dem  philologischen 
Studium  die  Möglichkeit  zu  voller  Wirkung  zu  gelangen  abgeschnitten 
werde)  zum  Qrunde  nehmen,  doch  nicht  genügen,  vielmehr,  weil  alle 
ihr  Princip  als  anerkannt  betrachten,  aber  die  consequente  Ausführung 
vermissen  würden,  eine  um  so  stärkere  Opposition  hervorrufen  müsten; 
die  Hauptopposition  aber  würden  die  Forderungen  des  Lebens  bilden, 
deren  Nichtberüc^ichtigung  nur  die  traurigsten  Folgen  hervorrufen  könne. 
IIL  In  Betreff  der  Vorschläge  1.  2.  3.  4  wird  anerkannt,  dasz  sie  den 
Organisationsplan  selbst  nicht  aufheben,  aber  1)  gewarnt  die  Früchte 
nicht  zu  schnell  zu  erwarten  und  die  beobachteten  Resultate  nicht  so- 
fort der  Einrichtung  zuzuschreiben,  vielmehr  die  Ausführung  in  gebüh- 
rende Erwägung  zu  ziehn;  2)  gefordert,  dasz  wenn  in  einem  Gegen- 
stande die  Resultate  ungenügend  befunden  werden,  in  Erwägung  gezo- 
gen werde,  wo  eine  Vermehrung  der  Lehrstunden  nöthig  sei,  ohne  einen 
andern  Gegenstand  deshalb  zu  beeinträchtigen.  Dabei  wird  dann  auf 
das  Verhältnis  der  Hausaufgaben  zum  Unterrichte  und  die  Beschaffung 
der  Mittel  zur  Bildung  tüchtiger  Lehrer,  wie  für  die  einzelnen  Fächer 
so  im  allgemeinen,  als  Gegenstände,  welche  die  Aufmerksamkeit  der 
Commission  beschäftigen  müssen,  andeutungsweise  hingewiesen.  —  Auf 
eigene  und  fremde  Erfahrung  gestützt  und  diese  namentlich  in  Betreff 
des  früheren  mit  aller  Offenheit  aber  in  würdiger  Ruhe  geltend  machend, 
bespricht  Herr  Prof.  Hochegger  in  Pavia  a.  a.  O.  S.  121  — 135  die 
in  Bezug  auf  den  lateinischen  Unterricht  gestellten  Anträge  und  gelangt 
zu  folgenden  Resulta^ßn :  aus  den  im  Entwurf  angeführten  Gründen  lasse 
sich  keineswegs  folgern ,  dasz  das  Gymnasium  seine  Aufgabe  in  der  be- 
messenen Stundenzahl  nicht  lösen  könne  und  dasz  die  wirklich  vorhan- 
denen Mängel  nur  durch  Erhöhung  der  Stundenzahl  zu  beseitigen  seien; 
ferner  die  Vermehrung  der  Stunden  im  Untergymn.  halte  der  Schwächung 
des  klassischen  Studiums  im  Obergymn.,  dessen  Erfolg  durch  die  Ver- 
legung der  natui*wissenschaftlichen  Fächer  in  die  obern  Klassen  fast  ver- 
nichtet werde,  nicht  das  Gleichgewicht;  endlich  das  Latein  habe  nach 
seiner  Stellung  im  gesetzlichen  Lehrplane  keinen  Anspruch  auf  aus- 
schlieszliche  Vermehrung  seiner  Lehrstunden  auf  Kosten  der  übrigen 
Gegensiändo  und  um  so  weniger,  wenn  die  Verwendung  dieser  Mehr- 
stunden (durch  den  immer  noch  vorhandenen  und  bei  aller  Anstrengung 
doch  nicht  so  schnell  zu  ersetzenden  Mangel  geeigneter  tüchtiger  Lehr- 
kräfte) keine  sichere  Bürgschaft  für  dauernden  Erfolg  biete.  Da  der  Hr 
Verf.  nachgewiesen  hat ,  dasz  die  Aufgabe  des  Obergymnasiums  bei  der 
dem  Latein  zugetheilten  knappen  Stundenzahl  za  bewältigen  auch  für 
den  tüchtigsten  Lehrer  ungemein  schwer  sei,  so  macht  er  den  Geg^- 
vorschlag :  wolle  man  die  lateinischen  Stunden  vermehren ,  so  thue  man 
es,  wo  es  mehr  noth  sei,  im  Obergymnasium,  aber  nur  unter  zwei  Be- 
dingungen, dasz  man  keinen  andern  Lehrgegenstand,  z.  B.  das  Ghriechi- 
sche,  beeinträchtige  und  man  sich  in  der  Lage  finde  die  Mehrstanden 


Beneble  aber  gelehrte  AostalteD,  Verordnangeo,  slatisl.  Noliien.  387 

ordentlichen  geprüften  Lehrern  anzuvertranen.  —  Wichtig,  weil  in  man- 
chen Punkten  von  den  bisherigen  Besprechungen  abweichend,  ist  die 
folgende  Abhandlung  von  Prof.  Just  in  Wien  (S.  135—160),  der  als 
Einleitung  eine  Betrachtung  des  Schicksals,  welches  der  O.-E.  in  der 
öffentlichen  Meinung  gefunden ,  vorausgestellt  ist.  Den  Werth  der  klas- 
tischen Studien  mit  Wärn!ke  und  überzeugend  darlegend  gelangt  der  Hr 
Verf.  zu  dem  Resultate ,  dasz  eine  Vermehrung  der  lateinischen  Stunden 
in  I  nnd  II  nicht  nothwendig,  dagegen  in  III  und  IV  wünschenswerth 
sei,  nicht  wegen  der  Einübung  der  Syntax,  sondern  wegen  der  begin- 
nenden Leetüre  der  Klassiker  und  der  für  sie  nothwendigen  Mittheilun- 
gen ans  den  Alterthümern ,  so  wie  der  Prosodie  und  Metrik.  3  Stunden 
weist  er  hier  der  Grammatik,  3  der  Leetüre,  1  mündlichen  Uebungen, 
1  den  Schulpensis  zu.  Mit  der  unter  2  beantragten  Veränderung  in  Be- 
treff des  Griechischen  erklärt  er  sich  einverstanden,  freilich  unter  aus- 
drücklicher Verwahrung,  dasz  die  Reduction  wol  kaum  weiter  gehen 
dürfe,  solle  dor  Gegenstand  nicht  in  seine  frühere  Kläglichkeit  zurück- 
fallen. Obgleich  er  sodann  den  Werth  des  deutschen  Unterrichts  ge- 
bührend würdigt  und  über  seine  Betreibung  gute  Winke  gibt,  hält  er 
doch  dafür,  dasz  der  Ausfall  ^iner  Stunde  in  VII  wenigstens  an  den 
nichtdeutschen  Gymnasien  zu  verschmerzen  sein  werde  [in  den  früheren 
Bemerkungen  der  Red.  ist  darauf  hingewiesen,  dasz  in  Bezug  darauf 
doch  ja  die  Erfahrungen,  welche  die  Universitätslehrer  mit  den  deut- 
schen Aufsätzen  machten,  zu  Rathe  gezogen  werden  möchten].  Die 
Stellung  des  geographischen  Unterrichts  als  eines  selbständigen  Lehrge- 
genstandes billigt  der  Hr  Verf.  und  fordert  Berücksichtigung  desselben 
bei  der  Maturitätsprüfung  und  das  Vorhandensein  gewisser  Wandkarten 
in  jeder  Klasse.  Vom  geometrischen  Anschauungsunterricht  stellt  er 
folgende  Ergebnisse  hin :  a)  Mangel  an  Fertigkeit  des  rechnens  im  Ober- 
gymnasium ,  daher  kommend,  dasz  im  Untergymnasium  zwei  Gegenstände 
nebeneinander  laufen,  b)  eingebildetes  schädliches  wissen  oder  nichtwis- 
sen  und  vergessenhaben  als  Hindernis  des  Unterrichts  im  Obergymn.; 
das  erfassen  sei  in  reiferem  Alter  entschieden  leichter  und  sicherer. 
Um  die  Zersplitterung  noch  mehr  zu  vermeiden  wird  in  der  V  Kl.  aus- 
sehlieszlioh  Algebra,  in  VI  Planimetrie  nnd  Trigonometrie,  in  VII  Ste- 
reometrie vorgeschlagen  [Hr  Dr  Gemerth  hat  in  einem  Anhange  S.  162 
— 166  mit  aller  seinem  Lehrer  gebührenden  Achtung  eine  Widerlegung 
durch  Vertheidigung  seiner  hier  bekämpften  Ansichten  gegeben] .  In  Be- 
treff des  6n  Punktes  erklärt  sich  der  Herr  Verf.  für  die  Belassung  der 
Katurgeschichte  im  Untergymn.,  spricht  überhaupt  derselben  als  wesent- 
lidiem  Bestandtheile  der  Bildung  das  Wort,  glaubt  aber  den  Unterricht 
in  der  Physik  in  III  und  IV  beseitigen  oder  doch  sehr  wesentlich  be- 
schränken zu  können  [Auf  die  abweichenden  Punkte,  dasz  der  Ordina- 
rius den  Unterricht  in  der  Naturgeschichte  werde  ertheilen  können,  dass 
die  Physik  im  Untergymnasium  nicht  passend  betrieben  werden  könne 
nnd  dasz  das  Verständnis  der  Naturgeschichte  in  der  höheren  Klasse 
keine  physikalische  Vorbereitung  fordere,  gibt  Hr  Dr  Grailich  S.  166 
— 168  eine  Erwiderung].  In  einem  Anhange  behandelt  der  Herr  Verf. 
sodann  noch  die  Fragen:  1)  ist  bei  der  Aufnahme  eines  Schülers,  der 
▼on  einem  anderen  öffentlichen  Gymnasium  mit  einem  Zeugnis  der  ersten 
Fortgangsklasse  kommt,  eine  Aufnahmeprüfung  nothwendig  und  eine 
Abweisung  oder  Zurücksetzung  in  eine  niedere  Sllasse  gerecht?  [Die 
Bedaction  antwortet  auf  die  Bedenken  S.  161  f.]  2)  Wie  wäre  der  ar- 
gen Verwirrung  in  Bezug  auf  deutsche  Orthographie  am  schnellsten  und 
zweckmäszigsten  abgeholfen  [S.  163  erklärt  sich  unter  Hinweisung  auf 
Hannover  die  Red.  gegen  den  vorgeschlagenen  Weg :  Festsetzung  durch 
eine  Commission].  3)  Wie  könnte  in  der  Erlernung  einer  oder  der  an- 
deren Landessprache  ein  besserer  Erfolg  erzielt  werden?    Die  Sohüler 


388  Berichte  über  gelehrte  Anstalten,  Verordnungen,  itatift.  Notisea. 

sollen  daza  angehalten  und  schon  im  Untergymnasinm  damit  begonnen 
werden.    4)  Wie  wird  dem  modificierten  Lehrplane  dauernder  Erfolg  ge- 
sichert? Die  Conferenzen  werden  hier  hauptsächlich  empfohlen,  scbliesz- 
lich  die  Aufmerksamkeit  der  Lehrer  auf  die  Methode  und  die  Schnlbü- 
eher  hingelenkt.  —  Als  ein  entschiedener  Vertheidiger  der  beantragten 
Modificbtionon  tritt  S.  108—176  Schulr.  A.  Kräl  in  Brunn  auf,  wobei 
er  besonders  auf  die  gegen  den  O.-K.  in  Beurteilungen  namentlich  in  der 
Mützellschon  Ztschr.  erhobenen  Bedenkon  und  auf  das  Verhältniss,  welchee 
in  den  prcusz.  Gymnasien  die  klassischen  Studien  rilcksichtlich  der  Stun- 
denzahl gegen  die  naturwissenschaftlichen  einnehme,  fuszt.    Die  Anfge- 
biuig  der  Bestimmung  des  Untergymnasiums  wird  nach  der  Errichtung 
der  Unterroalschulen  und  der  Erfahrung,  dasz  es  für  die  Oberrealschnle 
dennoch  keine  genügende  Vorbildung  gebe,    gerechtfertigt   und   daraoe 
sodann   die  Nothwendigkeit  dem    sprachlichen  Unterrichte  zu  Tollerer 
Geltung  zu  verhelfen   gefolgert.     Der  Herr  Verf.  bedauert,    dasz   dai 
Griechische  eine  weitere  Beschränkung  erfahren  solle,  hält  dies   aber 
für  ein  Opfer,  das  der  Oekonomie  des  ganzen  gebracht  werden  mtiste, 
hofft  übrigens  von  der  Privatlectüre  Ersatz.    Diesen  übrigens  mit  Wärme 
und  in   eingehender  Weise  die  Sache  besprechenden  Aufsatz  hat  Prof. 
Lott  S.  170 — 180  einer  scharfen  Antikritik  unterworfen,  worin  wir  be- 
sonders auf  den  Beweis  S.  178   aufmerksam  machen,  dasz  bei  Berück- 
sichtigung der  Klassenzahl   und    der  Summe  der  obligaten  Lehrfacher 
das  Verhältnis  der  Stundenzahl  sich  in   Oesterreich  als  kein  so  für  die 
klassischen  Studien   uaclitheiliges  herausstelle.  —  Im   folgenden  Hefte 
schlägt  Prof.  Riepl  in  Linz  S.  189 — 105  eine  Vertheilung  der  Stunden 
vor,  bei  der  er  glaubt,  dasz  den  entgegengesetzten  Forderungen  genügt 
worden  könne  ohne  andere  Gegenstände  zu  beeinträchtigen,  wobei  nur  die 
deutschen  Stunden  eine  Minderung  erfahren,  was  ohne  Schaden  möglich 
sei,  auszerdem   die  Stundenzahl  der  Naturwissenschaften  einen  kleinen 
Abbruch  erleiden;    nemlich  Latein:  I  9,  II  9,  III  7,  IV  7,  V  6,  VI  (J 
(7),  VII  5,  VIII  5.    Deutsch:  I  3,  II  3,  III  2,  IV  2  (3),  V  2,  VI  3  (2), 
VII  3,  VIII  3.     Naturgeschichte  I  2,  II  2,  Physik  und  Naturgeschichte 
III  2,  Physik  IV  3  (2),   Naturgeschichte  V  und  VI  je  2,  Physik  VII 
u.  VIII  je  3.  —   Prof.  Kunzek  in  Wien    legt  in  seinem  Aufsatze  8. 
190 — 204  besonders  in  geschichtlichen  Umrissen  dar,  wie  allgemein  ge- 
fühlt das  Bedürfnis  natnrwissenschafllichcr  Bildung  gewesen ,  wie  befrie- 
digt man  sich  durch  die  Anerkennung  desselben   im  O.-E.  gefühlt  und 
welch  ein  Wchruf  bei  dessen  Umsturz  durch  die  ganze  Monarchie  sich 
erheben  werde.  —   Aus  Aufsätzen  von  DrSchwippel,   Prof,  der  Na- 
turwissenschaften in  Brunn,   Cholava,   Prof.  der  Philogie  in  Krakau, 
und  Dr  Schieb  1,  Prof.  d.  Naturw.  zu  Neuhans,  werden,  S.  204-^211 
Auszüge  mitpretheilt ,  in  denen  einzelne  Punkte,    welche  fUr  die  Beibe- 
haltung der  Naturgeschichte  im  Untergymnasinm  sprechen,  ausführlicher 
erörtert  und  namentlich  die  dazu  nothwendigo ,    aber   durch   nichts  zu 
ersetzende  Methode  bezeiclinet  wird.  —  Prof.  Dr  J.  Parthe  in  Leitme- 
ritz  untcrzielit  S.  211 — 220  die  für  die  Verdrängung  der  geometrischen 
Anscliaunngslehre  aus  dem  Untergymn.  angeführten  Grunde:  die  Schwie- 
rigkeit  des  Gegenstandes,    die  bisherigen  geringe  Erfolge  und  die  Be- 
einträchtigung anderer  Fächer,  einer  gründlichen  Widerlegung  und  zeigt, 
dasz  die  beantragte  Verschiebung  nicht  gerechtfertigt ,  ja  bedenklich  sei. 
—  Einloitungswcise  wird  (8,  220 — 227)   aus   einem  Aufsatze  von  Dr 
Gabriel,  Director  des  kath.  Gymn.  zu  Teschen,  mitgetheilt,  dasz  der- 
selbe nach  24j.  Erfahrung  im  Schulamte  die  Ansicht  vertritt,  wie  an  der 
bestehenden  neuen  Organisation  nur  sehr  wenig  und   nicht   im  wesent- 
lichen  abzuändern   sei,    und  mit  Wärme   und  überzeugender  Kraft  die 
klassischen  Studien  gegen  ihre  Feinde  vertheidigt.     Im  speoiellen  stellt 
der  Hr  Verf.  die  Forderung  auf ,  dasz  zur  Erlernung  einer  Landessprache 


tterieht«  Qb^  gelehrte  Anstalten,  VerordflungeD,  Statist  NDÜiea«  389 

ausEer  der  Muttersprache  mehr  Gelegenheit  und  Yeranlassimg,  an  den 
Gymnaeien  gehoten  werde ,  erklärt  die  Yermehrang  der  Lateinstanden 
im  Untergymnasiam  für  wünschenswerth ,  im  Griechischen  6  St.  für  111, 
5  in  ly,  4  in  den  übrigen  Klassen  für  angemessen,  hält  im  Deutschen 
die  Aufrechterhaltung  des  O. -£.  für  zu  billigen  und  stimmt  den  Modifi- 
cationen  für  den  historischen  und  geographischen  Unterricht  bei.  In 
Betreff  des  mathematischen  Unterrichts  hält  er  auch  nach  Gemerths  Auf- 
satz die  Zweckmäszigkeit  der  Modification  für  nicht  abgewiesen,  erklärt 
sich  jedoch  dahin,  dasz  eine  Nothwendigkeit  dazu  nicht  vorlieg«,  wenn 
schon  der  geometrische  Anschauungsunterricht  in  eine  spätere  Klasse  ohne 
Nachtheil  verlegt  werden  könne.  Die  Belassung  des  naturwissenschaft- 
liehen  Unterrichts  in  wöch.  2  Stunden  durch  alle  4  Klassen  des  Unter- 
gymn.  befürwortet  derselbe  mit  Wärme ,  aber  auch  mit  ernster  Hinwei- 
sung auf  die  geeignete  Methode.  Am  Schlüsse  empfiehlt  er  endlich  noch 
die  Beschaffung  zweckmäsziger  Compendien  und  Leitfaden  und  den  Ge« 
brauch  der  lateinischen  Sprache  im  altklassischen  Unterricht  in  YII  u. 
VIII.  —  Dr  K.  Schenkl  (gegenwärtig  Prof.  der  klassischen  Philologie 
in  Innsbruck)  spricht  in  sehr  eingehender,  ruhiger  und  klarer  Erörte- 
rung (S.  228  —  240)  seine  UcberzeuguDg  dahin  ausj  dasz  eine  Vermeh- 
rung der  lateinischen  Stunden  in  III  u.  IV  um  2,  in  V  u.  VI  um  I  aller- 
dings geboten  -sei,  dasz  sich  aber  diese  Vermehrung  ohne  wesentliche 
Beeinträchtigung  anderer  Gegenstände  erreichen  lasse,  wenn  in  III  u. 
IV  dem  Unterrichte  in  der  Muttersprache  je  1,  in  III  dann  dem  arithme-. 
tischen  1  und  in  IV  dem  naturwissenschaftlichen  1  St.  entzogen,  in  Y 
u.  VI  aber  die  Zahl  der  wöchentlichen  Lectionen ,  wie  in  YII  u.  VIII 
auf  27  erhöht  werde.  Die  Beschränkung  der  Muttersprache  glaubt  er 
um  so  leichter  befürworten  zu  können,  wenn  der  Unterricht  in  ihr  mit 
dem  lateinischen  in  ^iner  Hand  vereinigt  und  der  Uebung  in  derselben 
in  allen  Unterrichtsstunden  die  nöthige  Aufmerksamkeit  gewidmet  werde. 
Gegen  die  Verlegung  des  gesamten  naturwissenschaftlichen  Unterrichts 
ins  Obergymnasium ,  gegen  die  Beschränkung  des  Griechischen  und  die 
Entfernung  des  Mittelhochdeutschen  erklärt  sich  derselbe  auf  das  ent- 
schiedenste. —  Dr  G.  Bippart  (bekann tl.  Prof.  der  kl.  Philologie  an 
der  Univ.  in  Prag)  gibt  eine  umfängliche  Erörterung  (S.  240 — 254),  wo- 
rin er  unter  Vergleichung  der  in  anderen  Ländern,  namentlich  Preuszen, 
durchgeführten  Grundsätze  und  unter  Darlegung  der  auf  der  Universität 
von  ihm  gemachten  Erfahrungen  die  Stellung,  welche  das  klassische 
Studium  in  der  Jugendbildung  einnehmen  müsse ,  in  ihrer  Bedeutsamkeit 
aufzeigt  und  eine  Vermehrung  der  für  sie  ausgeworfenen  Stundenzahl 
befürwortet.  —  In  Betreff  des  geographischen  und  historischen  Unter- 
richts kommt  Prof.  Ptaschnik  in  Wien  in  seinem  Aufsatze  (S.  254 — 
270)  zu  dem  Resultate,  dasz  die  beantragten  Modificationen  ganz  mit 
den  im  O.-E.  gegebenen  wesentlichen  Grundzügen  vereinbar  sind,  dasz 
aber  die  Zweckmäszigkeit  ihrer  Einführung  wesentlich  von  der  Art  be- 
dingt sei,  wie  die  Lehrer  selbst  das  Gesetz  studieren,  achten  und  be- 
folgen. Dabei  wird  auf  die  Nothwendigkeit  naturhistorischer  Kenntnisse 
für  die  Pflege  der  Geographie  hingewiesen,  wie  denn  auch  schon  Part  he 
(S.  212)  die  Bedeutung  der  geometrischen  Anschauungslbhre  für  dieselbe 
hervorgehoben  hatte.  Mit  dem  eben  erwähnten  Aufsatze  erscheint  Prof. 
Lepai^  zu  Iglau  (S.  270  f.)  einverstanden.  —  In  zwei  Aufsätzen  gibt 
endlich  noch  Schulr.  Wilhelm  in  Krakau  (S.  271—276  und  5s  Heft  S. 
374 — 380)  sehr  beachtenswerthe  Winke  über  die  Auswahl,  Yertheilung 
und  Behandlung  des  Stoffes,  um  die  Aufgabe  des  lateinischen  Unter- 
richts in  I  und  II  zu  lösen. 

Noch  ist  uns  eine  kleine  Brochüre  zugekommen :  die  (jymnaHalreform 
in  Oesterreich  (Leipzig,  Steinacker  1858.  32  S,  8).  Trotz  des  Ernstes, 
mit  dem  der  ungenannte  Verf.  seine  Sachen  vorträgt ,  wird  es  doch  nicht 


390  Berichte  aber  gelehrte  Anstalten,  Verordnungen,  lUtiit.  Notiieal 


schwer  fallen  die  IroniS  zu  erkennen ,  mit  welcher  er  die  Ansichten  einer, 
wir  wissen  natürlich  nicht  ob  zahlreichen  Partei,  welche  das  alte  Lehr- 
system zurückführen,  dabei  aber  scheinbar  den  Bedürfnissen  der  neue- 
ren Zeit  eine  Concession  machen  möchte,  parodiert  un^  persiffliert.  Zwar 
glaubt  man  im  Anfange  ernstgemeinte  VorscblÜge  erwarten  in  dürfen, 
aber  die  Folgerungen ,  welche  an  den  gegebenen  Begriff  der  allgremeinen 
Bildung  und  die  pädagogisch  -  psychologischen  Prämissen  angeschlosseB ' 
werden ,  contrastieren  so  damit ,  dasz  man  den  Schalk  erkennt.  Die  Kla- 
gen über  die  Beaufsichtigung  der  Lehrer  durch  den  Director  und  die 
dadurch  bewirkte  Herabdrückung  des  Ansehens  und  der  Stellung,  über 
die  Nachtheile,  welche  der  Wechsel  derselben  nach  Klassen  und  Fächern 
herbeiführt,  über  die  Forderung  der  Lehramtsprüfung  für  alle  stehen 
mit  der  Wirklichkeit  so  sehr  in  Widerspruch ,  dasz  man  über  die  Komik 
sich  nicht  täuschen  kann.  Und  wenn  nun  folgender  Abänderungsplan 
aufgestellt  wird: 

I     II    III    IV 


S 

.2 

1 


'Religion 2 

Lateinisch 

Deutsch 

Geographie 3 

Geschichte — 

Rechnen 2 

Geometrie — 

Physik — 

Naturgeschichte 2 


2      2      2 

8      8      8      8 
3      3      3      3 


1 
2 
2 


1 
2 
2 
1 
1 


1 
2 
2 
1 
1 


2    —    — 


Summe 20    20    20    20 


I    n  III  IV 


Religion 2 

Lateinisch 4 

Griechisch 4 

Deutsch 2 

Geschichte 3 

Mathematik 8 

Physik — 

Naturgeschichte 2 

Propädeutik 


2 
4 
4 
2 
3 
8 


2 
3 
8 
2 
2 
3 
3 


2 
3 
8 
2 
2 
8 
3 


2    —    — 


—    —      2 


Summe 20    20    20    20 

zeigt  da  nicht  schon  die  Wahl  der  Namen  Gymnasium  und  Lyceam  die 
Persifflage  auf  diejenigen,  welche  unter  angenommenem Sohein  das  alte 
ganz  zurückzuführen  trachten  ?  Und  läszt  sich  dieser  Zweck  yerkenneo, 
wenn  auf  die  Arbeit  zu  Hause  (die  dann  doch  ohne  Correpetitor  nicht 
gehen  könnte)  so  viel  Werth  gelegt,  wenn  in  der  Maturitätsprüfung  das 
Griechische  ausgeschlossen  wird,  wenn  es  am  Schlüsse  heisst:  ^unsere 
Nachbarn  im  Norden  und  Süden,  im  Osten  und  Westen  könnten  den 
Plan  vielleicht  nicht  brauchen;  aber  glücklicherweise  haben  wir  nicht 
nöthig  uns  darum  zu  kümmern.  Findet  ihn  jemand  für  die  Oesterrei- 
cher  aus  der  zweiten  Hälfte  des  lOn  Jahrhunderts  zweckmässig,  so  bat 
er  ihm  damit  das  höchste  Lob  ortheilt'?  Sollte  der  Hr  Verf.  fürchten, 
dasz  unsere  Anzeige  vielleicht  manchen  vom  lesen  abhält  und  dadurch 
die  Wirkung  der  Ironie  vermindert  werde ,  so  beruhigen  wir  ihn  mit  der 
Hoffnung,  dasz  viele  seine  Schrift  schon  gelesen  haben  und  manche  sie 
nun  gerade  ernstlicher  ansehen  werden. 

Ref.  hatte  sich  vorgenommen  nur  zu  berichten,  kein  eigenes  Urteil 
zu  geben.  Allein  das  warme  Interesse ,  das  er  an  Oesterreiclis  gedeihen 


BaruBktt  aber  gelehrte  Anstalten,  Verordnungen,  Statist.  Notiien.    391 

nimiiit,  dringt  ihn  doch  d&sn  einiges  hinznznfiigen.  Wir  haben  früher 
und  Biets  die  Vortrefflichkeit  des  Orgauisationsentwurfes  mit  herzlicher 
Bereitwilligkeit  anerkannt,  aber  auch  die  Bedenken,  welche  uns  gegen 
einaelnes  in  demselben  beigiengen,  nicht  verschwiegen.  Wir  können 
daher  nur  den  Wunsch  hegen,  dasz  derselbe  die  möglichste  Annäherung 
mr  Vollkommenheit  empfange.  Sollen  aber  die  beantragten  Modiüca- 
tfonen  in  ihrer  Gesamtheit  eingeführt  werden,  so  müssen  wir  dies  in- 
nigst bedauern  und  beklagen.  £s  würden  dadurch  nicht  nur  die  Vor- 
sfige  des  Org.-£.  aufgehoben,  sondern  auch  weder  der  realen  Seite  ihr 
BMht  widerfahren,  noch  dem  klassischen  Alterthum.  Wir  wünschen 
aüerdinga,  dasz  die  Stundenzahl  für  die  alten  Sprachen  gemehrt  werden 
k9nne  —  wie  weit  die  Abneigung  gegen  eine  gröszere  wöchentliche  Stun- 
densahl  und  die  Lust  häusliche  Correpetitoren  zu  gebrauchen  vermin- 
dert  worden  ist,  vei'mögen  wir  natürlich  nicht  zu  beurteilen  —  aber 
nioht,  dasz  dies  iu  der  vorgeschlagenen  Weise  geschehe.  Die  lateini- 
sche Sprache  wird  eine  Bevorzugung  vor  der  griechischen  immer  behal- 
ten müssen ,  aber  das  griechische  Alterthum  in  der  Jugendbildung  nicht 
la  seiner  vollen  Wirkung  kommen  zu  lassen ,  heiszt  wahrlich  die  Gegen- 
wart total  verkennen.  Wir  machen  den  Männern ,  von  welchen  die  Mo- 
dificationsanträge  ausgegangen  sind  nicht ,  den  Vorwurf,  als  hätten  sie 
nicht  ernste  didactischc  Erwägungen  geleitet,  aber  wir  bedauern,  dasz 
sie  sich  vor  andere  gestellt,  die  darunter  etwas  ganz  anderes  als  wahre 
humane  klassische  Bildung  verstehen,  von  deren  Vorhandensein  leider 
auch  in  diesen  Jahrbüchern  nicht  unberührte  Erscheinungen  den  Beweis 
liefern  *)  Ob  und  inwieweit  das  Mittelhochdeutsche  in  die  Gymnasien 
einzuführen  sei,  ist  eine  auch  in  Norddentschland  noch  nicht  entschie- 
dene Frage.  Wir  erkennen  an ,  dasz  die  Vorschläge  in  Betreff  des  geo- 
graphischen und  historischen  Unterrichts  viel  zweckmäsziges  enthalten;, 
in  Betreff  der  Mathematik  dagegen  stellen  wir  uns  unbedingt  auf  die  Seite 
des  O.-E.  Dasz  die  Naturgeschichte  aus  den  unteren  Klassen  nicht  ent- 
Isrnt  werden  dürfe ,  dasz  durch  die  Verlegung  des  gesamten  naturwissen- 
schaftlichen Unterrichts  in  die  oberen  Klassen  dem  humanistischen  Zwecke 
des  Gymnasiums  eine  völlij^em  aufgeben  gleichkommende  Beeinträchtigung 
widerfahren  werde,  darüber  wird  wol  im  ganzen  übrigen  DeutscUand 
nur  ^ine  Stimme  herschen. 

Die  Anregung  der  freien  Discussion  durch  die  hochsinnige  Veröf- 
fentlichung des  kk.  Ministeriums  und  die  dabei  zu  Tage  gekommenen 
Erörterungen  haben  in  uns  eine  gewisse  frohe  Hoffnung  erzeugt  und 
begründet,  dasz  die  gute  Sache  siegen  und  eine  den  Forderungen  der 
Zeit  genügende  Entscheidung  getroffen  werden  werde.     Mögen  die  Män- 

*)  Zu  dem,  was  oben  S,  274 — 280  gegeben  ist,  fügen  wir  hier  die 
Proben  lat.  Stils  hinzu,  welche  Prof.  Bonitz  aus  einem  ungarischen 
Programm  IX  S.  188  mitgetheilt  hat.  Planum  stndiorum  pro  anno  schola- 
tÜeo  1857,  d.  h.  Studicnplan.  Memorisatio  vocahulorum  et  parariigmatum 
oeemrentium.  Tardius  omni  septimana  occupatio  scholastica  et  domesticay  d.  h. 
Memorieren  der  vorkommenden  Wörter  und  Paradigmen.  Später  jede 
Woche  eine  Schularbeit  und  eine  Hausarbeit.  Prv  futurae  vocationis  stu^ 
dh  elegerunt  theologiam,  zum  Studium  ihres  künftigen  Berufes  wählten 
sie — ,  Notabiliores  altiori  loco  emanatae  ordinationcs  anno  scholasHco  1857, 
die  wichtigern  höhern  Orts  entflossenen  Verordnungen.  Decreto  Alti  C. 
R,  Ministerii  —  ordines  intuitu  systemisationis  professorum  doctrinae  religio- 
ni$  in  gymnasiis  catholicis  et  salarii  eorundem  noti  redduntur ,  durch  Erlasz 
d.  h.  Min.  werden  die  Verordnungen  hinsichtlich  der  Systemisierung  der 
Keligionslehrer  an  katholischen  Gymnasien  und  ihres  Gehalts  bekannt 
gegeben.  Examina  maturitatis  scripturistica  sttnt  gervata  diebus  29.  30.  31. 
JtUH,  orale  vero  wub  praesidio  cet. 

y.  Jahrb.  f.  Phil.  u.  Paed.  Jtä  LXXVIII.  Hfi  7.  2G 


392  Berichte  über  gelehrte  Anstalten,  Verordnungen,  statiit«  Noliiig. 

ner,  welche  mit  so  groszem  Mute,  so  klaren  nnd  consequenten  Princi- 
pien,  so  würdevoller  Darchföhmiig  derselben  an  der  Verbeflserang  des 
Unterrichtswesens  in  Oesterrelch  gearbeitet  haben,  in  dem  warmen  An- 
theil,  welchen  Deutschland  an  ihren  Bestrebungen  nimmt  und  welcher 
durch  die  Verlegung  der  Philologenversammlung  nach  Wien  ihatsäohlioh 
bekundet  ist ,  einen  Antrieb  zu  festem  beharren  finden.  Sollte  der  Aus- 
gang auch  jetzt  ihren  Erwartungen  nicht  entsprechen ,  der  g^estreute 
Same  Avird  nicht  verloren  sein.  Mud.  Dieiseh. 

Oldenbubg.]  Progpramm  des  Gymnasiums  Ostern  1858.  —  Da  spe- 
cielle  'Schulnachrichten'  auszer  der  Uebersicht  der  Lectionen  diesmal 
nicht  gegeben  sind ,  so  tragen  wir  aus  dem  vorjährigen  Programm  nach, 
dasz  in  die  Stelle  des  ins  Pfarramt  übergetret^en  Collaborator  Arens 
der  bisherige  3.  Collab.  Ram sauer  aufrückte  und  dagegen  zum  3.  Gol- 
lab.  der  Dr  Burmeister  aus  Jever  berufen  wurde.  Die  Ordinarien 
der  5  Ellassen  sind  nunmehr :  I  Rector  Bartelmann,  II  Conr.  H a g e n a, 
III  Collab.  Dr  Lübben,  IV  Collab.  Ramsauer,  V  Müller;  sonatige 
Lehrer :  Dr  T  e  m  m  e  (Math.  u.  Physik),  Dr  L  a  u  n  (Franz.),  Collab.  Dr 
Burmeister.  —  Schülerzahl  120;  I  11,  n  15,  UI  25,  IV  39,  V30.— 
Voranstehend  eine  umfangreiche  (77  S.)  Abhandlung  vom  Collab.  Ram- 
sauer:  zur  Charakteristik  der  aristotelischen  Magna  Maralia ,  aus  der  wir 
hier  folgendes  hervorheben.  Schleiermacher,  welcher  zuerst  daa 
Verhältnis  der  drei  unter  des  Aristoteles  Namen  auf  uns  gekommenen 
Ethiken  erörterte,  hatte,  vorzugsweise  von  der  Seite  des  Inhalts  und 
der  Anordnung  im  groszen  ausgehend ,  die  Magna  Moralia  für  die  echte 
oder  doch  für  die  ursprünglichste  Darstellung  aristotelischer  Sittenlehre 
gehalten.  Die  entgegengesetzte  Ansicht  vertrat  Spengel  Jahrb.  der 
Münchner  Academie  von  1841.  Ihm  gelten  die  M.  M.  für  ein  späteres, 
von  den  Eud.  u.  Nie.  abhängiges  Werk.  Den  vollständigen  Nachweis 
dieser  Ansicht,  zu  dem  er  übrigens  bereits  bedeutendes  beigebracht, 
stellte  Sp.  einer  besondern  Bearbeitung  des  Buches  anheim.  —  Hr  Ram- 
sauer zweifelt  jedoch,  ob  die  M.  M.  einer  solchen  (wenigstens  im  Ver- 
gleich mit  den  Nie.)  werth  seien  und  .unternimmt  es  vielmehr  in  der 
vorliegenden  Abhandlung  'in  der  Weise  ein  Bild  der  M.  M.  zu  eiitwerfen, 
dasz  der  mit  Aristoteles  irgendwie  vertraute  Leser  in  den  Stand  gesetzt 
werde,  aus  den  zusammengestellten  Zügen  ein  Urteil  darüber  zu  ge- 
winnen, ob  er  hier  Aristoteles  sprechen,  entwickeln  und  lehren  höre 
oder  einen  anderen.'  1)  S.  2—13)  Besonderheiten  der  Redeweise:  daa 
sonst  höchst  vereinzelte,  hier  durchstehende  vTciq  (für  nsQ^);  das  ^  ov 
im  aussagenden  Fragesatz  (= 'schwerlich');  die  Gewohnheit  Sätze  mit 
dem  subjectlosen  q)riai  einzuführen  (Bonitz  Stettiner  Programm  1844 
S.  14) ;  manches  andere ,  das  der  Darstellung  eine  äuszerlich  belebtere, 
oft  gleichsam  dramatischere  Färbung  gibt,  als  der  rein  sachliche  Stil 
des  Aristoteles.  2)  (S.  13 — 20)  In  der  Methode  der  Entwicklung  bemerkt 
man  eine  breite,  pedantisch  vollständige  Ausführung  der  SyUogismen; 
der  Verf.  der  M.  M.  hat  an  der  logischen  Form  als  solcher,  an' der  Va- 
riation der  syllogistischen  Einkleidung  seine  Freude ,  während  Aristoteles 
sich  nie  scheut  auch  der  Divination  seiner  Leser  etwas  zuzumuten.  3) 
Eine  Vergleichung  der  entsprechenden  Partien  Nie.  III  1  —  7;  Eud.  II 
6 — 11;  M.  M.  I  0  m.  — 18  ergibt,  wie  die  letzten  den  gröszern  Zusam- 
menhang aus  an  einander  gereihten  Abschnitten  bilden,  die  in  sich  ver- 
ständig behandelt  sind,  deren  inneres  Verhältnis  aber  weder  ausgespro- 
chen noch  immer  klar  begriffen  wird;  es  zeigt  sich  Abhängigkeit  (von 
den  Eud.)  ohne  wahres  Verständnis;  hier  am  eclatantesten ,  aber  in  ähn- 
licher Weise  auch  sonst.  'M.  M.  entwickeln  nicht,  sie  zählen  auf.'  So 
zerfällt  die  Behandliftig  der  iynQcctfux  M.  M.  II 4 — 6  in  streng  geschiedene 
Absätze,  deren  jeder  einen  besondem  Punkt  behandelt,  während  Nie.  VII 
ihren  Gang  planvoll  vorzeichnen ;  also  überwiegende  Sorgfalt  in  der  Ana- 


Iwiehte  Aber  gelehrte  Aostalleu,  VerordoaDgeo,  sUitist.  NoÜsea.  393 

ffihmng  des  einzelnen,  ohne  dasz  in  entsprechendem  Masze  die  Bezie- 
hungen aufs  ganze  festgehalten  würden :  eine  Erscheinung ,  deren  Grund 
in  der  Abhängigkeit  von  der  ursprünglicheren  Behandlung  des  Gegen- 
ftandes  in  Nie.  und  £ud.  zu  suchen.  In  eingehender  Yergleichung  mit 
diaaen  werden  sodann  1)  (S.  36—- 54)  die  Unvollkommenheiten  und  Lücken 
der  Darstellung  nachgewiesen;  2)  (S.  54  f.)  diejenigen  Eigenthümlich- 
keiten  der  M.  M.  besprochen ,  bei  denen  man  an  eine  absichtliche«  Mo- 
dification  der  Lehre  selbst  denken  kann  oder  doch  eine  Neuerung  des 
Bpraehgebranchs  anerkennen  musz;  so  die  ägsrij  lediglich  als  Bestimmt- 
heit des  aloyov;  die  bewuste  Neigung  das  aloyov  und  den  Xoyo9  mög- 
liohst  scharf  auseinander  zu  halten  (offenbar  polemisch,  doch  unbestimmt 
gegen  wen?);  ferner  die  iniatjjtijj,  welche  das  ganze  Gebiet  der  ttxvjj 
mit  occupiert,  u.  a.  m.  Also,  nach  Hrn.  B.,  vorwiegend  allgemeine  Be- 
griffe ,  in  denen  sich  ein  schwanken  zeigt ,  dagegen  die  gröste  Präcision 
bk  den  Einzelbegriffen,  vielfach  bereits  an  Schematismus  streifend.  Die 
Terminologie  der  (12)  ethischen  Tugenden  erscheint  bei  den  Nie  im 
werden,  bei  den  Eud.  schon  fixierter,  in  den  M.  M.  aber  bereits  voll- 
ständig fest  —  sie  suchen  etwas  in  der  Vollständigkeit.  —  Die  Bedeu- 
tung und  den  Werth  der  M.  M.  stellt  der  Vf.  der  sehr  gründlichen  (und 
daneben  im  Gebiet  der  Hypothesen  löblich  behutsamen)  Abhandlung 
lehlieszlich  dahin  fest  ^das^  sie  ein  Hülfsmittel  sind ,  die  echte  aristote- 
liache  Ethik  und  in  zweiter  Linie  die  Eudemien  in  ihrem  Inhalt  und  in 
ihrer  Zusammensetzung  lebendiger  zu  erkennen.'  TV,  G, 

Beudsbubg.]  An  diem  hiesigen  Realgymnasium  (d.  h.  einer  Anstalt, 
die  aus  drei  oberen  Gymnasialklassen,  einer  Bealtertia  und  Bealsecunda 
und  drei  gemeinschaftlichen  unteren  Klassen  besteht)  ist  im  J.  1856  ala 
Abhandlung  zum  Programm  erschienen:  die  Divisionsaufgabe  m:  (a  ;;t  ^)  *'^ 
wieihodiscker  Beziehung,  vom  Rector  Dr  Yechtmann  (34  S.  4).  Aus 
den  Schulnachrichten  heben  wir  hervor,  dasz  der  constitnierte  7e  Lehrer 
F.  C.  Kirchhoff  1855  zum  3n  CoUaborator  und  der  const.  He  Lehrer 
H.  J.  M.  Lucas  zum  3n  Adjuncten,  sowie  der  Schulamtscandidat  J.  C. 
fi.  Yolbehr  aus  Kiel  zum  2n  Adjuncten  ernannt  Worden  ist.  Im  Win- 
ter 1855—56  hat  die  Schülerzahl  153  betragen,  nemlich  2  in  I,  5  in  II, 
8  in  UI,  4  in  R.  U,  24  in  R.  III,  29  in  IV,  36  in  Y,  45  in  YI.  —  Das 
Progranmi  von  1857  enthält  eine  Geschichte  der  Gelehrtenschule  zu  Rends- 
burg bis  1830,  vom  Director  Prof.  Dr  P.  8.  Frandsen  (42  S,  4).  Die 
frühere  lateinische  Schule  existiert  seit  1500,  wo  der  erste  Rector  Joa- 
ehim  Prätorius  an  dieselbe  berufen  worden  ist;  dieselbe  wurde  1814 
durch  eine  neue  in  den  Herzogthümern  Schleswig -Holstein  eingeführte 
Schulordnung  aufgehoben,  aber  im  J.  1819  unter  namhaften  Opfern  def 
Stadt  Rendsburg  als  Gelehrtenschule  wieder  hergestellt;  die  Darstellung 
verweilt  mit  Yorliebe  bei  dem  Rectorate  des  ausgezeichnet  tüchtigen 
Prof.  Brodersen.  Ein  2r  Theil  soll  das  Rectorat  des  Prof.  Kramer 
(1830 — 44)  und  den  10  jährigen  Kampf  um  die  Existenz  der  Lehranstalt 
enthalten,  bis  endlich  1854  durch  die  Errichtung  des  Realgymnasium! 
eine  Coalition  der  entgegenstrebenden  Interessen,  der  bestehenden  Ge- 
lehrtenschule und  einer  beabsichtigten  Realschule ,  zu  Stande  kam.  Im 
Winter  1856—57  waren  182  Schüler  in  der  Anstalt,  nemlich  4  in  I,  9  in 
H,  10  in  in,  7  in  R.  U,  27  in  R.  III,  36  in  lY,  47  in  Y,  42  in  YI.  Die 
Bibliothek  wurde  durch  586  werthvoUe  Bände  aus  der  Bibliothek  des  aus 
Rendsburg  gebürtigen,  1689  als  königl.  Rath  in  Glückstadt  verstorbenen 
Marquard  Gude  bereichert;  auch  der  physikalische  Apparat  erhielt  eine 
zwiefache  sehr  beträchtliche  Unterstützung.  Im  übrigen  heben  wir  noch 
die  beachtenswerthe ,  auch  anderweitig  schon  früher  befolgte  und  hier 
jetzt  eingeführte  Einrichtung  hervor,  wornach  den  Schülern  vor  den 
Sommerferien  und  zu  Weihnachten  halbjährliche  Censuren  ertheüt  wer- 
den; zu  Michaelis  und  Ostern  vertreten  die  Yersetzungen  gewissermaszen 

26* 


394  Berichte  Ober  gelehrte  Anstalten,  Verordnungen,'  staliit.  MotixeC 

von  selbst  die  Stelle  derselben,  nnd  für  die  trägeren  Schüler  sind  ne  in 
der  Mitte  des  Semesters  ohne  Zweifel  am  wii'ksamsten.  -^  Im  gegen- 
wärtigen  J.  1658  ist  als  Abhandlang  dem  Programm  beigeg^en:  üAer 
die  Bundesgenossenschaft  der  Athener ,  vom  Adjuncten  Laoas,  Ir  Thefl, 
S.  3 — 12.  Die  Schale  betrauerte  den  Tod  des  Rectors  and  2n  Lehrern, 
Dr  G.  Chi*.  U.  Yechtmann,  geb.  1817  za  Wittmond  in  Hannover, 
1841  als  Hofmeister  an  der  Hitterakademie  in  Lüneborg  angestellt,  von 
dort  1845  nach  Eutin  berufen,  1848  zum  Subrector  in  Meldorf  ernannt, 
von  wo  er  1853  in  sein  letztes  Amt  gekommen  ist.  Seine  Lectionen 
wurden  vorläufig  dem  Privatdocenten  an  der*  kieler  Universität  Dr  P. 
Büttel  übertragen.  Der  erste  Schüler  gieng,  nachdem  er  das  neue 
Maturitätsexamen  bestanden,  Mich.  1857  zur  Univ.  (Jur.)-  Die  Schüler- 
zahl stieg  auf  204,  nemlich  7  in  I,  7  in  II,  8  in  HI,  11  in  B.  II,  31  in 
B.  UI,  48  in  IV,  44  in  Y,  48  in  VI.  Die  Dauer  der  Lehrcurse  ist  für 
Bealprima  auf  1  J. ,  für  Bealsecunda  und  Bealtertia  auf  1^  J*  (früher 
in  allen  drei  2  J.)  herabgesetzt ;  darnach  ist  es  wahrscheinlich,  daisz  ein 
Besuch  der  Bealprima  ^in  nicht  gar  langer  Zeit'  eintreten  wird.  Die 
Sammlungen  wurden  wieder  ansehnlich  vermehrt.  Eing, 

BiMTBLN.]  Am  10.  April  starb  der  ordentliche  Lehrer  Dr  Lobe. 
Zum  Ersatz  für  denselben  wurde  der  Qjmnasialpraktikant  Kellner, 
aber  bald  darauf  in  gleicher  Eigenschaft  an  das  Gymnasium  in  Gatsd 
versetzt,  während  in  seine  Stelle  der  Gymnasialpraktikant  Stähle  ein- 
trat. Folgende  Mitglieder  bilden  jetzt  das  Lehrercollegium :  Dr  Sohiek, 
Direotor,  Dr  Feuszner,  Dr  Eysell,  Pfarrer  Meurer,  Dr  Hart- 
mann, Dr  Stacke,  Kutsch,  die  beauftr.  Lehrer  Dr  Braun,  Ber- 
kenbusch  und  Stähle,  Zeichen-  und  Schreiblehrer  Storck,  Gesangw 
lehrer  Capmeier.  Die  Gesamtzahl  der  Schüler  betrug  im  Sommerhalb- 
jahr 83  (I  12,  II  8,  UI  gymn.  21,  III  real.  6,  IV  gymn.  13,  IV  real.  9, 
V  14).  Abiturienten  im  Herbst  1857  5,  zu  Ostern  1858  7.  Den  Schal- 
nachrichten geht  voraus  eine  sehr  lesens-  und  beaehtenswerthe  Abhand- 
lung: das  Lehen  der  Johanna  d'Arc,  genannt  die  Jungfrau  von'  Orleans. 
Zweiter  Theil.  Vom  Gymnasiall  Dr  Eysell  (31  S.  4).  L  Abschnitt: 
von  der  Abreise  der  Johanna  aus  Domremy  bis  zur  Krönung  Karls  Vü 
in  Beims.  §  1.  Johannas  Abschied  von  Domremy,  Anfenthalt  in  Van- 
couleurs,  Beise  nach  Chinon.  §  2.  Johanna  in  Chinon  und  Poitiers.  (  8. 
Johanna  in  Tours,  Blois,  Orleans.  JDr  0, 


Personalnotizen. 

KrnennnngeBf  BefUrdemagen ,  Terseizungent 

Achtner,  Mich.,  Gymnasiall.  zu  Laibach,  an  das  E^einseitner 
Gymnasium  zu  Prag  vers.  —  Acker,  Cand.  theoL,  Lehrer  an  der  Beal- 
schule  zu  Beichenbach  i.  V.,  zum  Lehrer  am  Gymn.  zu  Zwickau  em. — 
Aschenbach,  SchAC,  als  Collaborator  am  Andreanum  in  Hildeshehn 
angcst.  —  Au  ha  gen,  B.,  SchAC,  als  provisor.  Collaborator  am  Gymn. 
in  Stade  angest.  —  Bader,  Th.,  SchAC.,  als  ord.  Lehrer  am  Gymn.  n 
Schleusingen  angest.  —  Bause,  ord.  Lehrer  am  Gymn.  zu  Paderborn, 
zum  Oberlehrer  am  Gymn.  zu  Warendorf  ern.  —  Bockemüller,  Col- 
laborator am  Gymn.  zu  Stade,  zum  zweiten  Conrector  das.  befördert. — 
Fehler,  Collaborator  am  Lyceum  in  Hannover,  zum  Oberlehrer  em.  — 
Franke,  Dr  A.,  SchAC.^  als  provis.  Collaborator  am  Gymn.  zu  Lingen 
angest  —  Fr  ick,  Dr  O.,  SchAC,  als  Adiunct  am  Joachimsthaleoh«] 
Gymn.  in  Berlin  angest.  —  Giebel,  Dr  Ch.  G.  A.,  Privatdooent ,  aom 


PersonalnotiseB.  395 

ao.  Prof.  in  der  philos.  Facnltät  der  UniversitKt  Halle  ern.  •—  Oott- 
schar,  Joh.,  Woltpr.,  provißor.  Director  am  Gymn.  zu  UnghvAr,  zum 
wirkl.  Dir.  befördert.  —  Haage,  Conrector  am  P&dag.  zn  Ilefeld,  zum 
zweiten  Rector  an  ders.  Anstalt  ern.  —  Hachmann,  Oberlehrer  am 
Qynm.  zu  Anrieh,  als  Conrector  an  das  Andreanum  zu  Hildesheim  yers. 
—  Hahmann,  Subeonr.  am  PSdagog.  zu  Uefeld,  znm  Conrector  an 
ders.  Anst.  ern.  —  Hof  f mann,  Dr  H.  O.,  SchAC,  als  ord.  Lehrer  am 
Priedrichs-Collegium  zu  Königsberg  i.  Pr.  angest.  —  Hof  f mann,  Col- 
labor.  am  Andreanum  zu  Hildesheim ,  in  gl.  Eigensch.  an  das  Gymn.  in 
Hameln  versetzt.  —  Kiene,  A.,  Conrector  am  Gymn.  zu  Stade,  zum 
.Rector  an  ders.  Anst.  befördert.  —  Knapp,  Bened.,  Suppl.  am  Gymn. 
SU  Fiurae,  zum  wirkl.  Lehrer  an  ders.  Anstalt  ern.  —  Krause,  Conr. 
am  Gymn.  in  Stade,  zum  ersten  Conrector  das.  befördert.  —  Kruli" 
kowski,  Leo,  Suppl.  am  Gymn.  zu  Przemysl,  zum  wirkl  Lehrer  an 
ders.  Anstalt  ern.  —  Lagarde',  Dr  Paul  de,  bisher  am  kölnischen 
Realgymn.  in  Berlin,  zum  ord.  Lehrer  am  Friedrichs- Werderschen  Gymn. 
daselbst  ern.  —  Lange,  SchAC,  als  provis.  Collaborator  am  Gymn. 
zu  Aurich  angest.  —  Lob  er,  Collaborator  am  Gymn.  zu  Stadef,  zum 
zweiten  Conrector  an  ders.  Anstalt  befördert.  —  Mejer,  SchAC.,  als 
proyisor.  Collaborator  am  Lyceum  in  Hannover  angest.  —  Möhring, 
Conr.  am  Jobanneum  in  Lüneburg ,  zum  Oberlehrer  der  Mathematik  und 
Katurwissenschaften  am-Gymn.  zu  Aurich  ern.  —  Müller,  R.,  SchAC, 
als  Collaborator  am  Pädagog.^  in  Ilcfeld  angest. —  Neinhaus,  Wilh., 
Collabor.  am  Gymn.  in  Prenzlau,  zum  ord.  Lehrer  an  der  Realschule  in 
Perleberg  ern.  —  Ribbeck,  DrWold.,  bisher  am  Friedrichs  -  Gymn. 
in  Berlin,  zum  ord.  Lehrer  am  kölnischen  Realgymnasium  das.  ern.  — 
Rokohl,  Wilh.,  Lehrer  an  d.  Realschule  in  Aschersleben,  zum  ord. 
Lehrer  am  Gymn.  zu  Dortmund  ern.  —  Sauyin,  Lehrer,  als  proyisor. 
Lehrer  der  französischen  Sprache  am  Johanneum  zu  Lüneburg  angest.  — 
Schädel,  Dr,  Rector  am  Gymn.  zu  Stade,  in  gleicher  Eigenschaft  an 
das  Pädagogium  in  Ilefeld  yers.  —  Scheller,  Dr,  Collaborator,  zum 
Lehrer  der  Mathematik  und  Naturwissenschaften  am  Progymn.  in  Eim- 
beck  ern.  —  Spandau,  Dr  C,  SchAC,  Assistent  an  der  Studienanstalt 
in  Regensburg,  zum  Studienlehrer  an  der  das.  lat.  Schule  befördert.  — 
Stepan,  Joh.,  Suppl.  am  Gymn.  zu  Neusohl,  zum  wirkl.  Lehrer  an 
ders.  Anstalt  ernannt.  —  Stisser,  Collaborator  am  Lyceum  zu  Han- 
nover, zum  Oberlehrer  ern.  —  Yelsen,  Dr  von,  SchAC,  als  Adiunot 
an  der  Ritterakademie  in  Brandenburg  angest. —  Vetter,  O.  J.,  SchAC, 
all  Adiunct  am  Pädagogium  zu  Puttbus  angest.  —  Winkelmann,  C. 
A.,  SchAC,  als  provis.  Collaborator  am  Johanneum  in  Lüneburg  angest. 

Praediciertt 

Piegsa,  Dr,  Oberlehrer  am  Gymn.  zu  Ostrowo,  als  Professor.  — 
Witte,  Dr  K.,  Prof.  in  der  iurist.  Facultät  an  der  Univ.  zu  Halle,  als 
Geh.  Justizrath. 

PensloBiertt 

Clottu,  Prof.  am  Johanneum  zu  Lüneburg. 

■ 

Gestorben  t 

Am  27.  Jan.  zu  Teschen  Em.  Leonh.  Wiener,  Prof.  am  das.  kk. 
evangelischen  Gymn.,  46  J.  alt  (geb.  zu  Riga).  —  Am  5.  März  zu  Bre- 
genz  der  pens.  Prof.  Faustin  Enns  im  77.  Lebdisj.  —  Am  7.  März 
■a  Bologna  Lucchesini,  Prof.  der  Homiletik  an  der  das.  Univ.,  72  J. 
alt.  -^  Am  9.  März  zu  Wien,    Dr  Ferd.  Kornitzer,  Assistent  der 


396  Personalnotisen. 

Lehrkanzel  für  Anatomie,  27  J.  alt,  bekannt  durch  seine  Unterraohim* 
gen  über  den  Herzschlag.  -*  Am  11.  März  za  Wien  P.  ÜÖl.  Keppler, 
emer.  Prof.  4er  Religionsw.  an  d.  Univ.,  im  75.  Lebensj.  -^  Am  15.  Mttn 
in  Petersburg  Prof.  Ossip  Jwano witsch  Senkoffski,  Docent  der 
arabischen  Sprache  an  der  das.  Univ.,  im  58.  Lebensj.—  An  demselben 
Tage  zu  Kairo  der  tüchtige  Naturforscher  Drvon  Neimans  aus  Bay- 
reuth, in  Begriff  nach  Wada'i  Yorzudringen ,  um  über  Dr  Vogels  Schick- 
sal GewiszheiVzu  erlangen.  —  Am  17.  März  in  Prag  P.  Frz  Schnei- 
der, Dir.  der  deutschen  Oberrealschule,  geb.  1.  Oct.  1794.  —  Am  24. 
März  in  Ellagenfurt  der  Lycealbibliothekar  Pet.  Alcant.  Bndik,  geb. 
18.  Oct.  1702  in  Mähren.  —  Am  25.  März  in  Prag  Frz  Mühlwenzelj 
Prof.  am  K^einseitner  Gymn.  —  An  dems.  Tage  zu  Teschen  Dr  £.  Plu- 
car,  Prof.  am  das.  evang.  Qymnasium.  —  Am  6.  April  zu  Hermann- 
Stadt  Jos.  y.  Scharenberg,  Präsident  des  evang.  Oberconsistorinms.  — 
Am  13.  April  zu  Prag  Rozum,  Lehrer  der  böhm.  Sprache  u.  Heraus- 
geber der  altböhmischen  Bibliothek.  —  Am  8.  Mai  in  Greifswald  d.  ord. 
Prof.  d.  Philosophie  an*  der  das.  Univ.,  DrE.  Stiedenroth,  im  04. 
Lebensj.  —  An  dems.  Tage  in  Frankfurt  a.  M.  der  Prof.  am  Gymnasium 
Ludw.  Scholl,  53  Jahr  alt.  —  Am  10.  Mai  in  Darmstadt  der  ausge- 
zeichnete Förderer  des  Turnwesens,  Oberstndiendirectionsassessor  Ado. 
Spiesz,  49  J.  fJt.  —  Am  17.  Mai  in  Zittau  der  Gymnasiallehrer  £. 
Lange,  im  58.  Lebensj.  —  An  dems.  Tage  in  Berlin  der  Geh.  Med.-B. 
und  Prof.  der  Anatomie  Dr  Schlemm.  —  Am  19.  Mai  in  Halle  der 
Universitätsmusikdirector  Dr  Job.  Frdr.  Naue,  geb.  1790.  —  Am  4. 
Juni  in  Heidelberg  der  ord.  Prof.  der  Geschichte  an  der  das.  Univ.  Dr 
Kor  tum,  geb.  1789  zu  Eichhoff  in  Mecklenburg-Strelitz. 


Rechtfertigung. 


Herr  Director  Dr  Piderit  hat  im  Februarheft  dieser  Zeitschrift, 
das  ich  erst  vor  kurzem  las,  eine  Broschüre  von  mir  *zur  Gymnasial- 
reformfrage' besprochen,  zu  deren  näherem  Verständnis  ich  noch  fol- 
gendes hinzuzusetzen  mich  verpflichtet  fühle. 

Zunächst  musz  ich  der  Annahme  begegnen,  dasz  mir  das  Frans5- 
sische  durchaus  verhaszt  wäre-  Es  war  die  Sprache  meiner  Vorfahren; 
ich  habe  mich  fortwährend  praktisch  und  wissenschaftlich  darin  ausge- 
bildet; ich  unterrichte  darin  in  einer  Stadt,  die  mehr  als  jede  andere  in 
Eurhessen  Werth  darauf  legt;  ich  kann  mit  meinem  Erfolge  zufrieden 
sein,  und  gerade  jetzt,  wo  meine  Broschüre  selbst  von  vielen  Schülern 
gelesen  ist ,  mehr  als  früher ;  solche ,  die  von  anderen  Gymnasien  kamen, 
standen  fast  ohne  Ausnahme  den  hiesigen  nach.  Man  lege  mir  dies  alt 
Anmaszung  aus;  ich  suche  gar  keinen  Ruhm  darin. 

Als  ich  das  von  Dr  H.  Thiersch  veröffentlichte  Gesuch  um  Ver- 
einfachung des  Gymnasialunterrichtes  zuerst  sah,  ergieng  es  mir  wie 
gewis  vielen  CoUegen.  Ich  las  zuerst  die  Aenderungsvorschläge ,  sie 
kamen  mir  unüberlegt  und  widersinnig  vor  und  nahmen  mich  gegen  das 
ganze  ein.  Erst  als  ich  die  vorausgeschickte  Begründung  einer  genauen 
Erwägung  unterwarf  und  meine  Erfahrungen  (nicht  blos  als  Lehrer) 
hinzuzog,  muste  ich  anerkennen,  dasz  die  Bittschrift  allerdings  in  vielen 
Punkten  Recht  hatte.  Sind  erhebliche  Uebelstände  vorhanden?  Dies 
war  die  erste  FragC ,  die  ich  mir  vorlegte ,  und  einen  anderen  Weg  sehe 
ich  nicht,  wenn  man  die  Sache  nicht  umgehen  will.  Ich  fand  die  ver- 
schiedenen Uebelstände,  die  meine  Schrift  angibt.    Eine  Wideriegung 


Rechtfertigung.  397 

ist  Ton  keiner  Seite  erfolgt,  nnr  die  YomdilSge  zur  Abhilfe  wurden 
hier  und  da  besritten;  wer  aber  die  Uebelstände  einräumt  und  nur  die 
Mittel  zur  Abstellung  misbilligt,  der  musz  (wenn  er  überhaupt  dazu 
berufen  ist ,  und  das  war  jeder  hessische  Gymnasiallehrer)  entweder  auf 
andere  Mittel  sinnen  oder  beweisen ,  dasz  eine  Abstellung  unmöglich  ist. 
'  Meine  zweite  Frage  war :  worin  haben  die  Uebelstände  ihren  Grund  ? 
Denn  wer  ein  Uebel  heben  will,  musz  Yor  allen  seinen  Grund  kennen. 
Mir  schienen  hauptsächlich  drei  Umstände  von  nachtheiligem  Einflusz  zu 
sein:  der  oft  sehr  starke  Contrast  zwischen  Haupt-  und  Nebenfächern, 
die  zu  grosze  Zahl  der  Gegenstände  und  der  Umstand  dasz  manches 
über  die  Kräfte  des  Knaben  hinausgehe.  Daher  meine  Vorschläge:  die 
Zahl  der  Lehigegenstände  zu  beschränken,  die,  welche  in  den  oberen 
Klassen' bestehen  bleiben  (Griechisch,  Lateinisch,  Deutsch,  Religion, 
Geschichte,  Mathematik),  als  Hauptfächer  einander  gleich  zu  stellen, 
und  dem,  was  der  jugendlichen  Faszungskraft  nicht  entspricht,  einen 
einen  andern  Platz  zu  geben. 

Das ,  was  ich  yon  dem  zuyielerlei  und  feinen  schädlichen  Folgen 
gesagt  habe,  ist  nirgends  widerlegt;  ist  aber  die  Prämisse  richtig,  so 
kann  man  dem  Schlusz  nicht  ausweichen,  dasz  etwas  wegfallen  müsse. 
£s  fragt  sich  also  nur,  was  nothwendig,  und  was  entbehrlich  sei;  das 
blos  wünschenswerthe  kann  bei  der  hohen  Aufgabe  der  Geistesbildung 
nicht  in  Betracht  kommen.  Mag  man  den  Ausfall  eines  Fachs  bedauern ; 
so  lange  man  seine  Nothwendigkeit  nicht  nachweist,  ist  sein  bestehen 
nicht  gerechtfertigt.  Unsere  früheren  Ministerien  haben  auch  manches 
beseitigt,  was  sehr  wünschenswerth  war,  z.  B.  Englisch,  ohne  Zweifel 
nach  dem  ^atze,  dasz  von  zwei  Uebeln  das  kleinste  zu  wählen  sei. 
Danach  beurteile  man,  warum  ich  fdr  die  Ausscheidung  des  Französi- 
schen und  der  Physik  stimmte.  Kommt  man  zu  dem  Resultate,  dasz 
statt  ihrer  etwas  anderes  wegfallen  könnte ,  so  habe  ich  nichts  dagegen. 
Gienge  es  meinen  Wünschen  nach,  so  würde  hinzugethan,  nicht  weg- 
genommen; aber  höher  steht  das  wahre  gedeihen  der  Schule.  Lieber 
weniges  ordentlich  als  vieles  stümperhaft ! 

-  Für  die 'Abschaffung  des  Französischen  schien  mir  auszerdem  noch 
der  Umstand  zu  sprechen,  dasz  es  bei  der  gedrückten  Stellung,  die  es 
einmal  haben  musz,  bei  den  Schülern  zu  keinem  rechten  Ansehen  ge- 
langt, was  doch  zu  den  ersten  Bedingungen  gehört,  dasz  der  Lehrer 
selbst  dadurch  gegen  andere  in  Nachtheil  kommt,  und  dasz  die  Kennt- 
nisse, die  darin  erworben  werden,  von  keinem  Belang  sind.  Die  Schü- 
ler der  oberen  Klassen  merken  sehr  wol,  worauf  es  ankommt  und  wor- 
auf nicht,  und  richten  danach  ihre  Aufmerksamkeit  und  ihren  Fleisz  ein. 
Die  Schuld  mag  zum  Theil  auch  an  den  Lehrern  liegen,  viel  ändert  das 
nicht  an  der  Sache.  Bei  den  besten  wird  wenig  gelernt,  bei  den  un- 
tüchtigen sehr  wenig.  Die  französische  Sprache  ist  eine  der  schwierig- 
sten unter  den  in  Europa  lebenden;  nur  die  allernöthigste  grammatische 
Sicherheit  zu  geben  ist  bei  zwei  wöchentlichen  Lehr  stunden  kaum  mög- 
lich; von  Litteraturkenntnis  kann  keine  Rede  sein,  yon  sprechen  noch 
weniger.  Man  frage  sich  doch  nur  ganz  ehrlich,  wie  es  mit  den  fran- 
zösischen Kenntnissen  unserer  Staatsdiener  steht.  Meiner  Ansicht  nach 
ist  die  Stellung,  welche  der  französische  Unterricht  neben  dem  klassi- 
schen Sprachunterricht  einnimmt,  mit  der  Würde  der  Gymnasien  nicht 
in  Einklang. 

Dem  Gymnasium  ist  seine  Zeit  kostbar ,  alles  entbehrliche  musz  dem 
wichtigeren  weichen:  dieser  Gedanke  bestimmte  mich  auch  die  Abschaf- 
fung eines  Theils  vom  deutschen  Unterrichte  vorzuschlagen ,  nemlich  der 
Leetüre  in  den  unteren  Klassen  bis  Tertia  einschlieszlich ,  wofür  dann 
der  Geschichte  mehr  Stunden  zugewiesen  würden.  Denn  die  deutsche 
Leetüre  gibt  wenig  mehr,  als  die  Schülerbibliothek  gibt.    Leseübungen 


398  Entgegnung. 

in  Sexta  und  Orthogri^hie  in  Sexta  und  Quinta  müssen  natürlich  blei« 
ben.  Die  deutschen  Aufsätze  können  (Prima  und  Secunda  ansgenonnnen) 
durch  U^bersetzungen  und  geschichtliche  Arbeiten  ersetzt  werden  (sind 
ja  auch  oft  nichts  anderes),  weil  vollkommen  dasselbe  daduixh  erreicht 
wird:  denn  das  Knabenalter  kann  nur  reproducieren. 

Von  meinem  Vorschlage  die  Gegenstände  mehr  zu  concentriereii  und  * 
die  oberen  von  den  unteren  Klassen  mehr  zu  scheiden  schweigt  das  Re- 
ferat ganz.  Mein  Vorschlag  geht  dahin  die  Geographie  und  Naturge- 
schichte im  Untergymnasium,  das  bis  Untertertia  etwa  gienge,  zu  ab- 
solvieren, den  biographischen  Geschichtsunterricht  auf  Quarta  zu  con- 
centrieren,  das  Griechische  erst  im  Obergymnasium  mit  gröszerer 
Stundenzahl  zu  beginnen.  Tertia  würde  dann  besser  in  zwei  Klassen 
getrennt. 

Im  übrigen  berufe  ich  mich  auf  das,  was  ich  im  letzten  Absata 
meiner  Broschüre  sage,  und  wiederhole  die  Schluszworte :  ^werden 
meine  Voraussetzungen  widerlegt,  oder  stehen  meine  Erfahrungen  zu 
vereinzelt,  so  bescheide  ich  mich,  dasz  irren  menschlich  ist.'  'Erst  die 
Voraussetzungen,  dann  die  Vorschläge,  das  ist  meine  Logik.  Was  mich 
aber  bewog  die  Ergebnisse  gewissenhafter  Erwägung  kund  zu  thun ,  ohne 
die  von  mir  Jahre  lang  gelehrten  Fächer  (Französisch  und  Deutsch)  zu 
schonen,  das  war  mein  Pflichtgefühl. 

Hanau  im  April.  Reinhart  Suekier, 


Entgegnung. 

Zu  vorstehendem  Aufsatz,  den  die  Redaction  dieser  Section  der 
Jahrbücher  die  Güte  hatte  mir  vor  dem  Abdruck  zu  etwaiger  Erwide- 
derung  mitzutheilen ,  habe  ich  nur  die  Bitte  hinzuzufügen,  doch  alles 
nur  recht  aufmerksam  zu  lesen  und  dabei  die  einzelnen  Widerspruche 
nicht  zu  übersehen,  an  denen  es  auch  hier  nicht  fehlt,  z.  B.  oben:  ^ich 
kann  mit  meinem  Erfolge  (im  französischen  Sprachunterricht)  zufrieden 
sein',  unten:  ^die  Kenntnisse,  die  darin  erworben  werden,  sind  von 
keinem  Belang'.  Wollte  ich  auf  das  einzelne  näher  eingehen ,  so  müst« 
icH  das  früher  von  mir  gesagte  wiederholen,  wie  ja  auch  Dr  Suchiers 
obige  Exposition  im  wesentlichen  nichts  weiter  als  eine  Wiederholung 
der  in  seiner  Broschüre  aufgestellten  Behauptungen  ist.  Dessen  kann 
ich  mich  aber  um  so  eher  überheben,  als  bereits  von  'anderer  Seite  im 
Februarbeft  der  pädagogischen  Revue  gerade  Suchiers  Schrift  (mit  der 
Waitzfchen)  gründlichst  besprochen  ist. 

PideriU 


Zweite  Abtheilung 

benKsgegebeii  Ton  RKdolph  Dietsek. 


29* 

Ueber  Lehrerbildung. 


Bedürfte  der  Gegenstand,  mit  welchem  sich  die  nachfolgendeu 
Seiten  beschäftigen  sollen,  noch  irgendwie  des  Nachweises  dasz  er 
eine  ernste  Prüfung  verdiene,  so  wäre  auf  die  Worte  zu  verweisen, 
die  sich  in  Palmers  anerkannt  trefflicher  Paedagogik  (2.  Auflage  485  f.) 
finden.  Der  zweite  Haupttheil  dieses  Werkes  handelt  von  dem  evange- 
lischen Scbulamt;  der  dritte  Abschnitt  des  zweiten  Theiles  ist  über- 
schrieben:  Lehrling,  Gebülfe  und  Meister.  Hier  sagt  nun  Palmer  — 
für  diejenigen  welchen  das  Buch  nicht  zur  Hand  ist  sei  es  erlaubt 
di€k  Stelle  hier  mitzutbeilen  —  folgendes : 

^ Sehen  wir  uns  zuvörderst  nach  dem  gelehrten  Schulwesen  am, 
80  finden  wir  in  demselben  so  gut  wie  nichts' von  solchem  Slufengange, 
Diejenigen,  welche  nach  Beendigung  theologischer  und  philologischer 
Stadien  in  den  Lehrstand  eintreten^  erscheinen  eigentlich  sogleich  alf 
Meister,  d.  h.  der  äuszern  Stellung  nach,  wie  denn  auch  der  Hofmeister 
in  Privatdiensten  bereits  den  Meister  in  seinem  Namen  trägt.  Brauchen 
etwa  die  gelehrten  Lehrer  nicht  zuvor  Lehrlinge  zu  sein?  oder  genügt 
es  als  Student  im  Hörsaal  gesessen  zu  haben,  um,  nachdem  man  über 
Sophokles  und  Horaz  lesen  gehört,  sofort  auch  selbst  zu  lehren?  Ge- 
wis,  es  ist  seltsam,  dasz  auf  die  formelle  Vorbildung  der  VolksschaU 
lehrer  so  ungemein  viel  Fleisz  verwendet  wird,  bei  den  gelehrten 
Schallehrern  niemand  hieran  denkt.  Denn  auch  die  philologischen 
Vorlesungen  sind  nicht  auf  Beibringung  des  formell -paedagogischen 
berechnet.  Es  läszt  sich  allerdings  sagen,  dasz  die  philologische 
Bildung  an  sich  selbst  schon  vieles  in  sich  schliesze ,  was  dem  deut- 
schen Lehrer  abgeht  und  darum  anderweitig  ihm  ersetzt  werden  muss; 
aber  dasz  mit  alle  dem  die  Lehr-  und  Erziehungskunst  noch  nicht  ge- 
hörig bedacht  werde,  das  liegt  sowol  in  seinen  Ursachen  als  in  seinen 
Fruchten  klar  vor  Augen.' 

Während  es  an  Zusätzen  und  Aenderangen  -  in  der  2n  Auflage 
ionst  nicht  fehlt,  ist  die  angeführte  Stelle  wörtlich  so  wieder  abge- 

rr.  Jahrb.  f.  PM.  «.  Paed.  Bd  LXXYIII.  Bft  S.  27 


400  Ueber  Lehrerbildung. 

drackt,  wi%  sie  in  der  ersten  Auflage  (von  1853)  stand.  Der  Verfassfir 
hat  also  keinen  Grund  gehabt  sein  kurzes  und  scharfes  Urteil  irgend- 
wie zu  ändern.  Man  hätte  von  ihm  erwarten  dürfen  da^/i  er  jedem 
Versuche  eine  so  empfindliche  Lücke  in  unserem  Schulwesen  zo  er- 
gänzet! aufmerksam  gefolgt  wäre.  Indes  —  das  ist  wol  nicht  zu 
leugnen  —  einer  eingehenderen  Behandlung  wäre  dieser  Punkt  wol 
werth  gewesen ,  und  wenn  Palmer  recht  daran  that  seine  Paedagögik 
nicht  zu  einer  Schulkunde  zu  machen,  wenn  er  mit  gutem  Vorbedacht 
die  Behandlung  mancher  wichtigen  Organisationsfrage  ablehnte:  hier 
wäre  das  hinausgehen  über  die  Notierung  eines  bedeutungsvollen  De^ 
ficils  gewis  sehr  dankenswerth  gewesen,  hier  hätte. es  sich  schon  ge- 
lohnt auf  Mittel  uhd  Wege  zur  Abhülfe  hinzuweisen.  Nun  aber  ist  das 
nicht  geschehen,  und  es. ist  damit  die  Aufgabe  gestellt  diesen  Gegen« 
stand  einer  sorgfältigen  Prüfung  zu  unterwerfen.  Habe  ich  nun  seil 
Jahren  mich  mit  dieser  Frage  beschäftigt,  auch  schon  bei  anderen  Ge- 
legenheiten diesen  Punkt,  wenn  schon  nicht  eingehend,  berührt,  so  darf 
ich  wol  versuchen  eiiren  kleinen  Beitrag  zur  Lösung  dieser  Aufgabe 
darzubieten. 

Offenbar  sind  zwei  Fragen  zu  beantworten :  einmal  handelt  es 
sich  darum,  ob  Palmers  Bemerkung  und  Tadel  gegründet  ist,  und 
zweitens,  wenn  dies  wirklich  der  Fall  ist,  wie  sich  eine  genügende 
Abhülfe  gewähren  läszt. 

I.  Lehrling,  Gehülfe,  Meister.  —  Palmer  bezeichnet  so  die  drei 
Hanptabstufungen  im  Lehramte,  die  naturgemäsze  Gliederung  des  Stan- 
des. Und  sind  das  nicht  Stufen,  die  in  jedem  Berufe  wiederkehren,  er 
stehe  nun  hoch  oder  niedrig,  erfordere  mehr  geistige  oder  mehr  me- 
chanische Thätigkeit?  Es  ist  ja  nothwendig,  dasz  der  Neuling  in  den 
Berufskreis,  dem  er  angehören  will,  eingeführt  werde,  dasz  er  iha 
praktisch  kennen  lerne ;  er  wird  ans  einem  zunächst  mehr  lernendetf 
altmählich  ein  mitausübender  unter  der  Leitung  eines  andern  nnd  er- 
reicht zuletzt  die  wolverdiente  Selbständigkeit  der  Ausübung,  tritt 
wol  auch  an  die  Spitze  eines  engern  Kreises  in  der  Bernfsgenossen- 
schaft,  Dasz  nun  ein  solcher  Stufengang  in  dem  gelehrten  Schulwesen 
(wir  fassen  es  hier  allgemein  im  Gegensatze  znm  Volksschnlwesen) 
ganz  fehle,  dasz  sich  von  ihm  *so  gut  wie  nichts  finde',  auf  den  ersten 
Blick  möchte  das  nicht  zugegeben  werden.  Denn  noch  abgesehen  da- 
von dasz  zwischen  dem  untersten  Lehrer  an  einem  Gymnasium  «nd 
dem  Director  doch  gewis  eine  ansehnliche  Kluft  liegt,  gibt  es  denn 
nicht  Probecandidaten,  d.  h.  geprüfte  Lehramtscandidaten,  die  ein 
praktisches  Probejahr  bestehen?  Sind* diese  nicht  den  Lehrlingen  ver- 
gleichbar, welche  dann  zu  CoUaboratoren,  Adjuncten,  kurz  zu  GehQl- 
fen  aufsteigen? 

Aber  dennoch  lassen  wir  uns  vom  Schein  nicht  blenden!  Der 
von  der  Universität  eben  entlassene  Schulamtscandidat  ist  doch  im 
Grunde  nie  ein  Lehrling  im  Sinne  Palmers.  Wenn  er  auch  nicht  soforl 
zu  voller  Wirksamkeit  gelangt  —  ist  doch  überdies  in  manehen  Ge- 
genden Deutschlands  ein  solcher  Maugel  an  Schulamtscandidalen,  dasi 


Ueber  Lehrerbildung.  40  t 

oft  genug  von  dem  Probejahr  mindestens  zum  Theii  abgesehen  werden 
miMX,  —  so  weit  er  praktisch  wirksam  wird,  ist  er  do.ch  selbständig. 
Unter  den  bestehenden  Verhältnissen  können  die  4 — &  wöchentlichen 
Unterflchtsstunden ,  welche  der  zu  approbierende  Candida!  ertheilt,^ 
Bicht  als  eine  eigentliche  Lehrprobe  angesehen  werden. 

Aber  selbst  wenn  dies  der  Fall  wäre,  was  sicher  nicht  der  Fall 
|8l  (wir  kommen  darauf  zurfick):  wie  steht  denn  der  Candidat  des 
Sehulants  zur  Schule?  Man  kann  zumeist  nur  antworten:  gar 
Bioht.  Was  ist  für  seine  ^formelle  Vorbildung' geschehen?  So  gut 
wie  nichts,  wird  hier  die  Antwort  lauten. 

An  Klagen  über  die  jetzigen  -Leistungen  der  Schulen  fehlt  es 
wahrlich  nicht;  wer  paedagogische  Schriften  liest,  hat  MQhe  nicht  den 
Hat  zu  verlieren,  dasz  sich  überhaupt  noch  was  rechtes  und  gesundes 
erzielen  lasse.  Bald  wird  über  Mangel  an  religiösem  Sinn,  bald  über 
Mangel  an  Zucht,  hier  wiederum  über  Unzulänglichkeit  der  Methode, 
aber  Zersplitterung,  über  StolTlichkeit,  kurz  über  ungenügende  geistige, 
sittliche,  leibliche  Entwicklung  der  Jugend  geklagt.  Und  nicht  am 
wenigsten  leiden  die  höheren  Schulen  unter  diesen  Anklagen.  Aller- 
dings fallt  ein  gutes  Theil  davon  nicht  auf  die  Schule,  die  sich  ja  nicht 
anszerhalb  des  ganzen  Zeitlebens  stellen  kann  und  dessen  Einflüsse, 
wol  oder  übel ,  über  sich  ergehen  lassen  musz.  Wenn  aber  manche 
Ausstellungen  ihren  guten  Grund  haben,  wenn  sich  an  factischen  Ver- 
hältnissen nachweisen  läszt  dasz  wir  bei  aller  höheren  Ausbildung 
unseres  Schulwesens  doch  in  einzelnen  Stücken  gegen  die  früheren 
larflckbleiben :  dann,  meine  ich,  sollte  man  sich  zu  allererst  ernstlich 
darum  bekümmern,  wie  es  denn  mit  der  Lehrerbildung  ausserhe^ 
Und  gewis,  Palmer  hat  recht:  so  viel  für  die  Bildung  der  Volksschul- 
lehrer geschieht,  so  wenig  geschieht  für  den  höheren  Lehrstand.  Ja 
man  kann  mit  gutem  Gewissen  sagen:  dort  geschieht  zu  viel,  so  dasz 
sieh  allgemach  die  Methodik  geradezu  verkünstelt,  hier  aber  zuwe- 
nig, und  selbst  das  ist  noch  ein  Euphemismus.  • 

An  Gelegenheit  zu  wissenschaftlicher  Ausbildung  fehlt  es 
ttiohl:  in  dieser  Beziehung  bieten  die  zahlreichen  Hochschulen  Deutsch- 
lands gewis  alles ,  was  der  Lehrerstand  zu  begehren  hat.  Wenn  sich 
aneh  nicht  jederzeit  jedes  wissenschaftliche  Gebiet  auf  der  einzelnen 
Universität  in  völlig  ausreichender  Weise  vertreten  findet,  so  hat  sich 
theils  der  Besuch  anderer  Hochschulen  gegen  früher  erleichtert,  theils 
iyt  die  wissenschaftliche  Litteratur  «o  reichhaltig  und  zugänglich,  dasz 
durch  das  Selbststudium  solche  Mängel  nahezu  ausgeglichen  werden 
können. 

Aber  berücksichtigt  die  Universität  das  Bedürfnis  des  künftigen 
Lehrers?  Kann  der  Student  der  Philologie,  der  Geschichte,  der  Ma- 
thematik, der  Naturwissenschaft  sich  auf  seinen  Lebensbernf 
vorbereiten,  wenn  er  den^  Schulamte  sich  zu  widmen  entschlossen  ist? 
Das  läszt  sich  doch  nur  verneinen.  Er  hört  Cöllegien,  wird  Mitglied 
wissenschaftlicher  Seminarien,  studiert  für  sich  —  das  alles  hat  fast  nur 
3oiag  auf  seine  wissenschaftliche  Ausbildung,  nicht  auf  die  Sohule. 

27* 


402  Ueber  Lehrerbildung. 

Man  dürfte  aber  nicht  antworten,  dasz  es  die  Hochschale  äbct- 
hanpt  nur  darauf  abgesehen  habe,  die  wissenschaftliche  Vorbil- 
dung zu  vermitteln.  Der  Theolog  hört  ja  nicht  blos  Vorlesungen  über 
Exegese,  Dogmatik,  Kirchengeschichte  usw.,  sondern  es  gibt  auch  eine 
Professur  der  praktischen  Theologie,  und  kann  er  nicht  in  aU& 
pastorale Functionen  praktisch  eingeführt  werden,  er  lernt  sie  doch 
kennen,  er  lernt  doch  eine  Predigt  machen  und  halten  uud  darf  sich^ 
darin  unter  den  Augen  und  unter  der  Leitung  seines  Lehrers  üben. 
Und  wie  steht  erst  bei  dem  Mediciner  seine  akademische  Studienzeit 
in  engster  Verbindung  mit  der  Uebung!  Vielleicht  läszt  sich  da» 
bei  dem  Juristen  weniger  nachweisen,  aber  ist  nicht  längst  darauf  hin- 
gezeigt worden,  wie  gerade  hier  die  Studienzeit  oft  die  Zeit  de» 
nichtstudierens  ist?  wie  der  Hauptgewinn  oft  genug  aus  den  Zeitea 
nach  der  Universität,  aus  der  Priixis  gezogen  wird?  Diese  That- 
sache  läszt  die  Vermutung  zu,  dasz  der  Studiengang  der  Juristen  eina 
aufmerksame  Revision  recht  gut  vertragen  möchte.    ' 

Bei  Theologen,  Medicinern,  Juristen  sehen  wir  übrigens,  dass. 
sie  vor  dem  Eintritt  ins  volle  praktische  Leben  schon  in  Ansehung  der 
Prüfungen  mehrere  Stufen  zu  überschreiten  haben.  Der  Jurist  hat  nach 
bestandener  akademischer  Prüfung  in  eine  vorbereitende  Praxia 
einzutreten,  an  welche  sich  eine  zweite  Prüfung  anschlieszt:  der  Me- 
diciner besieht  erst  nach  dem  philosophicum  sein  eigentliches  rigoro- 
sum,  der  Theolog  wird  erst  Candidat  der  Theologie  und  dann  Candidal 
des  Predigtamtes. 

Und  der  wissenschaftliche  Lehrer?  Der  Philolog,  Historiker^ 
Mathematiker?  Was  Prüfungen  betrifft  ist  er  freilich  besser  daran:  für 
ihn  ist  die  wissenschaftliche  zugleich  die  praktische.  Wer 
wollte  ihm  das  nicht  von  Herzen  gönnen  in  dieser  Zeit  der  Prüfungen? 
Und  doch  ist's  eher  ein  Unglück  für  ihn  wie  für  die  Schule,  und  manch» 
Unzulänglichkeiten  und  bedrohliche  Misstände  sind  daraus  abculeiten«. 
Ja  wenn  man  überhaupt  von  dem  Schulamtsexamen  abgesehen  hätte  1 
Aber  während  man  auf  der  einen  Seite  durch  diese  Prüfungen  der 
Schule  die  freiere  Wahl  von  geeigneten  Persönlichkeiten  nahm,  zu- 
gleich die  ^tudierendep  in  einer  freieren  Bewegung  innerhalb  der 
Studiengebiete  beschränkte,  während  man  einen  bestimmten  Qualifica- 
tionsnachweis  als  conditio  sine  qua  non  setzte,  übersah  man  die  eine 
Seite  der  Sache,  und  zwar  die  wich tigste. 

Denn  wie  hoch  auch  immer  —  zumal  für  höhere  Schulen  —  die 
wissenschaftliche  Tüchtigkeit  des  Lehrers  stehen  möge,  sie  ist  doca 
nur  die  eine  Seite  der  Sache.  Das  wissen  ist  noch  nicht  das  kön- 
nen, die  Wissenschaft  ist  nicht  die  Schule,  ja  selbst  die  Gabe  der 
Auseinandersetzung  und  des  Vortrages  ist  lange  nicht  die  Kunst  des 
Unterrichts.  Und  wie  wenig  steht  nun  gar  jene  scientifische  Quali- 
fication  mit  der  eigentlichen  Grundaufgabe  aller  Schulen,  mit  der  Er-r 
Ziehung,  in  Zusammenhang! 

Nun  ist  ja  an  den  meisten  Universitäten  eine  Professur  der  Pae« 
dagogik:  auch  findet  wol  bei  den  Prüfungen  die  Paedagogik  Berttck-. 


Ueber  Lehrerbildung.  403 

iiBhllgaDg.  Wenn  man  aber  die  Sache  näher  ansieht,  so  werden  (heils 
die  paedagogischen  Collegien  verhältnismfiszig  wenig  besacht,  theils 
kaben  sie  es  mehr  mit  der  Wissenschaft,  mit  dem  System  za  thiin. 
Selten  ist  der  akademische  Lehrer  zugleich  praktischer  Schulmann, 
ieltener  noch  ist  ihm  die  Alöglichkeit  gegeben  seinen  Vorlesungen 
eine  praktische  Bedeutung  zu  geben ,  die  Uebung  an  die  Regel  zu 
kflflpfen,  die  Lehre  am  Beispiel  zu  versinnlichen.  Wenn  einige  wenige 
Aosnahmen  abgerechnet  werden,  so  laszt  sich  wol  behaupten:  die 
Paedagogik  spielt  auf  den  Universitäten  aus  innern  und  äuszern  Grün^ 
4en  eine  nur  secundäre  Rolle. 

Ferner  können  auch  nicht  die  philologischen,  mathematisclien, 
Iriatorischen  Seminare  als  Vorbereitungsanstalten  auf  die  Lehre r- 
Ihitigkeit  des  Seminaristen  angesehen  werden.  Ausnahmen  sind  hier 
Bar  die  an  einigen  Orten  (wie  z.  B.  Berlin  und  Stettin)  bestehenden, 
wo  die  Mitglieder  ausdrücklich  zu  praktischer  UnterrichtsQbung  ver- 
pflichtet sind.  Das  sind  aber  Seminarien  für  Candidaten,  nicht  für 
Siodenten.  In  den  eigentlichen  akademischen  Seminarien  handelt 
ea  sich  um  die  Wissenschaft  und  um  wissenschaftliche  Methode.  Das 
iai  gewis  noihwendig  und  heilsam,  aber  die  wissenschaftliche  und  die 
Sehulmethode,  das  sind  zwei  Dinge,  <Iie  sich  oft  diametral  entgegen- 
gesetzt sind. 

So  scheint  denn  dte  Schule  dasjenige  Gebiet,  auf  welches  die 
Vaiversitat  die  geringste  Rücksicht  nimmt;  wo  aber  Rücksicht  genom- 
Buen  wird  handelt  es  sich  am  wenigsten  um  das,  worauf  es  in  der 
Schule  am  meisten  ankommt.  Und  wie  die  Dinge  jetzt  stehen ,  ist  das 
ganz  natürlich.  Ist^s  nicht  der  seltenste  Fall ,  dasz  die  Universitats- 
professoren*  vorher  längere  Zeit  an  Gymnasien  oder  anderen  Schulan- 
alalten wirkten?  Das  akademische  und  das  Schullehramt  sind  zwei 
YOllig  geschiedene  Berufszweige  geworden.  Sie  vereinigen  sich  wol 
in  dem  allgemeinen  Berufe  des  Lehrers  und  Bildners  der  Jugend,  aber 
diese  Einheit  ist  mehr  ideell  als  wirklich.  Vielleicht  hängt  es  damit 
feaaammen,  dasz  das  paedagogische  Element  auf  den  Universitäten  mehr 
mid  mehr  in  den  Hintergrund  gedrängt  und  dadurch  der  Charakter  der 
Seh  nie,  wa»  doch  auch  die  Hochschule  bleiben  soll,  so  verwischt 
worden,  dasz  man  in  der  That  versucht  sein  könnte  zu  fragen,  ob  das 
mehr  eine  nolhwendige  innere  Fortentwicklung  der  Universitäts- 
idee sei  oder  ein  Abfall  von  dieser.  Aber  lassen  wir  das  jetzt  bei 
Seite  liegen  und  begnügen  uns  zu  behaupten,  dasz  wer  Docent  und 
wer  Lehrer  werden  will,  sich  jetzt  früh  entscheidet  und  in  der  That 
4rüh  entscheiden  musz.  Es  kommt  wol  vor,  dasz  jüngere  Männer 
erat  eine  Zeit  lang  an  einer  Schule  wirken,  ehe  sie  sich  habilitieren. 
Aber  ist^s  nicht  öfter  nur  die  bittere  Nothwendigkeit  zuerst  ein  siche- 
res, wenn  auch  knappes  Auskommen  zu  suchen,  die  sie  zwingt  den 
entscheidenden  Schritt  zu  vertagen?  Ist  es  ein  volles  ergreifen  einea 
innerlich  mit  vollem  Bewuslscin  gewühlten  Berufes?  Bisweilen  treten 
wol  auch  jüngere,  seltener  noch  ältere  akademische  Lehrer  zum 
SchuUebramt  aber:  unter  manchen  Motiven  ist  eins  greifbar  genng, 


404  Ueber  Lehrerbildung. 

wenn  man  an  die  schmalen  Besoldungen  der  extraordinarii  and  an  dis 
Privatdocententhum  denkt.  Der  umgekehrte  Schritt  findel  wol  auch 
statt,  und  wenn  man  manche  Ausnahmen  gern  gelten  Ifiszt,  so  ist  es 
doch  im  ganzen  nur  der  Ausdruck  davon ,  dasz  die  betreffenden  nehr 
der  Wissenschaft  als  der  Schule  angehören  wollten,  oder  auch  wol,  dasi 
sie  das  rechte  Verhältnis  zu  derselben  nicht  zu  finden  vermochten. 

Und  wje  es  jetzt  in  der  Wissenschaft  steht,  w&re  es  eine  sehr 
unberechtigte  Zumutung,  wollte  man  dem  akademischen  Lehrer  eine 
längere  Schulthäligkeit  und  darauf  gegründete  praktische  Schulerfab- 
rung  als  Bedingung  auferlegen.  Wissenschaft  und  Universität  würden 
darunter  leiden.  Ja  selbst  eine  allseitige  stete  Beziehung  der  wissen- 
schaftlichen Unterweisung  auf  Paedagogik  und  Schule  wäre  nicht 
zu  ertragen. 

Aber  das  steht  wol  fest:  es  findet  sich  nichts,  worin  eine  Sorge 
der  Universität  für  das  höhere  Schulwesen  läge.  Selbst  was  vom  pae- 
dagogischen  Lehrstuhl  aus  geschieht,  ist  in  der  Regel  für  den  specielien 
Zweck  unzureichend,  da  das  paedagogische  Syste^m  erst  dannufttst, 
wenn  ein  leidliches  Quantum  an  Erfahrung  gewonnen  ist  oder  Bin» 
destens  die  Gelegenheit  Erfahrung  zu  sammeln  ihm  zur  Seite  sieht. 

Welche  Folgen  das  hat,  F^almer  deutet  es  nur  an:  vielleiehl  iai 
ein  Comroentar  zu  seinen  Worten  nicht  überflüssig. 

Mich  dünkt  es  lasse  sich  schon  behaupten,  dasz  gerade  darin  das 
sogenannte  höhere  Lehrfach  hinter  dem  elementaren  Lehrfache  larftck- 
stebe^  dasz  das  erstere  in  der  Regel  nicht  um  seiner  selbst  und  des 
Ber'ufes  willen,  sondern  wegen  seines  specielleren  Lehrinhaltes  er- 
griffen wird.  Der  Philolog  z.  B.  wird  in  der  Regel  nicht  Philologi 
um  Schulmann  zu  wer(len,  sondern  Schulmann,  weil  er  Philo- 
log geworden  ist;  mit  andern  Disciplinen  ^ird-s  nicht  viel  anders 
sein.  Bei  der  groszen  Mehrzahl  ist  es  nicht  die  Schule,  die  sie  si- 
eben, sondern  die  Wissenschaft:  das  liatflrliche  und  ersprieszliehe 
Verhältnis  ist  auf  den  Kopf  gestellt.  Wie  viele  Lehrer  an  höherei 
Schulanstalten  würden  wol  eine  Stellung  von  sich  weisen,  die  ihnen 
gestattete  ihren  wissenschaftlichen  Studien  und  Neigungen,  ungehiodert 
durch  ein  Schulamt,  leben  zu  können!  Und  nähme  man  auch  nur  die 
Minderzahl  an:  für  die  Schule  wäre  auch  eine  ansehnliche  Hinoriiät 
noch  viel  zu  viel. 

Es  erscheint  wol  als  völlig  sachgemäsz,  dasz  dem  die  Universitit 
besuchenden  Jüngling  zuerst  sein  wissenschaftliches  Ziel  vor  Aogei 
trete,  dasz  er  diesem  mit  Kraft  und  Liebe  zustrebe;  ja  mehr  BOch,,es 
wäre  ein  Unwesen ,  wenn  der  angehende  Jurist  schon  an  die  kanflig% 
advocatorische  Praxis  oder  eine  bestimmte  Branche  des  Staatsdienstes 
dächte,  wenn  der  Philolog  über  seine  ersten  wissenschaftlichen  Spraoli- 
und  Alterthumsstudien  nach  seiner  künftigen  Quinta  und  Quarta  schielte. 
Es  gilt  vor  allem  das  Rüstzeug  zu  erwerben:  das  mnsz  die  erste  Alf- 
gäbe  sein. 

Aber  demnächst  wäre  es  doch  nöthig,  den  studierenden  allmählich 
auf  das  hinzuweisen  und  an  das  heranzuführen,  was  er  im  Leben 


lieber  Lehrerbildang.  405 

sein  soll.  Ist  die  Erwerbung  des  Wissens  das  erste,  so  ist  doch 
f ewis  aach  die  Frage  nach  dem  können  etwas  werth.  Diese  aber  wird 
nar  dann  beantwortet,  wenn  man  die  Stellang  der  Wissenschaft  sar 
Schale  und  in  der  Schule,  die  Schule  selbst,  ihr  Wesen,  ihre  Aufgabe 
lam  Bewustsein  bringt.  Es  ist  somit  zunächst  Gelegenheit  zn  geben, 
dasz  sich  ein  paedagogisches  Interesse  da  entwickle  wo  es  noch 
nicht  vorhanden  ist,  dasz  es  genährt  und  gehoben  weAe  wo  es  schon 
da  ist.  Durch  die  a  u  s  s  c  h  1  i  e  s  z  1  i  c  h  e  Hingabe  an  die  Wissenschaft, 
bei  welcher  der  küuflige  Lebensberuf  weit  weniger  Lebenszweck  als 
Mittel.zur  äuszern  Existenz  scheint,  kann  es  nicht  bewirkt  werden.  Ist 
daher  nicht  anzunehmen,  dasz  Begeisterung  für  Schule  und  Lehramt 
selbst  von  denen  mit  auf  die  Universität  gebracht  wurde,  welche  recht 
wol  voraus  wüsten  dasz  sie  später  Lehrer  werden  würden ,  so  musz 
Gelegenheit  geboten  werden,  dasz  solche  Liebe  und  Begeisterung  noch 
erwachse  und  gedeihe. 

So  bleibt  also  den  studierenden  in  der  Regel  die  Schule  eine  terra 
incognita.  Die  Paedagogik  als  Wissenschaft  wird  sie  schwerlich  ge« 
winnen,  weil  sie  als  System  nur  den  anzieht,  der  im  Grunde  schon 
angezogen  ist.  Auch  werden  die  Studenten  gewöhnlich  einen  ge- 
wissen Hochmut  mitbringen,  eine  souveräne  Verachtung  der  Schul- 
wissenschaft. Sie  kommen  ja  eben  von  der  Schule,  und  ein  ab- 
gehender Primaner  wird  gewis,  so  wenig  er  vielleicht  sonst  versteht, 
das  Lehrercollegium  seiner  Schule  zu  kritisieren  verstehen.  Da  hat 
er  ja  seine  Schulkunde  und  sein  paedagogisches  Programm :  so  lehren 
wie  es  die  Lehrer  gemacht  haben,  die  ihm  zusagten,  und  die  Art  und 
Weise  der  andern  vermeiden.  Das  liesze  sich  noch  hören,  wenn  das 
Urteil  des  18jährigen  Menschen  zufällig  den  Nagel  auf  den  Kopf  trifft: 
aber  nicht  selten  gestalten  sich  solche  Jugendurteile  im  Laufe  der  Zeit 
gewaltig  um.    Und  wie  dann? 

Allein  was  die  Hauptsache  ist  zu  einer  so  tief  greifenden,  so  ins 
Leben  der  Nation  einschneidenden  Berufsthätigkeit,  wie  die  des  Leh- 
rers ist,  musz  ein  tief  innerliches  Verhältnis  gewonnen  werden,  und 
dessen  Erwerbung  ist  nicht  so  ganz  und  gar  preiszugeben.  Ein  soU 
dies  kann  der  Student  nach  Ablauf  seiner  Studienzeit  nicht  wol  ge- 
wonnen haben.  Er  mag  in  seiner  Wissenschaft  recht  tüchtig  gewor- 
den, mag  kenntnisreich  und  vielseitig  gebildet  sein,  mag  die  besten 
ftesnltate  für  die  Zukunft  versprechen :  wie  er  sich  zu  seinem  Berufe 
Verhalten  werde,  dafür  liegen  in  dem  Examen,  er  mag  es  noch  so 
glänzend  bestehen,  keine  nur  einigermaszen  genügende  Garantien  vor. 
Zwar  wird  ein^  ^praktische  Lehrprobe'  hie  und  da  abgenommen ,  aber 
was  will  diese  besagen,  da  damit  kaum  der  Anlage,  so  zu  sagen,  auf 
den  Zahn  gefühlt  werden  kann.  Es  genügt  der  eine  Grund  dagegen: 
dasz  man  nicht  Ansprüche  an  praktisches  Geschick  machen  kann,  wenn 
vorher  noch  keine  Gelegenheit  geboten  war  der  Praxis  nahe  zu  treten. 
Andere  wol  nicht  ungegründete  Bedenken  können  hier  auf  sich  beruhen. 

Es  ist  also  auch  dem  Schulamtscandidaten  die  Schule  eine 
terra  incognita.    Wie  anders  bei  den  Candidaten  der  Theologie !    Der 


406  lieber  Lehrerbildung. 

r 

hat  gepredigt ;  dem  ist  anch  gelehrt  worden  was  es  aaf  sich  habe  init- 
Kirche  und  Kirchenamt,  mit  Lehrer  und  Seelsorger,  und  doch  ist  er 
noch  kein  Candidat  des  Predigtamtes.  Jenen  dagegen  ward  mit 
dem  Nachweis  des  wissenschaftlichen  Besitzes  die  Anwartschaft 
auf  das  Lehramt  der  Schule.  Aber  was  diese  sei  und  sein  solle,  was 
die  Wirksamkeit  des  Lehrers  zu  bedeuten  habe,  insbesondere  wie  alle 
Schale  und  wozu  sie  zu  erziehen  habe  —  das  sind  Dinge ,  auf  die  er 
nun  erst  sein  Augenmerk  richtet.  Vielleicht  auch  nicht.  Denn 
es  ist  ja  eine  bekannte  Thatsache,  dasz  gerade  im  höheren  Lehrstanda 
eine  doch  nur  zum  kleinen  Theil  motivierte  Abneigung  gegen  alles 
herscht  was  Paedagogik  ist  und  heiszt.  Vielleicht  habe  ich  ein  Stück 
Commentar  zu  dieser  Thalsache  gegeben. 

Nun  mag  das  in  manchen  Ländern  eingerichtete  Probejahr  sein 
bestehen  der  Einsicht  verdanken,  dasz  doch  irgend  etwas  geschehen 
müsse,  um  die  praktische  Fähigkeit  des  Candidaten  zu  coastatieren. 
Aber  ist^s  denn  ausreichend?  Wird  nicht  zu  viel  vorausgesetzt?  Wird 
nicht  mindestens  angenommen ,  dasz  der  angehende  Lehrer  ein  allge« 
meines  Verständnis  seiner  Aufgabe,  ein  inneres  und  äuszeres  Verhilt- 
nis  zu  seinem  Berufe  gefunden  habe?  Ist  das  nicht  häufig  eine  falsche 
Voraussetzung?  Und  gesetzt,  sie  sei  berechtigt,  reichen  dann  die 
4 — 6  Stunden  aus  ein  sicheres  Urteil  zu  gewinnen?  Ich  musz  anch 
das  bezweifeln,  wenn  nicht  von  dem  Schuldirigenten  und  andern  Glie- 
dern des  Collegiums  ein  nicht  unbeträchtlicher  Zeilaufwand  beansprucht 
werden  soll,  was  doch  ohne  weiteres  kaum  thunlich  ist. 

Aber  freilich,  obwol  in  allen  Buchern  zu  lesen  steht,  dasE  daa 
unterrichten  gar  schwer  sei ,  so  schwer  dasz  ein  gewissenhafter  Leh- 
rer sich  seilen  eine  Stunde  so  recht  zu  Danke  gebe  —  vom  erziehen 
noch  gar  nicht  zu  reden  — ,  in  praxi  hält  man  es  für  sehr  leiAt. 
Macht  doch  der  Lehrersland  alltäglich  aus  den  heterogensten  Lebens- 
gebieten unfreiwillig^  Acquisitionen!  Der  Stundengeber  sind  ja  wie 
Sand  am  Meere:  man  sollte  sie  nur  nicht  Lehrer  nennen! 

Wie  stehen  sich  die  höheren  Schulen  bei  diesen  Verhältnissen? 
Ich  glaube  nicht  sonderlich.  Die  fortwährenden  Klagen  über  nicht  zn- 
reichende  Leistungen-,  der  Vorwurf  dasz  unsere  Schulen  jetzt  so  selten 
ein  rechtes  Vechältnis  zur  Erziehungs aufgäbe  gewinnen,  zum  Theil 
sind  sie  aus  jenen  Verhältnissen  abzuleiten.  Denn  'wie  viele  deutsche 
Gymnasial-  und  HealschuUehrer  sind  wol  so  glQcklicIi  gewesen,  in  ihre 
erste  amtliche  Thätigkeil  mehr  mitzubringen ,  als  ein  tüchtiges  wissen 
und  guten  Willen?  Haben  sie  nicht  in  Unterrichtsmethode,  in  Uebnng 
der  Disciplin,  in  ihrer  erziehenden  Wirksamkeit  immer  und  immer 
wieder  versuchen  müssen?  Gibt  es  nicht  Unterrichtsstunden,  die 
noch  heute  fast  in  aller  Herrn  Ländern  wie  eine  Domäne  für  Experi- 
mentierer angesehen  werden,  wie  etwa  der  Unterricht  im  Deutschen? 
Und  das  nicht  blos,  weil  es  damit  ein  eigen  Ding  ist  und  sehr  ver- 
schiedene Ansichten  cursieren ,  sondern  auch,  weil  die  meisten  Lehrer 
nur  dadurch  an  dieses  Capitel  kommen,  dasz  sie  selbst  solchen  Unter- 
richt geben  sollen.    Unwissenheit  in  methodischen  Fragen  ist  «twas 


lieber  Lehrerbildoog.  407 

gewölinlicbes ,  eine  nur  instioctive  oder  auf  einigen  traditionell  Ober-* 
kommenen  Maximen  ruhende  Stellung  zur  Disciplin  nicht  minder,  von 
der  erziehenden  Thütigkcit  des  Lehrers  in  höchstem  und  letztem  Sinne 
BttD  vollends  zu  geschweigen. 

Durch  die  von  dem  üblichen  Bildungsgange  bedingte  Stellnnga- 
losigkeit  zu  dem  Lehrerbern  fe  arbeiten  sich  nun  wol  fortwahrend 
tflchtige  strebsame  Naturen  glücklich  hindurch.  Aber  alle  diese  wer- 
den willig  Zeugnis  geben ,  dasz  sie  sich  eine  Stellung  lur  Sache  erst 
da  erringen  musten,  wo  sie  dieselbe  im  Grunde  schon  einnehmen  soll- 
ten, und  sie  werden  es  nicht  verreden,  dasz  ihnen  manche  schwere 
Irrung  —  und  an  welch  kostbaren!  Material  werden  die  Irthümer  be- 
gangen !  — ^  füglich  hätte  erspart  sein  sollen.  Andere  arbeiten  sich 
wol  in  eine  Lehrpraxis  ein  und  mit  gutem  Erfolge,  aber  das  päda- 
gogische Interesse  bleibt  ihnen  ein  ferner  liegendes.  So  wahr  das 
ist,  80  gewis  ists  nicht  ihre  Schuld  allein,  wenn  das  Samenkorn  nicht 
aufgeht,  das  nicht  gesäet  wurde.  Noch  andern  bleibt  selbst  die  Er- 
werbung eines  partiellen  Verhältnisses  versagt.  Mögen  deren  nur  sehr 
wenige  sein,  so  bleibt  es  doch  traurig,  wenn  durch  bestehende  Ver- 
hiltnisse  ein  so  unheilbarer  Fehlgriff,  wie  eine  falsche  Berufswahl  ist, 
erleichtert  wird. 

Nur  noch  ^in  Wort  sei  gestattet!  Auch  auf  dem  Gebiete  der 
Schule  ist  es  rege  und  lebendig  geworden  von  Mahnungen :  das  deut- 
iche  Gewissen,  das  einen  langen  Schlummer  nimmer  vertragen  konnte, 
apricht  auch  hier  laut  und  vernehmlich.  Allerlei  Bekenntnisse  sind 
gethan  worden:  jeder  ernstdonkende  weisz,  wie  bei  vielem  groszen 
und  Forlschritt  im  Leben  der  Menschheit  verkündenden  doch  auch  an- 
derseits an  den  Grundfesten  des  deutschen  Wesens  in  Kirche,  Staat 
und  Familie  gerüttelt  worden  ist  und  noch  gerüttelt  wird,  wie  gar 
kostbare  Güter  ernstlich  gefährdet  sind>  Auch  die  Schule  hat  Beichte 
gethan  und  thut  sie  noch:  sie  will  ernstlich  Hand  anlegen,  dasz  ihrer- 
aeits  das  rechte  zum  guten  Ende  geschehe.  Aber  sie  bedarf  daza 
eines  kräftigen  Nachwuchses,  sie  braucht  für  ihre  Erhaltung  und  Fort- 
entwicklung Lehrer,  die  mitten  in  ihr  stehen,  denen  Schule  und  Er- 
Kiebnng  ihr  höchstes  und  einziges  Berufsziel  ist,  die  nicht  blos  Ge- 
lehrte sondern  auch  Paedagogen,  nicht  fertige,  im  System  befangene 
oder  in  der  Praxis  festgefahrene,  sondern  strebende  Männer  sind,  nicht 
Bfichermenschen,  sondern  Männer  des  Lebens  und  der  That.  Und  solche 
kann  sie  sich  nicht  allein  zuziehen,  wie  sehr  sie  immer  die  Praxis  als 
die  beste  Schule  aller  Lehrer  bezeichnen  möge;  sie  darf  bitten,  fk  for- 
dern, dasz  ihrem  Bedürfnis  auch  anderwärts  Rechnung  getragen  werde. 
Der  deutsche  Lehrerstand  selbst,  gewis  ein  hochachtungswerther  Stand 
im  deutschen  Volke,  hat  ein  Anrecht  auf  solche  Fürsorge. 

II.  Wenn  jemand  Mängel  aufzudecken  oder  Bedürfnisse  darzulegen 
anternimmt,  so  verlangt  man  von  ihm  gemeiniglich  auch  Vorschläge, 
wie  jene  beseitigt,  diese  befriedigt  werden  können.  Dürfte  ich  mich 
nun  in  diesem  Falle  wol  von  solcher  Verpflichtung  lossagen,  da  gewis 
die  obersten  Scbulbehörden,  wenn  sie  einmal  Mangel  und  Bedürfnis 


,408  Ueber  Lehrerbilduiig. 

erkannt,  die  besten  Wege  der  Abhälfe  finden  werden:  so  will  iek  doch 
einige  Andeutungen  hinzufügen ,  die  eben  nur  aU  Anregungen  gelten 
sollen. 

Zunächst  fragt  es  sich,  was  wol  von  der  Universität  sn  fordern 
sei,  wie  sie  ihre  unzweifelhafte  Pflicht,  auf  die  Berufsbildung  des 
höheren  Lehrstandes  mit  Bedacht  zu  nehmen,  am  zweckmäszigsten  er- 
füllen könne.  Zu  diesem  £nde  müste  wol  vor  allem  die  Paede gogik 
in  möglichst  tüchtiger  Weise  vertreten  sein ,  nicht  blos  durch  theolo- 
gische und  philosophische  Paedagogen  oder  paedagogische  Philosophen, 
sondern  auch  —  denn  das  System  darf  der  Universität  nicht  fremd 
bleiben  —  durch  Mfinner  von  längerer  praktischer  Erfahrung,  und 
zwar  gerade  in  den  Lehrgebieten,  für  welche  auf  der  Hochschule  die 
Vorbildung  gesucht  zu  werden  pflegt.  Der  Lectiouskatalog  dürfte 
einen  reicheren  Inhalt  in  Bezug  auf  paedagogische  Collegien  bieten, 
als  dies  bisher  der  Fall  war:  Vorlesungen  wie  Schulkunde,  Geschichte 
der  Paedagogik,  Gymnasialpaedagogik  usw.  sollten  nicht  fehlen.  Dasi 
in  dieser  Beziehung  bereits  auf  einzelnen  Hochschulen  das  nöthigste 
geschieht  ist  gern  zuzugestehen,  aber  es  ist  Ausnahme,  nicht  RegeL 
Dasz  man  anderseits  die  Verpflichtung  fühlt,  für  die  Bildung  der  Leh- 
rer mehr  zu  thun  als  bisher,  beweist,  um  nur  ^in  Beispiel  anzuführen, 
die  Berufung  Sauppes  von  der  Direction  des  Gymnasiums  in  Weimar 
auf  den  Lehrstuhl  der  Philologie  in  Göttingen. 

Ein  groszes  Gewicht  aber  würde  ich  auf  die  Gründung  und  zweck- 
mäszige  Einrichtung  paedagogischer  Seminarien  legen.  Diese  könnten 
vielleicht  in  mehrere  Sectionen  zerfallen,  von  denen  jede  diejenigen 
Lehrgebiete  umfaszte,  welche  in  der  Lehrpraxis  zumeist  von  Einern 
Lehrer  vertreten  zu  werden  pflegen.  Hier  müste  aber  durchaus  mit 
der  methodischen  und  sonstigen  theoretischen  Unterweisung  die  Ge- 
legenheit zu  eigenerUebung  gegeben  werden.  Wie  das  am  ge- 
eignetsten geschehen  werde,  ist  freilich  eine  nicht  so  leicht  zu  beant- 
wortende Frage.  Aber  man  halte  nur  daran  fest,  dasz  die  Universität 
nur  für  die  Ausübung. des  Berufes  befähigen  will,  dasz  sie  ' 
niemals  schon  in  denselben  hineinstellt:  die  Seminarpraxis 
wird  noch  eine  beschränkte  bleiben  müssen  und  kaum  so  complicier- 
ter  Veranstaltungen  bedürfen,  wie  etwa  eine  vollständige  Seminar- 
schule wäre. 

Unter  dieser  Voraussetzung  gewinnt  das  Universitätsleben  für 
den  sich  zum  Schulamt  vorbereitenden  einen  ganz  anderen  Inhalt,  eine 
höhert  Bedeutung.  Der  künftige  Lehrer  und  Erzieher  findet  frühzeitig 
Anlasz  und  Gelegenheit,  sich  mit  seiner  Lebensaufgabe  vertraut  zn 
machen,  und  seine  Studien,  denen  nichts  abgebrochen  werden  soll, 
in  die  richtige  Beziehung  dazu  zu  setzen.  Damit  gewinnt  auch  eine 
paedagogische  und  praktische  Prüfung  ein  anderes  Ansehen  und  We- 
sen: sie  hat  auf  factischen  Voraussetzungen  zu  fuszen.  Es  handelt 
sich  nun  nicht  blos  um  die  Prüfung  des  jungen  Gelehrten,  sondern  anch 
des  jungen  Paedagogen. 

Ob  aber  damit  alles  geschehen  ist?  Vielleicht  könnte  man  dabei 


Ueber  Lehrerbildang.  409 

stehen  bleiben.  Vielleicht  liesze  sich  auch  noch  ein  Schritt  thnn, 
wenn  man  einzelne  Gymnasien  nnd  Realschulen  mit  praktischen  Leh- 
rerseminarien  verbände  and  das  Probejahr  in  1 — 2  Seminarjahre  ver- 
wandelte. Meines'wissens  befinden  sich  bereits  in  einigen  preuszischen 
Städten  solche  Anstalten,  die  bei  weiterer  Realisierung  des  zu  Grunde 
liegenden  Principes  gewis  vorzfigliches  leisten  würden  und  die  sieh 
sicher  in  allen  Provinzen  herstellen  lieszen.  Auch  Sachsen  w&rde 
dnrch  solche  Masznahmen  gewinnen:  jungen  Lehrern  aber  sicher  (wenn 
anders  die  Seminarien  mit  Stipendien  dotiert  würden)  damit  ein  über- 
aus wichtiger  Dienst  geleistet  werden. 

Doch  genug.  Wird  das  Bedürfnis  erst  recht  lebhaft  erkannt,  so  wird 
es  an  Abhülfe  und  Fürsorge  nicht  fehlen,  die  ja  in  Deutschland,  Gott 
sei  Dank !  dem  Schulwesen  nicht  entgeht.  Freilich  scheint  es  wunder- 
bar, dasz  ein  solches  Misverhaltnis  nicht  längst  GegensTand  ernstlicher 
Erwägung  geworden  ist :  aber  auch  das  ist  wol  erklärlich.  Qenn  erst 
in  neuester  Zeit  ist  man  auch  an  das  höhere  Schulwesen  wieder  in 
einer  auf  den  Grund  dringenden  Weise  herangetreten  und  hat  Gesichts- 
punkte theils  gefunden,  theils  erneuert,  die  in  den  Strömungen  der 
letzten  Vergangenheit  zurückgedrängt  waren.  Die  Erkenntnis  des 
hier  erörterten  Bedürfnisses  ist  lediglich  eine  Consequenz  dieser  Be- 
strebungen. Von  seiner  Befriedigung  darf  sich  das  höhere  Schulwe- 
sen die  wesentlichsten  Vorlheile  versprechen;  nur  darf  nicht  ein  Um- 
schlag ins  Extrem  stattfinden.  Denn  würde  der  wissenschaftlichen 
Tüchtigkeit  der  Lehrer  zu  Gunsten  ihrer  paedagogischen  Ausbildung 
Abbruch  gethan ,  so  könnte  das  höhere  Schulwesen  leicht  in  die  Lage 
der  Elementarschule  geratheu,  in  der  die  Theoriensucht  die  seltsam- 
sten Dinge  zu  Tage  fördert.  Das  soll  aber  nicht  sein;  hier  schlieszt 
ja  das  eine  das  andere  nicht  aus.  Ein  tüchtiger  Schulmann  kann  da- 
bei doch  das  reichste  Masz  wissenschaftlicher  Bildung  besitzen;  ja 
mehr  noch ,  seine  Tüchtigkeit  beruht  mit  auf  diesem  Besitze.  Auf  der 
andern  Seite  aber  macht  jene  Wissenschaftlichkeit  noch  nicht  ^en 
Lehrer,  selbst  die  Lehrgabe  noch  nicht  den  Schulmann.  Eine  Zeit 
wie  die  unsrige  bedarf  solcher :  hat  sie  deren  noch  genug,  so  darf  sie 
sich  nicht  der  Sorge  für  die  Zukunft  überhoben  erachten.  Der  Staat 
aber  hat  die  Pflicht  sich,  so  weit  es  thunlich,  die  Garantie  zu  ver- 
schaffen, dasz  das  Schulwesen  sich  in  gedeihlicher  Weise  fortent- 
wickle. 

Frankfurt  a.  Main.  Fr,  Paldatnus, 


Berichte  über  gelehrte  Anstalten,  Verordnungen,  statistische 
Notizen,  Anzeigen  von  Programmen. 

Altenburq.]    Nachdem  vom  dasigen  Friedrichs-Gjmnasiam  der  Prof. 
Dr  Frz  Herrn.  Reinh.  Frank  einem  Rufe  an  die  UniversitUt  zu  Er- 


410  Berichte  über  gelehrte  Anstalten,  Verordnungen,  Statist.  Notisei« 

langen  gefolgt,  der  Prof.  Dr  Joh.  Heinr.   Apetz  aber   aib  8.  NoT^ 

1857  gestorben  war,  warden  an  die  Stelle  des  ersteren  Dr  Kluge,  vor- 
her Katechet  und  Walsenhauslehrer  in  Leipzig  und  eben  zum  Lehrer 
am  SchuUehrerseminar  in  Altenburg  .designiert,  an  die  Stelle  des  letzte- 
ren aber  der  Oberlehrer  am  Paedagogfium  zu  Halle,  JDr  Herrn.  Garcke, 
berufen.  Das  Lehrercollegium  besteht  demnach  gegenwärtig  auszer  dem 
Dir.  Schulrath  Dr  H.  E.  Foss  aus  den  Proff.  Zetzsche,  Lorenta, 
Braun,  Köhler,  Dr  Garcke,  den  ord.  Lehrern  Dr  Sehrwald  und 
Dr  Kluge,  dem  Zeichenlehrer  Prof.  Dietrich,  Gesanglehrer  Cantor 
Gerbei:  und  Schreiblehrer  Gerth.  Die  Schülerzahl  betrug  am  Schlüsse 
des  Schuljahres  1856—57  136,  Ostern  1858  122  (Sei.  27,  I  28,  11*  31, 
IIb  19^  XX c  X7),  Abiturienten  pätern  1858  14  nebst  3  auswärtigen.  'Den 
Schulnachrichten  voraus  geht  eine  Abhandlung  desDr  Christi.  Fried  r. 
Sehrwald:  de  iribus  Horaiii  carminibus  (2(^  S.  4).  Dasz  bei  der  Er- 
klärung der  lyrischen  Gedichte  des  Horatius  alles  darauf  ankomme  Zeit, 
Ort  und  Veranlassung  zu  jedem  einzelnen  zu  kennen,  darüber  ist  jeder- 
mann eben  so  sehr  einverstanden,  wie  darüber  dasz  wir  oft  jedes  festen 
Anhaltpiinktes  ermangeln.  Wie  indes  durch  vertiefen  in  den  Inhalt  und 
Erwägung  der  Ueb erlief erungen  man  doch  bei  manchem  zu  einem  wahr- 
scheinlichen Resultate  gelaugten  könne,  davon  hat  der  Hr  Verf.  der  vor- 
liegenden Abhandlung  eine  Probe  gegeben.  Werden  auch  viele  Punkte- 
nicht  für  alle  die  überzeugende  Kraft  haben,  wie  für  den  Urn  Verf. 
selbst,  wird  man  auch  manche  dabei  nothwendig  auftauchende  allge- 
meine Frage,  wie  z.  B.  die  über  die  Abfassungszeit  der  Oden  überhaupt, 
zu  einem  festeren  Abschlusz  gebracht  zu  sehen  wünschen,  ehe  man  sich 
alles  einzelne  aufgestellte  vollständig  aneignen  kann,  ja  wird  man  auch 
die  Zurückweisung  mancher  Ansichteh  anderer  Kritiker,  z.  B.  Lach- 
roanns  S.  8,  etwas  zu  wenig  eingehend  finden,  so  wird  man  doch  der 
Methode  des  Hm  Verf.,  der  Vertrautheit  mit  dem  Dichter  und  der 
fcharfsinnigen  Würdigung  der  Poesie  überhaupt  nicht  Beifall  versagen 
und  die  Abhandlung  als  einen  beachtenswerthen  Beitrag  zur  Erklärung^ 
des  Horatius  anerkennen.  Die  behandelten  Gedichte  sind:  Od.  I  26, 
das  als  ein  Gratulationsgedicht  an  den  jüngeren  Aelius  Lamia  bei  An- 
nahme der  toga  virilis  dargestellt  wird;  I  34,  in  welchem  der  Hr  Verf. 
eine  Allegorie  und  den  Ausdruck  der  Reue  über  die  Abweichung  von 
den  durch  seinen  Vater  ihm  eingepflanzten  politischen  und  religiösen 
Grundsätzen  findet  (die  Conjectur  Tartari  für  Taenari  Vs  10  hat  doch 
msSche  Bedenken);   endlich  I  3,  welches  in  zwei  selbständige  Gedichte 

1 — 8  und  9 — 40  zerlegt  wird;  als  Veranlassung  su  dem  letzteren  wird 
der  Ueberdrusz  am  politisch  thätigen  Leben  betrachtet,  und  um  die 
Strophe  17 — 20  gegen  Peerlkamp  und  Meineke  zu  retten,  die  Vermutung 
geäuszert,  dasz  Horatius  bei  einer  Fahrt  auf  dem  Meere  (der  Rück- 
kehr von  Philippi)  in  dortiger  Gegend  in  groszer  Gefahr  geschwebt  habe. 
Mögen  diese  Zeilen  dazu  beitragen  die  Aufmerksamkeit  tieferer  Kenner 
des  Dichters  auf  die  Abhandlung  zu  lenken.  R,  D, 

Arnstadt.]    Nachdem  der  Oberlehrer  Ho  seh  ke  vom  dasigen  Gym-' 
nasium ,  um  die  Leitung  einer  neuen  Töchter-  und  Realschule  zu  über-  « 
nehmen,  geschieden  und  der  Candidat  des  höheren  Schulamts  A.  J.  Falke 
an  seine  Stelle  ernannt  worden  war,  bestand  das  Lehrerkollegium  Ostern 

1858  aus  dem  Dir.  Dr  Pabst,  den  Professoren  Dr  Braunhard  und 
Uhlworm,  dem  Oberlehrer  Hallenslcben,  den  Collaboratoren  Wal- 
ther, Einert  und  Falcke,  dem  Prof.  Döbling,  Cantor  Stade, 
Zeichen-  und  Schreiblehrer  Wiessner.  Die  Schülerzabl  betrug  am 
Schlüsse  des  Schuljahres  04  (I  7,  II  5,  III  12,  IV  15,  V  25).  Abiturien- 
ten 3.  —  Den  Schulnachrichteu  ist  vorausgestellt  ein  Vortrag  des  Colla- 
borator  Einert:  über  die  hohe  Bedeutung,  welche  die  Groszlhaten  Fried- 
richs II  im  siebenjährigen  KHege,  besonders  sein  Sieg  bei  Hoszbachy  ftlr  die 


Beridita  ttber  gelehrte  Anstalten,  Verordnuilgen,  Statist.  Notizea«  411 

Eniwiekltmg  der  deutschen  LUteratur  gehabt  haben  (25  S.  4).  Die  Dar* 
ttellang  ist  klar  und  fleiszig  auf  die  Zeugnisse  der  Dichter  und  8ohrift-> 
steller  gestützt  und   erfüllt  ihren  Zweck  in  ansprechender  Weise. 

R.D. 
Bkaünsbebo.]  Im  September  185§  wurde  Professor  Braun,  erster 
Oberlehrer  am  Gymnasium  zu  Culm,  zum  Director  ernannt,  der  bis- 
herige dritte  ordentliche  Lehrer  Häpele  aber  als  dritter  Oberlehrer  an 
das  Gymnasium  zu  Culm  versetzt.  In  die  durch  die  Versetzung  des 
Oberlehrers  Dr  Weierstrasz  (Prof.  an  dem  königl.  Gewerbe -Institut 
in  Berlin)  vacant  gewordene  erste  ordentliche  Lehrerstelle  rückte  der 
2e  ord.  Lehrer  Dr  Funge;  seine  Stelle  wurde  Lindenblatt,  bisher 
ordentlichem  Lehrer  am  Gymnasium  zu  Conitz,  verliehen.  Der  Schul> 
amtscandidat  G  a  n  d  wurde  zur  aushülflieben  Dienstleistung  an  das  Gym- 
nasium zu  Conitz  geschickt;  dagegen  trat  der  Schulamtscandidat  Brand, 
früher  an  dem  Progymnasium  zu  Prüm  beschäftigt,  zur  Aushülfe  ein. 
Dem  Oberlehrer  Dr  O  tt  o  ist  das  Prädieat  ^Professor'  beigelegt  worden. 
Seit  Ostern  1857  ertheilte  der  Schulamtscandidat  Rochel,  welcher 
früher  an  dem  Progymnasium  zu  Röszel  beschäftigt  war,  Unter- 
richt am  Gymnasium  und  übernahm  später  sämtliche  Stunden  des  er- 
krankten Gymnasiallehrers  Brandenburg.  Das  Lehrercollegium  be- 
stand aus  dem  Director  Prof.  Braun,  den  Oberlehrern  Dr  Saage, 
Prof.  Dr  Otto,  Kolberg,  Wien,  Religionslehrer,  Dr  Bender,  den 
ordentlichen  Lehrern  Dr  Funge,  Lindenblaitt,  Brandenburg, 
dem  Wissenschaf tl.  Hülfslehrer  Dr  Bludau,  den  Schulamtscandidaten 
Schütze,  Brand,  Rochel,  dem  technischen  Hülfslehrer  Roh  de,  dem 
Pfarrer  Dr  Herrmann,  evangel.  Religionslehrer.  Schülerzahl  345  (I  45, 
II  61,  III  86,  IV  68,  V  37,  VI  48).  Abiturienten  zu  Ostern  3.  Zu  der 
im  Juli  abzuhaltenden  Maturitätsprüfung  hatten  sich  24  Abiturienten 
gemeldet.  Nach  Beendigung  der  schriftlichen  Prüfung  stellte  sich  heraus, 
dasz  ein  Unter- Secundaner  vermittelst  gewaltsamer  Erbrechung  einer 
verschlossenen  Schublade  und  Oeffnung  eines  versiegelten  Couverts  sich 
die  diesjährigen  Prüfungsaufgaben  verschafft  und  den  Abiturienten  ohne 
Veranlassung  von  ihrer  Seite  zugetragen  hatte ,  und  dasz  dieselben  von 
den  Abiturienten  mit  Ausnahme  eines  einzigen  benutzt  worden  waren. 
Es  musten  daher- 23  für  den  damaligen  Termin  von  der  Prüfung  zurück- 
gewiesen werden.  —  Den  Schulnachrichten  ist  vorausgeschickt:  tn'ssen^ 
Mchafiliche  Abhandlung  über  Ursprung  und  Heimai  der  Franken,  Vom  Ober- 
lehrer Dr  Bender  (28  S.  4).  Der  Verf.  hat  zunächst  die  Ergebnisse 
der  vielfachen  Forschungen  über  die  Anfänge  der  fränkischen  Geschichte, 
wie  sie  gegenwärtig  bei  den  ersten  Geschichtsschreibern  unserer  Zeit  als 
durchaus  feststehend  bezeichnet  werden  können,  in  folgenden  Ausdrücken 
kurz  zusammengefaszt:  ^Dcr  Name  der  Franken  bezeichnet  nicht  ein 
neues,  von  anderswoher  in  die  Gegenden,  wo  wir  sie  zuerst  finden, 
herangezogenes  Volk,  sondern  eine  aus  bekannten  altgermanischen  Stäm- 
men, welche  von  jeher  dort  heimisch  gewesen,  erwachsene  Völkerver- 
bindnng.  Es  schieden  sich  aber  die  Franken  in  Salier  und  Ripuarier. 
Allmählich  wurden  alle  Frankenstämme  durch  das  Königsgeschlecht  der 
Merowinger  zu  einer  einigen  Monarchie  vereinigt.  Die  Merowinger  sind 
aber  ein  salisches  Herschergeschlecht,  die  Salier  aber  selbst  nichts  an- 
deres als  mit  verändertem  Namen  die  (von  Augnstus  einst  nach  Gallien 
versetzten)  Sigambrer.'  Diese  für  die  Frage  über  Ursprung  und  Heimat 
der  Franken  entscheidenden  Sätze  werden  in  vorliegender  Abhandlimg 
einer  prüfenden  Beurteilung  unterworfen.  Um  eine  sichere  Grundlage 
für  die  ganze  Untersuchung  zu  gewinnen  sucht  der  Verf.  zuerst  den 
Umfang  des  fränkischen  Gebiets  geographisch  festzustellen, 
wobei  dann  schon  vorweg  namentlich  die  Frage  Erledigung  findet,  in- 
wiefern die  gäng  und  gäbe  Eintheilung  der  Franken  in  Salier  und 


412  Berichte  aber  gelehrte  Anstalten,  VerordinnfeB,  stetiet  NoUmb. 

Ripuarier  ihre  Berechtigangf  habe.  Ans  der  genauen  Untersnehiuig 
ergibt  sich,  dass  man  der  Eintheilan^  der  Franken  in  Ripuarier  und  in 
Salier  eine  Bedeutsamkeit  beigelegt  hat,  'welche  namentlich  dem  leiste- 
reu  Namen  nicht  gebührt ,  dasz  sie  auch  keineswegs  ursprünglich  ist, 
weil  es  schon  Franken  gab,  eha  sich  bei  gröszerer  Aosdehnung  ihrer 
Macht  auf  beiden  Stromseiten  jene  Unterscheidung  herausstellte,  dass 
sie  endlich  für  die  Zeit,  da  manschen  von  Ripuariern  sprechen  darf, 
wiederum  nicht  erschöpfend  ist,  weil  es  ebenso  alte  Franken  gab,  welche 
man  weder  salisch  noch  ripuarisch  nennen  kann:  dass  also  die  fränki- 
schen Stämme  vor  ihrer  Vereinigung  zu  ^iner  Monarchie  vielmehr  in 
drei  als  in  zwei  Gruppen  zerfallen,  welche  uns  in  der  Zeit  Attilas  als 
solche  entgegentreten.  Der  Verf.  geht  darauf  vom  Boden  der  ältesten, 
fränkischen  Geschichte  zu  den  Völkern  über,  welche  unter  diesem  Na- 
men eine  so  bedeutende  Stelle  in  der  Weltgeschichte  einnehmen ,  nm 
nunmehr  die  einzelnen  Theile  der  oben  stehenden  Sätze  näher  zn  be- 
trachten. Als  Resultat  der  Untersiichung  ergibt  sich  folgendes:  *£in 
Theil  des  am  Eingange  zum  Rheindelta  seszhaften  Chamayervolkes, 
welcher  um  die  Ysscl  wohnte ,  führte  den  speciellen  Namen  der  Salier. 
Salier,  Cbamaver  und  die  benachbarten  Tubanten  bildeten  mit  anderen 
geographisch  mit  ihnen  im  Zusammenhange  stehenden  germanischen 
Völkern  rechts  und  links  vom  Niederrheine  (als  Ampslvariem,  Chatten, 
Sigambrem,  auch  Ubiern  und  Gnbernern  —  Stämmen,  welche,  soweit 
sie  innerhalb  der  alten  kölnischen  Diöcesang^renzen  wohnten,  unter  dem 
ripuarischen  Namen  zusammengefaszt  waren)  den  fränkischen  Völker- 
Terein.  Unter  den  Einzelnamen  der  fränkischen  Stämme  haben  der 
ealische  und  der  sigambrische  die  gröste  Bedeutsamkeit.  Die  Salier 
zeichneten  sich  nemlich  durch  die  Yorgeschrittene  Entwickelung  ihres 
Rechtes  aus,  welches  weit  über  die  Grenzen  ihrer  engen  Heimat  hinaus 
unter  den  Franken  Geltung  gewann.  Aus  den  rechtsrheinischen  Sigam- 
brem aber  gelangte,  durch  römischen  Einflusz  begünstig^,  ein  Fürsten«* 
geschlecht,  die  später  sogenannten  Merowinger,  mit  ihrem  Adel  sur 
Herschaft  über  alle  fränkischen  Völker  und  vollendete  in  Chlodwig  die 
Stiftung  der  zu  einer  welthistorischen  Bedeutung  bestimmten  fränkischen 
Monarchie.'  Diese  Ergebnisse  sind  von  dem  Verf.,  dessen  Untersuehon- 
gen  überall  auf  ein  gründliches  Quellenstudium  basiert  sind,  auf  scharf- 
sinnige und  überzeugende  Weise  begründet  und  geben  über  eine  wieh- 
tige  Frage,  namentlich  auch  in  Beziehung  auf  die  Zahl  der  Völker, 
welche  fränkisch  geworden ,  einen  erwünschten  Aufschlusz.  Der  Verf. 
scheint  uns  die  Zahl  der  fränkischen  Völker  auf  das  rechte  M^sz  zurück- 
geführt zu  haben,  indem  er  mit  Recht  darauf  hinweist,  dasz  eine  seit- 
weiligfe  gemeinsame  Vereinigung  bei  drohender  Gefahr  noch  nicht  den 
Abschlnsz  eines  bleibenden  Völkervereins  bedinge.  Dr  0, 

Braünschweig.]  Das  dasige  Obergjmnasium  hatte  im  Schulj.  1857^—06, 
dem  ersten  welches  es  mit  dem  Progymnasium  zu  einer  Anstalt  vereinigt 
zurücklegte,  im  Lehrercollegium  keine  Veränderung  erfahren.  Die  Sohtt- 
lerzahl  betrug  beim  Beginne  des  Jahres  286,  beim  Schlüsse  Wb  (Ober- 
gymnasinm  I  6,  II  10,  III  21,  IV  31,  Summa  77,  Progymn.  I  29,  II  20, 
III  37,  IV  44,  V  59,  Summa  198).  Abiturienten  Michaelis  1857  2,  Ostern 
1858  7.  Der  im  Programm,  das  übrigens  noch  immer  im  Namen  nur 
des  Obergymnasiums  erscheint,  enthaltenen  Abhandlung  des  Oberlehrers 
von  Heinemann:  zur  ästhetischen  Kritik  von  Sophokles'  König  Oedipms 
(32  S.  4)  glauben  wir  mit  Recht  einen  nicht  unbedeotenden  Werth  bei- 
legen zu  können.  Mit  Scharfsinn  und  Klarheit  geschrieben,  ist  sie  gans 
geeignet  die  Unhaltbarkeit  gewisser  Ansichten  und  Meinungen  aufsn- 
zeigen  und  so  zur  rechten  und  wohlbegründeten  Würdigung  des  Stückes 
hinzuführen.  Der  Verf.  hat  Mut  und  Ueberzeugungstreue  genug,  nra 
mancher    aufs  keckste  vorgetragenen  Behauptung  entgeg^zutreten ,  da- 


iMPielrte  ah%T  gelehrte  Anstalten,  VerordnangeB,  Statist^  Notiiea.  413 

fegen  andere  belAehelte  oder  mit  verächtlichem  Lächeln  angesehene 
Bit  yertheidigen,  nnd  oft  geschieht  beides  mit  entschiedenem  Olück.  Wir 
erkennen  auch  den  Standpunkt,  Fehler  an  einem  anerkamiten  Meister- 
werke xn  suchen,  als  YoUkommen  berechtigt  an,  schon  an  nnd  für  sich^ 
hier  aber  um  so  mehr,  als  die  Athener  dem  Stücke  nur  den  sweiten 
Preis  snerkannten.  Wenn  wir  nun  mit  den  gefundenen  Resultaten  nicht 
gans  übereinzustimmen  erklären,  so  müsten  wir  eine  ausführlichere  Dar- 
legung geben  als  uus  hier  der  Raum  gestattet;  deshalb  mögen  einige 
AndentuDgen  genügen.  Wir  können  zuerst  beistimmen ,  wenn  der  Hr 
Verf.  den  König  Ocdipus  eine  Schicksalstragödie,  jedoch  in  bedeutend 
modificiertem  Sinne,  nennt;  allein  wir  finden  eben  darin  den  tiefsten 
Gehalt  nnd  die  ernsteste  Tragik,  weil  so  die  Heiligkeit  der  ewigen  Ge- 
setae  sum  klarsten  Bewustsein  kommt.  Es  ist  schon  an  nnd  für  sich 
tragisch,  wenn  der  welcher,  sich  selbst  unschuldig  wähnend,  auf  eine 
geschehene  Tbat  einen  Fluch  setzt,  sich  selbst  dann  derselben,  ja 
noch  viel  schlimmeren  schuldig  findet,  nnd  es  wäre  demnach  dem  Dich- 
ter kein  Vorwurf  wegen  der  Handlung  des  Stückes  zu  machen;  aber 
freilich  scheint  das  ^schuldig'  nach  gewöhnlichen  menschlichen  Begriffen 
nicht  vorhanden,  Oedipus  durch  Vorherbestimmung  der  Götter  in. die 
Terübung  der  Thaten  hineingestoszen ,  dadurch  jedoch  tritt  die  Heilig- 
keit der  ewigen  Gesetze  hervor:  ihre  Uebertretung  kann  selbst,  wenn 
sie  ohne  sittliche  Freiheit  verübt  wird,  nicht  straflos,  nicht  ungesühnt 
bleiben.  Mag  der  Dichter  davon  im  Stücke  selbst  nichts  ausgesprochen 
haben,  die  Handlung  selbst  beweist,  dasz  er  diesen  Gedanken  in  seiner 
üeberzeugnng  unverbrüchlich  hegte.  Denn  kann  ein  Dichter  deutlicher 
und  objectiver  seine  Üeberzeugnng  -aussprechen ,  als  wenn  er  sie  die 
Person,  an  welcher  er  sie  darstellen  will ,^  selbst  anerkennen  läszt?  Oe- 
dipus entschuldigt  seine  Thaten  nirgends,  er  hält  sich  für  strafbar  nnd 
die  Schuld  eine  Sühnung  erheischend.  Dieser  Gedanke  ist  dem  Alter- 
thnm  nicht  fremd;  er  spricht  sich  in  der  Sühne  aus,  deren  der  unfrei- 
willige Mörder  bedurfte;  er  liegt  der  Oedipussage  in  ihrer  sittlichen 
Fassung  zu  Grunde,  er  ist  von  Sophokles  mit  gröster  Tiefe  nnd  in  nm-  • 
fassenderer  Weise  als  von  irgend  einem  andern  zur  Anschauung  ge- 
bracht worden.  Piderit  in  seinen  sophokleischen  Studien  I  bat 
dies  in  trefflicher  Weise  nachgewiesen  und  eben  so  klar  die  Mangel- 
haftigkeit in  diesen  Vorstellungen  und  deren  Grund  aufgezeigt.  £s  ist 
leicht  erklärlich,  dasz  die  grosze  Menge  der  Athener  diese  Idee  nicht 
Terstand  oder  gegen  ihre  Anerkennung  sich  sträubte  (obgleich  wir  viele 
Gründe  für  die  Zuerkennung  des  zweiten  Preises  uns  denken  können); 
allenthalben  thun  dies  die  natürlichen,  gewöhnlichen  Menschen,  sie  wol- 
len nur  dann  eine  Gesetzverletznng  anerkennen,  wenn  sie  mit  Be^mst- 
sein  oder  in  freier,  wenn  auch  irregeleiteter  Selbstbestimmung  verübt 
worden  ist.  Damit  wollen  wir  nun  freilich  nicht  behaupten,  dasz  die 
Idee  durchaus  ästhetisch  sei;  weil  sie  mangelhaft  ist,  weil  sie  für  den 
menschlichen  Verstand  keinen  vernünftigen  Grund  hat  —  erst  die  gött- 
Hehe  Offenbarung  hat  denselben  gezeigt  —  kann  sie  die  volle  Befrie- 
digung nicht  gewähren,  jedoch  ist  nicht  die  objective  Darstellung  einer 
erkannten  aber  räthselhaft  unlösbaren  Wahrheit  und  der  Gemütshaltung 
ihr  gegenüber  nicht  echt  dichterisch?  Ist  nicht  echt  tragisch  gerade 
das  volle  beugen  unter  diese  Wahrheit,  so  herb,  so  unvermittelt,  so '  un- 
gerecht sie  scheint?  Wir  können  nicht  weiter  ausführen  und  deuten 
nur  noch  auf  einen  zweiten  Punkt  hin.  Die  Selbstblendung  des  Oedipus 
erscheint  dem  Hrn  Verf.  auffallend,  ja  er  kann  sie  nur  rechtfertigen, 
indem  er  dem  Dichter  schon  die  Idee  zum  Oedipus  auf  Eolonos  vor- 
schweben läezt;  er  würde  es  für  richtiger  ansehen  wenn  Oedipus  wie 
lokaste  an  sich  zum  Selbstmörder  würde.  Wir  fragen  dagegen:  ist 
nicht  dem  Alterthume  das  nichttragenkönnen  ein  Beweis  einer  gewissen 


414  Berichte  Aber  gelehrte  Anstalten,  Verordnungen,  stliüst.  Noiiiefl* 

Unmännlichkeit  ?  ist  diese  Idee  als  dem  Sophokles  ganz  fremd  zn  er- 
achten, wenn  man  seinen  Aias  aufmerksam  betrachtet?  Würde  also 
Oedipus  als  der  thatkräftige  Mann  erscheinen,  als  der  er  doch  dastehen 
soll,  wenn  er  den  Faden  des  Lebens  selbst  abschnitte?  lokaste,  durch 
und  durch  das  schwache,  nur  den  Eindrücken  des  Augenblicks  ergebene 
Weib,  tritt  zu  Oedipus  in  den  schönsten  Gegensatz.  Wir  wollen  nicht 
behaupten,  dasz  dem  Dichter  bereits  der  Oedipus  auf  Kolonos  Inder 
Seele  lag,  aber  die  ersten  Anfänge  der  Idee,  welche  jenen  hervorrief» 
gestehen  wir  zu.  Oedipjis  darf  dem  Dichter  nicht  ganz  verloren  seiui 
darf  es  nicht  dem  Zuschauer  sein;  hinter  dem  gräsziichen,  was  an  ihm 
vorgegangen,  musz  der  Möglichkeit  einer  innern  Versöhnung  Raum  ge- 
geben erscheinen.  Ich  wage  die  Frage  aufzustellen :  läszt  nicht  die 
Schluszsentenz  des  Chores  für  den,  welcher  die  Handlang  des  Stückes 
ganz  erfaszt  hat,  nicht  auf  diese  Möglichkeit,  dasz  es  mit  Oedipus  bes- 
ser werden  könne,  schlieszen,  ja  fordert  sie  nicht  geradezu  ihn  auf  zn  be- 
denken: wie  nun?  Oedipus  lebt  noch,  wenn  auch  im  Elend;  das  Ende 
ist  noch  nicht  da.  Kann  er  nicht  gesühnt  und  versöhnt  werden  oder 
wird  ihn  der  Götterfluch  noch  ferner  verfolgen?  R,  D. 

.Bbeslau  1857.]  In  dem  Lehrercollegium  des  königlichen  ka« 
tho'lischen  Gymnasiums  haben  im  Schuljahre  1856 — 57  mehrere 
Veränderungen  stattgefunden.  An  die  Stolle  des  In  Oberlehrers  Kabath, 
welcher  kurz  nach  seiner  Pensionierung  starb,  trat  Gymnasiallehrer  Dr 
Görlitz  (s.  Lcobschütz).  Von  den  Lehrern  schieden  ferner  aus:  CoHa- 
borator  UUbrich,  der  an  die  Gewerbschulc  zu  Frankfurt  a./O. ,  Can- 
didat  Dr  Völkel,  der  nach  Gleiwitz,  und  Candidat  Sjchönhnth,  der 
nach  Leobschütz  geschickt  wurde.  Die  Stunden  des  Collab.  Ulibrich 
übernahm  sein  Nachfolger  Cqllab.  Mohr  unter  Mithülfe  des  Candidaten 
Czech,  der  jedoch  bald  darauf  einem  Kufe  an  die  Realschule  zu  Düs- 
seldorf folgte,  in  Folge  dessen  Candidat  Dr  Grimm  eintrat,  die  des 
Candidaten  Dr  Völkel  der  Candidat  Dr  Smolka,  der  zu  Ostern  alt 
Keligionslehrer  nach  Gleiwitz  gicng;  Candidat  Schönhuth  wurde  nicht 
ersetzt.  Auch  der  Schreiblehrer  Kector  Deutschmann  war  aasge- 
schieden und  seine  Stunden  hatten  die  beiden  Lehrer  der  Vorbereitungp- 
klassen  übernommen.  Bestand  des  LchrercoUegiums:  Director  Dr  Wis- 
Howa,  die  Oberlehrer  Janske,  Winkler,  Dr  Pohl,  Dittrich,  die 
Gymnasiallehrer  Idzikowski,  Runkel  Religionslehrer,  Dr  Bauche, 
Dr  Kuschel,  Dr  Schedler,  Scholz  Religionslchrcr,  Dr  Baumgart, 
Dr  Görlitz,  die  Collaboratoren  Seh  neck,  Mohr,  Prof.  Dr  Schmöl- 
ders,  Sprachlehrer  Scholz,  Hülfslehrer  Jaschke,  Gesanglehrer  Brö er, 
Zeichenlehrer  Schneider,  die  Schreiblehrer  Rieger  und  Schmidt. 
Die  Schülerzahl  betrug  zu  Anfang  des  Schuljahres  in  den  Gymnasial 
klassen  074  (I*  41,  I»»  40,  II*  55,  II»»  85,  III-  55,  III»»  53,  IV*  63, 
IV»»  53,  V«  50,  V»»  53,  VI*  72,  VI»»  40),  in  den  Vorbereitungsklassen 
f.9  (VII  30,  VIII  20).  Abiturienten  21.  Den  Schulnachrichten  ist  voraus- 
geschickt: de  philosophia  Euripidis  pars  1,  scr.  J.  Janske,  superiornm 
ordinum  pracceptor  (32  S.  4)  S.  2Q-— 32  adnotationes,  0.  I.  De  rebus 
divinis.  §  1.  Non  sunt  dii,  qui  fabulis  feruntur.  §  2.  De  doo.  Digres- 
sio  I.  •  De  animo  demisso  (Demut).  Digr.  II.  De  Aethere,  quem  Deum 
Euripideum  esse  vult  Hassius.  —  Aus  dem  Lehrercollegium  des  könig- 
lich en  Friedrichs -Gymnasiums  schied  der  bisherige  Religions- 
lehrer Prediger  Tusche,  der  als  Garnisonsprediger  nach  Schweidniti 
berufen  war.  Dasselbe  bildeten  der  Director  Dr  W  i  m  m  e  r ,  Professor 
Dr  Lange,  Professor  Anderssen,  Dr  Geisler,  Dr  Grünhagen, 
Hirsch,  Rehbaum,  Ladrasch,  Tusche,  Rosa  Zeichenlehrer, 
Dr  Magnus,  Privatdocent,  die  Sprachlehrer  Freymond,  Whitclaw. 
Die  Frequenz  betrug  wllhrcnd  des  Sommersemesters  211  (I  20,  II  20, 
III  41,  IV  55,  V  30,  VI  30).     Abiturienten  5.     Den  Schulnachrichtea 


Birfdite  aber  gelehrte  Anstallen,  Verordnungen,  Statist.  Notizen.  415 

gehl  voran  die  Abhandlung  des   Prof.  Anderssen:   Enhvickehmg  aller 
Eigen$cha/ten_  der  Logarithmen   und  Kreisfunctionen   aus  dem   bestimfaten 

_      do 

Integral      f   ~   (28  S.  4).  —  In  dem  Lehrerpersonal  des  Gymnasiums 


SU  St  Maria  Magdalena  haben  keine  Verändernngen  stattgefunden. 
Dr  Schuck  und  Dr  Cauer  wurden  zu  Oberlehrern  ernannt.  Der 
Candidat  Schmidt  bestand  sein  Probejahr.  Das  Lehrercollegium  bil- 
deten der  Director  Dr  Schönborn,  die  Professoren  Prorector  Dr 
Lilie,  Dr  Sadebeck,  die  Oberlehrer  Dr  Beinert,  Palm,  Dr  Schuck, 
Dr  Cauer,  die  CoUegen  Dr  Beinling,  Königk,  Dr  Sorof,  Friede, 
die  Collaboratoren  John,  Simon,  (^skuiglehrer  Kahn,  Zeichenlehrer 
Eitner,  Schreiblfthrer  Jung.  Im  Sommerhalbjahr  sind  in  den  Gjm- 
nasialklassen  452  und  in  den  Elementarklassen  180  Schüler,  zusammen 
632  unterrichtet  worden  (I  48,  II*  30,  U^  35,  m*  51,  lU»»  61,  IV  81, 
y  70,  VI  76);  während  des  Winterhalbjahrs  haben  die  Gjmnasialklassen 
468,  die  Elementarklassen  180  Schüler,  susammen  648  besucht  (I  55, 
U*  25,  IIb  41^  ni«  48,  m»>  60,  IV  77,  V  73,  VI  89).  Abiturienten  15. 
Das  Programm  enthält  auszer  den  Schulnachrichten:  Beiträge  zur  Ge- 
ecMchte  der  Schule  und  des  Gymnasiums  zu  St  Maria  Magdalena  in  Breslau, 
IV.  von  1617— -1643,  vom  Director  (38  S.  4).  —  Aus  der  Zahl  der  Leh- 
rer des  Elisabeth -Gymnasiums  schieden  drei  Candidaten  aus, 
welche  anderwärts  eine  feste  Anstellung  fanden:  Sasl^e  an  der  Keal- 
eohule  in  Rawicz,  Passow  an  dem  Paedagogium  in  Putbus,  und  Adrian 
an  dem  Gymnasium  in  Görlitz.  Später  trat  auch  Dr  Franke  die  ihm 
schön  früher  verliehene  Stelle  am  kathol.  Gymnasium  in  Glogau  an. 
Es  trat  dagegen  ein  Dr  Fe  ebner,  Mitglied  des  königl.  paedagogischen 
Seminars.  Den  Collegen  Hänel  und  Keide  ist  der  Oberlehrertitel 
verliehen  worden.  Das  Lehrercollegium  bestand  aus  dem  Rector  Dr 
Fickert,  Prorector  Weicher t,  den  Oberlehrern  Professor  Dr  Kamp- 
mann,  Stenzel,  Guttmann,  Rath,  Prof.  Kambly,  Hänel,  Dr 
Körber,  Neide,  dem  OoUegen  Thiel,  dem  Collaborator  Dr  Speck, 
den  Lehrern  Seltzsam,  Blümel,  Mittelhaus,  Pohsner,  Bräuer, 
Dr  Fe  ebner.  Die  Schülerzahl  betrug  im  Laufe  des  Schuljahres  574 
(I  25,  II  33,  III  37,  IV  41,  IV»»  41,  V  52,  V»>  59,  VI«  66,  VI»»  62, 
VII»  71,  VII*  64,  VII«  33).  Abiturienten  6.  Das  Programm  enthält 
aU  wissenschaftliche  Abhandlung :  Seneca  de  natura  deorum ,  scripsit  Dr 
C.  R.  Fickert  (21  S.  4).  S.  19—21:  Senecae  loci  collati  cum  Scri- 
ptora  Sacra.  Dr  0, 

Bhombbbg  1857.]  An  die  Stelle  des  verstorbenen  Gymnasiallehrers 
Grüzmacher  rückte  der  bisherige  Hülfslehrer  Marg  ein;  die  Hülfs- 
lehrerstelle  wurde  in  eine  ordentliche  Lehrerstelle  umgewandelt  und 
dem  Dr  Günther  übertragen,  der  bis  dahin  an  dem  Gymnasium  in 
LIssa  gearbeitet  hatte.  Oberlehrer  Fechner  erhielt  das  Prädicat  Pro- 
fessor. Gymnasiallehrer  Lomnitzer  lehnte  das  ihm  angetragene  Di- 
reetorat  der  Realschule  in  Culm  ab.  Der  Schulamtscandidat  Siges- 
mnnd  absolvierte  sein  Probejahr.  Das  Lehrercollegium  bestand  aus 
dem  Director  Deinhardt,  den  Professoren  Breda  und  Fechner, 
den  Oberlehrern  Januskowski,  Dr  Schönbeck,  den  Gymnasial- 
lehrern Dr  Hoffmann,  Lomnitzer,  Hoffter,  Marg,  Dr  Günther, 
dem  kathol.  Religionslehrer  Probst  Turkowski,  dem  evangel.  Re- 
ligionslehrer Pred.  Serno,  deA  technischen  Lehrer  Wilke,  dem  Ge- 
sanglehrer Steinbrunn,  dem  Zeichenlehrer  Triest,  den  ^chulamts- 
candidaten  Sigesmund  und  Hennig.  Die  Gesamtzahl  der  Schüler 
betrug  319  (I  18,  II  34,  III*  45,  III»»  46,  IV  69,  V  56,  VI  51),  und 
xwar  265  evang.,  34  kathol.,   20  Israel.,  300  Deutsche  und  19  Polen. 

iV.  Jakrb,  f,  PUL  u.  Paed.  Vä  LSSVIII.  ffß  8.  2S 


416  Berichte  Qber  gelehrte  Anstalten,  Verordnungen,  stttiiL  Noliwi. 

Abiturienten  10.  —  Den  Sohnlnachricbten  g^eht  yoraus  eine  wissenfchaft- 
licbe  Abhandlung  vom  Gymnasiallehrer  Marg:  de  usu  ei  significathm 
epUheCot^m  quorundam  colores  indicantvtm  (21  S.  4).  Der  Verf.  behandelt 
die  Adjeetive:  puniceust  purpureus,  ßavttSj  fulvus,  albus,  candiduSf  niger^ 
ater^  pallidus,  über  welche  theilweise  aber  weniger  gründlich  als  der 
Verf.  schon  C.  G.  Jacob  geschrieben  hat  in  quaestionibos  epicis  Lips. 
1839  S.  60 — 88.  —  Das  Programm  der  Bealschule  zu  Bromberg, 
welche  von  622  Schülern  'besucht  wurde ,  enthält  eine  Abhandlang  vom 
Oberlehrer  Dr  Wcigand:  de  la  mesure  de»  tyllabes  (25  S»  4)  fuibtt 
Anhang  (4  S.)>  Dieselbe  enthält  eine  Aufzählung  der  versehiedeneii 
Vocalverbindungen  im  Französischen,  nebst  einer  Angabe  ob  dieselben 
im  Verse  einsilbig  oder  zweisilbig  gesprochen  werden.  Dr  0« 

BuDissiN.]  Im  Lehrercollegium  des  daaigen  Gymnasinms  war  in 
dem  Schuljahre  1857  —  58  keine  Veränderung  vorgegangen.  Die  SehfU 
lerzahl  betrug  am  Ende  147  (12  I,  21  II,  27  III,  28  IV,  35  V,  24  VI). 
6  Abiturienten  wurden  Michaelis  1857,  4  Ostern*  1858  entlassen.  Den 
Schulnachrichten  des  Programms  ist  vorangestellt  eine  Abhandlung  yom 
Rector  Prof.  Dr  F.  W.  Ho  ff  mann:  tractantur  loci  quidam  Nävi  TetiO' 
menti  et  veteris  iuris  Romam  (52  S.  gr.  8).  Je  geringer  noch  immer  von 
vielen  die  klassischen  Studien  geschätzt  werden,  um  so  erfrenlieher  ist 
ein  thatsächlicher  Beweis,  welcher  Verlust  den  übrigen  Wissenschaften 
durch  ihren  Untergang  erwachsen  würde,  oder  vielmehr  affirmativ,  wie 
wesentliche  Dienste  philologische  Bildung  und  Methode  den  fibrigen 
Wissenschaften  zu  leisten  im  Stande  sind.  Auf  dem  Gebiete  der  Theo- 
logie sollte  man  dies  als  selbstverständlich  betrachten,  da  sie  ja  anf 
der  Erklärung  des  Wortes  Gottes  ganz  und  allein  beruht;  gleichwol 
lassen  gewichtige  Stimmen  die  Klage  vernehmen,  dasz  die  Zahl  der 
gründlich  philologisch  gebildeten  Exegeten  immer  seltener  werde.  In 
der  Jurisprudenz  war  man  in  früheren  Jahrhunderten  von  dieser  Wahr* 
heit  durchdrungen,  jetzt  legt  man  auf  das  Studium  des  römisohon  Rechts 
schon  einen  geringelten  Werth  und  fängt  bereits  an  die  gründliche  Kennt- 
nis des  Lateinischen  nicht  mehr  für  ein  Erfordernis  zu  einem  tüchtigw 
Rechtsgelehrten  zu  betrachten;  die  Zahl  derer,  welche  gründliche  philo- 
logische Studien  machen,  um  sich  in  das  Verständnis  des  römischen 
Rechts  —  die  beste  Vorbereitung  für  den  modernen  Richter,  SachwaltSf 
und  Gesetzgeber  —  selbstthätig  hineinzuarbeiten,  wii*d  immer  gerinffer. 
Wir  begrüszen  nun  die  vorliegende  Programmabhandlung  mit  der  leb- 
haftesten Freude ,  indem  sie  den  Beweis  liefert,  was  gründliche  philolo- 
gische Kenntnis  und  Methode  für  die  Theologie  und  Jurisprudeni  in 
leisten  im  Stande  sind.  Auf  dem  theologischen- Felde  ist  zwar  der  Hr 
Verf.  insofern  kein  Fremdling,  als  er  vor  40  Jahren  Philologie  und  Theo- 
logie studiert  hat,  das  juristische  Feld  aber  hat  er  erst  jetzt  betreten, 
indem  ihn  die  Theilnahme  an  seines  Sohnes  akademischen  Studien  anr 
Lesung  der  römischen  Reohtsqncllen  geführt  hat.  Die  gründliehe  nnd 
klare  Prüfung  der  Worte,  des  Znsammenhangs  und  der  daraus  mit  Notb- 
wendigkeit  sich  ergebenden  Auffassung  werden  von  jedem  als  muster- 
haft erkannt  werden,  wenn  er  auch  selbst  nicht  überall  mit  dem  Re- 
sultate einverstanden  sein  sollte.  Wir  glauben  die  Schrift  'nicht  besser 
der  Aufmerksamkeit  empfehlen  zu  können,  als  wenn  wir  kun  ihren 
Inhalt  angeben.  Zuerst  beschäftigt  sich  der  geehrte  Hr  Verf.  mit  dem 
bekannten  so  viel  besprochenen  Gleichnisse  Luc.  16,  1  ff.  (8.  1—26) 
und  zeigt  unter  sorgfältiger  Prüfung  der  Ansichten  darüber,  dass  nnr 
dann  das  ganze  in  seinem  innem  Zusaihmenhang  und  in  seiner  Ueber- 
einstimmung  mit  dem  gesamten  göttlichen  Worte  erklärlich  nnd  fasi- 
lieh  werde,  wenn  man  Vs  0  ititoe  fucftfi^covä  xijg  udiY.{(iq  schreibe:  ^ma- 
chet euch  Freunde  auszer  dem  Bereiche  des  ungerechten  Mammon,  da- 
mit, wenn  ihr  abgetreten  sein  werdet,  sie  euch  aufnehmen  in  die  ewigen 


hH  aber  f elehrte  Aostallen,  Verordoan^n,  slatist  Noüien.  4 1 7 

IB.*  AnhBogBweiBe  wird  Iran  erörtert  d«w  Jacob.  2,  18  die  Les- 
tthg  (gjtav  den  Vorzug  verdiene.  Wenn  dann  S.  27 — 38  die  be- 
te Stelle  Gal.  3,  19  ff.  behandelt  wird,  so  geschieht  dies  nicht,  um 
in  fast  unzähligen  Erklärungsversuchen  einen  neuen  hinzuzufügen, 
tm  um  die  Bedingungen  aufzuzeigen,  unter  welchen  allein  ein 
IndniB  m<»g]ich  wird.  Die  vier  Punkte,  welche  der  Hr  Verf.  als 
i  aufzeigt ,  sind  1)  die  Bedeutung  von  ^Boirnq  (er  versteht  darun- 
'otee,  welcher  hier  Christus  dem  cniQfia  9  inr^y§Xxai  gegenüber- 
It  werde),  2)  der  Zusammenhang  von  Vs  20 — 22,  3)  der  Schlusz 
iiTgumentation  des  Apostels,  4)  durch  welchen  Gedanken  Vs  20 
llatttndigt  werde.  Beine  Erklärung  faszt  sich  in  die  deutschen 
)  zusammen:  ^ Mittlerschaft  ist  nicht  ohne  Parteien,  das  Wesen 
I  aber   beruht  in  Einheit,  kennt  keine  Spaltung.'    Ans  den  römi- 

Beehtsquellen  behandelt  der  Hr  Verf.  hauptsächlich  solche  Stel- 
ro  Auslassungen  durch  die  Abschreiber  wegen  ähnlicher  Buchstaben 
Jifimern  Veranlassung  gegeben.  Ref.  ist  nicht  Jurist,  glaubt  aber 
aussprechen  zu  können,  dass  die  Stellen  alle  durch  die  von  dem 
^erf.    empfohlenen    Verbesserungen    an  Klarheit  gewinnen.    Dig. 

1  wird  Bests  Verbesserung  quae  ut  uirague  ad  ewn  petveniret, 
rem  voluisse  aufgenommen.  XXXIII  3  vorgeschlagen  viro  quoque 
m,  IX  13  emn  qui  sattem  sporuam  nüi  suam  per  Um  rapere  ausus 
(beiläufig  S.  43  f.  eine  Bemerkung  über  ni  und  nisi),  XI  22  tuior 
iUter  peti  n<m  poiest,  XIX  5  sin  atäem  alter  aliter  fecerü.  XXIX  1 
iestamenti  instar  est,  XL VII  8  ipse  extra  turbam  fuU.  XX  14  od 
legis.     XX  10  Augustus  VH  cos,  constitttU,  R.  D. 

oviTz.]     Das  königliche  katholische  Gymnasium  in  Conitz  hat  in 
857  zu  Ende  gegangenen  Schuljahre  durch  den  unerwarteten  Tod 
flten  Oberlehrers  Prof.  Lindemann  einen  beklagenswerthen  Ver- 
rlitten.     Der  Lehrer  Lindenblatt  wurde  an  das  Gymnasium  in 
sberg   versetzt,    und   in   Folge   dessen    ascendierten    die   Lehrer 
;,  Heppner,  Karlinski  und  der  wissenschaftliche  Hülfslehrer 
izynski  resp.  in  die  zweite,  dritte,  vierte  und  fünfte  ordentliche 
'Stelle.     Der   Schnlamtscandidat    Gand   wurde   dem    Gymnasium 
ishülflichen  Dienstleistung  überwiesen,   der  als  auszerordentlicher 
shrer    fungierende  Candidat  Oestreich    aber   als   wissenschaft- 
Hülf sichrer  angestellt.  Der  Religionslehrer  Redner  muste  wegen 
eher  Erkrankung  für  das  Sommersemester  von  seinen  Functionen 
den  werden ;  die  einstweilige  Verwaltung  seiner  Stelle  wurde  dem 
Tarnowski    übertragen.     Behufs  Verstärkung    der   Lehrkräfte 
*x  Schnlamtscandidat  Dr  Schneider  in  das  Lehrercolleginm  ein. 
isherfge    zweite   Oberlehrer   Prof.  Wiehert   ascendierte    in   die 
der  bisherige  dritte  Oberlehrer  Dr  Moiszisstzig  in  die  zweite 
er   bisherige    vierte   Oberlehrer  Lowinski  in    die   dritte  Ober- 
kelle.   Das  Lehreroollegium  bestand  demnach  aus  folgenden  Mit- 
n:  Dr  Brtiggemann  Director,  den  Oberlehrern  Prof.  Wiehert, 
Itzisstzig,  Licent.  Redner  kathol.  Religionslehrer,  Lowinski, 
rdentlichen   Lehrern    Haub,    Tietz,    Heppner,    Karlinski, 
lyiiski,    dem  wissonscluiftlichen   Hülfslehrer  Oestreich,   den 
mtsoandidaten    Gand    und    Dr    Schneider,    dem    technischen 
ihrer  Ossowski,  Snperint.  An  necke  evangel.  Relig^onslehrer. 
•zahl  430  (I  39,  IP  22,  IIi>  36,  Ober-Tertia  Coet.  a  26,  Coet.  b 
ter-Tertia  60,  IV«  45,  IV*  35,  V  63,  VI  80).    Abiturienten  20. 
shulnachrichten  geht  voraus:  de  pristino  ordine  versuum  quorundam 
Hervm»    Scripsit  Antonius  Lowinski  (16  8.  4).  Dr  0. 

XM.]  In  dem  1857  verflossenen  Schuljahre  haben  in  dem  Lelirer- 
iift  des  dasigen  Gymnasiums  mehrfache  Verändeningen  stattge- 
.    Der  erste  Oberlehrer  Professor  -Braun  folgte  dem  Rufe  als 

28* 


418  Berichte  ttber  gelehrte  Anstalten,  Verordnungen,  stalifll.  Notisen. 

Director  des  Gymnasiums  zu  Braunsberg;  anshülfsweise  trat  der  Can- 
didat  Dr  Boruowski  ein.  Der  Oberlehrer  Dr  Fanck  rückte  in  die 
erste  und  der  Oberlehrer  Dr  Seemann  in  die  zweite  OberlehrersteDe 
auf,  und  es  wurde  beiden  der  Professortitel  beigelegt;  die  dritte  Ober- 
lehrerstelle ist  dem  bisherigen  dritten  ordentlichen  Lehrer  an  dem  Gym- 
nasium in  Braunsberg,  Joseph  Haegele,  yerliehen  worden;  die  nen 
gegründete  fünfte  ordentliche  Lchrerstelle  erhielt  Lask'owski;  die 
wissenschaftliche  Hülfslehrerstelle  verwaltete  commissarisch  Dr  Bor- 
nowski.  Am  Schlüsse  des  Schuljahrs  vcrliesz  der  Religionslehrer 
Behrendt  die  Anstalt,  um  eine  Professur  am  bischöflichen  Seminar 
zu  Pelplin  zu  übernehmen.  Zu  seinem  Nachfolger  ist  Lioentiat  Okroy 
bestimmt.  Die  Gesamtzahl  der  Schüler  betrug  417  (I«  21,  I*»  30,  II  • 
41  ,  IIb  38,  III«  55,  III^  56,  IV  44,  V  62,  VI  70).  Abiturienten  9. 
Das  Programm  entliält  auszer  den  Schulnachrichten  noch  zwei  Abhand- 
lungen ,  die  eine  unter  dem*  Titel :  die  Cidmer  Akademie  im  Jahre  15S4. 
Ein  Beitrag  zur  Geschichie  dieser  Anstiät  Ton  Dr  Lozynski  (20  S.  4), 
die  andere:  die  Pseudomorphosen  des  Mineralreich  von  Ang.  Lai- 
kowski   (10  S.  4).  JDrO, 

Danziq.]  Das  dasige  Gymnasium  erlitt  im  Schu^ahre  1856— '57 
folgende  Verluste:  Professor  Dr  Marquardt  wurde  als  Director  an 
das  Friedrich- Wilhelms-Gymnasium  in  Posen  berufen,  der  ordentl.  Leh- 
rer Skusa  starb  und  der  Zeichenlehrer  Breysig  ward  pensioniert 
(starb  bald  darauf).  Neu  angestellt  wurden  als  ordentl.  Lehrer  Dr  iL 
Stein  (Herausgeber  des  Hcrodot),  vorher  am  Friedrich-Wilhelms-Gya- 
nasinm  in  Berlin,  Dr  11  ug.  Sant.  Anton,  vorher  am  Paedagoginm  ■■ 
Puttbus,  und   als  Zeichenlehrer  der  Maler  Troschel.    Im  Schu!(ja]ire 

1857  —  58  schied  der  kathol.  Religiopslchrer  Pfarrer  Michalski  und 
ward   durch    den   Pfarrverweser  Lic.   Redner  ersetzt.    Am  28.  MSrs 

1858  starb  der  Professor  Carl  Theodor  Anger,  ein  als  Gelehrter 
wie  als  Schulmann  gleich  achtungs-  und  liebenswerther  Mann,  eine 
Zierde  des  (Gymnasiums.  Das  Lehrercollegium  bestand  Ostern  1858 
aus  dem  Director  Dr  Engel  hardt,  den  Proff.  Herbst,  Hirt^hf 
Czwalina,  den  ordentlichen  Lehrern  Dr  Brandstäter,  Dr  Röper, 
Dr  Hintz,  Dr  Strehlko,  Dr  Stein,  dem  Prediger  B 1  e c h  und  Pfarrer 
Redner,  dem  auszerordentl.  Lehrer  Dr  Anton,  dem  Hülfslehrer  Fre- 
diger DrKrieger,  dem  Zeichenlehrer  Troschel,  Schreiblehrer  F  i  b  e  b| 
Musiklehrer  Markuli,  Elomentarlehrer  Wilde.  Die  Schülensahl  be- 
trug am  Schlüsse 

I   II«  m  III«  III»»  IV  iv»>  V 

1857  30    35    48     48    48    49    55    52 

1858  37  34  84  44  49  56  51  52 
Zu  der  dreihundortj.  Jubelfeier,  welche  vom  13  — 14.  Juni,  wir  hoffen 
in  rechter  Freude  undgroszem  Segen,  begangen  werden  wird,  erschien 
ein  sehr  umfangreiches  Einladungsprogramm,  zu  welchem  nach  dem 
löblichen  Vorgange  anderer  Schulen  bei  gleicher  Gelegenheit  aUe  ordenfr- 
liehen  Lehrer  einen  wissenschaftlichen  Beitrag  geliefert  haben.  Dasaelba 
enthält  nach  einem  kurzen  Vorwort  ein  latein.  Carmen  saeculare  von  Dr 
Röper  und  ein  deutsches  Festgedicht  von  Dr  Strehlke,  dann  folgen 
die  Abhandlungen:  1)  vom  Dir.  Dr  F.  W.  Engel  hardt:  loci  Plkumki^ 
guorum  Aristoteles  in  conscribendis  Politicis  videtur  memor  flösse  (24  S.  4). 
Der  Beweis,  dasz  Aristoteles  auf  die  drei  Schriften  Piatos  PoUtikos«  «• 
Rep.  und  de  Legg.  oft  Rücksicht  genommen ,  thcils  nm  seine  Ansichtei 
zu  widerlegen,  tlieils  in  Uebereinstimmung  mit  ihnen,  wird  hier  in  grSi- 
tcr  Vollständigkeit  geboten,  dabei  jbdoch  auch  die  Auffassang  von 
Piatos  Worten ,  wie  sie  sich  bei  Aristoteles  zeigt ,  als  nicht  überall  ge- 
recht und  richtig  gewürdigt.  Als  ein  wichtiges  Resultat  stellt^sich  ne- 
ben der  Verbesserung  und  Erklärung  mancher  Stellen  der  Beweis  f&r 


VI 

S« 

Abit. 

57 

431 

8. 

04 

421 

13. 

Boridile  ftber  gelehrte  Anstalten,  Verordnangen,  itatist.  Notizen.  419 

die  Aechtheit  aller  der  drei  genannten  Schriften  des  Plato  heraas. — 
2)  Vom  Prof.  Christ.  Herbst:  lectiones  Venusinae  (24  S.),  eine  Fort- 
■etsimg  der  von  dem  Verf.  vor  10  Jahren  unter  gleichem  Titel  heraas- 
gcjgebenen  Schrift.  Es  werden  zwar  zunächst  nur  die  beiden  Stellen 
o£  I  12,  19—22  und  Od.  III  1,  1 — 1  behandelt,  aber  dabei  eine  grosze 
Menge  anderer  Stellen  kritisch  and  exegetisch  beleuchtet  und  über  den 
Spraohgebrauch  des  Horaz  feine  und  sichere  Beobachtungen  gemacht, 
B.  B.  S.  2  —  8  über  die  Nachstellung  der  copalativen  Partikeln.  Die 
Tertrautheit  des  Hm  Verf.  mit  dem  Dichter,  seine  Gründlichkeit  und 
aein  Scharfsinn  machen  die  Gabe  zu  einer  recht  werthvollen.  —  3)  Vom 

/2n 
cos  (ha— k. 

ain.  a).  da  (20  S.)  Dieser  Abhandlung  ist  eine  lateinische  Trauerode 
Ton  Dr  Herrn.  Stöin  beigegeben,  welche  eben  so  wie  die  oben  er- 
wlhnte ' Festode  von  Dr  Röper  den  Beweis  liefert,  dasz  unter  den 
Dansigem  Lehrern  die  lateinische  Poesie  nicht  ausgestorben  ist.  —  4) 
Tom  Prof.  J.  E.  Czwalina:  iheoremata  nonmdla  de  secundi  ordinis  su- 
petßeU  cum  disciplinae  mathematicae  elemeniis  composüa  (18  S.),  sehr  er-' 
frenlich  als  Beweis ,  dasz  auch  Mathematiker  sich  noch  der  lateinischen 
Sprache  bedienen  können  und  zu  bedienen  verstehen.  —  5)  Vom  ord. 
Lehrer  Dr  F.  A.  Brandstäter:  de  vocabtäis  graecis,  maxime  paronyndg, 
im  itris  locus  aiier^  qtd  est  de  significationibus  (26  S,),  die  Beendigung  der 
•ehon  früher  begonnenen  Arbeit,  welche  durch  Gelehrsamkeit,  Fleisz 
«nd  Gründlichkeit  einen  recht  wichtigen  Beitrag  zur  iiistorischen  Sprach- 
wlaaenschaft  bildet.—  6)  Vom  Dr  Gottli.  Röper:  M.  Terenii  Varronis 
Aamenidum  reliquiae  (24  S.).  Trotz  des  vielfachen  Widerspruclxs  erklärt 
d«r  Herr  Verf.  an  seiner  im  Philolog^s  IX  S.  260  aufgestellten  Ansicht, 
deax  die  saturae  des  Varro  in  verschiedenartigen  Versmaszen  geschrie- 
ben ,  nicht  aber  in  ihnen  Verse  mit  Prosa  gemischt  gewesen  seien ,  so 
langte  festhalten  zu  müssen,  als  nicht  bewiesen  sei,  dasz  die  erhaltenen 
Fragmente  sich  nicht  ohne  zu  grosze  Schwierigkeit  in  Verse  bringen 
lieazen.  In  einem  prooemium  beschäftigt  er  sich  zuerst  mit  der  Schrift 
t*  Ado.  Koch:  exerdtationes  in  priscos  poetas  latinos,  Bonn  1851,  be- 
reitwillig viele  seiner  Meinungen  und  Emendationen  zurücknehmend ,  in 
vielen  aber  auch  die  Ansichten  jenes  bekämpfend.  Wegen  Vahlens 
Tortrag  in  Breslau ,  über  den  er  nur  die  Notiz  in  diesen  Jahrbb.  oben 
8.  51  erhalten  *) ,  zeigt  er  nochmals  auf  die  Möglichkeit  hin ,  alle  die  aus 
dem  livo9  Xvqaq  und  der  satura  n^ql  ky%oDikloDv  erhaltenen  Fragmente 
metrisch  zu  lesen.  Aus  den  Eumeniden  werden  dann  mit  ausgebreitet- 
•ter  Gelehrsamkeit  und  umsichtiger  Gründlichkeit  die  11  ersten  Frag- 
mente nach  Oehlers  Anordnung  behandelt.  Wir  hoffen,  dasz  der  Herr 
Verf.  die  Vollendung  bald  geben  und  —  woran  es  ja  nicht  fehlen  kann 
—  die  Kritik  sich  mit  seinen  Leistungen  in  gerecht  würdigender  Weise 
beeehäftigen  werde.  —  7)  Vom  Dr  Joh.  Sam.  Hintz:  einige  Gedanken 
Über  die  Entstehung  und  Harmonie  der  synoptischen  Evangelien  (10  S.),  eine 
auf  die  Nach  Weisung  der  Uebereinstiramungen  (in  einem  Anhange  wird 
dieee  in  Betreff  Matth.  24,  Mark.  13  u.  Luc.  21  ausführlich  tabellarisch 
dargestellt)  und  die  Prüfung  der  Zeugnisse  gegründete  Vertheidigung 
der  Ansicht,  dasz  den  3  synoptischen  Evangelien  allerdings  ein  Urevan- 
gelinm  zu  Grunde  liege.  —  8)  Vom  DrF.  Strehlke:  de Oliveto  Andreae 
OryphH  (12  S.).  Nicht  allein  der  Umstand,  dasz  Andr.  Gryphins  ein 
Schüler  des  Danziger  akademischen  Gymnasiums  gewesen ,  hat  den  Hrn 
Verf.  zur  Wahl  des  Gegenstandes  bewogen,  sondern  die  Beschäftigung 

*)  Jetzt  vollständig  vorliegend  in  dem  so  eben  erschienenen  in  M. 
Tereniii  Varronis  saturarum  Memppearum  reUquias  coniectanen  (Leipzig, 
B.  G.  Teubner). 


420    Berichte  über  gelehrte  Anstalten,  Verordnangen,  statiiL  Notim. 

mit  den  Dichtern  des  17.  JahrhundertB ,  deren  po'^tische  Anlagen  nioht 
auB  den  deutschen  Gedichten,  in  welchen  sie  noch  zu  sehr  mit  der 
Sprache  zu  ringen  hatten ,  sondern  mit  aus  den  lateinischen,  beorteilt 
werden  müssen.  Das  latein.  epische  Gedicht  des  A.  Gryphius  OliTetom, 
das  nur  in  einem  einzigen  Exemplare  vorhanden  zu  sein  scheint,  ward 
dem  Hm  Verf.  ans  der  Meusebachschen  Bibliothek  bekannt.  Er  hat 
sich  entschlossen  dasselbe  in  deuts<5her  Uebersetzung  herauszugeben«  In 
der  vorliegenden  Abhandlung  gibt  er  zuerst  eine  Ueberslcht  über  den 
Inhalt  und  die  Anlage,  sodann  sein  Urteil,  welches,  obgleich  die  Fehler 
nicht  verscliwiegen  werden,  doch  dahin  lautet ,  dasz  Gryphius  den  KIop- 
stockschen  Messias  in  vielem  übertxoffen  habe,  in  wenigem  nur  ihm  nach- 
stehe. In  den  Anmerkungen  «werden  Proben  der  zu  erwartenden  deut- 
scheu Bearbeitung  mitgetheilt.  Wii*  machen  die  Litterarhistoriker  auf 
die  Abhandlung  aufmerksam.  —  9)  Vom  Dr  U.  Stein:  vindidarum  He- 
rodotearttm  specvnen  (20  S.),  ein  Beweis  der  gründlichen  und  umfangrei- 
chen Studien,  welche  der  Hr  Verf.  zu  seiner  Ausgabe  des  Herodot,  de- 
ren Vollendung  wir  hoffnungsvoll  entgegensehen,  gemacht  bat.  Zuerst 
«vird  bewiesen,  dasz  für  den  Namen  des  acgjptischen  Königs  MoCqi^ 
bei  allen  Schriftstellern  die  Form  Mvgig  die  besser  beglaubigte  sei,  dass 
der  Name  auf  den  aegyptischen  Denkmälern  nur  als  Name  des  Sees, 
nicht  eines  Königs  vorkomme,  nach  Lepsius  mere  ^ Ueberschwemmnng,  , 
BewUsserung',  nach  Brugsch  aber  MeRI  oder  MIR= ^Becken*  sei.  Das 
Vorhandensein  dieser  Wurzel  wird  auch  in  andern  Namen  aufgezeigt 
und  schlieszlich  bemerkt,  dasz  oi  überhaupt  in  den  aegyptischen  Namen 
sehr  selten  vorkomme.  Die  Schreibart  ^afifjLijtix^g  wird  der  andern' 
^afifiitixog  wegen  ^afifidrixog  C.  Inscr.  5126  und  Schol.  Tzetz.  ChiL 
IV  788  Cram.  anecd.  III  p.  350  vorgezogen.  Dasz  die  persischen  Na- 
men 'ivzQatpQivr^g  und  'AQta(pQiv7ig  zu  schreiben  seien,  wird  in  Ueber- 
einstimmung  mit  Böckh  C.  I.  II  p.  116,  wenn  auch  aus  andern  Gründen, 
namentlich  der  persischen  Endung  frana^  gefolgert.  Aus  dem  constanten 
Gebrauch  der  Form  aiHTLqog  für  iit.'HQog  wird  Her.  VII  170  die  Noth- 
wendi^keit  Z[it%v&og  zu  schreiben  abgeleitet.  IV  170  wird  die  Schreib- 
art BayictXsg  und  'Aaßvtai  vertheidigt.  Ferner  werden  die  Volkernamea 
'Ttsvvhg^  AvalvLOiy  KaßrjXisg,  KipvQ^rai  behandelt  und  IX  03  die  Ver- 
mutung naga  X(ova  noxapiov  og  i%  AdTtfiovog  ovgsog  giei  diä  f^g  Xm- 
vCrig  Z^QVS  h  "SIqi^ov  Xt.[iiva  begründet,  wobei  freilich  die  Schwierig- 
keit nicht  verschwiegen,  aber  ein  Irthum  des  Schriftstellers  angenom- 
men wird.  Endlich  werden  noch  Anführungen  aus  Herodot  bei  alten 
Schriftstellern  in  ihrem  Verhältnisse  zu  dem  überlieferten  Texte  betrach- 
tet und  gewürdigt*).  Herrn  Dr  Stein  spricht  Kef.  seinen  herzlichsten 
Dank  für  die  worthvolle  Gabe  aus.  —  10)  Vom  Dr  H.  S.  Anton:  ^uae 
iniercedai  ratio  inier  Eihicorum  Nicomacheorum  \11  12 — 15  et  X  1—5  (18  S.)« 
Durch  eine  genaue  Prüfung  sowol  der  beiden  Stollen,  als  auch  der  An- 
sichten des  Aristoteles  über  die  Lust  überhaupt  wird  in  Betreff  der  von 

*)  Beiläufig  sei  bemerkt ,  dasz  ich  die  von  mir  II  8  gemachte  Emen- 
dation  tsaa^goav  xal  d^xa  nicht  wieder  verworfen  habe.  Sie  wurde  spä- 
ter von  mir  gemacht ,  als  meine  zweite  Tcxtosrovision  bereits  erschienen 
war.  Bei  einer  dritten  würde  ich  sie  in  den  Text  gesetzt  haben.  ISine 
solche  habe  ich  bisher  nicht  vorgenommen,  theils  wegen  anderweitiger 
Arbeiten,  theils  weil  es  mir  räthlich  schien  durch  abwarten  der  neuen 
von  Habicht  vorgenommenen  Collationen  einen  festeren  Halt  für  die 
Kritik  zu  gewinnen.  Eine  sehr  wichtige  Frage  wird  zu  lösen  sein,  ob 
mit  Hrn  Stein  die  Familie,  zu  welcher  S  gehört,  oder  mit  Hm  Habich 
die  andere  zur  Grundlage  der  Recension  zu  machen  sei.  Möglieh  ist  es 
dasz  jene  in  den  Namen  genauer  und  richtiger  und  dennoch  doreh  Gram- 
matiker corrigiert  sei. 


Bmdkte  Ober  gelehrte  Anstalten ,  Verordnungen,  statiit.  NotifeB.  421 

Spengel,  Brandis  und  Prantl  angeregten  Streitfrage  das  Resoltat  gewon- 
nen»  dasK  der  -grosse  Philosoph  an  beiden  Stellen  über  den  Gegenstand 
an  handeln  berechtigt  gewesen  sei.  —  10)  Vom  Diac.  W.  Ph.  Blech;  de 
Xcfii  Teatatnenti  praerogativ'a  exegelica  (8  S.).  Der  Täufer  Johannes  v^d 
ala  derjenige  dargestellt,  in  cidus  persona  id,  quod  inter  uinanque  TestO' 
Wienium  irUersit,  nobis  ante  oculos  positum  conspicimui,  —  12)  Vom  Dr  G.  A. 
Krieger:  biblische  Binweisungen  auf  die  paedagogische  Bedeutung  des  Na- 
wsens  (14  S.)  eine  recht  interessante  und  belehrende  Abhandlung.  —  13) 
Vom  Prof.  DrTh.  Hirsch:  Gescfächte  des  Danzigers  Gymnasiums  feil  1814 
(68  S.)«  Wenn  auch  nur  die  letzte  Periode  der  Geschichte  des  Gjmna- 
aloma  behandelt  wird,  so  sind  doch  über  die  früheren  recht  gut  orien- 
tierende Uebersichten  gegeben.  Der  Hr  Verf.  hat  den  grossen  Yortheil 
über  die  letzten  44  Jahre  zum  grösten  Theile  als  Augenzeuge  berichten 
sn  können,  allenthalben  aber  gibt  sich  die  scharfe  Beobachtungsgabe, 
die  vorurteilsfreie  Würdigung  von  Zuständen  und  Personen,  und  die  un- 
verdrossene Gründlichkeit  in  Sanmilung,  Ordnung  und  Darstellung  der 
Notizen  zu  erkennen.  Die  Biographien  der  Lehrer  haben  selbst  für  den 
lätterarhistoriker  einen  bleibenden  Werth.  Allen  denen,  welche  die 
Wichtigkeit  der  Schulgeschichte  für  die  Pädagogik  zu  würdigen  verste- 
hen ,  sei  denn  diese  Arbeit  bestens  empfohlen.  Wir  wünschen  dem  Dan- 
aiger Gymnasium,  dasz  sich  mit  seinem  Jubelfeste  eine  Fülle  des  Segens 
fiber  dasselbe  ergieszen  möge.  Die  von  der  wissenschaftlichen  Begabung 
und  der  Gesinnung  seiner  Lehrer  ein  günstiges  Zeugnis  ablegende  Fest- 

gabe  scheint  uns  ein  sicheres  Prognostikon.    Yielleicht  wird  es  uns  mög- 
ch  über  das  Jubelfest  selbst  und  über  die  zu  demselben  eingegangenen 
Beglückwünschungsgaben  einen  Bericht  baldigst  zu  bringen.     H,  D, 

Detmold.]  Da  an  dem  dasigen  Gymnasium  Leopoldinum  der  An- 
fang des  Schuljahres  von  Michaelis  auf  Ostern  verlegt  wurde,  so  liegen 
uns  zwei  Programme  vor,  das  erste  über  das  Wintersemester  1856—57 
and  das  zweite  über  das  Schuljahr  1857 — 58.  Eine  Veränderung  im 
LehrercoUegium  ist  in  dieser  Zeit  nicht  eingetreten,  auszer  dasz  Mich. 
1856  der  Gesangunterricht  dem  Musiklehrer  Grussendorf  übertragen 
ward  und  weil  der  Consistorialrath  v.  G  öUn  wegen  gehäufter  Amtsgeschäfte 
den  Beligionsunterricht  zu  ertheilen  sich  gehindert  sah ,  eine  Stellvertre- 
tnng  durch  die  übrigen  Lehrer  tmter  Anwendung  von  Combinationen 
eintreten  muste.    Die  Schülerzahl  war 

I  U  IE  III 
Winter  1856—57  5  13  11  11 
Sommer  1857  4  11  13  0 
Winter  1857—58  5  8  7  10 
Dem  ersten  Progpramme  ist  beigegeben  der  Schlusz  der  Abhandlung  des 
Dr  C.  Weerth:  Andeutungen  über  den  Entwicklungsgang  der  neueren  Na» 
tserphilosophie  (24  S.  4),  an  welchem  wir  dasselbe,  wie  an  dem  ersten 
Theil  zu  rühmen  finden.  Das  zweite  enthält  eine  Abhandlung  des  Prof. 
Dr  Herr  mann:  die  Construction  der  Antigone  des  Sophokles  (30  S.  4.), 
eine  klare  und  gründliche  Besprechung  der  einschlagenden  Fragen,  mit 
deren  Methode  und  Eesultaten  wir  nur  im  wesentlichen  einverstanden 
•ein  können. 

Deutsch-Cboke.]  Mit  dem  Beginne  des  Schuljahrs  1856 — 57  be- 
gannen die  berufenen  neuen  Mitglieder  des  LehrercoUegiums  an  dem 
königl.  katholischen  Gymnasium  ihre  amtliche  Thätigkeit,  DrWerneke, 
▼orher  Lehrer  am  Gymnasium  zu  Coesfeld  in  Westfalen,  als  erster 
Oberlehrer  und  Dr  Malina,  welcher  das  Probejahr  am  Gymnasium  zu 
Lieobschütz  in  Schlesien  abgelialten  hatte,  als  wissenschaftlicher  Hülfs- 
ehrer.  Dr  Milz,  welcher  während  des  vorigen  Schuljahrs  aushülfliche 
Dienste  geleistet,  hatte  die  Anstalt  wieder  verlassen.  Lehrerpersonal: 
Director  Dr  Peters,  die  Oberlehrer  Dr  Werneke,  Martini,  Licen. 


R.  D. 

HR 

IV 

V 

VI 

S«    Abit. 

21 

29 

33 

31 

154      3 

15 

31 

29 

32 

144 

14 

28 

31 

32 

135      2. 

422  Berichte  Olm  gelehrte  Aoitalten,  Verordnungea ,  Blalist  IMtee«. 

tiat  Posswinski,  die  ordentlichen  Liehrer  Zanke,  Krause,  Weier- 
strasz,  Dr  Malina,    techn.   Hülfslehrer  Härtung,    Pred.  Weise 
evang.  Religionslehrer.  SchUlerzahl:  235  (I  14,  II  30,  III  42,  IV  47,  V 
57,  VI  45).    Abiturienten:  3.      Die  Abiturienten   waren    die    ersten, 
welche  das  Gymnasium  entliesz.    Das  Programm  enthält  ausser 
den  Schulnacbrichten  eine  Abhandlung  vom   Oberlehrer  Dr  Werneke 
unter  dem  Titel:  das  eddische  Bigsmal  nebst  üeberseizung  und  Eriäutenm' 
gen  (22  S.  4.).    Unter  den  Gedichten  der  (älteren)  Edda  hat  das  'Bigs- 
mal* in  vorzüglich  hohem  Grade  die  Aufmerksamkeit  der  Geschichtsfor- 
scher in  Anspruch  genommen  und  ist  vielfach  zur  Aufhellung  der  ehe- 
maligen skandinavischen  Verhältnisse  benutzt  worden.    Dasselbe  enthält 
eine  Schilderung  der  drei  ursprünglichen  Gesellschaftsklassen ,  der  Skla- 
ven, der  freien  und  der  edlen,  und  gibt  uns  ein  anschauliches  Bild  von 
dem  entstehen  und  der  Entwicklung,  von  dem  Leben  und  Treiben  der- 
selben.   Dieses  nach  seinem  Gehalte,  wie  nach  seiner  Form  ausgeseieh* 
nete  Gedicht  hat  der  Verf.  einer  näheren  Betrachtung  unterzogen ,  indem 
er  glaubt,   dasz  dabei  auch  für  die  Kenntnis  der  alten  deutschen  Zu- 
stände einiger  Gewinn  abfallen  werde.    Er  hat   den   Urtext  (nach  der 
Kecension  von  P.  A.  Munch)  mit  einer  gegenüberstehenden  wortgetreuen 
Uebersetzung  gegeben  und  daran  Erläuterungen  sachlicher  Art  geknüpft. 
Das  Lied  von  Bigr,  Rigs-Mäl,  dem,  wie  es  scheint,  der  Schlusz  fehlte 
findet  .sich  in   keinem    der   Codices    der   älteren   Edda,    sondern    nur 
in    einem  einzigen    der   jüngeren  (Snorra-)Edda,   nemlich  in  dem  von 
Arngrim  Johnsen   imJ.  1628  aufgefundenen  sogenannten  Worm- 
schen  Codex,   welcher  wahrscheinlich  aus  dem  15.  Jahrhundert  stammt 
und  gegenwärtig  auf  dejr  Universitätsbibliothek  zu  Kopenhagen  «uf- 
bewfü^t  wird.    Allein  Sprache  und  Inhalt  weisen  ihm  unbedenklich  einen 
Platz  unter  den  Gedichten  der  älteren  Edda  an,  mit  denen  es  denn  auch 
meistens  zusammen  herausgegeben  ist.     Vollständig  hat  P.  A.  Munch 
das  Gedicht  aufgenommen  in :  'det  norske  Folks  Historie',  wovon  G.  F. 
Claussen  die  beiden  ersten  Abschnitte  in  deutscher  Uebersetzung  her- 
ausgegeben hat  unter  dem  Titel:    die  nordisch- germanischen  f^ölker,  ihre 
ältesten  ffematsitzej    Wanderzüge  und  Zustände,     Lübeck  1853.      Allein 
Claussen  hat  sich  begnügt ,   die  Uebersetzung  von  K.  Simrock  aus  des- 
sen (stabreimender)  Bearbeitung  der  Edda  wiederzugeben  und  nur  gans 
vereinzelte  Veränderungen    daneben  zu  setzen.  —    Der  Verf.   hat    der 
Vollständigkeit  halber  dem  Gedichte  auch  die  prosaische  Einleitung  vor- 
ausgeschickt und  läszt  dann  die  Bemerkungen ,  die  er  für  zweckdienlieh 
erachtet,  im  Znsammenhange  folgen.    Er  hält  das  Gedicht  für  unvollen- 
det und  nimmt  auch  in  demselben  einige  Lücken  an,  die  sich  bei  Ver- 
gleichung  der  drei  durchaus  parallelen  Theile  ergeben  sollen*    Was  Ort 
und  Zeit  der  Abfassung   des  Kigsmal  angehe,   so  —  meint  er  —  weise 
alles  auf  Norwegen  und  ein  sehr  hohes  Alter  hin.    Für  das  hohe  Alter 
desselben  spreche  auszer  der  ganzen  Darstellnngs-  und  Auffassungsweise, 
welche  durchaus  mit  der  der  ältesten  Eddalieder  übereinstimme ,  beson- 
ders die  Art  der  Waffen ,  die  dem  Jarl  zugelegt  werden.    Der  hohe  poS- 
tische  Werth  des  Gedichts  springe  gleich  bei  der  ersten  Betrachtung  in 
die  Augen;  die  Sprache,  hier  wie  überhaupt  bei  den  besseren  Liedern 
der  Edda,  zeige  die  alte  Einfachheit  und  Naturfrische  des  Volks,  unter 
dem  CS  entstanden;  es  sei  das  knappste  Masz  angelegt;  kein  Wort  sei 
überflüssig,  alle  fielen  schwer  und  wuchtig  ins  Ohr  und  geben  der  Phan- 
tasie eine  reiche  Fülle  von  Bildern  und  Gestalten,  so  dasz  man  bei  die- 
ser kernigen  Kraft  und  majestätischen  Einfachheit  südliche  Milde  und 
Weichheit  gern  entbehre.     Ebenso  schlicht  sei  die  Anlage  des  ganzen« 
Nachdem  der  Verf.  das  Gedicht   in  seinen  einzelnen  Theilen  betrachtet 
hat   wirft    er    noch    einen    Blick    auf   das    ganze    zurück    und    findet 
bei  einer  Vergleichung  mit  den  andern,  die  man  zusammen  unter  dem 


Birkhte  Okar  gelehrte  Anstalton,  Verordnoiigeii,  slatifl.  NotisM.  423 

Namen  der  älteren  Edda  begreift,  dass  ee  unter  diesen  eine  gans 
Tereinselte  Stellung  einnimmt.  Es  gehöre  weder  su  den  mythologi- 
schen Liedern,  noch  zu  den  heroischen,  noch  auch  zu  den  rein  didak- 
tischen (besängen;  man  könne  es  ein  didaktisch -politisches  Ge- 
laicht mit  mythischer  Einkleidung  nennen  und  als  solches  stehe 
es  wol  ganz  einzig  in  unserer  gesamten  Litteratur  da.  Das  Rigsmal, 
gleichsam  das  älteste  Denkmal  germanischer  Gesetzgebung,  habe  einen 
ebenso  reichen  dichterischen  Inhalt ,  als  es  für  die  Kenntnis  des  öffent- 
lichen Rechts  bedeutend  sei.  Denn  indem  es  schildere,  wie  die  Stände 
durch  göttliche  Anordnung  entstanden  und  ausgebildet  sind,  stelle  es  zu- 
gleich gerade  in  dieser  Schilderung  factischer  Verhältnisse  die  Norm 
auf,  in  welcher  diese  rechtlich  nebeneinander  bestehen  sollen  und  müs> 
sen.  So  gebe  uns  denn  der  Dichter  statt  der  trockenen,  abstracten  Re- 
gel des  Gesetzgebers  ein  schönes,  lebensvolles  Gemälde,  dem  kein  an- 
deres ähnliches  in  unserer  Litteratur  an  die  Seite  zu  setzen  seL 

Dr  0, 

Dbbsden.]  Am  Gymnasium  Stae  Crucis  war  in  dem  Schulj.  Ostern  1857 
— «^  eineVeränderung  im  Lehrercollegium  nicht  eingetreten.  DerCandidat 
DrTheod.  Vogel  setzte  sein  in  Leipzig  begonnenes  Probejahr  fort,  der 
Cand.  Dr  K.  G.  Lobeck  vollendete  dasselbe  und  der  Cand.  Dr  Frdr. 
K.  Huldgren  begann  es  Mich.  1857.  Die  Schüler  zahl  betrug  am 
Schlüsse  des  Schuljahrs  329  (I  33,  II  36,  III  40,  IV  46,  V  50,  VI  89, 
VII  35,  VIII  26,  IX  24).  Abiturienten  Mich.  1857  3,  Ostern  1858  27. 
Das  Programm  enthält  eine  Abhandlung  von  Dr  G.  Mehnert:  LtUherg 
und  Zwingiis  Streit  über  das  Abendmahlsdogma  (56  S.  8).  Je  weniger  noch 
in  unsern  Tagen  über  die  Natur  und  das  Wesen  des  Streites  über  das 
Abendmahl,  den  Punkt,  in  welchem  die  Differenz  zwischen  der  lutheri- 
schen und  reformierten  Kirche  am  sichtlichsten  hervorspringt,  richtige 
nnd  klare  Kenntnisse  herschen,  je  ungerechter  Luther  selbst  von  sol- 
chen, die  sich  doch  zu  seiner  Kirche  bekennen,  beurteilt  wird,  um  so 
dankenswerther  ist  eine  auf  die  Quellen ,  Luthers  und  Zwingiis  Schriften 
selbst,  begründete  selbst  dem  Nichttheologen  verständliche  Darstellung 
der  Sache,  ^an  kann  dem  Verf.  das  Lob  der  Gründlichkeit  und  Klar- 
heit nicht  versagen  und  wir  hoffen ,  dasz  das  von  ihm  selbst  dargestellt 
Resultat:  ^die  Haltung,  welche  unser  Luther  in  dieser  Streitfrage  ange- 
nommen hat,  ist  von  mancher  Seite  her  mehr  oder  minder  scharf  ge- 
tadelt worden;  und  es  wird  sich  auch  nicht  hinwegdisputieren  lassen, 
dasz  er  zuweilen  seinen  Gegnern  sehr  derb  und  bitter  entgegnet  hat. 
Sehr  viel  von  dem  scharfen  Tone  kommt  zwar  auf  Rechnung  der  Schreib- 
weise jener  Zeit;  wer  jedoch  die  Urkunden  des  Streites  sorgfältig  liest, 
wird  sicherlich  auch  die  Ueberzengung  gewinnen,  dasz  Luther  den  in 
seinem  innersten  Wesen  begründeten  Glaubensstandpunkt  hätte  aufgeben 
müssen,  wenn  er  von  der  Auffassung,  die  er  in  jenem  Kampfe  verfoch- 
ten, zurückgewichen  wäre.  Der  Vorwurf  eines  zänkisch  -  eigensinnigen 
beharrens  auf  seiner  Meinung  trifft  ihn  mit  Unrecht'  das  Eigenthum 
recht  vieler  werden  und  sie  zu  einer  ernsten  Prüfung  der  Wichtigkeit 
des  Dogmas  veranlassen  werde.  R,  D. 

EiSENACH.]  In  dem  Lehrerpersonal  des  Karl-Friedrichs-Gjmnasium 
ist  im  verflossenen  Schuljahre  1857 — 58  nur  die  eine  Veränderung  ein- 
getreten, dasz  an  die  Stelle  des  am  Schlüsse  des  vorigen  Schuljahres 
aus  dem  Lehrerkreise  geschiedenen  Hauptlehrers  der  Vorbereitungsklasse, 
Dr  Meister,  der  an  dem  Gymnasium  in  Weimar  unter  günstigeren  Ver- 
bältnissen in  dieselbe  Stellung  eintrat,  Dr  Schmidt  getreten  ist,  wel- 
cher an  dem  Institute  des  DrMatthiä  in  Altenburg  bisher  Unterricht 
ertbcilt  hatte.  Femer  wurde  der  Mathematicus  Kunze,  welcher  ein8t- 
weilen  mit  Ertheilung  des  Unterrichts  in  der  Mathematik  und  den  Na- 
turwissenschaf t'en  beauftragt  worden   war,    zam  Lehrer  der  genannten 


424  Boriohte  Ober  gelehrte  AntaUen,  VerordJiaBg0B,  «laliA  Holisai. 

WiaseiiBoliaftea  proyisorisch  bestellt  Dm  LebrercoUegiom  bildoi  der 
Director  Hofratb  Dr  Fnnkbänel,  Prof.  Dr  WeisBenborn,  Prof.Dr 
Bein,  Prof.DrWitzschel,  Prof.Dr  Scbwanitz,  Prof.  Dr  Wittich, 
Kunze,  Dr  Schmidt,  die  Hiilfslehrer  Archidiakonus  Kobl  für  den 
Beligionsunterricbt ,  Seminarlehrer  Schmidt  für  das  rechnen,  Bealgym-' 
nasiallehrer  Gascard  für  KalKgraphie  und  das  turnen,  Mosikdirector 
Helmbold  für  Gesang.  Die  Zahl  der  Schüler  betrug  87  (I  10,  U  12, 
III  18,  ly  20,  y  14,  in  der  yorbereitungsklasse  13).  Abiturienten  za 
Ostern:  5.  —  Ein  Kescript  des  groszh.  Staatsministeriums  spricht  aioh 
in  Bezug  auf  die  Maturitätsprüfugen  dahin  aus,  dasz  man  zur 
Zeit  Bedenken  trage ,  die  von  den  Directoren  der  beiden  Landesgymna- 
sien beantragte  Abschaffung  derselben  zu  genehmigen,  dagegen  beab- 
aichtige  sie  wesentlich  abzukürzen.  —  Ein  bald  darauf  folgendes  Rescript 
derselben  Behörde  lautet:  die  Abiturientenprüfungen  werden  bis  auf  wei- 
teres abgekürzt  und  es  gelten  darüber  folgende  Bestimmungen:  I.  Die 
Abiturientenprüfung  zerfallt  in  eine  schriftliche  und  eine  mündli- 
che. Für  die  Schüler  der  Gymnasien  bestehen  die  Aufgaben  der  schrift- 
lich e  n  PrüfuDg  1)  in  einem  deutschen  Auf satze ,  2)  in  einer  freien  la- 
teinischen Arbeit,  3)  in  einer  eorrecten  deutbchen  Uebersetzung  und  in 
einer  formellen  wie  sachlichen  Erklärung  einer  Stelle  aus  einem  grieehi- 
schen  Klassiker,  endlich  4)  in  einem  kürzeren  französischen  Extempo* 
rale.  —  Die  Gegenstände  der  mündlichen  Prüfung  sind  1)  Lateiniich, 
2)  Griechisch,  3)  Mathematik ,  4)  allgemeine  Geschichte  mit  besonderer 
Berücksichtigung  der  alten  griechischen  und  römischen  sowie  der  deut- 
schen; für  Theologen  und  Philologen  5)  Hebräisch.  II.  Der  Maszstab 
der  Anforderungen  ist  durch  das  Glassenziel  der  Prima  gegeben.  HL 
Bei  Bestimmung  der  Entlassungscensuren  entscheiden  Torzugsweise  die 
halbjährlichen  Censuren,  welche  der  Schüler  während  des  zwe^'ährigen 
Unterrichtes  in  Prima  erhalten  hat.  Die  schriftliehe  und  mündliche 
Prüfung  am  Schlüsse  des  zweijährigen  Cursus,  bezüglich  deren  Ergeb- 
nis bildet  einen  Anhaltepunkt  zunächst  für  die  Censuren  des  letzten 
Halbjahres.  ly.  Bei  Feststellung  des  Grades  der  wissenschaftlichen 
Keife  sind  zunächst  die  Kenntnicse  und  Leistungen  in  den  beiden  alten 
Sprachen,  sodann  in  der  Matliematik  und  im  Deutschen  zu  Grunde  za 
legen.  —  Die  Censur  über  das  sittliche  Betragen  ist  durch  das  Urteil 
sämtlicher  ordentlicher  Lehrer  des  Gymnasiums  festzustellen,  y.  Die 
Entlassungszeug^sse  sind  nach  der  beigefügten  Form  auszustellen«  yi. 
yorstehende  Bestimmungen  finden  auch  Anwendung  auf  die  Maturitäts- 
prüfung derjenigen  Inländer,  welche  ihren  Schulcursus  auf  keinem  der 
beiden  Landesgymnasien  vollendet  haben,  jedoch  unter  folgenden  Mo- 
dificationen:  1)  die  schriftliche  Prüfung  erweitert  sich  durch  eine  ma- 
thematische Aufgabe,  die  mündliche  erstreckt  sich  auch  auf  Religion, 
Physik  und  Geographie;  2)  die  Censur  über  das  sittliche  Betragen  ist 
auf  Grund  beizubringender  zuverlässiger  Zeugnisse  und  unter  Hinwei- 
sung auf  dieselben  auszustellen.  —  Die  Abstufungen  der  wissenschaftlir 
chen  Keife  sind:  1)  sehr  gut,  2)  gut,  3)  genügend;  die  des  sittlichen 
Betragens:  1)  sehr  gi^t,  2)  gut,  3)  nicht  ohne  Tadel.  —  Diese  yerord- 
nung  über  die  Maturitätsprüfung  hebt  also  in  entschiedener  Weise  den 
Kern  und  Mittelpunkt  des  Gymnasialunterrichtes ,  den  in  den  alten  Spra- 
ehen,  hervor  und  spricht  das  Princip  aus,  dasz  diese  Prüfung  zwar  in 
formeller  Beziehung  beibehalten  wird,  aber  in  ihrer  Bedeutung  zurück- 
tritt, da  sie  eigentlich  nur  zu  den  Censuren  der  vorhergehenden  drei 
Halbjahre  die  des  vierton  und  letzten  hinzufügt.  Daher  wird  in  dem 
Entlassungszeugnisse  .nicht  das  specicUe  Resultat  der  Maturitätsprüfung, 
sondern  das  Gesamtergebnis  der  CeiTsuren  der  vier  Halbjahre  notiert.— 
Den  Schul nachrichten  geht  voran  eine  Abhandlung  des  Prof.  Dr  Witz- 
Bchel:  das  Fest  der  Sonnenwende  (16  S.  4).    Die  Zeit  der  "beiden  Sonnen« 


Beriohl«.  tlb^r  gelehrte  AnsfadtoD,  VehvdooogeD^  alalut  NotiSMk  425 

wenden  war  dem  Heidenthnme  eine  festliche,  hochheilige  Zeit.  Die  Feier 
der  Wintersonnenwende  gieng  nach  Einführung  des  Christenthams  theils  in 
das  Weihnachtsfest  über,  theils  erscheint  sie  noch  immer  in  Brauchen 
und  Volksglauben,  welche  an  den  bedeutungsrollen  zwölf  Tagen  und 
Nftchten  zwischen  Weihnachten  und  dem  hohen  Neujahre,  den  sogenann- 
ten ^Zwölften'  haften.  Das  alte  Fest  der  Sommersonnenwende  aber  ist 
noeh  vorhanden  und  geborgen  in  Ueberresten  von  uralten  Sitten,  Ge- 
wohnheiten und  Aberglauben,  welche  am  Johannistage  theils  noeh  im- 
mer lebendig  fortbestehen,  theils  im  Andenken  dos  Volkes  und  dessen 
Traditionen  erhalten  sind  und  ohne  Zusammenhang  mit  kirchlichen  Ein- 
richtungen ihre  Wurzeln  in  dem  Heidenthnme  haben.  —  Als  einen  sol- 
chen uralten  Brauch  nennt  der  Vf.  zunächst  die  vormals  übliche  Sitte, 
in  der  Nacht  vor  Johannistag  oder  auch  in  der  folgenden  Nacht  in  Flüs- 
sen und  Quellen  zu  baden  oder  aus  heilkräftigen  Brunnen  zu  trinken. 
Offenbar  habe  dieser  Sitte  der  Glaube  zu  Grunde  gelegen,  dasz  in  die- 
ser Zeit  dem  Wasser  eine  besonders  heilsame  und  reinigende  Kraft  in- 
wohne. Dem  Johannisbade  aber  dürfe  man  nicht  einen  christlichen  Ur- 
sprung beilegen,  darin  nicht  eine  erst  durch  christliche  Ueberlieferung 
eingeführte  Gewohnheit  vermuten.  Dieser  Vermutung  stehe  entgegen, 
dasz  dieses  Bad,  wie  viele  andere  ursprünglich  heidnische  Gebräuche, 
des  Abends  oder  in  der  Nacht  vorgenommen  sei,  abgesehen  von  der 
weiteren  Verbreitung  die  es  gehabt  habe.  Dem  Glauben  an  eine  be- 
sondere Wunderkraft  und  Heilsamkeit  des  Johannisbados  gehe  aber  auch 
eine  gewisse  Scheu  und  Besorgnis ,  Angst  und  Fm'cht  vor  dem  Elemente 
des  Wassers  zur  Seite,  die  in  der  unter  dem  Volke  viel  verbreiteten 
Vorstellung  ausgesprochen  sei,  dasz  Seen,  Flüsse  und  Bäche  ganz  be- 
sonders am  Johannistage  ihre  Opfer  haben  müsten.  Der  Vf.  will  nicht, 
wie  Grirara,  in  der  Forderung  dos  jährlichen  Opfers  eine  Hinweisung 
auf  wirkliche  dem  Nichus  in  uralter  heidnischer  Zeit  gebrachte  Menschen- 
opfer finden,  sondern  vielmehr  eine  Aeuszcrung  des  erzürnten  und  un- 
versöhnten Wassergeistes  erblicken,  welcher  die  Ueberschreitnngen  der 
Menschen  in  seinem  Bereiche  rächend  und  strafend  verfolge.  Demnach 
faszt  er  den  Sinn  und  die  Bedeutung  des  Wassercultus ,  wobei  Opfer 
nnd  Gaben  nicht  fehlen,  im  ganzen  entweder  als  eine  Versöhnung  für 
die  dem  Wassergeiste  zugefügte  Gewalt  oder  auch  als  einen  Ausdruck 
der  Dankbarkeit  auch  für  die  Nachsicht,  Huld  und  Milde,  welche  nicht 
nur  Eingriffe  gestattete,  sondern  auch  gesunde  und  erfrischende  Gaben 
spendete«  Das  Fest  der  Sonnenwende  habe  nun  ebenfalls  und  vielleicht 
ganz  besonders  zu  den  Tagen  gehört ,  an  welchen  alljährlich  dem  Was- 
ser eine  allgemeine  Verehrung  zu  Theil  wurde.  Jener  volksthümliche  « 
Glaube  an  das  am  Johannistage  und  zu  andern  bestimmten  Zeiten  ge- 
forderte  Menschenopfer  könne  wol  auch  hervorgerufen  sein  aus  der  Vor- 
stellung ,  dasz  der  Wassergeist ,  über  die  unter  dem  Einflüsse  des  Chri« 
stentliums  unterlassenen  und  abgestellten  Opfer  an  diesem  Tage  erzürnt 
und  aufgebracht ,  für  die  vormals  freiwillig  dargebrachte  Verehrung  und 
Qabe  nun  ein  gezwungenes  Menschenopfer  heische.  Der  Vf.  geht  dann 
au  dem-fast  durch  ganz  Europa  hin  verbreitete!^  sog.  Johann  is-  oder 
Sonnenwendfeuer  über,  von  dem  zwei  verschiedene  Formen  vor- 
kommen: ^euerräder  und  Scheiterhaufen,  und  bespricht  dann 
noch  "einige  andere  in  einzelnen  Gegenden  von  Deutschland  übrig  ge- 
bliebene Johannisgebräuche ,  wie  Johannisbäume  u.  a.  Alles  dieses  lasse 
den  Tag  der  Sonnenwende  als  einen  unscrn  heidnischen  Vorfahren  hoch- 
wichtigen,  heiligen  Jahresabschnitt  erkennen,  dessen  im  Volke  tief 
wurzelnde  Bedeutung  ein  christliches  Fest  nach  und  nach  habe  verwi- 
schen nnd  ersetzen  sollen.  Davon  überzeuge  noch  recht  deutlich  der 
Volksglaube ,  welcher  diesem  Tage  eine'  ganz  besondere  Wunderkraft 
und  Zauberpraoht  beilege.  ^^  0, 


426  Beridita  ttber  gelehrte  Anitalten,  Verordnongeo,  Btatbt  NoIiMi. 

Nassau.]    Ueber  die  Nassaalscben  Gymnasien  berichten  wir  nach 
den  Programmen  aus  dem  Schuljahre  185(V--67.     1.  Dillenburg.   Das 
Lehrerpersonal  des  Paedagogiums  blieb    in  dem   Schuljahre   1856—57, 
wie  schon  seit  mehreren  Jahren,  unyerändert.    Dasselbe  besteht  nem- 
lich  aus  dem  Bector  L a d e,  Gonrector  Ilgen,  den  Collaboratoren  Tho- 
mas   und  Friede  mann,    Pfarrer    Ilgen    evangel.    Religionslehrer, 
Pfarrer  Müller    und    Pfarrverwalter   Beichwein    kathol.    Beligions- 
lehrem ,  Schreiblehrer  W i n n e n ,  Zeichenlehrer  Herrmann  und  Gesang- 
lehrer Koch.    Die  Zahl  der  Schüler  belief  sich  am  Schlüsse  des  Schid- 
Jahres  auf  45  (I  5,  U  14,  lU  7,  IV  19).    Den  Schulnachrichten  geht 
voraus  die  Abhandlung  des  CoUaborators  Thomas:   de  Knguae  Laknae 
casibus  (24  S.  4).     Der  Verf.   stellt  in  dieser  Untersuchung   eine  neue 
Ansicht  über  die  Natur  und  Bedeutung  der  Casus  in  der  lateinischen 
Sprache  auf,  zunächst  des  Ablativ,  Dativ  und  Genetiv.    Um  nicht  den 
Umfang  einer  Programmschrift  zu  überschreiten,    will  er  eine  gleiche 
Untersuchung  über  Accusativ ,  Vocativ  und  Nominativ  erst  sp&ter  fol- 
gen lassen.    Der  Verf.  bat  sidi  auf  ein  schwieriges  Feld  begeben,  des- 
sen Bearbeitung  einen  kräftigen  Arm  erfordert.    Aber  wenn  auch  durch 
seine  Auseinandersetzungen  diese  so  schwierige  und  verwickelte  Frage 
ebenso  wenig,  wie  durch  die  Behandlung  seiuer  Vorgänger,   zu  einem 
völlig  befriedigenden  Abschlusz  gekommen  ist,  so  ist  doch  dieser  neue 
Beitrag  als  eine   erwünschte  Gabe  aufzunehmen.    Der  Ablativ  bezeich- 
net nach  des  Verf.  Ansicht  im  allgemeinen,  dasz  eine  Sache  als' seiend 
oder  vorhanden  seiend  (im  weitesten  Umfange)  angenommen  wird  und 
in  dieser  Bedeutung  Bezug  auf  ein  Prädikat  hat.    Also  Cic.  de  legg.  I 
§  22  quid  est  autem,  non  dicam  in  homine,  sed  in  omni  caelo  atqne  terra 
raUone  divinius?    Was  ist  aber,  ich  will  nicht  sagen  i^  einem  Menschen, 
aondem  in  dem  ganzen  Himmel  und  auf  der  Erde  dieVernunftseiend 
gesetzt  oder  gedacht,  oder  besser:  die  Vernunft  angenommen, 
göttlicher  ?  de  fin.  V  38  ratione ,  qua  nihil  est  in  homine  divinius ,  d.  \u 
welche  angenommen  (gedacht  oder  als  seiend  gesetzt)  es  nichts  gött- 
licheres in  dem  Menschen  gibt. — Aus  dieser  Grundbedeutung  wird  dann  wei- 
ter abgeleitet  der  ablativus  causae,  instrumenti,  conditionis,  temporis,  loci, 
comparationis ,  materiae,  pretii.    Ein  groszer  Irthum  sei  es  anzunehmen, 
dasz  durch  den  Ablativ  an  und  für  sich  irgend  ein  logisches  Verhältnis 
ausgedrückt  sei.    Der  Verf.  geht  darauf  zum  Dativ  über  und  sucht  zu- 
nächst nachzuweisen,  dasz  die  alte  lateinische  Sprache  den  Dativ  über- 
haupt nicht  gehabt,   sondern   dasz  dessen  Stelle  der  Ablativ  vertreten 
habe,  dasz  also  erst  später  der  Dativ  aus  dem  Ablativ  entstanden  sei, 
während  umgekehrt  Beisig,  G.  Hermann,  Düntzer  n.  a.  den  Ablativ  ans 
dem  gpriechischen  Dativ,   welcher  die  Bedeutung  des  lateinischen  Dativ 
und  Ablativ  in  sich  fasse,*  entstehen  lassen   wollen.    Düntzers  Ansicht 
(Lehre  von  der  latein.  Wortbildung)   ist  bekämpft  von  Weiszenborn  in 
der  Becension  (Ztschr.  f.  d.  Alterthumsw.  1836  Decbr.  Nr.  148  p.  1189), 
Beimnitz ,  Benary  u.  a.    G^en  die  eine  wie  gegen  die  andere  Annahme 
ist  geltend  zu  machen,  dasz  die  Bildung  eines  neuen  Casus,   zumal  in 
so  später  Zeit,  wie  es  beim  lat.  Ablativ  anzunehmen  wäre,  nicht  wahr- 
scheinlich ist ,  da  die  Sprachen  im  Laufe  der  Zeit  an  der  ursprünglichen 
Fülle   der  Formen  eher  verarmen  als  zunehmen.     Auszerdem  fühjrt  das 
Sanskrit  (der  Verf.  will  jedoch  von  einer  derartigen  Hiweisnng  nichts 
wissen)  darauf,  dasz  Dativ  und  Ablativ  vom  Ursprung  her  verschieden 
waren  und  dasz  mithin  die  vorkommenden  Verwechselungen  ihrer  For- 
men nur  in  der  Aehnlichkeit  derselben  und  in  der  nahen  Verwandtschaft 
der  Bedeutung  ihren  Grund  haben.    Vgl.  Haaso  zu  Beisigs  Vorles.  §  54« 
65.  66.    Der  Verf.  will  jedoch  nicht  blos   den  Dativ  ans  dem  Ablativ 
herleiten,  sondern  glaubt  aus  mehrfachen  Spuren  den  Schlusz  ziehen  zu 
können,  dasz  sämtliche  casus  obliqui  allmählich  aus  dem  Ablativ,  in  dem 


Baridito  Aber  gelehrte  Anstalten,  Verordnnngen,  Statist  Notiteo.  427 

sie  gleichsam  in  folliculo  quodam  noch  unentwickelt  und  noch  nicht  nn- 
tersohieden  enthalten  gewesen,  herYprgegangen  und  sich  211  selbständi- 
gen Casus  entwickelt  hätten.    Der  Dativ  soll  sich  nun  vom  Ablativ  so 
unterscheiden,  dasz  er  nicht  eine  Sache  als  seiend  oder  gedacht  hin- 
■teUe,    sondern  dasz   er  sie  einer  andern  Person  od^  Sache,    die  mit 
irgend  einem  Pädikat  verbunden  ist,  gegenüberstelle.    Diese  ursprüng- 
liche Bedeutung  des  Dativ  lasse  sich  überall  wahrnehmen  und  sowol  hier- 
aus als  besonders  aus  der  völligen  Gleichheit  der  äuszeren  Form  beider 
Casus  die  nahe  Verwandtschaft  derselben  erkennen.    Daher  sei  es  auch 
nicht  zu  verwundern ,  dasz  man  selbst  bei  den  besten  Autoren  bisweilen 
da  den  Ablativ  finde ,  wo  man  nach  dem  gewöhnlichen  Sprachgebrauche 
den  Dativ  erwarten  sollte,  z.  B.  Hör.  Serm.  I  6,67.  Cic.  Fam.VII  13,2« 
liiv.  XXX  13.  XLII  28.     Auffallend  erscheint  es,  dasz   der  Verf.  dem 
Dativ,   den  er  doch  vom  Ablativ  herleitet,  nicht   auch  wie  letzterem 
eine  doppelte  Form  zugesteht,  so  dasz  er  e  und  t  hätte,   ein  Schritt, 
den  freilich  Beisig  nicht  thun  durfte,  da  nach  ihm  der  Ablativ  erst  aus 
dem  Dativ  entstanden  ist  mit  geringer  Veränderung  der  Deutlichkeit  we- 
gen.   Dasz  aber  in  den  vom  Verf.  angeführten  Stellen  der  Ablativ  die 
unzweifelhaft  richtige  Lesart  sei,  ist  schwer  zu  beweisen,  da  eine  Ver- 
wechselung von  e  und  t  für  die  Abschreiber  sehr  nahe  lag,  wie  denn 
auch  das  hierbei  nicht  berücksichtigt,  was  Schneider  S.  200  ff.  zur  Be- 
gründung des  Dativ  in  e  angeführt  hat.    Ebenso  nimmt  auch  Haase  an, 
dasz  bei   der   auch  sonst  nicht   seltenen  Verwechselung  des  e  und  t  in 
Endungen,  wie  here  und  ?ierif  mare  für  mari  usw.  zunächst  ein  gewisses 
schwanken  entstanden  zwischen  dem  Dativ  und  dem  Ablativ,  bis  sich 
das  e  für  den  letzteren  in  der  Schriftsprache  festgesetzt;  demnach  könnte 
in  alten  Gesetzformeln  wol  iure ,  aere  usw.  für  den  Dativ  stehen.    Jenes 
schwanken  habe  in  der   ungebildeten  Volksmasse  auch  später    fortge- 
dauert, daher  stehe  auf  Inschriften  patre,  corUuge  usw.  für  patri^  coniugiy 
als  längst  kein  gebildeter  mehr  solche  Dative  gebraucht  habe.  —  Wie 
der  Dativ,  soll  nun  auch  weiter  der  Genetiv  der  ältesten  Sprache  der 
Kömer  gefehlt  haben ,  zumal  da  dieser  in  seiner  Anwendung  und  in  sei- 
nem Verständnis  schwieriger  sei  als  der  Dativ.     Der  wenigstens  mit 
Substantiven  verbundene  Genetiv  bezeichne  nichts  anderes,  als  subiectum 
aliquod  cum  praedicato  cogitcUione  esse  coniunctum  et  in  breve  contracium» 
Eine  in  der  That  weit  gehende  und  nicht  recht  verständliche  Definition! 
Zu  erwähnen  ist,  dasz  der  Verf.  in  der  Darstellung  des  Genetiv  im  all- 
gemeinen mit  B  u  m  p  e  1 :  die  Casuslehre  in  besonderer  Beziehung  auf  die 
griech.  Sprache   dargestellt,  Halle  1845.  übereinstimmt,  während  er  in 
den  meisten  andern  Fällen  von  dessen  Ansicht  abweicht.  —  2.  Hada- 
mar.    Das  Personal  der  Lehrer  des  Gymnasiums  ist  in  dem  Schuljahre 
1850 — 1857  unverändert  geblieben.    Das  Lelftercollegium  bildeten:  Dir. 
Beg.-Rath  Kreizner,   Prof.  Schmitt,   Prof.  Bellinger,    Prof.  Dr 
Sporer,  ao.  Prof.  Barbieux,   die  Conrectoren  Bill,  Meister,  Co- 
lombel,  Dr  Deutschmann,  Collab.  Bogler,  Elementarlehrer  Wep- 
pelmann,  Zeichenlehrer  Diefenbach,  Gesangl.  Wagner.     Den  Re- 
ligionsunterricht ertheilten  für  die  kath.  Schüler  der  Priester  Sc  hm  eis- 
eis, für  die  evang.  Pfarrer  Schellenberg.     Als  Praktikant  ist  dem 
Gymnasium   zugewiesen   der  Lehramtscand.  Hetzel.    Die  Schülersahl 
betrug  am  Schlüsse  des  Schuljahres  131,  und  zwar  100  kath.,  19  evang. 
3  isr.  (I  16,  II  18.  HI  18,  IV  19,  V  16,  VI  19,  VII  25).     Abiturienten 
Ostern  1856  10.    Dem  Jahresbericht  ist  vorausgeschickt  eine  Abhand- 
lung vom  Dir.  Kreizner:  de  scriptoribus  Graecis  et  Romanis  caute  legen- 
dU  (17  S.  4).   Zunächst  wird  die  Frage  behandelt:  quinam  sint  Ubrivel 
iihrarum  partes  vel   loci  de  qtabus  hoc  loco  quaeratur^   deinde   quos  et  a 
quibus  legi  oporteat.    Das  Resultat  der  Hauptfrage  ist:   ^maneant  igitnr 
antiquitatis  Graecae  et  Bomanae  scriptomm  libri^  integri  et  immutati, 


428  Berichte  aber  gelehrte  Anstalten  ^  Verordnnngen,  Btatisl.  IfoftuMB. 

qaales  adhne  faemnt,  et  posthao  in  manibns  noBtromm  diieipiil<Mnim; 
«pectati  enim  et  probatl  diatomo   saeculorum   nsu,   in   perpetnum  ad 
mentes  doctrina,  virtute  animos   excolendoa  inexhausti  emnt  thesanii, 
qoi  nnlla  nnqnam  alia  re  compensari  yel  resarciri  queant.    Neo  vero 
pericola,  qnae  hinc  illinc  rernm  verbonimve   obecoenitate  metni  poiM 
▼ideantnr,  ipsomm  imminnant  nsnm,    qnamdiu,   qnae  noeere  poBsint, 
oaveri  poternnt  et  sanari  disciplinae  ratione  et  consilio  ezperientiaque 
magistri.'    Der  Vf.  hat  sich  alles  gelehrten  Apparats  enthalten ,  obgleich, 
wie  er  sagt ,  es  nicht  schwierig  gewesen  wäre ,  das  zu  wiederholen,  was 
von  gelehrten  Männern  des  griechischen  und  römischen  Alterthoms  wie 
der  neueren  Zeit  für  seine  Ansicht  yorgebracht  sei.   —  3.  Weilbnrg. 
Im  Lehrerpersonale  kamen  im  Schnlj.  1850—57  folgende  Yeränderangea 
vor:   der  unter  dem   14.  März  v.  J.  in  den  Quiescentenstand  versetzte 
Prorector  Schmidtborn  verschied  am  3.  Juni  d.  J.    Elementarlehrer 
Pnlch   wurde  an  die  höhere  Töchterschule  zu  Wiesbaden  versetzt;  an 
seine  Stelle  trat  Elcmentarlehrer  Sauer  von  Hochheim,  Seallehrer  Dr 
Eickenmeyer  wurde  zum  Conrector  ernannt.    Der  Candidat  der  Phi- 
lologie Brandscheid  setzte  seinen  in  Hadamar  begonnenen  Probecnr- 
•us   an   dem   hiesigen   Gymnasium  fort.    Das  Lehrercolleg^um   besteht 
daher  gegenwartig  aus  folgenden  Mitgliedern:   Geh.  Reg.-K.  Dr  M eti- 
ler Director,   Oberschulrath  Muth,  Prof.  Krebs,  Prof.  Schenk,  die 
Conrectorcn  Schulz,  Francke,  Stell,  Becker,  Dr  Eickemejer« 
Collab.  Otto,  Hülfslehrer  Sauer,  Gand.  Brand  scheid,  Gesang- und 
Musiklehrer  Drös,  Zeichenlehrer  Durst,   Turnlehrer  Lieb  ich.  Seit» 
lehrer  Stroh.     Hierzu   kommen   die   Religfionslchrer   Stadtpfarrer    und 
Schulinspector  Dörr  für  die  evang.  Schüler,  Pfarrer  Stell  für  die  ka- 
tholischen.   Die  Zahl  der  Schüler  betrug  am  Schlüsse  des  Schuljahres 
114,  darunter  104  evang.,  7  kath.,  3  Israel.  (I  16,  II  24,  III  11,  IV  17, 
y   13 ,   VI  18 ,  VII  15).     Abiturienten  6.  —    Dem  Jahresbericht    geht 
voran  eine  Abhandlung  vom  Conreotor  Becker:  le  subjonctif  franpaii 
compari  au  conjonctif  latin  (19  S.  4).   Kcmarque  generale  sur  le  subjonctif. 
It   Du  subjonctif  employ^  dans  les   propositions    absolues  et  dana  lef 
principales.    II.  Du  subjonctif  eraployd  dans  les  propositions  snbordon- 
n^es.  A.  Propositions  circonstantielles.    III.  B.  Propositions  compl^tives« 
IV.  Du  subjonctif  dans  les  propositions  li^es  par  le  pronom  relatif.    V. 
Style  indirect.  — •  4.  Wiesbaden.    A.  Der  dem  Gelehrten -Gymna- 
sium zur  Aushülfe  beigegebene  Candidat  der  Philologie  Biehl  verlieea 
die  Anstalt,  da  er  eine  Anstellung  in  Oesterreich  gefunden  hatte.    An 
die  Stelle  des  versetzten  Eiern entarlehrcrs  Christ  trat  der  ElementarL 
Reichard.    Bei  dem  Anfang  des  Schuljahres  wurde  der  Candid.  Hil le- 
hr and  dem  Gymnasium  zur  Abhaltung  seines  Probecursus  zugewiesen. 
Am  4.  April  erlitt  die  AnAalt  einen  groszen  Verlust  durch  den  Tod  des 
evangelischen  Pfarrers  und  Decans  Kirchenraths  Dr  Schultz,  welcher 
seit  1842  den  Religionsunterricht  in  den  vier  Unterklassen  ertheilt  hatte* 
Nachdem  diesen  Unterricht  der  Pfarrer  S  teub in g  .auf  kurze  Zeit  über- 
nommen,  wurde  bald  darauf  der  gesamte  evangelische  Religionsunter- 
richt dem  Kirchenrathe  Die  tz  übertragen,  in  Folge  dessen  der  bisherige 
evangelische  Religionslehrer  der  Oberklassen  Pfarrer  Köhler  von  der 
Anstalt  schied.     Das  Lehrercolleginm  besteht  demnach  gegenwärtig  ans 
folgenden  Mitgliedern:   Oberschulrath  Lex   Director,   den  Professoren 
Schmitthenner,    Dr   Cnntz,    Kirschbaum,    Prorector   Spiess, 
Oberlehrer  Gl  ander,  Conrector  Bernhardt,  den  CoUaboratoren  Sey- 
berth,  Ebhardt,  Wagner,  Praktikanten  Hillebrand,  Elementar- 
lehrer Reichard,  Zeichen-   und  Turnlehrer  Casp^e.    Auszerdem  er- 
theilen  der  Kirchenrath  Dietz  den  evangelischen,    Caplan  Lorsbaeh 
den  katholischen  Religionsunterricht.    Die  Zahl  der  Schüler  betrug  177, 
darunter  137  evang.,  36  kath.,  1  deutsch-kath.,  1  Israel.  (I  0,  II  313,  III 


Beridiie  fiber  gelehrte  Anstalten,  Verordnongen,  staust.  Notisen.  420 

28,  IV  13,  V  28,  yi  27,  VIl  45).  Abiturienten  8.  Den  Scbnlnaefarieh* 
ten  geht  yoran:  de  rebus  Judaieis,  Part.  IL  De  arigine  gentiä  Judaicaey 
▼on  dem  Prof.  Schmitthenner  (16  S.  4).  A.  De  gentU  Jndaiea« 
ainsqne,  quam  incolebat,  terrae  nominibos,  quibus  ethnioi  soriptorea 
Qraaoi  et  Latini  usi  sunt.  B.  De  origine  gentis  Jmdaicae  qaae  tradide- 
nint  ethnici  scriptores  Graeci  et  Latini.  I.  Jndaei  oriundi  snat  a  b«» 
pientibns  Indomm.  II.  Judaei  ori^em  habent  a  8parto  Udaeo.  III. 
Anetor  gentia  Jndaicae,  Jadaens,  hoiusqae  frater  Idamaeas  annt  filii 
Samiramia.  IV.  Auetores  gentis  Judaicae,  Jadaens  et  Hierosoljmna, 
annt  filii  Typhonis.  Y.  Judaei  sunt  Greta  insula  profugi.  VI.  Judaei 
origtnem  ducnnt  a  Solymis.  VII.  Judaei  sunt  proles,  Aethiopum.  VIII. 
Jndaei  annt  Assjrii  -convenaa.  IX.  Judaei  sunt  colonia  Aegjptiomro. 
Der  Titel  des  ersten  im  Jahre  1844  als  Programm  des  Gymnasiuma  sa 
Weilbnrg  erschienenen  Theils  dieser  Abhandlung  lautet:  Percensenher 
eihnid  scriptores  Graeci  et  Laürd^  gtä  de  rebus  Judaicis  oonanemorarunt  vel 
cemmemorasse  dicuniur.  Benutzt:  Movers,  die  Phönicier  und  J.  G.  MüU 
1er  Untersuchung  der  Taciteischen  Berichte  über  den  Ursprung  der  Juden ; 
in  den  theo).  Stud.  u.  Krit.  1843,  4.  Heft,  S.  893  ff.  Neues  führt  die 
Untersuchung  nicht  zu  Tage;  der  Verf.  selbst  macht  auf  kein  weiterea 
Verdienst  Anspruch,  als  ^ collectionis  et  compositionis^.  —  B.  In  dem 
Realgymnasium  zu  Wiesbaden  sind  im  Schuljahre  1856 — 57  folgende 
Veränderungen  eingetreten:  der  Candidat  des  höheren  Reallehrerfacha 
Unverzagt  gieng  nach  Paris,  um  sich  dort  für  die  neueren  Sprachen 
aowie  auch  für  die  Mathematik  und  die  Naturwissenschaften  noch  wei* 
ter  auszubilden.  Zu  dessen  Ersatz  wurde  der  Candidat  Krebs,  bisher 
an  dem  Gymnasium  zu  Hadamar,  dem  hiesigen  Realgymnasium  über* 
wiesen.  Auszerdem  leistete  Aushülfe  der  Candidat  Dr  Wenzel.  Daa 
Lehrer collegium  der  Anstalt  bildeten  im  verwichenen  Schuljahre:  Dir. 
Oberschulrath  Dr  Müller,  die  Professoren  Lüdecking,  Ebenau, 
Greisz,  die  Conrectoren  Dr  Cass&lmann,  Sandberger,  Polack, 
Collaborator  Monges,  Sprachlehrer  Mi  Ine,  die  Reallehrer  Becker, 
Leyendecker,  die  Candidaten  Krebs,  Dr  Wenzel,  die  Zeichenleh- 
rer Scheuer,  ▼.  Bracht,  Gesanglehrer  An  t  he  s.  Die  Zahl  der  Schüler 
betrug  145  (I  9,  II  14,  lU  24,  IV  27,  V  28,  VI  27,  VII  16),  Hospi- 
tauten  13.  Abittirienten  4.  Den  Schulnachrichten  geht  roran:  Franz 
Bacons  Standpunkt  und  Methode,  vom  Conrector  Polack  (29  8.  4).  Der 
Verf.  hat  den  Weg  verfolgt ,  auf  welchem  Bacon  zu  seiner  Reform  und 
Methode  hingeführt  ward,  und  sodann  seinen  Ausgangspunkt,  seine  Idee 
von  der  Wissenschaft,  sein  philosophisches  Princip  und  'seinen  Gegen- 
satz gegen  die  Hauptrichtungen  der  Forschung  seiner  Zeit,  sowie  den 
allgemeinen  Charakter  seiner  Methode  kennen  gelehrt.  Die  Lösung  der 
zweiten  Aufgabe,  die  inductive  Methode  selbst  darzustellen,  soll  später 
folgen.  Dr  0. 


Personalnotizen. 

Ernennanfpen«  Befttrderanfpen «  Teraelsanfpen  t 

Baner,  Andr.,  Suppl.  am  kk.  Gymn.  zu  Pisek,  zum  wirkl. Lehrer 
an  ders.  Anst.  befördert. —  Bippart,  Dr  Ge.,  auszerordentl.  Prof.  der 
klass.  Philologie  an  der  Universität  zu  Prag,  zum  ord.  Prof.  desselben 
Faches  ebend.  befördert.  —  Blackert,  Dr  Ge.,  Gymnasiallehrer ,  zu 
Rinteln  in  Karhessen ,  zum  wirkl.  Lehrer  am  kk.  Gymn.  zu  Czernowitz 


430  Personalnotizen. 

em.  -^  Cobensl,  Jos.,  Snpplent  am  Gfymn.  San  Procolo  zu  Venediff, 
zxun  wirkl.  Lehrer  am  Gymn.  zn  Zara  em.  —  Dippe,  Dr,  Oberlehrer 
am  Gjmn.  Fridericianum  zu  Schwerin ,  zum  Hofrath  und  Referenten  dea 
Hinisterioms  für  Handels-  und  Gewerbeangelegenhciten  ebend.  ernannt. 
—  Gamm,  Oberlehrer  an  der  Bürgerschule,  zum  Lehrer  am  Gymn.  zu 
Zittau  em.  —  Herbst,  ord.  Prof.  der  Rechtsphilosophie  und  des  österr. 
Strafrechts  an  der  Univers.  in  Lemberg,  in  gleicher  Eigenschnft  an  dia 
Uniy.  zu  Prag  versetzt.  —  Kalincsak,  Job.,  Rector  der  evang.  Prir 
yatlehranstalt  zu  Modem,  zum  wirkl.  Lehrer  und  provisor.  Direotor  am 
evang.  Staatsgymn.  zu  Teschen  em.  —  Kleine,  Flor.,  Priester,  znm 
zweiten  Religionslehrer  am  kathol.  Staatsgymn.  zu  Hermannstadt  em.  -^ 
Oberweis,  Dr  Jos.,  Privatdocent,  zum  ao.  Prof.  des  deutfchen  Pri- 
yatrechts  an  der  Univ.  zu  Innsbmck  em.  —  Politeo,  Ge.,  Lehrer  am 
Gymn.  zu  Spalato,  an  das  kk.  Gymn.  di  Sta  Eaterina  in  Venedig  ver- 
setzt. —  Schulze,  Dr,  Lehrer  am  Progymnasium  zu  Chemnitz,  zum  10« 
Lehrer  am  Gymn.  Friderician«m  in  Schwerin  ern.  —  Vogel,  Dr  Theod., 
Lehrer  am  Krause* sehen  Institut  zu  Dresden,  zum  Lehrer  am  Gjrmn.  zu 
Zittau  em.  —  Wolf,  Wenz.,  Snpplent  am  kk.  Gymn.  zu  Eger^  sum 
wirkl.  Lehrer  an  ders.  Lehranstalt  befördert. 


Gestorben  t 

Am  31.  März  zu  Gent  Dr  J.  B.  Mareska,  Prof.  d.  Chemie  an  der 
das.  Universität.  —  Am  13.  Apr.  zu  Neapel  der  bekannte  kath.  Missio- 
nar, Generalvicar  für  Central -Afrika,  Dr  Ign.  Knoblecher,  geb.  in 
Krain  am  6.  Juli  1810.  —  Am  25.  Apr.  zu  Marburg  in  Steiermark  der 
provis.  Dir.  des  das.  Gymn.  Ge.  Mally,  im  Alter  von  66  J.  —  Am  11« 
Jun.  in  London  der  ausgezeichnete  Botaniker  Robert  Brown,  HitgL 
vieler  gelehrter  Gesellschaften ,  geb.  1773.  —  Am  13.  Juni  in  Wiesbaden 
der  gewesene  Director  des  Realgymn.  zu  Eisenach,  Educationsrath  Dr 
Ed.  Mager,  bekannt  durch  seine  Lehrbücher  und  die  von  ihm  begrün- 
dete pädagogische  Revue.  —  In  Berlin  starb  der  Generalsuperintend. 
der  Provinz  Pommern,  evang.  Bischof  Dr  Ritschi,  im  75.  Lebens j. —^ 
Am  18.  Juni  ebendas.  der  bekannte  Archäolog,  Akademiker  Prof.  Dr 
Theod.  Panofka.  —  Am  10.  Juni  in  Jena  der  Prof.  der  Med.  Gcdi. 
Hofrath  Dr  Huschke. 


P» 


Zweite  Abtheilung 

hmugcgebcB  rra  Radtlph  Dietseh. 


1  ■' 


30. 

Aede  des  k.  Studienrectors  Dr  Döderlein,  gehalten  bei 
der  öfTentlichen  Preisvertheilung  am  6.  August  1858 

zu  Erlangen. 


Hochgeehrte  Versammlung! 

Unser  Schuljahr  und  mit  ihm  unsere  Jahresarbeit  endet  mit  dieser 
Stande,  zu  deren  Mitfeier  wir  Sie  geziemend  eingeladen.  Jeder  unserer 
Zöglinge,  deren  Pflege  Sie  bisher  mit  uns  theilten,  kehrt  für  nicht  kurzo 
Zeit  aus  unserer  Ordnung,  der  er  10  Monate  lang  gehorcht  ohne  dabei 
der  Freiheit  zu  entbehren ,  unter  Ihre  ausschlieszliche  ßotmaszigkeit 
sarflck  und  soll  da  die  angenehme  Freiheit  genieszen  ohne  der  nütz- 
lichen Ordnung  sich  zu  entfremden.  Möge  ihnen  beiderlei  Zeit  zur 
Freude  und  zum  Segen  geworden  sein  und  werden! 

Ein  Rückblick  auf  das  heute  abgeschlossene  Jahr  mahnt  Sie  wie 
uns  an  den  schmerzlichen  Verlust  eines  vieljährigen  theuren  Amtsge- 
■ossen*),  der,  nach  längeren  Leiden  durch  einen  sanften  Tod  den  Sei- 
Digen  und  uns  entrissen,  im  dankbaren  Gedächtnis  vieler  Herzen  fort- 
lebt. Dies  war  die  einzige  nennenswerthe  Störung  unseres  Lebens; 
mid  rechtzeitig  hatte  die  königliche  Fürsorge  jene  geschwächte  Lehr- 
kraft für  den  Augenblick  durch  einen  tüchtigen  Verweser '*"*') ,  wie  für 
die  kommende  Zeit  durch  einen  geachteten  Nachfolger  ersetzt,  so  dasz 
die  Sache  selbst,  die  der  dahingeschiedene  vertrat,  nicht  zu  Schaden 
kam.  Auf  anderem  Wege  ward  noch  ein  anderer  langverdienter  Mit- 
arbeiter ^*^)  von  uns  genommen ,  um  ein  eben  so  gutes  Andenken  in 
Erlangen  zu  hinterlassen ,  als  er  für  Erlangen  selbst  bewahrt.  So  hat 
unser  Lehrerverein  heute  ein  anderes  Aussehen  als  am  Schlusz  des 
Vorjahrs,  Jedoch  ohne  sein  Inneres  geändert  zu  haben,  da  dieselbe 
Einigkeit  der  Ueberzeugungen  und  Gesinnungen  herscht  wie  vordem. 
Auch  eines  erwünschten  Fortschrittes  zu  erwähnen  fordert  schon  die 


*)  Dr  Flaminin  Gl  asser,  Professor  der  Mathematik.     **)  Alois  Zieg- 
ler, cand.  math.        ***)  Dr  Carl  Bayer,  Gymnasialprof.  in  Hof. 

iV.  Jahrb.  f,  PhU.  u.  Paed,  Bd  LXXVIU.  Bft  9.  29 


432  Rede  von  Döderlein. 

Pflicht  der  Dankbarkeit.  Was  ich  öfter  von  dieser  Stalte  aus  als 
Wunsch  aussprach,  es  möge  der  Geistesbildung,  unserem  nächsten 
und  Hauptberuf,  eine  entsprechende  Pflege  und  Ausbildung  des  Kör- 
pers als  wolthätiges  Gegengewicht  zur  Seite  stehen,  durch  ein  fröh- 
licheres gedeihen  des  Turnwesens,  das  geht  seiner  Verwirklichang 
entgegen.  Die  ebenso  erleuchtete  als  wolwoUende  Staatsregierang, 
welche  für  die  kleinsten  Bedürfnisse  der  Schulen  ein  gleich  offenes 
Ohr  hat,  wie  unser  erhabener  Landesfürst  ein  offenes  Aug'e  für  das, 
was  der  Wissenschaft  im  groszen  noth  thut,  sie  hat  reichliche  Mittel 
bewilligt  um  einen  Turnplatz  nach  den  gesteigerten  Ansprüchen  der 
Zeit  und  der  Kunst  herzustellen,  und  den  Unterricht  selbst  in  die  Binde 
eines  nicht  blos  geübten,  sondern  für  die  Sache  auch  begeisterten  Leh- 
rers'^) gelegt.  Der  Jugend  ist  es  nun  anheimgegeben,  die  dargebotene 
Hand  zu  ergreifen  und  zu  beweisen,  dasz  sie  nicht  blos  jung  sondern 
auch  jugendlich  sei,  und  den  Satz  zu  bewahrheiten,  dasz  eine  edle  Be- 
geisterung ansteckend  wirkt.  Die  jüngst  gegebenen  Proben  lassen  das 
erfreulichste  hoffen. 

Doch  will  ich  hier  nicht  der  Körperkraft  eine  Lobrede  halten. . 
S  i  e  bedarf  keines  Lobes,  keiner  Nachweisung  ihrer  Unentbehrlichkeit; 
Denn  so  oft  auch  in  Zeiten  der  Barbarei  die  Geisteskraft  der  ihr  ge- 
bührenden Achtung  entbehrte,  so  war  doch  die  Körperkraft  zu  kei- 
ner Zeit  verachtet,  auch  nicht  in  den  Zeiten  allgemeiner  Verweich- 
lichung, wo  sie  sich  vernachlässigt  sah.  Aber  wie  Stärke  nieht 
der  einzige  Vorzug  des  Körpers  ist  und  sogar  in  plumpe  Rohheil  aas- 
artet, wenn  sie  nicht  mit  einem  andern  Element  sich  paart,  mit  Anmat, 
die  oft  einem  Mangel  an  Kraft  ähnelt,  so  ist  es  auch  mit  Geist  nnd 
Seele.  Erst  der  Verein  von  Kraft  und  Milde  und  das  Ebenmasz  beider 
macht  den  wahren  Menschen.  Denn  die  Milde,  hinter  welcher  keine 
Kraft  gleichsam  im  Hintertreffen  aufgestellt  ist,  wird  zur  Weichlich- 
keit und  Schwäche,  und  umgekehrt  ein  kräftiger  Geist  und  Charak- 
ter ,  der  die  milden  Tugenden  von  sich  ausschlieszt  als  dienten  sie 
nur  zur  Schwächung  und  nicht  vielmehr  zur  Ergänzung  seines  Wesens, 
taugt  wol  zum  Ideal  eines  Barbarenvolkes,  aber  wird  nie  ein  Held  im 
Sinne  der  wahren  Menschlichkeit,  geschweige  denn  für  ein  chrislHckes 
Volk.  Das  sollen  und  wollen  wir  Lehrer  nicht  aus  dem  Ange  rerlie- 
ren,  wollen  das  starke  und  das  milde  Element  in  unsern  Zöglingen 
gleichmäszig  auszubilden  bemüht  sein,  theils  im  Unterricht  und  in  der 
Schulzucht,  die  wir  allein  zu  vertreten  haben,  theils  in  der  Erziehung, 
die  wir  mit  der  Familie  und  mit  der  Kirche  theilen.  Oder  lassen  Sie 
mich  diese  Doppelaufgabe  in  die  Worte  fassen:  wir  sollen  unsere  Ja- 
gend zu  Männern  und  zu  Menschen  bilden,  zu  Männern  für  die 
Zukunft  und  jetzt  schon  zu  Menschen.  Denn  der  Mensch  beginnt  als- 
bald mit  dem  ersten  erwachen  der  Vernunft,  der  Mann  erst  mit  der 
vollen  Erstarkung  des  Körpers,  mit  der  Reife  des  Verstandes,  mit 
einer  Selbständigkeit  seiner  Lebensstellung.    Ist  es  Glück  und  Ehre 


*)  Max  Lechner,  Stadienlehrer. 


Rede  von  Döderlein.  433 

Bcbon  ein  Mann  zu  sein,  so  ists  weder  Unglück  noch  Unehre  es  noch 
nicht  sa  sein,  aber  Tborheit  ist  es  dem  Gang  der  Natur  ungeduldig 
vorzueilen.  Auch  genieszt  nach  Gottes  weiser  Weltordnung  jedes  Le- 
bensalter so  viel  eigenthümliche  Vorzüge,  dasz  jedes  das  andere  um 
die  seinigeu  beneiden  kann  und  dasz  oft  der  Mann  mit  eben  so  viel 
Wehmuth  auf  seine  harmlose  Kindheit  zurückblickt  als  der  Knabe  mit 
Sehnsucht  seinen  thatkräftigen  Mannesjahren  entgegensieht.  Darum 
sehen  wir  Lehrer  in  unsern  Zöglingen  nur  das  was  sie  wirklich  sind, 
theils  Knaben,  theils  Jünglinge;  beide  den  Kinderjahren  entwachsen, 
aber  beide  den  Mannesjahren  noch  fern  stehend;  beide  keines  Gängel- 
bandes mehr,  wol  aber  noch  einer  vaterlichen  Herschaft  bedürftig.  Es 
kommt  viel  darauf  an,  die  gerechten  Ansprüche  jedes  Alters  zu  be- 
achten, schon  in  dem  Knaben  einen  gerechten  Stolz  zu  pflanzen  und 
nicht  weniger  in  dem  Jüngling  den  natürlichen  Uebermut  niederzu- 
halten. Und  soviel  ich  als  Vorstand  wirken  kann,  strebe  ich  nach  dem 
Buhm  der  Liberalität,  indem  ich  jenen  rechten  Stolz  ehre  und 
nähre,  aber  verzichte  auf  jene  Popularität,  die  durch  das  wol- 
feile und  gefährliche  Mittel  gewonnen  wird,  den  Jüngling  als  einen 
fertigen  jungen  Mann  zu  behandeln,  auf  Kosten  seiner  Selbstkennt- 
nis und  D^mut.  Was  kann  und  soll  nun  eine  Schulanstalt,  wie  dio 
nnsrige  ist,  thun,  um  ihren  Zögling  einestheils  durch  Ausbildung  der 
starken  Tugenden  zum  einstigen  Mann  vorzubereiten,  andererseits 
durch  Pflege  der  milden  Tugenden  immer  mehr  zum  wahren  Men- 
schen zu  machen?  Das  ist  die  Frage,  die  ich  in  dieser  Stunde  nicht 
erschöpfend  beantworten,  aber  durch  flüchtige  Andeutungen  Ihrer  Auf- 
merksamkeit und  Tbeilnahme  näher  bringen  möchte. 

Der  zum  Mann  heranreifende  Knabe  und  Jbngling  soll  sich  vor 
allem  bewust  bleiben,  dasz  er  kein  Kind  mehr  ist.  Von  dem  Kind, 
in  dem  die  Vernunft  noch  schläft,  ist  es  ungerecht  und  thöricht  sittliche 
Beweggründe  seines  handelns  zu  verlangen  und  zu  hoffen;  es  folgl 
naturgemäsz  seinen  Gelüsten  und  opfert  diese  nur  dem  Zwang  a(if 
oder  der  Furcht  vor  Zwang.  Allein  wenn  der  zehnjährige  Knabe  in 
das  Heiligthum  der  Schule  eintritt,  musz  die  Vernunft,  wenn  auch  noch 
nicht  erstarkt,  doch  schon  erwacht  sein;  und  dies  Gefühl  darf  und  soll 
fflr  ihn  eine  Quelle  des  Stolzes  bilden.  So  lange  er  die  Sprache  der 
Vernnnft  noch  nicht  einmal  versteht,  gehört  er  noch  ungetbeilt  der 
Familie  an ;  versteht  er  sie  zwar,  aber  glaubt  und  gehorcht  ihr  nicht, 
da  kann  die  Schulzucht  eintreten  und  ihm  mit  Liebe  und  Strenge  be- 
greiflich machen,  dasz  das  sollen  mehr  gilt  als  sein  wollen.  Und  ein 
je  lebendigeres  Ehrgefühl  in  ihm  wohnt,  um  so  mehr  sucht  er  sich  mit 
dem  sollen  zu  befreunden,  um  jenes  verhaszte  müssen  abzuwenden, 
das  ehemals  seine  bereits  überwundenen  Kindesjahre  beherschte.  Er 
musz  sich  schämen  in  sie  zurückzuverfallen;  denn  Schande  ist  es,  die 
Sprache  der  Zuchtruthe  zu  verstehen  und  die  des  Wortes,  des  Gesetzes, 
des  Rathes,  der  Bitte  nicht  zu  verstehen.  Soll  darum  die  frühere  Zucht- 
ruthe eine  Unmöglichkeit  in  der  Schule  sein?  Mit  nichten!  Der  Knabe 
ist  ihr  entwachsen,  aber  nur  so  lange  als  er  wahrer  Knabe  bleibt, 

29» 


434  Rede  von  Döderlein. 

nicht  freiwillig  in  die  uDvernanrtigo  Kinderzeit  zurücktritt.  So  lanlet 
mein  Glaubensbekenntnis  über  diese  Streitfrage  der  firziehnngskunst; 
ihm  gemäsz  bitte  und  beschwöre  ich  meine  Mitlehrer ,  nur  und  nnr  in 
solchem  Falle  dieses  allzu  bereit  vorliegende  Strafmittel  anzawep- 
den.  Und  so  geschiehts  auch.  Ihr  Gebrauch  aber  ist  nicht  in  böherera 
Grade  unnatürlich  als  Rückkehr  des  vernünftigen  Knaben  in  seine  nn- 
vernünftige  Kinderzeit. 

Derselbe  Stolz  soll  den  Knaben  auch  bewahren  vor  jenem  kindi- 
schen Wesen,  das  in  der  Unfähigkeit  zum  Ernst  besteht,  da  wo  der 
Ernst  an  seinem  Platz  ist.  Allein  kindisches  Wesen  überhaupt  entstellt 
den  Knaben  keineswegs,  ist  oft  sogar  der  Kindlichkeit  verwandt.  Und 
da  die  Natur  keinen  Sprung  gestattet,  keine  scharfen  Grenzlinien 
zieht,  so  darf  der  Erzieher  sich  der  naturgemäszen  Erscheinung  fronen, 
wenn  auch  ein  der  Kindheit  entwachsener  Knabe  dann,  wenn  den 
Ernst  genug  geschehen,  nicht  blos  heiter,  sondern  selbst  kindisch 
sein  mag. 

Aber  wie  vom  Kinde,  dem  alle  ernste  Thätigkeit  noch  fern  liegt, 
ebenso  sollen  sich  unsere  Zöglinge  auch  vom  reifen  Manne  kennt- 
lich unterscheiden.  Dieselbe  Rede  und  Handlung,  die  den  Mann  als 
klug  und  weise  zeigt,  wird  im  Munde  nnd  im  thun  des  Jünglings  oft 
zur  Altklugheit,  bald  auf  widerliche  bald  auf  lächerliche  Weise.  Ich 
könnte  hier  den  Eindruck  ausmalen ,  den  ein  Jüngling  macht,  wenn  er 
statt  blos  Anstand  und  Höflichkeit  zu  beobachten,  sich  als  Meister  in 
allen  Regeln  gelernter  Etiquette  zeigt  und  einen  weltgewandten,  ge- 
würfelten Salonherrn  darstellt.  Statt  dessen  gestatten  Sie  nnr  ans 
meiner  speciellsten  Praxis  darzuthun,  wie  sorgsam  ich  der  Altklugheit 
entgegenarbeite.  Ich  gebrauche  in  meinem  Unterricht  sogar  geflissent- 
lich und  ohne  Noth  und  weit  häufiger  als  ich  im  Leben  gewohnt  bin 
vornehme  Kunstausdrücke  wie  sie  der  philosophische  Katheder,  nnd 
Modewörter  wie  sie  die  gebildetere  Gesellschaft  liebt;  aber  wehe  dem 
Schüler,  der  diesem  Beispiel  seines  Lehrers  folgt  im  sprechen  oder 
schreiben,  er  ist  vor  meinem  Spott  nicht  sicher,  den  ich  sonst  nicht 
leicht  im  Unterricht  anwende.  Jenes  leidige  Beiwerk  der  modernen 
Sprache  und  Gesellschaft  soll  die  Jugend  blos  wie  eine  Wissenschaft 
kennen,  nicht  als  eine  Kunst  üben.  Kein  Mensch  auszer  dem  Ver- 
brecher trägt  schwer  an  dem  was  er  weisz;  nur  in  seltenen  Fällen  soll 
er  mit  den  Wölfen  heulen,  aber  in  allen  Fällen  das  Wolfsgeheul  ver- 
nehmen und  ertragen  können.  Hört  ein  siebzehnjähriger  Gymnasiast  in 
gebildeter  Umgebung  von  Transscendenz  und  Immanenz,  von  Velleitaten 
und  banalen  Gedanken  sprechen  und  bedarf  kein^  Verdolmetschnng 
dieser  dem  ordentlichen  Schulunterricht  fremden  Wörter,  desto  besser 
für  ihn!  versteht  er  sie  nicht,  so  trifft  ihn  kein  Vorwurf,  aber  führt  er 
selbst  und  gar  mit  Wolgefallen  die  Transscendenz  und  Velleität  im 
Munde,  dann  kann  er  gewis  sein  ein  Gegenstand  des  Spottes  und  des 
Mitleids  zu  werden. 

Doch  beschränkt  sich  die  Jugendlichkeit  nicht  auf  die  Freiheit 
von  Altklngheit.   Den  Jüngling  im  höchsten  Sinn  des  Wortes  erkennen 


Rede  von  Döderlein.  "  435 

wir  an  der  Glut  seines  Gefühls,  an  seiner  Erregbarkeit  für  das  grosza 
und  schöne,  an  der  Kraft  edler  Leidenschaft  in  Neigung  und  Abneigung; 
das  ist  die  Krone  des  Jünglingslebens,  bis  sie  sich  durch  die  ruhige 
und  später  kalte  Besonnenheit  des  reifen  Alters  abgestreift  und  abge- 
löst sieht,  wie  die  schöne  Blüte  durch  die  brauchbare  Frucht.  Wenn 
Mich  der  Becher  überschäumt,  —  schade  um  den  Wein,  der  dabei  za 
Grunde  geht,  aber  besser  Ueberflusz  als  Dürftigkeit!  Die  Bändigung 
unedler  und  die  Mäszigung  edler  Leidenschaften,'  nicht  ihre  Unter- 
drückung, das  ist  das  Meisterstüök  der  Erziehungskunst.  Freilich  ein 
solches  Uebermasz  von  glühendem  Gefühl,  mit  einseitiger  aber  desto 
gewaltigerer  Liebe  einem  Gegenstand  zugewendet,  das  ist  es  nicht, 
was  die  beutige  Jugendbildung  erschwert;  darüber  klagen  nicht  blos 
die  Lobredner  der  alten  Zeit,  ihrer  Jugendzeit;  auch  die  jüngeren 
Lehrer  und  nicht  in  Erlangen,  nicht  in  Baiern,  nein,  überall,  allüberall 
sehnen  sich  (falls  sie  nicht  die  Buhe  eines  Kirchhofs  für  den  wün- 
schenswerthesten  Zustand  halten)  nach  Aeuszerungen  solcher  Leiden- 
schaftlichkeit, ganz  so  wie  der  tüchtige  Reiter  lieber  Zügel  als  Sporn 
gebraucht  und  sich  kein  allzu  frommes  Pferd  wünscht.  Ich  will  nicht 
klagen,  noch  weniger  jemand  anklagen,  nicht  die  Jugend,  die  von  der 
Luft  ihrer  Zeit  lebt,  nicht  die  Oberbehörden,  deren  wohlgemeinte  Auf- 
sicht vielleicht  des  guten  zu  viel  thut,  nicht  den  Lehrerstand,  dem 

.  das  Publicum  häufiger  unangemessenen  als  mangelnden  Eifer  vorwirft, 
— -  hier  genügt  die  Andeutung,  dasz  wir  diesen  faulen  Fleck  in  unserm 
Wirkungskreis  wol  kennen  und  lieber  den  Kampf  mit  einer  über- 
sprudelnden und  allenfalls  auch  unbequemen  Kraft  aufnehmen  möchten, 
als  ihn  gegen  eine  gefahrlose  und  bequeme  Lauheit  fortführen. 

Drittens  soll  der  tüchtige  Jüngling,  so  wie  eine  andere  Gestalt 
so  auch  ein  anderes  Wesen  zeigen  als  die  liebenswürdigste  J^ung- 
frau.  Entsetzen  Sie  sich  nicht  vor  einem  verdächtigen,  unbeliebten 
Namen,  mit  dem  ich  mich  deutlich  zu  machen  suche;  die  Schule  soll 
den  Jüngling  vor  allem  zu  einem  Verstandesmenschen  bilden. 
Es  ist  ein  trockenes,  kaltes  Wesen,  der  Verstand,  und  oft  ein  Tod- 
feind der  wärmsten,  schönsten  Gefühle.  Und  doch  ist  er'^s  allein,  der 
die  Welt  regiert  und  erhält,  der  wieder  Ordnung  schafft,  wenn  sie 

-  durch  blosze  Gefühle,  auch  die  edelsten,  gestört  ist.  Nur  der  kalt  be- 
rechnend« Verstand. des  Oberfeldherrn  gewinnt  die  Schlacht,  und  desto 
gewisser,  je  williger  sein  Kriegsvolk  all  seine  glühende  Begeisterung 
mit  blindem  Gehorsam  seinem  kalten  Verstand  unterordnet.  Ist  nun 
der  Mann  zur  Herschaft  berufen,  im  groszen  oder  im  kleinen,  so  thut 
ihm  vor  allem  ein  scharfer,  klarer,  geübter  Verstand  noth.  Ihn  vor 
allem  soll  die  Schule  bilden,  als  das  unentbehrliche,  wie  das  Brot  oder 
Kleid  es  ist ;  neben  ihm  als  zweites  auch  den  Schönheitssinn,  als  wohl- 
schmeckende Zukost  und  Schmuck.  Die  sittliche  Bildung,  jene  Haupt- 
aufgabe der  Eltern  und  der  Kirche,  darf  in  der  Schule  die  der 
Verstandesbildung  bestimmte  Zeit  nicht  schmälern.  Versöhnen  Sie 
sich,  Verehrteste,  mit  den  Verstandesmenschen  —  sie  gleichen  nur 
dann  dem  Mephistophelcs,  wenn  sie,  selbst  gemütlos.  Feinde  dos 


436  Rede  von  Döderlein. 

Gefühles  sind,  dessen  Beherscher  sie  sein  sollen.  Also  alle  Ehre 
dem  trockenen  Verstände !  Dessen  kann  der  Mann  nie  zuviel  besitzen 
—  wol  aber  die  Jungfrau  auf  Kosten  ihrer  Weiblichkeit.  Hit  lieber- 
treibung,  aber  nicht  ohne  tiefen  Sinn  stellte  ein  vaterländischer  Dich- 
ter den  kühnen  Satz  auf:  seit  6000  Jahren  hat  noch  niemals  eine  Pran 
durch  Verstandesgründe  sich  überzeugen  lassen  —  so  wenig, 
meint  er,  als  ein  Prophet  sich  durch  den  scheinbarsten  Widersprach 
irren  läszt  der  selbstredenden  Stimme  in  seinem  Inpern  za  fest  zn 
vertrauen.  'Verstand  wie  Gefühl  können  irren,  aber  diese  Zuversicht 
auf  die  unmittelbare  Eingebung  des  Gefühls  ziert  das  Weib  und  ent- 
würdigt den  Mann.  Wenn  ich  daher  (lem  gefragten  Schüler  auf  seine 
Versicherung,  dasz  er  das  wahre  fühle  und  es  nur  nicht  in  Worte 
fassen  noch  beweisen  könne,  zur  Antwort  gebe:  das  ist  die  Rede  eines 
Mädchens,  nicht  eines  Jünglings  oder  Mannes!  so  meine  ich  kein  Un- 
recht zu  thun. 

Ich  bitte  Sie  einen  Blick  auf  den  Weg,  den  ich  Sie  führte,  zurftck- 
zuwerfen.  Wenn  der  zehnjährige  Knabe  und  der  achtzehnjährige  Jüng- 
ling den  Stolz  besitzt  als  vernünftiges  Wesen  zu  handeln ,  um  sich 
selbst  auch  als  solches  behandelt  zu  sehen,  wenn  er  den  Jugendmnt 
besitzt  und  den  Drang  für  einen  würdigen  Gegenstand  seiner  Liebe  zu 
leben  und  zu  sterben,  wenn  er  die  Vers  tan  des  kraft  besitzt,  um 
sich  nicht  blos  von  dunkeln  Gefühlen  leiten  zu  lassen  und  die  bloszen 
Gefühlsmenschen  sogar  beherschen  zu  können  —  ist  er  dann  nicht  auf 
dem  Wege  ein  wahrer  Mann,  ja  wenn  ihm  das  Glück  hold  ist,  selbst 
ein  groszer  Mann  zu  werden?  Wenigstens  zählten  die  Helden, 
welche  die  Weltgeschichte  grosze  Männer  nennt,  mehr  oder  weniger 
alle  zu  den  Verstandesmenschen. 

Aber  ein  wahrer  Mann  ist  darum  noch  kein  wahrer  Menscii, 
der  grosze  Mann  noch  kein  groszer  Mensch,  so  wenig  als  jede 
Kraft  zugleich  eine  wolthätige,  gottgefällige  Kraft  ist.  Alle  starke 
Tugenden  vertragen  sich  mit  der  Selbstsucht,  und  der  Mangel  an  den 
milden,  ,an  Seibstbeherschung,  an  Menschenliebe,  an  Gottesfurcht  hat 
noch  keinem  Helden  den  Namen  eines  groszen  Mannes  entzogen.  Der 
wahre  Mensch  aber  beginnt  erst  mit  der  Seibstbeherschung,  mit  der 
Liebe  und  mit  der  Empfänglichkeit  für  das  ideale  Leben. 

Die  erste  dieser  Eigenschaften,  die  Herschaft  über  shch  selbst, 
unterscheidet  ihn  von  der  Bestie.  Der  Mensch  ist  ein  Thier,  aber  zu- 
gleich das  Gegentheil  des  Thieres.  Die  leibliche  Verwandtschaft  and 
Aehnlichkeit  mit  ihm  vermag  auch  der  weiseste  nicht  zu  verleugnen 
noch  abzulegen ;  diBsto  eifriger  masz  er  auf  geistige  Verschiedenheit 
von  der  Bestie  hinarbeiten.  Er  musz  noch  andere  Freuden  kennen  als 
die  sinnlichen.  In  dem  Grad,  in  welchem  er  den  Sinnen  fröhnt,  gleicht 
er  der  Bestie,  der  vornehme  Feinschmecker  nicht  weniger  als  der  ge- 
meine Trunkenbold.  Je  mehr  natürliche  Neigung  unser  edles  deut- 
sches Volk  zu  solchen  sinnlichen  Genüssen  von  den  ältesten  Zeiten  an 
verrathen  hat,  je  weniger  auch  seine  Gegenwart  diese  weltbekannte 
Nationalschwäche  verleugnet ,  desto  freudigere  Anerkennung  verdient 


Rede  yon  Döderlein.  437 

es,  weoD  die  uns  anvertraate  Jagend,  sei  es  in  Folge  eigenen  Triebes 
oder  unserer  Schalordnungen,  von  aller  Art  Völlerei  sich  fern  hält. 
Ich  hoffe  mich  nicht  zu  irren;  denn  das  ist  kein  Fehler,  der  im  ver- 
borgenen schleicht  und  wuchert,  wie  so  mancher  andere.  Doch  lohnen 
wir  Lehrer  auch  diese  gute  Sitte  durch  möglichste  Liberalität  in  Aas- 
legung  nnd  Handhabung  der  streng  bemessenen  Schulgesetze,  theils 
aas  Klugheit ,  weil  ein  allzu  straff  gespannter  Bogen  leicht  springt, 
theils  aus  Liebe  zu  der  Jugend,  nm  ihr  die  Jugendzeit  nicht  za  ver- 
kümmern.   An  Ernst  und  Strenge  aber  fehlt  es  eben  so  wenig,  so  oft 
wir  diese  Milde  misbraucht  and  die  natürliche  Grenze  zwischen  Froh- 
sinn und  Robheit  überschritten  sehen.   Aber  so  weit  auch  der  Deutsche 
in  der  Mäszigkeit  manchem  andern  Volk  nachstehen  mag,  so  unbe- 
streitbar wird  das  christliche  Gesetz  der  Menschenliebe  bei  uns 
allgemeiner  erkannt  und  geübt  als  anderwärts.    Es  ist  nicht  zu  viel 
'gesagt,  dasz   die  eigentliche  Sittenlehre  des  Christenthüms ,  dessen 
Angelpunkt  doch  die  Liebe  ist,  nirgend  so  tiefe  Wurzeln  geschlagen 
bat  als  bei  den  deutschen  Volkern.   Lassen  wir  es  uns  immerhin  ge- 
fallen, dasz  der  stolze  Englander  über  den  gutmütigen  Deutschen  höhnt, 
der  ihm,  dem  unbekannten,  zuvorkommend  einen  Liebesdienst  entgegen- 
bringt, blos  weil  er  ein  Mensch  ist,  während  er  alles  entgegenkom- 
men wie  eine  Entwürdigung  scheut,  weil  er  ein  Mann  ist;  sein  Stolz 
iaf's  keines  Menschen  zu  bedürfen ,  unsere  Freude  ist^s  mit  Menschen 
freundlich  zu  verkehren.    Nicht  dasz  wir  die  christliche  Liebe  schon 
ergriffen  hätten  wie  wir  sollten;  aber  ein  Blick  auf  die  Völker,  welche 
diesseits  und  jenseits  des  Ocean  neben  den  Deutschen  die  Bildung  ver- 
treten, zeigt  uns  dort  weit  weniger  Scheu  sich  nnverhüllt  zum  Panier 
des  Egoismus  zu  bekennen,  während  in  unserm  Vaterland  die  grobe 
Selbstsucht  sich  nicht  so  laut  und  breit  machen  darf,  als  sei  sie  die 
einzig  natürliche  Gesinnung,  und  wenigstens  der  Glaube,  dasz  reine 
Menschenliebe  ohne  Eigensucht  und  Eitelkeit  nicht  blos  in's  Reich  der 
Heuchelei  oder  der  Träume  gehöre,  noch  besteht.   0  könnten  Schul- 
gesetze und  Schulzucht  auch  diese  Gesinnung  ebenso  wie  jene  Ent- 
Ihaltsamkeit  und  Mäszigkeit  pflegen  und  fördern !    Doch  bleibt  es  kei- 
neswegs wirkungslos,  wenn  nicht  blos  der  Religionslehrer  die  christ- 
liche Liebe  predigt,  sondern  jeder  von  uns  auch  im  weltlichen  Unter- 
richt den  geheimen  Regungen  des  Geizes,  des  Neides,  der  Selbstsucht 
oder  gar  der  Bosheit  noch  ernster  und  eifriger  entgegenwirkt  als  den 
Ausbrüchen  jugendlichen  Leichtsinnes  and  Uebermutes,  diesen  als  Zucht- 
meister,  jenen  als  Seelsorger. 

Der  liebevolle  Mensch  sucht,  was  nicht  ihm  selbst  sondern  an- 
dern nützt;  aber  eine  verwandte  Gesinnung  verlangt  auszerdem  noch 
etwüs  höheres,  selbst  als  das  was  andern  und  was  allgemein  nützt, 
wenn  dieser  Nutzen  nur  dem  sinnlichen,  dem  irdischen  Leben  gilt.  Denn 
der  sterbliche  lebt  in  einer  höheren  und  niederen  Heimat  zugleich  und  ^ 
soll  in  beiden  Burger  sein  und  bleiben;  der  gemeine  nur  dem  hand- 
greiflich nützlichen  zugewandte  Mensch  gibt  das  eine  Bürgerrecht  auf, 
der  schwärmerische,  der  Wirklichkeit  sich  entziehende  das  andere; 


438  AbgraDgsprttfangeD. 

der  wahre  Mensch  weill,  je  nachdem  ihn  sein  irdischer  «od  ivseerer 
oder  sein  innerer  und  höherer  Beruf  anweist,  bald  in  der  wirklichen 
Welt,  bald  im  erhabenen  Reich  der  Ideen.  Dieser  Glaube  der  edleren 
Naturen ,  dasz  neben  der  sichtbaren  Welt  noch  eine  unsiohlbare  Welt 
der  Ideen  nicht  blos  in  weiter  Ferne  über  uns  besteht ,  sondern  schon 
unser  irdisches  Leben  zugleich  durchdringen,  lautern  und  zugleich  er- 
heitern soll,  dieser  Sinn  für  das  ideale  ist  es,  was  das  Menschen- 
wesen krönt,  ohne  der  Manneskraft  Abbruch  zu  tbun. 

Ich  habe  die  mir  selbst  gestellte  Frage  beantwortet,  so  nnroll- 
ständig  als  es  in  meinem  Plane  lag,  als  es  Zeit  und  Ort  gestattet.  Ent- 
halten nun  die  Grundsätze,  die  ich  hier  bekannte  und  als  Biohtsohnar 
unserer  Lehrerthätigkeit  bezeichnete,  nichts,  was  den  herschendet 
Begriffen  von  Sittlichkeit  und  christlichem  Sinn  widerspricht,  und 
auch  nichts ,  was  in  bester  Meinung  doch  die  Saiten  zu  hoch  spannte 
und  das  Gepräge  des  überschwänglichen  an  sich  trüge,  dann  dflrfen 
wir  bitten  und  hoffen  dasz  auch  Sie,  verehrteste  Anwesende,  und 
besonders  Sie,  hochachtbare  Eltern,  Verwandte  und  Frennde  der 
uns  anvertrauten  Jugend,  nach  KrSften  und  auf  alle  Weise  unser 
Werk  fördern  mögen,  uns  zur  Stütze,  Ihnen  und  Ihren  Söhnen  lom 
Segen. 


Sl. 

Abgangsprüfungen. 


Die  Beobachtung,  di«  sich  seit  einer  Reihe  von  Jahren  in  versohi»* 
denen  Gebieten  Deutschlands  den  Gymnasiallehren  und  aufmerksamen 
Freunden  des  höheren  Schulwesens  unabweislich  aufdrängte,  dass  di^ 
Abgangs -(Abiturienten-  oder  Maturitäts-)prafungen  auf  das  zunichsl 
vorangehende  Jahr,  wol  auch  weiter  rückwärts  einen  nachtheiligea 
Einflusz  üben,  indem  sie  die  freie  Liebe  für  die  Wissenschaften  in  einei 
knechtischen  Dienst  verwandeln ,  hat  längst  den  dringenden  Ruf  ntclb 
Abhülfe  veranlaszt,  und  es  sind  wiederholt  Stimmen  laut  geworden, 
die  nur  in  der  Aufhebung  des  ganzen  Instituts  eine  gröndliehe  Hilfe 
erkannt  haben.  Neuerdings  ist  die  Frage:  ^sind  Abiturienten- 
Prüfungen  nothwendig' in  dem  Märzheft  der  Zeitschr.  f.  d.  Gym- 
nasialwesen von  Director  Dr  Schmidt  zu  Wittenberg  mit  nein  bo- 
antwortet,  dann  in  der  Versammlung  mittelrheinisoher  Gymnasiallehrer 
zu  Auerbach  erörtert  und  theils  (namentlich  von  Dir.  Piderit)  be- 
jaht, theils  auch  verneint  worden.  —  Ich  war  nicht  der  Ansicht,  dass 
die  nachtheiligen  Erfahrungen ,  welche  mit  diesen  Prüfungen  gemacht 
wurden,  die  sofortige  Aufhebung  derselben  rechtfertigen  dürften;  ich 
hielt  es  vielmehr  (in  Uebereinstimmung  mit  bewährten,  umsichtiges 


AbgaD^prQrangen.  439 

Schalmannern,  wie  6.  T.  A.  Krflger'*')  und  Landfermann^)  ffir 
rathsam,  dasz  zunächst  der  Versuch  gemacht  werde,  ob  die  nicht  za 
llngnenden  Uebelstände  durch  Modification  der  Prafungen  .beseitigt 
werden  können.  Die  Sache  ist  wichtig  genug,  um  eine  erneute  Erör- 
terung der  Frage  in  dieser  Richtung  zu  entschuldigen. 

Vor  allem  darf  man  sich  über  die  Bedeutung  der  mit  diesen  PrO- 
fnngen  verbundenen  Uebelstände  nicht  täuschen,  und  sich  der  Aner- 
kennung nicht  entziehen,  dasz  hier  eine  Aenderung  dringend  geboten 
ist.  —  Ich  glaube  von  meinen  unmittelbaren  Erfahrungen  ausgeben 
%n  dürfen.  Zwar  über  die  Wirkungen,  welche  in  der  neusten  Zeit  in 
meinem  engern  Vaterlande  die  Maturitätsprüfungen  (zu  welchen  die 
Abiturienten  aus  allen  Anstalten  berufen  werden)  üben,  vermag  ich 
nicht  KU  urteilen;  vor  etwa  18  Jahren,  als  ich  an  diesen  Prüfungen 
theilzunehmen  hatte,  schienen  sie  im  allgemeinen  nicht  geeignet  die 
Gymnasialschüler,  welche  denselben  entgegengiengen ,  ängstlich  zu 
maehen  und  zu  unnatürlichen  Anstrengungen  und  Repetitionen  zu  ver- 
anlassen. Im  Gegentheil  diente  die  Beobachtung,  wie  in  Folge  der 
nicht  sehr  hoch  gestellten  Forderungen ,  der  Wechselfälle  des  Glücks 
nnd  unerlaubter  Hülfe  nicht  selten  Schüler  das  Examen  mit  Erfolg  be- 
stunden, denen  die  Lehrer  vom  erstehen  der  Prüfung  abgerathen  oder 
das  Zeugnis  der  Reife  versagt  hatten,  zu  wunderbarer  Ermunterung 
.das  Wagnis  zu  bestehen,  und  eine  Menge  unfertiger  Gymnasialschüler 
oder  nothdürftig  für  die  Prüfung  einigermaszen  abgerichteter  Schreiber 
nnd  Militär -Unterärzte  drängte  sich  zu  der  Prüfung,  da  ja  nach  dem 
ersten  mislingen  das  erstehen  einer  zweiten,  dritten  usw.  Prüfung  un- 
verwehrt  blieb. —  Meine  gegenwärtigen  Erfahrungen  beschränken  sich 
auf  die  Concursprfifungen,  welche  über  die  mit  ansehnlichen  Benefl- 
cien  verbundene  Aufnahme  in  das  höhere  evangelische  Seminar  zu  Tü- 
bingen entscheiden;  und  da  hier  eben  die  Wirkungen  eintreten,  welche 
aonst  den  Abiturientenprüfungen  zugeschrieben  werden,  so  wird  es 
der  Sache  nicht  fern  liegen,  von  diesen  speciell  zu  sprechen.  Hier 
leigt  sich  denn,  dasz  wenigstens  der  gröszere  Theil  der  Promotion 
das  letzte  Jahr  oder  Semester,  soweit  die  öffentlichen  Leistungen  es 
snlassen,  vorzugsweise  dazu  verwendet,  in  den  Prüfungsfächern  allo 
erworbenen  und  noch  zu  erwerbenden  Kenntnisse  dem  Gedächtnisse 
nfOglichst  einzuprägen.  Dieses  Streben  beherscht  und  absorbiert  fast 
die  ganze  Thätigkeit  des  Geistes,  die  ganze  Musze;  und  wenn  an  und 
fftr  sich  das  letzte  Jahr  des  Seminar-  und  Gymnasialcursus  vorzüglich 
geeignet  schiene  auf  dem  Grund  der  erlangten  Kenntnisse,  bei  grösze- 
fer  geistiger  Reife  und  allmählich  erwachender  Selbständigkeit  des 
Geistes  nach  Neigung  und  mit  Liebe  gewisse  Studien  vorzugsweise  zu 
pflegen,  das  selbständige  forschen  und  denken  lieb  zu  gewinnen  und 
zu  pflegen,  und  dadurch  ebensowol  an  innerer  Tüchtigkeit  zu  gewin- 


*)  Zeitschr.  f.  d.  Gymnasialweseii  1849.    Aug.  u.  Sptbr  S.  641— Or>0. 
**)  Zur  Revision  dea  Lehrplans  höherer  Schulen  und  des  Abiturien- 
ten-Prüf  ungsrcglements,    Berlin  18^. 


440  AbgangsprafuDgen.  , 

nen ,  wie  som  akademischen  Studium ,  zu  wissenschaftlichem  deeken 
in  Wahrheit  sich  vorzuhereiten ,  ist  es  das  Gedichtnis,  das  nun 
vorzugsweise  thätig  sein  musz.  Keinem  denkenden  Freand  der  Jogend 
kanu  das  unpsychologische,  zweckwidrige  einer  solchen  Erscheinung 
entgehen.  Vorzugsweise  Uebung  des  Gedächtnisses  ist,  wie  wir  wis- 
sen, dem  früheren  Knabenalter  angemessen;  in  dem  Alter  vom  17n,  18o 
Jahre  erwacht,  freilich  oft  in  leisen  und  unbedeutenden  Anfingen ,  das 
streben  und  Bedürfnis  freier  von  der  Führung  der  Lehrer  eigene  Wege 
zu  versuchen,  selbständig  zu  denken,  wissenschaftlich  zu  begreifen, 
und  diesem  naturgemäszen  Bedürfnis  sollten  die  öffentlichen  Einrich- 
tungen, die  Lehrpläne  und  Lehrmethoden  Rechnung  tragen.  —  Auf  das 
gleiche  weist  das  Bedürfnis  der  Universität  (vgl.  Krüger  a.  a.  0.  S. 
658).  Die  akademischen  Vorträge  setzen  eine  gewisse  Uebnng  in 
selbständigem,  präcisem,  wissenschaftlichem  denken  voraus,  und  kön- 
nen ohne  solches  kaum  mit  Nutzen  gehört  werden.  Bei  solchen  Be- 
dürfnissen nun  der  Universität  wie  der  geistigen  Entwicklung  weisen 
die  gegebenen  Einrichtungen  dem  letzten  Gymnasialjahr  die  Uebung 
und  Ueberladung  des  Gedächtnisses  als  vorzügliche  Aufgabe  sa.  — 
Darf  man  sich  wundern,  wenn  unter  diesen  unnatürlichen  Verhältnissen 
einem  groszen  Theil  das  Studium  nur  eine  lästige  Pflicht  wird,  da  ihnen 
die  Studie  literarum  im  wahren  Sinn,  die  freie  Neigung  und  Liebe, 
kaum  eröffnet,  wieder  verschlossen  wird?. 

Man  wendet  vielleicht  ein,  dasz  es  Pflicht  der  Lehrer  sei,  ihre 
Schüler  auf  den  wahren  Zweck  der  Studien  hinzuweisen,  von  dem 
niedrigen  Motiv  des  Examens  sie  abzulenken  und  mit  reiner  Liebe  f&r 
die  Wissenschaft  zu  erfüllen.  Unstreitig  ist  dies  die  Pflicht  der  Lehrer, 
der  sie  sich  nicht  entziehen  sollen,  und  es  wird  ihnen  auch  nicht  selten 
gelingen,  den  edeln  Funken  einer  reinen  Liebe  zur  Wissenschaft  selbst 
unter  dem  Schutt,  der  ihn  zu  ersticken  droht,  zu  nähren  und  zo  er- 
halten. Doch  über  die  Verhältnisse  vermögen  sie  nichts;  mächtiger 
als  die  reinste  und  edelste  Auffassung  der  Bestimmung  sind,  verbondea 
mit  den  eigenen  Wünschen  und  dem  Sporn  der  Ehre,  die  WQnscbe, 
Hoffnungen,  Ermahnungen  der  angehörigen,  die  alles  aufbieten  heisxen, 
um  die  Prüfung  mit  Erfolg  zu  bestehen,  die  Rathlosigkeit,  welche  nene 
Bahn  einzuschlagen  wäre,  wenn  das  erstrebte  Ziel  unerreicht  bliebe, 
bei  vrelen  auch  die  Nothwendigkeit  in  solchem  Fall  auf  das  akademi- 
sche Studium  ganz  zu  verzichten.  Je  gröszeres  auf  dem  Spiele  ateht, 
je  unmächtiger  wird  dem  Zwang  der  Verhältnisse  gegenüber  die  ideale 
Auffassung  der  Lehrer  sein,  und  diese  selbst  können,  billig  denkend, 
ihren  Schülern  nicht  den  Gebrauch  der  Mittel  vermehren,  die  nun  ein- 
mal dazu  dienen  sich  des  Ziels  zu  versichern. 

Sollen  wir  nun  entweder  jene  Nachtheile  für  die  unvermeidliche 
Bedingung  erklären,  um  andre,  verhältnismäszig  gröszere  Vortheile 
möglich  zu  machen,  oder  sollen  wir  um  der  Nachtheile  willen  die 
ganze  Institution  sofort  verwerfen  7 

Keins  von  beidem.  —  Alle  die  Vortheile,  welche  durch  diese 
Prüfungen  bedingt  sein  mögen,  der  gröszere  Sporn  zum  Fleisx^  der 


Abgangsprfifangen.  441 

för  viele  in  dem  Hinblick  auf  diese  Prüfung  liegen  mag,  die  Garantie, 
welche  der  Staat  und  die  Hochschule  zu  erhalten  scheint,  dass  nur  be- 
ffthigle  zu  akademischen  Studien  zugelassen  werden,  das  bestimmtere 
Bewustsein,  das  die  Schule,  Schüler  und  Lehrer,  durch  diese  Schlusz- 
darstellung  von  ihren  Zielen  und  ihren  Leistungen  erhält  (vgl.  Hützells 
gründlich  eingehende  Abhandlung  in  der  Ztschr.  f.  d.  Gymüasialwesen, 
1849  Mai  S.  332  f.) ,  wiegen  nach  meinem  dafürhalten  den  Nachtheil 
nicht  auf,  dasz  der  naturgemäsze  Fortschritt  in  der  Entwicklung  des 
Geistes  gestört,  die  selbständige  Thätigkeit  desselben,  die  freie  Liebe 
zur  Wissenschaft  gebrochen  und  durch  ein  banausisches  Studium, 
durch  den  sklavischen  Sinn,  der  des  Examens,  des  Brodes  w^gen  stu- 
diert, ersetzt  wird.  Ich  bin  weit  entfernt  zu  verkennen,  dasz  noch 
immer  trotz  jener  Störungen  manche  Jünglinge  ein  edles,  reines  stre- 
ben beseelt,  oder  dasz  die  menschliche  Natur  auch  viele  Fehlgriffe  in 
der  Methode  und  den  Anstalten  des  Unterrichts  gut  zu  machen  vermag, 
aber  die  Klage,  dasz  es  bei  der  Jugend  an  der  spontaneen  Geistesthä- 
tigkeit  fehle,  ist  ja  eine  bekannte,  und  wer  in  die  früheren  Jahrzehnte 
unseres  Jahrhunderts  zurückzublicken  und  sich  der  Erfahrungen  aus 
jenen  Zeiten  zu  erinnern  vermag,  wird  nicht  in  Abrede  ziehen,  dasz  in 
Jenen  Zeiten  neben  manchen ,  die  ihre  akademische  oder  ihre  Lebens- 
aufgabe verfehlten,  doch  verhältnismäszig  mehrere  sich  fanden,  die 
ohne  das  Sohreckbild  der  Prüfungen  eben  in  der  Liebe  zii  den  Wissen- 
schaften und  in  der  gröszeren  Freiheit,  welche  dem  Studium  gelassen 
war,  den  grösten  Sporn  zu  den  Studien  und  die  Möglichkeit  originel- 
lerer Geistesbildung  erhielten. 

Die  Prüfungsordnungen,  aus  der  Richtung  der  Zeit  hervorgegan- 
gen, haben  ihrerseits  die  Tendenz  der  Zeit  trefflich  unterstützt;  sie 
haben  ein  wesentliches  beigetragen  die  geistige  Bildung  zn  nivellie- 
ren. • —  Sollte  man  aber  auch  diese  gröszere  Gleichmäszigkeit  in  den 
Kenntnissen  dem  früheren  Zustand  vorziehen,  so  ist  doch  der  verhfilt- 
Dismäszige  Mangel  an  selbstthätiger,  origineller,  productiver  Kraft, 
Damentlich  in  den  Gebieten  welche  die  freieste  und  höchste  Geistes^ 
thätigkeit  erfordern,  ein  Vorwurf,  welcher  der  Gegenwart  nicht  ohne 
Grand  gemacht  wird. 

Indessen  durch  die  erwähnten  Verhältnisse,  welche  die  freiere 
Geistesbewegung  in  einer  wichtigen  Lebensperiode  niederdrücken ,  ist 
nicht  blos  die  Selbständigkeit  der  Intelligenz ,  sondern  zum  Theil  auch 
des  Charakters  bedroht.  Die  Gewöhnung  die  Studien  unter  dem  Ge- 
sichtspunkt des  Examens  nnd  des  Brodes  zu  betrachten  kann  nicht 
ohne  nachtheiligen  Einflusz  auf  die  Freiheit  der  Gesinnung  bleiben;  sie 
stellt  den  Menschen  nicht  in  den  Dienst  der  Wahrheit,  sondern  der 
materiellen  Interessen. 

So  wenig  ich  nun  die  Nachtheile  unterschätze,  welche  mit  Prü- 
fungen verbunden  sind,  die  den  Schüler  nöthigen  ein  umfassendes 
Material  detaillierter  Kenntnisse  sich  gegenwärtig  und  verfügbar  zu 
erhalten,  so  wenig  möchte  ich  mit  Schmidt  sofortige^  Aufhebung 
solcher  Prüfungen  empfehlen. 


442  Abgangsprufttngeu. 

Ich  bin  darüber  vöilig  mit  La  nd  form  an  n  (a.  a.  0.  S.  dS)  ein- 
verstanden, dasz  es  bedenklich  wäre  eine  Institution,  welche,  aas  ei- 
nem öffentlichen  Bedürfnis  hervorgegangen,  nun  bereits  im  Leben  Wur- 
zeln geschlagen  hat,  die  sich  nicht  ohne  anderweitige  Nachtheile  be- 
seitigen liesze ,  schlechthin  aufzuheben ,  vielmehr  scheint  es  auch  mir 
zum  mindesten  eines  Versuches  werth,  ob  nicht  die  Zwecke,. welche 
durch  diese  Einrichtung  erstrebt  wurden,  durch  eine  Modification  der 
Prüfung  ohne  die  seither  damit  verbundenen  Nachtheile  sich  erreichen 
lassen.  Es  ist  an  und  für  sich  nicht  ratlisam ,  in  öffentlichen  Einrich- 
tungen unmittelbar. von  einem  Extrem  zum  andern  überzugehen;  hat 
sich  eine  Institution  als  nachtheilig  erwiesen,  so  ist  es  besonnener, 
bevor  man  sie  antiquiert,  vorerst  zu  prüfen,  ob  die  Nachtheile  we- 
sentlich und  nothwendig  mit  ihr  gegeben  (wie  allerdings  Schmidt 
S.  188  behauptet)  oder  ob  sie  nur  mit  einer  unwesentlichen  Form  der- 
selben verknüpft  sind.  Es  ist  nicht  zu  leugnen,  dasz,  wie  die  ange- 
führten Autoritäten  mit  Uecht  annehmen ,  die  Lehrer  einer  Anstalt  am 
meisten  die  Befähigung  besitzen  über  die  Reife  eines  Schülers  ein 
Urteil  zu  fällen;  denn  dieses  Urteil  geht  am  sichersten  aus  mehrjähri- 
gen Beobachtungen  hervor.  Und  doch  können  die  Staatsbehörden,  die 
Eltern,  die  Lehrer  selbst  den  Wunsch  haben,  dasz  das  Urteil  über  Reife 
und  Unreife  nicht  allein  von  den  letzteren  abhänge.  Mit  Recht  bemerkt 
Landfermann  S.  37,  die  Entscheidung  über  die  Reife  ^kann  zuvör- 
derst nicht  nach  dem  jedesmaligen  wechselnden  subjectiven  ermessen 
eines  Lehrercollegiums  erfolgen,  sondern  es  musz  ihr  ein  allgemeine- 
rer ,  objectiverer  Maszstab  zu  Grunde  liegen.  Und  dasz  dieser  wirk- 
lich angelegt  werde,  dasz  nicht  das  andringen  eines  bejahrten  Schülers 
oder  der  Eltern  oder  eine  irrende  Pietät  und  Rücksichtnahme  störend 
auf  das  Urteil  der  Lehrer  einwirke,  erscheint  nur  dann  gesichert,  wenn 
eine  ferner  stehende,  unbefangenere,  freiere  Autorität,  welcher  die 
Handhabung  des  allgemeinen  Maszstabes  geläufig  ist,  —  bei  der  Ent- 
scheidung mitwirkt.'  Diese  Autorität  wäre  bei  Abiturientenprüfnugea 
der  landesherrliche  Commissär,  bei  Maturitätsprüfungen  die  Prüfungs- 
commission.  Wofern  das  Urteil  über  Reife  lediglich  den  veri^chied»- 
nen  Lehrercollegien  anheimgegeben  ist,  wird  je  nach  dem  höheren 
oder  niedrigeren  Stand  der  Gymnasien ,  welcher  auch  durch  die  Bit-  ' 
dungssphäre,  aus  welcher  sie- sich  rocrutieren,  bedingt  ist,  und  je  nach 
den  wechselnden  Persönlichkeiten  der  Lehrer  eine  nicht  unbedeutende 
DilTercnz  des  Maszstabes  eintreten,  und  wenn  diese  auch  für  das  aka- 
demische Studium  nicht  besonders  nachtheilig  werden  sollte,  so  lieg! 
doch  in  der  Ungleichheit  der  Behandlung  eine  Ungerechtigkeit  gegen 
diejenigen ,  die  nach  dem  Maszstabe  einer  Anstalt  für  unreif  erklärt 
würden,  während  sie  nach  dem  einer  andern  reif  wären.  Zudem  wird 
es  der  Studienbehörde  nicht  verdacht  werden  können,  wenn  sie  durch 
Festhaltung  eines  gleichen,  objectiven  Maszstabes  auch  indirect  dahin 
zu  wirken  sucht,  dasz  Anstalten,  deren  Leistungen  niedriger  stehen, 
sich  heben.  Die  Lehrer ,  denen  vor  allem  daraii  gelegen  sein  musi, 
dasz  der  Glaube  an  ihre  Gerechtigkeit  und  Unparteilichkeit  unerachflt- 


Abgangsprüfungen.  443 

lert  bleibe,  und  die  andererseits,  je  n&ber  sie  den  persönlicben  Ver< 
hSUnissen  stehen,  um  so  leichter  auch  unwillkürlich,  den  Rücksichten 
des  Hitleids  usw.  zugänglich  und  geneigt  sind  möglichste  Milde  su 
flben,  deren  Entscheidungen  jedenfalls  von  den  betroffenen  und  dem 
Publicum  leicht  als  parteiisch  betrachtet  werden  können,  dürften  es 
gewis  Torziehen,  wenn  auch  jeder  Schein  subjectiver  Willkür  von 
ihnen  entfernt  wird. 

Sprechen  diese  Momente,  unter  Voraussetzung  dasz  die  oben  be- 
rührten schlechthin  zu  entfernenden  nachtheiligen  Wirkungen  auf  an- 
dere Weise  beseitigt  werden  können,  für  Beibehaltung  der  Maturitöts- 
Prüfungen,  so  möchte  ich  noch  von  einem  andern  Gesichtspunkte  aus 
'rathen  zunächst  den  Versuch  zu  machen,  ob  durch  eine  veränderte 
Einrichtung  derselben  die  genannten  wesentlichen  Nachtheile,  zu  denen 
sich  noch  andere  mehr  zufällige  gesellen ,  beseitigt  werden  können. 

Bereits  hat  nemlich,  unstreitig  mit  in  Folge  der  Prüfungsordnung 
gen,  welche  auf  die  Masse  allseitiger  Kenntnisse  das  Haupt- 
gewicht legten,  auch  auszerhalb  der  Gymnasien  eine  banausische  Arl 
des  Studiums,  eine  Richtung,  die  sich  von  den  allgemeinen  Studien  ab-, 
lediglich  den  Fachstudien  zuwendet,  die  auch  diese  nicht  sowol  in 
wissenschaftlichem  Interesse,  als  vielmehr  mit  Rücksicht  auf  das  Exa- 
men, d.  i.  mehr  durch  Verbreitung  über  alles  was  bei  der  Prüfung 
vorkommen  kann,  als  durch  Ve  rtiefung  in  das  einzelne  betreibt, 
die  Gewohnheit  noch  anszer  und  nach  den  akademischen  Studien  sich 
speciell  für  die  (theologische,  juristische,  philologische  usw.)  Prü- 
fung vorzubereiten,  in  der  Art  (wenigstens  in  Württemberg)  sich 
festgesetzt,  und  sie  wird  von  den  besten  jungen  Männern  auf  so  unbe- 
fangene Weise,  als  wäre  ein  anderes  gar  nicht  möglich,  geübt  und  ein- 
gestanden, dasz  .man  wol  zweifeln  kann,  ob,  wenn  die  Maturitäts-  und 
Abiturientenprüfungen  aufgehoben  und  innerhalb  des  Gymna- 
siums die  Ursachen  des  knechtischen  Verhältnisses,  in  welchem 
viele  zur  Wissenschaft  stehen,  beseitigt  sind,  dann  auch  die  Wir- 
kung wegfallen  wird,  die  mittlerweile  durch  die  einreiszende  Rich- 
tung der  Zeit  befördert  ward  und  neue  Wurzeln  erhielt,  ob  nicht  mit 
dem  äuszeren  Impuls  des  Studiums  überhaupt  aller  und  jeder  Impuls 
wegfällt.  Ich  möchte  mit  dieser  Erinnerung  nur  aufmerksam  machen, 
dasz  wir  diese  Frage  im  Zusammenhang  mit  der  ganzen  Richtung  der 
Zeit  betrachten  und  beantworten  müssen. 

Ich  faiusz  mir  darum  erlauben  jene  ganze  Art  zu  studieren,  die 
BUD  —  wenigstens  in  meiner  nächsten  Heimat  —  um  sich  gegrififen 
hat,  obwol  sie  insgemein  als  das  natürliche  und  nothwendige  betrach- 
tet wird,  als  eine  illiberale,  weder  der  Würde  der  Wissenschaft  noch 
der  des  Menschen  angemessene  zu  bezeichnen.  Nicht  auf  Personen 
fiällt  mein  Tadel,  da  ich  junge  Männer  genug  kenne,  deren  Charakter 
von  dieser  Verkehrtheit,  wenn  sie  sich  ihr  unterwerfen  musten,  unbe- 
rührt» blieb,  sondern  auf  die  Einrichtungen,  die,  wenn  sie  nicht  ge- 
ändert werden,  in  immer  weiteren  Kreisen  die  freie  geistige  Kraft, 
das  echt  wissenschaftliche  Streben  knicken  müssen. 


444  Abgangsprafangen. 

Wenn  die  akademischen  Stadien  in  einer  angemessenen  Prflfang 
ihren  Schlusz  gefunden  haben  —  obwol  auch  auf  diese  akademische 
Prflfang  manche  sich  eine  besondere  Zeit  der  Vorbereitung  nehmen, 
als  müsten  nicht  eben  die  akademischen  Stadien  selbst  eine  solche 
sein  —  so  sollte  einerseits  in  der  beginnenden  praktischen  Laufbahn 
noch  so  viel  Musze  und  Lust  bleiben  um  sich  mit  den  erw&hlten  Fach- 
wissenschaften weiter  zu  beschäftigen,  andererseits  sollte  die  nnn  fol- 
gende weitere  Dienst-  oder  Anstellungsprilfung  hinsichtlich  ihres  Um- 
fangs  und  ihrer  Gegenstände  Rücksicht  auf  das  nehmen ,  was  nach  der 
verfügbaren  Musze  von  einem  strebsamen  jungen  Mann  wissenschaft- 
lich geleistet  werden  kann,  und  ohne  vorgängige  specielle  Vorberei- 
lung  sollte  die  Prüfung  erstanden  werden.  Statt  dessen  ist  es  gani 
gewöhnlich,  dasz  Theologen,  Juristen  usw.  sich  eine  besondere  Zeit 
wählen,  in  welcher  sie  das  ganze  Gebiet  der  Disciplinen,  welche  die 
Prüfung  umfassen  kann,  wiederholt  durchnehmen,  dem  Gedächtnis  mög- 
lichst alles  wissenswürdige  (auch  wol  mehr  als  dies)  einprägen ,  um 
für  die  Tage  der  Prüfung  über  ein  möglichst  reiches  wissen  verfügen 
können.  Ja  selbst  für  die  höheren  philologischen  Prüfungen ,  wenn  sie 
von  solchen  erstanden  werden,  die  bereits  in  einem  geistlichen  oder 
Lehramt  sich  befinden ,  wird  etwa  auf  einige  Zeit  Befreiung  von  Ge- 
schäften des  Amtes  nachgesucht,  um  eine  besondere  Vorbereitang  für 
diese  Prüfung  vornehmen  zu  können.  Was  ist  nun  innerhalb  einer 
solchen  Vorbereitungsfrist  möglich?  Nichts  anderes,  als  dasz  mal 
neben  der  Ausarbeitung  einer  wissenschaftlichen  Abhandlung,  die  ge-* 
fordert  wird,  das  Gedächtnis  mit  einer  Menge  von  Kenntnissen  und 
Notizen  anfüllt,  nach  denen  in  der  Prüfung  gefragt  werden  kann.  Denn 
von  eigentlicher  Vorbereitung  auf  den  Beruf  selbst  kann  in  so.knrzer 
Frist  nicht  die  Rede  sein,  da  die  wissenschaftliche  Tüchtigkeit  hief&r 
nicht  das  Ergebnis  eines  Jahrs  oder  eines  Semesters  ist.  —  Die  wib* 
senschaftliche  Erkenntnis  ist  nicht  eine  blos  gedächtnismäszige ;  aie 
ist  nicht  durch  die  Stärke  und  Ausdauer  des  Gedächtnisses  ^  wie  viel 
dasselbe  in  einer  gegebenen  Zeit  aufnehmen  und  bis  auf  eine  gewisse 
Zeit  präsent  erhalten  kann,  bedingt;  die  wissenschaftliche  Erkenntpif 
und  Tüchtigkeit  wächst  organisch  durch  Aufnahme,  selbstthätige  An- 
eignung und  Durchdringung,  eigene  Fruchtbarmachung  und  Weiter- 
führung des  gegebenen  Materials.  Wie  verkehrt  verhält  sich  xn  die- 
sem naturgemäszen  Procesz  wissenschaftlicher  Entwicklung  jene  vor- 
hersehende Befrachtung  des  Gedächtnisses ! 

Man  würde  nicht  viel  gewinnen ,  wollte  man  zwar  die  Ma- 
turitätsprüfungen aufheben,  die  übrigen  Prüfungen  aber  mit  ihren 
Gefolge  gedüchtnismäsziger,  unwissenschaftlicher  Vorbereitung  be- 
lassen. Die  Bevorzugung  des  Gedächtnisses,  die  Last  die  hiemii 
dem  strebenden  Geist  aufgebürdet  wird ,  ist  das  gemeinsame  Uebel 
unserer  Prüfungen  geworden:  sie  musz,  wo  sie  sich  findet,  besei^ 
tigt  werden,  nicht  um  blos  den  Gymnasialstudien,  sondern  am  aber- 
haupt  allen  Studien  ihre  naturgemäsze,  frische,  freie  Entwicklung 
zurückzugeben. 


Abgangsprafangen.  445 

In. den  Prüfungen  soll  nicht  sowol  das  empfangene  Material,  wie 
es  anverarbeitet  in  dem  Gedächtnis  aufgespeichert  liegt,  vorgezeigt, 
es  soll  vielmehr ,  was  zum  wirklichen  Vermögen  geworden ,  innerlich 
angeeignet  ist,  ermittelt  werden.  Ist  es  doch  eine  allgemeine  Er- 
fahrung, dasz  das  blos  ins  Gedächtnis  aufgenommene  Material  ffir  die 
fiberwiegende  Mehrzahl  der  Candidaten  kein  wahrer,  bleibender  Be- 
sitz ist;  wozu  denn  auf  diese  vergänglichen,  mit  dem  inneren  Geistes« 
leben  nicht  verwachsenen  Güter  so  groszea  Gewicht  legen?  Dagegen 
wird  dasjenige  zum  wahren  Eigenthum,  was  man  nicht  blos  in  der 
dargebotenen  Form  aufgenommen,  sondern  in  neuer  Form  aufgefaszt 
end  sich  angeeignet  hat,  dasjenige,  wobei  der  Geist  sich  theoretisch 
oder  praktisch  selbstthatig  erwies,  wo  er  entweder  in  dem  überlie- 
ferten Material  Anlasz  zu  selbständigen ,  wissenschaftlichen  Forschun- 
gen erhalten,  oder  wo  er  die  einzelnen  Kenntnisse  in  der  Praxis  ange- 
wendet, sein  wissen  in  ein  können  umgesetzt  hat. 

Wenden  wir  diese  Erfahrungen  und  Grundsätze  auf  die  für  die 
Abiturienten  gegebenen  Prüfungsordnungen  an,  auf  welche  wir  uns 
hier  zu  beschränken  haben,  so  inüsten  sich  wesentliche  Modificationen 
der  letzteren  ergeben;  es  wären  aus  der  Prüfung  diejenigen  Fächer 
auszuspheiden ,  welche  ihrer  Natur  nach  vorzugsweise  Gegenstände 
des  Gedächtnisses  sind;  es  müste  in  den  übrigen,  die  eine  verschiedene 
Behandlung  zulassen,  die  gedächtnismaszige  Behandlung  ausgeschlos- 
sen werden,  und  die  Prüfung  müste  vorzugsweise  zu  ermitteln  suchen, 
was  der  Candidat  durch  das  im  Unterricht  ihm  dargebotene,  von  ihm 
zu  verarbeitende  Material  geistig  geworden  ist  —  sein  können,  nicht 
sein  wissen,  mit  ^inem  Wort:  seine  geistige  Reife. 

Unter  allen  Unterrichtsgegenständen  scheinen  sich  nach  den  hier 
dargelegten  Grundsätzen  keine  in  höherem  Grade  zu  Gegenständen 
der  Maturitätsprüfungen  zu  eignen ,  als  die  Sprachen  und  die  Ma^he- 
flnatik.  In  beiden  ist  eine  gedächtnismäszige  Vorbereitung  nicht  mög- 
lich, jedenfalls  bei  richtiger  Prüfungsmethode  durchaus  erfolglos  und 
werthlos.  Namentlich  sind  in  den  Sprachen  Compositionen  das  sicherste 
Prüfungsmittel  über  die  erlangten  Kenntnisse.  Auf  sie  gibt  es  keine 
andere  Vorbereitung,  als  gründliches,  längere  Zeit  fortgesetztes,  inner- 
lich aneignendes  Sprachstudium.  Denn  in  dem  Masze,  als  die  einer 
fremden  Sprache  eigenen  Geistesformen  uns  vertraut ,  gleichsam  ei- 
gene geworden  sind,  in  dem  Masze  wird  der  Gebrauch  einer  fremden 
Sprache  uns  leichter  und  gewandter  werden.  Auch  bei  der  Ueber- 
setsung  aus  fremden  Sprachen  in  die  Muttersprache  läszl  sich  wenig- 
'stens  durch  eine  richtige  und  näher  eingehende  längere  Prüfung  er- 
mitteln, was  wahre,  lebendige  Kenntnis  der  Sprache,  was  nur  zu  dem 
blBStimmten  Zweck  der  Prüfung  eingeübt  ist.  Um  jedoch  auch  in  die- 
ser Hinsicht  das  abrichten  für  die  Prüfung  unmöglich  zu  machen,  dür- 
fen nur  die  Autoren,  aus  welchen  geprüft  werden  wird,  nicht  zum' 
voraus  bestimmt  sein.  Man  wird  dann  wenigstens  verhüten,  dasz  diese 
Schriftsteller  nicht  bis  zu  der  höchsten  Klasse  des  Gymnasiums  die  be- 
vorzugten sind. 


446  Abgangsprüfungen. 

Von  den  übrigen  Gymnasialffichem  würde  ich  Geschic^-  ), 
Geographie  (Naturkunde),  philosophische  Propaedeutik  unbedingt  uas 
dem  Prüfungsplane  streichen.  Die  Prüfung  in  diesen  Fächern  wird 
nicht  umhin  können,  vorzugsweise  auf  das  Gedächtnis  sich  za  rich- 
ten, wie  denn  auch  nach  meinen  Erfahrungen  hier  die  ängstlichste 
Repetition  stattfindet.  Sollte  man  glauben  auch  in  der  Religion  der 
Prüfung  keine  andere  Art  und  Richtung  geben  zu  können ,  als  auf  die 
Masse  des  mitgetheilten  wissens,  so  würde  ich  keinen  Anstand  neh- 
men auch  auf  dieses  Fach  bei  der  Prüfung  zu  verzichten. 

Ich  würde  aber  zur  Beurteilung  der  geistigen  Reife  sehr  groszeil 
Werth  legen  auf  einen  während  der  Prüfung  auszuarbeitenden,  su 
Darlegung  des  geistigen  Gewinns  aus  dem  Schulunterricht  und  xu 
selbständigem  denken  auffordernden  Aufsatz.  Ich  glaube,  dasz  eiiie 
solche  ohne  fremde  Hülfe,  selbständig  aus  dem  eigenen  geistigen 
Vermögen  hervorgegangene  Arbeit  die  sichersten  Anhaltpu^te  für 
das  Urteil  über  die  erlangte  geistige  Reife  darbieten  würde.  Frei- 
lich müste  ihr  ein  voller  Vormittag  und  möglichst  die  ganze  Frisehe 
der  geistigen  Kraft  gewahrt  bleiben.  —  Es  schiene  mir  nicht  rath- 
sam,  wenn,  wie  Landferraann  S.  43  vorschlägt,  eine  während  der 
Schulzeit  gelieferte  freie  Arbeit  zur  Grundlage  für  diese^  ^Urteil 
diente.  Denn  wie  weit  eine  solche  Arbeit  auf  fremder  Hülfe  and 
fremden  Ideen  beruht,  läszt  sich  auch  durch  eine  nachfolgende  münd- 
liche Prüfung  nicht  mit  Bestimmtheit  ermitteln,  indem  das  angeeig- 
nete fremde  leicht  den  Schein  des  ursprünglich  eigenen  annehmen, 
andererseits  Schüchternheit  und  Ungewandtheit  im  mündlichen  Ausdruck 
zur  Entschuldigung  dienen  können,  wenn  die  mündliche  Ausffihrnng 
der  schriftlichen  nicht  gleichkommt.  Es  wären  darum  wol  in  vie« 
len  Fällen  die  prüfenden  nicht  in  der  Lage  mit  Sicherheit  zu  nr- 
teilen.  —  Auch  möchte  ich  diese  Probe  der  Geistesreife,  die  immer- 
hin eine  gewisse  Beherschung  der  Sprache  voraussetzt,  nicht  durch 
den  Gebrauch  der  lateinischen,  überhaupt  einer  fremden  Sprache  er-, 
schweren  und  zweifelhaft  machen. 

Maulbronn.  Bäundem. 


f 


*)  Während  ich  im  übrigen  gröstentheils  mit  den  Grundsätzen  einp 
verBtanden  bin,  welche  Krüger  und  Landfcrmann  in  den  oben  an- 
geführten Abhandlangen  ausgesprochen  haben,  kann  ich  dagegen  nicht 
beipflichten,  wenn  dieselben  (Krüp^er  S.  650,  Landfermann  S.  42)  auch 
die  Geschichte  unter  die  nothwendigen  Prüfungsgegenstände  aufuehmen. 


Cicero.  447 


r  Cicero. 

Von  einem  alten  SclialmAnne. 


Es  isl  über  Cicero  so  viel  geschriebeo  worden,  dass  man  alle 
Uriache  hat,  Ueberdrasz  und  Widerwillen  zu  fürchten,  wenn  man  die 
Bede  wieder  auf  ihn  bringen  will.  Demungeachtet  scheint  mir  dies 
Tom  Standpunkte  des  Gymnasiallehrers  unerläszlich.  Cicero,  von  jeher 
der  Gegenstand  maszlosester  Bewunderung,  ist  in  der  neuesten  Zeit  — 
sieht  strenger,  kahler,  masz voller  beurteilt,  nein  er  ist  mit  Hohn  und 
Spott  und  Verachtung  behandelt  und  dargestellt  worden,  und  zwar 
■icht  n«ch  ^iner,  sondern  nach  allen  Seiten  hin,  als  Staatsmann  wie 
tU  Red.ier  and  Schriftsteller,  und  nicht  von  Idioten,  sondern  von  M&n* 
Bern,  wie  Dramann  and  Tb.  Mommsen,  die  mit  Recht  wegen  ihrer  Ge- 
lehrsamkeit and  ihres  Scharfsinns  die  gröste  and  allgemeinste  Aner- 
kennung genieszen.  Wie  wollen  wir  Gymnasiallehrer  es  also  recht- 
fertigen, dasz  wir  den  Cicero  fernerhin  als  Hauptgegenstand  des  Gym- 
Msialsludiums  beibehalten,  wenn  wir  dieses  Urteil  nicht,  natürlich 
QBter  der  Voraussetzung  dasz  wir  es  für  unbegründet  halten,  fortwäh- 
rend bekämpfen  und  ein  gerechteres,  billigeres,  dem  Cicero  günstige- 
res an  die  Stelle  zu  setzen  suchen? 

Die  Erscheinung  ist  allerdings  sonderbar.  Es  ist  eine  anleugbare 
Tbatsache,  dasz  die  Römer  selbst  nicht  leicht  einen  ihrer  Redner  und 
Schriftsteller,  oder,  um  mich  richtiger  auszudrücken,  dasz  sie  keinen 
derselben  höher  gestellt  und  allgemeiner  gerühmt  und  bewundert  ha- 
ben als  Cicero,  und  zwar  nicht  nur  seine  Parteigenossen,  sondern  auch 
•olche,  die  durch  die  tiefe  Kluft  des  Bürgerkriegs  and  des  politischen 
Basses  von  ihm  getrennt  waren,  und  dabei  Manner  von  der  unbestrit- 
lensten  Urleilsfähigkeil,  wie  z.  B.  Cäsar  and  Pollio.  Nicht  minder 
ansgemacht  ist  es ,  dasz  die  politische  Partei ,  welcher  er  angehörte, 
•ich  wiederholt  unter  seine  Leitung  gestellt  hat  (im  Kampfe  gegen  Ca- 
tilina  wie  gegen  Antonius)  und  dasz  auch  hier  wieder  selbst  seine 
Cregner  ihn  hoch  genug  geachtet  haben,  um  ihn  ins  Exil  zu  schicken, 
im  sich  alle  mögliche  Mühe  zu  geben  ihn  auf  ihre  Seite  herflberza- 
Biehen,  and  um  ihn  zuletzt  als  eins  der  ersten  Opfer  der  Proscriptionen 
tM  dem  Wege  zu  ränmen.  Und  demungeachtet  soll  heutzutage  seine 
Beredtsamkeit  in  nichts  als  in  den  elenden  Farbentöpfen  (AijxvOo^)  be- 
standen haben,  die  er  sich  zu  verschaffen  gewust,  und  vollends  als"^ 
Staatsmann  soll  er  geradezu  ein  Imbecil,  soll  er  schwach,  schwankend 
nnd  dabei  noch  obendrein  unredlich,  selbstsüchtig,  ja  sogar  grausam 
gewesen  sein.  Man  höre  nur,  wie  Mommsen  sich  an  folgender  Stelle 
(Bd.  3  S.  597),  die  wir  beispielsweise  mittheilen,  über  ihn  äuszert: 
*als  Staatsmann  ohne  Einsicht,  Ansicht  nnd  Absicht,  hat  er  nacheinan- 
der als  Demokrat,  als  Aristokrat  und  als  Werkzeug  der  Monarchie 
figuriert  und  ist  nie  mehr  gewesen  als  ^in  kurzsichtiger  Egoist.    Wo 

19.  Jahrb.  f.  PkO.  M.  Paed.  Bd  LXXVUl.  Hft  9.  30 


448  Cif^ero. 

er  zu  handeln  scliien,  waren  die  Fragen,  auf  die  es  ankam,  regelmfiszig 
bereits  abgethan:  so  trat  er  im  Procesz  des  Verres  gegen  die  Senats- 
gerichte  auf,  als  sie  bereits  beseitigt  waren  (?);  so  schwieg  er  bei 
der  Verhandlung  über  das  gabiniscbe  und  verfocht  das  manilische  Gt- 
setz;  so  polterte  er  gegen  Catilina,  als  dessen  Abgang  schon  fest 
stand  (?)  usw.  —  Als  Schriftsteller  steht  er  vollkommen  eben  so  tief 
wie  als  Staatsmann.  —  Er  war  in  der  That  so  durchaus  Pfuscher,  dasz 
es  ziemlich  einerlei  war,  welchen  Acker  er  pflügte.  Eine  Joarnalisten« 
natur  im  schlechtesten  Sinne  des  Worts  usw.  usw.^ 

Es  ist  dies,  wie  gesagt,  eine  sonderbare  Erscheinung  and  etwas^ 
was  seine  modernen  Beurteiler  wol  etwas  vorsichtig  machen  sollte, 
zumal  wenn  sie  selbst  weder  Staatsmänner,  noch  Redner,  noeh  Über- 
haupt Minner  des  praktischen  Lebens  sind ;  denn  wenn  es  unzweifel- 
haft ist,  dasz  Cicero  wie  jedermann  nur  vom  Standpunkte  seiner  Zeit 
und  seiner  Verhältnisse  richtig  und  billig  beurteilt  werden  kann ,  so 
dürfte  wol  eine  gewisse  Präsumtion  dafür  sprechen ,  dasz  hierzu  Män- 
ner ,  welche  seihst  Römer,  welche  zum  Theil  seine  Zeitgenossen,  wel- 
che Staatsmänner  und  Redner  waren ,  geeigneter  und  befähigter  seiea 
als  Gelehrte  der  Jetztzeit.  Indes  ist  dies  freilich  nicht  entscheidend. 
Nicht  auf  Autoritäten,  sondern  auf  eine  sorgfältige  Prüfung  haben  wir 
ja  wie  überall  so  auch  hier  unser  Urteil  zu  gründen. 

Wir  erlauben  uns  unserer  weiteren  Erörterung  zunäehsl  einige 
Bemerkungen  über  einen  Punkt  vorauszuschicken,  wacher  vorzngs* 
weise  von  den  neueren  zum  Gegenstand  des  heftigsten  Tadels  gemachl 
worden  ist,  zugleich  der  einzige ,  der  auch  von  den  alten  gerügt  wor- 
den ist ,  aber  wolgemerkt,  nur  von  solchen,  welche  auf  der  entgegen- 
gesetzten politischen  Partei  standen.   Ich  meine  die  Hinrichtung  der 
Genossen  des  Catilina ,  die  bekanntlich  auf  Beschlusz  des  Senats,  aber 
unter  Ciceros  Consulat  -und  sonach  unter  seiner  vorzngsweisen  Ver- 
antwortung geschah.  Wir  wissen,  dasz  diese  Maszregel  ni^t  nar  von 
Clodius  als  Gegenstand  der  Anklage  gegen  Cicero  benutzt,  sondern 
.auch  von  Cäsar  wiederholt  ausdrücklich  gemisbilligt  wurde  und  aach 
sonst  viele  Gegner  hatte.   In  neuerer  Zeit,  ist  sie  nicht  nur  geradezu 
für  einen  Act  der  Willkür,  für  einen  ^Justizmord'  erklärt,  sondern 
auch  im  allgemeinen  zu  den  nachtheiligsten  Folgerungen  in  Bezug  auf 
Ciceros  Charakter  verwendet  worden.    Nun  ist  hiebt  zu  bezweifein, 
dasz  die  hingerichteten  mit  Catilina  zusammen  die  Absicht  halteovRom 
an  allen  Ecken  anzuzünden  und  eine  der  fürchterlichsten  Revolutionen 
zu  machen,  von  welcher  die  Geschichte  berichtete;    eben  so  wenig 
dürfte  sonach  in  Abrede  zu  stellen  sein ,  dasz  sie  den  Tod  verdienten, 
auch  wenn  das  bestehende  Regiment,  welches  sie  zu  stürzen  beabsich- 
tigten, nicht  allzu  löblich  war,  oder  wenigstens,  dasz  ihre  Hinrich- 
tung nichts  anderes  war,  als  was  in  solchen  Fällen  immer  zu  gesche-« 
hen  pflegt.    Der  Tadel  Ciceros  kann  also  nur  die  Form  der  Verurtei- 
lung treff'en,  und  so  ist  es  auch  in  der  That.   Man  hebt  hervor,  dasz 
schon  seit  den  Zwölftafelgesetzen  kein  römischer  Bürger  anders  als  auf 
Beschlusz  des  Volks  in  den  jBenturiatencomitien  hingeriohtot  werden 


Cicero.  449 

sollte ,  und  dasz  folglich  der  Senat  das  Recht  nicht  gehabt,  einen  rö- 
nischen  Bürger  zu  verurteilen.  Allein  man  vergiszt,  dasz  nach  der 
herschenden  Ansicht  der  Senatspartei  diese  Regel  eine  Ausnahme  fand, 
wenn  den  Consuln  durch  die  bekannte  Formel  (videant  consules  cet.) 
eine  anszerordentliche  Vollmacht  verliehen  vrorden  war  (s.  bes.  SaU 
losts  Cat.  29),  ^in^  Vollmacht,  die  zwar  von  der  Volkspartei  fortwäh- 
rend bestritten  und  bekämpft,  aber  von  der  Senatspartei  eben  so  hart- 
BAekig  behauptet  wurde.  Heiszt  es  also,  wenn  ein  Historiker  den 
Cicero  wegen  dieser  Angelegenheit  so  streng  tadelt,  nicht  eben  so 
Tiel  als  sich  auf  den  Standpunkt  der  damaligen  Volkspartei  stellen? 
«od  zugleich  dem  Cicero  persönlich  und  allein  eine  Schuld  aufbürden, 
die,  wenn  sie  überhaupt  eine  solche  ist,  wenigstens  die  ganze  Partei 
trifft?  Wie  wenig  bei  Cicero  selbst  irgend  ein  Bewustsein  von  einer 
Rechtswidrigkeit  dieser  Verhandlung  vorhanden  war,  geht  schon  dar- 
tns  hervor,  dasz  nirgends  ein  Zweifel  daran  bei  ihm  laut  wird,  dasz 
es  sich  vielmehr  nur  um  die  Zweckmaszigkeit  der  Maszregel  handelt 
snd  dasz  die  Anfeindungen,  die  er  deshalb  erfährt,  immer  nur  als 
Pifteimanöver  angesehen  werden.  Mag  man  also  sonst  über  die  Sache 
denken  wie  man  will:  vom  moralischen  Standpunkte  wird  man  Cicero 
deshalb  kaum  irgend  einen  Vorwurf  machen  können. 

Um  indes  jenes  Urteil  richtig  würdigen  zu  können,  ist  es  an- 
erläszlich  nothwendig,  dasz  wir  uns  Ciceros  Werth  und  Bedeutung  als 
Staatsmann  nod  als  Schriftsteller  im  allgemeinen  wenigstens  durch  ei- 
nige rasche  Züge  kurz  vergegenwärtigen.  Es  wird  dies  freilich  nur 
darch  Anführung  sehr  bekannter  Dinge  geschehen  können.  Indes  es 
scheint  eben,  als  ob  zuweilen  gerade  die  bekanntesten  Wahrheiten  und 
diejenigen,  welche  der  einfache  gesunde  Menschenverstand  ergibt,  um 
mit  Fries  zu  reden,  am  leichtesten  unter  die  Schwelle  des  Bewustseins 
herabfielen,  und  deswegen  können  wir  es  nicht  vermeiden,  sie  mit  we- 
nigen Worten  wieder  nach  Gebühr  in  Geltung  zu  setzen. 

Sofern  es  sich  dabei  zunächst  um  die  Verdienste  Ciceros  als 
Staatsmann  oder  vielmehr  um  die  Frage  handelt,  ob  er  sich  überall 
nnr  als  Egoist  erwiesen  habe,  so  wird  es  genügen,  wenn  wir  auf  seine' 
Verwaltung  Ciliciens  hinweisen,  die  gewis  eine  der  reinsten,  wolwol- 
londsten,  von  Habsucht  und  Willkür  freiesten  Provincialverwaltungen 
ist,  von  denen  die  römische  Geschichte  weisz.  Und  sollten  die  guten 
Lehren,  die  er  in  dieser  Beziehung  seinem  Bruder  Quintus  in  dem  be- 
kannten Briefe  gibt,  nichts  als  Heuchelei  sein?  Wenn  man  diesen 
Rnhm  Ciceros  hat  schmälern  wollen,  indem  man  aus  einem  seiner 
Briefe  an  den  Atticus  bewiesen  hat,  dasz  er  sich  eine  (verhältnis- 
mt^zig  nicht  bedeutende)  Geldsumme  in  der  Provinz  erworben,  so 
scheint  dies  nur  auf  einer  ganzlichen  Verkennung  der  damaligen  Zu- 
stinde  ZG  beruhen. 

Er  soll  nun  aber  als iStaatsmann  nicht  nnr  selbstsüchtig,  sondern 
inch  kurzsichtig,  ohne/ Einsicht,  Ansicht  nnd  Absicht,  unüberlegt, 
aleo  völlig  nnbedentend  gewesen  sein.  Wir  haben  hiergegen  schon 
einiges  angeführt,  was  sich  mit  einem  solchen  Urteil  schlechterdings 

30* 


450  Cicero. 

nicht  vereinigen  laszt,  namentlich  dasz  sich  seine  Partei  in  den  ge« 
fährlicbsten  Zeiten,  wie  z.  B.  während  seines  Consulats,  unter  seine 
Führung  gestellt,  was  sie  sicherlich  nicht  gethan  haben  würde,  wenn 
er  so  unbedeutend  gewesen  wäre.  Ist  aber  nicht  seinXoqsalat  selbst 
—  der  Glanz-  und  Höhepunkt  seines  Lebens  —  eins  der  denkwürdig- 
sten und  erhebendsten  Beispiele  dessen,  was  Wort  und  Geist  ät>er  die 
rohe  Gewalt  vermögen,  mag  man  sonst  über  Tendenz  und  Erfolg  des- 
selben urteilen  wie  man  will?  Ist  nicht,  um  von  seinem  Kampfe  mit 
Catilina  und  von  manchem  andern  nicht  zu  reden,  sein  auftreten  geg^ü 
das  Ackergesetz'  des  Rulltis  wahrhaft  grosz  und  bewundernswürdig, 
wo  es  ihm  lediglich  durch  seine  Beredtsamkeit  nicht  nur  gelang,  den 
Volke  eine  ihm  dargebotene  überaus  lockende  und  süsze  Gabe  sa  ent- 
reiszen ,  sondern  wo  er  dasselbe  gleichzeitig  durch  diese  unpopnlirsta 
Maszregel  zum  grösten  Enthusiasmus  für  sich  und  seine  Partei  fortxa- 
reiszen  wüste  ? 

Den  Uanptbeweis  in  dieser  Beziehung  aber  wird  immer  sein  an« 
porkommen  selbst  bilden.  Man  weisz,  wie  eifersüchtig  damals  die 
Nobilität  die  Ehrenämter  hütete,  um  keinen  dazu  gelangen  sa  lassen, 
der  nicht  zu  der  privilegierten  Klasse  gehörte,  und  dasz  dem  Cicero 
die  beiden  nnerläszlich  scheinenden  Mittel  zum  emporsteigen,  Adel 
und  Heichthum,  völlig  abgiengen.  Demungeachtet  hat  er  sich  den  Weg 
gebahnt,  und  zwar  lediglich  durch  sein  Talent  und  seine  rastlose  Thi« 
tigkeit.  Es  wird  ihm  freilich  zum  Vorwurf  gemacht,  dasz  er  den 
Pompejus  gedient  und  dem  Volke  geschmeichelt  habe,  dasz  er  ^nacli 
einander  als  Demokrat,  als  Aiistokrat  und  als  Werkzeug  der  Monarchie 
figuriert'  habe.  Aber  wQ^sind  die  Beweise  dafür?  Wir  haben  das  an- 
trügliche  Zeugnis  des  auf  der  Seite  der  Demokratie  stehenden  Sallnst 
(Cat.  23),  dasz  die  aristokratische  Partei  seine  Wahl  zum  Consalata 
förderte ,  weil  sie  sich  in  dem  bevorstehenden  Kampfe  gegen  Catiliaa 
auf  ihn  stützen  zu  können  wünschte.  Würde  sie  dies  gethan  haben, 
wenn  sie  ihn  als  Ueberläufer  kennen  gelernt,  wenn  sie  namentlich  ge- 
sehen hätte,  dasz  er  auf  die  9eite  des  Volkes  übergetreten,  um  Consat 
zu  werden?  Dasz  er  sich  an  Pompejus  angeschlossen,  können  nnd 
wollen  wir  nicht  leugnen;  allein  sehen  wir  nicht  beim  Ausbruch  des 
Bürgerkriegs  an  unzähligen  Stellen  seiner  Briefe  aufs  dentlichste,  wia 
das  in  ihm  aufkeimende  Mistrauen  mit  seiner  früheren  gewohnten  Br^* 
gebenheit  gegen  ihn  kämpft?  was  haben  wir  also  für  ein  Recht  Aousia- 
rungen  dieser  Ergebenheit  in  einer  früheren  Zeit  für  völlig  erhenohall 
zu  erklären,  was  haben  namentlich  diejenigen  für  ein  Recht  hiena, 
die  dem  Cäsar  das  unbedingteste  Lob  zu  ertheilen  pflegen,  von  dem 
es  bekannt  ist,  dasz  er  schon  vor  dem  Triumvirat  dem  Pompejus  mit 
den  ausgedachtesten  Schmeicheleien  entgegengekommen? 

Es  bleibt  uns  übrig,  noch  ein  Wort  über  ihn  als  Redner  nnd 
Schriftsteller  hinzuzufügen,  wo  es  frei licli  doppelt  schwierig  ist  in 
der  Kürze  etwas  überzeugendes  beizubringen.  Dasz  er  aber  in  dieser 
Hinsicht  wenigstens  nicht  unbedeutend,  dürfte  schon  daraus  hervor- 
gehen, dasz  er  beinahe  zwei  Jahrtausende  lang  nicht  nur,  wie  schon 


Cicero.  451 

bemerkt,  allgemein  gerühmt  und  bewandert  worden  ist  (so  sehr,  dasz 
z.  B.  ein  so  feiner  Kopf  nnd  Geist  wie  Erasmns  von  Rotterdam  den 
Grfid  der  Bewunderung  für  Cicero  geradezu  als  den  Maszstab  für  den 
Grad  der  Bildung  bezeichnen  konnte) ,  sondern  dasz  er  auch  eben  so 
lange  mit  der  römischen  Litteratur  zusammen  als  deren  Meister  den 
Geschmack  und  Stil  aller  gebildetsten  Nationen  beherscht  hat  nnd  zum 
nicht  geringen  Theile  noch  beherscht.  Wie  wäre  dies  denkbar,  wenn 
er  nichts  weiter  als  ein  ^Pfuscher,  eine  Journalistennatur  im  schlech- 
testen Sinne  des  Worts'  gewesen  wäre?  Ich  glaube  aber  auch,  dasz 
kein  unbefangener  gewisse  Partien  seiner  Reden,  z.  B.  die  erste  Hälfte 
der  Rede  für  Roscius  Amerinus,  die  Erzählungen  in  den  Verrinen,  die 
Auseinandersetzung  des  Falls  in  der  Rede  für  den  Milo  oder  die  feine 
Verspottung  der  Rechtsgelehrsamkeit  in  der  Rede  für  Murena,  ohne 
Bewunderung  und  ohne  die  Anerkennung  zu  lesen  vermöge,  dasz  er 
es  mit  einem  Meister  in  seiner  Art  zu  thun  habe. 

Schon  dieses  wenige,  was  ich  mir  erlaubt  habe  dem  geneigten 
Leser  zu  vergegenwärtigen,  wird,  so  hoffe  ich,  zu  dem  Beweise  hin- 
reichen, dasz  das  in  Rede  stehende  Urteil  mit  seinem  Gegenstände 
völlig  unvereinbar,  dasz  es  unbillig  und  falsch  sei.  Sofern  es  mir 
iaiso  nur  darum  zu  thun  wäre,  dieses  Urteil  abzuweisen,  so  könnte  ich 
hiermit  meine  Abhandlung  schlieszen.  Wir  können  es  indes  nicht  un- 
lerlassen  wenigstens  durch  einige  Andeutungen  einen  kleinen  Beitrag 
za  einer  richtigen,  nnbefangenen  und  allseitigen  Würdigung  Ciceros 
za  liefern.  Es  gibt  nemlich.  wirklich  eine  Kehrseite  bei  Cicero,  nnd 
-^es  ist  von  Wichtigkeit,  dasz  man  diese^anerkenne  und  eine  Vermitte- 
Inng  seiner  Vorzüge  und  Mängel  suche.  Der  Fehler  der  modernen  Be- 
urteilung ist  der,  dasz  sie  diese  Kehrseite  ausschlieszlich  und  über- 
dem  mit  den  grösten  Uebertreibungen  berücksichtigt  hat;  es  würde 
aber  ein  eben  so  groszer  Fehler  sein,  wenn  man  blos  die  Lichtseite 
beachten  wollte ,  wie  denn  in  der  That  dieser  Fehler  bisher  von  den 
meisten  Beurteilern  begangen  worden  ist. 

Für  eine  solche  richtigere  und  billigere  Würdigung  scheint  es 
mir  zunächst  von  Wichtigkeit,  die  Periode  bis  zu  seinem  Consulat, 
dieses  und  vielleicht  auch  das  nächste  Jahr  nach  demselben  mit  einge- 
schlossen, von  der  späteren  Periode  seines  Lebens  zu  scheiden.  Dies- 
seits dieser  Grenze  dürfte  es  kaum  möglich  sein^  dem  Cicero  etwas 
erhebliches  vorzuwerfen.  Freilich  wird  man  auch  für  diese  Zeit  nicht 
den  strengsten  moralischen  Maszstab  anlegen  dürfen,  vor  welchem 
Oberhaupt  wenige  Staatsmänner,  die  sich  in  bewegten  Zeiten  zu  einer 
leitenden  Stellung  erhoben,  bestehen  werden  und  dem  völlig  zu  ent- 
spreehen  in  der  damaligen  verderbten,  von  Parteileidenschaften  zer- 
rissenen Zeit  durchaus  unmöglich  war.  Indessen  wird  man  doch  zu 
zagen  haben,  dasz  er  einer  der  reinsten,  vorwurfsfreiesten  Charaktere 
war,  welche  sich  damals  auf  der  geschichtlichen  Schaubühne  be- 
inregten. 

Sein  erstes  öffentliches  hervortreten  war  bekanntlich  die  Verthei- 
digung  des  Roscias  aus  Ameria,  and  wer  wollte  leugnen,  dasz  er  da- 


452  Cicero. 

mit  nicht  nur  als  Beschützer  der  gefährdeten  Unschuld  aofirat,  flondeni 
auch  einen  anerkennenswertben  Beweis  von  Mut  lieferte,  indem  er  dea 
Kampf  mit  einem  der  Günstlinge  des  Sulla  aufnahm.  Dasz  er  die 
Quästur  in  Sicilien  zum  besten  und  zur  Befriedigung  der  Provins  Ter- 
waltete,  geht  daraus  hervor,  dasz  die  Provinz  ihn  bei  ihrer  Anklage 
des  Yerres  zu  ihrem  Patron  erwählte.  Die  Führung  dieser  Anklage 
selbst  wiederum  kann  ihm  bei  einer  unbefangenen  Betrachtung  nllr  sum 
Lobe  goreichen.  Es  handelte  sich  darum,  die  Partei,  der  er  angehörte, 
von  einem  Flecken  zu  reinigen,  der  ihr  zur  Schande  gereichte  and 
ihr  den  grösten  Nachtheil  bereiten  konnte:  wer  wollte  ihn  also  tadeln, 
wenn  er  sich  dieser  Aufgabe  unterzog?  Er  schlosz  sich  von  nun  an 
hauptsächlich  dem  Pompejus  an,  und  mau  wird  es  nicht  in  Abrede  stel- 
len können,  dasz  er  dies  vornemlich  gelhan,  um  sich  durch  Pompejus 
zu  heben;  wir  haben  indes  bereits  bemerkt,  dasz  man  ihm  hieraus 
keinen  besondern  Vorwurf  machen  darf. 

Cicero  war  in  dieser  ganzen  Zeit  von  Grund  der  Seele  Anbänger 
der  aristokratischen  oder  Seuatspartei,  von  deren  Anfrechterhaltung 
der  Fortbestand  der  Republik  abbieng,  wie  er  es  sein  ganzes  Leben 
hindurch  war  und  seiner  ganzen  Individualität  und  Bildung  nach  nicht 
anders  sein  konnte.  Dabei  versteht  es  sich  von  selbst,  dasz  er  ei 
nicht  mit  den  exclusivsten  der  Aristokraten  hielt,  die  ihn,  so  viel  an 
ihnen  war,  vom  Senate  entfernt  zu  halten  suchten,  sondern  mit  dem 
gemäszigteren  Theile  des  Senats.  Ein  solcher  existierte  nemlich  seit 
den  Bewegungen  des  J.  91,  über  welche  uns  Cicero  in  dem  Prooemium 
zum  dritten  Buche  de  oratore  eine  so  interessante  und  lehrreiche  Kunde 
gibt,  und  dieser  Thcil  war  es,  der  von  jeher  seit  der  berühmte  Red« 
ner  L.  Crassus  zuerst  diese  Richtung  eingeschlagen,  eine  Vermittl^m' 
mit  dem  Volke  suchte,  der  zu  diesem  Zwecke  den  Ritteirstand  an  aioh 
zog,  der  deshalb  auch  den  Pompejus  auf  sein  Schild  hob, -und  desaei 
Interesse  Cicero  treu  und  ehrlich  verfocht,  wenn  er  sich  ebenfalU 
dem  Pompejus  förderlich  erwies  und  wenn  er  mitunter  auch  g%gnk 
Glieder  der  exclusiven  Aristokratie  feindlich  vorgieng. 

Freilich  würde  sich  nach  Mommsen  dies  alles  ganz  anders  stellen« 
Nach  diesem  war  Pompejus  seit  seinem  ersten  Consnlat  im  J.  70  ent- 
schiedener Demokrat  und  Feind  des  Senats,  und  auch  Cicero  war  es, 
bis  er  als  Cousul  die  Farbe  wechselte.  Dasz  dies  aber  eine  unriohtige 
Auffassung  der  Verhältnisse,  geht,  abgesehen  von  tausend  anderen 
Gründen,  schon  aus  dem  bereits  angeführten  Umstände  mit  völliger 
Bestimmtheit  hervor,  dasz  Cicero  nach  dem  ganzen  Stand  der  Verhilt* 
nisse  wie  nach  dem  ausdrücklichen  unantastbaren  Zeugnisse  des  Sal- 
lust  als  angehöriger  der  Seuatspartei  und  lediglich,  weil  er  ein  aolober 
war,  zum  Consul  gewählt  wurde. 

Beiläufig  wollen  wir  noch  bemerken,  dasz  es  eine  völlige  Ua- 
richtigkeit  ist,  wenn  Mommsen  an  der  oben  angeführten  Stelle  (Bd.  3 
S.  598)  behauptet,  Cicero  sei  in  den  Verrinen  erst  gegen  die  Senats- 
gerichte  aufgetreten,  als  sie  bereits  beseitigt  gewesen.  Ein  jeder  Le- 
ser der  Verrinen  weisz,  dasz,  als  Cicero  die  erste  Rede  gegeo  Verres 


Cicero.  453 

hiell  (die  f  og.  Ael.  I),  die  Senatsgerichte  swar  verhaszl  und  bedroht, 
aber  Eur  Zeit  noch  völlig  unangetastet  waren  (s.  z.  B.  c.  8),  und  dasE 
in  den  Beden  der  sweiten  Action  das  aiirelische  Gesetz  zwar  beantragt, 
aber  noch  nicht  durchgebracht  ist  (s.  z.  B.  lib.  II  c.  71).  Eine  Unrich- 
tigkeit gleicher  Art  ist  es ,  wenn  Cicero  erst  dann  gegen  Catilina  ^ge- 
poltert' haben  soll,  als  dessen  Abgang  schon  festgestanden.  Wer 
batte  denn  dann  bewirkt,  dasz  Catilina  Bom  verliesz  und  es  unter  soU 
ohen  UnstSnden  verliesz,  dasz  durch  seinen  Weggang  seine  Sache 
iohon  so  gut  wie  verloren  war? 

Wir  wiederholen  also:  bis  zur  Zeit  seines  Consulats  ist  Cioeros 
politisches  Leben,  wenn  man  nicht  einen  rigoristischen,  fär  die  damali- 
gen Verhaltnisse  unpassenden  Maszstab  anlegen  will,  völlig  vorwurfs- 
frei. Hatte  er  seine  Laufbahn  zu  dieser  Zeit  geschlossen,  so  würde 
sein  Bild  zwar  auf  der  einen  Seite  dunkler  und  unklarer,  namentlich 
iuch  viel  weniger  individuell  ausgeprägt,  zugleich  aber  auf  der  andern 
Seite  von  allen  erheblichen  Flecken  rein  geblieben  sein. 

Anders  verhalt  es  sich  aber  mit  der  anderen  Hälfte  seines  Lebens. 
Wir  wollen  den  Gang  seines  weitereu  politischen  Lebens  nicht  im  ein- 
lelnen  verfolgen ,  da  er  allgemein  bekannt  ist.  Es  wird  hinreichen, 
wenn  wir  daran  erinnern,  wie  er  es  seit  der  Bfickkehr  des  Pompejus 
aus  Asien  und  seit  dessen  Verbindung  mit  Cäsar  und  Crassus  immer 
vergeblich  versucht,  eine  seinen  Anteeedentien  entsprechende  politi- 
sche Stellung  zu  gewinnen,  für  welche  unter  den  obwaltenden  Um- 
ständen nirgends  Baum  war,  und  wie  er  sich  dadurch  erst  das  Exil 
und  dann  immer  neue  Demütigungen  zuzog.  Es  ist  in  der  That  ein 
peinliches  Schauspiel,  zu  sehen,  wie  er  voll  inneren  widerstrebens 
und  der  unwürdigen  Bolle  sich  völlig  bewust,  die  er  spielt,  sich  um 
die  Gunst  des  Cäsar  bemüht,  und  wie  er  dann  nach  dem  Ausbruch  des 
Bürgerkriegs  zwischen  den  beiden  Bivalen  hin  und  her  schwankt,  um 
sich  endlich,  aber  auch  nur  halb,  dem  Pompejus  anzuschlieszen,  statt 
sich  —  das  einzige,  was  ihm  noch  übrig  blieb  —  ganz  von  dem  öf- 
fentlichen Leben  zurückzuziehen  und  sich,  lediglich  den  Studien  zu 
widmen.  Erst  nach  der  Schlacht  bei  Pharsalus  gewinnt  er  nach  und 
nach  den  Enlschlusz  hierzu.  Indessen  bedurfte  es  nur  eines  schwachen 
Sdiimmers  von  Hoffnung,  um  ihn  nach  der  Ermordung  Casars  wieder 
Muf  den  politischen  Schauplatz  zu  neuen  Täuschungen  und  schlieszlich 
10  seinem  Verderben  hervorzurufen.  Und  dasz  er  sich  in  dieser  un- 
glücklichen Lage  auch  von  wirklichen  Inconsequeuzen ,  von  Handlun- 
gen ,  die  sein  Gewissen  verurteilte,  nicht  frei  erhielt,  dafür  liefern  die 
Vertheidigungen  des  Vatinius  und  des  Gabinius  den  hinreichenden  Be- 
weis, von  Männern,  die  er  vor  allen  andern  haszte  und  die  er  früher 
Bit  den  heftigsten,  leidenschaftlichsten  Schmähungen  überschüttet  hatte, 
für  die  er  aber  gleichwol,  um  dem  Cäsar  zu  gefallen,  öffentlich  aufzu- 
treten über  sich  vermochte. 

Zu  Ciceros  Unglück  wird  uns  nun  aber  ferner  von  allen  diesen 
Schwankungen  und  Misstimmungen  ein  mögUchsl  vollständiges  Bild 


454  Cioero. 

entrollt  in  seinen  eignen  Briefen,  die,  von  dem  bexeiehneten  Zeitpunkte 
anfangend  (aas  der  früheren  Zeit  sind  nnr  wenige  unbedeotende 
Briefe  erhalten)  uns  besonders  in  den  vertrauten  Herzensergieszangei 
an  den  Atticus  erst  seine  Besorgnisse  wie  seine  stolzen  Gedanket 
in  Bezug  auf  die  Verbindung  zwischen  Pompejus ,  Cfisar  und  Cmssos, 
dann  seine  Mutlosigkeit  im  Exil,  seine  Demütigung  nach  demselben, 
seine  fast  täglich  wechselnden  Entschliesznngen  nach  dem  Ausbrach 
des  Bürgerkriegs,  seine  Unzufriedenheit  mit  dem  Pompejns,  seine 
Klagen  über  Cäsar  und  über  die  schlechten  Zeiten,  nnd  endlich  seine 
Zweifel  und  seine  Unschlüssigkeit  nach  der  Ermordung  C&sars  aufs 
deutlichste  erkennen  lassen. 

Diese  Kehrseite  also  haben  wir  —  nicht  einseitig  hervorzuheben 
um  in  ihr  das  wahre  Wesen  Ciceros  darzustellen ,  sondern ,  wo  mög- 
lich, mit  den  oben  angedeuteten  Vorzügen  zu  vermitteln,  um  anf  diese 
Weise  ein  der  Wirklichkeit  entsprechendes'  Gesamtbild  des  jedenfalls 
bedeutenden  und  merkwürdigen  Mannes  zu  finden.  Thun  wir  dies  aber, 
so  werden  wir  freilich  nicht  sagen  können ,  dasz  er  zu  den  glücklich 
organisierten  Naturen  gehöre ,  die  ein  völliges  Gleichgewicht  In  sich 
herzustellen  vermögen ,  die  sich  immer  in  der  Sphäre  einer  ungetrüb- 
ten Klarheit  und  Sicherheit  erhalten,  und  wir  werden  ihn  in  dieser 
Hinsicht  namentlich  weit  gegen  Cäsar  zurückstellen  müssen,  bei  dem 
dieses  Gleichgewicht  in  einem  seltenen,  von  wenigen  sterblichen  er- 
reichten Masze  stattfindet.  Hierzu  ist  Cicero  viel  zu  reizbar,  im  Augen- 
blicke des  handelns  viel  zu  sehr  dem  Eindrucke  aller  Möglichkeiten 
unterworfen,  aber  deshalb  auch  zn  sehr  von  dem  Einflüsse  anderer  ab- 
hängig ,  fremden  Lobes  und  fremder  Anerkennung  viel  zn  bedürftig« 
Aber  sind  diese  Naturen  denn  wirklich  vom  sittlichen  Standpunkte  so 
viel  schlechter  als  jene?  Wir  sehen  bei  Cicero  in  den  Briefen  beson- 
ders deutlich,  worauf  diese  Unschlüssigkeit  und  dieses  schwanken 
hauptsächlich  beruht,  nemlich  auf  nichts  anderem  als  anf  einer  ge- 
wissen Ueberspannung  der  Ideale,  der  die  Wirklichkeit  nie  vollkom« 
men  genügt  nnd  die  keinen  praktischen  Entschlusz  als  untadelhaft  an- 
erkennt: daher  diese  Unzufriedenheit  mit  sich  selbst,  daher  dieses 
fortwährende  ^sichverklagen  der  Gedanken  unter  einander',  daher  dem 
auch  diese  Unsicherheit,  weil  der  frühere  Entschlusz  nie  zn  einer 
festen  Grundlage  für  den  nachfolgenden  werden  kann.  Zum  energischen 
handeln  konnte  Cicero  bei  dieser  Individualität  freilich  nur  gelangen, 
wenn  seine  Kraft  von  auszen  her  gewissermaszen  suppliert  wurde, 
wenn  er  sich  an  einen  kräftigeren  Geist  anlehnen  konnte  (leider  bot 
Pompejus  ihm  die  Stütze  nicht,  die  er  in  ihm  suchte))  oder  wenn  er 
durch  den  Beifall  seiner  Standesgenossen  oder  den  Enthusiasmus  des 
Volks  gehoben  wurde :  ist  aber  eine  solche  übergrosze  Zartheit  des 
Gewissens  ohne  weiteres  ein  sittlicher  Makel,  der  auf  die  obige  Art 
gebrandmarkt  zu  werden  verdient?  Wir  finden  es  eben  so  charak- 
teristisch für  Cicero  wie  erklärlich,  wenn  er  einmal  an  einer  Stelle 
seiner  Briefe  von  Cäsar  sagt,  dasz  er  auch  nicht  *den  Schatten  des 
schönen'  gesehen  habe,  und  so  wenig  wir  dieses  Urteil  unterschreiben 


Cioero.  455 

nftohlen ,  bo  wollen  wir  doch  nicht  verhehlen ,  dasK  ons  eine  gewisse 
Wahrheit  darin  enthalten  zu  sein  scheint. 

Wir  dürfen  aber  auch  nicht  unerwähnt  lassen ,  dasE  der  Schatten, 
welcher  aus  den  Briefen  auf  Cicero  fällt,  sich  nm  ein  bedeutendes 
mildert,  wenn  wir  bedenken,  dasz  es  meist  nur  die  vertrautesten  Her- 
lensergieszungen  sind  die  uns  geboten  werden,  in  denen  sich  der 
Mensch  und  zumal  ein  so  reizbarer,  wie  Cicero,  gewöhnlich  nhsht 
besser,  sondern  vielmehr  schlechter  darzustellen  oder  doch  seine 
flhelsten  Stimmungen  niederzulegen  pflegt,  um  sich  ihrer  eben  dadurch 
in  entledigen,  und  wenn  wir  ferner  die  gröszere  OITenbeit  und,  so  zu 
sagen,  Derbheit  berücksichtigen,  mit. der  die  Allen,  wie  von  allen 
Dingen,  so  auch  von  ihren  innnersten  Herzensregungen  zu  sprechen 
pflegen.  Auch  versteht  es  sich  von  selbst,  dasz  neben  den  für  ihn  un> 
gflnstigen  Aeuszerungen  sich  auch  andere  von  entgegengesetzter  Art 
ii  eben  so  groszer  Menge  finden,  die  man  billiger  Weise  doch  eben 
so  wie  jene  in  Rechnung  bringen  sollte:  was  aber  von  den  Gegnern 
Ciceros  gewöhnlich  unterlassen  wird. 

Um  nun  aber  auch  auf  den  Redner  und  Schriftsteller  Cioero  noch 
einmal  zurückzukommen,  so  wollen  wir,  nachdem  wir  uns  oben  über 
seine  Bedeutung  als  solcher  im  allgemeinen  ausgesprochen  haben,  nur 
noch  ^ins  hervorheben ,  was  sich  aus  den  vorstehenden  Bemerkungen 
ergeben  dürfte.  Ist  es  nemlich  gegründet,  was  wir  über  eine  allzu- 
grosze  Reizbarkeit  seines  Wesens  bemerkt  haben  ^  so  dürfte  daraus 
allerdings  hervorgehen,  dasz  er  für  Productionen  weniger  geeignet 
war,  zu  denen  eine  längere  anhaltende,  gleichmäszige ,  harmonische 
Stimmung  erforderlich  ist,  also  namentlich  nicht  für  dichterische  Her- 
Torbringungen.  Und  so  war  er  denn  auch  in  der  That  kein  Dichter: 
wobei  wir  aber  nicht  unterlassen  dürfen  hinzuzufügen,  dasz  er  auch 
keiner  sein  wollte  und  dasz  es  also  unbillig  ist,  ihm  daraus  einen  Vor- 
wurf zu  machen ;  denn  seine  Dichtwerke  sind  nichts  anderes  und  sol- 
len nichts  anderes  sein  als  Studien  für  seine  Ausbildung  als  Redner. 
Man  wird  auch  wol  zu  sagen  haben,  dasz  er  sich  zum  ^eculaliven 
Philosophen  nicht  eignete,  weil  auch  hierzu  eine  gleichmäszigere  und 
rahigere  Natur  gehört  als  die  seinige  war.  Wenn  aber  zu  groszen 
rednerischen  Leistungen  neben  den  sonstigen  Erfordernissen  nament- 
lich die  Fähigkeit  zur  lebendigsten  Erregung  aller  Geisteskräfte,  wenn 
ferner  vorzugsweise  die  Empfänglichkeit  für  den  Eindruck  einer 
froszen  der  Rede  mit  gespannter  Theilnahme  folgenden  Menge  ge- 
hört: sollte  man  da  nicht  schon  a  priori  sagen  können,  dasz  Cicero 
■am  Redner  vermöge  jener  Erregbarkeit  vorzugsweise  günstig  orga- 
nisiert war?  Man  wird  hier  und  da  mehr  Masz  wünschen  können  (wo- 
bei man  indes  auch  nicht  vergessen  darf,  dasz  Cicero  es  nicht  mit  dem 
feingebildeten  athenischen  Volke,  sondern  meistentheils  mit  einer 
rohen  stärkere  Mittel  verlangenden  Masse  zu  thun  hatte),  auszerdem 
wird  man  auch  bei  ihm  die  Schranken  fiberall  wahrnehmen ,  welche 
die  Beschaffenheit  der  Sprache  und  die  ganze  Richtung  der  Litteratur 
jedem  Redner  in  Rom  entgegenstellte:  demungeachtet  wird  ihn  die 


456  Cicero. 

Lebendigkeit,  die  Fälle,  die  Kraft  und  der  Wollant  aeioer  Rede  fflr 
alle  Zeiten  zu  einem  bewandernswflrdigen  Muster  der  Beredtaamkeit 
machen  und  ihm  seinen  Platz ,  wenn  auch  nach  dem  in  vielen  Beiie- 
hungen  weit  mehr  durch  die  Umstände  begünstigten  Demosthenes,  so 
doch  neben  ihm  sichern. 

« 

Für  theoretische  Schriftstellerei  war  er,  wie  schon  bemerkt,  we- 
niger geeignet;  es  kommt  aber  noch  hinzu,  dasz  er  die  dahin  ein- 
schlagenden  philosophischen  und  rhetorischen  Werke  meist  in  einer 
Zeit  verfaszt  hat,  wo  er  durch  die  Verhältnisse  in  seinem  Inneren  vor- 
zugsweise gedrückt  war,  dasz  sie  also  nicht,  wie  seine  Reden,  das 
Erzeugnis  einer  erhöhten  Stimmung,  sondern  der  Abspannung  und 
einer  gewissen  inneren  Disharinonie  sind. 

Dies  also  ist  nach  unserer  Ansicht  das  Wesen  und  die  Bedeutiing 
Ciceros  nach  seiner  Licht-  und  Schattenseite.  Je  weniger  wir  dieae 
letztere  verhehlt  haben,  um  so  mehr  dürfen  wir  hoffen  etwas  sur 
Widerlegung  der  Ansicht  unserer  Gegner  beigetragen  zu  haben,  die 
vielleicht  —  neben  einer  gewissen  allzugroszen  Ungunst,  die  in  der 
neueren  Zeit  auf  die  römische  Litteratur  Überhaupt  gefallen  ist  —  in 
nichts  mehr  ihren  Grund  hat,  als  in  der  Reactiou  gegen  die  alUugroaie 
völlig  unbedingte  Bewunderung,  die  dem  Cicero  bisher  zu  Theil  ge- 
worden ist. 

Es  wird  aber,  sofern  unsere  Ansicht  die  richtige,  sonach  aick 
nicht  nötbig  sein,  den  Cicero  aus  unsern  Gymnasien  zu  verdringea 
oder  ihm  auch  nur  eine  untergeordnete  Stellung  in  denselben  anauwei- 
sen.  Nur  so  viel  möchten  wir  bemerken,  dasz  die  Reden  mehr  all 
bisher  in  den  Vordergrund,  die  philosophischen  und  rhetorischea 
Schriften  aber  mehr  zurückzustellen,  erstei;^  also  namentlich  hänSgjtf 
als  bisher  in  der  Prima  zu  lesen  sein  möchten,  während  die  LektAra 
der  philosophischen  und  rhetorischen  Schriften  auf  die  kleinen  Abhand- 
lungen über  das  Alter  und  die  Freundschaft,  welche  für  Secnnda  aahr 
wol  passen,  auf  die  Tusculanen  und  auf  ausgewählte  Stücke  aua  den 
Officien,.i»s  de  oratore  und  Brutus  zu  beschränken  sein  dürfte.  FIr 
Prima  (aber  auch  nur  für  diese)  glauben  wir  auszerdem  noch  die 
Briefe  empfehlen  zu  dürfen,  theils  wegen  des  allgemein  menschliehea 
Interesses  welches  sie  bieten,  theils  weil  sie  das  geeignetste  MiUel 
sind  die  Schüler  etwas  tiefer  in  die  Kenntnis  der  Zeit  einzufflhrao  aad 
ihnen  zugleich  eine  Probe  und  einen  Vorgeschmack  zu  geben,  wie  die 
Geschichte  aus  den  reinsten  gleichzeitigen  und  urkundlichen  Queita 
zu  schöpfen  ist. 


eipel:  Anleitong  snm  fibersetsen  aof  dem  Peatoohen  ins  Latein.  457 

33« 

raktische  Anleitung  zum  übersetzen  aus  dem  Deutschen  ins 
Latein  für  die  obersten  Klassen  des  Gymnasiums.  Zugleich 
Studien  zur  Geschichte  der  ersten  christlichen  Jahrhunderte. 
Von  Fr.  Teipel^  Doctor  der  Theologie  und  der  Philosophie^ 
Oberlehrer  am  königl.  Gymnasium  zu  Coesfeld.  IL  Theil, 
Zweite  verbesserte  Auflage.  Paderborn,  Verlag  von  Ferdinand 
Schoningh.   1857. 

Es  kann  gewis  nur  als  eine  Vertraaen  einflöszende  Erscheinung 
igesehen  werden,  wenn  ein  neben  der  zahlreichen  Menge  gang-  und 
lochbarer  Uebungsbücher  und  Anleitungen  cum  Lateinschreiben  ge* 
achter  neuer  Versuch  sich  einer  so  warmen  Aufnahme  und  vielsei- 
|en  Einführung  in  die  Schule  zu  erfreuen  hatte,  dasK  nach  kurser 
Nt  schon  das  in  zahlreichen  Reoensionen  und  amtlichen  Conferenz- 
utokollen  ausgesprochene  Interesse  eine  zweite  verbesserte  Auflage 
»•  Buches  nothwendig  machte ,  um  die  vielfach  ausgesprochenen 
^Ansehe  bezüglich  des  Stoffes  und  der  zu  seiner  Uebertragung  erfor- 
»rlichen  sprachlichen  Anmerkungen  baldigst  zu  erfüllen  und  zu  ver- 
erthen.  Wiewol  nun  aber  der  auf  dem  Gebiete  der  Theologie  wie 
tr  Philologie  gleich  rühmlich  bekannte  Verfasser  selbst  genugsam  in 
\t  Vorrede  zur  ersten  Auflage  Zweck  und  Ziel  seiner  ^Anleitung' 
•wol,  insbesondere  auch  die  Anwendung  und  Verwerthung  des  stoff- 
}hen  Inhalts  derselben  für  das  Lateinsohreiben  erörtert  hat,  so  er- 
heinen  uns  doch  vor  allem  seine  S.  VI — IX  der  Vorrede  ausgespro- 
,enen  Ansichten  über  die  in  den  letzten  Jahren  in  Folge  der  Angriffe 
ner  sich  fiberstürzenden  Ereiferung  vielbehandelte  Frage  des  Ver- 
iltnisses  von  Christenthum  und  Heidenthum  bei  der  Leetüre  der  Klas- 
lier  anf  gelehrten  Schulen  so  bemerkenswerth,  dasz  seine  neue  ^An- 
itang'  nicht  blos  von  ihrer  didaktischen,  sondern  auch  von  ihrer 
.atorischen  und  paedagogischen  Seite  aus  noch  nähere  Wür- 
gnng  erwarten  darf.  Mit  Recht  durfte  der  Verfasser  den  stofflichen 
teil  seines  Buches  zugleich  auch  als  ^Studien  zur  Geschichte  der 
atan  christlichen  Jahrhunderte'  bezeichnen,  denn  es  bieten  dieselben 
oht  blos  für  den  zunächst  ins  Auge  gefaszten  Schulzweck,  wie  sich 
iten  näher  zeigen  wird,  ein  in  paedagogischer  Hinsicht  trefflich  äu- 
gendes Material,  sondern  sie  »müssen  auch  als  selbständige  For* 
hangen  und  Beiträge  zur  Geschichte  der  römischen  Kaiserzeit  nm  so 
Bhr  geschätzt  werden,  je  mehr  noch  diese  weniger  gekannte  Periode 
rer  Aufhellung  entgegensieht,  zu  welcher  auch  der  groszartige  Fort- 
hritt  der  Inschriften-  und  Mpnumentenkunde  unter  der  Hand  eines 
aisters  von  Fach  begründete  Hoffnung  gibt.  Und  gerade  die  in  diese 
»it  fallende  erste  und  früheste  Entwicklung  des  Chrislenthnms  ist  ea 
er  wieder,  welche  andererseits  um  so  mehr  Interesse  und  Bedeutung 
il,  je  mehr  sie  gekannt  zu  werden  verdient  und  je  lieber  sie  von 
o  Historikern  theiiweise  schon  ans  Mangel  gediegener  Vorarbeiten 


458  Teipel:  Ahleitang  zum  übersetsen  aas  dem  Dentselien  iki  LiteiB. 

übergangen  za  werden  pflegt.  So  bilden  diese  ^Stadien'  zagleich  auch 
ein  anziehendes  and  belehrendes  historisches  Lesebuch,  um  in 
die  erste  Kenntnis  des  ^  unter  den  Kaisern  aufkeimenden  und  zur  her- 
lichen Blüte  gedeihenden  christlichen  Lebens  und  schaflfens'  einzufah- 
ren, wobei  durch  die  passende  Einreihung  von  Stücken  aus  dem  klas- 
sischen Alterthume  selbst  eine  erwünschte  Gelegenheit  geboten  ist, 
unter  anderem  auch  bedeutende  Persönlichkeiten  desselben,  wie  Se- 
neca(§  7  S.  33  ff.),  Boethius  (S.  225  ff.),  Cicero  (§  49  S.  210  ff.) 
in  ihrem  Verhältnisse  zum  Heidenthum  und  Christenthum  neben  grossen 
christlichen  Lehrern  zu  betrachten.  Damit  wird  zugleich  der  paeda- 
gogi sehen  Lösung  der  Hauptfrage  nfiher  gerückt,  welche  den  gan- 
zen Streit  hervorgerufen  hat:  der  Förderung  nemlich  christlicher  Ge- 
sinnung bei  der  studierenden  Jugend.  Nicht  die  Beseitigung  oder 
Schmälerung  der  klassischen  Studien ,  als  der  unersetzbaren  Factoren 
einer  durch  lange  Zeiten  und  unvergleichliche  Erfolge  erprobten  Gei- 
stesbildung, gilt  es,  sondern  die  Durchsäuerung  aller  geistigen  Nah- 
rung, welche  auch  den  Schulen  der  Jugend  gereicht  wird,  mit  religi5- 
sen  Ideen  und  Anschauungen;  es  gilt  die  Verbindung  altklassischer 
und  christlicher  Bildung ,  d.  h.  erstere  von  letzterer  durchdringen  in 
lassen.  Mit  Recht  hat, der  Verfasser  schon  vor  zehn  Jahren  (vgl.  Vorr. 
S.  VI.  VII)  auf  die  Praxis  aller  christlichen  Jahrhunderte  und  ihre 
Achtung  vor  dem  klassischen  Alterthum  hingewiesen ,  mit  gutem  Foge 
daher  neulich  auch  Prof.  G.  Lotholz  die  Rede  Basilius  des  Groszen 
*über  den  rechten  Gebrauch  der  heidnischen  Schriftsteller'  der  Mit- 
welt wieder  vor  Augen  gestellt.  Gewis  bleibt  es  zunächst  die  Anl- 
gabe  des  philologisch  gebildeten  Religionslehrers  bei  vermehrter  Zahl 
der  Religionsstunden  in  die  schriftstellerischen  Schätze  des  christ- 
lichen Alterthums  einzuführen;  die  Lectüre  von  Abschnitten  der  Kir- 
chenväter selbst  aber  in  den  philologischen  Stunden  halten  wir  aii 
den  S.  VII  angeführten  Gründen  für  bedenklich,  da  gerade  die  Zer- 
gliederung des  formellen,  des  sprachlichen  und  stilistischen,  zu  eineai 
Tadel  Veranlassung  böte,  der  öfter  den  christlichen  Autor  gegen  den 
heidnischen  in  Schatten  stellen  und  in  den  Herzen  der  Schüler  herab- 
setzen, demnach  also  das  Gegeutheil  des  bezweckten  hervorrufen 
würde:  Unzuträglichkeiten,  die  sich  leider  hin  und  wieder  schon  bei 
sogenannten  Klassikern  selbst  ergeben  haben ,  deren  Bearbeiter  dnreh 
ihre  ununterbrochene  scharfe  Texteskritik  und  Interpretation  ihr  mög- 
lichstes zur  Discreditierung  jener  in  den  Augen  der  Schüler  gethan 
haben.  Wenn  es  demnach  darauf  anlsommt ,  ohne  die  schon  vorwir- 
rende Menge  dessen,  was  alles  auf  gelehrten  Schulen  jetzt  gelehrt 
wird,  noch  zu  vermehren  oder  besondere  Stunden  dafür  zu  bean- 
spruchen, christliche  Elemente  und  Stoffe  mit  den  klassischen  Bitdnngs- 
momenten  zu  verbinden,  so  ist  gewis  der  vom  Verfasser  eingeschla- 
gene Weg  einer  der  richtigen,  i^elche  nicht  allein  ohne  neue  Belastong 
und  Ueberbürdung  zum  Ziele  führen ,  sondern  sich  aach  paedagogiseh 
trefflich  bewähren.  Vor  allem  ist  wol  zu  bemerken,  dasz  der  Lehr- 
nnd  Uebersetzungsstoff  seines  Baches  nicht  blos  nnd  aassohlienlioh 


Mpd.:  Anleitung  zum  fibersetzen  aas  dem  Deutschen  ins  Utein.  459 

christlichen  Inhaltes,  vielmehr  gerade  in  dieser  zweiten  Auflage 
die  Zahl  der  dem  klassischen  Alterthura  entnommenen  Stücke  gegen 
frflher  ansehnlich  vermehrt  worden  ist  (vgl.  §§  1.  3.  7.  8.  13.  16.  22. 
27.  37  u.  a.  m.).    Diese  glückliche  Mischung  von  christlichem  und 
klassischem,  schon  durch  den  Reiz  der  Abwechslung  der  Jugend  ange« 
messen  und  erwünscht,  entbehrt  dabei  jedoch  des  nothwendigen  MitteU 
vnd  Einigangspunktes  nicht:  vielmehr  ist  das  Alterthum  und  das  ganze 
antike  Leben  der  gemeinsame  Hintergrund,  auf  welchem  beide  Momente 
sowol  in  ihrer  Gemeinsamkeit  als  in  ihren  Gegensätzen  um  so  deut- 
licher hervortreteu.    Ganz  und  gar  verloren  würde  ^iese  gemeinsame 
Grandlage,  wollte  man  etwa  der  Abwechslung  halber  mehr  Stoffe  aus 
der  neueren  Geschichte  verwenden,  ganz  abgesehen  davon,  dasz  es 
für  den  Schüler  zu  schwer  würde ,  dieselben  dem  Anschauungskreise 
des  Alterlhums  zu  nähern  und  (was  öfter  wol  fast  geradezu  unmög- 
lich ist)  in  die  sprachlichen  Formen  desselben  umzusetzen.    Dagegen 
hber  darf  der  als  Material  der  Uebersetzungsbücher  verarbeitete  StoCf 
der  alten  Geschichte  schon  eher  sich  eine  Reduction  gefallen  lassen, 
da  bei  der  Interpretation  der  Klassiker  sowol  als  bei  dem  eigentlichen 
GeschichtsYortrage  und  der  Privatlectüre  genugsam  Gelegenheit  zur 
ausführlicheren  Betrachtung  gegeben  ist  »Dazu  kommt,  dasz  nun  ge- 
rade die  von  dem  Verfasser  der  Natur  der  Sache  nach  in  Vordergrund 
gestellte  römische  Kaiserzeit  auch  für  den  Schüler  von   unverkenn- 
barem  Nutzen   ist.     Eine  Zeit   an    sich    schon,   insbesondere   dem 
Schüler,  verhältnismäzig  weniger  bekannt,  welche  nicht  allein  die 
erste  christliche  Zeit  und  die  erste  in  der  Regel  so  wenig  gekannte 
Entwicklung  des  Christenthums  in  sich  schlieszt,  sondern  überhaupt 
auch  durch  die  Verbreitung  griechisch-römischer  Bildung  über  den 
Westen  Europas  der  grösten  Erscheinung  der  Weltgeschichte  die 
Wege  zu  bahnen  berufen  war,  musz  durch  die  Neuheit  ihres  geschicht- 
lichen Inhalts  für  den  Schüler  eben  so  spannend  und  anziehend  als 
durch  die  Vergleichung  ihrer  Gegensätze  und  den  Kampf  einer  alten 
mit  einer  neuen  Ordnung  belehrend  und  bildend  sein.    Mit  richtigem 
Takte  hatte  der  Verfasser  daher  schon  in  der  vorhergehenden  Stufe 
neiner/Anleitung'  die  schönsten  Stellen  des  griechischen  und  römi- 
neben  Alterthums  über  herliche  Tagenden,  wie  Einfachheit  der  Le- 
bensweise und  Nüchternheit,   Dankbarkeit,  Freundschaft,  kindliche 
Liene,  Bändigung  des  Zorns,  Feindesliebe,  Vaterlandsliebe,  Heilig- 
haltung des  Eides  u.  a.  m.  in  einzelnen  Anekdoten  und  Erzählungen 
gesammelt,  um  daran  einerseits  das  verwandte  und  vollendetere  des 
Christenthums  anzuknüpfen,  andererseits  aber  die  grellen  Gegensätze 
am  so  achärfer  hervortreten  za  lassen:  znr  Klarheit  der  Anschauung 
und  Bewahrung  vor  jeder  verwirrenden  Auffassung  halten  wir  dieses 
Verfahren  ganz  vorzüglich  geeignet. 

w^  Diese  Mannigfaltigkeit  und  Fülle  des  geschichtlichen  Stoffes  gibt 
aSer  weiter,  wie  S.  V  der  Vorrede  näher  ausgeführt  wird,  vor  allem 
auch  Terrain  für  lateinische  Aufsätze,  und  zwar  auch  hier  wieder 
bei  der  Neuheit  des  Materials  in  einer  Ausdehnung  und  Abwechslung, 


460  Teipel:  Anleitang  zam  öbersetzen  ans  dem  Deatsclbeii  ins  Litdtt. 

dasK  dieses  Gebiet  der  Uebnng  im  Lateinschreiben  ein  gans  neaes  Ib- 
teresse  für  den  Schüler  gewinnt  und  die  ewig  in  der  Schale  wieder- 
kehrenden Aufgaben  über  Themistokles,  Alexander  den  Grossen,  die 
panischen  Kriege  usw.  füglich  für  einige  Zeit  dadareh  rerschobes 
werden  können.  Dabei  darf  der  wichtige  Umstand  nicht  flbersehea 
werden,  dasz  bei  der  Ausarbeitung  der  Aufsätze  sowol  als  bei  der 
Uebersetzung  der  Uebungstücke  die  Schüler  die  Originale  nicht  so 
leicht  finden  und  erreichen,  demnach  also  nicht  so  leicht  aasschreiben 
können  als  dies  wol  sonst  möglich  ist,  zumal  der  Verfasser  auf  mehr- 
seitig geäuszerten  Wunsch  in  der  zweiten  Auflage  nicht  blos  für  eine 
grössere  Mannigfaltigkeit  der  Materialien  (§1.3.  22.  37  sind  hinsn- 
gekommen,  §  5.  7  u.  a.  erweitert)  Sorge  getragen  hat,  sondern  «ach 
die  sprachlichen  Anmerkungen  zu  vermehren  und  nach  allen  Seiten 
hin  verwendbar  zu  machen  bestrebt  war.  —  Im  allgemeinen  und  sn- 
tiächst  dürfte  die  wöchentliche  schriftliche  Uebersetzung  eines  abge- 
grenzten Pensums  zur  Uebung  des  lateinischen  Ausdruckes  mit  be- 
sonderer Berücksichtigung  der  für  die  Aneignung  eines  scharfen  and 
klaren  denkens  so  wichtigen  Synonymik,  auf  welche  besonderer 
Nachdruck  gelegt  ist,  als  Hauptzweck  von  dem  Verfasser  ins  Ange 
gefaszt  sein,  ohne  zugleich  auch  das  zeitweise  extemporieren,  d.  Ii. 
die  mündliche  Wiedergabe  theilweise  schon  übersetzter  Stücke  ana- 
zuschlieszen ,  um  die  Schüler  sich  daran  gewöhnen  zu  lassen,  etwas 
rasch  lateinisch  auszudrücken.  Insbesondere  sollen  namentlich  die 
lateinischen  Anmerkungen  den  Schüler  anleiten,  in  die  lateiniathe 
Anschauung  der  einzelnen  Ausdrücke  wie  ganzer  Redensarten  so  de- 
ren Verwendung  einzugehen.  Weder  sollen  es  die  Schüler  dabei  eben 
bequem  haben,  noch  es  aber  ihnen  auch  zu  schwer  werden:  das 
denken  lernen  ist  vielmehr  auch  hier  wieder  die  Haupisaehe. 
Demgemäsz  ist  in  den  Anmerkungen  häufig  ein  mustergültiger  Satt 
aus  einem  Klassiker  gegeben,  welcher  die  dem  Schüler  nöthige  Re- 
densart enthält,  die  er  sich  dann  aber  selbst  heraussuchen  und  an* 
rechtlegen  musz.  So  soll  z.  B.  S.  1  die  ganze  Wendung:  'er  anler- 
nahm es  den  Beweis  zu  führen'  durch  'suscepit'  wiedergegeben  wer- 
den, wozu  Anm.  7  so  anleitet,  wie  ähnlich  ebendort  Anm.  2.  3.  4  and 
S.  99  Anm.  3,  S.  133  Anm.  6  die  deutschen  Ausdrücke  *er  beharrte  bei 
der  Behauptung,  blieb  dabei,  weisz  anzugeben'  in  gleicher  Kfrie 
durch  perseverare  und  habere  ihre  Uebertragung  finden  and  nahe- 
gelegt werden.  Verwandter  Art  sind  auch  S.  3  Anm.  3,  S.  15  Anm.  81, 
S.  73  Anm.  7,  S.  223  Anm.  23,  wiewol  uns  namentlich  in  der  vorleti- 
ten  Stelle  dem  Schüler  etwas  zu  viel  zugemutet  scheint.  .Ander- 
wärts wie  S.  43  Anm.  2,  S.  73  Anm.  1,  S.  75  Anm.  13  verweist  der 
Verfasser  einfach  auf  Stellen  ans  Klassikern,  deren  Leetüre  voraus- 
gesetzt wird,  um  darnach  das  zu  übertragende  wiederzugeben:  ob 
dieses  hinsichtlich  des  Cato  maior  so  unbedingt  vorausgesetzt  y^' 
den  kann,  mag  dahingestellt  bleiben.  Diesen  kurzen  Verweisungen 
gegenüber  würden  andererseits  Anmerkungen  wie  S.  39  Anm.  35, 
S.  40  Anm.  36  n.  a.  wiederum  unverhfiltnismäszig  lang  ersoheinen, 


Tfi^:  AnleitoDg  sam  fiberseCzen  aas  dem  Denüoheo  ins  Latein.  461 

wenfl  man  nicht  die  Absicht  des  Verfassers  erkennen  und  billigen 
aaAste,  tbeils,  wie  es  a.  a.  0.  hinsichtlich  dea  adjectivischen  Gebrauchs 
des  Participinms  im  Deutschen  und  dessen  Uebertragung  durch  das 
lateinische  Praesens ,  sowie  die  Uebersetzung  der  synonymischen  Be* 
grilTe  des  Veohselweise'  in  eben  so  bündiger  als  vollständiger 
Weise  geschieht,  den  Sprachgebrauch  näher  erweisen,   theils  lyie 
f.  B.  S.  61  Anm.  29,  S.  136  Anm.  14  zeigen,  in  Beispielen  einaben  za 
wollen,  wobei  natfirlich  der  lateinische  Ausdruck  der  Quellen,  welchen 
das  stoffliche  entnommen  ist,  oft  nicht  beibehalten  nnd  in  den  Bereich 
der  Betrachtung  gezogen  werden  konnte,  sondern  vielmehr  geradezu 
•Is^  vnklassisch  verworfen  und  durch  mustergöltige  Wendungen   er- 
setzt werden   muste;   vgl.  S.  163  Anm.  1,  S.  34  Anm.  2.    Denn  nur 
die  Latinitat  Ciceros  und  seiner  Zeitgenossen ,  von  denen  sich  Briefe 
bei  ihm  finden,  ferner  Caesars,  Nepos  (und  wol  auch  noch  Varros) 
wird  als  echt  klassisch  in  den  Anmerkungen  zu  Grunde  gelegt  und 
ein  zurückgehen  auf  Livius  und  Plinius  meist  nur  dann  erlaubt,  wenn 
sieh  sonst  kein  adaequater  Ausdruck  findet  oder  ihr  Ausdruck  sich 
anderweitig  als  klassisch  beurkundet :  eine  AengstlichkeiC  und  Sorur 
pvlosität,  der  wir  unsere  Anerkennung  nicht  versagen  können ,  welche 
aber  einestheils  einen  nicht  so  leicht  zu  entscheidenden  Contrbvers- 
piinkt  zum  Gegenstande  hat,  anderntheils  von  dem  Verfasser  z.  B. 
8.  247  Anm.  36  zu  weit  getrieben  scheint,  wenn  sich  auch  Unter-« 
Scheidungen  wie  S.  166  Anm.  22,  S.  232  Anm.  9,   S.  280  Anm.  16 
rechtfertigen  lassen  und  ein  glänzendes  Zeugnis  von  der  Kritik  und 
Belesenheit  des  Verfassers  ablegen,  welcher  auch   bei  der  lieber« 
tragung  spater  aufgekommener  Ausdrücke,  für  die  in  den  klassi« 
sehen  Schriftstellern  unmöglich  Beispiele  gefunden  werden  können, 
•US  seinem  reichen  Schatze  immer  die  mustergültigsten  auszuwählen 
im  Stande  ist;  vgl.  S.  163  (§  43)  Anm.  7.     Deshalb  ist  auch  S.  5 
Anm.  23  für  ^BibeP  nicht  das  unklassische  ^scriptura'  (vgl.  S.  38 
Anm.  32),  sondern  die  nach  den  besten  christlichen  Schriftstellern 
möglichst  klassischen  Ausdrücke  angegeben,  wie  ähnlich  für  ^Heiland' 
S.  4  Anm.  9,  ^Taufe'  S.  131  Anm.  6;  vgl.  S.  236  Anm.  7  und  9,  S.  255 
Anm.  45  n.  a.  m. ,  und  sicherlich  ist  es  als  ein  nicht  geringer  Gewinn  ' 
anzuschlagen,  dasz  die  Schüler  auch  gute  kirchliche  Ausdrücke  ken- 
nen lernen. 

Schliesziich  mögen  einige  kleine  Nachträge  ttm  so  mehr  eine 
Stelle  finden,  als  sie,  anderwärtsher  uns  mitgetheilt,  manche  von 
dem  Verfasser  gemachte  Aufstellungen  theils  bestätigen ,  theils  recti- 
ficieren.  Zu  der  Redensart  gratias  agere  pro  ...  (S.  4  Anm.  10, 
S.  226  Anm.  51)  kann  noch  Gurt.  5,  13  ^maximas  gratias  agere  pro 
beneficiis'  und  Plin.  paneg.  25'*maxime  optandum,  ut  ea,  pro  qnibus 
agnntnr  principi  gratiae,  multa  sint'  hinzugefügt  werden.  Ebenso 
dArfte  zu  S.  112  Anm.  8  zu  ^nobis  consulibus  designatis' als  nicht  un- 
klassisch auf  Cic.  Tusc.  3,  70  *praetore  designato  mortuo  filio'  zn 
verweisen  sein.  Ebendort  Anm.  6  ist  angegeben,  dasz  ^reddo'  in  der 
Bedeutung  ^machen'  kein  Passiv  habe:  diese  Behauptung  ist  zn  aus- 


462  Beneble  aber  gelebrte  AnstaUeD,  VerordDangen,  etatbl*  NoIUm. 

scbliesslicb ;  bei  spateren,  wie  Eutrop.  I  9, 18,  findet  sich  allerdings 
das  Passiv  in  dieser  Bedeutung.  Dasz  nach  S.  33  Anm.  17  capnt  =s 
Hauptstadt  n  u  r  im  Nom.^  oder  Acc.  vorkommen  solle ,  ist  wol  eben- 
falls zu  bezweifeln:  bei  Piin.  ep.  10,  81  steht  ^sunt  in  capite  Bithy- 
niae.'  Gewis  werden  diese  und  andere  Besserungen  am  wenigsten 
dem  gelehrten  Verfasser  entgehen,  *ohne  dem  Werthe  und  der  Bedeu- 
tung des  ganzen  Buches  einen  Eintrag  zu  thun,  welches  bereits,  so 
viel  uns  bekannt,  in  Schlesien,  Sachsen,  Westphalen  und  der  Rhein» 
provinz  Eingang  und  eine  Anerkennung  gefunden  hat,  die  um  so  ge- 
rechtfertigter ist,  je  mehr  sie  durch  die  ganze  Fassung  des  Textes 
und  die  ZweckmSszigkeit  der  Anmerkungen  begründet  und  verdient 
wird. 

Frankfurt  a.  M.  Jacob  Becker. 


Berichte  über  gelehrte  Anstalten,  Verordnungen,  statistische 
Notizen, 'Anzeigen  von  Programmen. 


Aachen.]  Beim  Beginn  des  Schuljahres  1856  —  57  traten  die  com- 
missarischen  Hülfslehrer  Dr  Lanffs  and  Enders  aus  dem  LehrercoÜe* 
giom  und  wurden  anderweitig,  jener  am  Gymnasium  zu  Coblenz,  dieser 
an  dem  zu  Trier  commissarisch  beschäftigt.  Die  dadurch  erledigten 
Lehrerstellen  wurden  nicht  wieder  besetzt  und  die  bisher  bestandenen 
Parallel -Cötns  der  Tertia  und  Untersecunda  aufgehoben.  Das  Lehrer- 
collegium  bestand"  aus  folgenden  Mitgliedern:  Director  Dr  Schön, 
Oberlehrer:  Dr  Menge,  Dr  Klapper,  Prof.  Dr  Oebeke,  Dr  Savels- 
berg,  Spielmans  Beligionslehrer;  ordentliche  Lehrer :  Oberl.  Dr  J« 
Müller,  Ch.  Müller,  Bonn,  Koerfer,  Dr  Benvers;  Hülfslehrer: 
Pfarrer  Nänny,  Küppers,  Dr  Brandt;  Stiftsvicar  Fuchs  HülfsL 
für  kathol.  Religionsunterricht,  Schreib!.  Schmitz,  Gesangl.  Baut, 
Zeichenl.  Neidinger,  Turnl.  Bensing.  Die  Zahl  ^er  Schüler  betrag 
am  Schlüsse,  des  Schuljahrjes:  379  (I  85,  II  05,  lU  47,  lY  44,  V  59, 
VI  49).  Abiturienten:  45.  —  Den  Schulnachrichten  geht  voraus:  Stanis- 
laus  ffosius,  des  berühmten  ermländischen  Bischofs  wid  Cardinais  ^  Lehen 
und  Wirken  y  ein  Charakterbild  für  die  studierende  Jugend  unserer  Tage^ 
vom  Beligionsl.  Spielmans.     48  S.  4.  Dr  0. 

Abnbbero.]  Gleich  im  Beginn  des  Schuljahres  1856 — 57  wurde 
der  Hülfslehrer  Dr  T  e  m  m  e  zum  ordentlichen  Lehrer  ernannt  und  dem 
Candidaten  Hermes  die  Vertretung  der  Hülfslehrerstclle  übertragen. 
Der  Gymnasial-  'und  Beligionslehrer  Severin  erhielt  den  Titel  eines 
Oberlehrers.  Der  Schnlamtscandidat  Kork  trat  sein  Probejahr  an. 
Lehrerpersonal:  Director  Dr  Ho  egg,  die  Oberlehrer  Pieler,  Kaute, 
Laymann,  Severin,  die  Gymnasiallehrer  Noe gger ath,  Dr  Schur« 
mann,  Dr  Temme,  techn.  Lehrer  Härtung,  Hülfslehrer  Hermes, 
Candidat  Kork,  Pfarrer  Bertelsmann  ev.  Beligionslehrer.  Schüler- 
zahl: 207  (I  a  u.  b  41,  II  a  u.  b  48,  III  a  u.  b  41,  IV  22.  V  28.  VI  2% 
Abiturienten:  9.  —  Das  Programm  enthält  eine  Abhandlung  deß  Ober- 
lehrers laymann:  de  vetustissimo ,  quo  Romani  usi  sunt^  anno.  9  S.  4. 
Der  Verf.  läszt  sich  in  die  genaueren  Untersuchungen  und  Streitfragen 


Berielite  Ober  gelehrte  Anstalten ,  Verordnangen,  Statist  Notixen.  463 

der  Gelehrten  nicht  ein,  sondern  beabsichtigt  nnr  enm  Verständnis  der 
schwierigen  Stelle  bei  Liy.  I  19  namentlich  für  die  Schüler,  welche 
diesen  Schriftsteller  lesen,  etwas  beizutragen.  Dieser  Theil  der  Abh. 
beschränkt  sich  daher  auch  anf  den  sog.  annus  Bomulens.  Das  übrige 
•oU  später  folgen.  Dr  0, 

Athen.]  In  der  Yoranssetznng ,  dasz  unseren  Lesern  eine  Probe 
▼on  dem  bestehen  und  fortschreiten  der  klassischen  Studien  in  ihrer 
griechischen  Heimat  nicht  unwillkommen  sein  wird,  lassen  wir  hier  ab- 
drucken das  Festgedicht  der  Universität  Athen  zur.25j.  Feier  der  Lan- 
dung des  Königs  Otto,  verfaszt  von  dem  Professor  der  Philosophie  und 
Bibliothekar  des  Königs  Philippos  loannu,  dessen  Mittheilung  wir  der 
Güte  des  Hrn  Prof.  Dr  L.  Boss  in  Halle  verdanken. 

^M'^  4Sanq)L}tii  slg  t^v  rjfuxBvrTiTiovTaeTriQida  ioQf^p  xdSv  dnoßatrjQiav 

Tov  ßaaiXsa}g*'Ob'a}wos, 

*EXXu9'  ccTitlg  ya^'ot^vag  hc*  alav 
KCdvatai  naaav^  XiyvQo,  dh  fioXnä 
"Aifysog  xa<&'  [nnoßdra  %Xsevvav 
'Aiov'  Sqcdqbv, 

'Ev9u  NbCXüü  in  (sid'Qaiv  ndqoi&B 
KiXcsv  svciXfnp  noXvvpXoiaßov  olSfva 
Not  BriX£dag  davaog  nsQccaag 
Olg  avv  iraiat, 

Kai  ^*  tdQstav  'lva%idaig  ivstus 
XinfiiSog  noXiütiovöfiag  Z8  d'icfKDg, 
IloXXd  &'  dyvcorag  ßioxQrjcva  Xamg 
"Egya  dlda^s, 

Tl  XQSog  vvv  xoaaatiav  dyslQBi 
Kfi&L  nXfid'vv  ^EXXddog  i^  dndcag  ^ 
'Exx^/toy  dv8Q(ov\  Tl  9i  zi  atpi  yad'og 
^Hroq  oqIvbi^ 

*Hvl  NavnXtag  dn*  ontgag  igCnvetg 
BQVvCav  xocXüoatoiiog  oXfiog  ajjcö 
TiqV  BOQtäg  daiiotsXovg  irjaiv 
'AyyBXi^tiv ! 

ffyl  vrigC^fimv  üsXdyiapicc  nvgaap 
^Aft  itoXiv  zBi%riQfa  NavnXCoio 
^EXXddi  (pQdaSsi,  fisydtifiov  i]%Biv 
ndvxBüiv  afiag, 

nBvtd%ig  ydg  niircB  tiXsoaB  yocVa 
Ilaßtpcchg  noXm  ntgl  ofifia  xvxXoog, 
'E^OtBV  ico^Bvvog  ^Od'oov  inBXßB 
NavnXi(f  d%zd' 

"Oiog  i^vg  Bv%XBiog  ysvid'Xag 
Tag  BizXBaßdx(ov ,  fiBydl'  dz'  ^qb^b 
Nüv  ZB  Xaotg  Bavaglag  (iBvalxc^aig 
^Iq>i  dväüCBi, 

Tlg  no%'  ivz'  dvdnoog  Bvgvztfito 
AovdoßUm  zeS  q'  ^Elmavla  Z8 
KoofiiBi  ddqtva  ßaaUi^Xov  zb 
ZiZSfifia  xorp^ap; 

TdS  ('"Od-iDV  h(pvg  vaizaig  vioiaiv 
^EXXddog  viog  Javaog  q)adv9'fi 
'lvdx<o  ifoag  UiXondg  zb  väaov 
TrjXo&BV  iX&iOv, 

N.  Jahrb.  /".  P/dl.  ».  Patd,  Bd  LXXVIII.  Bfi  9,  31 


464  Beriebte  Ober  gelehrte  AniUllen,  Verordnangei,  ttalist.  NoHfMt; 

Kal  yap  fl^dvctv  vn*  'AQrjt  noXXä 
TXaovv  'Eklavsoai  dUav  x*  hsinev 

Bd&QOV  aasLCTOVj 

Kddd'  ilva*  iv9d(iL0v  altpa  vstHog^ 
"AyQiov  Sdtiog  %qa8iav  ^ctxiad'ov  ^ 

daqov  'ElXddog,  q)iXoTdr'  ^Aiaimv  ^ 

^Qfaal  qjvtfvaag, 

T8v,''Avail  Hm  7ia9''* 'EXXdd'  ctv&tg 
^Ex  ticpqag  d^Qmanovri  noXsig  dndvtfi 
Kai  X8  dtioüg  8£qa  yi^ixg  naXvntBi. 
XQvaBtx  XttCa, 

Tev  fxttTi  yXavuoxQOtp  xoumvti 
KoiXd9sg  %al  Mtsa  vag  sXata 
Kai  TS  ndvxa  diLcpiXBQ'aX'  'la%%(a 
EvpoTQvg  ögna^, 

Tsv  fxttTt  9'  av^ig  dv*  aXae'  dxS 
Iloifihmv  avXog  nqo%hi  Xiytiav, 
AlnoXog  z*  av  *AQ*adlag  dv'  co^i; 

Iluvi  XOQSVH. 

Tsv  exoTt  vaiciv  olSfia  xocoaig 
Tf[ivtx*  Aiyaiov  xawatnxsQOiaiv  ^ 
"Oaaa  %v%v(ov  ov*o%'  inXcaaev  l^nj 
*Psv(MC  Kavaxqto, 

'AXXd  %iA  xo^ag  /itogy  atx'  dvxdv 
BaQßdgoav  dxvtofisvai  (isd'QOv 
'inrcongdvag  xdXXmov,  'EXXd^'  ig  yäv 
"Ayaysg  avd'ig, 

UaXXd^og  9'  iv  äaxBt  noXv%X%{xm 
'AyXaov  üqpt  ätifMO  vaov ,  ivd^a 
IlQoaxoXmg  &kov  noXiag  xaXiecag 
Ho    oaQiaxag, 

Xatg'/Avtt^  09SINI  xode  ^sxvvg  ivtpQwv 
IlQOCnoXmv  vatS  inog  i^  dndvxaVy 
'E%  tpQSvog  mcxag  ngoXbv  xsov  tt 
G<S%ov  tndvov, 

XaiQ'f  "Avai  OGSINI  cvv  onotpQovcii  xs 
Za^i  daqov  AMAAIAi  xqicinxip, 
£%d7Cxov  alyXätv  ad'Bvagai^Cip  alhv 

XsiQßCl  PtOfKOVl 

Bedbübo.]  In  dein.Lehrercollegiam  der  rheinischen  Bitterakademie 
haben  im  Schuljahre  1856—57  mehrfache  Veränderungen  stattgeftinden. 
Dem  Ober-Director  Seal  wurde  die  nachgesuchte  Entlassung  mit  Pen* 
sion  bewilligt.  Oberlehrer  Dr  Goebel,  zu  Ostern  y.  J.  berufen,  um 
die  Stadien  - Direction  wahrzunehmen,  schied  mit  dem  Ende  des  Schul- 
jahres aus  seiner  provisorischen  Wirksamkeit  wieder  aus.  Oberlehrer 
Dr  F^auz  tibernahm  eine  Oberlehrerstelle  am  Gymnasium  zu  Pader- 
born. Der  Schulamtscandidat  Dr  Peltzer  verliesz  nach  vollendetem 
Probejahr  die  Anstalt.  Um  diese  Verluste  zu  ersetzen,  wurden  berufen 
als  provisorischer  Dirigent  Roeren,  bis  dahin  Oberlehrer  am  Gymna- 
sium zu  Paderborn,  bis  zu  dessen  Berufung  der  Relig^onslehrer  Brück» 
mann  als  Stellvertreter  fungierte;  femer  all  ordentliche  Lehrer  Heicks 
und  Dr  Caspar,  beide  als  wissenschaftliche  Hülf sichrer  ^m  katholischen 
Gymnasium  zu  Köln  beschäftigt.    Lehrerpersonal:  Roeren,  prov*  Diri- 


BiiMil0  aber  gelehrte  Anstalten,  Verordnongen ,  Statist.  Notizen.  465 

gent,  Bruckmann  Religionslehrer,  ordentliche  Lehrer :  Oberl.  Becker, 
Blase,  Noel,  Hcicks,  Dr  Caspar,  Wissenschaft!.  Htilfsl.  HUblcr, 
commiss.  Uülfsl.  Dr  Wiel,  Zeichen!.  Müller.  Schülerzahl:  52  (19, 
II  10,  III  14,  IV  14,  Vorbereitungski.  5).  Abiturienten:  4.  —  Das  Pro- 
gramm enthält:  de  Aetolia  dissertatio,    Scripsit  G.  Becker.    27  S.  4. 

Dr  0, 
Beblin.]  Ueber  die  hier  bestehenden  Gymnasien  berichten  wir  aus 
dem  Schuljahre  1856 — 57.  1.  In  dem  Lehrerpersonal  des  königlichen 
Joachimsthals  che  n  Gymnasium  hatten  sehr  viele  und  bedeutende 
Aenderungen  stattgefunden.  Prof.  Dr  Köpke,  der  älteste  Lehrer  der 
Anstalt,  beschlosz,  nachdem  er  kurz  vorher  sein  ÖOjähriges  Amtsjubi- 
laeum  (40  J.  am  Joachimsthal)  gefeiert  hatte,  seine  Thätigkeit,  um 
Ton  da  an  der  wolverdienten  Ruhe  zu  genieszen.  Zu  derselben  Zeit 
schied  Prof.  Dr  Gie«ebrecht  aus  seinem  bisherigen  Amte,  welches 
er  mit  der  ihm  übertragenen  Stelle  eines  ordentlichen  Professors  der 
Geschichte  an  der  Universität  zu  Königsberg  i.  Pr.  vertauschte.  Diese 
Veränderungen  hatten  zur  Folge,  dasz  an  Prof.  Köpke s  Stelle  Prof. 
Jacobs  zum  Bibliothekar  des  Gymnasiums  ernannt' wurde,  und  die 
beiden  Adjuncten  Prof.  Dr  Kirchhoff  und  Pomtow  aus  ihren  Stellen 
in  die  Zahl  der  oberen  Lehrer  aufrückten.  In  die  dadurch  erledigten 
Adjuncturen  traten  sofort  die  Candidaten  Dilthey  und  Dr  Schmie- 
der ein.  Eine  noch  weitergreifende  Veränderung  war  die,  dasz  der 
Director  Dr  Meineke  am  1.  Juli  1857  sein  seit  dem  1.  Juli  1826  ge- 
führtes Directorat  niederlegte  und  in  den  von  ihm  gewünschten  Ruhe- 
stand zurücktrat.  Ein  weiterer  Verlust  entstand  für  die  AnstaU,  da 
Prof.  Dr  Mutz  eil  in  Folge  seiner  Ernennung  zum  Provinzial-Schulrath 
sein  bei  der  Anstalt  geführtes  Amt  niederlegte.  Das  erledigte  Directo- 
rat der  Anstalt  wurde  dem  Provinzial-Schulrath  Dr  Kieszling  über- 
tragen und  demselben  zugleich  die  Eigenschaft  eines  Ehrenmitglieds 
des  königl.  Schulcollegiums  für  die  Provinz  Brandenburg  verliehen.  In 
Folge  des  eingetretenen  Directoratswechsels  wurde  das  Amt  eines  Alum- 
natsinspcctors,  welches  zuletzt  Prof.  Jacobs  verwaltet  hatte,  aufgeho- 
ben und  die  damit  verbundenen '  Geschäfte  wiederum  mit  dem  Directo- 
rate  vereinigt,  mit  welcheili  sie  bis  1846  verbunden  gewesen  waren. 
Oberlehrer  Schmidt  und  der  Zeichenlehrer  Bellermann  wurden  zu 
Professoren  ernannt.  Im  Laufe  des  Jahres  schieden  noch  von  der  An- 
stalt aus  die  Schulamtscandidaten  Dr  Krause,  welcher  eine  Anstellung 
an  der  Friedrich -Wilhelms -Schule  zu  Stettin  erhielt,  Dr  Weber,  wel- 
cbier  als  Lehrer  an  die  lateinische  Hauptschnle  zu  Halle,  und  Dr  Rib- 
beck, welcher  als  Lehrer  an  das  Friedrichsgymnasium  versetzt  wurde. 
Als  Mitglieder  des  königlichen  Seminars  für  gelehrte  Schulen  waren 
beschäftigt  Dr  Schwerdt  und  Dr  Dinse.  Anszerordentliche  Aushülfe 
leistete  wiederholt  Dr  Jacob i.  Das  Lehrercollegium  bildeten  demnach: 
Director  Dr  Kieszling,  die  Professoren  Dr  Conrad,  Dr  Passow, 
Jacobs,  Dr  Seyffert,  Schmidt;. Oberl.  Täuber,  Prof.  Dr  Kirch- 
hoff, Oberl.  Dr  Planer,  G.-L.  Pomtow,  dieAdj.:  Dr  Hollenberg, 
Dr  Nauck,  Dr  Wehrenpfennig,  Dr  Simon,  Dilthey,  Dr  Schmie- 
der, Dr  Jacobi;  Seminaristen:  Dr  Dinse,  Dr  Schwerdt,  Prof. 
Fabbrnoci,  Oberl.  Dr  Philipp,  Prof.  Bellermann,  Lehrer  Brüg- 
aer,  Lehrer  Laszhoft,  Musikdir.  Dr  Hahn,  Cantor  Wendel.  Die 
Ansahl  der  Schüler  betrug  am  Schlüsse  des  Schuljahres:  336  (I*  22,  I^* 
25,  II«  36,  II»  43,  III*  58,  III »  60,  IV  45,  V  29,  VI  18).  Abiturien- 
ten an  Mich.  1856:  14,  zu  Ostern  1857:  8.  —  Vorausgeschickt  ist  den 
.Schulnachrichten  eine  Abhandlung  des  Adjnnct  Dr  Simon:  die  Theorie 
der  Variaiiontrechnung,  35  S.  4.  —  2.  Im  Lehrercollegium  des  Frie- 
drieh-Wil  heim  8 -Gymnasiums  war  keine  Veränderung  eingetreten. 
Lehrerpersonal:  Director  Dr  Ranke,  Professor  Dr  Uhlemann,  Prof. 

31* 


466  Berichte  ttber  gelehrte  Anstalten,  Verordnongren,  gtatiil.  Biotffm« 

Schcllbach,   Prof.  Yxom,  Prof.  Walter,  Prof.  Brescmer,  Prof. 
Zumpt,  Prof.  Drogan,  die  Oberlehrer :  Böhm,  Rehbein,  Dr  Geis- 
ler, Dr  Luchterhandt,  Dr  Strack;  Lehrer  Benst,  Oberlehrer  Dt 
Fosz,    Borchard,   Dr  Bads tübner,   Dr  Bernhardt,  Oberl.  Ja- 
ooby,  Meyer,  Prof.  Bellermann  Zeichenl.,  Musikdir.  Dr  Hahn  Ge- 
sangl.,  Lehrer  Kaweran,   die  Cändidaten:    Siewerth,   Rietze,  Dr 
Arendt,   Wendlandt,   Prediger  Martiny,  Candidat  Dr  Pierson. 
Schülerzahl:  600  (I*  33,  !»>  37,  II*  54,  I1»>C0,  III «»38,  III*«32,  UI*» 
53,  111*»«  5(),  IV ^  49,  IV«  50.  V  65,  VI  67).    Abiturienten:  40.    Den 
Schulnachrichten  geht  voran:  sludia  palaeograpfäca,    Scripsit  Dr  Geisler« 
28  S.  4.  —  3)  Das  Gymnasium  zum  grauen  Kloster  verlor  drei 
Lehrer  durch  den  Tod,  den  Prof.  Liebetreu,   den  Prof.  Müller  und 
den  Dr  Bremiker.     Die  durch  den  Tod  des  Professor  Liebetreu  erle- 
digte Lehrorstelle  wurde  durch  Ascension  der  folgeren  Lehrer  und  ein- 
rücken des   Streitschen   Collaborators  Dr  Bremiker   besetzt ^  und  an 
seiner  Statt  erlnelt   die  Collaboratur  der  bisherigen  Hülfslehrer  Dr  Si- 
mon.   Die  durch  den  Tod  des  Prof.  Müller  und  des  Dr  Bremiker  er- 
ledigten Stellen  wurden  dann  durch  Anstellung  der  bisherigen  Streitschen 
Collaboratoren  Dr  Franz,  Privatdocenten  an  der  Universität,  und  des  - 
Dr  Simon  besetzt,   in   die  erledigte  Collaboratur  der  vorherige  Hülfs- 
lehrer Dr  Hoppe  gewählt.    Zu  Ostern  v.  J.  sind  in  das  Lehrercollegium 
eingetreten  als  Hülfslehrer  der  Prediger  Lisco,  als  Mitglied  des  königl. 
Seminars  für  gelehrte  Schulen  Dr  Hage  mann,  als  Candidati  probandi 
Hülsen  und  Nitzsch.    Dagegen  schied  zu  Ostern  d.  J.  der  Hülfsleh- 
rer Dr  Schulz,    der   an   dem  Friedrichs  -  Gymnasium   eine  Anstellung 
fand.     In  die  Stelle  des  Dr  Hagemann  aber,    der  schon  zu  Micliaelis 
einem  Rufe  nach  Prenzlau  folgte,. trat  Dr  Wollenberg.    Den  früher 
vom  Prof.  Liebetreu  ertheilten  englischen  Unterricht  hat  Crump  über- 
nommen.   Ferner  ertheilte  von  Michaelis  bis  Weihnachten  Dr  Lettner 
Unterricht,    den    er  jedoch  wegen   Erkrankung  aufgeben    muste.     Der 
Oberlehrer  Dr  Hof  f mann  wurde  zum  Professor  ernannt.     Somit  haben 
folgende  Lehrer  am  Gymnasium  unterrichtet :  1)  die  ordentlichen  Lehrer: 
Director  Dr  Bellermann,   Prof.  Dr  Wilde,   Prof.  Dr  Zelle,    Prof. 
und  Licentiat  Dr  Larsow,  Prof.  Dr  Hartmann,   Prof.   Dr  Curth, 
Prof.  Dr  Iloffmann,    Dr  Bollmann,    Dr   Kempf,    Dr  Dnb,   Dr 
Sengebusch.     2)  Die  Streitschen  Lehrer:    Collaborator   DrFrani, 
Privatdocent    an    der   Universität,    Dr   Simon,    Mitglied    des   königl. 
Seminars  für  gelehrte  Schulen ,    der  Lehrer  des  Italiänischen  Professor 
Schnackenburg,    der  Lehrer  des  Französischen  (zugleich  auch  ma- 
gistratischer Hülfsl.)  Dr  Linsen,  der  Lehrer  des  Englischen  Crump. 
3.  Die  Hülfsichrer:  Prediger  Lisco,  Dr  Hoppe,  Hülsen,   Nitzseh 
und  die  techn.  Hülfslehrer:   Kollef,   Dr  Lösener,   Bellermann  II 
und  Riesel.     Die  Zahl  der  Schüler  betrug- am  Schlüsse  des  Schuljahres 
470  (I  58,  II»  32,  IIb  43^  m«  52,  mbi  31^  mbt  32,  IV*«  31,  IV«« 
30,  IV*»  nO,  V  03,  VI  47).    Abiturienten  zu  Michaelis  14,  zu  Ostern  11. 
Das   I^rograram   enthält  eine  wissenschaftliche  Abhandlung  des  Dr  Si- 
mon:   faslorum  Romanorum  specitnen.     33  S.  4.     'Qua  in  causa  ita  ver- 
satus  8um,  ut  quae  nomina  Pighhts  (qui  cum  rerum  scriptorum  anzilio 
fastofl  explere  sc  posse  dcsperaret,  co   descendit,   ut   quasi  dilectu  in- 
stituto  e  fratribus,  patribus,   avis,   atavis,  atque   etiam  e  virorum.  no- 
bilium  subolc  magistratuum  collegia  reficcret)  ad  libidinem  oerta  ratione 
non  ductus  exhibuit,  omitterem  et  eorum  loco  sacerdotes,  legfatos,  tri- 
bunos  militum,  centuriones,   atque  etiam  equites   et  milites  gregarios, 
quotquot  inveniri  possent,   poilerem.'    Das  specimen  erstreckt  sich  auf 
die  Jahre  536  u.  c.  (218  a.  Chr.)  537  u.  c.  538  u.  c.   539  u.  c.  540  n.  e. 
Einem  jeden  Jahre  sind  ausführliche  explicationes  beigefügt.    'Sed  cum 
res  ardua  sit  et  admodum  difficilis ,   optime  et  mihi  et  causae  coaeoliiiB- 


Bwiebto  Aber  gelehrte  AnstalteD,  VerordnangeD,  stalijt.  NoHzen.  467 

se  mihi  vidobar,  si  anteqnam  periculnm  faccrem,  spocimen  huius  libri 
yiroram  doctorum  iudicio  proponcrcm,  iit  emendatis  iis  qai  incssent  er- 
roribas  expcditum  et  liberam  iter  haberem  ad  ea  quae  in  aniinum  in- 
doxeram  exequenda.'  —  4)  Aus  dem  Lehrercollegium  des  Friedrichs- 
Werderschen  Gymnasiums  schied  der  Collab.  Dr  Zinzow,  wel- 
cher einem  Kufe  als  Prorector  an  das  Gymnasium  zu  Stargard  in  Ponb- 
mem  folgte.  Zugleich  verliesz  das  Gymnasium  das  Mitglied  des  Semi- 
nars fiir  gelehrte  Schulen,  Schulamtscand.  Dr  Wollenberg,  an  dessen 
Steile  der  Schulamtscand.  i^almus  trat,  welcher  aber  bald  darauf  als 
Adjunct  an  das  Pädagogium  zu  Puttbus  versetzt  wurde.  Die  durch  den 
Abgang  des  Dr  Zinzow  erledigte  Stelle  wurde  nach  aufrücken  der  bei- 
den folgenden  Lehrer,  durch  die  Wahl  des  DrLangkavel  zum  letzten 
ordentlichen  Lehrer  wieder  besetzt.  Zur  Ableistung  des  pädagogischen 
Probejahres  waren  folgende  Schulamtscandidaten  eingetreten:  zu  Ostern 
Dr  Thomae,  zu  Johannis  Dr  Schmidt,  zu  Michaelis  Rauke  und 
Dr  Voswinkel.  Dem  Collab.  Dr  Wolff  wurde  das  Prädicat  'Ober- 
lehrer* verliehen.  Auszer  dem  Director  Prof.  Bonnel  unterrichteten 
damals  am  Gymnasium:  Prorector  Prof.  Salomon,  Conrector  Prof. 
Dr  Jungk  I,  Subrector  Prof.  Dr  Zimmermann,  die  Oberlehrer:  Dr 
Keil,  Beeskow,  Dr  Richter,  Dr  Stechow,  Mathematicus  Dr 
Jungk  II,  Dr  Schwartz,  Dr  Wolff ,  Mathem.  Dr  Bertr  am,  Dr 
Töpfer;  Collabor,  DrLangkavel,  Zeichen-  und  Schreibl.  Schmidt, 
als  Mitglied  des  Seminars  für  gelehrte  Schulen  Collab.  Dr  Hir Sehfel- 
der, als  Hülfslehrer:  die  Schulamtscandidaten  Domke,  Dr  Thomae, 
Ranke,  Schmidt,  Heinzo;  für  den  Gesang:  die  Musikdir.  Neit- 
hardt  und  Schneider;  als  Lehrer  des  stiftungsmäszigcn  propädeuti- 
schen Unterrichts  für  die  künftigen  Juristen  Geh.  Justizrath  Dr  Ru- 
dorff.  Schülerzahl:  509  (1*38,  I»»  31,  II«  40,  II»»  45,  III-»  45,  III*« 
34,  III»»»  39,  III»»*  41,  IV«  43,  IV»»  42,  V  58,  VI  53).  Abiturienten: 
32.  Den  Schulnachrichten  geht  voraus  eine  Abhandlung  vom  Ober- 
lehrer Dr  Richter:  Prolegomenon  ad  Aristophanis  l^espas  caput  iertiwn, 
43  S.  4,  von  welcher  in  der  ersten  Abtheilung  dieser  Jahrbb.  bereits 
eine  Beurteilung  gegeben  ist.  —  5)  In  dem  Lehrerpersonal  des  Col- 
lege royal  fran9ais  fanden  folgende  Veränderungen  statt:  die  durch 
den  Abgang  der  beiden  Lehrer  Schweitzer  und  Gerhardt  erledig- 
ten Lehrerstellen,  die  dritte  und  fünfte,  wurden  durch  Ascension  besetzt. 
Die  dritte  Stelle  erhielt  Prof.  Schmidt,  die  vierte  Dr  Marggraff, 
dem  zugleich  der  Titel  als  Oberlehrer  verliehen  wurde,  die  fünfte  Dr 
Woepcke,  die  sechste  Dr  Schnatter,  die  siebente  DrGeszner, 
vorher  ordentlicher  Lehrer  an  der  Mädchenschule  zu  Breslau.  Die  erste 
der  beiden  dadurch  erledigten  Ilülfslehrerstellen  wurde  dem  Dr  Bau- 
meister übertragen,  welcher  jedoch  bald  darauf  eine  ordentliche  Leh- 
rerstelle am  Gymnasium  zu  Elberfeld  annahm.  An  seine  Stelle  trat  als 
erster  Hülfslehrer  Dr  Wollenberg.  Dilthey  schied  aus  und  wurde 
ordentlicher  Lehrer  und  Adjunct  an  dem  Joachimsthalschen  Gymnasium. 
Die  Schulamtscandidaten  Cr o uze  und  Busse  beendigten  ihr  Probejahr 
und  verlieszen  die  Anstalt.  Das  Lehrercollegium  bestand  am  Ende  des 
Sommersemesters  aus  folgenden  Mitgliedern:  Director  Prof.  Dr  Lhardy, 
ordentliche  Lehrer:  Prof.  Dr  Ploetz,  Prof.  Dr  Chambeau,  Prof.  Dr 
Schmidt,  Oberl.  Dr  Marggraff,  Dr  Schnatter,  Dr  Geszner, 
Dr  Beccard,  DrKüttner;  auszerordentliche  Lehrer :  Consistorialrath 
Fournier,  Pfarrer  der  franz.  Gemeinde,  Prof.  de  lallarpe,  Dr 
Franz,  Lange,  Dr  Wollenberg,  Busse,  Musikdirector  Comraer, 
Zeichenl.  Gennorich,  Schreibl.  Heilmann.  De  la  Harpe  verliesz 
am  Ende  des  Schuljahres  die  Anstalt,  um  eine  Lchrerstelle  in  seiner 
Vaterstadt  Lausanne  zu  übernehmen.  Die  Zahl  der  Schüler  betrug  am 
Schlüsse  des  Schulj.  307  (I  23,  II  34,  IIP  28,  III>»  37,  IV  55,  V61,  VI  69). 


468  Berichte  über  gelehrte  AofilaUen,  Verordnangen,  Statut.  Notiftep* 

Abiturienten  13.  Den  Schnlnachrichten  geht  voraus:  de  Cyro  Perta- 
rwn  rege,  Scripsit  J.  Schnatter.  16  S.  4.  —  6)  In  dem  Lehrercolle- 
gium  des  Cölnischen  Realgymnasiums  fand  kein  anderer  Wech- 
sel statt,  als  dasz  nach  dem  Abgange  des  Prediger  Eyssenhard,  der 
die  Erledigung  der  ersten  und  zweiten  Keligionslehrerstelle  zur  Folge 
hatte,  die  erste  dem  Prof.  Dr  George,  die  zweite  dem  Licentiaten  Vt 
"Kuhlmey  verliehen  wurde;  auszerdem  übernahm  Religionsstunden  in 
den  unteren  Klassen  Prediger  Weitling.  Prof.  Dr  Bar  entin  ward 
an  die  städtische  Qewerbschule  versetzt  und  an  seiner  Stell«  die  neu 
als.Hülfslehrer  eingetretenen  Dr  Jochmann  und  Dr  Dütschfce  an- 
gestellt. Dr  Pardon  hielt  sein  Probejahr  ab.  Das  LehrercoUegium 
zählte  dann  folgende  Mitglieder:  Director  Dr  August,  Prof.  Selck- 
mann,  Prof.  Dr  Benary,  Prof.  Dr  Pols b er w, 'Prof.  Dr  Kuhn^ 
Oberl.  Dr  Hagen,  Prof.  Dr  George;  ordentliche  Lehrer:  Kersten, 
Dr  Kuhlmey,  Dr  Hermes,  Bertram,  Licentiat  Dr  de  Lagarde, 
Prediger  Weitling  Religionsl.,  Gennerich  Zeichenl.,  Strahlendorf  f 
Schreibl.,  Dr  Waldästel  Gcsaugl.,  Dr  Natani  und  Dr  Dütschke 
Mitglieder  des  königl.  Seminars  für  gelehrte  Schulen,  Dr  Jochmann 
Hülfslehrer  der  Physik  und  Mathematik,  Dr  Pardon  Cand.  prob., 
Schulze  Elementar-  und  Turnlehrer.  Die  Zahl  der  Schüler  betrug  377 
(I  44,  II*  17,  II »>  27,  III«  35,  III»»  43,  IV*  57,  IV»»  53,  V  45,  VI  56). 
Abiturienten  12.  — '  Das  Programm  enthält  eine  wissenschaftliche  Ab- 
handlung des  ordentlichen  Lehrers  Lic.  Dr  de  Lagarde:  de  novo  tegta- 
mento  ad  versionum  orientalium  fidem  edendo,    20  S.  4.  Dr  0» 

Bielefeld.]  Das  Schuljahr  1856 — 57  gieng  nicht  ohne  wesentliche 
Veränderungen  für  die  Anstalt  vorüber.  Dr  Liesegang,  vierter  or- 
dentlicher Lehrer,  folgte  einem  Rufe  an  das  Gymnasium  zu  Duisburg; 
an  seine  Stelle  trat  Gymnasiallehrer  Bachmann,  vorher  am  Gymnasium 
zu  Herford.  Cantor  emer.  Ohle  war  durch  Kränklichkeit  genöthigt, 
auch  die  letzten  6  Stunden,  welche  er  nach  seiner  Emeretierung  noch 
beibehalten  hatte ,  ganz  aufzugeben.  Lehrerpersonal :  Director  und  Prof. 
Dr  Schmidt,  die  Oberlehfer  Prof.  Hinzpeter,  Bertelsmann, 
'  Jüngst,  die  ordentl.  Gymnasiallehrer  Oberl.  Dr  Schütz,  Oberl.  C oll- 
mann. Wortmann,  Bachmann,  Kottenkamp,  Hülfsl.  Schröter, 
Cantor  Ohle,  Pfarrer  PI  autholt  kath.  Religionsl.  Schülerzahl:  172 
(1  6,  JI  5,  III  17,  IV  28,  V  41,  VI  48,  II  real.  13,  III  real.  14).  Abi- 
turienten: 0.    Eine  wissenschaftliche  Abhandlung  ist  nicht  beigegeben. 

J)r  0. 

Bonn]  Die  Schülerzahl  hatte  in  den  beiden  mittleren  Klassen  des 
Gymn.  seit  längerer  Zeit  das  gewöhnliche  Masz  überschritten.  Um  diesem 
Misverhältnisse  abzuhelfen ,  wurde  zu  Anfang  des  Sommersem.  1857  eine 
Trennung  der  Tertia  und  Quarta  in  Parallelcötus  angeordnet  und  aa 
diesem  Zwecke  dem  Gymnasium  neue  Lehrkräfte  zugewiesen.  Aotxer 
Dr  Bessd  und  Bruders,  welche  seit  Weihnachten  aushülflich  be- 
schäftigt waren,  traten  zu  Ostern  noch  Dr  Binsfeld  und  Grevel- 
ding  als  commissarische  Lehrer  ein.  Zugleich  übernahm  Caplan  Sas- 
sel  einige  Religionsstunden.  Der  Schulamtscandidat  DrFrey  trat  sein 
Probejahr  an.  Lehrerpersonal:  Dir.  Prof.  Dr  Schopen,  Oberlehrer: 
Remacly,  Freudenberg,  Zirkel,  Dr  Klein,  Dr  Dubelmann 
kath.  Religionsl.,  ordentliche  Lehrer:  Oberl.  Werner,  Kneisel,  Oberl. 
DrHumpert,  Sonnenburg,  Dronke;  Lic.  Diestel  ev.  Religionsl., 
Caplan  Sassel  comm.  kath.  Religionsl.,  die  comm.  Lehrer:  Dir  Bins- 
feld, Bruders,  Dr  Strerath,  Dr  Bücheier,  Grevelding,  Dr 
Frey,  Gesang!.  Lützeler,  Zeichenl.  Philippart.  Das  Gymnasium 
zählte  beim  Schlüsse  des  Schuljahres  414  Schüler  (I*  30,  I»>  36,  II*  43, 
IIb  41,  in«  32,  III b  33,  IV a  36,  IV »»  34,  V  69,  VI  60);  davon  waren 
316  kath.,  85  evang.  Conf.,  13  Israel.  Glaubens.    Abiturienten:  30.    Den 


BiricUe  fiber  gelehrte  Anstalten,  Verordnungen,  statisl.  Notuen.  469 

Schuliiaeliriohten  geht  vorana  eine  wissenschaftliche  Ahhandlong  ▼om 
Qyninasiallehror  äonnenhurg:  zoologisch  -  kritische  Bemerkwigen  zu 
Aristoteles  Thiergeschidite  (27  ß.  4).  Der  Verf.  will  hiermit  einen  Bei- 
trag liefern  zu  dem  schwierigen  Unternehmen,  alle  Zweige  der  arinto- 
telischen  Zoologie ,  nach  Erklärung  oder  Entfernung  der  störenden  Ein- 
zelheiten, in  einer  ihres  ^oszen  Verfassers  wUi^digen  Weise  wieder 
herzustellen.  Die  Untersuchung  erstreckt  sich  auf  folgende  Stellen: 
Bist.  Animal.  I  8  p.  491  a  30  Bekk.  I  11  p.  492  b  22.  I  15  p.  494  a  14. 
I  8  p.  491  b  26.    II  1  p.  499  b  17.  Dr  0. 

Bbandenbubg.]     In    dem    Lehrerpersonal    des    Yoreinigten  alt- 
und  neustädtschen  Gymnasiums  trat  im  Schulj.  1856 — 57  keine 
A^endernng   ein.     Das   Collegium   bildeten  der  Dir.  Prof.  Braut,  Pro- 
rector  Dr  Bergmann,  Conrector  Rhode,  Subr.  Ramdohr,  Mathem. 
Prof.  Schönemann^  Musikdirector  Täglichsbeck,   Collabor.  I  Dr 
Tischer,    CoIIab.  II  Döhler,  Oollab.  III  Dehmel,   Lehrer  Plane. 
Schtilerzahl  203  (I  18,  II  15,  III  38,   IV  33,   V  38,   VI  61).     Abitu- 
rienten 7.     Das  Programm   enthält  eine  kunstgeschichtliche  Abhandlung 
Yom  Gymnasiallehrer  und  Musikdirector  Täglichsbeck:   die  musikali- 
schen Schatze  der  St.  Kaiharinenkirche  zu  Brandenburg  a.  d.  Havel,    Ein 
Beitrag  zur  musikalischen  Lilteratur  des  16,  und  17.  Jahrhunderts,    50  S.  4. 
—  Durch  die  allerhöchste  Cabinetsordre  vom  30.  April  1855  wurde  die 
Ritterakademie  zu  Brandenburg,   welche  zu  Ostern  1849  aufgelöst 
worden  war,  wieder  in  das  Leben  gerufen  und  am  21.  October  1856  in 
Gegenwart  Sr.  Majestät  des  Königs  und  Ihrer  Königlichen  Hoheiten  des 
Prinzen  von  Preuszen   und   des   Prinzen  Friedrich  Wilhelm  feierlichst 
wieder  eröffnet.     Auszer  dem  Director  Prof.  Dr  Köpke,  welcher  zuletzt 
die  erste  Oberlehrerstelle  am  Friedrichs-Gymnasium  zu  Berlin  bekleidet 
hatte,  waren  als  Lehrer  berufen  worden:    der  vorherige  Subrector  am 
Gymnasium  zu  Prenzlau  Dr  Bormann  unter  Ernennung  zum  Professor, 
der  vorherige  Mathematicus  am  Gymnasium  zu  Sorau  Scoppewer,  der 
vorherige  Lehrer  an  der  Realschule  zu  Berlin  Dr  Schulze,  die  beiden 
letzten  unter  Ernennung  zu  Oberlehrern;  ferner  als  Adjuncten  der  vor- 
herige CoUaborator  am  Gymnasium  zu  Stettin  Dr  Schnelle,  der  vor- 
herige Lehrer   am  Gymnasium   zu  Minden  Dr  Hoche,   als  Elementar- 
uud  Gesanglehrer  Wachsmuth,  als  Zeichenlehrer  Maler  Hertzberg. 
Der  Fecht-    und   Turnunterricht  wurde   wieder    dem   früheren   Lehrer 
Spiegel  übertragen.    Da  indessen  die  Lehrkräfte  für  die  Bedürfnisse 
der  Anstalt  nicht  vollständig  ausreichten ,  so  wurde  noch  als  ordentlicher 
Lehrer  der  vorherige  Adjunct   am  Pädagogium    zu  Puttbus  Dr  Koch 
berufen.     Bei  ihrer  Eröffnung  zählte  die  Ritterakademie  12  Zöglinge  und 
13  Hospiten;   während  der  letzten  Hälfte  des  Sommersemesters  wurde 
sie  von  31  Zöglingen  und  12  Hospiten  besucht  (I  3,  II  8,  III  14,  IV  13, 
V  3,  VI  2).     Dem  Bericht  über  das  verflossene  Schuljahr  geht  voraus 
eine  Abhandlung  von   dem  Director  Prof.  Dr  Köpke:.  über  die  Gattung 
der  dnofivrj(iovev(jLCita  in  der  griechischen  Litieratur,    30  S.  4,    Die  Be- 
deutung des  Wortes  dnofivrjfiovtvita  stehe  dahin  fest,    dasz   es   eine 
durch  Erinnerung  überlieferte,   in  Erzählungsform  mitge- 
theilte   Rede    oder   Aussage   bezeichne.     In  'dieser  Bedeutung 
eines  aus  der   Erinnerung  wiedergegebenen  Ausspruches  sei   das  Wort 
auch  in  die  rhetorische  Terminologie  übergegangen;    und    in   den  ver- 
schiedenen Progymnasmen  werde  es  gebraucht,  um  entweder  das  Thema 
einer  Chrie,  die  über  irgend  einen  Ausspruch  eines  berühmten  der  Wis- 
senschaft oder  dem  Staats-   und  Kriegsleben   angehörigen  Mannes  han- 
deln soll,   oder  die  Chrie  selbst  zu  bezeichden,  soweit  sie  die  Erwäh- 
nung und  Erwägung  von  Rede  oder  That  oder  von  beiden  zugleich  sei» 
Auszer  Xenophon,  Piaton  und  Aeschines,    welche   ausschlieszlich 
sich  dem  Bericht  von  Reden  des  Sokrates  widmeten,   werden  als  Ver- 


470  Berichte  aber  gelehrte  Anstalten,  VerordnaDgen ,  atatisl.  Noii 

fasser  Ton  Denkwürdigkeiten  (die  lat.  Uebers.  von  anoiivtjii,,  durch  me- 
morabilia  gebe  den  im  griechischen  Worte  liegenden  Sinn  nicht  einmal 
nur  annähernd  wieder)  aufgeführt  nnd  näher  behandelt:  Empodos, 
der  Samier  Lynkeus,  Stilpon,  Zcnon  der  Stoiker,  Aristodemos 
beiAthenäns,  Diodoros,  Dioskurides  und  FavorinnB  bei 
Diogenes.  Dr  0. 

BuRGSTEiNFURT.]  Bekanntlich  wurde  hier  das  evangelische  fürstlich 
Bentheimsche  Gymnasium  Arnoldiuam  mit  dem  Plane  eingerichtet,  daaa 
dasselbe  eine  Doppelanstalt  mit  drei  gemeinschaftlichen  unteren  und 
dann  je  drei  völlig  gesonderten  oberen  Gymnasial-  nnd  Realklassen 
werden  sollte.  Die  Heranbildung  sollte  allmählich  durch  successive 
Vermehrung  der  Klassen  und  Lehrkräfte  erfolgen.  Am  Schlüsse. des 
Schulj.  1857  bestanden  folgende  Klassen:  II  r  mit  4  Seh.,  Illg  9,  Ill^gO, 
Illr  7,  IV  11,  y  14,  VI  14  (Summa  der  Schülerzahlen  68);  zu  Ostern 
ward  die  Gymnasialsecunda  und  die  Realobersecunda  hinzugefügt.  Das 
Lehrercollegium  bildeten  damals  der  Dir.  Dr  Brom  ig,  die  Oberlehrer 
Rohdewald  und  Heuermann,  die  Gymnasiallehrer  Dr  Wilms  und 
Klostermann,  der  Elementarl.  Lcfholz,  Religionsl.  Pastor  Schim- 
mel, und  die  Candidaten  Neumann,  Börner  und  Orth.  Den  Schul- 
nachrichten ist  beigegeben  die  Abhandlung  des  Oberl.  Rohdewald:  de 
U8U  proverhiorwn  apud  Aristophanem  (38  S.  4).  R.  D, 

Cleve.]  In  dem  Lehrercollegium  trugen  sich  im  Schuljahre  1856 — 
57  mehrfache  Veränderungen  zu.  Aus  demselben  schied  der  katholische 
Religionslehrer  Kaplan  Lowey;  an  seine  Stelle  trat  der  Kaplan  Dr 
theol.  Goppeln  rat  h.  Prof.  Dr  Hopfensack  wurde  auf  sein  nach- 
suchen in  den  Ruhestand  versetzt.  Der  Oberlehrer  Dr  Fleischer  folgte 
einem  Ruf  zu  der  Stelle  eines  Oberlehrers  an  dem  Friedrichs  -  Gymna- 
sium in  Berlin.  In  die  Stellen  rückten  die  Oberlehrer  Feiten  und  Dr 
Schwalb  auf.  Die  erste  ordentliche  Lehrerstelle  wurde  mit  dem  Ober- 
lehrer Dr  Wulfert,  bis  dahin  am  Gymnasium  zu  Saarbrücken,  besetzt. 
Die  erste  Oberlehrerstelle  konnte,  weil  der  allgemeine  Pensionsfond  zur 
Pensionierung  nicht  ausreicht  und  die  Pension  des  emeritierten  einst- 
weilen noch  aus  der  Stelle  getragen  werden  musz,  noch  nicht  besetzt 
werden.  Zur  Aushülfe  wurde  indessen  dem  Gymnasium  der  Schulamts- 
candidat  Dr  von  Velsen  überwiesen.  Lehrerpcrsonal :  Director  Dr 
Helmke,  Prof.  Dr  Hopfensack;  Oberlehrer:  Dr  Fleischer,  Fei- 
ten, Dr  Schwalb;  ordentliche  Lehrer:  Dr  Hundert,  Dr  Schmidt; 
Kaplan  Dr  Coppenrath,  Elementarlehrer  Tüllmann,  Zeichenlehrer 
•  Völcker,  Musikdirector  Fiedler,  Scbulamtscandidat  Dr  vonVelsen. 
Schülerzahl  88  (I  7,  II  13,  III  13,  IV  18,  V  12,  VI  25).  Abiturienten  7. 
Das  Programm  enthält  auszer  den  Schulnachrichten:  de  Piatonis  altero 
rerum  principio.    Von  Dr  A.  Hundert  (21  8.  4).  Dr  0. 

CoBLENz.]  Als  jüngster  ordentlicher  Lehrer  wurde  im  Schuljahre 
1856  —  57  Stumpf  angestellt.  Die  commissarische  Beschäftigung  des 
Candidaten  Serf  hörte  auf;  dagegen  wurden  Dr  Lauf fs  und  Dr  Manr 
zu  gleicher  Beschäftigung  berufen.  Candidat  Schieffer  ist  gestorben. 
Dem  Rector  der  höheren  evang.  Stadtschule  Troost  wurde  an  Stelle 
des  Pfarrers  Schütte  evang.  Religionsunterricht  übertragen,  ebenso 
dem  Lehrer  derselben  Schule  Rimbach.  An  die  Stelle  des  zum  Pastor 
in  Alf  ernannten  Vicar  Hausmann  trat  der  Vicar  Neis.  Das  Lehrer- 
personal bildeten  nach  Ascension:  Director  Dominicus,  Religions- 
lehrer und  Confessionarius  Schubach,  die  Oberlehrer  F 1  ö c k  ,  Prof. 
Bigge,  Dr  Wesener,  Dr  Boyman,  die  ordentl.  Lehrer  Kloster- 
mann, Dr  Montigny,  Baumgarten,  Happe,  Stumpf,  Dr  Maur, 
Hülfslehrer  Stolz,  die  comm.  Lehrer  Troost,  Hilgers,  Dr  Ehlin- 
ger  ,  DrLauffs,  Dillenburg,  Neis,  Rimbach,  Zeichenlehrer 
Gotthard,   Gesangl.  Mand,    die  Schulamtscandidaten  Winz  und  Dr 


ioMile  Aber  gelehrte  Anslalteo,  Verordnoiigen,  etatisl.  Notizem  47t 

Conrad.  Schülerzahl  534  (I*  22,  I>»  27,  II«  60,  11*  62,  in  Ö8,  IV 
92,  y  104,  VI  109).  Abiturienten  21.  Den  Schalnachrichten  geht 
▼oraos  eine  Abhandlang  von  dem  Oberlehrer  Dr  Boyma'n:  Theorie  der 
toxodromischen  Linien  auf  den  Rotationsflächen  d^  zweiten  Ordnung,  welche 
ebten  Mittelpunkt  haben.    Erste  Abtheilung,    (28  S.  4).  Dr  0, 

Coesfeld.]  Dr  Haperz  warde  im  Schalj.  1856  —  57  zam  ordent« 
Hohen  Lehrer  ernannt  and  so  die  durch  das  ausscheiden  des  nach  Deutsch- 
Crone  versetzten  jüngsten  Lehrers  Dr  Werneke  entstandene  Lücke 
aiiagefüllt.  Der  Schulamtscand.  Stein  leistete  Aushülfe.  Lehrerperso- 
nal: Director Prof.  Dr  Schlüter,  die  Oberlehrer  Prof.  Kump,  Hüppe, 
Dr  Teipel,  Buerbaum,  die  Gymnasiallehrer  Bachofen  von  Echt, 
Löbker,  Esch,  Dr  Haperz,  Hof  prediger  D  o  e  p  i  n  g  ev.  Keligionsl.^ 
Gasangl.  F öl m e r ,  Zeichenl.  Marschall.  Schülerzahl :  179  (1 53,  II  37, 
III  35,  IV  20,  V  17,  VI  17).  Abiturienten  28.  Den  Schulnac^richten 
gteht  Torans  die  Abhandlung  des  Gjmnasiallehr.  Bachofen  von  Echt: 

flp (x)  .  d  z 
quaedam  ad  integrationem  functionis  di/ferentialis  / . '  ^  t^  . JT  P^^^^- 

tiß.     23  S.  4.  Dr  0. 

CoESLiN.]  Programm  1857.  Die  durch  den  Rücktritt  des  Ober- 
lohrers  Dr  Kienert  im  Lehrercollegium  entstandene  Lücke  ward  durch 
die  Anstellung  des  Dr  Häckermann,  vorher  Adjunct  am  Paedago- 
gpiam  zu  Putbus ,  ausgefüllt.  Der  Hülfslehrer  H  e  i  n  t  z  e  wurde  an  dio 
höhere  Lehranstalt  nach  Treptow  a./R.  berufen;  an  seine  Stelle  trat 
der  Schulamtscand.  Bornhak,  der  bisher  an  den  Schulen  der  Franke- 
•ehen  Stiftungen  in  Halle  Unterricht  ertheilt  hatte.  Bestand  des  Leh- 
rercoUeginros :  Director  Adler,  Prorector Prof.  Dr  Grieben,  Conrector 
Prof.  Dr  Bensemann,  Subr.  Prof.  Dr  Hen nicke,  die  Gymnasiall. 
Dr  Hüser,  Dr  Zelle,  Dr  Kupfer,  Tägert,  Dr  Häckermann, 
Zeichen-,  Schreib-  nnd  Turnlehrer  Hau  ptner,  Hülfslehrer  Schulamts- 
eand.  Bornhak.  Frequenz  der  Anstalt  268  (I  27,  II  38,  IIIMO,  HI» 
M,  IV  44,  V  39,  VI  24).  Abiturienten  9.  Das  Programm  enthält  eine 
A.bhandlung  vom  Gjmnasiall.  Dr  Hüser:  Versuche  zur  Erklärung  des 
i^.  Kapitels  des  Ev.Johannis,  10  S.  4.  —  Gymnasiall.  Tägert  verfaszte 
sum   Jubiläum    der   Universität  Greifswald  die  Gratulationsschrift:   de 

X  —  X     X  —  X 

fknctionibus  sin,  a?,  cos.  xe  —  e,  e  +  e  in  faciores  resolvendis,         Dr  0, 

2  ~2~ 

Dortmund.]  Auch  in  dem  Schuljahre  1856 — 57  traten  in  dem  Leh- 
rercollegium einige  Veränderungen  ein.  Der  Caplan  Nacke,  der  den 
Bcligionsnnterricht  in  den  mittleren  Klassen  geleitet  hatte ,  folgte  einem 
Enfe  als  Pfarrer  zu  Mühlhausen.  Seine  Lectionen  übernahm  der  Caplan 
Bchlinkert,  Pfarrer  Kerlen  übernahm  einen  Theil  des  evang.  Reli- 
gionsunterrichte^.  Der  erste  Gymnasiallehrer  Borgardt  wurde  auf  sein 
oachsnchon  pensioniert;  seine  Lectionen  übernahm  zum  grösten  Theile 
Cand.  Wex,  d»  sein  Probejahr  abhielt.  Lehrercollegium:  Prof.  Dr 
Hildebrand,  Pror.  und  erster  Oberlehrer,  comm.  Dirigent,  die  Ober- 
lehrer Dr  Böhme,  Varnhagen,  die  ordentlichen  Lehrer  Borgardt, 
Dberl.  Qr.  Gröning,  Dr  Natorp,  Mosebach,  wissensch.  Hülfslehrer 
Perschmann,  Superint.  Consbruch  Lehrer  d.  Engl.,  die  Pfarrer 
Prümer  und  Kerlen  evang.  Religionsl.,  Pfarrer  Wiemann,  Caplan 
Nacke  und  Caplan  Schiin kert  kath.  Religionsl.,  Schalamtscandidat 
Wex.  Schülerzahl:  167  (I  9,  II  10,  III  43,  IV  28,  V  27,  VI  44).  Abi- 
Inrienten  4.  Das  Programm  enthält  eine  lateinische  Abhandlung  des 
Dr  Natorp:  commentaiio  hisloiica  de  rebus ,  quae  inter  Francos  ac  Saxo- 
nes  a  Chlodovaei  aetate  usque  adPipinwn  tnorluum  intercesserunt,  16  S.  4. 
Die  Gratolationsschrift  zur   zweiton   Säcolarfeier  des  Gymnasiums  zu 


472  Bwiolite  fiber  gelehrte  Anslalten,  Verordnungen)  atttift»  NoÜMp. 

Hamm  enthält;  1)  Godofredi  Boekme  episiola  gratuUttaria.  2)  Gutiam  Hü- 
debrand  specimen  lexici  Lwiani.    22  S.  4.  Dr  0. 

DÜBEN.]  Mit  Anfang  des  Schuljahres  1856  —  57  traten  im  Lehrer- 
colleginm  folgende  VeräBderiingen  ein:  der  vorherige  fünfte  ordentlich« 
Lehrer  Dr  Spengler  rückte  in  die  dritte  Oberlehrerstelle,  der  vorherige 
vierte  ordentliche  Lehrer  Hagen  in  die  dritte  ordentliche  Lehrerstelle 
auf;  der  Schnlarotscandidat  Dr  S  c  h m i t  z  wurde  als  fünfter  ordentlicher 
Lehrer  angestellt.  Die  vierte  ordentliche  Lehrerstelle  blieb  unbesetzt. 
Die  dadurch  noth wendig  gewordene  Aushülfe  leistete  der  Schulamts- 
candidat  Sen^chaute.  Lehrerpersonal:  Director  Dr  Meiring,  die 
Oberlehrer  Kl ve nie h,  Ritzefeld,  Spengler,  die  ordentlichen  Lehrer 
Esser,  Ciaessen,  Hagen,  Dr  Schmitz,  Candidat  S^ndc haute, 
Pfarrer  Reinhardt  evang.  Religionslehrer ,  Zeichenlehrer  N a g e  1 , 
Gesanglehrer  Jonen.  Die  Zahl  der  Schüler  betrug  zu  Ende  des  Schul- 
jahres 150  (I  26,  II  34,  III  27,  IV  34,  V  24,  VI  11).  Abiturienten  11. 
Das  Programm  enthält  eine  Abhandlung  vom  Oberlehrer  Dr  Speng- 
ler: de  Rheso  tragoedia  (23  S.  4).  ^Pro  certo  statuendum  esse  censeOi 
ab  arte  metrica,  cuius  quanta  sit  et  elegantia  et  facultas  apud  poetam 
Rhesi,  quisquis  est,  demonstravi,  magnum  peti  posse  adiumentum,  qno 
eorum  sententia  refutetur,  qui  Rhesum  Alexandrinornm  aetate  factam 
esse  velint.'  Der  zweite  Theil  der  Abhandlung,  in  welchem  der  Beweis 
geführt  werden  soll  Rhesum  tragoediam  ita  esse  comparatam,  nt  nullo 
modo  ei  locus  assignarl  possit  inter  veras  et  gernianas  tragoedias  (greg^ 
Gruppe,  Vater,  Härtung) ,  soll  später  folgen.  Dr  0. 

DÜSSELDORF.]  In  dem  LehrercoUegium  trat  im  Schuljahre  1857 
keine  Veränderung  ein.  Dr  Küppers  begann  sein  Probejahr.  Lehrer: 
Director  Dr  Kiesel,  Oberlehrer  Prof.  Dr  Creme,  Honigmann, 
Grashof,  Krähe  Religionslehrer,  Marcowitz,  ordentliche  Lehrer 
Holl,  Kirsch,  Münch,  Dr  Uppenkamp,  Dr  Krausz,  Consistorial" 
rath  Bndde  evang.  Religionslehrer,  Hülfslehrer  Stein,  Inspector  Win- 
tergerst  Zeichenlehrer.  Die  Zahl  der  Schüler  betrug  am  Schlüsse  dee 
Schuljahres  275  (I  26,  II*  14,  II»»  33,  III  32,  IV  55,  V  54,  VI  50). 
Abiturienten  10.  Den  Schulnachrichten  geht  voraus:  exempJa  ad  il/usirait- 
dam  concludendi  doctrinam  ex  Piatonis  libris  coUegit  Oar.  Kiesel  (14  S.  4). 

Dr  O, 

DüiSBUBQ.]  Das  Schuljahr  1856 — 57  wurde  mit  der  Einfülirung  der 
beiden  neu  eintretenden  Lehrer,  des  Dr  Liesegang  als  ordentliehen 
Lehrers  des  Gymnasiums  und  Polscher  als  ordentlichen  Lehrers  der 
Realschule  eröffnet.  Der  ordentl.  Lehrer  und  Zeichenlehrer  Feld  mann 
starb  im  Anfange  des  Schuljahrs;  an  seine  Stelle  ist  der  Zeichenlehrer 
Knoff  aus  Danzig  getreten.  Lehrerpersonal:  Director  Dr  Eichhoff, 
die  Oberlehrer  Prof.  H c r b 8 1 ,  Köhnen,  Hülsmann,  Dr  Nitzsch, 
die  Gymnasiallehrer  Dr  Liesegang,  Dr  Foltz,  die  Hülfslehrer 
Schmidt,  Sperling,  Oberlehrer  Fulda,  Dr  Vog.el,  Polaoher, 
Hülfslehrer  Werth  Gesanglehrer,  Knoff  Zeichenlehrer,  Kaplan  Gail- 
lard.  Die  Schülerzahl  belief  sich  im  Sommersemest|pr  im  Gymnasium 
auf  174  (I  20,  II«  21,  11»»  19,  III  32,  IV  32,  V  23,  VI  27),  in  der 
Realschule  auf  49  (I  4,  II  16,  III  29) ,  in  der  Vorschule  auf  45  Schfiler 
(le  Abth.  26,  2e  Abth.  19).  Abiturienten  13.  Den  Schulnacjirichten 
voran  geht  eine  Abhandlung  des  Oberlehrers  Dr  Nitzsch:  Herodoiea 
(14  S.  4).  II  3  tä  fiiv  VW  &Bia  xrZ.  Confictas  illas  fabulas,  Inquit 
IJerodotus,  non  lubet  exponere,  quoniam  neque  dixisse  quidquam  nee 
dicere  posse  vidcntur  eqrum  inventores  divina  maiestate  satis  dignmn. 
Ad  intelligendum,  quid  maxime  in  caussa  fuerit  cur  Herodotus  in  rebni 
divinis  commemorandis  restrictius  agcndnm  esse  arbitraretur,  in  censnm 
vocptur  II  45.  Unde  hoc  nescio  an  recte  coniectari  liceat,  propterea 
communem  omnium  deorum  heroumque  caussam  agi,   quod  de  turbata 


Beriohle  iber  gelehrte  ÄDstaUen,  Verordoungeo,  etakul.  Ikittiel.  473 

divinae  hamanaeqne  naturae  differentia  reli^o  iniecta  sit  quamvis  stibtl- 
llter  ad  humanas  rationes  in  commentis  iUis  refatandis  versäto.  Nifi 
forte  navis,  nil  aliud  in  canssa  esse,  nisi  quod  deprecando  (xal  tcsqI 
,p,hv  tovrav  xoaavta  ijfiiv  Unova^  %al  naqä  rmv  d^Biov  xal  «agä  X(OP 
fiqmnv  tiffftsvEta  strj)  id  agat,  nt  populari  oplnioni  ob  fidem  fabulae 
abrogatam  satis  faciat  atque  conccdat.  Utnt  est,  illud  mihi  ratum 
fixumqae  est,  nee  deprecatoriam  illam  Yocem^ad  sacra  arcana  refenri 
posse,  neque  vero  nllam  hoc  loco  ne  significationem  quidem  sacrorum 
deprehendi.  —  II  65.  III  108.  Hoc  tantum  volui,  iisqne  adeo  fieri 
non  potuisse,  quin  Herodotus  vehementer  offenderet  in  eins  modi  de- 
creto,  qnod  non  tarn  divinam  naturam  pie  sancteque  scrutantis,  quam 
humana  vel  argumentatione  vel  opinatione  tanquam  regula  metientis 
▼ideretnr,  ut  nil  minus,  quam  verecundia  aliqua  ex  ipsius  rei  admira- 
tione  petita  atque  ex  arcanis  sacris  percepta  illius  ingenio  tribuenda 
esset.  Immo  vel  haec  quum  scribebat,  penitus,.  nisi  fallor,  insidcbat 
animo  religio  horrentis  ac  reformidantis  explicatam  eius  caussae  memo- 
riam,  quam  nee  enucleate  exponere  neque  ex  animi  sententia  disceptare 
posset,  quin  maxiraum  periculum  adiret,  ne  turpissima  quaequc  atque 
foedissima  divinae  sanctitati  admiscendo  contagione  quadam  coelestes 
In  se  iras  converteret.  Nam  quum  bestialis  naturae  caussas  ipse  quo- 
qne  ex  divina  auctoritate  aliqua  ratione  repetendas  existimaret  —  id 
qnod  in  felium  impetu  ac  temeritate  iibere  professus  erat  —  haud 
sane  minus  difficiles  explicatus  habebat  sacerdotalis  decreti  refutatio 
et  sacri  ritus  in  pecore  prono  ventrique  obediente  exprobraMo,  quam 
talis  controversia ,  qualem  paullo  ante  adversus  eos  detrectaverat ,  qui 
fana  concubitu  profanari  negassent.  Dr  0, 

Eisleben-]  Programm  1857.  Der  emeritierte  Qnintus  Fuhrmann 
war  gestorben,  der  Prof.  und  Subrector  Dr  Kroll  pensioniert.  Durch 
die  Pensionierung  des  letzteren  wurde  das  Verhältnis  seines  Adjuncten 
Dr  Suhle  zur  hiesigen  Schule  gelöst  und  es  folgte  derselbe  einem 
Rufe  an  das  Gymnasium  zu  Bemburg.  Als  Lehrer  der  Mathematik 
wurde  Prof.  Dr  Gerhardt  berufen,  vorher  Lehrer  der  Mathematik  am 
.französ.  Gymnasium  und  der  königlichen  vereinigten  Artillerie-  und 
Ingenieurschule  zu  Berlin.  Das  Lehrercollegium  bestand  aus :  Director 
Prof.  Schwalbe,  Conrector  Prof.  Richter,  Subconrector  Prof.  Dr 
Mönch,  Prof.  Dr  Gerhardt,  den  Oberlehrern  Dr  Genthe,  Engel- 
brecht, Dr  Schmalfeld,  den  Lehrern  Dr  Rothe,  Dr  Gräfenhan, 
Zeichenlehrer  Kuprcchi.  Aushelfend  unterrichteten  auszerdem  Diaco- 
nii«  Schi  unk,  Organist  Rein.  Schiilerzahl  £16  (I  25,  II  23,  III  37, 
IV  44,  V  44,  VI  43).  Abiturienten  5.  Den  Schulnachrichten  ist  voraus- 
geschickt: varietas  lecüonis  ad  M,  TuUii  Ciceronis  orationes  (pro  Lignrio, 
pro  rege  Deiotaro)  e  codice  Islebensi  enotala.  Vom  Prof.  Dr  M  ö  n  c  h  ( 17  S.  4), 

Dr  0. 

Elbebfelt).]  Durch  eine  bleibende  Trennung  der  Tertia  in  zwei 
•eibständige  Klassen  war  eine  neue  Lehrkraft  nöthig  geworden,  für 
welche  Dr  Baumeister,  Lehrer  am  französischen  Gymnasium  In  Ber- 
lin, gewonnen  wurde.  Dr  Paldamus  folgte  dem  Ruf  als  Director  der 
neuen  Bürgerschule  in  Frankfurt  a.  M.,  in  Folge  dessen  Dr  Baumeister 
mm  dritten  Gymnasiallehrer  ernannt  wurde.  DrCrecelius,  Lehrer  am 
Vitzthumschen  Geschlechts  -  Gymnasium  in  Dresden,  wurde  anfangs  als 
Stellvertreter  des  beurlaubten  Oberlehrers  Dr  Herbst  bestellt,  nachher 
provisorisch  zum  Lehrer  ernannt.  Während  des  Sommerhalbjahres  lei- 
stete Aushülfe  der  Candidat  Schinzel,  der  bisher  am  Gymnasium  in 
Essen  beschäftigt  gewesen  war.  Der  erste  Oberlehrer  Professor  Dr 
C  lausen,  der  vor  25  Jahren  an  das  Gymnasium  zu  Elberfeld  berufen 
war,  feierte  sein  25 jähriges  Dienstjubiläum.  Das  Lehrercollegium  be- 
stand aus  folgenden  MitgUedem:  Director  Dr  Bouterwek,  Oberlehrer 


474  Berichts  Ober  gelehrte  Anstalten,  Verordnnngen,  Statist  Moli 

Professor  Dr  Clansen,  Dr  Fischer,  Dr  Herbst,  Gymnasuillehrer  Dr 
Völker,  Dr  Petri,  Dr  Banmeister,  Dr  Petry,  Dr  Grecelias, 
Hülfslehrer  Schindel,  Kegel  Gesang-  und  Schreiblehrer,  La  ihm  er 
Zeichenlehrer,  Kaplan  R  u  m  p  e  n  Religionslehrer.  Schülerzahl  221  (I  17, 
II  26,  III«  29,  IIP  34,  IV  39,  V  44,  VI  32),  in  der  Vorschule  29. 
Abiturienten  8.  Den  Schulnachrichten  geht  voraus :  Augustini  de  diaJeeHca 
liber,    Recensnit  et  adnotavit  W.  Crecelius  (20  S.  4).  Dr  0. 

Elbing.]     In  dem  Lehrercollegium  des  Gymnasiums  waren  im  Schul- 
jahre I8ÖH^57  folgende  Veränderungen  eingetreten:  der  Schulamtacan- 
didat  Heinrichs  wurde  als  fünfter  ordentlicher  Lehrer  angestellt;   der 
Candidat  Dal  gas   trat  sein  Probejahr  an.     Der  Professor  Carl  schied 
▼on  der  Anstalt,  um  das  Directorat  der  höheren  Töchterschule  in  Ma- 
rienwerder  zu  übernehmen.     In  Folge  des  Abgangs  desselben  rückte  Dr 
Ben  seh  in  die  dritte  Oberlehrer-  und  Professorstelle  auf,  der  Oberleh- 
i^r  Scheibert  in  die  erste,   der  Lehrer  Lindenroth  in   die  zweite, 
pT  Steinke  in  die  dritte,   Dr  Heinrichs    in   die  vierte   ordentliche 
Lehrerstelle.    Mit  der  provisorischen  Verwaltung  der  fünften  ordentlichen 
Lehrerstelle  wurde  der  vorherige  Lehrer  an  der  höheren  Bürgersehule 
zu   Graudenz  Sonnenburg  betraut.     Lehrercollegium :    Director  und 
Professor  Dr   Benecke,    die  Professoren  Merz,   Richter,   Carl« 
die  ordentl.  Lehrer  Dr  Reu  seh,  Oberl.  Scheibert,  Lindenroth,  Dr 
Steinke,  Dr  Heinrichs,  Döring  Musikdirector ,   Müller  Zeichen- 
lehrer.   Die  Zahl  der  Schüler  betrug  203  (I  18,  II  15,  III  51,  IV  35,  V  39, 
VI  45).  «Die  Privatvorbereitungsschule  für  das  Gymnasium  ward  von  41 
Knaben  besucht.    Abiturienten  10.     Den  Schulnachrichten  folgt:   ITAe- 
mata  zu  lateinischen  Aufsätzen  für  Secunda.    Von  dem  Gymnasiallehrer  Dr 
Heinrichs  (15  S.  4).     Mit  Rücksicht  auf  den  von  Prof.  Dietseh  in 
dieser  Zeitschrift  Bd.  LXXII  S.  500   ausgesprochenen  Gedanken,   dasi 
man  durch  die  Mittheilung  der  Themen  zu  defi  freien  Arbeiten  ein  Bild 
aus  dem  innern  Leben  der  Schule  empfange,  hat  der  Vf.,   nachdem  er 
einige  Worte  über  die  Methode  nach   welcher  in  der  Secunda  des  dor- 
tigen Gymnasiums  die  lateinischen  Aufsätze  behandelt  werden  voraus- 
geschickt hat,  06  solcher  Themata  aufgeführt  mit  alP  den  Andeutungen! 
wie  sie  wirklich   in  der  Klasse  gegeben  worden    sind.     Der  Verfasser 
gibt  nur  solche  Themata,^ zu  denen  in  einem  dem  Schüler  leicht  zugäng- 
lichen lateinischen  Autor  der  Stoff  vollständig  vorliegt,  und    verlangt, 
dasz  der  Anfertigung  des  Aufsatzes   die  Leetüre  dieses  Stoffes  voran- 
gehe.    Die  Aufgaben  stufen  sich  so  ab:  1.  einfache  Erzählung  (wieder- 
geben des  gelesenen  mit  andern  Worten  und  in  andorm  Zusammenhange, 
vorkürzte  und  erweiterte  Darstellung  des  vom  Autor  berichteten.    2.  Er* 
Zählung  mit  Schilderungen  (Die  Auswahl  bleibt  dem  Lehrer  überlassen), 
verweilen  bei  anziehenden  Einzelheiten.     3.  Erzählung  mit  eingestrea- 
tcn  kleinen  Reden  (Anfangs  so ,  dasz  Reden ,  die  der  Autor  selbst  ^bt, 
verkürzt  wiedergegeben  werden,  und   zwar  die  directen  des  Autors  in 
indirecter  Rede,    die  indircctcn  in  directer,    später   eigne  Erfindung  in 
beliebiger  Form).    4.  Erzählung  mit  daran  geknüpften  Reflexionen  (Frage 
nach  Ursache  und  Wirkung ,  geschichtliche  Parallelen ,  Charakteristiken 
der  handelnden  Personen,  Urteile  über  die  Sittlichkeit  ihrer  Handlungen). 
5.  Reine  Reflexion   (deren  Stoffe   der  Geschichte  oder  dem  alltäglichen 
Leben   entnommen).    0.  Rein  rhetorische   Aufgaben  (Reden  bestimmter 
historischer    Personen    bei   bestimmten   Veranlassungen,    Monologe).  — 
Philosophische   und    rhetorische  Aufgaben    sollten    meines   erachtens  in 
Secunda  nicht  gestellt  werden.    Die  Themata  selbst  sind  recht  passend 
gewählt  und  die  denselben  beigefügten  Andeutungen  erscheinen  zweok- 
mäszig  und  gut.  Dr  0. 

Emmerich.]  In  dem  Lehrerpersonal  hat  1857  keine  weitere  Verände* 
rang  stattgefunden,  als  dasz  bei  der  Wiedervereinigung  der  Secunden  der 


BerMhCe  Aber  gelehrte  Aostalten,  Verordoungeii,  statisl.  Noäf«i.3475 

Sehalarotacandidat  Engeln  nach  zweijjlhriger  commissarischer  Wirk- 
samkeit wieder  aus  diesem  Verhältnis  austrat.  Lehrerpersonal:  Director 
Msttmann,  Oberlehrer  Dederich,  Hottenrott,  Dr  Schneider, 
ordentliche  Lehrer  Dr  van  der  Bach,  Knitterscheid,  Dr  Have- 
Stadt,  Dr  Gramer,  Candidat  Thürlings,  Uhlenbruck  evangel. 
Pfarrer ,  Zeichenlehrer  Sweekhorst.  Dederich  ertheilte  auch  den 
Gesangnnterricht ,  Thürlings  den  Schreibunterricht.  Die  Zahl  der 
Schüler  betrug  am  Schlüsse  des  Schuljahres  141  (I  2Ö,  II  22,  III  1(5, 
IV  22,  V  26,  VI  29).  Abiturienten  15.  Dem  Jahresbericht  geht  voraus 
eine  Abhandlung  von  Dr  Havestadt:  de  M,  Ttäiii  Ciceronis  primis 
prineipiis  pkilosophiae  movalis  (10  S.  4).  Dr  0, 

Erfurt.]  Professor  Dr  Mensing  trat  nach  ylerzigjähriger  Dienst- 
leit  in  den  erbetenen  Ruhestand,  ebenso  Professor  Dr  Besler  nach 
aehtondvier zigjährigem  wirken  in  seiner  Vaterstadt  Erfurt.  Den  evan- 
gelischen Religionsunterricht  in  Prima  und  Secunda  ertheilte  von  Ostern 
an  Divisionsprediger  Dr  Bienäcker,  gab  aber  diese  Stellung  bald 
wieder  auf  und  erhielt  zum  Nachfolger  Consistorialrath  Scheibe. 
Lehrerpersonal :  Director  Professor  Dr  S  c  h  ö  1  e  r ,  Professor  Dr  Bes- 
ler, Professor  Dr  Schmidt,  Professor  Dr  Herrmann,  Professor  Dr 
Kritz,  Professor  Dr  Dennhar dt,  Professor  Dr  Richter,  Professor 
Dr  Weiszenborn,  Dr  Kayser,  Dufft,  Gesanglehrer  Gebhardt, 
Zeichenlehrer  Professor  Dietrich,  die  Religionslehrer  Consistorialrath 
Scheibe,  Divisionsprediger  Dr  Rienäcker,  Rector  Nagel.  Schülcr- 
lahl  211  (I  22,  II  31,  lU  44,  rv  50,  V  41,  VI  33).  Abiturienten  6. 
Den  Schulnachrichten  ist  vorausgeschickt:  de  glossematis  faUo  Taeiti 
'Agricolae  vnputatis,  Coromentatio  critica  spectans  Wexil  editionem 
Agricolae,  auctore  Fr  id.  Kritzio  (25  S.  4).  Dr  0. 

WÜRTTEMBERG.]  Ucbcr  die  Gymnasien  des  Landes  im  Schuljahre 
Oct.  1856  bis  Sept.  1857  berichten  wir  nach  den  Programmen  folgendes: 

1.  Ehingen.  Im  dortigen  Gymnasium,  welches  in  ein  oberes  und 
vnteres  getheilt  ist,  hat  sich. im  Lehrerpersonale  gegen  voriges  Jahr 
keine  Voränderung  ergeben.  Das  untere  Gymnasium  besuchten  104 
Schüler  (I  14,  IL21,  III  16,  IV  21 ,  V  44,  VI  18),  das  obere  76  (I  21, 
II  14,  III  21,  IV  20).  Gesamtzahl  180.  Den  Schulnachrichten  geht 
voran  eine  Abhandlung  vom  Professor  und  Cenvicts Vorsteher  Himpert: 
die  ünsterblichkeitslekre  des  alten  Testamentes,  1.  Abtheilnng  (32  S.  4). 
Der  Verf.  spricht  zuerst  von  der  Beschaffenheit  der  menschlichen 
Natur  und  den  Folgen  der  Sünde  für  sie,  von  dem  Tode  im  Sinne  und 
Znsammenhange  der  h.  Schrift,  woran  sich  die  Lehre  vom  Aufent- 
haltsort nach  dem  Tode  schlioszt.  Darauf  werden  die  Stellen  des 
Pentateuchs,  die  sich  auf  die  Lehre  von  der  Fortdauer  beziehen, 
die  Vorstellungen  des  Prophetenthuras  darüber  und  der  poetischen 
Bücher,  die  ganz  besonders  die  Weisheitslehre  des  alten  Testaments 
enthalten,  endlich  die  jüngeren  Schriften  des  sogen,  zweiten  Canon  be- 
trachtet. Eine  Darstellung  der  Lehre  der  alezandrinisch  jüdi- 
schen Philosophie,  der  drei  jüdischen  Secton,  des  Talmud,  der 
aristotelisch  jüdischen  Philosophen  und  der  Cabbala  über  die 
Unsterblichkeit  soll  die  spätere  Geschichte  der  Unsterblichkcitslehre  bei 
den  Juden  behandeln. 

2.  Ellwangen.  In  dem  Lchrercollegium  des  Gymnasiums  ist  keine 
weitere  Veränderung  eingetreten,  als  dasz  zufolge  der  Versetzung  des 
evangelischen  Stadtpfarrers  Schlager  der  neuernannte  Stadtpfarrer 
Eggel  den  Religionsunterricht  für  die  evangelischen  Schüler  übernom- 
men hat.  Dem  Professoratsverweser  Gaiszer  wurde  die  von  ihm  provi- 
sorisch bekleidete  ö.^Profcssorstelle  an  der  oberen  Abtheilung  des  Gym^ 
nasiums  definitiv  übertragen.  Die  Gresamtzahl  der  Schüler  des  Gymna- 
tinina'  betrug  am  Schlosse  des  Schuljahrs  123,  in  der  oberen  Abtheilnng 


476  Berichte  über  gelehrte  Anstalten,  Verordnungen,  slatigt  Nofiien.' 

32,  in  der  unteren  Ol;  die  GesamtEahl  der  mit  dem  Gymnasium  Ter* 
bundenen  Realschule  IG,  in  der  oberen  Klasse  5,  in  der  unteren  11. 
Den  Schulnachrichten  geht  voran:  Grundrisz  der  ebenen  Geometrie^  erste 
Abtheilung,  von  Professor  Zorer  (24  S.  8) 

3.  Heiibronn.  Der  Lehramtscandidat  Held  wurde  sum  Vicar  an 
Gymnasium  und  Rcalanstalt  und  zugleich  als  dritter  Repetent  am  Pen- 
sionat ernannt.  Repetent  Denk  wurde  zum  Präceptoratsverweser  am 
Ljceum  zu  Ludwigsburg  ernannt  und  seine  Stelle  dem  Reallehramts- 
eandidaten  Sengei  übertragen.  In  Folge  studienräthlichen  Erlasses 
wurde  die  IVe  Klasse  des  Gymnasiums  in  eine  Klasse  mit  zweijährigem, 
die  Ve  Klasse  dagegen  in  eine  Klasse  mit  nur  einjährigem  Cursus  ver- 
wandelt. Zu  Anfang  des  Schuljahrs  betrug  die  Schülerzahl  beider  An- 
stalten 401,  am  Schlusz  nur  304.  a.  Gymnasium  204.  Obergymn.  39 
(VU  a.  b.  17,  VI  a.  b.  22);  Mitteig.  63  (V  18,  IV  a.  b.  45),  Unterg. 
102  (III  21,  II  36,  I  45).  b.  Realanstalt  153  (V  a.  b.  33,  lY  a.  b.  34, 
III  25,  II  20,  I  32).  c.  Elementarklasse  a.  b.  61.  Zwei  Schüler  be- 
standen die  Concnrsprüfung  für  das  theologische  Studium ,  sechs  andere 
die  Maturitätsprüfung  für  die  übrigen  Facultätsstudien.  Das  mit  dem 
Gymnasium  und  der  Realanstalt  verbundene  Pensionat  war  mit  45  Zög- 
lingen besetzt.  Den  Schul nachrichten  geht  voran  eine  Abhandlung 
von  Rector  Dr  Mönnich:  u^^r  den  Unterricht  in  der  Geschichte  vornehm* 
Uch  auf  GelehrienschiUen  (38  S.  4).  'Der  Grundfehler  aller  unserer  Lehr- 
pläne ,  Lehrgänge  und  Lehrbücher  für  Schulen  liege  in  dem  zu  weit  und 
zu  hoch  gesteckten  Ziele,  in  der  allen  gemeinsamen  Absicht  die  Ja- 
gend Universalhistorie  zu  lehren.  Zu  weit  sei  dies  Ziel  gesteckt,  weil 
man  nicht  einmal  des  Stoffes  in  der  Zeit  Meister  werden  könne,  die 
man  auf  Schulen  für  die  Geschichte  zu  verwenden  habe.  Man  branehe 
für  die  Geschichte  der  orientalischen  Völker,  die  Aegypter  mit  einge- 
schlossen, solle  die  Darstellung  nicht  gar  zu  dürftig  und  unansehaulieh 
ausfallen,  mindestens  ein  Jahr,  für  die  der  Griechen  mindestens  an- 
derthalb, für  die  der  Römer  zwei,  für  das  Mittelalter  zwei,  für  die 
neuere  Geschichte  vier  Jahre.  Die  Aufnahme  aller  Zweige  der  Cultur- 
geschichte ,  vom  Ackerbau  bis  zur  Philosophie ,  wodurch  man  dem  Vor- 
wurf des  unvollständigen  und  lückenhaften  zu  entgehen  suche,  eigne 
sich  durchaus  nicht  und  dürfe  nicht  zur  Anwendung  kommen ;  denn  eine 
solche  Behandlung  setze  eine  Reife  des  Geistes  voraus ,  zu  welcher  Jüng- 
linge nimmermehr  gelangen  könnten ,  ja  zu  der  sie .  selbst  wenn  es  mSg- 
lieh  wäre,  gar  nicht  hinaufgeschraubt  werden  dürften.  Aus  dem  itt 
weit  und  zu  hoch  gesteckten  Ziele  ergebe  sich  mit  Nothwendigkeit :  un- 
sicheres und  dabei  todtes  wissen  der  Thatsachen  und  unverstandenes, 
hohles,  doctrinelles  und  dabei  hochmütiges,  wegwerfendes  oder  auch  an- 
erkennendes raisonnieren ,  ja  eine  mehr  oder  minder  weitgehende  Ver- 
dorbenheit alles  wahrhaft  historischen  Sinnes.'  Obwol  sich  dies  schwer- 
lich bestreiten  lassen  werde,  unterzieht  der  Verfasser  doch  das  ungenü-- 
gende  der  wichtigsten  methodischen  Palliativmittel ,  welche  zu  ersinnen 
man  nicht  müde  werde ,  einer  etwas  näheren  Betrachtung  und  entwickelt 
dann  seine  eigenen  Grundansichten  über  den  Unterricht  in  der  Goschichte, 
welche  mit  den  von  Hen*n  Oberstudienrath  von  Roth  in  Stuttgart  im 
vorigen  Jahr  (siehe  Correspondenzblatt  für  die  Gelehrten-  und  Realschu- 
len Württembergs  Nr.  8  des  Jahrgangs  1856)  über  denselben  Gegen- 
stand ausgesprochenen  Ansichten  wesentlich  übereinstimmen.  Beide 
verlangen  entschieden,  dasz  die  Universalgeschichte  aufgege- 
ben und  durch  Einzelgeschichten  der  drei  Hauptvölker  er- 
setzt werden  soll.  Nur  in  der  Anwendung  der  vorgetragenen  Grund- 
ansichten auf  die  Gestaltung  des  Unterrichts  hat  sich  der  Verf.  wieder 
etwas  von  dem  entfernt ,  was  v.  Roth  vorgeschlagen  hat. 

4.  Bottweil.    An  dem  Präoeptor  Villinger  verlor  das  Gymna- 


loriokte  Aber  gelehrte  Anstalten,  Verordnungeii,  Statist.  Notiien.  477 

pum  seinen  ältesten  Lehrer  durch  den  Tod.  Die  erledigte  Lehrstelle 
imrde  dem  seitherigen  Vicar  an  der  Kealanstalt  in  Ulm ,  £d.  Her,  über* 
brmgen.  Die  an  der  Realschule  erledigte  Lehrstelle,  welche  der  KeaU 
lehramtscandidat  Eggler  längere  Zeit  provisorisch  bekleidete,  wurde 
lern  Beallehrer  Pflanz  in  Neresheim  übertragen.  Gesamtzahl  der  Gjm- 
iMunssten  und  Realschüler  136.  Den  Schalnachrichten  geht  yoran  eine 
^handlang  von  Oberlehrer  Lerch:  die  Berechnung  der  Kreis  -  Segmente 
(82  S.  4). 

ß.  Stuttgart.     Candidat  Dorn  wurde  als  Repetent  an  das  Semi- 
luur  Maulbronn  versetzt.     Der  Vicar  am  O.-G.  Dr  Haakh  erhielt  den 
Titel  eines  Professors  mit  der  Bestellung  als  Hülfslehrer  am  Gymnasium. 
Die  CandidatenRieber  und  Gurth  leisteten  Aushülfe  für  den  erkrank- 
Pr&ceptor  Brandaue r.    Der  kath.  Lehramtscandidat  Geis  auscultierte. 
Die  Zahl  der  Schüler  betrug  505,  oberes  Gymnasium  132,  mittleres  160, 
unteres  213.      Den  Schulnachrichten  ist  vorausgeschickt  eine  Abhand- 
lung von  Profesor  B  o  r  e  l :   des  riformes  lUUraires  oper^es  par  Malherhe 
(10  S.  4).    Der  Verf.  gibt  von  seinen  Beobachtungen  über  Malherbe,  in 
deren  Darstellung  er  ausgeht  von  dem  was  Boileau  über  denselben 
Mgt  in  dem  ersten  Gesänge  de  V  Art  podtique ,  in  wenigen  Worten  fol- 
Mnde  Resume:   ^sans  etre  un  grand  po^te,  car  Pimagination  et  surtout 
10  sentiment  lui  faisaient  defaut,  il  a,  le  premier,  par  Vinstinct  du  bon 
teos  et  par  la  rt^flexion  trouv^  dans  ses  vers  les  formes  de  language,  dont 
les  grands  po^tes,  qul  allaient  paraitre,   devaient  revetir  leurs  inspira- 
tions  sublimes;  prosateur  m^diocre,  il  op^ra  dans  le  style,  parla  seule 
puiflBance  d'une  critique    inflexible  autant  qu'^clair^e,   nne  revolution 
bienfaisante  et  durable;  enfin,   si  par  Pusage  d*une  doctrine  qni  proc^-- 
dait  surtout  ndgativement ,  il  a  peut-^tre  appauvri  le  language,  il  V  a  du 
moins  tSpurd,  en  dlaguant  les  ^Mments  antipathiques  au  charact&re  na- 
tional ,  que  la  mi^nie  de  T  imitation  dtrang^re  avait  faussd  si  long-temps. 
Apr^s  le  succ&s  ddcisif  obtenu  par  Malherbe  une  snrprise  de  cette  na- 
tore  ne  pouvait  plus  inspirer  de  craintes  sdrieuses,  et  si  Pe^prit  versatilo 
de  la  nation  semble,  un  moment  encore,    imiter  V  emphase  espagnole 
aprös  1'  affdterie  italienne ,  cette  phase  de  servilisme  litt^raire  glisse  plus 
rapidement  encore,  pour  faire  ddfinitivement  place  k  la  littdrature  fran- 
ehement  nationale,  qu' allaient  inaugurer  Corneille  et  Pascal.' 

6.  Tübingen.  Mit  dem  Schlüsse  des  Sommersemesters  1857  hat 
das  neu  gegründete  Gymnasium  bereits  das  zweite  Jahr  seines  Daseins 
vollendet.  Als  bemerkenswerth  für  die  Geschichte  dieser  Lehranstalt 
ist  hervorzuheben,  dasz  die  im  Untergymn.  anwachsende  Schülermasso 
das  Bedürfnis  herbeiführte  für  die  erste  Gymnasialklasse  noch  eine  Pa- 
rallelklasse zu  errichten«  Als  Lehrer  dieser  Klasse  wurde  der  Lehramts- 
eandidat  Schneider,  früher  Repetent  am  Pensionat  in  Heilbronn,  pro- 
visorisch angestellt,  der  aber  am  Schlüsse  des  Schuljahres  die  Austält 
wieder  verlassen  hat,  um  eine  Lehrstelle  am  Obergymnasium  zu  Bistritz 
in  Siebenbürgen  anzutreten.  Für  das  neue  Schuljahr  1857  —  58  tritt  das 
gleiche  Bedürfnis  einer  Parallele  auch  für  die  2te  Gymnasialklasse  ein. 
Die  Schülerzahl  betrug  zu  Anfang  des  Sommersemesters  1857  163,  das 
obere  Gymnasium  besuchten  28,  das  untere  135  Sahüler.  Abiturienten 
8«  Die  mit  dem  Gymnasium  verbundene  Elementarschule ,  zugleich  auch 
liisher  Vorhereitungsanstalt  für  die  Realschule,  zählte  71  Schüler.  Den 
Sehulnachrichten  geht  voran :  die  drei  ältesten  süd-  und  nordfranzosischen 
Qmmmatiken  von  Prof.  Wildermuth  (39  S.  4).  Der  Verfasser  hatte, 
wia  er  im  Vorwort  sagt,  zuerst  die  Absicht,  die  französischen  Gram- 
matiken etwa  bis  zur  Gründung  der  französischen  Akademie  historisch 
darzustellen;  da  sich  indessen  die  Arbeit  unversehens  weit  über  den 
Torgeschriebenen  Umfang  eines  Pi'ogramms  ausgedehnt  habe,  so  könne 
er  liier  nur  den  Anfang  bieten«    Der  Begriff  franxösisob  ist  übrigens 


478    Berichte  fiber  gelehrte  Anstalten,  Verordnungen,  statisl.  Noliien* 

im  weitesten  Sinne,  als  romanisches  anf  gallischem  Boden,  genommen, 
80  dasz  er  anch  noch  das  proven^alische  in  sich  begreift.  Die  älteste 
französische  Grammatik,  die  bis  jetzt  gedrackt  vorliegt,  ist  der  ^Do- 
natns  provincialis '  von  Hugo  Faidit;  sie  ist  proven^alisch  geschrieben 
und  Yon  einer  gleichzeitigen  lateinischen  Uebersetzung  begleitet  (das 
Manascript  aus  d.  13.  Jahrhundert).  Wie  der  Titel  sagt,  ist  sie  dem 
lateinischen  Donatus  nachgebildet,  doch  nicht  dem  ganzen  Umfang  nach; 
sie  hat  sich  nur  den  zweiten  Theil  (de  octo  partibus  orationis)  als  Auf- 
gabe gestellt.  Dagegen  ist  der  eigentlichen  Grammatik  noch  eine  Reim- 
chronik angehängt.  Die  zweite  soll  auch  aus  dem  13.  Jahrh.  stammen, 
nemlich  'la  dreita  maniera  de  trobar'  von  Baimond  Vidal;  sie  ist  eben- 
falls proven^isch  geschrieben.  Der  Verfasser  der  bedeutendsten  Ton 
den  alten  nord französischen  Grammatiken  ist  ein  Engländer,  Jean 
Palsgrave.  Er  gibt  zwar  selbst  zu,  dasz  er  nicht  der  erste  war  der 
eine  franz.  Grammatik  schrieb,  aber  jedenfalls  ist  gewis,  dasz  man  bis 
jetzt  kein  älteres  Werk  dieser  Art  kennt,  das  ihm  an  Bedeutung  gleieh 
käme.  Der  vollständige  Titel  seines  englisch  geschriebenen  Werkes  ist: 
'lesclaircissement  de  la  langue  francoyse,  compose  par  maistre  Jehan 
Palsgrave  Angloys  natyf  de  Londres  et  gradue  de  Paris.  Neqne  Liuui 
per  noctcm.  Anno  verbi  incamati  1530.  Zum  erstenmal  in  Frankreich 
herausgegeben  von  F.  G^nin.  Paris  1852,  4.  Palsgraves  Grammatik 
ist  der  erste  Versuch  einer  umfassenden  grammatikalischen  Darstellung 
der  französischen  Sprache,  den  wir  kennen.  Der  ganzen  Anlage  liegt 
Ewar  die  richtige  Gliedei-ung  in  Laut-,  Wort  und  Satzlehre  zu  Grunde, 
aber  in  der  Durchfühi'ung  verwickeln  und  verwirren  sich  die  verschie- 
denen Theile  oft  so  untereinander ,  dasz  man  nicht  selten  in  Gefahr  ist, 
den  Faden  zu  verlieren. 

7.  Ulm.  Die  erledigte  Stelle  eines  Präceptors  an  der  zweiten 
Klasse  wurde  dem  Verweser  derselben ,  Werner,  übertragen.  Aushülfe 
für  den  beurlaubten  Prof.  Dr  Ha s zier  leistete  der  Candidat  der  Theo- 
logie Dr  Seyorlen.  Gymnasialvicar  Bacmeister  wurde  zum  Amts- 
verweser für  den  erkrankten  Rector  Föhr  in  Eszlingen  ernannt;  an 
seine  Stelle  trat  der  Lehramtscandidat  Lamzarter.  Die  Zahl  der 
Schüler  betrug  im  Sommersemester  1857  220,  Obergymn.  30  (IX  a.  b.  12, 
VIII  15,  VII  12);  Mittelgymn.  81  (VI  22,  V  32,  IV  27);  Unterg.  100 
(III  28,  II  32,  I  40).  Die  für  das  Gymnasium  und  die  Bealanstalt  zu- 
gleich vorbereitenden  zwei  Elementarklassen  hatten  zusammen  138  Schü- 
ler. Den  Schulnachrichten  geht  voraus  eine  Abhandlung  von  Professor 
Dr  Planck:  Parallelen  römischer  und  griechischer  Enlwicklungsgeschickie 
(36  S.  4).  Die  von  dem  Verfasser  behandelte  Frage,  wie  von  einer 
ursprünglichen  gemeinsamen  Grundlage  aus,  die  auch  in  so  vielen  an- 
dern sachlichen  Analogien  sich  nicht  verleugnet  (vgl.  Mommsen  röm. 
Gesch.  Bd  I  S.  16 — 21),  dennoch  die  Entwicklung  des  griechischen  und 
anderseits  des  römischen  Wesens  sich  so  vorschieden  gestaltete,  und 
welches  denn  das  innere  Wesen  und  die  bewegende  Ursache  dieses  Un- 
terschiedes sei,  ist  von  groszom  Interesse.  Hierbei  ist  freilich  anf  dem 
Boden  der  römischen  Geschichte  durch  die  umfassenden  Untersuchungen 
der  letzten  Zeit  so  wel  geschehen ,  dasz  es  sich  in  vorliegender  Abband' 
lung  im  wesentlichen  nur  um  eine  kürzere  Zusammenfassung  und  ein 
noch  bestimmteres  hervorheben  der  innerlich  bewegenden  eigenthümli- 
chen  Entwicklungsmomente  handelt.  Auf  dem  Gebiete  der  griechischen 
Geschichte  aber,  welche  schon  ihrer  weit  verwickeiteren  Natur  wegen  noch 
keine  gleichen  Besultate  aufzuweisen  hat,  tritt  die  selbständigere  und 
eigenthümliche  Auffassung  des  Verfassers  mehr  hervor.  Das  Resultat 
dieser  eben  so  interessanten  als  lehrreichen  Untersuchung,  knrz^zusam- 
mengefaszt,  ist  folgendes:  'in  Bom  ist  es  der  kräftige  und  selbstgewis 
in    der    Scholle    wurzelnde,   aber  auf  seinen  verständigen   Zweck  be- 


Persona  InoliKen.  479 

•ehränkte  Geist  des  italischen  Banern,  der  in  den  Zasammenstosz  mit 
fremden  Elementen  hinausgesteilt  sich  aus  der  anfänglichen  Geschlossen- 
heit seiner  unmittelbar  natürlichen  Cultnsordnung  in  stetiger  Weise  im- 
iner  mehr  zur  geistig  politischen  und  von  hieraus  schlieszlich  zur  gleich- 
mflszig  universellen  Macht  fortbildet  und  erweitert.  In  Griechenland 
»ber,  dem  natürlichen  Berührungspunkte  des  Orients  und  Occidents,  ist 
'  es  das  lichte  und  jenseitige  Element  des  Orients,  das  über  die  anfang- 
Hohe  unmittelbar  natürliche  Gebundenheit  und  deren  Entzweiung  hin- 
ausweisend  in  freier  abendländischer  Weise  zunächst  zum  scharfen  he- 
roischen Gegensatze  gegen  di^  unmittelbare  Natürlichkeit,  dann  aber 
mut  positiven  geistigen  Formung  eines  nach  allen  Seiten  hin  empfängli- 
chen und  offenen  natürlichen  Daseins  geworden  ist  und  von  hieraus 
schlieszlich  zum  allgemeinen  theoretischen  Bildungselemente  der  W^elt 
sich  aufgelöst  hat.'  Der  Verfasser  stellt  hiernach  der  griechischen  Ge- 
schichtsforschung die  Aufgabe,  diesen  hier  nur  in  den  Grundzügen  her- 
vorgehobenen Gang  in  der  Manigfaltigkeit  des  besonderen  und  mit 
derselben  vollen  Bestimmtheit  nachzuweisen ,  wie  dies  neuerdings  mit 
der  Entwicklung  des  römischen  Geistes  bereits  geschehen  ist.      JDr  0, 


Personalnotizen. 

Erneimaiig^eiif  BefOrdernng^en  *  Tersetsnng^en  t 

Albini,  Dr  Jos.,  zum  ordentl.  Professor  der  Physiologie  an  der 
Universität  zu  Krakau  ernannt.  —  B  e  s  s  d ,  Dr ,  Lehrer ,  zum  Oberlehrer 
am  Gymnasium  zu  Conitz  ernannt.  —  Bohle,  SchAC.  und  Geistl.,  als 
Oberlehrer  am  Gymnasium  zu  Kempen  angestellt.  —  Gramer,  Lehrer 
Sn  Kempen,  als  ordentl.  Lehrer  am  dasigen  Gymnasium  angestellt.  — > 
Czermak,  Dr  Joh. ,  ordentl.  Professor  der  Physiologie  an  der  Uni- 
versität zu  Krakau,  in  gleicher  Eigenschaft  an  die  Universität  in  Pesth 
versetzt.  —  Deuschle,  Dr  Jul.,  Oberlehrer  am  Paedagogium  zum  Kl. 
Ü.  -L.  -Fr.  in  Magdeburg ,  zum  Professor  am'  Friedrich  -Wilhelms  -  Gym- 
nasium in  Berlin  ernannt.  —  Dobrzanski,  Ath.,  Gymnasialsuppl., 
snm  wirkl.  Lehrer  mit  einstweiliger  Verwendung  am  Gymnasium  zu 
Przemysl  ernannt.  —  Dymnicki,  Fei.,  Suppl.,  zum  wirkl.  Keligions- 
lehrer  am  Gymnasium  zu  Kzeszow  ernannt.  —  Fechner,  Dr,  SchAC, 
als  Collaborator  am  Elisabeth -Gymnasium  in  Breslau  angestellt.  — 
Fritsch,  Dr,  SchAC,  als  ordentl.  Lehrer  am  Gymnasium  in  Trier 
angestellt.  —  Frosch,  -Weltpr.,  Gymnasialsuppl.,  zum  wirklichen  Lelirer 
am  Gymnasium  zu  Znaim  ernannt.  —  Funge,  Dr,  ordentl.  Lehrer  am 
Gymnasium  in  Braunsberg,  zum  Oberlehrer  ernannt.  —  Gneist,  Dr 
^ad.,  ao.  Prof.,  zum  ordentl.  Professor  in  der  juristischen  Facultät  an 
der  Universität  in  Berlin  ernannt.  —  Harms,  Dr  F.,  ao.  Prof.,  zum 
ordentl.  Professor  für  die  Philosophie  und  allgemeine  Naturwissen- 
schaft an  der  Universität  zu  Kiel  befördert.  —  Hasper,  SchAC,  als 
ordentl.  Lehrer  am  Domgymnasium  zu  Naumburg  an  der  Saale  ange- 
stellt. —  Heller,  Karl  B.,  Gymnasiallehrer  zu  Olmütz,  in  eine  er- 
ledigte Lehrstelle  am  Gymnasium  der  theresianischen  Akademie  zu 
Wien  berufen.  —  Hennings,  Dr,  Privatdocent  der  klassischen  Philo- 
sophie an  der  Universität  zu  Kiel,  hat  eine  pro  vis.  Anstellung  an  der 
Gelehrtenschule  in  Melddrf  angenommen.  —  Hirner,  G.  X.,  Stndien- 
lehrer  in  Freysing,  zum  Professor  ernannt.  —  Jordan,  Dr,  Director 
dos  Gymnasiums  zu  Salzwedel,  folgt  dem  Kufe  als  Director  des  Gym- 

i¥.  Jahrb.  f.  Pha.  «.  Paed.  Bd  LXXVIII.  Bß  9.  32 


480  Personaliiotiieii. 

nasiumB  in  Soest.  —  Jnngbenn,  Theod.,  Gymnasialpraktikaiit  In 
Hanau,  provisor.  zum  Lehrer  an  der  dortigen  Realschujie  ernaiint.  »-* 
Kampschulte,  DrWilh.,  Priratdoc,  zum  ao.  Professor  in  der  philo- 
sophischen Facultät  der  Universität  in  Bonn  ernannt.  —  KlemenSi 
Dr,  SchAC,  als  Collaborator  am  Magdalenen  -  Gymnasium  in  Breslaa 
angestellt.  —  Kl^sk,  K.,  Gjmnasialsuppl.  zu  Krakau,  zum  wirklichen 
Lehrer  am  neu  systemisierten  Untergymnasium  daselbst  ernannt.  — 
Kromayer,  Dr,  SchAC,  als  Subrector  am  Gymnasium  in  StraUond 
angestellt.  —  Leonhard,  E.,  Lehramtscand.  in  München,  als  Profes- 
sor der  Mathematik  am  Gymnasium  in  Hof  angestellt.  —  Mäntler, 
ordentl.  Lehrer  aui  Gymnasium  zu  Liegnitz,  zum  Oberlehrer  ernannt.*-* 
Hay,  Andr. ,  Suppl.,  zum  wirkl.  Lehrer  am  Gymnasium  zu  Rzeszow 
ernannt.  —  Molbech,  K.  F.,  ao.  Professor,  zum  ordentl.  Professor 
der  dänischen  Sprache  und  Litteratur  an  der  Universität  zu  Kiel  er- 
nannt. —  Mor,  Dr  £ug.  v.,  Professor  an  der  Rechtsakademie  zu  Presz- 
burg,  zum  ao.  Professor  des  kanon.  Hechts  an  der  Universität  zu  Lem- 
berg  ernannt.  —  Nedok,  Jos.,  Gymnasiallehrer  in  Rzeszow,  zum  Leh- 
rer am  neu  systemisierten  Untergymnasium  in  Krakau  ernannt.  — 
Nitzsch,  DrK.  W.,  ao.  Professor,  zum  ordentl.  Professor  für  das 
Fach  der  Geschichte  an  der  Universität  zu  Kiel  ernannt.  —  Ödes- 
calchi,  DrAnt.  Nobile,  provis.  Director  am  Obergymnasium  di  San 
Alcssandro  in  Mailand,  zum  ordentl.  Professor  der  Philosophie  an  der 
Universität  zu  Pavia  befördert.  —  Passow,  Dr  A.,  Adjunct  in  Schal- 
pforta,  zum  Lehrer  am  Paedagogium  zum  Kl.  U.-L. -Fr.  in  M^deburg 
ernannt.  —  Passow,  Dr  W. ,  Director  des  Gjrmnasiums  in  Ratibort 
folgt  einem  Rufe  als  Director  an  das  Gymnasium  in  Thom.  —  Porko, 
Ant.,  O.-Pr.,  Gymnasialsuppl.  in  Zara,  zum  wirkl.  Lehrer  am  Gymna- 
sium in  Capo  d^ Istria  ernannt.  —  Peters,  Dr  W.,  ao.  Professor,  zum 
ordentl.  Professor  in  der  pliilos.  Facultät  der  Universität  in  Berlin  er- 
nannt. —  Pfefferkorn,  Dr,  ordentl.  Lehrer  am  Gymnasium  in  Neu- 
stettin,  zum  Oberlehrer  ebendaselbst  ernannt.  —  Pichler,  Rad., 
Weltpr.  und  Suppl.,  zum  wirkl.  Lehrer  am  Staatsgymnasium  zu  Verona 
ernannt.  — Pinder,  DrMor.,  Bibliothekar  und  Akadem. ,  zum  Geh. 
Reg. -R.  und  vortragenden  Rath  im  Ministerium  der  geistlichen  Ange- 
legenheiten in  Berlin  ernannt.  —  Preu,  J.  B.,  Lehramtscand.,  zum 
Studienlehrer  in  Bamberg  ernannt.  —  Pfikril,  Job.,  ao.  Professor, 
zum  ordentl.  Professor  an  der  kk.  Rechtsakademie  zu  Groszwardein  er- 
nannt. —  Repich,  Nazar.«  Suppl.  an  der  kk.  Oberrealschule  in 
Mailand,  zum  wirkl.  Lehrer  für  die  lombardischen  Staatsgyfnnasien  er- 
nannt. —  .Rössel,  Dr  K.,  qnlescierter  Prorector,  zum  Bibliothekar  bei 
der  Landesbibliothek  und  Conservator  am  Museum  der  Alterthümer  in 
Wiesbaden  ernannt.  ' —  Roth,  Dr  F.,  Professor  der  Mathematik  am 
Gymnasium  in  Hof,  in  gleicher  Eigenschaft  aA  das  Gymnasiumr  in  Erw 
langen  versetzt.  —  Rulf,  Dr  Fr.,  Professor  an  der  Rechtsakademie  zn 
Preszburg,  zum  ö.  o.  Professor  der  Rechtsphilosophie  und  des  österr. 
Strafrechts  an  der  Universität  zu  Lemberg  ernannt.  —  Rupp,  J.,  Sta- 
dienlehrer in  Freysing,  zum  Professor  ernannt.  —  Schmitt,  H.  L., 
Professor  am  Gymnasium  zu  Hadamar,  zum  Director  des  Gymnasioniii 
in  Weilburg  ernannt.  —  Sembratowicz,  Dr  J6s.,  Vicerector  des 
griech. - kath.  Centralseminars  in  Wien,  zum  ö.  o.  Professor  des  Bibel- 
studiums N.  T.  an  der  Universität  in  Lemberg  ernannt.  — •  Skornt, 
Job.,  Gymnasiallehrer  zu  Tarnow,  zum  Lehrer  an  dem  neu  systemisier- 
ten Untergymnasium  in  Krakau  ernannt.  —  Spanfellner,  J.,  Studien- 
lehrer in  Bamberg,  an  die  Lateinschule  in  Straubing  versetzt.  —  Stan- 
der, Dr,  SchAC. ,  als  ordentl.  Lehrer  am  Gymnasium  in  Bonn  ange- 
stellt. —  Stein,  Dr,  Hülfslehrer,  als  ordentl.  Lehrer  afn  Gymnasium 
in  Münster  angestellt.  —  Stolle,  Dr,  Lehrer  in  Kempen,  als  ordentL 


Personalnotizen.  481 

Lehrer  beim  dasigen  Gymnasium  angestellt.  —  Stndzinski,  Marc,  v., 
Snpplent,  zam  wirkl.  Lehrer  am  neu  systemisierten  Unterg^jmnasiom  zu 
Krakau  ernannt.  —  Svobo'da,  Dr  Wenz.,  provisor.  Director  am  kath. 
Gymnasium  zu  Preszburg,  zum  wirkl.  Director  ernannt.  —  Sytko, 
Jos.,  Gymnasialsnppl. ,  zum  wirkl.  Lehrer  am  Gymnasium  zu  Iglau  er- 
oannt.  —  Tersch,  Dr  Ed.,  Docent  des  Kircbenrechts  an  der  theolog. 
Facoltät  der  Universität  zu  Prag,  zum  ao.  Professor  ernannt.  —  Thiel, 
Lic.,  ao.  Professor,  zum  ordentl.  Professor  in  der  theolog.  Facultät  des 
Lyc.  Hoseanum  in  Braunsberg  ernannt.  —  Tietz,  odentl.  Lehrer  am 
Gymnasium  zu  Conitz,  in  gleicher  Eigenschaft  an  das  Gymnasium  in 
Braunsberg  versetzt.  —  Vonbank,  Joh.,  Weltpr.,  Gymnasiallehrer  zu 
Zara,  an  das  Gymnasium  zu  Laibach  versetzt.  —  Zambra,  Dr  Bern- 
hard in,  Lycealprofessor ,  zum  ordentl,  Professor  der  Physik  an  der 
.Universität  zu  Padua  ernannt. —  Zehme,  Dr,  Oberlehrer  an  der  Ritter- 
akademie zu  Liegnitz ,  an  das  Gymnasium  in  Lauban  versetzt. 

Praedlclerl : 

Kuhr  und  Langbein,  Oberlehrer  an  der  Friedrich- Wilhelmsschule 
in  Stettin,  als  Professoren  pracdiciert.  —  Mommsen,  DrTheod., 
Professor  in  Berlin,  zum  ordentl.  Mitgliede  der  k.  Akademie  der  Wis- 
senschaften in  Berlin  ernannt.  —  Röper,  Dr  G.,  ordentl.  Lehrer  am. 
Gymnasium  in  Danzig,  als  Professor  praediciert.  —  Thiersch,  Dr 
Frdr.*v.,  Geh.-H.  und  Professor  in  München,  zum  wirkl.  auswärtigen 
Mitglied  der  k.  Akademie  der  Wissenschaften  in  Berlin  ernannt. 

Penslomfertt 

Kery,  K.,  Studienlehrer  in  Straubing.  —  Schordan,  Dr  Sign»., 
k.  Bath  und  Professor  def  Physiologie  und  höheren  Anatomie  an  der 
Universität  zu  Pesth. 

Gestorben  t 

Nach  Nachrichten  aus  Montevideo  starb  der  berühmte  Naturforscher 
und  Gefährte  Alexanders  v.  Humboldt,  Aim^  Bonpland,  in  8.  Fran- 
cisco de  Borja  in  Brasilien  (geb.  am  22.  Aug.  1773  zu  La  Rochelle).  — 
Im  April  zu  Edinburg  Will.  Gregory,  Professor  der  Chemie.  —  1.  Mai 
in  Krems  der  ehemalige  Präfect  der  Gymnasien  in  Hörn  und  Krems, 
P.Heinr.  Er  hart,  im  77n  Lebensjahre.  —  Am  31.  Mai  in  Innsbruck 
Dr  Jos.  Nowotny,  Professor  der  italien.  Sprache  und  Litt.,  so  wie  der 
deutschen  Sprache  an  der  dortigen  Universität.  —  Ende  Mai  zu  Trachen- 
berg  bei  Dresden  der  berühmte  Ornitholog  F.  A.  L.  Thiemmann  im 
65n  Lebenjahre.  —  Am  1.  Juni  zu  Kartau  der  ehemalige  Decan  der 
med.  Facultät  in  Prag  Dr  Frz  Alexis  Wünsch.  —  Am  4.  Juni  zu 
Fusch  Dr  Joh.  B.  Salfinger,  Mitglied  der  theol.  Facultät  an  der 
wiener  Hochschule,  vordem  Bibliothekar  beim  kk.  Ministerium  für  Cul- 
tuB  und  Unterricht.  —  11.  Juni  zu  Triest  Em.  Porth,  Geolog  der  kk. 
Beichsanstalt.  —  20.  Juni  in  England  der  berühmte  BotanU^er  Old 
Brompton  Für n er  (geb.  zu  Yarmouth  1775).  —  21.  Juni  zu  Karls- 
bad Dr  Frz  Hruschauer,  ö.  o.  Professor  der  Chemie  an  der  Univer- 
sität zu  Gratz.  —  25.  Juni  zu  Königsberg  der  frühere  Director  des 
k.  Friedrichs-Collegiums,  Dr  F.  A.  Gotthold,  im  87n  Lebensjahre.  — 
26.  Juni  in  Huz-Baba  in  Syrien  Dr  Joh.  Rud.  Roth,  Professor  an  der 
Universität  zu  München,  im  44n  Lebensjahre.  —  29.  Juni  zu  Catez  in 
Krain  Ge.  Kobe,  bekannt  besonders  durch  seine  Forschungen  über  den 


482 


Personalnotizeu. 


slowenischen  Dialect  der  wciszen  Krainer.  —  Am  2.  Jnli  sn  Petth  Dr 
Frz  V.  Beno  d.  ä. ,  k.  Rath  nnd  Jabilarprofessor  der  Mediein  (geb. 
X775).  —  Am  7.  Juli  zu  Heidelberg  Dr  Max.  Rqth,  Professor  an  der 
Universität.  —  Am  8.  Juli  zu  Kiel  Etatsrath  Dr  A.  F.  Götz,  Professor 
der  Pathologie  und  Therapie.  • —  Am  9.  Juli  zu  Pesth  der  Professor  Dr 
Job..  Degen.  —  An  demselben  Tage  zu  München  der  quiesc.  Ober- 
studien>  und  Kirchenrath,  Senior  der  Ak&demie  der  Wissenschaften^  Jos. 
Wissmajr  (geb.  in  Freysing  1767).  —  An  demselben  Tage  zu  Göp- 
pingen Dr  Hans  Reichardt,  früherer  Stiftsbibliothekar  in  Tübingen, 
Verf.  des  Buchs  'Gliederung  der  Philologie',  Tübingen  1846  (geb.  in 
Waiblingen).  —  Am  15.  Juli  in  Stuttgart  Dr  v.  Glockner,  gewesener 
Professor  der  Mineralogie  in  Breslau,  65  Jahr  alt.  —  16.  Juli  in  Verona 
der  Graf  Giov.  Girol.  Orti-Manara,  Geh. -Rath,  als  Archäolog  be- 
kannt. —  Am  10.  September  in  Leipzig  Dr  Carl  Wilh.  Sc  herb  er, 
dritter  Adjunct  an  der  Thomasschule. 


Zweite  Abtheilung 

henasgegeben  tob  Radolph  Dietseh. 


34. 

Das  Studium  und  die  Principien  der  Gymnasialpaedagogik, 
mit  besonderer  Berücksichtigung  der  Werke  von  K.  Schmidt 

und  G.  T  hau  low  beleuchtet. 


Die  schnelle  Aufeinanderfolge  zweier  von  sehr  verschiedenen 
Seiten  ausgehender  Werke,  die  sich  eine  systematische  Behandlung 
der  Gyinnasialpaedagogik  zur  Aufgabe  machen,  wird  von  manchen 
Schulmännern  schon  an  sich  als  ein  Zeichen  der  Zeit,  und  zwar  der 
fortschreitenden  Zeit  betrachtet  werden.  Hat  man  doch  schon  oft  go- 
ing erinnert,  dasz  hinsichtlich  des  paedagogischen  Eifers  die  Volks- 
schule dem  Gymnasium  in  einer  auffallenden  Weise  den  Rang  abgelau- 
fen habe.  Man  konnte  sich  freilich  sagen,  dasz  diese  Verschiedenheit 
eine  sehr  natürliche  sei.  Dem  VolksschuIIehrer  ist  sein  Lefhrstoff  keine 
Wissenschaft;  seine  Fortbildung  an  den  Stoffen  bleibt  ein  lernen  und 
tben,  wird  kein  forschen.  Ganz  erklärlich  ist  es  daher,  dasz  hier 
jedes  Talent,  dem  die  Schranken  der  Tradition  zu  enge  werden,  sich 
weniger  auf  die  Ausbildung  der  Lehrstoffe  wirft,  als  vielmehr  auf  die 
Theorie  der  eignen  Gesamtthatigkeit:  auf  Paedagogik  und  Didaktik. 
Von  dem  Gymnasiallehrer  fordert  man  im  allgemeinen,  dasz  er  auf  der 
Höhe  seiner  Wissenschaft  stehe.  Der  von  der  Universität  abgehende 
Candidat  des  höheren  Schulamtes  soll  sich  allenfalls  durch  gewisse 
Talente  und  Neigungen,  nicht  aber  durch  seine  Schule  wesentlich  von 
dem  zukünftigen  Docenten  einer  Universität  unterscheiden.  Findet  er 
'Mii&ze  und  Bücher,  so  hindert  ihn  nichts,  in  etwas  langsamerem  Tempo 
dieselben  Spuren  zu  verfolgen,  auf  denen  auch  der  akademische  Docent 
•einem  Ziele  nachstrebt.  Bei  diesen  Anforderungen  kann  man  es  nicht  nur 
nicht  hindern,  man  bringt  es  vielmehr  mit  Fleisz.und  gutem  Bedacht  zu 
^ege,  dasz  der  Gymnasiallehrer,  bevor  er  seinen  Lehrberuf  antritt,  be- 
reits etwas  geworden  ist,  nemlich  Philolog,  Historiker,  Mathematiker  usw. 
—  Hat  man  es  einmal  dahin  gebracht,  wie  es  denn  jede  tüchtige  UoSh- 
scbule  dabin  bringen  sollte,  dasz  der  abgehende  Candidat  nicht  nur  mit 
einer  ausreichenden  Masse  von  Kenntnissen  beschlagen  ist,  sondern  dasz  er 

W.Jahrb,  f.  Phü.  ».  Paed.  Jid  LXXVIll.  Hft  10.  33 


484  Schmidt  und  Tbaulow :  Gymnasialpaedagogik. 

einen  Charakter  gewonnen  hat,  wie  er  dem  echten  Philologen,  Histo- 
riker oder  Mathematiker  unsrer  Tage  zukommt :  dann  darf  man  sich 
auch  nicht  darüber  wundern,  wenn  dieser  Charakter  ein  dauerhaftes 
Gepräge  hat  und  mit  dem  Bewustsein  des  Trägers  völlig  verschmilsU 
Eine  Umwandlung  desselben  ist  nicht  unmöglich  aber  schwierig  and 
stets  mit  einem  gewissen  Kraftverlast  verbunden ;  also  fordert  schon 
die  Nationalökonomie  des  Geistes,  dasz  sie  nur  in  seltnen  Fällen  und 
nur  gegen  erhebliche  Vortheile  durchgeführt  werde.  Daraus  folgt  aber, 
dasz  man  sich  dabei  beruhigen  musz,  wenn  die  tüchtigsten  unserer 
Gymnasiallehrer  substantiell  Philologen  bleiben  und  nur  ac- 
cidentiell  Paedagogen  werden.  Ein  entgegengesetztes  Bewust- 
sein unter  der  Mehrzahl  derjenigen  Gymnasiallehrer,  die  nicht  von 
vorn  herein  durch  halben  Erfolg  ihrer  Studien  auf  das  entsagen  ange- 
wiesen sind,  könnte  nur  mit  groszen  Opfern  erzielt  werden.  Man  han- 
delt wie  die  Kinder ,  die  ohne  Geld  kaufen  und  noch  etwas  herans  ha- 
ben wollen,  wenn  man  wähnt,  Gymnasiallehrer  herrichten  zu  könnei, 
die  ebenso  wie  die  Elementarlehrer  substantiell  Paedagogen  sind  and' 
sich  als  solche  fühlen ,  während  sie  ja  in  ihrem  Fache  auf  derselben  ' 
Höhe  stehen,  die  man  gegenwärtig,  wenigstens  im  Norden  Deutsch- 
lands, für  nnerläszlich  hält.  Da  nnn  die  Gymnasialpaedagogik ,  derei 
Frincipien  wir  untersuchen  wollen,  gleichgültig  ob  sie  von  Universi- 
tätsprofessoren gelehrt  werde  oder  nicht,  jedenfalls  in  den  Stadien  der 
Gymnasiallehrer  ihre  wirkliche  Grundlage  hat,  so  steht  offenbar  die 
Entscheidung  über  jene  Frincipien  im  engsten  Wechselverhältnissd 
mit  derWerthschätzung  der  bisher  erreichten  wissenschaftlichen  Dnrcb- 
bildnng  der  Lehrer  in  ihren  einzelnen  Zweigen.  Kein  Fehler  würde 
eine  in  dieses  Gebiet  einschlagende  Untersuchung  werthloser  mache% 
als  wenn  man  dieses  Wechselverhältnis  auszer  Acht  liesze  nnd  sieh 
einbildete  ohne  Sorgen  und  ohne  Opfer  eine  Vollkommenheit  über  die 
andere  verlangen  zu  können. 

Wir  beginnen  daher  unsere  Erörterung  mit  der  Frage,  ob  es  nieht 
nothwendig  und  wünschenswerth  wäre,  die  Gymnasiallehrer  einige 
Stufen  von  ihrer  wissenschaftlichen  Höhe  herabsteigen  zu  lassen ,  nm 
sie  zu  desto  vollkommneren  Paedagogen  zu  bilden.  Achten  wir  den 
Schrecken,  der  jeden  streng  geschulten  Philologen  bei  diesem  Gedan- 
ken befällt,  vorläufig  für  nichts,  so  lassen  sich  die  Gründe  für  diese 
Zerhanung  des  Knotens  dutzendweise  finden ,  und  scheinbar  sehr  ge- 
wichtige. In  England  und  Frankreich  fällt  es  niemandem  ein,  dasz 
man  ein  fertiger,  in  den  Arsenalen  der  Kritik  heimischer  Philolog 
sein  müsse,  um  Gymnasiasten  im  Lateinischen  und  Griechischen  za 
unterrichten.  Unsere  Theologen ,  Juristen  und  Mcdiciner  werden  nach 
einem  ganz  andern  Zuschnitt  gebildet.  Bekanntlich  promovieren  die 
beiden  erstgenannten  Klassen  meist  gar  nicht  und  die  Mediciner  meist 
m^t  Dissertationen  ohne  wissenschaftlichen  Werth.  Dagegen  wird  von 
diesen  allen  eine  grosze  Masse  positiver  Kenntnisse  verlangt,  die  sich 
encyklopaedisch  um  einen  praktischen  Zweck  gruppieren.  Das  Be- 
wustsein des  Mediciners  und  des  Arztes,  des  Predigers  und  des  Theo- 


Schmidt  und  Thaalow:  Gymnisialpaedagogik.  485 

lo^D  fällt  daher  gar  nicht  so  weit  auseinander ,  wie  das  ^des  Philolo- 
gen und  des  Paedagogen;  sollte  da  nicht  bei  der  Mehrheit  das  allge- 
■ein  richtige  sein  ?  Endlich  aber  kommt  noch  das  hinzu :  jene  An- 
forderungen einer  wissenschaftlichen  Fertigkeit,  die  sich  in  der  ölTent- 
liohen  Meinung  unserer  Gymnasialwelt  festgesetzt  haben,  sind  keines- 
wegs in  den  gesetzlichen  Bestimmungen  vorgeschrieben,  die  hier  einen 
groszen  Spielraum  lassen;  sie  sind  vielleicht  kaum  im  Sinne  der  ad- 
Binistrativen  Behörden,  insofern  man  diesen  als  solchen  eine  bestimmte 
Aoffassung  der  betrefiPenden  Frage  zuschreiben  darf;  sie  fuszen  viel- 
mehr  lediglich  auf  dem  Usus  einfluszreicher  Prüfungscommissionen  in 
Verbindung  mit  dem  mächtigen  wissenschaftlichen  Geiste,  der  sich, 
ohne  dasz  man  lange  nach  seiner  Berechtigung  fragte,  unter  der  jüngeren 
Lehrerwelt  Bahn  gebrochen  hat.  Dieser  Geist  aber  ist  wieder,  für  die 
Philologen  wenigstens,  ganz  besonders  eine  Frucht  der  philologischen 
Seminare.  Bei  dieser  Erkenntnis  angelangt,  könnten  die  Gegner  des 
bestehenden  Brauches  ihren  stärksten  Trumpf  ausspielen,  indem  sie  be- 
haupteten, was  schwer  zu  widerlegen  wäre,  dasz  die  gesamte  Ano- 
malie der  neueren  deutschen  Gymnasiallehrerbildung  lediglich  darauf 
inrOckzuführen  sei,  dasz  man  philologische  Seminare  statt  paedago- 
gischer  errichtete  oder  gar  den  Dirigenten  paedagogischer  Seminare 
wie  Fr.  A.  Wolf  sorglos  gestattete,  dieselben  durch  philologische  zu 
ersetzen  oder  in  Schatten  zu  stellen. 

Statt  aller  Antwort  dürfen  wir  nur  Trapps  ^Versuch  einer  Paeda- 
gogik'  neben  seines  groszen  Amtsnachfolgers  ProlegOmenen  legen. 

Ueberbanpt,  was  war  denn  eigentlich  damals  die  Paedagogik, 
da  man  das  Bedürfnis  empfand  aus  dem  theologischen  Stande  einen 
besonderen  Stand  der  Schulmänner  abzusondern  und  dem  letzteren 
■ehr  uiid  mehr  Selbständigkeit  zu  geben?  Was  war  denn  diese  ganze 
leue  Institution,  die  S  chule,  die  man  als  drittes  Element  des  Völker- 
lebens neben  Staat  und  Kirche  zu  stellen  begann?  Wo  war  ihre  Ge- 
schichte? Beginnt  man  doch  erst  heutzutage  zu  ahnen,  dasz,  wenn  die 
Schule  wirklich  neben  Staat  und  Kirche  auch  nur  mit  halber  Selbstän- 
digkeit sich  geltend  machen  soll,  sie  vor  allem  eine  Geschichte 
haben  musz;  dasz  diese  Geschichte  wichtiger  ist  als  die  Geschichte 
der  Paedagogik,  um  eben  so  viel  als  etwa  die  Kirchengeschichte  wich- 
tiger ist  als  die  Geschichte  der  Theologie !  Wo  war  endlich  damals 
eine  paedagogische  Wissenschaft,  die  sich  anständigerweise  in  das 
Centrum  eines  ganzen  Zweiges  der  Universitätsstudien  hätte  setzen 
lassen?  Früher  waren  paedagogische  Vorlesungen  —  und  noch  Kant 
behandelte  sie  so  —  nichts  als  ein  Complex  von  Rathschlägen  und 
Winken  für  junge  Theologen,  die  eine  Hofmoisterstelle  annehmen  oder 
aqch  vielleicht  auf  einige  Zeit  sich  dem  Lehrfache  widmen  wollten. 
Was  liesz  sich  aus  diesem  Stoffe  machen?  Mit  der  Basedow^schon  und 
Roasseau^schen  Weisheit  hatte  schon  Trapp  es  versucht;  allein  man 
nnste  bald  einsehen ,  dasz  Tendenzen ,  Ansichten  und  Begeisterungs- 
epidemien keine  Wissenschaft  machen.  Es  muste  doch  vor  allen  Din- 
f«a  erst- etwas  gewust  werden,  das  über  sabjectives  Belieben  er- 

33* 


486  Schmidt  and  Thaulow:  Gymnasialpaedagogik. 

haben  ist.  Der  menschliche  Geist  ist  so  beschaffen ,  dasz  .ein  solches 
objectives  wissen  sich  von  selbst  Bahn  bricht  und  sich  der  GemOler 
bemächtigt  wie  die  Neigung  zu  einem  materiellen  Besitz.  Es  hat  also 
niemand  über  Hemmung  der  Paedagogik  zn  klagen;  auch  das  philo- 
logische Studium  in  dem  Sinne,  in  welchem  Friedrich  Aagast  Wolf 
es  betrieb,  musto  sich  erst  Bahn  brechen.  Das  verschiedene  Geschick 
der  beiden  Disciplinon  in  Hinsicht  ihrer  äuszeren  und  inneren  Entfal- 
tung kann  nur  aus  ihrer  eignen  Beschaffenheit  erklärt  werden.  Selbst 
wenn  einzelne  Männer,  die  ein  besseres  Loos  verdient  hätten,  dem  Ter- 
geblichen  Streben  das  Studium  der  Paedagogik  in  Schwung  zu  bringen 
zum  Opfer  fielen,  so  ist  das  zu  beklagen ,  aber  nicht  als  ein  staatswis- 
senschaftlicher Fehler  der  Regierungen,  die  es  geschehen  lieszen,  sn 
bezeichnen. 

Unterdessen  folgte  auf  Basedow  Pestalozzi ;  das  Volksschalweseo 
nahm  einen  ungeheuren  Aufschwung,  und  man  kann  nicht  lengneo, 
dasz  in  dieser  Zeit  namentlich  auf  dem  Boden  der  Didaktik  einige  Er- 
fahrungen gemacht  wurden,  deren  Resultate  als  positive,  lehrbare  and 
ihrer  rein  theoretischen  Seite  nach  unter  allen  Umständen  gültige  Sitze 
gefaszt  werden  können ,  Satze ,  die  sich  auch  zugleich  keineswegs  in 
dem  Masze  von  selbst  verstehen,  dasz  jedes  junge  Genie  sie  ohne  wei- 
teres hatte  selbst  erfinden  oder  durch  noch  vortrefflicheres  bitte  er- 
setzen können.  Hier  waren  also  auch,  z.  B.  in  den  Principien  des  Ai- 
schaunngsunterrichtes,  die  Keime  einer  positiven  und  studierbaren  Wis- 
senschaft allenfalls  zu  greifen  gewesen,  wenn  es  nur  gelangen  wire^ 
von  dem  ungewissen  das  gewisse,  von  dem  theoretisch  -  praktischen 
das  rein  theoretische  auszusondern,  und  dies,  an  der  Hand  statisti- 
scher Vergleichungen  der  Resultate ,  in  möglichst  exacter  Form  dar- 
zustellen. Allein  trotz  des  unverkennbaren  Fortschrittes  zuni  positi- 
ven, der  zwischen  Pestalozzi  und  Basedow  liegt,  war  dennoch  die  Zell 
zur  Stellung  dieser  Aufgabe  nicht  gereift;  die  Tendenz  überwucherte 
das  wissen,  statt,  wie  bei  jeder  echten  Wissenschaft,  in  der  Form  des 
gewusten  völlig  aufzugehen.  Die  sorglose  Verwechslung  und  Vermi- 
schung subjectiver  Ansichten  und  Standpunkte  mit  allgemeinen  Wahr- 
heiten fand  an  der  Paedagogik  ihren  schönsten  Tummelplatz ,  and  die 
wenigen  Goldkörner  in  diesem  Spreuhaufen,  statt  durch  den  oover- 
kennbaren  Gegensatz  ihrer  Physiognomie  gegen  das  allgemeine  Ge- 
rede zu  frappieren  und  zurückzuschrecken,  boten  nur  einen  Rückhalt 
für  die  anmaszendste  Entwicklung  einer  Halbwissenschaft,  die  noch 
bei  der  golecktesten  systematischen  Form  niemals  ihren  subaltemea 
Charakter  verleugnen  kann.  Unterdessen  fiel  es  auch  den  Philosophen 
ein,  die  Paedagogik  in  ihrer  Weise  zur  Wissenschaft  zn  erheben.  Der 
abstract  formalistische  Begriff  der  Wissenschaft,  welcher  seit  Pichle 
und  Hegel  in  der  deutschon  Philosophie  heimisch  geworden  ist,  bildet 
einen  bestimmten  und  durchgehenden  Gegensatz  nicht  nur  gegen  dee 
ursprünglichen  Sprachgebrauch,  sondern  auch  gegen  die  reale  Ent- 
wicklung und  die  fortlaufende  Entwicklungsrichtung  der  gegebenen 
Einzelwissenschaften.  Während  hier  exacto  and  behutsame  Forsehoag, 


Schmidt  and  Thaulow:  Gymnasialpaedagogik.  487 

herscht  dort  geniale  Constraction ;  hier  klag  benatztes  Stückwerk,  dort 
VoUendang  and  Einheit  des  Gusses;  hier  Selbstverleugnung,  dortSelbst- 
rerwirklichung ;  hier  ein  bestandiges  zusammenwirken  aller,  dort  Au- 
tonomie des  schöpferischen  Geistes.  Eine  Fundamentaltäuschung  ist 
es,  wenn  man  glaubt,  jene  speculative  Wissenschaft  verhalte  sich  zu 
den  positiven  Wissenschaften  eben  so,  wie  etwa  diese  zu  dem  ge- 
wdholichen  ungeschulten  Bewustscin.  Vielmehr  ist  jede  naturliche 
and  kindliche  Auffassung  der  Dinge  an  sich  schon  speculativer  Art, 
da  die  psychologische  Organisation  ansers  denkens  mit  Gewalt  dazu 
drängt,  jedes  Stückwerk  in  der  Phantasie  zu  ergänzen  und  eine  Ein- 
heit auch  da  zu  setzen,  wo  wir  sie  nicht  sehen.  Gerade  dies  specu- 
lative Element  des  gewöhnlichen  denkens  mit  seinen  schnellfertigen 
LflekenbQszern  wahrer  Einsicht  ist  es,  gegen  welches  die  forschende 
Wissenschaft  in  einem  beständigen  und  unversöhnlichen  Kampfe  liegt. 

Die  speculative  Paedagogik  hat  aber  wahrlich  vor  andern  Gebie- 
ten der  Speculation  nicht  das  mindeste  voraus ;  ihr  Werth  sei  daher 
welcher  er  wolle,  so  liefert  sie  doch  jedenfalls  weder  empirische 
Kenntnisse,  noch  Gesetze,  die  aus  solchen  abstrahiert  wären;  sie  un- 
terscheidet sich  von  der  Yulgärpaedagogik  nur  darin  vortheilhaft,  dasz 
sie  auch  nicht  einmal  den  iSchein  annimmt  dergleichen  zu  leisten,  son- 
dern ihre  ganze  Aufgabe  in  consequenter  BegrifTsentwicklung  findet. 

Es  handelt  sich  nun  darum  zu  entscheiden,  ob  es  wirklich  ein 
Unglück  oder  nicht  vielmehr  ein  Glück  war,  dasz  philologische  Se- 
minare an  die  Stelle  der  paodagogischen  traten.    Zugegeben  einmal, 
dasz  die  philologischen  Seminare  ihre  Dotationen  und  ministeriellen 
Begünstigungen  ursprünglich  meist  der  speciellen  Absicht  verdankten, 
Gymnasiallehrer  zu  bilden,  dasz  sie  dagegen  sehr  bald  eine  Richtung 
nahmen,  bei  welcher  der  Berufszweck  neben  dem  rein  wissenschaftlichen 
nicht  nur  zurücktrat,  sondern  völlig  verschwand:  so  war  dennoch  das 
Misverständnis ,  wenn  man  ein  solches  hier  finden  will,  zunächst  ein- 
mal in  ganz   allgemein  national -ökonomischer  Hinsicht  ein  änszerst 
glOckliches.    Die   deutsche  Philologie,    bereits   durch  Geszner  und 
Brnesti  mächtig  angeregt,  erhob  sich  seit  Fr.  A.  Wolf  zu  einer  Art 
von  Weltmacht.    Es  ist  nicht  zu  verkennen ,  dasz  hier  mehr  vorliegt 
als  ein  bloszes  übergehen  der  philologischen  Hegemonie  auf  Deutsch- 
land.   Diese  Hegemonie  selbst  ist  bei  uns  zu  etwas  anderem  gewor- 
den, als  was  sie  bei  den  Franzosen,  Holländern,  Engländern  war,  und 
liszt  sich  an  nationaler  Bedeutung  nur  mit  ihrer  Wichtigkeit  für  das 
Italien  des  fünfzehnten  Jahrhunderts  vergleichen,  während  hinsicht- 
lieh ihres  Wesens  gerade  bei  diesem  Vergleich  die  grösten  Unter- 
schiede hervortreten.    Wenn  man  zugeben  musz ,  dasz  es  mit  der  *Re- 
prodaction  des  klassischen  Alterthums'  nicht  mehr  recht  voran  will, 
dtss  sogar  in  diesem  Sinne  vielleicht  das  goldeq^  Zeitalter  der  Philo- 
logie bereits  vorüber  ist,  so  kann  man  nur  am  so  klarer  dagegen  das 
Wesen  der  heutigen  Philologie  in  der  Methodik  historischer  Forschung 
im  weitesten  Sinne  entdecken.    Freilich  ist  die  heutige  Philologie  in 
eineai  Zersetsangsprocesse  begriffen,  aber  in  einem  solchen,  durch  den 


48S  Sehmidt  und  Thaalow :  Ciymiiasialpaedago^. 

sie  die  fruchtbaren  Keime,  die  auf  dem  speciellen  Felde  der  Alter« 
thumswissenschaft  gezeitigt  waren ,  über  das  ganze  Feld  historiacher, 
litterarischer  und  sprachwissenschaftlicher  Gebiete  ausstreut.  Die  Liebe 
zum  klassischen  Alterthum  war  die  mächtigste  Triebfeder  zur  Entwick- 
lung einer  Methode,  die,  seit  sie  einmal  gefunden  ist,  von  selbst,  wie 
jede  wahre  Methode,  eine  allgemeine  Bedeutung  annimmt.  Was  die 
'Methode  der  exacten  Wissenschaften  für  das  Gebiet  der  Natur,  das 
soll  die  heutige  deutsche  Kritik,  die  der  Philologie  entsprossen  ist,  fflr 
die  geschichtlichen  Wissenschaften  leisten  und  leistet  es  schon  snn 
groszen  Theile.  Unterdessen  gehört  aber  gerade  «diese  Kritik  zu  den 
wonigen  Elementen  deutschen  Lebens,  die  dem  Auslande  Achtung  ab- 
getrotzt und  den  deutschen  Namen  und  Einflusz  gehoben  und  verbreitel 
haben.  Und  ist  dies  vielleicht  für  nichts  zu  achten?  Es  ist  ein  Ge- 
winn nationaler  Kraft  nach  innen  und  auszen,  so  gut  als  wenn  unaar 
Handel  oder  unsere  Politik  neue  Bahnen  gewinnen  würde.  Und  diese 
gesamte  Machtstellung  der  deutschen  Philologie,  die  keine  Aehnlich- 
keit  mehr  hat  mit  einem  Markt  todter  Gelehrsamkeit,  sondern  die  mehr 
und  mehr  die  Rolle  des  pulsierenden  Herzens  in  dem  wissenschaftlichen 
Leben  der  gebildeten  Welt  übernimmt:  hätte  sie  entstehen  könoen 
ohne  die  breite  und  solide  Basis,  die  Friedrich  August  Wolf  ihr  durch 
die  von  ihm  ausgegangene  Studienrichtung  der  Gymnasiallehrer  gab? 
Zugegeben ,  dasz  die  glänzendsten  Namen  keineswegs  etwa  dem  Gya»» 
nasium  angehören!  Könnte  es  anders  sein,  da  die  Entwicklung  der 
Individuen  von  Masze  und  Sorgenfreiheit  des  reiferen  Alters  so  we- 
sentlich bedingt  ist?  Man  bedenke  aber,  dasz  auch  der  Schwung  and 
Glanz  der  Forscher  ersten  Ranges  bedingt  ist  durch  Beifall ,  Verstind- 
nis  und  fördernde  Rückwirkung  eines  groszen  Kreises  urteilsfähiger 
Leser  und  Hörer;  und  dasz  die  Seminare,  deren  beste  Blüten  der  aka- 
demischen Laufbahn  zu  Gute  kamen,  eben  dennoch  nicht  nur  nai  der 
Gymnasien  willen  gestiftet  waren,  sondern  auch  wesentlich  von  kAnf- 
tigen  Gymnasiallehrern  erfüllt  und  so  erhalten  wurden. 

Nun  kann  aber  noch  gefragt  werden,  ob  auch  das,  was  von  der 
Vogelperspective  eines  national-ökonomischen  Princips  betrachtet,  sieh 
als  so  glänzend  und  vortheilhaft  erwiesen  hat,  die  Einführung  des  höhe- 
ren philologischen  Studiums  in  die  Lehrerkreise,  nicht  dennoch  in  sei- 
nem nächsten  Gebiete,  der  Schule,  einen  Schaden  angerichtet  hat,  der 
unsichtbar  in  der  Tiefe  friszt  und  aus  seiner  minder  beachteten  Sphire 
dennoch  lähmende  Einflüsse  nach  allen  Seiten  verbreitet?  Hat  nun 
doch  bemerkt,  dasz  jüngere  Schulmänner,  weit  entfernt  in  der  Fülle 
jüngst  vergangener  Generationen  aus  dem  lebendigen  Quell  antiken 
Lebens  zu  schöpfen,  vielmehr  oft  kaum  im  Stande  sind,  den  Schrill* 
steller,  den  sie  erklären  sollen,  flieszend  und  zu  eignem  und  fremdes 
Vergnügen  zu  lesen  uqd  zu  erklären ;  aber  ^Fragmente  können  sie  aeni- 
meln ! '  rief  man  voll  Ironie  und  Unmut  aus.  Und  wie  leicht  läsat  sich 
dann  die  Abnahme  der  Leistungen  bei  den  Maturitätsprüfungen,  die 
man  allenthalben  will  bemerkt  haben ,  damit  in  Gausalzusammenhang 
bringen !    Ohne  zu  leugnen ,  dasz  in  diesen  Anklagen  einige  Wnhrheit 


Sehmidt  und  Thaulow :  GynDasialpaedagogik.  489 

Hegau  möge,  wollen  wir  doch  aaf  die  optische  Täuschaqg  hinweisen, 
nach  der  man  so  gern  die  besten  der  Vergangenheit,  die  sich  allein 
den  Gedächtnis  eingeprägt  haben,  mit  dem  mittleren  Durchschnitt  der 
Gegenwart  vergleicht.  Meister  ihres  ganzen  Stoffes  und  durchdrun- 
gen vom  Geiste  des  Alterthnms  waren  und  sind  nur  einzelne;  der 
mittlere  Durchschnitt  aber,  mit  dem  es  auch  fruherhin  in  dieser  Hin- 
sicht traurig  bestellt  war,  hat  wenigstens  Kritik  üben  gelernt:  eine 
lehrbare  und  mit  Sicherheit  auf  einen  gewissen  Durchschnitt  der  In- 
dividuen zu  übertragende  Kunst:  das  ist  mindestens  etwas  positives, 
Charakter  verleihendes,  das  auch  aus  dem  minder  geistreichen  Kopf 
einen  ganzen  Mann  macht.  Auf  jeden  Fall  aber  würde,  auch  wenn 
man  sich  durch  jene  Erscheinungen  veranlaszt  fände  auf  den  Bildungs- 
gang der  Lehrer  versuchsweise  einzuwirken,  doch  diese  Einwirkung 
der  Natur  der  Sache  nach  noch  nicht  dem  Studium  der  Paedagogik  za 
gute  kommen ,  sondern  sich  auf  eine  BewCjgnng  innerhalb  des  philo- 
logischen Studienkreises  selbst  beschränken. 

Wir  haben  oben  den  halbwissenschaftlichen  Charakter  der  ge- 
wöhnlichen Paedagogik  geschildert.  Für  den  Elementarlehrer,  den 
Inhaber  von  Privatanstalten  für  merkantile  Zwecke ,  selbst  für  einen 
Theil  der  Lehrer  höherer  Bürgerschulen  und  niederer  Gymnasialklassen 
ist  der  Schaden,  der  aus  der  Beschäftigung  mit  einem  solchen  Gegen- 
stande ^othwendig  erwachsen  musz,  nicht  sehr  hoch  anzuschlagen,  in- 
sofern nur  die  Ueberscbätzung  desselben  nicht  zu  verderblich  einwirkt: 
ein  positiver  Nutzen,  wenn  auch  nicht  für  die  Wissenschaft,  ao  doch 
für  die  Praxis  kann  dabei  nicht  ausbleiben ,  und  wäre  er  auch  nur  in 
der  intensiveren  Richtung  des  Geistes  auf  die  methodische  Seite  der 
Erziehung  und  des  Unterrichtes  enthalten.  Die  erzeugte  Tendenz, 
wenn  sie  nemlich  gut  ist,  bleibt  jedenfalls  das  beste  an  der  gan- 
len  Sache. 

Ganz  anders  ist  aber  das  Verhältnis  des  eigentlichen  Gym- 
nasiallehrers,  der  seine  Stoffe  als  Wissenschaften  faszt  und  verarbei- 
tet, wenn  er  sie  auch  nicht  in  der  Form  der  Wissenschaft  wiedergibt. 
Masz  er  sich  ex  officio  in  einen  Gegenstand  vertiefen,  der  flach  ist; 
etwas  studieren,  das  so  wenige  studierbare  Seiten  bietet;  zwischen 
Ansichten  und  Lehrsätzen  sich  bewegen,  wo  es  in  jedem  Augenblicke 
gilt  fünf  grade  sein  zu  lassen ,  wenn  überhaupt  etwas  stehen  bleiben 
soll:  da  kann  es  ohne  erheblichen  Kraftverlust  und  Abstumpfung  der 
eben  erst  wol  geschärften  Schneide  des  denkens  gar  nicht  abgehen. 
Neon  Zehntheile  unserer  ganzen  paedagogischen  Literatur  sind  so  be- 
schaffen, dasz  der  Gymnasiallehrer  sie  ohne  Schaden  gar  nicht  zum 
ernsthaften  Gegenstande  seiner  Studien  machen  kann ,  wenn  auch  das 
eine  oder  andere  wohlmeinende  und  geistreich  geschriebene  Werk- 
chen ihn  anregen  oder  erfreuen  könnte. 

Die  theologischen  Lehrer  der  Paedagogik  haben  vor  jenem  groszen 
Haufen  dreierlei  voraus.  Einmal  die  Anlehnung  an  das  objective  Ele- 
ment der  gegebenen  Kirchenlehre.  Die  Aufgabe  wird  dadurch  be- 
schränkt und  läszt  sich  innerhalb  ihrer  Schranken  in  Wissenschaft- 


490  Schmidt  und  Thaulow:  Gymnasialpaeda^Of^k. 

licher  Form  lösen.  Sodann  die  Anfl6snng  des  Gewirres  kleinlicher 
Tendenzen  in  die  6ine  grosze  Tendenz  der  Heilsbedfirfligkeit.  Das 
.,  Stückwerk  theoretischen  Wissens  wird  conseqaent  zum  Moment  herab- 
gesetzt und  verliert  eben  dadurch  jene  gedunsene  Fülle,  die  der  ech- 
ten Theorie  am  meisten  feindlich  ist.  Die  Tendenz  selbst  wird  hier 
zum  Mittelpunkt  der  Wissenschaft.  Endlich  aber  theilt  die  Theologie, 
wenn  auch  in  geringerem  Masze,  mit  der  Philosophie  den  Vorzug  einer 
kunstgerechten  und  einheitlichen  Darstellung  ihrer  Lehren,  die  dem 
Gesamtgebäude  einen  von  der  objectiven  Richtigkeit  des  einzelnen 
theilweise  unabhängigen  Werth  verleiht.  Bei  all  diesen  Vorzügen  kann 
es  jedoch  nicht  unbeachtet  bleiben ,  dasz  bei  dieser  Behandlungsweise 
die  Paedagogik  stets  ein  Nebengebiet  der  Theologie  bleiben  mass, 
also  auch  nicht  Mittelpunkt  eines  eignen  und  selbständigen  Studien- 
zweiges werden  kann.  Dasz  der  Theolog  als  Lehrer  seinen  Palmer 
oder  Dursch  studieren  sollte  wird  niemand  leugnen,  und  obwol  in  sol- 
chen Werken  natürlich  die  Volksschule  in  den  Vordergrund  tritt,  so 
werden  sie  auch  dem  Gymnasiallehrer,  selbst  dem  Nichttheologen,  heil- 
sam und  förderlich  zu  lesen  sein,  namentlich  wenn,  wie  bei  Palmer, 
noch  die  gröste  Gründlichkeit  historischer  und  litterarischer  Studien 
hinzutritt.  Vielleicht  durfte  sogar  eine  christliche  Gymnasialpaedago- 
gik  von  theologischem  Standpunkte  noch  als  eine  Lücke  in  der  Littera- 
tur  bezeichnet  werden,  ohne  dasz  jedoch  damit  irgend  ein  Element  ge- 
wonnen würde,  das  der  speciellen  wissenschaftlichen  Fachbildung  der 
Gymnasiallehrer  Concurrenz  machen  könnte. 

Was  nun  endlich  die  Paedagogik  der  Philosophen  betrifft,  so  hat 
diese  zu  einer  solchen  Concurrenz  den  entschiedensten  Anlauf  genom- 
men. Der  Herbartianer  Brzoska  fordert  in  seiner  Schrift  Über  die 
Nothwendigkeit  paedagogischer  Seminare  auf  der  Universität  nicht 
weniger  als  elf  verschiedene  paedagogische  Disciplinen ,  die  alle  aaf 
Universitäten  entweder  durch  praktische  Uebungen  in  Seminarien  oder 
durch  besondere  Vorlesungen  geübt  und  gelernt  werden  sollen.  Et 
ist  nicht  nur  interessant,  sondern  auch  für  die  Entscheidung  unserer 
ganzen  Aufgabe  wichtig,  diese  Disciplinen  kennen  zu  lernen.  Es  sind 
folgende :  1)  Encyklopaedie  und  Methodologie  der  paedagogischen 
Wissenschaften;  2)  allgemeine  Paedagogik;  3)  das  Unterrichtswesen;' 
4)  Katechetik  (Religionsunterricht);  5)  Schulkunde;  6)  Schuldisciplin; 
7)  Schulrecht;  8)  Familienerziehung;  9)  Geschichte  der  Erziehung  und 
des  Schulwesens;  10)  Litteraturgeschichte  der  Paedagogik ;  11)  Staats- 
paedagogik.  Wahrlich ,  wenn  diese  Disciplinen  alle  in  einer  unseren 
übrigen  Universitätswissenschaften  ebenbürtigen  Gestalt  vorhanden 
wären,  dann  würde  auch  Herbarts  Vorschlag  nicht  mehr  so  absurd 
sein,  als  man  ihn  bisher  gefunden  hat,  dasz  jedes  Dorf  eben  so  gat 
wie  seinen  Arzt  und  seinen  Geistlichen  auch  seinen  studierten  Paeda- 
gogen  haben  müste,  der  gleich  dem  Arzt  in  allen  schwierigen  Fallen 
cousultiert  würde.  Wir  wagen  es  kühn  zu  behaupten,  dasz  Brzoska 
bis  jetzt  der  einzige  war ,  der  aus  der  Forderung  die  Paedagogik  zum 
eigentlichen  Mittelpunkt  der  Studien  eines  Paedagogen  zu  machen,  also 


Schmidt  and  Thaalow:  Gymnasialpaedagogik.  491 

■ 

aoeh  ffir  die  höheren  Schulen  sabstantielle,  nicht  accidentielle  Paeda- 
gogen  zu  gewinnen,  die  richtigen  Conseqnenzen  gezogen  hat.  Und 
dieser  Folgerichtigkeit  entspricht  vollkommen  die  Gründlichkeit  sei- 
ner Beweisführung,  namentlich  auch  was  die  geschichtliche  Seite  be- 
Irifft.  In  den  Stimmen ,  die  Brzoska  zur  Unterstützung  seiner  Ansicht 
gesammelt  hat,  liegt  allein  eine  Geschichte  der  Paedagogik  verhorgen, 
die  uns,  wenn  ein  längeres  Leben  ihm  ihre  Ausarbeitung  vergönnt 
hätte ,  wes'^ntlich  gefördert  haben  würde.  Warum  weisz  man  dessen- 
ungeachtet nichts  von  Brzoska?  Warum  versteht  es  sich  so  ganz  von 
seihst,  dasz  sein  Unternehmen  ein  verfehltes  war?  Etwa  lediglich 
deshalb ,  weil  bei  einer  solchen  Ausdehnung  der  paedagogischen  Stu- 
dien gar  keine  Zeit  mehr  für  die  Fachwissenschaften  übrig  bleiben 
würde?  Nicht  doch!  Um  diesen  Einwand  zu  beseitigen  hätten  wir  ja 
das  Beispiel  der  theologischen  Gymnasiallehrer.  Konnten  diese  ehe- 
mals und  können  sie  in  vielen  Fällen  noch  heute  ihre  Stellung  ge- 
nügend ausfällen,  während  sie  doch  ihr  akademisches  Triennium  haupt- 
sächlich der  Theologie  widmen  müssen,  so  würden  es  die  Brzoska^-  " 
sehen  Paedagogen  vielleicht  auch  können.  Wer  selbst  ein  Gymnasium 
durchgemacht  und  sodann  irgend  eine  Wissenschaft  methodisch  und 
gründlich  studiert  und  darüber  in  seiner  Art  eine  gründliche  Durch- 
bildung gewonnen  hat,  aus  dem  müste  sich  am  Ende  auch  ein  erträg- 
licher Gymnasiallehrer  durch  die  Praxis  selbst  bilden  lassen.  Wenn 
weiter  nichts  gefordert  würde  als  Erhaltung  der  ostensibeln  Resultate 
in  der  Maturitätsprüfung ,  so  könnten  wir  dreist  auch  junge  Juristen 
oder  Mediciner  an  die  Gymnasien  schicken,  was  in  der  Zeit  der  Re- 
naissance gar  nichts  unerhörtes  war.  Der  Paedagog  hätte  dann  doch 
vor  diesen  den  nicht  ganz  geringen  Vortheil  eben  Paedagog  zu  sein. 
Die  Schwierigkeit,  welche  sich  dem  Brzoska^schen  Paedagogen 
in  den  Weg  stellt,  ist  vielmehr  nur  die,  dasz  er  noch  heute  wie  da- 
mals ein  unmögliches  Wesen  ist,  weil  alle  jene  schönen  Wissenschaf- 
ten, an  denen  er  sich  bilden  soll,  nur  Namen  aber  keine  Wirklichkeit 
haben.  Man  wird  diese  Aeuszerung  vielleicht  zu  stark  finden.  Neh- 
men wir  daher  zu  ihrer  Erhärtung  gleich  die  Wissenschaft  vor,  die 
noch  am  meisten  Anspruch  auf  Realität  hat,  die  Geschichte  der  Er- 
ziehung und  des  Schulwesens.  Brzoska  will  sie  in  zwei  vollen  Se- 
mestern zu  je  6  Stunden  lesen ,  und  wir  haben  keinen  Grund  zu  zwei- 
feln, dasz  sich  eine  solche  Zeit  allenfalls  ausfüllen  Fiesze.  Aber  auch 
würdig  ausfüllen?  Die  äuszere  Analogie  mit  der  Kirchengeschichte 
thut  es  nicht;  wir  müssen  die  wissenschaftliche  Qualität,  den  Rang  des 
Stoffes  prüfen.  Was  man  so  Geschichte  des  Schul-  und  Erziehungs- 
wesens oder  Geschichte  der  Paedagogik  nennt,  ist  meist  eine  Schma- 
rotzerpflanze aus  der  allgemeinen  Weltgeschichte,  der  Culturgeschichte, 
der  Litteraturgeschichte  und  anderen  Geschichten.  Wenn  man  aus  sol- 
chen Werken  alles,  was  sich  auf  Erziehung  bezieht,  zusammenträgt, 
so  hat  man  bereits  einen  ziemlichen  Stoff  vor  sich,  und  es  macht  dabei 
nur  massigen  Unterschied,  ob  der  Verfasser  hie  und  da  auf  die  citiert 
gefundenen  Quellen  zurückgeht  oder  nicht.   Zu  Brzoska^s  Zeiten  hatte 


492  SduBidft  und  Tbaalow :  Gymnasitlpaedagogik. 

man  ein  solches  Werk  an  der  Geschichte  der  Erziehung  von  Schwärs, 
einem  sehr  brauchbaren  Buche,  das  aber  wol  niemand  mit  einer  gedie- 
genen liUerarhistorischen  oder  kirchengeschichtlichen  Arbeit  gleich^ 
stellen  wird.  So  lange  nicht  auch  der  Litterarhistoriker  oder  der  Ge- 
schichtschreiber der  Philosophie  eben  so  oft  zu  uns  kommen  muss  als 
wir  zu  ihm,  bleibt  es  einfach  unberechtigte  Anmaszung,  wenn  man  die 
Geschichte  der  Erziehung,  der  Paedagogik  oder  des  Schulwesens  als 
ebenbürtig  mit  andern  Universitatswissenschaften  hinstellt/  Und  das 
thttt  man  doch  in  der  That,  wenn  man  die  Geduld  der  Zuhörer  fOr  sie 
ein  ganzes  Jahr  lang  täglich  eine  Stunde  lang  in  Anspruch  nehmen  will. 
Konnte  aber  ein  einziger  Mann,  selbst  bei  Brzoskas  Bewandertheit  auf 
diesem  Gebiete,  behufs  seiner  Vorlesungen  jenen  Sachverhalt  ohne 
weiteres  ändern?.  Das  mäste  ein  bedeutender  Schwarzkünstler  sein^ 
der  so  eine  fertige  Wissenschaft  aus  dem  Aermel  schüttelte!  Der  Weg, 
den  man  eben  jetzt  betritt,  führt  besser  zum  Ziele:  allmähliche  Erwei- 
terung und  Vertiefung  des  Gebietes  durch  zusammenwirken  vieler.  Da- 
zu gehört  aber  unvermeidlich  viel  Zeit  und  Geduld. 

Was  sollen  wir  zu  den  übrigen  Disciplinen  Brzoskas  sagen? 
Was  soll  einem  ordentlichen  Studenten  eine  Litteraturgeschichte  von 
Büchern,  die  er  besser  ungelesen  läszt?  ein  Schulrecht,  das  aus  ejner 
principlosen  Sammlung  vou  Verordnungen  und  Erlassen  besteht  und 
dessen  Hauptsatz  jedenfalls  lautete:  ^die  Schule  sollte  einen  Rechts- 
boden haben,  hat  aber  keinen'?  Die  einzige  Disciplin,  deren  Anbau 
Brzoska  mit  allen  Schülern  Herbarts  gemein  hat,  ist  wol  die  allge« 
meine  Paedagogik.  Diese  Disciplin  macht  den ,  welcher  sie  studiert, 
noch  eben  so  wenig  zum  Paedagogen ,  als  das  Studium  der  Rechts- 
philosophie zum  Juristen  macht;  ob  man  «aber  dagegen  schlieszen  soll, 
dasz  jeder ,  um  ein  wirklicher  Paedagog  oder  Jurist  zu  sein ,  dieses 
Studium  nothwendig  hinzunehmen  müsse,  ist  eine  andere  Frage.  In 
der  Glanzperiode  der  HegePschen  Philosophie  hätte  man  sie  schwer- 
lich ungestraft  stellen  dürfen.  Wer  dem  ^allgemeinen  Stande'  ange- 
hörte, muste  natürlich  sich  über  den  Zweck  seines  thuns  und  treibens 
philosophisch  Rechenschaft  geben.  Dasz  solche  Phiiosopheme  nicht 
für  alle  Zweige  des  ^allgemeinen  Standes'  gleich  ausgebildet  wurden, 
ist  nur  dem  Drange  der  Zeit  zuzuschreiben,  und  Thaulow  hat  darin 
gewis  vollkommen  Recht,  dasz  er  seine  Ausbildung  der  Paedagogik 
nach  Hegels  Grundsätzen  als  eine  nothwendige  Consequenz  des  gan-. 
zen  Systems  ansieht.  Leider  zeigt  nun  die  Erfahrung,  dasz  man  nicht 
nur  eiu  guter  Schneider  oder  Kaufmann  sein  kann,  ohne  sich  über  sein 
thun  und  treiben  durch  Analyse  des  Zweckbegriffes  Rechenschaft  ge- 
geben zu  haben,  sondern  dasz  ganz  dasselbe  in  etwas  verändertem 
Masze  auch  mit  dem  Mittelschlage  der  angehörigen  des  ^allgemeinen 
Standes'  der  Fall  ist.  Es  gibt  vortreffliche  Seelsorger  und  Redits- 
gelehrte,  die  sehr  wenig  auf  Philosophie  halten,  und  wir  wüsten  nicht, 
wo  z.  B.  der  Engländer  Thomas.  Arnold  sein  Collegium  über  Philo- 
sophie der  Paedagogik  sollte  gehört  haben.  Hier  handelt  es  sich  auch 
nicht  um  Ausnahmen,  sondern  um  die  Regel,  man  möge  sie  nun  glück- 


SoluBidt  und  Thaolow:  Gymiasialpaedagofik.  493 

lieh  oder  beklageDswerth  finden.  So  wie  es  in  der  Natnr  zwischen 
Hegels  ^allgemeinem',  Schleiermachera  leitendem'  Stande  und  den 
übrigen  Standen  gar  keine  scharfe  Grenze  gibt,  sondern  allmähliche 
Ueberginge ,  so  gibt  es  auch  vom  philosophierenden  Schuster  bis  zum 
Lenker  der  Staaten  in  allen  Standen  einen  gewissen  Procentsatz  philo- 
sophischer Köpfe,  der  freilich  in  den  verschiedenen  Ständen  sehr  ver* 
schieden  ist.  Dasz  derselbe  nach  oben  hin  zunehme,  ist  auch  nur  bis 
SU  einem  gewissen  Punkte  wahr.  Gerade  diejenigen,  welche  die  allge- 
meinsten Interessen  vertreten  und  am  meisten  Meitend'  sind,  die  Re- 
genten und  Staatsmänner,  finden  selten  Zeit  und  Ruhe,  sich  die  Prin- 
cipien  ihres  thuns  philosophisch  klar  zu  machen. 

Wer  in  diesem  Sachverhalt  lediglich  eine  Un Vollkommenheit  oder 
gar  ein  Unglück  erblickt,  der  übersieht  eben,  dasz  ganz  dieselben 
Grundsätze,  welche  sich  in  dem  einen  Kopf  zum  Bewustsein  entfalten, 
nnbewust  auch  in  den  übrigen  wirken  und  walten;  ja  dasz  sogar  die- 
sem instinctmäszigen  und  rein  natürlichen  thun  erfahrungsmäszig  meisl 
eine  gröszere  Sicherheit  und  Taktfesligkeit  zukommt,  als  dem  durch 
Bewustsein  vermittelten.  Die  eine  Weise  findet  an  der  andern  Ferment 
oder  Correctiv ,  und  es  gibt  keinen  Stand ,  der  nicht  beiderlei  Köpfe 
zur  Erreichung  seiner  praktischen  Zwecke  bedürfte.  Dasz  man  di^or 
Sachlage  ungeachtet  philosophische  Vorlesungen  noch  beständig  durch 
officielle  Anordnungen  mit  Crethi  und  Plethi  bevölkert ,  ist  ein  weit 
gröszerer  Uebelstand,  als  wenn  solche  Vorlesungen  nur  von  wenigen 
benutzt  werden.  Ein  ^philosophisches  ZwangscoUeg'  ist  eine  contra- 
dictio  in  adiecto. 

Die  Anwendung  dieses  Satzes  auf  die  allgemeine  Paedagogik 
wird  leicht  zu  machen  sein.  Es  sollte  auf  jeder  Universität  eine  Ge- 
legenheit sein  sie  zu  hören,  und  es  wäre  hübsch,  wenn  alsdann  wenig- 
stens die  philosophischen  Köpfe  unter  den  zukünftigen  Lehrern  und 
Geistlichen  von  dieser  Gelegenh^t  fleiszigen  Gebrauch  zu  machen  sich 
bewogen  fänden.  Würde  eine  speculative  Gymnasialpaedagogik  ge- 
boten ,  so^  wäre  die  Theilnahme  an  dieser  den  Philologen  ganz  beson- 
ders nahe  gelegt,  aber  auch  dann  noch  können  wir  keinen  Umstand 
erblicken,  der  zu  einer  allgemeinen  Regel  machen  könnte,  wozu  der 
Matur  der  Sache  nach  der  eine  mehr,  der  andere  weniger  Trieb  in 
sich  verspürt.  Dieser  Trieb  zur  Sache  ist  im  Durchschnitt  bei  wirk- 
lich reifen  Studenten  als  ein  Maszstab  ihres  mutmaszlichen  Nutzens  zn 
betrachten. 

Aber,  kann  man  nun  fragen,  hat  denn  der  Staat,  der  die  Lehrer 
als  Lehrer  anstellt  und  nicht  als  Philologen,  kein  Recht  zu  verlan- 
gen, dasz  diese  sich  für  ihren  eigentlichen  Beruf,  deu  Lehrberuf,  tang- 
lich machen?  Unbestreitbar  besteht  dieses  Recht;  allein  wie  ist  es 
auszuüben?  Kann  es  überhaupt  ausgeübt  werden,  ohne  wesentlichere 
Interessen  der  Gesamtheit  zu  schädigen  ?  Es  scheint  uns ,  dasz  sich 
hierauf  ein  ja  geben  läszt,  wenn  auch  nicht  ganz  so  unbedenklich  als 
unsere  Reformer  zum  grossen  Theile  sich  einbilden.  Man  denkt  zu- 
meist an  Seminare,  und  hier  sind  alle  mögliche  Stufen  vertreten,  von 


494  Schmidt  und  Thaalow:  Gymnasialpaedagog^k. - 

den  excenlrischen  Forderungen  Brzoskas  bis  zu  der  einfachen  Pflege 
paedagogischer  Uebangen  neben  den  rein  philologischen  Vorlesungen. 
Dasz  wir  solche  Ansichten  verwerfen ,  die  mit  Diesterweg  oder  gar 
nach  dem  Vorbilde  der  französischen  Musterschulen  das  ganze  Univer- 
sitätsstudium der  Philologie  im  Grunde  in  einem  Seminar  wollen  auf- 
und  untergehen  lassen,  bedarf  nach  den  obigen  Ausführungen  kaum 
der  Erwähnung;  was  aber  von  den  verschiedenen  Zwischenformen,  die 
mit  dem  bisherigen  Studieuwesen  irgend  einen  Compromiss  eingehen 
wollen,  zu  halten  sei,  ist  schwer  zu  sagen.  Es  hängt  hier  so  vieles 
an  Persönlichkeiten  und  localen  Verhältnissen ,  dasz  sich  darüber  gar 
keine  allgemeinen  Regeln  aufstellen  lassen.  Ist  doch  auch  ein  aka- 
demischer Lehrer,  der  ein  philologisches  Seminar  mit  Erfolg  zu  leiten 
versteht,  eine  so  seltene  Erscheinung,  dasz  man  mit  Recht  fragen  kann, 
ob  nicht  auch  hier  die  Dotierung,  durch^die  man  an  Aufrechterhaltnng 
der  einmal  bestehenden  Einrichtung  unter  allen  Umständen  gebunden 
ist,  eher  als  ein  Uebelstand,  denn  als  ein  Vortheil  auf  die  Daner  sich 
herausstellen  dürfte. 

Die  wahren  Handhaben,  an  welchen  der  Staat  in  den  Studien- 
gang der  Lehrer  eingreifen  kann ,  liegen  nicht  auf  dem  Boden  der  aka- 
demischen Freiheit,  sie  liegen  hinter  derselben:  in  der  Praxis  selbst 
and  in  den  Prüfungen.  Man  war  daher  auch  unzweifelhaft  im  ganzen 
auf  dem  richtigen  Wege,  als  man  in  Preuszen  z.  B.  das  sogenannte 
Probejahr  einrichtete  und  in  die  Prüfung  der  Candidaten  des  höheren 
Schulamtes  auch  die  Paedagogik  aufnahm ;  allein  den  richtigen  Weg 
betreten  heiszt  eben  noch  nicht  so  viel  als  das  Ziel  erreichen.  Begin- 
nen wir  mit  der  Prüfung!  Wie  denn,  wenn  ein  tüchtiger  Philolog 
kommt,  der  gar  keine  paedagogischen  Kenntnisse  hat,  der  Bücher 
dieses  Faches  stets  nach  Besichtigung  des  Titels  mit  stillem  Absehen 
bei  Seite  geschoben,  Vorlesungen  über  Paedagogik  nie  ohne  leises 
Lächeln  angekündigt  gesehen ,  paedagogische  Aufsätze  in  den  Neuen 
Jahrbüchern  stets^  als  ob  sich  das  von  selbst  verstünde,  fiberschlagen 
hat?  Soll  er  durchfallen?  Der  philologische  Examinator  würde  ver- 
mc^tlich  gleichzeitig  aus  dem  Monde  zu  fallen  glauben;  es  wäre  ein 
novum,  inauditum,  ein  Ereiguis,  das  dem  Laufe  der  Natur  zu  wider- 
sprechen schiene.  Und  das  vielleicht  mit  Unrecht?  Würden  nicht 
in  einer  solchen  Prüfung  eine  Menge  von  Fragen  vorkommen,  die  le- 
diglich mit  gesundem  Menschenverstand  zu  beantworten  sind  ?  Würde 
nicht  der,  welcher  das  System  des  Examinators  jedesmal  kreuzt,  in 
vielen  Fällen  ein  besserer  Praktiker  werden  als  der,  welcher  die  Vor- 
lesungen desselben  gehört  hat?  —  Wozu  aber  endlich  ein  Examen, 
in  dem  man  nicht  durchfallen  kann?  Es  ist  ein  Bock  ohne  Hörner,  ein 
Messer  ohne  Klinge.  Das  beste,  was  man  damit  machen  kann,  ist  es 
schleunigst  aufzuheben ;  das  zweitbeste,  es  neben  anderen  Formen  ohne 
Inhalt  einstweilen  ruhig  in  seiner  Nichtigkeit  zu  belassen. 

Die  Probelectionen,  welche  mit  diesen  Prüfungen  gewöhnlich  ver- 
bunden sind,  sind  noch  um  so  schlimmer,  als  es  den  Examinatoren,  je 
ferner  sie  der  Schule  stehen ,  desto  eher  beifallen  kann  denselben  ein 


Schmidt  lyd  Thaulow:  Gymnasialpaedagogik.  495 

besonderes  Gewicht  beizniegen.    Candidaten,  welche  zam  ersten  Mai 
in  ihrem  Leben  vor  der  Front  einer  Klasse  stehen ,  und  noch  dazu  un- 
ter so  besonderen  Umständen,  zeigen  gewis  in  den  seltensten  Fällen 
ihre  wahren  Eigenschaften.  Alte  Directoren,  die  noch  am  ehesten  hierin 
einen  Blick  haben  können,  werden  auch  am  ehesten  wissen,  wie  ge- 
waltig sich  ein  Candidat,  namentlich  unter  geeigneten  Hülfen,  oft  schon 
in  den  ersten  Wochen  der  Praxis  verändert.    Eine  Probelection  hat 
our  einen  Sinn  am  Schlüsse  des  Probejahres,  und  dasz  sie  dort  fehlt, 
ist  ein  eben  so  groszer  Fehler,  als  dasz  sie  mit  der  wissenschaftlichen 
Prüfung  am  Schlüsse  der  Universitätszeit  verbunden  ist.'  Das  Zeugnis 
der  Directoren  und  Ordinarien  ist  schon  viel ,  aber  bei  weitem  nicht 
genügend;  namentlich  wenn  man  bedenkt,  dasz  die  Regierung  gerade 
dafür  wieder  eine  Controle  haben  sollte ,  wie  jene  sich  der  Candidaten 
annehmen  und  sie  fördern.    Wir  wollen  die  Forderung  eines  bei  den 
Regierungen  abzuhaltenden  praktischen  Examens  am  Schlüsse  des  Probe- 
jahres hier  nicht  weiter  ausführen  als  nöthig  ist,  um  daraus  diejenige 
Art  der  Gymnasialpaedagogik  zu  entwickeln,  die  wir  als  die  wichtigste 
ansehen  und  die  den  Namen  der  ^positiven '  tragen  möge.    Wenn  in 
einem  solchen  Examen   vou  dem  Candidaten  etwa  gefordert  würde: 
^beschreiben  Sie   den  Stufengang   des  griechischen  Unterrichtes  mit 
specieller  Angabe  der  einzelnen  Klassenpensa',  oder  gefragt:  ^in  wel- 
chem Umfang  und  in  welcher  Weise  kann  an  unsern  Gymnasien  die 
Lehre  von  den  Kegelschnitten  behandelt  werden?^  ^in  welchen  Fällen 
ist  nach  den  bestehenden  Vorschriften  die  Ausstoszung  eines  Schülers 
gerechtfertigt?'  ^welches  sind  die  Hauptpunkte  der  Verfügungen  vom 
6.  und  12.  Januar  1856?'  ^welche  Anforderungen  sind  in  der  Geschichte 
für  die  Versetzung  von  Secunda  nach  Prima  zu  stellen?'  *hat  der  Or- 
dinarius besondere  Rechte  und  Pflichten  in  Bezug  auf  den  Unterricht 
gegenüber  andern  in  seiner  Klasse  unterrichtenden  Lehrern?'  usw., 
80  würde  der  Candidat  die  Antworten  entweder  wissen  oder  aber  nicht 
wissen,  und  so  liesze  sich  schon  ermitteln,  wie  er  und  seine  Vorge- 
setzten hinsichtlich  des  Probejahres  ihre  Schuldigkeit  gethan  hätten. 
Unseres  erachtens  wäre  es  auch  durchaus  nicht  zu  viel  verlangt,  wenn 
man  hieran  Fragen  über  die  parallelen  Einrichtungen  anderer  Länder, 
noch  mehr  aber  über  die  geschichtliche  Entwicklung  unserer  Gymna- 
sien anknüpfte.    Von  Raumers  Geschichte  der  Paedagogik,  Thiersch 
Aber  den  Zustand  des  öffentlichen  Unterrichtes,  Wieses  deutsche  Briefe, 
Hahns  Unterrichtswesen  in  Frankreich  sind  Bücher  positiven  and  ge- 
diegenen Inhaltes,  die  jeder  Candidat  während  seines  Probejahres  le- 
sen könnte,  ohne  deshalb  seinen  philologischen,  historischen,  mathe> 
matischen  Studien  Lebcwol  zu  sagen.     Er  wprde   sich   dadurch  das 
Probejahr  selbst  fruchtbar  machen,  und  wo  wir  nicht  sehr  irren,  würde 
dadurch  ein  gesundes  Standesgefühl  befördert  werden,  ohue  dasz  ein 
erheblicher  Schaden  zu  befürchten  wäre.     Man  halte  es  nun  hinsicht- 
lich des  postulierten  zweiten  Examens  wie  man  wolle,  so  zeichnet  sich 
hier  jedenfalls  sowol  Stelle  als  Stoff  der  positiven  Gymnasialpaeda- 
gogik in  sehr  bestimmter  Weise  ab ,  wenn  sich  auch  nicht  gerade  ein 


496  Sebinidt  and  Tbaalow:  Gymnasialppedai^^k. 

einzelnes  Buch  nennen  läszt,  das  diesen  Bestimmangen  entspricht  Da» 
Princip  der  positiven  Gymnasialpaedagogik  wäre  kein  anderes,  als  das 
einer  wissenschaftlich  geordneten  Einführung  in  die  geschichtlich  ge- 
gebenen und  organisch  in  einander  greifenden  Lebensverhältnisse  un- 
serer Gymnasien  selbst. 

Die  beiden  jüngst  erschienenen  Werke  Ober  Gymnasialpaedago- 
gik, KU  deren  Besprechung  wir  nunmehr  übergehen  wollen,  fallen  eben 
80  wenig  als  die  bekannten  früheren  von  Lübker,  Deinhardt  n.  a.  mil 
dem  positiven  Standpunkte  zusammen.  Sie  theilen  sich  nemlich  in  die 
beiden  übrigen  Standpunkte,  deren  einen  wir  als  den  der  niederen,  den 
anderen  als  den  der  höheren  Tendenzpaedagogik  bezeichnen  können. 
Die  erstere  finden  wir  da,  wo  die  halbwissenschaftliche  Art  der  ge- 
wöhnlichen ^lementarpaedagogik,  die  wir  oben  charakterisierten,  vor- 
herseht, die  letztere  in  den  von  theologischen  oder  philosophischen 
Prämissen  ausgehenden  Constructionen. 

Es  wird  den  Verehrern  der  paedagogischen  Schriften  Karl 
Schmidts  vielleicht  hart  oder  unbillig  vorkommen,  wenn  wir  die 
Gymnasialpaedagogik"^)  des  in  manchen  Beziehungen  so  schön  begab- 
ten Verfassers  von  vorn  herein  mit  dem  Charakter  der  Halbwissen- 
achafllichkeit  belegen.  Schmidts  Schreibweise  ist  geistreich,  anre- 
gend, reich  an  treffenden  Bemerkungen,  apophthegmatisch  nnd  poin- 
tiert, oft  nicht  ohne  Geschmack.  Ein  früherer  Beurteiler  schreibt  ihm 
bezeichnend  ^ein  wahres  Sturzbad  frappanter  Gedanken  und  Anregun- 
gen zu  weiterem  denken  und  handeln'  zu.  Wir  haben  nichts  dagegen 
einzuwenden.  Wir  müssen  auch  die  edle  Gemfitswärme  anerkennen, 
die  allenthalben  hervorleuchtet,  und' eine  Begeisterung,  die  wol  wie- 
der Begeisterung  zünden  könnte,  wenn  man  nicht  gar  zu  häufig  durch 
halbwahres,  schiefes  und  völlig  verfehltes  gestört  würde.  Schmidt 
hat  seine  Stärke  auf  einem  Gebiete,  das  zwischen  belletristischem  und 
erbaulichem  Tone  die  Mitte  hält.  Er  hätte  daher  weit  besser  gethan, 
mit  Diesterweg  geradezu  einzugestehen,  dasz  die  Paedagogik  noch 
keine  Wissenschaft  sei  und  auf  allzu  künstliche  Constructionen  zu  ver- 
zichten. Dasz  er  dies  nicht  thut,  fällt  um  so  schlimmer  in  die  Wage, 
da  er  sein  Buch  Gymnasiallehrern  bietet. 

Was  werden  denn  die  jüngeren  Gymnasiallehrer,  an  die  der  Ver- 
fasser sich  so  vertrauensvoll  wendet,  diese  durch  Exactheit  verwöhn- 
ten Wesen ,  was  werden  sie  dazu  sagen ,  wenn  sie  gleich  auf  dem  er- 
sten Blatte  des  Buches  als  viertes  Slotto  folgendes  mit  der  Unterzeich- 
nung *  Goethe'  finden? 

*Wie?  Gymnasien  nennen  die  jetzigen  Menschen  die  Stätten, 
Wo  die  Jugend  —  versitzt,  ach,  wo  der  Körper  verdirbt; 

Den  Ort,  wo  er  würde  geübt,  bezeichnet  der  Name. 

Bei  den  Hellenen  war  That,  aber  wir  —  roden  davon.' 


*)  Gymnasialpaedagogik.  Die  Naturgesetze  der  Erziehung  und  des 
Unterrichts  in  humanistischen  und  realistischen  gelehrten  Schulen.  Von 
Br  Karl  Schmidt.    Köthen  1857.    8.    282  8. 


Sclunidl  and  Thaalow:  GyniitfialiMiedtgogik.  497 

Ist  68  nicht  unbillig,  den  greisen  Dichter  dieser  Zeilen,  König 
Ludwig  von  Baiern,  so  der  Autorschaft  eines  seiner  gelungensten 
Bpigramne  zu  berauben  und  dabei  noch  wo  möglich  durch  ^geübt' 
statt  ^geabet'  den  Vers  zu  verschlechtern?  Diese  Verwechslang  ist 
freilich  eine  Aeuszerlichkeit,  aber  eine  fatale,  doppelt  fatal,  wie  ge* 
sagt,  in  einem  für  Gymnasiallehrer  bestimmten  Buche! 

In  der  Vorrede  erklart  Schmidt,  seine  Gymnasialpaedagogik  solle 
ein  Beitrag  zur  naturgemaszen ,  d.  i.  zu  der  aaf  das  Wesen  und  die 
Natur  der  Menschen  gegründeten  Erziehung  sein.  *Sie  mnste  demnach 
anf  die  Natur  des  Menschen  gebaut  werden.  Da  jedoch  die  Psycho- 
logen, deren  Vorwurf  die  Natur  und  das  Wesen  des  Menschen  resp. 
des  menschlichen  Geistes  ist,  nicht  in  Naturbeobachtung,  sondern  ein- 
seitig in  Selbstbeobachtung  allein  ihr  Ziel  zu  erreichen  glaubten  und 
deshalb  so  verschiedene  Psychologien  aufstellten  als  sie  selbst  geistig 
▼erschieden  organisiert  waren,  muste  sie  die  Hauptgrundsälze  der 
Psychologie  selbst  in  sich  aufnehmen.' 

Heiszt  dies  etwa ,  da  sich  doch  jeder  seine  eigene  Psychologie 
mache,  so  wolle  auch  Schmidt  dasselbe  thun?  Nein,  der  Anspruch 
geht  offenbar  weiter.  Lesen  wir  doch  schon  auf  dem  Titel  unseres 
Werkes,  dasz  es  die  ^Naturgesetze  der  Erziehung'  usw.  enthalte. 
An  die  Stelle  des  subjectiven  soll  hier  ein  objectives ,  an  die  Stelle 
der  WillkOr  etwas  allgemein  gültiges  treten;  denn  das  müssen  doch 
wol  Naturgesetze  sein,  wenn  sie  überhaupt  etwas  sind.  WiV  sehen, 
der  Verfasser  hat  etwas  mitbekommen  von  der  Ansicht,  die  jetzt  gleich- 
sam in  der  Luft  sich  verbreitet,  dasz  die  Psychologie  eine  Naturwissen- 
schaft werden  müsse;  Davon  aber  scheint  der  Verfasser  gar  nichts  zn 
ahnen,  dasz  dies  Streben,  mit  dem  er  sich  so  einsam  wfihnt,  recht  ei- 
gentlich gegenwärtig  das  Streben  der  Zeit  unter  den  Pachgenossen  ist; 
dasz  allein  das  vergangene  Decennium  mindestens  zehn  dicke  Bande 
von  philosophischen  und  medicinischen  Autoritäten  geliefert  hat,  die 
alle  an  demselben  Strange  ziehen,  die  alle  die  Psychologie,  freilich 
nicht  so  leichten  Kaufs  als  Schmidt,  zur  Naturwissenschaft  erheben, 
wollen,  und  von  denen  ein  groszer  Theil*weit  entfernt  davon  ist,  ein- 
seitig von  Selbstbeobachtung  auszugehen.  In  der  That,  als  Schmidt 
jene  anmaszenden  Zeilen  schrieb,  musz  er  nichts  gewust  haben  von 
Waitz,  von  Lotze,  Fichte,  Drobisch,  Portlage,  Volkmann,  Lazarus, 
Jessen,  Schultz -Schultzenstein,  Domrich  und  anderen.  Alle  diese 
Männer  arbeiten  mit  mehr  oder  minder  Glück  an  dem  groszen  Problem, 
ohne  sich  freilich  einzubilden  mit  seiner  Lösung  fertig  zu  sein.  Schmidt 
allein  kam,  sah  nicht  und  siegte.  Und  zwar  aliud  agendo,  so  ganz 
beiläufig,  während  er  eine  Gymnasialpaedagogik  schrieb,  erhaschte  er 
jm  Fluge  auch  die  wahren  Principien  der  Psychologie.  Und  was  ist 
nnn  diese  psychologische  Weisheit?  Phrenologischer  Unsinn  ist  der 
Kern  des  ganzen.  Bekanntlich  veröffentlichte  Gustav  Scheve,  der 
wandernde  Schädeldeuter,  im  Jahre  1855  eine  Broschüre  des  Titels: 
*die  Naturgesetze  der  Erziehung  und  des  Unterrichts.'  Die  ominöse 
Wiederholung  dieser  Worte  auf  dem  Titel  unserer  Gymnasialpaeda- 


498  Sdifliidt  and  Thaalow :  Gymnasialpftedagogik. 

gogik  ist  nicht  zufällig.  Man  liest  auf  S.  99  unseres  Werkes :  *Qaan- 
titativ  wird  die  geistige  Individualität  durch  die  verschiedene 
Grösse  der  einzelnen  Geistes  vermögen  bestimmt.  Der 
Geist  ist  ein  Organismus  von  verschiedenen,  von  einander  unabhängi- 
gen, aber  sich  unter  einander  bedingenden  Vermögen,  die  als  ursprang- 
liehe,  angeborene  Anlagen  durch  die  Wechselwirkung  mit  der  Welt 
zur  Entfaltung  und  Entwicklung  gelangen.'  Und  auf  S.  105  kommen 
sie  alle,  die  Kinder  der  Phrenologie:  ^Verwandte  Vermögen  stärken, 
entgegengesetzte  schwächen  sich.  Verwandt  sind  mit  einander:  Kin- 
derliebe mit  Wol wollen  und  mit  Anhänglichkeit,  Bekämpfungstrieb 
mit  Zerstörungstrieb  und  mit  Festigkeit,  Hoffnung  mit  Erwerbtrieb' 
Qsw.  usw.  —  Schmidt  ist  ein  in  den  Naturwissenschaften  bewanderter 
Mann  und  leider  ein  rechtes  Beispiel  dafür,  dasz  auch  diese  nur  den 
recht  bilden,  der  an  der  Hand  einer  erbarmungslosen  Methode  erst  mit 
seinen  Grillen  und  Vorurteilen  sterben  lernt,  ehe  das  richtige  Leben 
beginnen  kann.  Unsere  Phrenologie  ist  nicht  anders  auf  Erfahrung  und 
Beobachtung  gegründet  als  die  Astrologie  und  Chiromantie  nebst  der 
Chirogrammatomantie  der  illustrierten  Zeitung.  Doch  darüber  an  die- 
ser Stelle  kein  Wort  weiter!  Zur  Charakterisierung  des  spielenden 
Tones,  in  dem  hier  Psychologie  getrieben  wird,  wollen  wir  nur  noch 
die  Lehre  von  den  Temperamenten,  die  sich  auf  S.  98  findet,  erwähnen. 
Hier  heiszt  es :  ^ Der  Sanguiniker  ist  leicht  beweglich,  reizbar,  ober- 
flächlich und  flüchtig,  flatterhaft  und  wankelmütig  —  der  Augenmensch. 
Der  Afrikaner  —  der  Franzose  —  das  Kind  —  der  Affe  =  Sangui- 
niker. Der  Choleriker  ist  lebendig  und  beharrlich ,  entschlossen 
nnd  kräftig,  leidenschaftlich  und  rastlos  thätig  —  der  Geruchsmensch, 
wenn  Geruch  specifische  Verwandtschaft  mit  Scharfsinn  hat.  Der  Spa- 
nier und  Italiener  —  das  Raubthier  usw.  —  der  Mann  =  Choleriker. 
Der  Melancholiker  ist  beharrlich  und  nachdrucksvoll ,  ernst  nnd 
einsam,  ausdauernd  nnd  tieffassend  —  der  Gehörmensch.  Der  Mon- 
gole und  der  Deutsche  —  der  Jüngling  —  das  Nagethier  =  Melan- 
choliker. Der  Phlegmatiker  ist  der  personificierte  geistige  Ma- 
terialismus, ohne  grosze  Sinnes-  und  Triebesstrebung,  schwerfällig 
und  langweilig,  eintönig  und  einförmig,  auch  geistig  ^mit  Reserve' 
sich  bewegend  —  der  Geschmacksmensch.  Der  Holländer  —  der 
Greis  —  der  Wiederkäuer  =  Phlegmatiker.' 

Mit  diesen  traurigen  Elementen  unseres  Buches  stimmt  nun  auch 
trefflich  die  durchgeführte  Allegorie  von  der  Lehre  als  der  Nahrung 
des  Geistes,  bei  der  auch  die  ^Geistesküche'  und  die  *  Di- 
gestionskraft des  Geistes'  (S.  111)  nicht  fehlen.  Wie  eine 
Schmarotzerpflanze  durchrankt  diese  Allegorie  den  ganzen  Bau  des 
Buches,  dringt  in  die  Schematisierung  des  Stoffes  bestimmend  ein  und 
verdirbt  manchen  an  sich  brauchbaren  Gedanken.  An  manchen  Stellen 
weisz  man  wirklich  nicht,  ob  man  glatten  Materialismus  vor  sich  hat 
oder  ausschweifenden  Bilderdienst. 

Was  nun  die  Tendenz  des  Buches  betrifft,  das  Ideal  von  Gym- 
nasium, welches  dem  Verfasser  vorschwebt,  so  wird  man  mandies 


^  Schmidt  and  Thaulow :  Gymnasialpaedalfogik.  400 

Kapitel  lesen  können,  ohne  zu  ahnen,  dasz  überhaupt  von  Gymnasien 
die  Rede  ist;  wo  aber  auch  dieses  Wort  speciell  gebraucht  wird, 
kommt  doch  nichts  weniger  in  Betracht  als  die  historisch  gegebenen 
Verhältnisse  der  bestimmten  Art  von  Schulen,  die  man  in  Deutschland 
mit  diesem  Namen  bezeichnet.  Es  wird  vollkommen  radical  construiert, 
and  darin  müssen  wir  wenigstens  den  Verfasser  loben ,  dasz  er  dabei 
auch  wirklich  auf  etwas  radical  neues  kommt;  denn  das  scheint  uns 
aach:  wenn  man  ohne  irgend  ein  Vorbild  Gymnasien  erfinden  sollte, 
man  würde  schwerlich  auf  unsere  heutigen  Anstalten  dieses  Namens 
verfallen. 

Schmidt  definiert  das  Gymnasium  als  ^die  Schule  für  denjenigen 
Theil  der  Nation,  der  durch  Kenntnis  und  Handhabung  der  Menschheits- 
gesetze wortführend  und  leitend  in  die  Entwicklung  des  Staates  oder 
darch  Kenntnis  lud  Handhabung  der  Naturgesetze  in  die  Weilerent- 
wicklung des  prActischen  Lebens  eingreifen  will';  er  bezeichnet  es 
ferner  als  ^Vorbereitungsschule  zum  selbstbewusten  kennen  und  kön- 
nen'; es  soll  ^Licht  im  denken,  Warme  im  fühlen  und  Begeisterung  tur 
That  im  Dienste  göttlicher  Wahrheit,  Freiheit  und  Liebe  erwecken, 
and  zwar  so  weit  erwecken,  dasz  der  Zögling,  den  es  entläszt,  selbst- 
bewost  in  der  Wissenschaft  als  solcher  oder  in  ihrer  Anwendung  aufs 
Leben  zu  arbeiten  ,  vernünftig  im  Gefühl  die  höchsten  Lebensideen  zu 
ergreifen  nnd  selbstthätig  im  wollen  und  thun  religiös-sittliches  Leben 
zur  Darstellung  zu  bringen  vermag'  (S.  27).  Das  Gymnasium  hat  drei 
Hauptnahrungsmittel,  Gott,  Natur  und  Mensch,  denen  drei  Hauptwissen^ 
Schäften,  die  der  Religion,  der  Natur  und  der  Geschichte  entsprechen. 
In  diesen  dreien  soll  nun  wieder  je  ein  concreter  und  ein  abstracter 
Zweig  sein,  und  die  Vorliebe  für  solches  schematisieren,  bei  dem 
alles  in  krystallinischer  Regelmäszigkeit  sich  entspricht,  führt  auf  die 
sonderbare  Zusammenstellung  der  Mathematik,  Grammatik  und  Dog- 
matik  als  der  abstracten,  logischen,  systematischen  Glieder  neben  Na- 
turwissenschaft ,  Geschichte  und  Religion  als  den  concreten  Zweigen. 
Allein  in  der  Weise,  in  welcher  die  Mathematik  abstract,  logisch  und 
systematisch  ist,  gibt  es  nichts  paralleles  zu  ihr,  wenn  dies  nicht  etwa 
die  fein  formale  Logik  sein  sollte.  Die  Grammatik  ist  freilich  in  un- 
sern  Schulbüchern  sehr  systematisch ,  wenn  auch  nicht  immer  lo- 
gisch. Die  Grammatik  als  Wissenschaft  ist  ein  unfertiges  Gebäude 
nach  Znsammenhang  strebender  positiver  Kenntnisse,  das  sich  kaum, 
je  nachdem  es  dem  linguistischen  oder  dem  philologischen  Zweige  an- 
gehört, vom  Wesen  der  Naturwissenschaften  oder  der  Geschichtswis- 
senschaften trenndn  läszt.  Wie  endlich  die  Dogmatik  in  diese  Parallele 
kommt,  ist  am  schwersten  einzusehen,  da  doch  die  Dogmen  in  der  Re- 
ligion nicht  die  Stellung  einer  Methode,  sondern  die  der  Thatsachen 
einnehmen.  —  Da  wir  nun  die  Nahrungsmittel  kennen,  so  ergibt  sich 
auch  die  Verwendung:  derselben ,  wie  es  bei  solchen  Constructionen 
immer  geht,  aufs  schönste  von  selbst:  ^Die  bestimmte  Quantität  der 
Nahrungsmittel  musz  zu  jeder  Zeit  nach  der  Grösze,  Stärke  und  Kräf- 
tigkeit der  Organe,  welche  die  Nahrung  verdauen  und  zu  Geistesblut 

Pf.  Jahrb.  f.  Phil.  u.  Paed.  Bd  LXXVIII.  Hfl  lo.  34 


500  Schmidt  and  Thaalow :  Gymnasial paedagrogik. 

yerarbeiten  sollen ,  berechnet  werden.'  ...  *  Welches  Nahrungsmitlol 
endlich  bei  dem  einzelnen  für  immer  vorwiegend  geboten  werden  soll, 
wird  von  den  individuellen  Anlagen  desselben  bestimmt',  oder  wie  der 
Sachverhalt  noch  deutlicher  ausgedrückt  wird :  *Der  verschiedene  Be* 
ruf  in  der  Kaste  der  zum  wissen  praedestinierten  wird  durch  die  ver- 
schieden machtigen  Denkvermögen  bestimmt.^  Es  wird  nun  der  Unter- 
schied zwischen  harmonischer  und  uniformer  Ausbildung  der  Anlagen 
zum  Theil  ganz  treffend  nachgewiesen,  und  daraus  abgeleitet,  dasz 
*gegen  das  Ende  des  zweiten  Kindheitsalters,  im  14n  Lebensjahre,  eine 
Gliederung  des  ^inen  Gymnasiums  in  zwei  Zweige  eintreten  mOsse, 
deren  einer  mehr  die  Natur,  der  andere  mehr  die  Geschichte  pflegt, 
während  die  Religion  beiden  gemeinsam  bleibt.  Die  Bedeutung  dieser 
Einrichtung  besteht  darin ,  dasz  in  ihr  der  Streit  zwischen  den  hnna- 
ttistischen  und  den  realistischen  Anstalten  thatsächlie^^anfgehoben  nnd 
beiden  streitenden  Richtungen  gleichmSszig  zu  ihrem  Rechte  verhol- 
fen  wird.  Leider  besteht  aber  das  meiste ,  was  uns  über  die  Einheit 
und  Einigkeit  des  humanistischen  und  realistischen  Gymnasiums  gesagt 
wird,  in  schönen  Redensarten,  die  nichts  beweisen.  Das  einzige  reelle 
Element  dieser  Einheit,  auf  das  somit  der  ganze  Nachdruck  dieser  Con- 
structionen  fällt,  ist  die  gemeinsame  Unterlage,  der  einheitliche  Stamm 
jener  beiden  getrennten  Zweige:  das  Elementargymnasi  um  ond 
das  Progymnasium.  Da  das  Elementargymnasium  mit  fünfjährigen 
Kindern  beginnt,  so  umfaszt  also  unser  Buch  unter  dem  Namen  einer 
Gymnasialpaedagogik  im  Grunde  die  gesamte  Schulpaedagogik  and 
schweift  dabei  noch  sehr  beträchtlich  auch  in  das  Gebiet  derTamilien- 
erziehung  hinüber.  Unter  den  Lehrgegenständen  für  die  fünf-  bis  sechs- 
jährigen Gymnasiasten  werden  auch  6  halbe  Stunden  wöchentlich  für 
^zeichnen,  ausschneiden,  Gesang'  usw.  aufgeführt.  —  Der  eigentliche 
Grundgedanke  des  ganzen  Systemes  steckt  jedoch  in  der  EinrichUiDg 
des  Progymnasiums. 

Das  humanistische  Gymnasium,  oder  sagen  wir  lieber  nach  ge- 
wöhnlichem Sprachgebrauch  schlechthin  das  Gymnasium,  hat  durch 
seine  Begründung  auf  die  altklassischen  Sprachen  eine  so  darchaus 
eigcnthümliche  ideale  Anlage,  es  steht  den  so  vielfach  sich  zersplit- 
ternden praktischen  Interessen  der  Gegenwart  dermaszen  fremd  gegen- 
über, dasz  die  wahre  Vermittlung  zwischen  Humanismus  und  Realis- 
mus wol  nur  in  möglichst  scharfer  Trennung  ihrer  Gebiete  liegt,  wie 
die  Trennung  von  Wasser  und  Land  eine  bessere  Harmonie  bringt  als 
ein  Sumpf,  der  beides  vereinigt.  Wir  reden  hier  natürlich  nicht  von 
demjenigen  Realismus,  der  innerhalb  der  Alterthumsstudien  selbst,  als 
Gegensatz  gegen  den  Pormalismus,  die  Bedeutung  des  geschichtlichen, 
philosophischen  nnd  künstlerischen  Inhaltes  des  antiken  Geisteslebens 
in  den  Vordergrund  stellt '^);  wir  meinen  den  Realismus,  der  im  In- 

*)  Es  dürfte  gerathener  sein,  obwol  auch  nicht  ohne  Uebelstiinde, 
in  dieser  Bedeutung  nicht  von  Bcalismus,  sondern  von  Materialis- 
mus zu  sprechen.  Die  Zweideutigkeit^  welche  dieser  Ausdruck  mit  sich 
bringt,  klingt  zwar  schlimmer,  ist  aber  auch  leichter  bemerkt  und  daher 


Sclmiidl  and  Thaulow  :  Gymnasialpaedij^ogik.  501 

teresse  der  directen  Nutzbarkeit  für  das  Leben  einen  Markt  von  Kennt- 
nisaen  verlangt.  Da  das  Bedürfnis  eines  solchen  Marktes  für  praktische 
Kenntnisse  bereits  seit  dem  siebzehnten  Jahrhunderte  sich  in  berech- 
tigter Weise  gellend  machte,  während  es  doch  dem  Zeitalter  an' Ge- 
staltungskraft fehlte,  um  ihm  in  eigenthflmllcher  Weise  zu  genügen,  so 
ist  gerade  jene  Invasion. der  Realien  in  iie  Gymnasien  erfolgt,  die  man 
jetzt  vielfach  als  eine  Krankheit  dieser  Anstalten  betrachtet  und  unter 
dem  Feldgeschrei  nach  Concentration  des  Unterrichtes  bekämpft.  Es 
entstanden  zugleich  sisit  der  Mitte  des  vorigen  Jahrhundertes  die  höhe- 
ren Bürgerschulen,  die  unter  dem  assimilierenden  Einflüsse  der  Gym- 
nasial ein  rieh  tu  ngen  zu  keiner  Consequenz  eines  wahrhaft  eigenthüm- 
lichen  Princips  gelangen  konnten  und  noch  jetzt  zwischen  idealer  und 
Qtilistischer  Richtung  schwanken  oder  vielmehr  auf  beiden  Seiten  hin- 
ken. Es  entstanden  und  entstehen  zahllose  Privatanstalten,  die  das 
utilistische  Princip  schon  reiner  darstellen,  ohne  doch  zur  allgemeinen 
Lösung  der  Frage  viel  beitragen  zu  können.  Aus  der  falschen  Parallele 
zwischen  humanistischen  und  realistischen  Schulen  ergab  sieh  für  die 
ersteren  ein  falscher  Maszstab.  Namentlich  war  es  die  überm&szige 
Verausgabung  von  Zeit  und  Mühe  für  das  Lateinische ,  die  nicht  mehr 
rentabel ,  also  auch  unverantwortlich  erschien.  Dagegen  erhoben  sich 
mit  den  Realien  im  Bunde  die  neueren  Sprachen.  In  der  sächsischen 
Reformbewegung  von  1847  und  1848  culminierte  die  Hitze  dieses  Con- 
flictes,  bis  endlich  verkündet  werden  konnte:  ^Unser  Schluszbericht 
hat  dieses  Problem  noch  vor  der  Revolution  gelöst:  nicht  mit  den 
alten,  sondern  mit  den  n  e  u  en  Sprachen  musz  begon- 
nen werden.'^)  Der  damals  ausgeheckte  Gymnasialplan  ist  ein 
wahres  Muster  von  dem,  was  wir  jetzt  nicht  wollen,  namentlich  anch 
hinsichtlich  der  Zersplitterung  der  Lehrstunden.  Das  Lateinische  tritt 
dort  erst  mit  Quarta,  das  Griechische  mit  Tertia  ein,  während  in  Sexta 
das  Französische  mit  acht  wöchentlichen  Stunden  sich  breit  macht 
und  in  Quinta  mit  sechs  das  Englische  einsetzt.  Offenbar  würde  der 
echte  Gymnasiallehrer,  dem  man  eine  solche  Einrichtung  aufzwänge, 
jene  Sexta  und  Quinta  als  ein  ziemlich  indifferentes  Vorwerk  betrach- 
ten und  das  eigentliche  Gymnasium  erst  in  den  vier  oberen  Klassen 
erblicken,  die  immerhin  nach  jenem  Plane  noch  einen  stattlichen  Cursus 
von  sieben  Jahren  umfassen.  Wer  einmal  diese  Bahn  betritt,  handelt 
nur  consequent,  wenn  er  auch  noch  das  Englische  vor  das  Französische 
setzt.  Man  hat  alsdann  den  Stufengang  vom  naher  liegenden  zum  fer- 
neren rein  durchgeführt  und  selbst  die  übliche  Anordnung,  nach  der 
das  Lateinische  vor  dem  Griechischen  steht,  die  bekanntlich  vielfach 
angefochten  und  auch  von  Thaulow  in  seiner  Gymnasialpaedagogik  ab- 


unschädlicher als  die  des  Ausdruckes  ^Kealismus'.  Letzteren  brauchen 
wir  hier  stets  in  Beziehung  auf  die  sogenannten  Bealien,  die  Unterrichts« 
gegenstände  der  Healscbulen.  Dagegen  möge  dem  FormalpriDcip  das 
Materialprincip  in  Beziehung  anf  die  Behandlung  jedes  einzelnen  Unter- 
richtsgegenstandes  gegenüberstehen.  *)  Köchlj,  verm.  Bl.  b.  Oymna- 
sialref.  U  u.  UL   Vorw.  S.  VII. 

34* 


502  Sohmid)  und  Tbaulow  :  Gymnasialpaedagogik« 

geändert  wird,  gewinnt  dadorch  einen  neuen  Sinn.  Auf  diesen  Grand- 
satz  stützt  sich  die  Einrichtung  des  seit  1849  in  Leipzig  bestehenden 
modernen  Gesamtgymnasiums,  in  welchem  auf  die  Elementarschule  su- 
nächst  eine  deutsche  Schule  folgt,  dann  eine  englische,  darauf  eine 
französische  und  endlich  die  parallelen  Anstalten:  das  Realgymnasiamr 
und  das  gelehrte  Gymnasium.  Schmidt  bemerkt  (S.  254)  ausdrücklicb, 
dasz  der  Lehrplan  jener  Anstalt  dem  seinigen  am  verwandtesten  sei. 
Schmidts  Progymnasium  hat  übrigens  nicht  weniger  als  zwölf  Klassen, 
s^ehn  halbjährige  und  zwei  einjährige ;  es  umfaszi  also  sieben  Lebens- 
jahre, von  denen  die  beiden  ersten  das  Deutsche  mit  je  8  Stunden  vor- 
walten lassen ,  die  beiden  folgenden  das  Englische  mit  je  10  Stunden 
einführen  und  fortsetzen*.  Darauf  tritt  mit  ebenfalls  10  Stunden  ab 
vorwaltender  Gegenstand  das  Französische  ein  und  in  den  beiden  leli^ 
ten  Cursen  das  Lateinische,  das  aber  nur  je  6  Stunden  auf  sich  ver- 
einigt. Wir  möchleu  nun  wissen,  wo  hier  jene  viel  gerühmte  Aus- 
gleichung und  Einigung  des  humanistischen  und  realistischen  Princips 
stecken  soll?  Von  der  Eigcnthumlichkeil  des  Gymnasiums  finden  wir 
hier  nichts  mehr,  als  dasz  überhaupt  eine  Sprache  in  den  Mittelpunkt 
der  Studien  gestellt  wird.  Ein  Einigungspunkt  wäre  hier  nur  gegeben, 
M'enn  man  sich  auf  den  abstractesten^  formalistischen  Standpunkt  der 
Kraftentwicklung  stellte;  soll  aber  die  Sprache,  sollen  namentlich  die 
alten  Sprachen  in  das  Verständnis  der  entsprechenden  Cnltur  einfuh- 
ren und  Mittel  und  Weg  (ur  Erschaffung  'der  groszen  Vorbedingungen 
unserer  geistigen  Existenz  in  ihren  edelsten  und  schönsten  Zügen  auf- 
schlieszen,  so  stehen  jene  breiten  Massen  von  jahrelangem  betreiben 
des  Englischen  und  des  Französischen  in  sämtlichen  Kernstunden  des 
Tages  nicht  als  Vorbereitung  zum  klassischen  Studium  da,  sondern 
als  ganz  fremde  Elemente.  Wir  können  sagen  als  feindliche  Elemente. 
Das  ganze  Leben  des  klassischen  Alterthums  ist  ein  nationales.  Unsere 
eigene  Erneuerung  nationalen  Lebens  hat  das  Feuer  ihrer  Begeisterung 
in  den  edelsten  Führern  des  deutschen  Volkes  an  dem  Feuer  der  Grie- 
chen und  der  Römer  entzündet.  Und  das  konnte  geschehen,  weil  das 
Leben  jener  Nationen  abgeschlossen  ist  und  uns  auf  praktischem  Ge- 
biete fern  liegt.  Griechen  und  Römer  sind  nicht  unsere  Concurrenien. 
Das  sind  die  Engländer  und  Franzosen  doch.  Sollen  unsere  Knaben 
etwa  mit  dem  Geistesnahrungsmittel  der  englischen  Sprache  auch  den 
unerträglichen  Egoismus,  und  Hochmut  der  englischen  Nation  als  allein 
berechtigt  anbeten  lernen?  Sollen  sie  sich  an  der  Marseillaise  be- 
geistern oder  an  imperialistischen  Hochgedanken  zum  erstenmal  einen 
lebendigeren  Schlag  des  jungen  Herzens  für  grosze  und  weltbewegende 
Ideen  spüren?  0  nein,  das  hat  Schmidt  nicht  gewollt,  daran  hat  er 
nicht  gedacht!  Sie  sollen  die  Sprachen  lernen,  die  reichen  Schätze 
der  Litte ratur  sollen  ihnen  zugänglich  werden.  Allein  wir  fragen, 
was  hülfe  es  ihnen,  wenn  sie  die  Schütze  der  ganzen  Weltlitteratur  ge- 
wönnen und  nähmen  Schaden  an  ihrem  Charakter?  Zehn  Stunden  wö- 
chentlich sind  kein  Kinderspiel,  und  es  gibt  keinen  Gewinn,  der  nicht 
bezahlt  würde,  keine  Lichtseite,  der  nicht  ein  Schatten  entspräche. 


Schmidt  and  Thaulow :  Gymnasialpaedagogik.  503 

Schmidt,  der  in  seinem  gemütliohea,  phantasievollen  Oplimi^miis  von 
Schattenseiten  sich  bei  seinen  schönen  Kartenliäusern  nichts  träumen 
läszt,  der  die  widersprechendsten  Vorzüge  auf  dem  Papier  zu  gleicher 
Zeit  zu  erreichen  weisz  und  fast  in  jeder  Zeile  dreimal  das  unmög- 
liche leistet,  wird  schwerlich  zu  der  Einsicht  der  directen  Gefähr- 
lichkeit seiner  Plane  gelangen;  wir  wollen  sie  aber  augedeutet  ha- 
ben.   Zu  den  Unmöglichkeiten  dürfen  wir  dreist  auch  die  Leistungen 
rechnen,  welche  dem  humanistischen  Obergymnasium  vorbehalten  sind, 
dem  einzigen  Theile  der  Schmidt^schen  Phantasieanstalt,  dem  wir  den 
Mameo  eines  Gymnasiums  zugestehen  möchten.    Für  dieses  Obergym- 
nasium  sind  im  ganzen  noch  vier  Jahrescurse  übrig.    In  diesen  ist  das 
Griechische  mit  zweimal  7  und  zweimal  6  Stunden  zu  beginnen  und  zu 
vollenden.     Und   dabei   auszert  Schmidt   auf  S.  178:   ^Das  wäre  ein 
schlechtes  humanistisches  Gymnasium ,  das  einen  seiner  Zöglinge  für 
>eif'  erklären  könnte,  der  nicht  in  die  hauptsächlichsten  griechischen 
Kunstwerke  eingedrungen  und  Homers  Iliade  und  Odyssee,  so   wie 
mehrere  Tragoedien  von  Sophokles  und  von  Plato  die- 
jenigen Werke,  aus  denen  das  göttliche  Bild  desSokra- 
ies  herauslouchtet,  gelesen  hätte  und  damit  in  die  Welt  der  Ideuo 
eingeführt  wäre ,  durch  die  ihm  der  Gehalt  seines  eigenen  idealen  Le- 
beas  offenbar  werden  musz.  —  Das  Griechisehschreiben  soll  in 
Einübung  der  Grammatik,  so  wie  im  variieren,  excerpie- 
ren   und   concentrieren  des  gelesenen  bestehen,  um  dadurch  in 
den   Geist   des   griechischen  denkens  einzudringen.'    Ihiezu 
wird  F.  A.  Wolf  citiert,  der  aber  freiUch  nur  von  ExempIiGcalion  der 
Grammatik  in  Tertia  und  Secunda  spricht.    Bekanntlich  brauchen  wir 
in  Sachsen  und  Preuszen  mindestens  um  die  Hälfte  mehr  Stunden,  um 
es  schliesziich  daliin  zu  bringen,  dasz  unsere  Schüler  mit  einigem  Ge- 
nusz  die  leichteren  Schriften  von  Plato  und  die  eine  oder  andere  so- 
phokleische  Tragoedie  lesen.     Griechische  Scripta  sind  in  Preuszen 
neuerdings  eingeführt.    Ihr  Nutzeu  ist  qualitativ  ebenso  unverkennbar 
als  ihr  Schaden,  der  in  der  Verkürzung  der  ohnehin  knapp  gemcsseueu 
Zeit  für  die  Leetüre  besteht;  wir  hoffen,  dasz  ersterer  sich  bei  genü- 
gender Erfahrung  als   überwiegend  erweisen   möge;   sollten   unsere 
Schüler  aber  auch  noch  mit  variieren ,  excerpieren  und  concentrieren 
des  gelesenen  sich  befassen ,  so  möchte  noch  mancher  Lehrer  mit  sei- 
nem Sophokles  schliesziich  arg  ins  Gedränge  kommen  oder  nach  mehr 
Stunden  seufzen.  —  Doch  Kritik  rentiert  sich  hier  kaum;  wir  wollen 
nor  noch  kurz  berichten ,  dasz  der  Verfasser  (nach  S.  176)  auch  das 
Lateinschreiben  und  das  Lateinsprechen  beibehalten  will,  und  zwar  bei 
sechsjährigem  Cursus  zu  4mal  6  und  2mal  7  Stunden,  während  er  doch 
zugleich  wesentlich  der  materialen  Richtung  huldigt  und  das  Haupt- 
gewicht allenthalben  auf  das  erfassen  des  Geistes  der  Alten  und  das 
eindringen  in  den  Inhalt  ihrer  Schriften  legt,  mit  einem  Worte:  auf 
die'  culturgeschichtliche  Seite   der  Alterthumsstudien.    Was  die  Me- 
thodik betrifft ,  so  wird  im  Anschlüsse  an  Döderlein  (S.  239  f.)  für 
allen  Sprachunterricht  ein  besonderes  Gewicht  gelegt  auf  Wörterleruen. 


504  Schmidt  and  Thanlow :  Gymnasialpaedagogik. 

Das  wäre  wieder  nicht  übel,  aber  jeder  Lehrer,  der  das  g'etrieben  haf, 
wird  wissen,  dasz  es  wenigstens  keine  Sehne Ilmethode  ist,  und  wenft 
Schmidt  (S.  240)  daneben  anch  gleichzeitig  Interlinear  -  Uebersetsnn- 
gen  verlangt,  deren  Hauptbedeutung  gerade  darin  besteht,  dasz  sie  die 
Vocabeln  aus  der  Sprache  statt  die  Sprache  aus  den  Voca bell 
hervorgehen  lassen  —  dann  wissen  wir  wirklich  nicht  mehr,  was  wir 
ZV  solcher  Methodik  sagen  sollen.  Wir  sehen  einen  Kreisel  mit  den 
glänzendsten  Farbenradien :  kein  Conplement  ist  vergessen :  nnn  tanze 
der  Kreisel,  so  haben  wir  aschgrau.  Man  wird  sich  nach  diesen  Ober 
folgende  Stelle,  die  das  Ziel  des  Geschichtsunterrichtes  auf  Gymnasien 
bezeichnet ,  nicht  mehr  zu  sehr  wundern :  - 

^Eine  Uebersicht  über  d^e  allgemeine  Geschichte,  die  zugleich  ein 
Einblick  in  die  Gesetze  des  Menschengeistes  ist ,  in  der  die  Entwick- 
lung der  Menschheit  als  ein  alle  Zufälligkeiten  von  sich  ansschlieazen- 
d\e8  organisches  gans^  erscheint  und  die  nicht  nach  ausspeculierten 
hineingetragenen  Principien  constrniert  wird,  sondern  aus  dem  that- 
sächlichen  Stoff  der  Geschichte  heraus  die  weltgeschichtliche  Entfal- 
tung der  Menschheit  nachweist,  beschlieszt  den  Geschichtscursus  des 
Gymnasiums  und  ist  für  den  Gymnasiasten  zugleich  ein  Unterricht  in 
der  Politik,  indem  er  im  Griecheiithum  die. individuelle  Lebendigkeit 
des  Staatslcbens ,  dem  der  objective  Hintergrund  fehlt,  im  römischen 
Staate  die  objective  Gestaltung  und  Entwicklung  mit  Vernichtung  de? 
Individnalität,  bei  den  Romanen  die  Centralisation  und  bei  den  Germa- 
nen Se  Individualisierung  des  Staatsorganismus  findet,  —  des  Staates, 
^er  nur  dann  wahrhaft  organisch  sich  entwickelt,  wann  er  ein  Abbild 
der  Natur,  ein  Abbild  des  Nenschenorganismus  ist,  der  eben  so  wenig 
als  das  einzelne  Individuum  nach  einem  abstracten  Ideale  vorwärtsgeht, 
dem  sich  aber  das  Individuum  zu  unterwerfen  bat,  weil  ihm  in  den 
Staatsgesetzen  seine  eigenen  Wesensgesetze  entgegentreten'  (S.2d2f.). 

Diese  Stelle  gehört  nicht  zu  den  excentrischen;  sie  ist  vielmehr 
bezeichnend  fär  den  mittleren  Ton  des  Buches.  Wer  freilich  gewohnt 
ist  zu  lesen  um  etwas  zu  lernen,  das  sich  im  einzelnen  jils  probehaltig 
erweisen  möchte,  für  den  sind  solche  Sätze  sinnlose  Declamationen; 
ganz  anders  aber  sieht  sie  der,  dem  es  gelingt  in  sQszem  vergessen 
der  Kritik  dem  Gesamteindruck  rauschender  Phrasen  und  hoher  Ge- 
danken sich  hinzugeben,  um  sein  eignes  denken  an  irgend  einem  der 
manichfachen  Anklänge  zu  erfrischen ,  seinen  Mut  zu  beleben  und  sich 
von  der  gehobenen  Stimmnng  des  Autors  anstecken  und  electrisieren 
zu  lassen.  Man  darf  in  dieser  Hinsicht  nicht  gar  zu  streng  sein.  Man- 
chen ist  ein  solcher  kleiner  Rausch  Bedürfnis  und  eine  wirkliche  Er- 
quickung,  die  ihrer  Praxis  wieder  zu  Gute  kommt;  wer  die  Menschen 
beobachtet  wird  finden,  dasz  es  dabei  auf  den  verstandesmäszigen  In- 
halt sehr  wenig  ankommt.  So  zweifeln  wir  nicht,  dasz  auch  Schmidts 
Buch  manchem  Leser  willkommen  sein  werde.  Wir  rufen  ihnen  gerne 
ein  prosit  zu,  können  aber  kaum  erwarten,  dasz  sich  aus  der  nüchter- 
nen und  besser  geschulten  Mehrzahl  der  jungen  Gymnasiallehrer  man- 
Mcher  anter  ihnen  befinden  werde. 


Scbmidt  und  Thaulow :  GymuasialpaeJagogik.  505 

Ein  ganz  anderes  Bild  eröffnet  sich,  indem  wir  uns  zu  Thaulow 
und  seiner  Gymnasialpaedagogik  wenden.  Der  Philosoph  ist  ohne  Zwei- 
fel praktischer  als  der  praktische  Schulmann,  nicht  nur  weil  er  we- 
■iger  auf  dem  Ocean  i%r  Phantasie  umherschweift,  wo  keine  Erfahrung 
Mehr  dem  spähenden  Auge  Ankergrund  zeigt,  weil  er  sich  enger  awr 
den  thalsachlichen  Zustand   unserer  Gymnasien   anschlieszt  und  die 
Wirklichkeit,  wenn  auch  auf  Umwegen,   zu   ihrem   Hechte  kommen 
lüszt,  sondern   namentlich  auch  deshalb,   weil  seine  Constructionen, 
•tatt  wie  bei  Schmidt  in  tausend  Farben  zu  schillern,  eine  feste  Kich- 
tang  haben  und  halten  und  mit  der  Durchführung  eines  Frincips  Ernst 
machen.  Thaulows  Buch  hat  schon  deswegen  einen  bleibenden  Wertb, 
weil  es  bei  seiner  couseqnenten  Durchfuhrung  IlegePscher  Methode  zu- 
gleich eine  nicht  unbedeutende  Ergänzung  zu  dem  Systeme  des  groszen 
Metaphysikers  nachträgt.  ,Dasz  dies  gerade  in  eine  Zeit  fällt,  in  der 
die  langjährigen  Tauschungen  über  den  wahren  Charakter  des  HegeP- 
gehen  Systemes  dem  verschwinden  nahe  sind,  ist  für  Thaulows  Gym- 
nasialpaedagogik  so  ungünstig  wie  für  manche  seiner  früheren  Arbei- 
ten, ohne  uns  deshalb  zu  einem  geringschätzigen  Urteil  Über  den  inne- 
ren Werth  des  Buches  zu  berechtigen.    Es  ist  uns  daher  eine  wahre 
Herzenssache  hier  ülTentlich  gegen  die  Leichtfertigkeit  zu  protestieren, 
in  der  das  Buch,  von  dem  wir  reden,  inZarnckes  litterarischem 
Centralblatt  abgemacht  worden  ist.     Dieses  Blatt,  das  bei  aller 
Ungleichheit  seiner  Elle   doch  im  ganzen  wenigstens  das  Kriterium 
•eibständiger  Wissonschaftlichkeit  mit  philologischer  Schärfe  anwen- 
det, liesz  Körners  Geschichte  der  Paedagogik  mit  einem  wol- 
wollendcn  Blicke  passieren  und  fahrt  dagegen  über  Thaulows  Gym- 
oasialpaedagogik  mit  leidenschaftlichem  Eifer  los.    Von  einer  eigent- 
lichen Vertheidigung  Thaulows  gegen   die  sinnlosen  Invectiven  des 
Kritikers  im  Centralblatle  kann  hier  natürlich  keine  Rede  sein;  wir 
wfinschen  nur,  dasz  ihm  unser  Protest  gegen  jene  Behandlungsweise 
feiner  Schrift  um  so  mehr  Genugthuung  gebe,  da  er  von  einem  ent- 
echiedenen  Gegner  der  HegePschen  Philosophie  herrührt.    Inwiefern 
«ch  jener  Protest  gegen  wegwerfende  Urteile,  jene  relative  Hoch- 
eeh&tzung  Thaulows  wie  seines  Meisters  Hegel  mit  einer  entschiede- 
oen  Verwerfung  der  dialectischen  Methode  als  einer  Methode  derSelbst- 
liaschung  vereinige,  das  ist  eine  Frage,  deren  Beantwortung  wir  H  ay m 
gegen  Rosenkranz  überlassen  wollen;  selbst  auf  eine  principielle 
Erörterung  des  Wesens  jener  Methode  können  wir  uns  hier  nicht  ein- 
lassen. 

Thaulow  legt  nicht  nur  die  HegePsche  Methode  in  ihrer  ganzen 
Strenge  seineu  Constructionen  zu  Grunde:  er  trotzt  auf  sie.  *Die  Er- 
fahrung (§  41)  bringt  es  nie  zum  Zweckbegriff,  unter  welchem  alles 
einzelne  zu  subsumieren  allein  das  Wesen  einer  Wissenschaft  aus- 
macht', . .  .  Vodurch  (§  55)  alllfth  ein  wissen  wissen  wird,  ist  der 
system.itische  Zusammenhang.'  *Auf  diesen  systematischen  Zusauimen- 
Itai^ß  (§  ^6)  ist  der  ganze  Accent  zu  legen.  Er  bringt  von  selbst  die 
dialectische  Methode  mit  sich,  d.  h.  die  Ein-  und  Unterordnung  jedes 


506  Schmidt  nnd  Thaulow :  Gymnasialpaedagogik. 

einzelnen  in  seinen  naturgemässen  Zusammenhang  innerhalb  des  gan- 
zen.' *Es  gibt  (§  58)  keinen  unwissenschaftlicheren  Standpunkt  als 
den,  bei  einem  sporadischen  wissen  zu  verharren.'  ^Dgr  Zweckbegriff 
(§  160)  befreit  von  abstract  allgemeinen  Ansichten  und  subjecliven 
"Meinungen.  Er  ist  die  Natur  der  Sache  selbst  —  das  darstellende 
Snbject,  welches  dem  Zweckbegriff  der  Sache  folgt,  geht  in  die  Sache 
anf.^  ^Da  nach  dem  Begriff  der  Entwicklung  jede  Idee  concret  ist,  so 
setzt  sie  ihre  Momente  durch  sich  selbst  in  die  Erscheinung,  ist  erst 
durch  die  Totalitat  ihrer  Momente  am  Schlüsse  ganz.  DemgemSsz  dul- 
det diejenige  Methode ,  die  nach  dem  Begriffe  der  Entwicklung  ver- 
fährt, keine  isolierte  Betrachtung  eines  Moments,  sondern  verlangt,  dasz 
man  der  Darstellung  bis  zum  Schlüsse  folge,  um  ein  einzelnes  in  ihr 
richtig  beurteilen  zu  können.' 

In  diesen  Ausdrücken  kann  man  einige^  Annäherung  an  Trendelen- 
burg wie  anderwärts  oft  an  Schleiermachor  finden,  sie  geht  aber  nie 
über  die  feine  Linie  der  strengsten  HegePschen  Orthodoxioi  hinaus. 
Zu  dieser  zahlen  wir  es  auch ,  wenn  Thaulow  in  §  162  von  der  ^Thor- 
heit  der  Ansicht'  spricht,  ^dasz  solche  Methode  etwas  apartes,  irgend 
eines  einzelnen  Menschen,  etwa  Hegels  oder  Fichtes  sei.'  Es  ist  eine 
der  unentbehrlichsten  und  einfachsten  Consequenzen  des  Hegerscheo 
Systems,  zu  fordern,  dasz  die  dialectische  Methode  nicht  nur  allge- 
mein gültig,  sondern  auch  allgemein  wirklich  sei,  Mie  Methode, 
die  jeder  Mensch  in  seinem  Kopfe  voründet,  dasz,  wenn  dasjenige, 
was  Gegenstand  der  Beurteilung  ist,  nichts  zufälliges  ist,  es  sich  noth- 
wendig  nach  bestimmten  Gesetzen  aus  sich  selbst  im  Zusammenhang 
entwickeln  musz.' 

Thaulow  gehört  aber  nicht  nur  durch  diese  äuszere  Strenge  in 
der  Einhaltung  der  dialectischen  Methode  zu  den  gediegensten  Anbin- 
gern  Hegels,  welche  die  Gegenwart  noch  aufzuweisen  hat,  sondern 
namentlich  auch  durch  den  Geist  der  Hingabe  an  das  Objcct,  des  liebe- 
vollen, rastlosen  Studiums  der  gegebenen  Verhältnisse  in  ihrer  ge- 
schichtlichen Entwicklung:  ein  Studium,  dessen  Resultate  sich  in  der 
Ueberkleidung  des  begrifflichen  Skeletts  mit  lebendigem  Fleisch  und 
Blut  verrathen  und  belohnen.  Können  wir  uns  auch  der  Anschauung 
nicht  erwehren,  dasz  aus  den  hier  allenthalben  durchblickenden  histo« 
rischen,  statistischen  und  litterarischer^Studien  bei  Befolgung  eines  po- 
sitiven und  kritischen  Ganges  statt  des  speculativen  eine  ungleich  be- 
deutendere Arbeit  hätte  erwachsen  können,  so  müssen  wir  auch  wieder 
einsehen,  dasz  ohne  Tbaulows  speculative  Richtung  auch  seine  that- 
sächlichen  Studien  —  ein  Element,  durch  das  er  unsere  Herbartiani- 
schen  Paedagogiker  weit  überragt  —  schwerlich  entstanden  sein  wür^ 
den.  In  diesem  Sinne  glauben  wir  daher  auch  nicht  einmal  unbedingt 
den  Standpunj^t  des  Verfassers  zu  negieren,  wenn  wir  die  einzelnen 
historischen,  staatswissenschafllich^  und  paedagogischen  Sätze  seines 
Buches  im  ausdrücklichen  Widerspruch  gegen  seine  Forderungen  haupt- 
sächlich in  Rücksicht  auf  ihren  Werth  an  sich  und  nicht  auf  ihren  Werth 
im  System  untersuchen.    Wird  er  uns  auch  nicht  zugeben,  was  wir 


Schmidt  und  Thaulow :  Gymnasialpaedagogik.  507 

fealhalten ,  dasz  die  wahre  Wissenschaftlichlieit  gerade  im  behanpten 
der  wie  immer  sporadischen  Thatsache  and  in  der  ars  nesciendi  be- 
steht,  die  sich  jeder  erfahrungsfremden  Construction  gegenuberstelU: 
80  wird  er  wenigstens  das  zugeben  müssen,  dasz  die  begrifflichen  Cou- 
slructionen,  worin  auch  immer  ihr  eigenthümlicher  Werth  erblickt 
wird,  jedenfalls  an  den  unverkennbaren  Grundzugen  der  thatsächlichen 
Entwicklung  ihr  Regulativ  haben. 

Thaulows  Motto  ist   das  Wort   des  Wachtmeisters  in  Wallen^ 
Steins  Lager: 

^Das  ist  all  recht  gut, 

Dasz  jeder  das  seine  bedenken  thut;  v 

Aber,  pflegt  der  Feldherr  zu  sagen, 

Man  musz  immer  das  ganze  überschlagen.'  ' 
Es  folgt  eine  Widmung  an  Dein  bar  dt,  als  Begründer  der  Gym- 
nasialpaedagogik, an  Nitzsch  als  an  einen  befreundeten  Philologen, 
der  die  paedagogische  Bildung  der  Gymnasiallehrer  zu  schätzen  weisz, 
an  den  Etatsrath  Trede,  den  Inspector  der  Gelehrtenschulen  in  Hol- 
stein, an  Karl  von  Raumer.  —  Das  Vorwort  zeigt,  wie  nach  Voll- 
endung der  metaphysischen  Grundlegung  des  HegePschen  Systems  die 
Ethik,  als  deren  Begründer  Schleiermacher  gepriesen  wird,  hätte  in 
den  Vordergrund  treten  müssen,  von  der  die  Paedagogik  wie  die  Po- 
litik abhänge.  Es  sei  begreiflich,  dasz  die  Paedagogik  erst  spät  an 
die  Reihe  komme,  allein  manche  Zeichen  sprechen  auch  dafür,  dasz  der 
Zeitpunkt  einer  häufigeren  Bearbeitung  dieser  Wissenschaft  nicht  mehr 
sehr  fern  liege.  Das  hier  gebotene  Buch  sei  aus  dem  praktischen  Be- 
dürfnisse der  Vorlesungen  hervorgegangen,  die  früher  8  Stunden  wö- 
chentlich (!)  oder  4  Stunden  wöchentlich  zwei  Semester  hindurch  (!) 
in  Anspruch  genommen  hätten :  ^Mehr  als  eine  vierstündige  Semester- 
vorlesung darf  eine  Vorlesung  über  Gymnasialpaedagogik  nicht  bean- 
spruchen und  kann  ein  Docent  nur  mit  Hülfe  eines  Handbuches  diese 
Wissenschaft  in  4  Stunden  wöchentlich  absolvieren,  so  musz  er  seinen 
Zohörern  ein  solches  schaffen.'  Der  Vf.  beklagt  den  Znstand  unserer 
Univer^täten,  diejmmer  weniger  im  Stande  seien,  der  Ausdehnung 
der  Wissenschaften  zu  genügen,  zum  Theil,  weil  man  sich  nicht  ent- 
sehliesze  Lehrbücher  einzuführen  und  den  Vortrag  danach  einzurichten. 
In  der  Gymnasialpaedagogik  könne  etwas  schlechthin  befriedigendes 
förs  erste  noch  gar  nicht  geleistet  werden.  *Er  ist  zufrieden,  wenn 
Freunde  und  Gegner  nur  ein  tüchtiges  streben,  Vollständigkeit  der  An- 
lage im  ganzen,  Gründlichkeit  im  einzelnen  in  dieser  Arbeit  anerken- 
nen werden.'  ^Das  einzige,  was  der  Verfasser  als  der  Aufgabe  nach 
für  ein  unantastbares  in  Anspruch  nimmt,  ist  der  letzte  Satz  des  vor- 
gestellten Moltos,  die  systematische,  die  das  ganze  in  einem  inneren 
Zusammenhange  darstellende  Fassung  des  Grundrisses,  und  zwar  vor 
allem  um  seiner  Zuhörer  willen.  Es  setzt  der  Grundrisz  wegen  dieser 
seiner  systematischen  Form  ein  sehr  anhaltendes  und  ernstes  Studium 
voraus,  worauf  es  bei  akademischen  Vorlesungefi  vorzüg- 
lich, vielleicht  einzig  und  allein  ankommt.'    Weiter  kann 


508  Schmidt  and  Thaulow :  Gymnasialpaedagogik. 

man  den  Formalismas  nicht  treiben  als  hier  geschieht.  Wenn  dem 
Werth  des  Stoffes  nichts  mehr  zukommen  soll,  so  mögen  wir  immerhin 
wieder  zar  Scholastik  zurückkehren.  Die  war  doch  noch  vollstan- 
diger  zum  ganzen  gefugt  als  irgend  etwas ,  das  selbst  Hegels  System 
bieten  könnte! 

^Was  nun  die  allgemeine  Richtung  betrifft,  die  sich  in  diesem 
Grundrisse  ausspricht,  so  berechtigen  die  beiden  Gymnasialerlasae in 
«Preaszen  vom  7.  und  12.  Januar  1856,  welche  den  Normalplan  für  den 
Gymnasialunterricht  vom  24.  October  1837  und  das  Abiturientenprfl- 
fungsreglement  vom  4.  Juni  1834  so  bedeutend  modificieren,  auszer  so 
vielen  sonstigen  Stimmen  bedenlender  Gymnasiallehrer  in  letzterer 
Zeit  zu  der  Annahme,  dasz  ein  Werk,  welches  aus  Sehnsucht  nach 
Vereinfachung  des  Gymnasialunterrichtes  geboren  wurde ,  im  Kreise 
der  Gymnasiallehrer  einige  Freunde  finden,  nnd  dasz  einer,  der  Ge- 
dächtnis, Autorität  und  Glauben  zum  Frincip  des  Jagend- 
nnterrichtes  und  der  Jugenderziehung  macfit,  das  denken,  die  Frei- 
heit und  das  wissen  (voriaig)  in  das  reifere  Jünglings-  und  in  das 
Mannesalter  verlegt,  der* Tendenz  nach  einigen  seiner  Zeitgenossen 
nicht  unwillkommen  sein  wird.'  Wir  fürchten  dasz  Thaulow  in  dieser 
Hoffnung  sich  tauscht,  und  dasz  gerade  die  Zeitgenossen,  auf  welche 
man  die  Worte  beziehen  müste,  am  wenigsten  Lust  haben  werden,  ihre 
Operationen  an  die  Geböude  eines  philosophischen  Systems  zu  lehnen. 
Stichworle  vereinigen,  aber  sie  vereinigen  doch  nur  die,  welche  wirk- 
lich auch  innerlich  zusammengehören.  Was  die  prcuszischen  Regula- 
tive vom  7.  und  12.  Januar  betrifft,  so  suchen  bekanntlich  3ie  ver- 
schiedensten Parteien  sich  dieselben  als  ihres  Geistes  Kinder  anzu- 
eignen. Vereinfachung  oder  Concentration  des  Unterrichts  suchen  in 
Hessen  Thiersch  und  Waitz  in  der  Verwerfung  möglichst  vieler  Fächer, 
wahrend  die  prcuszischen  Erlasse  namentlich  auf  innere  Harmonie  der- 
selben hinweisen;  diese  fassen  die  Harmonie,  aus  welcher  Concentra- 
tion der  Wirkung  hervorgeht,  ausdrücklich  in  materieller  Bedeutung, 
während  bei  Thaulow  fast  nur  die  formelle  hervortritt.  Diese  nnd 
andere  Differenzen  scheinen  so  erheblich,  dasz  Thaulow,  wenn  er 
überhaupt  auf  eine  Partei  reflectieren  wollte,  was  wol  kaum  seine  Ab- 
sicht ist,  weit  besser  Ihate,  gegen  den  gegenwärtig  allenthalben  sich 
regenden  paedagogischen  Materialismus  in  bewuste  Opposition  zu  tre- 
ten jmd  die  Trümmer  der  alten  formalistischen  Phalanx ,  durch  selbst- 
geworbene Schüler  verstärkt,  aufs  neue  in  den  Kampf  zu  führen. 

In  einer  24  Seiten  umfassenden  Einleitung  bespricht  der  Vf.  Noth- 
wendigkeil  und  Wesen  der  Gymnasialpaedagogik:  die  Lehrer  und  ler- 
nenden dieser  Wissenschaft,  ihren  Umfang,  Gang,  Eintbeilung  und  die 
Quellen.  Obwol  der  Plan  des  Buches  leider  eigentliche  Citate  und  ge- 
naue Litteraturnachweise  als  der  mündlichen  Erläuterung  vorbehalten 
ausschlieszt,  so  ist  doch  der  Abschnitt  über  die  Quellen  als  eine  ge- 
drängle Uehersicht  des  wichtigsten  in  freilich  oft  sehr  kurzen  Andeu- 
tungen zu  empfehlen.  Wir  haben  hier,  wie  in  dem  nächstfolgenden 
^ersten  Buche',  das  eine  Ueborsicht  über  die  Geschichte  der  Gymna* 


Schmidt  und  Thaulow:  Gymnasialpaedago^k.  509 

sien  entbilt,  Proben  der  objectiven  Studien  Thaulows,  die  afts  weit 
gediegener  scheinen  als  die  Art,  in  der  in  den  10  ersten  Paragraphen 
des  Baches  eine  ^erste  allgemeine  Orientierung'  gegeben  und  sodann 
die  Noth]^endigkeit  der  Gymnasialpaedagogik  als  Wissenschaft  nach- 
gewiesen wird.  Thaulow  äuszert,  dasz  in  der  groszen  Vertrautheit 
(§  3)  ^^^  allgemeinen  Bewustseins  mit  dem  Gegenstande  theilweise 
der  Grund  liege,  weshalb  eine  Gymnasialpaedagogik  als  Wissenschaft 
Iflr  selbiges  eben  nicht  vorhanden  ist.  Einen  erwünschteren  Anlasz 
könnten  wir  nicht  finden,  um  den  Unterschied  zwischen  einer  specula- 
tiven  und  einer  positiven  Wissenschaft  in  helles  Licht  treten  zu  sehen. 
Was  ist  dem  allgemeinen  Bewustsein  vertrauter  als  der  Ackerbau? 
Und  doch  genieszen  alle  Wissenschaften,  die  sich  auf  ihn  beziehen, 
das  gr&ste  Ansehen.  Warum?  Weil  derjenige,  der  sie  studiert,  eini- 
ges lernt  und  weisz,  was  andere  nicht  wissen.  Nun  koijrime  ein  Philo- 
soph und  behaupte,  dasz  dies  wissen  gar  kein  wissen  ist^dasz  es  erst 
ans  einem  Princip  heraus  erfaszt  werden  musz ,  dasz  das  einzige,  was 
ans  der  Landwirthschaflslehre  eine  Wissenschaft  machen  könne,  der 
ihDere  systematische  Zusammenhang  sei;  er  suche  den  ZweckbegrifF 
der  Landwirthschaft,  entwickle  ihn  nach  dialectischer  Methode,  lasse, 
ein  Moment  nach  dem  andern,  die  bekannten  Dinge  in  einem  unbekaftn- 
ten  Zusammenhange  auftreten:  *wir  glauben,  es  würden  gar  wenige 
fein,  die  nach  diesem  Werke  Verlangen  trügen,  obschon  es  seinen 
Werth  haben  möchte.  Umgekehrt  liefere  uns  jemand  ein  Buch,  aus 
dem  wir  erfahren,  wie  sich  im  Mittel  die  Gymnasialzeugnisse  zu  den 
Erfolgen  des  Lebens  verhalten?  Wie  viel  Procente  derjenigen  Staats- 
beamten und  anderer  Manner,  die  eine  erfolgreiche  Laufbahn  gehabt 
haben,  gute,  wie  viele  schlechte  Schüler  waren?  In  welchen  Graden 
ond  Abstufungen?  Ob  und  wie  sich  beim  Durchschnitt  ans  gröszeren 
Zahlen  die  frühe  Neigung  für  verschiedene  Fächer  geltend  macht? 
Wie  sich  z.  B.  in  der  juristischen,  wie  in  der  theologischen  Praxis  der 
gute  Mathematiker  zum  guten  Philologen  verhält?  In  welchem  Ver- 
hältnis Neigungen  zu  diesem  Mer  jenem  Fache  im  Verlauf  der  Gym- 
■asialzeit  constant  bleiben  oder  zu  wechseln  pflegen?  Ob  der  Unter- 
sehied  stadiischer  oder  ländlicher  Abkunft  sich  in  solchen  Neigungen 
verrfith  und  wie?  Welches  das  mittlere  Masz  der  Arreststrafen  oder 
eingetragener  Verweise  in  den  unteren  Klassen  ist?  Ob  und  wie  die 
Jahreszeiten,  Anfang  und  Ende  des  Cursus  darauf  einwirken?  .Wie 
unsere  Gymnasfhlschüler  im  Vergleich  mit  andern  Ständen  physisch 
wachsen?  Ob  und  wie  Schnelligkeit  oder  Verzögerung  des  Wachs- 
thoms  auf  die  mitlleren  Leistungen  im  Unterrichte  einwirken?  — 
Man  sieht,  dasz  sich  hundcrt^ähnliche  Fragen  stellen  lieszen,  die  alle 
einer  zukünftigen  Beantwortung  harren.  In  einem  Lande  wie  Preuszen, 
ja  für  manche  Fragen  schon  in  einer  einzigen  Provinz,  au  einer  ein- 
zigen gröszeren  Anstalt  lieszen  sich  durch  fortgesetzte  Beobachtungen 
hinlänglich  grosze  Zahlen  gewinnen,  um  ein  Resultat  ziehen  zu  dürfen. 
Doch  wir  wollen  uns  hier  nicht  in  Empfehlung  dessen,  was  sein  sollte, 
rerlieren.    Fingieren  wir  aber  einmal,  dasz  es  ein  Buch  gäbe,  was 


510  Schmidt  und  Thaulovv  :  Gymnasialpaedagogik. 

freilich  kein  einzelner  binnen  Jahresfrist  machen  könnte,  in  dem  alle 
jene  Fragen  auf  Grund  aktenmäs/jger  Forschung  und  nach  guter  ala- 
tislischer  Methode  beantwortet  wären,  und  dasz  noch  manches  andere 
aus  dieser  Gattung  mit  schlechter  aber  übersichtlicher  Anordnung  dar- 
böte? Wo  würde  die  Verachtung  der  Gymnasialpaedagogik  noch  sein? 
Weggeblasen !  Der  eine  oder  andere  Gymnasiallehrer  würde  sich  frei- 
lich in  dieses  Buch  nicht  Gnden  können;  aber  dus  gebildete  Publicun 
würde  es  lesen,  Directoren  und  Schulralhe  würden  es  sUdieren  mAs- 
sen,  und  ein  gewissenhafter  Staatsminister  könnte  es  nicht  unterlasBea, 
vor  der  Unterzeichnung  einer  Verfügung,  die  in  das  Gymnasial wesai 
umgestaltend  eingriffe,  den  Inhalt  jenes  Buches  erst  reiflich  za  beden- 
ken. So  steht  es  nun  nicht.  Was  wir  bieten  können,  ist  specalative 
Verarbeitung  des  bekannten,  und  für  dieses  Froduct  ist  und  bleibt  der 
Markt  klein,  wenig  Nachfrage.  Die  wenigen,  welche  ein  wahrhaftai 
Bedürfnis  fühlen  die  Dinge  einheitlich  zu  betrachten,  sind  meist  aoch 
befähigt  oder  bilden  sich  wenigstens  die  Befähigung  ein,  diesem  Be- 
dürfnis auf  eigene  Faust  genügen  zu  können.  Die  Lage  des  philo- 
sophischen Marktes  in  Deutschland  ist  gegenwärtig  wenigstens  so  be- 
schaffen, dasz  die  Zahl  der  Producenlen  mit  der  der  Consumenten  so 
ziemlich  gleich  ist.  —  Einen  andern  Grund,  warum  das  allgemein« 
Bewustsein  eine  Gymnasialpaedagogik  als  Wissenschaft  nicht  kenne, 
findet  der  Vf.  in  dem  Umstände,  dasz  sie  bisher  in  den  groszen  Cyclu 
der  Wissenschaften,  welche  in  ihrer  Totalität  auf  der  Universität  ihrea 
Sitz  haben,  nicht  aufgenommen  war.  Wir  brauchen  kaum  zq  bemer- 
ken, dasz  wir  dies  nicht  so  zu  verstehen  haben,  als  ob  jene  äussere 
Aufnahme  allein  solche  Wunder  wirken  könne.  Im  Gegentheil  könnte 
man  da  gerade  die  Paedagogik  zum  Beweise  nehmen,  dasz  das  nichti 
hilft.  Schon  in  den  ersten  Dccennien  des  vorigen  Jahrhunderts  lai 
Professor  Schmeitzcl  in  Halle  paedagogische  Collegia.  Derselbe 
Schmeitzel  las  auch  Statistik.  Beide  Wissenschaften  sind  seither  ii 
einer  sehr  ähnlichen  Stellung  zu  den  Universitätswissenschaften  ge- 
blieben, und  dennoch  —  wie  verschiedM  stehen  sie  in  der  ölTentlichei 
Achtung!  Thaulow  setzt  natürlich  bei  der  Aufnahme  unter  die  Uni* 
vcrsitälsstudien  auch  die  entsprechende  Behandlungsweise  voraus,  and 
als  solche  musz  ihm  von  seinem  Standpunkte  aus  die  speculative  er- 
scheinen, um  so  mehr,  da  diese  auch  die  einzige  ist,  die,  in  Preusien- 
wenifl^stens,  durch  §  20  des  Reglements  vom  20.  April  1831  von  allen 
Candidatcn  des  höheren  Schulamtes  —  mit  welchem*ErfoIge  ist  be- 
kannt —  gefordert  wird.  * 

Die  Nothweudigkeit  des  Studiums  der  Gymnasialpaedagogik  leitet 
Thaulow  zunächst  aus  der  Thatsache  ab,  dasz  durch  die  Mehrung  der 
Fächer  die  Alleinherschaft  der  Philologie  aufgehoben  ist  und  nun  um 
der  Harmonie  des  ganzen  willen  der  einzelne  sich  die  Frage  nach  den 
Zweck  seiner  Thütigkeit  stellen  müsse.  Auffallend  ist  die  Wendnag 
des  §  12:  ^Die  Regierungen,  welche  Realschulen  und  Realgymnasien 
errichtet  haben,  müsten  consequentermaszen  neben  den  philologischen 
Semiuarien,  den  früheren  ausschlieszlichen  Pflanzschulen  für  angehende 


Schmidt  und  Thaalpw :  Gymnasialpaedagogik.  511 

GynDasiallehrer ,  jetzt  auch  mathematisch -naturwissenschaftliche  Se« 
ninare  für  selbige  errichten.'  Dies  ist  ja  in  Preuszen,  auf  das  Thaa- 
low  sonst  doch  so  viel  als  möglich  Rücksicht  nimmt,  längst  geschehen ! 
Mil  Recht  wird  aber  ein  besonderes  GewiclK  daraufgelegt,  dasz  das 
Gymnasium  nicht  allein  eine  Unterrichts-,  sondern  auch  eine  Erzie- 
liBttgsanstaU  ist.  ^Denn  (§  21)  ein  Blick  auf  unsere  Zeit  wird  . . .  zei- 
gen, dasz  jetzt  nicht  so  sehr  Mangel  am  wissen  unserer  Gegenwart 
sam  Vorwurf  gemacht  werden  kann,  als  vielmehr  Mangel  an  Adel, 
UBerschütterlichkeit  und  Energie  der  Charaktere.'  Dasz  die  Gymna- 
tialpaedagogik  Wissenschaft  ist  und  nicht  nur  ein  Complex  von  Win- 
ken, wird  daraus  gefolgert,  dasz  das  Gymnasium  selbst  nichts  zufalli- 
gee,  sondern  eine  wirkliche  Idee  ist.  Der  Lehrer  dieser  Wissenschaft 
ioU  wo  möglich  Director  eines  Gymnasiums  gewesen  sein,  an  ver- 
eohiedenen  Anstalten  gewirkt  und  die  Einrichtungen  verschiedener 
Linder  kennen  gelernt  haben.  Erfahrung  könne  nicht  zu  hoch  ange- 
aohlagen  werden,  doch  reiche  sie  nicht  aus,  weil  sie  es  nie  zum  Zweck- 
begrilT  bringe.  Wer  auch  immer  Gymnasialpaedagogik  lehre,  sei  er 
Philolog  wie  Lübker  und  Kapp,  sei  er  Mathematiker  wie  Deinhardt, 
oder  Theolog  oder  Staatsmann  —  immer  würde  er  sie  als  Philosoph 
sehreiben  und  bei  der  Darstellung  des  ganzen  weit  über  die  Grenzen 
der  Erfahrung  hinausgehen.  Der  Umfang  der  Gymnasialpaedagogik 
wird  als  ein  sehr  groszer  geschildert  und  von  den  Zuhörern  wird 
sehen  eine  ziemliche  Reife  verlangt;  am  passendsten  sei  das  drittletzte 
oder  vorletzte  Semester. 

Das  erste  Buch,  die  ^Uebersicht  über  den  Verlauf  der  Gymnasien 
Ten  ihrer  Entstehung  bis  auf  den  heutigen  Tag'  soll  blos  propaeden- 
titehen  Charakter  haben  und  (§  62)  rein  referierend  verfahren.  ^Wollte 
08  Kritik  üben,  so  setzte  es  schon  Bekanntschaft  mit  der  Gymnasial- 
paedagogik voraus  und  könnte  höchstens  ganz  am  Ende  folgen.'  Daraus 
sehen  wir,  dasz  Thanlow  unter  Kritik  hier  die  Richtung  des  guten  und 
seblechten,  wahren  und  falschen  nach  einem  anderweitig  gegebenen 
Princip  versteht.  Es  gibt  aber,  abgesehen  von  der  rein  philologisch- 
historischen Kritik,  welche  die  Glaubwürdigkeit  der  Thatsachen  an  sich 
sn  prüfen  hat,  auch  noch  eine  pragmatische,  die  nur  durch  Nachwei- 
sang  der  wahren  Faden  des  causalen  Zusammenhangs  das  bedeutende 
vom  unbedeutenden,  das  heilsame  vom  verderblichen  sondert  und  die 
wahren  Grundsätze  so  aus  den  Thatsachen  hervortreten  laszt,  statt  sie 
in  dieselben  hineinzutragen.  Eine  kritische  Geschichte  des  Gymnasial- 
wesens in  diesem  Sinne  möchte  wol  mehr  als  propaedeutischen  Werth 
haben;  aber  selbst  was  Thaulows  Leistung  betrifft,  so  glauben  wir, 
dasz  er  sie  zu  gering  anschlägt,  wenn  et  dem  ersten  Buche  im  wesent- 
lichen nur  die  Aufgabe  stellt,  zur  Forderung  des  zweiton  zu  treiben. 
Der  Stil  dieser  Uebersicht  ist  besonders  gedrängt,  notizenhaft  und  oft 
in  blosze  Nomenclatur  ausartend.  Gerade  dies  mag  seine  praktische 
Brauchbarkeit  als  Grundlage  bei  Vorlesungen  erhöhen,  und  wir  sind 
überzeugt,  dasz  kein  Zuhörer  diesen  Theil  der  Vorträge  Thaulows  ohne 
grossen  Nutzen  hören  wird.  Wir  müssen  darauf  verzichten,  eine  ohne- 


512  Schmidt  und  Tbaulow:  Gymnasialpaedagogik. 

hin  so  gedrängte  Uebersicht  im  Auszöge  mitzatheilen,  and  wollen  an» 
daher  auch  nicht  mit  kleinen  Ausstellungen ,  die  sich  hie  nnd  da  «■- 
bringen  lassen,  aufhalten. 

Das  zweite  Buch,  die  ^Grundlage  des  ganzen',  spricht  *aber  Prineip 
und  Bestimmung  der  Gymnasien.'  Hat  man  sich  ein  für  allemal  bei  Cob- 
structipnen  a  priori  dahin  beruhigt,  dasz  man  gar  nicht  mehr  den  Mass- 
stab exacter  Logik  an  sie  anlegt  und  die  Worte  ^beweisen',  ^aafwei- 
sen',  ^nachweisen',  ^folgen'  usw.  in  einem  ganz  anderen  als  dem  ge- 
wöhnlichen wissenschaftlichen  Sinne  auffaszt,  so  wird  man  aaeh  ii 
diesem  Buche  viel  gutes  und  treffendes ,  das  an  sich  auch  in  einer  ai- 
deren  Form  hätte  gesagt  werden  können,  vorfinden.  Zwischen  deo  aieh 
bekämpfenden  Ansichten,  nach  denen  das  Gymnasium  entweder  weseot- 
lich  als  Vorbereitungsschule  zur  Universität  oder  als  selbständige  Bil- 
dnngsschule  gefaszt  wird,  steht  der  hier  entwickelte  Begriff,  daas  daf 
Gymnasium  die  Elementarschule  des  allgemeinen  oder  leitendeo  Stas- 
des  sei,  in  einer  glücklichen  Mitte.  In  der  Hervorhebung  der  elemen- 
taren Natur  des  Gymnasiums  liegt  Überhaupt,  wir  möchten  aagei  der 
moralische  Schwerpunkt  des  ganzen  Buches.  Seine  Vorzüge  wie  aaiie 
Schwächen  in  praktischer'  Hinsicht  hängen  mit  diesem  Punkte  enge  Uh 
aanimen,  und  wir  dürfen  wol  behaupten,  dasz  in  der  klaren  Uerao*» 
Stellung  dieses  Begriffes  nnd  seiner  «Consequenzen  Grand  genug  Uegt| 
um  zu  wünschen ,  dasz  jeder  Gymnasiallehrer  das  vorliegende  Werk 
lesen  möchte  und  dasz  in  der  Subsumierung  des  Gymnasiums  anter  den 
Begriff  der  Elementarschule  das  passendste  Stichwort  für  die  niehsta 
Entwicklungsperiode  dieser  Schulen  dürfte  gefunden  werden.  Mil  voll- 
kommenem Recht  erklärt  sich  daher  auch  Tbaulow  gegen  die,  übrigens 
auch  (z.  B.  von  Kapp)  aus  HegePschen  Principien  gefolgerte  Dreithei- 
lung  der  Schulen  nach  den  Stufen  der  Anschauung,  Vorstellung  and  des 
Begriffes.  Das  Gymnasium. ist  sogar  in  einem  eminenteren  Sinne  Elemen- 
tarschule als  die  Bürgerschule  oder  selbst  die  Volksschule.  ^Daria 
liegt  (§  202)  so  wenig  etwas  kränkendes  für  das  Gymnasiom,  dus 
dies  vielmehr  seine  grosze  Würde  vor  den  andern  Schulen  aosmacht; 
denn  je  gründlicher,  tiefer  nnd  umfassender  ein  Fundament  für  ein  Ge- 
bäude gelegt  wird,  um  so  mehr  ist  damit  angekündigt,  wie  groai  nnd 
erhaben  das  Gebäude  selbst  werden  wird.'  Durch  eine  besondere  Er- 
klärung (§  204)  werden  wir  zugleich  darüber  beruhigt,  dasa  Thanlow 
den  leitenden  Stand,  dessen  Elementarschule  das  Gymnasium  sein  ioll, 
nicht  mit  dem  auf  Universitäten  gebildeten  Beamtenstande  identifioiert: 
*Es  gibt  vielmehr  innerhalb  jedes  einzelnen  Standes  leitende ;  auf  dem 
Lande ,  in  den  Gewerben ,  in  der  Industrie ,  in  der  Technik,  Mechanik, 
im  ZolU,  im  Post-,  im  Militärfach  usw.,  überall  gibt  es  leitende.'  Wir 
sehen  dasz  Tbaulow,  um  mitLandfermann'^)  zu  reden,  den  ganzen  ^christ- 
lichen Adel  deutscher  Nation'  auf  den  Gymnasien  versammeln  will*  Son- 
derbar !    Sollte  man  nicht  glauben,  dasz  Thanlow  aach  mit  Landfermana 


*)  Vgl.  zum  folgenden  die  bekannte  Abhandlung:  ^zur  Revision  des 
Lehrplans  höherer  Schalen'  osw.  in  Mützells  Zeitsclir.  IX.  Jahrg.  Oetbr. 


Schmidt  und  Thaalow:  Gymnasialpaedagogik.  613 

schlieszen  mOste,  dass  es  nur  6ine  Art  von  höheren  Schalen  geben 
kann?  Was  ist  einfacher  als  dies?  Die  Aufgabe,  welche  die  leitenden 
als  solche  zu  erfüllen  haben,  ist  ein  fflr  allemal  dieselbe.  Aof  den 
speciellen  Beruf  kann  und  soll  die  Elementarschule  nicht  vorbereiten. 
Also  woher  die  Entzweiung?  Oder  will  vielleicht  auch  Thaulow  keine 
Zweiheit  der  Schulen  für  den  leitenden  Stand  ?  Der  §  205  schlieszt 
ganz  im  Sinne  Landfermanns  und  im  Sinne  von  Thaulows  eignen  Prä- 
missen: ^Ein  Gymnasium  ist  in  seiner  Wahrheit  erfaszt  immer  zugleich 
anch  eine  Realschule.'  Allein  plötzlich  werden  wir  in  §  206  belehrt, 
dasz  zu  demselben  Zweck  verschiedene  Mittel  könnten  verwendet  wer- 
den, wie  man  die  Welt  sowol  von  Westen  nach  Osten  als  auch  von 
Osten  nach  Westen  umsegeln  kann —  ein  Vergleich,  der  jedenfalls  nur 
sehr  unvollkommen  passt,  da  nach  anderen  Ausdrucken  desselben  Ab- 
schnitts es  sich  hier  nicht  am  Verschiedenheit  der  Richtung  oder  An- 
ordnong  der  Studien,  sondern  um  ein  plus  oder  minus  in  der  Verstir- 
kong  jener  gepriesenen  elementaren  Grundmauern  handelt.  Weder  das 
eine  noch  das  andere  passt  in  die  Construction  und  mit  Verwunderung 
lesen  wir:  ^Wird  uemlich  statuiert,  dasz  die  Realschule  wie  das  Gym- 
nasium eine  Vorbereitung  auf  den  allgemeinen  oder  leitenden  Stand 
sei,  was  gewis  statuiert  wird,  sobald  sie  Zöglinge  auf  die  verschiede- 
nen Akademien  nnd  höherenjl^hranslalten  entläszt,  so  kann  eine  Be- 
schränkung .  .  .  stattfinden'  ., .  —  So  fährt  hier  die  einfache  That- 
sfichlichkeit  der  Realschulen  wie  eine  Bombe  mitten  hinein  in  die  Con- 
struction, die  damit  begonnen  hatte  in  §  167  feierlichst  zu  erklären, 
dasz  man  von  dem  factischen  Bestand  der  Schulen  völlig  absehen  müsse! 
Wer  hat  also  hier  etwas  zu  statuieren,  auszer  dem  Begriff  selbst,  der 
Idee,  die  ja  alle  ihre  Momente  aus  sich  setzen  soll  ?  Sie  hat  uns  keine 
Realschule  gesetzt  und  sie  hat  wol  daran  gethan;  weshalb  nun  eine 
▼om  Zaune  brechen?  Die  Vermittlung  dieses  gewaltigen  Sprunges 
liegt  bei  Thaulow  einzig  und  allein  in  dem  verfänglichen  Satze,  dass 
der  Zweck  aller  Schulen  derselbe  sei.  Hätte  dieser  Satz  eine  absolute 
GOltigkeit,  so  würde  er  ja  auch  den  Unterschied  zwischen  Elementar- 
nnd  Fachschulen,  auf  dem  hier  alles  ruht,  wieder  aufheben.  Ein  ein- 
siger solcher  Satz  kann  wie  ein  Schwamm ,  der  über  ein  frisches  Ge- 
mälde fährt,  ein  ganzes  Kunstwerk  verderben.  Das  sind  die  Gefahren 
der  construierendcn  Nelhode !  Wie  ungleich  sattelfester  ist  Landfer- 
mann,  der  seinen  bekannten  Aufsatz  mit  einer  statistischen  Notiz  ein- 
leitet und  überhaupt  so  viel  als  thunlich  im  Geiste  der  positiven  Pae- 
dagogik  verfährt!  Es  kann  also  auch  nichts  helfen,  dasz  Thaulow  nns 
in  $  208  tröstet:  S'ir  werden  bald  die  Zeit  erleben,  wo  die  Namen 
Realschule  und  Realgymnasium  verschwinden  und  das  Gymnasium,  da 
es  die  Vorbereitung  für  alle  Formen  des  leitenden  Standes  ist,  durch 
eine  Versöhnung  der  Gegensätze  in  sich  selber  den  Kampf  beseitigt.' 
Was  heiszt  Versöhnung  der  Gegensätze  in  sich  selber?  Der  Ausdruck 
erinnert  an  Schmidt  oder  Hauschild;  allein  in  deren  Sinne  kann  es  doch 
nicht  gemeint  sein,  weil  uns  sonst  Thaulow,  sobald  jene  Versöhnung 
wirklich  eintritt,  eine  ganz  neue  Gymnasialpaedagogik  zu  schreiben 


5 14  Sebmidt  aod  Tiiaalow :  Gymnasialpaedagogik. 

halle:  die  jelzige  ist  einfacli  die  eines  Gymnasiums,  wenn  anob  in 
den  Specialiläten,  wie  die  späteren  Bücher  sie  ausführen,  nicht  gerade 
das  preuszische,  hannoversche,  sachsische  oder  irgend  ein  anderes 
bestehendes  Gymnasium  genau  copiert  ist. 

Da  wir  es  hier  nur  mit  den  Principien  zu  thnn  haben,  so  könneo 
wir  uns  über  ThaulQws  vier  folgende  Bücher,  welche  die  specielle  Ent- 
wicklung des  gewonnenen  Begriffes  enthalten,  um  so  kürzer  fassen.' 
Dieselben  bedeutenden  Vorzüge  und  dieselben  Schattenseilen ,  die  wir 
bereits  kennen  gelernt  haben,  finden  sich  allenthalben.  Im  bedenk- 
lichsten Lichte  erscheint  woi  das  aprioristische  Verfahren  im  dritteo 
Buche,  das  von  der  Organisation  der  Gymnasien  handelt.  Hier  beaiiflht 
sich  der  Vf.  ein  Gesetz  für  die  Anzahl  der  in  einem  Lande  zn  errioh- 
tenden  Gymnasien  aus  der  Idee  abzuleiten.  Dies  gelingt  natürlich  aach, 
wie  denn  noch  nie  der  Versuch  etwas  aus  einer  Idee  abzuleiten  wegen 
Unthunlichkeit  aufgegeben  worden  ist.  Das  Gesetz  wird  nach  langen 
Vorbereitungen  endlich  in  den  §§  224 — 226  ans  Licht  gestellt,  und 
zwar  mit  solcher  Sicherheit,  dasz  der  Schluszsatz  von  §  225  einfaeh 
verfügt  v^Die  Staaten  haben  nach  dieser  Proportion  Progymnasien  und 
Gymnasien  zu  errichten.'  Das  Gesetz  aber  ist  dies:  in  Ortschaflei 
von  2  —  3000  Seelen  wird  der  Prediger,  wenn  keine  Rectoratschale  da 
ist,  verpflichtet,  lateinischen  und  griecUschen  Unterricht  zu  geben. 
Eine  Stadt  von  6 — 10000  Einwohnern  krimi  auf  ein  Progymuasiam  An- 
spruch machen,  eine  Stadt  von  10 — 30000  auf  ein  volles  Gymnasiam. 
—  Wir  fragen  nun  billig ,  nach  welchen  Gesetzen  ist  diese  Proportion 
aufgestellt?  wie  verhält  sie  sich  zur  Wirklichkeit?  Bekanntlich  ruhen 
die  meisten  bestehenden  Gymnasien  wenigstens  in  ihren  Anfangen  auf 
den  verschiedenartigsten  landesherrlichen,  commuualen,  kirchlichen 
und  privaten  Stiftungen  und  Schenkungen,  bei  denen  im  ganzen  wenig 
nach  der  Grösze  des  betreffenden  Ortes  gefragt  wurde.  Vergleichen 
wir  die  von  Brauns  und  Theobald  aus  den  Jahren  1836 — 38  angeführ- 
ten preuszischen  Gymnasien  mit  der  damaligen  Bevölkerung  der  be- 
treffenden Städte,  so  finden  wir,  dasz  mehr  als  die  Hälfte  aller 
Gymnasien  in  Städten  unter  10000  Einwohnern  lag.  Than- 
low  hätte  also  damals  seine  Wünsche  in  dieser  Hinsicht  weit  Qber- 
troGfen  gesehen.  Von  dieser  gröszeren  Hälfte  (60  gegen  52)  lag  aber 
sogar  wieder  die  Hälfte  in  Städten  unter  6000,  die  also,  ohne  aaoh 
nur  Anspruch  auf  ein  Progymnasium  zu  haben,  doch  ein  volles  Gymna- 
sium besaszen.  Städte  über  10000  Einwohner  besasz  Preuszen  um  jene 
Zeit,  in  die  gerade  auch  Hoffmanns  Werk  über  die  Bevölkerung  des 
preuszischen  Staates  (1839)  fällt,  überhaupt  nur  44,  von  denen  man 
zwar  nach  Thaulows  Naszstab  einige  doppelt  und  dreifach  zfihlen 
könnte,  wobei  man  jedoch  immer  in  Anschlug  bringen  musz,  dasz, 
gröszere  Städte  auch  gröszere  Anstalten  haben.  Jedenfalls  würde 
also  auch  im  ganzen  für  solche  Städte  kein  Mangel  gewesen  sein. 
Auszer  einigen  durchaus  industriellen  Städten  der  Ulieinprovinz  war 
alles  versehen.  An  Gymnasien  also  Ueborflnsz,  groszcr  Ueberflnss ! 
Wie  steht  es  aber  mit  den  Progymnasien?   Die  Hälfte  der  59  Stidte 


Sckmidt  ond  Tbaalow:  Gymnasialpaedafirogik.  515 

TOB  6000  — 10000  Einwohnern  hatte  nicht  solche ,  sondern  wirkliche 
«nd  Yollstfindige  Gymnasien ;  die  andere  Hälfte  hatte  sich  in  14  Pro- 
gymnasien  mit  den  noch  kleineren  Städten  zu  theilen.  Während  nach 
Tbaulows  Proportion  in  Prenszen  —  und  wol  überhaopt  in  Deutsch- 
Und  —  mindestens  eben  so  riele  Progymnasien  da  sein  sollten  als 
Gymnasien,  waren  damals  achtmal  mehr  der  letzteren.  Seitdem  hat 
iich  freilich  einiges  geändert.  Manche  Städte  sind  bedeutend  gröszer 
geworden,  and  diejenigen  nachwachsenden  kleineren  Städte,  welche 
'  ieitdem  höhere  Schulen  errichtet  haben,  begnügten  sich  häufiger  mit 
Progymnasien.  Im  Zuwachs  der  beiden  letzten  Decennien  stehen  sieb 
in  der  That  beide  Zahlen  nahezu  gleich ;  allein  was  will  dieser  Zu- 
wachs im  Verhältnis  zu  der  traditionellen  Zahl  bedeuten?  Er  macht 
kaum  den  sechsten  Theil  der  Gesamtsumme  aus.  Im  ganzen  liegen 
gegenwärtig  von  131  anerkannten  Gymnasien  nur  71  in  Städten  aber 
10000  Einwohirern,  31  in  Städten  zwischen  6  und  10000  Einwohnern, 
99  in  noch  kleineren  Städten  oder  auf  dem  Lande.  Von  den  28  aner- 
kannien  Progymnasien  fallen  nur  6  auf  Städte  über  6000  Einwohner, 
23  dagegen  auf  kleinere ,  zum  Theil  sehr  kleine  Orte. 

Wenn  man  nach  diesem  befürchtet,  dasz  sich  überhaupt  von  dem 
Standpunkte  unseres  Buches  über  Organisationsfragen  nicht  viel  tüch- 
tiges sagen  lasse ,  so  trifft  das  doch  zum  Theil  nur  die  Fdhn  ^ler  Be- 
weise, während  in  der  Tendenz  sehr  viel  gesundes,  kernhaft  und  tref- 
fend ausgesprochenes  auch  hier  sich  vorfindet.  Wir  nehmen  keinen 
Anstand  das  dringen  auf  gröszere  Betheiligung  der  Communen  am 
Gymnasialwesen  und  das  idringen  auf  Errichtung  eines  Unterrichts- 
ministeriums hieher  zu  rechnen.  Wenn  freilich  §  235  bemerkt  wird: 
^Nur  kurzsichtigen  hat  es  entgehen  können,  dasz  an  der  Spitze  eines 
solchen  Ministeriums  in  thesi  am  besten  ein  juristisch  gebildeter  Mann 
steht',  so  wollen  wir  gern  zu  diesen  kurzsichtigen  gehören,  ohne  damit 
in  einer  Angelegenheit,  wo  alles  von  speciellen  Verhältnissen  und 
Entwicklungen  abhängt,  das  Gegentheil  als  nothwendig  vorauszu- 
aetzen. 

Das  vierte  Buch,  welches  den  Unterricht  speciell  behandelt,  ist 
natürlich  das  ausführlichste  von  allen.  Wir  wollen  hier  nur  einiges, 
was  sich  zunächst  an  die  Principienfragen  anschlieszt,  hervorheben. 
Das  allgemeine  Bild  dieser  Ausführungen  ist  dies,  dasz  wir  allent- 
lialben  einen  entschieden  formalistischen  Stamm  sehen ,  auf  den ,  bald 
mehr  bald  minder  glücklich  verbunden,  Reiser  der  materialen  Richtung 
gepfropft  sind.  Den  schwierigsten  Stand  hat  Thaulow ,  wie  alle  ehr- 
liehen Formalisten,  der  Mathematik  gegenüber,  deren  formale  Bildungs- 
krafl  so  überwiegend  ist,  dasz  es  schwer  hall  von  diesem  Standpunkte 
aas  sich  ihres  Uebergewichtes  gegen  die  Sprachen  anders  als  durch 
Blindheit  zu  erwehren.  Zwischen  Deinhardt,  der  in  seiner  Gymnasial- 
paedagogik  (S.  53)  behauptet,  dasz  die  grösten  Philosophen  der  alten 
und  neuen  Zeit  grosze  Mathematiker  gewesen,  und  Axt,  der  in  seinem 
bekannten  Curiosum  ^über  den  Zustand  der  heutigen  Gymnasien'  (Wetz- 
lar 1838)  trotz  Pythagoras,  Plato,  DesCartes  and  Leibnitz  den  Sats 

19.  Jahrb.  f.  Phü,  «.  Paed.  Bd  LXXVIII.  Bft  10.  35 


516  Schmidt  and  Thaalow:  Gynnasialpaedago^k. 

drocken  liesz  (S.  50) :  ^kein  grosser  Philosoph  war  je  aoch  eiD  grOBMer 
Mathematiker',  versucht  Thaulow  eine  gemäBzigie^  mittlere  Sielluig 
einzunehmen,  jedoch  offenbar  mehr  zu  Axt  hinneigend.  Das  philo- 
sophische Studium  möchte  Thaulow  mehr  durch  Sprachunterricht  vad 
speciell  durch  Grammatik  fördern.  Eine  entschiedene  Ungerechtigkeit 
ist  es  wol,  wenn  es  in  §  376  heiszt:  ^der  Inhalt  der  Mathematik  ist 
nur  ^ine  Idee,  die  der  Grösze  und  Aeuszerlichkeit.'  Weit  mehr  sind 
es  wol  die  Ideen  der  Relativität  und  der  Folgerichtigkeit,  die  das 
eigenthQmliche  und  gerade  das  philosophische  Wesen  der  Mathematik 
ausmachen.  —  In  den  Vordergrund  der  ganzen  Gymnasialbildnng  tritt 
nicht  nur  die  lateinische  Sprache ,  sondern  auch ,  echt  formalistiich, 
die  lateinische  Grammatik,  die  sogar  in  Quinta  durch  schreiben 
von  Declinationen  eingeübt  werden  soll.  Uebungen  im  fibersetaen, 
sprechen  und  schreiben  vollenden  den  Apparat  der  Gymnastik  des 
Geistes.  Es  versteht  sich  daher  von  selbst,  dasz  hier  lediglich  von 
der  traditionellen  Schulgrammatik  die  Rede  ist,  ohne  irgendwelche 
linguistische  Reformen,  die  sich  mehr  für  den  paedagogi sehen  Materia- 
listen schicken.  Merkwürdigerweise  aber  soll  das  Grieohisehe 
nicht  nur  ein  Jahr  vor  dem  Lateinischen  in  Sexta  begonnen,  sondern 
auch  mit  BerQcksichtigung  des  sichersten  aus  der  neueren  Spraek- 
wissentchlfl,  etwa  nach  Curtius  (§486),  gelernt  werden.  Bin  coose« 
quentes  Materialprincip  müste  hiebei  nieht  stehen  bleiben,  sondern  der 
griechischen  Sprache  überhaupt  den  Vorrang  vor  der  lateinischen  las- 
sen, mit  Homer  in  Sexta  beginnen  und  auf  den  Gehalt  der  Litterator 
allen  Nachdruck  legen.  So  weit  geht  Thaulow  aber  nicht.  Er  llszt 
nicht  nur  von  Quinta  an  beständig  das  Lateinische  mit  10  gegen  8  Stan- 
den vorwalten ,  sondern  verlangt  auch  für  den  Anfang  eine  attiseha 
Chrestomathie  und  spricht  sogar  (§  421)  der  griechischen  Litteratar 
*in  einem  bestimmten  Sinne'  die  ^Basis  der  Sittlichkeit'  ab,  die  den 
römischen  aberall  eigen  sei.  Uebrigens  sollen  auch  für  das  Griechi- 
sche Rückübersetzungen,  Exercitien,  schriftliche  und  mündliche  Ex- 
temporalien, so  weit  die  Zeit  es  erlaubt,  statt  haben.  Charakteristisch 
ist  anch  die  Behandlung  des  deutschen  Aufsatzes ,  in  der  Thaulow  die 
gegenwärtig  herschende  und  an  sich  wol  berechtigte  Opposition  gtgtm 
das  frühreife  producieren  auf  die  Spitze  treibt  in  dem  Satze:  ^eia 
Schüler  hat  noch  keine  eigentlichen  eigenen  Gedanken.'  Bei  Liohia 
besehen  ist  das  gerade  so  wahr,  als  dasz  überhaupt  ein  einaelner 
Mensch  keine  ganz  eigenen  Gedanken  hat.  Da  aber  thatsächlieh  and 
unwidersprechlich ,  wie  man  in  jeder  Kinderstube  beobachten  kamii 
nicht  nur  Schüler,  sondern  auch  unmündige  producieren  und  eigene 
Gedanken  äuszern ,  so  handelt  es  sich  hier  lediglich  um  ^ine  willkflr- 
liche  Grenze  zwischen  Stufen,  die  in  der  Natur  in  einander  Obergehen. 
Jedenfalls  kann  mit  der  jetzt  allenthalben  gerühmten  Reprodnction  in 
hiezu  geeigneten  Händen  vollkommen  eben  so  viel  Misbranch  getrie- 
ben werden,  wie  mit  der  gefürchtelen  Production.  Es  gibt  vielleiclit 
keine  Aufgabe,  die  so  sehr  einen  männlichen  und  weit  über  das  Masi 
des. Primaners  hinaus  gereiften  Geist  erforderte,  als  eine  genaae  mid 


Schmidt  ood  Tbaulow:  Gymnasialpaedtgo^k.  517 

echt  dealscbe  Uebersetzung  eines  alten  Autors  in  die  Mattersprache. 
Es  ist  geschichtlich  nachweisbar,  dasz  unsere  Schulübersetzungen  sich 
gans  allmählich  und  unmerklich  aus  einem  bloszen  analysieren  mit 
▼erdeotschen  der  einzelnen  Worte  entwickelt  haben,  woneben  eine 
■weite  Art  ganz  freier  Uebertragungen  bestand.  Dies  beiläufig.  Tbau- 
low weicht,  wiederum  echt  formalistisch ,  dem  prodncieren  nicht  nach 
dieser  Seite  ans,  sondern  durch  Forderung  von  Disponierübnngen, 
Schematisierungen  und  förmlichen  Studiums  der  Rhetorik.  Als  Be- 
sonderheiten bemerken  wir  noch,  dasz  Thaulow  auszer  dem  Französi- 
achen  auch  noch  das  Englische  und  das  Italienische  aufgenommen 
sehen  möchte ,  wogegen  der  naturwissenschaftliche  Unterricht  ganz  in 
dem  geographischen  aufgehen  soll. 

Im  fünften  Buche,  welches  die  Disciplin  behandelt,  hat  Thaulow 
ei  Terstanden,  ohne  einem  die  Principien  antastenden  Eklekticismus 
IV  verfallen,  sich  eins  der  besten  Stficke  der  Herbart^schen  Paedago- 
gik,  die  Unterscheidung  von  Zucht  und  Regierung,  anzueignen  und  er- 
giebig zu  behandeln.  Das  hervorheben  des  Wertbes  würdiger  For- 
men und  strenger  Ordnung  (§  599  f.)  ist  eben  so  anerkennenswerth, 
als  die  Forderung  gewisser  Freiheiten  für  die  Primaner  (§  628), 
welche  den  .schroffen  Uebergang  zu  der  Ungebundenheit  der  Univer- 
sitäten vermitteln  möchten.  Auch  das  höchst  wichtige  Wechselver- 
h&ltnis  der  Schule  zu  den  Familien  wird  gebfirend  gewürdigt  und 
dabei  namentlich  auf  die  Rede  des  Directors  bei  dem  öffentlichen 
Scbulexamen  und  der  Entlassung  der  Abiturienten  Gewicht  gelegt. 
*Der  Director  hat'  (§  631)  *als  Vertreter  des  Gymnasiums  das  Recht, 
wie  der  Prediger ,  ganz  offen  und  wahr  zu  sprechen ,  und  hat  die 
Pflicht  es  zu  thun ,  und  kann  bei  richtiger  Benutzung  der  Verhfiltnisse 
eine  auszerordentliche  Gewalt  über  die  Familien  ausüben.  Wenn 
einem  andern  Lehrer  als  dem  Director  diese  Rede  übertragen  wird, 
io  scheint  man  nicht  zu  empfinden,  dasz  diese  Rede  ein  wesentlich 
paedagogischer  Akt  ist,  und  einer  der  bedeutendsten,  die  dem  Gym- 
,  nasinm  zu  Gebote  stehen.'  Leider  sind  nur  die  schönen  Zeiten  längst 
vorbei,  in  denen  ein  solcher  öffentlicher  Akt  für  das  einförmige  Leben 
einer  kleinen  Gymnasialstadt  Epoche  machend  war  und  Grosz  und  Klein 
sn  der  festlichen  Versammlung  herbeilockte. 

Im  sechsten  und  letzten  Buche  bespricht  Thaulow  die  persön- 
liehen  Verhältnisse  des  Lehrerstandes:  die  Frage  der  paedagogischen 
und  philologischen  Seminare,  Scbulamtsexamen ,  Probejahr,  Anstel- 
lung usw.  —  Die  Tendenz,  welche  sich  durch  diesen  ganzen  Abschnitt 
hindurchzieht  und  sich  mit  edler  Freimütigkeit  und  plastischer  Schärfe 
nnd  Gedrungenheit  des  Ausdruckes  in  allen  Einzelnheiten  ausprägt, 
ist  mit  einem  Worte  die:  einen  würdigen,  selbstbewusten  und  vorneh- 
men Stand  zu  schaffen:  den  esprit  de  corps  im  edleren  Sinne  des 
Wortes  unter  den  Gymnasiallehrern  wach  zu  rufen  und  damit  der  prak- 
tischen Wirksamkeit  des  Lehrers  eine  Grundlage  zu  geben,  wie  sie  nn- 
iere  Zeit  ganz  besonders  als  Gegengewicht  gegen  die  vormals  ungekann- 
ten  Lebensmächte,  die  sich  auf  allen  Seiten  erheben,  dringend  bedarf. 

35* 


y 


518  Schmidt  und  Thaalow:  Gymnasialpaedagogik. 

Wir  bitten  noch  za  bemerken,  dasz  Thaülows  Buch,  in  dem  zwar 
manches  verfehlt,  aber  weniges  nar  bedeutungslos  und  ausser  Zusam- 
menhang mit  den  wirklichen  Interessen  und  Problemen  der  Gegenwart 
ist,  bei  einer  einfachen  Recension  in  einem  weit  günstigeren  Liebte 
hätte  erscheinen  müssen  als  bei  unserer  Untersuchung  über  die  Prii- 
cipien  der  Gymnasialpaedagogik.  Es  kam  uns  darauf  an,  es  geborte 
wesentlich  zu  der  Aufgabe,  die  wir  uns  gestellt  hatten,  gegenüber  der 
formalen  Vollendung  die  materiale  Mangelhaftigkeit  der  ganzen 
Gymnasialpaedagogik  an  den  zunächstliegenden  Beispielen  bloszzulegen. 
Es  kam  darauf  an  zu  zeigen,  dasz  eine  Paedagogik  materiale 
Wissenschaft  sein  kann,  nicht  ist  und  zu  den  Aufgab  od 
der  Gegenwart  gehört. 

Scheint  es  damit  als  ob  die  Principienfrage  von  uns  nicht  gelöst, 
sondern  zurückgeschoben  würde,  so  hat  das  seine  Richtigkeit;  alleiii 
wir  schieben  sie  mit  Bewustsein  zurück,  und  das  ist  auch  eine  Losung. 

Unter  den  vielfachen  Krisen,  mit  denen  die  Gegenwart  theils  ar- 
beitend theils  phantasierend  sich  abmüht,  gehört  die  Krisis  des  höheren 
Schulwesens  nicht  zu  den  Phantomen. 

Seit  der  Stiftung  unserer  heutigen  Gymnasien  hat  sich  nichts 
mehr  verändert,  als  das  was  zu  ihrem  innersten  Wesen  in  engster 
Beziehung  steht. 

Das  Latein  war  Weltsprache  und  ist  es  nicht  mehr. 

Die  Philologie  war  Reproduction  des  klassischen  Alterthums  und 
sie  ist  historisch  -  kritische  Forschung  geworden. 

Die  Schulgrammatik  fiel  mit  der  wissenschaftlichen  nahe  zusam- 
men —  sie  haben  jetzt  nur  noch  wenige  Berührungspunkte,  die  von 
einem  Decennium  zum  andern  mehr  und  mehr  schwinden  müssen.  Der 
Herd  der  scholastisch -humanistischen  Bildung  droht  sich  in  einen 
neuen  Herd  der  Naturwissenschaften  selbst  zu  verwandeln:  Grammatik 
ist  schon  heute  und  wird  es  morgen  noch  mehr  sein  —  eine  Natar« 
Wissenschaft!  Die  Geschichte  wird,  je  mehr  von  Fabeln  befreit,  desto 
unverdaulicher  für  die  Jiigend.  Die  elementare  Mathematik  hat  bereila 
fast  jede  directe  Bedeutung  für  das  Leben  wie  für  die  Wissenschaflei 
verloren,  da  die  Lösung  aller  Probleme  den  höhereu  Gebieten  an- 
heimfallt. 

Trotz  alledem  scheint  der  Humanismus  für  die  höhere  Jogend- 
bildung  einen  definitiven  Sieg  über  das  andringen  der  Realien  erfoch- 
ten zu  haben ;  allein  in  seinem  eigenen  Schosze  entbrennt  der  Streit 
zwischen  der  formalen  und  der  materialen  Richtung  stets  aufs  neue. 
Die  Reproduction  des  klassischen  Alterthums  scheint  sich  vor  der  zer- 
setzeiidou  Kritik  von  den  Hochschulen  in  die  Hallen  der  Gymnasiei 
flüchten  zu  wollen.  Gewichtige  Stimmen  dringen  auf  Einführung  der 
alten  Kunst  in  den  Unterrichtskreis  des  Gymnasiums.  Auf  dem  Boden 
der  Alterthumsstudien  selbst  liegen  allenthalben  neben  dem  ersterben- 
den die  fruchtbarsten  Keime.  Gibt  uns  aber  diese  sichtliche  Wahr* 
nehmung  eines  neuen  Lebens  Hut  zur  Ueberwindung  der  Krisis,  so  darf 
sie  doch  keinen  einzelnen,  auch  den  einsichtsvollsten  und  höohitge- 


Berichte  über  gelehrte  Anstalteo,  Verordnungen,  statist  Notizen.  519 

stellten  nicht  mit  der  Zuversicht  erfüllen,  den  Knoten  zerhauen  oder 
*  eine  Vermittlung  erfinden  zu  können.  Freiheit  der  Entwicklung,  plasti> 
sches  hervortreten  der  verschiedenen  Richtungen,  selbst  auf  die  Gefahr 
momentaner  Verwirrung  .hin,  ist  das  einzige  was  retten  kann.  Wir 
wünschen  nicht,  dasz  die  Lenker  des  Schulwesens  indessen,  wie  der 
Reiter  dem  Maulthier  auf  schwindligem  Pfade  die  Zügel  über  den  Hals 
wirft  nm  Gott  und  die  Natur  walten  zu  lassen ,  sich  zagender  Unthätig- 
keit  hingeben.  Keine  Zeit  stellte  den  administrativen  Behörden  eine 
höhere  Aufgabe.  Nicht  etwa  nur,  weil  die  Beförderung  der  Disciplin 
an  den  Schulen,  der  Ordnung,  Geschlossenheit  und  wurdevollen  Stel- 
laiig  des  Lehrerstandes  von  der  Freiheit  der  Methoden  und  Richtungen 
des  Unterrichts  unabhängig  dasteht,  sondern  weil  jetzt  die  Zeit  ist 
nicht  zu  uniformieren ,  sondern  zu  vergleichen,  zu  zählen,  zu  Consta- 
tieren  —  mit  einem  Worte  der  Administration  der  Schulen  einen  Bo- 
den zu  schaffen ,  wie  ihn  die  Rechtspflege  und  die  Staatswissenschaft 
besitzen  —  innere  Schulstatistik,  einen  Hanptthcil  der  positiven  Pae- 
dagogik. 

Bonn.  A,  Lange. 


Berichte  über  gelehrte  Anstallen,  Verordnungen,  statistische 
Notizen,  Anzeigen  von  Programmen. 


Essen.]  Am  dasigen  Gymnasium  rückte  in  dem  1857  geschlossenen 
Schuljahre  Oberlehrer  Buddeberg  in  die  erste»  Oberlehrer  Li tzinger 
in  die  zweite,  Oberl.  Mülhöfer  in  die  dritte,  Gymnasiall.  Seemann 
in  die  vierte,  Gymnasiall:  Achternbosch  in  die  fünfte  ordentl.  Leh- 
reratelle auf  nnd  der  bisherige  wissensch.  Hülfslehrer  Seck  wurde  als 
seehster  ordentlicher  Lehrer  angestellt;  dem  bisherigen  wissensch.  Hülfs- 
lehrer am  Gymnasium  su  Minden  Petri  wurde  die  siebente  neucreierte 
ordentl.  Lehrerstelle  verliehen.  Für  letzteren  war  jedoch  während  des 
Wintersemesters  der  Schulamtscand.  Schinzel  vom  Friedrich-Wilhelms- 
G^jmnasium.in  Köln  mit  der  interimist.  Vertretung  beauftragt,  welcher 
zu  Ostern  an  das  Gymnasium  zu  Elberfeld  berufen  wurde.  Candidat 
Windheuser  trat  sein  Probejahr  an.  Lehrerpersonal:  Director  Dr 
Tophoff,  Oberiehi'er  Buddeberg  zugleich  evang.  Keligionsl.,  Oberl. 
Litzinger,  Oberl.  Mülhöfer,  Gymnasiall.  Seemann,  Achtern- 
bosch, Seck,  Petri;  Hülfsl.  U eher feldt,  Wa wer  kath.  Religionsl., 
ZeiehenL  Steiner,  Gesangl.  Helfer.  Schülerzahl:  227  (I  32,  II«  33, 
II»»  28,  III  30,  IV  29,  V  37,  VI  38).  Abiturienten  13.  ~-  Mit  Geneh- 
migang  des  Proyincial-Schulcollegiums  fiel  die  wissenschaftliche  Abhand- 
lang in  dem  Programm  aus  und  sollte  der  dadurch  ersparte  Betrag  zu 
Anachaffungen  für  die  Lehrerbibliothek  verwendet  werden.        Dr  0. 

Frankfurt  a.  O.]  Das  Friedrichsgymnasinm ,  welches  lange  Zeit 
keinen  Wechsel  in  seinem  Lehrerpersonale  erfahren  hatte,  ist  in  dem 
1857  beendeten  Schulj.  wiederholten  Veränderungen  in  dieser  Hinsicht 
ausgesetzt  gewesen.  Der  zweite  Oberlehrer  Dr  Thiele  folgte  einem 
Baf e  als  Director  an  die  Realschule  zu  Bannen.    In  Folge  dessen  rückte 


520  Berichte  über  gelehrte  Anstalten,  Verordnangen,  Statist  Noiifen, 

der  Conrector  Dr  Reinhardt  in  die  zweite  OberlehrerBtelle ,  der  Con* 
rector  Fittbogon  in  die  dritte  auf,  die  vierte  Oberlehrerstelle  aber 
wurde  dem  seitherigen  Subrector  in  Guben,  Schwarze,  ertheilt,  so 
dasz  die  Ober-  und  die  ordentlichen  Lehrer  der  Anstalt  so  rangiertes: 
Director  Dr  Poppe,  Prof.  Heydler,  Oberl.  Dr  Reinhardt,  OberL 
Fittbogen,  Oberl.  Schwarze,  Lehrer  der  Mathem.  Dr  Janisoh, 
Subr.  Müller,  Subr.  Dr  Fittbogen,  Dr  Walther,  Collab,  Behm, 
Zeichenl.  Lichtwardt,  Cantor  M elcher.  Schülerzahl  253  (I  25,  II 
38,  III  42,  IV  47,  V  53,  VI  48).  Abiturienten  7.  Den  Schulnachrichten 
geht  voraus:  de  rebus  Cyprüs  (Part.  I)  scr.  Dr  Reinhardt  (13  8.  4). 
Oap.- 1.  De  Cypri  situ,  figura,  magnitudine.     Cap.  II.    De  orbibus. 

Dr  0. 
Fbiedlakd.]    Dem  Programme,    womit  zur  Prüfung  am  25.  tu  26« 
März  d.  J.  eingeladen  wurde,    ist  vorausgeschickt:    die  Sage  von^der 
Tarpeia  y  nach  der  Ueb  erlief ening  dargestellt  vom  Conrector  Dr  Kr  ahner 
(36  S.  4).     Wir  heben  ein  paar  Sätze  aus  der  schätzbaren,  leider  nicht 
vollständig  gegebenen  Arbeit  des  inzwischen  als  Director   nach  Stendal 
berufenen  Verfassers  heraus:   'die  Sage  von   der   Schuld  und  selbster- 
zeugten  Strafe  der  Tarpeia  ist  eine  engbegrenzte  und  aus  dem  Zusamt 
menhnng,   in  welchen  die  historische  Erzählung   sie  mit  wichtigen  Er- 
eignissen stellt,   nicht  lösbare,  doch  ruht  auch  auf  ihr  der  Reiz  einer 
sinnigen,  mehr  andeutenden  als  ausführenden  Dichtung,   welcher  allen 
jenen  römischen  Sagen  eigen  ist,  und  sie  lockt  zu  immer  erneuter  Be- 
trachtiuig    durch    ihre  Wandelbarkeit   und    Vieldeutigkeit.     Denn   l>ald 
schwebt  sie  anmutig ,    in  halb  märchenhaftem  Gewände  auf  der  Grenze 
von  Geschichte  iind'  Mythus  und  scheint  durch  leicht  eingedrückte  Spa- 
ren dieses  oder  jenes  Gebiet  als  ihre  eigentliche  Heimat  kund  za  geben, 
bald   steht  sie  als   düsteres  Symbol   schwerer  Verbrechen  und   blutiger 
Sühne  am  Rande  jener  Fluchstätte  zur  Seite   der  schirmenden  and  rS- 
chenden  Götter  des  Capitols;   als   Träger   der   ei*nstesten  und  heiligsten 
Gedanken  begleitet  ihr  Name  das  römische  Volk  durch  alle  Jahrhunderte 
der  Geschichte  und  noch  heute  treibt  sie,  wie  das  Volk  glaubt,  in  der 
Tiefe  jenes  Felsens,    ausgestattet  mit  ihren  alten  Attributen,  ihr  mär- 
chenhaftes Wesen.'     'Wie  Horatia  die  erste  Römerin  ist,   welche  einen 
von  Römern  erschlagenen  Feind  betrauert  und  zum  Zeichen  dessen,  irat 
Römersinn  fordert,  vom  eignen  Bruder  erstochen  wird,   so   ist  Tarpeia 
die  erste,  welche  das  Vaterland  um  Gold  verräth,   und  ihr  Tod  meist 
nnd  jener  locus  funestus  mahnt  fort  und  fort  daran,  wie  tief  das  Volk 
diese  Schuld  verabscheut;   sie   ist   aber  die  Jungfrau  vom  tarpeiisohen 
Felsen,  der  Inbegriff  des  strafwürdigsten,  was  dort  gesühnt  wird,  onffB- 
fähr  in  dem  Sinne ,  wie  Seneca  (controv.  I,  3)  ein  solches  GedankenMld 
mit   dem  Namen  Tarpeia  bezeichnet  um   es  den  Begriffen  entg^enm- 
setzen,  welche  in  der  Vesta  vereinigt  sind.'  —  Aus  den  Schulnaehridi- 
ten  entnehmen  wir  folgendes:  Mich.  1856  gingen  3,  Ostern  1857  wieder 
3  Schüler  zur  Universität.  , Unter  den  Lehrern  ward  der  Cantor  Pfits- 
ner  durch  bedenkliche  Krankheit  längere  Zeit  an  der  Ausübang  seiner 
Berufspflichten  gehindert   und  durch  den  Cand.  Langbein    vertreten, 
der  auch,   als  der  Hülfslehrer  Hegenbarth  ausschied,  die  Leetfonen 
desselben  in  den  beiden  untersten  Klassen  übernahm.     Es  ist  als  allent- 
halben  nachzuahmen  zu   bezeichnen,    dasz   die  bei  den  beiden  Privat- 
redcactus  behandelten  Themata  im  Programm  mitgctheilt  werden.    Die 
Schülerzahl  betrug  Mich.  1856  119,  im  Winter  1856—57  129,  im  darauf 
folgenden  Sommer  127,  und  im  Winter  1^57—58  135,   Ostern  1858  131 
(18,  il  11,  III  35,  IV  48,  V  29).  —  Von  dem  Director  des  Gymnasiomt 
Prof.  Dr  Roh.  Unger  erschien  auszerdem  eine  in  der  gewohnten  Weise 
-  des  Verf.  gehaltene  sorgfältige  und  gelehrte  quaesiio  de  Ansere  poita  als 
'  Gratulationsschrift  zum  25j«  Jubiläiun  des  Präpositus  BucMea»    Der  be- 


ieriokto  aber  gelehrte  Äostalten,  VerordDungeB ,  Statist.  NoiiEeD.  521 

seichnete  Dichter  erscheint  hiernach  nicht  als  ein  abgeschmackter  Yer- 
semacher ,  gleich  einem  Bavins  und  Müvius  und  als  ein .  Nebenbuhler 
Vergils,  sondern  als  ein  Gefährte  des  Antonius,  der  seine  Musze,  wie 
Asinins  PoUio,  M.  Brutus  und  Memmins,  zur  Abfassung  heiterer  Ge- 
dichte verwandte.  -  Einges. 

Gl  ATZ.]  In  dem  Lehrerpersonal  des  dasigen  k.  Gymnasiums  hat  im 
Schuljahre  1857  keine  Veränderung  stattgefunden.  Es  unterrichteten 
an  demselben:  Director  Dr  Schaber,  die  Professoren  Dr  Heinisch, 
Dr  Schramm,  Oberlehrer  Langer,  die  Gymnasiallehrer  Dr  Witti- 
ber, Rösner,  Strecke  ReligionsL,  Beschorner,  Collab.  Glatze!, 
Oandid.  Dr  Schreck,  Förster  Zeichen-  und  Schreiblehrer,  Snperint. 
Barth o Id  ev.  Religionsl.  —  Die  Zahl  der  Schüler  betrug  275  (I  18,  II 
33,  ni  28,  IV  72,  V  04,  VI  60).  Abiturienten  12.  Den  Schul nachrich- 
ten  geht  voraus :  qitaestionvm  de  lods  nonnuUis  legum  Plalonicarum  pari.  V. 
Scfipsit  Schramm  (18  S.  4).  Die  behandelten  Stellen  sind:  lib.  III 
p.  677  C.  VlII  p.  849  B.  X  p.  898  D.  XI  p.  921  D.  XI  p.  933  A.  XII 
p,  953  A.  XII  p.  952  B.  Dr  0, 

Gleiwitz.]  Mit  dem  Schlüsse  des  Schuljahres  1856  schied  aus  dem 
Collegium  des  das.  Gymn.  der  Candidat  Dr  Schneider,  welcher  seit 
1852  die  Stelle  eines  Hülfsl ehrers  vertreten  hatte.  An  dessen  Stelle 
trat  der  Cand.  Dr  Volke  l.  Die  neuge^ründete- Collaboratur  wurde  dem 
als  Hülfslehrer  am  Gymnasium  zu  Neisze  beschäftigten  Candidaten 
Schneider  übertragen.  Der  Keligionslehrer  Hirschfelder  wurde 
an  das  Gymnasium  in  Glogau  versetzt,  dessen  Stelle  alsbald  dem  Welt- 
priester und  Candidaten  des  höheren  I  ehramts  Dr  Six^olka  übertragen. 
Hülfslehrer  Frenzel  ist  gestorben.  Lehrer:  Director  Nieberding, 
Prof.  Heimbrod,  die  Oberlehrer  Liedtki,  Rott,  Dr  Spiller,  die 
Gymnasiallehrer  Wolff,  Schinke  Religionslehrer,  Huber,  Polke, 
Steinmetz,  die  Religionslehrer  Lic.  Hirschfeldcr  (bis  Ostern),  Dr 
Smolka  (nach  Ostern),  die  CoUaboratoren  Puls,  Schneider,  die 
Schulamtscandidaten  Frenzel,  Kammlcr,  Dr  Völkel,  Snperint. 
Jacob,  Zeichenl.  Peschel.  Schülerzahl:  481  (I*  16,  I»»  35,  II*  38, 
II»»  16,  III«  38,  III»»  56,  IV*  52,  IV«  52,  V*  40,  V«  40,  VI  98).  Abi- 
turienten 17.  Das  Programm  enthält  eine  Abhandlung  vom  Oberl.  Dr 
Spiller:  de  oratione  Agathonis  in  Convivio  Platonico  hahita  (14  S.  4).    . 

Görlitz.]  Am  dasigen  Gy tpnasinm  wurde  im  1857  verflossenen 
Schuljahre  Oberlehrer  Dr  R ö s  1  e r  auf  sein  nachsuchen  pensioniert,  dem 
Gymnasiallehrer  Jehrisch  dagegen  das  Prädicat  als  Oberlehrer  beige- 
legt. Als  neue  Lehrer  traten  ein  Dr  Lieb  ig,  Wilde  und  Dr  Joachim. 
Den  15.  October  wurde  die  Feier  der  Einweihung  des  neuen  Schulge- 
"■blades  begangen,  das  fortan  beide  höhere  Lehranstalten  der  Stadt,  das 
Gymnasium  und  die  Realschule,  umfaszt.  Zu  dem  am  19.  November 
1856  gehaltenen  Redeact  lud  der  Oberlehrer  Jehrisch  durch  das  Pro- 
gramm ein :  ein  Blick  in  das  Laboratorium  eines  Lehrers,  der  mehrere  Jahre 
mU  dem  ersten  lateinischen  Unterricht  betraut  gewesen  (lieber  die  le  und 
2e  lateinische  Declination  und  le  lat.  Oonjugation.  82  S.  4).  Das  zu 
dem  Actus  am  12.  Januar  1857  vom  Director  geschriebene  Programm 
betraf  den  Gedankengang  von  Borat.  Epist,  I  16  (12  S.  4).  Das  Lehrcr- 
collegium  bestand  aus  folgenden  Mitgliedern:  Director  Dr  Schütte, 
Conrector  Prof.  Dr  Struve,  den  Oberlehrern  Hertel,  Kögel,  Dr 
Wiedemabn,  Jehrisch,  den  Gymnasiallehrern  Dr  Höfig,  Adrian, 
Dr  Lieb  ig,  Wilde,  Dr  Joachim,  Pfarrer  Stiller  kathol.  Religious- 
lehrer,  Müsikdirector  Klingenberg,  Zeichenlehrer  Kader  seh,  Schreib- 
lehrer Pink  wart ,  Turnlehrer  Böttcher.  Die  Schülerzahl  betrug  291 
(I  35,  II«  30,  II»»  34,  III*  38,  III»»  33,  IV  61,  V  28,  VI  32).  Abitu- 
rienten 11.  Eine  wissenschaftliche  Abhandlung  ist  den  Schulnachrichten 
nicht  beigefügt.  0, 


522  Berichte  aber  gelehrte  Anstalten ,  Verordnungen,  statul.  HotiMfl* 

GfiEiFFENBEBa.]  In  dem  LehrercoUegium  des  Friedrich  -  Wilbelmt- 
Gjmnasiam  sind  auch  im  Laufe  des  Schuljahres  1850 — 57  mehrere  Ver- 
änderungen eingetreten.  Der  Prorector  des  Gymnasiums  Dr  Wen  dt  ist 
Director  des  Gymnasiums  zu  Hamm  geworden.  Mit  dem  Schlosi  des 
Schuljahrs  schied  Dr  Zerlang,  um  am  Gymnasium  zu  Soraa  in  die 
Stelle  eines  ordentlichen  Lehrers  für  Mathematik  und  Naturwissenschaft 
einzutreten.  Lehrer:  Director  Campe,  Prorector  Wendt,  Conrector 
Pitann,  Subrector  Riemann,  die  ordentl:  Lehrer  Dietrich,  Zelle, 
Todt  techn.  Lehrer,  Collaborator  Grautoff,  Hilliger,  Collaborator 
Zerlang.  Zwei  Rclig^onsstunden  in  III*  ertheilte  Superintendent 
Henckel.  öchülerzahl  253  (I  18,  II  27,  UI«  31,  lU^  42,  IV  48,  V 
55,  VI  32).  Abiturienten  7.  —  Das  Programm  enthält:  quaestianes  11^ 
cydideaef  von  dem  Director  (24  S.  4).  Diese  Abhandlung  liesz  das  Gym- 
nasium zur  Beglückwünschung  der  Universität  Greifswald  durch  den 
hierzu  committierten  Director  überreichen.  0. 

Greifswalo  1857.]     Den   Gymnasiallehrer  Volz   verlor  das  Gym- 
nasium durch  den  Tod;  an  seine  Stelle  trat  als  interimist.  Lehrer  Ne u- 
mann,  Lehrer  des   städtischen  Gymnasiums   und  der  damit  verbunde- 
nen Realschule:   Director  Prof.  Dr  Hiecke,   Prorector  Dr  Raflsow, 
Conrector  Prof.  Dr  Cantzler,   Prof.  Dr  Thoms,   die  Oberlehrer  Dr 
Reinhardt,   DrGandtner,  die  Gymnasiallehrer  Dr  Schmitz,  Dr 
Hack  ermann,  Dr  Lehmann,  Dr  Jung h ans,  Volz,  Dr  Niemeyer, 
Dr  Schumann,  Hülfslehrer  Hahn,  Gesanglehrer  B e m m a n n ,  Zeichen- 
und  Schreiblohrer  Hube,  Cand.  theol.  Kottenhahn.    Die  Zahl   der 
Schüler  betrug  am  Schlüsse  des  Schuljahres  248  (I  g.  13,  II  g.  80,  Illg. 
22,  IVg.  25,  Ir.  1,  II r.  13,  III r.  28,  IV r.  27,  V  43,  VI  46).    Abitu- 
rienten  vom  Gymn.  7,   auszerdem  9  fremde,  von   der  Realschule  1.  — 
Den   Schulnachrichton  geht  voraus  eine  Abhandlung  vom  Director  Dr 
Hiecke :  über  die  Einheit  des  ersten  Gesanges  der  Utas  (12  S.  4).    Lach- 
manns Ansicht,    der  bekanntlich   den   ersten  Gesang   der  Ilias  in  drei 
Theile  zerlegt,  wird  bekämpft.     Zugleich  Wird  auf  die  Ansicht  Jacob *s 
('über  die  Entstehung  der  Ilias  und  der  Odyssee'  1856)  über  den  ersten 
Gesang  ausführlicher  eingegangen  und  hierdurch  ein  Schluszurteil  vor- 
bereitet.  'Es  ist  ein  einzig  groszartiger  Gesang  von  unsäglicher  Schön- 
heit, von  überwältigender  Machtfülle  des  schöpferischen  Genius.    Hader 
und  Zwietracht  in    der  Menschenwelt,  unter   den  Häuptern,   zu  denen 
das  Volk  aufschaut  wie  zu  Göttern  — ^  und  Zwietracht  auch  in  der  Gtöt- 
terwelt,  aber  für  diese  ist,  was  auf  jene  wie  ein  schwerer,  unheilvoller 
Nebel  drückt,    nur  ein  leichtes   Gewölk,    das  im  Nu   sich  wieder  zer- 
streut, —  das  auch  wiederkehren  wii^l,  aber  nur  um  auch  wieder  sich 
zu  zerstreuen.'     Bei  der  vierten  Säcularfeier  der  Universität  Greifswald 
gab    das  Gymnasium    seinen   Gefühlen  Ausdruck   in   einer   lateinischen 
von  dem  Oberlehrer  Dr  Reinhardt  verfaszten  Ode  und  in  einer  yon 
dem  Director  geschriebenen  Abhandlung:  der  gegenwärtige  Stand  der  ho- 
merischen Frage,    Dem  Director  und  dem  Oberlehrer  Gaudtner  wurde 
bei  der  feierlichen  Ehrenpromotion  die  Ernennung  zu  Doctoren  der  Philo- 
sophie zu  Theil.  0, 

GROsz-GLoaAü.]  Veränderungen  im  Lehrerpersonale  des  könig- 
lichen evangelischen  Gymnasiums  haben  im  Laufe  des  Schal- 
jahres 1856 — 57  nicht  stattgefunden.  Gymnasiallehrer  Stridde  wurde 
zum  Oberlehrer  ernannt;  Dr  Paul  erhielt  die  vierte  ordentliche  Lehrer- 
stelle. Der  Hülfslehrer  Frasz  war  wegen  andauernder  Kränklichkeit 
genöthigt  seinen  Abschied  zu  nehmen.  Aushülfe  leistete  der  Predigt- 
amtscandidat  Hörn.  Lehrer:  Director  Dr  Kl  ix,  die  Oberlehrer  Dr 
Petermann,  Dr  Rühle,  Stridde,  die  ordentlichen  Lehrer  Lucas» 
Beissert,  Scholz,  Dr  Paul,  Hülfslehrer  Frasz,  Dr  Munk,  Cand. 
Hörn,  Turnlehrer  Haase.     Die   Gesamtzahl  der   Schüler  betrug  270 


Berieltto  Ober  gelehrle  AnstaUeo,  Verordnangen,  statisk  Noümb.  623 

(I  28,  n  43,  ra*  30,  m»»  44,  IV  48,  V  45,  VI  32),  249  evangeHncher, 
1  kathoL,  20  mo^^ischer  Confession.  Abiturienten  11.  Den  Schnlnach- 
ten  geht  vorans  eine  Abhandlung  vom  Gymnasiallehrer  Dr  Paul:  quae- 
ttimutm  Claudianearum  particula  (17  S.  4).  —  In  das  LehrercoUeginm  des 
königlichen  katholischen  Gymnasiums  trat  mit  dem  Beginne 
des  Schuljahres  1856  Dr  Franke  ein,  dem  die  erledigte  Collaboratur 
Torliehen  worden  war.  Der  Beligions-  und  Oberlehrer  Emmrich  schied 
aus,  um  eine  Pfarrei  in  Strehlen  zu  übernehmen;  an  seine  Stelle  trat 
der  Yon  dem  Gymnasium  in  Gleiwitz  hierher  versetzte*  Beligionslehrer 
Lic.  Hirschfelder.  Das  Collegium  bildeten  der  Dir.  Dr  Wentzel, 
Prof.  Uhdolph,  die  Oberlehrer  Dr  Müller,  Eichner,  Emmrich, 
T.  Raczek,  Padrock,  Gymnasiallehrer  Knötel,  Religionsl.  Hirsch- 
felder, der  Collaborator  Dr  Franke,  Cand.  Bart  hei,  Divisionspre- 
digerRühle,  Ges^glehrer  Battig,  Turnlehrer  Haas e.  Die  Gesamt- 
frequenz betrug  287  (I  51,  II  67,  III  46,  IV  52,  V  37,  VI  34);  davon 
waren  217  katholisch,  44  evangelifich ,  26  jüdisch.  Abiturienten  14. 
Das  Programm  enthält  auszer  den  Schulnachrichten:  deu  Slemhüd  des 
Löwen,  nach  seiner  ^historischen  Bedeutung  skizziert  vom  Prof.  Uhdolph 
(16  S.  4).  I.  Ursprung  der  Astronomie.  II.  Der  Thierkreis.  III.  Astro- 
gnosie.  IV.  Sternennamen.  V.  Mythologie.  VI.  Die  Opora  der  Grie- 
chen. Dr  0. 

GuMBnvNEK.]  Das  LehrercoUeginm  des  dasigen  Gymnasiums  bestund 
im  Schulj.  1856--57  aus  dem  Director  Dr  Hamann,  den  Oberlehrern 
Sperling,  Prof.  Dewischeit,  Prof.  Dr  Arnoldt,  Gerlach,  den 
ordentlichen  Lehrern  Dr  Kossak,  Dr  Basse,  Oberlehrer  Brumkow, 
Haue rh  o ff ,  wissensch.  Hülfsl.  Dr  Wa  as.  Die  Zahl  der  Schüler  betrug 
211  (I  12,  II  30,  III  45,  IV  46,  V  52,  VI  26).  Abiturienten  5.  Den 
Schulnachrichten  geht  voraus:  zur  Theorie  der  Casus,  Zweites  Stück, 
Vom  Prof.  Dewischeit  (20  S.  4).  Der  erste  Theil  dieser  Abhandlung 
steht  im  Programme  des  Progymnasiums  zu  Hohenstein  1846.  Nachdem 
der  Verf.  zur  Beurteilung  der  Behau dlungsweise  des  vorliegenden  Ge- 
genstandes in  den  gangbaren  grammatischen  Handbüchern  einige  Be- 
merkungen vorausgeschickt  hat,  fügt  er  zunächst  anknüpfend  an  eine 
Bemerkung  Beckers  (ausf.  dtsch.  Gramm.  II  S.  53)  einiges  zur  Erklä- 
rung des  genetivus  praedicativus  (eine  Art  des  gen.  qualitatis)  hinzu, 
behandelt  dann  eine  für  das  Griechische  geltende  Regel  über  den  Gene- 
tiv des  'woher'  und  ^weist  das  auftreten  desselben  Casus  und  unter  ähn- 
lichen Bedingungen  im  Deutschen  nach.  0, 

Guben.]  Das  Gymnasium  hat  im  Schuljahre  1856  —  57  zwei  seiner 
Lehrer  verloren.  Der  Subrector  Schwarze  nahm  einen  Ruf  als  Ober- 
lehrer an  das  Gymnasium  zu  Frankfurt  a.  d.  O.  an,  der  Zeichenlehrer 
Wollmann  starb.  An  die  Stelle  des  fünften  Oberlehrers  Schwarze 
trat  Lehn  er  dt,  bisher  ordentl.  Lehrer  an  der  Realschule  zu  Potsdam, 
Den  Schreib-  und  Zeichenunterricht  in  den  unteren  Klassen  hat  der 
Lehrer  an  der  Elementar-  und  Bürgerschule  Franz  interimistisch 
übernommen.  Lehrerpersonal:  Director  Kock,  Prorector  Dr  Sausze , 
Conr.  Richter,  Oberl.  Niemann,  Oberl.  Michaelis,  Oberl.  Leh- 
nerdt,  Quartus  Heyderaann,  Cantor  Holtsch,  Organist  Roch, 
Zeichenl.  Franz..  Schülerzahl  159  (I  11,  II  23,  lU  28,  IV  31,  V  39, 
VI  27).  Abiturienten  6.  Das  Programm  enthält:  sophokleische  Studien,  ^ 
Zweites  Beft,  Ein  zusammenhängender  Commentar  zum  König  Oedipus,  Von 
dem  Director  Kock  (48  S.  4).  0, 

Gi^TBBSLOH.]  In  dem  LehrercoUeginm  hat  im  Schuljahre  1856—57 
keine  Veränderung  stattgefunden.  Dasselbe  bildeten  der  Director  Dr 
Bampel,  die  Oberlehrer  Schüttler,  Scholz  I  (auch  Candidat  des 
Predigtamts) ,Dietlein,  die  ordentl.  Gymnasiallehrer  Dr  Petermann, 
Andrea  (aucfh  Candidat  des  Predigtamts),  Scholz  II,  Hoffmann, 


524  Berichte  aber  gelehrte  Aostalten,  VerordnaDgeB,  stalisl.  Noliiei. 

Qoeeker,  Hülfslehrer  Schrimpf  (auch  Candidat  der  Theologie),  Behiil- 
amtscandidat  Manke.  Schülerzahl  (Sommer  212}  hinter.  190  (I  38, 
n«  22,  II»»  38,  III  36,  IV  25,  V  24,  VI  16).  Abiturienten  6,  Von  den 
seit  Ostern  1853  mit  dem  Zeugnis  der  Keife  entlassenen  42  Schülern 
haben  sich  32  der  Theologie  gewidmet.  —  Den  Schnlnachrichten  geht 
Yorans  eine  mathematische  Abhandlang  vom  Oberlehrer  Sohöttler: 
Über  eine  mit  dem  goldenen  Schnitte  in  Ztisammenhang  steifende  Xreisgruppe 
(10  S.  4).  O. 

Halle.]  Das  Lehrercollegium  des  königlichen  Paedagogiams 
hat  im  Schaljahre  185Ö — 57  mehrere  Veränderungen  erfahren.  Der  Gym- 
nasiallehrer Todt  folgte  einem  Kufe  an  das  neubegründete  Gymnasinm 
JEU  Treptow  a.  d.  Bega;  an  seine  Stelle  trat  der  Schulamtscandidat 
Janke.  Zugleich  übernahm  der  Candidat  der  Philol.  Hundt  als  Hülfs- 
lehrer eine  Anzahl  Stunden.  Hülfslehrer  Hofmeister  muste  aus  Ge- 
sundheitsrücksichten seine  Thätigkeit  aufgeben.  Statt  seiner  trat  Dr 
Schwarzlose  als  Hülfslehrer  in  das  Collegium  ein  und  Dr  Loth  über- 
nahm einige  Stunden.  Lehrerpersonal:  Director  Dr  Kram  er,  Prof eseor 
Dr  Daniel,  die  Oberlehrer  Dr  Voigt,  DrDryander,  die  Gymnasial- 
lehrer Dr  Garcke,  Nagel,  Dr  Schwarz,  Keifenrath,  Janke, 
HÖszler,  die  Hülfslehrer  Hundt,  Dr  Schwarzlose,  Dr  Lptb,  Zei- 
chenlehrer Voigt,  Gesanglehrer  Greg  er.  Die  Anstalt  besuchten  114 
Scholaren  (I  23,  II«  16,  H»»  8,  HI  31,  IV  19,  V  11,  VI  6),  unter  diesen 
30  Hausscholaren.  Abiturienten  8.  Den  Schulnachrichten  geht  vorans: 
Beitrag  zur  Behandlung  des  Lehens  Jesu  Christi  auf  dem  Gymnasium  von 
Keifenrath  (32  S.  4).  —  Aus  dem  Lehrercollegium  der  lateinisehen 
Hauptschule  schied  der  Collaborator  Dr  Blau,  um  zu  einer  joama- 
listischen  Thätigkeit  als  Kedacteur  bei  der  berliner  Börsenzeitung  Über- 
zugehen. Der  bisherige  Collaborator  Prediger  Pia th  erhielt  die  nennte 
Oberlehrerstelle.  Neu  eingetreten  sind  die  Collaboratoren  Opel  und 
Götze,  zu  Neujahr  1857  der  Collaborator  Dr  Weber.  Von  den  Cand. 
prob,  folgte  Dr  Leidenroth  einem  Kufe  als  ordentl.  Lehrer  an  der 
höheren  Bürgerschule  zu  Lübben;  Schwarz  übernahm  eine  Stellang  an 
der  höheren  Bürgerschule  in  Burg.  Das  Lehrercollegium  bestand  sonaeh 
am  Schlüsse  des  Schuljahres  aus  dem  Kector  Dr  Eckstein,  nenn  Ober- 
lehrern: Inspector  Dr  Liebmann,  Professor  Weber,  Scheuerlein, 
Dr  Arnold,  Dr  Fischer,  Dr  Oehler,  Weiske,  Dr  Imhof  ondPre- 
diger  Plath,  und  ans  neun  Collaboratoren:  Dr  Schwarz,  DrRoeeekf 
Martin,  Schulz,  Frahnert,  Drosihn,  Opel,  Götze,  Dr  Weber. 
Die  Gesamtzahl  der  Schüler  betrug  632  (I«  30,  I^  36,  II«  34,  IIi» «  27, 
II»»  «  27,  Ilc  41,  III«  42,  III»»  44,  IV«  55,  IV»»  65,  V«  67,  V*  64,  VI« 
57,  VI»»  37),  unter  diesen  376  Stadtschüler,  200  Alumnen,  47  Orphani. 
Abiturienten  15.  Das  Programm  enthält  eine  wissenschaftliehe  AUiand- 
lung  Yom  Oberlehrer  Scheuerlein:  Ober  die  Norm  der  Subardinaüom 
und  der  Coordination  des  Casusgebrattchs  im  lateinischen  Satze  (26  8.  4). 
Der  Verf.  liefert  hiermit  den  ersten  Versuch,  die  freie  Bewegung  des 
Sprachgenius  auf  einem  weiten  Gebiete  unter  die  Norm  eines  festen  und 
faszbaren  Gesetzes  zu  stellen  und  der  sonst  als  Willkür  oder  Eigen- 
sinn des  Latinismus  bezeichneten  einzelnen  Erscheinung  die  Nothwen- 
digkeit  der  logischen  Regel  zu  Terleihen.  Diesem  Aufsätze  soll  eine 
Reihe  anderer  über  einzelne  bis  jetzt  noch  nicht  erledigte  Cardinai- 
punkte  des  lateinischen  Sprachgebrauchs  folgen.  §  1.  Die  gegenseitige 
syntaktische  Stellung  oder  die  syntaktische  Bezogenhcit  der  Casus  im 
Satze  (Die  Casus  des  gegenseitigen  Contactes:  Nominativ,  Aocosativ, 
Dativ,  die  Träger  der  Acte  oder  der  äuszercn  Erscheinung  eines  Be- 
griffs treten  in  die  erste ,  der  Genotivus  und  Ablativus ,  die  Accidens- 
wie  die  ad-(in-)häienten  Begriffsangaben  in  die  zweite  Reihe).  §  2.  Die 
Verschiedenheit   der  Function  des  Ablativ  von  der  des  Genetiv     (Der 


Beriehle  aber  gelehrte  Anstalten,  Verordnnngen,  statisl.  Notixen.  5i5 

Ablativ  enthält  das  Accidenz  der  Sphäre  eines  änszeren  Actes,  des 
Actes  der  Erscheinung  in  der  Reihe  der  Thatsachen,  der  Genetiy 
die  Accidenzbegriffe  eines  innerlichen  in  uns  vollzogenen  Actes ,  des 
Actes  der  Erkenntnis  und  Auffassung).  §  3.  Norm  der  Subordina- 
tion sonst  coordinierter  Satztheile.  A)  Subordination  bei  substanzielier 
Identität  und  Inhalts-  usw.  Zugehörigkeit  der  nomina.  B)  Norm  der 
Subordination  bei  nominibus  von  geschiedener,  syntaktisch  von  einan- 
der abgeschlossener  Substanz,  die  aber  in  äuszerer  possessiver,  beson- 
ders reflexiver  Zusammengehörigkeit  stehen.  §  4.  Norm  der  Coordina- 
tion  statt  der  Subordination.  Der  Verf. ,  welcher  sich  nicht  mit  einer 
Soszerlichen  Kenntnis  dürrer  Sprachschabldnen  begnügt  und  also  eine 
•eingehendere  Beschäftigung  mit  dem  Wunderbau  der  lateinischen  Sprache 
nicht  als  etwas  überflüssiges  betrachtet,  hat  sich  übrigens  weniger  die 
volle  Erledigung  als  die  Anregung  der  ihn  bewegenden  Frage  zum  Ziel 
gesetzt.  0, 

Hamm  1857.]  Der  Director  des  Gymnasiums  Dr  Lieb al dt  folgte 
einem  Rufe  als  Director  an  das  städtische  Gymnasium  zu  Sorau;  Pro- 
fesqpr  Rempel  wurde  nach  dessen  Abgang  commissarischer  Dirigent, 
bis  mit  dem  neuen  Jahre  Dr  W  e  n  d  t ,  Prorector  an  dem  Gymnasium  in 
Greifi'enberg,  als  Director  eintrat.  Das  Lehrercollegium  bestand  ans  dem 
Director  Dr  Wen  dt,  den  Oberlehrern  Prof.  Rempel  Rector,  Professor 
Dr  Stern,  DrTrosz,  den -ordentl.  Lehrern  Oberlehrer  Dr  Haeden- 
kamp,  Oberlehrer  Hopf,  Paulsiek,  Dr  Breiter,  Brenken  Gym- 
:uasial  -  Elementarlehrer ,  den  auszerordentl.  Lehrern  Pfarrer  Platz - 
hoff  evangel.  Religionslehrer  und  Kaplan  Küsterarent  kathol.  Re- 
ligionslehrer. Schülerzahl  112  (I  4,  II  10,  III  32,  IV  11,  V  27,  VI  28). 
Abiturienten  2.  —  Eine  wissenschaftliche  Abhandlung  ist  dem  Programm 
nicht  beigegeben.  Dagegen  ist  zur  Feier  des  zweihundertjährigen  Jubi- 
läums des  königl.  Gymnasiums  zu  Hamm  am  28.  Mai  ein  Einladungs- 
programm mit  folgendem  Inhalt  erschienen:  1)  Zur  Geschichte  des  Oym- 
nasiums,  vom  Dii-ector  Dr  Wendt  (21  S.  4).  2)  Chronicon  S,  Michaelis 
monasterü  in  pago  Virdunenst  Ex  antiquissimo  codice  nunc  primum 
integrum  edidit  Ludovicus  Trosz  (28  S.  4).  3)  Carmen  saeculare^ 
Tom  Professor  Dr  Stern    (43  Strophen  im  alcäischen  Versmasz). 

0. 

Heoinoen  (bei  Sigmaringen)  1857.]  Der  Religionslehrer  Schanz 
bat  eine  Pfarrei  übernommen ;  an  seine  Stelle  trat  in  commissarischer 
Eigenschaft  der  Vicar  der  Stadtpfarrkirche  zu  Sigmaringen  Bantle. 
Lehrerpersonal :  Rector  Dr  Stelzer,  Professor  Dietz,  Beneficiat  Si- 
benrock,  G.-L.  Sauerland,  G.-L.  Dr  Wahlenberg,  G.-L.  Dr 
iSchunck,  Reallehrer  Nüszle,  geistl.  Hülfslehrer  Bantle,  Musiklehrer 
Burtscher,  Schreiblehrer  Bürkle.  Die  Zahl  der  Schüler  betrug  129 
(I  11,  II  15,  III  14,  IV  22,  V  30,  VI  37).  Abiturienten  3.  Den  Schul- 
nachrichten geht  voraus :  Wanderung  in  den  Trümmern  von  Pompeji.  Von 
Professor  Dietz  (30  S.  4).  Was  der  Verf.  nicht  aus  eigner  Anschauung 
nnd  mündlichen  Berichten  hat,  ist  zumeist  der  Schrift  Overbecks  'Pom- 
peji in  seinen  Gebäuden'  usw.  entnommen.  0. 

Heiligenstadt.]  Das  1857  beendigte  Schuljahr  wurde  mit  ver- 
mehrten Lehrkräften  begonnen.  Dem  Schulamtscandidaten  Peters 
wurde  die  provisorische  Verwaltung  der  8n  Lehrerstelle  übertragen ;  der 
interimistisch  beschäftigte  Lehrer  Schneiderwirth  wurde  definitiv 
als  siebenter  ordentlichej  Lehrer  angestellt;  Schulamtscandidat  Haber 
trat  sein  Probejahr  an.  Lehrerpersonal:  Director  Kramarczik,  die 
Oberlehrer  Burchard,  DrGaszmann,  die GTmnasiallehrer  Füttere r, 
Wald  mann,  Behlau,  Schneiderwirth,  Schulamtscandidat  Peters, 
Dr  Kirchner  evangel.  Reli^onslehr er,  Arend  Schreiblehrer,  Ludwig 
Cksanglehrer,  H  u  n  o  1  d  Zeichenlehrer,  Haber  Schulamtscandidat.    Schü- 


526  Berichte  Aber  gelehrte  Aostalten,  Verordnangen,  Statist.  NoIiieD. 

lerzahl  185  (I  23,  II  31,  m  48,  IV  82,  V  24,  VI  27).  Abiturienten  6. 
Das  Programm  enthält  eine  Abhandlang  vom  Gymnasiallehrer  Schnei- 
derwirth:  letzte  Schicksale-  Hannibals  von  der  Schlacht  bei  Zama  bis  zu 
seinem  Tode  (28  S.  4).  Dr  0. 

Hebford.]  Programm  des  da  sigen  Gymnasiums  1857.  Der 
ordentliche  Lehrer  Bachmann  gieng  an  das  Gymnasium  in  Bielefeld 
über.  An  seine  Stelle  trat  der  auszerordentl.  Hülfslehrer  am  Gymna- 
sium in  Minden  Faber.  DrFritsche  hielt  dein  Probejahr  ab.  Leh- 
rerpersonal: Director  Dr  Schöne,  die  Oberlehrer  Professor  Werther, 
Dr  Hölscher,  Dr  Knoche,  die  Gymnasiallehrer  Wehner,  Dr  M&r- 
ker,  Bachmann,  Haase  Gymnasial-Elemcntarlehrer ,  Pastor  Kleine 
evangel.  Religionslehrer,  Dech.  Heising  kathol.  Beligionslehrer,  Dr 
Fritsche  Cand.  prob,  und  interimist.  Hülfslehrer.  Frequenz  140  (I  20, 
II  12,  III  38 ,  IV  27,  V  22,  VI  30).  Die  Vorbereitungsschule  war  Ton 
16  Schülern  besucht.  Abiturienten  4.  —  Den  Schulnachrichten  folgt: 
Quaesiiunculae  Lysiacae.   Scripsit  Dr  Hölscher  (14  S.  4).  Dr  0. 

HiRSCHBEBO.]  Programm  des  Gymnasiums  1857.  Den  Ge- 
sanglehrer Cantor  Hoppe  und  den  Gymnasiallehrer  Scholz  verlor  die 
Anstalt  durch  den  Tod.  Ein  Verzeichnis  der  Lehrer  ist  in  den  Sc^ul- 
nachrichten  nicht  roitgethcilt.  Die  Zahl  der  Schüler  betrug  100  (I  8, 
n  15,  III  23,  IV  33,  V  35,  VI  46).  Abiturienten  3.  —  Den  Schul- 
naclurichten  geht  Toraus  eine  Abhandlung  yom  Oberlehrer  Dr  Mos  zier: 
quaestionwn  Petronianarum  specvnen,  quo  poema  de  bello  civili  cum  Pharsü" 
Ua  Lucani  comparatur  (16  S.  4).  0. 

Kempen.]  Am  7.  October  1856  wurde  die  bis  dahin  als  Progyrnnm- 
sium  bestandene  höhere  Lehranstalt  als  Gymnasiuip  eröffnet.  Zu  den 
bis  einschlieszlich  Secunda  schon  vorhandenen  Klassen  wurde  zunächst 
die  Unter-Prim'a  hinzugefügt.  Seit  Ostern  nahm  Dr  Stolle,  früher  Vor- 
steher des  Progymnasiums,  an  dem  Unterrichte  Theil,  wodurch  die  Lehr- 
kräfte in  angemessener  Weise  vervollständigt  wurden.  Das  Lehrercol- 
legium  bilden  Dr  Hötnig  der  commissarische  Dirigent  der  Anstalt, 
Dr  Stolle,  Cyamer,  Hecker,  Kamp,  Dr  Genies,  Dr  Keussen, 
Dr  Paessens,  Ferlings,  Grobben.  Die  Schülerzalil  betrug  am 
Schlüsse  des  Schuljahres  108  (I  15,  II  33,  III  10,  IV  10,  V  13,  VI  27), 
darunter  113  katholische,  3  evangelische  Schüler.  Den  Schulnachrichten 
geht  voraus  eine  Abhandlung  des  Dirigenten:  aber  den  gesddchüiehen 
Unterricht  an  Gymnasien  (28  S.  4).  Der  Verf.  spricht  zuerst  von  dem 
Zwecke,  dann  von  dem  Umfange  und  der  Vertheilung  des  ge- 
schichtlichen Stoffes,  ferner  von  der  Methode,  und  läszt  schliesziich 
noch   einige   allgemeine   Bemerkungen  über  die   Hülfsmittel  folgen. 

Ih  0, 

KoELN.]  1857.  Die  Candidaten  DrMaur,  Heicks,  Dr  Conrads 
und  Dr  Caspar  sind  in  Folge  anderweitiger  Berufungen  bald  nach  dem 
Anfangfe  des  Schuljahres  aus  ihren  Stellungen  an  dem  königlichen 
katholischen  Gymnasium  geschieden.  An  die  Stelle  der  ausgeschie- 
denen traten  die  Candidaten  Dr  Milz,  welcher  früher  an  dem  Gymna- 
sium zu  Deutsch  -  Crone  beschäftigt  gewesen  war,  Dr  Vorm-Walde, 
welcher  sein  Probejahr  an  dem  Gymnasium  zu  Emmerich  abgehalten 
hatte,  Dr  Busch,  welpher  das  an  dem  Gymnasium  zu  Duisburg  be- 
gonnene Probejahr  hier  beendigte,  luid  der  Probecandidat  Zons.  Dem 
früheren  Elementarlehrer  Baum  wurde  die  Schreiblehrerstelle  übertra- 
gen. Lehrerpersonal:  Director  Dittges,  Oberlehrer:  Prof.  Dr.  Ley, 
Pütz,  Dr  Saal,  Kratz,  Dr  Keisacker,  Dr Vosen  Keligionslchrcr; 
ordentliche  Lehrer:  Prof.  Kreuser,  Bheinstädter ,  Oberl.  Vack, 
Riegemann,  Oberl.  Schaltenbrand;  Chargd  commiss.  Lehrer; 
wissensoh.  Hülfslehrer:  Gorius,  Dr  liangen,  Dr  Fritsch,  Grund- 
hewer,  Dr  Milz,  Dr  Vorm  Walde;  Probecandidaten:  Dr  Busoh, 


Berichte  ttber  gelehrte  Anstalten,  Verordnungfen,  statisl.  NotizeB.    527 

Zons;  Bourel  Zeichen].,  Baum  Schreibl.,  DiTisionsprediger  Hanger 
eyang.  Religionsl.  Die  Zahl  der  Schüler  betrag  za  Anfang  des  Schal- 
jahres 610,  gegen  Ende  566  (I*  36,  I»>  52,  II*  67,  II  »>  79,  III  85,  IV  99, 
y  86,  VI  103),  and  zwar  558  Katholiken,  5  evangelische,  3  Israeliten. 
Abitarienten  35.  Den  Schalnachrichten  geht  voraas  eine  Abhandlung 
des  Oberlehrers  Prof.  Dr  Ley:  Grundlagen  zur  Begründung  der  gomome* 
iritchen  Funktionen  (12  S.  4).  Die  hier  aufgestellten  Grundlagen  sind 
ein  Auszug  eines  von  dem  Verf.  bearbeiteten  und  nächstens  erscheinen- 
den Lehrbuchs  der  Goniometrie  und  Trigonometrie.  Die  Darstellung  in 
ihrem  wesentlichen  Inhalte  soll  nicht  gerade  neu  sein,  es  soll  nur  auf 
einfachem  und  natürlichem  Wege  die  Allgemeingültigkeit  der  gewonne- 
nen Formeln  nachgewiesen  werden,  und  die  gegenwärtige  Herleitung 
ninächst  den  analytischen  Begpründungen  durch  unbestimmte  Keihen  ent- 
gegengestellt werden.  —  Von  dem  königlichen  Fried rich-Wil- 
lielins- Gymnasium  wurden  der  Hülfslehrer  Binsfeld  und  derSchoI- 
amtscandidat  Scher fgen  abberufen,  und  ersterer  an  das  Gymnasium 
sn  Bonn,  letzterer  an  das  zu  Trier  versetzt.  Der  Schulamtsc.  Kocks, 
der  sein  Probejahr  antrat,  wurde  deshalb  alsbald  selbständig  verwendet; 
ebenso  setzte  der  Cand.  Wacker  die  an  der  höheren  Bürgerscliule  be- 
gonnene Probezeit  an  dem  Gymnasium  fort.  Dr  Eckerz  und  Feld 
wurde  der  Oberlehrer-Titel  verliehen.  Lehrerpersonal:  Director  Dr  Kne- 
bel, Prof.  Ho sz,  Oberl.  Dr  Pfarrias,  Reg. -R.  Grashof  evang. 
Religionsl.,  Dr  Schlünkes  kath.  Religionsl.,  die  Oberl.  Oettinger, 
Haentjes,  Dr  Probst,  Dr  Eckertz,  Feld;  Gymnasiall.  DrWein- 
kauff;  Hülfslehrer:  Berghaus,  Dr  Scheck,  Schulamtsc.  DrKocks, 
Zeichenl.  Bourel,  Gesangl.  Weber,  Probecand.  Wacker.    Die  Zahl 

•der  Schüler  betrug  im  Winterhalbj.  397,  im  Sommers.  382  (I*  30,  I»> 
«0,  II«  40,  II  »>  40,  III  68,  IV  58,  V  51,  VI  65).  Abiturienten  29. 
Da  das  Local  des  Gymnasiums  bisher  jeder  äuszeren  Bezeichnung  seiner 
Bestimmung  entbehrte,  so  wurde,  um  zugleich  dem  Gefühle  der  Dank- 
barkeit gegen  den  Stifter,  der  Anstalt,  König  Friedrich  Wilhelm  HI, 
einen  angemessenen  Ausdruck  zu  geben,  eine  Marmortafel,  mit  goldener 

/  Inschrift  über  dem  Portal  eingefügt  und  den  Schülern  die  Bedeutung 
dieser  Gedenktafel  in  einer  Ansprache  des  Directors  zum  Bewüstsein 
gebracht.  Den  Schulnachrichten  geht  voraus  eine  wissenschaftliche 
Abhandlung:  de  Tacito  dialogi^  qui  de  Oratoribus  inscribitur,  auctore. 
Disseruit  Dr  Fr.  Weinkauf.  Part.  I.  (45  S.  4).  'Quidquid  commune 
vel  simile  esse  vidi  in  dialogo  et  in  scriptis  Tacitinis,  ita  congessi  ut 
qnom  Taciti  ars  et  sermo  multis  exemplis  monstretur  tum  eiusdem  dia- 
logum  esse  videri  vel  ipso  conspectu  efficiatur.'  Der  index  (S.  15-^6) 
enthält  3  Theile:  I.  Pars  rhetorica  (synonyma,  adliteratio,  opposita, 
mdlitteratio  oppositorum,  adlitteratio  et  adnominatio,  complosio  sylla- 
barum,  homoeoteleuta ,  homoeoteleuta  mitigata,  polyptota,  anaphora, 
oratio  variata,  amplificatio  membrorum,  gradatio,  chiasmus,  conlocatio 
Tocabulorum ,  metonymia ,  adiectiva).  U.  Pars  grammatica  (declinatio  et 
eoniugatio,  usus  genetivi,  verba,  breviloquentia^  ellipses.  —  Quae  re- 
■tant  libellus  insequentis  anni  scholasticus  ezhibebit.  0, 

KÖNIGSBERG  i.  Pr..]  a.  In  das  Lehrercollegium  des  k.  Friedrichs- 
Collegium*8  sind  neue  Mitglieder  nicht  eingetreten;  Licent.  Dr  Sim- 
sen ward  die  bisher  interimistisch  von  ihm  verwaltete  ordentliche  Leh- 
rerstelle definitiv  übertragen.  Lehrerpersonal:  Professor  Dr  Horkel 
Director,  die  ^Oberlehrer  Professor  Dr  Hagen,  Professor  DrMerleker, 
Dr  Lewitz,  die  ordentl.  Lehrer  Oberlehrer  E b el,  Dr  Zander,  Profes- 
sor Dr  Zaddach,  Lic.  Dr  Simson,  die  wissenschaftl.  Hülfslehrer  Di- 
visionsprediger Hintz,  Dr  Hoffmann,  Dr  Müller,  Kreutzberger 
Bchreib-  und  Zeichenlehrer,  Meiszner  Gesanglehrer.  Schülerzahl  281 
(I  29,  II  46,  lU  54,  IV  48,  V  56,  VI  48).    Abiturienten  12.    Das  Pro- 


528  Berichte  aber  gelehrte  Anstalten ,  Verordnungen,  statisl.  Notivatt. 

gramm  enthält  eine  Abhandlung  vom  Oberlehrer  Dr  Lewits:  de  FlajsU 
losephi  fide  atque  aucioHtaie  (20  S.  4).  ^Ilium  vero,  licet  a  nullo  adhno 
id  de  losepho  observatum  invenerim,  ego  qoidem  existimo  suif  testimo* 
niis  fluaqae  narrationo  frandis  culpacque  esse  convictam  neqae  a  grayls- 
Bimo  crimine  proditionis  erga  pati'iam  prorsus  absolvi  posse.  Bed  effe* 
cisse  me  puto  talem  yiram,  tarn  subdolae  astatiae  et  calliditatia ,  qoar 
lern  se  in  agendo  ostendit,  ea  yitae  fortnnaeque  conditione,  qaali  osiif 
est,  Teritatem,  ubicumque  aliquid  gravius  de  se  vel  de  suo  popolo  enar- 
ret,  dicere  nee  potuissc  nee  voluissc,  semperque  dieta  ac  facta  eiiu  sabae- 
qui  ex  proximo  suspicionem  ac  dubitationem ,  -fidem  procnl  retineri  ne- 
cesse  est.'  Das  zweite  Kapitel  handelt:  de  ingenio  losephi  atque  eni- 
ditione  et  de  opinionibns  religiosis;  utrum  mentem  habuerit  oboaeoatam 
snperstitione  ac  praeiudiciis ,  an  veritatem  perspicere  et  dicere  pro  ha* 
mani  animi  infirmitate  potuerit.  —  b.  Im  LehrercoUegiam  des  alt- 
städtisch en  Gymnasiums  ist  im  verflossenen  Schuljahre  keine  Ver» 
änderung  eingetreten.  Dasselbe  besteht  aus  folgenden  Mitgliedern:  Dr 
Eilend t  Director,  den  Oberlehrern  Professor  Müttrich,  DrNitkai 
Fats check,  den  ordentl.  Lehrern  Dr  Kräh,  Dr  Richter,  Dr  Reti- 
laff,  Schumann,  Professor  Dr  Nesselmann,  Schulamtscandidat  0r 
Seidel,  Elemontarlehrer  Rosatis,  Zeichenlehrer  Stobbe,  .Cantor 
Pätzold.  Die  Zahl  der  Schüler  betrug  am  Schlüsse  des  SchoUahrs 
351  SchiÜer  (I  47,  II«  24,  II»>  22,  Ul«  47,  IIIJ>  46,  IV  «5,  V  58,  VI 
47).  Abiturienten  20.  Vorangeschickt  ist  den  SchulnachHchten  eine 
Abhandlung  Ton  Dr  Richter:  de  eupinis  Latinae  linguae,  P.  //  (15  S.  4). 
Der  erste  Theil  derselben  ist  in  dem  vorjähi'lgen  Programm  enthalteni 
der  Schlusz  soll  im  nächsten  Jahre  folgen.  Cap.  VIU.  De  üb,  qoae 
Bupinorum  loco  ponuntur.    I.  De  iis,  quae  consilium  obiecthe  denotanft« 

1.  De  infinitivo.  2.  De  gerundio  et  gerundivo.  3.  De  nonnullia  mtoa»- 
tivis,  quae  fere  sunt  yerbalia  et  abstracta.  II.  Exponitur,  qnomodo  poit 
verba  movendi  consilium  eubieciive  signilicetur.     1.  De  lingulis  vooabalii« 

2.  De  enuntiationibus. —  c.  An  dem  Kneiphöfischen  Stadt-Qjm« 
nasium  beendigten  die  Schulamtscandidaten  Brandt  und  DrDiestel 
ihre  Thätigkeit;  die  Stelle  eines  wissenschaftl.  Hülfslehrers  wurde  dem 
Gandidaten  v.  Drygalski  tibertragen.  Der  Oberlehrer  Dr  Wiehert 
erhielt  den  Professortftel.  Das  Lehrercollegium  besteht  aus  dem  Direetor 
Dr  Skrzeczka,  den  Oberlehrern  Professor.  Dr  Koenig  Froreetor, 
Witt,  Dr  Schwidop,  Professor  Dr  Wiehert,  Dr  Lenta,  Cliple- 
vius,  den  ordentlichen  Lehrern  Weyl,  Dr  Knobbe,  dem  SchoUunta* 
candidaten  v.  Drygalski,  Dr  Seemann,  Zeichen-  und  Schreiblehrtr 
Gl  um,  Musikdirector  Pabst.  Schüler  zahl  305  (I  30,  11  56,  III«  35» 
UIi>  35,  IV  55,  V  52,  VI  41).  Abiturienten  10.  Auszer  den  Sohnl- 
nachrichten  enthält  das  Programm  eine  Abhandlung  Tom  Professor  Dr 
Wiehert:  de  dauaula  rhetorifa  latina.  Part.  I  (34  S.  4).  Dr  0, 

Kbbuznach.]  In  dem  Lehrercollegium  ist  im  1857  verflossenen  Sehnl- 
jahre  keine  Aenderung  eingetreten.  Dasselbe  bildeten  der  Dir.  Prof.  Dr 
Axt,  die  Oberlehrer:  Prof.  Grabow,  Prof.  Dr  Steiner,  Seyffert, 
Waszmuth,  Dellmann,  Möhring,  Gymnasiallehrer  Oxd,  B^aplan 
Weiszbrodt,  kath.  Religionsl.,  Zeichenl.  Caner,  Schulamtso. Wein- 
mann. Die  Zahl  der  Schüler  betrug  182.  Abiturienten  7.  Das  Pro* 
gramm  enthält  eine  Abhandlung  von  E.  F.  Waszmuth:  über  das  detd» 
ecke  Schulwesen  im  Zeitalter  der  Reformation  (29  S.  4).  Der  Verf.  fobrt 
aus ,  welches  das  Hauptziel  war ,  das  die  durch  die  deutschen  Reforma- 
toren gegründeten  Schulen  zu  erreichen  gesucht  haben,  und  auf  welche 
Weise  die  Schulen  durch  religiöse  Uebungen  und  durch  Unter- 
richt ihre  Aufgabe  zu  lösen  bemüht  waren.  Die  Disciplinarverfassiuig 
jener  Schulen ,  ebenso  die  persönlichen  Verhältnisse  der  Lehrer  in  jener 
Zeit  sind  unberührt  gelassen.     Zum  Schlusz   werden   noch  einmal  die 


BerMftcf  Qber  gelehrte  Anstalten,  Verordnungen,  Statist.  ^Notises.  529 

Punkte  hervorgehoben,  in  welchen  sich  das  Schulwesen  der  Refor- 
mationszeit  vom  jetzigen  Schulwesen  auf  den  ersten  Blick  un- 
terscheidet: 1.  Die  Schulen  der  Reformation  waren  kirchliche  Anstal- 
ten. 2.  Die  lateinischen  Schulen  sind,  wie  die  Volksschulen 
und  die  Universitäten,  streng  confessionell.  3.  Die  Schulen  zu 
'besuchen  ist  im  Reformationszeitalter  niemand  gezwungen,  obwol  Luther 
es  für  eine  Pflicht  der  Obrigkeit  erklärt»  wenigstens  dahin  zu  wirken, 
dasz  "talentvolle  Knaben  von  gewissenlosen  Eltern  der  Schule  nicht  vor- 
enthalten werden.  4.  Der  Lehrplan  der  lateinischen  Schulen  ist  viel 
einfacher  als  der  jetzige.  Alle  geistige  Kraft  concentriert  sich  auf 
das  erlernen  des  Lateinischen.  Griechisch  und  Hebräisch  wird 
mir  dürftig  getrieben»  Mathematik  noch  dürftiger.  5.  Die  lateinischen 
Behulen  der  Reformationszeit  umfaszten  alle  Stände,  alle  Berufs- 
ar4en.r  Hieran  wird  die  Frage  geknüpft  aber  nicht  beantwortet:  ver- 
dient der  -einfache  Schulorganismus  der  Reformationszeit  mit  seinen 
Volkschulen,  seinen  alle  Stände  und  Berufsarten  umfassenden  latoini- 
sehen  Schulen»  seinen  Universitäten  den  Vorzug  oder  unser  vielgliedri- 
ger  Schulorganismus  mit  seinen  Elementarschulen,  Gymnasien,  Univer- 
ntäten,  Bürgerschulen,  Reabchulen,  Gewerbeschulen,  polytechnischen 
Anstolten  ?  0. 

Lauban.]  ImLehrercollegium  des  G.  hat  es  im  1857  verflossenen  Schul- 
jahre keine  Veränderung  gegeben.  Dasselbe  bilden  der  Dir.  Dr  Schwarz, 
Gonrector  Haym,  die  Oberlehrer  Dr  Beisert,  Faber,  Collaborator 
Dr  Peck,  Candidat  Fährmann,  Vertreter  des  CoUab.  Fla  de»  Colla- 
borator Dr  P  r  ü  f  e  r ,  Cantor  und  Musikdirector  B  ö  1 1  g  e  r,  Kaplan  Kreuz 
kath.  Religionsl.  Die  Zahl  der  Schüler  betrug  144  (I  29»  H  30,  III  29, 
IV  37 ,  V  19).  Abiturienten  14.  Das  Programm  enthält  eine  Abhand- 
lung des  Schulamtscandidaten  Fährmann:  die  Sckicksaieidee  in  den 
Tragoedien  des  Sophokles  (14  S.  4).  Dr  0, 

Leobschütz.]  Von  dem  dortigen  königlichen  katholischen 
Gymnasium  wurde  Gymnasiallehrer  Dr  Görlitz  nach  Breslau  ver« 
setzt.  Candidat  Schönhuth  leistete  Aushülfe.  Collaborator  W i s s o w a 
wurde  zum  Gymnasiallehrer  befördert.  Lehrerpersonal:  Director  Dr 
Kruhl,  die  Oberlehrer  Dr  Fiedler,  Schilder,  Dr  Winkler,  Rell- 
ejonslehrer  Kirsch,  die  Gymnasiallehrer  Tiffe,  Dr  Welz,  Stephan, 
Wissowa,  Collaborator  Kleiber,  die  CandidatenMeywald,  Schön- 
huth, Zeichenlehrer  Kariger,  Rector  Elpel.  Frequenz -379  (I  32, 
n  64,  UI  69,  IV  73,  V  70,  VI  81).  Abiturienten  10.  Den  Schulnach- 
liehten  ist.  vorausgeschickt  eine  Abhandlung  vom  Oberlehrer  Dr  Wink- 
ler: de  primis  chälifatus  temporibus  ex  nohüissimis  Arabum  scriptwribu» 
Aterüut  (14  S.  4).  Dr  0. 

LiEONiTZ.]  Ein  Wechsel  im  Lehrerpersonale  fand  in  dem  könig- 
liehen  und  städtischen  Gymnasium  in  dem  1857  verflossenen 
Sehnljahre  nicht  statt.  Das  Lehrereollegium  bestand  aus  dem  Dfrector 
J^rof.  Dr  Müller,  Prorector  Dr  Brix,  Conrector  Balsam,  Oberlehrer 
Matth.äi,  den  Gymnasiallehrern  Mäntler,  Göbel,  Hanke,  Har- 
neeker,  Uülfslehrer  Dr  Dahleke,  Kaplan  König,  Zeichenlehrer 
Fahl,  Cantor  Franz,  Premier -Lieut.  Scherpe  Turnlehrer.  Die  Zahl 
der  Sehüler  betrug  251  (I  29,  H  89,  III  51,  IV  53,  V  53,  VI  27).  Abi- 
torienten Michaelis  1856  4,  Ostern  1857  5.  Vorausgeschickt  ist  den 
Behnlnachrichten  als  wissenschaftlicher  Theil  des  Programms  eine  Ab« 
liandhing  von  dem  Prorector  Dr  Brix:  de  TerenHi  fabuUs  post  RicK 
BenÜeium  emendandis  (18  S.  4).  -^  Die  königliche  Ritter-Akade- 
mie verlor  den  Professor  Franke  durch  den  Tod.  Dem  Dr  Schö- 
aermark  wurde  das  Prädicat  als  Oberlehrer  verliehen.  Das  Dirscto- 
rinm  der  Ritter -Akademie  und  des  St  Johannis- Stifts  besteht  aus  dem 
Bc^emngs-Präsidenten  Graf  Zedlits-Trfitzsehler  als  CurAtor  und 


530  Berichte  .aber  gelehrte  Anstalten,  Verordnungen,  Statist.  üottiiD. 

dem  Director  «Professor  Dr  Sauppe.  Mitglieder  des  Lehrereolleginms; 
I)  wissenscfhaftliche  Lehrer:  a)  ordentliche:  Professor  Dr  Saappe 
Director,  die  Professoren  Dr  Scheibel,  Gent,  Dr  Platen,  die  Ober- 
lehrer Hering,  Dr  Schirrmacher,  Dr  Zehme,  Dr  Schönermark, 
Dr  Freiherr  v.  Kittlitz  erster  Ciyilinspectbr,  Weisz  zweiter  Ciyfl- 
inspector;  b)  auszerordentliche:  Oberkaplan  ^Ritter  kathoL  Beligions- 
lehrer,  Premier-Lieat.  v.  Hugo  militär^  Inspector;  II)  technisehe: 
Rittmeister  a.  D.  Hänel  Stallmeister,  Premier  -  Lieut.  a.  D.  Soherpe 
Fecht-  und  Turnlehrer,  Red  er  Oesanglehrer ,  Blätterbaner  Zeichen- 
lehrer; III)  St  Johannisstifts-Beamto :  Premier-Lieatn.  Elbrandt  Ren- 
dant,  V.  Bornstedt  Controlenr ,  G r ö g e r  Hausmeister  und  Kanzelift. 
Gesamtzahl  der  Schüler  136,  44  Zöglinge,  02  Schüler,  und  swar  180 
evangelische,  6  katholische  (I  22,  II  34,  III«  34,  Uli»  23,  ly  23). 
Abiturienten  10.  Das  Programm  enthält  eine  Abhandlung  des  Oberkdür 
rers  Dr  Schön  er  mark:  on  the  Lake  School  of  English  Poitry  (288.  4). 

Dr  0. 

Ltck.]  Programm  des  Gymnasiums  1857.  Der  Gymnasial- 
lehrer Kiszncr  folgte  einem  Rufe  als  Rector  der  Stadtschule  zu  Bar- 
tenstein; in  die  wissenschaftliche  Hülfslehrers teile  rückte  Dr  Botzon 
ein.  Die  entstandene  Vacanz  versah  theilweise  der  Schulamtzoandidai 
Kopetsch;  mit  dem  Anfange  des  Jahres  trat  auch  der  Schalamts» 
candidat  Guerikc  ein.  Am  Schlüsse  des  Schuljahres  schied  der  Ober- 
lehrer D  i  e  s  t  e  1  aus  der  Anstalt.  Lehrerpersonal :  Professor  Fabian  Di- 
rector, die  Oberlehrer  Chr^e sein ski,  Kostka,  Diestel,  Go^tiitsa, 
Dr  Horch,  Oberlehrer  Menzel,  Dr  Botzon,  Guerike,  Kopetsoh, 
Pfarrer  Preusz.  Die  Zahl  der  Schüler  betrug  230  (I  21,  II  85,  Ili« 
28,  lU»»  38,  IV  43,  V  44,  VI  30).  Abiturienten  16.  Den  Schalna«^ 
richten  geht  voraus  eine  Abhandlung  des  Oberlehrers  Kostka:  über  Se 
leiblich  und  menschlich  gedachten  Götter  bei  Homer  (34  S.  4).  Dieselbe  ent* 
hält  eine  nach  der  in  den  alten  Erklärern  (Eustath.  S.  38, 3  zu  Uiad.  1, 
43  und  Schol.  zu  Iliad.  12,  521)  gegebenen  Andeutung  geordnete  Za* 
sammenstellung  der  die  Leiblichkeit  der  homerischen  Götter  betreffenden 
Hauptstellen  aus  der  Ilias  und  Odyssee.  Cap.  I.  Die  Götter  und  Men- 
schen nach  ihren  hervortretenden  Eigenschaften.  Cap.  II.  Die  onsteib- 
lichen  Götter,  a^avanla, ^  Cap.  III.  Die  unsichtbaren  und  sichtbaren 
Götter,  (inafioQtpmaig.  ivagysia,  Cap.  IV.  Die  ^Bol  dv&QoawondiSg  und 
avd'Qmnonad'sis.  Cap.  V.  Die  &Bol  qtigrsQOi  ,dvdQ(Sv,  Der  Verf.  hat 
diese  Zusammenstellung  zunächst  für  gereiftere  Schüler  bestimmt,  die 
mit  den  Hauptpartien  dieser  beiden  (Gedichte  schon  einigermaazen  be- 
kannt sind,  wobei  er  durch  mögliche  Beibehaltung  der  Ausdrücke  md 
Worte  des  Dichters  zugleich  das  sprachliche  Interesse  und  die  Bekannt 
Schaft  mit  dem  griechischen  Texte  zu  fördern l)eabsichtigt.  O. 

Mabienwebdeb.]  Oberlehrer  Raymann  am  dasigen  G^ymnasinm 
starb  im  1857  verflossenen  Schuljahre;  Hülfslehrer  Dr  Flemming  Ist 
an  das  Gymnasium  zu  Tilsit  versetzt  worden;  an  des  letzteren  Stelle 
ist  der  Candidat  der  Theologie  Rothe  getreten.  Das  Lehrercolleginm 
bildeten  im  verflossenen  Schuljahre:  Professor  Dr  Lehmann  Direotor| 
die  Oberlehrer  Prof.  Dr  Gützlaff,  Professor  Dr  Schröder,  Gross, 
Raymann,  die  ordentlichen  Lehrer  Dr  Zeysz,  Reddig,  Henske, 
Gräser  Lehrer  fürs  Französische  und  Englische,  Berendt  Zeiehen- 
nnd  Schreiblehrer,  Cantor  Leder  Gesanglchrer ,  die  wissenschaftliehen 
Hülfslehrer  Cand.  Schröder  und  Rothe.  Die  Zahl  der  Schüler  be- 
trug 335  (I  27,  U  41,  III«  30,  lU»»  46,  IV  74,  V  71,  VI  46).  Abitn- 
rienten  1 1 .  Die  wissenschaftliche  Abhandlung  ist  von  dem  Director  Dr 
Lehmann  geschrieben:  sprachliche  Studien  über  das  Nibelungenlied.  Zw€^ 
tes  Heft,  Satzstellung  (23  S.  4).  In  dem  vorjährigen  (ersten)  Hefte  die- 
ser sprachlichen  Studien  über  das  Nibelungenlied  hatte  der  Verf.  da« 


Keriolite  Aber  gelehrte  Anstalten,  Verordnungen,  Statist.  Notiien.  531 

C^nmdgesetz  der  Yoransscbickting  in  Bezug  auf  die  Kebensätze  höherer 
Grade  untersucht  und  war  zu  dem  Resultat  gelangt,  dasz  die  in  den 
altklassischen  Sprachen  unbekannte  Regel,  nach  welcher  kein  Nebensatz 
Tor  seinem  ihm  snperordinierten  Nebensätze  stehen  darf,  im  Mittelhoch- 
deutschen vielfache,  aber  auch  im  Neuhochdeutschen  noch  mehrfache 
Ausnahmen  aus  triftigen  Oründen  erleide.  Diesmal  untersucht  derselbe 
dms  Grundgesetz  der  Yorausschickung  blos  in  Bezug  auf  den  Nebensatz 
des  ersten  Grades  und  spricht  you  der  den  altklassischen  Sprachen 
gleichfalls  unbekannten  Regel  des  Deutschen,  nach  welcher  in  gewissen 
Fftllen  auch  ein  Nebensatz  des  ersten  Grades,  falls  ein  anderer  Neben- 
satz desselben  Grades  bereits  dem  Hauptsatze  vorangeht,  demselben 
nicht  auch  noch  darf  vorausgeschickt  werden,  oder  mit  andern  Worten, 
nach  welcher  der  Nachsatz  nicht  mit  einem  Nebensatze  beginnen  darf. 
§  1.  Vorder-  und  Nachsatz.  Vorder-  und  Nachperiode.  §  2.  Einlei- 
tungen der  Nachperiode.  §  3,  4  und  5.  Entwicklung  der  Regel  für  die 
8atzstellnng  in  Vorder-  und  Nachperiode.  §  6,  7,  8  und  9.  Ausnahme- 
falle im  Nibelungenliede.  §  10.  Schlnsz.  Mehr  als  zwei  Nebensätze 
und  mehr  als  ein  Hauptsatz,  0. 

Minden.]  In  dem  Lehrercollegium  des  Gymnasiums  und  der  Real- 
schule waren  auch  in  dem  1857  verflossenen  Schuljahre  manichfache  Ver- 
änderungen eingetreten.  Der  Gymnasiallehrer  Dr  Hoc  he  folgte  einem 
Bufe  an  die  Ritterakademie  zu  Brandenburg  und  der  wissenschaftliche 
Bülfslehrer  Polscher  einem  Rufe  an  die  Realschule  zu  Duisburg.  Die 
Tscanten  Stellen  wurden  den  Candidaten  Haupt  und  Sardemann 
eommissarisch  übertragen.  Zur  Erstehung  des  Probejahres  waren  dem 
Öyttinasium  zugewiesen  die  Candidaten  Faber,  Sardemann  und 
Haupt.  Lehrerpersonal:  Director  Wilms,  Prorector  Zillmer,  die 
Oberlehrer  Dr  Dornheim,  Dr  Güthling,  Plantsch,  Schütz,  die 
Gymnasiallehrer  Schütz,  Meierheim,  Hülfslehrer  Petri,  Gymnasial- 
lehrer Kniebe,  die  Candidaten  F aber,  Sardemann,  Haupt,  Pastor 
Dieckmann  kathol.  Religionslehrer.  Frequenz  274  (Ig.  13,  II  g.  17, 
III  g.  30,  I  r.  10,  II  r.  16,  III  r.  17,  IV  44,  V  52,  VI  44,  VII  31).  AI« 
Lehrer  für  die  neuerrichtete  mit  dem  Gymnasium  verbundene  Vorbe- 
reitungsklasse wurde  der  Gymnasial  -  Elementar  -  Hülfslehrer  J  o  h  a  n  s  - 
mann  ernannt.  Gymnasial -Abiturienten  3,  Real  -  Abiturienten  2.  Den 
fichulnachrichten  geht  voraus:  die  Kegelschnitte  f  in  analytisckgeometriscker 
Darstellung f  vom  Oberlehrer  Dr  Dornheim  (32  S.  4).  Dr  0, 

Neustettin  1857.]  Die  bisherige  interimistische  Hülfslehi'erstelle 
am  dasigen  Gymnasium  wurde  definitiv  in  eine  etatsmäszige  ordent- 
liche Lehrerstelle  verwandelt  und  dieselbe  dem  bisherigen  wissenschaft- 
lichen Hülfslehrer  Frank  übertragen.  Zu  Michaelis  schied  mit  der  ge- 
setzlichen Pension  aus  dem  Kreise  des  Lehrercollegiums  dei  Oberlehrer 
nnd  Pastor  Dr  Kosse.  Zur  provisorischen  Ausfüllung  der  hierdurch 
entstandenen  Lücke  trat  der  bisherige  Lehi'er  am  Gymnasium  zu  Alt- 
stettin Rüter  ein.  Der  Schulamtscandidat  Lesch  folgte  nach  bestan- 
denem Probejahre  einem  Rufe  an  die  höhere  Lehranstalt  zu  Birkenruh 
in  Liefland.  Lehrer:  Director  Dr  Röder,  die  Oberlehrer  Prof.  Beyer, 
Dr  Kosse,  Dr  Knick,  Dr  Hoppe,  Krause,  Dr  Heidtmann,  die 
Gymnasiallehrer  Dr  Pfefferkorn,  Franck,  techn.  Gymnasiall.  Bech- 
lin.  Schülerzahl  243  (I  25,  II  37,  HI  47,  IV  50,  V  50,  VI  34).  Abi- 
turienten 9.  Das  Programm  enthält  eine  Abhandlung  des  Oberlehrers 
Krause:  de  fontibus  et  auctoritate  scriptorum  historiae  Augustae,  Pars,  I 
(24  S.  4).  Cap.  1.  Hadrianus.  Cap.  2.  Aelius  Yerus.  Cap.  3.  Anto- 
ninus  Pius.  Cap.  4.  Antoninus  Philosophus.  Cap.  5.  L.  Antoninus 
Verus.  Cap.  6.  Avidius  Cassius.  Cap.  7.  Commodus.  Cap.  8.  Per- 
tinax.  Cap.  0.  Didius  lulianus.  Cap.  10.  Septimius  Severus.  Cap.  11. 
Pescennius  Niger.     Cap.  12.  Clodius  Albinus.  —  Bei  dem  Jubiläum^  der 

N.  Jahrb.  f,  Phä,  u.  Paed.  Bd  LSXYIII.  Bß  10.  36 


532  Beriohte  fiber  gelehrte  Anstalten,  Verordnnngen,  ttalist.  IMiMV« 

Universität  Greifswald  überbrachte  der  Oberlehrer  Dr  Heidtmann 
eine  GlUckwunschaddresse  unter  Beifü^ng  einer  von  ihm  verfaasten 
Epistola  critica  ad  virum  perillastrem  O.  F.  Schoemanniim :  über  teftv^e- 
rige  Steilen  der  Schrift  des  Cicero  de  nat,  deorum,  Dr  0. 

Rastenbubo.]  Im  1857  verflossenen  Schuljahre  haben  keine  Ter* 
änderungen  im  Lehrerpersonal  stattgefunden.  Die  neubegründete  7e 
ordentliche  Lehrerstelle  ist  durch  Yocation  dem  früheren  Hülfslehrer 
Fabricius  definitiv  übertragen.  Das  LebrercoUegium  bilden  der  Di- 
rector  Techow,  die  Professoren  Klupsz,  Brillowski,  Weil,  Küh- 
nast,  die  Oberlehrer  Claussen,  JUnsch,  die  ordentlichen  liehrer 
Fabricius,  Richter,  Küsel,  Thiem,  Raths.  Schülerzahl  311 
(I  41,  II  59,  III*  46,  III»>  30,  IV  52,  V  50,  VI  33).  Abiturienten  21. 
Den  Schulnachrichten  geht  voraus :  deutsche  Kirchenlieder  in  Polen»  Abth»  /| 
vom  Professor  Dr  Kühnast  (26  8.  4).  Der  Verf.  beginnt  die  Verw 
Öffentlichung  eines  Verzeichnisses  der  mehr  als  zweitausend  Ueber- 
Setzungen  deutscher  evangelischer  Kirchenlieder  in  das  Polnische.  Seine 
Aufgabe  ist  einen  annüherungsweise  vollständigen  Ueberblick  über  die* 
Ben  Schatz  zu  ermöglichen,  der  seit  länger  als  hundert  Jahren  keine 
specielle  Beachtung  gefunden  hat.  Ein  Theil  der  Quellen  des  polnischen 
evangelischen  EÜrchenliedes,  die  vor  der  Mitte  des  vorigen  Jahrhundertt 
noch  vorhanden  waren,  ist  bereits  dem  Untergange  anheimgefallen.  Der 
Zweck  der  Uebersicht  ist  ein  lediglich  praktischer.  Die  Giiinds&tsey 
nach  denen  der  Verf.  gearbeitet  hat,  ergeben  sich  aus  der  Arbeit  selbst« 

Dr  0. 

Staboabd.]  Am  Anfange  des  1857  verflossenen  Schuljahres  wordea 
Prof.  Dr  Hornig  als  Director  des  Gymnasiums  und  Dr  Zinsow  ab 
Prorector  eingeführt.  Letzterer  verliesz  am  Schlüsse  desselben  die  An- 
stalt ,  indem  er  einem  Rufe  als  Director  an  das  Gymnasium  in  Wetdar 
folgte.  Lehrerpcrsonal :  Director  Prof.  Dr  Hornig,  Prorector  Dr  Zin« 
Kow,  die  Oberlehrer  Dr  Schirlitz,  Dr  Engel,  die  Gymnasiallehrer 
Dr  Schmidt,  Essen.  Runge,  Dr  Kopp,  Dr  Ziemssen,  Hülfslehrer 
Frederichs,  Zeichenlehrer  Keck,  Musikdirector  Bischoff.  Schüler- 
zahl 217  (I  14,  II  18,  III  36,  IV  40,  V  60,  VI  49).  Abiturienten  2.  — 
Statt  einer  wissenschaftlichen  Abhandlung  enthält  das  Programm :  Aeol^ 
schule  und  (Gymnasium,   Antrittsrede  des  Directors  (18  S.  4).  Dr  O, 

Thobn  1857.]  Aus  dem  LebrercoUegium  des  Gymnasiums  schied 
Dr  A.  Prowe,  um  dem  Rufe  als  Director  der  höheren  Töchtersohnle 
zu  Thom  zu  folgen.  Lehrer  personal :  Director  Dr  Laub  er,  die  Ober- 
lehrer Professor  Dr  Paul,  Professor  Dr  Jansen,  Dr  Fasbender,  Dr 
Hirsch,  Dr  L.  Prowe,  die  ordentl.  Lehrer  Dr  Bergenroth,  Dr 
Brohm,  Pritsche,  Dr  A.  Prowe,  Müller,  Böthke,  Dr  Winkler, 
Decan  T schiedel  kathol.  Religionslehrer,  Garnison-Prediger  Braan- 
schweig  evangel.  Religionslehrer,  die  Zeichenlehrer  Völoker  und 
Templin.  Die  Frequenz  der  Anstalt  war  346  (I  24,  II  gynuu  22, 
II  real.  16,  III  gymn.  43,  III  real.  23,  IV*  u.  »>  88,  V*  u.  »»  08,  VI  83). 
Abiturienten  10.  Den  Schulnachrichtcn  folg^  eine  Abhandlung  des  Ober- 
lehrers Dr  Fasbender:  Ahrisz  einer  Einleitung  in  die  beschreibende  Geo^ 
metrie  (32  S.  4).  Statt  einer  wissenschaftlichen  Abhandlung  haben  wir 
hier  die  Bearbeitung  eines  Zweiges  eines  Lehrgegenstandes.  Dieselbe 
ist  hervorgenifen  durch  die  Rücksicht  auf  den  in  den  dortigen  Real- 
klassen zu  ertheilenden  Zeichenunterricht,  um  damit  den  SehÜlem, 
welche  an  diesem  theilnehmen,  eine  gedruckte  Uebersicht  der  darin  be- 
handelten einleitenden  Begri£fe  und  Darstellungen  aus  der  beschreiben- 
den Geometrie  in  die  Hand  zu  geben.  Dr  0, 

Tilsit.]  Der  Oberlehrer  des  dasigen  Gymnasiums  Heydenreich 
wurde  im  Schuljahre  1857,  nachdem  er  40  Jahre  hindurch  der  Anstalt 
seine  Dienste  geleistet,  auf  seinen  Wunsch  hin  emeritiert.    Zur  Üeber- 


Beriehte  über  gelehrte  ÄDstaUen,  Verordnungen,  statUt.  Notizen.  533 

nähme  der  yaoant  gewordenen  mathematischen  Stunden  iat  Dr  Flem- 
ming'ans  Marienwerder  ins  LehrercoUegiom  eingetreten«  Durch  die 
Anstdlnng  eines  neuen  HUlfslehrers ,  Skrodski,  ist  es  möglich  ge- 
macht die  Seconda  und  Prima  in  den  Hauptleotionen  in  zwei  abgeson- 
derte Cötus  KU  theilen.  Das  Lehreroollegium  bildeten  der  Director 
Professor  Fabian,  die  Oberlehrer  Schneider,  Clemens,  Dr  Dü- 
ringer,  die  ordentl.  Lehrer  Dr  Kossinna,  Pöhlmann,  Dr  Scha- 
per,  Meokbach,  Gisevius,  Hülfslehrer  Schiekopp,  Zeichenlehrer 
Behberg,  Gesanglehrer  Colli n.  Die  Zahl  der  Schüler  betrug  284 
(I  35,  n  42,  UI«  38,  m»>  42,  IV  41,  V  41,  VI*  23,  VI»».22),  Abitu- 
rienten  16.  Den  Schulnachrichten  geht  voraus  eine  Abhandlung  von 
Dr  Kossinna:  über  die  KriegsmadU  der  Spartimer  und  Athener  in  der 
ersten  Periode  des  peloponnesischen  Krieges  (21  S.  4).  Der  Verf.  hat  sich 
zur  Aufgabe  gestellt  zu  untersuchen,  welches  die  Kriegsmacht  der 
beiden  Parteien  im  pelogponnesischen  Kriege  war,  hat  sich  aber  dabei 
auf  die  erste  Kriegspei-iode  bis  zum  Frieden  des  Nicias  beschränkt,  und 
zwar  hauptsächlich  aus  dem  Grunde,  weil  bei  den  vielen  Phasen,  welche 
dieser  Krieg  durchmachte,  nur  die  erste  Periode  noch  eine  ziemlich 
sichere  Abwägung  der  ursprünglichen  Kräfte  beider  Parteien  zulasse, 
während  am  Ende  die  Verhältnisse  sich  umkehrten.  Dabei  sieht  er  zu- 
gleich von  denjenigen  Kräften  ab,  welche  die  beiden  Hauptstaaten  durch 
Hinzuziehung  ihrer  Bundesgenossen  erhielten,  da  diese  zum  Theil  eine 
selbständige  Politik  verfolgt  hätten,  wie  Perdikkas,  König  von  Mace- 
donien,  der  von  der  einen  Partei  zur  andern  schwankte,  theils  im  Laufe 
des  Krieges  durch  Neutralitätsverträge  von  der  Betheiligung  an  dem- 
selben zurückgetreten,  wie  die  Akamanier,  theils  endlich,  was  freilich 
nur  von  den  athenischen  gelte,  abgefallen  seien,  wie  die  Lesbier,  und 
dadurch  der  Hauptmacht  den  doppelten  Kachäieil  verursacht,  diese 
nemlich  nicht  blos  durch  Entziehung  der  eignen  Kräfte  geschwächt, 
sondern  sie  auch  in  die  Nothwendigkeit  versetzt  hätten,  die  zu  ihrer 
Unterwerfung  erforderlichen  Streitkräfte  dem  Hauptkampfe  zu  entziehen« 
Der  Verf.  betrachtet  zunächst  Spartas  und  Athens  Macht  gesondert, 
wobei  die  Ermittlung  der  letzteren  leichter  ist  als  die  der  spartani- 
. sehen,  weil  wir  in  der  Hauptquelle  bestimmteren  Angaben  begegnen, 
die  zu  machen  Thucjdides  sowol  durch  den  ofifenen  Charakter  der  athe- 
nischen Politik  als  auch  durch  sein  nahes  Verhältnis  zu  den  Ereignis- 
sen, an  denen  er  selbst  als  Feldherr  theilnahm,  in  den  Stand  gesetzt 
wurde.  Nachdem  der  Verf.  nun  die  Streitkräfte  und  die  finanziellen 
Hülfsquellen  beider  Hauptstaaten  Griechenlands  für  sich  gemustert  hat, 
findet  er  als  das  Ergebnis  einer  Vergleichung  beider,  dasz  Sparta  bei 
einem  viermal  gröszeren  Gebiet  und  einer  ziemlich  gleichen  Volksmenge 
nur  in  Betreff  des  Fuszvolks  im  Vortheil  gewesen  sei,  und  dies  weniger 
durch  die  Zahl  als  durch  die  kriegerische  Ausbildung  und  praktische 
Bewährung  der  Hopliten.  Da  aber  die  Spartaner  anfangs  gar  keine 
Reiterei  gehabt  und  die  im  achten  Jahre  des  Kriegs  errichtete  schlecht 
gewesen  und  kaum  halb  so  stark  erscheine,  als  die  der  Athener  trotz 
mancher  Verluste  noch  geblieben  sei,  da  ferner  ihre  Seemacht  nur  dem 
sechsten  Theil  der  athenischen  gleichekommen  und  endlich  die  zur  Kriegs- 
führung nothwendigen  Geldkräfte  ihnen  fast  gänzlich  gefehlt,  so  könne 
wol  kein  Zweifel  darüber  obwalten,  dasz  Athen  als  der  mächtigere  Staaft 
erscheine  und  Sparta  gänzlich  besiegt  haben  würde,  wenn  beide  für  sich 
den  Kampf  ausgefochten  hätten.  ,Da  nun  aber  jeder  dieser  Staaten  als 
Haupt  einer  Symmachie  in  den  Kampf  trat,  wodurch  die  Machtverhält- 
nisse beider  in  eine  andere  Lage  kamen,  so  werden  auch  noch  die  Hülfs- 
quellen erörtert,  welche  beide  Hauptstaaten  in  ihren  Bundesgenos- 
sen zum  Beginn  und  zur  Fortsetzung  des  Krieges  fanden.  Zu  diesem 
Behufe  werden  zuerst  die  Bundesgenossen,  welche  sich  um  Sparta  und 

36* 


534  Personalnolizen. 

Athen  grappierten,  namhaft  gemacht,  und  es  wird  dann  die  Frage  zu 
beantworten  gesucht,  welche  Contingente  an  Truppen  und  Schi^en  sie 
stellten  und  welches  ihre  sonstigen  Leistungen  namentlich  an  Geldbei- 
trägen waren.  Bei  Sparta  werden  zunächst  die  Mitglieder  des  eigent- 
lichen peloponnesischen  Bundes  yon  denjenigen  Bundesgenossen 
unterschieden,  welche  sich  erst  später  als  Feinde  Athens  an  Sparta  an- 
geschlossen hatten;  bei  den  Athenern  werden  drei  yersehiedene 
Klassen  von  Bundesgenossen  unterschieden:  1)  yoUkommen 
selbständige,  2)  nur  der  Form  nach  selbständige,  3)  tributpflichtige 
oder  unterthänige  (Dazu  kommt  noch  das  eigentiiümliehe  Verhältnis 
Thessaliens  zu  Athen).  Dr  O. 


Personalnotizen. 

Anttellsiigeii  s 

Bursian,  Dr  C,  Priyatdocent ,  zum  auszerordentHchen  Professor 
in  der  philosoph.  Facultät  der  Uniyersität  zu  Leipzig  ernannt.  — 
Zarncke,  DrFrdr. ,  auszerordentlicher  Professor,  zum  ordentl.  Pro-' 
fessor  der  deutschen  Sprache  und  Litteratur  an  der  Uniyersität  bu 
Leipzig  ernannt. 

Oettorbens 

Am  22.  April  starb  zu  Erlangen  Dr  Christian  Flamin  Hein- 
rich August  Glaszer,  geb.  den  10.  December  1805  zu  Jodig  in  Ober- 
franken, seit  1833  Professor  der  Mathematik  am  Gymnasium  in  Erlangen. 
—  Am  5.  September  ebendaselbst  der  durch  seine  zahlreichen  Schraten 
bekannte  Philosoph  Dr  Johann  Friedrich  Koppen  im  84n  Lebeni« 
jfthre.  Er  war  am  21.  April  1775  zu  Lübeck .  geboren ,  seit  1807  Pro- 
fessor der  Philosophie  in  Landshut,  seit  1827  in  Erlangen  und  seit  1845 
auf  sein  ansuchen  in  Ruhestand  yersetzt  *).  —  Am  6.  October  eu  Zittau 
der  Gymnasiallehrer  C.  Frdr.  Aug.  Gamm  im  41n  Lebensjahre.  — 
Am  11.  October  in  Berlin  der  berilhmte  klassische  Schriftsteller  Qeh.- 
Bath  Karl  August  Yarnhagen  yon  Ense  im  Alter  yon  74  Jahren. 

*)  Die  an  seinem  Grabe  yon  dem  Prof.  Dr  yon  N ä gel sb ach  ge- 
haltene treffliche,  das  Wesen  des  Verstorbenen  in  ergreifender  Klarheit 
schildernde  Bede  ist  im  Druck  erschienen. 


Zweite  Abtheilung 

hentHsgegebeH  ?•■  Rid^lph  DielscL 


35. 

Ueber  die  Bedeutung  der  Raumanschauung  auf  dem  Gebiete 

der  Sprache. 

Als  geistig-sinnliches  Wesen  in  die  Mitte  zweier  Welten  gestellt 
und  durch  seine  Doppelnatnr  zum  Bindeglied  und  Vermittler  derselben 
bestimmt,  fühlt  der  Mensch  den  Drang  und  die  Kraft  iil  sich,  das  gel« 
stige  zu  versinnlichen  und  das  sinnliche  zu  vergeistigen.  Ist  nun  auch 
seine  gesaipte  Thäligkeit  eine  geistig -sinnliche,  so  dasz  aUe  seine 
Werke  und  Schöpfungen ,  wir  erinnern  unter  andern  an  die  der  Kunst, 
gleichsam  Abbilder  seinerselbst  sind,  so  tritt  doch  in  keinem  dersel- 
ben dieser  Doppelcharakter  des  Menschen  und  sein  eigenthnmliches 
Wesen  mehr  hervor,  als  in  der  Sprache '^j  ,  dem  anmittelbaren  Organe 
des  Geistes  und  gewissermaszen  der  Vorbedingung  und  Grundlage 
aller  geistigen  Lebensäuszernngen.  In  der  Sprache,  dieser  Welt  von 
Lauten,  offenbart  sich  der  denkende  menschliche  Geist  in  der  Form  der 
Vorstellung.  Die  tausendfältigen  Eindrücke  der  Dinge,  ihrer  Eigen- 
tchaften  und  Thätigkeiten,  welche  durch  die  Sinne  mit  dem  Geiste  des 
Menschen  vermittelt  werden,  verwandelt  er  mit  innerer  Nothwendig- 
keit  in  ebensoviele  Vorstellungen  und  verkörpert  diese  als  geistig- 
sinnliches, geselliges  Wesen  in  artikulierten  Lauten;  ja  auch'^die  gei- 
stige Welt  findet  durch  immer  gröszere  Vergeistigung  und  Vertiefung 
der  zunächst  die  Dinge  der  Auszenwelt  bezeichnenden  Wörter  ihren 
angemessenen  Ausdruck.    Die  Art  und  Weise,  wie  dies  geschieht,  wie 


*)  Wie  die  Sprache  im  allgemeinen ,  so  ist  auch  jedes  einzelne  Wort 
ein  treues  Abbild  des  Menschen.  Denn  wie  wir  beim  Menschen  Leib, 
Seele  und  Geist  unterscheiden ,  so  können  wir  dieselbe  Dreitheilung  auch 
bei  dem  einzelnen  Worte  nachweisen.  Jedes  Wort  hat  nemlich  zuerst 
seinen  Leib  an  dem  hörbaren  Laute,  seine  Seele  an  dem  Merkmale, 
welches  es  ursprünglich  bezeichnet,  und  endlich  seinen  Geist  an  dem 
Begriffe,  zu  dem  die  Merkmalsvorstellung  allmählich  sich  erweitert  und 
erhebt.  Vgl.  Magersche  Revue  Is  Heft  1858  ^über  das  dreifache  Moment 
eines  jeden  Wortes,' 

N.  Jahrb.  f,  PhU.  u.  Paed.  Bd  LXXVIII.  ffft  II.  37 


536  lieber  d.  Dedeotong  d.  Raumanschaaung  auf  d.  Gebiete  d.  Spricke. 

der  menschliche  Geist  die  Auszen-  und  Innenwelt  in  Vorstellangen 
verwandelt  and  diese  durch  angemessene  und  bedeutsame  Laute  ver- 
körpert, bildet  eine  der  anziehendsten  Seiten  der  Sprachwissenschaft. 
Im  nachstehenden  wollen  wir  es  versuchen,  an  einem  Beispiele 
nachzuweisen,  wie  sich  die  Sprache  durch  metaphorische' Anwendang 
der  zunächst  Gegenstände  der  Sinnenwelt  und  ihre  Anschauungsformen 
bezeichnenden  Wörter  erweitert  und  vertieft.  Die  im  Menschen  anfangs 
noch  schlummernde  geistige  Kraft  wird  durch  die  vermittelst  der  Sinne 
auf  sie  einwirkende  Auszenwelt,  ihre  manigfaltigen  Formen,  Farben 
und  Schälle  zum  Bewustsein  ihrer  selbst  und  zur  eigenen,  gegen  die 
Eindrücke  von  auszen  reagierenden  Thätigkeit  geweckt.   Diese  erste 
Thätigkeit  aber  besteht  in  der  Bildung  der  Vorstellungen  und  ihrer 
gleichzeitigen  Verkörperung  in  der  Sprache.    Da  nun  die  Sprache  von 
der  Auszenwelt  und  der  Welt  des  realen  ausgeht  und  sich  an  ihr  ent« 
wickelt,  so  finden  wir  in  ihr  die  Grund  Verhältnisse  der  Wirklichkeit, 
wie  der  Mensch  sie  anffaszt  und  sich  vorstellt,  wieder,  so  dasz  sich 
ein  durchgehender  Parallelismus  zwischen  sein ,  denken  und  sprechen 
nachweisen  läszt  *),  Wie  demnach  der  menschliche  Geist  in  der  Wirk- 
lichkeit sein  und  werden  oder  Substanzen  und  ihre  Thätigkeit  anter- 
scheidet,  so  finden  sich  in  der  Sprache  zunächst  als  erste  and  wichtig- 
ste Wörter  das  Substantivum  und  Verbum,  woran  sich  das  Adjectivan 
als  Bezeichnung  der  Qualität  des  seienden  anscblieszt.    Diese  anmit- 
telbar  sinnliche  Gegenstände  bezeichnenden  Wörter,  von  Aristoteles 
qxoval  atKiavxiiuicly  von  den  neueren  Grammatikern  bald  Begriffs-,  bald, 
und  zwar  richtiger  Stoffwörter  genannt,  bilden  die  eine  Hauptgrappe 
der  Redetheile.    Ihnen  steht  eine  andere  Gruppe  von  Wörtern  gegeo- 
über,  welche  dazu  dienen,  blosze  Anschauungs-  und  Denkformen  sa 
bezeichnen,  d.  h.  formale  Verbältnisse  und  Beziehungen,  unter  welchen 
das  Subject  die  Dinge  anschaut  oder  sich  denkt,  im  Gegensatz  gegeo 
die  ersteren  von  den  allen  gxoval  äari^oiy  von  den  neueren  Formwör- 
ter genannt.    Dahin  gehören  vor  allen  die  Wörter  zur  Bezeichnung  der 
Anschauungsformen  des  Raumes  und  der  Zeit,  ferner  der  Kategorien 
der  Quantität,  der  Modalität  und  des  logischen  oder  ideellen  Redever- 
hältnisses.    Wenn  sich  auch  die  Grenzen  dieser  beiden  Hauptklassea 
der  Wö^er,  welche  vielfach  ineinander  übergehen,  nicht  genau  ange- 
ben lassen ,  wie  denn  von  Aristoteles  bis  heute  unter  den  Grammati- 
kern selbst  die  grösten  Abweichungen  in  der  Bestimmung  der  Rede- 
theile stattfinden  **)y  so  musz  doch  die  durchgehende  Verschiedenheit 


*)  So  entspricht  die  Anschaunng  oder  Einzelvorstellnng  sprachlich 
der  Wurzel,  wirklich  der  Einzelexistenz;  der  Begriff  nach  Inhalt  und 
Umfang  sprachlich  dem  Worte,  wirklich  dem  Wegen  nnd  der  Gattaag; 
da9  Urteil  sprachlich  dem  Satze ,  wirklich  dem  synthetischen  Grandver- 
hältnisse  oder  der  Relation;  der  Schlusz  sprachlich  dem  zusammenge- 
setzten Satze,  wirklich  der  realen  Gesetzmäszigkeit,  endlich  das  System 
sprachlich  der  zusammenhängenden  Rede,  wirklich  der  Gliederung  der 
Dinge.  Vgl.  Fr.  Ueberweg  System  der  Logik  und  Geschichte  der  logi- 
schen Lehren.        **)  Wälurend  Plato  blos  ovofia  und  ^ijfta,  Substanti- 


JJf/bet  d.  Bcdeulnng  d.  Rausnflnscliouung  anf  d.  Gebiete  d.  Sprache.  537 

der  beideu  Hauptgrappen,  welche  auf  einem  mit  dem  seitt  gegebeneo 
natarlidieD  Unterschiede  beruht,  festgehalten  werden.  Die  roanigfaU 
ligen  Dinge  der  Aaszenwelt  stehen  nemlich  in  den  manigfalligsten  Be- 
xiehangen  zueinander;  wir  schauen  sie  nebeneinander  im  Räume,  nach- 
einander in  der  Zeit  an,  wir  erkennen  sie  vermöge  der  uns  angebornen 
Kategorien  als  die  einen  durch  die  andern  und  für  die  andern  seiend. 
Die  bedeutendsten  Sprachforscher,  wie  Bopp,  Heyse,  Wflllner,  nehmen 
daher  für  die  Formwörter  besondere  Wurzeln ,  verschieden  von  denen 
der  Stoifwörter,  an.  Während  der  LautstofT  der  letzteren  durch  unmit- 
telbare Sinneseindrucke  der  Gegenstände,  die  sie  bezeichnen,  begrün- 
det ist,  haben  die  Formwörter  als  zur  Bezeichnung  der  Beziehungen 
der  Stoifwörter  untereinander  und  zum  Subjecte  dienend  einen  sub- 
jecliven  Ursprung  und  werden  von  den  sogenannten  Lautgebehrden, 
welche  wie  die  sichtbaren  Gebehrden  einem  andern  etwas  andeuten 
aollea,  hergeleitet '^).  Sind  somit  die  Formwörter  hinsichtlich  ihres  ur- 
aprünglichen  Lautstoffes  von  den  Stoffwörtern  verschieden,  so  stimmen 
sie  dagegen  in  einem  andern  auf  dem  Gebiete  der  Sprache  höchst 
wichtigen  Punkte  überein.  Der  Mensch,  welcher  bei  der  Sprachschöpf- 
ong  von  der  Sinnenanschauung  ausgeht,  erweitert  die  Sprache  auf 
dem  Wege  der  Metapher,  indem  er  vermöge  der  Einbildungskraft  die 
Wörter  von  ihrer  sinnlichen  Urbedeutung  zu  geistigen,  abstracteren 
hinüberführt.  Auf  dem  Staudpunkte,  worauf  der  wortschaiTende  Mensch 
steht,  ist  derselbe  noch  nicht  im  Stande,  rein  geistige,  unsinnliche 
Begriffe  zu  bilden;  er  faszt  vielmehr  das  geistige,. unsinnliche  in  Bildern 
auf  und  schafft  sich  zum  Ausdruck  desselben  analoge  Gegenbilder  oder 
stellt  es  durch  die  sinnliche  Form  dar,  in  welcher  es  sich  äuszert  *'^y 
Obwol  die  Sprache  sich  im  Laufe  der  Zeit  immer  mehr  vergeistigt  und 
vertieft,  so  geht  die  ursprüngliche  Bildlichkeit  doch  nie  ganz  verlo- 
ren ^^'*').   Daher  kommt  es,  dasz  besonders  in  den  Stammspracben  so 


▼am  und  Verbam,  als  die  constitoierenden  Theile  des  loyog  aufzählt, 
Aristoteles  dagegen  noch  die  Partikeln  {avvdsafiog)  and  das  ag&Qov 
(d.  i.  Artikel  und  Pron.  dem.  a.  rel.)  hinzufügt,  nehmen  die  neueren  bald 
6,  bald  0,  bald  10  usw.  Redetheilc  mit  den  verschiedensten  Namen  an. 
Tgl.  Magers  Revae  Bd.  III  S.  321 — 371  ^die  grammatischen  Kategorien.' 
*)  Dabin  gehören  Laute  wie  st,  ps,  scb,  he,  holla,  oder  an  Thiere 
gerichtet :  brr,  hottoh.  Insofern  der  sie  gebrauchende  Mensch  damit  je- 
desmal ein  bestimmtes  begehren  ausdrückt,  vertreten  sie  die  Stelle  gan- 
zer Sätze.  **)  Vgl.  als  Belege  für  den  ersten  Fall  goth.  vitan  (wis- 
sen and  sehen);  Vernunft  neben  nehmen;  Begriff  und  begreifen  neben 
greifen;  heiter  (hell  und  freudig);  angustia  (Enge  und  Angst);  illustris 
and  clarus  (hell  and  berühmt) ;  Candidas  (weisz  und  redlich)  usw.  Als 
Beispiele  für  den  zweiten  Fall  dienen  liysiv  and  Ao'yos,  sprechen  und 
denken,  Rede  und  Vernunft;  frohlocken  neben  goth.  laikan,  hüpfen; 
%qbCv  zittern  und  fürchten ;  erschrecken  neben  ahd.  scricchan  =  sprengen 
▼gl.  Heuschrecke  asw.  ***)  Die  Sprache  ist  durch  and  durch  bildlich; 
wir  sprechen  in  lauter  Bildern,  ohne  es  in  den  meisten  Fällen  zu  wis- 
sen. Freilich  herscht  in  dieser  Hinsicht  ein  groszer  Unterschied  anter 
den  Sprachen,  indem  einige  mit  Aufgabe  des  sinnlichen  Elementes  zu 
höherer  Vergeistigung  durchdringen ,  andere  dagegen ,  wie  z.  B.  die  ara^ 

37* 


538  lieber  d.  Bedeattfng  d.  RaumanschauuDg  auf  d.  Gebiete  d.  Sprteke. 

viele  Wörter  nnd  zwar  meistens  Vcrba  eine  doppelte  Bedeutung,  eine 
ursprüngliche,  sinnliche  und  eine  oder  auch  mehrere  abgeleiteie,  me- 
taphorische haben.  Und  diese  Uebertragung  findet  nicht  blos  vom 
sinnlichen  auf  das  geistige,  sondern  auch  in  der  Bezeichnung  des  sinn^ 
liehen  selbst  statt,  indem  die  Sprache  fiberall  das  leblose  zu  beleben 
sucht  *). 

Ganz  derselbe  Vorgang  nun,  den  yrir  bei  den  StofTwörtern  er- 
blicken, läszt  sich  auch  bei  den  Formwörtern  nachweisen.  Auch  hier 
erreicht  die  Sprache  mit  wenigen  Mitteln  vieles,  indem  sie  die  ur- 
sprünglich zur  Bezeichnung  der  Anschauungsform  des  Raumes  dienen- 
den Formwörter  auf  dem  Wege  der  Metapher  vergeistigt  und  vertieft. 
Die  beiden  Formen,  unter  welchen  wir  sein  und  werden  anschauen, 
sind  Raum  und  Zeit.  Sowie  der  Raum  die  Form  des  beharrenden  seins 
der  Dinge  oder  der  Materie  ist,  abstrahiert  von  dem  raumerfüllenden 
Stoff,  so  ist  die  Zeit  die  Form  des  werdens  oder  der  Verfindernng, 
ganz  abstract  genommen,  abgesehen  von  dem  werdenden  oder  sich 
verändernden  Stoffe.  Bei  weitem  die  wichtigste  der  beiden  Anschau- 
ungsformen  ist  für  uns  auf  dem  Gebiete  der  Sprache  die  Anschaunngs- 
form  des  Raumes.  Als  entschieden  vorwaltende,  mit  den  Augen  ange- 
schaute Form  kommt  sie  dem  Menschen  zuerst  zum  Bewustsein  und 
findet  daher  auch  zuerst  in  der  Sprache  ihren  Ausdruck,  so  dasz  anter 
allen  Formwörtern  die  zur  Bezeichnung  des  Ortes,  an  welchem  ein 
Ding,  oder  der  Richtung,  in  welcher  eine  Thätigkeit  wahrgenommen 
wird,  dienenden  als  die  ersten  und  ursprünglichen  zu  betrachten  sind. 
Was  die  Form  dieser  ursprünglichen  Adverbia  des  Ortes  angeht,  so 
hält  es  schwer  dieselbe  genau  anzugeben,  da  sie  sich  wie  die  Wurzeln 
der  Yerba  selten  oder  nie  in  reiner  Urgestalt  alß  selbständige  Wörter 
in  den  wirklichen  Sprachen  finden ,  sondern  als  Wurzeln  in  den  Pro- 
nominen,  den  Endungen  der  Casus  und  manchen  abgeleiteten  Adver- 
bien verborgen  stecken'*'''').  Zur  Erklärung  des  Ursprunges  derselben 
mag  folgendes  dienen.  Indem  wir  festhalten,  dasz  alles  ursprüngliche 
in  der  Sprache  aus  unmittelbarer  Anschauung,  nicht  aus  künstlicher 
Berechnung  entstanden,  finden  wir  es  natürlich,  dasz  der  Mensch,  der 
die  Aufmerksamkeit  eines  andern  auf  einen  bestimmten  Punkt  im  Raum 
hinlenken  wollte,  mit  der  Hand  oder  sonst  wie  darauf  hinzeigte  und 
dgbei  Laute,  wie  etwa  i,  li,  ta  usw.  aussprach.  Bald  dienten  diese 
Laute  zur  Bezeichnung  des  Punktes  selbst.  Der  Uebergang  von  diesen 
ursprünglichen  O.rtsadverbien  zu  den  persönlichen  und  hinzeigenden 
Fürwörtern  ist  sodann  ein  ganz  natürlicher  und  leichter.    Während 

bische  Sprache  die  sinnliche  Urbedeutung  in  den  Wörtern  ,  welche  on- 
sinnliche  Yorstellungenen  bezeichnen  sollen ,  weniger  aufgeben. 

*)  So  werden  Benennungen  von  menschlichen  oder  tbierischen  Kör- 
pertheilen  auf  unbelebte  Dinge  angewendet:  Bein  (des  Stuhles);  Fusi, 
Rücken  (des  Berges);  Zahn  (von  Sägen,  Kämmen);  Zunge  (der  Wage); 
Pflanzen  nach  Tbi^ren  oder  Thiergliedern  benannt:  Fuchsschwanz,  Bocks- 
horn, Mäuseohr,  Bocksbart,  Hahnenfusz,  Bärenklan,  Storchschnabel  usw. 
S.  Heyse  System  der  Sprachwissenschaft  S.  ft8  ff.  ♦*)   S.  Wtillncr 

'über  Ursprung  und  Urbedeutung  der  sprachlichen  Formen'  S.  146  ff. 


Ueber  d.  Bedcatang  d.  Raümauschaaang  auf  d.  Gebiete  d.  Sprache.  539 

das  örtliche  Adverbium  den  bloszen  Punkt  im  Raum  bezeichnet,  drückt 
dagegen  das  Pronomen  das  den  Punkt  einnehmende  etwas,  sei  es  Per- 
son oder  Sache,  aus.  Allmahlich  tritt  aber  mit  der  zunehmenden  Ver- 
geistigung der  Sprache  die  sinnliche  Vorstellung  der  Oertlichkeit  zu- 
rQck  und  verwandelt  sich  in  den  abstracteren  Begriff  der  verschiede- 
nen Verhältnisse ,  in  welchen  die  Gegenstände  der  Rede  zu  der  Rede 
und  somit  zu  dem  Gedanken  selbst  stehen  oder  der  grammatischen 
Personen  und  syntaktischen  Redeverhältnisse.  Jede  Sprachänszerung 
ist  ursprünglich  Mittheilung  eines  Gedankens  durch  ein  redendes  Indi- 
viduum an  ein  angeredetes  und  für  diese  in  der  Rede  selbst  auftreten- 
den Individuen  musz  ein  auszer  ihnen  liegender  angeschauter  oder 
rorgeslellter  Gegenstand  oder  ein  drittes  charakterisiert  werden. 
Diese  aus  der  subjectiven  Form  der  Rede  entspringenden  Unterschiede 
kann  das  Substantiv  nicht  ausdrücken,  da  es  die  Substanz  immer  nach 
seiner  objectiven  Seite  ohne  Rucksicht  auf  das  Redeverhältnis  bezeich- 
net. Es  treten  daher  eigenlhümliche  Formwörter,  pronomina  personalia 
und  weiter  demonstrativa  an  seine  Stelle.  Die  letzteren,  welche  nicht 
eigentlich  Vertreter  des  Subjectes  sind,  sondern  nur  Bestimmwörter 
desselben,  sind  meistens,  wie  a.  B.  dieser  und  jener*),  durch  Ableitungen 
von  den  Urpronominibus  gebildet.  Auch  die  pronomina  interrogativa, 
relative ,  determinative  sind  von  Ausdrücken  für  Anschauungsverhält- 
nisse entlehnt  oder  gebildet  und  lassen  sich  daher  auf  die  ursprüngli- 
chen Formen  für  die  Raumanschauung  zurückführen  **).  Dasz  ferner 
die  Casusendungen  neben  den  Fürwörtern  und  gebräuchlichen  Ortsad- 
verbien ihre  gemeinsame  Wurzel  in  den  Uradverbien  für  die  Ortsbe- 
zeichnung haben ,  ist  bereits  oben  erwähnt  worden.  Die  casus  obliqui 
nemlich,  welche  hier  in  Betracht  kommen,  lassen  sich  auf  die  3  räum- 
lichen Beziehungen,  in  welche  ein  Gegenstand  zu  einem  andern  treten 
kann,  zurückführen..  Der  Gegenstand  der  Beziehung  kann  der  Aus- 
gangspunkt, das  woher,  der  Zielpunkt  das  wohin,  der  Rnhepunkt 
das  wo  für  das  Subject  oder  dessen  thun  oder  Zustand  sein  ***).  Aus 
diesen  Raumanschauungen  entwickeln  sich  dann  die  abstracteren  lo- 
gisch-grammatischen Beziehungsbegriffe  der  Casus.  Endlich  sind  noch 
die  Präpositionen  zu  erwähnen,  welche  ursprünglich  Ortsadverbia  sind, 
nnd  später  mit  Substantiven  vereinigt  bestimmte  Ortsverhältnisse  be- 
zeichnen t).   Aus  den  bisher  betrachteten  Formwörtern  des  Ortes  ent- 

*)  Dieser  abd.  deser  ist  durch  verstärkeDden  Zusatz  aus  dem  ur- 
sprünglich einfachen  Deutewort  ^der'  erwachsen,  ebenso  jener,  ferner 
lat.  bic,  is,  ille,  iste,  idem  und  gr.  oöe ,  oviog,  Ixtivos  nsw.  **)  Vgl. 
Grimm  deutsche  Grammatik  III.  B.  zu  Anfang  und  WüUner  a.  a.  O.  — 
***)  Am  reinsten  treten  diese  ursprünglichen  Bedeutungen  der  Casus  noch 
in  der  Construetion  der  Stadtenam^u  und  einiger  wie  Städtenamen  con- 
strulerter  Wörter  im  Griechischen  und  Lateinischen  hervor,  vgl.  MaQU- 
9'mvi,  HaXafiCvi,  ^yg^t  ot-aotj  xafiotl  und  lat.  domi,  humi,  Romae,  Co- 
rinthi,  in  denen  i  und  ae  nach  Form  nnd  Begriff  dem  sanskritischen 
Locativ  auf  i  entsprechen ;  auf  die  Fragen  wohin  ?  Romam ,  Athenas. 
Statt  des  Genetivs  auf  die  Frage  woher  ?  tritt  im  Lateinischen  der  Abla- 
tiv ein,  z.  B.  Roma,  Athenis,  Syracusis  usw.  f)  Vgl.  Organismus 
der  Sprache  v.  Ferd.  Becker  S.  420  ff. 


540  lieber  d.  Bedeutang  d.  Raumanschauang  aaf  d.  Gebiele  i.  Spraehe. 

wickeln  sich  nun  die  Formwörter  für  die  Zeit  und  weiterhin  fOr  rein 
geistige  logische  Beziehungen  durch  metaphorische  Anwendung.  Zuerst 
gehören  hierher  die  adverbialen  Bestimmungen  der  Zeit.  Die  Anschau- 
ung der  Zeit  oder  der  Form  für  das  nacheinander  des  Werdens  kommt. 
dem  Menschen  erst  nach  der  Raumanschauung  zum  Bewustsein,  wie 
wir  das  noch  jeden  Tag  bei  Kindern  bemerken  können,  bei  welchen 
sich  schon  wenige  Wochen  nach  der  Geburt  die  Raumanschaaung  daria 
knnd  thut,  dasz  sie  den  Gegenständen  mit  den  Augen  folgen.  Die  An- 
schauungsformen  von  Zeit  und  Raum  entwickeln  sich  aus  und  mit  dem 
Begriffe  der  Bewegung.  In  der  Zeit  wird  das  innere,  in  dem  Räume 
das  äuszere  Moment  der  Bewegung  angeschaut.  Beide  zusammen- 
genommen machen  das  Masz  der  Bewegung  aus,  und  alle  Thätigkeit 
gehört,  je  nachdem  sie  entweder  als  eine  innere  oder  als  eine  iuszere 
Bewegung  gedacht  wird ,  der  Anschauungsform  der  Zeit  oder  der  An- 
schauungsform des  Raumes  an.  Raum  und  Zeit  sind  daher  nicht  nur 
WechselbegrifTe,  die  sich  nur  fassen  lassen,  indem  einer  vom  andere 
unterschieden  und  damit  durch  den  andern  bestimmt  wird,  sondern  sie 
stehen  auch  ursprünglich  und  an  sich  in  Beziehung  zueinander.  Denn 
schon  im  ersten  Ursprünge  erhält  die  Zeitvorstellung  dadurch  eine  Be- 
ziehung zur  Raumvorstellung,  dasz  sie  nur  entsteht,  indem  wir  untere 
sich  folgenden  Vorstellungen  von  unserm  ruhig  stehen  bleibenden  Ich 
unterscheiden  und  damit  jene  diesem  gegenüberstellen.  Das  gegenflber 
der  Dinge  ist  aber  eine  räumliche  Bestimmung.  Andererseits  sind  es 
dieselben  Dinge,  welche  raumlich  nebeneinander  befindlich,  zeitlich 
aufeinander  folgend  und  zugleich  in  räumlicher  und  zeitlicher  Bewe- 
gung begriffen  erscheinen.  Daraus  ergeben  sich  jene  immanenten  Be- 
ziehungen zwischen  beiden  Sphären,  welche  es  möglich  machen,  die 
räumliche  Bewegung  durch  die  zeitliche  und  umgekehrt  zu  messen*). 
Es  ist  daher  in  der  Natur  der  beiden  Anschauungen  gegründet,  dasi 
Ausdrücke  zur  Bezeichnung  der  einen  auch  für  die  andere  gebranobt, 
also  die  Zeit  als  Raum  (Zeitraum)  und  die  Gegensätze  des  Zeitverhill' 
nisses  als  Gegensatze  des  Raumverhältnisses  gedacht  werden.  So  ent- 
spricht dem  Gegensatz  von  Vergangenheit  und  Zukunft  der  Gegensats 
der  räumlichen  Richtung  (woher  und  wohin);  und  die  Sprache  beaeick- 
net  den  ersteren  häufig  durch  den  letzteren,  z.  B.  il  vient  d^arriver  oad 
il  va  partir.  Insbesondere  entsprechen  die  GröszenverhSItniase  der 
Zeit  (Dauer  und  Wiederholung)  den  GrÖszenverhältnissen  des  Raomes 
(Ausdehnung  und  Zahl)  in  solcher  Weise,  dasz  sie  in  der  Sprache 
meistens  gar  nicht  unterschieden  werden,  z.  B.  in  ^Zeitraum'  und  ^Zwi- 
schenraum', eine  ^lange  und  kurze  Rede'  und  ein  ^langes  nnd  kurzes 
Seil',  eine  *  Stunde  Weges'  und  eine  ^Stunde  Zeit',  das  ^Ende  der 
Mauer'  und  das  'Ende  des  Jahres'**). 

Die  Wörter,  welche  hier  zuerst  in  Betracht  kommen,  sind  Adver- 
bia  und  Präpositionen.    Unter  den  Adverbien  stehen  diejenigen,  welche 

*)  Vgl.  Glauben  und  Wissen,  Speculation  und  exacte  Wissen* 
Bchaft  usw.  V.  Hermann  Ulrici  S.  109.  **)  Vgl.  Ferd.  Becker  «.  a. 
O.  S.  192. 


Uflber  d.  Bed6«tiiiig  d.  Raamanscbaoang  aaf  d.  Gebiete  d.  Sprache.  541 

von  Demonstrativ-  und  loterrogativpronomen  gebildet  sind,  oben  an, 
weil  mau  in  ihnen  die  Weise  erkennt,  wie  die  Sprache  die  objectiven 
Zeitbestimmungen  überhaupt  darstellt.  Daraus  nemlich,  dass  die  Zeit- 
verbfiltnisse  durch  demonstrative  Adverbien  bezeichnet  werden,  er- 
hellt, dasz  die  Sprache  die  objectiven  Zeitverhältnisse  überhaupt  unter 
die  der  sinnlichen  Anschauung  näher  liegende  Anschauungsform  dea 
Raumes  stellt  und  das  wann  als  ein  wo  darstellt.  Während  manche 
Adverbien  wie  hier,  da;  lateiu.  hie,  hinc,  ibi,  ubi,  iude;  griech.  iv^ix^ 
Sv&evj  o&gv  usw.  sowol  Ort  als  Zeit  bezeichnen  können  und  so  den 
leichten  Uebergang  von  der  Ortsbestimmung  zur  Zeitbestimmung  dar- 
thnn,  weisen  die  meisten  übrigen  Zeitadverbien  durch  ihren  prono- 
minalen Ursprung 'wenigstens  auf  die  ihrer  Bildung  zu  Grunde  liegende 
Raumanschauung  hin.  Es  ist  nemlich  kaum  zu  zweifeln,  daBz  die  Zeit- 
adverbien jetzt,  nun ,  latein.  hnnc,  iam,  tum,  tunc,  olim,  vvv  ebenso 
wie  dann,  wann,  quando,  quondam,  griech.  ore,  Tor£,  nots  von  ver- 
loren gegangenen  Pronomen  abstammen  '^).  Klar  ersichtlich  ist  die  Ab- 
stammung von  dem  Demonstrativpronomen  in  adbuc,  hodie,  heute 
(ahd.  hiute  aus  hin > tage),  heuer  (ahd.  hinre  aus  hin-jare),  vorhin, 
nachher  u.  a. 

Das  Zeilverhältnis  des  Praedicates  zn  einer  andern  Thätigkeit  wird 
in  der  Sprache  auf  sinnliche  Weise  als  ein  räumliches  Verhältnis-  und 
die  Zeitbestimmungen  in  denselben  Formen  dargestellt,  welche  das 
Orlsverhaltnis  (wo)  bezeichnen.  Das  Verhältnis  der  Gleichzeitigkeit 
wird,  wenn  die  Zeitbestimmung  als  Zeitpunkt  gedacht  wird,  durch 
Praepositionen  ausgedrückt,  welche  die  räumliche  Nähe  bezeichnen, 
z.  B.  nsgl  dvöiv  '^Xiovy  am  Abend,  am  Montage,  bei  Sonnenaufgang, 
nm  Ostern,  ä  midi,  ä  sept  heures,  to  day,  to  morrow,  der  Zeitraum 
durch  Praepositionen,  welche  den  räumlichen  Gegensatz  von  innen  und 
auszen  bezeichnen,  z.  B.  iv  öelnvci)^  dia  ßlov^  im  Sommer,  en  hiver, 
dans  la  nuit.  Den  Gegensatz  der  vorangehenden  und  nachfolgenden 
Zeit  stellt  die  Sprache  als  Gegensatz  einer  räumlichen  Dimension  dar 
durch  die  Praepositionen  tvqo  und  ano,  ante  und  post,  vor  und  nach, 
die  Zeitdauer  aber  als  Ausdehnung  im  Räume,  z.  B.  vom  Morgen  bis 
zum  Abend.  Wir  haben  bereits  oben  bemerkt,  dasz  die  Vergangen- 
heit als  die  Richtung  woher  und  die  Zukunft  als  die  Richtung  wohin 
angeschaut  wird.  Allein  dieser  Unterschied  in  der  Bezeichnung  der 
Zeit  wird  nicht  immer  festgehalten,  sondern  die  mit  Praepositionen  der 
Richtung  woher  gebildeten  Ausdrucke  bilden  entschieden  die  Mehr- 
heit, z.  B.  latein.  de  tertia  vigilia,  de  die,  de  nocte,  franz.  de  jour, 
de  nuit,  demain,  de  bonne  heure,  d6ja ,  engl,  of  late,  of  a  sunday,  ndt. 
van  dage,  van  abend.  Endlich  werden  die  Zeitverhältnisse  auch 
durch  Casus,  insbesondere  den  Genetiv  und  Dativ,  ausgedrückt,  so 
dasz  auch  hier,  da  den  Casus  ursprünglich  Raumanschannng  zn  Grunde 
liegt,  die  Zeit  als  Richtung  im  Räume  angeschaut  wird. 

Die  Sprache  bleibt  aber  hierbei  nicht  stehen,  sondern  indem  sie 


*)  Grimm  d.  Grammatik  UI  120.  165.  249  ff. 


542  lieber  4.  Bedentmig  4.  Rannanscbauang  aof  i,  Gebiete  d.  Spraöha. 

in  ihrer  Vergeistignng^  and  Vertiefnng  immer  weiter  gebt,  verwendet 
die  die  ursprünglich  rgumliche  Verhfiltnisse  bezeichnenden  FormwÖr* 
ter  auch  zur  Bezeichnung  der  rein  geistigen ,  logischen ,  insbesondere 
caosalen  Beziehungen.  Die  allgemeinsten  Verhältnisse  des  Grundes, 
der  Ursache  und  des  Zweckes  bezeichnet  die  Sprache  durch  Formen, 
welche  sie  von  den  Demonstrativ-  und  Relativpronominen  entlehnt  und 
meistens  mit  Praepositionen  verbindet,  z.  B.  da,  dann,  daher,  deswe- 
gen, deshalb,  daraus,  davon,  darum,  dadurch,  damit,  dazu,  also,  wo- 
her, warum,  weshalb,  wodurch,  wozu ;  latein.  hinc,  inde,  ideo,  idcirco,  * 
propterea,  unde,  quid,  quocirca,  quare,  quapropter;  griech.  roOev, 
Z^svy  r/,  dta  r/,  elg  vi,  dio^  diori'j  engl,  why,  wherefore,  there- 
fore  usw.  Offenbar  liegen  auch  diesen  Ausdrücken  Raumvorstellangen, 
insbesondere  die  der  Richtungen  woher  und  wohin  zu  Grunde.  Da 
nemlich  die  Sprache,  wie  überall,  so  auch  hier  von  der  Wirklichkeit 
und  der  unter  die  Sinne  fallenden  Auszenwelt  ausgeht,  schaut  sie  die 
Kategorien  der  Causalität  und  des  Zweckes,  die  erste  als  ein  hervor- 
gehen des  einen  aus  dem  andern,  die  zweite  als  ein  übergehen  zu 
einem  andern ,  der  Wirkung  in  der  Natur,  an  und  bezeichnet  sie  ver- 
mittelst metaphorischer  Anwendung  durch  Formwörter  für  raumliche 
Verhältnisse.  Auszer  den  eigentlichen  Praepositionen,  wie  von,  ans, 
SU,  für,  durch,  um,  an,  in,  bei,  nach,  mit,  kommen  auch  sehr  viele  ao- 
eigentliche,  wie  wegen,  um  willen,  halber,  vermittelst,  kraft,  ver- 
möge, latein.  causa,  gratia ,  ergo,  propter,  griech.  %(xQtv^  engl,  for 
the  sake  of ,  for  tbe  purpose  of,  by  means  of,  on  account  of  usw. 
bei  der  Bezeichnung  des  Grundes,  der  Ursache,  des  Mittels  and 
Zweckes  zur  Anwendung,  welches  darin  seinen  Grund  hat,  dasz  die 
eigentlichen  Praepositionen  zur  Unterscheidung  dieser  Verhältnisse 
nicht  ausreichen.  Statt  der  Praepositionen  bedienen  sich  die  alten 
Sprachen  zur  Bezeichnung  causaler  Verhältnisse  mehr  der  bloszen 
Casus.  Insofern  aber  die  Casus  ursprünglich  von  Raumanschaoao- 
gen  aasgehen,  liegt  auch  dieser  Bezeichnung  die  Raumanschanang  zn 
Grunde. 

Eine  besondere  Bedeutung  erhält  endlich  die  Raumanschanang 
durch  die  Uebertragung  auf  Thatigkeiten,  die  an  sich  nicht  mehr 
räumliche  Bewegungen  oder  auch  nicht  einmal  sinnlich  anschanliche 
Thäitigkeiten  sind,  so  wie  auf  sinnliche  Gegenbilder,  welche  nicht 
sinnliches  bezeichnen.  Was  die  ersteren  angeht,  so  werden  sie  in 
der  Sprache  noch  mehr  oder  weniger  wie  räumliche  Bewegungen  mil 
dem  Gegensatze  einer  raumlichen  Richtung  woher  und  wohin  gedacht 
und  diese  Richtungen  theils  m  den  Verben  selbst  durch  Vorsilben  und 
Praepositionen  bezeichnet,  theils  durch  Praepositionen  vor  dem  Ob* 
jecte  der  jedesmaligen  Thätigkeit  ausgedrückt.  In  Stammsprachen, 
wie  die  deutsche,  wo  die  sinnliche  Grundbedeutung  der  Verben  nooh 
verstanden  wird,  ist  diese  Ausdrucksweise  besonders  häußg,  und  die 
Sprache  gewinnt  dadurch  auszerordentlich  an  sinnlicher  Kraft,  an  An- 
schanlichkeit  und  lebendiger  Färbung,  indem  sie  die  nicht  sinnlichen 
Begriffe  und  ihre  Beziehangsverhftltnisse  in  den  lebendigen  Kreis  der 


lieber  d.  Bedenloag  d.  RaaroanschanoDg  auf  d.  Gebiete  d.  Sprache,  643 

Biunlichen  Anschauung  zurückführt*).  Aus  den  vielen  Beispielen  nur 
einige:  zu-  und  absprechen,  zu-  und  abnehmen,  ab-,  auf-,  bei-,  um- 
und  zukommen,  unter -geben,  -jochen,  -stehen,  vorstellen,  er -werben, 
-stehen,  -setzen,  -bitten,  -langen,  und  mit  Praepositionen  vor  dem 
Objecte:  an  einen  denken,  nach  einem  verlangen,  auf  etwas  hoffen, 
sinnen,  auf  jemanden  vertrauen,  bauen,  vor  etwas  erschrecken,  an 
einer  Sache  gelegen  sein,  von  einem  abhangen,  sich  in  etwas  fügen, 
von  einer  Krankheit  genesen ;  latein.  amittere,  perire,  invenire,  inficere, 
snccurrere,  sub venire,  explicare,  opprimere,  inculcare,  insultare;  gr. 
ano  -  ßdlXsiv ,  -ßXbcuvj  -yiyvcioKsiVj  -mveiv,  ava-ßalvsiVj  -ayeiv^ 
"öidovai^  -cciQSiVy  -xeia^aiy  xccta-ßalveiVf  -ßdXXsiv^  -yi^yvdamivy 
^lafißciveiv  usw. 

Endlich  werden  die  rSumlichen  Richtungen  (ab  und  zu,  nach  oben 
and  nach  unten  usf.)  auch  als  sinnliche  Gegenbilder  benutzt,  z.  B. 
in  Zu-  und  Abneigung,  Ab -sieht,  -trünnig:,  -gefeimt,  -geschmeckt, 
-gemergelt,  zu-fallig,  -länglich,  -traulich,  -träglich,  -thulich,  vor-sich- 
tig,  -bildlich,  -eilig,  -läufig,  -nehm,  -witzig,  nach-ahmen,  -drücklich, 
-stellen,  Ueber-mut,  -flusz,  -band,  -spannt  usw. 

Fassen  wir  das  Ergebnis  unserer  bisherigen  Betrachtung  zusam- 
men ,  so  ist  es  kurz  dieses.  Die  Raumanschauung  erstreckt  ihren  Ein- 
flusz  über  einen  bedeutenden  Theil  des  Sprachgebietes.  Nicht  nur 
liegt  sie  den  meisten  Formwörtern,  unter  andern  den  sämtlichen  Pro- 
nominibns,  vielen  Adverbien  der  Zeit,  der  Qualität  und  Quantität,  den 
eigentlichen  Praepositionen  und  Conjunctionen  zu  Grunde,  sondern' 
auch  die  Casusformen 'der  Substantiva  und  die  Personalendungen  "*"*) 
der  Verba  sind,  und  zwar  die  ersteren  direct,  die  letzteren  indirect 
(Vermittelst  der  Pronominalstämme) ,  von  der  Raumanschauüng  herzui> 
leiten.  Ueberdies  werden  die  zur  Bezeichnung  der  Raumanschauüng 
dienenden  Formwörter  zuf  Bildung  sinnlicher  Analoga  (Gegenbilder) 
und  zur  Bezeichnung  der  räumlicheu  Richtungen  (woher  und  wohin) 
nicht  sinnlicher  Thätigkeiten ,  die  in  der  Sprache  noch  mehr  oder  we- 
niger wie  räumliche  Bewegungen  gedacht  werden ,  verwandt. 

Frankfurt  a.  M.  H.  Wedewer. 


*)  Hierin  liegt  ein  eigentLümlicher  Vorzug  der  Stammsprachen  vor 
den  abgeleiteten.  Während  nemlich  in  den  ersteren  die  figürlich  ge- 
brauchten Wörter  noch  deutlich  auf  die  erste  sinnliche  Bedeutung  hin- 
weisen oder  doch  leise  an  dieselbe  erinnern  und  deshalb  von  yortreff- 
licher  Wirkung  in  der  Poesie  sind,  vgl.  unterjochen,  untergraben,  ein- 
flöszen,  ausschweifen,  erbrechen,  aufbrechen,  ausbreiten,  entfalten,  ent- 
hüllen, begreifen,  erklären  usw.,  haben  dagegen  in  den  abgeleiteten 
Sprachen  die  Wörter  beim  Uebergange  aas  der  Stammsprache  ihre  bild- 
liche Bedeutung  meistens  verloren  und  dienen  nur  noch  zur  Bezeichnung 
nnsinnlicher  Thätigkeiten  (vgl.  im  Französischen  expliquer ,  opprimer, 
snpprimer,  conniver,  retorquor,  recalcitrer,  inculquer,  supposer,  tra.duire, 
insister,  circonscrire ,  exage'rer,  insulter  usw.).  **)  Vgl.  Curtius  ^die 
Bildung  der  Tempora  und  Modi'  und  Bopps  ^vergleichende  Grammatik*. 


544         Üv  und  fii^  im  Zusammeiihaog  mit  den  ModalfoimeB. 

36. 

Der  Gebrauch  von  ov  und  (t^  in  seinem  Zusammenhang 
mit  den  Modalformen  der  Sätze,  und  mit  besonderer  Be- 
rücksichtigung der  neuesten  Thearie  von  F ritsch. 


1.  Wie  bei  den  Modusformen  und  av  ist  es  auch  bei  ov  und  (m^ 
Slil  den  Gebrauch  derselben  im  einzelnen  durch  Anlegung  irgend  einer 
Grundbedeutung  für  erklärt  anzusehen.  Man  mag  aber  diese  aufstellen 
wie  man  will,  man  wird  keine  finden,  nach  welcher  nicht  in  einer 
Menge  ganzer  Gebrauchsweisen  (irj  zulässig  erscheinen  musz ,  in  wel- 
cher es  doch  nur  ov  gibt  und  umgekehrt.  Wird  daher  auch  solch  eine 
Grundbedeutung  als  im  usus  durchführbar  nachgewiesen ,  so  ist,  selbst 
wenn  die  Klassen  des  letzteren  vollständig  gesondert  wären,  damit 
wenig  erreicht.  Denn  jenes  als  Resultat  wird  sich  doch  keine  andere 
der  aufgestellten  oder  aufstellbaren  Grundbedeutungen  entreiszen  las- 
sen; jede  wird  dasselbe  für  sich  beanspruchen,  und  die  Hauptfrage 
wird  dennoch  offen  bleiben,  wo  nothwendig  ov,  wo  fii)  gesetzt  wer- 
den müsse.  Nach  allen  Definitionen. nemlicb  wird,  wie  auch  der  Aus- 
druck falle ,  in  den  beiden  Negationen  immer  yfol  ein  Reich  des  ab- 
stracten  oder  ideellen  und  ein  Reich  des  realen  geschieden  sich  zei- 
gen. Was  ist  damit  aber  gesagt,  wenn  derselbe  Satz  in  derselben 
Bedeutung,  welcher,  so  lange  er  im  Infin.  stand,  firi  zur  Negation  hatte, 
in  der  Form  mit  ou  nothwendig  ov  erhält?  Also  die  Form  der  Sätze 
bildet  auch  ein  Moment.  Nebensätze  im  Partie,  mit  oS^,- wie  tag  ov% 
eldcig  r=r  ^a  Is  ob',  müsten  nach  allen  Definitionen  mir  mit  fin  negier- 
bar sein,  ja  schon  Hauptsätze  im  Opt.  c.  av^  im  Praeter,  o,  avj  wäh- 
rend doch  nur  ov  möglich  ist.  Wäre  nun  auch  höchstes  Ziel  der  For- 
schung die  Gewinnung  einer  unantastbaren ,  überall  siegreich  za  wie- 
derholenden Definition,  so  bliebe  diese  dennoch  hier  nicht  blos  nutslos, 
sondern  auch  ohne  alle  Gonlrole  der  Richtigkeit ,  so  lange  man  nicht 
vorher  alle  Einzelheiten  des  usus  geordnet  und  festgestellt  hat  in 
welchen  Modalformen  und  welchen  Bedeutungen  entweder  nur  ov  oder 
nur  fiif  stehen  könne,  und  so  die  allerdings  vorhandenen  Fälle ,  wo 
eine  Wahl  erlaubt  ist,  möglichst  einschränkt.  Damit  sind  wir  an  die 
Satzlehre  gewiesen.  Hier  folgen  wir  aber  am  sichersten  derjenigen 
Eintheilnng,  welche  als  eine  historisch  gegebene  in  der  griechischen 
Moduslehre  vorliegt,  haben  also  den  Zusammenhang  des  Gebrauchs 
der  Negationen  mit  den  Modalformen  der  Sätze  nachzuweisen.  Da  wir 
auch  früher  schon  immer  die  Negation  als  besonderes  Kriterium  der 
Modusgeltung  berücksichtigt  haben,  bedarf  es  hier  vielfach  nar  einer 
Zusammenfassung  und  Verweisung,  und  haben  wir  hier  nur  auf  ein- 
zelne'noch  nicht  behandelte  Salzgattungen,  so  wie  auf  scheinbare  Aus- 
nahmen näher  einzugehen.  Dabei  liegt  uns  augenblicklich  weit  mehr 
an  den  Fällen,  wo  eine  Fixierung  möglich  ist,  als  an  denjenigen,  wo 
der  individuellen  Auffassung  die  Wahl  mehr  offen  blieb,  wie  beim 


Ov  and  fei;  im  Zasammenhang  mil  den  Hodalformen.         $45 

Inf.  and  Partie,  als  Objectssätzen.  Zugleich  ist  es  unvermeidlich  die 
neueste  Theorie  von  Fritscb  zu  berücksichtigen,  tbeils  weil  seine 
^Partikellehre'  überhaupt  auf  die  neueren  sprachvergleichenden  For- 
schungen sich  zu  stützen  behauptet,  theils  weil  hier  die  ConsequenEen 
der  bisherigen  Behandlungsweise  vielleicht  am  deutlichsten  sich  zei- 
gen ,  endlich  weil  jene  auf  die  allgemein  verbreitete  Grammatik  von 
Kost  schon  Einflusz  gewonnen  hat.  Mit  den  wirklich  auf  historischer 
Grundlage  ruhenden  Forschungen  Baeumleins  werden  wir  auch  hier 
notbwendig  in  Anerkennung  des  Sachverhalts  meist  zusammentreffen, 
wenn  auch  das  vorgesteckte  Ziel  etwas  verschieden  ist.  M advig  hat 
vielfach  Fixierungen  auf  gleicher  Grundlage  aufgestellt,  aber  theils  ist 
anch  hier  die  Basis  seiner  Satzeinlheilung  nicht  deutlich,  so  dasz  z.  B. 
die  Consecutivsatze  sehr  unvollständig  behandelt  sind,  theils  wird 
huuflg  der  wirkliche  Grund  der  Fixierungen  nicht  klar,  während  bei 
einer  der  historischen  Grundlage  folgenden  Aufbauung  der  Sätze  und 
ihrer  Modalformen  die  Bestimmung  von  ov  oder  fii^  auch  bei  kurzer 
Fassung  mehr  als  blosze  Sache  des  Gedüchtnisses  werden  masz. 

2.  Fritsch  stellt  S.  136 — 138  Grundbedeutungen  voran.  Es  soll 
oi;  real,  fitj  theils  logisch  theils  moralisch  verneinen  (letzteres 
soll  das  prohibitive  firj  sein).  Es  wird  dafür  auf  die  Dreilheilung  der 
Sätze  des  Gruifdes  verwiesen;  aber  inwiefern  diese  eine  gleiche  für 
die  Negierung  hervorrufe  ist  nicht  ausgeführt,  noch  warum  denn  auch 
nicht  drei  Negationen  dafür  in  der  Sprache  sich  finden;  noch  ist,  was 
notbwendig  war,  jene  zwiefache  Bedeutung  des  fii^  auf  eine  einheit- 
liche zurückgeführt.  Dann  wird  der  Gegensatz  zwischen  Conj.  und 
Indic.  in  einer  Weise  aufgestellt,  dasz  danach  nicht  blos  der  zwischen 
Conj.  und  Opt.  verschwindet,  sondern  ov  nnd  fitj  die  Haupleintheilung 
bilden ,  zu  denen  die  Modi  nur  allerlei  nicht  näher  bestimmte  Neben- 
beziehungen ausdrücken  sollen.  Den  im  Griechischen  so  viel  geglie- 
derten und  so  viel  bezeichnenden  Ausdruck  der  Modalformen,  der  ja 
auch  ohne  Negationen  besteht,  letzteren  unterzuordnen,  ist  ein  verun- 
glücktes Beginnen.  Fritsch  ist  sofort  gezwungen  Bedeutungen  zu 
construieren  von  Verbindungen,  die  gar  nicht  existieren,  als  ov 
z^d'vqKTiy  oder  doch  nirgends  selbständig  erscheinen  können,  als  fiti 
Ti&vrjTie.  Folgerecht  wird  dann  festgestellt,  dasz  häufig  |xi}  eine  Be- 
hauptung (!)  nur  mit  bescheidener  Zurückhaltung,  ov  mit  gröszerer 
Entschiedenheit  negiere.  Danach  wäre  jedes  weitere  suchen  nach  Un- 
terschied überflüssig  und  in  Stellen  wie  Protag.  341  B  müste  sicher 
livj  statt  ov  stehen :  liScog  ovv  ro  xaXsnbv  ot  Khoi  iJ  %a%ov  vJtoXa(ißa- 
vovaiv  rj  SXXo  T(,  0  av  ov  (lav&civHg  (=  vielleicht  nicht,  etwa  nicht). 
Fritsch  führt  zum  Beweise  nur  zwei  Stellen  an.  Von  diesen  wird 
bei  Hdt.  1,  32  eben  nur  behauptet,  dasz  dort  statt  ä<ftB  ovdh  btolriaag 
auch  fitiSi  stehen  könne  =  ^meine  ich,  scheint  es',  bewiesen  aber 
wird  das  nicht ;  es  ist  aber  geradezu  unmöglich ,  und  hierin  musz  je- 
der uns  beistimmen,  der  sich  gewöhnt  hat  auf  die  Gründe  zu  achten, 
nach  welchen  in  jeder  Satzart,  gemäsz  ihrer  Entstehung,  nur  bestimmte 
Modalformen  möglich  sind.    Die  zweite  Stelle  ist  Dem.  cor.  p.  376,  6 


546         Oi  and  (i'q  im  Zasammenhang  mit  den  Modalformen. 

ijv  di  OihitJtoq  ovxb  xoxt  xqsIxtcdv  ovxs  slg  xriv  ^Axxmriv  IX^siv  övifa- 
TOg,  firjxs  OsxxaXcäv  aTtokov&ovvxcov  j  f4i}r£  Btjßaloav  ödvxav.  Fr. 
behandelt  diese  Stelle  ausführlich,  aber  falsch.  Er  citiert  BuUm.  Gr. 
§  148 ,  2  N.  1 ,  nach  welchem  nur  deshalb  firi  stünde ,  damit  die  Nega- 
tion nicht  als  blosze  Wiederholung  des  voraufgehenden  ovr«  erscheine : 
also  etwa  wie  bei  oidslg  oirnoxe.  Fr.  verwirft  das  mit  Recht,  erklärt 
aber  selber  firjxe  =  ^da  denkbarer  Weise',  während  ovxe  sei  == 
*da  entschieden \  Der  von  Fr.  verlangte  Sinn  würde  aber  viel- 
mehr auszudrücken  gewesen  sein  durch  ovr'  Sv  äKokovd'.,  aufzniösen 
in  einen  Opt.  c.  av.  Buttm.  und  Fritsch  irren  beide  schon  in  Auf- 
fassung des  Sinns ;  der  Zusammenhang  leidet  gar  keine  Auflösung  mit 
*da',  weil  über  das  durchlassen  usw.  selber  eine  Behauptung  gar  nicht 
beabsichtigt  wird.  Es  ist  vielmehr  das  Partie,  mit  Venn'  auftnlösen, 
woran  man  nur  deshalb  nicht  gedacht  hat,  weil  man  in  diesem  Falle 
an  ein  *wenn  sie  durchgelassen  hätten'  dachte.  Der  Sinn  ist  aber: 
^Philipps  Lage  war  damals  der  Art,  dasz  nur  dann  für  ihn  die  Mög- 
lichkeit bestand  seinen  Zweck  zu  erreichen ,  w  e  n  n  diese  Völker  ihn 
durchlieszen,  resp.  mit  zogen.'  Ob  sie  es  gethan  haben  würden,  wenn 
Fh.  es  versucht  hätte,  darüber  wird  gar  nichts  behauptet;  also  das 
*wenn'  =  st  c.  Impf.  Ind. ,  aber  nicht  st  c.  Plusq.  Conj. 

3.    Die  Gesetze  des  usus  sind  in  kürzester  Form  folgende: 

Von  Hauptsätzen  hat  der  Urteilssatz  ov,  der  Begehrungs- 
satz fii^. 

Von  den  Nebensätzen,  und  zwar  1)  den  Substantivsätzen 
(=JSubjects-  oder  Objectssätze),  haben  1)  die  sogenannten  eigent- 
lichen, die  mit  oxi  nnd  tag^  —  ot5,  2)  die  finalen  (oTrcog)  —  ftij.  11) 
in  den  Adjectiv-  und  Adverbialsätzen  (Attributivsätsen)  ist 
zu  scheiden  zwischen  denen,  welche  in  einem  Causalnexus  zum  Haupt- 
sätze stehen,  und  denen  ohne  Causalnexus.  Letztere,  welches  ur- 
sprünglich selbständige,  nur  relativ  angeknüpfte  Sätze  sind,  zeigen 
ov  nnd  fi^,  je  nachdem  sie  in  ihrer  Selbständigkeit  Urteils-  oder  Be- 
gehrungssätze waren.  Zweitens,  die  in  Causalnexus,  d.  h.  in  dem 
Verhältnis  von  caussa  oder  effectus  zum  Hauptsatz  stehenden  Neben- 
sätze, zerfallen  a)  in  solche,  welche  das  efficiens  und  b)  in  solche, 
welche  den  effectus  des  Hauptsatzes  bringen.  Das  efficiens  bringen 
Grund  und  Bedingung,  den  effectus  Folge  und  Absicht.  Von  diesen  ist 
bei  Absicht  und  Bedingung  die  Negation  (ir^j  bei  Grund  und 
Folge  ov.  Die  Concessivsätze  sind  eine  Nebenart  derjenigen,  welche 
das  efficiens  bringen;  demgemäsz  haben  sie  oi  wenn  sie  auf  dem 
Verhältnis  eines  *weil',  firj  wenn  sie  auf  dem  eines  ^wenn'  be- 
ruhen. 

Alle  diese  Regeln  gelten  für  alle  in  diesen  Sätzen  möglichen  Mo- 
dalformen, eben  so  ohne  Rücksicht  darauf,  welches  das  einleitende  Re- 
lativ sei,  so  dasz  auch  die  für  die  Conj unctionen  geltenden  Gesetze 
in  ihnen  eingeschlossen  sind. 

Bei  Fragen  steht  in  den  directen  a)  in  Nominalfragen 
diejenige  Negation,  welche  der  Satz  ohne  die  Fragform  haben  wftrde, 


Ov  nnd  fti}  im  Zasammenluing  mit  den  Modalformen.        547 

d.  h.  nur  beim  Conj.  (ii]^  aber  bier  nothwendig;  b)  in  Satzfragen 
(d.  b.  wo  ja  oder  nein  als  Antwort  erwartet  wird)  bei  positiver  Ten- 
denz ov,  bei  negativer  iitj. 

Wird  eine  Frage  ind  irect,  so  bleibt  im  allgemeinen  die  Nega- 
tion der  direclen,  nar  dasz  die  auf  nein  gericbtete  Tendenz  des  fi'q 
hier  wegfällt,  sobald  el  oder  ein  anderes  Fragwort  die  Einleitung  über- 
nommen hat,  d.  h.  c/heiszt  sowol  ^ob^  als  ^ob  nicht'.  Sftind  aber  in 
der  directen  Frage  ein  ov% ,  welches  nicht  durch  die  (positive)  Ten- 
denz der  Frage  hervorgerufen  war ,  sondern  schon  dem  in  Frage  ge- 
stellten Urteile  angehörte,  so  wird  dies  bei  sl  eben  so  oft  fti^  als  es  ov 
bleibt,  ohne  wesentlichen  Unterschied.  Jedenfalls  fällt  dies  für  Bestim- 
mnng  einer  Grundbedeutung  nicht  ins  Gewicht.  Die  adverbialen 
indirecten  Fragen  können  nur  fitj  haben;  es  fragt  sich  aber,  ob  dies 
vorkommt  (vgl.  el  äv  und  el  ov  Nr  II). 

Participia  und  Adjectiva  erhalten  diejenige  Negation,  welche 
der  Nebensatz,  in  den  sie  aufzulösen  sind,  haben  würde,  also  nur,  wenn 
sie  eine  Bedingung  oder  Absicht  aussprechen,  fitj.  Zu  erster  er 
Art  gehören  auch  Begriffsbestimmungen  wie  oi  iitf  aya^ol,  to  (iti  xa- 
Xov;  finale  Participia  sind  negativ  sehr  selten.  Nie  aber  hat  der 
Satz,  in  welchem  sie  stehen,  an  sich  Einflusz  auf  die  Negation. 
Die  Participia  mit  dg  haben,  auch  wenn  sie  mit  ^als  ob' =  ^als 
wenn'  aufzulösen  sind,  doch  fast  immer  ov,  wo  sie  nicht  Objectssätze 
sind.  Der  Grund  ist,  dasz  durch  dg  schon  eine  mens  alius  angedeutet 
ist,,  der  Satz  also  mit  derjenigen  Negation  steht,  mit  welcher  er  im  Ge- 
danken des  alius  stand,  nach  demselben  Gesetze,  das  für  Anfügung  ab- 
hängiger Sätze  im  Griechischen  überhaupt  gilt. 

Beim  Inf  in.  ist  firj  (wegen  der  abstracten  Bedeutung  jenejs)  we- 
nigstens niemals  falsch;  umgekehrt  ist  ov  durchaus  nicht  selten  und 
nach  gewissen  Verbis  vorzugsweise  in  Gebrauch.  Die  Scheidung  die- 
ser Fälle  übergehen  wir.  Auf  die  Bestimmung  einer  Grundbedeutung 
hat  dies  schwanken  keinen  Einflusz,  da  diese  schon  von  anderswo 
musz  gewonnen  sein  und  hier  alle  möglichen  bequem  sich  durchführen 
lieszen.  Im  übrigen  ist  als  allgemeine  Bestimmung  nur  die  zuverläs- 
sig, dasz  bei  ov  der  Gedanke  mehr  objecti viert  erscheint,  in  seiner 
ursprünglichen  Fassung  belassen,  also  namentlich,  wo  der  Satz  als 
schon  mit  ov  ausgesprochen  gewesen  bezeichnet  werden  soll.  Auch 
von  den  Fällen ,  wo  die  Bedeutung  des  Satzes  offenbar  fii^  zu  fordern 
scheint,  findet  sich  nach  del  manchmal  ov.  PI.  Phaed.  63  D  öelv  de 
ovdlv  Toiovxov  nqoa^piquv  ta  q^agfidufp:  direct  freilich  klar  =  ov 
Set.  Hyper.  Eux.  col.  25.  Lycopbr.  p.  25,6  olfiai  66tv[ov  dtKcc^HV^ 
d.  h.  wenn  sonst  beim  Inf.  lieber  ov  stehen  würde,  wie  nach  gyriidy 
oJfiai,  hindert  das  öeiv  oder  vielmehr  nur  die  Stellung,  in  welcher  ov 
nach  dem  indirecten  öeiv  steht,  dies  nicht. 

Diese  Regeln  sind  theils  unzweifelhaft,  theils  sollen  sie  unten  er- 
wiesen und  in  ihrer  Nolhw^endigkeit  dargethan  werden.  Sind  sie  aber 
richtig,  so  leuchtet  ein,  dasz  mit  einer  graduellen  Scheidung  zwischen 
ov  und  fiif  (ßi^  =  ^möglicherweise  nicht')  nichts  gesagt  ist.  Eben  so 


548        Ov  mid  (irj  im  Zasammenbang  mit  den  ModalforAea. 

wenig  mit  Aufstellung  und   Rückführung  auf  eine  Grnndbedeufnng. 
Ein  SatKtheil  musz  vielleicht  nach  derjenigen  Bedeutung,  die  ihm  in 
der  Unterordnung  als  Theil  des  ganzen  zukommt,  (iri  erwarten  lassen, 
hat  aber  doch  und  zwar  nothwendig  ov,  weil  griechisch  das  Gesetz 
gilt,  einem  als  früher  selbständig  gewesen  zu  denkenden  Satzlheile  io 
der  Abhfingigkeit  diejenige  Negation ,  wie  überhaupt  diejenige  Modal- 
form zu  lassen,  die  er  vor  seiner  Vereinigung  mit  dem  Hauptsatz  ha- 
ben muste.   Dies  ist  es,  was  die  griechische  Modnslehre  so  durchsich- 
tig und  lehrreich  macht.  Es  ist  ein  Verhältnis,  als  ob  ein  Minuszeichen 
vor  einer  Klammer  stünde,  während  lateinisch  und  deutsch  die  0|rera« 
tion  als  vollzogen  zu  denken  ist,  wobei  denn  die  Deutlichkeit  ia  Ub- 
terscheidung  der  Modalformen  wol  schwinden  muste,  auch  wenn  die 
reichen  Mittel  des  Griechischen  dort  vorhanden  gewesen  wären.    So 
musz  auch  bei  mg  c.  Part.  c.  ov  das  Verhältnis,  in  welchem  dieser 
Satz  zum  Hauptsätze  steht,  noch  als  Factor  hinzugezogen   werden. 
Endlich  ist  es  unhaltbar,  dem  fi^  logische'  Bedeutung,  correspoo- 
dierend  mit   gewissen  Anwendungen   des  lateinischen  Conj. ,   zuzu- 
schreiben ,  so  häufig  man  auch  auf  solche  Annahme  stöszt.   Denn  von 
den  vier  logischen  Verhältnissen  der  Nebensätze  haben  zwei  ov,  zwei 
fiijy  und  die  Verallgemeinerung  und  Unbestimmtheit,  mit  der  man  den 
Ausdruck  ^logische  Verbindung'  von  einer  Art  des  latein.  Conj.  ans- 
gehend  braucht,  findet  im  Griechischen  keinen  Anhalt,  hier  so  wenig 
wie  in  der  Moduslehre.     Die  Behauptung  endlich,  dasz  or.  obliq. 
jemals  firj  bewirke,  hat  man  einfach  zu  leugnen. 

Versuchen  wir  nun,  vor  Begründung  des  einzelnen,  die  Con- 
strnction  der  Grundbedeutungen  nach  obigen  Gesetzen,  so  ist 
die  einfachste  Satzform,  in  welcher  firj  erscheint,  allerdings  der  Be- 
gehrungssatz und  die  auf  nein  gerichtete  Frage,  insofern  also  die 
prohibitive  Anwendung  die  erste.  Dennoch  darf  diese  nicht  als 
Grundbedeutung  genommen  werden ,  weil  aus  ihr  sich  weder  die  coa- 
ditionale  noch  die  beim  Infin.  herleiten  läszt.  Analog  ist  beim  Optat., 
obwol  dieser  in  einfachster  Satzform  dem  Begehrungssatze  angehört, 
meist  geradezu  als  Wunsch  gebraucht  wird,  weder  letzterer  noch 
überhaupt  ein  Begehren  als  wesentliche  Bedeutung  durchznführen. 
Aehnliche  Analogien  würde  die  Casuslehre  bieten.  Sonach  fassen  wir 
ft^  als  Negation  von  etwas,  das  als  dem  Reich  des  gedachten  ango- 
hörig  ausgesprochen  wird,  über  dessen  Verhältnis  zur  Wirklichkeit 
gar  nichts  behauptet  werden  soll:  so  bei  Begehren,  inclusive  Absieht, 
und  bei  Bedingung,  beim  Infin.  als  dem  abstracten  Begriff  des  Verbi. 
Anszerdem  ist  die  allgemeine  Negation  ov;  dies  steht,  wo  überhaupt 
etwas  behauptet  wird,  also  nicht  blos  beim  Indic. ,  sondern  wo  irgend 
ein  Verhältnis  zur  Wirklichkeit  als  bestehend  behauptet  wird. 

Ferner  musz  noch  die  allgemeine  Bemerkung  voranfgeschiokt 
werden,  dasz  von  den  Tragikern  und  Rednern  an  bei  Partie,  und  Relat. 
nicht  selten  firi  erscheint,  nm  einen  innern  Cansalnexns  (=  wenn  flBr 
weil)  anzudeuten,  als  Vorspiel  zn  dieser  Verwendung  des  latein. 
Conj.   Dabei  ist  jedoch  festzuhalten :  1)  dasz  die  frühere  Sprache  dies 


Ov  and  fiif  im  ZasammeDbaog  mit  den  Modalfornan.         549 

nicht  kennt;  2)  dasz  es  auch  jetzt  nichts  nothwendiges  ist,  was  bei 
Sophocles  ziemlich  oft,  bei  Demoslh.  manchmal  erscheint;  3)  dasz 
dies  bei  Schriftstellern  römischer  Zeit  immer  zunimmt,  so  dasz  nicht 
blos  Partie,  and  i^tsl  dort  mit  fi^  stehen,  nar  weil  sie  dem  caosalea 
Conj.  bei  cum  entsprechen,  sondern  sogar  on;  4)  dasz  die  Modus- 
formen  aber  immer  dieselben  bleiben,  wie  früher  bei  ov. 

Als  grobe  praktische  Regel  für  den  Schüler  genügt  anfangs,  dasz 
Hfl  zu  setzen  sei  l)  wo  im  Lateinischen  ne  steht  (obwol  das  Verhält- 
nis  von  ne  and  non  ein  anderes  ist,  da  non  das  ne  in  sich  enthält); 
2)  bei  Bedingung  und  Absicht,  wo  das  Latein  ne  nur  bei  den  diese  bei- 
den Verhältnisse  bestimmt  bezeichnenden  Conjunctionen  hat;  end- 
lich bei  Infinitiven  und  bei  solchen  Fragen  die  ein  nein  als  Antwort 
wollen. 

4.  In  e  i  n  f  a  ch  e  n  Sätzen  ond  somit  in  allen  Hauptsätzen  fällt  die 
Scheidung  von  ov  und  juff  mit  der  yon  Urteilssatz  und  Begehrungssatz 
zusammen.  Sie  ist  sogar,  abgesehen  von  dem  Verhältnis  des  Imper.  zum 
Indic,  die  einzige,  welche  die  Sprache  ursprünglich  für  diese  beiden 
Satzarten  hat.  Ob  die  Uebcrzeugung  eine  ^fesle',  die  Behauptung 
eine  ^absolute'  sei  oder  nicht  ist  ganz  gleichgültig,  und  Fritsch 
öffnet  mit  solchem  Ausdruck  nur  der  Unbestinymtheit  wieder  Thor  und 
Thfir.  Der  Urteilssatz  hat  nothwendig  ov  nicht  blos  auch  beim  Opt. 
c.  av  und  Praeter,  c.  ccv  (welchen  letzteren  Fr.  ganz  übergeht,  und 
allerdings  müsle  e  r  hier  ^rj  erwarten),  sondern  auch  im  Epischen  beim 
Opt.  ohne  av  und  dem  Conj.  mit  und  ohne  av  pro  Fut.  Nach  Fri  tscK 
wäre  freilich  II.  1,  162  statt  ovdh  Ma)(iai,  auch  firiSi  denkbar:  = 
^dürfte  (wegen  des  Conj.)  auch  ferner  wirklich  (wegen  ov)  nicht', 
so  dasz  also  firidi  wäre  =  ^dürfte  denkbarerweise  nicht'.  Setzt  man 
nun  auch  den  Indic.  und  die  übrigen  hieher  gehörigen  Nodalformen 
einmal  mit  ov  und  dann  mit  ^rj^  so  erhält  man  eine  buntscheckige 
Masse  von  Möglichkeiten  behauptet,  welche  die  Sprache  doch  nicht 
kennt  und  für  die  es  an  Kriterien  der  Scheidung  fehlt;  es  würde  z.  B. 
ov  c.  Opt.  c.  av  mit  einem  jut;  c.  Indic.  doch  so  ziemlich  zusammen- 
fallen, und  ein  ^t^  c.  Opt.  c.  Sv  enthielte  gar  ein  potenziertes  ^dürfte'. 
Ferner  bringt  Fritsch  für  seine  Behauptungen  keine  Beweise,  noch 
können  solche  je  gebracht  werden.  Mit  einer  ihm  geläufigen  Formel, 
dasz  *bis  jetzt'  dergleichen  Beispiele  noch  nicht  aufgefunden  seien, 
sucht  er  die  Möglichkeit  solcher  zu  retten.  Er  glaubt  solche  zu  er- 
kennen in  den  ^Schwur  Sätzen',  aber  diese  sind  ja  auch  entweder 
Urteils-  oder  Begehrungssätzo.  So  hat  ov  S.  Oed.  R.  660  so  wenig 
etwas  auffälliges  wie  jede  andere  Behauptung,  die  durch  einen  Ausruf 
betheuert  wird.  —  Ar.  Av.  194  (icc  yijv,  —  firi*ym  vorifia  KOfitlfoxsqov 
f^KOvöa  Ttov  soll  nach  Fr.  S.  136  milder  sein  als  ov ;  es  ist  aber  ohne 
Frage  dort  viel  stärker,  will  jeden  ^Gedanken  daran  dasz'  usw. 
abwehren.  Es  ist  nur  eine  lebhaftere,  wenn  auch  ungenauere  Aus- 
drucksweise der  Volkssprache ,  auf  einer  Brachylogie  beruhend.  So 
auch  II.  15,  41  {iri  —  nrjiialvBi  und  die  Futura  Ar.  Eccles.  991  firj 
tf'  ag>rfio}  and  11. 10,  329  fi^  inoixrjcBXcci  ^  wo  man  aicht  des  Rückzugs 


550         Ov  and  fti^  im  Zasammenhang  mit  den  ModalformeB« 

bedarf  das  Fut.  gleich  einem  Conj.  (metail)  za  fassen,  eben  weil  der 
Sinn  eine  s  t  &  r  k  e  r  e  Ausdrucksweise  fordert.  Ein  paar  Stellen,  welche 
Fr.  für  seinen  Zweck  halte  anführen  können  und  müssen,  sind:  PI. 
Theaet.  193  A  ^cox^.  imyiyvciaKsi  ßeoöoQOv  Kai  S.y  oq^  dl  fifidiu- 
Qov  und  ib.  197  B  {olov)  [iidtiov  nQicc(iev6g  rtg  (iti  (poQoi;  aber  das 
sind  parataktische  Indic,  dem  Sinne  nach  einem  Vordersatz  mit  d 
gleichstehend.  Ferner  PI.  Phaed.%106  D  öxoky  yciq  äv  zi  iXXo  qt&ogav 
II ri  8i%oixo^  et  x6  ys  a^dvaxov  (p^oQccv  öi^ezcct:  hier  würde  fiif  als  mil- 
derer Ausdruck  glänzend  passen.  Jedoch  ist  es  wol  die  einzige  Stelle 
eines  Opt.  o.  Sv  als  Hauptsatzes  mit  fii;,  so  dasz  man  sich  wundern 
mnsz ,  dasz  sie  den  Interpreten  noch  nicht  Anstosz  gegeben  hat.  Man 
kann ,  da  offenbar  die  Form  mit  ausgesuchtester  Feinheit  gebildet  ist, 
sie  im  selben  Verhältnisse  zu  ov  (i'q  c.  Conj.  {(^X^^V  =  ^^^)  ^^^  ^^^ 
Opt.  c.  av  (ov)  zum  Indic.  stehend  erklären,  oder  auch  sagen,  dasi 
fif^  als  mit  dem  dixea^ai,  in  6inen  Begriff  verschmolzen  angesehen 
werden  soll  (vgl.  über  et  ov  c.  5),  d.  h.  von  dem  Begriff  des  fi^ 
dixecd'cii  wird  behauptet,  dasz  er  keinem  andern  Dinge  znkommen 
könne,  wenn  usw.  =  oxoXfi  av  xi  akko  (iri  Sixeö^ai  liyoiro  oder  li- 
yoiiiev.  Für  beide  Fassungen  steht  das  Beispiel  allein.  Jedenfalls 
würde  statt  des  f(i}  kein  ov  denkbar  sein ,  mag  man  über  Bedentnag 
beider  urteilen  wie  man  wolle.  Das  ov  müste  vor  av  stehen!  Dann 
aber  entstände  eine  Nebeneinanderstellung  zweier  sich  aufbebeudea 
Negationen,  die  vor  Demosth.  vermieden  wird. 

^  Die  Wunschsätze  sind  nach  Fr.  Objectssätze ,  also  elliptisch^ 
Finalsätze.  Dann  aber  hindert  nichts,  mit  noch  mehr  Recht  die  Conj. 
der  Aufforderung  so  zu  fassen,  denn  in  seiner  einfachsten  Gestall, 
d.  h.  in  Gegenwart,  steht  der  Finalsatz  im  Conj.;  der  Opt.  erscheint 
erst  in  Vergangenheit  als  Relation  ex  niente  alius.  Auch  ist  der  Unter- 
schied beider  Modi  im  Finalsatze  bei  weitem  nicht  so  entschieden  wie 
im  Begehrungssatzo,  so  dasz  man  eher  umgekehrt  abzuleiten  versnoben 
müste.  Jedenfalls  werden  Finalsätze  erst  dadurch  möglich,  dasz  es 
dieselben  schon  als  formell  selbständige  Sätze  (in  Gegenwart)  gegeben 
haKe.  Es  gibt  sogar  noch  Beispiele  solcher,  vgl.  Syst.  S.  71.  Die 
ganze  Annahme,  der  man  übrigens  hier  nicht  zum  erstenmal  begegnet, 
führt  die  Consequenz  mit  sich,  dasz  alle  Begehruugssätze  ursprüng- 
lich Nebensätze  gewesen  seien.  Dem  widerspricht  aber  nicht  blos  der 
Imperativ ,  sondern  die  griechisch  so  erkennbare  Entstehung  der  Ne- 
bensätze überhaupt.  Es  kann  ein  Satz  eben  so  gut  durch  einen  Act 
des  Begehrungsvermögens  wie  des  Urteilsvermögens  hervorgerufen 
sein;  die  Modi  sind  nicht  auf  eins  dieser  beiden  beschränkt.  Ein 
formeller  Unterschied  beider  Satzarten  zeigt  sich  ursprünglich  nur  in 
den  Negationen,  und  somit  ist  das  jitif  beim  Wunsche  einfach  das  pro- 
bibitive.  Viel  nölhiger  wäre  es  gewesen  bei  aq>sXov  zu  bemerken, 
dasz  iirj  hier  nur  wegen  der  Anwendung  des  oig)6Xov  als  utinam  sieh 
eingedrängt  hat;  denn  wörtlich  ist  äq>£kov  ein  Urteilssatz,  der  ov  er- 
forderte, und  steht  synonym  einem  löst  ohne  av  =1^=  debes,  ^müstest' 
pro  deberes.    So  denn  II.  22,  481  <og  fi^  ätpiXkB  xeniad'ai  statt  ä^. 


Ov  und  fi^  im  Zusammenhang  mit  den  Modalformeo.        551 

fii}.  So  denn  aach  firi  i%ifyi€g  S.  0.  C.  1713.  Aehnlich ,  durch  Tor- 
wiegen  des  Sinnes  über  die  Form ,  ist  su  erklären ,  dasz  beim  Fnt. 
pro  Imper.  manchmal  [i'q  (ür  ov  steht ^  aus  der  ursprünglich  conjuncti- 
Yiflchen  Bedeutung  des  Futur,  also  anders  als  oben  (irj  c*  igyqaa;  z.  B. 
Lys.  29, 13  und  mehrmals  selbst  bei  Demosth.  Auszer  diesen  speciellen 
Pillen  aber  wird  ein  Urteilssatz ,  auch  wo  er  zum  Ausdruck  eines  Be« 
feblfl  dient,  nur  ov  haben  können.  So  z.  B.  ov  x^Q^*i  ^^  e^m,  denn 
ausgesprochen  ist  nur:  ^du  kannst'.  Fritsch  möchte  auch  hier  gern 
neben  dem  ^strengeren'  ov  ein  fiif  sehen ,  tröstet  sich  aber  wieder  da- 
mit^ dasz  nur  ^bisher'  noch  kein  Beispiel  gefunden  sei,  was  offenbar 
fflr  andere  nicht  genügt  und  sicher  kein  historisches  Verfahren  ist. 
Es  wird  nie  ein  solches  Beispiel  gefunden  werden.  Was  endlich  bei 
fii}  £g>sXov  die  Vergleichung  von  niSg  ovx  ätpeXov  II.  18 ^  367  soll,  ist 
aicht  abzusehen ,  da  das  gar  kein  Wunschsatz  ist  und  mit  demselben 
.Rechte  diese  Struetnr  bei  jedem  andern  Verbo  verglichen  werden  könnte. 

Fritsch  S.  144  führt  noch  ^Betheueningen  und  Schwursatze^  als 
eine  dritte  Satzgattung  auf,  aber  auch  das  sind  entweder  Urteils-  oder 
Begehrungssfitze.  Durch  iirj  c.  Opt.  wünscht  der  schwörende  usw. 
etwas  herab  auf  sich  für  den  Fall,  dasz  es  anders  sei,  und  den  demzu- 
folge bracbylogisch  möglichen  Indic.  mit  iirj  haben  wir  bereits  gesehen. 
—  AlLd  was  der  Mensch  spricht,  also  alle  Sätze,  sind  getragen  durch 
einen  Act  entweder  des  Erkenntnisvermögens  oder  des  Begebrungs- 
Vermögens.  Dahin  gehören  auch  alle  Aeuszerungen  des  Gefühlsver- 
Bögens,  sobald  sie  nemlich  in  artikulierter  Rede  erscheinen,  also 
auszer  den  Interjectionen.  Eigene  Formen  dafür  zeigt  die  Sprache 
nur  im  Imper.  gegenüber  dem  Indic.  Aber  auch  der  Imper.  ist  nichts 
als  die  kürzeste  und  häufig  noch  verkürzte  Form  der  II  pers.  sing. 
Indic.  des  zugehörigen  histor.  Tempus.  Auch  rvt^fai  entsteht  ;ius  tii- 
fffaöOf  durchgegangen  durch  tv^lfocg;  vgl.  aldoi  aus  alöog^  loyoi  aus 
loyo-(B)g^  di%at  aus  6Ua-g.  Ein  Element,  das  Befehl  bedeutete,  e^fr- 
hilt  der  Imper.  nicht,  wie  das  auch  die  etymologische  Forschung  zu- 
gesteht. Das  Verhältnis  ist  kein  anderes  als  das  des  Vocat.  zum  No- 
minativ. Für  die  übrigen  Modalstufen  hat  sich  eine  feste  Form  beider 
Satzarten  durch  Einschränkung  des  Conj.,  durch  av  oder  nicht  av  beim 
Opt.  und  Praeter.,  aber  erst  allmählich  gemacht.  Nur  in  den  Negationen 
ist  von  Anfang  her  eine  Scheidung  ausgesprochen. 

5.  Die  Eintheilung  der  Sätze  bei  Fritsch  können  wir  künftig- 
lutt  übergehen,  da  sie  weder  vollständig  ist  noch  irgendwie  begründet, 
aleherlich  auch  nicht  auf  historischer  Basis  beruht..  Unsere  Scheidung 
iBl)  Substantiv-  oder  Objects-  und  Subjectssätze  und  2)  Adjec- 
tiv-  und  Adverbialsätze  (=  Attributivsätze)  beruht  darauf, 
dasz  ein  Satz  in  einem  andern  entweder  selber  Subject  oder  Object 
werden,  oder  aber  zu  einem  vorhandenen  Subjecte,  Objecto  oder 
Praedicate  als  nähere  Bestimmung  hinzutreten  kann  (ein  Praedicat 
kann  nicht  durch  einen  Nebensatz  vertreten  werden ,  weil  dieser  da- 
durch sofort  an  die  Spitze  des  Satzes  treten ,  also  Hauptsatz  werden 
würde).  War  der  Satz,  welcher  Subject  oder  Object  zu  einem  andern 

iV.  Jahrb,  f,  PUL  %.  Paed,  Bif  LXXVIII.  HßU,  38 


552         Oi  und  f*^  im  Zusammenhang  mit  den  Modalformcitf. 

wird,  vorher  ein  Urteilssatz,  so  entstehen  die  sog.  eigentlichen 
Substantivsätee,  d.  h.  die  mit  ori  nnd  (og;  war  er  ein  Begehrangs- 
satz,  so  haben  wir  die  F  i  n  a  l  s  ä  t  z  e. 

Der  Beweis  dieser  Entstehung  liegt  in  den  Gesetzen  der  hier  gil- 
tigen Modal-  und  Tomporalformen.  Diese  bleiben  in  den  eigen t- 
liehen  Snbstantivs^zen  nemlich  dieselben,  welche  der  Satz  direct 
haben  würde,  und  damit  ist  das  Factum,  dasz  hier  nur  ov  erscheint, 
vollkommen  erklärt.  Ein  firj  ist  nur  in  ov  fii^  möglich  und  dort  das 
liri  jedenfalls  als  einem  Finalsatz  angehörig  zu  fassen.  Fritsch  mengt 
hier  ganz  fremdartige  Salzarten  ein:  es  sei  ag  (irj  ^bisher'  iiar  als 
final  ^beobachtet'  und  Zu  (iri  nur  als  conditional;  aber  das  sei  höeh- 
stens  eine  der  Deutlichkeit  (?)  wegen  gemachte  ^Unterscheidung'  (aber 
doch  von  der  Sprache  selber,  und  die  Nothwendigkeit  derselben  liegt 
bei  gehöriger  Beachtung  des  Modusgebrauches  auf  der  Hand);  *es 
bedürfe  noch  fernerer,  genauerer  Beobachtung.'  Eine  solche  aber, 
wird  nur  zeigen  können,  dasz  ou  und  dg  :=  *dasz'  in  der  guten 
Sprache  nie  mit  fiij  stehen,  d.  h.  nie  wo  sie  Urteilssdtze  subordinie- 
ren, dasz  [iri  dagegen  bei  Plutarch  ziemlich  oft,  bei  Lucian  eioigemal, 
bei  Apollodor  Einmal  vorkommt.  Uerm.  ad  Vig.  458,  8(fö  statoiert 
freilich  oti  fi^  ^enlaxBVKSv  und  scheidet  es  als  quia  non  credideril 
von  Ott  ov  =  quod  non  credidit,  aber  nur  nach  6iner  Stelle  aus  Nov. 
Test,  und  Lucian.  Aber  nicht  blos  für  die  attische  Prosa  ist  das  un- 
haltbar, sondern  für  die  ältere  Sprache  überhaupt,  für  Homer  so  gal 
wie  für  SophocI.,  so  manches  auffällige  fitj  letzterer  auch  hat.  Herrn. 
ad  Vig.  p.  806  behauptet  freilich  auch  ganz  allgemein  firj  =  *wol 
nicht',  gestützt  auf  ein  fi^  c.  Partie,  nnd  einen  Relativsatz  aas  Pausao. 
(denn  II.  15,  34  [li}  —  nrjfAcilvei  haben  wir  schon  wie  Ar.  Av.  194  dls 
stärker  negiert  gezeigt),  aber  p.  808  erklärt  er  doch  avtog  fi^  dv- 
vcncci  für  unmöglich.  Fritsch  dagegen  ist  vor  solcher  allerdings 
Üivermeidlichen  Consequenz  nicht  zurückgewichen,  aber  dann  bedurfte 
es  endlich  doch  wol  der  Beweise,  wenn  er  historisch  nnd  nicht  blos 
dogmatisch  verfahren  wollte.  Was  er  beibringt  erklärt  er  selber 
conditional,  es  gehört  also  nicht  hieher.  Endlich  die  Behauptung,  dasz 
die  herkömmliche  Lehre  ov  beim  Inßn.  nicht  kenne,  ist  nnbegreiflich, 
da  Madvig  und  bes.  Baeumlein  schon  Ifnge  die  Fälle ,  wo  dies  sogar 
häufiger  sei  als  ftij,  förmlich  aufgeführt  haben.  —  Zur  Bestätigung  un- 
serer Ansicht  dient  noch,  dasz  auch  ou  ==  Veil'  nur  mit  den'Modis 
des  Hauptsatzes  und  dem  Opt.  or.  obliq.  erscheint,  und  zwar  niir  mit 
ov,  auszer  bei  Plutarch  usw«  Auch  ein  conditionales  fi^q  ist  hier  un- 
möglich, obwol  doch  bei  insl  und  oxe.  Darin  zeigt  sich  eben,  dasz 
on=:  ^weil'  griechisch  als  reiner  Objectssatz  gefaszt  ist,  in  der- 
selben Verwendung  des  Accusativbegriffs,  nach  welcher  quod  und  qnia 
selber  zu  V  eil'  werden;  dagegen  deutsch  bildet  Veil'  Adverbial- 
sätzte,  wie  *da',  iitsl^  ore,  —  Von  abgekürzten  Satzformen  gehören 
hier  noch  her  ovx  ou  (o)^,  oTCfog)  und  j^^  ou^  je  nach  der  Modalforn, 
in  welcher  man  das  Verb  suppliert.  Ein  vorhandenes  Beispiel  eines 
m^  =  *gesetzt  dasz'  (pv)  toll  unten  bei  der  paralaktischeo  Form 


Oi  and  f»if  im  ZusammenhaBg  mit  ddn  Modalformen.         553 

der  Bedingungssätze  aofgefülirt  werden.  Ueber  Substantivaatoe 
mit  sl  eingeleitet  und  mit  ov  vgl.  Ei  av  cap.  I. 

6.  Die  Finalsätze  haben  in  der  guten  Sprache  nur  fAi^,  \^%ß 
sich  als  Ausdruck  eines  Begehrens  sofort  erklärt.  In  ihrer  einfachsten 
Form,  d.  h.  in  Gegenwart  stehend  und  im  Conjuuctiv,  sind  nemlich  dia 
Finalsätze  nichts  ala  objoctivierte  Begehrungssätze:  ^ich 
ibne  dies ,  jenes  soll  geschehen'.  Conjunctioneu  dhr  Absicht  gab  es 
nrsprünglich  so  wenig  wie  für  die  übrigen  rein  logischen  Verhält* 
Bisse,  und  es  gibt  noch  Stellen  ohne  sie:  II.  6,  MO  isclfietvov,  T6v%ea 
dv(o.  II.  23,  70  &cc7tte  fis  —  TteQrjao}.  PL  Rep.  5,  457  C  kiys  di},  fdw. 
Hierdurch  erklärt  sich  auch  das  bei  Homer  häufige  iii^  für  Z^taag  (ilti^ 
Sci>g  11%  d.  h.  war  der  Satz  negativ,  so  konnte  die  Conjunction  leichter 
fehlen,  so  dasz  schlieszlich  ftif  und  ne  wol  selber  als  Conjunctionen 
angesehen  wurden.  -—  Werden  diese  Conjunctive  in  Vergangenheit 
Optative  (was  Fange  wenig  zwingend  schien  und  nie  nothwendig 
wurde  wie  im  Latein),  so  ist  das  nichts  als  der  Opt.  or.  Qbliq.,  wie 
auch  der  Opt.  der  indirecten  Frage  den  RQckschlusz  so  gut  auf  einen 
Coujunctiv  wie  auf  einen  Indio,  der  directen  erlaubt.  Auch. das  steht 
nicht  im  Wege,  dasz  obige  Beispiele  ein  ^daroit%  kein  ^das?^'  erfor- 
dern, deutsch  also  nicht  Objects-  sondern  Adverbialsätze  sind.  Denn 
(analog  wie  bei  or^/weil')  wurden  die  Sätze  mit  ^damit'.  urspri^ng- 
lioh  ebenso  in  accusativischer  Keotion  gefaszt  wie  die  mit  ^dasz^. 
Im  Latein  ist  gar  kein  Unterschied  beider  Arten ;  auch  im;  Qeut^cben 
sagt  man  in  gehobener  Rede  z.  B.  ^kämpfen  dasz'  für  Mamit'  wip 
^streben  dasz'.  So  steht  auch  ivctj  das  attisch  nur  ^damit'  ist,  bei  Ho- 
mer noch  ===  ^d  as z ' :  II.  6 ,  564  rcc  q>QOvi(ovy  iva  Safielti» 

Dagegen  der  In  die.  Fut.  im  Finalsatz  läszt  sich  nicht  auf  einen 
ursprünglich  selbständigen  Satz  zurückführen ;  er  ist  von  vorn  berein 
auf  einen  subordinierten  Satz  berechnet  wie  die  Bedingungsvorder- 
sätze ;  die  Bedeutung  seiner  Modalform  gilt  nicht  an  sich,  sondern  nur 
im  Verhältnis  zum  Hauptsatz.  Insofern  ist  der  Indic.  Fut.  der  eigent- 
liche finale  Modus ,  als  welcher  er  sich  auch  dadurch  erweist,  daaz 
er  bei  beliebigen  anderen  Relativis  die  allein  mögliche  Modalform, 
der  Conj.  und  Opt.  nur  bei  den  zu  Conjunctionen  gewordenen  r^iat. 
Adv.  möglich  ist.  Weil  von  abstracterem  Sinn ,  wird  jene  Form  da- 
her erst  später  gebräuchlich  (bei  Homer  nur  zweimal)  als  die  des  Conj. 
Das  Futur  steht,  weil  das  erstrebte  von  der  Handlung  des  Hauptsalzes 
•ns  etwas  vorausliegendes,  zukünftiges  ist;  nicht  enthält  er. eine  für 
sich  giltige  indicativische  Behauptung.  Daher  steht  er  nicht,  wp, 
wie  bei  ^damit',  der  Finalsatz  als  ein  relativ  angeknüpfter,  ursprüng- 
lich selbständiger  Begehrungssatz  angesehen  werden  kann,  sondern 
im  allgemeinen  nur  nach  solchen  Verbis,  deren  Begriff,  analog  den 
Verbia  transit. ,  einen  Satz  als  Object  voraussetzen,  d.  h.  nur  nach 
den  Verbis  des  strebens,  inclus.  des  strebenden  sagens.  So  wird 
OTifiog  c.  Ind.  Fut.  die  eigentliche  Form  für  substantivische  Final- 
sätze (=  ^dasz').  Wie  nun  in  der  alten  Sprache  die  später  nur  für 
die  adverbialen  (=  ^damit')  möglichen. Formen  auch  accusativische 

38* 


554         Ov  and  fii}  im  Zusammenhang  mit  den  Modalformen. 

Reolion  ertragen  (da  nemlich  oncng  c.  Fat.  alt  selten  und  tva  alt  auch 
für  ^dasz'  steht),  so  Qndet  sich  manchmal  auch  oniog  c.  Fat.  =sMa- 
mit',  aber  nur  wie  im  Deutschen  ^kämpfen  dasz'  für  ^ damit  \  also 
prägnant  und  in  gehobener. Rede;  so  namentlich  bei  Sophocles,  z.  B. 
El.  956  vvv  elg  ci  ßUitm^  onoDg  fiij  xcero^viqöBig  %xavsiv,'  El.  1295  tfi|- 
fiaiv^  ovTODc  OTcmg  firizriQ  Ce  fti]  iTtiyvtiasrai.  Phil.  1069  fi^  fCifocXivCöi 
OTtong  fc^  tfiv  ^piv  öi>aq>d'eQBtg,  Bringt  man  in  Anschlag,  wo  solcho 
Fälle  vorkommen,  wo  nicht,  so  wird  durch  sie  die  Grundauffassaog 
nur  verstärkt.  —  Der  Opt.  Fut.  wegen  or.  obliq. ,  also  auch  einfach 
nach  Vergangenheit,  ist  freilich  viel  seltener  als  beim  Conj. ,  doch 
«eigen  Xen.  und  die  Redner  eine  ziemliche  Zahl,  z.  B.  Is.  Trap.  22. 

Nun  verlangt  P ritsch  auch  in  Finalsätzen  ov  als  möglich,  wio 
auch  Stallb.  ad  Apol.  25  B,  vgl.  ind.  s.  v.  ov,  die  Behauptung  Hermannt 
ad  Vig.  p.  833  weit  überschreitend,  dies  tbut,  freilich  ohne  irgend 
einen  Beweis.  Auch  Fritsch  führt  nur  6in  Beispiel  an,  und  das  gilt 
nicht^weil  es  gar  keinen  Finalsatz  zeigt:  Xen.  Cyr.  VI  2,  30  fA^  id- 
Crjfci  mg  ov%  riöimg  aa&evörjctcs.  Nach  der  Erklärung  von  Fritseh 
=r=  ^schlecht'  würde  man  fii^  ov%  fiöifog  erwarten  müssen.  Das  o^ 
scharf  als  quomodo  gefaszt,  leidet  der  Sinn  nicht.  E#  ist  vielmelur 
deUm  hier  ganz  in  deutscher  Weise  =  ^glaubt  nicht,  denkt  aicht' 
gefaszt,  so  dasz  mg  einem  pn  synonym  ist,  keinem  oitong,  vgl.  Stell,  a. 
Phaed.  11  Nr  4.  Dagegen  finden  sich  Stellen ,  die  Fr.  sehr  wol  hätte 
brauchen  können ,  einige  bei  Plutarcb ,  wo  jedoch  da«  ov  einer  ähn- 
lichen forcierten  Rhetorik  der  späteren  Zeit  zuzuschreiben  ist,  wie  die 
Et  ov  cap.  V  erwähnten  Fälle :  comp.  Ale.  Cor.  1  rcov ,  on»g  o  v  do- 
^ovöi  driiiayrnysiv^  TtQOTtriXaKt^ovrmv  xovg  icoXXovg,  Lys.  17  vov  g)6ßop 
bttctriCctv  ^vÄcrxa,  onmg  ov  naqBtOt  v6[iiaiia.  Timol.  9  Ku^X'ldavtovg 
ipQOvrlieiv  ixiXevevy  onfog  ovx  htißi^aoixo  UtiuUag  TifioXimv,  CorioU 
19  Sadtottov  xal  öKonovvrmv,  orctog  xov  xe  Ma^Mov  ov  —  noirfiovtatj 
xov  xs  d^fiov  ov  TCaQi^ovöiv  inxaqixxBw  xolg  drjfAayayyotg.  Letzterei 
ist  ein  finales  Vie',  eine  indirecte  Frage,  die  aber  als  final  ebenfalls 
(Äff  haben  müste.  Dagegen  comp.  Ag.  Pomp.  i^svQe  xqoutov^  £  \jui(t 
iaelvovg  ßlailHyuöiv  (ot  vofioi)^  iii^e  OTtiog  ov  ßkitlfmöiv  kv^ffiovxai 
(der  Conj.  conditional,  mit  fehlendem  äv). 

Ferner  hätte  für  den  Standpunkt  von  Fritsch  Erwähnung  ver- 
dient entweder  bei  den  Objects-  oder  den  Finalsätzen  Lyc.  Leoer.  63 
ti  d^  oXmg  {itidiv  xovxmv  TtSTtolrjKBVy  ov  fiavla  dipcov  xovxo  liyuvj  ng 
ovdhf  Sv  yivrixai  naqa  xovxov.  So  bei  Baiter  und  S.,  aber  ohae 
Form  noch  Sinn.  Var.  lect.  Bekk.  iyivsxoj  Saupp.  yivoixo.  Es  paaat 
allein  av  in  ys-  zu  verwandeln :  ovdhv  ysyivtixai  =  ^dasz  das  Ver- 
gehen keine  Folge  gehabt  habe'.  Die  Entschuldiger  müssen  sieh  auf 
etwas  factisches  stützen ;  ein  Satz  mit  av  wäre  ohne  Gewicht,  fibea- 
80  wären,  wenn  doch  nicht  unsere  Scheidung  dieser  Sätze  be- 
folgt ist,  noch  einige  Fälle  beizubringen  eines  auffälligen  ov,  beson- 
ders aus  Subjectssätzen  (als  welche  nur  Urteilssätze  möglich  sind) 
and  aus  Schriftstellern,  die  oncDg  gleich  mg  und  ou  verwenden^ wie 
Soph.  z.  B.  Oed.  R.  1030  (1059)  ovx  «v  yivoixOy  onmg  ov  ipavä  tov- 


Ov  und  (ifj  im  Zasammenhang  mit  den  Modalfomen.         555 

fiov  yivog;  vgl.  Stell,  a.  Fhaed.  V  Nr  6End.  Hier  gilt  die  Analogie  von 
sunt  qui.  Göbe  der  Haaptsatz  statt  des  fieri  ein  facere  und  somit  eine 
persona  efficiens,  so  würde  fti;  eintreten.  Ebenso  Hdt.  2,  160  ovdefäctv 
faq  ilvtn  firixavi^Vy  ontaq  ov  7tqoad"qcovzai^  analog  ov%  iaxtv  onmg  ov. 
—  Finalsitze,  nicht  durch  Conjanctionen  eingeleitet,  werden  in  Gegen- 
salz anderer  Adj.-  lAid  Adverbialsätze  betrachtet  werden.  —  Hier  isl 
am  Schlusz  der  Substantivsatze  nur  noch  zu  bemerken ,  wie  die  ge- 
wöhnliche Meinung,  dasz  fiif  durch  or.  obliq.  hervorgebracht  werde, 
unhaltbar  ist,  da  noch  immer  kein  Beispiel  von  ou  fttf  c.  Opt.  or.  obliq. 
weder  aus  Prosa  noch  aus  PoSsie  der  guten  Zeit  hat  beigebracht  wer- 
den können.  Die  Entstehung  jener  Meinung  rührt  her  von  Fällen,  wo 
fkfj  etwas  erstrebtes,  also  finales  bezeichnet,  so  wie  andererseits 
die  Behauptung,  dasz  firf  milder  negiere,  auf  seinen  conditionalen 
Gebranch  sich  wird  zurückführen  lassen. 

7.  Die  Adjectiv-  und  Adverbialsätze  bringen  zu  einem 
schon  vorhandenen  Satztheile  eine  nähere  Bestimmung,  während  die 
Substantivsälze  einen  der  zur  Existenz  des  Hauptsatzes  als  Satzes 
nothwendigen' Bestandtheile  selber  bildeten.  Adverbialsätze  sind  die 
durch  ein  indeclinables  Relativ  eingeleiteten ;  dieses  kann  nun  entwe- 
der Ort  oder  Zeit  oder  Art  und  Weise  bezeichnen.  Adj.-  und  Adver- 
bialsätze sind  daher  zunächst  nichts  als  ursprünglich  selbständige, 
jetzt  relativ  angeknüpfte  Sätze,  so  dasz  sie  die  Modi  wie  die  Negation 
aus  ihrer  Selbständigkeit  beibehalten:  Dem.  cor.  89  cot/  diafuiQxoisv 
%ccl  (lij  [jiBxdcxoisv,  D.  25,  82  fcoiog  Ttg  xaXotx^  Sv  öixa£cDg  6  xqIq  xcr- 
xaqctxog^  o  xotiog  ix^^g,  orco  fiifcs  yrj  (pigoi  Ttaqnov  (iifc^  ino^avovxa 
di^ocito,  D.  20,  167  o  fi^  ni^^e,  D.  Chers.  51  «  j^ii/rs  yivoixo  ovxe 
liyeiv  S^iov.  Zweitens  aber  kann  zwischen  Haupt-  und  Nebensats 
ein  Causalnexus  bestehen,  auf  welches  Verhältnis  sich  alle  logi- 
schen Beziehungen  zwischen  Hauptsatz  und  Nebensatz  zurückführen 
lassen.  Wörter,  die  da  ursprünglich  Absicht,  Folge,  Grund  und  Be- 
dingung ausgesprochen  hätten,  kann  es  schon  deshalb  nicht  geben, 
weil  es  keine  Sprachwurzel  von  rein  logischer  Bedeutung  gibt,  son- 
dern alle  nur  sinnlich  wahrnehmbare  Verhältnisse  bezeichnen.  Die 
Conjnnctionen  entstehen  erst  durch  Fixierungen  im  Gebrauche  gewöhn- 
licher Adverbia.  Das  Griechische,  hier  besonders  lehrreich  für  Er- 
ftissung  des  Latein  und  der  modernen  Sprachen ,  zeigt  den  Ausdruck 
aller  logischen  Beziehungen  sehr  erkennbar  als  ursprünglich  nur 
Sache  der  Modalformen  und  somit  auch  der  Negationen.  Und  auch 
später,  als  allmählich  auch  hier  Relativadverbia  zu  Conjunctionen  sich 
fixieren,  bleiben  die  Modalformen  dieselben  bei  diesen  wie  bei  gewöhn- 
lichen Relativis.  Also  nicht  die  Conjunctionen  regieren  die  Modi,  son- 
dern jene  sind  nur  ein  neuer  Exponent  des  ursprünglich  allein  durch 
letztere  ausgeprägten  Verhältnisses.  Daher  ist  es  auch  falsch,  wenn 
manchmal  einem  Relativ  imputiert  wird  statt  einer  Conjunction  zu  stehen 
oder  eine  solche  in  sich  zu  tragen.  Das  Deutsche  wegen  seiner  gerin- 
geren Befähigung  zu  modalem  Ausdruck  ist  eben  nur  oft  genöthigt  da 
Conjunctionen  zu  setzen,  wo  grieehiseh  dieModnsfornen  völlig  genügen. 


3         Ov  und  fii}  im  ZasammenhaDg  mit  den  Modalformen. 

Das  Causalverhältnis  beruht  auf  dem  von  oansa  und effectos. 

blicht  und  Folge  bringen  das  efTeclum,  Bedingung  nnd  Grund 

IB  effliciens  des  Hauptsalzes.   Eine  Nebenarl  der  letzteren  beiden  sind 

ie  Conceaai vsälze,  die  theils  einem  wenn,  theils  einem  weil 

orrespon diesen,  immer  aber  zugleich  etwas  als  Grund  mögliebes  aaf- 

/tellen  und  doch  es  als  wirkenden  Grund  wegleugnen. 


EITectum 
so  dasz 


damit 


Ef/icicns 
weil  (obglüicli) 


wenn  (wenn  auch). 

Von  diesen  vier  Vorhällnissen  zeigen  nur  die  beiden  unteren,  die  sab- 
jeotiven,  eigene  Modnsformen,  welche  nicht  schon  in  aeibstfindigen 
SAtzeft  erscheinen:  die  finale  und  die  conditionale  Modas- 
reihe.  Die  beiden  oberen,  als  immer  Behauptungen  enthaltend,  lei- 
geo*  die  Modusreihe  des  einfachen  Urteilssatzcs,  also  nur  ov.  Die 
conditionale  Reihe  ist  wesentlich  dadurch  gebildet,  dasi  hier  das 
demonstrative  Sv  fehll,  welches  die  Hauptsätze  (auszer  beim  Indio, 
erster  Stufe)  sämtlich  zeigen,  wenn  man  nemlich  statt  des  Futur  des- 
sen älteren  Ausdruck,  den  Conj.  c.  av,  gesetzt  sich  denkt.  Freilich  ist 
gerade  wiederum  dem  Conj.  dieser  Nebensätze  das  av  gewöhnlich  ge- 
worden; da  nun  gerade,  wo  es  auf  Bezeichnung  der  Zukunft  ankommt, 
nicht  sl  c.  Fut.  zu  stehen  pflegt,  sondern  iav  c.  Conj.,  stammt  dies 
Streben,  dem  Conj.  hier  civ  beizugeben,  sicher  ans  eider  Zeit,  wo  allein 
durch  av  die  Beziehung  auf  die  Zukunft  beim  Conj.  deutlicher  hervor- 
zuheben war.  —  So  bezeichnet  ein  Glied  der  Reihe  1)  Indic,  2)  Conj. 
c.  av,  3)  Opt.  ohne  av,  4)  Praeter,  ohne  av,  Negation  Überall  fi^, 
immer  einen  Bedingungssatz,  einerlei  ob  derselbe  durch  $1  oder  og^ 
hui,  &q  usw.  eingeleitet  sei.  Dasz  bei  on  =  ^weil'  keine  dieser 
Modusformen  möglich  ist,  zeigt  dies  als  in  Rection  eines  Substantif- 
salzes  flehend.  Auf  das  Verhältnis  der  allgemeinen  relativen  Sätse 
brauchen  wir  hier  nicht  einzugehen. 

Von  den  Modis  derFinalsätzo  ist  allein  der  Indic.  Ful.  (fi^ 
so  allgemeiner  Anwendung  fähig  und  bei  allen  Relativis  verwendbar. 
Es  ist  derselbe,  der  auch  zum  Ausdruck  der  Beschaffenheit  dient;  nor 
in  der  Negation  liegt  die  Scheidung.  Der  Conj.  und  seine  or.  obliq., 
der  Opt.,  so  wie  der  auch  sonst  hier  eingeschränkte  Ind.  Praeter,  (ohne 
av)  sind  nur  bei  schon  zu  Conjunctionen  gewordenen  Adverbiis  mög- 
lich, d.  h.  nur  wo  die  Absicht  schon  anderweit  bezeichnet  ist.  In  der 
geformtesten  Prosa,  bei  den  Rednern,  erscheint  dann  Xva  reichlich  hun- 
dertmal gegen  6in  ortfo^  =  Mamit';  dies  OTrcog  mit  av  nur  ein  paarmal. 
Dies  av  geht  ferner  auch  auszerhalb  der  Redner  nirgends  in  die  or. 
obliq.  mit  hinüber,  d.  h.  bleibt  uie  beim  Opt.,  wio- manchmal  in  der 
conditionalen  Reihe.  Ein  Analer  Opt.  o.  av  steht  immer  dem  Fntnr 
synonym.  Beiläufig  sei  noch  erwähnt,  dasz  av  einmal  beim  Prietar. 
steht  Isae.  11, 6,  ja  sogar  einmal  Zvä  c.  Fut.  Isao.  8, 16,  oTttoq  c.  Praetar. 
auszer  Aristoph.  auch  Dem.  36,  20. 

Die  Final-  und  ConditionalsätKe  sind  auch  die  einzigen  jener  vinr, 


Ov  und  ^1}  im  Zusammenhaog  mit  den  Modalformeo.         5ö7 

welche  keine  Vertretung  durch  coordinierte  Satse  vertragen,  wie  ^da- 
her' für  *80  dasz',  *denn'  filr  ^weil%  ^jedoch'  für  ^obgleich'. 
Sie  also  sind  von  vorn  herein  als  subordinierte  geschaffen,  ^enn  es 
auch  ursprünglich  überhaupt  nur  einfache  Sätze  geben  konnte,  wes* 
balb  auch  keine  Sprache  ein  ursprüngliches  Relativ  hat  noch  haben 
kann.  In  gewisser  Weise  ist  dennoch  jene  Vertretung  möglich  und 
war  nothwendige  Aushülfe  bis  zur  Entstehung  jener  Satzformen.  Bei 
^damit'  durch  ^sollen':  ^ich  thue  dies,  jenes  soll  geschehen'.  Von 
daher  ist  gerade  die  Structur  mit  dem  Conjunctiv  geblieben.  Aber 
wenn  relativ  angeknüpft,  ist  diese  nur  möglich  bei  selber  schon  tlie 
Absicht  aussprechenden  Conjunctionen.  —  Im  Bedingungssatz  ist  solche 
Vertretung  noch  weniger  ausreichend,  wovon  bei  der  Parataxe. 

Kückschlüsse  vom  Latein  her,  dessen  Gesetze  man  als  die  allge- 
mein giltigen  ansah,  haben  nicht  selten  die  unbefangene,  historische 
Auffassung  für  das  Griechische  gehindert ;  so  auch  hier,  wenn  z.  B.  mit 
einem  lateinischen  Conjunctiv  man  auch  ein  fttf  für  möglich  hält  und 
danach  erklärt.  Es  zeigt  die  Trübung  auch  der  Umstand,  dasz  man 
die  Relativadverbia  der  Zeit  den  Conjunctionen  beizählt,  die  des  Ortes 
nicht.  Das  Latein  nimmt  wie  historisch  so  syntaktisch-sprachlich  eine 
Kittelslufe  ein  zwischen  dem  Griechischen  und  den  modernen  Sprachen. 
Im  Latein  sind  die  Conjunctionen  für  die  logischen  Verhältnisse  obwol 
fester,  doch  noch  keineswegs  so  fest  wie  im  Deutschen.  Es  heisztz.  B. 
ut  immer  Vie';  quamquam  kann  auch  noch  Vie  sehr  auch'  heiszen. 
Aber  sobald  die  Relative,  Adjective  wie  Adverbia  in  jenen  logischen 
Beziehungen  verwendet  werden,  tritt  in  allen  vier  Fällen  der  ^Con- 
junctiv' ein.  Daher  ut  ==  ^so  dasz'  c.  Conj. ;  ebenso  quum,  ante- 
quam  usw.  in  der  Erzählung,  wo  nemlich  gewöhnlich  doch  irgendwie 
zusammenhangende  Handlungen  zusammengestellt  und  mehr  als  blosze 
Zeitbestimmung  gegeben  werden  soll.  Ebenso  der  Conj.  bei  gewöhn* 
Hohen  Relativis.  Der  Indic.  bei  quod  und  quia  erklärt  sich  aus  der 
ursprünglichen  Fassung  dieser  Sätze  als  Objectssätze ;  sie  stehen  zu 
qnum  wie  ozi  zu  ineL  Der  Indic.  bei  ubiubi,  quisquis  usw.  (und  so-, 
mit  bei  quamquam),  statt  dessen  man  wegen  der  Bedeutung  der  Wie- 
derholung, die  auf  ein  Venu'  zurückzuführen  ist,  den  Conj.  erwarten 
könnte,  erkläii  sich  dadurch,  dasz  diese  Bedeutung  schon  durch  ein  ande- 
res Element,  die  Ansetzung  des  Indef.  (denn  darauf  läuft  die  scheinbare 
Verdoppelung  hinaus,  vgl.  o(Sug)y  beschafft  ist  und  dies  der  lateinischen 
Sparsamkeit  genügt.  Ebenso  cumque  =  qunmque.  =3  Mmmer'; 
vgL  ubique,  quisque  usw.  Die  einfachen  Relative  würden  für  diese 
Bedeutung  des  Conj.  bedürfen.  Griechisch  dagegen  ist  dafür  die  con- 
ditionale  Modusreihe  nöthig,  mag  og  oder  oaug  stehen.  Si  selber  ist 
schon  -hinlänglich  Conjunction  geworden,  um  auch  mit  dem  Indic. 
stehen  zu  können.  Bei  quum  =  Venn ,  so  oft'  zeigt  sich  in  Vergan- 
genheit ein  schwanken,  da  der  Indic.  auch  eine  blosze  Zeitbestimmung, 
der  Conj.  auch  die  Fassung  als  ^da,  weil'  möglich  macht.  Endlich  hat 
das  Latein  noch  eine  Erweiterung  des  Gebrauchs  seines  Conj.  bei  sunt 
qni  usw.,  eine  Verflüchtigang,  welche  das  Griechische  nicht  kennt 


558        Ov  and  fc^  im  Zusammenhaiig  mit  den  ModalformeD. 

Hienach  sind  alle  Schlüsse  und  Folgerungen  von  einem  lateiaiBcben 
Conj.  aus,  namentlich  für  die  Sätze  der  Folge  und  des  Grandes,  i«- 
rückeuweisen,  sowol  für  die  Modi  wie  für  die  Negation.  Nur  Absicht 
und  Bedingung  bringen  fii;. 

8.  Ueber  die  Folgesätze,  so  weit  sie  nicht  durch  cmftc  ein- 
geleitet sind,  also  eine  Folge  aus  der  Beschaffenheit  einer  Person  oder 
Sache,  eines  Ortes  usw.  ausdrücken,  ist  Stell,  a.  Phaed.  I  5 — 7  ge- 
handelt, so  dasz  es  nur  einer  Notiz  bedarf.  Die  Beschaffenheit  kann 
abstract  bezeichnet  werden  durch  Angabe  einer  aus  ihr  zu  erwarten- 
den Handlung  ohne  Behauptung ,  dann  steht  der  Indic.  Fut. ;  oder  sie 
wird  dadurch  bezeichnet,  dasz  zufolge  ihr  ein  Urteil  bestehe,  dann  die 
Modi  des  Urteilssatzes.  In  beiden  Fällen  ist  die  Negation  so  lange  ov, 
als  die  Folge  nicht  zugleich  als  erstrebte  dargestellt  werden  soll; 
im  andern  Fall  wird  der  Satz  final,  also  mit  iii^:  Soph.  Aj.  659  x^'tfMi 
viv,  iv&a  (iii  xig  otf/frai.  El.  380.  0.  R.  796.  1412.  1437.  Trach.  800, 
und  zwar  nicht  blos  beim  Futur,  sondern  auch  bei  den  Modis  den  Ur- 
teilssatzes* Von  letzteren  findet  es  sich  am  häufigsten  beim  Opt.  c.  afv, 
da  dessen  Bedeutung  hier  mit  der  des  Futur  zusammenfällt,  am  selten- 
sten beim  Indic:  Is.  Panath.  85  ^(r;|^vofii^  ai/,  slyQag>Biv  btiiBiqävy 
TtBql  00 V  f(9}de2^  av  ixoXfiriaev,  ovxong  avaia^'qtmg  öuxBCfitpf,  laoor. 
10 ,  10  äcTtSQ  ei  ri$  n^oöitoiotto  Hgatiöxog  elvai  a^Atjrcov,  ivrav^ 
ncixceßalvavy  ov  firidelg  av  alkog  a^iciösis;  vgl.  Stell,  a.  Phaed.  I  7. 
Dem.  Lept.  160  xqti  towvra  %cA  Xiyeiv  Kai  ikitl^uv,  olg  (iridelg  ov 
vBfiBatioai.  Dem.  23,  86  o  yQceqxov  löla  totovrov^  o  (iri  nä<Si  %al  viuv 
iiSrai  (erstrebte  Bedingung).  Hdt.  2, 135  iTtsdij^irjöB  Poöcmig  fivrmi^lov 
Tiaxakmiad'ai^  7tolri(ia  7toiri<Saiiivri  Tovro,  to  [iri  rtyyxdvst  allm  ^tv- 
Qflfiivovy  xQvxo  ava^Bivai,  Is.  Paneg.  89  ßovXrfiBlg  xotovtov  iivti(uiov 
TiaxaliTtBiv  y  0  fiii  xrjg  av^Qdimivr^  (pvCBmg  iaxiv.  Dem.  Ol.  II  16  ^fr- 
^vfiBt  ÖLanQa^aa&at  rairta^  a  [iriÖBlg  nmnorcB  alkog  MaxBdovfOv  (k^ 
ailBvg,  Man  wird  diese  fiij  der  orat.  obliq.  zuschreiben  wollen,  es 
kann  aber  kein  einziges  Beispiel  eines  oxi  c.  Opt.  beigebracht  werden. 
Nur  wenn  die  mens  alius  zugleich  ein  Streben,  eine  Absicht  ist,  er- 
scheint fii^;  folglich  ist  dies  das  entscheidende.  Oft  stehen  ov  und  fuf 
sich  sehr  nahe;  z.  B.  würde  Sioiiai  aXXov  koyov^  ög  fu  nBlOBi  negatif 
ausgedrückt:  *der  mir  keine  Scrupel  liesze%  so  wurde  allerdingt  eu 
möglich  sein  als  objective  Angabe  dör  Beschaffenheit  des  nöthigen 
Ao^'o^,  aber  natürlicher  jedenfalls  wäre  firj,  ^Eine  Sache  ist  so  be- 
schaffen, dasz'  gäbe  ov,  ^Es  macht  jemand  eine  Sache  so  beschaffen, 
dasz  sie'  gäbe  fti^.  Wird  das  wirkende  selber  eine  Sache,  so  fragt 
es  sich,  ob  sie  als  Werkzeug  eines  beabsichtigenden  ihre  Wirkung 
übt  oder  nicht.  Hdt.  9 ,  109  iöldov  xal  %qvCov  änXstov  xal  CxQtnofy 
xov  IfifUe  ovÖBlg  Sq^biv^  aXk^  {  inBlvri  enthält  freilich  auch  die  Ab- 
sicht des  schenkenden  Xerxes ,  insofern  gewis  auch  mens  alias ;  aber 
es  soll  nicht  so  sehr  die  Absicht  des  schenkenden  als  vielmehr  die  Be- 
schaffenheit des  Geschenkes  an  sich  angegeben  werden.  Dagegen  i.  B. 
Xen.  Mem.  1 ,  1 ,  10  xo  loiJtov  ccbI  x^g  iifiiQag  tiv^  onov  TtUictoig  (Ulr 
iU»  awicic^at^  könnte  negativ  ausgedrückt  nur  fiij  erhalten.   S.  PhiL 


Ov  und  iitf  im  ZasammeDbang  mit  deo  Modalfornea.         569 

408  i^oida  yccQ  vtv  ncevrog  Sv  Xoyov  xockov  ^lyoinay  ifp  fi^  ^riilv 
dlxaiov  ig  tiXog  (lilkn  nomv,  El.  436  %^'^Hyv  vtv  iv^ci  fii/  Ttov^ 
TtQoagiaiv^  aber  866  [irj  (le  naQayayjjg^  SV'  ot;  Ttagetaiv  aqmycd.  0.  C. 
1402  xoiovxov,  olov  ovöe  ^sC^s.  Hdl.  3y  40  OTtißäle  avtcagy  ox<»g 
l^tlKitt.  i^^Ei  ig  dv^Qoinovg  (qaomodo);  dagegen  ib.  3,83:  Mch  trete  zn- 
rück  anter  der  Bedingung,  dasz  (von  euch  der  Satz  unbestritten  bleibt, 
dasz)  ich'  usw.  =  iit*  Ate  vit^ovöevog  vfAciv  aQ^Of^ai  (=  offre). 

9.  Bei  den  Folgesa  tzen  mit  äats  bedarf  nicht  blos  die  Nega-> 
tion  einer  näheren , Bestimmung.  Zunächst  erklärt  Fritsch  den  Un- 
terschied der  Bedeutung  zwischen  der  Infinitivstructur  und  der  mit 
mod.  finitis  nicht  als  auf  diesen  Modalformen  beruhend  anerkennen  z« 
können ,  sondern  dieser  beruhe  auf  ov  und  fii^.  Aber  erstens  existiert 
dbch  auch  ein  Unterschied,,  wo  eine  Negation  gar  nicht  steht,  und  di^ 
8er  wird  doch  gütig  bleiben,  wenn  solche  hinzutritt.  Zweitens  aber 
läszt  sich  die  Negation  bestimmen.  Fflr  ov  beim  Infin.  lassen  sich 
genug  Beispiele  beibringen,  bei  äc%s  nicht  minder  wie  sonst.  Aber 
Fritsch  sieht  sich  genöthigt  bei  den  modis  finitis,  und  zwar  allen, 
fiij  für  möglich  zu  erklären ,  ohne  dasz  er  freilich  auch  nur  6in  Bei- 
spiel beibrächte,  und  dennoch  gibt  es  deren,  und^das  Gesetz  ist  durch-« 
aus  nach  der  Bedeutung  des  Satzes  bestimmbar.  Die  Nichtbeachtung 
aber,  welche  Fritsch  den  Modalformen  beweist,  rächt  sich  bitter  da- 
durch, dasz  er  ganz  wie  selbstverständlich  den  Mndic.,  Conj.  Opt.' 
hier  als  möglich  erklärt,  d.  h.  bei  äats=  Ho  dasz'.  Also  das  Ge- 
setz, wonach  allein  ein  Opt.  ohne  äv  hier  möglich  wird,  ist  nicht  auf- 
gefunden ;  der  Conj. ,  da  es  diesen  hier  weder  gibt  noch  geben  kann, 
bleibt  natürlich  unerwiesen,  aber  man  wird  vertröstet. 

Der  Unterschied  der  Structuren  mit  dem  Infin.  und  mit  mod.  fini- 
tis erklärt  sich  durch  die  Entstehung  derselben.  Der  Infin.  steht  nach 
üöxe  aus  denselben  Gründen  wie  nach  ologvs,  olog  und  xoiögj  z.  B.  Hom. 
Od.  2,  60  i^ftttg  d'  ov  TOioi  afiwiftev,  also  wegen  des  Begriffes  des 
könnens,  der  Fähigkeit,  äcze  ist  Relativ  zu  ovxoDg  wie  oaze  zu  og  oder 
6.  olog  zi  dfn  =  rolog  eliii,  olog  xt  itoulv.  Bei  Homer  heiszt  cSars 
nur  V  i  e',  so  dasz  man  allgemein  selbst  da,  wo  die  Uebersetzung  mit 
*so  dasz' gienge,  jene  Erklärung  beizubehalten  pflegt.  Daher  sind 
die  Sätze  mit  Si6xe  c.  Inßn.  insoweit  gar  keine  Folgesätze,  als  sie  von 
einer  Folge  gar  nichts  behaupten,  sondern  nur  eine  Beschaffen- 
heit der  Handlung  des  Hauptsatzes  durch  etwas  von  ihr  zu  erwar- 
tendes angeben,  und  genau  genommen  nicht  mit  ut  zu  übersetzen  sind, 
sondern  mit  ad  c.  Gerund.  Nur  insofern  kann  man  auch  mit  Härtung 
sagen,  dasz  der  InKn.  eine  nothwendige  Folge  bezeichne,  denn 
häufig  braucht  diese  gar  nicht  vor  sich  gegangen  zu  sein.  Immer  aber 
ist  hinzuzunehmen ,  dasz  in  der  späteren  Zeit  nicht  selten  dei'  Infin. 
auch  von  Folgen  erscheint,  über  deren  Verhältnis  zur  Wirklichkeit 
wirklich  etwas^  behauptet  werden  soll ,  rein  als  bequemere  Form  des 
Ausdrucks.  Ferner  soll  &axs  c.  Infin.  immer  nur  eine  nähere  Bestim- 
mung des  Hauptsatzes,  namentlich  oft  blos  eine  graduelle  angeben, 
während  cStfrs  c.  mod.  finit.  eine  selbständige  Geltiug  gleioh  eioMi 


560         Ov  and  ^i{  im  Zasammeuhang  mit  den  Modalformen. 

HaupUatE  beansprucht.  Der  Infiu.  mit  äv  ist  aufzulösen  theila  in  den 
Opt.  c.  äv  =  können  (so  auch  bei  Svvacd'aij  das  ja  gern  im  Opt.  c.  av 
statt  des  Indic.  steht),  theils  ins  Praeter,  c.  av  in  der  Bedeatnog^  wo 
dies  die  Vergangenheit  eines  Opt.  c.  av  bezeichnet.  Die  Negation 
steht  unter  denselben  Kegeln  wie  sonst  beim  Iniin. ,  d.  h.  ist  meist  fii{ 
doch  auch  ov  gar  nicht  selten.  Ob  die  auch  von  Rost  angenommene 
Scheidung  nach  dubitativ  and  apodiclisch  dafür  gelten  soll  hängt  da- 
von ab ,  ob  solche  überhaupt  noch  haltbar  erscheint.  Durchfahrbar 
ist  sie  natürlich  immer,  auch  wenn  man  in  den  Belegstellen  ov  und  (m^ 
vertauschen  würde,  so  gut  wie  die  vouUost  daneben  noch  stehen  ge- 
lassene durch  die  ^Verbindung  in  6inen  Begriff'  für  ov. 

Die  modi  finiti  bei  ä(Sxe  erklären  sich,  sobald  man  dies  Rela- 
tiv in  ^und  so',  ^und  daher'  auflöst.  Daher  Gnden  sich  ausser  dem 
gleich  XU  erklärenden  Opt.  ohne  av  nur  der  Indic,  der  Opt.  c.  &v  und 
das  Praeter,  c.  av.  Dagegen  der  Conj.  n  i  o,  dieser  passt  nur  in  solcher 
Bedeutung  des  äcte^  wo  auch  der  Imperativ  folgen  kann,  nicht  bei 
iiate  =  ^so  dasz';  nur  vom  Latein  aus  kann  man  ihn  hier  als  mög- 
lich gedacht  haben.  Jene  drei  obigen  Nodusformen  aber  sind  unver- 
ändert dieselben,  in  welchen  die  Folge,  als  selbständiger  Satz  hinge- 
stellt, würde  behauptet  sein.  Daher  auch  ihre  Bedeutung  dem  Infin. 
gegenüber  die  ist,  dasz  sie  eine  Behauptung  über  die  Existenz  der 
gefolgten  Handlung  aussprechen.  Daher  auch  ihre  Negation  stets  nur 
ov  (Dem.  ep.  3  vgl.  unteii).  Der  Opt.  c.  äv  ist  nicht  aus  dem  zu 
erklären,  was  der  blosze  Opt.  hier  bedeuten  würde  plus  av,  sondern 
steht  gerade  besonders  nach  Gegenwart,  wo  schon  deshalb  der  Opt. 
ohne  äv  gar  nicht  gienge.  Man  würde  ihn  also  von  einem  Falle  aus 
erklären,  der  selber  gar  nicht  möglich  wäre.  Der  blosze  Opt.  ist 
sehr  selten  und  nur  dann  möglich,  wenn  sein  Hauptsatz  selber 
schon  optativisch  ist,  entweder  als  orat.  obliq.  oder  als  Bedin- 
gungsvordersatz.  Im  ersteren  Fall  musz  selbstverständlich  die  Neg*« 
tion  ov  sein,  im  zweiten  fifj.  Es  ist  also  falsch  zu  sagen,  wie  Rost, 
die  modi  finiti  überhaupt  hätten  ni«  fnl].  So  würde  das  einzige  Bei- 
spiel,  das  Rost  und  die  Grammatiken  überhaupt  von  ihm  haben,  nur 
fifl  haben  können.:  Xen.  Oec.  1 ,  13  »  xig  XQ^to  togI  äifyvQlm  &<st9  »a- 
xiov  xo  aüfia  i%ot ,  da  SiGxB  :^=:  ^u  n  d  w  e  n  n'  ist ;  vgl.  Dem.  Mid.  109 
a  xiq  XQ^fo  xa  nkovxmj  od  fti?  ^tiaexai.  Symp.  194  C  etxiCiv  ivtvxotQf 
ovg  (fiff)  i^yoio  coqHyvg.  Der  Opt.  mit  firi  kommt  höchst  wahrschein- 
lich gar  nicht  vor ,  aber  es  war  auch  der  Fall  seiner  Möglichkeit  za 
bestimmen.  Zum  Beweise  findet  sich  einmal  Dem.  ep.  3  S.  1478  ein 
iiifxe  fiTf  c.  Fut. :  el  ovxcog  S^exs,  ciaxB  firi  duxXkceyiiaovxai,  Die  bei- 
den anderen  Fälle ,  die  ich  von  märe  c.  Opt.  ohne  äv  überhaupt  nooh 
habe  finden  können,  sind  Fälle  der  orat.  obliq.:  Xen.  Hell.  3,  5,  23 
ikoyl^ovxo,  oxt  —  lx€^vro,  äcxe  ovdh  ^äötov  ^ri,  Is.  Trap.  11  aitay* 
yikXovxeg  oxt  nal  £axvQOi  ovxcag  (isxafiilei  rmv  TteitQayfiivav  y  Siftt 
Ttlaxziq  dedfoxmg  eTt}.  Isoer.  6 ,  84  ist  nur  Conjectur  von  Baiter  in  der 
edit.  Paris.  Bei  Lucian  gibt  es  ein  paar  Stellen,  die  aber  streng  attiaoh 
Opt,  0.  &p  werden  mflsteo.  (Fortsetzung  im  nächsten  Jahigang.) 

Güstrow.  Gf.  Aken^ 


Werk»  Ober  mittelalterliche  Kunst.  SOT 

■  • 

JHe  miUelaUerliche  Kunst  in  Wesiphalen.   Nach  den  porhan" 

denen  Denkmälern  dargesteüi  von  W.  Lübke^  Nebst  einem 

Atlas  Ulhogr.  Tafeln.    Leipzig  T.  0.  Weigel.     1853.    X  n. 

442  S.   4. 
Mittelalterliche  Kunstdenkmale  des  Österreichischen  Kaiser-, 

Staats  j  von  G.Heider^  R,  v.  Eitelberger^  J.  Hieser. 

Stuttgart  Ebner.    1S56  u.  1857.    Band  I  (9  Lieferungen).  4. 

Die  mittelalterlichen  Baudenkmale  Niedersachsens  von  dem 

■  ärchitekt.  Verein  für  das  Königreich  Hannover,    Hannover 

Rümpler.    1856.  Heft  l.   4. 
Kunst  des  Mittelalters  in  Schwaben^  von  Heideloff.    Stall-, 

gart  Ebner.    1855  u.  56.   Heft  1—5.    4. 
Handbuch  der  kirchlichen  Kunst -Archaeologie  des  deutschen 

Mittelalters  von  H.  Otte.  de  Auflage.   Leipzig  T.  0.  Weigel. 

1854.   XIV  u.  367  S.   gr.  8. 

Mehrere  Male  habe  ich  darauf  hingewiesen  (zuletzt  in  diesen  Jahr- 
ehern  fi^LXVI  S.  377  ff.),  wie  zwecknüszig  es  sei,  wenn  die  Lehrer 
r  beiden  oberen  Gymnasialklassen  in  den  cuttor-historischen  lieber- 
;hten ,  welche  in  den  Geschichtsleciionen.  am  Schlusz  einer  joden 
Hode  gegeben  werden,  den  Schülern  ein  Bild  von  der  Entwicklung 
r  Künste,  vorzüglich  aber  der  Architektur,  zu  verschaffen  sich  be- 
Iben.  £s  ist  nicht  meine  Absicht  da»  giSsag^te  zu  wiederholen,  doch 
nn  ich  es  mir  nicht  versagen,  die  betreffenden  Lehrer  auf  eini|!:e 
erke  aufmerksam  zu  machen,  in  denen  die  Denkmäler  des  speciellen 
limatlandes  oder  die  Kunstgeschichte  überhaupt  behandelt' ist  uod 
roh  deren  Studium  der  Lehrer  selbst  eine  lebendige  Anschauung  der 
rtfchiedenen  Kunstepochen,  deren  Haupteigeothümlichkeiten  usw.  ge- 
ttnt,  lind  dadurch  sich  befähigt,  den  Schülern  dieses  Gebiietrin.fr acht» 
rer  Weise  zu  erschlieszen  und  in  das  innere  Verständnis  der  Künste 
Hrke  einzuführen. 

!  Von  den  4  Werken,  welche  sich  mit  einzelnen  Ländern  beschaf- 
:en,  ist  Nr  1  vollendet,  welches  uns  die  uralte  Heimat  der  kühnen 
iihsen  eröffnet,  deren  Land  in  knnsthistorischer  Beziehung  bisher 
*ni  incognita  war.  Nach  Vollendung  tüchtiger  historischer  Vorstu- 
»n  durchwanderte  Hr  L.  Westphalen  1861  zu  Fusz  Aind  verwandte 
■n  2  Jahre  auf  die  Ausarbeitung  dieses  Buchs ,  welches  dem  Leser 
allen  seinen  Theilen  das  höchste  Interesse  einQöszt.  Zuerst  begeg*- 
t  uns  eine  vortrefflich  geschriebene  Einleitung  über  den  Entwick*- 
Igsgang  des  westphSlischen  Landes^  an  lf eiche  sich  eiue  Charakter 
itik  dier  westph&lischen  Kunst  anschlieszt..  Nachdem  die  trotzigen 
cbaen  jn  langen  Kriegen  von  den  Pranken  unterworlen  und.  bekehrt 
if^n  waren^  sehen  Wir  die.lUasten.kifcUicIieo  Stiftangei  wier  Pab 


562  Werke  fiber  mittelalterliche  Konst. 

derborn,  Dortmund,  Soest,  MQnster  (Mimigardevort) ,  Minden,  Osna- 
brflck  und  zahlreiche  Klöster  (namentlich  Corvey)  emporblfiben.  Durch 
diese  Stiftungen  wurde  die  rohe  Kraft  des  altsächsischen  Heidenthumfl 
gebrochen  und  mit  dem  Ghristenthum  drangen  die  Strahieo  einer  höhe- 
ren Gesittung  und  eines  edleren  geistigen  Lebens  ein.  Eine  Periode 
des  rinjg^ens  und  strebens  begann,  aus  welcher  glanzende  erneuerte 
Schöpfungen  im  lln  und  12n  Jahrhundert  hervorgiengen.  Unrerging- 
liche  Verdienste  erwarb  sich  Bischof  Meinwerk  von  Paderborn  (1009), 
welcher  viele  Kirchen  baute,  die  zwar  die  Nachklange  der  antikei 
Zeit  erkennen  lassen,  aber  ein  neues  Leben  ofTenbaren,  welches  die 
alten  Gliederungen  erfüllt.  Im  12n  Jahrhundert  beginnt  die  Macht 
mehrerer  westphalischen  Städte  und  die  Entfaltung  eines  kriftigen 
Bürgerthums.  Voll  stolzen  Mutes  verbanden  sich  die  Stfidte  zu  gegen- 
seitigem Schutz  und  zur  Beschirmung  ihres  Handels,  bis  die  Hansa  die 
hervorragendsten  Gemeinwesen  umschlosz.  Von  jener  Zeit,  in  welcher 
die  Städte  gegen  die  Bischöfe  und  weltliche  Dynasten  zahlreiche  Feh- 
den führten,  geben  nur  die  groszen  Baumonnmente  einen  klaren  Be- 
griff, und  man  kann  wol  sagen,  dasz  sich  in  den  Kirchen,  Rathhiusem 
und  Hallen  von  Soest,  Dortmund,  Münster  usw.  ein  Abbild  des  in  den 
kräftigen  Gemeinden  herschenden  Geistes  abspiegelt.  Ein  je  regeres 
Leben  hier  sich  entfaltete,  um  so  mehr  tr»ten  die  alten  Klosterstiftnngea 
in  den  Hintergrund,  und  wenn  auch  Kunst  und  Wissenschaft  in  den 
groszen  Abteien  gepflegt  wurden,  so  giengen  doch  aus  ihnen  keine 
lebenerweckenden  Impulse  mehr  nach  auszen  hervor. 

Von  diesem  historischen  Rahmen  wendet  sich  der  Vf.  zu  der 
Physiognomie  des  Landes,  von  dessen  Beschaffenheit  auch  die  geistige 
Entwicklung  bedingt  ist.  Ohne  einen  länderverbindenden  Strom,  ohne 
einen  geschichtlich  bevorzugten  Hauptort,  vielfach  von  Gebirgen  ler« 
rissen ,  muste  Sachsen  in  eine  Menge  von  Einzelgruppen  zerfallen ,  so 
wie  auch  der  Sachse  selbst  sich  gern  isoliert  und  in  dieser  Isoliening 
die  sicherste  Bürgschaft  für  seine  Unabhängigkeit  erkennt.  Dazu  ist 
der  Sachse  ernst,  dem  fremden  abgeneigt,  im  eignen  Wesen  scharf 
und  tief.  Daraus  folgte,  dasz  Westphalen  in  der  Kunst  eine  nflchtemey 
in  allem  bescheidene  Richtung  einschlug,  dasz  es  lange  an  der  Tradi- 
tion der  hergebrachten  Kunst  festhielt,  sowol  an  dem  romanischen  als 
an  dem  germanischen  Stil,  bis  gegen  das  Ende  des  16n  Jahrhundertif 
wo  die  andere  Welt  schon  von  dem  ringen  eines  neuen  Geistes  doreb- 
zuckt  war.  Auch  die  frühzeitige  hohe  Ausbildung  der  Malerei  und  dk 
Unterordnung  der  Sculptur  unter  die  malerischen  Gesetze  leitet  Hr  L 
sehr  treffend  ans  dem  inneren  Charakter  des  Volksstammes  her. 

Darauf  schildert  Hr  L.  die  Stellung  einer  jeden  einzelnen  Kumt 
in  Westphalen.  Die  Architektur  war  höchst  einfach  und  schmucklos 
bis  in  das  12e  Jahrhundert,  wo  eine  höhere  Entwicklung  beginnt,  die 
sich  zuerst  in  dem  Gewölbebau  kundgibt.  Bald  darauf  wurden  die 
alten  Basiliken  (wie  S.  Patroclus  und  S.  Peter  in  Soest,  Gaukirche  in 
Paderborn,  Abtei  Loccum,  die  Dome  von  Münster  und  Osnahjrflek,  & 
Reittold  in  Dortnnnd)  verdrängt  dorch  Kirchen  von  3  gleich  luAes 


Werke  fiber  miUelalterliche  Knoiit.  563 

Schiffen  romanischen  Stils ,  welche  der  Vf.  Hallenkirchen  nennt  nnd 
aU  eine  der  westphölischen  Erde  eigenthamliche  Schöpfang  nachweist 
(S.  Mariae  zur  Höhe  in  Soest,  der  Dom  von  Paderhorn  und  der  Mflnster 
TOB  Hameln  nsw.) ,  denn  die  anderen  derartigen  Kirchen  Deatschlands 
l^liören  sämtlich  der  germanischen  Periode  an.  Es  waren  schlichte 
Bauwerke,  aber  mit  dem  Charakter  der  Kühnheit  und  des  Ernstes, 
4em  Volk  am  meisten  entsprechend  (1150 — 1250).  Diese  Form,  wurde 
aoeh  in  der  Folge  festgehalten ,  als  der  germanische  Stil  Eingang  ge- 
funden hatte,  der  hier  nicht  luftig  und  uelgegliedert  wie  anderwfirts 
anflritt,  sondern  einfach,  derb,  massenhaft  breit  sich  hinlegend  (Dom 
Yon  Minden,  S.  Mariae  zur  Wiese  in  Soest,  S.  Lambert  und  Mariae  in 
llflnBter,  S.  Johannis  und  Mariae  in  Osnabrück  usw.).  Mit  der  Nüchtern- 
hmt  der  Kirche  contrastieren  seltsam  die  kleinen  brillanten  Schöpfun- 
getk  der  Soulptnr,  gröstentheils  von  reichem  Farbenschmuck  bekleidet. 

Bei  der  Schilderung  der  einzelnen  Bauwerke  wird  die  oben  an- 
gadeatete  Eintheilung  zu  Grunde  gelegt.  Der  2e  Theii  umfasst  die 
bildenden  Künste  und  ist  vom  Vf.  mit  besonderer  Vorliebe  bearbeitet. 
Sehr  zahlreich  sind  die  Meisterwerke  der  Maierei,  die  bisher  so  gut 
wie  nnbekannt  waren,  so  wie  die  Scnipturen  in  Holz,  Stein  und  Me- 
tall. Die  Schilderung  ist  rflcksiohtlich  der  Klarheit,  Schärfe  nnd  Kürze 
mnsterhaft  za  nennen ,  und  vorzüglich  zu  rühmen  ist  die  allenthalben 
hervortretende  innerliche  Auffassung,  so  dasz  kein  nur  irgend  bedeut- 
sames Moment  auszer  Acht  gelassen  wird,  welches  Aufklärung  dar- 
bietet. Im  Atlas  enthSlt  Tafel  1  eine  compendiose  Architekturliarte 
Westphalens,  Tafel  2—  24  Grundrisse  und  Aufrisse  der  Kirchen,  25 — 27 
schöne  perspectivisohe  Abbildungen  von  Kirchen  und  Rathhänsern, 
29  und  30  geben  Proben  von  alten  Wandgemfilden.  Alle  Abbildungen 
sind  geeignet  zur  Grundlage  kfinsthistorischer  Forschungen  auch  denen 
«a  dienen,  welche  durch  zu  grosze  Entfernung  und  andere  Gründe 
von  dem  Besuche  der  westphfilischen  Monumente  abgehalten  sind. 

Nr  2 — 4,  die  ich,  weil  sie  noch  unvollendet  sind,  für  jetzt  nur 
kurz  schildern  will,  sind  sämtlich  von  Hrn  L.s  Arbeit  verschieden,  denn 
sie  geben  nicht  wie  jene  eine  historisch  systematische  Uebersicht ,  in 
welche  jedes  einzelne  Werk  an  seinem  Platze  eingereiht  und  gewür- 
digt ist,  sondern  sie  behandeln  die  einzelnen  Bauwerke  in  willkürlicher 
Reihenfolge.  Was  das  äuszere  betrifft,  so  sind  Nr  2  und  3  höchst  ge- 
schmackvoll und  wahrhaft  prächtig  ausgestattet  und  auszer  den  Stahl- 
stichen mit  zahlreichen  eingedruckten  Holzschnitten  geschmückt;  viel 
einfacher  Nr  4;  Klarheit,  Sauberkeit  und  Schärfe  der  Abbildungen 
sind  aber  bei  allen  zu  rühmen.  Der  Text  ist  durchschnittlich  am  ans- 
führlichsten  bei  Nr  2,  am  knappsten  gehalten  bei  Nr  4. 

Was  zunächst  Nr  2  betrifft,  so  sehen  wir  hier  mit  Bewunderung 
eine  Reihe  groszentheils  unbekannter  Kunstwerke  des  österreichischen 
Kaiserstaats.  In  den  beiden  ersten  Heften  wird  die  Cisterzienserabtei 
Heiligenkrenz  herlich  dargestellt  und  sehr  vollständig,  ja  vielleicht 
im  Verhältnis  zum  ganzen  zu  ausführlich  beschrieben,  mit  einer  ge- 
lehrten Einleitung  fiber  den  Cisterzienserorden ;  im  dn  Heft  folgen  die 


564  Werke  über  miUeUiteriicbe  Konsi. 

niigariBchea  Bauwerke  aus  den  Zeilen  Stephans  des  Heiligen,  so  wie 
die  späteren  von  Anjou  und  Corvinus.  Groszes  Interesse  flösst  uns 
die  Benediktinerabtei  S.  Jak  ein  (von  1209),  sodann  das  Kloster  glet-» 
ches  Ordens  Tibany  am  Plattensee  (1054),  der  gr6ste  Don  Uilgarjis 
in  Filnfkirchen  mit  seiner  fünfschifügen  Krypte  u.  a.  Daran  aobliesEt 
sich  in  der  6n  Lieferung  der  Dom  von  Trient,  die  Barbarakirche  ia 
Kuttenberg  und  eine  grosze  Metige  kleinerer  Knnstwerke. 

Nr  S  führt  uns  zuerst  in  die  kleine  romantische  Stadt  der  alten 
Tübinger  Pfalzgrafen  Herrenberg,  welche  eine  Fülle  von  angeahnten 
Herlichkeiten  in  sich  birgt.  Ein  ganzes  Heft  behandelt  schwübisohe 
Malerei  und  im  letzten  zeigt  sich  uns  die  kunslhistorisoh  reiche  SUdfc 
Eszlingen.  Nf  4  wird  eröffnet  mit  2  imposanten  Kirchen. in  Hildea-^ 
heim,  nemlich  S.  Godehard  und  S.  Michael,  beide  mit  2  Chören  nach 
Osten  und  Westen.  Um  so  einfacher  ist  die  Kirche. von  Wallenhorst 
bei  Osnabrück,  und  den  Schlusz  bildet  die  Klosterkirche  von  Fredes- 
loh  bei  Eimbeck.  Die  Zeichnungen  sind  einfache  Steindrucke,  aber 
von  geistreicher  Auffassung,  und  machen  eben  so  wie  die  bei  aller 
Präcision  erschöpfenden  Beschreibungen  dem  hannoverischen  Arobir 
tekten -Verein  alle  Ehre.  Mögen  diese  3  Unternehmnngen  in  der  be* 
gonnenen  Weise  fortschreiten  zur  Ehre  des  deutschf»  Nalnens ! . 

Im  Gegensatz  zu  den  4  kurz  beschriebenen  Werkea  «mfasüHrO. 
in  Nr  5  das  gesamte  deutsche  Vaterland.  Wie  grosz  das  Bedflvfiua 
eines  solchen  Buches  sei,  zeigt  die  Nothwendigkeit  einer  3a  Ausgabe, 
welche  als  eine  totale  Umarbeitung  der  früheren  zu  bezeiohneii  und 
welche  vollkommen  geeignet  ist,  die  von  dem  Vf.  ausgespi^oeheae 
Bestimmung  zu  erfüllen,,  nemlich  ein  vollstfindiger  Leitfaden  für  An- 
fänger und  Laien  zu  sein,  den  Männern  von  Fach  aber  als  Uandboeh 
zum  schnellen  Ueberblick  des  bisher  gewonnenen  liiterarisoben  und 
monnmentalen  Stoffes  zu  dienen.  Für  den  ersten  Zweck  empfiehlt  sieh 
das  Buch  durch  einfache  und  lichtvolle  Darstellung,  welche  jedem  «in 
klares  Verständnis  gewährt,  auch  wenn  er  aller  Vorkenntnisse  erman- 
gelt. Den  zweiten  Zweck  erfüllt  das  Buch  vermittelst  seiner  grossen 
Vollständigkeit.  Sowol  die  alten  Quellen  als  die  neue  Litteratur  hat 
der  Vf«  mit  Sorgfalt  studiert  und  die  Hanptresultate  in  gedrängter  Kürze 
wiedergegeben.  Dabei  zeigt  er  einen  richtigen  Tadel  für  die  Wahl 
des  richtigen,  denn  überall  hat  er  das  erprobte  heransgefanden  aad 
dasselbe  von  dem  schwankenden  scharf  geschieden.  Darum  haben 
manche  neue  obwol  geistreiche  aber  noch  nicht  hinlänglich  bewflhrte 
Ideen  keinen  Eingang  in  den  Text  gefunden,  welche  Vorsicht  man  nur 
billigen  mnsz.  Die  äuszere  Ausstattung  ist  glänzend,  angemessen  der 
berühmten  Firma  von  T.  0.  Weigel,  welche  sich  um  die  Kunstge- 
schichte Deutschlands  bereits  grosze  Verdienste  erworben  hat  and 
dieselben  täglich  erhöht  (man  denke  z.B.  nur-an  das  herliche  Pracht- 
werk  von  E.  Foerster,  Denkmale  deutscher  Baukunst,  Bildnerei  und 
Malerei  vor  Einführung  des  Christentbnms  bis  auf  die  neueste  Zeit). 
13  gut  ausgeführte  Stahlstiche  (z.  fi.  die  Abtei  Laach ,  mehrere  char 
rakteriatische  Gemälde  von  Eyck,  Holbein,  Zeitblom,  Dürer,  EragOMo 


Werke  fiber  mittelalterliche  Kaust.  :  S65 

von  Vischer,  Statuen  and  Elfenbeinarbeiten) dienen  sam  schönen  Schmnek 
and  362  dem  Text  eing^edruckte  Holzschnitte  erleichtern  das  Vorstan- 
Dis  wesentlich.  Hin  und  wieder  wünschte  man  einen  gröszeren  Masz- 
Stab,  so  S.  7  (Doppelkapelle  von  Freiburg),  S.  38  (Kanzel  von  Wech- 
selbnrg)  usw.  Nur  in  dieser  einzigen  Beziehung  verdienen  die  Holz- 
schnitte in  de  Caumonts  ab^cedaire  ou  rondiment  d^arch^ol.  den  Yor- 
zng,  nnd  wir  bedauern,  dasz  Hr  0.  dieses  Buch  nicht  gekannt  hat. 

Der  Inhalt  ist  auszerordentlich  reich,  aber  so  gut  gegliedert,  dasz 
man  leicht  in  dem  Buch  heimisch  wird.  Es  sind  3  Haupttheilc:  I)  Denkr 
male  der  Kunst:  A)  das  Kirchengebäude,  B)  innere  Einrichtung  und 
Ansschmöckung  der  Kirche.  II)  Geschichte  der  Kunst :  A)  Baukunst 
(romanischer  und  germanischer  Stil),  ß)  bildende  und  zeichnende 
KOnste.  III)  Hulfswissenschaflen :  A)  Epigraphik,  B)  Heraldik,  C)  Iko- 
nographie. Eine  chronologische  Zugabe,  ein  Glossarium  und  ein  Orts- 
register sind  sehr  erwünschte  Beilagen.  —  Dasz  bei  einer  so  grossen 
Masse  vcfrNalerial  einzelne  Notizen  Berichtigung  gestatten  ist  ganz 
natürlich,  z.  B.  wenn  es  heiszt,  dasz  auf  der  Wartburg  eine  Doppel- 
kapelle gewesen  oder  wenn  die  Nürnberger  Schloszkapelle  zu  dieser 
Bauform  gerechnet  wird  —  denn  wenn  "2  Kapellen  über  einander  lie- 
gen, so  sind  sie  deshalb  bekanntlich  noch  keine  Doppelkapellen  zn 
nennen.  S.  32  waren  auszer  der  als  piscina  dienenden  Wandvertie- 
fung auf  der  Epistelseite  hinter  dem  Altar  die  zahlreichen  Wand- 
schreine auf  der  anderen  Seite  zu  erwähnen,  welche  theils  als  reli- 
qniarium  dienten,  theils  die  heilige  Hostie  bewahrten,  was  in  den  Dorf- 
kirchen sehr  gewöhnlich  war.  S.  99  wird  die  Bartholomäuskirche  in 
Paderborn  als  spätromanisch  genannt  usw.  In  den  Verzeichnissen  der 
Kirchonbauten  fehlen  manche,  z.  B.  bei  den  romanischen  vermiszle  ich 
die  Kirchen  von  Oberbreisig,  Oberaltrich  bei  Straubing,  Wächters- 
winkel in  Franken,  Prüflinz  bei  Begensbnrg,  Treffurt  u.  a.  Bauten  an 
der  Werra,  Breitenau  an  der  Fulda,  Kaufungen  bei  Casset,  Ichters- 
hansen  bei  Arnstadt,  mehrere  Bauten  im  Fürstenthum  Waldeck  wie 
Twiste,  Adorf,  Bergheim  usw.  Auch  bei  den  germanischen  Kirchen 
wären  manche  nachzutragen,  so  wie  mehrere  Monographien^  welche 
anzuführen  die  Bestimmung  dieser  Zeitschrift  verbietet.  Die  Werke 
Nr  l — 4  bieten  eine  reiche  Nachlese  dar. 

Nach  dem  gesagten  bedarf  es  kaum  der  besonderen  Versicherung, 
dasz  durch  die  angezeigten  Werke  dem  Lehrer  die  Kenntnis  der  mittel- 
alterlichen Kunst  sehr  leicht  gemacht  wird.  Die  Entschuldigung,  dasz 
man  ans  Mangel  an  dem  nöthigen  Material  davon  absehen  müsse,  fällt 
als  ungiltig  jetzt  hinweg.  Die  Lehrer  des  groszen  Kaiserstaats  haben 
in  Nr  2,  die  Westphalens  in  Nr  1  n.  s.  f.,  alle  aber  in  Nr  5  die  zuver- 
lässigsten Führer.  Mögen  sie  an  deren  Hand  die  alten  heimatlichen 
Kunstwerke  flciszig  studieren  und  der  lernbegierigen  Jugend  das  Ver- 
ständnis unserer  groszen  Naiionaldenkmale  jnroffnen. 

W.  Rein. 


566  Berichte  über  gelehrte  Anstalten,  Verordnungen ,  statist.  Notisen. 

Berichte  über  gelehrte  Anstalten,  Verordnungen,  statistische 
Notizen,  Anzeigen  von  Programmen. 


HiLDBüBOHAusEN.]  In  deiD  Schuljahre  1857 — 58  fand  in  deiq  Leh- 
rercollegium  keine  Veränderung  statt;  dagegen  wird  mit  Beginn  des 
nenen  Cursus  der  bisherige  fünfte  Lehrer  Pfarryic&r  Schneider  ala 
vierter  Lehrer  an  dem  Gymnasium  in  Meiningen  eintreten;  an  dessen 
Stelle  ist  der  bisherige  Realschul-  und  Progymnasiallehrer  Heim  in 
Saalfeld  zum  fünften,  ebenso  der  bisherige  provisorische  Gymnasiallehrer  j 
Keszler  zum  sechsten  Lehrer  ernannt  worden.  Dr  Emmrich  erhielt  I 
den  Titel  Professor.  Das  Lehreroollegium  bestand  also  während  des 
verflossenen  Schuljahres  aus  folgenden  Mitgliedern:  Dr  Doberena 
Director ,  Dr  Reinhardt  Schulrath,  den  Professoren  Dr  Büchner 
und  Dr  Emmrich,  Rittweger,  Pfaf'rvicar  Schneider,  Keszler, 
Müller  Lehrer  des  Französischen,  Hofmaler  Keszler  Zeichenlehrer, 
Bodenstein  Elementar-,  Sing-  und  Turnlehrer.  Die  Gesamtzahl  der 
Schüler  betrug  am  Schlüsse  des  Schuljahres  112  (I  7,  II 4fe,  III  12, 
IV M3,  IV b  20,  V  18,  VI  28).  Mit  dem  Zeugnisse  der  Reife  wurde 
nur  ^iner  zur  Universität  entlassen,  während  die  Zahl  der  im  Laufe  des 
Schuljahres  aufgenommenen  41  betrug.  Den  Schulnachrichten  geht 
voraus:  MiUheilungen  aus  dem  Archiv  des  Hildburghäuser  Gymnasiums, 
Von  Professor  Dr  E  mmrich  (12  S.  4).  Bei  Durchforschung  des  Gym- 
nasial-Archivs  fand  derselbe  in  einem  alten  Actenband  die  Gesetze  der 
dortigen  Rathsschule  vom  Jahr  1610,  die  er  hier  in  ihrer  ursprünglichen 
Fassung  hat  abdrucken  lassen.  Dr  0, 

KÖNiGSBEBG  i.  d.  N.  1857.]  Das  Lehrercolleg^um  erlitt  keine  Ver- 
änderung. Dasselbe  bildeten  der  Director  Dr  Nauck,  Prorector  Dr 
Märkel,  Professor  Dr  Haupt,  Oberlehrer  Mathem.  Heyer,  Gymna- 
siallehrer Dr  Boeger,  Subr.  Oberlehrer  Schulz,  Collaborator  Oberl. 
Niethe,  G.-L.  Dr  Nasemann,  G.-L.  Wolff.  Die  Zahl  der  Schüler 
betrug  236  (I  23,  II  25,  III  56,  IV  45,  V  44,  VI  43).  Abiturienten 
Ostern  1856  7,  Ostern  1857  3.  Das  Programm  enthält  eine  wissen- 
schaftliche Abhandlung  vom  Prorector  Dr  Märkel:  de  Aihenagoras 
Ubro  apologetico ,   qui  «Qsaße^a   nSQl  Xf^iatiotvdSv   inscribUur   (20  S.  4). 

0. 

LissA.]  Im  Schuljahre  1857  wurde  am  dasigen  Gymnasium  dem 
Gymnasiallehrer  Martens  die  7e  Lehrcrstelle  definitiv  übertragen.  Der 
Kaplan  v.  Karwowski,  welcher  den  kathol.  Religionsunterricht  über- 
nommen hatte,  wurde  bald  darauf  an  die  Domkirche  zu  Posen  berufen 
und  durch  den  Vicar  v.  Psarski  ersetzt.  Der  Cand.  prob.  DrPle- 
banski  übernahm  den  Unterricht  in  der  polnischen  Sprache  und  Litte- 
ratur  und  wurde  bald  darauf  mit  Dr  Günther  als  Hülfslehrer  ange- 
stellt. Gymnasiallehrer  Dr  Methner  gieng  nach  Berlin,  um  sich  bei 
der  dortigen  Central-Tufnanstalt  als  Turnlehrer  auszubilden.  Zu  seiner 
Vertretung  trat  der  Cand.  probandus  Gruhl  ein.  Bestand  des  Lehrer- 
collegiums :  Director  Z i e g  1  e r,  Professor 0 1  a w s k i,  Professor Tschepke, 
Professor  Matern,  Oberlehrer  v.  Karwowski,  G.-L.  Dr  Methner, 
Oberlehrer  Marmd,  G.-L.  Martens,  G.-L.  Stange,  die  Hülfslehrer 
Töplitz,  Dr  Günther,  Dr  Plebanski,  Prediger  Pflug,  evangeL 
Snperint.  Grabig,  Prediger  Fr  o  mmberg  er,  Prediger  Petz old,  Vicar 
V.  Psarski,  Candidat  Gruhl,  Zeichenlehrer  Gregor.  Die  Zahl  der 
Schüler  betrug  am  Schlüsse  des  Schuljahres  830  (I  30,  11  42.  III«  37, 
III b  58,  IV«  37,  IV»»  37,  V  63,  VI  35).  Abiturienten  7.  Den  Schul- 
nachrichten ist  beigegeben:  Probe  eines  lateinischen  Vocahulariums ^  ent- 
worfen  von  Dr  Methner.     Vorbemerkungen  (10  S.    4)  und   Beilage 


eriehte  Über  gelehrte  AnstaUen,  Verordhaiigen,  Statist.  Notisev.  567 

n^  S.  8).  In  den  Vorbemerkungen  werden  die  Hanptmomente  hervor- 
Dhoben,  um  deretwillen  ein  selbständiger,  rationeller  Betrieb  des  Vo- 
tbellernens  in  den  untern  und  mittlem  Gjmnasialklassen  als  dringend 
»thwendig  erscheine.  Es  soll  dieses  einmal  dem  Schüler  der  untern 
id  mittlem  Klassen  Gelegenheit  zur  Uebnng  seines  Denk-  und  Ur- 
sOsvermögens  an  einem  positiven,  für  dieses  Alter  fasziichen  Stoff  ge- 
Uiren,  andererseits  der  Einübung  der  grammatischen  Formen  und  der 
eetüre  unterstützend  und  fördernd  zur  Seite  stehen ,  wie  auch  noch 
ir  die  spätere  Zeit  den  Schüler  befähigen,  die  lateinischen  Schulauto- 
m  ohne  öfteres  Zeit  raubendes  nachschlagen  des  Lexicons  zu  lesen« 
leraus  ergabt  sich  das  Princip,' welches  der  Vf.  bei  der  Anordnung 
id  Auswahl  des  lateinischen  Wortvorraths  befolgt  hat.  Um  jenes 
*sten  Zweckes  willen,  der  auch  seiner  pädagogischen  Wichtigkeit  we- 
&n  hauptsächliche  Berücksichtigung  verdient,  hat  sich  der  Vf.  dafür 
lischieden ,  nach  dem  Vorgange  von  W i g g e r t  und  von  L.  Döderlein 
m  alphabetische  Anordnung  mit  Berücksichtigung  der  Etymologie  zu 
runde  zu  legen.  Eine  solche  principlose  Reihenfolge  verdiene  für  den 
weck  eines  Vocabularinms  den  Vorzug  vor  jeder  andern.  Denn  «s  solle 
.  dem  Schüler  Gelegenheit  geboten  werden,  sein  Begriffsvermögen  an 
sm  Sprachmaterial  zu  üben  und  zu  bilden.  Würden  ihm  nun  aber  die 
ocabeln  schon  nach  bestimmten  Principien  geordnet  vorgelegt,  so  falle 
ese  höchst  ersprleszliche  Selbstthätigkeit  für  ihn  weg,  er  lerne  mehr 
1er  weniger  mechanisch  das  schon  als  solches  zusammengestellte  zn- 
tmmengchörige  auswendig,  sei  es  nun  dasz  es  nach  Sachen  oder  nach 
'ammatischen  Eintheilnngsprincipien  verbunden  sei ,  während  eine  al- 
labetische  Anordnung  ihn  nöthige,  nach  den  von  dem  Lehrer  gegebe- 
in Anweisungen  jene  Zusammengehörigkeit  selbst  zu  finden,  das  zer« 
reute  gleichartige  zusammenzusuchen,  mit  einem  Worte  auf  der  vor- 
iglich Kraft  und  Gewandtheit  übenden  Palästra  des  Geistes,  dem  dis- 
>nieren ,  sein  herankeimendes  Denkvermögen  zu  üben.  Bei  einer  sach- 
^hen  Anordnung  sei  eben  einem  blos  mechanischen  auswendiglernen 
hür  jind  Thor  geöffnet,  und  der  Hauptzweck ,  Denkübungen  mit 
esen ^Gedächtnisübungen  zu  verbinden,  bleibe  auf  solchem  Wege 
lerreichbar.  Wenn  nun  so  die  alphabetische  Anordnung  jenen  Haupt- 
itzen  des  Vocabellemens,  die  (|jeistige  Gymnastik,  dem  Knaben  mög- 
sh  mache ,  so  erfülle  sie  auch  die  andern  Anforderungen  ganz  in  dem- 
Iben  Masze,  wie  jede  andere  Anordnung,  da  sie  ja  dasselbe  Material 
ete.  Vor  der  sachlichen  Anordnung  zeichne  sie  sich  noch  dadurch 
ts,  dasz  bei  ihr  nicht  blos  nacheinander  und  gesondert  einzelne  Rede- 
teile gegeben  werden,  sondern  verschiedene  in  wechselnder  Folge,  so 
ISE  der  Sinn  für  die  Unterscheidung  derselben  von  vom  herein  geübt 
erden  könne,  wie  auch  stets  hinreichende  und  mannigfaltige  Beispiele 
IT  Einübung  der  grammatischen  Regeln  sich  fänden.  Die  alphabetische 
Dordnung  gewähre  aber  auch  noch  einen  andern  wesentlichen  Vortheil, 
m  eine  rein  sachliche  nicht  haben  könne ,  nemlich  den ,  da^z  sie  die 
Tortbil^ung,  die  Ableitung  und  Zusammensetzung  zur  klareren  Anschau- 
iig  bringe,  indem  sie  die  etymologische  Verwandtschaft  der  Worte  be- 
leksichtige  und  auch  so  wieder  geistbildend  und  das  Verständnis  der 
prache  fördernd  wirke.  Die  alphabetische  Ordnung  schliesze  nun  aber 
ich  eine  andere  Gliederung  nicht  aus,  nemlich  die  des  ganzen  Sprach- 
«terials  in  Hinsicht  auf  Form  und  beg^rifflichen  Inhalt,  die  nach  dem 
tandpunkte  der  verschiedenen  Altersstufen,  der  verschiedenen  Klassen, 
aber  hat  der  Vf.  vier  Abtheilungen  von  Vocabeln  angenommen,  je  eine 
ir  Sexta,  Quinta,  Quarta,  Untertertia,  und  zwar  so,  dasz  die  Zahl 
sr  zu  erlernenden  Vocabeln  mit  jeder  hohem  Klasse  abnimmt.  Nach 
eichen  Principien  diese  Sonderang  vorgenommen  ist,  ergibt  sich  ans 
sr  beiliegenden  Probe  selbst.    In  der  Auswahl   der  Worte  bat  sieh 

Ff,  Jahrb.  f.  Pm.  u.  Paed.  Bd  LXXyill.  Hß  11.  39 


568  Beriehle  Ober  gelehrte  Anstalten ,  Verordnongen,  ttatiel.  Nöiiises. 


der  Vf.  soviel  als  möglich  auf  dasjenige  beschränkt,  was  der  Schüler 
bis  Untertertia  hin  für  seine  grammatische  Heranbildung  und  seine  Le- 
etüre am  nothwendigsten  braucht.  Bei  der  Angabe  der  Ableitungen 
sind  nur  diejenigen  aufgenommen,  die  als  allgemein  feststehend  oder 
wissenschaftlich  erwiesen  angesehen  werden  können.  Hinsichtlich  der 
Uebersetzung  der  einzelnen  Worte  ins  Deutsche  ist,  soweit  es  mög- 
lich war,  nur  «^ine  trefiPende  Bezeichnung  hinzugesetzt.  —  Der  Ve^. 
stimmt  in  den  meisten  Beziehungen ,  wie  in  der  allgemeinen  Anordnung, 
so  auch  in  der  Ausführung  im  einzelnen  mit  Döderlein  überein.  Nur 
zwei  Mängel  des  Döderleinschen  Werkchens  scheinen  ihm  dasselbe  für 
den  praktischen  Gebranch  in  der  Schule  weniger  empfehlenswerth  sn 
machen:  einmal  das  weglassen  aller  Angaben  des  Genetirs,  des  Qenue, 
der  Themata  Verbi,  die  in  einem  auch  für  die  untersten  Klassen  be- 
stimmten Schulbuche  nicht  wol  zu  entbehren  seien;  und  dann  der  Aus- 
fall der  deutschen  Uebersetzung  bei  den  verschiedenen  von  einem 
Stamme  abgeleiteten  Wörtern.  Die  Unterscheidung  der  vier  Klassen 
von  Worten  für  die  verschiedenen  Stufen  ist  ausdrücklich  durch  äussere 
Zeichen  angegeben.  Die  für  Sexta  bestimmten  Worte  sind  gesperrt  ge^ 
druckt,  die  för  Quinta  haben  keine  besondere  Bezeichnung,  die  fär 
Quarta  einen  einfachen  Strich  ( — )  in  der  Spalte ,  auf  welcher  das  latei- 
nische Wort  steht,  die  für  Untertertia  ebendaselbst  einen  Doppelpunkt 
(:),  wie  aus  nachfolgendem  Beispiele  ersichtlich  ist. 


Xgo,  egi,  actum  3 

—  age   wohlan! 
actum  I  i  n. 
actio 

actor  t 

actuosus  — 

agHis,  e  — 

agmen,  Inis  n. 
agito  1. 

exagito  1.  — 

ambigo,  ere 

ambiguus  t 

ambäges,  is  f.  t 

oOgo,  coegi,  coac'tum  3 
cogito  1. 
dego,  degi  3. 

exigo,  egi,  actum  3.  — 

exactus  — 

exiguus,  a,  um 
ex3men,  inis  n. 
examino  1. 

perago  etc.  — 

prodigo  etc.  — 

prodigus  — 

prodigium  t 

redigo  etc.  i 

subigo  etc.  — 

transigo  etc  t 


treiben,  führen. 

apage  weg  damit! 

die  Handlung. 

das  Thun,  die  That. 

der  Schauspieler,    actus,  us. 

sehr  thätig. 

behend,   agilitas. 

der  Zug;  das  Heer« 

hin-  und  hertreiben«    agitatfo. 

verfolgen. 

in  Zweifel  sein,  streiten. 

zweideutig,  streitig. 

Umweg,  Umschweif.  pl. 

zusammenbringen ,  zwingen. 

denken,  cogitatio.  excogito. 

zubringen  (vitam). 

heraustreiben ,  fordern. 

genau. 

gering. 

Schwärm;  Zünglein  an  derWage« 

abwägen,  prüfen 

vollenden. 

forttreiben,  verschwenden. 

verschwenderisch . 

das  Wunderzeichen. 

zurücktreiben,   mit   Gewalt   zu   etwas 

bringen, 
durcharbeiten;  unterwerfen.  ' 

durchstoszen ,  beendigen. . 


Möge  der  Vf.  seine  Arbeit,  von  der  er  uns  eine  so  schöne  Probe  gege- 
ben, mit  gleicher  Sorgfalt  recht  bald  ganz  zu  Ende  führen  (das  l^Uie- 
gende  Speeimen  reicht  von  a  —  c,  27  S.  8).  Sie  wird,  so  fortgeführt, 
den  besten  Vocabularien  dieser  Art  würdig  zur  Seite  stehn ,  ja  es  lässt 


BUrielife  aber  gr^lehrte  ADstalten,  Verordnnngen,  sfatisl.  Notiies.  569 

sieh  erwarten,  dasz  sie  bei  ihren  besonderen  Vorziigen  für  den  prakti- 
schen Gebrauch  in  der  Schule  noch  empfehlenswerther  sein  wird ,  als  die 
seiner  Vorgänger.  Dr  0. 

LüCKAu.]  Durch  die  Errichtung  der  Gymnasialsezta  war  eine  Lehr- 
kraft nothig  geworden  und  in  Folge  dessen  Collaborator  Hanow  ange- 
stellt. Es  unterrichteten  im  Jahre  1856—57  an  dem  Gymnasium  der 
Director  Bfelow,  Conrector  Prof.  Dr  Vetter,  Subr.  Bauermeister, 
Mathem.  Fahland,  Dr  Lipsius,  Cantor  Oberreich,  Wenzel, 
Vogt,  Collaborator  Dr  Wagler,  Collaborator  Hanow  ,  liülfslehrer 
Bausch  und  Hülfslehrer  Berger.  Die  Zahl  der  Schüler  "betrug  195 
(I  10,  II  20,  III  32,  IV  44,  V  44,  VI  45).  Abiturienten  5.  Den  Schul- 
nachrichten geht  voraus  eine  Abhandlung  yon  Dr  Lipsius:  über  den 
einheitlichen  Charakter  der  Heltenika  des  Xenophon  (32  S.  4).  Der  Verf. 
ist  mit  seiner  Betrachtung  auf  den  Standpunkt  gelangt ,  den  schon 
Grenzer,  Dellbrück,  Valckmar,  Peter,  obgleich  zum  Theil  von 
anderen  Voraussetzungen  ausgehend,  vertreten  haben.  Er  hat  darzn- 
thun  versucht,  dasz  die  unsymmetrische  Gestalt  der  Hellenika  keines- 
wegs unverträglich  sei  mit  der  Art  und  Weise ,  wie  Xenophon  seine 
übrigen  Schriften  abgefaszt  und  ausgeführt  hat ;  er  hat  der  Ansicht  das 
Wort  reden  zu  müssen  geglaubt,  dasz  Xenophon  auch  in  seinen  grie- 
chischen Denkwürdigkeiten  von  Anfang  bis  zu  Ende  rmt  ^in 
ganzes  zu  geben  beabsichtigt  habe.  0. 

Lübeck.]  Der  Einladung  zu  den  auf  den  24 — 26.  März  1858  ange- 
ordneten öffentlichen  Prüfungen  und  Redeübungen  im  hiesigen  Katha- 
rineum  gehen  voraus:  Beiträge  zur  Kritik  von  Aeschylos  Sieben  vor  The- 
ben, Part.  II,  /^.  78—162,  270—349,  von  Professor  Dr  Carl  Prion 
(<K)  S.  4).  Es  schlieszt  sich  dieser  wichtige  Beitrag  zur  Kritik  und  Er- 
klärung des  Aeschyleischen  Stücks  an  das  frühere  Programm  desselben 
Verfassers  an.  Die  angehängten  Schulnachrichten  (S.  Ol — 85)  sind  von 
dem  ^inen  Grnndtone  einer  schmerzlichen  Klage  um  den  Mann  durch- 
drungen, der  wie  für  das  Gemeinwesen  Lübecks  überhaupt,  so  insbe- 
sondere für  die  Schule  während  länger  als  eines  halben  Jahrhunderts 
ein  reicher  Segen  gewesen  ist;  es  Ist  der  am  4.  Octobcr  v.  J.  verstorbene 
Syndikus  Dr  Karl  Georg  Curtius,  Vater  der  beiden  in  schöner  Wirk- 
samkeit stehenden  philologischen  Universitätslehrer  Ernst  und  Georg 
Curtius  in  Göttingen  und  Kiel,  dessen  Leben  in  kurzen  Zügen  ohne 
Zweifel  auch  hier  verzeichnet  zu  werden  verdient,  schon  um  des  leben- 
digen Interesses  und  der  groszartigen  Fürsorge  willen,  die  er  dem  Schul- 
wesen Lübecks  in  so  langer  Zeit  zugewendet  hat.  Geboren  den  7.  März 
1771  und  von  1782 — 90  Schüler  des  Katharineums,  studierte  er  in  Jena 
die  Rechtswissenschaften  und  hatte  das  Glück  unter  Schillers  Augen, 
dem  'Dichter  selbst  durch  poetische  Arbeiten  näher  getreten ,  die  edle 
Flamme  der  Begeisterung  für  alles  gute,  wahre  und  schöne  zu  nähren, 
die  ihn  im  weiteren  Verlaufe  seines  vielbewegten  und  arbeitsvollen  Le- 
bens in  stetig  stillem  Zuge  zu  den  Füszen  seines  Heilands  führte.  In 
seine  Vaterstadt  zurückgekehrt,  wurde  er  im  Mai  1801,  dreiszig  Jahre 
alt,  in  das  Syndikat  berufen,  ein  Amt,  mit  dem  die  Pflege  und  Leitung 
des  lübeckischen  Schulwesens  von  jeher  verbunden  gewesen  ist,  und  er- 
hielt schon  im  November  1804  in  Gemeinschaft  mit  Syndikus  Gütschow 
nnd  Senator  Overbeck  den  Auftrag,  wegen  Wiederbesetzung  des  durch 
den  Tod  des  Rectors  Oehn  erledigten  Rectorates  am  Katharineum  Vor- 
schläge zu  machen.  Seitdem  leitete  er  ununterbrochen  die  Angelegen- 
heiten dieser  Schule,  zunächst  in  Verbindung  mit  den  vorgenannten 
Senatsmitgliedem ,  später  als  Präses  der  im  October  1837  unter  Zuord- 
nung bürgerlicher  Deputierten  gebildeten  Schuldeputation.  Seit  der 
Reorganisation  des  Katharineums  hat  er  alle  Directoren  eingeführt,  am 
1.  Juli  1800  den  Director  Mosche,  am  4.  Nirrember  1816  den  Director 

39* 


570  Berichte  über  gelehrte  AnsUlten ,  VerordnaDgen,  statiil.  Notisea. 

O'ÖTingy  am  17.  October  1831  den  Director  Jacob  und  am  12.  Octoher 
1854  den  Director  Breier.    Auch  war  seit  dem  J.  1828  den  beiden  Syn- 
dicis   als  Mitgliedern  der  Schnldeputation  der  Vorsitz  bei  den  Stipen- 
diatenprüfungen  übertragen ,   eine  Function ,   die  später   auf  ihn  «Uein 
libergieng  und   der  er  seit  der  Zeit   beständig  vorgestanden  mit  Aus- 
nahme zweier  Fälle  (1853  und  J854),  wo  der  jetzige  Präses  der  SchoJU 
deputation,  Herr  Senator  Roeck,  seine  Stelle  vertrat.    Er  vereinte  in 
schönem  Gleichmasze   den  imponierenden  Ernst  männlicher  Würde  mit 
herzgewinnender  Freundlichkeit.     Das  Verhältnis   zwischen  den  Schulen 
und  diesem  ihrem  Archen  hatte  sich  zu  einem  Pietätsverhältnisse  schön- 
ster Art  gestaltet,   und   kein  Lehrer,  mochte   er  der  untersten  Volks- 
schule oder  der  höchsten  Anstalt  des  Staats  angehören,  konnte  sich  in 
persönlichen  oder  amtlichen  Anliegen   ihm  nahen,  ohne  die  herzlichate 
Theilnahme,  Trost,  Ermunterung,  Rath  und  Beistand  zu  finden.   Niemale 
fehlte  es  ihm  an  Zelt  und  Geduld,  den  Prüfungen  und  öffentlichen  Acten 
so  vieler  seiner  Pflege  vertrauter  Anstalten  beizuwohnen,  und  aaoh  man- 
cher Schüler  hat  bei  solchen  Gelegenheiten  ein  köstlich  Wort  aas  sei- 
nem Munde  fürs  Leben  mitgenommen.     Ein  solcher  Mann,  der  täglich 
an  der  heiligen  Schrift  sich  erbaute  und  an  des  klassischen  Alterthnms 
Herlichkeit  Geist  und  Herz  erfrischte,   der  die  alten  Sprachen  gründ- 
lich kannte  und  die  neuern  in  Schrift  und  Rede  meisterlich  handhabte, 
der  in  den  Regionen   der  Sternenwelt  so  g^t  heimisch  war  wie  in  den 
Ziffern,   die  Haus  und  Gemeinwesen  zusammenhalten,  den   die  Mnsen 
nicht  an  der  pünktlichen  Verrichtung  trockener,  täglich  wiederkehrender 
Geschäfte  hinderten  und  die  nüchternen  Alltagsarbeiten  nicht  lähmten 
noch   in  seinem   86n  Jahre  Jubellieder  zu   dichten,   der  den  Griffel  sn 
führen  verstanden  wie  den  Degen,  der  die  Tonkunst  pflegte  und  anf 
dem  Turnplatze  der  Jugend  schattende  Bäume  pflanzte   —  ein  solcher 
Mann  konnte  mit  gleicher  Liebe  alles  umfassen,  was  dem  heranwach- 
senden Geschlechte  zum  Heile,  zur  Zierde  und  zum  Nutzen  dient,  konnte 
mit  derselben  Treue  und  väterlichen  Fürsorge  hier  das  Wohl  der  Armen- 
kinder und  Waisen,  dort  der  höheren  Studien  zugewandten  Schuljugend 
bedenken.    Und  noch  aus   den  letzten  Jahren  weisz  die  Schulschrift  es 
dankbar  zu  erwähnen,  dasz  das  Eatharineum  durch  seine  warme  Theil- 
nahme  und  seinen  kräftigen  Fürsprnch  für  seine  Vorbei-eitungsklassen 
eine  neue  feste  Lehrstelle  und  noch  sonst  vermehrte  Lehrkräfte  bekom- 
men hat,  dasz  die  Organisation  der  Rcalklassen  der  ursprünglichen  Idee 
geraäsz  vollendet  worden  und  dasz  zu  den  fünf  Oberlehrern  der  seobste 
hinzugekommen  ist,  dasz  endlich  die  Schule  durch  bedeutende  bauliehe 
Veränderungen  an  Raum  und  zweckmäsziger  Einrichtung  ungemein  ge- 
wonnen hat.    Grewis  ist  die  Erinnerung  an  eine  solche ,    der  Pflege  des 
Schulwesens  mit  treuer  Liebe  und  ernster  Sorge  gewidmete  lang^  Thätig«- 
keit  in  der  weiten  deutschen  Lehrerwelt  eine  wolthuende  und  erhebende. 
—  Was  die  Veränderungen  im   letzten  Schuljahre  betrifft,   so  ist  die 
oberste  Realklasse  der  Anstalt,   die  früher  der  Tertia  des  Gymnasiums 
parallel  lief,  unter  dem  Namen  Selecta   der  zweiten   Gymnasialklasse 
oder^ecnnda   gleichgestellt  worden.     Das  seit  Ostern   1856  unter  die 
ordentlichen  Lehrgegenstände  der  Realschule,  zunächst  in  Quinta,  anf- 
genomme  Latein  ist  nun  auch  in  Quarta  eingeführt  und  wird  demnächst 
nach  Tertia  vorrücken.     Für    den  historisch  -  geographischen  UnterrioEt 
ist  ein  vollständig  neuer  Stufengang  eingerichtet  worden.  Für  Obersexta 
sollen  biographische  Erzählungen  aus  allen  Zeitaltem  dienen,  in  Qninta 
eine  Uebersicht  der  merkwürdigsten  Begebenheiten  nach  Art  des  kleinen 
Bredow  gegeben,  in  Quarta  alte,  in  Tertia  mittlere  und  neuere  Geschichte 
gelehrt  werden.    Umfassender,  tiefer  und  eingehender  wird  dann  in  Se- 
cunda  das  Altertlinm,   in  Prima  Mittelalter  und  neue  Zeit  noch  einmal 
behandelt.    In  den  Realklassen  kommt  auf  Quinta  die  alte  Geschichte, 


Berichte  Aber  gelehrte  Anstalten,  Verordniingen ,  Statist.  Notizen.  571 

snf  Quarta  Mittelalter  und  neuere  GesdKchte.  In  Tertia  wird  die  Ge- 
schichte des  Mittelalters,  in  Selecta  die  neuere  Geschichte  in  weiterem 
Umfange  zum  zweiten  Male  vorgetragen.  Der  geographische  Unterricht, 
der  in  Secunda  ahschlieszt,  hat  einen  ähnlichen  Gang  in  beiden  Anstal- 
ten: Quinta  neben  allgemeinen  Grundbegriffen  Europa,  Quarta  die  übri- 
gen Erdtheile,  Tertia  und  Secunda  dieselbe  Folge.  Von  den  Lehrern 
haben  der  Oberlehrer  Dr  Holm  und  der  Lehrer  des  Englischen,  Pea- 
eock,  einen  Twöchentlichen  Urlaub,  jener  zu  einer  Reise  nach  Italien, 
dieser  nach  England  und  Schottland  gehabt.  Der  zweite  Lehrer  des 
Französischen,  John  Mussard,  ist  während  eines  einjährigen  Urlaubs 
in  seiner  schweizerischen  Heimat  am  7.  December  1857  zu  Solothum 
gestorben.  Die  Schülerzahl  betrug  im  Sommerhalbjahr  1B57  in  I  19, 
II  21,  III«  32,  IV«  37,  V«  26,  Sei.  »5,  Uli»  31,  IV*  38,  V»>  16,  VI* 
85,  VI*  30,  VII  20,  zusammen  330;  im  Winter  1857—58  in  I  17,  II  21, 
in«  30,  IV«  37,  V«-27,  Sei.  23,  I1I»>  30,  IV»>  38,  V»»  17,  VI*  85,  VI« 
85,  VII  20,  zusammen  330.  Darunter  waren  im  letzten  Halbjahr  103 
auswärtige,  neralich  in  den  Gymnasialklassen  50,  in  den  Realklassen  46, 
in  den  Vorbereitnngsklassen  7.  Gestorben  waren  2  Schüler,  1  Primaner 
und  1  Septimaner.  Bing, 

BifAaDEBÜBO.]  Von  Veränderungen  im  Lehrerkreise  ist  das  Päda- 
gogium zum  Kloster  Unser  Lieben  Frauen  auch  im  1857  ver- 
flossenen Sdfaulj.  nicht  ganz  frei  geblieben.  Dr  Danneil  war  mit  der 
eommissarischen  Wahrnehmung  einer  Oberlehrerstelle  an  dem  Gouver- 
nanten-Institut zu  Droyszig  auf  ein  Halbjahr  beauftragt.  Die  meisten 
Lehrstunden  desselben  übernahm  der  Schulamtscandidat  Gloel.  Zum 
geistlichen  Inspector  am  Kloster  wurde  Prof.  Dr  Scheele  ernannt,  der 
zugleich  der  Vorsteher  eines  Convicts  von  geistlichen  evangelischen  Can- 
didaten  sein  soll.  Der  Oberlehrer  Dr  Schmidt  ist  als  Director  des 
Gymnasiums  nach  Herford  berufen.  Zu  dem  Lehrercollegium  gehören 
folgende  Mitglieder:  der  Propst  und  Director,  Dr  th.  Prof.  Müller, 
Vorsitzender  des  Convents  und  der  Kircheninspection,  der  geistliche  In- 
spector Prof.  Dr  Scheele,  Conventual,  auch  Vorstand  des  neu  gestif- 
teten Convicts  geistlicher  evangelischer  Candidaten  und  Mitglied  der 
Kircheninspection,  Prorector  Prof.  Hennige,  Conventual  und  Vorstand 
des  Alumnats,  sowie  Culinarius  und  Hausinspector ,  Prof.  Dr  Hasse, 
Conventual,  Prof.  Michaelis,  Conventual,  Oberlehrer  Dr  Feldhü- 
gel, Oberl.  Dr  G ö t z e ,  DrDeusohle,  Dr  Krause,  DrLeitzmann, 
Dr  Danneil  Predigtamtscandidat ,  Dr  Arndt,  Banse,  Hülfsl.  l)r 
Steinhart,  Hülfsl.  Ortmann,  Hülfsl.  Friedemann,  Gesanglehrer 
Ehrlich,  Zeichenl.  v.  Hopffgarten,  Schul  am  tscand.  Gloel.  Die 
Schülerzahl  betrug  425  (I  26,  II  45,  III«  30,  III»»  38,  IV«  42,  IV»»  54, 
V*58,  V»»  46,  VI«  52,  VI»»  34).  Abiturienten  11.  Den  Schulnachrichten 
ist  vorausgeschickt  eine  wissenschaftl.  Abhandlung  von  Dr  Deuschle: 
der  platonische  Politikos,  Ein  Beitrag  zu  seiner  Erklärung  (36  S.  4).  Die 
Hauptaufgabe  und  das  eigentliche  Ziel  dieser  Arbeit  ist ,  die  Schwie- 
rigkeiten hervorzuheben  und  zu  lösen,  welche  der  Politikos  demjenigen 
bereitet,  der  ihn  mit  andern  platonischen  Dialogen,  vor  allen  dem  So- 
phisten und  der  Politeia  vergleicht,  und  demjenigen,  der  ihn  zwischen 
den  Sophisten  und  Parmenides  einzureihen  und  darnach  die  Entwicklung 
des  platonischen  philösophierens  zu  bestimmen  gedenkt.  Jene  Schwie- 
rigkeiten betreffen  theils  den  Inhalt,  theils  die  Darstellungsform  (künst- 
lerische, logische  und  sprachliche).  I.  Hauptinhalt,  Grundgedan- 
ken und  Zweck  des  Politikos  (Hier  treten  erhebliche  Differenzen  zwi- 
schen der  Auffassung  des  Verfassers  und  der  von  Snsemihl  zu  Tage, 
weshalb  der  Inhalt  des  Dialogs  nochmals  selbständig  besprochen  wird). 
1.  Der  Mythos.  2.  Beispiel  und  Masz,  sowie  Begriffsreihen,  welche  sich 
als  Träger  der  dialektischen  Entwicklung  des  Dialoge»  darstellen.    3. 


572  Berichte  über  gelehrte  Anstalten,  Verordnangeii,  ftititl.  NotisM. 

Folitische  Erörterung.  Aas  ^er  Betrachtang  des  Inhalts  des  Dialogs 
ergebo  sich  der  Grundgedanke  und  Zweck  desselben  ron  selbst;  voll- 
ständig feRtstellcn  lasse  cf  sich  erst  durch  die  folgenden  Theile  der  Un- 
tersuchung, welche  später  in  dem  Philologus  yeröffentlichi  werden  sol- 
len.—  Aus  dem  Lehrercollegiuin  des  königlichen  Domgymnasiums 
schied  der  Caudidat  Dt  Frey  dank,  der  als  Hülfslehrer  am  Qymnasiam 
zu  Torgau  beschäftigt  wurde;  Krasper  wurde  zum  Oberlehrer  ernannt; 
der  Lelirer  Grunow  wurde  in  den  Ruhestand  versetzt.  Lehrerpersonal: 
Director  Prof.  Wiggert,  die  Professoren  Wolf,  Dr  Sucre,  Pax, 
die  Oberlehrer  Dr  \Volfart,  Ditfurt,  Sauppo,  die  Lehrer  Hase » 
Gorgas,  Schüustedt,  die  Hülfslehrer  Hildebrandt,  Vogel,  L^- 
rer\roise.  Schreib].  Brandt,  Gesangl.  Bebling.  Die  Schülerzaid 
betrug  350  (I  39,  H  44,  IIP  19^  IIP  30,  IV«  38,  IV»»  41,  V«  37,  V«»  51, 
VI  51).  Abiturienten  21.  Das  Programm  enthält  auszer  den  Scholnaoh- 
richten;  kurze  Darstellung  des  römischen  Kriegswesens,  Zum  Gebraudke 
heim  lesen  römischer  Schriftsteller  in  den  oberen  Gymnasialklassen.  Vom 
Lehrer  Karl  Schönstedt  (23  S.  4).  Dr  0. 

Mkininoen.]  Am  17.  Juni  1857  wurde  Professor  Panzerbieter 
der  Anstalt  durch  den  Tod  entrissen.  Pfarrvicar  Köhler  wurde  schon 
während  der  Krankheit  desselben  beauftragt,  intorimistisoh  als  Lehrer 
einzutreten.  Auszerdem  waren  die  beiden  provisorischen  GymnasiaUeh- 
rer  Schaubach  und  Kresz  auch  im  J.  1857  —  58  am  Gymnasinm 
tbiitig.  Professor  Well  er  rückte  in  die  erste,  Professor  Märker  in 
die  zweite  und  Professor  Henneberger  in  die  dritte  Lehrerstelle  auf. 
Ebenso  ist  die  definitive  Besetzung  der  drei  unteren  Lehrerstellen  in 
Ostern  d.  J.  bereits  vorfügt.  Professor  Bernhard,  Vorsteher  eines 
Krziehungsinstitnts,  ertheilte  den  Unterricht  im  Englischen,  welcher  im 
vorigen  Jahre  ansgofallen  war.  Die  Zahl  der  Schüler  betrag  am  Schlosse 
des  Öclmljahres  119  (I  10,  II  20,  III  17,  IV  29,  V  14,  VI  23).  Abitu- 
rienten 10.  Den  Schulnachrichten  ist  vorausgeschickt  eine  wissenschaft- 
liche Abhandlung  des  Gymnasiallehrers  Kresz:  de  aitributo  graeco  obser^ 
vationes  (17  8.  4).  Die  Beobachtungen  des  Verfassers  erstrecken  sich 
auf  die  Stellung  des  Attributs  bei  Herodot,  aus  dessen  erstem  Bache  die 
betrclTcnden  Stellen  gesammelt  sind.  Es  wird  gezeigt,  in  wie  weit  die 
verschiedene  Stellung  des  einem  Substantiv  beigefügten  Attributs  in 
den  pfegebencn  Stellen  den  von  Matthiä  und  Krüger  aufgestellten 
Regeln  entspricht  oder  nicht.  Dr  0. 

Mersebuko.]  In  das  Lchrercollegium  trat  ein  der  Mathematieue 
Dr  Witte,  bisher  Hülfslehrer  an  der  Kealschule  der  Frankesohen  Stif- 
tungen zu  Halle.  Lehrer:  Rector  Scheele,  Conrector  Osterwald, 
Subrector  T  h  i  e  1  e  m  a  n  n ,  Dr  G 1  o  e  1 ,  Dr  -^W  i  1 1  e ,  die  CoUaboratoren 
Dr  Schmekel,  Goram,  Domdiaconus  Opitz,  Musiki.  Engel,  Zei~ 
chenl.  Naumann,  Schulamtscandidat  F ins  eh.  Schülerxahl  161  (I  18, 
II  25,  III  32,  IV  42,  V  34  und  10  in  der  Vorbereitnngsklasse ,  welohe 
die  Stelle  der  Sexta  vertritt).  Abiturienten  Mich.  1850  6,  OsteTn  1857 
1 .  —  Das  Programm  enthält :  quaestionem  de  priore  vaHdnUf  quod  leg&ur 
Genes.  49,  10,  hemislichio  instituit  Dr  Gloel  (11  S.  4).  0. 

MÜHLiiAusRN.]  In  dem  Lehrerpersonal  hat  im  1857  verfloMenen 
Schuljahre  keine  Veränderung  stattgefunden.  Dasselbe  besteht  ans  dem 
Director  Dr  Haun,  dem  Prorector  Prof.  Dr  Am  eis,  dem  Conreelor 
Dr  II asper,  dem  Subrector  Dr  Schlesicke,  Snbconrector  I  Reeke, 
Subconr.  II  DrDilling,  Collab.  Meinshausen,  DrBob^,  Diaconns 
Barlös  ins,  Zcichenl.  Dreiheller,  Gesangl.  Schreiber,  Schreibl. 
AValtcr.  Die  Schülerzahl  betrug  am  Ende  des  Schuljahres  101  (I  5, 
II  5,  III  19,  IV  30,  V  42).  Abiturienten  4.  Den  Schulnachriehten  ist 
angefügt  eine  Abhandlung:  on  Englißh  and  french  versication  byDrBobe 
(10  S.  4).  Ö. 


BtriioliCe  Ober  gelehrte  Anstalten,  Verordnangea,  statiit.  ICotiie«.  673 

MÜNSTEB.]  Vom  dasigen  k.  G^^nasinm  worden  im  Scha^j.  1850 — 57 
die  Lehrer  Grimme  und  Pause  als  ord.  Lehrer  an  das  Gymnasium 
EU  Paderborn  befördert.  Dr  Stein,  welcher  vorher  als  Candidat  sein 
Probejahr  beendet  hatte,  und  Gansz,  bis  dahin  Htilfslehrer  am  Gjmn. 
zu  Essen,  wurden  als  wissenschaftl.  Hülfslehrer  angestellt.  Dr  Djck- 
boff,  Dr  Niehues,  Dr  Hichter,  ten  Djck,  Dr  Eemper  traten 
ihr  Probejahr  an.  Dr  Tenckhoff,  der  das  Probejahr  vollendet  hatte, 
blieb  noch  bei  der  Anstalt  beschäftigt.  Dem  Oberlehrer  Dr  Bon  er 
wurde  das  Prädicat  'Professor'  beigelegt.  Einer  der  ältesten  Lehrer, 
Oberlehrer  Limb  er  g  ist  gestorben.  Lehrerpersonal:  Dir.  Dr  Schulte, 
Prof.  Lückenhof,  Prof^  Welter,  Prof.  Dr  Boner,  die  Oberlehrer 
Dr  Koene,  Dr  Füisti^g,  Lanff,  Dr  Middendorf,  Hesker, 
Hölscher,  die  Gymnasiallehrer  Dr  Schipper,  DrBeckel,  Dr  HÖl- 
scher,  Oberl.  Dr  Grüter,  Dr  Schürmann,  Oberl.  Dr.  Offenberg, 
Dr  Salzmann,  Dr  Hosius,  Schildgen,  Bisping,  DrTücking,Dr 
Stein,  Gansz,  Auling,  ev.  Pfarrer  Lüttke,  Cand.  Dr  Tenckhoff, 
die  Probecandidaten  DrDyokhoff,  Dr  Niehues,  Dr  Richter,  ten 
Dyck,  Dr  Eemper  (31  Lehrer).  Die  Anstalt  besuchten  im  Laufe  des 
Schuljahres  630  Schüler  (I*  Abth.  I  u.  2  46,  I^  Abth.  1  u.  2  70,  II* 
Abth.  1  u.  2  74,  II  »>  Abth.  1  u.  2  79,  III«  Abth.  1  u.  2  78,  III»»  Abth. 
1  u.  2  62,  IV  1  u.  2  85,  V  69,  VI  67),  unter  diesen  572  kath.,  55  eyang., 
3  Israel.  Abiturienten  44.  Den  Schulnachrichten  geht  voraus  eine  Ab- 
handlung des  Gymnasiallehrers  Dr  Beckel:  fiöer  die  Stufenfolge  des  Ge- 
schichtsunterrichts an  den  Gyinnasien  (25  S.  4).  Die  von  Camp e  in  Mützells 
Zeitschrift  in  verschiedenen  Aufsätzen  ausgesprochenen  Ansiebten  wer- 
den widerlegt.  Doch  gesteht  der  Verf.  zu ,  dasz .  die  Aufsätze  Campes 
bei  allem  einseitigen  und  verkehrten ,  das  sie  enthielten,  voll  lehrreicher 
Fingerzeige  und  mannigfach  treffenden  Urteiles  seien,  dasz  sie  manche 
Anregung  und  Belehrung  und  für  manche  Ansicht  schärfere  Begrenzung 
und  Bestimmtheit  gewährt,  wie  denn  überhaupt  Löbell  und  Campe 
auf  dem  Gebiete  der  geschichtlichen  Methodik  groszes  geleistet  hätten. 

Dr  0, 

MÜNSTERBiFEL.]  Das  Lchreroollegium  hat  im  1857  verflossenen 
Schuljahre  keine  Aenderung  erfahren.  Dasselbe  bildeten  der  Direotor 
Katzfey,  die  Oberlehrer  Dr  Hagelüken,  Dr  Hoch,  Dr  Mohr,  Roth 
Keligionslehrer ,  Dr  Thisquen,  Cramer,  Dr  Frieten,  Sydow.  Die 
Zahl  der  Schüler  betrug  156  (I  23,  II  53,  III  21,  IV  26,  V  16,  VI  17). 
Abiturienten  8.  Eine  Feier  für  das  Gymnasium  bot  die  Einweihung  des 
erzbischöflichen  Seminars  dar.  Den  Schulnachrichten  folg^  eine  Abhand- 
lung des  Directors:  Oher  den  Unterricht  in  den  mathemaäschen  Wissen- 
schaften.    Entbehrlichkeit  der  Schultafel  (11  S.  4).  Dr  0. 

Naumburg.]  Aus  der  Mitte  der  Lehrer  des  Domgymnasiums 
schied  Dr  Thilo,  um  eine  wissenschaftliche  Reise  nach  Italien  zu  ma- 
chen. Seine  Stelle  wurde  provisorisch  dem  Schulamtscandidaten  Dr 
Holstein  übertragen.  Das  Ordinariat  der  neuen  Vorbereitungsklasse, 
die  zu  Michaelis  in  das  Leben  trat,  erhielt  provisorisch  der  Schulamts- 
candidat  Hasper.  Conrector  Hülsen  erhielt  das  Praedicat  'Professor'. 
Der  französische  Lehrer  Laubscher  übernahm  eine  Lehrerstelle  an  dem 
evangelischen  Lehrerinnen-Seminar  in  Droyszlg;  seine  Lectionen  wurden 
dem  Marienprediger  Richter  übertragen.  Lehrerpersonal :  Dlrector  Dr 
Fort  seh,  Domprediger  Mitzschke,  Professor  Hülsen,  Conrector  Dr 
Holtze,  Subrector  Dr  Schulze,  die  Gymnasiallehrer  Silber,  Dr 
Opitz,  Candidat  Dr  Holstein,  Candidat  Hasper,  Musikdirector 
Claudius,  Pastor  Richter,  Zeichenlehrer  Weidenbach,  Schreib- 
lehrer .Künstler.  Schülerzahl  246  (I  28,  II  30,  III  41,  JV  55,  V  55, 
in  der  Vorbereitungsklasse  37).  Abiturienten  15.  Den  Schulnachrichten 
geht   voraus   eine  Abhandlung   vom  Domprediger  Mitsachk»:   die 


574  Berichte  über  gelehrte  Anstalten,  Verordnangen,  statitt.  Neiista. 

Prindpien   des   ProlestanUsmus   in   ihrem    F'erhältnisse  zum    KaihoHcUmua 
(31  S.  4).  Dr  0. 

Neisse  1857.]  Der  Hülfslehrer  Schneider  wurde  als  Collaborator 
an  das  OjcAnasium  zu  Gleiwitz  berufen.  Der  Candidat  Dr  Regent 
leistete  Aushülfe,  so  dasz  die  Trennung  der  beiden  Cötus  der  Sexta 
wieder  eintreten  konnte.  Das  Lehrercollegium  bildeten  der  Director  Dr 
Zastra,  die  Oberlehrer  Köhnhorn,  Dr  Hoffmann,  Kastner,  Otto, 
die  Gymnasiallehrer  Schmidt,  Seemann,  Religionslehrer  Got sch- 
lich, DrTeuber,  CoUaborator  Mutke,  die  Hülfslehrer  Wutke  und 
Kleineidam,  Candidat  Dr  Regent,  Zeichenlehrer  Barthelmann, 
Gesanglehrer  Jung,  Turnlehrer  Wutke.  Qie  Zahl  der  Schüler  betrog 
am  Schlüsse  des  Schuljahres  448  (I  29,  II«  27,  11^  59,  III  59,  IV  78, 
yi  44,  yt  42,  VI»  59,  Vi*  51).  Abiturienten  16.  Den  Schuhaachrich- 
ten  geht  voraus:  die  Wahrheit  als  Princip  im  Unterrichte  auf  kaihoUschen 
Gymnasien,  Von  Dr  E.  T  e  u  b  e  r  (23  S.  4).  Der  Verf.  will  xeigen ,  wie 
in  jedem  Unterrichtsgegenstande  des  Gymnasiums  der  Schüler  durch 
die  Wahrheit  zur  Wa^heit,  d.  h.  zu  Gott  hingeleitet,  und  der  Herr 
verherlicht  werden  könne  auch  in  der  Wissenschaft.  Dr  O» 

Neü-Ruppin.J  Das  Lehrercollegium,  in  welchem  in  dem  1857  ver- 
flossenen Schuljahre  kein  Personalwechsel  stattgefunden  hat,  bestand  ans 
folgenden  Mitgliedern:  Director  Starke,  Professor  Könitzer,  Ober- 
lehrer Krause,  Oberlehrer  Dr  Kämpf,  Oberlehrer  Lenh off,  Leh- 
mann, Uoffmann,  DrBode,  Dr  Schillbach,  Zeichenlehrer  Schnei- 
der, Musikdirector  Möhring,  Elementarlehrer  Seile.  Die  Zahl  der 
Schüler  betrug  276  (I  22 ,  II  25 ,  III  53 ,  IV  59 ,  V  52 ,  VI  65).  Die 
Vorbereitungsklasse  wurde  von  16  Schülern  besucht.  Abiturienten  10. 
Das  Programm  enthält  auszer  dem  Jahresbericht:  die  Lösung  der  zu- 
sammengesetzieren  Gleichungen  des  zweiten  Grades  mit  zwei  unbekannten.  Ein 
algebraischer  Excurs  pir  die  Schule  von  J.  S.  Kö  n  it  z  er,  Professor  (22  8. 4)« 

0, 

Neusz.]  Im  Lehrercollegium  fanden  in  dem  Schuljahre  1856—57 
folgende  Ergänzungen  und  Beförderungen  statt.  Nachdem  Bondolf 
die  dritte  ordentliche  Lehrerstelle  erhalten  hatte,  wurde  der  wiasen- 
Bchaftliche  Hülfslehrer  Waldeyer  als  vierter  ordentlicher  Lehrer  an- 
gestellt; nach  dem  abieben  des  Dr  Poeth  rückte  Roudolf  in  nie 
zweite,  Waldeyer  in  die  dritte  ordentliche  Lehrerstelle  auf.  -  Der 
Schulamtscandidat  Sommer  hielt  sein  Probejahr  ab,  wurde  jedoch 
schon  während  desselben  als  eine  volle  Lehrkraft  verwendet.  Den  or- 
dentlichen Lehrern  Dr  Ahn  und  Quossek  wurde  das  Praedieat  ala 
Oberlehrer  ertheilt.  Lehrerpersonal:  Director  Dr  Menn,  Eschweiler 
Religionslehrer,  Oberlehrer:  Dr  Bogen,  Hemmerling,  DrAhn,  Qnos- 
sek;  ordentliche  Lehrer:  Roudolf,  Waldeyer;  wissensohaftl.  Hülfs- 
lehrer: Köhler,  Syr^e,  Sommer;  Hart  mann  Gesanglehrer,  Kü  per« 
Zeichen-  und  Schreiblehrer,  evangel.  Pfarrer  Leendertz.  Schülerzahl 
206  (I  53,  II«  31,  IIb  23,  III  31,  IV  33,  Y  33,  VI  51,  obere ReaUdasae 
4,  untere  7).  Abiturienten  25.  Dem  Jahresbericht  geht  voran  eine  Ab- 
handlung vom  Oberlehrer  Hemmerling:  welcher  Mittel  bedient  sich 
Homer  zur  Darstellung  seiner  Charaktere?  (10  S.  4).  Es  wird  nur  das 
wesentlichste  hervorgehoben  und  statt  einer  eingehenden  Erörterung 
werden  oft  nur  Andeutungen  gegeben.  Der  Verf.  will  in  seiner  Ab- 
handlung auch  nur  einige  Beiträge  zu  jener  Untersuchung  liefern,  die 
nicht  einmal  überall  das  Interesse  der  Neuheit  bieten  können.  O* 

Nordhausen.]  Eine  Veränderung  im  Lehrerpersonale  fand  zu  Neu- 
jahr 1857  statt,  wo  der  Conrector  Prof.  Dr  Theisz  einem  Rufe  zur 
Ilebernahme.  des  Direotorats  am  Stifts  -  Gymnasium  in  Zeitz,  folgte. 
Oberlehrer  Dr  Rothmaler  wurde  zum  Conrector,  Oberlehrer  Dr 
Haake  zum  zweiten,  Mathematicus  Dr  Kosack  zum  dritten  und  der 


•Itoriidite  über  gelehrte  AnstaUen^TerordDODgen,  Statist.  Nolifeii«    575 

ordentl.  Lehrer  Dihle  zum  vierten  Lehrer  ernannt;  die  sechste  ordent- 
liche Lehrerstelle  erhielt  der  hiesige  Reallehrer  Teil  provisorisch.  Das 
LehrereoUegium  bildeten:  Director  Dr  Schirlitz,  Conrector  Prof.  Dr 
Theisz,  Conrector  Dr  Rothmaler,  Oberlehrer  Dr  Haake,  Mathem. 
Dr  Kosack,  die  Gymnasiallehrer  N i t z s c he,  Dihle,  Reidemeister, 
Mosikdirector  Sörgel,  Schreib-  und  Zeichenlehrer  De  icke.  Elementar- 
lehrer  Dippe.  Schülerzahl  288  (I  15,  II  21,  lU  28,  IV  34,  V  62,  VI 
64,  Vorbereitungsklasse  64).  Abitnrienten  4.  Den  Inhalt  des  Programms 
bildet  anszer  den  Schulnachrichten  eine  Abhandlung  des  Oberlehrers  Dr 
Haake:  quaestionum  Homericarwn  capita  duo  (18  S.  4).  Cap.  I.  De  par- 
ticnla  äga,  Cap.  II.  De  coninnctivo  et  futuro.  Adduntur  qnaedam  de 
nomine  'TnBQicov.  0, 

Oels.]  Das  Schuljahr  1856 — 57  hat  der  hiesigen  Anstalt  wiederum 
Veränderungen  des  Lehrerpersonals  gebracht.  Collaborator  Dr  Liebig 
und  Hülf sichrer  Wilde  sind  beide  an  das  Gymnasium  zu  Görlitz  abge- 
gangen. Die  Stelle  des  ersteren  wurde  dem  bis  dahin  am  Stettiner 
Ctymnasium  als  Mitglied  des  dortigen  paedagogischen  Seminars  beschäf- 
tigt gewesenen  A.  Gas  da  verliehen,  zur  2n  Hülfslehrerstelle  Dr  Petzold 
berufen,  der  bis  dahin  ein  Privatinstitut  in  Neustadt  geleitet  hatte.  Lehrer: 
Director  Dr  Silber,  Prorector  Dr  B  r  e  d  o  w,  Conrector  Dr  Böhmer,  Ober- 
lehrer Dr  Kämmerer,  die  Collegen  Rehm,  Dr  Anton,  Dr  Schmidt,  * 
Cantor  Barth,  Collaborator  Gasda,  die  Hälfsl.  Keller  und  Petzold, 
Pfarrer  Nippel  kath.  Religionslehrer.  Schülerzahl  252  (128,  1130,  III« 
26,  III*»  37,  IV  49,  V  46,  VI  36).  Abiturienten  4.  Das  Programm  ent- 
hält auszer  den  Schulnachrichten  und  der  Schulordnung  des  Gymnasiums : 
die  Sadewitzer  Petrefacien.  Mit  einer  biograpHschen  Skizze  über  F.  Oswald, 
Von  dem  Prorector  Dr  Bredow  (19  S.  4).  Dr  O, 

Oppeln.]  Das  Lehrerpersonal  am  königlichen  katholischen  Gymna- 
sium hat  sich  im  Laufe  des  Schuljahres  1856 — 57  nicht  verändert.  £s 
unterrichteten  Director  Dr  Stinner,  die  Oberlehrer  Dr  O c h m a n n , 
Dr  Eayszler,  Gymnasiallehrer  Dr  Wagner,  Oberlehrer  Peschke, 
evangel.  Religionslehrer  Husz,  die  Gymnasiallehrer  Habler,  DrRes- 
ler,  Dr  Wahner,  Candidat  Roehr,  Prediger  Sy ring,  Licent.  Swien- 
tek,  Zeichen-  und  Schreiblehrer  Buffa,  Gesanglehrer  Kothe,  Turn- 
lehrer Hielscher.  Frequenz  im  Sommensemester  389  (I  32,  II  52, 
III  69,  IV  76,  V*  43,  V*»  44,  VI  73).  Abiturienten  8.  Den  Schulnach- 
richten ist  vorausgeschickt  eine  Abhandlung  von  Dr  Wahner:  zur  Qe- 
schichte  Jacob  /,  Königs  van  Groszbritannien  und  Irland.  Nach  einem  Ma- 
nuscript  eines  deutschen  Zeitgenossen  (16  S.  4).  Der  Verf.  hat  bereits 
im  Magazin  für  die  Litteratur  des  Auslandes  (1856  Nr  78.  79.  147) 
einige  Artikel,  dem  genannten  Manuscript  entnommen,  der  Oeffentlich- 
keit  übergeben,  indem  er  zugleich  einige  kurze  einleitende  Notizen  über 
dasselbe  vorausschickte.  Nachdem  er  hier  bei  der  Besprechung  dessel- 
ben etwas  mehr  in  das  Detail  eingegangen  ist,  theilt  er  in  dieser. Ab« 
handlung  zuvörderst  nur  das  mit,  was  das  Manuscript  in  dem  Kapitel 
über  den  König  und  seinen  Hof  berichtet ,  und  verbindet  hiermit  zugleich 
auch  die  in  andern  Theilen  der  Handschrift  hie  und  da  zerstreut  stehen- 
den und  hierauf  Bezug  habenden  Stellen.  Hinsichtlich  der  Anordnung 
des  Stoffes  hat  der  Verf.  im  allgemeinen,  so  weit  es  angeht,  den  Gang 
des  Manuscripts  beibehalten.  Dr  0, 

OsTBOWO.]  In  dem  LehrereoUegium  fand  in  dem  1857  verflossenen 
Schuljahre  keine  Veränderung  statt.  Dasselbe  bestand  aus:  Dr  Enger 
Dir.,  den  Oberlehrern  Dr  Piegsa,  Dr  Jerzykowski,  Tschackert, 
Stephan,  Gladysz  kath.  Religionslehrer,  Polster,  Dr  v.  Broni- 
kowski,  den  Gymnasiallehrern  Regentke,  Cywinski,  DrZwolski, 
Kotlinski,  Märten,  den  Hülfslehrem  Roll,  Dr  Lawicki,  Lu- 
kowski,  Schabert  evang.  Religionalehrer«    Der  SchaUuntflcandidat 


576  Berichte  über  gelehrte  ÄDstalten,  Verordnungen,  stttist  NotiKfl« 

Dr  Kaffler  starb  bald  nach  seiner  Ankunft  in  Ostrowo.  Am  SohluMO 
des  Schuljahres  besuchten  die  Anstalt  250  Schüler  (I  28,  II  36,  III«  14, 
III»»  37,  IV«  41,  IV»»  16,  V*  25,  V»»  15,  VI«  23,  VI»»  15).  Abiturienten 
9.  Die  drei  untern  Klassen  sind  in  parallele  Cötns,  VI — IV«  fUr  die 
Schüler  polnischer ,  VI — IV »»  für  die  Schüler  deutscher  Abkunft  getheili. 
In  diesen  ist  die  Unterrichtssprache  die  deutsche ,  in  jenen  die  polniscfaie 
mit  Ausschlusz  der  Geographie,  die  in  beiden  Cötus  deutsch  gelehrt 
wird.  In  den  beiden  Tertien  wird  die  Keligionslehre ,  das  Polnische, 
Französische,  die  Mathematik  und  Naturgeschichte,  zusammen  in  10 
wöchentlichen  Stunden,  in  I  u.  II  die  Religionslehre,  das  Polnische, 
Hebräische  und  Griechische,  zusammen  in  10  wöchentlichen  Stunden  in 
polnischer,  alles  andere  in  deutscher  Sprache  gelehrt.  Den  Schulnnch- 
richten  geht  voraus  eine  wissenschaftliche  A))handlung  von  dem  Director 
Dr  Enger  unter  dem  Titel:  Aesdiylia  (18  S.  4).  Kritische  Bearbei- 
tung des  Chorgesangs  aus  Aeschylus  Choephoren  V.  579 — 639. 

Dr  0. 

Paderborn.]  In  dem  Lehrerpersonal  ^e%  Gymnasium  Theodoriannm 
haben  im  Schuljahi-e  1856 — 57  einige  Veränderungen  stattgefunden«  Der 
Oberlehrer  Schwnbbe  rückte  in  die  dritte,  der  Oberl.  Kören  in  die 
vierte  Oberlehrerstelle  auf;  die  fünfte  ist  dem  bisherigen  Oberlehrer  an 
der  Ritterakademie  in  Bedburg,  Dr  Fdaux,  verliehen  worden.  Ueber- 
dics  hat  behufs  einer  Theilung  der  drei  frequentesten  Klassen  eine  Ver- 
mehrung der  Lehrstellen  stattgefunden,  in  deren  Folge  Grimme  die 
neiigegründete  sechste,  DrVolpert  die  neugegründetc  siebente  ordent- 
liche Lehrerstelle,  sowie  der  Schulamtscandidat  Hülsen b eck  die  erste 
und  Leinemann  die  zweite  Hülfslehrerstelle  erhielten.  Auch  hat  der 
bisherige  geistliche  Lehrer  am  Progymnasium  in  Rietberg,  Hövelmann, 
Aushülfe  zu  leisten  übernommen.  Oberl.  Roeren  folgte  einem  Rufe 
als  Director  an  die  rheinische  Ritterakademie  zu  Bedburg.  Die  erle- 
digte Lehrstelle  übernahm  vorläufig  Baus e,  bisher  Hülfslehrer  am  Gym- 
nasium zu  Münster.  Mit  dem  Anfang  des  neuen  Jahres  rückten  Dr 
F^aux  in  die  vierte,  Bäumker  in  die  fünfte  Oberlehrerstelle,  SchUth 
in  die  zweite,  DrOtto  in  die  dritte,  Dr  Giefers  in  die  vierte  ordent- 
liche Lehrerstelle  auf  und  Bause  wurde  die  fünfte  ordentliche  Lehrer- 
stelle definitiv  übertragen.  Gymnasiall.  Dieckhoff  erhielt  das  Pr&dicat 
eines  Oberlehrers.  Lehrerpersonal:  Director  Prof.  Dr  Ahlemeyer, 
die  Oberlehrer  Prof.  Dr  Leszmann,  Prof.  Dr  Gundolf,  Schwnbbe, 
Dr  F^aux,  Bäumker,  die  ordentlichen  Lehrer  Oberl.  Dr  Dieckhoff, 
Schüth,  DrOtto,  Dr  Giefers,  Bause,  Grimme,  Dr  Volpert, 
Ilörling,  Kirchhoff,  die  Hülfslehrer  Hülsenbeck,  Leinemann, 
Hövelmann,  Schreibl.  Kurze,  Zeichenl.  Heithecker,  GetangL 
Spanke,  die  Präceptoren  Honcamp,  Kumpernatz,  Wolf,  Base- 
ler, Münster.  Schülerzahl  545  (I«  67,  I>»  56,  11*^  33,  II««  33,  II* 
63,  III«*  36,  III««  36,  III»»  *  36,  III»»«  36,  IV  53,  V  62,  VI  44).  Abi- 
turienten 58.  Den  Schulnachrichten  ist  vorausgeschickt  eine  Abhand- 
lung des  Oberl.  Dr  F^aux:  die  Berührung9punkte  dreier  Ebenen  in  fran- 
zösischer Sprache  (16  S.  4).  Dr  0, 

Pforta.]  In  dem  Lehrercollegium  ist  keine  Veränderung  einge- 
treten. Der  Adjunct  Dr  Corssen  wurde  zum  Professor  ernannt;  dem 
Professor  Kobcrstein  wurde  von  der  philosophischen  Facultät  m 
Breslau  honoris  causa  das  Doctordiplom  verliehen.  Lehrer:  Reetor  Dr 
Peter,  Professor  und  geistl.  Inspector  Niese,  Professor  Dr  K o ber- 
ste i  n,  Prof cpsor  Dr  Steinhart,  Professor  Dr  J a c o b i,  Professor  Keil, 
Professor  Buddonsieg,  Professor  Buchbinder,  Professor  Dr  Cors- 
sen, Adjunct  Dr  Pur  mann,  Adjunct  Dr  H  eitle,  Adjunct  Dr  Pas  so  w, 
Adjunct  Dr  Euler,  Musikdiroctor  Seiffert,  Zeichenlehrer  Hess feld, 
Schreiblehror  Karges.    Die  Zahl  der  Schüler  betrug  nach  Ostern  1857 


Berichte  aber  gelehrte  AnstaitoD,  VerorduiuigeD,  atttitt.  Notiies.  j577 

185  (I  42,  II«  29,  III»  34,  III«  41,  mb  39).  Abiturienten  22.  Dem 
Jahresbericht  geht  voraus  eine  mathematische  Abhandlang  yon  Professor 
Buchbinder:  Untersuchungen  über  die  Cissoide  (63  6.  4).  Dr  0, 

Posen.]  In  dem  1857  yerflossenen  Schuljahre  haben  in  den  äusse- 
ren und  inneren  Verhältnissen  des  Friedrich-Wilhelms-Gymna- 
einms  wesentliche  Veränderungen  stattgefunden.  Zu  Ostern  begannen 
die  Vorbereitungen  zu  dem  Neubau,  in  Folge  deren  ein  Theil  des  alten 
Ojmnasialgebäudes  abgebrochen  und  die  Uebergiedeluug  mehrerer  Klas- 
sen in  ein  gemiethetes  Nacnbarhaus  nöthig  wurde  (Die  Einweihung 
des  neuen  Gymnasialgebäudes  fand  am  15.  October  1857,  dem  Qe- 
burtstage  des  Königs,  in  feierlicher  Weise  statt).  Mit  dem  Beginn  des 
Jahres  schied  der  Director  Hcydemann,  der  seit  Ostern  1850  die  Di- 
rection  des  Gymnasiums  geführt  hatte,  aus  seinem  Verhältnisse  zur 
Anstalt,  um  das  Directorat  des  Gymnasiums  in  Stettin  zu  übernehmen. 
Nachdem  die  Verwaltungsgeschäfte  interimistisch  den  Professoren  Mar- 

.  tin  und  Müller  übertragen  gewesen  waren,  wurde  Marquardt,  bisher 
Prof.  am  Gymnasium  zu  Danzig,  zum  Director  ernannt.  Mit  dem  I.Juli 
wurde  die  bisher  getrennt  bestehende  Vorbereitungsklasse  (Sexta)  defi- 
nitiv mit  dem  Gymnasium  vereinigt,  und  in  Folge  dessen  am  Gymna- 
sium eine  zwölfte  ordentliche  Lehrerstelle  gegründet  und  der  bisherige 
Hülfslehrer  Hi  eis  eher  zum  zwölften  Gymnasiallehrer  ernannt.  Zu 
Michaelis  verliesz  Dr  Kraner  die  Anstalt  in  Folge  eines  Rufes  an  das 
städtische  Gymnasium  in  Potsdam.  An  dessen  Stelle  wurde  der  bisher 
an  der  städtischen  Kealschule  zu  Posen  angestellte  Lehrer  Moritz  zu 
der  elften  Lehrerstelle  berufen,  während  Dr.Starke  in  die  neunte, 
Pohl  in  die  zehnte  Lehrerstelle  ascendierten.  Der  in  dem  vorigen  Oster- 
programme  enthaltenen  Ankündigung  zufolge  wurde  Ostern  1 856  eine 
Elementarklasse  an  dem  Gymnasium  eingerichtet  und  für  dieselbe  der 
Lehrer  Wende  aus  Kalt-Briesnitz  in  Schlesien  berufen.  Die  Klasse 
wurde  mit  46  Schülern  eröffnet;  Michaelis  1856  war  bereits  die  Einrich- 
tung einer  zweiten  Elementarklasse  nöthig,  für  welche  der  Lehrer 
Friedrich  berufen  wurde.  Bestand  des  Lehrercollegiums :  Director 
Dr  Marquardt,  die  Professoren  Martin,  Dr  Müller,  Bchönborn, 
DrNeydecker,  die  Oberlehrer  Müller,  Ritschi,  die  GymuMialleh- 
rer  Dr  Tiesler,  Dr  Starke,  Pohl,  Moritz,  Hielscher,  Lehrer 
Hüppe,  Divis.-Pred.  Bork,  Kaplan  Grunwald,  Lehrer  Wolinski. 
Die  Zahl  der  Schüler  des  Gymnasiums  betrug  im  Winterhalbjahre  356 
(I  14,  II  32,  III«  37,  III*>  50,  IV  68,  V-  35,  V^  43,  VI  67);  die  Ele- 
mentarklasse I  besuchten  52,  Elementarkl.  II  31  Schüler.    Abiturienten 

.5.  Den  Schul nachrichten  ist  vorausgeschickt:  ßeitrag  zur  Flora  von  Po- 
sen, Vom  Oberlehrer  Ritschi  (24  S.  4).  —  Im  Lehrercollegium  des 
Marien-Gymnasiums  fanden  im  Laufe  desselben  Schuljahres  fol- 
gende Veränderungen  statt:  mit  dem  Anfange  desselben  ti*aten  die  bei- 
den Candidaten  Dr  Szulc  und  Dr  Wolfram  behufs  Ableistung  ihres 
Probejahres  in  das  Lehrercollegium  ein.  Der  Vicarius  Kantorski 
übernahm  die  Stelle  des  zweiten  Religionslehrers  und  Subregens  des  mit 
der  Anstalt  verbundenen  Alumnats.  .Mit  Neigahr  trat  der  Candidat  Dr 
^azarewics  sein  Probejahr  an;  dagegen  verliesz  bald  darauf  Dr 
Wolfram  die  Anstalt,  um  an  der  Stadtschule  zu  Inowradaw  eine 
etatsmäszige  Stelle  einzunehmen.  Lehrerpersonal;  Director,  Reg.-  und 
dchulrath  Dr  Brettner,  die  Oberlehrer  Prof.  Wannowski,  Spiller, 
Czarnecki,  Schweminski,  Dr  Rymarkiewicz,  Ir  Religionslehrer 
nnd  Regens  Dr  Cichowski,  Oberl.  Figurski,  ord.  Gymnasiallehrer 
Dr  Steiner,  Szulc,  Dr  Ustymowicz,  Weolewski,  Laskowski, 
Zeiehenl.  Schön,  Gymhasiall.  v.  Przybörowski,  Dr  Wituski,  2r 
Religionsl.  u.  Subr.  Kantorski,  evang.  Religionsl.  Pred.  Schönborn, 
Candid.  Dr  Szulc,  Cand.  Dt  iiaearewiox.    Schülerzahl  501  (I«  32, 


578  Berichte  Aber  gelehrte  Anstalten,  Verordnungen,  stetitl.  Molitefe. 

Ib  18,  II*  39,  n»»  44,  III«  44,  ni»>  53,  IV«  46,  IV>»  47,  V  75,  VI  67, 
VII  36),  478  kath.,  22  eyang.,  1  jüd.  Abitarienten  15.  Das  Programm 
enthält  aaszer  den  Scholnachrichten :  Choepkoris  ex  graeco  irtmHaiis  de 
atudh,  quod  proximis  quatuor  superioribus  saeculis  in  Graed»  legendü  PoUnd 
ixuuumpseriniy  et  de  tragoedüs  e  graeco  in  lingwm  poUmicam  conversis  bre- 
viaimam  dtspukUiunculam  praemmt  Weclewski  (29  8.  4).  Nachdem 
der  Vf.  yon  dem  Studium  des  Griechischen  in  Polen  überhaupt  gespro- 
chen ,  zählt  er  die  Uebersetzungen  der  griechischen  Tragiker  anf  (Anti- 
gene und  Oed.  Col.  sind  zweimal ,  der  Oed.  rex ,  die  Electra  des  Bopho- 
cles,  der  Orest  des  Euripides  Einmal  übersetzt  worden).  Der  Vf.  selbst 
hat  auszer  den  Choephoren  auch  schon  den  Agamemnon  des  Aesohylns 
ins  Polnische  übersetzt.  —  Das  Progi'amm  der  Ke also  hui e  zu  Posen 
enthält  eine  historisch  -  philologische  Abhandlung  vom  Oberlehrer  Dr 
Haupt:  über  die  Midiana  des  Demosthenes  (24  8.  4).  Die  Beleidignng 
des  Demosthenes  durch  Midias  soll  geschehen  sein  an  den  Dionysien 
des  Jahres  Olymp.  CVII  3  und  die  Rede,  wie  es  von  Dionys.  t.  Halie« 
überliefert  ist,  Olymp.  CVII  4  niedergeschrieben  sein.  Der  Verf.  Ter^ 
spricht  in  einer  zweiten  Abhandlung  nachzuweisen,  wie  die  übrigen  Zeit- 
bestimmungen sich  mit  dem  gefundenen  Resultate  leicht  in  Ueberein- 
stimmung  bringen  lassen,  und  ebenso  auch  das  Geburtsjahr  des  DeMO- 
sthenes  zu  ermitteln.  Auszerdem  enthält  das  Programm  noch  eine  zweite 
Abhandlung  vom  Director  Dr  Brenn  ecke:  die  Lehre  vom  Wwrfe,  Ein 
Capitel  aus  der  mathemat.  Physik  (4  S.  4).  Dr  0, 

POTSDAM.]  In  dem  LehrercoUegium  ergaben  sich  im  Laufe  des  1857 
▼erflossenen  Schuljahres  mancherlei  Veränderungen.  Der  Schulamtsean- 
didat  Dr  Hagemann  schied  aus;  gleichzeitig  trat  Dr  Reuscher  als 
zweiter  ordentlicher  Lehrer  ein.  Um  Michaelis  trat  8ubrector  Prof. 
Helmholtz  in  den  Ruhestand;  die  erledigte  Stelle  wurde  dem  Oberi. 
Dr  Erahner,  bisher  Lehrer  an  dem  Friedrich- Wilhelms-Gymnasinm  m 
Posen,  übertragen.  Der  Hülfslehrer  Dr  Arndt  folg^  einem  Rufe  an 
das  Gymnasium  zu  Clausenburg;  mit  der  Uebemahme  seiner  Unteriehtt- 
stunden,  sowie  mit  der  Leitung  des  Gesangunterrichts  wurde  derSchoI- 
amtscandidat  Karow  beauftragt.  Der  Schulamtscand.  Wegen  er  hielt 
sein  Probejahr  ab.  Lehrerpersonal:  Director  Dr  Rigler,  Conr.  Prof. 
Schmidt,  Prof.  Meyer,  Oberlehrer:  Dr  Krahner,  Rührmundf 
Müller;  ordentl.  Lehrer:  Dr  Friedrich,  Dr  Reuscher,  Jftnicke; 
Schreibl.  Schulz,  Zeichen!.  Abb,  Gesangl.  Storbeck.  Hülfsl.  Ka- 
row. Schülerzahl  264  (I  21,  II  37,  lU  57,  IV  56,  V  53,  VI  40).  AM- 
turienten  9.  Den  Schulnachrichten  ist  vorausgeschickt  eine  Abhandlnng 
▼om  Oberl.  Rührmnnd:  Über  die  korazischen  Oden  Jll  24.  25.  1 — 6  n« 
14  (16  S.  4).  Dr.  O. 

PüTBus.]  Im  Laufe  des  Schuljahres  sind  in  dem  Lehrerpereonal 
des  königlichen  Paedagogiums  folgende  Veränderungen  Torgegangen: 
Adjunct  Dr  Häckermann  folgte  einem  Rufe  an  das  Gymnasium  lu 
Cöslin;  an  seine  Stelle  trat  Passow.  Adjunct  Dr  Anton  tibemahm 
eine  Lehrerstelle  am  Gymnasium  zu  Danzig ;  an  seine  Stelle  trat  A^jnnet 
Crain  aus  Wismar.  Dr  Bournot  nahm  eine  Stelle  an  der  Realschule 
SU  Colberg  an,  starb  aber  bald;  die  erledigte  Adjunctur  wurde  Dr  Kal- 
mus, bis  dahin  Mitglied  des  paedagog.  Seminars  zu  Berlin,  übertragen. 
Zu  Neujahr  1857  trat  der  Schulamtscandidat  Wähdel  sein  IVob^abr 
an.  LehrercoUegium:  Director  Gottschick,  Prof.  Biese,  Prof.  Dr 
Brehmer,  Prof.  Dr  Gerth,  Pastor  Cyrus,  die  Adj.  Dr  Koch,  Pas- 
sow, Crain,  DrKalmus,  Vetter,  Zeichenl.  Kuhn,  Musiki.  Müller» 
Schulamtscandidat  Wähdel.  Schülerzahl  101  (I  10,  II  22,  IDE  27,  IV 
20,  V  12,  VI  10).  Abiturienten  4.  Das  Programm  enthält:  über  tSe 
Berechnung  der  miitleren  fVindrichiung ,  vom  Prof.  Dr  Brehmer  (8  8.  4) 
(Gratalationsschrift  zur  Jubelfeier  der  Universität  Greifswald).       Dr  O. 


Biriolile  fiber  gelehrte  Anstalten,  Verordnungen,  Statist.  Notise«.  579 

Quedlinburg.]  Das  Lehrercolleginm ,  in  welchem  in  dem  1857  ver- 
floflsenen  Schaljahre  keine  Veränderung  stattgefunden  hat,  hildeten  der 
Director  Prof.  Richter,  Prorector  Prof.  Schumann,  Conrector  Dr 
Schmidt,  Suhrector  Kallenhach,  die  Oherlehrer  Dr  Matthiä» 
Goszrau,  Pfau,  Pastor  Eichenberg  Religionslehi*er,  Gymnasiallehrer 
Schulze  ,  wissenschaftl.  Hülfslehrer  Forcke,  Schreib-  und  Zeichen- 
lehrer Bincke,  Musikdirector  Wackermann.  Schülerzahl  246  (I  18, 
II  28,  lU  52,  IV  47,  V  52,  VI  49).  Abiturienten  5.  Das  Programm 
enthält  eine  Abhandlung  von  Professor  Schumann:  von  dem  Gewitter 
und  den  datnit  verbundenen  Erscheinungen.  Fortsetzung  (27  S.  4).  Der 
erste  Theil  dieser  Abhandlung  ist  abgedruckt  in  dem  Programme  vom 
J.  1848.  Dr  0. 

R^TiBOR.]  Seit  1846  hat  eia  fortwährender  Wechsel  in  den  Mit- 
gliedern des  Lehrercollegiums  stattgefunden.  Der  Director  hat  wäh- 
rend seiner  Amtsführung  seit  Michaelis  1854  nicht  wenigef  als  sechs 
neue  Lehrer  eingeführt,  von  welchen  mit  Beginn  des  nächsten  Schul- 
jahres nur  noch  diner  in  Thätigkeit  ist..  Auch  das  1857  verflossene 
Schuljahr  hat  es  zu  der  erwünschten  Stetigkeit  nicht  gelangen  las- 
sen. Der  Hülfslehrer  Dr  Schreck  wurde  an  das  Gymnasium  zu 
Glatz  versetzt ;  der  an  seine  Stelle  getretene  Schulamtscandidat  Scholz 
schied  bald  wieder  aus ;  ihn  ersetzte  der  Schulamtscandidat  Dr  Storch, 
Der  ordentliche  Lehrer  Zander  wurde  der  Anstalt  durch  den  Tod  ent- 
rissen. Lehrerpersonal:  Professor  Dr  Passow  Director,  Prorector  Kel- 
ler, Conrector  König,  die  Oberlehrer  Kelch,  Fülle,  die  ordentlichen 
Lehrer  Reichardt,  Kinzel,  Wolff,  Zander,  die  Hülfslehrer  Dr 
Klemens,  Dr  Storch,  Lic.  theol.  Storch  kathol.  Religionslehrer, 
Superint.  Redlich  evangel.  Religionslehrer,  Curatus  Strzybny,  Lieutn. 
Schäffer  Zeichenlehrer ,  L i p p e  1 1  Gesang-  und  Turnlehrer.  Schul er- 
aahl  413  (1  30,  II  60,  III«  32,  III »»  37,  IV«  45,  IV  >»  39,  V  92,  VI  78). 
Abiturienten  Michaelis  1856  5,  Ostern  1857  13.  Den  Schulnachrichten 
ist  vorausgeschickt  eine  Abhandlung  von  Zander:  Gliederung  der  Ja» 
hanneischen  Schriften  (24  S.  4).  Dr  0. 

Recklinohaussn.]  Das  Schuljahr  1857  begann  mit  wesentlichen 
Veränderungen  im  Lehrercollegium.  Oberlehrer  Berning  wurde  auf 
sein  nachsuchen  pensioniert.  Dr  Hötnig,  welcher  im  Herbst  1854  zur 
Stellvertretung  des  erkrankten  Oberlehrers  Heumann  berufen  worden 
war  und  nach  dem  Tode  desselben  seine  Thätigkeit  in  provisorischer 
Stellung  fortgeführt  hatte,  folgte  einer  Berufung  als  Director  des  neu- 
erhobenen Gymnasiums  zu  Kempen.  In  Folge  dieser  Vacanzen  erhielt 
der  Matheroaticus  Hob  off  die  Stelle  des  zweiten  Oberlehrers,  Püning 
die  des  dritten,  sodann  der  geistliche  Lehrer  Dr  Grosfeld  die  Stelle 
des  ersten,  Uedinck  die  des  zweiten  ordentlichen  Lehrers.  Die  dritte 
ordentl.  Lehrerstelle  wurde  dem  Geistlichen  Stelkens  übertragen,  für 
welchen  bis  zu  seinem  Eintritt  Candidat  B  o  e  s  e  fungierte.  Für  die 
vierte  Lehrerstelle  wurde  zu  vorläufig  provisorischer  Uebemahme  Cand. 
Baeck  berufen,  bisher  Präceptor  am  Gymnasium  zu  Münster.  Das  Leh- 
rercollegium bilden  der  Director  Bone,  die  Oberlehrer  Prof.  Casperf^ 
Hohoff,  Püning,  die  ordentl.  Lehrer  Dr  Grosfeld,  Uedinck,  Dr 
Stelkens,  Baeck,  Gesangl.  Feldmann,  Zeichenl.  Busch.  Schüler- 
zahl 146  (X  38,  II  35,  III  29;  IV  19,  V  12,  VI  13).  Abiturienten  21. 
Das  Programm  enthält  auszer  den  Schulnachrichten:  disguisitiones  histo- 
ricae  de  statu  rerum  ecdesiasHcanan  in  marcis  Winedis  imp,  Ottone  11^  von 
Dr  Grosfeld  (18  a  4).  0, 

Rostock.]  Als  Einladungsschrift  zu  der  öffentliohen  Prüfung  und 
Bedeübung  der  Schüler  des  hiesigen  Gymnasiums  und  der  Realschule 
am  25.  und  26.  März  d.  J.  (1858)  erschien  die  zweite  Hälfte  der  vor- 
trefflichen Abhandlung  des  Lehrers  Dr  G.  Wendt:   die  freie  deutsdie 


580  Beriolite  aber  gelehrte  Anstalten,  Verordnungen,  Bfalist  Noümb. 

Arbeit  in  Prima.  II  (61  S.  gr.  4) ,  deren  erste  Abtheilung  bereits  früher 
von  uns  in  diesen  Jahrbüchern  besprochen  worden  ist,  anf  die  wir  aber 
im  ganzen  in  einem  besonderen  Aufsatze  zurückzukommen  beabsichtigen. 
Die  Schulnachrichtcn  (30  S.)  berichten  unter  anderem  auch  über  das 
25j 'ährige  Directoratsjubiläum  des  Professor  Dr  Bachmann  am  10.  No- 
vember 1857  (was  mit  der  ihm  überreichten  Votivtafel  bereits  in  diesen 
Jahrbüchern  Hft  6  S.  340  f.  mitgetheilt  ist).  Es  unterrichten  gegen- 
wärtig an  der  Anstalt  21  Lehrer,  nemlich  auszer  dem  genannten  Di- 
rector  die  beiden  Condirectoren  DrMahn  und  Dr  Busch,  zugleich 
auszerordentl.  Professor  an  der  Universität,  Dr  Brandes,  Dr  Bram- 
merstadt,  Glasen,  Witte,  Dr  Wendt,  Rover,  Schäfer,  Wendt, 
Raddatz,  Dr  Holst en ,  Dr  Krüger,  Pastor  Balck,  Dresen  sen., 
Dresen  jun.,  Hesse,  Hagen,  Dr  Robert,  Wahnschafft;  die  bei- 
den letztgenannten  und  Hr  Pastor  Balck  scheinen  der  Anstalt  nur  ala 
auszerordentliche  Lehrer  anzugehören.  Nach  der  Reihenfolge  ihres  Amts- 
antritts ,  wonach  die  Lehrer  hier  sämtlich  aufgezählt  werden ,  sind  die 
beiden  Condirectoren  die  ältesten,  unter  denen  Dr  Mahn  fast  40  Jahre 
an  der  Anstalt  arbeitet.  Nach  dem  übersichtlichen  Lehrplan  werden  ini 
Gymnasium  im  ganzen  217,  in  der  Realschule  158  Stunden  wöchentlich 
ertheilt.  Die  Themata  der  deutschen  Arbeiten  werden  in  löblicher  Weise 
für  die  drei  oberen  Gymnasial-  und  die  oberste  Realklasse  mitgetheilt 
Ostern  1857  wurden  45  Schüler  aufgenommen,  darunter  13  auswärtige, 
von  denen  24  in  das  Gymnasium,  21  in  die  Realschule  eintraten.  Der 
Schülerbestand  wai^  daher  im  Sommer  1857  dieser:  im  Gymnasium  I  31, 

II  23,  III  38,  IV«  28,  IVb  35,  V  39,  VI  40,  zusammen  230;  in  der 
Realschule  I  5,  II  34,  III  47,  IV  56,  V  45,  zusammen  187.  Michaelif 
1857  wurden  82  Schüler  (12  auswärtige)  aufgenommen,  von  denen  18  ins 
Gymnasium  und  14  in  die  Realschule  kamen;  der  Bestand  war  also  im 
Winter  1857  —  58  dieser:  im  Gymnasium  I  19,  II  20,  IH  32,  IV«  H 
IV >>  34,  V  40,  VI  40,  zusammen  225;  in  der  Realschule  I  8,  II  37, 

III  50,  IV  52,  V  46,  zusammen  193.  Zur  Universität  giengen  Ostern 
1857  9  ab,  von  denen  4  Theologie,  2  Jurisprudenz  und  3  Mediein  Btn- 
dieren;  Michaelis  1857  giengen  2  zum  Studium  der  Mediein  ab,  ansier» 
dem  ward  einer,  der  das  Gymnasium  nicht  besucht  hatte  und  sich  dem 
theologischen  Studium  widmen  will,  im  Maturitätsexamen  geprüft  nnd 
reif  befunden.  Zu  anderweitigen  Berufsbestimmungen  giengen  eh  Jo- 
hannis  v.  J.  9,  zu  Michaelis  v.  J.  11,  zu  Weihnachten  v.  J.  13,  zu  Ostern 
d.  J.  22  ab.  Zum  Schlüsse  wird  ein  Verzeichnis  der  Schulprogramme 
und  sonstigen  Gelegenheitsschriften  seit  Ostern  1833  gegeben.  Eing, 

RoszLEBEN.]  Am  Schlüsse  des  Cursus  schied  aus  dem  Collegintti 
der  Kloster  schule  der  bisherige  erste  Adjunctus  Dr  Krosehel  nnd 
gieng  als  ord.  Lehrer  an  das  Gymnasium  zu  Erfurt.  In  seine  BteÜe 
rückte  Dr  Gieseke  auf,  und  für  die  zweite  Adjunctur  wurde  Dr  Mül- 
ler berufen,  bisher  Lehrer  an  dem  Erziehungs  -  Institute  des  Prof.  Dr 
Zenker  in  Jena.  Lehrerpersonal:  Rector  u.  Prof.  Dr  Anton,  Pattor 
und  Prof.  Dr  Herold,  Prof.  Dr  Sickel,  Prof.  DrSteudcner  I,  Dr 
Steudenor  II,  Dr  Krosehel,  Dr  Gieseke,  Oberprediger  Wetael, 
Cantor  Härtel.  Schülerzahl  100  (I  20,  II  27,  III  39,  IV  11).  Abitu- 
rienten 12.  Das  Programm  enthält  eine  Abhandlung  des  Dr  Arnold 
Steudener:  das  Symbol  des  Zweiges  in  seinem  antiken  und  in  seinem  moder- 
nen Gebrauche    (Ein  Deutungsversuch).    34  S.  4^  Dr  0. 

Saarbrücken  1857.]  Oberlehrer  Dr  Wulfert  wurde  an  das  Gym- 
nasium zu  Cleve  versetzt  und  statt  seiner  der  Candidat  DrTheobald 
dem  Gymnasium  überwiesen.  Lehrerpersonal:  Director  Peter,  Ober- 
lehrer: Prof.  Dr  Schröter,  Schmitz,  Köttgen;  G.-L:DrLey, 
Küpper,  Pfarrer  Ilse,  wissenschaftl.  Hülfsl.  Goldenberg,  Lehrer 
Simon,   Cand.  Dr  Theobald,  Hollweg  Lehrer  der  Vorbereitongs- 


fiericlile  Aber  gelehrte  Anstauen^  Verordnnngen,  statisl.  NotisM.  581 

klasse. .  Schülerzahl  153  (I  3,  II  3,  IIP  16,  III«>  4,  IV«  23,  IV»»  8,  V 
26,  VI  37,  Vorbereitangsklasse  23).  Abiturienten  1.  Den  Schalnach- 
richten geht  voraus  eine  Abhandlung  vom  Obdrlehrer  Schmitz:  de 
biöHopolis  Romanorum '{JLl  S.  4).  Dr  0, 

Sagan.]  Das  Lehrercollegium  ist  im  1857  verflossenen  Schuljahre 
unverändert  geblieben.  Dasselbe  bildeten  Dr  Floegel  Director,  Prof. 
BDd  Oberl.  Dr  Kays  er,  Gymn.-Oberl.  Franke,  die  Gymnasiallehi'er 
Leipelt,  Varenne,  Dr  Hildebrand,  Schnalke,  Dr  Michael, 
kathol.  Heligionsl.  Matzke,  evangel.  Keligionsl.  Alt  mann,  Cand.  Dr 
B e n e d i X,  Gesang-,  Zeichen-,  Schreib-  und  Rechenlehrer  Hirschberg. 
Die  2iahl  der  Schüler  betrug  am  Schlüsse  des  Schuljahres  166  (I  10, 
n«  16,  II*»  17,  III  28,  IV  27,  V  34,  VI  34).  Abiturienten  7.  Das 
Programm  enthält  als  wissenschaftliche  Abhandlung:  de  versibus  aliquot 
Homeri  Odysseae  disputatio  altera»     Scripsit  W.  C.  Kayser   (15  S.  4). 

Dr  0. 

Salz  WEDEL.]  Der  Hülfslehrer  Dr  Brandt  folgte  einem  Rufe  als 
Lehrer  der  Handlungsschule  in  Magdeburg;  an  seine  Stelle  trat  der 
Schulamtscand.  Peters,  zuletzt  am  Domgymnasium  in  Halberstadt  be- 
sehäf tigt.  Lehrer :  Rector  Prof.  Dr  J  o  r  d  a  n,  die  Oberlehrer  G 1  i  e  m  a  n  n, 
DrHahn,  Dr  Beszler,  die  ordentl.  Lehrer  Förstemann,  Rabe, 
Dr  Henkel,  Stade,  Hülfslehrer  Peters,  Zeichen-  und  Schreiblehrer 
Aid  er.  Die  Zahl  der  Schüler  betrug  179  (I  21 ,  II  30,  III  33,  IV  29, 
V  40,  VI  26),  Abiturienten  6.  Den  Schulnachrichten  g^hen  voraus:  j?et- 
träge  zur  Kritik  de$  Lucretius,  Von  Dr  C.  Winck^lmann  (28  S.  4). 
Der  im  Sept.  1854  durch  den  Tod  seinem  Wirkungskreise  am  dortigen 
Gymnasium  entrissene  Subcomfector  und  Oberlehrer  DrWincke Im ann 
beschäftigte  sich  nach  dem  ericheinen  der  Laohmannschen  Ausgabe  des 
Luoretius  längere  Zeit  mit  einem  gründlichen  Studium  dieses  Dichters 
und  schrieb  seine  von  Lachmann  abweichenden  Ansichten  über  die  Kri- 
tik und  Exegese  desselben  zum  Behuf  des  Abdrucks  in  einer  philologi- 
schen Zeitschrift  nieder.  Er  war  damit  bis  zum  Anfang  des  fünften 
Buchs  gediehen,  als  der  Tod  ihn  von  seinem  Tagewerke  abrief.  Der 
Director  Jordan  hat  sich  der  Besorgung  des  Abdrucks  des  Manuscripts 
unterzogen,  von  dem  er  nur  hier  und  da  einige  minder  bedeutende  Be- 
merkungen weggelassen  hat.  0. 

ScHLEUSiNGEN.]  Das  Lchrcrpersonal  hat  bis  0. 1857  keine  Veränderung 
erlitten.  An  dem  Gymn.  unterrichteten  im  verflossenen  Schuljahre  folgende 
Lehrer:  Director  Prof.  Dr  Härtung,  Conr.  Dr  Altenburg,  Oberlehrer 
Voigtland,  Dr-Merkel,  Bierwirth,  Mathem.  Geszner  Alumnen- 
inspector,  Archidiaconus  Langethal,  Cantor  Hesz,  Sextus  Wähle. 
Schülerzahl  137  (I  16,  II  19,  III  37,  IV  40,  V  25).  Abiturienten  8. 
i>em  Jahresbericht  vorangeht:  de  usu  antiquae  loeutionis  in  Lucretii  cor' 
mine  de  rerum  natura  obviae,  Partie.  I  partem  elementarem  continens. 
Scripsit  Dr  Altenburg  (31  S.  4).  ^Lucretium  multis  novatis,  priscis, 
longe  arcessitis  vocibus  uti,  iisque  tum  propter  egestatem  linguae  Lati- 
nae,  ut  ipse  testatnr,  tum  propter  rerum  novitatem;  nee  potest  negari, 
enm  multum  contulisse  ad  linguam  Latinam  et  excolendam  et  novis  vo« 
cabnlis  ditandam.'  0. 

ScHWEiDNiTZ.]  Auf  dem  Wege  zur  Schule  ward  am  7.  April  1856  der 
älteste  Lehrer  des  Gjrmnasiums,  Oberlehrer  Türkheim,  nur  wenige 
Schritte  von  dem  Schulhause  entfernt  von  einem  Herzschlag  getroffen, 
der  seinem  Leben  nach  wenigen  Stunden  ein  Ende  machte.  In  Folge 
des  ablebens  desselben  rückten  der  Oberlehrer  Rösinger  in  die  erste, 
Dr  Golisch  in  die  zweite,  Dr  Hilde br and  in  die  dritte,  Weyrauch 
in  die  vierte  Stelle.  Zu  Michaelis  trat  Frey  er  als  fünfter  College  ein. 
Am  Schlüsse  des  Jahres  legte  G.-L.  Weyrauch  sein  Amt  nieder.  Der 
Candidat  Wild  wurde  mit  dem  Unterricht  in  der  französ.  Sprache  in 


582  Berioble  aber  irelehrte  AnslaUen,  Verordnangeo,  sUtist  NotitM. 

Tertia  und  Qnarta  betraut.  LehrerperBonal :  Director  Dr  Held,  Prof. 
'GattmauD,  Conrector  Dr  S c h in i d t,  Oberl.  Rösinger,  DrQoliseb, 
Dr  Hildebrand,  die  G.-L.  Weyrauch,  Freyer,  Hülfsl.  Biscboff, 
Archid.  Rolffs  evangel.  Keligionslehrer ,  Oberkaplan  Taubits  katbol. 
Beligionslehrer ,  Turnlehrer  Zimmer.  Die  Gesamtzahl  der  Schüler  be- 
trug 311  (I  87,  II  37,  III  50,  ly  65,  Y  58,  VI  64).  Abiturienten  Mieh. 
1856  6,  Ostern  1857  6.  Den  Schulnachrichten  geht  voraus  eine  mathe- 
matische Abhandlung  von  Dr  Hildebrand:  Sttmmierung  des  Ausdmekg 

1     .     1     1     ^     I     ^     I     ^      .  -■  I 


•    • 


a»  —  1»     •   a»  —  2"        a"  —  3»        a»  —  4»        a"  —  5» 

in  inftn.y  worin  n  eine  gerade  Zahl  ist  (16  S.  4).  Dr  0. 

Soest  1857.  J  Der  Oberlehrer  des  Ar  chigymnasiums  Dr  Saiden - 
stück  er  wurde  der  Anstalt  durch  den  Tod  entrissen.  Der  katholische 
Beligionslehrer  Dechant  Nübel  ist  aus  seinem  Lehrerverhältnisse  ge- 
schieden; an  seine  Stelle  trat  der  Kaplan  Lille tte  ein.  Lehrer:  Di- 
rector  Dr  Patze,  die  Oberlehrer  Prof.  K o p p e  Prorector,  Lo rem,  Dr 
Seidenstücker,  Vorwerck,  die  Gymnasiallehrer  Schenck,  Stein- 
mann, Dr  Kriegeskotte,  Gronemeyer,  Pfarrer  Daniel  erangel. 
Beligionslehrer,  Dechant  Nübel  und  später  Kaplan  Lille tte  katboL 
Beligionslehrer.  Schülerzahl  178  (I  27,  II  36,  III  31,  IV  30,  V  80,  VI  , 
24).  Abiturienten  11.  Den  Schulnachrichten  geht  voraus  eine  Abband-  ' 
lung  des  Oberlehrers  Lorenz:  über  Composition^  Charaktere ,  Idee  dee 
Sophokleischen  König  Oedipus  (19  S.  4).  Die  Beantwortung  der  gerade 
bei  diesem  Drama  interessantesten  Frage  nach  der  dem  Drama  zu  Grunde 
liegenden  religiösen  und  sittlichen  Anschauungsweise  hat  der  Verf.  für 
jetzt  noch  zurückhalten  müssen,  um  den  Umfang  einer  Programmtcbrift 
nicht  zu  überschreiten.  Das  gelieferte  enthält  im  ganzen  nicht  viel  neue«, 
liefert  aber  für  Schüler  eine  Beihülfe  zum  Verständnis  des  behandelten 
Dramas.  Dr  O, 

SoRAu  1857.]  Der  bisherige  Director  Dr  Seh  rader  wurde  wmn 
Provinzial  -  Schulrath  in  Königsberg  ernannt.  An  seine  Stelle  trat  Dr 
Liebaldt,  bisher  Director  des  Gymnasiums  zu  Hamm.  .Der  Matbe- 
maticus  Scoppewer  folgte  einem  Bufe  an  die  Hitterakademie  in  Bran- 
denburg ;  die  Stelle  desselben  wurde  interimistisch  durch  den  Candidaten 
Quapp  verwaltet.  Lehrer:  Director  Dr  Liebaldt,  Conr.  Prof.  Len- 
nius,  Subr.  Pr  Pasc hke,  Oberlehrer  Dr  Klinkmüller,  Dr  Moser, 
Cantor  Magdeburg,  Dr  Lüttgert,  Cand.  Quapp,  Organist  Hein- 
rich, Zeichenlehrer  Berchner.  Schülerzahl  177  (I  20,  II  18,  III  35, 
IV  30,  V  39,  VI  26).  Abiturienten  4.  Den  Schulnachrichten  geht  yorans: 
de  Minerva,  quaiem  Homerus  ftnxerit^  disseritur,  Scripsit  P  a  s  c  h  k  e  (24  S.  4). 
'Primum  hoc  spectabam,  ut  nominis  rationem  diligenter  explorarem,  Te- 
ramque,  quae  illi  subesset,  notionem  investigarem ,  deinde,  nt  fabnlas 
de  illa  dea  ab  Homero  allatas  examinarem  atque  internam  deae  natnnun 
eiusque  cultum  illustrarem.'  0. 

Stendal*]  Zur  Vermehrung  der  Lehrkräfte,  welche  in  Folg^  der 
gestiegenen  Schüler -Frequenz  nöthig  geworden  war,  traten  zwei  neue 
Hülfslehrer  ein.  Kern  und  Dr  Schmidt.  Den  ordentlichen  Gymna- 
siallehrern Schötensack  und  Schäffer  wurde  das  Prädicat  ^Ober- 
lehrer' verliehen.  Der  Director  Dr  Heiland  folgte  einem  Bufe  nach 
Weimar  als  Director  des  dortigen  Gymnasiums.  Mit  der  interimisti- 
scben  Wahrnehmung  der  Directoratsgeschäfte  bis  zur  Ankunft  des  be- 
rufenen Gymnasialdirectors  zu  Herford  Dr  Schöne  wurde  Prof.  Eieb- 
1er  als  ältestes  Mitglied  des  CoUegiums  beauftragt.  Schnlamtscandidat 
Härter  wurde  aus  Torgau  als  interimistischer  Hülfslehrer  benifen« 
Am  Schlüsse  des  Schuljahres  schieden  aus  dem  Lehrercollegium  Oberi. 
S-ehäffer,  der  als  Snbrector  an  das  Gymnasium  zu  Prenzlau  gieng,  und 
Hülfslehrer  Kern,  um  in  das  Lehrer  -  Seminar  zu  Stettin  einzutreten. 


BeridiM  flier  gelekrte  AnitalUm;  VerordninigeB^  statigt.  NoIiseM  582 

Dfts  Lehrercolleginm  bildeten  fm  J.  1856 — 57  der  Dir.  Dr  Heil  and,  Cotar. 
Prof.  E  i  c  h  1  e r,  Subr.  Prof.  Dr  S  c  h  r  a  d  e r,  die  Oberl.  Prediger  B  e  6 1  i  t z, 
Dr  Eitze,  Schötensack,  Seh  äffer,  die  ordentlichen  Lehrer  Dr 
Berthold,  Backe,  die  Hülfsl.  Dr  Schmidt,  Kern.  Die  Zahl  der 
Sehüler  betrag  282  (I  31,  II  32,  III  39,  IV  60,  Y  69,  VI  51).  Abitnrien- 
ten  Ostern  1857  5.  Das  Programm  enthält  anszer  den  Schnlnachrichten: 
Leoiüogus  zur  lutherischen  Bibelübersetzung  des  neuen  Testamentes  für  Gym* 
wuiasten  vom  Oberlehrer  Prediger  Beelitz  (16  S.  4).  0. 

Stettin.]  Michaelis  1856  schieden  von  dem  vereinigten  königL  nnd 
■tiidtischen  Qymnasium  die  Seminarmitglieder  und  HUlfslehrer  Rüter 
und  Gas  da,  jener  an  das  Gymnasium  zu  Nenstettin,  dieser  an  das  za 
Gels  berufen.  Dagegen  begannen  ihre  Thätigkeit  die  Schulamtscandidaten 
DrBresler  und  Ho  che.  Kurze  Zelt  darnach  folgte  der  5e  Collaborator 
Dr  Schnelle  einem  Knfe  an  die  Kitterakademie  zu  Brandenburg,  worauf 
seine  Stelle  Dr  Bresler  erhielt.  In  das  Seminar  trat  ein  Schulamts- 
eandidat  Kern.  Lehrerpersonal:  Director  Hejdemann,  die  Professoren 
Giescbrecht,  Dr  Schmidt,  Hering,  Graszmann,  Dr  Yarges, 
Oberl.  Dr  Friedländer,  Musikdirector  Dr  Löwe  Lehrer  der  Mathem., 
Oberl.  Dr  Calo,  die  Gymnasiallehrer  Stahrl,  Dr  Stahrll,  Balsam, 
die  Collab.  Pitsch,  Dr  Ilberg,  Bartholdy,  Kern  I,  Dr  Bresler, 
die  HUlfslehrer  Dr  Weiszenborn,  Hoche,  Korn  II,  SchreibL  Neu- 
kirch, Maler  Most,  Tnrnl.  Briet.  Die  Zahl  der  Schüler  betrug  im 
Sommer  1857  521  (I-  16,  I»>  33.  II*  25,  11»»  56,  III*  37,  111^  40,  IV* 
59,  rV»>  68,  V*  46,  V»»  41 ,  VI*  58,  VI»»  42).  Abiturienten  22.  Den 
Schulnachrichten  geht  voraus  eine  Abhandlung  des  Oberlehrers  Dr  Frie  d- 
länder:  zur  Erklärung  der  Psalmen  (17  S.  4).  Was  bei  der  Lesung  der 
Psalmen  in  der  Oberprima  zur  Erläuterung,  abgesehen  vom  gramma- 
tischen und  lexikalischen  Unterrichte,  den  Schülern  gegeben  werden 
solle,  ist  hier  faszlich  zusammengestellt,  so  dasz  die  Schrift  den  Schülern 
für  diesen  Theil  des  Unterrichts  als  Hülfsbuch  dienen  kann.  Bei  der 
Bäcularfeier  der  Universität  Greifswald  übergab  der  Director  im  Namen 
des  Gymnasiums  eine  Glückwnnschschrift ,  welche  eine  lateinische  Wid- 
mung, ein  deutsches  Gedicht  des  Prof.  Giesebrecht,  ein  lateinisches 
des  Collab.  Dr  Ilberg  und  eine  Abhandlung  des  Prof.  Dir  Schmidt 
de  origine  interpunctionum  apud  Oraecos  enthielt.  0. 

Stbalscnd.]  In  dem  Lehrercolleginm  hat  keine  weitere  Veränderimg 
stattgefunden,  als  dasz  Prof.  Gramer  in  den  Ruhestand  getreten  ist. 
Das  Lehrercolleginm  bildeten  1857:  Dir.  Dr  Nizze,  Prof.  Dr  Gramer« 
Prof.  Dr  Schulze,  die  Oberlehrer  Dr  v.  Gruber,  Dr  Freese,  Prof- 
Dr  Zober,  Dr  Tetschke,  die  G.-L.  Dr  Nizze,  Dr  Bietz,  Dr  Roll- 
mann, y.  Lühmann,  Dr  Kromayer,  Zeiohenl.  Brüggemann,  G^- 
sanglehrer  Fisch  er.  Schülerzahl  247  (I  19,  U  31,  III  35,  IV  30,  V  37, 
VI  46,  VII  49).  Abiturienten  II.  Das  Programm  enthält:  Prof.  Dr 
Zober:  zur  Geschichte  des  Stralsunder Gynaiasiums  von  1680-^1755,  Fünf'' 
ter  Beitrag.    Fortsetzung  (20  S.  4).  0* 

ToRGAü.]  In  das  Lehrercolleginm  trat  als  auszerordentlicher  HUlfs- 
lehrer ein  der  Schulamtscand.  Dr  Freydank,  welcher  zugleich  von  Dr 
Schnitze  die  Stelle  des  Pensionats- Inspcotors  übernahm.  Der  Lehrer 
Biltz  ist  in  eine  höhere  Lehrstelle  an  der  Realschule  zu  Potsdam  über- 
gegangen; an  seine  Stelle  ist  der  Schulamtscandidat  Ebeling  gewählt. 
Am  Gymnasium  unterrichteten:  Dr  Gras  er  Director,  Prof.  Dr  Ayndt., 
Prof.  Rothmann,  die  Oberlehrer  Dr  Handrick,  Dr  Franckc,  die 
Gymnasiallehrer  Kleinschroidt,  Hertel,  Giesel,  Dr  Dihm,  Mi- 
chael, Biltz,  Dr  Schulze,  Hülfsl.  Dr  Freydank,  Cantor  Breyer,' 
Httlf sl.  Lehmann,  Archidiaconus  Bürger.  Frequenz  289  (I  gymn.  20, 
I  real.  8,  II g.  26,  U  r.  21,  III*  g.  26,  III»>  g.  20,  III  r.  11,  IV  58,  V 
57^  VI  33).     Abiturienten  8,  und  zwar  7  Gymnasial -Primaner,  1  Real- 

iV.  Jahrb,  f,  Phil,  tf.  Paed.  Hd  LXXVIll.  ffft  \\,  40 


584  Berichte  Ober  gelehrte  Anstalton^^erordtiiiiifeft,  sUrtiit  MoHim; 

Primaner.  Das  Programm  enthalt:  1)  Geichkhte  der  VartäHomreckmmg, 
Von  F.  Giesel  (45  8.  4).  2)  Eine  poetische  Zugabe  und  Nachtickien  über 
die  Anstalt.     Von  dem  Director.  0. 

Tbeptow  a.  d.  R.]  Den  2ft.  M&rz  1857  warde  die  biaherige  höhen 
Lehranstalt  als  öffentliches  Gymnasium  anerkannt  and  den  Namen  *Qym- 
satinm  Bugonhagiannm'  zn  führen  ermächtigt.  Lehrer:  Dr  Geier  Pro- 
reetor  and  provisor.  Dirigent  des  GjmnasiamB,  Taascher,  Bredow^ 
Friedemann,  Ziegel,  Todt,  Heintze,  Schalz,  Nicolas,  GeBeh, 
Brandrnp.  Das  Programm  enthält  aaszer  den  Schalnachrichten  über 
die  Realschule  und  den  Statuten  für  das  Bugenhagen^sohe  Gymnaiinm 
•ine  Abhandlung  von  Heintze:  Verguck  einer  Parallele  zwischen  dem 
Sophokleischen  Orestes  und  dem  Shakspearischen  Hamlet   (37  8.  4). 

Dr  O. 

Trieb.]  Prof.  Steininger  wurde  auf  sein  nachsnchen  pensioniert; 
der  evang.  Religionslehrer  Pfarrer  Beyschlag  schied  ans  seinem  Yer- 
hültnisse  zu  der  Anstalt  aus,  indem  er  einem  Rnfe  als  Hofprediger  des 
Groszherzogs  von  Baden  folgte.  An  die  Stelle  des  letzteren  trat  Pfarrer 
Bloch.  Die  Candidaten  Dr  Conrads  und  Enders  traten  als  eommb- 
•arische  Lehrer  ein,  zu  Anfang  des  Sommerhalbjahrs  anch  Candidat 
Schorf  gen.  Der  Cand.  Greveldnig  schied  nach  beendigtem  Probe- 
jahre aus,  um  eine  commissarische  Beschäftigung  am  Gymnasium  la 
Bonn  übernehmen.  Die  Lehrer  des  Gymnasiams  während  des  SchnQah- 
res  1856—57  waren:  Director  Prof.  Dr  Locrs,  Prof.  Steininger, 
Prof.  Dr  Hamacher,  Oberlehrer  Dr  Koenighoff,  kath.  Religionsl. 
Korzilius,  Oberl.  Houben,  Gymnasiall.  Simon,  OberLFleach, 
Gymnasiall.  DrHilgers,  Gymnasiall.  Schmidt,  kath.  Religidnslehrer 
Fisch,  GymnasialL  Blum,  Gymnasiall.  Giesen,  evang.  Religionsl. 
Pfarrer  Blech,  commissarische  Lehrer:  Dr  Conrads,  Enders,  Hol- 
ler, Houben,  Scherfgen,  Piro;  Gesangl.  Hamm,  Zeichen!.  Kraus, 
Sohreibl.  Paltzer.  Die  Zahl  der  Schüler  betrug  im  Sommerhalbjahre 
479  (I«  21,  I»»  20,  11«  4:^,  ni>  54,  III  90,  IV  90,  V  81,  VI  80),  danuttf 
4^5  kath.,  42  evang.,  2  israel.  Abiturienten  20.  Den  Schulnaohriehten 
geht  voraus  eine  Abhandlung  vom  Oberlehrer  J.  Flesch-:  iAer  die  Be- 
wegung der  Himmelskörper  (33  S.  4).  .  O. 

Trzemesznc]  Am  Anfang  des  1857  vergangenen  Schaljahrea  starb 
der  Gymnasiallehrer  Zimmermann.  Die  Sehulamtscandidaten  Ton 
Wawrowski  und  Dr  Nehring  traten  ihr  Probejahr  an.  Am  28. 
März  fand  die  feierliche  Entlassung  des  bisherigen  Directors  der  An- 
stalt, des  jetzigen  Rcgierungs-  und  Schulrathes  Dr  Milewski  sn  P«h 
•en,  statt.  Die  interimistische  Leitung  der  Anstalt  wurde  dem  Profossor 
Dr  Szostakowski  übertragen  und  derselbe  später  definitiv  zam  Di* 
rector  ernannt.  Das  LehrercoUegium  besteht  aus  dem  Director  Professor 
Dr  Szostakowski,  dem  Religionslehrer  Lic.  Kegel,  den  Oberlehrern 
Molinski,  Dr  Sikorski,  Ktossowski,  den  Gymnasiallehrern  Pam* 
puch,  V.  Jakonvicki  I,  Berwinski,  v.  Krzesinski,  Thomcsek, 
Szyma/iski,  Jagietski,  den  interimist.  Gymnasiallehrern  ▼.  Jako- 
wicki  II,  Dr  v.  Wawrowski  I,  den  Sehulamtscandidaten  t.  Waw- 
rowski II  und  Dr  Nehring,  Pastor  Werner  und  Gesangl.  Klanse. 
Frequenz  477  (!•  40,  I»»  38,  II*  49,  II «>  29,  III*  46,  HI»  53,  IV«  41, 
XV b  42,  V  69,  VI  70),  unter  diesen  439  kathol,  21  evangel.,  17  israel. 
Abiturienten  24,  Den  Schulnachrichten  geht  voraus:  einige  Betraehimt- 
gen  über  die  ältesten  Zustände  Lithauens  und  deren  Umgestaltung  im  tSn  und 
14n  Jahrhundert.  Vom  Gymnasiallehrer  Berwinski.  Das  Resultat  der 
Betrachtung  ist,  dasz  seit  der  Zoit,  wo  Lithauen  sein  geschichtliches 
Leben  begann,  das  Heidonthum  und  das  Ruthcnonthum  zwei  wichtige 
Faotoren  seiner  politischen  Entwicklung  bildeten.  Durch  die  Kraft  des 
erstoren  war  Lithauen  ans  seinem  rahigen,  selbstgenügsamen  Schlammer 


Baiiiihie  über  gelehrte  Anstalten,  VerordnoiigeD,  staüit  NotiMik  585 

an  einem  bewegten,  thatenreichen  Leben  geweckt  und  gestärkt,  um 
einerseits  gegen  den  äusseren  feindlichen  Andrang  der  Kacbbarn  seine 
politische  Selbständigkeit  sa  wehren,  andererseits  sein  Ländergebiet  sa 
vergröszem  und  dadurch  neue  materielle  Hülfsquellen  für  sich  su  eröff- 
nen; kurz  im  Heidenthum  lag  die  Kraft  des  Widerstandes.  Durch  den 
Einflusz  des  anderen  entwickelte  sich  dagegen  Lithauen  nach  innen  zu, 
schuf  die  Formen  seines  politisch  -  staatlichen  Daseins  um  und  gewann 
neae  Lebenskräfte.  Mit  dem  Tode  Olgerds  beendigie  Lithauen  seinem 
ersten  groszen  Umgestaltungsprocess ;  •  bald  aber ,  seit  der  Berufung 
Jagiellos  auf  den  polnischen  Thron,  drangen  zwei  neue,  den  bisherigen 
▼ollig  entgegengesetzte  Potenzen,  das  römische  Christenthum  und  daa 
Polenthum,  als  Bildungselemente  in  das  staatliche  Leben  des  Volkes  ein, 
und  hiermit  begann  ein  zweiter  groszer  Umgestaltungsprocess  seiner 
politisch -staatlichen  Zustände.  Dr  0. 

Wbsbl.]  Die  Lehrkräfte  des  Gymnasiums  wurden  mit  dem  Anfang 
des  Schulj.  1857  durch  den  Hinzutritt  des  Dr  Richter  als  ordentlichen 
Gymnasiallehrers  und  des  Pf.  Sardemann  als  auszerordentlichea 
Lehrers  und  zweiten  evang.  Seligionslehrers  verstärkt.  Ein  Börsonen- 
wechtel  ist  sodann  in  dem  LehrercoUegium  nicht  vorgekommen,  auszer 
dasz  für  den  als  Gärnisonpf.  nach  Coblenz  berufenen  Caplan  Schür- 
mann der  Caplan  Holt  als  kath.  Beligionslehrer  angestellt  wurde. 
Lehrerpersonal:  Director  Domherr  Dr  Blume,  Oberlehrer  Professor 
Dr  Fiedler,  Dr  Wisseier,  Dr  Heidemann;  Gymnasiallehrer  Dr 
Kuller,  Ehrlich,  Tetsch,  Dr  Pröller,  Dr  Bichter,  Dr  Lipke; 
auszerordentliche  Lehrer:  Pf.  Dr  Lochmann  evang.  Religionsl. ,  Pf. 
Sardemann  ev.  Religionsl.,  Caplan  Holt  kath.  Rdigionsl.,  Gesangl. 
Lange,  Zeichen!.  Du  ms.  Schülerzahl  208  (I  14,  11  27,  Ul  48,  IV  35, 
y  40,  VI  44).  Abiturienten  6.  Das  Programm  enthält  eine  Abhandlung 
TOm  Gymnasiall.  Dr  Müller:  einiges  über  den  Leiiungswideretand  der  Me- 
talle (24  S  4).  Die  wichtigsten  Fragen,  welche  sich  an  die  Abhängig- 
keit des  Leitungswiderstandes  von  der  Temperatur  der  Metalle  knüpfen, 
hat  der  Verf.  blos  gelegt  und  Mittel  und  Wege  dargestellt,  welche  zur 
Ergrüodung  dieser  Fragen  fuhren  können.  0. 

Wetzlar.]  Auch  in  dem  1857  verflossenen  Schuljahre  sind  nur 
wenige  vorübergehende  Störungen  in  der  Lehrthätigkeit  eingetreten. 
Eine  Ergänzung  des  Lehrercollegiums  trat  im  Anfang  des  Schuljahres 
dadurch  ein,  dasz  an  die  Stelle  des  pensionierten  Gymnasiallehrers 
Herr  der  Hülfslehrer  Hansen  als  ordentlicher  Lehrer  berufen  und  für 
den  nach  Neuwied  berufenen  Kaplan  Rademacher  der  Kaplan  Quer- 
bach  zum  kathol  Religionslehrer  ernannt  wurde.  Dr  Theobald  wurde 
Ostern  1857  zur  AushiUfe  an  das  Gymnasium  za  Saarbrücken  berufen. 
Xehrerpersonal :  Director  Dr  Zinzow,  Professor  Dr  Kleine,  Ober- 
lehrer Graff,  Professor  Dr  Schirlitz,  Oberlehrer  Elsermann,  Ober- 
lehrer Dr  Fritsch,  Gymnasiallehrer  Rüttger,  Hansen,  Hülfslehrer 
Dr  Theobald,  Kaplan  Querbach,  Cantor  Franke  Gesanglehrer, 
Maler  Stuhl  Zeichenlehrer.  Schülerzahl  125  (1  10,  11  27,  111  19,  lY 
23,  y  21,  VI  25).  Abiturienten  6.  Den  Schulnachrichten  geht  voraus 
statt  einer  wissenschaftlichen  Abhandlung:  die  Erziehung  der  Jugend  für 
ihren  himmHscben  und  irdischen  Beruf.   Antrittsrede  des  Directors  (18  S.  4). 

Dr  0, 

Wittenberg.]  Im  Lehrerpersonale  ist  weiter  keine  Veränderung 
eingetreten,  als  dasz  der  Schulamtscandidat  Kappe  sein  Probejahr  an- 
getreten hat.  Das  Colleginm  bildeten  der  Director  Prof.  Dr  Schmidt, 
die  Oberlehrer  Prof.  Wensch,  Prof.  Dr  Breitenbach,  Dr  Bern- 
hardt, Dr  Becker,  die  ordentlichen  Lehrer  Stier,  Dr  Wentrup, 
Adjunct  Förster,  Zeichen-  und  Schreiblehrer  Schreckenberger, 
Gesangl.  Stein,  Candldat  Knappe.    Die  Zahl  der  Schüler  betrug  am 

40* 


686  Berichte  aber  gelehrte  AmUlteD,  VerordDoegen,  ttatifl.  Möliud. 

ßcliluase  dea  Schnlj.  1857  282  (I  37,  11  47,  UI  70,  IV  54,  V  42,  VI  SSf), 
Die  Maturitätsprüfung  bestauden  14.  Den  Schalnachrichten  geht  Toraos : 
de  locU  quibusdam  Horatii  Carminum  Ubri  primi  commentatianes.  Scr.  Prof« 
Dr  Breitenbach  (22  S.  4).  Die  behandelten  Stellen  find  1,  29  ff^ 
2,  13  —  20 ,  2,  38  tf. ,  2,  41  ff. ,  2,  45  ff. ,  3,  1  ff. ,  12,  19  ff. ,  12,  31  ff., 
12,  45  ff.,  12,  4*J  ff.  Die  neue  Ausgabe  des  Horaz  von  Bitter  (Q.  Ho- 
ratins  Fiacous.  Vol.  prius :  Garmina  et  Kpodi.  Ad  Codices  saeculi  noni 
decimique  exacta  commentario  critico  et  exegetico  illustrata  edidit  Franp 
ciscus  liitterus.  MDCCCLVl.  Lipsiae,  W.  Engelmann)  hat  den  Verf. 
BU  einer  neuen  Prüfung  dieser  Stellen  (ea  potissiroom ,  quae  ad  singu- 
lorum  carminum  argtimenta  spectarent)  veranlaszt.  0. 

Zeitz.]  Das  bedeutendste  Ereignis  des  1857  verflossenen  Schilf,  war 
das  ausscheiden  des  Kectors  Dr  Webrmann,  welcher  das  Stifts-Gym- 
nasium  verliesz,  um  die  Stelle  des  Provinzial-Schulraths  in  Stettin  la 
übernehmen.  Als  dessen  Nachfolger  wurde  der  bisherige  Conreetor  am 
Gymnasium  zu  Nordhausen,  Professor  Dr  TTheisz,  bemfen.  Lehrer- 
personal: Director  Professor  Dr  Thcisz,  Professor  Dr  Ho  che,  Con- 
reetor Fe  hm  er,  Subrcctor  Müller,  Oberlehrer  Dr  Rinne,  die  Gymna- 
siallehrer Dr  Bech,  Dr  Langgnth,  Cantor  Nelle,  Licent.  Btroe- 
he\.  Schülerzahl  127  (16,  II  14,  lU  29,^  IV  19,  V  36,  VI  23).  AM- 
turienten  6.  Den  Schulnacbrichten  geht  voraus:  das  grnmmaäsdie  Qe- 
schlecht  vom  allgemein  -vergleichend- sprackwissenschaflUchen  Standpunkte  tut 
dargestellt  vom  Oberlehrer  Dr  Rinne  (24  S.  4).  J>r  0, 

ZÜLLicHAU  1857.]  Die  ordentlichen  Lehrer  der  Steinbartsoheii 
Erziehuhgs-  und  Unterrichtsanst alten  bei  Z Ulli chaa,  LÖwe 
und  Krukenberg,  erhielten  die  Bestätigung  für  die  Berufung  zur  3n 
und  4n  ordentlichen  Lehrerstelle  und  der  Hülf sichrer  Riese  für  die  Be- 
rufung zum  Zeichenlehrer.  Der  Schulamtscandidat  Dr  Lindner  ver- 
blieb auch  naeh  Vollendung  seines  Probejahres  als  wissenschaftl.  HUlfs- 
lehrer  in  der  Anstalt.  Der  wissenschaftl.  Hülfslehrer  Hanow  wurde 
zur  Verwaltung  einer  am  Gymnasium  in  Luckau  neu  zu  begründenden 
Lehrerstelle  berufen.  Ersatz  für  diese  Lehrkraft  gewährte  der  Schnl- 
amtscandidat  Dr  Schäfer.  Lehrerpersonal:  Director  Dr  Hanow,  Ober- 
lehrer: Dr  Erler,  Schulze;  ordentliche  Lehrer:  Fun ck,  Löwe,  Kru- 
kenberg; wissenschaftliche  Hülfslehrer:  Waisenhausprediger  Mar- 
quard,  Schloszpredigcr  Lobach,  Dr  Lindner,  Schulamtscandidat  Dr 
Schäfer,  Hülfslehrer  Schilling,  Musikdirector  Gabler  Gesanglehrer, 
Hülfslehrer  Riese.  Schülerzahl  266  (I  43,  II«  30,  III»  86,  III«  43, 
III  i>  43,  IV  41,  V  17,  VI  13),  darunter  Zöglinge  des  Hauses  126.  Abi- 
turienten 23.  Den  Schulnachrichten  geht  voraus  eine  Abhandlung  vom 
ordentlichen  Lehrer  Krukenberg:  über  das  gegensätzliche  Partkip  hei 
Homer  (8  S.  4).  C.  F.  Nägelsbachs  Anmerkung  zu  Ilias  A  13i  und 
K.  \V.  Krügers  Bemerkung  in  der  poetisch-dialektischen  Syntax  §  60, 
67,  4  haben  dem  Verf.  Veranlassung  gegeben,  zunächst  alle  diejenigen 
Stellen  Homers  einer  Prüfung  zu  unterwerfen,  in  denen  das  Partioipium 
mit  der  Partikel  nhg  in  Verbindung  tritt;  sodann  ist  die  Untersuchung 
auf  den  gesamten  ((cgeusätzliohen  Gebrauch  des  Participiums  bei  Homer 
ausgedehnt  worden.  Der  Verf.  hat  in  dieser  Arbeit  keinen  andern 
Zweck,  als  das  von  Krüprer  in  der  poetischen  Syntax  §  56,  13  gege- 
bene etwas  weiter  auszuführen.  Vr  0, 


PeraonalBOllien.  £67 

Personalnotizen. 

firncnnungen ,  Beförderungen,  Tersetzungen i 

Allgayer,  Dr,  Hector  des  Gymnasiums  zu  Eszlingen,  unter  Vor- 
behalt seines  Titels  und  Rangs  zum  Pfarrer  in  Kocherthlim  ernannt,  — 
Arendt,  G.,  SchAC,  ab  ordentl.  Lehrer  am  franz.  Gymnasium  in  Ber- 
lin angestellt.  —  Bachmann,  J.,  Lic.  th.,  Privatdocent  in  Berlin,  zum 
ordentlicher  Professor  der  Theologie  an  der  Universität  zu  Rostock  er- 
nannt.   ,   ordentlicher  Lehrer  am  Gymnasium  zu  Stendal ,  an  das 

Gymnasium  zu  Gütersloh  versetzt.  — -  Bahnsen,  Dr  Frz  Wilh.  Yi- 
burg,  8r  Lehrer  an  der  Gelehrtenschule  zu  Meldorf,  an  die  Hamburger 
,Bealschn1e  berufen.  —  Bar  ton,  Jos.,  Weltpr.  und  Dir.  in  Ofen,  zum 
Schulrath  für  Ungarn  ernannt.  •—  Bauer,  J.  J.,  Lehramtscandidat,  als 
ßtudienlehrer  an  der  latein.  Schule  in  Ansbach  angestellt.  —  Beckmann, 
.P.  N.  A.,  an  der  Gelehrtenschule  zu  Meldorf  vom  8n  zum  6n  Lehrer 
befördert.  —  Bess^,  Dr,  Oberlehrer  in  Conitz,  in  gleicher  Eigenschaft 
an  das  Gymnasium  in  Culm  versetzt.  —  Bitz,  SchAC,  zum  Adjunot 
an  der  Ritterakademie .  zu  Brandenburg  ernannt.  —  Braun,  Dr  W., 
8chAC.  aus  Baden,  als  wirkL.  Lehrer  am  Gymnasium  in  Zara  angestellt. 
«—  B res  1er,  Dr,  CoUaborator  am  Gymnasium  zu  Stettin,  zum  wissen- 
schaftlichen Hülfslehrer  befördert.  — •  Britzelmayer,  J.,  Assistent 
aus  Augsburg,  zum  Studienlehrer  am  Max. - Gj^mnasium  in  München  er- 
nannt.—  Büttel,  DrTh.  H.  P.  aus  Mecklenburg-Strelitz,  interimistisch 
in  Rendsburg  angestellt,  zum  CoUaborator  an  der  Gelehrtenschule  in 
Meldorf  ernannt.  —  Chyle,  P.,  provisor.  Director  am  Gymnasium  zu 
Iglau,  zum  wirkl.  Director  ernannt.  —  Claus sen,  O.,  Collaborator  an 
der  Gelehrtenschule  in  Plön,  zum  Compastor  in  Giückstadt  ernannt.  — 
Crecelius,  Dr  W.,  interimistischer  Lehrer,  als  ordentl. Lehrer  am  Gym- 
nasium in  Elberfeld  angestellt.  —  Decker,  Aug.,  Lehrer  am  Gymna- 
sium zu  Sambor,  als  Lehrer  an  das  Gymnasium  in  Troppau  ernannt.  — 
Dondorf f,  Dr,  SchAC,  als  Adjunct  am  Joachimsth.  Gymnasium  in 
Berlin  angestellt.  —  Dragoni,  J.,  Gymnasialdire^tor  in  Kaschau,  zum 
Schulrath  für  Ungarn  ernannt.  —  Drizhal,  Jolu,  Gymnasiallehrer  in 
Lagos,  zum  Lehrer  am  Untergymnasium  zu  Skalitz  ernannt.  —  Faber, 
Mor.,  SchAC,  zum  Collegen  am  Gymnasium  in  Lauban  ernannt.  — 
•  Gargurevich,  Frz,  Gymnasiallehrer  zu  Sondrio,  zum  Lehrer  am 
, Gymnasium  zu  Spalato  ernannt.  —  Gloel,  SchAC,  als  ordentl.  Lehrer 
am  Paedagogium  zum  Kl.  U.-L.-F.  in  Magdeburg  angestellt.  —  Götze, 
L.,  Collaborator  an  der  latein.  Hauptschule  in  Halle,  als  ordentl.  Leh- 
rer an  das  Gymnasium  in  Stendal  versetzt.  —  Gottschar,  Weltpr», 
Gymnasialdircctor  zu  Unghvar,  zum  Schulrath  für  Ungarn  ernannt.  -^ 
.Querini,  N.  Nob.  in  Venedig,  zum  Statt  halterei  secretär  ernannt,  aber 
aus  der  Direction  der  vcnetian.  Gymnasien  in  den  Ruhestand  versetzt. 
—  Halder,  K.,  Professor  der  klass.  Philologie  in  Pcsth,  zum  Schulrath 
für  Ungarn  ernannt.  —  Hansen,  Dr  D.  R.,  Collaborator  an  der  Ge- 
lehrtenschule in  Meldorf,  zum  Diaconus  in  Kellinghusen  ernannt.  • — 
Hennings,  Dr  ph.  P.  D.  Chr.,  als  Hülfslelirer  für  die  Lectionen  des 
Dr  Bahnsen  an  der  Gelehrtenschule  zu  Meldorf,  dann  an  dem  Christianeum 
in  Altena  angestellt.  —  Her  aus,  Dr  K.,  früher  am  Gymnasium  zu  Hanau, 
als  ordentl.  Lehrer  am  Gymnasium  zu  Hamm  angestellt.  —  Hörn,  Dr 
Fr.,  als  Hülfslelirer  an  der  Gelehrtenschule  in  Plön  angestellt.  —  Ho- 
^vorka,  W.,  Supplent,  zum  Lehrer  am  Staatsgymnasium  in  Herraanu- 
stadt  ernannt.  —  Hub  er,  J.,  Weltpr.,  Supplent  in  Fiume,  zum  Lehrer 
,  am  Gymnasium  in  Cilli  ernannt.  —  Janota,  Eng.,  Priester,  Neben- 
lehrer, zum  wirkl.  Religionslehrer  am  Krakauer  Gymnasium  ernannt.  -^ 
.Janowski,  DrAmbr.,  provisor,  Director  dj9s  Lembejrger  2n  Gymna- 


688  PersoMlflotiseft. 

siamB,  znm  wirkl.  Director  ernannt.  —  Kaas,  Ge.,  Sapplent  am  Oym- 
nasiam  zu  Gratz ,  znm  wirkl.  Lehrer  ebendaselbst  befördert.  —  K  a  1 1  • 
sen,  O.,  6r  Lelu'er  an  der  Gelehrtenscliule  zu  Meldorf,  u.  20.  F«br. 
znm  5n  Lehrer  beflSrdert.  —  Kajser,  Vicar  am  Gymnasium  zu  Stutt- 
gart, zum  Oberprftceptor  an  der  latein.  Schule  in  Urach  ernannt.  — 
Köhler,  Dr  J.,  Schulreotor  u.  Gymnasialinspector  in  Tirol,  in  gleicher 
Eigenschaft  nach  Böhmen  versetzt.  —  Kosminski,  AI«,  Lelurer  am 
Gymnasium  in  Tarnow,  als  Lehrer  an  das  Gymnasium  zu  Sambor  ver- 
setzt. —  Klumpar,  Jo.,  Director  des  Untergymnasiums  zu  Lug08| 
zum  wirkl.  Director  des  Untergymnasiums  in  Skalitz  ernannt.  —  La- 
cher, Th. ,  Priester,  Studienlehrer  in  Günzburg,  an  die  latein.  Schule 
in  Freisingen  versetzt.  —  Leitgeb,  Dr  Hub.,  Gymnasiallehier  zu  CiUi, 
als  wirkl.  Lehrer  am  Gymnasium  zu  Görz  angestellt.  —  Linsmayer^ 
A. ,  Studienlehrer,  zum  Professor  am  Max.  -  Gymnasium  in  München  er- 
nannt. —  Malina,  Dr  Th.  J.,  SchAC,  als  ordentl.  Lehrer  am  Gyma«« 
sium  in  Deutsch -Crone  angestellt.  —  Martin,  Br.,  Collaborator  aa 
der  latein.  Hauptschule  in  Halle,  als  Lehrer  an  das  Gymnasium  in 
Prenzlau  berufen.  —  Mayciger,  Job.,  Supplent,  als  wirkl,  Lehrer  am 
Gymnasium  zu  Marburg  in  Kärnthen  angestellt.  —  Mehltretter,  E«, 
Lehramtscandidat ,  als  Studienlehrer  «n  der  latein.  Schule  zu  Neulmiv 
a.  d.  Donau  angestellt  —  Menzel,  W.,  provisor.  Director  de«  Gymna- 
siums zu  Görz,  zum  wirkl.  Director  des  Gymnasiums  zu  Triest  ernannt. 

—  Meyer,  V.,  SchAC,  als  ordentl.  Lehrer  am  Gymnasium  zn  Weeel 
angestellt.  —  Miller,  M. ,  Lehramtscandidat,  als  Studienlehrer  an  der 
latein.  Schule  zu  Freising  angestellt.  —  Miillenhoff,  Dr  K.  Y.,  Pro- 
fessor in  Kiel,  zum  ordentl.  Professor  für  deutsche  Sprache  und  Littera- 
tur  an  die  Universität  zn  Berlin  berufen.  —  Muncke,  SchAC,  als 
ordentl.  Lehrer  am  Gymnasium  in  Gütersloh  angestellt.  —  Nack,  Frz, 
Supplent  am  Gymnasium  zu  Preszburg,  zum  Lehrer  am  Gymnasium  m 
Sambor  ernannt.  —  Nacke,  Dr  Jos.,  Lehrer  am  Gymnasium  zu  Leit- 
meritz,  zum  Lehrer  der  Mathematik  und  Physik  am  Kleinseitner  Gym- 
nasium in  Prag  ernannt.  —  Kowicki,  M.,  Lehrer  am  Gymnasium  zu 
Sambor,  an  das  a](|tdem.  Gymnasium  zu  Lemberg  versetzt.  —  Oest* 
reich,  Wissenschaft^  Hülf sichrer  am  Gymnasium  in  Conitz,  zum  ordentL 
Lehrer  befördert.  —  Panighetti,  Dr  Jo. ,  gepr.  Lehramtscandidat, 
zum  wirkl.  Lehrer  am  neu  organisierten  k.  k.  Gymnasium  zu  Ykensa 
ernannt.  —  Paulsen,  J.  F.,  SchAC,  zuerst  zum  Hülfslehrer,  dann  zum 
8n  Lehrer  an  der  Gelehrtenschule  in  Glückstadt  ernannt  —  Pessl,  H. 
V.,  Lehramtscandidat,  zum  Professor  der  Mathematik  an  der  Studiea- 
anstalt  in  Freising  ernannt.  —  Pi^tkowski,  Job.,  Director  des  Gym- 
nasiums zu  Stanislawow,  zum  Director  des  akadem.  Gymnasiums  in 
Lemberg  ernannt.  —  Piro  na,  Jao,  provisor.  Director  am  Gymnasium 
zu  Udine,  zum  wirkl.  Gymnasiallehrer  ernannt.  —  Polanski,  Thom., 
Weltpr. ,  provisor.  Director  des  Gymnasiums  zu  Sambor,  nun  definitiv 
ernannt.  —  Rick,  K. ,  Supplent  am  Gymnasium  zu  Marburg  in  Kärn- 
then, zum  wirkl.  Lehrer  ebendaselbst  befördert.  —  Rössler,  Dr  £.  F., 
Privatdocent  in  Göttingen ,  zum  2n  Bibliothekar  an  der  Universität  in 
Erlangen  ernannt.  —  Rossetti,  Frz,  geprüfter  Lehramtscandidat,  zum 
wirkl.  Lehrer  für  die  venetianischen  Staatsgymnasien  ernannt.  —  Rot- 
tock,  H.  L.,  Lehrer  aus  Walldorf  in  Eutin,  zum  Rector  und  2n  Lehrer 
am  Realgymnasium  zu  Rendsburg  ernannt  (von  der  philos.  Facultät  lu 
Kiel  17.  August  zum  Dr  creicrt).  —  Rüter,  wissenschaftl.  Hülfslehrer 
am  Gymnasium  zu  Neustettin,   zum  ordentl.   Lehrer  daselbst  befördert 

—  Scarabcllo,  Caj.,  Pr. ,  provisor.  Director  am  Staatsgymhasium 
zu  Verona,  zum  wirkl.  Gymnasiallehrer  ernannt.  —  Schnelle,  Dr  K.| 
Adjunct  an  der  Ritterakademie  zu  Brandenburg,  als  ordentl.  Lehrer  an 
daa  Gymnasium  au  Hamm  versetxt.  —  Schob  er  1,  J.,  Studienlehrer  in 


PertonalnotiBeii.  589 

München,  zum  Profeisor  am  Max. - Gytenasiam  daselbst  ernannt.  — 
Schramm,  W. ,  SchAC. ,  als  Oberlehrer  am  Gymnasium  zu  Dortmund 
angeheilt.  —  Schröter,  Dr,'  Privatdocent, .zum  ausEerordentl.  Professor 
in  der  philos.  Facultät  der  Universität  zu  Breslau  ernannt.  —  Schuh, 
Lehramtscaudidat  aus  Nürnberg,  zum  Studienlebrer  an  der  latein.  Schule 
des  Maz.-Gymnasram»* in  München  ernannt.  —  Skrodzki,  Hülfslehrer 
am  Gymnasium  zu  Tilsit,  zum  ordentl.  Lehrer  daselbst  befördert.  «^ 
Sobola,  Job.,  Director  des  kathol.  Staatsgymnasinms  zu  Herrn annstadt, 
zma  Director  des  neu  zu  eröffnenden  k.  k.  kathol.  Gymnasiums  zu  Pesth 
ernannt.  —  Stein,  Dr,  Hülfslehrer  am  Gymnasium  in  Münster,  zum 
Oberlehrer  am  Gymnasium  in  Conitz  ernannt.  —  Stimpel,  A.,  Gymna- 
iialdireotor  in  Triest,  zum  Sehulrath  und  Gymnasialinspector  in  Tirol 
ernannt.  —  thor  Straten,  Dr  W.,  als  Hülfslehrer  an  der  Gelehrtea- 
Bohnle  in  Glückstadt  angestellt.  —  Toma Scheck,  Dr  £.  y.,  Ministerial- 
rath  im  Ministerium  des  Cultus  in  Wien,  zum  Prftses  der  Staatswissen- 
sehafd.  Prüfungscommission  ernannt.  —  Use^er,  Dr  H. ,  SohAC. ,  als 
A4)iinct  am  Joachimsth.  Gymnasium  in  Berlin  angestellt.  —  Vlaeowich, 
Nie-,  Supplent  am  Gymnasium  zu  Capodistria,  zum  wirkl.  Lehrer  da- 
selbst befördert.  *-  Vogel,  Dr,  wissenschaftL  Hülfslehrer  am  Domgym- 
nasium  zu  Magdeburg,  zum  ordentl.  Lehrer  befördert.  —  Vyslouzil, 
Dr  W.,  Supplent,  zum  wirkl.  Lehrer  am  Gymnasium  zu  Tarnow  ernannt. 
-«-Wagner,  Dr  K.,  Professor  am  Gymnasium  iil  Darmstadt,  zum  g^osz- 
herzogl.  Oberstudlenrath  daselbst  befördert.  — ^.Weingarten,  Lio.  theo!., 
SchAC.,  als  Adjunot  am  Joachimsth.  Gymnasium  in  Berlin  angestellt.  -— 
Wild  au  er,  Dr  Tob.,  Gymnasiallehrer  in  Innsbruck,  zum  ordentl.  Pro* 
fessor  der  Philosophie  an  der  dasigen  Universität  ernannt.  -~  Woja- 
c  e  k ,  W. ,  Corrector  beim  Schulbücherverlag  in  Wien ,  zum  Lehrer  am 
kathol.  Gymnasium  zu  Leutschau  ernannt.  —  Wolf,  Jos.,  Supplent 
am  Gymnasium  zuEger,  zum  wirklichen  Lehrer  daselbst  befördert.  — 
— ,  The  od.,  Lehramtscandidat,  zum  wirklichen  Lehrer  am  Gymnasium 
zu  Iglau  ernannt.  —  Wolfram,  SchAC,  als  wissenschaftl.  Hülfslehrer 
am  Domgymnasiupi  zu  Magdeburg  angestellt.  —  Zanella,  Jac,  gepr. 
Lehramtscandidat,  zum  wirkl.  Lehrer  für  die  vtt|etianischen  Staats- 
gymnasien ernannt.  —  Zikmund,  Wenz.,  Weltpr.  und  Lehrer  am  Gym- 
nasium zu  Pisek,  an  das  Altstädter  Gymnasium  zu  Prag  versetzt. 

Praedicleriiiigen  und  fchrenerwelsani^en : 

Beisert,  ordentl.  Lehrer  am  Gymnasium  zu  Glogau,  als  Oberlehrer 
praediciert.  —  Brand  stäte'r,  Dr,  Oberlehrer  am  Gymnasium  zu  Danzig, 
als  Professor  praediciert.  —  Hörn,  Dr  J.  F.,  Rector  der  Gelchrtenschule 
in  Kiel,  zu  dem  den  ordentl.  Professoren  an  den  Universitäten  Kiel  und 
Kopenhagen  zustehenden  Rang  erhoben.  —  Kolster,  Dr  W.  H.,  Rector 
der  Gelehrtenschule  in  Meldorf,  erhielt  den  Titel  Professor.  —  Meth- 
ner,  Dr,  ordentl.  Lehrer  am  Gymnasium  zu  Lissa,  als  Oberlehrer  prae- 
diciert. —  Nipperdey,  Professor  Dr  K. ,  in  Jena,  als  Hofrath  prae- 
diciert. —  Raabe,  ordentl.  Lehrer  am  Gymnasium  zu  Culm,  als  Ober- 
lehrer praediciert.  —  Schleicher,  Professor  Dr  A.,  in  Jena,  als  Hof- 
rath j)raediciert.  —  Seebeck,  Staatsrath  Dr  K.  J.  M. ,  Curator  der 
Universität  Jena,  als  Geh.  Staatsrath  praediciert.  —  Wentzke,  ordentl. 
Lehrer  am  Gymnasium  in  Culm,  als  Oberlehrer  praediciert. 

Pensioniert  t 

Aldenhoven,  Dr  C,  Conrector  an  der  Gelehrtenschnle  zu  Ratze- 
burg, in  Gnaden  mit  Pension  entlassen.  —  Feldmann,  Dr  F.  F.^  5r 
Lehrer  am  Christianeum  zu  Altena,  in  Gnaden  mit  Pension  entlassen.  — 
Muth,  Jos.,  Oberschulrath  und  Professor  am  Gjrmnasium  zu  Weilbiug. 
—  Reindl,  A.,  Professor  am  Max. -Gymnasium  ixi  München,  auf  ein 


590  PjenoiRainotisett. 

Jahr.  —  Roth,  Dr  C.  L.  v.,  Oberstudienr.  und  Rector  des  GjnuiMiiiiliB 
in  Stuttgart,  unter  Verleihung  des  Titels  und  Kanges  eines  Pr&laten 
in  Buhestand  versetzt. 

Gestorben  i 

Am  28.  Juli  zu  Neapel  der  Geschichtschreiber* Carlo  Troya,  Mit- 
glied der  Academla  della  Crusca.  —  Am  31.  Juli  in  Krakan  Dr  Jos. 
Muczkowski,  Professor  der  Bibliographie  und  Bibliothekar  an  der 
Universität.  —  Am  7.  August  in  Königsberg  der  Professor  der  Botanik 
und  Director  des  botan.  Gartens  Dr  £.  Meyer.  — ■.  Am  12.  August  in 
Eichstädt  Domprobst  Dr  Th.  Popp,  Mitglied  des  histor.  Kl.  der  Aka- 
demie zu  München,  im  81.  Lebensjahre.  —  Am  13.  August  zu  Aaerbaclt 
in  Hessen-Darmstadt  Geh.-Bath  Dr  Andr.  Schheiermacher,  Verfas- 
ser des  bibliogr.  Systems  der  gesamten  Alterthumskunde  (18dS)  und 
f^nsgezeichneter  Orientalist,  geb.  6.  Februar  1787  in  Darmstadt.  —  Am 
15.  August  in  Gieszen  der  auszerordentl.  Professor  der  Mathematik  an 
der  Universität  Dr  Frdr.  Zamminer  im  41.  Lebensjahre.  —  Am  10. 
August  in  Berlin  der  Oberlehrer  am  Cöln.  Realgymnasium  Dr  Herrn. 
Heinr.  Roh.  Hagen.  —  Am  23.  August  zu  London  der  Vorstand  dtf 
numismatischen  Abtheilung  des  brit.  Museums,  Cureton,  im  74.'  Le- 
bensjahre. —  Am  8.  September  zu  Jaworowo  der  Professor  der  Theologie 
in  Krakau,  Dr.Joh.  Staroniewicz.  —  Am  10.  September  su  Genua 
der  berühmte  Gieogr.  Mannocchi.  —  Am  17.  September  lu  Bern  der 
Professor  der  Philologie  Ed.  Schnell.  —  Anfang  November  in  Zfirieh 
der  durch  tüchtige  statistische  und  geogr.  Arbeiten  rühmlichst  bekannte 
Staatsarchivar  Gerold  Meyer  von  Knonau.  r 


Zweite  Abtheilung 

herausgegeben  toh  Rudolph  Dietsch. 


Bericht  über  die  Verhandlungen  der  1 8ti  Versammlung  deut- 
scher Philologen,  Schulmänner  und  Orientalisten  in  Wien, 

24— 28.  September  1858. 

(Nach  den  in  der  Ztscbr.  f.   Österreich.  Gymnasien  mitgctheilten 

ofticiellen  Berichten.) 


Wenn  auf  der  Breslaner  Versammlung  der  Anlasz,  Wien  für  das 
nivchste  Jahr  zu  wählen,  mit  freudiger  allgemeiner  Beistimmnng  er- 
griffen wurde  t  so  bekundete  sich  darin  unverkennbar  das  lebhafte  und 
weitverbreitete  Interesse  an  den  Neugestaltungen,  welche  das  letzte 
Jahrzehend  den  Studieneinrichtungen  Oesterreichs  gebracht  hat.  Dem 
entsprechend  zeigte  sich  der  wirkliche  Besuch  der  diesjährigen  Ver- 
sammlnng;  denn  mit  der  Zahl  von  360  Mitgliedern,  welche  die  letzte 
Fortsetzung  des  gedruckten  Verzeichnisses  ausweist,  gehört  sie  zu  den 
zahlreichst  besuchten  unter  den  bisher  stattgefnndenen.  Allerdings 
gab  hiezu  Wien  selbst  an  Männern  aus  allen  Leb^sstellungen,  welche 
den  philologischen  Studien  oder  dem  Untemchte  an  Mittelschulen  In- 
teresse widmen,  ein  bedeutendes  Contingent  (137),  aber  doch  nur  %  der 
Gesamtzahl,  und  mit  Einrcchnung  der  aus  den  verschiedenen  Kron- 
ländern Oesterreichs  hieher  gekommenen  Theilnehmer  (84),  unter  denen 
selbst  die   entlegensten  wie   Siebenbürgen   und  Dalmatien  nicht  unver- 

-  treten  geblieben  waren,  erst  zwei  Drittel  der  ganzen  Versammlung;  ein 
volles  Drittel  der  Versammlufag  bildeten,  abgesehen  von  einzelnen  Gästen 

.  aus  weiter  Ferne  (England,  Norwegen,  Türkei,  Ruszland),  Mitglieder 
aus  dem  auszerösterreichischen  Deutschland.  Das  benachbarte  Schle- 
sien war  unter  diesen  am  zahlreichsten  vertreten  (66),  dem  zunächst 
das  Königreich  Sachsen,  aber  aus  keiner  Gegend  Deutschlands,  selb»** 
bis  zu  so  entfernten  Punkten  wie  Frankfurt  a.  M.,  Lübeck,  Greifswald, 
Elbing  fehlte  es  an  Zeichen  thätiger  Theilnahme.  Das  Verzeichnis  der 
Mitglieder  zeigt  uns  eine  bedeutende  Zahl  von  Männern,  deren  Namen 
in  der  gelehrten  Welt  einen  g^ten  Klang  haben  oder  deren  Stellung  in 
der  Studienverwaltung  in  ihren  Staaten  ihren  Ueberzeugnngen  Einflusz 
auf  die  Schuleinrichtungen  gibt.  So  waren  die  Referenten  über  Gjm- 
nasialangelegenheiten  in  Preuszen,  Darmstadt,  Nassau,  die  Herren  Geh. 
Räthe  Brüggemann  und  Wiese  aus  Berlin,  Oberstudienrath  Wag- 
ner aus  Darmstadt,  Reg.-Rath  Firnhaber  aus  Wiesbaden,  Schulrath 
Stieve  ans  Breslau  zur  Versammlung  gekommen  und  betheiligten  sich 
besonders  lebhaft  an  den  didaktischen  Discussionen.  Unter  den  Philo- 
logen, die  zur  Versammlung  gekommen  waren,  erinnern  wir  an  Haase 

Pf.  Jahrb,  f,  PML  u.  Paed.  Hd  LXXVIII.  Hß  \2.  41 


592  Bericht  üb.  d.  Verh.  d.  18n  Vers,  dealscher  Philologen  usw.  in  Wien. 

aus  Breslau,  Halm  und  Thomas  aus  München,  Eckstein  und  Pott 
aus  Halle,  FI  eck  eisen  aus  Frankfurt  a.  M. ,  Hertz  und  Schäfer 
aus  Greifswald,  Leop.  Schmidt  aas  Bonu,  Teuffol  aus  Tübingen, 
ferner  au  den  Veteranen  unter  den  philologischen  Historikern  Wachs- 
mut h  aus  Leipzig  und  den  geschätzten  Criminalisten  Geh.-Rath  Ab  egg 
aus  Breslau;  die  orientalische  Abtheilung  hatte  hochgeachtete  Namen 
wie  Flügel  aus  Dresden,  Fleischer  aiifi  Leipzig,  Bernstein  aus 
Breslau,  K ö d i g e r  aus  Halle,  Wüstenfeld  aus  GÖttingen  aufzuweisen. 
Der  berühmte  Keisende  Barth  aus  London,  der  allgemein  anerkannte 
Historiker  Norwegens  Munch  aus  Christiania  beehrten  die  Versammlung 
durch  ihre  Theilnahme. 

Der  Sitte  dieser  Versammlungen  gcmäsz  empfiengen  die  Mitglieder 
bei  ihrer  Einzeichnung  in  das  Album  der  Gesellschaft  ein  paar  zu  die- 
sem Zwecke  veröffentlichte  Druckschriften.  Das  ProfessorencoUeginm 
der  philospplilschcu  Facultät  der  Universität  begrüszte  die  eintretenden 
durch  ^gpicilegium  criiicum  phüologis  ei  paedagogis  Germaniae  die  XXV.  m, 
SepL  a.  MDCCCLFllI  Vindobonae  conveniutn  ageniibus  nomine  ei  aueiori- 
tale  conlegarum  ordinis  philosophici  Findobonensium  xenion  ohtulerunt  H. 
Bo flitz,  E.  Iloffmann,  professores  Fiudobonenses ,  G.  Linker y  Pro- 
fessor Cracovieusis^  (27  S.  4).  Nach  einer  an  die  Versammlung  gerich- 
teten lateinischen  Begruszungsodo  von  G.  Linker  enthält  diese  Mo- 
nographie (S.  5 — 14)  Bemerkungen  Linkers  zu  einigen  Stellen  des 
Horatius  (Carm.  1  12  und  37.  II  2  und  13.  III  5  und  6.  IV  4  und  9) 
und  eine  deutsche  Uebersetzung  von  Horat.  cnrni.  III  0;  sodann  (8.  15 
— 22)  Bemerkungen  von  Ho  ff  mann  zu  Verg.  Aen.  VII  22.  IX  218. 
380.  391.  X  70.  Cic.  in  Cat.  I  2,  4  und  (S.  22—27)  vonBonitz  am 
Plat.  Theaot.  102  B.  202  B.  205  D.  102  E.  Aristot.  Eth.  Nie.  a  5.  1097  a 
25.  ^  3.  1150  h  10.  Eth.  Eud.  ri  3.  1238  a  35.  Aus  der  noch  jugend- 
lichen Stiftung  des  philologischen  "Seminars  an  der  hiesigen  Universität 
wurden  der  Versammlung  zur  Bcgrüszung  in  einem  ^specünen  emendatio- 
nwn  phUologis  et  paedagogis  Germaniae  die  XXV.  Sept.  a.  MDCCCLVIll 
Vindobonae  convenluvi  agentibus  venerabtmdi  obtulerunt  seminarii  philologici 
Vindobonensis  sodales*  (10  S.  8)  erklärende  und  berichtigende  Bemerkun- 
gen zu  verschiedenen  Schriftstellern  des  Alterthums  dargebracht  (Hora. 
H.  y  224.  Od.  d  103—105.  Aesch.  Agam.  404.  Choeph.  166.  760.  Eur. 
Or.  758.  Plat.  Phil.  20  D.  Euthyd.  277  A.  295  B.  Thuc.  I  0.  93.  III 
8.  Strab.  d  6,  5.  Caes.  b.  g.  I  47.  II  20.  IV  3.  27.  VII  47.  Tac.  bist. 
III  74).  Von  Dr  K.  Reichel,  Prof.  am  hiesigen  akademischen  Gym- 
nasium, wurden  überreicht  *  Studien  zitm  ParzivaP  (24  S.  8),  welche  einen 
für  die  Auffassung  des  ganzen  Gedichtes  wesentlichen  Punkt  einer  neuen 
und  eingehenden  Betrachtung  unterziehen.  Auszcrdem  hatte  der  Prof. 
am  akadem.  Gymnasium  zu  Prag,  F.  Puuly,  in  dem  so  eben  erschie- 
nenen ersten  Bande  seiner  Ausgabe  der  Sc/iolia  Horatiana  eine  Widmung^ 
an  die  Versammlung  gerichtet  ^philologis  huius  anni  mense  Septemhri  Vin" 
äobonam  conventuris  «.' 

Die  Eröffnungssitzung  der  Versammlung  wurde  durch  die  Anwesen- 
heit von  Notabilitäten  aus  yerschiedenen  Lebenskreisen  ausgezeichnet. 
Se  Excellenz,  der  Unterrichtsminister  Hr  Graf  Leo  von  Thun  beehrte 
nicht  blos  die  Eröffnungssitzung  durch  seine  Anwesenheit,  sondern  be- 
wies durch  seine  Theilnahme  an  allen  Sitzungen  der  Versammlung  jenes 
warme  und  aufrichtige  Interesse  für  deren  Zwecke ,  dem  es  zu  verdan- 
ken w.ar,  dasz  die  Versammlung  deutscher  Philologen  und  Schulmftnner 
in  Wien  gehalten  wurde.  Bereits  nach  der  ersten  Sitzung  begab  sich 
auf  Antrag  des  Directors  Dr  Eckstein  aus  Hallo  eine  Deputation  der 
Versammlung  zu  Sr  Excellenz,  um  für  diese  Gesinnung  ihren  Dank  aus- 
zusprechen. 

Auf  die  Bedeutung ,  welche  es  habe,  dasz  zum  ersten  Male  in  einer 


Borielit  ah.  d.  Vera.  d.  18n  Vers.  deaUcber  Plulologev  asv.  ii  Wien.  593 

* 

österreichischen  Stadt  und  im  Mittelpnnkte  des  österreichischen  Kaiser- 
staates die  Versammlung  deutscher  Philologen  und  Schulmänner  zusam- 
mentrete,   wies   schon   der  Präsident  derselben,   Professor  Dr  Miklo- 

Bich,  in  seiner  .Eröffnungsrede  hin:  * Wie  freuen  wir  uns  Männer, 

deren  Namen  uns  schon  längst  geläufig  sind,  nun  auch  persönlich  ken- 
nen zu  lernen  und,  wenn  auch  nur  kurze  Zeit,  ihres  Umganges  zu  ge- 
niesKcn!  Ja  dasz  die  Versammlung  an  diesem  Orte  tagt,  erfüllt  uns 
mit  hoher  Befriedigung,  denn  es  erinnert  uns  an  den  gewaltigen  Um- 
schwung der  Dinge,  mit  welchem  in  diesem  Lande  eine  neue  Aera  an- 
gebrochen ist.'  Doch  wir  könnten  dies  eigenthümliche  Moment,  welches 
die  diesjährige  Versammlung  vor  vielen  der  vorausgegangenen  auszeich- 
net, nicht  eingehender  und  treffender  bezeichnen  als  es  in  der  Ansprache 
geschehen  ist,  mit  welcher  Se- Excellenz  der  Unterrichtsminister  Hr  , 
Graf  Leo  von  Thun  bei  dem  Festmahle  das  vom  Geh.-Rathe  Brügge- 
maan  ihm  gebrachte  und  von  der  Gesellschaft  mit  Begeisterung  aufge- 
nommene Hoch  erwiderte.  Wir  erfüllen  eine  angenehme  Pflicht  gegen 
unsere  Leser,  indem  wir  den  Wortlaut,  wie  ihn  die  Wiener  Zeitung 
vom  2.  October  Nr  22G  mitgetheilt  hat,  hier  wiedergeben. 

^Mcine  Herren!  Ich  sage  Ihnen  meinen  aufrichtigen  Dank  für  die 
Ehre,  die  Sie  mir  so  eben  erwiesen  haben.  Gestatten  Sie  mir  bei  die- 
sem Anlasse  mit  einigen  Worten  den  Gedanken  und  Gefühlen  Ausdruck 
zu  geben,  welche  Ihre  Anwesenheit  in  Wien  und  meine  Theilnahme  an 
Ihrer  Versammlung  in  mir  erwecken.  In  einem  Kreise  von  Gelehrten, 
deren  viele  bereits  durch  ihre  Leistungen  dauernden  Rnhm  und  begrün- 
deten Anspruch  auf  den  Dank  der  Mit-  und  Nachwelt  sich  erworben 
haben  —  leuchtende  Vorbilder  für  die  jüngeren  Männer,  die  ihnen  auf 
ihrer  ehrenvollen  Laufbahn  rüstig  nachstreben  — ,  stehe  ich  ein  Laie, 
dem  es  nicht  vergönnt^  war  einzudringen  in  das  Heiligthum  der  Wissen- 
schaften, deren  Schätze  Ihren  Geist  erfreuen.  Allein  die  Stellung,  welche 
die  Gnade  meines  Herrn  und  Kaisers  mir  anvertraut  hat,  ist  mir  seit 
einer  Ueihe  von  Jahren  zur  dringenden  Veranlassung  geworden ,  meine 
Gedanken  mit  den  Bedingungen  des  gedeihens  und  mit  dem  Einflüsse 
der  Philologie  auf  die  allgemeinen  Bildungszuständo  zu  beschäftigen. 
Wir  leben  in  einer  Zeit,  in  welcher  die  materiellen  Interessen,  grosz- 
artige  industrielle  Unternehmungen  und  was  sie  zu  fördern  geeignet  ist, 
einen  noch  nie  gekannten  Aufschwung  genommen  haben.  Fast  drohen 
sie  die  Alleinherschaft  an  sich  zu  reiszen,  und  es  fehlt  nicht  an  solchen, 
die  auch  aus  den  Schulen  alles  zu  verweisen  geneigt  wären,  was  nicht 
unmittelbar  jener  Richtung  dienlich  ist.  Deshalb  bedarf  in  unseren  Ta- 
gen die  Philologie  einer  besonders  tüchtigen  Vertretung.  Denn  nach 
der  Religion,  dieser  wahren  Führerin  der  Menschen,  die  den  reichen 
wie  den  armen,  den  gelehrten  wie  den  ungelehrten  über  das  irdische 
erhebt  und  zum  Bewustsein  seiner  höheren  Bestimmung  führt;  nächst 
der  Philosophie,  dieser  Wissenschaft  aller  Wissenschaften,  die  aber  ihrer 
Natur  nach  doch  nur  einer  verhältnismäszig  geringen  Zahl  von  auser- 
wählten zugänglich  sein  kann,  ist  vor  allem  die  Philologie  geeignet  die 
Geister  über  das  gemeine  zu  erheben.  Sie  ist  die  Bewahrerin  der  älte- 
sten Schätze  einer  hohen  Cultur,  sie  enthält  die  Vorbedingungen  des 
Aufschwunges  der  Kunst  in  *allen  ihren  Zweigen,  sie  liefert  der  Ge- 
schichte, dieser  groszen  Lehrmeisterin  der  Menschheit,  unentbehrliche 
Grundlagen,  sie  bietet  jedem  die  Schlüssel  zu  tieferem  Verständnis  sei- 
ner Muttersprache  und  lehrt  ihn  sie  erfolgreich  gebrauchen.  Deshalb 
ist  Ihre  wohlthätige  Wirksamkeit  violleicht  ij^och  deutlicher  wahrnehm- 
bar in  ihrem  Einflüsse  auf  ganze  Geschlechter  als  auf  einzelne  Personen. 
Wie  viel  würde  ein  Volk  verlieren,  ans  dessen  Schulen  die  Philologie 
verdrängt  würde!  Durch  den  veredelnden  Einflusz,  den  die  Philologie 
auf  alle   lebenden  Sprachen  übt,  hat  sie  für  Oesterreich  noch  eine  be- 

41* 


594  Bericht  fib.  d.  Verb.  d.  iSnVcrs.  dealscher  Philolo|^n  usw.  in  Wie«. 

sondere  Bcdentnn^.  Es  gibt  keinen  Staat  in  Enropa,  in  welchem  so 
viele  bildungsfähige  Völker  verschiedener  Zunge  nebeneinander  wohnten 
als  in  Oesterreich,  wo  die  Gesetze  in  zehn  Sprachen  kundgemacht,  Schul- 
bücher, und  zwar  nicht  nur  für  Volks-  sondern  theilweise  Belbst  fBr 
Mittelschulen,  in  zehn  Sprachen  verfaszt  und  gedruckt  werden.  Jeder 
Volksstamm  hängt  mit  Begeisterung  an  seiner  Sprache  und  ein  nicht 
geringer  Theil  der  geistigen  Bewegungskraft  Oesterreichs  lieg^  in  dieser 
naturgemäszen  Begeisterung.  Soll  sie  aber  höheren  Zwecken  dienlich 
sein,  so  musz  ihr  wissenschaftliche  Nahrung  geboten  werden,  und  diet 
musz  zunächst  durch  gründliche  philologische  Studien  geschehen.  Wer 
immer  seine  Muttersprache  zu  lehren  unternimmt,  wer  auch  nur  für  den 
Gebrauch  der  Volksschulen  eine  Grammatik  herstellen,  die'^Orthographia 
feststellen  will,  der  gelaugt  bald  zur  Einsicht,  welche  wissenschaftliche 
Vorarbeiten  dazu  erforderlich  sind  und  wie  sie  nur  an  der  Hand  gründ* 
lieber  philologischer  und  sprachvergleichonder  Studien  geliefert  werden 
könneu.  In  dem  Maszo ,  als  diese  Studien  in  Oesterreich  allgemeine 
Verbreitung  finden,  werden  auch  jene  seiner  Volkssprachen,  denen  es 
an  einer  älteren  Litteratur  gebricht ,  sich  mehr  und  mehr  innerlich  ent- 
wickeln und  an  Eignung  für  höhere  Zwecke  zunehmen,  und  in  dem- 
selben Masze  werden  die  Einseitigkeiten  verschwinden,  die  in  sprach- 
licher Beziehung  noch  hie  und  da  zum  Vorschein  kommen,  und  sie  wer- 
den nur  von  einem  edlen  Wetteifer  ersetzt  werden,  die  Sprache  nicht 
etwa  durch  künstliche  Mittel  zu  erhalten  und  zu  erweitern,  sondern  auf 
naturgemäszem  Wege  die  Bildung  des  Volkes  zn  fördern.  Die  tiefere 
Einsicht  in  die  unverwüstliche  Naturkraft,  die  jeder  lebenden  Sprache 
innewohnt,  und  die  Erkenntnis  des  steigenden  inneren  Werthes  der  Er- 
zeugnisse der  heimischen  Litteratur  wird  den  Gemütern  jene  Bemhignng 
gewähren  die  erforderlich  ist,  damit  verschiedene  Sprachen  friedlieh 
nebeneinander  bestehen.  Aber  auch  die  Wissenschaft  wird  grossen  Ge- 
winn daraus  ziehen,  wenn  einmal  alle  die  Sprachen  Oesterreichs  mit 
jener  Methode  bearbeitet  werden,  die  nur  durch  gründliche  philologische 
Studien  gewonnen  werden  kann.  Nicht  mindere  Erfolge  hat  die  Philo- 
logie nach  ihrer  realen  Seite  von  der  Verbreitung  dieser  Stndien  in 
Oesterreich  zu  erwarten.  Wie  grosz  sind  die  noch  unausgebeutcten 
Schätze  römischer  Alterthümer  in  Siebenbürgen,  Ungarn,  Dalmatien, 
Istrien  • —  des  schon  mehr  durchforschten  lombardisch -venetianischen 
Königreiches  nicht  zu  gedenken.  So  läszt  sich  gewis  behaupten,  dasi 
auf  dem  Gebiete  der  Philologie  groszartige  Aufgaben  vorliegen,  die  sn 
lösen  vor  allem  Oesterreich  berufen  ist.  Oesterreich  kann  und  wird 
diese  Aufgaben  aber  nur  dann  ir)sen,  wenn  es  dabei  Hand  in  Hand  mit 
Deutschland  vorgeht.  Oesterreich  steht  mit  seinen  wesentlichen,  dem 
deutschen  Bunde  angchörigen  Ländern  von  jeher  mitten  in  der  Cultur- 
geschichte  Deutschlands.  Seine  weiten  östlichen  Ländergebiete  aber 
haben  seit  Jahrhunderten  die  Schutzmauern  Deutschlands  und  seiner 
Civilisation  gegen  die  verwüstenden  Ueberfälle  barbarischer  Horden  ge- 
bildet. Sehen  wir  doch  heute  noch  die  südlichen  Grenzmarken  Oester- 
reichs in  einer  ganz  militärischen  Organisation.  Sind  doch  in  Sieben- 
bürgen und  Ungarn  die  Spuren  und  Nachwirkungen  der  immer  wieder- 
holten Türkenkriege  noch  deutlich  wahrnehmbar.  Dennoch  hat  die  Phi- 
lologie auch  in  jenen  Ländern  stets  Stätten  sorglicher  Pflege  gefunden. 
Beweise  dafür  liefern  die  blühenden  Schulen  der  Sachsen  in  Siebenbürgen 
und  die  litterarischen  Schätze  der  berühmten  Stifte  in  Ungarn.  Allein 
niemand  kann  verkennen ,  dasz  in  jenen  Ländern  die  Verhältnisse  dem 
gedeihen  der  Wissenschaft  ungleich  ungünstiger  waren  als  in  Dentsch- 
land.  Und  kaum  waren  die  letzten  Türkenkriege  geendigt,  so  brach  der 
Sturm  der  Revolution  in  Frankreich  aus,  welcher  die  Welt  erschtitterte, 
und  von  den  Drangsalen  der  Kriege ,  welche  aus  ihr  hcrvorgiengen ,  so 


Bcffiolifcab.  d.  Verb.  d.  Idn  Vers,  den tsoher  Philologen  usw.  in  Wie«.  595 

sehr  auch  alle  Theile  Deaischlands  darunter  gelitten  haben,  wurde  kein 
Staat  schwerer  getroffen  als  Oesterreich.    Sein  Haushalt  wurde  zerrüttet, 
seine  innere   Entwicklung  gewaltig '  gehemmt.     Inzwischen  brach  auch 
das  h.    römische  Keich  deutscher   Nation   zusammen.     Oesterreich  zog 
sich  auf  sich   selbst  zurück  und  es   trat  eine  Periode  ein,  in   welcher 
seine  Beziehungen   zu  Deutschland  minder   innig  wurden   als  in  irgend 
einer  früheren  Zeit.     In   unseren  Tagen  hat  sich   ein   neuer  Sturm  er- 
hoben, und  wieder  wurde  kein  Land  schwerer  davon  getroffien  als  Oester- 
reich.    Aber  in   der  Stunde   der  höchsten  Nuth  hat  die  Vorsehung  uns 
einen  Kaiser  geschenkt,  der  mit  dem  Mute  jugendlicher  Zuversicht  die 
drohenden  Gefahren  besiegte.     Mit  fester  Hand  hat  er  die  auseinauder- 
fallenden   Theile  des  Kelches  enger  wieder  verbunden  und   mit  weiser 
Sorgfalt  zugleich  alle  Beziehungen  Oesterreichs  zu  Deutschland  gepflegt. 
Nicht   nur   auf   dem   Gebiete    der   materiellen  Interessen   sind  wichtige 
Schritte  geschehen,  um  die  Einigung  immer  mehr  herzustellen,  sondern 
auch  auf  dem  Gebiete  geistigen  strebens  ist  ein  Wechselverkebr  wieder 
entstanden,   wie  er  seit  Jahrzehenten  nicht  bestanden  hatte.     Wie  sehr 
dieser  Wechselverkebr  auch  jenseits   der  Grenzen  Oesterreichs  Anklang 
findet,  dafür  sehe  ich  einen  Beweis' in  dieser  hochansehnlichen  Versamm- 
lung deutscher  Philologen,  Orientalisten  und  Schulmänner.    Die  Gemein- 
samkeit wissenschaftlicher  Bestrebungen  in  Deutschland  und  Oesterreich 
ist  eine  Idee,   deren  fortschreitende  Verwirklichung  ich    mit  freudiger 
Theilnahme  beobachte.   Ihre  Anwesenheit,  meine  Herren,  in  Wien  dient 
mir  zur  Bürgschaft,  dasz  Sie  alle,  welchf  Gauen  Deutschlands,  welche 
Gegenden  Oesterreichs  Sie  aUch  Ihre  Heimat  nennen  mögen,   in  dieser 
Beziehung  meine  Gefühle  theilen.     Deshalb  habe  ich  Sie  mit  doppelter 
Freude   in  Wien   begrüszt  und  deshalb  rufe  ich  mit  doppelt  herzlicher 
Freude  ein  Hoch   dieser  geehrten  Versammlung.' 

Wir  können  den  Eindruck  nicht  beschreiben,  den  diese  durch  kei- 
nerlei rhetorische  Mittel  gehobenen ,  sondern  einzig  durch  das  Gewicht 
der  Gedanken  wirkenden  Worte  auf  die  gesamten  Anwesenden  hervor- 
riefen, und  wer  irgend  während  der  Tage  der  Versammlung  und  nach 
derselben  unverholene  Aeuszerungen  von  fremden  und  einheimischen 
zu  vernehmen ,  die  allgemeine  Stimmung  bei  den  wissenschaftlichen  wie 
'den  geselligen  Zusammenkünften  zu  beobachten  Gelegenheit  hatte,  wird 
erklären  müssen,  dasz  jener  Idee  der  'Gemeinsamkeit  wissenschaftlicher 
Bestrebungen  in  Deutschland  und  Oesterreich'  die  diesjährige  Versamm- 
lung eine  wesentliche  Förderung  gebracht  hat. 

Erste  allgemeine  Sitzung,  25.  September.  Präsident:  Prof. 
Dr  F.  Miklosich.  Nachdem  der  Präsident  in  den  einleitenden  Wor- 
ten die  Versammlung  begrüszt  und  auf  die  Bedeutung  ihres  tagens  in 
Wien  hingewiesen  hatte,  gieng  er  zur  Behandlung  des  von  ihm  gewähl- 
ten Themas  über :  ^dak  Verhältnis  der  klassischen  Philologie  zu  den  moder- 
nen Philologien,^  Aus  dem  weiten  Bereiche,  welches  durch  diese  Frage 
eröff'net  wird ,  wählte  er  als  Beispiel  ein  einzelnes  Moment  heraus ,  das 
nationale  Epos,  um  an  dessen  Betrachtung  zur  Anschauung  zu  bringen, 
wie  die  philologische  Forschung  über  die  verschiedenen  aber  stammver- 
wandten Völker  sich  gegenseitig  zu  unterstützen  vermöge.  Die  bündige 
und  wohlmotivierte  Erklärung  über  das  Verhältnis  der  klassischen  Philo- 
logie zu  den  modernen,  die  sich  hieran  knüpfte,  geben  wir  nach  ihrem 
Wortlaute:  'in  allen  hier  angedeuteten  Punkten  wird  im  ganzen  die  alte 
Philologie  den  modernen  Philologien  mehr  geben  als  von  ihnen  empfan- 
gen: denn  nicht  nur  ist  sie  Erkläi'erin  eines  auf  einer  ursprünglichen 
Stufe  stehenden  Lebens ,  sie  ist  auch  als  eine  seit  Jahrhunderten  von 
einer  langen  Reihe  durch  Scharfsinn  und  Gelehrsamkeit  hochberühmter 
Männer  gepflegte  Wissenschaft  gründlich  und  nach  allen  Richtungen  ins 
Detail  bearbeitet.    Wenn  nun  schon  in  dem  was,  in  dem  Materiale  die 


596  Berioht  fib.  d.  Verh.  d.  18a  Vevs.  deiilacber  Philologien  asw.  in 

modernen  Philologien  von  ihrer  älteren  Schwester  Tielfacb  abhängig  sind, 
80  ist  dies  in  noch  höherem  Masze  der  Fall  hinsichtlich  des  wie,  hin- 
sichtlich der  Methode  Die  Grundsätze  der  Kritik,  der  liermenentik  sind 
zwar  einfach,  allein  die  Anwendung  derselben  will  gelernt,  will  geübt 
»ein.  Wie  sehr  dies  der  YßM  ist  zeigt  die  Beobachtung,  dasi  es  nicht 
unbedeutende  Littcratuien  gibt,  in  denen  man  keine  Ahnung  davon  hat, 
dasz  es  nicht  nur  erlaubt  sondern  geboten  ist,  verschiedene  Quellen  snr 
Herstellung  wahrer  Texte  zu  benützen,  noch  weniger  daron  dasz  et 
Gesetze  gibt,  nach  denen  dies  zu  geschehen  hat.  Dasz  die  deutsche 
Philologie  unter  den  modernen  am  höchsten  steht,  hat  sie  einzig  der 
gründlichen  Pflege  zu  danken,  welche  in  Deutschland  den  klassischen 
Studien  zu  Theil  wird.  Nicht  die  für  deutsche  Litterator  auch  be- 
geisterten Romantiker,  sondern  in  der  Schule  der  klassischen  Philologie 
gründlich  gebildete  Männer  haben  sie  auf  die  Stufe  gehoben,  auf  der 
Hie  gegenwärtig  steht.  Klassische  Bildung  hat  es  den  Deutschen  mög- 
lich gemacht,  auch  um  andere  Philologie  sich  grosze,  bleibende  Ver- 
dienste zu  erwerben :  ich  erinnere  nur  an  die  Arbeiten  deutischer  Ge- 
lehrten über  französische  Litter atur,  deren  Trefflichkeit  Baron  de  Boi- 
ein  in  der  Versammlung  zu  Bonn  mit  so  beredten  Worten  anerkannt 
hat.  Klassische  Studien  erweisen  sich  daher  als  unerläszlich  aoch  auf 
solchen  Gebieten,  auf  denen  manche  ihrer  entbehren  zn  können  yer- 
meinen.' 

Auf  die  Einleitnngsrede  des  Präsidenten  folgten  die  nothwendigcn 
geschäftlichen  Dinge:  Emenming  des  Secretariats  der  Versammlnng 
(Prof.  Thomas  aus  München ,  Director  K 1  i  x  aus  Grosz-Glogau ,'  Prof. 
Hoffmann  aus  Wien,  Prof.  P.  Leonhard  Achleu tner  aus  Krems- 
münster),  Ernennung  der  Commission  zur  Berathung  über  den  Versamm- 
lungsort für  das  nächste  Jahr. 

Prof.  Dr  K.  Halm  (Director  der  köuigl.  Hof-  und  Staatsbibliothek) 
aus  München  spricht  über  den  neuen  Thesaurus  linguae  Itüinae,  Die  Idee, 
einen  Thesaurus  linguae  latinae  zu  begründen ,  ist  von  bedeutenden  Ge- 
lehrten schon  wiederholt  angeregt  und  durchsprechen  worden ,  jedoch 
mit  dem  Plan  eines  solchen  Werkes  hervorzutreten  hielten  verschiedene 
Bedenken  ab,  der  Mangel  an  kritischen  Texten  von  so  manchem  Antor, 
die  Schwierigkeit  einen  tüchtigen  Redacteur  zu  finden ,  die  Beschaffung 
der  nöthigcn  Geldmittel  zur  Herstellung  der  langjährigen  Vorarbeiten. 
Das  letzte  Bedenken  ist  durch  die  hochherzige  Munificenz  Sr  Majestät 
des  Königs  von  Baiern  jetzt  glücklich  beseitigt,  der  zur  Fördemng 
eines  solchen  Unternehmens  die  Summe  von  10000  Gulden  ans  seiner 
Cabinetscassa  angewiesen  hat.  Damit  lassen  sich  die  Redactionskosten 
auf  die  für  die  Vorarbeiten  berechnete  Zeit  von  zehn  Jahren  decken 
und  CS  steht  noch  eine  bedeutende  Summe  zur  Honoriemng  von  Special- 
arbeiten zur  Verfügung.  Mit  der  Redaction  des  Thesaurus  wurde  Dr 
Franz  Bücheier  in  Bonn  betraut,  zur  Entwerfnng  des  Planes  ein 
Comit^  gebildet,  bestehend  aus  den  Professoren  Halm,  Ritschi  nnd 
Fleokeisen  und  dem  Redacteur.  Was  den  Umfang  des  Thesaurus 
betrifft,  so  hat  derselbe  den  ganzen  lateinischen  Sprachschatx  xn  um- 
fassen, also  auch  die  aus  anderen  Sprachen  entnommenen  und  iatint- 
sierten  Wörter.  Das  Ende  der  Latinität  festzustellen  ist  schwierig. 
Natürlicherweise  ist  das  mittelalterliche  Latein  ausg'eechlossen ,  wol  aber 
bat  die  Latinität  noch  den  Untergang  des  weströmischen  Reiches  über- 
lebt, indem  die  Bildung  der  Schriftsteller  des  sechsten  Jahrhunderts 
nach  Christus  noch  ganz  auf  Roms  Sprache  nnd  Litteratur  beruht.  Als 
annähernde  Grenze  kann  die  zweite  Hälfte  des  sechsten  Jahrhunderts 
bezeichnet  werden.  Von  der  ältesten  Litteratur  bis  zum  Ende  des 
Augusteischen  Zeitalters  bedarf  man  zur  Herstellung  eines  Thesaurus 
ling.  ist.  genaue  Speoiallexica    ebenso  von  den  Hauptrepräsentanten  der 


Beriefat  üb.  d.  Verb.  d.  18n  Vers,  dentscber  Philologen  usw.  ia  Wien.  597 

ersten   Kaiserzeii,   Lucanus,  -Soneca,   Plinius,    Taciins,   Martialis  and 
Juvcnalis;  solche  sind   auch   für  Fronto   und  Auluä  Qellius   wünschens- 
werth  und  für  die  Schriftsteller,   die  einen  besonderen  sermo  vertreten, 
wie  Petronius  nnd    die  scriptores   historiae   Augustae.     Eine  besondere 
Beachtung  verdienen  auch  die  Grammatiker,   nicht  blos  als  ergänzende 
Quelle  für   die   altere  Litteratnr ,   sondern    auch  für  die  noch  so  wenig 
gekannte  technische  Sprache  der  Grammatik.     Von  den  übrigen  Schrift- 
stellern   der    Kaiserzeit    genügen   genaue   ihre  Eigenthiimlichkeiten    er- 
schöpfenden Auszüge.     Hier  werden   am  füglichsten  einzelne  Gattungen 
zusammengenommen,  wie  die  christlichen  Dichter,  Rhetoren,  Panegyri- 
ker ,  Aerzte  usw. ,    nur   dasz   einzelne  Schriftsteller   eine   gröszere  Auf- 
merksamkeit als  andere  ihrer  Gattung  erheischen,  wie  Claudianus,  Aa-^ 
fionius,  Ammianus  Marcellinus,  Symmachus,  TertuUianus  usw.     Für  die 
Latin ität  der  Juristen  bleibt  auch  nach  dem  Manuale  von  Dirksen  noch 
viel  zu  thun,  wie  z.  B.  der  codex  Tbeodosianus  eine  noch  unerschöpfte 
Fandgrubc  der  Latinität  ist.    Auch  die  lexica  mediae  el  mfimae  UUinitaiig 
bedürfen  einer  Durchforschung,  die  noch  manche  Reste  der  Volkssprache 
aus   denselben  ans   Licht  ziehen  wird.     Die  Anordnung   des  Thesaurus 
ist  die   alphabetische;    in  der  Behandlnng  der  einzelnen  Artikel  wurde 
dorn  Kedactcur  eine  möglichst  vollständige  Geschichte  eines  jeden  Wortes 
nach  Form  wie  Begriff  zur  Aufgabe  gestellt.  Zur  Geschichte  eines  Wortes 
sind  einerseits  die  verwandten  Sprachen  heranzuziehen,  wenn  der  gleiche 
Stamm   noch   unverkennbar  zu  Tage   liegt,    andererseits   das   fortleben 
eines  Wortes  durch  Anführung  aller  Umwandlungen,  die  es  in  den  Töch- 
tersprachen  erlitten    hat,    nachzuweisen.     Etymologische    Controversen 
sind  ausgeschlossen.     Die  erklärende  Sprache  des  Thesaurus  ist  die  la- 
teinische ,    aber  die  Hauptbedeutungen  eines  Wortes  sind '  auch   in  der 
deutschen  roitzutheilen.     Das  Onomasticon,  das  alle  in  Autoren  und 
Inschriften  überlieferten  Namen  umfassen  soll,  wird  als  gesonderter  Theil 
des  Thesaurus  erscheinen  und  von   einem  eigenen  Redactcur  bearbeitet 
werden,  wofür  Herr  Dr  Emil  Hübner  in  Aussicht  genommen  ist.     Es 
darf  kein  Repertorium  für    historische   und  antiquarische  Notizen  wer- 
den,   sondern   bat  blos   die   sprachliche   Seite   der   nomina   ins  Auge  zu 
fassen.     Da   ein   so  urhfängliches   Werk    nur  durch   Arbeitstheilung  zn 
Staude   kommen  kann ,  so  lag  es  dem  Comite'  nahe  genng,  an  die  Ent- 
werfung einer   Instruction  für   die   zu   erwartenden  Specialarbciten    zu 
denken.     Eine   solche   wird   mit    einem   einladenden  Circular    bald   ge- 
druckt werden;   sie   ist   so  kurz   als  möglich  gehalten  und  gibt  auszer 
den  unab weislichen  Bestimmungen  über  die  äuszere  Form  der  in  geson- 
derten Blättchen  anzulegenden  einzelnen  Artikel  zumeist  nur  solche  Vor- 
schriften  und  Winke  y   die  sich  nach   verschiedenen  gemachten  Proben 
praktisch   als   zweckmaszig  erwiesen  haben.    Damit  die   äuszere   Form 
möglichst  eingehalten   werde,   sollen  die   Mitarbeiter   auch  Proben  von 
Speciallcxica  oder  Auszügen ,   die  aus  Schriftstellern  verschiedener  Zei- 
ten entnommen  sind,  erhalten.     Noch  berührte  der  Redner  verschiedene 
Einwürfe >  die  man  gegen  die  Ausführung  eines  solchen  Unternehmens 
erheben  könnte.    Zunächst  besprach  er  die  Frage,  ob  das  Unternehmen 
in  Betracht,   dasz   es   für  so   manche  lateinische  Schriftsteller  noch  an 
sicheren  ki'itischen  Texten   fehle ,    nicht  als   ein    verfrühtes  erscheinen 
dürfte.  Dagegen  wurde  bemerkt:  1)  dasz  das  Hauptwerk  für  die  Kennt- 
nis der  ältesten  Prosa ,  die  priscae  latinüatis  monumenia  epigrapMca  von 
Ritschi,    fast  vollendet  und  für  eine  Sammlung  jener  Dichtcrfragraente 
bis  auf  Augustus,  die  in  den  Sammlungen  von  Ribbeck  und  Vahlen  noch 
nicht  vorliegen ,   bereits  Vorsorge  getroffen  sei ;   2)  dasz  die  Vollendung 
des  corpus  inscriptionum  lai'marum  wol   gleichen  Schritt  mit  der  für  die 
Vorarbeiten  des  Thesaurus  berechneten  Zeit  halten  werde  und  dasz  man 
gerade  von  den  Herausgebern    des  Corptis  i,    /.  eine  besondere  Unter- 


598  Berieht  üb.  d.  Verb.  d.  18n  Vers,  deutscher  Philologea  nsw.  in  Witt. 

Btützang  hoffen  dürfe ;  3)  dasz  die  Bearbeitung  oder  Vollendung  mehre- 
rer kritischer  Ausgaben  in  sicherer  Aussicht  stehe.     Was  noch  nicht  in 
Angriff  genommen  sei  müsse  freilich  erst  angeregt  werden,  allein  gerade 
darin  liege  ein  Hauptwerth  des  ganzen  Unternehmens,   dasz   es  mittel- 
bar andere  hervorrufen  werde,  durch  die  empfindliche  Lücken  auf  dem 
Gebiete  der  lateinischen  Litteratur  ausgefüllt  wür4en.    Nur  kurz  wurde 
ein  zweiter  Einwurf  berührt,  ob  das  Werk  nicht  wegen  der  go  eben  er- 
scheinenden neuen  Ausgabe   des   Lexicon  von  Forcellini  für  ein  über- 
flüssiges   zu  halten  sei.     Dieser  Einwurf  sei  von  »Seite  derer  nicht  zu 
besorgen,    die   nur  die    von    groben  Fehlern  strotzende  araUo  gelesen 
hätten,  durch  die  der  neue  Herausgeber  das  Unternehmen  angekündigt 
habe.   Diesem  sei  es  zunächst  darum  zu  thun,  das  vorhandene  Material 
bei  Forcellini,  und  zwar  zumeist  aus  den  Arbeiten  deutscher  Gelehrten 
zu  ergänzen;   das   sei  jedoch  nicht  die  Hauptaufgabe  des  neuen  The- 
saurus, bei  der  es  sich  um  eine  in  lexicalischer  Beziehung  kritische  Ke- 
Vision  der  gelesensten  Autoren  und  um  eine  systematische  nicht  eklek- 
tische Ausbeutung  der  übrigen  handle.     Da   eine  solche  in  dem  neuen 
Forcellini   nicht  versucht   sei,   so  könne  auch  von   einem  Coneurrens- 
untemehmen  nicht  die  Rede  sein.    Als   letzten  Einwurf   erörterte  der 
Redner  die  Frage,  ob  die  dem  Comit^  für  die  Herstellung  'der  Vorarbei- 
ten zur  Verfügung  stehenden  Mittel  wol  zureichend   erschienen.     Da- 
gegen wurde  bemerkt  dasz  diese  zwar  an  sich  nicht  ausreichten,  aber 
wenn  das  Unternehmen  kräftig  unterstützt  werde   allerdings    alB   hin- 
reichend erscheinen , ,  um  eine  Ausführung  zu  versuchen.    Um  die  für 
die  Honorare  von  Specialarbeiten   verfügbare  Summe  nicht  zu   sehr  zu 
zersplittern  werde  das  Comit^  für  die  Herausgabe  solcher  Speciallexica, 
die    dem   buchhändlerischen  Betrieb  einen    lohnenden  Absatz    lieferten, 
Sorge  tragen;    solche   seien    ein   Lexicon    über  Plautus,  Vergilius  und 
Tacitus,  ein  rhetorisches  und  eine  Sammlung  der  lateinischen  Glossare. 
Die  Buchl^ndlung ,    mit    der    man    über  den  Verlag  des  Thesaurus  in 
Unterhandlung  stehe,   werde  auch  diese  Werk^  in  Verlag  nehmen  und 
anständig  honorieren.     Sodann  könne    sehr  viel  durch  die  Programme 
der  deutschen  Gymnasien  geleistet  werden,    wenigstens    für  diejenigen 
Schriftsteller,  von   denen  man    nur  »Auszüge  bedürfe.     Eine    besondere 
Unterstützung  müsse  man  auch  von  Seite  der  philologischen  Seminarien 
erwarten;  durch  sie  könnten  viele  Beiträge  von  jüngeren  Kräften  ver- 
mittelt werden,  die  man  um  so  mehr  hoffen  dürfe,  weil  ein  junger  Mann 
durch  die  Uebernahme  einer  solchen  Arbeit  sehr  viel  neues  lernen  und 
auch   Stoff   zu    anderen    Ausarbeitungen   gewinnen    könne.      Bei    dem 
groszen  Zweck  um  den  es  sich  handle  seien  sicherlich  zahlreiche  Bei- 
träge,   die   nicht  honoriert    zu   werden    brauchten,    zu    erwarten;    das 
schönste  wäre,  wenn  das  Unternehmen  sich  auch  anderweitiger  höherer 
Unterstützung   erfreuen  sollte,    in   der  Art,    dasz  ein   und    die    andere 
Specialarbeit  als  Beitrag  zum  groszen  Werk   von  höherer  Seite  her  ho- 
noriert würde.     Das  bedeutendste,    was  in   dieser  Beziehung  geleistet 
werden  könnte,    wäre   die  Herausgabe  eines  Lexicon  Ciceronianu/H;   ein 
neuer  Nizolius  könnte  aber   ohne  höhere  Unterstützung  nicht  zu  Stande 
kommen.     Der  Redner    schlosz ,    indem    er  allen    Anwesenden    in    der 
Versammlung,    die   im   Stande   seien,   sei   es    durch    Rath    oder  durch 
Aufmunterung   oder  durch    selbstthätige    ßeihülfe,    zur  Förderung   des 
Unternehmens    beizutrugen,     dessen    kräftige     Unterstützung     bestens 
empfahl. 

Nach  Beendigung  des  Vortrages  ■  sprach  der  Vorsitzende  den 
Dank  der  Versammlung  aus  für  die  Regierung,  die  ein  solches  Unter- 
nehmen unterstützt  und  für  die  Männer  die  ihre  Kräfte  demselben 
widmen.  Die  gesamten  Anwesenden  erhoben  sich  zum  Zeichen  ihrer 
Beistimmung. 


Bericht  fib.  d.  Verb.  d.  ISaVers.  deutscher  Philologon  usw.  in  Wien»  599 

Der  Präsident  liesz  sodann  das  Verzeichnis  der  Namen  der  bis 
dahin  eingetroffenen  Mitglieder  vorlesen  und  schlug  dann  der  Versamm- 
lung zum  Vorsitz  in  der  paedagogischen  Section  den  als  Leiter  solcher 
Versammlungen  erprobten  Director  Dr  Eckstein  aus  Halle  vor.  Die- 
ser aber  lehnte,  als  mit  einem  groszen  Theil  der  Anwesenden  nicht  hin- 
länglich bekannt,  den  Vorsitz  ab  und  schlug  seinerseits  dazu  den  Prof. 
Bonitz  vor;  der  Vorschlag  erhielt  die  Beistimmung  der  Versammlung. 

Zweite  Sitzung,  27.  September.  Stellvertreter  des  Präsiden- 
ten: Prof.  Bonitz.  Dir.  Eckstein  als  Keferent  der  in  der  vorigen 
Sitzung  ernannten  Commission  berichtet,  dasz  die  Commission  als  Ver- 
sammlungsort für  das  nächste  Jahr  Braunschweig  glaube  vorschla- 
gen zu  sollen  uud  die  Directoren  Krüger  in  Braunschweig  und  Jeep 
in  Wolfenbüttel  als  Präsidenten  der  Versammlung;  unter  dem  Vorbehalte 
des  Ergebnisses  der  in  dieser  Hinsicht  vom  gegenwärtigen  Präsidium 
zu  führenden  Correspondenz  fand  der  Vorschlag  allgemeine  Billigung. 

Prof.  Dr  G.  Linker  aus  Wien  spricht  ^über  das  prohoemium  von 
Tacitus  Agricola.^  Er  gieng  davon  aus ,  wie  diese  Partie  als  eine  allge- 
mein bekanute  und  interessante  wol  auch  zur  mündlichen  Verhandlung 
geeignet  erscheinen  könne,  um  so  mehr  bei  der  gegenwärtigen  Versamm- 
lung, in  welcher  man  die  zwei  letzten  hochverdienten  Herausgeber  des 
Tacitus  (Halm  und  Haase)  selbst  erblicke.  Kleinere  Schäden  der  ge- 
nannten Stelle  seien  seither  schon  sicher  geheilt  (so  in  cap.  3  durch  die 
Correcturen  rediit  animus;  set  quanquam;  votum  securitatis  res  publica; 
pauci  ut  ita  dixerim);  einer  geringen  Nachhülfe  scheine  auch  noch  cap.  1 
med,  zu  bedürfen,  wo  zu  schreiben  sei  pronwii  magis  magisque  in  aperlo 
nach  dem  Muster  von  Sali.  Jug.  5,  3  quo  ad  cognoscendwn  onrnia  inlustria 
magis  magisque  in  aperto  sint. 

Noch  ungelöst  sei  dagegen  die  Hauptschwierigkeit,  welche  am  Ende 
des  In  Capitels  die  Worte  bieten:  ai  nunc  narraiuro  mihi  vitam  defuncli 
hominis  venia  opus  fuit ,  quam  non  petissem  incusaiurus  tarn  saeva  et  infesta 
virtulibus  tempora»  Legimus  usw.  (so  die  codd.  Vatic),  Weder  nunc  im 
Vergleich  mit  dem  folgenden  nunc  cap.  3  in.,  noch  die  Bedeutung  der 
venia  in  Verbindung  mit  opus  fuit,  noch  endlich  legimus  werde  sich  nach 
der  handschriftlichen  Schreibung  verstehen  und  rechtfertigen  lasse^.  Vor 
einem  jeden  Besserungsversuch  aber  sei  es  unumgänglich  erst  durch 
eine  Betrachtung  des  Zusammenhanges  überhaupt  sich  eine  Ansicht  zu 
bilden  über  den  Gedanken  im  allgemeinen,  welchen  wir  gerade  an  un- 
serer Stelle  zu  erwarten  haben.  Zwei  Fragen  seien  in  dieser  Beziehung 
schon  in  der  manigfachsten  Weise  erörtert  worden:  1)  ob  hier  eine 
venia  publica  principis  oder  eine  venia  privuta  legentiwn  bezeichnet  werde, 
und  2)  ob  diese  venia  unmittelbar  auf  die  Zeit  des  schreibenden  (also 
die  letzte  Zeit  des  Nerva)  oder  auf  die  vorhergehende  Zeit  (des  Domi- 
tian)  sich  beziehe.  Beides  bisher  ohne  rechten  Erfolg  wegen  der  Ver- 
nachlässigung einer  dritten  nicht  minder  notluvendigen  Frage  nach  dem 
Object  dieser  venia :  ob  Tacitus  die^lbe  auf  sich  allein  beziehen  oder 
das  Verhältnis  der  schriftstellerischen  Biographie  zu  seiner  Zeit  über- 
haupt an  unserer  Stelle  bezeichnen  wolle. 

Eben  dieses  letztere  werde  durch  den  Zusammenhang  auf  das  ent-. 
schiedenste  verlangt :  nicht  so  sehr  durch  die  oben  bezeichneten  Worte 
als  durch  das  bisher  nicht  beanstandete  mihi  sei  der  Gedankengang  an 
unserer  Stelle  am  meisten  verdunkelt  worden.  Tacitus  könne  hier  noch 
nicht  von  sich  reden  uud  am  wenigsten  schon  von  dem  speciellen  Plan 
der  beabsichtigten  Biographie, 'während  er  erst  ganz  am  Schlüsse  der 
Vorrede  seiner  persönlichen  Absichten  gedenke;  und  auch  dort  werde 
erst  sein  Plan  historischer  Schriftstellerei  überhaupt  bezeichnet  (die  me- 
moria prioris  servitutis  ac  testimonium  praeseniium  bonorwn),  ehe  der  nächste 
kleine  Zweck  einer  Biographie  des  Agricola  Erwähnung  ünde. 


600  Bericht  üb.  d.  Verb.  d.  18d  Vers,  deutscher  Philologen  usw.  in  WUi. 

Alles  vorhergehende  sei  ganz  allgemeiu  gehalten,  eine  Erörterung 
über  die  Stellung  des  Schriftstellers  (resp.  Biographen)  zu  seinem  Publi- 
cum (d.  h.  in  der  Kalserzeit  zu  dem  princeps).  Auch  in  unserem  ge- 
sunkenen Jahrhundert,  beginne  Tacitus,  treten  mitunter  noch  Schrift- 
steller auf,  welche  den  Vorgang  alter  guter  Sitte  sich  zum  Master 
uehmcu  die  facta  moresque  clarorum  virorum  zu  schildern,  obgleich,  was 
bei  den  Alten  Regel  war,  bei  uns  nur  Ausnahme  \&i{quotiens  —  invidiam). 
Aber  das  Verhältnis  des  Publicunis  hat  sich  geändert.  Unser  Ideal 
in  dieser  Beziehung  ist  die  Zeit  der  Republik :  beatos  quondam  scripioret 
romanosl  *)  (dies  der  Inhalt  des  Abschnittes  sei  apud  priores  —  facÜlme 
gignunlur,  zuerst  richtig  interpungiert  bei  llaase).  In  diametralen  Ge- 
gensatz dazu  stellt  der  Schriftsteller  seine  Zeit  (a/  usw.).  Diese  ist 
wieder  eine  doppelte:  einmal  die  überstaudcno  Schreckensperiode  unter 
Domitian  {at  —  tacere),  sodann  die  letzte  Zeit  unter  Nerva  (nunc  de- 
mum  —  excusaius).  Am  Anfange  des  erstereu  Abschnittes  aber,  welchen 
gerade  die  besprochenen  räthselbaften  Worte  bilden,  können  wir  eben 
nur  einen  allgemeinen  Gedanken  der  Art  erwarten:  ^im  Gegensatze 
EU  der  glücklichen  Freiheit  der  Väter  war  die  jüngstvergangene  Zeit 
unter  Domitian  die  schwierigste  Periode  der  Schriftstellerei' :  allein 
für  diesen  Gedanken  bilden  die  gleich  folgenden  Beispiele  von  der  Ver- 
folgung des  Arulenus  Rusticus  und  des  Herennius  Senecio  die  passen- 
den Belege. 

Ob  es  möglich  sei  aus  der  zerrütteten  Ueberlieferung  unserer  Stelle 
die  ursprüngliche  Hand  des  Tacitus  wirklich  im  einzelnen  noch  herzu- 
stellen,  will  der  vortragende  nicht  behaupten,  aber  nach  der  vorliegen- 
den Schreibung  führe  die  nothwendige  Herstellung  jenes  allgemeinen 
Gedankens  etwa  auf  folgende  Emendation:  ^at  7iuper  narrtUuro  (ohne 
fiuhi)  vitam  defuncii  Jiominis  venia  opus  fuity  quam  non  peüsse  incusabatur,'* 
Nuper  mit  Beziehung  auf  die  Zeit  des  Domitian  habe,  wenn  gleich  aus 
anderen  Gründen,  schon  Niebuhr  vorgeschlagen  (K).  Schriften  I  331); 
man  könne  auch  vergleichen  Juv.  IV  0.  Und  da  die  wii'kliche  Ein- 
richtung einer  Prohibitivcensur  den  Zeiten  des  Alterthums  überhaupt 
fremd  gewesen ,  so  führe  dies  zugleich  auf  die  allein  mögliche  Erklk- 
ruug  von  fuil  :=:  fuUsset.  Das  ganze  sei  eben  als  bittere  Ironie  zu  ver- 
stehen. ^In  der  jüngst  vergangenen  Zeit  wäre  es  eigentlich  erforder- 
lich gewesen ,  selbstN  für  die  Biographie  eines  verstorbenen  erst  die 
verzeihende  Nachsicht  (des  princcps)  einzuholen.  Da  die  bezüglieheii 
Schriftsteller  dies  natürlich  nicht  thatcn,  so  verfielen  sie  der  Anklage. 
Es  wurde  gewissermaszen  damals  die  Uebertretung  eines  gar  nicht  vor- 
handenen Gesetzes  gestraft.'  Incnsahalur  sei  nicht  gerade  unpersönlich 
aufzufassen:  der  damit  verbundene  Infinitiv  bezeichne  eben  den  Anlaas 
der  Anklage  **). 

Die  nächstfolgenden  Worte  ergebeik  sich  somit  natürlich  als  Aus- 
ruf (wie  schon  Wex  gewollt),  entsprechend  dem  vorausgehenden  adeo 
virtiUes  Udem  temporibus  optime  qestimantur  quibus  faciUime  gignuntur. 
Nur  lasse  sich  zweifeln ,  ob  die  Worte  tarn  saeva  ei  infesia  mrtuiibui 
iempora  (mit  Ergänzung  von  erani)  so  für  sich  alleinstehend  hinläng- 
lich gerechtfertigt  seie;.  Dazu  komme  dasz  das  folgende  legimu»  offen- 
bar corrupt  sei  und  sich  nicht  etwa  durch  einen  Hinweis  auf  die  acta 
iUurna  rechtfertigen  lasse,  was  Niebuhr  a.  a.  O.  schon  mit  Rocht  als 
«ine  nur  im  Scherz  mögliche  Erklärung  bezeichnet  habe***).    Vielleicht 

*)  Vgl.  das  Wort  des  Corbulo  bei  Tac.  ann.  XI  20  beatos  quondam 
duces  romanosl  **)  Vgl.  Tac.  ann.  III  30  Trebellienum  incusans  popu^ 
larium  iniurias  inidtas  sinere  und  die  von  Boetticher  lex.  Tac.  S.  269  an- 
geführten Beispiele  von  deferre  m.  d.  inf.  ***)  S.  cap.  2  a.  E.  o  idit  und 
cap.  45  max  nosirae  duxcre  Uelvidium  in  carcerem  manus  usw. 


Berielit  fib.  d.  Verb.  d.  18n  Vers.  deo(8€her  Philologen  usw.  io  Wien  99\ 

sei  hier  eben  zu  schreiben:  ^/am  saeoa  et  infesta  virtutibus  tempora  egi- 
mu8 '  und  am  Anfange  des  nächstfolgenden  Satzes  ein  'wir  alle  wi8«eir*| 
'wir  alle  erinnern  uns'*)  zu  ergänzen.  Mit  einer  nochmaligen  Appel- 
lation an  das  Urteil  der  Versammlung  schlosz  der  Redner. 

Ueber  diesen  Vortrag  entspinnt  sich  eine  längere  Discussion. 

Zunächst  macht  Professor  Haase  aus  Breslau  geltend,  wie  nach 
seiner  Auffassung  das  ganze  prohoemium  nur  als  eine  Apologie  der 
politischen  Biographie  dem  gesunkenen  Interesse  der  Zeitgenossen  de» 
Tacitus  gegenüber  zu  verstehen  sei.  Die  Worte  tm'M  venia  petendo  fuii 
halte  er  für  unverdächtig  und  beziehe  sie  auf  das  Verhältnis  des  Taci- 
tus zu  seinem  Publicum  überhaupt.  Die  Bitte  um  venia  sei  eben  schon 
indirect  im  vorhergehenden  enthalten  und  so  finde  das  Perf.  petenda  fuii 
seine  natürliche  Erklärung.  Dazu  würde  Tacitus  den  besprochenen 
Ausruf  nicht  mit  tarn  sondern  mit  adeo  eingeleitet  haben.  Das  folgende 
lefjbnus  sei  am  einfachsten  mit  Beziehung  auf  die  Protocolle  des  Senats 
aufzufassen.  Der  Verdoppelung  v5n  magis  stimme  er  bei.  —  Director 
Eckstein  aus  Halle  greift  die  sprachliche  Möglichkeit  der  Verbindun- 
gen pclisse  iticusabatur  und  tempora  egimus  an.  Bei  der  Bitte  um  venia 
denke  auch  er  an  eine  Klage  des  Tacitus  über  das  Publicum  sein«r 
Zeit.  —  Prof.  Halm  aus  München  vertheidigt  ebenfalls  die  hsl.  Schrei- 
bunp:,  will  aber  die  Bitte  um  venia  mit  Beziehung  auf  die  Glaubwürdig- 
keit des  Schriftstellers  aufgefaszt  wissen,  —  Schulrath  Stieve  au» 
Breslau  vertheidigt  den  Oejjfensatz  zwischen  narraturus  und  incusattti'ijis^ 
Director  Beneko  aus  Elbing  namentlich  das  doppelte  nunc:  an  der 
ersten  Stelle  erscheine  es  allgemein  =  nostra  memoria  und  erst  an  der 
zweiten  trete  es  in  Beziehung  zu  der  unmittelbaren  Gegenwart  des 
schreibenden.  —  Director  Capellmann  aus  Wien  will  bei  fuii  wieder 
an  eine  frühere  Abfassung  der  Schrift  unter  Domitian  denken.  Auch 
die  Verdoppelung  von  rnagis  im  vorhergehenden  sei  zu  beanstanden,  da 
es  sich  hier  nicht  um  einen  sondern  um  zwei  BegriflTe  handle.  —  Prof, 
Teuf  fei  aus  Tübingen  weist  dieses  Bedenken  zurück.  Nur  im  folgen- 
den halte  auch  er  eine  Aenderung  für  unnöthig.  Nttnc  habe  an  beiden 
Stellen  verschiedene  Bedeutung  wegen  der  verschiedenen  Gegensätze, 
einmal  zu  den  priores,  d.  h.  zu  der  Periode  der  Republik,  sadann  im 
folgenden  zu  der  Zeit  des  Domitian. 

Zum  Schlosse  dankt  Prof.  Linker  den  genannten  Rednern  für  ihre 
vereinten  Bemühungen  die  dunkeln  Worte  der  besprochenen  Stelle  auf- 
zuklaren. Doch  fühle  er  sich  durch  die  eben  vorgetragenen  Gründe 
noch  nicht  veranlaszt  von  seiner  Ansicht  über  die  Corruption  der  Stelle 
abzugehen.  Dasz  Tacitus  etwa  auch  von  einer  Bitte  um  venia  mit  Be- 
ziehung auf  sein  Publicum  im  ganzen  habe  sprechen  konneu,  sei  an 
sich  nicht  unmöglich:  aber  es  sei  erst  noch  zu  erweisen,  dasz  ein  sol- 
cher Gedanke  gerade  an  unserer  Stelle  statthaft  sei,  an  welcher  wir  im 
folgenden  durchaus  nur  von  der  saevitia  principis  hören.  Dazu  wolle 
Tacitus  hier  überhaupt  seine  Zeitgenossen  weit  weniger  anklagen ,  als 
wegen  ihres  gemeinsamen  Geschickes  beklagen.  Dasz  derselbe  bei  den 
Zeiten  der  Republik  nur  an  das  Verhältnis  des  Schriftst^lers  zu  dem 
ganzen  Volk,  bei  der  Erwähnung  der  Kaiserzeit  dagegen  an  das  Ver- 
hältnis zum  princeps  denke,  könne  als  hinlänglich  gerechtfertigt  er^ 
scheinen»  Von  den  sprachlichen  Einwänden  scheine  ihm  nur  die  Be- 
merkung über  tarn  von  Gewicht:  doch  werde  sich  auch  dieses  vor  den 
folgenden  Adjectiven  wol  vertheidigen  lassen.  Oder  solle  man  mit 
Rücksicht  auf  das  vorausgehende  adeo  virtides - gignuntur  etwa  vor  tarn 
eine  Lücke  ansetzen  und  ergänzen:  iia  quam  non  feeunda  magnorum  in.* 
genioruntj   tarn  saeva    et  infesia  virtutibus  tempora?     üebrigens  wie  man 

*)  Vgl.  im  folgenden  memoriam  quoque  ipsam  .  .  perdidissenms  usw. 


602  Bericht  üb.  d.  Verh.  d.  18n  Vers,  deutscher  Philologen  osw.  in  VITiei^ 

auch  über  diese  Worte  denken  mög#,  so  werde  doch  dadurch  die  Nö- 
Üiignng  zur  Ausstoszung  des  vorhergehenden  mihi  nicht  widerlegt  Auch 
habe  keiner  der  aufgetretenen  Redner  das  passende  in  der  Anknüpfung 
der  gleich  folgenden  Beispiele  nachgewiesen,  welche  nothwendig  an  un- 
serer Stelle  einen  allgemeinen  Gedanken  in  der  oben  bezeichneten  Art 
erfordern.  Dazu  sei  eine  förmliche  Bitte  um  venia  hier  um  so  weniger 
zu  erwarten,  da  am  Schlüsse  derselbe  Gedanke  ohnebin  schon  ausge- 
sprochen sei  {aut  excusatus).  Und  noch  imiucr  vermöge  er  nicht  abzu- 
sehen, wie  man  einem  sorgföltigen  Schriftsteller  den  zweifachen  Gebrauch 
von  nunc  in  so  unmittelbarer  Folge  zutrauen  könne.  Der  Bedner  ver- 
wahrt sich  endlich  nochmals  gegen  den  Vorwurf  allzu  groszer  Kühn- 
heit: bei  der  Herstellung  elfter  überhaupt  in  Verwirrung  gerathcnen 
Stelle  könne  es  nicht  darauf  ankommen ,  die  einzelnen  Buchstaben  der 
vorgeschlagenen  Aenderung  nachzuzählen. 

Nach  Beendigung  dieser  Discussion  folgte  noch  der  Vortrag  des 
Prof.  Dr  L.  Lange  aus  Prag  ^über  das  zweite  Stasimon  in  Sophokles'  Kö^ 
tag  Oedipus,^  Derselbe  gieng  von  der  Tbatsacbe  aus,  dasz  nicht  etwa, 
wie  Schneidewiu  gemeint  habe,  ein  absichtliclies  Helldunkel  über 
diesen  Chorgesang  ausgebreitet  sei,  sondern  vielmehr  durch  Corruptelen 
der  Sinn  des  Dichters  an  einigen  Stellen  ganz  und  gar  verdunkelt  sei. 
In  der  ersten  Strophe  berichtigte  er  das  kd^a  der  schlechteren  Hand- 
schriften und  des  Schneidewin-Nauck' sehen  Textes  in  den  Dativ  la^^r, 
auf  den  die  Corruptel  des  Cod.  Laur.  A,  Xccd'Qai  unverkennbar  hinweist. 
Liest  man  lof^cr,  so  wird  nicht  allein  der  menschliche  Ursprung  der 
vofioi  viplnodsg  geleugnet,  sondern  zugleich  die  menschliche  Ohnmacht 
gegenüber  denselben  stark  betont,  da  nun  gesagt  wird  dasz  die  sterb- 
liche Menschennatur  jene  Gesetze  nicht  in  Vergessenheit  versenken 
kann.  Auszerdem  erklärte  sich  L,  gegen  die  attributive  Verbindung 
von  fuiyag  und  d'eog  im  Sinne  von  numen  divinitm  und  schlug  vor  p^iyag 
praedicativ  zu  d£o'$  zu  construieren,  so  dasz  die  Macht  des  Gottes  gegen- 
über der  Ohnmacht  der  Menschen  durch  zwei  Praedieate,  ein  positives- 
p>tyciQ  und  ein  negatives  ovdh  yrjqda'Keij  nachdrücklich  hervorgehoben 
werde. 

In  der  Antistrophe  stellte  er  rücksichtlich  der  Anfangsworte  vßQig 
ffVTSvsi  xvqavvov  die  Behauptung  auf,  dasz  der  Dichter  im  Gegensatz 
gegen  die  vom  Chore  begehrte  iva^nxog  dyvs^a  die  vßqig  mit  ihren 
Folgen  schildern  wolle  und  durch  den  Ausdruck  tv^awov  zunächst  nur 
den  Uebertreter  und  Verächter  der  Gesetze  bezeichne;  dasz  aber  So- 
phokles gerade  den  Ausdruck  zvqavvov  absichtlich  wähle,  damit,  wenn 
auch  der  Chor  dabei  nur  an  lokaste  denke,  die  Zuhörer,  welche  weiter 
sähen  als  der  Chor  und  durch  die  Scenc  zwischen  Oedipus  und  Tiresias 
bereits  über  die  Schuld  des  Oedipus  aufgeklärt  seien,  die  Anwendbarkeit 
dieses  Satzes  vßq^g  tpvzBvsi  zvqavvov  auch  auf  Oedipus  wahrnehmen 
sollten.  Weiter  entwickelte  er  dasz,  wenn  zvquvvog  mit  Absicht  ge- 
wählt sei,  auch  im  folgenden  vom  zvQctvvog  die  Rede  sein  müsse,  und 
schlug  zu  dem  Knde  vor  das  Komma  hinter  dem  nach  Art  einer  Ana- 
phora voranffostellten^vjS^&ff  zu  streichen  und  für  das  apostrophierte 
slcavaßäa'  (das  auf  vßqig  bezogen  wird)  itaavaßdg  (vom  zvQccvvog  zu 
verstehen)  zu  schreiben,  eine  Aenderung,  die  durch  die  handschriftliche 
Tradition  und  namentlich  durch  die  Scholieu  bestätigt  wird.  Die  me- 
trischen Mängel  der  beiden  Verse  dnQOzdzav  sCaavaßdg  \  dnozoiiov 
nQOvaiv  Big  dvdynav  beseitigte  er  dadurch,  dasz  er  mit  Erfurdt  a%q6'- 
xaxov,  mit  Nauck  anozfiov  vorschlug,  die  Lücke  vor  letzterem  Worte 
aber  nicht  durch  alnog  (Arndt)  oder  änqav  (Nauck),  sondern  durch 
dx^dg  ergänzte.  Hierbei  zeigte  er  dasz  dTigozazov  d%[tdg  der  ange- 
messenste Ausdruck  für  eine  schwindelnde  Höhe  sei,  die  man  nur  er- 
reiche, um  sofort  wieder  hinabzustürzen,  und  dasz  der  ganze  Satz  vom 


Bericht  ab.  d.  Verh.  d.  18n  Vers,  deiif  scher  Philologen  oswriii  Wieii.  603 

Sturze  des  Tyrannen  nicht  blos  im  Sinne  des  Chores  anf  lokaste,  son- 
dern auch  im  Sinne  des  Dichters  und  der  Zuschauer  auf  Oedipns  passe. 
Er  benutzte  dabei  den  späteren  nach  dem  Sturze  des  Oedipus  vom  Chore  ^ 
vorgetragenen  Gesang  v.  1186,  der  eben  jenen  Gedanken,,  den  der  Chor 
früher  als  allgemeine  Sentenz  mit  Hinblick  auf  lokaste  ausgesprochen 
hatte,  auf  Oedipus  selbst  anwendet.  In  der  darauf  folgenden  Bitte  des 
Chores  erklärte  der  vortragend^  das  Wort  ndlcciaficc,  das  noch  keine 
befriedigende  Erkläi*ung  gefunden  habe,  für  corrupt  und  schlug  vor 
dafür  vöfiiofia  zu  schreiben,  so  dasz  der  Chor  im  Gegensatz  gegen  die 
vßgig  und  den  von  ihr  erzeugten  xvQavvog  um  die  Aufrechterhaltung  der 
vofioi  vtJf^noSsg  bitten  wüi'de,  die  er  in  der  Strophe  gewünscht  hatte 
stets  beobachten  zu  können. 

Die  Interpretation  des  zweiten  Strophenpaares  konnte  L.  nicht  aus- 
führlich entwickeln.  Er  rouste  sich  begnügen,  die  Textesveränderungen 
und  die  neuen  Erklärungsweisen  kurz  anzudeuten.  Die  Gedanken  des 
zweiten  Strophenpaares  schlieszen  sich  eng  an  den  Schlusz  des  ersten 
an.  Wie  dort  der  Chor  um  Aufrechterhaltung  der  Gesetze  bittet,  so 
bittet  er  hier  um  Bestrafung  des  Uebertreters  der  Gesetze,  d.  h.  also 
gleichfalls  um  Wahrung  des  Ansehens  der  Gesetze.  Dieser  Gedanke  ist 
in  Form  einer  Verwünschung  ausgesprochen,  die  mit  dem  Worte  jjitdaff  * 
endigt,  hinter  welchem  ein  Punkt  zu  setzen  ist.  Der  dann  folgende 
dreigliederige  Satz  mit  sl  ist  nicht  etwa  eine  zweite  Protasis  zu  der 
Verwünschung  wie  ihn  die  Herausgeber  auffassen,  sondern  der  Vorder- 
satz zu  der  Frage  rtg  iti  not'  usw.  Aus  dem  Umstände,  das2  un- 
mittelbar vorher  der  Gesetzesübertretcr  verwünscht  ist  und  dasz  die  den 
Nachsatz  bildende  Frage  auf  jeden  Fall  eine  Aeuszerung  des  Unwillens 
enthält,  ist  zu  schlieszen  dasz  der  Gedanke  jener  dreigliederigen  Prota- 
sis der  sei:  'wenn  er  (der  Gesetzesübertreter)  nicht  bestraft  wird.'  Die- 
sen Gedanken  bietet  das  erste  Glied  augenscheinlich,  sobald  man  es  mit 
Triclinius  ironisch  faszt :  '  wenn  er  nicht  seinen  gebürenden  Lohn  nach 
Hecht  erhält' ;  das  zweite  Glied  bietet  ihn  eben  so  deutlich,  sobald  man 
^Q^stai  passiv  auffaszt:  'und  wenn  er  nicht  von  unfrommen  Handlungen 
abgehalten  werden  wird'  (natürlich  durch  Strafe) ;  das  dritte  Glied  bietet 
ihn  gleichfalls,  nur  darf  man  (lara^ojv  nicht  durch  impie  sondern  dureh 
frustra  erklären  (ftara«/):  'oder  wenn  er  nicht  das  unantastbare  um- 
sonst antasten  wird',  d.  i.  'oder  wenn  er  nicht  bei  der  Antastung  des 
unantastbaren  scheitern  wird.'  Die  den  Nachsatz  bildende  Frage  ist 
corrupt,  da  ^Q^srai  erweislich  Glossem  ist  und  nach  Beseitigung  des« 
selben  ein  Verbum  finitum  fehlt,  welches  in  dem  gleichfalls  verdächtigen 
^v(i(S  gesucht  werden  musz.  Welches  Verbum  finitum  darin  stecke  er- 
gibt der  Sinn  der  jene  Frage  erläuternden  Frage:  ft  ya(f  at  roiaidi 
TCQcc^fig  Tifiiaiy  rC  Set  (is  xoQSvstv;  denn  da  der  Vordersatz  in  positiver 
Form  den  Gedanken  des  früheren  dreigliederigen  Vordersatzes  wieder- 
holt, so  musz  auch  der  Nachslatz  eine  Variation  des  früheren  Nach- 
satzes sein.  Durch  x^Qfvsiv  wird  man  aber  auf  den  Begriff  des  Opfers 
geführt,  das  mit  dem  Chorreigen  verbunden  war,  und  so  wird  der  Ge- 
dHnke  sein  müssen:  'wenn  der  Frevler  nicht  bestraft  wird*,  wer  wird 
dann  noch  opfern?'  Dafür  spricht  auch  der  Gedankengang  der  zweiten' 
Antistrophe,  die  Schluszbitte  daselbst  und  die  Motivierung  derselben. 
Demnach  sei  zu  schreiben:  rCg  hi  not'  iv  zotad-  aviiq  \  d^cti  ßeli^ 
ipvxag  aftvveiv;  'wer  wird  noch  unter  solchen  Umständen  opfern,  die 
göttliche  Strafe  von  seinem  Leben  abzuwehren?'  BiXri  ist  der  geeignete 
Ausdruck  für  göttliche  Strafe,  insofern  darunter  nach  dem  Sprachge- 
brauche der  Tragiker,  insbesondere  auch  des  Sophokles,  die  strafenden 
Blitze  des  Zeus  zu  verstehen  sind.  Der  Gedankengang  der^  zweiten 
Strophe  ist  also  folgender :  '  wenn  jemand  frevelt  gegen  die  v6(ioi  vipi- 
nodsg,  so  ergreife  ihn  das  Verhängnis.    (Denn)  wenn  er  nicht  bestraft 


604  Bericht  fib.  d.  Verh.  d.  18n  Vors.  deutsclier  Philologen  aiw.  in  Wie«. 

wird,  wer  wird  dann  noch,  um  die  Strafe  von  sieh  abznwehrcn,  den 
Gfötlefn  opfern?  Denn  wenn  nolclie  Frevel  geehrt  sind,  wozu  soll  ich 
(der  Chor)  Chorreigen  tanzen?' 

Wie  nun  durch  diese  beiden  unwilligen  Fragen  der  Verfall  der  Opfer 
und  der  damit  verbundenen  Festlichkeiten  im  Falle  der  Niehtbegtrafnng 
des  Frevlers  (und  der  damit  eintretenden  Lockerung  des  Ansehens  der 
voiioi  vilfiTtodsg)  in  Aussicht  gestellt  wird ,  so  stellt  der  Chor  in  der 
eweiten  Antistrophe  den  Verfall  der  Mantik,  der  anderen  Seite  des 
Wechsel  Verhältnisses  zwischen  Göttern  und  Menschen,  das  auf  Opfern 
von  Seiten  der  Menschen  und  auf  Offenbarung  von  Seiten  der  Götter 
beruht,  in  Aussicht.  Demnach  musz  auch  die  Protasis  (t  firj  zddt  %h- 
QodfiTtva  I  Ttaoiv  agfioasi  ßQoroCg  den  Sinn  haben,  'wenn  diese  Frevel 
nicht  bestraft  werden.'  Diesen  Sinn  hat  die  Protasis  wirklich ,  sobald 
man  ;i;f&^odftxra  praedicativ  zu  ocguoaei  versteht  im  Sinne  von:  'als  mit 
Fingern  gewiesene  Beispiele'  (natürlich  göttlicher  Strafe).  Eine  Be- 
richtigung verdient  auszerdem  noch  die  Motivierung  der  Schluszbitte: 
ip^Lvovxa  yäg  Acctov  ^eacpoct*  i^aigovaiv  jjdrj.  Denn  diese  Worte  ent- 
flprechen  weder  mit  ncclatd,  das  übrigens  als  Glossem  zu  beseitigen  ist, 
noch  ohne  dasselbe  dem  Metrum  der  Strophe  in  der  vom  vortragenden 
festgestellten  Form:  rig  m  not'  iv  xotad'  dvvjQ  |  ^vofi  ßslrj  "iffvx^^ 
^fivvs.y.  Die  in  der  Antistrophe  fehlende  Silbe  vor  &eü(para  glaubte 
derselbe  nicht  sowol  durch  den  Artikel  rd  als  vielmehr  durch  die  Ne- 
gation ov  ergänzen  zu  sollen,  welche  wegen  der  Schluszsilbe  von  Aatov 
leicht  ausfallen  konnte.  Natürlich  ist,  wenn  man  ov  einschiebt,  der  mit 
yuQ  eingeleitete  Satz  als  eine  unwillige  Frage  aufzufassen  und  demge- 
mäsz  hinter  •qdri  ein  Fragezeichen  zu  setzen. 

Es  war  dem  Uedner  nicht  möfiflich  anzuführen,  wie  die  Frage :  'wer 
wird  noch  opfern?'  ferner  die  Drohung:  'ich  werde  nicht  mehr  die 
Orakel  ehren',  endlich  die  Motivierung  der  Schluszbitte:  'warum  mis- 
»chtet  man  nicht  bereits  die  Laischen  Orakel?'  cinerpeits  vollkommen 
passend  und  dem  Gange  der  Tragoedie  angemessen  im  Sinne  des  Chores 
«nf  lokaste  passen,  anderseits  eben  so  gut  auch  auf  Oedipus  anwendbar 
seien,  der,  wie  aufmerksame  Zuschauer  wol  wissen  konnten,  sowol  Opfer 
als  Orakel  vernachlässigt  und  nicht  mit  der  geburendcn  Achtung  be- 
liandelt  hatte. 

Die  Discussion  fand  am  folgenden  Tag  statt.  Dr  Schmalfeld 
erklärte  dnsz  er  vipiTtodt-g ,  dessen  Dichtigkeit  L.  vorausgcsetst  habe, 
für  falsch  halte  des  Metrums  wegen,  dasz  er  den  mit  Bezug  auf  vßgtg 
in  V.  874  gebrauchten  Ausdruck  Anaphora  nicht  recht  verstehe,  dasz  er 
den  Sinn  einer  gefahrvollen  Ilölie,  den  L.  durch  dyiQOzcczov  da^dg  aus* 
zudrücken  suche,  darin  nicht  finde,  sondern  lieber  alnotdxav  dngav  lesen 
wolle,  und  dasz  er  nicht  sicher  sei ,  ob  die  Scholien  die  vorgeschlagene 
Lesart  slaavtxßdg  wirklich  bestätigen.  —  Reg.-Rath  Firnhaber  erkannte 
die  eonservative  Kritik  an,  die  L.  in  Bezug  auf  die  erste  Strophe  geübt 
habe,  billigte  namentlich  das  vorgeschlagene  Xdd'oc^  konnte  sich  jedoch 
mit  dem  Heere  von  Conjecturen  nicht  befreunden,  zu  denen  die  Anti- 
strophe Veranlassung  gegeben  habe.  Er  meinte  femer  mit  Kücksicht 
auf  die  von  L.  angenommene  Zweideutigkeit  der  Worte  des  Chores  auf 
lokasto  einerseits  und  auf  Oedipus  andererseits,  dasz  man  von  der 
Orandidee  der  Tragoedie  und  des  Chorgesanges  ausgehen  müsse  and 
dasz  es  ihm  nicht  gewagt  dünke  anzunehmen,  dasz  der  Chor  die  Worte 
wissentlich  mit  Bezug  auf  Oedipus  gebrauche,  nicht  unwissentlich  wie 
L.  angenommen  habe.  —  Prof.  Ilaase  gieng  von  dem  Gedanken  aus, 
dasB  unser  Chorgesang  ein  wichtiges  Document  sei  für  den  Zusammen- 
hang des  bürgerlichen  mit  dem  religiösen  Leben,  des  mensclilichen  mit 
dem  göttlichen  Kechte,  dasz  daher  die  Annahme  einer  politischen  Ten- 
denz  unseres  Chorgesanges  und  einer  Besiehnng   desselben   auf  SSeit- 


Benoblüb.d.  Verb.d.  ISnVers.  deulsciier Philologen  dsw.tnWMi.  603 

ereignisse  sehr  nahe  lie<^e.  Schneidewin  habe  solche  politische  Angpie- 
langen,  die  man  allerdings  nicht  überall  suchen  dürfe,  nur  deshalb  ver- 
worfen, weil  er  politische  Tendenzen  und  Anspielungen  in  -der  Tragoedie 
für  iinpoetisch  gehalten  habe.  Nun  könne  der  Chor  offenbar  nicht  wis> 
sentlich  den  Oedipns  meinen,  weil  er  diesen  noch  später  für  unschuldig 
halte;  auch  könne  Sophokles  nicht  eine  solche  Zweideutigkeit  eintreten 
lassen,  wie  L.  angenommen  habe;  also  halte  er  noch  immer  die  Ansicht 
Musgrave^s  fest,  dasz  der  Chorgesang  mit  Beziehung  auf  das  übermütige 
frevelhafte  Betragen  des  Alcibiades  gedichtet  worden  sei.  Namentlich 
weisen  darauf  hin  die  Ausdrücke  rvgavvog,  diürjg  «(poßrjxog,  das  vom 
bürgerlichen  Rechte  zu  verstehen  sei  wegen  dccifiovcov  ^^rj  csßcav^  das 
im  G^egensatze  dazu  auf  das  göttliche  Recht  hinweise,  ferner  z^^a,  so- 
dann die  Ausdrücke  iv  toiadf,  «f  zoiaids  ngd^fig,  rdSs  j^Fipddfiitr«,  die 
Buf  etwas  vor  den  Augen  der  Athener  vorgefallenes  zu  beziehen  am 
nächsten  liege;  endlich  sei  auch  itdlaiaiicc  Xveai  in  diesem  Zusammen- 
hange unverdächtig,  da  es  der  technische  Ausdruck  für  das  auseinander- 
bringen zweier  Ringer  sei,  und  der  Chor  eben  darum  bitte,  der  Gott 
mogo  das  dem  Staate  heilsame  ringen  der  sich  im  Staate  gegenüber- 
stehenden Parteien  nicht  auflieben.  Besonders  klar  werde  die  Beziehung 
des  Chorgesangos  auf  Alcibiades,  wenn  man  die  Schilderungen  des  An- 
docides,  Thucydides  und  Plutarch  von  dem  gewaltigen  ringen  des  Staa- 
tes IcHc ,  in  welches  derselbe  durch  Alcibiades  versetzt  sei.  Uebrigens 
verstehe  es  sich  von  selbst  dasz  man,  wenn  der  Chorgesang  auf  Alcibia- 
des zu  beziehen  sei,  annehmen  mü^se,  Sophokles  selbst  oder  ein  an- 
derer habe  ihn  für  eine  zweite  Aufführung  des  Oedipus  Tyrannos  in 
der  Zeit  des  Alcibiades  gedichtet  und  an  die  Stelle  des  bei  der  ersten 
Aufführung  dort  gesungenen  für  uns  verlorenen  Liedes  gesetzt.  — 
Prof.  Bonitz  machte  geltend  dasz  die  Deutung,  die  L.  dem  Worte 
TVQccvvog  gebe,  diejenigen  Bedenken  nicht  beseitige,  die  er  früher  gegen 
Schneidewins  Auffassung  dieses  Wortes  geäuszert  habe,  indem  auch  L. 
eine  Zweideutigkeit  bei  diesem  Worte  bestehen  lasse.  Auszerdem  glaube 
er  nicht  dasz  (i€Y<xg  praedicativ  gefaszt  werden  könne,  weil  bei  aller 
Freiheit  der  tragischen  Dichter  im  Gebrauch  und  Nichtgebrauch  des 
Artikels  es  schwerlich  statthaft  sei  iv  rovxoig  &s6g  für  6  iv  Tovvotq 
^sog  zd  sagen. 

Prof.  Lange  vertheidigte  den  Vers  vipinoSsg  ovQVLviccv  durch  Hin- 
weisung auf  ganz  ähnliche  bei  Euripides  vorkommetide  Verse  und  klärte 
das  Misverständnis  in  Bezug  auf  den  von  vßgig  gebrauchten  Ausdruck 
Anaphora  dadurch  auf,  dasz  er  darauf  hinwies,  wie  er  nicht  gesagt 
habe  vßgig  sei  eine  Anaphora,  sondern  nur,  es  sei  na'ch  Art  einer  Ana- 
phora vorangestellt.  Genauer  gesprochen  verhalte  es  sich  mit  der  Wie- 
derholung von  vßgig  ebenso  wie  mit  der  von  ^hov  in  der  Schluszzeile 
derselben  Antistrophe.  Gegen  den  von  Regiefungsrath  Firnhaber  in 
Betreff  der  Textesconstitution  der  ersten  Antistrophe  gebrauchten  Aus- 
druck *Heer  von  Conjecturen'  müsse  er  protestieren,  da  er,  abgesehen 
von  der  Ergänzung  der  Lücke,  nur  einen  Buchstaben  {(OfKg&totxov  für 
dyLQOzaTciv)  geändert  habe.  Die  Ergänzung  einer  Lücke  sei  immer  mis- 
lich ,  er  habe  in  dieser  Beziehung  vor  allem  auf  die  Uneulänglichkeit 
von  ccinog  und  aitgav  aufmerksam  machen  wollen  und  halte  auch  jetst 
noch  daran  fest,  d&sr.  der  Begi'iff  dufid  dem  Gedankenzusammenhange 
angemessener  sei.  Er  brachte  dafür  einen  (von  Plutarch  erwähnten) 
Ansspruch  des  Hippokrates  bei,  in  dem  gesagt  werde  dasz  td  eoifiavcc 
TCQOfXd'ovrce  fisXQ''  ''^VS  ^^9^9  d^ifi-qg  ov%  ierrjnfv  dlXtc  fhtsi  %ai  tot* 
XccvrB-vetai  ngog  xovvavtlov  (Plut.  qu.  symp.  6,7,  5).  Natürlich  sei 
(YX^f/  ein  relativer  Begriff,  und  wie  er  in  dem  Ausdrucke  des  Hippo* 
krates  den  höchsten  Grad  körperlicher  Blüte  oder  Reife  bezeichne,  so 
t)ezeichne  er   an  unserer  Stelle  den  höchsten  Grad  dessen  wovon  ■  die 


606  Bericht  Ob.  d.  Verb.  d.  ]8n  Vers,  deatschcr  Philologen  usw.  in  Wien. 

Rede  set,  nemlich  der  rvgavv^g,  stets   aber  bezeichne  es  den  hSchtten 
Grad  mit  dem  Nebenbegriife  der  Qefalir  des  Umschwnnges  zum  schlech- 
teren.    Damit  sei  auch  zugleich  das  Bedenken  Schmal felds  erledigt, 
welcher  den  Begriff  ocTtfirj  nicht  für  ausreichend  gehalten  habe ,  sondern 
den  Begriff   des  gefahrvollen   durch    das   Adjectivnm    ainotäxTiv  habe 
hineinbringen   wollen,   eine   Conjcctur,   die  im   Vergleich    mit  den  von 
ihm  selbst  vorgeschlagenen  Aend^rnngen  viel  zu  kühn  sei.   Der  Einwurf 
von  Prof.  Bonitz,  dasz  man  nicht  sagen  könne  iv  tovroig  d'sog  für  6 
iv  tovtoig  dsog,  besnhe  auf  einem  Misverständnis ,  denn  er  habe  nicht 
behauptet    dasz  iv  romoig   ^eog,  sondern  nur  dasz  ^tog  Subject  sei; 
iv  zovTOig   gehöre  zu  fiiyocg,  ähnlich  wie   an  der  Stelle    des  Oedipos 
Tyrannos  (v.  651),    wo    es    von  Kreon    heisze    vvv  r'  iv  Sonoi  i^iytev 
xarcr^deffat,  was  den  Ausdruck  voraussetze  Kgicav  iv  ognm  fkfyag  icxCv, 
Der  andere  Einwurf  von  Prof.  Bonitz,  die  Doppelsinnigkeit  des  Aus- 
druckes xvqavvog  betreffend,  führe  ihn  zur  Bestreitung  der  gegnerischen 
Auffassungen  der  Tendenz   des  Gegensatzes  im  ganzen.    Viele«  würde 
in  dieser  Hinsicht  den  Opponenten  klarer  geworden  sein,   wenn  sie  die 
Ausführung  der  Interpretation  des  zweiten  Strophenpaares  gehört  hütten. 
Da  die  Zeit  nicht  erlaube   dieselbe  nachträglich  mitzutheUen,  so  wolle 
er    nur  bemerklich   machen,    dasz  die  von  ihm   angenommene  Doppel- 
sinnigkeit des  Wortes   z-ügawog  sehr  weit  verschieden  sei  von  der  Un- 
klarheit, in  welcher  Schneidewin  das  Wort  xvgavvog  gelassen  habe  nnd 
die  von  Prof.  Bonitz  allerdings  mit  Recht  gerügt  worden  sei.     To^oir. 
vog  sei   eben   eift    an   sich   zweifacher  Auffassung  fähiges  Wort,   werde 
von  Oedipus  selbst  in  dieser  Tragoedie  sowol  im  guten  als  im  schlech- 
ten Sinne  gebraucht,   sei  hier  aber  entschieden  im  schlechten  Sinne  ge- 
braucht  und  lasse   daher   an    sich  betrachtet  sowol  den   Gedanken   an 
lokaste  wie  an  Oedipus  zu.     Im  übrigen  glaube  er,   die  Annahme  einer 
durchgängigen  Doppelsinnigkeit  des  Chorgesanges  in  der  Art,  dass  der 
Chor  bei  seinen  Worten  nur  an  lokaste  denke,  während  die  Worte  anch 
auf  Oedipus  passeo,   würde  weniger   auffällig  erscheinen,   wenn  er  sie 
auch   in  dem  zweiten  Strophenpaar  näher  hätte  verdeutlichen   können. 
Jedenfalls  halte  diese  Ansicht  die  Mitte  zwischen  der  Firnhabers  and 
ITaases.     Mit  F im h aber  anzunehmen,  dasz  der  Chor  selbst  wissent- 
lich den  Oedipus  meine,   sei  unmöglich,  weil  der  Chor  noch  später  an 
die  Unschuld  des  Oedipus  glaube.     Mit  Haase  aber  anzunehmen,  dasz 
die  Worte  weder  auf  lokaste  noch  auf  Oedipns,  sondern  anf  Alcibiades 
gehen,  sei  ein  verzweifelter  Ausweg,    den    man  nur  dann  einschlagen 
dürfe,    wenn  es   sich   als  völlig  unm<)glicli  erweise  den  Chorgesang  ans 
dem  Zusammenhange  der  Tragoedie  heraus  zn  interpretieren.    Die  Mei- 
nung,  dasz  Sophokles  unter   den   voaoi  vip^nodfg  die  bürgerlichen  Ge- 
setze verstehe  und  dasz  diese  mit  dem  göttlichen  Rechte  identisch  seien,' 
sei  unbegründet,    da  Sophokles    auch    sonst    zwischen    göttlichem  nnd 
menschlichem  Rechte  unterscheide  und  die  einzelnen  Ausdrücke  wie  die 
Idee  der  Tragoedie  dafür  spreche,  dasz  hier  nur  von  den  vofioi  Sygmtpoty 
den  göttlichen  ewigen  Sittengesetzen,  die  Rede  sei.     Es  werde  dies  na- 
mentlich durch  den  Anfang  und  den  Schlusz  des  Chorgesanges  bestätigt, 
die  entschieden  sich   auf  Religion  und  göttliches  Recht  nnd   nicht  anf 
menschliche  Satzungen  bezichen.     Sei  es  nun  hiernach  von  vom  herein 
nicht  wahrscheinlich ,  den  Chorgesang  auf  Alcibiades  als  den  Störer  der 
Staatsrcgiemng  zn  deuten,  so  müsse  diese  Ansicht  um  so  mehr  zurück- 
gewiesen werden,  da   sich  schwerlich  alle  Einzelnheiten   des  Gesanges 
unter  dem  Gesichtspunkte  der  Anspielung  auf  Alcibiades  deuten  Hessen, 
während  gerade  diejenigen  Einzelheiten,   die  Haase  für  seine  Ansicht 
geltend  mache,  mindestens  eben  so  gut  auf  lokaste,  beziehungsweise  auf 
Oedipus  anwendbar  seien.     Endlich  sei  es   doch  willkürlich  eine  Inter- 
pretation, die  9U  der  weiteren  Annahme  einer  zweiten  Aufführung» des 


Bericht  fib.  d.  Verh.  d.  18n  Vers,  deutscher  Philologen  osw.  in  Wien.  607 

Stückes  mit  theilweise  verändertem  Texte  führe  —  wovon  anderwärts 
auch  nicht  das  mindeste  bekannt  sei  — ,  einer  Interpretation  vorzu- 
ziehen, die  darauf  ausgehe  den  Chorgesang  aus  dem  Zusammenhange 
der  ganzen  Tragoedie  zu  erklären  und  in  ihm  die  Kunst  des  die  tra-. 
gische  Wirkung  berechnenden  Dichters  nachzuweisen.  Er  halte  also 
auch  dieser  Ansicht  gegenüber  an  seiner  Auffassung  fest;  er  habe  vor- 
nehmlich zeigen  wollen,  wie  die  Exegese  sich  freihalten  müsse  von 
dem  Glauben  an  die  Auctorität  der  überlieferten  mitunter  unbewie- 
senen Auffassungen ,  wie  aber  anderseits  auch  die  Kj'itik  sich  binden 
müsse  an  eine  das  ganze  wie  das  einzelne  im  Zusammenhange  er- 
wägende Interpretation.  Er  hoffe  dasz  durch  seinen  Vortrag,  sowie 
durch  die  über  denselben  entstandene  Discussion  die  Berechtigung  und 
der  Nutzen  eines  solchen  exegetisch -kritischen  Verfahrens  klar  gewor- 
den sein  werde. 

Die  dritte  Sitzung,  28.  September  (Präsident:  Prof.  Dr  P. 
Miklosich),  ward  durch  einen  Vortrag  des  Professor  Dr  K.  Schenkl 
aus  Innsbruck  eröffnet,  welcher  in  lateinischer  Sprache  die  oft  ange- 
regte Frage  behandelte,  ob  der  letzte  Kömer  Boethius  ein  Christ 
oder  Heide  gewesen  sei.  Nachdem  er  darauf  hingewiesen,  wie  das 
ganze  Mittelalter  einstimmig  den  B.  für  einen  Christen  und  einen  Ver- 
theidiger  des  kathol.  Glaubens  gehalten,  begann  der  Redner  seine  Er- 
örterung mit  der  Bemerkung,  dasz  die  gewöhnlich  dem  B.  zugeschrie- 
benen theologischen  Schriften  nicht  als  ein  Beweis  für  das  Christen- 
thum  desselben  dienen  könnten.  Denn  wenn  man  bedenke,  dasz  die 
Ueberschriften  dieser  Bücher  selbst  in  den  wenigen  Handschriften,  die 
man  bisher  verglichen,  nicht  genau  übereinstimmen,  dasz  sich  laut  den 
Katalogen  einzelner  Bibliotheken  noch  mehrere  bisher  unedierte  thcol. 
Schriften  imtcr  dem  Namen  des  B.  vorfinden,  dasz  sich  so  manches  in 
diesen  Schriften  enthaltene  schwerlich  auf  B.  beziehen  läszt,  dasz  diese 
Bücher  nirgends  von  den  Zeitgenossen  erwähnt  werden,  dasz  endlich 
der  Stil  dieser  Bücher  nicht  mit  dem  der  echten  Werke  übereinstimmt, 
so  müsse  man  billig  zweifeln,  ob  diese  Schriften  wirklich  dem  B.  an- 
gehören, wenn  gleich  nicht  geleugnet  werden  soll,  dasz  sie  in  seine  Zeit 
zu  setzen  seien.  Dagegen  stehe. das  Christenthnm  des  B.  durch  andere 
sichere  Beweise  wol  auszer  allem  Zweifel.  Das  sicherste  Zeugnis  sei 
das  des  Ennodias,  Bischofs  von  Pftvia,  welcher  in  seiner  Schrift  Parat' 
nesis  didascalica  da,  wo  er  den  christlichen  Jünglingen  diejenigen  Män- 
ner jy erführt ,  welche  ihnen  als  Vorbilder  im  wissenschaftlichen  Streben 
und  christlichen  Leben  dienen  können ,  unter  vielen  anderen ,  die  sich 
als  treue  Söhne  der  Kirche  bewiesen,  auch  den  B.  nennt.  Wenn  man 
ferner  die  Briefe  betrachte,  welche  Ennodius  und  Cassiodorns  an  B. 
geschrieben,  so  könne  man  ihrem  Inhalte  und  ihrem  Tone  nach  gewis 
nicht  annehmen,  dasz  sie  an  einen  Heiden  geschrieben  seien.  Dazu 
komme  dasz  B.  der  Familie  der  Anicier  angehörte,  welche  sich  schon 
durch  eine  lange  Keihe  von  Jahren  als  treue  Anhänger  des  Christen- 
thums  bewiesen,  dasz  der  Vater  des  B.  sowie  er  selbst  und  seine  Söhne 
die  höchsten  Würden  im  Staate  bekleidet,  zu  einer  Zeit  wo  kein  Heide 
mehr  dergleichen  Stellen  erlangt  hat  und  die  Formeln,  durch  welche 
den  Magistraten  die  Würden  ertheilt  wurden,  durchaus  ein  christliches 
Gepräge  trugen,  dasz  endlich  B.  der  Schwiegersohn  des  Sjmmachus  war, 
dessen  christliches  Bekenntnis  über  allen  Zweifel  erhaben  sei,  wie  denn 
auch  damals  Ehen  zwischen  Heiden  und  Christen  durch  Kirchen-  und 
Staatsgesetze  verboten  waren.  Sodann  bespricht  der  Redner  in  längerer 
Auseinandersetzung  denjenigen  Punkt,  der  hier  die  grösten  Schwierig- 
keiten bereitet,  nemlich  das  Werk  de  consolatione  philosophiae^  welches 
B.  kurz  vor  seinem  Tode  geschrieben  und  das,  wie  jetzt  wol  allgemein 
anerkannt  ist,  nicht  die  Grundsätze  einer  christlichen  Philosophie,  son- 

iV.  Jahrb.  f.  Phil.  u.  Paed.  Vd  LXXVIII.  Hft  12.  42 


608  Bericht  üb.  d.  Verh.  d.  I8n  Vers,  deuischer  Philologen  asw.  in  Wien. 

dem  die  eines  besonders  auf  dem  Neopltitonismns  bernhcnden  Eklekti- 
cismus  enthält.  Boethias  habe  es  sich  zur  Aufgabe  gestellt,  das  Stu- 
dinm  der  Philosophie,  welches  zu  seiner  Zeit  tief  gesunken  war,  wieder 
zu  heben  und  deshalb  den  groszartigen  Plan  gefaszt,  alle  Schriften  des 
Aristoteles  und  Piaton  ins  Lateinische  zu  übersetzen  und  durch  Com- 
mentare  zu  erklären.  Mit  diesen  Studien  stehe  nun  das  obengenannte 
Buch  im  innigsten  Zusammenhange,  das  einerseits  ein  Vermächtnis  dei 
B.  an  alle  diejenigen  bilden  sollte,  welche  an  seinen  Bestrebungen  Aa- 
theil  genommen  hatten,  auf  dasz  sie  den  hohen  Werth  des  Studiums 
der  Philosophie  erkannten,  andererseits  zur  Rechtfertigung  dieses  Stu- 
diums und  seiner  selbst  gegen  die  frechen  Beschuldigungen  der  Magie 
dienen  sollte,  welche  man  eben  dieser  Studien  wegen  gegen  ihn  erhoben 
hatte.  Indem  nun  B.  im  Angesichte  des  Todes  über  diejenigen  Dinge 
philosophierte ,  deren  Erkenntnis  für  den  Mensehen  von  der  grötten 
Wichtigkeit  ist,  und  sich  über  alles  irdische  erhob,  habe  er  dies  Stu- 
dium und  sich  selbst  glänzend  gerechtfertigt  und  so  den  SchlusEstehi 
seinem  wirken  aufgesetzt.  Dasz  übrigens  niemand  an  diesen  Studien 
des  B.  etwas  auszusetzen  fand,  ersehe  mau  ans  den  groszen  Lobsprfi- 
chen,  die  ihm  alle  Zeitgenossen,  besonders  aber  Ennodius  ertheileq. 
Endlich  könne  man  auch  aus  einzelnen  Citaten  uiid  Anspielungen,  die 
in  diesen  Büchern  vorkommen,  erkennen,  dasz  sie  nur  von  einem  Chri- 
sten geschrieben  sein  können.  Am  Schlüsse  weist  der  Verfasser  durch 
eine  genaue  Erörterung  der  damaligen  politischen  und  religiösen  Ver- 
hältnisse nach,  dasz  die  Meinung  des  Mittelalters,  B.  sei  für  den  Glau- 
ben gestorben,  insofern  berechtigt  sei,  als  in  dieser  Zeit  die  religiösen 
und  politischen  Verhältnisse  so  eng  mit  einander  verschlungen  sind,  dass 
es  unmöglich  ist  dieselben  irgendwie  von  einander  zu  trennen. 

Director  Eckstein  entgegnete  in  lateinischer  Sprache,  dasz  die 
Beweise  des  Prof.  Schenkl  die  Sache  wol  als  wahrscheinlich  aber 
nicht  als  vollkommen  gewis  erscheinen  lieszen.  Geh.-Rath  Brügge- 
mann bemerkte,  dasz  er  für  seine  Person  wol  glaube  B,  habe  dem 
christlichen  Bekenntnisse  angehört ,  die  endgiltige  Lösung  der  Frage 
aber  Ton  einem  umfassenden  Studium  der  Geschichte  dieser  Zeit  erwarte. 
Auszerdem  bemerkte  noch  Prof.  Haaso,  dasz  die  Verhältnisse  dieser 
Zeiten  sehr  verwickelt  seien  und  dasz  nicht  selten  bei  den  Männern 
derselben  eine  gewisse  Unklarheit,  ein  hin-  und  herschwanken  sieh 
offenbare,  welches  eine  endgiltige  Entscheidung  erschwere.  Man  müsse 
daher  genau  und  reiflich  erwägen,  ehe  man  etwas  feststelle.  Professor 
Schenkl  sagte  hierauf  den  betreffenden  Herren  seinen  Dank  für  ihre 
Bemerkungen  und  erklärte,  dasz  er  vor  dem  Drucke  die  einzelnen  Be- 
weise nochmals  prüfen,  wenn  etwas  fehlen  sollte  es  hinzufügen  und  so 
hoffentlich  wol  die  Sache  auszer  allen  Zweifel  setzen  werde. 

Prof.  Dr  Leop.  Schmidt  aus  Bonn  besprach  in  einem  Vortrage 
(aber  die  Lysianische  Rede  im  Platonischen  Phaednts)  die  in  neuerer  Zeit 
vielfach  erörterte  Frage,  ob  die  in  dem  Platonischen  Phaedrus  als  Lysia- 
nisch  mit^ctheilte  erste  Rede  über  die  Liebe ,  der  sogenannte  Erotikos, 
so  wie  sie  vorliegt  von  Lysias  herriihre  und  von  Plato  nur  als  Beispiel 
der  verkehrten  zeitgenössischen  Beredtsamkeit  aufgenommen  sei  oder  ob 
letzterer  sie  vielmehr  für  die  Zwecke  des  Dialogs  frei  gebildet  und  dabei 
die  Weise  des  berühmten  attischen  Redners  nachzuahmen  gesucht  habe. 
Nach  Abweisung  zweier  unhaltbaren  und  in  der  That  längst  aufgegebe- 
nen Versuche,  die  Frage  in  vermittelndem  oder  ausweichendem  Sinne 
zu  beantworten,  macht  er  darauf  aufmerksam,  dasz  in  voller  Ueberein^ 
Stimmung  mit  der  Zeit,  in  welche  das  Gespräch  verlegt  werde,  Lysias 
iu  dem  Erotikos  jedenfalls  noch  in  seiner  Jugendmanier  befangen  auf- 
trete, während  dieser  zugleich  manche  charakteristische  Dinge  mit  dem 
Stil  und  der  Ausdruckswcise  der  erhaltenen  Ljsianischen  Reden  gemein 


Berioht  ab.  d.  Verli.  d.  I8n  Vers,  deutscher  Philologen  nsw.  in  Wien.  609 

hmbe ,  wie  der  vcrstorbcno  HUnisch  in  einer  1827  erschienenen  Preis- 
Behrift  nachgewiesen.  Allein  eben  dieser  Umstand  kann  anf  den  ersten 
Blick  doppelt  gedeutet  werden:  Hänisch  8cU)st  hat  daraus  die  Schlusz- 
folgorung  gezogen,  dasz  anch  jener  von  Lysias  herrühre;  dagegen  haben 
Stallbatim  und  K.  F.  Hermann  in  der  getreuen  Wiedergabe  Lysianischer 
Stileigenthümlichkeiten  vielmehr  ein  Merkmal  der  vollendeten  Nachah- 
mnngskunst  Plato's  gefanden.  Die  Meinung  der  beiden  letztgenannten 
MAnner  scheint  die  gegenwärtig  allgemeinere  zu  sein;  der  vortragende 
ist  entgegengesetzter  Ansicht  und  glaubt  sie  näher  motivieren  zu  müssen. 
Zuvörderst  glaubt  er  dasz  die  Stimme  des  Alterthnms,  welches  den  £ro- 
iikos  für  ein  Werk  des  Lysias  erklärte,  für  uns  von  nicht  geringem 
Gewichte  sein  müsse,  da  die  alten  Kritiker  viele  Mittel  der  Kenntnis 
Tor  ans  voraus  hatten.  Namentlich  gilt  dies  von  dem  grösten  Bewun- 
derer und  allem  Anscheine  nach  auch  grösten  Kenner  des  Lysias  unter 
den  Griechen,  Dionysios  von  Halikamass,  der  auch  den  Erotikos  nicht 
etwa  blos  der  Kürze  halber  vom  Standpunkt  des  Dialogs  aus  als  Lysia- 
,  niieh  bezeichnet,  indem  er  den  Plato  selbst,  nicht  den  Sokrates,  als  Be- 
kämpfer  des  Redners  nennt.  Wenn  aber  gegen  den  Lysianischon  Ur- 
sprung dos  P>otikos  deshalb  ein  Einwand  erhoben  wird,  weil  derselbe 
unter  die  Briefe  des  Lysias  gesetzt  wurde  und  littcrarisch  aufbewahrte 
Briefe  aus  der  klassischen  Zeit  dos  griechischen  Alterthums  gewöhnlich 
unecht  sind,  so  ist  dies  ohne  Bedeutung,  da  die  sogenannten  Briefe  des 
Lysias  mit  donon  anderer  Schriftsteller  und  namentlich  Redner  gar  nicht 
in  dine  Kategorie  gestellt  werden  können.  Demnach  könnten  nur  zwin- 
gende innere  Gründe  uns  bewegen,  von  den  alten  Kritikern  abzuweichen. 
Die  Gewohnheit  Plato's,  den  bei  ihm  auftretenden  Personen  selbster- 
fandene  Reden  in  den  Mund  zu  legen  und  dabei  Ton  und  Charakter  der 
jedesmal  darzustellenden  nachzubilden,  kann  nicht  angezogen  werden, 
da  er  hier  einen  mit  seiner  Persönlichkeit  unter  den  Zeitgenossen  wenig 
hervortretenden  Schriftsteller  zum  Gegenstande  seines  Angriffs  macht, 
bei  dem  zugleich  die  nngcnügende  Form  der  Darstellung  ein  viel  wich*- 
tigercs  Moment  war  als  sonst.  Der  Erotikos  aber  verhält  sich  zu  den 
erhaltenen  Schriften  des  Lysias  keineswegs  wie  eine  geistreiche  Nach- 
bildung zu  ihrem  Originale,  sondern  wie  das  frühere  Prodnct  eines  SArift- 
stcllers  zu  späteren;  denn  er  stimmt  mit  ihnen  in  einer  Anzahl  von  sprach- 
lichen (Gewöhnungen  über^in,  wie  sie  jedem  Autor  unverlierbar  ankleben, 
nicht  in  dem  geistigen  Habitus,  und  darum  ist  die  Uebereinstimmung 
nur  dem  zergliedernden  Grammatiker,  nicht  dem  unbefangenen  Leser 
erkennbar.  So  ahmt  Plato  nicht  nach.  Wol  aber  gewinnt  man  für  alles 
eine  ungezwungene  Erklärung ,  wenn  man  den  Erotikos  für  ein  wirk- 
liches Erzeugnis  der  früheren  Lebensepoche  des  Lysias  hält,  das  seine 
ungestümen  Verehrer  bei  dem  wachsen  seines  Rufes  hervorzogen:  auf 
diese  Weise  ist  Plato's  Angriff  noch  mehr  gegen  diese  gedankenlosen 
Verehrer  als  gegen  den  Meister  gerichtet. 

Nach  Beendigung  des  Vortrags  nimmt  Prof.  Vahlen  ans  Wien  das 
Wort,  nicht  sowol  um  den  Inhalt  des  Vortrags  zu  bestreiten,  als  nm 
einiges  hinzuzufügen.  Er  weist  namentlich  auf  drei  Punkte  hin.  Erstens 
die  Lysianische  Rede  im  Phaedrus  sei  nicht  blos  von  ihrer  rhetorischen 
Seite  zu  betrachten,  sondern  auch  in  Betreff  ihres  ethisch  niedrigen  Ge- 
haltes. Zweitens  anf  die  Zeugnisse  der  Alten  über  den  Lysianischon 
Ursprung  sei  nicht  so  groszes  Gewicht  zn  legen,  da  dieselben  oft  nicht 
auf  bestimmter  Ueberlieferung  beruhten,  sondern  nnr  auf  Schlüssen  aus 
Plato  selbst.  Dagegen  verdienten  drittens  einige  einzelne  Züge  in  der 
Platonischen  Darstellung  Beachtung,  welche  deutlich  Plato*8  Absicht  be- 
wiesen, die  Autorschaft  des  Lysias  anszer  Zweifel  zn  setzen. 

Prof.  Schmidt  dankt  dem  ebengenannten  für  die  Ergänzung,  die 
derselbe  zn  dem  Vortrage  gegeben:  wenn  er  ihm  gewissermaszen  Unvoll- 

42* 


610  Berieht  fib.d.Verh.  d.l8n  Vers.  deutscherPbilologen  osw.iiWieo. 

strindigkeit  vorgeworfen,  so  sei  diese  UDvollständigkeit  eine  beabsich- 
tigte nnd  dem  vortragenden  wol  bewuste.  Kr  habe  nur  diejenigen  seiner 
Meinung  nach  zur  Erhärtung  der  aufgestellten  Thesis  völl^  ausreichen- 
den Beweismomente  hier  beibringen  wollen,  welche  sich  in  einer  allge- 
meinen  Darlegung  ohne  eingehen  auf  einzelne  platonische  Stellen  mit- 
theilen lieszen.  Nur  auf  zwei  von  Prof.  Vahlen  berührte  Punkte  will 
er  noch  kurz  zurückkommen.  Das  eine  ist  die  Autorität  des  Dionysios 
von  Hai.,  welche  er  nicht  umhin  kann  als  eine  in  der  vorliegenden  Frage 
gewichtige  anzusehen ,  da  Dionysios  vollständiger  als  sonst  jemand  im 
Alterthum  die  Thätigkeit  des  Ljsias  in  ihren  Verzweigungen  übersah; 
das  andere  der  Grundgedanke  des  Phaedrus.  Er  hat  auf  diesen  als 
controvers  nicht  weiter  eingehen  wollen,  möchte  aber  den  von  ihm  ge- 
brauchten Worten  nicht  die  Auslegung  gegeben  sehen  als  bewege  sich 
der  Dialog  blos  um  die  Gegenüberstellung  wahrer  und  falscher  Rhetorik ; 
vielmehr  sei  der  verbindende  Begriff  desselben  die  Seelenleitong. 

Zuletzt  hält  Prof.  A.  W.  Zumpt  aus  Berlin  einen  Vortrag  über  den 
Ursprung  der  tnbunicischen  Gewalt  der  römischen  Kaiser,  V^ann  Augustus 
nnd  die  nachfolgenden  Kaiser  die  tribunicische  Gewalt  angenommen  ha* 
ben,  ist  vielfach  von  den  bedeutendsten  Gelehrten  erörtert  worden;  auch 
über  die  Befugnisse,  welche  dieselbe  gewährte,  ist  gesprochen  worden: 
der  Ursprung  ist  bis  jetzt  unberücksichtigt  geblieben  und  doch  bietet 
derselbe  einige  Schwierigkeit  dar.  Es  wurde  ausgegangen  von  Tacitns 
Annal.  III  56,  wo  die  Erfindung  der  tribunicischen  Gewalt  dem  Aagnstns 
zugeschrieben  wird.  Damit  steht  scheinbar  im  Widerspruch  Dio's  (42,  20) 
Bericht,  der  schon  dem  Dictator  Caesar  im  J.  48  v.  Chr.  die  tribuni- 
cische Gewalt  zuschreibt.  Derselbe  erzählt  ferner,  dasz  auch  im  J.  49 
V.  Chr.  Caesar  die  tribunicische  Gewalt  erhalten  habe  (44,  5);  dann  von 
Augustus,  dasz  sie  ihm  zu  drei  verschiedenen  Malen  gegeben  worden 
sei,  im  J.  36  v.  Chr.  (49,  15),  30  v.  Chr.  (51,  19)  und  endlich  23  v. 
Chr.  (53,  2),  von  welchem  Jahre  an  bekanntlich  Augustus  die  Jahre  sei- 
ner tribunicischen  Gewalt  zählte.  Irgend  eines  dieser  bestimmten,  zum 
Theil  durch  andere  Autoren  unterstützten  Zeugnisse  zu  verwerfen  wird 
nicht  möglich  sein,  eine  Vereinigung  aber  nur  dann  thunlich,  wenn  man 
ein  allmähliches  entstehen  der  tribunicischen-  Gewalt,  wie  die  Kaiser 
sie  besaszen,  annimmt.  Diese  allmähliche  Entstehung  stimmt  auch  voll- 
kommen mit  der  Natur  der  Sache  überein,  und  dasz  die  tribunicische 
Gewalt  der  Kaiser  eine  ganz  andere,  eine  viel  höhere  war  als  die,  welche 
die  einzelnen  Tribunen  früher  gehabt  hatten,  ist  unzweifelhaft.  Nach 
diesen  Principien  wurde  die  Entwicklung  der  tribunicischen  Gewalt  von 
dem  Zeitpunkte  an,  wo  Caesar  zuerst  sie  erhielt,  bis  zum  Jahre  23,  wo 
sie  der  Inbegriff  der  kaiserlichen  Macht  wurde,  gegeben  und  die  all- 
mähliche Erweiterung  derselben  auf  die  genaue  Interpretation  der  be- 
treffenden Stellen  Dio^s  begründet.  Caesar  erhielt  zuerst  die  Gewalt, 
wie  die  Volkstribunen  selbst  sie  hatten,  aber  auf  Lebenslang:  später 
wurde  sie  ihm  in  Bezug  auf  die  Unverletzlichkeit  erweitert.  Augustus 
erhielt  zuerst  die  schon  für  Caesar  erweiterte  tribunicische  Gewalt  auf 
Lebenslang:  sie  wurde  für  ihn  vergröszert  erstens  durch  besondere  Be- 
fugnisse, die  er  als  oberster  Richter  des  Reiches  erhielt,  zweitens  da- 
durch, dasz  ihm  die  Initiative  der  Gesetzgebung  zugesprochen  wurde. 
Jetzt  erst  enthielt  die  tribunicische  Gewalt  alle  jene  Befugnisse,  die  wir 
später  in  ihr  finden  und  die  Augustus  vollkommen  berechtigten  sie  gleich- 
sam zum  Symbol  der  kaiserlichen  Majestät  zu  erheben. 

Der  Vortrag  des  Prof.  Zumpt,  dessen  Skizze  wir  im  obigen  nach 
der  gefälligen  Mittheilung  des  Um  Verf.-  gegeben  haben,  konnte,  da  die 
für  die  Sitzung  anberaumte  Zeit  bereits  verflossen  war,  nicht  zu  Ende 
geführt  werden;  ebenso  konnten  einige  andere  der  Versammlung  an- 
getragenen (so  von  Dr  Schmalfeld  in  Eisleben  über  die  angeblichen 


Borieht  ab.  d.  Verh.  d.  ]8n  Vers,  deutscher  Philologen  usw.  in  Wien.  61 1 

politischen  Beziehungen  in  den  sophokleischen  Tragoedien,  von  Prof. 
Krensor  in  Köln  üb(>r  homerische  Kritik  und  über  einen  nothwendigen 
Fortifchritt  der  Philologie,  von  Prof.  Dr  Boller  in  Wien  über  die  Be- 
siehungen  zwischen  Iran  und  Turan)  nicht  zur  Ausführung  kommen. 

Zum  Schlüsse   nahm   der  Prilsident  das  Wort:    'H.  V.!   Die  Zeit 
WiBeres  Zusammenseins  ist  zu  Endo  und  die  Stunde  des  Abschieds  naht 
heran.   Unsere  verehrten  Gäste  werden  sich  nach  allen  Achtungen  zer- 
streuen und  wir  wünschen  von  ganzer  Seele ,   dasz  sie   uns  ein  frcund- 
liehes  Andenken  bewahren.     Wir,  die  zurückbleibenden,  werden  dieser 
wenigen  Tage  immer  gedenken  als  einer  nicht  nur  fröhlich  sondern  auch 
nfitzlich  hingebrachten  Zeit ;  denn  die  vielfache  Anregung,  die  wir  Ihnen 
Terdanken ,  wird,   so  hoffen  wir,  für  Wissenschaft  und  Unterricht  nicht 
rerloren  gehen.     Empfangen  Sie   dafür  unseren  wärmsten  Dank.     Wir 
hoffen    dasz   die    hier   angeknüpfte  Verbindung   keine    vorübergehende, 
sondern  eine  bleibende  sein  wird.     Wir  alle  geben  uns  den  Hoffiinngen 
hin,  die  gestern  von   einem  hochgestellten,   gewis  von  uns  allen  hoch- 
rerehrten  Mann   ausgesprochen  worden.     Von    dem  immer    steigenden 
Interesse,  welches  sich  an  Fragen  des  öffentlichen  Unterrichtes  in  allen 
seinen  Stufen  in  allen  Kreisen  knüpft,  haben  Sie  sich  selbst  überzeugt. 
Der  Empfang,  welcher  der  Versammlung  zu  Theil  geworden,  gibt  davon 
Zeugnis.     Ich  halte  es  für  meine  Pflicht  hier   öffentlich  auszusprechen, 
dasc  ich  in  allen  diese  Versammlung  betreffenden  Angelegenheiten  bei 
allen,  ohne  irgend  eine  Ausnahme,  die  gröste  Bereitwilligkeit  gefunden 
habe;  die  dabei  gemachten  Erfahrungen  sind  meinem  Herzen  auch  des- 
wegen theucr,    weil    sich    dabei    der   Charakter   meiner  Landsleute   im 
schönsten  Lichte  gezeigt  hat.     Die  höchsten  Behörden  des  Staates  und 
des  kaiserlichen  Hofes   und  die  Commune  Wiens,  ihren  allgemein  ver- 
ehrten Bürgermeister  an   der  Spitze,   haben   mit  einander  gewettcifort, 
um  Ihnen,  meine  hochverehrten  Herren,  einen  Empfang  zu  bereiten,  der 
würdig  sei  solcher  Gäste  und  einer  Hegiening,  welche  die  Wissenschaft 
und  ihre  Vertreter  ehrt,  einer  Regierung  die  da  weisz,  dasz  wissen  Macht 
igt.    Vor  allem  aber  sei  der  Tribut  unseres  ehrfurchtsvollsten  Dankes 
dargebracht  Seiner  Majestät  unserem  allergnädigsten  Kaiser  und  Httrm. 
Aüerhöchstdie selben  haben  nicht  nur  zu  gestatten  geruht,  dasz  die  Ver- 
sammlung in  dieser  Jlaupt-  und  Kesidenzstadt  zusammenkomme,  sondern 
aneh  alles  angeordnet,  was  derselben  förderlich  sein  könnte.    Es  ist  dies 
Ausflusz  der  Ueberzeugung  unseres  Kaisers,  dasz  jeder  wahre  Fortschritt 
rom  Unterricht  ausgeht.     Möge  es  unserem  erhabenen  Herscher  vergönnt 
sein  auch  die  reife  Frucht  des  Samens   zu  sehen,  der  im   ersten  De- 
eennium  Allerhöchstseiner  glorreichen  Regierung  gestreut  worden,  und 
m5g^  einst  der  jüngste  Sprosse  seines  erlauchten  Hauses ,   dessen  Ge- 
burt vor   kurzem  von  Millionen  mit  Jubel  begrüszt  worden,  einst  über 
ein  Oesterreich  horschen,    in  allen  Theilen   blühend  durch  Kunst   und 
Wissenschaft.' 

Nachdom  sodann  Geh.-Rath  Wiese  ans  Berlin  im  Namen  der  ver- 
sammelten dankend  erwidert  hatte,  erklärte  der  Präsident  die  18e 
Versammlung  deutscher  Philologen,  Schulmänner  und  Orientalisten  für 
gesehlossen. 

Für  die  Verhandlnngcn  der  paedagogischen  Soction  wa- 
ren folgende  Thesen  gestellt:  I)  In  der  Erziehung  ist  der  rechte  Idealis- 
mus zugleich  der  einzig  rechte  Realismus.  Dr  Franz  Schmalfeld.  — 
II)  Von  den  Schriften  Piatons  eignen  sieh  zur  Lcctürc  auf  der  ober- 
sten Stufe  des  Gymnasiums :  'die  Apologie  des  Sokrates,  Kriton,  Laches, 
Protagoras,  Gorgias',  zulässig  sind  'Enthyphron  und  Mencxenus';  von 
den  übrigen  platonischen  Schriften  ist  keine  zur  Gymnasial-Lectüre  ge- 
eignet. H.  Bonitz.  —  III)  A)  Die  Odyssee  ist  vor  der  Ilias  zu  lesen. 
B)  Abkürzungen  (Epitomao)  altklassischer  Werke  eignen  sich  nicht  für 


612  Bericht  üb.  d.Verb.d.  I8n  Vers,  deutscher  Philologen  usw.  in  Wien. 

den  Schulgebraucb.  C)  Ausgaben  altklassischer  Werke  mit  zweckmäszi- 
geu  Anmerkungen  eignen  sich  mehr  für  die  Schulen  als  blosze  Textes- 
ausgaben. D)  Die  Leetüre  des  Sophokles  sollte  füglich  nicht  gepflogen 
werden  an  Anstalten,  wo  nicht  wenigstens  täglich  eine  Stunde  der-  grie- 
chischen Sprache  gewidmet  wird.  Dr  Anton  Göbel.  —  IV)  A)  Ist 
die  alte  und  mittelliochdeutsohe  Sprache  und  Litteratur  an  den  Gymna- 
sien beizubeh^en  oder  nicht?  Wenn  in  der  jetzigen  armen  Form,  so 
lieber  nicht;  wenn  beizubehalten,  so  ist  sie  auszudehnen  1)  auf  eine 
gründlich  durchdachte  und  deswegen  möglichst  einfache  und  über- 
sichtliche Grammatik;  2)  auf  ein  reiches  Lesebuch,  bestehend  aus  Stücken, 
die  nicht  etwa  der  Sprachforschung  dienen,  sondern  für  die  litterarisch- 
humanistischen  Zwecke  geeignet  sind;  in  denen  namentlich  auf  die  alten 
österreichischen  Dichter  Rücksicht  zu  nehmen  wlire,  als  nebst  den 
Nibelungen  auf  den  trefflichen  Walter  v.  der  Vogelweide,  Seifried  Helb- 
ling,  Peter  Suchenwirth,  Oswald  von  Wolkenstein  usw.  bis  Behaim  von 
den  Wienern  herab.  Nur  durch  eine  so  reiche  Auswahl,  die  dem  Lehrer 
auf  mehrere  Jahre  Abwechslung  des  Stoffes  böte  und  selbst  den  Schüler 
zur  Privatlectüre  anreizte,  liesze  sich  diesem  Untcrriehtszweige  aufhelfen, 

B)  Sowol  im  Lateinischen  als  Griechischen  ist  der  bisherige  Grundsatz 
festzuhalten,  möglichst  ganze  Autoren  oder  doch  ganze  Werke  der- 
selben zu  behandeln;  aber  neben  diesen  wären  reiche  Chrestomathien 
aus  dem  reichen  geistigen  Leben  dieser  Völker  zu  bieten.  Die  Auswahl 
aus  Dichtern  sowol  als  Prosaisten  böte  sich  den  kundigen  leicht  dar. 
Gestehen  wir  nur  dasz  die  Beschränkung  auf  wenige  Autoren,  die  man 
selbst  wieder  auf  Exccrpte  rcduciert  hat,  den  Schülern  den  Gesichts- 
kreis der  alten  Litteratur  gewaltig  verengt,  ich  möchte  sagen  verschliesst. 

C)  Ein  besonderer  Gegenstand  der  Besprechung  wäre  die  Frage:  ist  von 
Piaton  auszer  den  Stücken  ^Eriton  und  Apologie'  und  'eine  zum  Lebens- 
ende des  Sokrates  gehörende  Auswahl  aus  Phaedon'  in  den  Mittel- 
schulen noch  irgend  ein  anderer  Dialog  ganz  zu  lesen  und  zu  inter- 
pretieren? oder  sin(^  Chrestomathien  aus  seinen  übrigen  Werken  allein 
zweckmäszig,  Auszüge,  in  denen  blos  die  huma^stischen  Zwecke  dieser 
Schulen ,  die  Erfindung  der  Eingänge ,  die  Feinheit  in  Gedanken  nnd 
Ausdruck  berücksichtigt  werden?  Der  Einsender  behauptet  einfach  die 
Unzukömmlichkeit  der  Aufnahme  ganzer  platonischer  Gespräche  in  die 
Lesungen  der  Mittelschulen  aus  zwei  Gründen:  1)  wegen  der  eigen- 
thümlichen  von  unseren  Begfriffen  und  ihren  Ausdrücken  so  verschiede- 
nen philosophische^  Terminologie;  2)  wegen  der  zerschnittenen  Frage- 
form des  platonischen  Sokrates,  welche  Form,  für  philosophische  Dle- 
cutierungen  oder  Begründungen  passend,  aber  für  unsere  Darstellongs- 
weise  (sage  man  was  man  wolle),  dann  für  unsere  humanistischen  Zwecke, 
endlich  für  das  Alter  unserer  Schüler  einförmig,  ermüdend,  labyrinthisch, 
den  Gedankengang  ewig  zerstreuend  ist.  D)  Als  eine  förmliche  Lücke 
in  unserem  humanistischen  Unterrichte  bezeichnet  der  Einsender  dieses 
den  Mangel  eines  gediegenen  Lehrbuches  über  Stilistik  und  glaubt 
auf  die  Abfassung  und  Einführung  eines  solchen  dringen  zu  miissen. 
Nemlich  an  die  im  Untergjmnasium  geendigte  Sprachlehre  schlieszt  sieh 
eng  die  Lehre  über  die  allgemeinen  Eigenschaften  der  Schrift-  und 
Sprachwerke,  ihre  Tugenden  und  Fehler.  Von  -da  ist  in  der  7n  und 
8n  Klasse  der  Uebergang  zur  Behandlung  der  streng  ästhetischen  Be- 
griffe des  schönen,  erhabenen,  tragischen,  komischen,  humoristischen, 
dee  Witzes  und  Scharfsinnes  in  Gedanken  und  im  Ausdrucke.  Alles  mit 
gründlicher  Unterscheidung  der  Begriffe  und  einem  reichen  Vorrath 
an  Beispielen.  E)  Wir  bedürfen  ein  Lesebnch  über  griechische  und 
römische  Litteraturgeschichte  und  über  die  Schriftsteller,  auf  welches 
bei  Behandlung  der  einzelnen  Autoren  zu  verweisen  ist,  über  Antiqui- 
täten «US  dem  völkergeschichtliohen  Standpunkte,  .über  die 


'  Berioht  ab.  d.Verh.  d.l8n  Vers,  deutscher  Philologen  usw.  in  Wien.  613 

Mythen,    von    wohor  sie  eingeführt  worden,  welche  Veränderungen  sie 
und  ihre  Hedoutiint^  erfahren   haben?     F)  Ich  finde  dasz  der  prosaische 
Theil   unserer  Lesebücher    durch    die    bisherige   Natur    der  Sache   sehr 
mangelhaft  ist   und     durch    Aufnahme   gediegener   Stücke    und   Ueber- 
setzungen  aus  Werken  des  Auslandes  ergänzt  werden  musz.     Theo- 
dor Mayer,  Gymn.-Dir.  —   V)   Das  prüfen  der  einzelnen  Schüler  im 
Laufe   des   Unterrichts    hat  einen    doppelten  Zweck,    und  zwar  zuerst 
und    vorzüglich    für    die    Gesamtheit    der    Schüler   den  Unterrichtsstoff 
darch  die  Wiederholung  desselben   in  unmittelbarem  Verkehre  mit  den 
Schülern   nach  Bedürfnis  zu  ergänzen ,  fasziicher  und  anschaulicher  za 
machen;   den  zweiten,  sich  zugleich  von  den  Fähigkeiten  der  einzelnen 
Schüler  zu  überzeugen  und  auch  individuell  nach  Bedürfnis  auf  sie  ein- 
wirken und  schlieszlich  ihre  Leistungen  beurteilen  zu  können.    Die  Uich- 
UgBtcIlung  dieses  doppelten  Zweckes  gibt  zum  Theil  die  Richtschnur  an 
für  das  Verfahren   des  Lehrers   beim  Unterrichte  selbst,   vorzugsweise 
aber  für  die  Methode  welche  beim  prüfen,  d.  h.  bei  der  prüfenden  Wie- 
derkolnng  des  Lehrstoffes  befolgt  werden  soll,  und  für  die  thätigo  Theil- 
oahmo   des   Lehrers    dabei.     Die    entgegengesetzte  Auffassung   des   ge- 
nannten Zweckes  gefährdet  den  scientifischen  und  den  moralischen  Zweck 
des  ganzen  Unterrichts.     Dr   Alois   Capellmann.   —  VI)   Dem  ge- 
deihen des  gesamten  Lateinunterrichtes   sind  lateinische  Sprechübungen 
von   wesentlichem  Nutzen.     Diese  Uebungen  sind  methodisch  zu  leiten, 
und  zwar  haben   sie  sich  auf  den  unteren  Stufen  des  Gymnasiums  vor- 
nehmlich  auf   memorieren    von    klassischen  Sentenzen ,    Stellen  und 
kleineren  Lesestücken  zu  beschränken;    auf   den  mittleren  Stufen   hat 
reprodncieren   der  vorher  genau  erklärten  Abschnitte  der  Klassiker 
hinzuzutreten;    auf   den    oberen   Stufen    endlich    soll    der  Inhalt   der 
fprachlich  und  sachlich  interpretierten  Lesestücke  aus  lateinischen  nnd 
griechischen  Klassikern   in  freier  lateinischer  Rede  wiedergegeben  wer- 
den,  und  an   solche  Inhaltsangaben  können   sich  bei  geeignetem  StofTo 
lateinische  Discussionen  über  Gedankengang  und  Form  der  betreffenden 
Abschnitte  anschlieszen.    Lateinische  Interpretationen  der  Klas- 
siker sind  auch  auf  den  obersten  Stufen  nur  mit  groszer  Vorsicht  an- 
zuwenden und  lateinische  U ebersetz ungen  griechischer  Le- 
sestücke in   der  Kegel  auf  die  leichteren  Prosaiker  zu  beschränken. 
In  den  Lehrer-Seminaricn  ist  auf  lateinische  Interpretations-  und  Dispu- 
tierübungen  ein  besonderes  Gewicht  zu  legen.    Franz  Hoch  egger. — 
TU)  Nachdem  bereits  in  drei  Versammlungen  der  Philologen  und  Schul- 
männer Deutschlands ,  zu  Jena  1846 ,  zu  Berlin  1850  und  zu  Altenburg 
1854,  die  Beibehaltung  der  freien  lateinischen  Arbeiten  beschlossen  nnd 
in  Bezug  auf  die  Methode  derselben  in  der  letzten  auch  einige  Andeu- 
tungen und  Winke  gegeben  worden,  erlaubt  sich  der  unterzeichnete  der 
Versammlung  folgende,  jene  Andeutungen  näher   erläuternde  Sätze  zur 
Besprechung  vorzuschlagen:  1)  Die  Uebungen  in  den  freien  lateinischen 
Arbeiten  müssen  auszer  der  allgemeinen  Grundlage  des  gesamten  Unter- 
richts  in  dieser  Sprache   noch  eine   besondere  Basis  in  der  Anleitung 
zum  Lateinisch-Denken  erhalten.     2)  Hierzu  führt  nicht  das  übertragen 
ans   dem  Deutschen   ins   Lateinische  allein  (am  wenigsten  wenn  dazu 
Stücke  aus  modernen  deutschen  Schriftstellern  zu  Grunde  gelegt  werden), 
auch  nicht  die  blosze  Leetüre   an  und  für  sich ,  sondern  die  Benützung 
derselben  zum  Lateinsprechen  in  der  Atl  dasz  gelesene  Stücke,  nament- 
lich ciceronianischo,  die  für  sich  ein  ganzes  ausmachen,  sowol  in  rhe- 
torischer als  sprachlicher  Hinsicht  mit  den  Schülern  lateinisch  so  weit 
durchgesprochen  werden,  dasz   sie  von  denselben  formell  und  materiell 
ganz    zu   eigen    gemacht    werden   können.     3)   Auf   dieser   Basis  ^  sind 
dann    jene   Uebungen    in    gewissen    Stufen   [Reproduction ,  Amplifica- 
tion,    Imitation    (im   engeren    Sinne)]    bis    zum    völlig    freien    latoi- 


614  BeHchtflb.  d.Verh.d.lSnVers.  deatscber  Phüologemaw.  iBWim. 

nischen   Aufsätze    fortzuführen.      Flock,    Oberlehrer,    am   Gymnasium 
zu  Coblenz. 

Erste  Sitzung,  25.  September.  Präsident:  Prof.  Bonitz. 
Es  werden  nach  dem  Vorschlage  des  Präsidenten  durch  Abstimmung 
zur  Verhandlung  bestimmt:  II  (mit  Einschlusz  von  IV  C),  III  C,  IV  D 
und  E,  VI  (mit  Einschlusz  von  VII),  und  da  die  von  Hrn  Hochogger 
aufgestellte  Thesis  für  diese  Sitzung  noch  nicht  gedruckt  vorlag,  in  der 
Abfolge:  II,  VI,  III  C,  IV  D  und  E. 

Darauf  nimmt  der  Vorsitzende  das  Wort,  um  die  von  ihm  ge- 
stellte Thesis  (II)  zu  begründen:  Discussionen  über  didaktische  Gegen- 
stände werden  häufig  sowul  für  die  thätigen  Theilnehmer  derselben  als 
für  das  etwa  blos  zuhörende  oder  lesende  Publikum  dadurch  ermüdend, 
dasz  zu  einer  Verständigung  man  deshalb  nicht  kommen  kann,  weil  über 
die  Gesichtspunkte  selbst,  von  denen  aus  die  Frage  zu  entscheiden  ist, 
nicht  Einheit  und  Klarheit  besteht;  der  einzige  Gewinn  von  derlei  Dis- 
cussionen ist  oft  nur,  dasz  sich  eben  jene  Unsicherheit  über  die  Prin- 
cipicn  deutlich  herausstellt.  In  den  vorliegenden  Worten  hoffe  icl^  eine 
solche  Thesis  aufgestellt  zu  haben,  für  welche  die  entscheidenden  Prin- 
cipien  schwerlich  Gegenstand  erheblicher  Verschiedenheit  der  Ansichten 
sein  können,  so  dasz  bei  Gemeinsamkeit  der  Ausgangspunkte  eine  An- 
näherung an  Entscheidung  möglich  sein  wird^  andernseits  berührt  meine 
Thesis  mittelbar  Punkte  in  der  noch  bestehenden  Schulpraxis  der  Platon- 
lectüre,  denen  ich  nicht  beistimmen  kann.  Es  sei  mir  also  erlaubt  die 
Gesichtspunkte,  von  denen  die  Auswahl  der  Schriften  Piatons  ausgehen 
musz,  in  Kürze  darzulegen.  Zwei  Gesichtspunkte  erscheinen  mir  von 
entscheidender  Wichtigkeit  zu  sein.  Erstens  man  darf  nicht  zur  Leetüre 
solche  Schriften  Piatons  wählen,  die  für  den  Gedankenkreis  und  die 
Bildungsstufe  der  Schüler  noch  nicht  zugänglich  sind;  zweitens  man  hat 
solche  Schriften  Piatons  zu  wählen ,  durch  welche  die  Hochachtung,  in 
der  Piatons  Name  durch  Jahrtausende  sich  erhalten  hat,  wirklich  in  der 
leseuden  Jugend  begründet  wird.  Es  versteht  sich  neben  diesem,  daQS 
jener  Spruch  von  der  vcrecundia,  die  der  Jugend  gebüre,  bei  der  Aus- 
wahl zur  Leetüre  aus  Piaton  ebenso  gilt  wie  bei  ^en  anderen  Schrift- 
stellern. 

Erwägen  wir  nun  weiter,  was  aus  diesen  Gesichtspunkten,  über 
deren  Giltigkeit  schwerlich  ein  erheblicher  Zweifel  erhoben  werden 
dürfte,  folgt.  Zunächst  jener  erste  Grundsatz:  zugänglich  und  ver- 
ständlich für  die  Bildungsstufe  der  Schüler  in  den  oberen  Klassen  müs- 
sen die  Dialoge  sein,  die  man  zur  Leetüre  wählt.  Daraus  folgt  dasz 
solche  Dialoge,  in  denen  die  Piaton  eigenthümliche  und  ihn  charakteri- 
sierende Lehre  dargestellt  ist,  Dialoge,  die  nur  durch  die  Einsicht  in 
diese  verständlich  werden,  von  dem  Gymnasium  ausgeschlossen  bleiben 
müssen.  Ich  sage:  die  dem  Piaton  eigenthümliche  Lehre.  Es  steht 
durch  die  Nachrichten  des  Aristoteles  fest,  dasz  das  unterscheidende  der 
platonischen  Lehre  von  der  sokratischen  Weise  des  philosophierens  darin 
liegt,  dasz  für  Piaton  die  allgemeinen  Begriffe  eben  als  solche  zugleich 
unbedingt  real  sind.  In  welche  unlösbaren  Schwierigkeiten,  in  welche 
Inconsequenzen  eine  solche  Hypothese  dann  verwickelt,  wenn  von  die- 
sem aufsteigen  zu  den  höchsten  Allgemeinbegriffen  zurückgekehrt  wer- 
den soll  zur  Erklärung  des  wirklichen,  kann  mehr  als  ein  Dialog  Piatons 
genügend  zeigen.  Gewis  kann  «lan  es  nun  nicht  als  Aufgabe  des  Gym- 
nasialunterrichtes betrachten,  er  solle  den  Versuch  anstellen  dasz  sich 
die  Schüler  in  jenen  Zustand  des  denkens  lebhaft  versetzen,  in  welchem 
das  erstaunen,  die  Bewunderung  des  logischen  Allgemeinbegriffes  so 
grosz  war,  dasz  er  als  solcher  sogleich  für  ein  Svtag  ov  erklärt  wurde, 
also  der  Begriff  einer  Zahl,  dvofg,  xqidq ^  darum,  weil  er  Object  eines 
bestimmten  erkennens  ist,  auch  ein  6v  sein  müsse.  Dialoge  also,  welche 


Jtoridit  ab.  d.  Verb.  d.  18n  Vers,  deutscher  Philologen  usw.  in  Wien.  615 

nur  durch  die  vollständige  Versetzung  in  das  oigenÜiümlicho  der  plato- 
niBcbeu  Lehre  vcrstäudlich  werden,  sind  von  der  Gymnasiallectüre  aus- 
Boschlleszen.  Mag  es  immerhin  sein,  dasz  in  einem  wolUgeleitotcn  philo- 
sophisch-propaedeutischen  Unterricht  das  eigenthümlicho  der  platoni- 
schen Lehre  eine  Bedeutung  für  die  Auffassung  der  Logik  erhält;  aber 
man  kann  unmöglich  die  Wirksamkeit  eines  groszen  Theiles  des  grie- 
chischen Unterrichtes  davon  abhängig  machen,  dasz  gerade  ein  ausge- 
seichneter  Erfolg  des  philosophisch  -  propaedeutischen;  Unterrichts  das 
Verständnis  der  dargebotenen  Lectiire  ermöglicht  habe. 

Anderseits  soll  die  Leetüre  platonischer  Dialoge  wirklich  die  Ach- 
tung begründen,  welche  der  geistigen  und  sittlichen  Grösze  Piatons  ge- 
bürt.  Daraus  wird  für  eine  Auswahl  zweierlei  sich  ergeben:  erstens 
es  können  nur  ganze  Dialoge  gelesen  werden.  Ein  groszer  Theil  der 
eigentbümlichen  Kunst  platonischer  Composition  liegt  in  dem  innern 
Zusammenhang  jedes  einzelnen  Dialogs,  so  dasz  dieser  sich  als  ein 
wohlgegliedertes  in  sich  vollendetes  ganzes  erkennen  und  auffassen 
läszt.  Es  heiszt  der  schriftstellerischen  Bedeutung  l'Iatons  das  beste, 
es  heiszt  ihr  die  Blüte  cntreiszen,  wenn  man  wagt  den  Schülern,  die 
Piaton  zuerst  kennen  lernen  sollen,  platonische  Dialoge  zu  zerbröckeln. 
Merklich  anders  ist  das  Verhältnis  bei  einem  Geschichtscbreiber ;  hier 
ist  es  viel  eher  möglich  eine  einzelne  Partie  hervorzuheben  und  durch 
blosse  Erzählung  des  Zusammenhangs  zu  ergänzen;  ja  selbst  bei  der 
Form  der  Abhandlung  wird  der  Eindruck  auf  den  lesenden  nicht  in  dem 
Grade  vom  lesen  des  ganzen  abhängen,  wie  bei  jener  eigenthünilichen 
Konstforro,  welche  von  niemand  anderem  in  d  e  r  Meisterschaft  beherscht 
ist  wie  von  Piaton.  Dialoge  also,  die  man  nicht  ganz  lesen  kann,  lese 
man  gar  nicht;  es  tindet  sich  dessen,  was  sich  unverkürzt  lesen  läszt 
und  was  durch  die  Auffassung  des  ganzen  einen  bedeutenden  Eindruck 
macht,  genug,  um  nicht  ein  solches  Surrogat  nöthig  zu  machen.  Zwei- 
tens ergibt  sich  aus  diesem  Grundsatze  die  Ausschliesznng  solcher  Dia- 
loge, deren  platonischer  Ursprung  bestritten  wird ,  und  zwar  hauptsäch- 
lieh  ans  dem  Grunde  bestritten  wird,  weil  man  in  diesen  Dialogen  die 
▼ollständige  Kraft  platonischen  Charakters,  die  Tiefe  der  Gedanken,  die 
▼ollendete  Kunst  Piatons  nicht  erkennt  oder  nicht  zu  erkennen  glaubt. 
Die  Frage ,  ob  die  Anzweifelung  berechtigt  ist  oder  nicht ,  ist  bei  der 
Frage  über  die  Auswahl  eine  vollkommen  gleichgiltige.  Es  ist  ganz 
einerlei,  ob  der  Ion  wirklich  von  Piaton  geschrieben  ist  oder  nicht,  ob 
Hipp.  mai.  unecht  ist  oder  Hipp,  min.,  da  beide  zu.^lcich  sich  nicht  füg- 
lich für  echt  halten  lassen,  oder  ob  beide  unecht  sind;  denn  was  an 
diesen  Dialogen  die  Gründe  zu  Zweifeln  darbietet,  das  sind  ja  eben  die 
Gründe,  um  dcrenwillen  sie  sich  nicht  eignen,  dasz  der  Schüler  aus 
ihnen  zuerst  ein  Bild  Piatons  bekomme;  dies  Bild  wäre  gewis  nicht 
das  richtige.  Ganz  anders,  wer  schon  Piaton  ans  der  Gesamtheit  seiner 
übrigen  Werke  kennt;  für  diesen  ist  es  möglich,  entweder  selbst  in 
früheren  Versuchen  Piaton  wieder  zu  erkennen  oder  zu  entscheiden, 
dasz  sie  nicht  l'latons  Werke  sind. 

Endlich  jener  allgemeine  Satz  über  die  verecnndia,  welcher  un- 
sittliches aus  der  Leetüre  unbedingt  auszuschlieszen  befiehlt,  würde 
bei  einem  Schriftsteller  von  solchem  Adel  des  Geistes  und  Charak- 
ters, wie  er  Platou  auszeichnet,  kaum  erheblich  in  Betracht  kommen. 
Lides  der  sittliche  Adel  und  die  sittliche  Reinheit  auch  Piatons  trägt 
das  Gk)präge  griechischer  Anschauungsweise,  und  nach  einer  Seite  hin 
zeigt  sich  eine  schreiende  Differenz;  eine  grosze  sittliche  Verirmng 
wird  manchmal  nur  schonend  behandelt,  manchmal  erhält  sie  selbst 
eine  Darstellung,  die,  so  idealisierend  sie  auch  sein  mag,  doch  durch 
die  Lebendigkeit  der  Farben  und  Glut  der  Darstellung  zur  Jugend- 
lectüre  sich  nicht  eignet.    Dialoge  Piatons,  welche  in  der  augedeuteten 


616  Bericht  üb.  d.Verb.d.  Idn  Vers,  deutscher  Pbilologea  usw.  iaWiea. 

Beziehung  zu  Bedenken  Anlasz  geben,  sind  von  der  SchollectUro  anbe- 
dingt anszuschlicszen. 

Sammicren  Wir  nun,  was  aus  den  allgemein  dargelegten  drei  Grund- 
sätzen sich  im  einzelnen  ergibt.     Nach    dem   ersten    müssen   von    der 
Gymnasiallectüre    ausgeschlossen    bleiben    nicht    blos    Theaet. ,    Krat., 
Polit.,  Soph.,  Farm.,  Phileb.,  Rcp.,  Tim.,  Legg. ,   sondern  ebenso  auch 
Phaedrus,  Symposion  und    der   in  den  Gymnasien  nach  meiner  lieber- 
Zeugung  zum  Nachtheil  des  Interesses  an  griechischer  Lectüre  weit  ver- 
breitete rhacdou^))  von  dem  es  nicht  möglich  ist  irgend  einen  Anfang 
des  Verständnisses   zu   gewinnen,  ohne  das  genaueste  eingehen  iu  das 
schwierigste,  ja  zum  Theil  überhaupt  kaum  entwirrbare  Gebiet  der  pla- 
tonischen Philosophie.     Durch  den   zweiten  Gesichtspunkt  würden  jene 
kleineren  Dialoge  entfernt,  wie  AIcibiados,  Hippias  I  a.  II,  Ion«     Von 
dem  dritten  Gesichtspunkt  wäre  nur  etwa  Gebrauch  zu  machen  bei  Dia- 
logen wie  Charmides,  Lysis,  Symposion,  Phaedrus.     Die  beiden  letzten 
fallen   schon  aus  einem  andern  Grunde,   nemlich  wegen   der  Schwierig- 
keit des  Inhalts,   auszerhalb  des  Bereiches  der  Gymnasiallectüre.    Dasz 
der  gleiche  Grund  in  Wahrheit  auch  für  den  Charmides  gilt,  dürfte  sicli 
aas  einem   eigenthümlichen  Vorgänge  in  der  Erklärung  dieses  Dialogs 
seit  Schleiermacher  crschlieszen  lassen.     Wenn   im  Charmides  auf  die 
imarijfiri  iniati^firjg  in  einer  täuschenden  Weise  hingeführt  wird,  so  hat 
eine  Bemerkung  Schleiermachers  über  die  Wichtigkeit  dieses  Gedankens 
dazu  geführt,  dasz  von  ihm  an  bei  allen  Erklärern  Piatons  und  plato- 
nischer Schriften   ausnahmslos    dieser  Gedanke  als  ein  wichtiger  Punkt 
in  der  platonischen  Lehre  vorkommt**).    Zu  meinem  erstaunen  ist  man 
in  dieser  Ansicht   nicht  irre  geworden  durch  die  seltsame  Erscheinung, 
dasz  dieser  wichtige  Gedanke  nicht  nur  in  weiter  keiner  eiuzigen  Stolle 
sonst  bei  Piaton  ausgesprochen  wird,  sondern  überall  das  gerade  Gegen- 
theil,  nemlich  dasz  für  ini,at7Ju,r}  und  hnCazac^u^  ein  anderer  Gegen- 
stand gar   nicht  denkbar  sei  als  ov\    von   einem   solchen  sich  in  sich 
spiegeln  des  donkens   ist  vor  der  aristotelischen  Philosophie  nicht  die 
Rede.    Dieser  eigenthüralicho  Vorgang  in  der  Erklärung  dos  Charmides 
darf  wol  als  Symptom  betrachtet  werden  von  Schwierigkeiten,  welche 
die  Kräfte    des   Gyronasialschülers    übersteigen.     Beim  Lysis    wird   die 
Zartheit  des  ganzen  da,   wo  noch  eine  langsamere  Leetüre  unvermeid- 
lich ist,  schwerlich  den  vollen  Eindruck  machen,  sondern  man  wird  mehr 
Anstosz  nehmen  an  den  langdauemden ,  wenigstens  scheinbar  sophisti- 
schen Erörterungen    über  die  vielfache  Bedeutung  von  tpClog ,  über  die 
nicht  zu  voller  Klarheit  geführt  zu  werden  scheint.     Trotz  des  geringen 
Umfangs  würde  ich  diese  beiden  Dialoge  zu  jenen  rechnen,  deren  Schwie- 
rigkeit es  nicht   rathsam  macht  .sie  im  Gymnasium  zu  lesen,   obgleich 
diese  Schwierigkeit   der  vorher  bezeichneten  nicht  gleichgeordnet  wer- 
den könnte. 

Hiedurch  kommen  wir  zur  Beschränkung  auf  diejenigen  Werke,  die 
ich  in  meiner  Thosis  als  allein  angemessen  glaubte  bezeichnen  zu  sollen. 
Gegen  die  Leetüre  der  Apologie  und  des  Kriton  hat  sich  nie  eine 
Stimme  erhoben,  es  ist  also  auch  nicht  nöthig  jenes  lebenswarme  Bild 
von  Sokrates  ganzer  Persönlichkeit  oder  jene  Darstellung  aus  seineu 
letzten  Lebcnntagen  zur  Loctüro  zu  empfehlen.  Es  zeigt  sich  immer 
das?  diese  Schriften,  aufmerksam  gelesen,  ihres  Eindrucks  auf  die  Ja- 
gend nicht  verfehlen.  Protagoras  ist  durch  seinen  Inhalt  den  Schü- 
lern vollkommen  zugänglich;  es  ftndet  sich  im  Prot,  schlechterdings  keine 
Erörterung,  die  einen  philosophischen  oder  philosophisch -historischen 
Unterricht  als  vorausgegangen  erforderte.   Die  Discussionen  bringen  die 

*)  Später  hat  der  Redner  noch  den  Euthydemas  und  Menon  nach- 
getragen.       **)  Vgl.  Bonitz,  plat.  Stadien  8.53  Anm.  52. 


Bcrioht  üb.  d.  Verii.  d.  ]8n  Vers,  dentscher  Philologen  usw.  in  Wien«  617 

gewöhnliclie  Unbestimmtheit  nnd  Unklarheit  in  der  Auffassang  allge- 
mein üblicher  Begriffe  aus  dem  sittlichen  Gebiete  zur  Evidenz.  Die 
Öchöler  der>itufc,  auf  welcher  platonische  Dialoge  zur  Leetüre  kom- 
men, können  sich  hieran  wol  spiegeln;  denn  denjenigen  Schlingen,  in 
welche  der  Mitunterredner  des  Sokr.  vereint,  würden  sie  alle  oder  doch 
fast  alle  ebenfalls  verfallen.  Und  während  nichts  im  Prot,  die  Bildnngs- 
stnfe  der  Schüler  übersteigt,  ist  es  leicht  möglich  das  Interesse  während 
der  Leetüre  des  gesamten  lebensfrischen  Dialogs  zu  bewahren,  wenn 
man  zu  rechter  Zeit  die  scharfe  Gliedening  des  ganzen  bemerklich  macht. 
—  Das  gleiche  gilt  von  dem  Inhalte  und  Gange  des  Gorgias.  In  einer 
einzigen  Partie  könnte  man  eine  erheblichere  Schwierigkeit  finden ,  in 
jener  nemlich,  wo  durch  die  begriffliche  Unterscheidung  von  ijdtJ  und 
dya^ov  die  wissenschaftliche  Grundlegung  zu  den  weiteren  Folgerungen 
gewonnen  wird.  Indessen  auch  diese  schwindet,  sobald  man  sich  aus 
dem  Zusammenhange  überzeugt ,  dasz  Piaton  hier  ridv  in  der  speciellen 
Bedeutung  dos  'begehrten'  gebraucht.  Der  Gorgias  ist  nicht  schwie- 
riger als  Protagoras,  sondern  nur  umfangreicher,  und  daraus  ergibt 
sich  allerdings  als  Bedingung  seiner  Wahl  zur  Leetüre,  dasz  schon 
eine  gröszere  Leichtigkeit  des  lesens  erworben  und  hinlängliche  Zeit 
verwendbar  sei. 

Diese  Dialogo  haben  das  empfehlenswcrthe ,  dasz  man  aus  ihnen 
einen  wirklichen  Eindruck  des  platonischen  Charakters  erhält.  Jeder 
derselben  führt  uns  zugleich  durch  Darlegung  der  Sophistik,  Kritik  der 
Rhetorik,  ^ritik  der  Politik  jener  Zeit,  zu  den  cultur- historisch  wich- 
tigsten Erscheinungen  jener  Periode,  und  dies  in  einer  Weise,  dasz  man 
Bwar  auch  nicht  vor  Schülern  genöthigt  sein  wird,  alles  was  Piaton 
sagt  als  unbedingten  Ausdruck  der  Wahrheit  hinzustellen,  aber  alles 
wol  darlegen  kann  als  Ausdruck  eines  sittlich  -  edlen  Geistes,  der  die 
Erscheinungen  seiner  Zeit  streng  richtet. 

Lesbar  sind  allerdings  Enthyphron  und  Menexenus;  aber  der 
Menexenus  gehört  seinem  gröszeren  Theilo  nach  einer  Litteraturgattung 
an,  die  man  nicht  durch  die  Lectüro  platonischer  Schriften  vertreten 
sehen  will,  sondern  für  welcltc  andere  Leetüre  vorhanden  ist;  und  bei 
Euth.  ist  das  misliche,  dasz  über  einen  äuszerst  wichtigen  Begriff,  den 
der  Frömmigkeit,  Zweifel  und  Coilisionsfälle  vorgebracht  werden,  ohne 
dasz  sich  aus  dem  ganzen  ein  hinlänglich  deutlich  bezeichneter  Weg  der 
Lösung  ergeben  will.  Zwar  ist  im  Euth.  ein  Weg  der  Lösung  vor- 
handen, aber  er  ist  bei  weitem  nicht  in  der  Klarheit  bezeichnet,  wie  in 
dem  zur  SchuUectüre  von  mir  empfohlenen  vorher  nicht  weiter  charak- 
terisierten Laches.  Soll  aber  ein  Dialog  von  den  Schülern  mit  In- 
teresse gelesen  werden ,  so  musz  es  ihren  eigenen  Kräften  möglich  sein 
aus  den  zerstreuten  Fäden  ein  Gewebe  wirklich  zu  gestalten ;  ist  es 
nöthig  dasz  der  Lehrer  ihnen  erst  dieses  Kunststück  vormache,  wie  die 
Lösung  eines  Käthsels,  auf  welche  niemand  von  selbst  verfallen  wäre, 
so  ist  damit  nicht  mehr  erreicht  als  durch  ein  Spiel  des  Scharfsinnes 
nnd  des  Witzes ,  das  im  Augenblick  des  zuhörens  interessiert  und  dann 
vergessen  wird ;  dergleichen  gehört  nicht  in  die  Schule. 

Ans  den  zahlreichen  Dialogen  Piatons,  für  deren  Leetüre  .zu  gewin- 
nen mir  viel  wünschenswerther  ist  als  davon  abzuhalten,  kann  ich  dem- 
nach zur  SchuUectüre  doch  nur  jene  fünf  geeignet  und  die  anderen  bei- 
den zulässig  aber  nicht  empfehlenswerth  finden;  ich  habe  mich  in  aus*- 
drücklichen  Gegensatz  gestellt  gegen  Phaedon.  Die  Vorliebe  für  Phaed, 
als  SchuUectüre  ist  eine  unleugbare  Thatsache;  man  sehe  buohhänd- 
lerischc  Ausweise  nach,  welche  Hefte  von  commentierten  Ausgaben  und 
leider  noch  mehr,  welche  Bändchen  jener  beliebten  Verbindung  des  Tex- 
tes mit  der  Uebersetzung  die  meisten  Auflagen  erlebt  haben ,  so  wird 
man  finden  dasz    an  Gymnasien  vorzugsweise  käufig  Phaedon  gelesen 


618  Bericht  ab.  d.  Verb.  d.  ISn  Vers,  deatscher  Philologen  osir.  in  Wie». 

wird.  Man  wird  aas  der  letzten  Thatsache  zugleich  sehen  w  i  e  er  ge- 
lesen wird;  denn  am  yerbreitetsten  sind  Verbindongen  von  Text  nnd 
Uebersetznng.  Diese  grosze  Zuneigung  haben  dem  Phaedon  zwei  Um- 
stände erworben.  Der  eine  verdient  die  yollste  Anerkennung^,  nemlieh 
am  Anfang  und  Schlnsz  des  Phaedon  finden  sich  über  das  Lebensende 
des  8okrates  Erzählungen  von  einer  erhabenen  Weihe;  diese  wüstscht 
man  in  die  Leetüre  einzuführen.  Diese  Stellen  sind  jedoch  yon  so  ge- 
ringem Umfang,  übrigens  solcher  Leichtigkeit,  dasz  es  zu  verwundem 
wäre  wenn  man  sie  nicht  lieber  in  die  Chrestomathien  aufnehmen  sollte, 
die  vor  dem  lesen  eines  zusammenhängenden  Schriftstellers  doch  einmal 
nnentbehrlich  sind.  Zweitens  ist  der  im  Phaedon  behandelte  Gegenstand 
unverkennbar  ein  Anlasz  seiner  Bevorzugung  für  die  Schulleotüre;  die 
Lehre  von  der  Unsterblichkeit  der  Seele  gibt  Berührungspunkte  mit  dem 
Inhalte  des  christlichen  Glaubens.  Aber  gerade  dieses  Moment  sollte 
vielmehr  zu  ernstlichen  Erwägungen  und  Bedenken  Anlasz  geben.  Ein- 
mal ist  es  nicht  richtig  dasz  im  Phaedon  von  der  Unsterblichkeit  der 
Seele  gehandelt  werde,  sondern  von  deren  Ewigkeit;  dasz  die  wesent- 
liche Verschiedenheit  dieser  platonischen  Lehre  von  der  christliehen  ge- 
wöhnlich verwischt  wird,  ist  der  Einsicht  nach  beiden  Seiten  hin  nicht 
förderlich.  Ferner  Piatons  Beweise  für  seine  Lehre  beruhen  ausschliesz- 
lieh  auf  der  Annahme  der  Ideen  und  werden,  ohne  diese  Voraussetzung, 
zu  einem  bloszen  Gerede,  das  kaum  auf  Wahrscheinlichkeit  Anspruch 
hätte.  So  wenig  wie  die  irrige  Identification  jener  platonischen  Lehre 
mit  der  christlichen  zu  billigen  ist,  so  wenig  dürfte  es  empfehlenswerth 
sein  auch  nur  zu  dem  Scheine  Anlasz  zu  geben,  als  ob  diese  Lehre 
mit  der  Annahme  der  platonischen  Ideen  in  irgend  einem  Zusammen- 
hange stehe.  Das  zweite  also  von  den  Momenten,  welche  dem  Phaedon 
diese  Verbreitung  in  der  Schule  verschafft  haben,  hätte  vielmehr  zu  Be- 
denken Anlasz  geben  sollen.  Aber  abgesehen  hieven  ist  Phaedon  durch 
den  früher  bezeichneten  Gesichtspunkt  der  Schwierigkeit  von  der  Schul- 
lectüre  ausgeschlossen.  Denn  es  ist  nicht  nur  alles,  was  in  ihm  über- 
haupt Beweiskraft  hat,  auf  die  Ideenlehre  basiert,  sondern  es  kommen 
noch  speciell  darin  Discussionen  vor,  und  zwar  in  ganz  untrennbarer 
Verbindung  mit  dem  übrigen,  über  die  mislichste  Partie  der  Ideenlehre, 
die  Kelationsbegriffe,  das  grössere,  das  kleinere  usw.,  Erörterungen,  über 
die  sehr  viel  scharfsinniges  bereits  geschrieben,  aber  wie  mir  scheint 
Klarheit  noch  nicht  erreicht,  vielleicht  auch  nicht  erreichbar  ist.  Einen 
Dialog  nun,  in  dem  solche  Erörterungen  einen  untrennbaren  Theil  bil- 
den, zur  Leetüre  den  Schülern  geben  soll  das  heiszen,  man  will  diesen 
Theil  herausreiszen ,  obgleich  er  für  Piaton  nothwcndig  war,  oder  will 
man  ihn  unverstanden  lassen  und  entweder  Langeweile  hervorrufen  oder 
die  Meinung  er  sei  verstanden?  Zu  solch  halbem  wissen  darf  der  nicht 
rathen,  der  den  platonischen  und  sokratischen  Charakter  achtet.  Des- 
halb wünschte  ich  den  Phaedon  nicht  auf  den  Lectionsverzeichnissen 
der  Gymnasien  zu  sehen,  denn  ich  bin  jedesmal  besorgt^  dasz  der 
Lehrer  das  eigene  Interesse  an  dem  Gegenstande  verwechselt  mit  dem 
Interesse,  das  er  in  Schülern  wecken  soll;  höre  man  doch,  in  wel- 
cher Weise  an  die  Leetüre  solcher  Dialoge  in  späteren  Jahren  zurück- 
gedacht wird. 

Dies  die  Gründe  meiner  Auswahl;  ea  würde  mir  erwünscht  sein, 
wenn  gerade  zur  Vcrtheidigung  des  Phaedon,  da  hierin  meine  Ansicht 
einer  verbreiteten  Praxis  entgegentritt,  die  etwa  vorhandenen  Gründe 
geltend  gemacht  würden. 

Prof.  Dr  Beer  aus  Wien:  ich  bin  praktischer  Arzt,  allein  ans 
ganz  besonderer  Liebe  fürs  Griechische  habe  ich  mir  erlaubt  der  Dis- 
cussion  beizuwohnen.  Vollkommen  einverstanden  mit  dem,  was  in  Be- 
treff der  verecondia  bemerkt  ist,  glaube  ich  bezüglich  der  Thesis  selbst 


BmUki  flb.  d.Verh.  d.lSnVers.  denUcher  Philologen  osw.iBWiei.  619 

unterscheiden  zu  müssen,  welches  Zweck  man  mit  der  Leetüre  Piatons 
▼erbindet.  Wenn  es  sich  darum  handelt,  der  Jagend  ein  klares  Bild 
der  philosophischen  Ansicht  Tlatons  beizubringen  und  man  sie  dazu  für 
reif  hült,  so  dürfte  die  Leetüre  der  vorgeschlagenen  Dialoge  nicht  hin- 
reiehen.  Wenn  man  dagegen  das  sprachliche  und  formelle  des  Piaton 
der  Jugend  an^s  Heiz  leg^n  will,  bin  ich  vollkommen  einverstanden  dass 
diese  Dialoge  hinreichen,  der  Jugend  einen  klaren  Begriff  von  der  Le- 
bendigkeit platonischer  Sprache  und  Rundung  seiner  Form  zu  geben. 
Allein  es  g^bt  ja  auch  einen  dritten  Zweck  und  nach  meiner  Ueber- 
leugnng  einen  Zweck,  den  man  sehr  im  Auge  behalten  musz,  nemlich 
es  handelt  sich  ja  auch  darum ,  dasz  man  die  Jünglinge  auch  auf  das 
■aehliehe,  nicht  philosophische  aufmerksam  mache,  was  sie  für  ihren 
künftigen  Beruf  aus  Piaton  benützen  können.  Für  angehende  Aerzte, 
denke  ich,  dürften  einzelne  Fragmente  ans  Timaeus  sehr  nützlich  wer- 
den; für  den,  der  sich  den  Rechten  widmet,  glaube  ich  dasz  ganze  Ka- 
pitel aus  den  Legg. ,  der  Rcp.  wichtig  sind ;  ebenso  kommen  in  dieser 
einzelne  selbst  für  Aerzte  wichtige  Stellen  vor,  die  auf  die  Gymnastik 
der  Griechen  helles  Licht  werfen,  und  ich  glaube  dasz  solche  Stellen 
für  die,  welche  sich  diesem  Fache  widmen,  von  groszer  Wichtigkeit  sind. 
Die  von  dem  Hm  Vorsitzenden  bezeichneten  Schriften  mögen  vollkom- 
men, hinreichen,  um  von  der  Sprache  und  den  formellen  Gesichtspunkten 
Piatons  der  Jugend  einen  Begriff  zu  geben,  aber  nicht  einverstanden 
bin  ich,  dasz  keiner  mehr  für  geeignet  zur  Schuilectüre  erklärt  wurde; 
denn  es  wäre  wünschenswerth,  dasz  reiferen  Jünglingen  auch  aus  Legg« 
und  Rep.  jene  Sachen  ans  Herz  gelegt  werden,  die  für  ihren  künftigen 
Beruf  von  groszem  Einflusz  sind.  Uebrigens  musz  ich  mich  genau  an- 
schlieszen  an  die  vom  Hrn  Präs.  ausgesprochene  Ansicht  rücksichtlich 
des  Phaedon,  weil  ich  als  ehemaliger  Erzieher  erfahren  habe,  dasz  man 
diesen  sehr  leicht  misverstehen  kann. 

Prof.  Schmalfeld  aus  Eisleben:  was  meine  Erfahrungen  von  den 
▼ou  Hm  Prof.  Bonitz  verlangten  Dialogen  betrifft,  so  musz  ich  bei- 
stimmen, musz  aber  erklären  dasz  Gorgias  nicht  für  alle  Schüler  passe. 
Was  den  Phaedon  betrifft,  so  sind  meine  Erfahrungen  diese:  ich  habe 
zweimal  versucht  den  Phaedon  zu  lesen,  ein  paar  Schüler  schienen  ge- 
folgt zu  sein;  als  -ich  fertig  war  liesz  ich  den  ganzen  Gang  des  Dia- 
logs hersagen,  was  habe  ich  nun  gehört?  Nur  meine  eigenen  Worte, 
gewis  zum  deutlichen  Beweise  dasz  diese  Primaner  nichts  verstanden, 
sondern  blos  receptiv  sich  verhalten  hatten.  Ich  glaube  dieser  ans 
der  Erfahrung  geschöpfte  Satz  möchte  wol  verdienen  hier  ausge- 
sprochen zu  werden,  um  der  Thesis  des  Hm  Prof.  Bonitz  noch  die 
Bestätigung  der  Erfahrung  hinzuzufügen.  Was  den  zweiten  Vorschlag 
angeht ,  bruchstUcks weise  auch  aus  anderen  Dialogen  etwas  zu  lesen 
um  künftigen  Medicinern  zu  dienen,  so  ist  erstlich  zu  sagen,  dass 
das  Gymnasium  überhaupt  nicht  dazu  da  ist,  um  für  bestimmte  Be- 
mfsfääier  eine  bestimmte  Vorbildung  zu  geben ,  zweitens  aber  alles, 
was  bruchstücksweisc  gelehrt  wird,  das  ist  meine  Erfahrung,  bleibt 
Brachstück,  und  am  Ende  nicht  einmal  das,  es  bleibt  davon  gar 
nichts  übrig. 

Dir.  Benecke  aus  Elbing:  indem  ich  mich  einverstanden  erkläre 
mit  der  Ansicht  des  Hrn  Thesenstellers  über  die  Auswahl  der  Dialoge, 
die  für  die  Schule  lesenswerth  sind,  ebenso  auch  Über  die  Gründe  der 
Verwerfung  der  übrigen ,  glaube  ich  dagegen ,  dasz  sich  im  allgemeinen 
nicht  feststellen  lasse,  ob  man  den  einen  oder  den  anderen  lesen  könne 
oder  nicht.  Es  kommen  subjectivo  Gründe  in  Betracht.  Wenn  man 
eine  kleinere  Prima  hat,  so  tritt  in  verschiedenen  Jahrgängen  ein  sehr 
groszer  Wechsel  ein;  man  wird  mit  einem  Jahrgang  einen  Dialog  lesen 
können,  mit  einem  anderen  nicht.    Was  insbesondere  den  Phaedon  be- 


620  Bericht'ab.  d.Verh.  d.  18n  Vers,  deutscher  Philologen  nsw.ittWlMi. 

trifFt,  möchte  ich  auch  eine  Erfahrunjg:  mittheilen,  die  nicht  in  lieber- 
einstimmung  steht  mit  dem,  was  Hr  Prof.  Bonitz  sowol  als  der 
geehrte  Hr  Vorredner  darüber  g'esagt  haben.  Ich  glanbe  dasz,  wenn 
man  platonische  Dialoge  liest,  nicht  die  Frage  sein  kann  zn  welchem 
Zwecke  man  sie  liest  —  sie  müssen  natürlich  gelosen  werden,  am  sie 
zum  Verständnis  zu  bringen.  Wenn  dies  geschehen  soll,  ist  es  unam- 
gänglich  nöthig,  auf  den  philosophischen  Inhalt  einzugehen.  Ich  habe 
mich,  obgleich  ich  ähnliche  Verwerfungen  wie  die  des  Hrn  Prof,  Bonitz 
öfter  gehört  habe  und  aus  der  eigenen  Schulzeit  mich  erinnerte  ihn 
nicht  mit  sonderlicher  Erbauung  gelesen  zu  haben,  nicht  abhalten  lag- 
sen  eine  Probe  zu  machen,  und  habe  gefunden  dasz  die  Schüler  wol 
Interesse  für  die  Sache  haben.  Die  Frage,  die  der  Phaedon  behandelt, 
interessiert  die  Schüler  für  sich,  und  dies  ist  vielleicht  auch  mit  der 
Grund,  weshalb  der  Phaedon  zur  Schullectüre  besonders  verwendet  wird. 
Ich  habe  mich  bemüht  den  Gedankengang  und  Zusammenhang  fortwäh- 
rend zur  Klarheit  zu  bringen  und  die  Untersuchungen  nicht  erst  am 
Ende  zusammenfassen,  sondern  von  Stunde  zu  Stunde  darzulegen  und 
festzuhalten,  und  habe  gefunden  dasz  die  l^chüler  mit  stetem  Interesse 
gefolgt  sind  und  dasz  auch,  wenn  man  von  Schülern  nicht  mehr  ver- 
langt als  sie  leisten  können,  also  wenn  man  kein  vollständiges  Ver- 
ständnis Piatons  von  ihnen  verlangt,  die  Schwierigkeiten  zu  heben  sind. 
Ich  habe  selbst  den  Beweis  zu  geben  gesucht,  dasz  die  Schüler  wol  im 
Stande  seien  den  ganzen  Phaedon  im  Zusaipmenhang  zu  recapitulioren. 
Freilich  musz  ich  bemerken,  dasz  ich  nicht  blos  dabei  stehen  geblieben 
bin  die  Beweiiie,  welche  Piaton  für  die  Ewigkeit  der  Seele  gibt,  zum 
Verständnis  zu  bringen,  sondern  ich  habe  mich  eingelassen  diese  Be- 
weise zu  prüfen,  wie  ich  glaube  dasz  dieses  stets  geschehen  musz,  ich 
habe  nicht  gesehen  dasz  die  Hochachtung  vor  Piaton  wäre  beeinträchtigt 
worden,  weil,  wenn  die  Schüler  zur  Kenntnis  gelangen  dasz  die  Be- 
weise Platoils  unzureichend  sind ,  sie  auch  zu  der  Kenntnis  kommen 
dasz  überhaupt  diese  Frage  nicht  Gegenstand  eines  philosophischen 
Wissens,  sondern  des  religiösen  Glaubens  ist.  Ich  habe  nicht  gesehen 
dasz  die  Hochachtung  vor  Piaton  wäre  verkümmert  worden,  weil  dieser 
Dialog  wie  manche  andere  stets  als  Kunstwerk  den  Schülern  achtbar 
bleiben  wird ,  und  weil  die  Jugendfrische,  mit  der  Piaton  an  die  Unter- 
snchung  der  philosophischen  Probleme  geht,  besonders  geeignet  scheint 
das  philosophische  Interesse  auf  eine  der  Jugend  angemessene  Weise 
zu  erwecken. 

G.  R.  Wiese  ans  Berlin:  der  Leetüre  Piatons  begegnet  bei  den 
Schülern  gewöhnlich  ein  sehr  groszes  Interesse.  Der  Name  'platonische 
Ideenwelt',  diese  Bezeichnung,  wobei  Idee  sehr  leicht  mit  Ideal  ver- 
wechselt wird,  bereitet  in  der  Jugend  Erwartungen  vor,  als  ob  sie  in 
ein  Heiligthum  höherer  Erkenntnis  eingeführt  würden.  Man  kann  nicht 
sagen,  dasz  dieser  Erwartung  ein  Ertrag  der  Leetüre  verhältnisroftszig 
entspricht.  Das  wird  wol  allgemeine  Erfahrung  sein.  Das  hat  Ter- 
schicdene  Gründe:  vorweg  den,  dasz  sehr  häuüg  die  Schüler  für  die 
Leetüre  Piatons  nach  ihrer  speciellen  Kenntnis  nicht  reif  genug  sind. 
Den  Piaton  zu  lesen,  müssen  die  elementaren  Vorbedingungen  alle  vor- 
handen sein.  'Aber  ich  glaube  es  rührt  auch  noch  von  einem  anderen 
Dinge  her.  Dasz  man  sich  bestimmte  Zwecke  setzen  sollte  bei  der 
Leetüre  eines  solchen  Schriftstellers ,  braucht  nicht  erst  bewiesen  zu 
"werden  ,  aber  sie  müssen  recht  deutlich  erfaszt  werden.  Sie  können 
sehr  verschieden  sein,  Piaton  soll  den  Schülern  die  Art  des  wahren 
philosophierens  zeigen  im  Gegensatz  zu  der  Afterphilosophie  der  Sophi- 
sten. Der  Hr  Vorsitzende  hat  diesen  Gesichtspunkt  ganz  wahr  berück- 
sichtigt, wenn  er  Prot.  Gorg.  Lach,  nennt  —  ich  würde  übrigens  kein 
Bedenken  tragen  den  Hipp.  min.  hinzuzufügen.    Eine  Beschränkung  moss 


fib.  d.  Verb.  d.  ]8n  Vers,  deutscher  Philologen  usw.  in  Wien.  621 

überall,  so  auch  nach  diesem  Gesichtspankt  auf  Schulen,  eintreten,  man 
wird  den  Kratylus  und  Sophistes  liicht  lesen.     Gcwis  kommt  es  sehr  auf 
die  Generation  der   Schüler  an;   man   kann   Talenten   füglich  zumuten 
aaeh  schwerere  Dialoge  durchzugehen,  aber  die  sind  selten  und  es  gilt 
für  einen  Fehler  nur  mit  den  talentvollen  Schülern  sich  zu  beschilftigen. 
Die  Lehrer  sind  freilich  dazu  geneigt,   aber  man  soll  die  Beschränkung 
eich   auferlegen   sich    immer  mit  der  grüszeren  Mehrzahl,    welches  die 
mittelmäszigen   sein  werden,  zu   beschäftigen.     Ein    anderer   Gesichts- 
punkt ist,  dasz  die  jungen  Leute  Kespect  vor  der  Philosophie  und  In- 
teresse an  philosophischen  Dingen  empfangen.     Das  kann  die  Schule  in 
ihnen  erregen  —  Philosophie  selbst  zu  lehren,  dazu  ist  die  Schule  nicht 
der  Ort  —  dazu  sage  ich  können  diese  Dialoge  vortrefHich  dienen.     Es 
gibt  aber  noch  einen  anderen  Gesichtspunkt.     Bekanntlich  tritt  Piaton 
mit  seiner  Person  ganz   zurück   und  gibt  alle  Ehre  seinem  Lehrer  Se- 
kretes, dessen  Verherlichung ,   wie   es  scheint,  eins  der  Hauptziele  ist, 
die  er  mit  seiner  ganzen  Thätigkeit  anstrebt.    Sie  wissen  dasz  eine  der 
wichtigsten  Fragen   die   ist ,  ob   die  Tugend  lehrbar  ist.     Kein  einziger 
Dialog  bringt  sie  zum  Abschlusz,  die  Discussion  schlieszt  oft  n|^t  einem 
non,  liquet.   In  der  Rcp.  kömmt  sehr  deutlich  eine  Lösung  dieses  Problc- 
mes  vor:  die  Tugend  ist  nicht  lehrbar  wie  eine  Wissenschaft,   die  Tu- 
gend ist  nur  Ichrbar  durch  Tugend   wenn  sie   persönlich    erscheint  und 
durch  die   hinreiszende  Gewalt   des   persönlichen  Lebens  Liebe  und  da- 
dnrch  den  Trieb,  dieselbe  Bahn  zu  wandeln,  sich  ebenso  der  Wahrheit 
und  ihrer  Erforschung  hinzugeben,  in  der  empfänglichen  Seele  erweckt, 
und  dabei  zeigt  er  deutlich  auf  den  hin,    den  er  eben  zum  Mittelpunkt 
seiner  philosophischen  Erörterungen  macht.     Dieses  ist  ihm  eine  solche 
persönlich  gewordene  Erscheinung  der  Tugend,  die  persönlich  gewordene 
'  Tugend.    Aus  solchen  Giüuden  ist  es  auszerordentlich  wichtig  die  Dia- 
loge danach  zu  wählen,  dasz  der  Jugend,  die  so  viele  Empfänglichkeit 
fiir  alles  persönliche   hat,   ein   recht  lebensvolles  Bild  von  Sokrates  ge- 
geben wird.     Dazu   reichen  die   kleineren  Dialoge   gar   nicht   aus,    die 
können  eher  etwas  ermüdendes  haben.     Ich  glaube  daher  es  ist  nöthig, 
was  Hr  Dir.  T  h.  Mayer  unter  III  C  sagt,  zu  Chrestomathien  seine  Zu- 
flucht zu   nehmen.     Ich   weisz  was   sich  gegen  sie  sagen  läszt  und  bin 
kein  Freund   davon   sie  bis   in    die  oberen  Klassen  fortzusetzen;    wenn 
aber  gesagt  wurde,   die  Stellen  des  Phaedon   über  Sokrates  sollten  in 
den  unteren  Stufen  gelesen  werden,  so  scheint  mir  dieses  verfrüht,  dazu 
ist  der  Gegenstand   viel  zu  wichtig  um  ihn  in  usum  iironum  zu  verwen- 
den, sondern  was  sonst  gelehrte  Einleitungen,  die  in  der  That  oft  recht 
übel  sind,  thun,  wäre  da  an  der  Stelle,  wenn  ein  lebendiges  Bild  einer 
.solchen  Persönlichkeit  erzeugt   werden   soll.     Dasz  ein  Auszug  aus  sol- 
chen Dialogen  wie  Phaedon    der   Sache  Eintrag  thue,   kann  ich  nicht 
denken.     Ich    erinnere    an    das  Buch   von  Ritter  und  Preller,    das   mit 
groszem  Nutzen  auf  Gymnasien  gebraucht  worden   ist;    das    sind  auch 
Auszüge,  wo  die  Probestücke  zuletzt  ein  ganzes  Bild  geben.    Es  kömmt 
übrigens  auch  da  auf  das  Geschick  des  Lehrers  an.     Es  sollte  der  An* 
fang  und  Schlusz   aus  Phaedon  herausgenommen  werden,  ich  würde  so- 
gar kein  Bedenken  tragen  darein  Züge  ans  dem  Symposion  einzuweben, 
damit  es  recht  lebendig  würde ,   da  beide  Dialoge  als  ganze   allerdings 
keineswegs  sich  zur  Leetüre  eignen,  hierin  bin  ich  vollständig  mit  Hrn 
Prof.  Bonitz  einverstanden.     Es  ist  bei  Phaedon  häufig  eine  gewisse 
Täuschung;  die  Schüler  lieben  es  mit  Sachen ,  die  über  ihren  Horizont 
gehen,  beschäftigt  zu  werden,   und   es  ist  nicht  ohne  weiteres  zu  ver- 
werfen, man  zeigt  die  Schwierigkeit  und  reizt  sie  sich  würdig  zu  machen 
durch  vermehrte  Anstrengung.   Aber  ich  habe  nicht  im  Sinne  Bonitzens 
Gründe  zu  widerlegen,   der  Phaedon  eignet  sich  nicht   für  die  Schale. 
Meine  Meinung  also  ist  dasz  diese  Dialoge,  für  die  Schule  hinreichen. 


622  Beridit  fib.  d.  Verh.  d.  18d  Vers,  dentochcr  Philologren  usw.  ii  Wie». 

Der  Ion  ist  so  fein  nnd  für  das  jn^ndliche  Gemüt  dorchans  nicht  un- 
angemessen, dass  ich  ihn  nicht  entfernen  möchte.  Man  mnsz  doch  dem 
Lehrer  Ooncessionen  für  seine  persönlichen  Neigungen  machen,  insofern 
sie  mit  der  Hauptaufgabe  der  Schule  nicht  in  Widerspruch  stehen.  Dann 
aber  solche  Partien,  in  denen  die  Persönlichkeit  des  Sokrates  klar  heraus- 
tritt, wobei  ich  Stellen  ans  Phaedon  und  einigen  anderen  Dialogen  Auf- 
nahme wünschte. 

Prof.  Hochegger  aus  Pavia  bemerkt  gegen  das  vom  Vorredner 
gesagte :  erstens  glaube  ich  dasz  ein  vollständiges  Bild  des  Sokrates  aus 
solchen  Bruchstücken  sich  unmöglich  wird  zusammensetzen  lassen,  die 
Bruchstücke  werden  immer  nur  zu  kenntlich  sein  und  die  Fäden  der 
Verbindung  nicht  leicht  auffindbar.  Zweitens  können  alle  Punkte,  die 
Piaton  über  das  Leben  des  Sokrates  yorbringt,  nur  insofern  in  ihrer 
wahren  Bedeutung  gefaszt  werden,  als  sie  in  Bezug  genommen  werden 
zu  dem  genauen  Gedankengang  der  Dialoge  selbst;  herausgerissen  aus 
ihrem  genauen  Zusammenhang  werden  sie  in  ihrer  Bedeutung  beein- 
trächtigt; daher  kann  ich  dem  Vorschlage  einer  solchen  Chrestomathie 
nicht  Jastimmen  und  glaube,  wenn  man  den  Schülern  eine  Idee  von 
platonischer  Philosophie ,  nicht  ein  philosophisches  System  geben  will, 
dasz  wirklich  die  Beschränkung  auf  jene  fünf  Dialoge  zweokmäszig  ist. 

G.  R.  Brüggemann  aus  Berlin:  die  erfreuliche  Theilnahme  an 
der  Discussion  dieser  Thesis  zeigt ,  dasz  wir  auf  einem  sehr  interessan- 
ten Gebiete  des  praktischen  Schullebens  uns  befinden.  Piaton  ist  sprach- 
lich und  inhaltlich  zu  bedeutend  als  dasz  nicht  jedes  Gymnasium  die 
Aufgabe  hätte,  seine  Schüler  einen  Blick  in  ihn  thun  zu  lassen.  Mit 
den  zwei  Grundsätzen,  die  der  Hr  Präs.  ausgesprochen,  erkläre  ich  mich 
einverstanden,  ferner  dasz  alle  Dialoge  auszuscheiden  sind,  welche  die 
▼erecundia  in  unserem  Sinne  verletzen.  Nicht  zugänglich  sind  daher 
für  unsere  Schulen  Phaedr.  Symp!,  ebenso  unzweifelhaft  ist  es  dasz 
keine  gelesen  werden  können,  die  in  den  Mittelpunkt  platonischer  Haupt- 
principien  führen.  Es  wird  keinem  verständigen  Schulmann  einfallen 
Parm.  Sopb.  Theaet.  zu  lesen.  Diejenigen  Dialoge,  die  unzweifelhaft 
zunächst  als  anwendbar  zu  betrachten  sind,  hat  der  Hr  Präsident  nach 
seiner  tiefen  Kenntnis  des  Piaton  als  zweckmäszigste  bezeichnet,  Apol. 
Krit. ,  er  hat  den  Euthyphron  ajs  zulässig  bezeichnet;  für  den  möchte 
ich  auch  das  Wort  reden.  Ich  theile  die  Bedenken  vollständig.  Wir 
wissen  ja  alle,  dasz  Euthyphron  mit  der  Auflösung  des  Begriffes  der 
Frömmigkeit  sich  beschäftigt  nnd  schlieszt  ohne  einzelne  Merkmale  an- 
zugeben; aber  der  ganze  formale  Gang  des  Dialogs  ist  so  leicht  und 
faszlich  und  ein  so  prägnantes  Bild  der  sokratischen  Dispntiermethode, 
dasz  er  formell  sich  ganz  trefflich  eignet;  freilich  müssen  die  Lücken 
ausgefüllt  werden,  das  oaiov  musz  zum  Verständnis  kommen.  Ich 
scheue  aber  nicht,  je  mehr  die  formale  Gewalt  und  die  ideale  des  Alter- 
thums  den  Schülern  Hochachtung  einflöszt,  den  Blick  auf  das  Christen- 
thum  zu  lenken,  und  dazu  bietet  dieser  Dialog  die  Anhaltspunkte,  um 
zu  zeigen  dasz  wir,  wo  der  Begriff  als  das  festzustellende  aufhört,  an- 
dere Mittel  haben,  diesen  zu  ergänzen  und  in  seiner  Tiefe  darzustellen. 
Ich  halte  für  ganz  geeignet  mit  Kriton  den  Enthyphton  zu  verbinden, 
damit  die  Gesichtspunkte  hervorgehoben  werden,  die  in  den  ganzen 
Gang  des  sokratischen  Lebens  den  Schülern  den  Zugang  eröffnen.  Prot, 
und  Gorg.  sind  als  zur  Leetüre  geeignet  bezeichnet  worden.  Ich  stimme 
bei  was  das  Verständnis  betrifft,  spreche  aber  bei  Prot,  aus  wieder- 
holten Erfahrungen.  Mit  dem  gröstcn  Interesse  treten  die  Schüler  ein 
in  das  Haus  des  Kallias,  und  das  ngoatonov  xriXavyBgj  ^it  dem  es  er- 
öffnet wird,  fesselt  die  Jünglinge;  auch  die  Interpretation  des  bekann- 
ten Gedichts  erhöht  ihre  Aufmerksamkeit,  aber  sie  sinkt  bei  der  eigent- 
lichen dialektischen  Partie,  obgleich  der  Inhalt  vollständig  zngänglich  ist. 


Btrkbl  ab. -d.  Verb.  d.  18n  Vers,  deutscher Pbilologen  usw.  in Wieii.«623 

Ich  will  mich  damit  niclit  ge^en  die  Leetüre  des  Prot,  erklären,  sondern 
liabe  nur  andeaten  wollen  was  bei  dem,  was  ich  über  Phaedon  sagen 
möchte,  in  den  Vordergrand  tritt.  Phaedon  habe  ich  wiederholt  ge- 
lesen, aber  ich  schene  mich  nicht  das  Bekenntnis  ausznsprechen ,  dasz 
ich  nie  zufrieden  gewesen  bin.  Es  fehlte  nicht  au  Theilnahme,  nicht 
an  Aufmerksamkeit ,  aber  die  Schwierigkeiten  sind  zu  grosz ,  als  dasz 
man  selbst  geförderte  Primaner  in  das  volle  Verständnis  des  Gedanken- 
kreises einführen  könnte.  Macht  jemand  den  Versuch,  so  wird  er  ganz 
andere  Primaner  vor  sich  zu  haben  glauben,  sobald  die  letzten  Mo- 
mente von  Sokrates  Tod  eintreten.  Nach  diesen  Erfahrungen  kann 
auch  ich  mich  nicht  für  Phaedon  aussprechen.  Wenn  er  dcmungeachtet 
80  häufig  gelesen  wird,  so  hat  der  Hr  Präs.  das  Hauptmotiv  mit  Recht 
hervorgehoben:  unsere  eigene  Theilnahme,  die  Freude  des  erklärens, 
lassen  uns  auch  die  Theilnahme  des  Schülers  erwarten.  Wäre  der 
mittlere  Thcil  zum  Verständnis  zu  bringen,  so  würde  ich  bezüglich  der 
Ewigkeit  der  Seele  eben  so  wenig  Scheu  tragen  wie  bei  Euthyphron, 
auch  diesen  Punkt  den  Schülern  zum  Bewustsein  zu  bringen,  damit  sie 
lernen  welch  wahrheitsvollcn  Inhalt  sie  am  Christenthum  ha^n  und 
mit  welchem  Resultate  dieses  dem  Alterthume  gegenüber  dasteht. 
Uebrigens  ist  die  Schulzeit  so  eng  auch  im  zweijährigen  Cursus  der 
Prima,  dasz,  wenn  die  Dialoge  Krit.,  Euth.,  Ap.,  Prot,  gelesen  werden, 
▼ollständig  der  Kreis  erschöpft  ist,  und  sind  diese  verstanden,  jeder 
Schüler  mit  Vergnügen  aus  der  Schule  scheidet,  um  nun  in  tiefere 
Hallen  der  Wissenschaft  zu  treten,  die  Piaton  geboren ;  und  diese  Liebe 
sn  erwecken ,  dazu  reichen  diese  Dialoge  hin ,  und  sie  zu  erwecken 
bleibt  unsere  Aufgabe. 

Prof.  Schenkl  aus  Innsbruck:  wenn  nach  dem,  was  bereits  gesagt 
worden  ist,  wir  die  Ansichten  summieren  und  eine  eigene  Ansicht  dazu 
fügen,  so  ist  es  die  dasz  sich  die  Leetüre  Piatons  auf  die  bezeichneten 
Dialoge  beschränken  musz.  Jedoch  möchte  ich  dabei  aufmerksam  ma- 
chen dasz  Euth.,  wie  der  Vorredner  bemerkt  hat,  von  groszer  Bedeutung 
f&r  die  Leetüre  ist.  Im  Euthyphron  ist  der  entscheidende  Bruch  mit 
dem  Heidenthum  geschehen,  an  vielen  Stellen  ist  eine  Bresche  in  das- 
selbe geschossen,  so  dasz  eine  Kluft  geöffnet  ist,  die  nimmer  geschlossen 
werden  kann.  Wenn  er  nicht  so  formvollendet  ist  wie  der  Laches  — 
im  ganzen  kam  er  mir  etwas  roher  vor  —  wenn  auch  ein  positives 
Restdtat  wie  im  Lach'es  sich  nicht  erkennen  läszt,  so  sind  doch  einzelne 
Züge  gegeben.  Den  Menexenus  möchte  ich  nicht  anempfehlen;  er  ist 
sehr  kalt  und  die  Sprache  gegenüber  Isokrates  ungerundet;  dabei  bleibt 
noch  die  grosze  chronologische  Schwierigkeit.  Unbedingt  möchte  ich 
den  Phaedon  nicht  ausgeschlossen  sehen.  An  unseren  Gymnasien  frei- 
lich fällt  er  weg;  mit  fünf  griechischen  Lehrstunden  ist  es  unmöglich 
bis  zum  Verständnis  desselben  zu  führen;  hingegen  an  auswärtigen 
Gymnasien,  wo  die  Stundenzahl  für  das  Griechische  gröszer,  an  kleine- 
ren Gymnasien  eine  geringere  Schülerzahl  ist ,  da  möchte  ich  ihn  nicht 
wegfallen  lassen.  Es  ist  richtig  bemerkt  worden,  dasz  für  das  christ- 
liche wii*  eine  Brücke  haben  müssen,  und  es  gilt  ganz  gewis,  dasz  im 
Gegensatz  zu  den  übrigen  Philosophemen  er  ein  ganz  erfreuliches  Gtegen- 
bild  bildet;  wenigstens  ist  das  fortleben  der  Seele  ausgesprochen  und 
Schlieszt  sich  an  den  Gedanken  einer  Belohnung  und  Bestrafung.  Das 
ist  etwas,  was  ihn  im  ganzen  Alterthum  einzisr  hinstellt;  daher  ich 
ihn  nicht  ausgeschlossen,  aber  die  Schwierigkeiten  wol  ins  Auge  ge- 
faszt  wünsche. 

Präsident:  es  sei  mir  erlaubt,  da  niemand  weiter  das  Wort  be- 
gehrt hat,  auf  einige  Punkte  kurz  zu  entgegnen,  namentlich  solche,  wo 
meine  Aeuszerungen  eine  andere  Auffassung  erfahren  haben.  Was  ich 
Über  das  Verhältnis  zum  christlichen  Glauben  und  über  Mangel haftig- 

JV.  Jahrb.  f,  PMl,  u.  Paed,  Bd  LXXVIII.  F/M2.  43 


624  Berieht  üb.  d.  Verh.  d.  18n  Vers,  deutscher  Philologen  as w.  in  Wien. 

keit  des  Inhaltefl  zu  Phaedon  nnd  Euthyphron  bemerkte,  ist  von  einem 
der  geehrten  Herren  Vorredner  pegen  meine  Absicht  aafgefaszt  worden. 
Nicht  weil  der  Inhalt   des  Phaedon  mangelhaft  nnd  ungenügend  ist  im 
Vergleich  mit  dem   des  christlichen   Gianbens,   nicht  in   diesem  Sinne, 
sondern  weil  gar  leicht  der   Schein  einer  viel  näheren  Verwandtschaft 
entsteht  als  sie  wirklich  vorhanden  ist,  dieses  ist  der  Grand  gewesen, 
warum  ich,  abgesehen  von  der  philosophischen  Schwierigkeit  und,  wie 
ich  trotz  der  die  Haupthindernisse  nicht  treffenden  Entgegnungen  noch 
überzeugt  bin,  von  der  philosophischen  Unausftihrbarkeit  der  Leetüre, 
Bedenken  hegte.    Aehnlich  heim  Euthyphron;  nicht  weil  die  Auffassung 
des  &so(piXeg  und  oaiov  etwas  ungenügendes  ist  —  denn  das  wäre  nur 
der  Einwand,   der  die  klassische  Litteratur  überhaupt,  Piaton  aber  am 
wenigsten  träfe  —  sondern  weil  die  Form  des  Dialoges  es  viel  weni- 
ger möglich  macht  dasz    der  Schüler  aus  eigener  Kraft  ihn  verstehe, 
vielmehr  die  Nothwendigkeit  gegeben  ist,  dasz  der  Lehrer  ihn  auf  je- 
dem Schritt  leite  und  an  der  Hand  führe,  dieses  ist  es  weshalb  ich  ihn 
zwar  nicht  ansschliesze,  aber  minder  empfelilenswerth  finde;   nicht  das 
nnchristliche ,    d.    h.  der  Mangel  gegenüber  der  Fülle  des   christlichen 
Glaubens,   sondern    der    leicht   täuschende  Schein  einer   gröszeren 
Aehnlichkeit  als  sie  wirklich  besteht  war  es ,  worauf  ich  Gewicht  legte 
und  die  Aufmerksamkeit  glaubte  lenken  zu  sollen.  —  Ueber  Hipp.,  Ion 
u.  ä.  und  über  die   gewünschte  gröszere  Freiheit  in  der  Wahl  beateht 
mit  einem   anderen  Hm  Vorredner   gewis  kaum  eine  eigentliche  Mei- 
nungsverschiedenheit;  denn   wenn  man  mit   den  Schülern  mehr  lesen 
kann,  so  ist  es  ja  nicht  ausgeschlossen  dasz,  nachdem  schon  die  rich- 
tigen Grundzüge  für  ein  Bild  Piatons  gewonnen  sind,  auch  manches  auf- 
getragen werde  von  geringerer  Bedeutung.    Ich  gehe  aber  von  der  Voraus- 
setzung aus ,  dasz  für  mehr  als  zwei  kleinere  oder  einen  gröszeren  und 
einen  kleineren  Dialog,  höchstens  zwei  kleinere  und  einen  gröszeren  die 
der  öffentlichen  Schnllcctüre  gewidmete  Zeit  nicht  ausreicht.    Unter  der 
Voraussetzung  solcher  Beschränkung  findet    gewis    der   Grundsatz  An- 
wendung,  dasz  für  die  Schule   das  beste  eben  gut  genug  ist.    Diesem 
Grundsatz  gegenüber    musz   auch  eine  Neigung  des  Lehrers  zu  einem 
oder  dem  anderen  Dialog  nachstehen.     Es   gibt  andere  Mittel   seinem 
Interesse    für  Hipp,   oder  Ion  zu  genügen,  als  dnsz  man  durch  ihn  die 
Schüler  in  Piaton  einzuführen  sucht.     Hierin  also  ist  mein  Zweifel  be- 
gründet, durch  die  Finanzen  der  Zeit,  welche  gebieten  dasz  man  immer 
das  nothwendige  vor  dem  vielleicht  angenehmen  thue.  —  Was  endlieh 
Chrestomathien   über   das  Leben  des   Sokrates  betrifft,   so   gestehe  ich 
ganz  unverholen ,  dasz  ich  mich  nicht  in  der  Lage  befinde  darüber  mit 
ja  oder  nein  ganz  bestimmt  zu  antworten;  denn  ob  eine  solche  Zusam- 
menfassung etwas  erhebliches  zu  leisten  vermag,  wird  sich  nur  ans  einem 
gemachten  Versuch  ersehen  lassen.     Die  Schwierigkeiten  eines  solchen 
Versuches  liegen  nicht  blos   darin  dasz  man  Bruchstücke  an  einander 
zu  reihen  unternimmt,  sondern  dasz  man  es  nuch  innerhalb  dieser  Bruch- 
stücke mit  sehr  verschiedenen  Graden  der  Entfernung  platonischer  Dar- 
stellung von   der  historischen  Objectivität  zu  thnn  hat.     Das  Beispiel, 
das   der  Hr  Vorredner  gleichsam   als   einen  bereits   gemachten  Versuch 
erwähnte,  nemlich  Ritter  -  Preller,  würde  mir  nach  dieser  Seite  hin  nicht 
überzeugend   sein.     Ich    brauche   nicht    zu   sagen  wie   hoch    ich    dieses 
Buch   schätze  als  Hülfsmittel   für  jemand,   der   in  der  Geschichte  der 
älteren  griechischen  Philosophie    für  die  Philosophen,    deren  Schriften 
wir  nicht  mehr  haben,   die  Hauptstellen  beisammen  zu  haben  wünscht; 
für  die  Schriften  von  Piaton  und  Aristoteles  habe  ich  über  dieses  Buch 
gleich  nach  seinem  erscheinen  dargelegrt,  dasz  es  schwerlich  eine  Aus- 
wahl getroffen  hat,    die  zu  einer  einigermaszen  bestimmten  Auffassung 
dieser  Philosophen  führen  könnte.    Da  also  dieses  Beispiel  mir  nicht 


Bericht  ab.  d.Verh.d.  iSnVers.  deiilscber  Philologen  usw.  in  Wien.  625 

«Qsreicht,  so  wage  ich  nicht  früher  über  diesen  Vorschlag  za  urteilen 
«18  ein  Versuch  seiner  Ausführung  vorliegt,  könnte  aber  auch,  wenn 
derselbe  gelänge,  diese  Leetüre  kaum  zur  eigentlichen  Leetüre  Piatons 
rechnen,  und  halte  die  Frage  darüber  als  nebensächlich  im  Vergleich 
zu  der  behandelten  Hauptfrage,  in  der  sich  mehr  Einverständnis  als 
Gegensatz  scheint  gefunden  zu  haben. 

Zweite  Sitzung,  27.  September.  Präsident:  Prof.  Bonitz. 
Der  Vorsitzende  theilt  mit,  dasz  eine  Keihe  gedruckter  Thesen,  erst 
jetzt  eingereicht  von  Dr  Georgens  und  Deinhardt,  Vertretern  der 
Heilpflege-  und  Erziehungsanstalt  im  Schlosse  Liesing  bei  Wien,  an  die 
Hitglieder  der  Versammlung  vertheilt  sei,  und  bemerkt,  dasz  der  um- 
fassende Stoff  der  bereits  zur  Discussion  angenommenen  Thesen  eine 
Behandlung  derselben  nicht  wahrscheinlich  mache,  und  dasz  die  Herren 
Tbesensteller  den  Gegenstand  demnächst  in  einer  besonderen  Schrift 
entwickeln  werden.  Hierauf  erhält  Prof.  Hochegger  das  Wort  zur 
Begründung  seiner  Thesis. 

Hochegger:  unter  den  Klagen,  die  man  in  jedem  Jahre  über  die 
Gymnasien  von  ganz  Deutschland  am  meisten  hört,  ist  gewls  die  über 
den  immer  sichtlicher  werdenden  Verfall  des  Latein,  besonders  in  Bezag 
auf  die  Fertigkeit  und  Gewandtheit  sich  mündlich  und  schriftlich  latei- 
nisch auszudrücken,  eine  der  bedeutendsten.  Dieser  Umstand  hat  mich 
Teranlaszt,  meine  Thesis  der  hochansehnlichen  Versammlatig  vorzulegen. 
Es  ist  nemlich  wichtig,  auf  alle  Mittel  hinzuweisen,  die  fähig  sein 
kennen ,  dem  sinken  der  Gewandtheit  im  lateinischen  Ausdruck  kräftig 
entgegenzuwirken.  Dasz  aber  ein  sinken  dieser  Gewandtheit  ganz  gewis 
vorhanden  ist,  wird  nicht  geleugnet  werden  können;  denn  nicht  nur  in 
der  heutigen  Versammlung  wird  darüber  die  Sprache  sein,  sondern  auch 
in  früheren  Versammlungen  wurde  darauf  mehrfach  mit  Entschiedenheit 
hingewiesen,  und  viele  Regierungen  fanden  sich  veranlaszt,  durch  die 
fichulorgane  auf  diesen  Mangel  hinzuweisen.  Als  eins  der  Mittel,  um 
dem  gedeihen  des  gesamten  lateinischen  Unterriclits  neuen  Aufschwung 
au  geben,  erachte  ich  nan  Sprechübungen,  musz  aber  von  vorne- 
herein meine  Aeuszerung  gleich  beschränken,  nämlich  Sprechübungen 
In  sehr  genauen  Grenzen.  Es  kann  nach  meiner  tiefsten  Ueberzeugiing 
durchaus  nicht  in  Frage  kommen ,  etwa  das  Gymnasium  wieder  zur  ehe- 
maligen lateinischen  Schule  umgestalten  zu  wollen.  Ein  derartiger  Vor- 
gang scheint  durch  den  gesamten  historischen  Gang  unserer  europäischen 
Cultur  unmöglich,  und  es  würde  nur  zum  Ruin  der  Bildung  beitragen, 
-wenn  irgendwo  dessen  Ausführung  versucht  werden  sollte.  Der  Grund- 
satz, dasz  das  Gymnasium  nicht  lateinische  Fachschule  sei,  sondern 
allgemeine  höhere  Bildung  vermitteln  soll,  steht  in  ganz  Europa  fest. 
Es  kann  also  demzufolge  wol  auch  davon  nicht  die  Rede  sein,  alle  Ge- 
genstände oder  auch  nur  einen  gröszeren  Theil  derselben  im  Gymnasium 
lateinisch  vortragen  zu  wollen ;  es  kann  nach  meiner  Ueberzeugung  nicht 
einmal  die  Rede  davon  loS^,  die  lateinische  Sprache  und  Philologie  selbst 
im  Gymnasium  durchaus  lateinisch  zu  tradieren.  Von  den  unteren  Stu- 
fen ist  dies  begreiflich;  aber  es  waren  viele  und  sind  noch  manche,  die 
wenigstens  in  den  mittleren  Klassen  den  lateinischen  Unterricht  in  latei- 
nischer Sprache  ortheilt  wissen  wollen,  so  dasz  eine  lateinisch  abgefaszte 
Grammatik  den  Schülern  gegeben  werden,  für  die  griechische  Sprache  das 
Medium  des  Verständnisses  die  lateinische  bilden  soll ;  dasz  ferner  theil- 
weise  auch  die  Geschichte  lateinisch  vorgetragen  und  in  den  oberen  Klas- 
sen die  lateinische  Sprache  bei  der  Interpretation  angewendet  werden  soll 
u.  a.  m.  Ich  glaube ,  dasz  diese  Vorschläge  nicht  zum  Nutzen  des  latei- 
nischen und  griechischen  Unterrichtes  ausgeführt  werden  könnten.  Es 
handelt  sich  doch  vor  allem  um  genaues  erfassen  des  Sprachmaterials 
und  Verwendung  desselben:   Schwierigkeiten  genug;  wenn  den  Schülern 

43* 


626  Bericht  üb.  d.  Verb.  d.  18n  Vers,  deutscher  Philologen  asw.  io  Wiei. 

nun  noch  die  zweite  Schwierigkeit  aafgebürdet  werden  soll ,  sich  zn 
diesem  Behnfe  eines  Mediums  zu  bedienen,  dessen  sie  noch  nicht  voll- 
kommen mächtig  sind,  so  kann  von  einem  glücklichen  Erfolge  nicht 
leicht  die  Rede  sein.  Ich  musz  ferner  darauf  hinweisen,-  dasz,  wenn 
irgend  welche  Schuleinricbtung  es  versuchen  wollte,  auf  ähnliche  Weise 
dem  Latein  wieder  seine  ehemalige  Geltung  zu  erringen,  oder  darauf 
hinzuarbeiten ,  dasz  in  der  Schule  selbst  in  der  Kegel  lateinisch  gespro- 
chen werde ,  eine  solche  Einrichtung  für  die  Bildung  der  Schüler  und 
ihre  Universitätsstudien  keine  besonders  günstige  sein  würde.  Es  ist 
eine  unleugbare  Thatsache,  dasz  auf  den  Universitäten  lateinische  Vor- 
träge beinahe  verschwunden  sind;  man  kann  sagen  in  allen  Facultäten, 
selbst  mit  Inbegriff  sehr  vieler  theologischer.  Man  gehe  die  Lections- 
cataloge  der  verschiedenen  Universitäten  durch  und  man  wird  sehr 
schwer  auf  lateinische  Vorträge  stoszen.  Es  ist  dies  dnrch  die  Natur 
und  den  historischen  Gang  unserer  ganzen  Bildung  derart  bedingt,  dasz 
selbst  die  vorzüglichsten  Werke  über  philologische  Gegenstände  in  den 
Nationalsprachen  verfaszt  werden.  Ja  man  ist  noch  weiter  gegangen, 
sogar  jene  Ausgaben  der  Klassiker,  die  theils  für  Schüler  theils  für  Männer 
veröffentlicht  werden,  die  sich  noch  nach  der  Schule  an  den  herlichen 
Früchten  klassischer  Cultur  erquicken  wollen,  sind  in  der  Regel  mit 
deutschen  Anmerkungen  versehen.  Ich  habe  nur  an  die  Haupt-Sauppe- 
sche  Sammlung  zu  erinnern  und  glaube,  dasz  in  diesem  Unternehmen 
ein  bedeutsames  Zeichen  der  Zeit  zu  erkennen  ist.  Also  von  einer  Aus- 
dehnung des  Latein  zu  Uebungen  im  sprechen  in  dieser  Beziehung  kann 
nicht  die  Rede  sein.  —  Noch  weniger,  wenn  nicht  einmal  die  Gegenstände 
der)  Gymnasialunterrichts  selbst  in  lateinischer  Sprache  gelehrt  werden 
können,  kann  ich  von  dem  Gebrauch  der  lateinischen  Sprache  zu  d&c 
gewöhnlichen  Conversation  einen  gedeihlichen  Erfolg  erwarten,  ich  glaube 
schon  deshalb,  weil  dazu  die  Grundlagen,  die  klassischen  wenigstens, 
im  Gymnasium  vollkommen  fehlen.  Es  kann  doch  niemandem  einfallen, 
jene  Schriftsteller  im  Gymnasium  zu  lesen,  die  den  Stoff  für  derartige 
Uebungen  zu  geben  geeignet  sind.  Ausgeschlossen  müssen  sein  Petro- 
nius,  Apulejus,  Juvenal,  Martial,  selbst  Terentius  und  Plautus  werden 
schwerlich  allgemein  zur  Geltung  kommen.  Woher  soll  nun  das  Material 
genommen  werden,  um  sich  geläufig  und  elegant  über  die  gewöhnlichen 
Dinge  des  alltäglichen  Lebens  auszudrücken?  Es  ist  allerdings  möglich, 
beinahe  alle  unserer  Zeit  eigenthümlichen  Dinge  gut  lateinisch  auszu- 
drücken; man  roüste  aber  eben  nach  den  Werken  greifen,  die  derlei 
bieten;  ja  man  könnte  sich  nicht  einmal  auf  die  beispielsweise  genann- 
ten Autoren  beschränken;  man  müste  wol  auch  noch  nach  dem  codex 
Theod.,  dem  ed.  Diocl.  greifen,  wo  eine  reiche  Auswahl  von  Ausdrücken 
für  Kleidung,  Küche,  Keller  usw.  vorkommen.  Es  wird  niemandem  ein- 
fallen, derlei  im  Gymnasium  betreiben  zu  wollen;  hat  man  aber  keine 
klassische  oder  wenigstens  echt  lateinische  Grundlage  zur  Conversations- 
sprache,  so  ist  es  sicher  besser,  die  Sache  gar  nicht  zu  versuchen.  So- 
mit, wenn  von  Uebungen  im  lateinisch  sprechen  am  Gymnasium  die  Rede 
sein  soll,  so  ist  dieses  nur  in  sehr  beschränktem  Sinne  möglich.  Ich 
glaube  ncmlich  in  folgender  Weise:  es  ist  ein  richtiger  Grundsatz,  dass 
eine  Sprache  durch  sprechen  gelernt  werden  musz.  Dieser  Grundsatz, 
der  bei  neueren  Sprachen  durchaus  angewendet  wird,  kann  nicht  gan« 
unrichtig  sein  beim  Studium  der  alten.  Früher  fiprcchen,  dann  schreiben; 
wer  richtig  und  mit  einiger  Gewandtheit  zu  sprechen  fähig  ist,  wird 
leicht  fähig  werden,  seine  richtig  gesprochenen  Gedanken  auch  richtig 
schriftlich  wiederzugeben.  Daher  glaube  ich,  der  Ausgangspunkt  beim 
lateinischen  Sprachunterricht  wie  bei  jedem  andern  sei  vor  allem  das 
aneignen  des  Sprachschatzes  der  Worte;  das  richtige  Vocabcllerncn  in 
methodischer  Weise.     Auf  dieses   memorieren    ist   nun   vor   allem    das 


Bericht  ab.  d.  Verh.  i,  Idn  Vers,  deutscher  Philologen  asw.  in  Wiei.  627 

gröste  Gewicht  zu  legon.    Ich  erlaube  mir  beisufügen ,  dasz  bedeutende 
Männer  schon  ocit  lauge  diese  Meinung  vertreten,   und   dasz  die  dazn 
geeigneten  Schulbücher  sich   allmählich   immer  mehr  Eingang  verschaf- 
fen.    Hand   in    Hand    mit    dieser    mehr    mechanischen    Aneignung   des 
Sprachmaterials  hat  die  stufenweise  fortschreitende  Verwcrthuug  dessel- 
ben durch  Satzbildung  zu  gehen.     Es  ist  also  das  Verfahren,  mündliche 
Uebongen  in  den  Formen  mit  den  Vocabeln  derart  anzustellen,  dasz  man 
82tze  damit  bilden  lUszt,  das   einzig  richtige.     Daran   schlieszen  sich 
kleinere  Stellen,  kleinere  Lesestücke  in  methodischer  Folge,  die  memo- 
riert und  verwerthet  werden  müssen.     Ich  glaube,  dasz  ein  Lesebuch, 
das  für  die  unteren  Klassen  dauerhaften  Bestand   haben   soll,    reiches 
Material  für  die  Schüler  zu  bieten  hat,   dasz' besonders  klassische  Sen-. 
tenzen ,  die  sich  dem  Qemüt  und  Gedächtnis  des  Knabens  für  das  ganze 
Leben  eindrücken,    in  reicher  Auswahl   vorhanden   sein  müssen,    dasz 
diese   genau  zu   memorieren  und  ohne   Veränderung  einzuprägen    sind, 
ferner  dasz  bedeutsame,  dem  Verständnis  auch  auf  dieser  Stufe  zugäng- 
liche Stellen  aus  Prosaikern,  ja  auch  aus  Dichtern  stufenweise  immer 
mehr  heranzuziehen  seien ,   und  dasz  man   dann  auf  kleinere  Historien, 
kleinere  Fabeln  usw.  überzugehen  habe;  eine  Auswahl  derart  würde  un- 
bedingt dem  Gymnasium  zu  groszem  Vortheil  gereichen.  —  Hat  nun  der 
Sebüler  so  einen  bedeutenden  Schatz  klassischer  Gedanken  in  klassischer 
Form  sich  angeeignet  (denn  memoriert  soll   nichts  werden,   was   nicht 
verdient  bewahrt  zu  werden ;  also  echt  klassische  Stellen  der  Form  und 
dem  Inhalte  nach),   hat  der  Schüler   sich  eine  Fertigkeit  im   Ausdruck 
dadurch  erworben,  indem   er  alltäglich  genöthigt  ist    diese  Sätze  wie- 
derholt zu  sprechen,    hat  der  Lehrer  die  Gewandtheit  durch  lateinische 
Fragen  lateinische  Antworten  hervorzulocken ,  so  wird  jene  Scheu ,  die 
allgemein  zu  finden  ist,  sich  lat.  auszudrücken,  allmählich  verschwinden, 
^s  kommt  sehr  viel  darauf  an ,  erstens  dasz  der  Lehrer  selbst  überzeugt 
sei  von  dieser  Methode,  zweitens  Lebendigkeit  genug  habe  um  dieselbe 
Ueberzeugung  auch  in  seinen  Schülern  zu  erwecken.  —  In  den  mittleren 
Klassen  tritt  nun  die  Loctüre  der  Klassiker  und  zwar  nicht  in   Brnch- 
etüeken  ein,   sondern  ganze  Werke  von  Klassikern.    Es  ist  nun  gcwis 
die  erste  Forderung,  dasz  die  Schüler  zu  dem  Verständnis  dieser  Werke 
geleitet  werden,   dasz  sie  in  der  Uebersetzung  sich  mit   ihrer  Mutter- 
sprache am  klassischen  Ausdrucke  messen.     Bei  Wiederholungen  aber, 
die  doch  nothwendig  auch  hier  eintreten  müssen,  ist  es  ganz  zweckmäszig, 
den  Inhalt  der  gelesenen  Stücke  von  den  Schülern  in  lat.  Sprache  wie- 
der erzählen  zu  lassen.  Hat  der  Lehrer  dabei  auch  Aufmerksamkeit  darauf, 
durch  eingestreute  Fragen  zu  trennen,  zu  theilen,  darauf  hinzuarbeiten, 
dasz  nach  und  nach  das  Urteil  des  Schülers  sich  bilde,   dasz  er  die  in 
den  Lesestücken  vorkommenden  Phrasen  selbständig  zu  verwerthen  und 
umzukehren  fähig  wird ,  so  ist  auch  hierdurch  viel  gewonnen.     An  solche 
Bepetitionen  können  sich  füglich  Imitationen  anschlieszen;  in  den  schrift- 
lichen Uebungen  ist  namentlich  jener  Sprachschatz  zu  verwerthen,   den 
die  Schüler  in  den  mündlichen  Uebungen  sich  bereits  angeeignet  haben. 
Es  ist  nicht  gut,   wei>n  die  schriftlichen  Uebungen  nicht  parallel  gehen 
mit  den  mündlichen,  wenn  man  den  Schülern  als  Haus-  oder  Schulauf- 
gaben deutsche  Aufsätze  vorlegt,  die  in  keinem  Zusammenhange  stehen 
mit  dem,  was  aus  den  Klassikern  gelesen  wurde.     Eben   diese  wechsel- 
seitige Unterstützung  von  Lectür«}  mündlichen  und  schriftlichen  Uebimgen, 
kann  allein  dem  Zwecke  lebendiger  Sprachaneignung  fordorlic*!!  sein ;  da- 
her sind  Uebungsbücher ,  wie  wir  sie  entstehen  sehen,   für  Ncpos-,  für 
Caesarloser,  ganz  gewis  am  Platze.     Das  meiste  hängt  natürlich  aticli 
hier  wieder  vom  Lehrer  ab;  kein  Buch,  sei  es  auch  noch  so  gut,  kann 
den  lebendigen  Eindruck  der  Rede  des  Lehrers  ersetzen.     Es  wäre  dann 
eine  sehr  schöne  Uebung ,  wenn  nach  dem  Schlüsse  der  Leetüre  längerer 


628  Berichl  ab.  d.  Verh.  d.  I8n  Vers,  deutscher  Philologen  nsw*  in  Wien. 

Abschnitte  der  Inhalt  des  ^nzen  in  lat.  Sprache  zusammengefaszt ,  die 
Theile  in  lat.  Sprache  dargelegt  würden.  Von  da  ans  kann  übergegangen 
werden  auf  die  Discossion  einzelner  Punkte,  z.  B.  bei  der  Miloniana,  wie 
die  enarratio  zu  dem  ganzen  Gang  der  Rede  stehe,  welche  DifFerens- 
punkte  zwischen  der  enarratio  Ciceros  und  der  Darstellung  des  Asconius 
besteben.    Aehnliche  Versuche  können   ebenfalls  bei    anderen  Autoren 
gemacht  werden.     So  bieten  die  Dichter  ein  weites  Feld  dafür;  z.  B. 
nehmen  wir  einen  Cyclus  horazischer  Oden,  etwa  die  sechs  ersten  des 
3n  Buchs;   den  Gedankengang  dieser  sechs  Oden  der  Reihenfolge  nach 
durchzugehen,  die  Frage  einzuwebeu,  welche  Vereinigungspunkte  haben 
diese  Oden  oder  haben  sie  keine,  dies  gibt  die  passendste  Gelegenheit 
zu  fruchtbringender  lat.  Sprechübung.    Denn  ähnliche  Fragen  können 
ganz  gut  in  lat.  Sprache  behandelt  werden,  wenn  natürlich  -vorher  bei 
der  mündlichen  Intei'pretation  der  gesamte  Gang  dieser  Lesestücke  ge- 
nau den  Schülern  dargelegt  wurde.    Auf  diese  Weise  glaube  ich,   dMs 
fort  und  fort  auch   das  Ohr  an  die  Sprache  gewöhnt  und  zugleich  ein 
groszes  Material  für  die  schriftlichen  Uebungen  selbst  gewonnen  wird, 
so   dasz   die  Schüler   der  Krücke    des  Lexicons   immer  mehr  enthoben 
werden.     Es   ist   ohnedies    didaktische   und  paedagogische   Forderung, 
dasz  bei  den  schriftlichen  Uebungen  in   den  unteren  und  mittleren  Stn- 
fen  Grammatik  und  Lexicon  nie   zur  Hand  genommen   werden  dürfen, 
d.  h.  bei  den  Schulaufgaben;  es  soll  nemlich  nur  der  Sprachschatz  ver- 
wendet werden,    den   der   Schüler   sich  angeeignet  hat.  —  Auf  diese 
Weise  glaube  ich,   dasz   das  Lateinsprechen  allein  zweckmaszig  betrie* 
ben   werden  kann.    Ueber   dieses  hinaus   kann  unser  Gymnasium,  wie 
es  jetzt  allgemein  in  Europa  bestellt  ist,   nicht   wol  gehen.     Ich  habe 
hinzugefügt,    dasz  ^lat.  Interpretationen    auch   auf  dön   oberen  Stufen 
des   Gymnasiums   zu    beschränken   sincl'.     Ich   glaube   deshalb:   wollte 
man  irgend  einen  lat.  Klassiker  ohne  deutsche  Interpretation  gleich  ähg 
erstemal  lateinisch  zu  interpretieren  anfangen,  st>  würde  man  ganz  ge- 
wis    auf    ungemeine  Schwierigkeiten   stoszen   und   nicht   den   geho£ften 
Gewinn  haben.     Die  erste  Forderung  bleibt  stets  diese,  dasz  das  Lese- 
stück  dem  Schüler    so  vertraut   werde  dasz  ihm   kein   überhaupt   lös- 
barer Zweifel  übrig  bleibt.     Durch   das  Medium  der  lat.  Sprache  aber 
kann    man   nicht   immer   sicher   sein,   dasz   der  Schüler   wirklich  zum 
Verständnis  gelangt  sei,   sondern  häufig  werden  die  Worte  des  Lehrers 
wiederholt  ohne  verstanden  zu  sein.    Ferner  fordert  die  Interpretation 
der  Klassiker  einen  gewissen  Vorrath  von  technischen  Ausdrücken,  die 
wol  vorhanden  sind,   aber  in  jenen  Werken,  die  am  Gymnasium  selten 
und  dann  nicht  in  hinreichender  Ausdehnung  gelesen  werden  können. 
Es   ist  neralich  schwer  mit  den  Schülern  sehr  viel  rhetorisches ,  sei  es 
von  Cic.  oder  Quint. ,  zu  lesen ;   die  Zeit  dafür  ist  zu  beschränkt.    Es 
fehlt  also  auch  hier,    glaube  ich,    die  Grundlage ,    so  dasz  eigentliche 
lat.  Interpretation   der  Klassiker  nicht  besonders  gerathen  sein  dürfte. 
Ebenso  scheint  es  zu   stehen  mit  den  Uebersetzungen  aus  der  griechi- 
schen in  die   lat.  Sprache.    Niemand  wird  verkennen  dasz  ein  bedeu- 
tender  Gewinn  daraus  erwächst,    wenn   man    mit  Auswahl   derlei  Ue- 
bungen  vornimmt.     Ausgeschlossen    unbedingt    sind    die    Dichter.     Es 
wird  niemandem  einfallen  Homer  lateinisch  übersetzen  zu  lassen,  Soph. 
noch  weniger;   es  kann  überhaupt   nnr  von  Prosaikern  die  Rede  sein. 
Selbst  bei  diesen  möchte  es  vielfach  sehr-  schwer  sein;   ich  erinnere  an 
Thucyd.,  der  hie  und  da  gelesen  wird.     Man  hat  bei  der  Uebersetznng 
in  die  deutsche  Sprache  Mühe  genug  und  die  Reden  müssen  gewöhnlich 
übersprungen  werden.     Es  ist  also  die  Leetüre  des  Thucyd.  an  und  für 
sich   nicht   anzurathen.     Aber   auch  die  Prosa  der  Erzählung  ist  nicht 
derart,  dasz  sie  lateinisch  sich  besonders  leieht  geben  liesze;  dasselbe 
ist  wol  der  Fall  mit  den  meisten  Dialogen  Piatons.     Die  schiirfsinnige, 


Boriehfc  Ob.  d.  Verb.  d.  18n  Vers,  deutscher  Philologen  asw.  in  Wien.  629 

feina,  dialektische  Durchführung,  die  Menge  abstracta,  die  mit  Leich- 
tigkeit im  Griechischen  gebraucht  werden,  könnten  selbst  einen  Cic. 
Bur  YerzweifluDg  bringen,  so  dasz  man  ähnliche  Dinge  Schillern  nicht 
anmuten  darf.  Es  beschränkt  sich  also  die  Auswahl  meist  auf  einiges 
»OS  Xenophon,  einige  leichtere  plat.  Dialoge,  Apol.  Krit.  u.  a.  m. ;  ich 
verweise  z.  B.  nur  auf  die  Anmerkungen  Sejfferts  zu  den  Memor.  An 
diese  Uebersetzuugen  können  sich  eben  so  gut  wieder  Disputationen 
anschlieszen ,  z.B.  die  Frage ,  welchen  Begriff  von  Tugend  legt  Xen. 
dem  Sokr.  in  den  Mem.  in  den  Mund  u.  a.  .Eins  möchte  ich  dabei 
auch  hier  erinnern.  Selbst  bei  den  leichteren  prosaischen  Schrift- 
stellern soll  wenigstens  eine  deutsche  Uebersetzung  der  lateinischen 
zur  Seite  gehen;  es  ist  sonst  nur  zu  leicht  der  Fall,  dasz  manches 
nicht  vollständig  verstandene  einfach  nachgesagt  wird.  Dagegen  glaube 
ieh,  damit  im  Gymnasium  derartige  Uebungen  fruchtbringend  vorge- 
nommen werden  können,  ist  es  vor  allem  Aufgabe  der  Lehrersemina- 
rien,  die  Lehrer  selbst  zu  solchen  Uebungen  heranzubilden.  Bei  den 
Lehrerseminarien  natürlich  fallen  alle  jene  Bedenken  weg,  die  im  Gym- 
nasium sich  geltend  machen.  Es  ist  Pflicht  der  Seminarien,  dafür  sehr 
viel  zu  thun  und  der  lat.  Interpretation  und  lat.  Uebersetzung  g^iech. 
Ellassiker  ein  viel  gröszeres  Feld  einzuräumen,  als  ihnen  bisher  einge- 
^ räumt  worden  ist.  Auf  diese  Weise  glaube  ich,  dasz  man  auch  be- 
gründeten Klagen  mit  gutem  Erfolg  entgegenarbeiten  und  jene  Leichtig- 
keit und  Gewandtheit  im  lat.  Ausdruck  erreichen  kann,  die  auch  unter 
den  jetzigen  Verhältnissen  wünschenswerth  ist. 

Präsident:  ich  halte  es  für  nothwendig  dasz,  um  nicht  die  Dis- 
onssion  ins  unbestimmte  verlaufen  zu  lassen,  zwei  Haupttheile  des  eben 
gehörten  Vortrags  bestimmt  auseinander  gehalten  werden.  Erstens  hat 
fir  Prof.  Hochegg  er  sich  über  die  Stellung  des  Gymnasiums  zu  den 
früheren  Einrichtungen  einer  lat.  Schule  und  andererseits  zu  dem  in 
der  Zeit  begründeten  allgemeinen  Zustand  der  Wissenschaften  kurz  aus- 
gesprochen, offenbar  von  dem  Gesichtspunkt  ausgehend,  dasz  eine  Mittel- 
eehole  ihrem  ganzen  Charakter  nach  nicht  etwas  frei  construicrbares, 
■ondern  etwas  ausdrücklich  durch  den  gesamten  wissenschaftlichen 
Charakter  der  Zeit  gegebenes  ist  und  aus  ihm  nicht  herausgerissen 
werden  kann;  er  hat  hienach  manche  um  vieles  weitergehende  Gedan- 
ken und  Wünsche  in  Betreff  des  lat.  Unterrichtes  sogleich  auszer  Frage 
gelassen  und  sie  nicht  undeutlich  als  unerreichbar  bezeichnet.  Dies  ist 
die  eine  Seite  des  Vortrages.  Die  zweite  hat  die  Frage  behandelt: 
welches  sind  die'  Mittel ,  durch  deren  Anwendung  die  im  Lateinischen 
,  wünschenswcrthc  und  erreichbare  Gewandtheit  des  Schreibens  und  Spre- 
chens wirklich  wird  erreicht  werden.  Ich  schlage  der  verehrten  Ver- 
sammlung vor,  dasz  zunächst  dieser  zweite  Punkt  zur  Sprache  komme, 
der  erste  führt  in  die  Gefahr  eines  unbestimmten  verlaufens.  Dieser 
Eweite  Haupttheil  nun  bietet  folgende  zwei  Seiten  der  Discussion  dar: 
erstens,  ist  gegen  die.  vom  Hm  Prof.  Hochegger  vorgeschlagenen 
.Mittel  an  irgend  einer  Stelle  etwas  einzuwenden?  zweitens,  ist  auszer 
diesen  noch  anderes  zu  empfehlen? 

Benecke:  ich  bin  mit  der  Fragetheilung  vollkommen  einverstan- 
den, wünschte  aber  für  die  Sache  geschieden  Latein  sprechen  und  la- 
teinische Interpretation,  also:  lateinisch  reden  und  Methode  derselben 
und  dann  lateinische  Interpretation  der  Klassiker. 

Präsident:  einverstanden.  Also  zunächst  sind  die  von  Hm  Prof. 
Hochegger  vorgeschlagenen  Mittel  zur  Gewandtheit  im  Lateinspre- 
chen irgendwie  zu  bestreiten  oder  au  einer  Stelle  zu  ergänzen  und  zu 
erweitern. 

Schmalfeld:  ich  musz  zuerst  mir  die  Frage  erlauben,  ob,  wemi 
ich   folgendes    erwähne,    ich    richtig   verstanden   habe.    Wenn  jemand 


630  Bericht  ab.  d.  Verh.  d.  18n  Vers.  deuUcher  Pküolo^eii  uww  ii  WiMi: 

Quarta  hat,  hat  er  den  Alcibiades  von  Nepos  gelesen*  £r  fragt  also: 
quis  fuU  Alcibiades?  Der  erste  antwortet:  Alcibiades  fidt  Aihenientis, 
Qut.  £r  fragt  weiter:  qvibtts  rebus  excelluit  Alcibiades?  Nein,  exeelluU 
geht  nicht,  es  muüz  praestilil  heiszen.  £r  wird  mir  yielleicht  antwor- 
ten: vel  vitäs  vel  virtutibus.  Ich  gebe  weiter  fort  nnd  komme  nach 
Tertia,  weil  ich  davon  einige  Erfahrungen  habe.  Wir  haben  gelesen 
das  le  Buch  von  Caes.  bell.  civ.  Nun  frage  ich:  quae  fuit  causa j  cur 
Caesar  Rubiconem  transieril?  Der  Schüler  wird  anfangen  nnd  sagen:  quia 
—  quia  — .  Nun  was  denn  quia?  Quiasenaius  decrevity  ut  videretU  cansuleSf 
ne  quid  res  publica  detrimenti  caperet.  Gut,  sage  ich,  was  heisst  das? 
£r  wird  das  nicht  recht  wissen  und  die  Sache  bleibt  stecken.  Kr 
wird  doch  vielleicht  fortfahreu :  ut  eadem  esset  potestas  consulis ,  quae 
fuit  aliquando  dictatorum^  ut  consul  esset  cum  inperio  in  ipsa  urhe.  Also 
nun  frage  ich,  ist  dieses  die  Weise?  Nun  würde  ich*  weiter  fra- 
gen: quis  restitit  Caesari  in  Italia?  Der  Knabe  wird  antworten:  Do- 
mitius,    (Gelächter). 

Hochegger:  es  versteht  sich  von  selbst,  dasz  die  Art  der  Frage 
von  dem  Lehrer  abhängt.     Auf  diese  Weise  auf  keinen  Fall. 

Schmal feld:  auf  diese  Weise  nicht? 

Präsident:  ich  erlaube  mir  an  etwas  zu  erinnern.  Der  geehrte 
Redner  hat  auf  die  Frage  ablehnend  geantwortet,  weil  die  Frage  dem 
Inhalt  seines  Vortrags  nicht  entspricht.  Hr  Prof.  Ho 0*11  egger  hat 
erklärt ,  er  wolle  vom  gelesenen  auf  dieser  Stufe  Reproductionen  und 
Erzählung  des  Inhalts;  an  diese  Erzählung  des  Inhalts  würden  sieh 
Fragen  anknüpfen.  Der  Eindruck  des  lächerlicl^en,  den  die  vorher  vor- 
genommene Fragestellung  unverkennbar  machte,  liegt  insbesondere  darin, 
dasz  man  dem  Schüler  die  Frage  möglichst  auf  ein  Wort  stellt,  das  er 
zu  sagen  hat.  Was  Hr  Prof.  Hochegger  verlangt  hat  ist  folgendes: 
in  der  Klasse,  in  welcher  Caesar  gelesen  wird,  hat  es  der  Schüler  zu 
versuchen  einen  kleineren  Complex  der  Erzählung  lateinisch  dem  Inhalte 
nach  wiederzugeben.  An  diese  Grundlage  schlieszt  sich  eine  ganz  an- 
dere Art  von  Fragen  an,  als  wenn  man  eine  historische  Erzählung  in 
eine  Katechese  verwandeln  wollte.  Insofern  entspricht  die  Frage  nicht 
dem  von  Hm  Prof.  Hochegger  empfohlenen,  sie  ist  Bestreitung  des  ' 
vorgetragenen. 

Schmalfeld:  nun  meine  ich,  wenn  auf  diese  Weise  einzeln  abge- 
fragt ist,  kann  nun  dieses  dazu  treten,  dasz  nach  zehn,  zwanzig  Ka- 
piteln der  Hauptinhalt  lateinisch  vorgetragen  wird  mit  einiger  Beihülfe 
von  Seite  des  Lehrers.  Das  erste  war  Vorübung  zu  dem  zweiten;  denn 
es  wird  nicht  gleich  anfangs  möglich  sein,  dasz  die  Schüler  dieses  la- 
teinisch sagen,  wenn  man  nicht  den  Inhalt  gleichsam  katechetisch  ans 
ihnen  herauszubringen  sucht. 

Präsident:  es  sei  mir  gestattet  das,  was  Sie  gesagt  haben,  in 
bestimmten  Gegensatz  zu  formulieren.  Sie  erklären:  eine  solche  Keca- 
pitulation  des  Inhalts,  z.  B.  auf  der  Stufe,  auf  welcher  Caesar  gelesen 
wird,  ist  nicht  möglich,  ihr  hat  voranzugehen  jene  Katechisation,  durch 
die  man  die  einzelnen  Worte  möglichst  hcrausfrägt. 

Hochegger:  ich  glaube  dasz  bei  befähigteren  Schülern  auch  ohne 
ein  solclies  berausfragen  der  Inhalt  längerer  Abschnitte  wieder  zu  be- 
kommen ist;  die  Befähigung  indes  ist  sehr  ungleich;  sollte  der  Schüler 
stocken,  so  hilft  eben  der  Lehrer  nach.  • 

Präsident:  ich  erlaube  mir  das  Wort  zu  nehmen.  Es  handelt 
sich  um  eine  ITnterrichtspartie ,  die  ich  lange  Zeit  genug  selbst  geführt 
habe,  so  dasz  ich  aas  Erfahrung  weisz  was  erreichbar  ist.  Ein  repro- 
ducieren  des  Inhalts  erreicht  mau  gewis  nicht,  wenn  man  diese  Ke- 
production  eben  einfach  als  Aufgabe  stellt,  z.  B.  wir  haben  zehn  Ka- 
pitel gelesen,  das  nächste  Ma^  ist  der  Inhalt  davon  lateinisch  anzugeben. 


itridit  üb.  d.  Verh.  d.  18d  Vers,  dentscher  Philologen  ntw.  itf  Wieo.  631 

So  ist  es  allerdings  Dicht  erreichbar  nnd  da  ist  der  Einwand  yollkom- 
men  richtig.  Aber  der  Lehrer ,  der  den  Caesar  liest ,  hat  sicherlich 
grammatische  Stunden  und  hat  Compositionen ,  wie  man  es  hier  nennt, 
oder  Extemporalien  schreiben  zu  lassen.  Wenn  er  als  Material  für  die 
grammatischen  Stunden  und  für  die  Compositionen  denselben  Stoff  ver- 
wendet, so  wird  dadurch  möglich  —  ich  spreche  aus  eigener  >  Erfahrung 
—  die  mündliche  Keproduction  zu  erreichen;  nur  darf  sie  eben  nicht 
als  Aufgabe  gegeben  sein,  die  man  den  Schülern  blos  zur  eigenen  Arbeit 
gibt,  sondern  durch  andere  mittelbar  jener  zu  gute  kommende  Arbeiten 
mnsz  geholfen  werden.  Die  Hülfe,  die  Hr  Dr  Schmalfeld  vorschlägt, 
ist  mir  aus  Erfahrungen  nicht  bekannt  und  ich  hege  Zweifel  ob  sie  sich 
durchweg  so  sehr  empfehlen  wird. 

Schmalfeld:  ich  habe  noch  zu  bemerken,  dasz  in  der  praktischen 
Ausführung  sich  manches  anders  macht.  'Ich  erlaube  mir  noch  folgen- 
des hinzuzufügen:  die  gröste  Schwierigkeit  entsteht  bei  den  ersten  An- 
fKngen  des  Lateinschreibens.  Da  habe  ich  bei  der  geringen  Praxis,  die 
ich  hier  habe,  folgendes  als  das  beste  Mittel  gefunden.  Ich  musz  aber 
wieder  an  die  Katechese  erinnern.  Ich  nehme  ein  ganz  triviales  Thema. 
Ich  gebe  z.  B.  quaenam  fuerunt  merüa  Miltiadis  in  cimlatem  Atheniensium? 
Wenn  man  dies  Thema  aufgibt  und  sagt:  nun  setze  dich  hin  und  be- 
arbeite das  Thema;  der  arme  Schüler  ist  in  höchster  Noth';  mir  ist  das 
so  gegangen  in  meiner  Schulzeit  und  anderen  ebenso.  Da  g^bt  es  ein 
Mittel  und  das  ist  jene  Katechese.  Wenn  ich  sage:  quis  fuii  Mäiiades? 
wird  der  Schüler  antworten:  Miltiades  fuit  AtheniensiSj  qui  vidi  apud 
Marathona,  Quem  vicit  MiUiades  apud  Maralhona?  usw.  Wenn  ich  diese 
einzelnen  Punkte,  die  der  Schüler  weisz,  blos  in  einzelnen  Sätzen,  in 
welcher  Ordnung  sie  auch  stehen,  alle  durch  das  abfragen  aus  der 
ganzen  Klasse  heraus  habe,  so  suche  ich  die  Disposition  heraus- 
zubekommen dadurch,  dasz  ich  die  Aufgabe  zur  nächsten  Stunde  stelle 
und  sage:  in  der  nächsten  Stunde  bringen  Sie  aus  dem  Material,  das 
Sie  durchgenomiAcn  haben,  die  Disposition  zu  ihrer  später  zu  liefern- 
den Arbeit.  Dabei  kommen  verschiedene  Irthümer  vor,  aber  wenn 
man  nächstens  wieder  fortfährt ,  fast  alles  lateinisch ,  dann  wird  die 
Arbeit  leichter.  Ich  glaube  durch  dieses  Verfahren  zunächst  zam 
Zwecke  des  Lateinschreibens  habe  ich  das  Lateinsprechen  wesentlich 
gefördert. 

Eckstein:  ich  bin  in  der  seltsamen  Lage  dasz  ich  dem  Herrn 
Thesensteller  fast  überall  beistimmen  musz,  anderseits  aber  mich  frene 
meinen  Schmalfeld  nach  einer  bestimmten  Seite  hin  rechtfertigen  za 
können.  Die  Herren  scheinen  das  katechisieren  nicht  recht  verstanden 
zu  haben,  aber  Seh  mal  fei  d  ist  nicht  auf  den  Kopf  gefallen,  ich  habe 
auch  die  Sache  so  gemacht  aus  dem  Grunde,  damit  die  Buben  latei- 
nisch hören,  damit  sie  sich  gewöhnen  Latein  zu  verstehen,  damit  sie 
Stoff  haben.  Variieren  der  einzelnen  Sätze,  umgestalten  in  andere  Pe- 
rioden, aber  immer  mit  anderen  Ausdrücken,  das  ist  so  lächerlich  nicht. 
Das  erste  scheint  mir  doch  zu  sein,  dasz  die  Knaben  auch  Latein 
hören  lernen  und  das  geschieht  auf  diese  Weise  gewis  am  besten. 
Dann  möchte  ich  aber  alles,  was  vom  memorieren  gesagt  ist,  als  eigent- 
lich nicht  zum  Lateinsprechen  gehörig,  ausgeschieden  wissen.  Was  der 
Herr  Präsident  gesagt  hat,  dem  stimme  ich  vollkommen  bei.  Nun  aber 
habe  ich  so  einige  kleine  Ketzereien  gefunden.  Nemlich  die  Kepro- 
duction auf  der  mittleren  Stufe  scheint  mir  in  Italien  viel  weiter  ge- 
fördert zu  sein  als  in  Deutschland.  Ich  glaube  nicht,  dasz  unsere  Ter- 
tianer in  gewisser  selbständiger  Weise  einen  längeren  Abschnitt  ans 
Caesar  zu  reproducicren  im  Stande  seien.  Wenn  sie  das  in  Italien 
können,  dann  gratuliere  ich.  Ich  glaube  auch  daSz  das  etwas  zu  viel 
verlangt  ist,  dasz  diese  Knaben  längere  Abschnitte  wiederzugeben  noch 


632  Berieht  ab.  d.  Verb.  d.  I8n  Vers,  deutseher  Philologen  usv.  io  Wim. 

nicht  berufen  und  noch  nicht  befähigt  sind.  Das  wird  nur  höchst  selten 
sein;  darauf  wird  man  mit  rechtem  Nutzen  erst  in  den  oberen  Klassen 
eingehen  können  und  da  stimme  ich  vollkommen  bei.  Die  lateinischen 
Disputationen,  die  wir  als  jüngere  Lehrer  noch  vielfach  geleitet  haben, 
haben  wir  zum  Theil  überwunden,  gewis  mit  Recht;  denn  da  sind  die 
meisten  geistig  nicht  dabei,  und  wir  müssen  doch  Uebungen  haben,  die 
eine  volle  Theilnahme  erwecken.  Deshalb  bin  ich  seit  Jahren  darauf 
gekommen  gröszere  Abschnitte  aus  Schriftstellern,  z.  B.  eine  kleinere 
Ciceronische  Rede,  als  Aufgabe  zu  stellen  für  latein.  Sprechübungen, 
den  Gedankengang  zu  entwickeln,  die  vom  Schriftsteller  selbst  gemach- 
ten Abschnitte  herauszusuchen,  in  die  Technik  der  Form  selbst  oinzu- 
gehn.  Das  gibt  einen  fruchtbaren  Stoff.  Der  Knabe  hat  es  gelesen, 
hat  es  mit  fiischem  Gedächtnis  gelesen,  um  darüber  reden  zu  können, 
ganz  anders  als  er  es  sonst  gelesen  hätte.  Dagegen  glaube  ich  in  an- 
derer Beziehung  widersprechen  zu  müssen.  Ich  glaube  nemlich  nicht, 
dasz  man  von  diesem  Lateinsprechen  sehr  viel  Nutzen  für  die  latein« 
Compositionen  zieht ,  ich  meine  nicht  Composition  bestimmter  Texte, 
sondern  freie  Compositionen ,  und  möchte  von  Ihnen  erfahren  ob  die 
freien  latein.  Aufgaben,  die  Sie  Ihren  italienischen  Schülern  gegeben, 
viel  dadurch  gewonnen  haben.  Es  ist  dies  eine  Gewissensfrage,  aber 
antworten  Sie  mit  einem  ehrlichen  ja  oder  nein  I 

Hochegger:  jedenfalls,  je  mehr  diese  Sprechübungen  angewendet 
wurden. 

Eckstein:  daran  zweifle  ich  nicht,  aber  ob  der  Fortschritt  so 
grosz  war,  das  bezweifle  ich.  Ich  berufe  mich  nemlich  auf  die  Methode 
der  Alten.  Durch  reden  hat  niemand  schreiben  gelernt,  auszer  etwa 
irthümlich  schreiben;  schreiben  kann  man  nur  lernen  durch  schreiben. 
Daher  möchte  ich  auf  diese  Sprechübungen  für  die  Compositionen  nicht 
zu  viel  Gewicht  legen. 

Hochegger:  ich  glaube,  dasz  eine  gewisse  Leichtigkeit  und  Frische 
des  Gedächtnisses  für  die  Compositionen  erreicht  wir4. 

Eckstein:  ob  dies  das  Latein  lebendig  macht  zweifle  ich.  Dasz 
das  Interesse  geweckt  wird  gebe  ich  zu;  dasz  einer  Lust  bekommt,  auch 
im  Lateinschreiben  mehr  zu  leisten,  glaube  ich ;  aber  den  unmittelbaren 
Einflusz,  den  glaube  ich  in  Abrede  stellen  zu  müssen,  den  mittelbaren 
gebe  ich  vollkommen  zu. 

Hochegger:  ich  glaube  wir  sind  in  dieser  Beziehung  einig,  denn 
ich  habe  den  unmittelbaren  Einflusz  nicht  unbedingt  behauptet,  sondern 
die  Sprechübungen  eben  als  Mittel  neben  andere  Mittel  hingestellt. 

Prof.  Dr  Keichel  aus  Wien:  ich  habe  mir,  als  Herr  Dr  Schmal- 
feld sprach,  um  das  Wort  zu  bitten  erlaubt,  um  eine  Erklärung  xu 
geben  über  das,  was  Hr  Prof.  Hochegger  und  wir  alle  unter  Repro- 
duction  in  den  mittleren  Klassen  verstehen.  Es  hat  seitdem  auch  die 
Entgegnung  des  Herrn  Dir.  Eckstein  eine  solche  nöthig  gemacht. 
Unter  Reproduction  nach  dem  lesen  von  einigen  Kapiteln  Caesars  oder 
einer  Biographie  des  Nepos  Verstehen  wir  nicht  Aufgaben  wie  quae 
fuerint  merita  Miliiadis  in  civilatem  Aiheniensium ,  sondern  der  Lehrer  hat 
die  Aufgabe  ein  deutsches  Stück  selbst  zu  machen,  wobei  möglichst 
Bedacht  genommen  ist  in  der  Uebersetzung  das  gelesene  Latein  zu 
verwerthen.  Wir  verbieten  dem  Schüler  dabei  den  Gebrauch  von  Wör- 
terbüchern und  setzen  voraus,  dasz  er  das  gelesene  sich  eingeprägt  hat« 
Durch  diese  Composition  wird  er  auf  das  gelesene  zurückgeführt.  Herr 
Prof.  Bonitz  hatte  zugesetzt  'was  man  Extemporalia  nennt',  das  hätte 
darauf  führen  können,  danz  von  freien  latein.  Aufgaben  in  Tertia  nicht 
die  Rede  sein  kann. 

Regierungsrath  Firnhaber  aus  Wiesbaden:  indem  ich  mich  genau 
an   die  voin   Herrn  Präsidenten    verlangte  Ordnung  halte,    erkläre  ich 


Beriiriil  üb.  d.  Verb.  d.  18n  Vers,  deutscher  Philologen  usw.  in  Wien.  633 

Baulichst,  dasz  ich  mich  mit  den  von  dem  Herrn  Thesensteller  aasge- 
sprochenen Gedanken  fast  durchweg  in  Uebereinstimmung  befinde.  Es 
ist  dagegen  nichts  einzuwenden,  höchstens  aber  einiges  zu  veryollstän- 
digen.  Zunächst  aber  ist  mir  vorgekommen,  als  ob  die  hier  behandelte 
Frage  über  das  Lateinsprechen  eine  Sache  sei,  die  dem  Herzen  jedes 
Schulmannes  nahe  liegt,  der  mit  Betrübnis  gesehen,  wie  weit  man  zu- 
rück statt  vorwärts  gekommen  ist.  Ich  will  auf  die  Gründe  nicht  ein- 
gehn,  weisz  aber  in  der  That  nicht,  wie  bei  der  Beschränkung  der 
Stunden  und  Ausfüllung  des  Unterrichts  mit  anderen  Gegenständen  es 
möglich  werden  soll,  ein  Ziel  von  einiger  Ergiebigkeit  zu  erreichen. 
Dennoch  mnsz  es  Aufgabe  des  Lehrers  sein,  dasz  er  zu  diesem  zu  ge> 
langen  suche,  und  ich  musz  metner  Erfahmng  nach  sagen,  dasz  man 
aas  solchen  Sprechübungen  einen  Gewinn  ziehen  kann  und  wird  für 
die  latein.  Compositionen  und  Aufgaben.  Aber  freilich  setze  ich  dabei 
den  Schluszsatz  der  Thesis  voran:  ^in  den  Lehrerseminarien  ist  auf 
lateinische  Interpretations-  und  Disputierübungen  ein  besonderes  Ge* 
wicht  zu  legen  %  d.  h.  der  Lehrer  ist  das  ganze,  der  Lehrer  musz  Kennt- 
nisse haben  und  Kraft  und  Aufopferung.  Dieses  würde  ich  voransetzen 
and  musz  darauf  aufmerksam  machen,  Vie  betrübend  es  ist  dasz  so 
liäi^fig  junge  Lehrer  selbst  nicht  so  heimisch  in  diesem  Gebiete  sind, 
nm  den  Unterricht  selbst  auf  der  untersten  Stufe  mit  Sicherheit  zu 
führen.  Denn  es  scheint  richtig:  angefangen  musz  werden  auf  der 
untersten  Stufe,  und  es  musz  deshalb  herbeigezogen  werden  das  memo- 
riereu  von  Vocabeln,  Sentenzen  usw.  Es  ist  eine  richtige  Bemerkung, 
dasz  auf  das  auswendiglernen  von  Vocabeln  nnd  auf  das  abhören  der- 
selben groszer  Werth  zu  legen  ist,  eine  Aufgabe,  die  zwar  schwierig 
ist,  aber  so  nothwendig ,  dasz  darauf  nicht  oft  genug  hingewiesen  wer- 
den kann.  Das  repetieren,  das  Hr  Director  Eckstein  hervorgehoben 
hat,  ist  von  Wichtigkeit,  und  dieses  möchte  man  hier  vermissen,  nem- 
Hoh  dasz  in  den  mittleren  Klassen ,  nachdem  das  Pensum  gehörig  ist 
Torgenommen  worden,  die  Schüler  veranlaszt  werden  ihr  Exemplar  zu- 
Bumachen.  Der  Lehrer  musz  dann  zuerst  selbst  recitieren  gegenüber 
den  Schülern  und  dann  sehen,  ob  die  Schüler  im  Stande  sind  durch  das 
Ohr  selbst  auch  wieder  zum  Verständnis  zu  kommen.  Dies  war  mir 
ein  Verfahren,  das  zum  rechten  Ziele  geführt  hat;  es  soll  ja  durch  das 
Ohr  eine  Sprache  kennen  gelernt  werden.  In  Uebereinstimmung  mit 
dem  Herrn  Thesensteiler  halte  ich  ferner  die  wechselseitige  Beziehung 
Ton  Uebersetzungen,  Exegese  nnd  Composition,  ferner  die  Beschränkung 
auf  kleinere  immer  fort  zu  behandelnde  Kreise  für  wesentliche  Momente; 
man  suche  -z.  B.  aus  der  Miloniana  seine  Themata  abzuleiten  und  auch 
für  die  Aufgaben  zu  freier  schriftlicher  Composition  diesen  Stoff  nach 
allen  Seiten  durchzuarbeiten.  Ich  habe  selbst  in  dieser  Beziehung  einen 
Beitrag  geliefert  in  meinen  ^Materialien  zum  übersetzen',  in  denen  die 
Miloniana  die  Grundlage  bildet.  Natürlich  musz  der  Lehrer  sich  mit 
allem  Eifer  der  Sache  hingeben,  er  musz  den  Stoff  vollständig  beher^ 
sehen,  nm  auf  jede  Frage  des  Schülers  zur  Antwort  gerüstet  zu  sein. 
Nun  bin  ich  ferner  der  Ai^sicht,  wenn  ich  mich  daran  halte  ob  anderes 
noch  zu  empfehlen  sei,  dasz  man  wieder  zurückkehren  möge  — ~yiel« 
leicht  stehe  ich  allein  —  zum  Gebrauch  von  Klassikeraasgaben  mit 
latein.  Noten;  ich  weisz  wol  — 

Präsident:  es  gehört  dieses  in  den  zweiten  Punkt,  den  der  latein. 
Interpretation ;  ich  bitte  also  es  bis  dahin  aufzuschieben. 

Wiese:  auch  ich  beginne  mit  der  Erklärung,  dasz  ich  im  wesent- 
lichen mit  allen  Thesen  des  Herrn  Prof.  Hochegger  einverstanden 
bin,  denke  aber,  unsere  Versammlungen  sind  besonders  wichtig  dazn, 
dasz  gemachte  Erfahrungen  mitgetheilt  werden.  Nirgends  wird  so  viel 
als  empfehlonswerth  vorgeschlagen,  als  auf  dem  paedagogischen  Gebiet^ 


634  Berieht  fib.  d.  Verb.  d.  18n  Vers,  deutsoher  Philoloj^  asw.  in  Wiea« 

Mancher  kommt  mit  einem  tvq7[%a  nnd  es  erweist  sich  doch  als  nichljg. 
Dann  wird  man  ihn  zu  respectieren  haben,  wenn  er  sagt  nsmxiSBvwXy 
und  wenn  sich  auch  sein  Vorschlag  nicht  gleich  zur  Nachahmung  em- 
pfiehlt, so  gibt  er  doch  Anregung.  Ich  würde  deshalb  für  sehr  er- 
wünscht halten,  wenn  aus  der  praktischen  Erfahrung  heraus  die  hier 
versammelten  Schulmänner  Mittheilungen  machten ,  inwiefern  sie  das 
Ziel  erreicht  haben.  Es  gibt  ja  viele  Wege;  der  Mittelpunkt  ist  der- 
selbe, der  Radien  sind  viele.  Ich  möchte  mir  in  Anerkenntnis  dessen, 
dasz  die  Vorschläge  durcliaus  praktisch  sind ,  doch  auch  eine  kleine 
Ergänzung  erlauben.  Es  heiszt  es  sollen  auf  den  mittleren  Stufen  re- 
produciert  werden  'genau  erklärte  Abschnitte  der  Klassiker'.  Ich  habe 
in  langjährigen  Uebungen  sehr  befriedigende  Resultate  erzielt  mit  einer 
Art  Reproduction ,  bei  der  eine  genaue  Erklärung  nicht  vorangegangen 
war.  Ich  habe  diese  Uebungen  in  Secunda  und  Prima  angestellt  fol- 
gendermaszen :  jeder  Schüler  muste  in  jedem  Semester  einen  soge- 
nannten freien  Vortrag  lateinisch  halten.  Die  Freiheit  ist  übrigens 
nicht  sehr  grosz.  Dabei  unterschied  ich  zwei  Stufen.  Die  erst  in  die 
Klasse  gekommen  waren ,  bekamen  zu  Anfang  des  Semesters  jeder  sein 
Thema,  einen  Gegenstand  atls  dem  klasBischen  Alterthum  oder  auch 
aus  der  späteren  Latinität,  um  ihnen  Gelegenheit  zu  geben  auch 
Schriftsteller,  die  sonst  nicht  gelosen  werden,  kennen  zu  lernen.  So 
muste  einer  die  Briefe  des  Plinius  durchgehen;  was  dort  und  in  gprie- 
chischen  Schriftstellern  über  den  Tod  des  älteren  Plinius  steht,  muste 
er  zusammenstellen  und  darüber  einen  lateinischen  Vortrag  halten, 
mochte  er  ihn  memoriert  haben  oder  sich  der  Freiheit  überlassen;  oder 
über  die  Christenverfolgungen  unter  Trajan,  wozu  ich  andere-  Data 
gab.  Das  thaten  die  Schüler  mit  groszem  Vergnügen.  Es  vmrde 
durch  den  Schüler  lateinisch  vorgetragen  und  die  übrigen  hatten  die 
Aufgabe  streng  aufzumerken,  weil,  sie  dann  zur  Mitthätigkeit  herange- 
zogen wurden.  Aber  nicht  blos  Schriftsteller  der  klassischen  Zeit  ver- 
wendete ich,  sondern  auch  spätere,  ja  ich  bin  bis  in  die  neueste  Zeit 
herabgegangen,  habeMuret,  Facciolati,  Ruhnkenius,  Ernesti,  Gesner, 
Hemsterhuys  benützt.  Diese  schönen  Biographien  zu  lesen  hat  den 
Schülern,  denen  ich  die  Aufgabe  stellte;  Freude  gemacht,  und  sie  stan- 
den der  Klasse  gegenüber  als  solchen,  die  dieses  Buch  nicht  hatten,  aber 
Interesse  hatten  ein  gutes  Argument  zu  hören,  in  einem  gewissen  An- 
sehen, So  angeleitet  musten  sie  sich  des  Ausdruckes  bedienen,  den  sie 
vorfanden.  Aus  der  neuesten  Zeit  benützte  ich  Sachen  von  Sohömann 
wie  die  über  den  letzten  braunschweigschen  Herzog  oder  die  Schrift  von 
Lange  in  Pfo^^ta:  de  severilale  disciplinae  Portensis,  Dann  kamen  oft 
andere  und  baten  ich  möchte  ihnen  das  Buch  geben,  es  hätte  sie  in- 
teressiert, sie  möchten  es  auch  lesen.  Im  zweiten  Semester  kamen  die 
wirklich  freien  Vorträge,  es  wurde  ein  Thema  besonders  historischen 
Inhalts  gegeben,  die  Klasse  war  in  Abtheilungen  getheilt,  welche  von 
den  verschiedenen  Seiten  des  Gegenstandes  Rechenschaft  zu  geben  hat- 
ten, die  einen  über  die  inventio  usw.  Dieses  wechselte  und  sie  waren 
sehr  aufmerksam.  Dann  nahm  ich  selbst  df^a  Wort,  um  übergangenes 
zu  besprechen.  Ich  habe  dieses  nie  bereut,  sondern  gute  Folgen  ge- 
sehen, und  die  Wirkung  auf  das  Latoinschreiben  wurde  dadurch  ganz 
erheblich  gesteigert.  Wie  gesagt,  es  ist  eine  Erfahrung,  die  ich  habe 
mittheilen  wollen,  ich  bescheide  mich  dasz  es  nicht  allgemein  empfeh- 
lenswcrth  sein  mag,  aber  ich  möchte  Anregung  geben,  dasz  andere  auch 
mittheilen,  was  sie  auf  diesem  Gebiet  gethan  haben. 

Director  Kl  ix  aus  Glogau:  ich  bin  zwar  bange  gegen  einen  solchen 
Dialektiker  mich  zu  erklären  wie  llr  Dir.  Eckstein  ist,  aber  den- 
noch musz  ich  erklären,  dasz  man  doch  durch  das  sprechen  auf  das 
schreiben   kann  einwirken.     Ich   gebe  den  Schülern  Anweisungen,   wie 


Berieht  üb.  d.  Verh.  d.  18n  Vers,  doiitschcr  Philologen  usw.  in  Wien.  G35 

sie  zu  verfahren  haben,  am  die  Aufgabe  zn  machen  nnd  knüpfe  dabei 
an  die  Lcctüre  an.  Es  kam  z.  ß.  zur  Frage,  wie  ist  Caesar  zur  Allein- 
herschaft gelangt?  Nun  exponieren  wir,  der  Gegenstand  wird  latei- 
nisch durchgesprochen  und  dann  gehen  wir  zur  lateinischen  Aufgabe, 
Ich  habe  wöchentlich  eine  Stunde  dem  gewidmet  und  glaube  viel  er- 
reicht zu  haben. 

Brüggemann:  ich  glaube  allerdings  mit  meinem  verehrten  Colle- 
gen  hier  zur  Seite  (Wiese),  dasz  es  darauf  ankommt  Erfahrungen  mit- 
asutheilen;  über  das  Ziel  sind  wir  einig,  aber  die  Wege  sind  zu  finden. 
Nach  meinen  Erfahrungen  ist  im  Lateinsprechen  wenig  oder  nichts  zu 
erreichen ,  wenn  man  dieses  erst  von  Secnnda  an  würde  eintreten  las- 
sen. J)er  Grund  dazu  musz  schon  in  den  unteren  Stufen  gelegt  wer- 
den, von  Sexta,  Quinta,  Quarta  musz  vorbereitet  if^rden ,  dasz  die 
Schüler  Mut  bekommen  und  die  Fertigkeit  im  denken  des  Inhalts,  um 
lateinische  Worte  zu  brauchen.  Das  Lateinsprechen  scheitert  so  häufig 
daran,  dasz  die  deutschen  Gedanken  sich  nicht  wollen  fügen  in  den 
Gedankenausdruck  aus  dem  Lateinischen.  Da  wurde  der  wichtige 
Punkt  hervorgehoben,  das  variieren  von  der  untersten  Stufe  an;  dazu 
kann  der  Lehrer  in  Sexta  viel  thun,  wenn  er  die  Schüler  gewöhnt  nicht 
schriftlich  sondern  mündlich  kleinere  lateinische  Sätze  in  alle  Formen 
zu  verwandeln  in  die  es  geht.  Alles  musz  mündlich  in  der  Stunde 
vorkommen  und  der  Schüler  sich  so  gewöhnen,  dasz  eine  Veränderung 
ihn  gar  nicht  mehr  schreckt.  Ich  habe  dabei  zunächst  im  Auge  die 
Bildung  des  Sprachgefühls,  dasz  er  gleich  heransfindet:  hier  ist  eine 
kleine  Veränderung  vorgenommen,  dies  hat  diese  Veränderung  bewirkt« 
Wenn  diese  Uebungen  mit  Vocabellernen  verbunden  werden,  so  dasz 
diese  zn  kleinen  Sätzen  zusammengestellt  werden,  die  bekannten  Ei- 
genschaftswörter reproduciert  werden  usw. ,  so  wird  der  Schüler  schnell 
sor  Production  gebracht,  an  der  er  Freude  hat.  In  Quarta  und  Tertia 
es  dahin  zu  bringen ,  dasz  klassische  Stellen  aus  Prosaikern  und  Dtch- 
tem  memoriert  und  durchaus  behalten  werden  zur  Reproduction  von 
Fonfi  nnd  Gedanken  ist  sehr  wichtig.  Denn  das  ist  ein  gesunder  Kern, 
der  in  der  Ruthardtschen  Methode  gelegen  hat,  das  durcharbeiten 
von  solchen  kleineren  Abschnitten.  Das  reproducieren  g^öszerer  Ab- 
schnitte wird  kein  fruchtbringendes  Resultat  geben.  Es  ist  zu  schwie- 
rig, lieber  Verwandlung  von  oratio  directa  in  indirecta,  das  wird 
Früchte  geben.  Von  Secunda  an  ist  das  reproducieren  das  einzige 
Mittel,  um  zu  einem  guten  Ausdruck  im  schriftlichen  zu  kommen. 
Ich  schliesze  mich  ganz  dem  vom  Herrn  Thcsensteller  gesagten  an. 
Ciceronische  Reden  passen  hier  vollkommen.  Auch  aus  Livius  lassen 
kürzere  Erzählungen  sich  reproducieren,  vielleicht  noch  besser  als  es 
bei  Cicero  möglich,  dessen  Periodenbau  gröszere  Schwierigkeiten  bie- 
tet. Was  Prima  betriflft ,  so  sind  von  meinem  verehrten  CoUegen 
frachtbringende  Uebungen  mitgctheilt  worden.  Ich  versuchte  öfters, 
wenn  die  Tusculanen  gelesen  wurden,  sie  zu  benützen,  um  wich- 
tigere Disputationen  reproducieren  zu  lassen,  und  da  habe  ich  keine 
Theilnahmslosigkeit  wahrgenommen.  Wenigstens  sobald  ich  sie  bei 
einem  wahrnahm,  .forderte  ich  ihn  auf,  nun  in  der  Exposition  oder 
Definition  fortzufahren,  und  es  waren  sehr  erfreuliche  und  lebendige 
Standen. 

Eckstein:  wir  kommen  ja  in  lauter  Misverständnisse.  Mein  ver- 
ehrter Chef  hat  die  Disputationen  so  verstanden,  als  wenn  ich  diese 
Uebungen  meinte  die  er  meinte  und  die  ich  auch  anstelle.  Nein,  ich 
meinte  jene  alten  Zopfdispntationen ,  die  — 

Brüggemann:   ich  nehme  dieses  Mis Verständnis  gleich  zurück. 

Hoch  egger:  ich  musz  erwähnen,  dasz  auch  ich  an  derlei  Dis- 
putationen   durchaus    nicht  gedacht   habe,    sondern    nur    an    die    von 


636  Bericht  ub.d.  Vorh.  d.  ]8n  Vers,  dealscher  Philologen  usv.  iilWien. 

Herrn  Geh. -Rath  Brü^gemann  angeführten,  wie  ja  auch  mein  Bei- 
spiel zeigt. 

Auf  Anfrage  des  Vorsitzenden  wird  die  Discussion  über  den 
ersten  Punkt  durch  die  Versammlung  für  geschlossen  erklärt  und  die 
über  den  zweiten  Punkt,  die  Anwendung  der  lateinischen  Sprache  zur 
Interpretation ,  erüfFuet. 

Firnhaber:  wenn  wir  gedruckt  lesen :  'lateinische  Interpretationen 
der  Klassiker  sind  auch  auf  den  obersten  Stufen  mit  groszer  Vorsicht 
anzuwenden^  so  wird  dies ,  da  eben  hinzugesetzt  ist  'mit  groszer  Vor- 
sicht', einer  weitern  Discussion  entbehren  können.  £s  ist  gesagt  auch 
'auf  den  oberen  Stufen',  und  wenn  ich  früher  erinnerte  ich  hätte  gern 
Ausgaben  mit  lateinischen  Noten,  so  ist  das  nicht  so  arg,  wenn  man 
die  Sache  genauer  betrachtet.  Ich  glaube  dasz  selbst  auf  der  ober- 
sten Stufe  kein  griechischer  Schriftsteller  soll  lateinisch  interpretiert 
werden,  sondern  höchstens  bei  der  Kepetition,  wenn  man  sicher  ist 
dasz  die  Schüler  des  Stoffes  vollständig  Meister  sind,  für  die  Ueber- 
setzung  und  die  Interpretation  die  lateinische  Sprache  angewendet 
werden  kann.  Dagegen  bin  ich  der  Ansicht,  dasz  man  manche  la- 
teinische Schriftsteller  in  Prima,  vielleicht  auch  in  Secunda  sogleich 
würde  lateinisch  interpretieren^  können.  Durch  etwa  zwanzig  Jahre 
gelang  es  mir  Erfolge  zu  erzielen,  indem  ich  Schriftsteller  wie  Teren- 
tius  im  untersten  Cursus  einer  zweijährigen  Prima  lateinisch  interpre- 
tierte. Diese  Erwähnung  soll  nur  darauf  hinweisen  dasz,  wie  es  über- 
haupt Sache  des  Lehrers  ist,  sich  ganz  und  gar  hinzugeben  der  eige- 
nen Ecfipfindnng  von  dem  Zustand  seiner  Schüler,  so  man  auch  hier 
die  Entscheidung  von  dem  sicheren  Takte  des  Lehrers  über  den  Zu- 
stand seiner  Klasse  und  selbst  von  dem  speciellcn  Einflüsse  der  Fre- 
quenz der  Klassen  musz  abhängen  lassen.  Nun  möchte  ich  die  Klas- 
siker gern  mit  lateinischen  Noten  haben,  nemlich  ich  möchte  dasz  der 
Schüler  sich  präparierte  mit  Hülfe  dieses  Mediums,  dieses  benützte  ich 
als  Mittel  zur  Erreichung  des  Zieles.  Wir  sehen  ja  doch  bei  einigen 
Ausgaben,  dasz  das  verrufene  Notenlatein  nicht  gar  so  schlecht  ist.  So 
hatte  wenigstens  der  Schüler  eine  Hülfe  aus  der  Präparation  für  d6n 
lat.  Unterricht ;  der  Schüler  war  gezwungen  auö  der  Präparation  sich 
lat.  Ausdrücke  und  Wendungen  zu  merken,  z.  B.  bei  dem  Sophokles 
von  Wunder  und  Hermann,  während  er  jetzt  z.  B.  bei  dem  Schneide- 
win'schen  nicht  dazu  gezwungen  ist.  Ich  meine  dasz  eben  diese  latein. 
Anmerkungen  als  Hülfsmittel  der  Präparation  dienen  sollen,  nicht  am 
den  Schriftsteller  lateinisch  zu  erklären. 

Eckstein:  ich  glaube  dem  geehrten  Vorredner  in  dieser  Beziehung 
ganz  entgegentreten  zu  müssen.  Die  Ausgaben  der  Klassiker  mit  lat. 
Noten  sollen  ein  Hülfsmittel  sein  für  das  Verständnis  und  sollen  bei 
-der  Präparation  schon  einen  Gewinn  geben.  Der  besteht  darin,  dasz 
die  Schüler  schlechte  lat.  Redensarten  und  eine  schlechte  lat.  Ueber- 
setzung  gewinnen,  während  sie  in  anderen  Ausgaben  eine  gute  deutsche 
haben.  Es  wird  wenig  Ausgaben  geben,  aus  denen  für  die  Latinität 
etwas  gewonnen  wird.  Es  kommt  auf  die  Klarheit  des  Verständnisses 
an,  und  wir  müssen  darnach  trachten  dasz  wir  vom  Schüler  eine  gute, 
geschn>Rckvolle  Uebersetzung  erhalten.  Das  ist  das  wichtigste,  denn 
darin  ist  der  Kern  des  Verständnisses.  Erreichen  wir  das,  was  brau- 
chen wir  seolisbändige  Commentare  mit  allen  schönen  Redensarten,  die 
man  vor  dreiszig  Jahren  zur  Bewundcning  hinstellte?  Eine  tüchtige 
Uebersetzung!  und  da  brauchen  wir  keine  Noten.  Ich  glaube  dasz 
einzelne  von  den  Ausgaben ,  die  mein  verehrter  Freund  erwähnt  hat, 
in  dieser  Beziehung  keine  Empfehlung  verdienen.  Der  Wunder'scho 
Sophokles  hat  bei  jeder  etwas  schwierigeren  Stelle  die  lat.  Ueber- 
setzung;  was  ist  da  der  Gewinn  für  die  Präparation?     Ein  paar  Phra- 


Bwichl  üb.  d.  Verh.  d.  18n  Vers,  deulsclier  Philologen  usw.  in  Wien.  637 

senl  Die  Herroann^schen  Ausgaben  können  wir  nicht  in  die  Hftnde 
der  Schüler  geben,  die  gehören  in  die  Semiuarien.  Daher  glaube  ich 
werden  wir  diese  Frage  abthun,  da  doch  die  Benützung  von  Ausgaben 
mit  lat.  Noten  von  problematischem  Nutzen  ist.  Sind  die  Schüler 
fanl,  80  blicken  sie  hinein  während  der  Lehrer  fragt  und  lesen  das  er- 
götzlichste Zeug  heraus;  das  ist  amüsant  .für  die  andern,  aber  ohne 
Nutzen.  Ich  meine,  bleiben  wir  entweder  bei  den  reinen  Texten  oder 
yerurteilen  wir  die  deutschen  Anmerkungen  nicht!  Aber  wenn  wir 
deutsch  interpretieren,  keine  lateinischen  Noten! 

Präsident:  die  Frage,  ob  lat.  oder  deutsche  Anmerkungen  zu 
den  Klassikern  in  der  Schule  vortbeilhaftcr  sind,  ist  vom  geehrten  Vor- 
redner nach  mehreren  Punkten  hin  so  beleuchtet  worden,  dasz  ich  bei- 
stimmen musz.  Ich  füge  noch  eins  hinzu.  Man  vergleiche  über  die- 
selbe Schrift  desselben  Schriftstellers  eine  Schulansgabe  mit  lat.  Com- 
mentar ,  die  recht  geachtet  ist ,  und  eine  mit  deutschem ,  z.  B.  den 
Protagoras  von  Stallbaum  und  den  von  Sauppe.  Man  frage,  welche 
Art  der  Commentierung  setzt  an  den  Verfasser  des  Commentars  die 
höheren  Anforderungen  und  welche  trägt  mit  minderem  Aufwand  von 
Mitteln  mehr  dazu  bei,  dasz  man  genau  und  selbstthätig  eindringe! 
Ich  glaube  dasz  man  bei  keiner  dieser  zwei  Fragen  sich  für  die  lat. 
Anmerkungen  entscheiden  kann.  Es  steht  in  drei  Seiten  lat.  Anmor- 
kangen,  die  wie  in  jener  Platonausgabc  in  leidlichen  Phrasen  sich 
binziehen,  bei  weitem  nicht  so  viel  dem  wissenschaftlichen  Inhalt 
nach  und  wirkt  nicht  so  anregend  zum  nachdenken  für  den  Schüler 
als  dort  auf  c'iner  Seite.  Man  mag  ferner  versuchen  lat.  Anmcrkun- 
l^n  00  knapp  zu  schreiben  wie  deutsche,  es  wird  mislingon;  man 
mag  es  versuchen  auf  manche  Wendungen  im  Gedanken  und  Ausdruck 
lateinisch  hinzuweisen:  man  kann  es,  aber  es  fehlt  dem  Schüler  das 
GkfUlil  dafür  und  man  erklärt  ein  unverständliches  durch  ein  zweites. 
Deshalb  betrachte  ich  das  jetzige  überwiegen  der  Ausgaben  mit  deut- 
schen Anmerkungen  als  ein  thatsächliches  Ergebnis  paedagogischer 
£rfahrunpcn,  dem  sich  gar  nicht  widersprechen  läszt  und  das  seine 
gnten  Gründe  hat. 

Oberlehrer  Flock  aus  Coblenz :  das  lat.  interpretieren  ist  eine 
Unterart  des  Lateinsprechens.  Ich  glaube  aber ,  dasz  man  für  das 
Lateinsprechen  mit  den  Schülern  folgende  zwei  Grundsätze  festhalten 
mnsz,  nemlioh  dasz  das  Lateinsprechen  nur  dann  angewendet  werden 
darf,  wenn  sowol  die  Sachen  dem  Schüler  bekannt  sind  als  auch  die 
sprachüblichen  Mittel.  Daraus  folgt  nun  unmittelbar,  dasz  man  das 
Lateinsprechen  nicht  dazu  benützen  darf,  um  den  Schülern  schwierige 
Stellen  —  denn  darauT  wird  sich  die  Interpretation  von  Schriftstellern 
beschränken  müssen  —  klar  zu  machen. 

Firnhaber:  ich  bemerke,  das'z  nicht  die  Vergleichung  der  Aus- 
gaben mit  lateinischen  und  der  mit  deutschen  Anmerkungen  an  sich  in 
Frage  ist,  sondern  nur  inwiefern  der  Gebrauch  von  Ausgaben  mit  latei- 
nischen Anmerkungen  ein  Hülfsmittel  für  das  Lateinspreclien  sein 
könne;  als  solches  habe  ich  die  lat.  Anmerkungen  angekündigt  als 
Ergänzung  zu  den  in  der  Iloch  egger 'sehen  Thesis  bezeichneten 
Mitteln.  Es  wird  mir  niemals  in  den  Sinn  kommen  Plato  nach  lat. 
Ansgaben  zu  lesen;  ich  bin  auch  nicht  'der  Ansicht  dasz  Thucjdides 
aweckmäszig  mit  lat.  Commentar  gelesen  werde ,  obgleich  ich  sonst 
glaube  dasz  er  seinem  grösten  Theile  nach  leichter  lateinisch  übersetzt 
wird  als  Xenophon.  Davon  ist  nicht  die  Rede,  aber  das  wird  nie- 
mand bestreiten  dasz,  wenn  wir  Ausgaben  mit  präcis  gefaszten  latei- 
nischen Noten  finden  könnten,  in  denen  die  Fehler  der  früheren  ver- 
mieden wären ,  ihr  Gebrauch  den  Schülern  eine  Unterstützung  fiir  die 
Gewandtheit  im  Latein  sein  würde;   hätten  wir  z.  B.   einen  Horaz-mit 


638  Bericht  Ab.  d.  Verh.  d.  18n  Vers,  deatscher  Philologen  obw.  in 

solchen  präciscn  Anmerkungen ,  so  sollte  dadurch  keineswegs  abge- 
schnitten werden,  dasz  der  Lehrer  bei  seinen  Schülern  auf  HersteU 
lang  einer  vollkommen  treffenden  deutschen  Uebersetznng  dringe.  El 
scheint  also,  meine  Herren,  dasz  ich  misverstanden  bin;  aber  in  der 
Beschränkung,  wie  ich  sie  jetzt  ausdrücklich  bezeichnet,  wird  ein  Mis- 
yerständnis  nicht  mehr  möglich  sein.  Im  Anschlnsz  an  die  Thesis  dei 
Hm  Hochegger  sehe  ich  in  dem  Gebrauche  von  Ausgaben  mit 
lateinischen  Noten  ein  besonderes  Hülfsmittel  für  das  Lateinsprechen, 
weil  der  Schüler  hierdurch  bei  der  Präparation  genöthigt  ist  lateinisch 
zn  denken. 

Wildauer:  ich  glaube  es  sei  noch  in  Betracht  zn  ziehen,  dasz 
das  Latein  nicht  Zweck  des  Unterrichts ,  sondern  nur  Bildungsmittel 
ist.  Es  kann  daher  nicht  Aufgabe  des  Unterrichts  sein,  daaz  die 
Schüler  zur  gröstmöglichen  Fertigkeit  gebracht  werden,  sondern  es 
handelt  sich  darum  den  Unterricht  so  zu  gestalten,  dasz  daraus  der 
möglichst  reiche  Ertrag  für  allgemeine  Bildung  hervorgehe.  Latein 
zur  Interpretation  zu  verwenden  scheint  ganz  unzweckmäszig.  Es  ist 
eine  Versündigung  am  Genius  der  klassischen  Schriftsteller  und  eine 
Verschuldung  gegen  die  Muttersprache.  Ein  griech.  Klassiker  wie  So- 
phokles ist  werth  zum  innigsten  Verständnis  gebracht  zu  werden.  Nun 
ist  aber  der  einzige  Weg,  durch  den  man  zu  tieferem  Verständnis 
kommt,  eine  treue  Uebersetzung ,  die  den  Gedanken  des  griechischen 
Originals  in  seiner  genauen  Begrenzung  nach  dem  Masz  seiner  Tiefe 
möglichst  treu  wiedergibt.  Ich  würde  also  die  deutsche  Interpretation 
empfehlen,  weil  das  Gymnasium  den  gesamten  Bildungsstoff  in  der 
Muttersprache  frei  verwerthen  soll.  Gebundenheit  an  das  klassische 
Original  führt  zur  Meisterschaft  im  freien  Gebrauch  der  Muttersprache 
selbst  und  zur  freien  Verwerthung  jedes  Bildungsstoffes.  Dazn  ist  die 
lat.  Sprache  vorhersehend  behaftet  mit  dem  Charakter  der  Verstän- 
digkeit und  wird  nur  dazu  dienen  Verstand  wieder  zu  wecken.  Wenn 
wir  aber  klassische  Originale  zu  interpretieren  haben,  haben  wir  den 
Schüler  nicht  blos  von  Seite  des  Verstandes  zu  fassen ,  denn  da 
fassen  wir  ihn  an  einer  Handhabe,  an  der  er  sich  am  wenigsten 
festhalten  läszt;  der  junge  Mensch  ist  Phantasie,  Gefühl  nnd  Stre- 
ben. Es  handelt  sich  darum  edle  Gefühle  zu  beleben,  die  Phantasie 
zu  bilden.  Das  aber  gelingt  nur  durch  das  Afedinm  der  Matter- 
sprache, die  jedermann  durch  den  täglichen  Verkehr  geläufig  ist, 
denn,  wie  Herder  sagt,  unsere  Zustände  und  Gefühle,  unsere^ gesam- 
ten Gedanken  und  unser  wahres  wissen  sprechen  sich  allein  in  der 
Muttersprache  aus. 

Die  Anfrage  des  Vorsitzenden  an  die  Versammlung,  ob  die- 
selbe die  Discussion  für  geschlossen  erkläre,  ruft  noch  eine  Frage  des 
Dir.  Eckstein  hervor  über  die  Bedeutung  der  'grossen  Vorsicht', 
mit  welcher  Prof.  Hochegger  die  lat.  Interpretation  auf  der  ober» 
sten  Stufe  zulassen  wolle.  Die  vom  Vorsitzenden  ausgesprochene 
Vermutung,  dasz  diese  'grosze  Vorsicht'  vielleicht  einem  ausschlieszen 
gleichkomme,  wird  von  Dir.  Eckstein  und  Prof,  Hochegger  sn- 
rückgewiesen.  Die  Erklärung  des  Professor  Hochegger,  dasz  die 
lateinische  Interpretation  nur  'in  sehr  engen  Grenzen'  zulässig  sei, 
kann,  weil  die  Zeit  zum  Schlusz  der  Debatte  nöthigt,  nicht  näher  be- 
stimmt werden.  Die  Versammlung  beschlieszt  mit  aufgeben  dieses 
Punktes  in  der  folgenden  Sitzung  die  Thesen  III  C,  IV  D  und  E 
zu  erörtern. 

Dritte  Sitzung,    28.    September.      Präsident   Prof.   Bonits. 

Prof.  A.  Goebel  aus  Wien  zur  Motivierung  von  III  C:  die  That- 
sache,  dasz  in  dem  Urteile  über  den  Gebrauch  von  Ausgaben  der 
alten  Klassiker  grelle    Widersprüche    an    den  verschiedenen  Anstalten 


IotMiI  IIb.  d.  Verii.  d.  18n  Vers,  denlsoher  Philologen  asw.  in  Wien.  639 

bestehen,  indem  die  einen  Schulmänner  nur  einfache  Textesausg^ahen 
snlassen,  andere  Ausgaben  mit  zweckmäszigen  Anmerkungen  dringend 
empfehlen,  liesz  wünschenswerth  erscheinen,  wenn  diese  Frage  in 
der  geehrten  Versammlung,  iu  der  ein  grosser  Kreis  der  gelehrtesten 
nnd  erfahrensten  Schulmänner  sich  findet,  zur  Sprache  käme.  leb 
kann  mir  nicht  herausnehmen  einen  läng^eren  Vortrag  über  diesen 
Gegenstand  zu  halten,  als  wollte  ich  eine  solche  Versammlung  beleh- 
ren; mein  Zweck  war  einfach  diese  Frage  in  Anregung  zu  bringen, 
nnd  ieh  folge  nur  dem  bestehenden  Brauche,  wenn  ich  meine  Behaup- 
tung durch  Darlegung  der  Gründe  näher  zu  beleuchten  versuche.  Es 
hendelt  sich  zunächst  um  die  Beantwortung  der  Frage:  welche  Aus- 
gaben sind  als  zweckmäszig  anzusehen,  welche  nicht?  Meiner  Ansicht 
nach  find  nur  die  Ausgaben  mit  Anmerkungen  als  zweckmäszig  anzu- 
aehen,  in  denen  dem  Schüler  nichts  weiter  als  die  nöthige  Nachhülfe 
gegeben  wird,  dasz  das  Verständnis 'des  Sinnes  je  nach  der  Stufe  des 
Scbülers  erreicht  werde.  In  ein  inniges  Verständnis  des  Klassikers 
an  dringen  ist  ein  Ding  der  Unmöglichkeit  für  die  Schule;  wer  20mal 
die  Odjssee  gelesen  hat,  wird  zum  21.  Male  etwas  neues  finden  nnd 
immer  tiefer  in  den  Sinn  eindringen.  Es  ist  also  lediglich  das  zu  er- 
alelen,  dasz  der  Schüler  auf  dem  Standpunkt ,  auf  dem  er  sich  befindet, 
die  nöthigen  Aufschlüsse  erhalte,  und  zwar  so  weit  die  Mittel,  die  ihm 
an  Gebote  stehen,  lexikalischer,  grammatischer,  historischer  Art,  nicht 
ausreichen.  Weiter  gehen  zu  wollen  würde  zu  einer  Beihe  von  In- 
eonsequenzen  führen.  Mit  dem  nemlichen  Recht ,  womit  der  eine 
Heransgeber  die  Schüler  tiefer  in  die  Grammatik  einführen  will,  könnte 
der  andere  ihm  ästhetische  Belehrungen,'  ein  dritter  historische  nsw. 
bieten  wollen,  und  so  würden  Commentare  von  unendlicher  Ausdeh- 
iinng  entstehen.  Gewis  verkenne  ich  nicht,  welch  unendlich  hohen 
Werth  z.  B.  die  Anmerkungen  Nägelsbachs  zur  Ilias  haben;  aber  es 
wSre  dies  nicht  eine  Ausgabe  nach  der  angedeuteten  Feststellung  für 
den  Schulgebrauch.  Die  Ausgabe  des  Nepos  von  Bremi  hat  wesent- 
Heh  das  Studium  der  lateinischen  Sprache  gefördert,  aber  es  wäre 
keine  Ausgabe,  wie  ich  sie  für  Schüler  in  Vorschlag  bringen  möchte; 
aber  Ausgaben  mit  solchen  Erklärungen,  die  den  Schüler  in  den  Stand 
setzen  zum  Verständnis,  wie  es  auf  seiner  Stufe  gefordert  wird,  zu 
gelangen,  so  weit  die  ihm  zu  Gebote  stehenden  Mittel  nicht  ausreichen, 
•o  ■  commentierte  Ausgaben  erachte  ich  für  besser  als  blosze  Textes- 
ansgaben.  Ich  nehme  den  ersten  Beweisgrund  vom  Lehrer  selbst. 
Weisz  der  Lehrer  in  der  Hand  seiner  Schüler  gute  Commentare,  so 
,  iat  dies  gleichsam  eine  Controle  des  Lehrers  selbst.  In  ähnlicher 
Weise,  wie  der  Lehrer  ganz  anders  sich  vorbereiten  wird,  wenn  er 
tfichtige  Schüler  als  wenn  er  schlechte  hat,  wo  die  Versuchung  nahe 
Hegt  dasz  er  sich  gehen  lasse,  ebenso  wird  der  Lehrer,  wenn  er 
■weckmäszige  Commentare  in  den  Händen  der '  Schüler  weisz ,  darin 
noch  einen  besonderen  Anlasz  haben,  sich  sorgfältig  vorzubereiten  und 
der  Gewinn  für  die  Schüler  wird  ein  nicht  geringer  sein.  Es  ^vird  der 
Lehrer  zweitens  weit  mehr  den*  Schülern  beibringen  können;  es  ist 
ihm  die  Erklärung  theilweise  schon  vereinfacht  und  er  wird  mehr 
lesen  können,  als  ohne  derartige  Erklärungen  in  den  Händen  der 
Schüler.  Gewis  will  ich  damit  nicht  das  flüchtige  lesen  vertheidigen, 
allein  ein  allzu  statarisches  lesen,  wo  der  Text  als  bloszes  Substrat 
an  grammatischen  usw.  Excurson  verwendet  wird,  taugt  eben  so  wenig. 
—  Gehen  wir  weiter  auf  die  Folgen,  die  der  Schüler  unmittelbar 
ans  dem  Gebrauche  solcher  Ausgaben  entnimmt,  so  meine  ich  wir 
trennen  die  Frage  in  zwei  Fälle.  Entweder  gebraucht  der  Schüler 
Hülfsmittel,  die  man  nicht  gern  in  seinen  H&iden  sieht,  wohin  be- 
sonders  die  Uebersetzungen  gehören ,    oder    er    gebraucht  sie  nicht. 

iV.  Jahrb.  f.  Phil.  u.  Paed.  Hrf  LXXVIII.  Hfl  I?.  44 


640  Bericht  flb.  d.  Verb.  d.  I8n  Vers,  deuttofaer Philolof en  usw.  i» WieOw 

Gebraucht  dor  Schüler  sie  nicht,  so  wird  er  —  geht  es  ja  doch  selb«! 
dem  gediegensten  Philologen  so  nnd  um  so  mehr  je  tiefer  er  eindringt 
—  häufig  dastehen,  ohne  vorwärts  kommen  zn  können.  Was  ist  da 
die  Folge  für  den  Schüler?  Er  quält  sich  ab  und  kommt  zu  keinem 
Ziele,  zur  klaren  Einsicht  der  Stelle  gewis  nicht,  und  doch  ist  es  ein 
Hauptziel  alles  Unterrichtes,  dasz  die  geistige  Klarheit  gefördert  werde. 
Er  fühlt  sich  unbehaglich,  verliert  Lust  und  Liebe  an  der  Sache;  cur 
Privatlectüre  wird  er  sich  am  allerwenigsten  angezogen  fühlen,  wenn 
er  nur  den  Text  in  Händen  hat.  Ich  appelliere  an  die  Erfahrungen 
eines  jeden  aus  seiner  Studienzeit.  Wer  nicht  gut  commentierte  Aas- 
gaben  erhielt,  fühlte  sich  schwerlich  zu  Privatstudien  hingezogen.  Gans 
die  entgegengesetzten  Folgen  werden  sich  ergeben,  wenn  der  Schüler 
gute  Ausgaben  mit  Commentar  in  den  Händen  hat;  er  wird  eher  siir 
Klarheit  gelangen,  diese  Klarheit  spornt  ihn  immer  weiter,  die  Freude 
am  Studium  wird  erhöht,  das  Privatstudium  angeregt,  kurz  der  Erfolg 
wird  viel  erfreulicher  sein  als  sonst.  Wie  aber,  wenn  die  Schüler 
nun  zu  Hülfsmitteln  greifen,  die  man  so  gerne  entfernt  wünschte, 
besonders  Uebersetzungen?  Dann  treten  alle  jene  üblen  Folgen  ein, 
welche  dieser  Gebrauch  nach  sich  zieht,  und  die  grosze  Mehrzahl  der 
Schüler  wird  über  kurz  oder  lang  nothgedrungen  dazu  kommen ,  gar 
nicht  mehr  zu  studieren  oder  aber  zu  solcl\en  Hülfsmitteln  die  Zuflucht 
zu  nehmen.  Die  traurigen  Folgen  moralischer  Art  brauche  ich  nur 
kurz  anzudeuten:  Trägheit,  Flüchtigkeit,  Leichtsinn  steigert  sich,  die 
Wahrheitsliebe  wird  ertödtet,  das  flüchtige  studieren  wird  eine  Un- 
gründlichkeit  auch  in  anderen  Dingen  hervorrufen;  wenn  ein  solcher 
Schüler  selbständig  etwas  thun  soll,  gelingt  es  nicht,  er  gewöhnt  sich 
an  Unsicherheit,  an  ein  ewiges  sich  helfenlassen  von  anderen.  Und 
sehen  wir  auch  auf  die  buchhändlerischen  Erfahrungen  eben  bezüglich 
unserer  Frage.  Seit  gut  commentierte  Ausgaben,  besonders  in  der 
Haupt -Sauppe* scheu  Sammlung  vorhanden  sind,  ist  es  eine  bekannte 
Thatsache  dasz  der  Vertrieb  der  Uebersetzungen ,  wie  sie  in  gewissen 
Fabriken  gemacht  worden  sind  und  gemacht  werden,  bedeutend  abge- 
nommen hat. 

Man  könnte  nun  verschiedene  Einwürfe  machen;  ich  verkenne  das 
nicht;  die  wichtigsten  wären  etwa  folgende:  die  Aufmerksamkeit  des 
Schülers  in  der  Lehrstunde  wird  durch  Anmerkungen  unter  dem  Texte 
geschwächt.  Ich  glaube  dasz  dieses  nur  ein  illusorischer  Einwand  ist. 
Wenn  die  Anmerkungen  so  beschaffen  sind  wie  ich  andeutete,  wenn 
sie  kurz  und  einfach  auf  das  hinführen,  was  der  Schüler  nicht  wissen 
konnte,  dann  wird  der  Schüler  zu  Hause  diese  Anmerkungen  sorg- 
fältig angesehen  haben  und  es  nicht  erst  in  der  Schule  thun ;  er  wiä 
sogar  den  Text  aufmerksamer  durchgearbeitet  haben  als  sonst;  es 
wird  ein  eigenes  Interesse  für  ilm  haben  zu  hören,  ob  der  Lehrer  die 
Stelle  auch  so  faszt,  ob  er  eine  entgegengesetzte  Auffassung  hat  nnd 
welche  Gründe  dafür,  so  dasz  im  Gegentheil  die  Aufmerksamkeit  erhöht 
wird.  Freilich  wenn  man  an  Ausgaben  dächte  mit  zwei  Zeilen  Text 
auf  der  Seite  und  sonst  nur  Anmerkungen,  so  würde  jener  Einwand 
berechtigt  sein.  —  Man  könnte  femer  einwenden,  es  würde  der  Er- 
klärung des  Lehrers  vorgegriffen.  Allein  der  Lehrer  hat  ja  eben  nur 
die  Aufgabe,  dem  Schüler  die  Sache  nahe  zu  legen;  ist  dieses  l^ereits 
theilweise  anderweitig  geschehen,  desto  besser,  seine  Aufgabe  ist  ver- 
'  einfacht  und  es  ist  ihm  mehr  Zeit  gegönnt  noch  allerlei  andere,  sehr 
wünschenswerthe  Bemerkungen  anzuschlieszen.  —  Man  sagt  auch  öfters, 
es  ist  ganz  unnöthig  Ausgaben  mit  Anmerkungen  zu  Grunde  zu  legen, 
denn  es  kann  ja  der  Lehrer  in  der  Stunde  vorher  das  betreffende 
Kapitel  mit  den  Schülern  durchgehen  und  sie  auf  wichtige  Schwierig- 
keiten aufmerksam  machen«     Diesen  Einwurf  halte  ich  für  noch  we* 


Barieht  fib.  d.  Verli.  d.  18n  Vers,  deutscher  Philologen  asw.  in  Wien.  64  i 

-niger  gerecht  als  den  früheren.  Denn  wie  kann  der  Lehrer  den 
Schüler  auf  Schwierigkeiten  aafmerksam  machen,  wenn  das  betreffende 
Stück  dem  Schüler  noch  ganz  fremd  ist.  £&  bliebe  nur  übrig,  dasz 
ihn  der  Lehrer  durch  näheres  hineinführen  auf  den  Standpunkt  stellte, 
seine  Bemerkungen  verfolgen  zu  können.  Damit  hat  er  ihm  aber 
den  grösten  Theil  der  Präparation  vorweggenommen.  —  Dieses  wären 
ungeföhr  die  wichtigsten  Einwendungen,  die  meiner.Ansicht  nach  geltend 
gemacht  werden  können.  Es  sollte  mir  zur  Freude  gereichen,  wenn 
erfahrenere  Schulmänner  ihre  ^  Ansichten ,  Gründe  für  oder  wider  vor- 
bringen und  wenn  namentlich  gediegene  Schulmänner  ihre  Erfahrungen 
auf  diesem  Gebiete  mittheilen  wollten. 

Der  Vorsitzende  schlägt  vor,  die  Discussion  der  Thesis  in  der 
Alt  zu  theilen,  dasz  zuerst  die  zweckmäszige  Einrichtung  von  Schul- 
aasgaben mit  Anmerkungen  zur  Erörterung  kommen,  sodann  ihr  Ge- 
brauch mit  dem  der  bloszen  Textausgaben  in  Vergleichung  gestellt  wer- 
den solle;  Dem  Vorschlage  wird  vom  Dir.  Eckstein  und  vom  Prof. 
Schröpf  aus  Wien  widersprochen  und  der  Gegenstand  ungetheilt  zur 
Discussion  gestellt. 

Director  Schober:  ich  glaube,  wenn  wir  zum  Ziel  gelangen 
wollen ,  müssen  wir  darauf  dringen ,  streng  zu  scheiden  zwischen 
öffentlicher  und  Privatlectüre ,  denn  für  jede  von  beiden  ist  das  Stre- 
ben des  Lehrers  ein  verschiedenes;  es  müssen  also  auch  die  Hülfs- 
mittel  andere  sein.  Wir  werden  zugeben  dasz  es  für  die  Schnllectüro 
kochst  wichtig  ist,  dasz  die  Schüler  an  Selbstthätigkeit  gewöhnt  wer- 
den. Wollen  wir  ihnen  deshalb  die  Hindernisse  beseitigen?  Keines- 
wegs. Sie  sollen  auf  eine  Bahn  mit  Hindernissen  geführt  werden, 
an  ihrer  Ueberwindung  ihren  Geist  stärken.  Darum  werden  wir  es 
vorziehen,  ihnen  blosze  Texte  in  die  Hand  zu  geben.  Denn  mag  die 
Schwierigkeit  für  den  Schüler  grosz  sein,  die  Lösung  harrt  seiner 
am  nächsten  Tag;  aber  wir  schaffen  ihm  Freude,  wenn  er  in  die 
Schule  kömmt  und  dem  Lehrer  beweisen  kann:  ich  habe  das  mit  den 
einfachsten  Hülfsmitteln  gefunden;  denn  wenn  er  auch  aus  falschen 
Prämissen  dennoch  einen  Schlusz  zieht,  so  beweist  er  dasz  er  mit 
nachdenken  gearbeitet  hat.  Diejenigen  Herren  unter  den  Anwesen- 
den, die  gleich  mir  ihre  CO  im  Rücken  haben,  werden  sich  erinnern 
dasz  zu  unserer  Gymnasialzeit  nichts  geboten  war  als  eine  tüchtige 
grammatische  Vorbildung,  eine  reiche  Phraseologie  und  das  Wörter- 
buch. Da  setzten  wir  uns  hin  und  arbeiteten,  dachten  was  dort  die 
Commilitionen  herausbringen  mögen,  und  hatten  die  gröiste  Freude, 
wenn  der  Lehrer  sagte:  du  hast  gearbeitet.  So  wurden  wir  an 
Selbstthätigkeit  gewöhnt.  Das  ist  gerade  das  Unglück  unserer  Ju- 
gend, dasz  ihr  alle  Wege  zu  leicht  gemacht  werden.  Ein  lebendiges 
eindringen  in  den  Autor,  das  war  der  Gewinn,  den  wir  zogen.  — 
Anders  steht  es  wenn  wir  fragen,  was  sollen  wir  bei  der  Privatlectüre 
machen?  Ich  habe  es  so  eingerichtet  dasz,  wenn  ein  Semester  hin- 
durch eine  Schrift  eines  Autors  gelesen  ist ,  damit  der  Kreis  der 
Leetüre  erweitert  werde ,  dieser  den  Schülern  zur  Privatlectüre  über- 
lassen wird.  Aber  sie  müssen  in  den  mittleren  Klassen  monatlich, 
in  den  oberen  vierteljährlich  Rechenschaft  geben.  Da  empfehle  ich 
die  Haupt'sche  Sammlung.  Sie  bietet  zweckmäszige  Einleitungen, 
welche  den  Zusammenhang  der  Schriftsteller  mit  ihrer  Zeit  und  dem 
Yorher  geleisteten  darlegen,  schöne  Uebersichten  des  Inhalts  geben, 
aber  ich  glaube  sie  gibt  zu  viel  in  den  Anmerkungen.  Denn  was  soll 
sie  der  PriVatlectüre ?  Nicht  die  Schwierigkeiten  beseitigen,  der  Schü- 
ler soll  auch  kämpfen,  aber  den  Weg,  wie  er  die  Schwierigkeiten  über- 
winden kann,  soll  die  commentierte  Ausgabe  andeuten.  Also  während 
ich  die  Einleitungen  dieser  Sammlung  im  ganzen  billige,  wünschte  ich 

44* 


642  Berieht  ab.  d.  Verfa.  d.  18n  Vers,  deutscher  Philologen  usw.  ia  Wieo. 

weniger  Anmerknngen ,  am  wenigsten  Hinweisungen  auf  Grammatiken. 
Die  Schüler  lesen  sie  nicht  nach  und  sie  machen  die  Ausgaben  nur 
theuer.  Diese  Unterscheidung  also  halte  ich  für  nöthig,  und  meine 
Ansicht  geht  dahin:  kritische  Texte  für  die  Schule  und  commentierte 
Ausgaben  für  die  Privatlectüre. 

Eckstein:  ich  erbitte  mir  über  ein  paar  incredibilia  in  der 
trefflichen  Entwicklung  des  Herrn  Thesenstellers  Aufschlusz.  Das 
erste  incredibile  ist  eine  Erfahrung,  die  meiner  Erfahrung  dorchaus 
widerstreitet,  dasz  seit  der  Verbreitung  der  Ausgaben  mit  Anmerktun- 
gen  das  Verlangen  der  Schüler  nach  wolfeilen  Uebersetsungen ,  die  in 
Blättchen  zerschnitten  bequem  in  die  Bücher  gelegt  werden  können, 
gesunken  wäre.  Wer  die  Augen  aufthut,  wii'd  Gelegenheit  das  Gegen- 
theil  zu  beobachten  in  Hülle  und  Fülle  haben;  wer  auf  ConYicten 
haust,  wird,  wenn  er  die  Schränke  der  Schüler  durchmustert,  solche 
Uebersetzungen ,  die  sich  forterben ,  in  Fülle  finden ,  daher  ist  es  mir 
ein  incredibile  gewesen,  dasz  die  Lust  nach  Uebersetzungen  geschwrui- 
den  wäre.  Ferner  möchte  ich  etwas  anderes  in  der  Begründung  doch 
nicht  so  hervorgehoben  wissen,  weil  es  auf  uns  ein  sehr  übles  Licht 
werfen  könnte.  Herr  Prof.  G  o  e  b  e  1  hat  gemeint ,  wenn  die  Schüler 
Ausgaben  mit  Anmerkungen  hätten,  dann  werden  wir  uns  besser  priU 
parieren  müssen.  Ich  behaupte  das  Gegentheil:  wenn  die  Schüler  Ter- 
schiedene  Teztausgaben  haben,  dann  werden  wir  uns  besser  präpa- 
rieren müssen ,  uns  genau  umzusehen  haben ,  dasz  wir  auf  jede  Les- 
art, auf  jede  Frage  vorbereitet  sind  und  ihnen  sagen  können,  das 
passt  nicht  deshalb  und  deshalb  I  Es  würde  mir  das  nicht  behauen 
als  Grund  gegen  die  Teztausgaben.  —  Ja  Herr  Prof.  Goebel  hat 
noch  eine  weitere  Consequenz  gezogen,  die  mir  auch  als  ein  incre- 
dibile erschienen  ist,  nemlich  dasz,  wenn  der  Schüler  Ausgaben  mit 
Noten  in  den  Händen  hat,  er  den  Lehrer  besser  controlieren  kann 
und  darum  die  Aufmerksamkeit  gespannt  ist.  Ich  glaube  es  fällt 
doch  keinem  Schüler  ein,  das  wissen  des  Lehrers  zu  controlieren, 
und  wenn  er  was  immer  für  Anmerkungen  hat,  er  wird  doch  dem 
Lehrer  die  gröszere  Einsicht  zutrauen.  —  Ein  anderes  incredlbfle 
war  mir  dieses,  es  schien  als  ob  Herr  Prof.  Goebel  von  der  Voraus- 
setzung auRgienge ,  dasz  die  durch  solche  Ausgaben  erleichterte  PrS- 
paration  dem  Schüler  schon  das  volle  Verständnis  geben  könne,  ja 
geben  solle,  damit  dann  der  Lehrer  desto  schneller  vorwärts  zu  kom- 
men im  Stande  sei.  Habe  ich  recht  verstanden?  (Goebel:  nein.) 
Dann  will  ich  schweigen.  Aber  auf  einen  groszen  Unterschied  hat 
schon  Herr  Director  Schober  aufmerksam  gemacht.  Schul-  und  Pri- 
vatlectüre, Klasse  und  Haus.  Ich  glaube  es  müssen  noch  festgehalten 
werden  die  verschiedenen  Stufen  der  Schüler  selbst,  Anfänger,  mitt- 
lere, höchste  Stufe.  Auch  da  wird  zu  entscheiden  sein,  ob  blosse 
Texte  oder  Ausgaben  mit  Anmerkungen  den  Vorzug  verdienen.  Femer 
halte  ich  die  Frage  für  ganz  und  gar  nicht  so  bedeutend.  Mir  ist 
68  völlig  gleichgiltig ,  ob  die  Schüler  Ausgaben  mit  oder  ohne  An- 
merkungen haben,  mir  ist  es  völlig  gleich  was  sie  für  Texte  haben, 
eben  darum,  weil  ich  eine  gewisse  Freiheit  und  in  Norddeutschland 
auch  Rücksicht  auf  die  Vermögensverhältnisse  der  Schüler  haben  will. 
Daher  glaube  ich  dasz  eine  so  hohe  Bedeutung,  als  hier  auf  diese 
Frage  gelegt  wird ,  gar  nicht  darauf  zu  legen  ist  und  denke  dasz 
ans  der  Verschiedenheit  der  Texte  vielfache  Anregung  von  Seite  des 
Lehrers  erreicht  werden  kann.  —  Mir  scheint  ferner,  als  ob  der  Herr 
Antragsteller  den  Unterschied  zwischen  cursorischer  und  statarischer 
Leetüre  festgehalten  wissen  wolle.  (Goebel:  nein!)  Da  bin  ich 
stille.  Wir  haben  nur  ^ine  Leetüre,  die  dem  Schüler  das  Verständ- 
nis des  Textes  öffnet;   sind  sie  reif,  so  haben  wir  keine  Schwierig- 


Bericht  üb.  d.  Verb.  d.  18n  Vers,  deutscher  Philologen  asw.  in  Wien.  643 

keiten  zu  heben,   sind  sie  nicht  tüchtig,   so   werden  wir  länger  yer- 
weilen. 

Schulrath  Stieve  ans  Breslau:  mehreres  von  dem,  worauf  ich 
die  Aufmerksamkeit  richten  wollte,  ist  bereits  gesagt,  üebrigens  will 
ich  bekennen,  dasz  ich  zu  denen  gehöre,  die  Ausgaben  ohne  An- 
merkungen wünschen.  Ich  würde  mich  geneigt  finden  lassen  auf  An- 
merkungen einzugehen,  wenn  der  Herr  Thesensteller  genau  bestimmt 
hätte,  was  er  unter  Ausgaben  mit  'zweckmäszigen  Anmerkungen'  ver- 
steht. Darüber  wird  man  so  leicht  nicht  einig  werden,  und  mit  der 
Hinweisung  darauf,  dasz  sie  erörtern  sollen  was  die  Schüler  nicht 
wissen,  ist  die  Sache  nicht  abgethan.  Ich  glaube  dasz  man  auch 
diese  Bemerkungen  entbehren  kann.  Wenn  dem  Schüler  das  gegeben 
werden  soll ,  was  er  aus  seinen  Büchern  nicht  findet ,  da  kann  der 
Lehrer  eintreten :  nicht  so  dasz  er  die  Lection  früher  durchgeht ,  son- 
dern so  dasz  er  auf  die  Btclleiii ,  für  die  es  den  Schülern  an  Mitteln 
gebricht,  aufmerksam  macht  und  dem  Schüler  das  an  die  Hand  gibt 
was  er  braucht.  Dieses  ist  nothw endig  um  unendliche  Zeit,  zu  er- 
sparen, welche  die  tüchtigsten  Schüler  bei  der  Präparation  auf  solche 
Stellen  verwenden  würden.  Wenn  das  geschieht,  ist  es  nicht  nöthig 
ihm  einen  Text  mit  Anmerkungen  in  die  Hand  zu  geben.  Üebrigens 
habe  ich  allerdings  auch  das  gefunden,  wovon  Eckstein  sprach:  es 
kommt  nicht  darauf  an,  ob  die  Schüler  Anmerkungen  haben  oder  nicht. 
£8  gilt  hier  wie  so  oft  auf  paedagogischem  Qebiet:  ^^ines  schickt 
sich  nicht  für  alle.'  Je  nachdem  sie  die  Anmerkungen  gut  verarbei- 
ten, mag  man  sie  ihnen  geben.  Im  allgemeinen  musz  man  sich  da- 
gegen erklären. 

Professor  Daniel  aus  Halle:  Herr  Director  Schober  bezeichnete 
mit  Recht  eine  Abnahme  der  Freude  an  Selbstthätigkeit  bei  unserer 
Jugend  als  groszen  Schaden  und  erklärte  deshalb  Ausgaben  mit  An- 
merkungen für  bedenklich.  Ein  nicht  geringer  Schaden  ist  gewis  das 
▼iel  beklagte  und  viel  beobachtete ,  dasz  bei  unserer  Jugend  wie  in 
der  ganzen  Zeit  ein  rechter  und  zu  billigender  Sinn  für  Autorität  ab- 
nimmt. Auch  von  hier  aus  dürften  sich  für  die  unterste  und  mittlere 
Stufe  Gründe  gegen  die  Anmerkungen  erheben  lassen.  Meine  Herren, 
Sie  kennen  alle  jene  alten,  guten  Geschichten  von  Schulmeistern,  die 
selbst  vor  Königen  nicht  den  kürzeren  ziehen  oder  die  zweite  Stelle 
einnehmen  wollten;  sie  haben  erklärt:  in  der  Schule  ist  der  Schul- 
meister der  erste  und  wenn  selbst  der  König  liineinkommt.  In  die- 
sen Anekdoten  liegt  eine  gute  Lehre,  die  wir  auch  brauchen  kennen.' 
Ich  glaube  dasz,  höchstens  Prima  ausgenommen,  der  Lehrer  den  Schü- 
ler nicht  einführen  darf  in  die  Reihe  der  Interpreten,  zwischen  denen 
er  %n  wählen  habe.  Er  musz  für  ihn  vor  der  Hand  die  einzige 
Autorität  bleiben  und  in  dieser  Unterwerfung  allein  kann  er  heran- 
reifen zu  einer  höheren  Bildungsstufe,  wo  ihn  das  nicht  mehr  irrt, 
dasz  der  Lehrer  nicht  infallibel  ist.  So  glaube  ich  auch,  dasz  von 
diesem  paedagogischen  Gesichtspunkt  aus  blosze  Texte  gewis  für  die 
mittlere  Stufe  angezeigter  sind.  Ich  brauche  mich  wol  nicht  dagegen 
KU  verwahren ,  als  ob  ich  einem  bramanenhaften  Kastengeist  das  Wort 
geredet  hätte. 

Schulrath  Czerkawski  aus  Lemberg:  die  Ansicht  des  Herrn 
Thesenstellers  würde  sich  wahrscheinlich  einer  besseren  Aufnahme  er- 
freuen ,  wenn  die  Begründung  von  einem  anderen  Gesichtspunkte  aus- 
gegangen wäre.  Ich  thcile  d^e  Meinung  meines  geehrten  Vorredners 
Eckstein,  dasz  gegen  die  Begründung  viel  einzuwenden  sei  und 
glaube  dasz  die  einseitige  Begründung  selbst  der  in  der  Thesis  ausge- 
sprochenen Wahrheit  geschadet  hat.  Ich  glaube  nemlich  dasz,  wenn 
es  sich  darum  handelt,  ob  ein  oder  das  andere  Buch,  ein  oder  das 


644  Beriohl  üb.  d.  Verb.  d.  18n  Vers,  deulscber  Pbilologen  luw.  in  Wien. 

andere  Hülfsmittel  beim  Untemcht  gebraucht  'werden   soll  oder  kann, 
vor  allem   der   paedagogisebe  Gesichtspunkt   festgehalten  werden  musK. 
In  dieser  Beziehung  erachte  ich  nun  dasz  der  Gesichtspunkt,  den  der 
Herr  Antragsteller  festgehalten  hat,   nemlich  der  der  Erleichterung  des 
Studiums,    welches   dem  Schüler  zugeführt   werden  soll,   kein   paeda- 
gogischer  und  kein  richtiger  ist.    £s  kann  nicht  Aufgabe  des  erziehen- 
den Unterrichtes  sein,   dem  Schüler  jede  Arbeit  zu  erleichtem,  ja  ihn 
jeder  Arbeit    zu   entheben,   im   Gegentheil   musz  der   erziehende  Unter- 
richt  darauf    gerichtet    sein,    die  Selbstthätigkeit    anzufachen  und  za 
erhöben.    Wenn    daher  die   Entscheidung    der  Frage   gegeben    werden 
soll,  ob  blosze  Texte   oder  Ausgaben  mit  Anmerkungen,   so  musz  die 
Frage  gelöst  werden,  ob  die  eine   oder   die  andere  Art  von  Ausgaben 
die  Selbstthätigkeit  in   höherem   Grade  anzueifern  und  zu  unterhalten 
fähig   sei.     Stellt  man  diese  Frage,  so   wird  man  leicht  zu  jener  Ent- 
scheidung   kommen,    welche    die   Thesis    fordert.     An   sich    betrachtet 
scheinen  wol  Textausgaben  so  beschaffen  zu  sein,  dasz  sie  vor  allem 
Selbstthätigkeit  anregen,    weil  sie,    so  scheint  es,   dem  Schüler  durch- 
aus   kein  Mittel    an    die  Hand  geben,    um   ihm    die  Arbeit,    die    wir 
voraussetzen   und    fordern,    zu   ersparen.     In   dieser  Beziehung  würde 
man   für   die  Texte  sich  entscheiden ,  und  ich   bin  selbst  der  Ansicht 
dasz  Textausgaben   allerdings  vorzuziehen  sind,   wenn  nicht  Ausgaben 
mit  zweckmäszigen  Anmerkungen  vorhanden  sind,  d.  h.  solchen,  welche 
die  Selbstthätigkeit    weit    entfernt    zu   untergraben  im   GegenÜieil  an- 
regen.    Nun   glaube   ich   aber,    dasz   es    gerade    solche  Anmerkungen 
geben  könne   und  dasz,  wenn  diese  Anmerkungen  zweckmässig  sind, 
dann   solche  Ausgaben   weit  über    den   bloszen  Texten  stehen.     Aller- 
dings wenn    es  sich    blosz  um    ein  halbweg  leidliches  übersetzen  han- 
delt,  um  ein    oberflächliches  verstehen,   so   können  wir  mit  Textans- 
gaben immer  ausreichen.     Nun  ist    aber   jedem  Schulmanne  bekannt, 
dasz   die   Autoren   in   grammatischer,    stilistischer   und    antiquarischer 
und   überhaupt  in  aller  Beziehung  oft  ganz  neue  und  interessante  Sei- 
ten  darbieten ,    auf   die    der    Schüler    beim  unmittelbaren    lesen    nicht 
kommt.    Findet   er   aber  geeignete  Hinweisungen   auf  diese  oder  jene 
Hülfsmittel,  wird   er  veranlaszt  sie  zu  brauchen,  so  erschlieszen  sich 
für  ihn  ganz   neue   Seiten   des  Verständnisses,   das  Interesse  wird  er- 
iföht   und    er    wird    zu   eigner  Selbstthätigkeit  angeregt  und  lernt  den 
Schriftsteller   lieben,    und   das,    was   der   erziehende  Unterricht  beab- 
sichtigt, ist  erreicht.    Ich  habe  gesagt,  dasz  diese  Anmerkungen  gram- 
matischer,   stilistischer    und    antiquarischer    Natur    sein    müssen,    sie 
dürfen  ihn  aber   nicht,  wie  der  Herr  Antragsteller  meinte,   blos  über 
das  was   er   nicht  wissen  kann,   einfach   belehreu,    ihm  blos  das  ein- 
fach zuführen   was    er    nicht   webz.    Im  Gegentheil,   jene  Anmerkun- 
gen,  glaube  ich,  werden  den  ersten  Preis  haben,   welche  an-  und  hin- 
deutend sind.     In   dieser  Beziehung  würde  ich  der  Ansicht  des  Herrn 
Director  Schober  nicht  beistimmen  können,  der   erklärte,  dasz  Hin- 
weisungen auf  Grammatiken  zu  nichts  führen.     Ich  denke   es  ist  Auf- 
gabe eines  gut   geleiteten  Unterrichtes,   den  Schüler  zu  verhalten  dasz 
er   diese  Hülfsmittel  gebrauche,    dasz    er    nachschlage.     Er    wird  sie 
freilich    nicht   gebrauchen,    wenn    er   überzeugt    ist,    er    werde    keine 
Rechenschaft  zu  geben  haben.    Weisz  er  das,   so  wird  er  dazu  grei- 
fen. —   Auszerdem    will    ich    noch    auf    einen    Umstand    aufmerksam 
machen.     Wird   nicht   durch    den    Gebrauch    commentierter   Ausgaben 
der  Schüler    angeleitet  mit  der  Zeit   gelehrte  Hülfsmittel   zu  benützen 
und    zu    verwerthen?    wird  'nicht    dadurch    erreicht    was    wir    au    er- 
reichen streben,  dasz  dem  Schüler  der  Weg  gezeigt  ist,  wie  er  einst 
Autoren  selbst  lesen,   in  den  Sinn  selbst   eindringen   soll?    Man  soll 
nicht  erschrecken  vor  dem  Gedanken,'  dass  dieses  nicht  ganz  gelingen 


Berioht  üb.  d.  Verb.  d.  18n  Vers,  deutscher  Philologen  usw.  in  Wien.  645 

wird ;  in  der  Schule  wird  nichts  vollkommen  gelingen  y  aber  ein  alter 
Weiser  hat  gesagt:  die  Hälfte  ist  besser  als  das  ganze;  dieses  passt 
ganz  auf  den  erziehenden  Unterricht.  Wenn  wir  das  erreicht  ha- 
ben, dasz  dem  Schüler  die  Bahn  gezeigt  ist,  wie  er  zu  dem  höhe- 
ren Ziele  gelangen  kann,  so  haben  wir  erreicht,  was  unsere  Auf- 
gabe ist. 

Benecke:  das  gedeihen  alles  Unterrichts  nnd  ebenso  die  Er- 
klärung der  Klassiker  hängt  davon  ab ,  dasz  der  Lehrer  in  innigen 
und  lebendigen  Wechselverkehr  mit  seinen  Schülern  tritt,  dasz  er 
gegenwärtig  ist  in  den  Gemütern  der  Schüler  und  von  diesem  Ge- 
sichtspunkt aus  operiert,  dasz  er  die  eigentlichen  Bedürfnisse  des 
Schülers  kennen  lernt.  Ich  glaube  dasz  Ausgaben  mit  Anmerkungen 
diesen  lebendigen  Wechselvcrkehr  nicht  befördern  sondern  hindern. 
Der  Lehrer  kann ,  wenn  der  Schüler  durch  die  Anmerkungen  über 
allerlei  Schwierigkeit  hinweggehoben  ist,  offenbar  nicht  wissen,  ob  er 
aus  eigener  Kraft  oder  durch  fremde  Hülfsmittel  dazu  gekommen  ist, 
er  lernt  die  Bedürfnisse  des  Schülers  nicht  kennen  und  kann  sie  nicht 
befriedigen.  So  würde  sich  die  Sache  verhalten,  wenn  die  Anmer- 
kungen fleiszig  benützt  würden.  Ich  habe  aber  diese  Erfahrung  nicht 
gemacht.  Was  die  Anmerkungen  den  Schülern  bieten  ist  meistens 
nicht  das  was  sie  suchen;  sie  fühlen  sich  von  ihrem  eigenen  Bedürf- 
nisse mehr  abgelenkt  und  pflegen  die  Anmerkungen ,  wenn  nicht  stille  - 
SU  übergehen ,  doch  nicht  sehr  zu  beachten.'  Das  eigentliche  Be- 
dürfnis wird  ihnen  am  ersten  durch  eine  Uebersetzung  befriedigt  und 
deshalb  brauchen  sie  neben  Ausgaben  mit  Anmerkungen  die  Ueber- 
setzungen  nach  wie  vor.  Sie  werden  aber  gewissermaszen  dazu  ge- 
trieben, wenn  man  verlangt  sie  sollen  so  präpariert  sein, ^  dasz  sie 
das  Pensum  im  ganzen  verstanden  haben.  Diese  Forderung,  glaube 
ioh,  geht  über  den  Horizont  der  Schüler.  Ich  bin  zufrieden,  wenn  sie 
geleistet  haben  was  sie  leisten  können,  und  nicht  blos  das  was  sie 
wissen  ganz  entschieden  zeigen,  sondern  auch  was  sie  nicht  wissen; 
denn  dann  ist  das  Bedürfnis  der  Schüler  viel  leichter  zu  befriedigen, 
als  wenn  es  verhüllt  ist. 

Schulrath  Enk  v.  d.  Burg  aus  Wien:  nach  allem  was  wir  ge- 
hört haben ,  glaube  ich ,  dasz  die  Verhandlung  auf  den  Punkt  gekom- 
men ist,  den  ein  Vorredner  bezeichnete,  nemlich  es  könne  die  Frage, 
ob  blosze  Texte  oder  Ausgaben  mit  Anmerkungen,  nicht  von  der  ge- 
trennt werden,  welche  Anmerkungen  zweckmäszig  sind.  Es  ist  dieses 
schwer  zu  bezeichnen  und  ich  erlaube  mir  noch  einen  Schritt  weiter 
fsa  gehen:  um  zu  untersuchen,  ob  eine  Ausgabe  zweckmäszig  ist, 
müste  man  jede  einzelne  untersuchen.  Ich  erlaube  mir,  um  meiner 
Ansicht  etwas  concretere  Form  zu  geben,  auf  eine  zufällig  mir  be- 
kannte hinzudeuten:  die  der  Metamorph,  von  Siebeiis.  Ich  glaube 
dasz  eine  solche  Ausgabe  der  Stufe,  die  bei  ans  die  fünfte  Klasse 
einnimmt,  vollkommen  entspricht,  weil  sie  nicht  das  Verständnis  den 
Schülern  so  nahe  legt  dasz  sie  nichts  mehr  zu  denken  hätten ,  son- 
dern ihn^l  zwcckmäszigerweise  nur  das  unentbehrliche  gibt.  Sie 
macht  aufmerksam  durch  Fragen  und  weist  nicht  auf  Grammatiken, 
die  nachzuschlagen  weder  Brauch  der  Schüler  ist  noch  ihnen  fug- 
lich zugemutet  werden  kann,  sondern  sie  gibt,  wenn  eine  gramma- 
tische Beziehung  zu  besprechen  ist,  kurz  die  Regel  an,  der  Schü- 
ler kann  nachschlagen  wenn  er  will.  Sie  macht  durch  kurze  Fra- 
gen aufmerksam :  hier  ist  etwas  ungewöhnliches ,  etwas  im  prosai- 
schen Sprachgebrauch  nicht  vorkommendes  usw.  Dieses  zu  bemerken, 
wird  dem  Schüler  interessant  sein  und  den  Vortrag  des  Lehrers  unter- 
stützen. —  Nach  dem  gesagten  würde  ich  also  mir  nicht  getrauen 
im  allgemeinen   ein  Urteil  über  die  Zweckmäszigkeit  zu   fällen,   son- 


646  Beriohl  üb.  d.  Verb.  d.  18n  Vers,  deatocber  Pbilologea  usw.  ia Wm. 

dem  für  jede  einzehie  und  für  jede  Stufe  die  Fragte  besonders  unter- 
suchen. 

Wiese:    meine  Herren  1     Es    ist   über   den   Gegenstand   maaobes 
gesagt  worden,  dem  ich  mich  von  Herzen  anschliesze.    Ich  will  mit 
Uebergehung   solcher  Seiten  der  Sache,    die  mir  zwar  wichtig   schei- 
nen,   aber  schon  berührt   sind,   auf   einiges   noch   nicht  berührte  auf- 
merksam machen.    Wir   haben  alle   die  ErfahruDg,   dasz  im  allgemei- 
nen nicht  genug   gelesen  wird.     Die  Zeit  reicht  eben,  nicht  aus,  die 
Klassen  sind  voll,  und  so  musz  das  Pensum  beschränkt  werden.    Was 
ist   in    einer  Stunde  alles  zu  thuni     Ein  gewissenhafter  Lehrer    darf 
keinen  übersehen,  er  musz  den   Schülern,   er  musz   dem  Gegenstände 
gerecht  werden.    Deshalb   ist  nichts  zu  wünschen,  als  dasz  alles  ent- 
fernt   wird,    was    die   Erreichung    des    eigentlichen   Zieles   verhiodert. 
Ich   habe    die  Erfahrung    dasz   Lehrer,    um   solche  Hindernisse   eines 
freien  Ganges  auf  das  Ziel  los  zu  beseitigen,  von  den  Schülern  ver- 
langen, dasz  sämtliche,   und  wären  es  70,  80,  dieselbe  Ausgabe  be- 
sitzen.   Es  besteht   in  Preuszen  keinerlei  Zwang,    sondern  ist  jedem 
Lehrer  überlassen,   sich  an  eine  Ausgabe  —  ich  spreche  zunächst  von 
den    mittleren  und    oberen   Klassen   —    zu  halten    wie    &r  will,    nnd 
man  hat  keine  Gründe,   diese  Freiheit   bedenklich  zu  finden.     Es  g^ 
eben  auch  da:    practica  est  multiplex.     Ich   habe    also  die  Erfahrung, 
dasz  Lehrer    von    allen  Schülern    die  Anschaffung    derselben  Ausgabe 
verlangen;   damit  ist  Zeit  erspart,   denn   das  kommt  immer  vor,  dass 
die  Schüler   zum  Theil    aus  g^ten,    zum  Theil   aus    frivolen  Gründen 
fragen:  in  meinem  Buche  lese  ich  so,  wie  stehVs  damit?    Damit  geht 
viel  Zeit  verloren,    und   der  methodische  Gang,  den  der  Lehrer  sich 
vorgezeichnet  hat,    wird  unterbrochen.     Vor  allem  sollen  die  Schüler 
aus   der  Schule    die  Gewöhnung    an    ein  methodisches  Verfahren  mit» 
nehmen.    Dieses   wird  nicht  erreicht,    wenn   der  Lehrer  stets   gestört 
wird.   — -   Noch   weiter    als   diese   gehen    andere,    die    verlangten,    die 
Schüler  sollen  überhaupt  keine  Ausgabe  mit  Anmerkungen  haben,  aon- 
dern  reine  Texte  in  derselben  Ausgabe,  z.  B.  der  l'eubner* sehen,  nnd 
ich  kann   nur    sagen  dasz  damit  wirklich  mehr  Zeit  gewonnen  wird« 
und   bei  einem  Lehrer,   der  volle  Selbständigkeit    hat  und  sich  nioht 
will  stören  lassen,   der  das  will  was  Benecke  als  Aufgabe  bezeich- 
net,, nemlich   in  nicht  gestörten  geistigen  Verkehr   mit   seinen  Sohü- 
lem  treten,   wird  in  der  That  so  mehr  erreicht;  und  dieses  bezeichne 
ich   als  wünschenswerth.    Dabei  sind  jedoch  immer  im  Auge  au  be- 
halten Persönlichkeiten  und  die  Verhältnisse  der  Anstalten.    Es  gibt 
Primen  mit  wenigen  Schülern,  da  kann  man  sich  freier  bewegen;  aber 
diese  sind  selten,  denn  unsere  Gymnasien  sind  in  den  oberen  Klassen 
meist  überfüllt.     Also  mein  Wunsch  ist  allerdings,   dasz  in  der  Schnle 
nichts  vor  dem  Schüler  liege  als  reine  Texte;  die  Integrität  des  Au- 
tors wird  ihm  viel  weniger   verkümmert,   er  lernt  ihn  viel  besser  kwoh 
neu,   als  wenn  allerlei  Zugaben  da  sind  und  die  Einfachheit  des  Ver- 
hältnisses stören,  die  im  Unterricht  am  gedeihlichsten  ist.     Dabei  wird 
ein  gewissenhafter  Lehrer    es   nicht    unterlassen,    ihnen   g#t  oommen- 
tierte  Ausgaben  zu  empfehlen  —  ich  komme  hiermit  auf  den  Unter- 
schied,   der    schon    hat    besprochen    werden   müssen.     Jeder,    der   in 
Prima  unterrichtet  hat ,  wird  wissen ,  dasz  sich  in  diesen  Klassen  streb- 
same Schüler  von  reiferem  denken  finden.    Warum  sollen  diesen  s.  B^ 
die  Bentley'schen  Anmerkungen  zum  Horaz  vorenthalten  werden?    In 
der  Klasse  jedoch  würde  ich  sie  nioht  wünschen.    Rücksicht  auf  den 
Kostenpunkt  ist  allerdings  auch  zu  -  nehmen.    Man  könnte  nemlioh  sa- 
gen, dann  wird  sich  jeder  Schüler  in  der  obersten  Klasse  zwei  Aus- 
gaben anzuschaffen  haben.     Ja ,  ein  Zwang  wäre  es  nicht,    und  wir 
haben  häufig  die  Einrichtung,    dasz    empfälenswerthe   Ausgaben  mit 


■irieiii  ttb.  d.  Verh.  d.  18n  Vers,  dealscher  Philologen  usw.  in  WifMl«  647 

Anmerkungen  in  ziemlicher  Zahl  in  den  Schülerbibliotheken  vorhanden 
sind.  Uebrigens  sind  diese  Ausgaben  jetzt  so  leicht  anzuschaffen,  so 
wolfeil,  dasz  auch  für  die  wenigsten  dieses  eine  grosze  Zumutung 
ist,  sich  neben  dem  bloszen  Texte  noch  etwas  mehr  anzuschaffen. 
Solche  Ausgaben  nun,  die  man  empfehlen  kann,  sind  in  der  That 
nicht  häufig.  £s  ist  schon  besprochen,  wie  häufig  den  Schülern  durch 
diese  Anmerkungen  die  Selbstthätigkeit  verkümmert  wird.  Ich  habe 
darin  bestimmte  Erfahrungen;  diejenigen  Ausgaben  sind  die  besten, 
die  den  Schriftsteller  aus  sich  selbst  zu  erklären  suchen ,  den  Sprach- 
gebrauch so  behandeln,  dasz  sie  auf  ähnliche  Stellen  derselben  Schrift 
oder  desselben  Autors  verweisen.  Da  ist  es  Sache  des  Lehrers  streng 
SU  sein  und  die  Präparation  gehörig  zu  controlieren.  Wir  könnten 
die  Frage,  wie  man  Uebersetzungen  unschädlich  machen  könnte,  auch 
einmal  behandeln.  Es  ist  dieses  ein  Uebel,  dem  wir  kaum  gewach- 
ten zu  sein  scheinen  und  gegen  welches,  wie  gegen  die  Misbräuche 
der  Anmerkungen,  strenge  Controle  der  Lehrer  das  einzige  Mittel 
ist.  Die  Hauptaufgabe  ist  eine  gute  Uebersetzung.  Wird  darauf  ge- 
hörige Sorgfalt  verwendet,  so  können  die  faulen  Schüler  sehr  leicht 
ertappt  werden;  sie  müssen  nachweisen,  warum  sie  den  Ausdruck  so 
oder  so  wählen.  So  kann  man  ihnen  den  Misbrauch  verleiden  und 
Freude  zur  Selbstthätigkeit  wecken.  Ausgaben  also ,  wie  die  frühere 
Matthiae^sche  der  Epistolae  selectae  von  Cicero ,  haben  das  g^te ,  dass 
der  Heransgeber  sich  bemühte  Parallelstellen  nur  so  zu  wählen,  dasa 
Cicero  aus  sich  selbst  erklärt  wird.  Ich  habe  die  Erfahrung,  dass 
diese  Ausgabe  bei  gehöriger  Verwendung  sehr  g^t  wirkt.  Jedoch  ge- 
hören solche  Ausgaben  für  das  Haus,  nicht  für  die  Schule.'  Hat  der 
Behüler  in  der  Schule  Anmerkungen  vor  sich,  so  liest  er  oft,  wie 
gestern  schon  von  Eckstein  erwähnt  wurde,  das  dümmste  Zeug 
heraus,  und  was  er  findet  gibt  er  als  Antwort.  Wie  viel  kostet  dann 
dieses  Zeit  in  der  Schule?  Ein  geschickter  Lehrer  kann  dieses  aller- 
dings vermeiden,  aber  wir  müssen  auf  das  uns  beschränken  was  das 
beste  ist.  Für  die  Schule  also  nichts  als  blosse  Texte,  und  zwar  wo- 
möglich alle  in  derselben  Ausgabe.  Denn  dasz  die  Kritik  nicht  ausge- 
schlossen werden  kann,  versteht  sich  von  selbst;  dasz  sie  aber  so  ein* 
geschränkt  werden  musz,  dasz  nur  solche  Lesarten  beurteilt  werden, 
hei  deren  Verwerfung  doch  Belehrung  herauskommt,  versteht  sich  von 
selbst.  Ich  würde  es  als  einen  groszen  Gewinn  für  die  Förderung  der 
Alterthumswissenschaft  betrachten,  wenn  wir  diese  Hindernisse  besei- 
tigten; es  wäre  ein  wesentlicher  Fortschritt,  in  den  Klassen  nichts  als 
die  reinen  Texte  zu  gestatten. 

Proreetor  Keller  aus  Batibor:  indem  ich,  was  das  Princip  be- 
trifft, vollkommen  einverstanden  bin  mit  dem,  was  Schober  und 
Beneoke  gesprochen  haben,  femer  den  Nutzen,  den  ich  den  An- 
merkungen nicht  bestreite,  nur  dann  anerkennen  kann,  wenn  dieselbe 
eommentierte  Ausgabe  von  allen  Schülern  gebraucht  wird,  erlaube 
ich  mir  auf  eine  Erfahrung  aufmerksam  zu  machen,  die  ich  wol 
nieht  allein  gemacht  habe.  Welche  Schüler  haben  Ausgaben  mit  An-r 
jnerknngen?  nicht  die  ärmeren  und  fleiszigen,  sondern  regelmässig 
die  wolhabenden  imd  bequemen.  Ich  frage  ferner,  wozu  haben  sie 
dieselben  gekauft?  Schon  ihrem  Charakter  nach  nicht  um  sich  m 
belehren«  sondern  um  sich  die  Arbeit  zu  erleichtem.  Ich  habe  die 
Erfahrung  gemacht,  dasz  nicht  blos  auszerhalb  der  Schule  grosser 
Nachtheil  entsteht,  sondern  auch  in  der  Schule  selbst;  denn  zu  glei- 
cher Zeit  sind  jene  im  Besitz  der  common tierten  Ausgaben  befind» 
lichen  Schüler  die  weniger  aufmerksamen,  dagegen  werden  alle,  de- 
nen jene  Unterstützung  versagt  ist,  sich  angezogen  'fühlen  sich  dort 
Rathes  zu  erholen ,  und  so  wird  durch  diese  Ungleichheit  eine  Thei- 


648  Borielitftb.  d.  Verb.  d.  ISnVers.  deatscherPliilologeii  atw.la WfM* 

long  der  Aufmerksamkeit  und  individuell  ein  Mangel  an  SelbsttliKtig- 
keit  erseugt.  Hätten  alle  Schüler  dieselbe  commentierte  Ausgabe  in 
Händen,  dann  würde  dieser  Uebelstand  gehoben  werden;  so  lange 
dies  nicht  der  Fall  ist,  werden  wir  uns  entschieden  an  die  bloszen 
Texte  iialten. 

Director  El  ix  aus  Grosz - Glogau :  es  ist  auf  den  Unterschied  der 
yerschiedonen  Stufen  der  Schüler  aufmerksam  gemacht  worden;  ich 
erlaube  mir  noch  auf  einen  andern  Unterschied  hinzuweisen ,  auf  den 
der  verschiedenen  Schriftsteller.  Ich  glaube  dasz  die  Blüte  der  Gym- 
nasiallectüre  immer  in  Homer  und  Horaz  ruht,  in  diesen  sollen  die 
Schüler  ganz  heimisch  werden.  Recht  in  das  Verständnis  eingeführt 
wird  aber  nur,  wer  den  Text  ohne  alle  Anmerkungen  liest.  Aue 
meine  Schüler  haben  für  Horaz  und  Homer  dieselbe  Ausgabe  ohne 
Anmerkungen  —  ob  sie  zu  Hause  andere  haben  ist  mir  gleichgütig  -«-, 
ich  würde  mich  schämen,  wenn  in  den  Händen  meiner  Schüler  die 
Crusius^sche  wäre.  Dagegen  gibt  es  andere  Schriftsteller,  bei  deren 
Leetüre  man  die  Anmerkungen  kaum  entrathen  kann;  dahin  gehört 
Sophokles  und  mehrere  Schriften  von  Cicero.  Ich  unterrichte  seit 
sieben  Jahren  in  den  oberen  Erlassen  und  habe  es  immer  ohne  Hübe 
durchgesetzt,  dasz  alle  Schüler  dieselbe  Ausgabe  haben;  im  Sophokles 
die  Schneldewin^sche ,  bei  Cicero  die  der  Reden  von  Halm,  ebenso 
de  nat.  deor.  von  Schömann.  Nun  kann  ich  nicht  fassen ,  wie  mehrere 
gesagt  haben ,  die.  Arbeit  werde  durch  die  Anwendung  solcher  Ausgaben 
erleichtert;  im  Gegentheil  verlange  ich  von  allen  Schülern,  dasz  sie 
die  Anmerkungen  studieren.  Der  Wechsel  verkehr  wird  lebendiger,  denn 
ich  setze  Dinge  voraus,  die  ich  beim  Gebrauche  der  bloszen  Text- 
ausgabe nicht  voraussetzen  dürfte,  und  indem  ich  diese  in  meine  Fra- 
gen an  die  Schüler  hineinziehe,  finde  ich,  dasz  die  Früchte  bedeuten- 
der sind,  als  ohne  dieses  Mittel  erreichbar  wäre.  Darum,  wenn  es  mög- 
lich ist ,  und  dasz  es  möglich  ist  kann  ich  versichern ,  dasz  die  Schüler 
dieselbe  Ausgabe  haben,  so  wird  es  bei  einigen  Schriftstellern  empfeh- 
lenswerth  sein,  Ausgaben  mit  Anmerkungen  zu  gebrauchen.  Ausser  dem 
angedeuteten  Gebrauche  der  Anmerkungen  bringen  auch  die  Einleitun- 
gen in  den  genannten  Ausgaben  ihren  Nutzen.  So  sind  die  muster- 
haften Einleitungen  von  Halm  mir  ein  sehr  wesentliches  Mittel  gewe- 
sen, die  Schüler  in  das  historische  einzuführen.  Ich  habe  sie  sogar 
zu  stilistischen  Uebungen  benützt  und  habe  sowol  mit  ihnen  als  der 
Schömann^schcn  Einleitung  zu  nat.  deor.  ganz  überraschende  Resultate 
erzielt,  weil  die  Schüler  dadurch  veranlaszt  wurden  das  gelesene  in 
seinem  ganzen  Umfange  nochmals  durchzustudieren.  Und  so  kann  man 
noch  manches  verbinden,  um  den  Zweck  der  Leetüre  möglichst  voll- 
ständig zu  erreichen. 

Flöok:  es  ist  mehrfach  der  Satz  ausgesprochen  worden,  dass 
es  ganz  einerlei  sei,  ob  der  Schüler  Ausgaben  mit  Anmerkungen  oder 
blosze  Texte  in  den  Händen  habe.  Ich  möchte  diesen  Satz  noch 
durch  folgende  Bemerkung  begründen.  Hat  nemllch  der  Schüler  die 
Noten  nicht  unter  dem  Texte ,  so  verschafft  er  sich  dieselben  durch 
Speciallexica.  Es  gibt  deren  eine  grosze  Zahl,  zu  Nepos,  Caesar, 
Xenophon ,  Homer.  In  diesen  Speciallexicis  sind  alle  schwierigen 
Stellen  und  viele  nicht  schwierige  mehr  erklärt  und  übersetzt,  als 
es  dem  Lehrer  lieb  sein  musz.  Könnten  wir  erreichen,  dasz  der 
Schüler,  der  Ausgaben  mit  passenden  Noten  in  Händen  hat,  sich 
weniger  veranlaszt  fühlte  sich  solche  Speciallexica  anzuschaffen,  so 
wäre  dieses  eine  weitere  Empfehlung  für  die  Ausgaben  mit  Anmer- 
kungen. 

Goebel:  die  meisten  der  Entgegnungen,  welche  meine  Begrün- 
dung der  angestellten  Thesis  erfaluren  hat,  beruhen  auf  einem  Mis- 


Berieht  üb.  d.  Verh.  d.  18a  Vers,  deatseher Philologen  usw.  in  Wioi.  640 

Verständnis  des  Wortes  zweckmäszig.  Ich  habe  dieses  Wort  nur  knn 
erläutert.  Wäre  die  Frage  über  die  Bedeutung  dieses  Wortes  näher 
erörtert  worden ,  so  würden  wol  viele  Entgegnungen  verschwunden 
sein.  Man  hat  gesagt ,  mein  Streben  schiene  dahin  zu  gehen ,  durch 
die  Anmerkungen  dem  Schüler  die  Arbeit  zu  erleichtern.  Ausdrücklich 
sagte  ich,  sie  sollten  nur  das  geben,  was  dem  Schüler  nach  den  ihm 
SU  Gebote  stehenden  Hülfsmitteln  nicht  zugänglich  sein  kann.  Es  ver- 
steht sich  von  selbst,  dasz  zweckmäszige  Anmerkungen  dem  Schüler 
die  Sache  nicht  ohne  weiteres  in  den  Mund  legen  dürfen,  sondern  ihm 
zum  eigenen  nachdenken  anregen  müssen.  Desgleichen  glaube  ieh 
liegt  in  meinem  Antrag  geradezu  schon ,  dasz  ich  dieselbe  Ausgabe  m 
den  Händen  aller  Schüler  voraussetzte.  Wie  die  Anmerkungen  dann 
einzurichten  sind ,  dasz  sie  je  nach  der  verschiedenen  Stufe  der  Schü- 
ler und  den  verschiedenen  Schriftstellern  anderer  Art  sein  müssen,  liegt 
in  der  Bestimmung  'zweckmäszig',  deren  nähere  Erörterung  fiir  die 
Discussion  wünschenswerth  gewesen  wäre.  —  Ein  paar  einzelne  Be- 
merkungen erlaube  ich  mir  gegen  Hm  Dir.  Eckstein.  Ich  habe  nicht 
behauptet,  dasz  die  Eselsbrücken  verschwunden  sind;  das  weiss  ieh 
nur  zu  gut ,  dasz  noch  sehr  viele  vorhanden  sind ;  aber  man  kann  doch 
von  Buchhändlern  erfahren,  dasz  die  Verbreitung  mancher  Bändchen 
der  Sauppe'schen  Sammlung  dem  Vertriebe  der  entsprechenden  Bändchen 
der  Stuttgarter  Uebersetzungen  und  der  Engelmann'schen  Ausgaben  Ab- 
bruch gethan  habe.  Ferner  was  den  kitzlichen  Punkt  hinsichtlich  der 
Controle  der  Lehrer  durch  die  Schüler  angeht,  so  ist  nicht  jeder  Sehul- 
mann ein  Eckstein.  Es  gibt  Schulmänner ,  die  zu  Zeiten  Ausgaben  in 
Händen  gehabt  haben,  ja  selbst  in  der  Schule,  wo  auf  der  einen  Seite 
der  Text,  auf  der  anderen  die  deutsche  Uebersetzung  abgedruckt  ist. 
—  Im  übrigen  gestehe  ich,  aus  dieser  Discussion  viel  gelernt  zu  ha- 
ben, und  bin  den  Herren,  die  das  Wort  ergriffen  haben,  zu  hohem 
Dank  verpflichtet. 

Einer  Bemerkung  des  Dir.  Eckstein,  dasz  bei  dem  forterben 
der  Uebersetzungen  eine  Abnahme  ihres  buchhändlerischen  Vertriebet 
noch  nicht  ein  Beweis  für  die  Abnahme  ihres  Gebrauches  sei,  entgeg- 
net der  Vorsitzende  durch  Anführung  eines  einzelnen  Beispieles ,  wo 
bei  einem  der  gelescnsten  platonischen  Dialog^  gleichzeitig  der 
bedeutende  Absatz  der  Text-Uebersetzungs- Ausgaben  sehr  erheblich  ab- 
genommen und  eine  mit  zweckmäszigen  Anmerkungen  versehene  sofort 
nach  ihrem  erscheinen  grosze  Verbreitung  gewonnen  habe;  man  dürfe 
aus  einem  solchen  Falle  wol  schlicszen,  dasz  gar  manche  Schüler  denn 
doch  die  zweckmäszige  Unterstützung  ihrer  Präparation  der  verderb- 
lichen durch  die  Uebersetzung  vorziehen,  wenn  ihnen  eben  die  erstere 
zugänglich  sei.  Nachdem  hierauf  Director  Eckstein  dem  Professor 
Goebel  dafür  gedankt,  dasz  er  diese  Frage  zur  Anregung  gebracht 
habe,  wird  die  Discussion  über  Thesis  UI  C  von  der  Versammlung  für 
geschlossen  erklärt. 

Obgleich  nach  Beendigung  dieser  Discussion  nicht  mehr  eine  volle 
halbe  Stunde  für  die  Verhandlungen  übrig  war,  beschlosz  die.  Ver- 
sammlung die  von  Herrn  Dir.  Theodor  Mayer  aufgestellte  Thesis 
IV  D  über  Stilistik  zur  Erörterung  zu  bringen,  und  es  wurde  daher 
der  Verfasser  der  Thesis  aufgefordert,  dieselbe  in  gedrängter  Kürze 
zu  begründen. 

Director  Th.  Mayer  aus  Melk:  indem  diese  Thesis  von  einer 
groszen  Zahl  der  verehrten  Anwesenden  als  der  Erörterung  wffrdig 
ei^achtet  worden  ist,  erkenne  ich  eine  Art  von  Billigung  der  ganzen 
Frage ,  und  möchte  sagen  ein  nicht  ungegrüddetes  Vorurteil  für  eine 
bejahende  Antwort;  denn  wäre  sie  rein  verwerflich,  so  würde  sie  gar 
nicht  zur  Sprache  gekommen  sein.    Ich  habe  nur  kurs  2U  fassen»  in 


650  Bericht  üb.  d.  Verb.  d.  ISn  Vers,  deatscber  Philologen  osw.  in  Wim. 

welcher  Beziehung  ich  meine  Thesia  aufj^estellt  habe.  Wir  in  Oester- 
reich  haben  traurige  Erfahrungen  gemacht,  wir  sind  noch  zum  guten 
Theil  aus  den  Zeiten  der  instüuUo  nd  elogventiamy  wo  wir  alles  lernten, 
was  nicht  ehqueniia  war  und  uns  zur  förmlichen  Stnmmheit  gebracht 
hat.  Diese  Zeit  ist  Yorüber  und  wir  bewegen  uns  in  neuer  Sphärei 
die  ich  anerkenne,  weshalb  ich  förmlich  ausschliesze  in  der  Stilistik 
die  JBeengung  der  schaffenden  Geister  in  Regeln.  Obgleich  ich  et 
sweckmäszig  finde  dasz  in  Geschichte,  Drama  usw.  gewisse  wesent- 
liche Erfordernisse  beibehalten  werden,  so  musz  ich  doch  dem  indivi- 
duellen Geiste  des  Schriftstellers  so  ungeheuren  freien  Baum  lassen, 
dasz  ich  ihn  nicht  in  Gesetze  einschnüren  kann.  Es  wird  ihm  jedoch 
immer  nöthig  sein ,  davon  Act  zu  nehmen.  In  der  Geschichte  wird  es 
immer  nöthig  sein,  alles  in  einem  gewissen  ruhig  durchdachten,  viel 
zusammendrängenden  Stil  zusammenzufassen,  allein  die  Gesichtspunkte! 
von  denen  der  Historiker  usw.  ausgeht,  werden  sich  ewig  nicht  in  Ge- 
setze zwängen  lassen,  sondern  jeder  wird  seinem  Geiste,  seiner  For- 
schung usw.  eine  individuelle  Rechnung  tragen  und  der  Leser,  Hörer, 
Beschauer  wird  diese  schätzen.  Von  dieser  Seite  kann  die  Stilistik 
nicht  behandelt  werden.  Meine  Ansicht  ist  nun  diese :  nachdem  im 
sogenannten  Untergymnasium  die  Lehre  von  der  Sprache,  die  Sprach- 
lehre im  allgemeinen  beendigt  sein  musz,  dasz  an  sie  gewisse  Regeln 
des  Ausdrucks,  nicht  der  Sprache  sich  anschlieszen ,  welcher  Aus- 
druck nichts  anderes  hat  als  folgende  Rücksichten:  1)  welcher  Aus- 
druck ist  deutlich,  welcher  undeutlich  zur  Bezeichnung  des  Gedankens? 
Durch  viele  Beispiele  zu  erörtern.  Zur  Deutlichkeit  des  Ausdrucks 
trägt  mit  bei  die  Lehre  vom  eigentlichen  Ausdruck,  der  proprietas  ver- 
borum,  wie  wir  sie  früher  nannten,  nemlich  jenem  Ausdruck,  der  alle 
Sjnonyma,  folglich  alle  mit  Nebenbedeutungen  verbundenen  Worte  aus- 
schlieszt  und  für  jeden  Gedanken  den  eigentlichen  Ausdruck,  der  wirk- 
lich nur  einer  ist,  zu  wählen  im  Stande  ist.  Diese  Wahl,  dieses  Stu- 
dium ist  für  junge  Leute  von  auszerordentlicher  Wichtigkoii,  und  die 
Synonymik  ist  in  einer  Ausdehnung  zli  treiben ,  wie  man  sie  bis  jetzt 
gar  nicht  kannte.  In  dieser  wird  wirklich  noch  immer  eine  gewisse 
Anleitung  zum  Gebrauch  der  Präpositionen  und  Bindewörter  nöthig 
sein,  die  von  vielen  Menschen  und  vielen  Schriftstellern  nicht  genau 
beobachtet  werden.  Wenn  ich  vom  eigentlichen  Ausdruck  gesprochen 
liabe,  gehe  ich  mit  vieler  Ruhe  über,  obgleich  ich  auf  Widerspruch  sn 
stoszen  fürchte  wegen  der  Trivialität,  auf  den  uneigentlichen,  welcher 
der  tropische  heiszt,  und  hier  behandle  ich  die  abgedroschene  Lehre 
von  der  Metapher,  deren  Tiefe  einen  Philosophen  zu  dem  Geständnis 
gebracht  hat,  dasz  er  das  Ende  der  Metapher  gar  nicht  zu  fassen  ver- 
möge, so  dasz  ich  sagen  kann,  das  Gebiet  der  Metapher  stöszt  an  das 
Gebiet  der  Mystik  an ,  die  ^ines  für  alles  und  alles  für  ^ines  setzt  und 
alles  in  solche  Verbindung  bringt,  dasz  in  derselben  endlich  alles  auf- 
geht. Von  dieser  Lehre  des  eigentlichen  Ausdrucks  würde  ich  unter- 
scheiden und  angemessen  finden  die  Lehre  vom  angemessenen  Ausdruck 
blos  in  Bezug  auf  Sprache,  von  der  Angemessenheit  des  Ausdrucks 
zur  Sache  und  zur  persönlichen  Ansicht  des  Schriftstellers,  abgesehen 
von  solchen  Beziehungen,  die  auf  andere  Felder  gehören,  z.  B.  durch 
Courtoisie  oder  Klugheit.  Hat  matt  dieses  Kapitel  vollendet,  so  kommt 
man  auf  die  Lehre  vom  trockenen  und  blumenreichen  Ausdruck,  von 
dem  kurzen  Stil  —  wie  wichtig  sie  ist,  ist  aus  dem  gestern  behan- 
delfen  Prooemium  des  Tac.  ersichtlich  —  vom  kurzen,  gedankenge- 
driingtcn  oder  weitläufigen  Ausdruck,  vom  einfachen,  verschlungenen 
Ausdruck  und  vom  fehlerhaften  Stil ,  wobei  zu  bemerken  ist ,  dasz  ich 
nicht  fehlerhaft  finde,  wenn  der  Schriftsteller  den  barocken  Einfällen 
seiner  Phantasie  freien  Raum  läszt.    Es  kommt  dann  eine  Lehre  von 


Beri<^t  üb.  d.  Verb.  <L  18n  Vers,  dealscber  Philologen  nsw.  ia  Wien.  651 

verschiedener  Natnr,  vom  florierten  AuJ^dmck^  die  so  leicht  ist  be- 
seitigt worden  durch  die  Bezeichnung:  Frage,  Antwort,  Ausruf,  was 
soll  das  sein?  die  Natur  gibt  es  selbst.  Und  doch  ist  sie  von  alten 
Bhetoren,  im  Lateinischen  von  Cicero,'  im  Griechischen  von  Dionjsius 
auszeror deutlich  wichtig  gefunden  und  mit  aller  Weitläufigkeit  behan- 
delt worden  und  haben  sich  daraus  Männer  zu  Rednern  gebildet.  Der 
figurierte  Ausdruck  gibt  nichts  als  eine  künstliche  Wendung  des  Qe^ 
dankens,  entfernt  vom  einfachen,  natürlichen  Ausdruck,  künstliche  Wen- 
dung zu  irgend  einem  Zwecke,  Und  wenn  der  künstliche  Ausdruck 
auch  nur  studiert  würde,  um  die  Feinheiten  eines  oder  des  anderen 
Schriftstellers  oder  eines  Menschen ,  der  uns  damit  kommt ,  zu  durch- 
schauen, so  wäre  für  die  Klugheit  des  einzelnen  viel  gewonnen.  Daran 
schlieszen  sich  ästhetische  Begriffe  vom  schönen  und  erhabenen  an  nsw», 
die  gegenwärtig  in  keiner  Theorie  behandelt  werden.  Vom  Vorsitzen- 
den an  die  bereits  verflossene  Zeit  erinnert,  bricht  Dr  Mayer  hier 
seinen  Vortrag  ab. 

Prof.  Schröpf  aus  Wien:  wenn  man  die  Stilistik  wissenschaft- 
lich behandeln  will,  ruht  sie  auf  der  Basis  der  Grammatik,  der  JjOgikj 
der  Psychologie,  der  Aesthetik.  Diese  sind  nicht  vorhanden  in  den 
Mittelschulen,  also  gibt  es  auch  keine  Stilistik  als  Wissenschaft  in  den 
Mittelschulen.  Aber  die  Schüler  sollen  zu  einem  ordentlichen  Stile  ge- 
leitet werden,  sie  sollen  die  Befähigung  erhalten  Aufsätze  zu  schreiben. 
Das  ist  etwas  ganz  praktisches  und  nichts  wissenschaftliches,  obgleioh 
mit  der  Wissenschaft  in  enger  Beziehung.  Die  Grundlage  hierzu  n^osz 
eine  gehörige  Mustersammlung  von  geeigneten  Aufsätzen  sein,  die  etwae 
in  sich  abgeschlossenes  und  in  den  Gedankenkreis  der  Jugend  passendes 
enthalten.  Aber  diese  Sammlimg  musz  anders  beschaffen  sein  als  die 
bisherigen,  denn  die  meisten  bisherigen  bestehen  in  Sammlangen  guter 
Aufsätze  ohne  einen  die  Auswahl  und  die  Anordnung  regelnden  Ge- 
danken. Diese  Sammlung  müste  systematisch  sein,  vom  leichteren 
zum  schwereren  fortschreiten  und  nach  und  nach  die  verschiedenen 
Darstellungsformen  dem  Schüler  vor  die  Augen  führen.  Allerdings 
wird  auch  dann,  wenn  eine  derartige  Sammlung  vorhanden  ist,  der 
Lehrer  manigfache  Bemerkungen  dazu  machen,  er  wird  die  Schüler 
noch  mündlich  auf  das,  was  in  den  Aufsätzen  zu  finden  ist,  auf- 
merksam machen.  Die  Schüler  sollen  diese  Bemerkungen  sieb  ein- 
prägen, so  dasz  sie  daraus  nach  und  nach  ein  ganzes  bekommen,  wiu 
eine  Uebersicht  geben  würde,  die  sich  einer  Theorie  nähert.  Aber 
wenn  dieser  stilistische  Unterricht  schon  in  den  mittleren  Klassen  be- 
ginnt, etwa  in  der  vierten,  fünften  Klasse,  so  wird  man  die  Wahr- 
nehmung machen  können ,  dasz  die  wenigsten  Schüler  die  Fähigkeit 
haben,  derartige  Bemerkungen  ordentlich  niederzuschreiben  und  in  ein 
ganzes  zu  vereinigen.  Wenn  nun  der  Lehrer  durch  ein  Büchlein  ihnen 
dasjenige  an  die  Hand  geben  kann,  was  er  sonst  auch  mündlich  er- 
klärt, oder  wenigstens  Anhaltspunkte  dazu,  gleichsam  ein  Memoriale 
zum  Lesebuch,  so  wird  es  nützlich  sein.  In  diesem  Sinne  mag  ioh 
den  Schulgebrauch  einer  Stilistik  vertheidigen  als  Memoriale  zum  Lese- 
buch, aber  nur  in  diesem  Sinn,  in  jedem  anderen  würde  das  theoreti- 
sieren  schädlich  sein. 

Brüggemann:  in  Prenszen  ist  eine  Mustersammlung  erschienen 
für  die  oberen  Klassen,  die  in  Bezug  auf  die  Auswahl  sehr  viel  Aner- 
kennung gefunden  hat.  Beigefügt  ist  ein  kurzer  Abrisz  der  Bhetorik, 
Poetik  und  Litteraturgeschichte.  Bei  der  ersten  Anfrage,  die  au  die 
Staatsbehörde  gestellt  wurde  über  die  Benützung  desselben,  wurde  von 
ihr  die  Erlaubnis  zur  Einführung  ertheilt,  jedoch  dazugefügt,  dasz  es 
keinem  Lehrer  gestattet  sei  die  Khetorik,  Poetik  oder  Litteraturge- 
schichte  systematisch   vorzutragen.     Ich  spreche   hier  keineswegs  als 


652  Berieht  ab.  d.  Verh.  d.  ISnVers.  dealscher  Philologeo  usw.  ie  WM. 

Organ  einer  Staatsbehörde  nnd  bitte ,  was  ich  zor  Bestreitung  dieser 
Thesis  anführe,  lediglich  als  meine  Privatmeinong  anzusehen,  wie  ich 
hier  überhaupt  keine  andere  Stellung  habe,  als  jedes  andere  Mitglied 
der  geehrten  Versammlung.  —  Dasz  Begriffe  nnd  Erklärungen,  wie  der 
Herr  Antragsteller  sie  bezeichnete,  dem  Gjmnasialunterricht  nicht  fremd 
bleiben  können,  bedarf  keines  Nachweises;  was  wäre  es  für  ein  Ziel 
der  erreichten  Bildung,  wenn  ein  Primaner  nichts  wüste,  was  eine  Me- 
tapher usw.  ist,  was  wäre  es  für  ein  Ziel,  wenn  er  nicht  einige  RecheA- 
Bchaft  von  eigentlichem  und  uneigentlichem  Ausdruck  geben  könnte, 
was  wäre  es  für  ein  Ziel ,  wenn  nicht  von  Sexta  bis  Prima  er  darüber 
aufgeklärt  und  über  den  Unterschied  vom  uneigentlichen  Ausdruck  be- 
lehrt würde?  Aber  etwas  ganz  anderes  ist  die  Frage,  ob  es  mit  in  die 
Aufgabe  des  Gymnasiums  gehört,  dergleichen  Disciplinen  systema- 
tisch nnd  als  besondere  Disciplinen  abzuhandeln.  Meine  Her* 
ren!  lesen,  verstehen,  in  sich  aufnehmen,  ist  Haupterziehungsmittel  im 
Gymnasium,  eine  Wissenschaft  im  Zusammenhang  vorzutragen  und  Prin- 
cipien  zu  erklären  ist  Aufgabe  der  Universität,  und  für  sie  sollen 
unsere  Schüler  fähig  gemacht  werden.  Ich  kann  es  nicht  unterlassen, 
nochmals  auf  das  hinzuweisen,  was  ich  am  Schlüsse  der  vorjährigen 
Philologenversammlung  gesagt  habe:  nicht  gesättigte  Schüler  sollen 
wir  entlassen,  sondern  mit  Hunger  und  Durst  nach  Gerechtigkeit  und 
wissen;  soviel  soll  gegeben  werden,  dasz  sie  vor  Lust  nicht  wissen 
wohin  sie  sieh  wenden  sollen,  wenn  sie  auf  di%  Universität  kommen* 
Ich  will  das  praktische  noch  näher  erläutern.  Ich  will  vorausschicken, 
alles  was  der  Herr  Antragsteller  verlangt,  ist  Aufgabe  von  Sexta  bis 
Prima,  aber  überall  nach  dem  Standpunkt  der  Klasse.  Vom  uneigent- 
lichen Ausdruck  musz  der  Schüler  etwas  erfahren.  Wenn  in  den  Lese- 
stücken der  Quinta  oder  Quarta  das  Wort  ^Trieb'  vorkommt,  warum 
sollte  der  Lehrer  nicht  dem  Schüler  vom  Trieb  im  Mühlrad,  im  Thier, 
im  Geist  sprechen  und  ihn  ahnen  lassen,  dasz  hier  ein  all  dieses  durch- 
dringender von  ihm  nur  vorzufühlender  Begriff  liegt?  Warum  sollte 
nicht  bei  poetischen  Stücken  auf  den  poetischen  Ausdruck  hingewiesen 
werden,  ja  es  musz  darauf  hingewiesen  werden,  wenn  anders  diese 
Klassen  ihre  Aufgabe  erfüllen  sollen.  Kann  man  in  Secunda  nnd  Prima 
vermeiden,  auf  die  nothwendigen  Eigenschaften  eines  guten  Stiles  Rück- 
sicht zu  nehmen?  Es  musz  an  jeder  Stelle  geschehen ,  die  Anlasz  bie- 
tet, und  aufsteigend  die  systematische  Auffassung  vorbereitet  aber  nicht 
vollendet  werden;  denn  dazu  g^ehört  Kenntnis  der  psychologischen  nnd 
logischen  Principien,  ohne  welche  Stilistik  und  Rhetorik  unmöglich  sind. 
Ich  kann  nicht  dafür  stimmen,  dasz  in  den  oberen  Klassen  eine  Muster- 
sammlung, angelegt  nach  den  Gesichtspunkten  dieser  systematischen 
Stilistik  und  Rhetorik,  gebraucht  werde.  Die  Mustersammlung  musz 
dem  Schüler  das  beste  aus  unserer  neueren  deutschen  Litteratur  vor- 
führen, was  durch  Inhalt  und  Form  und  Darstellung  als  mustergiltig 
anzusehen  ist,  mag  es  für  die  Erklärung  stilistischer,  poetischer  oder 
rhetorischer  Regeln  passen  oder  .nicht.  Darum ,  dasz  diese  Stücke  Mu- 
sterstücke sind,  werden  sie  Anlasz  bieten  auf  die  Erörterung  der  Re- 
geln zu  kommen,  die  zu  erörtern  sind.  Gestatten  Sie  dem  I.<ehrer  die 
Freiheit,  sich  einen  bestimmten  Plan  zu  machen,  bei  Erklärung  prosai- 
scher Stücke  diesen  oder  jenen  Gesichtspunkt  hervorzuheben,  gestatten 
Sie  die  Freiheit,  aus  poetischen  Sammlungen  die  Stücke  zu  wählen,  die 
sich  an  analoge  griechische  oder  lateinische  anschlieszen ,  um  nothwen- 
dige  Yergleichungen  eintreten  zu  lassen,  um  auf  die  Begriffe  poetischer 
Gattungen,  auf  die  Unterschiede  des  Ausdruckes,  auf  die  Gesetze  metri- 
scher Composition  aufmerksam  zu  machen.  —  Die  Zeit  drängt;  ich 
meine  also:  alles,  was  der  Herr  Antragsteller  verlangt,  soll  berücksich- 
tigt werden  nach  dem  verschiedenen  Standpunkt  der  Klassen  von  Sexta 


Bericht  fib.  d.  Verb.  d.  18n  Vers,  deatscber  Pbilologen  mw.  ia  Wiei.  -€53 

bis  Prima ,  aber  wenn  auch  zur  systematischen  Anffassnng  vorbereitet 
wird ,  vollendet  soll  sie  selbst  in  Prima  nicht  werden.  Der  Primaner 
soll  wissen,  dasz  es  eine  Stilistik,  Poetik,  Ehetorik  gibt,  die  ihn  weiter 
beschäftigen  wird,  wenn  ihm  in  weiteren  Kreisen  das,  bei  dem  es  sich 
am  wissenschaftliche  Grundlegung  handelt,  wird  zugeführt  werden  kön- 
nen. Ich  fürchte  dasz  bei  der  kurzen  Zeit ,  die  für  die  vaterländische 
Litteratur  bestimmt  ist,  der  Einwirkung  auf  Gemüt  und  Verstand  der 
Schüler  ein  groszer  Eintrag  geschähe,  wenn  wir  von  diesen  Lesestanden 
etwas  abziehen  und  sie  zur  trockenen  Darstellung  einer  systematischen 
Disciplin  verwenden  würden. 

Eckstein:  ich  wollte  nur  meine  Verwunderung  aussprechen,  dass 
das  als  ein  Fortschritt  bezeichnet  wird,  was  ich  für  einen  entschiedenen 
Rückschritt  halten  müste. 

Präsident:  die  Zeit  setzt  unseren  Discussionen  ein  Ende,  nicht 
die  Sache  selbst;  denn  wenn  wir  auch  den  eben  vorliegenden  Gegen- 
stand als  abgethan  betrachten  wollten,  liegen  uns  noch  andere  Fragen 
vor,  die  in  Betrachtung  zu  ziehen  die  Versammlung  beschlossen  hatte. 
Aber  die  Zeit  unserer  Berathungen  ist  bereits  verflossen.  Ich  hoffe 
dasz  an  die  Besprechungen »  welche  wir  in  der  kurzen  Frist  dieser  drei 
Tage  geführt  haben,  die  verehrten  Mitglieder  der  Versammlung  gern 
zurückdenken.  Es  hat  sich  über  mehrere  Fragen  eine  überwiegende 
Einigkeit  gezeigt,  und  dies  waren  durchweg  solche,  deren  Entscheidung 
von  eingreifender  Wichtigkeit  für  das  praktische  Schulleben  ist.  Wenn 
bei  dem  einen  in  der  gestrigen  Sitzung  verhandelten  Gegenstande,  über 
die  Mittel  zur  Förderung  4es  Lateinsprechens,  ein  Principienstreit ,  sn 
dem  ein  möglicher  Anlasz  vorlag,  von  der  Versammlung  selbst  abgelehnt 
wurde,  so  geschah  dieses  gewis  nicht  in  Gleichgiltigkeit  gegen  die  pae- 
dagogischen  Principien  des  Gymnasialunterrichtes,  sondern  in  der  be- 
gründeten Ueberzengung,  dasz  eine  Versammlung  nicht  der  Ort  ist,  über 
Principien  zur  Verständigung  zu  führen,  dasz  sie  vielmehr  der  Ort  ist, 
wichtige  Erfahrungen  auszutauschen  und  dadurch  gegenseitige  Beleh- 
rung zu  schaffen.  Der  verehrte  Vorsitzende  der  18n  Philologenversamm- 
lung, mein  werther  College  Herr  Prof.  Miklosich,  wies  bei  Eröffnung 
der  Sitzungen  auf  die  eigen thümlich  günstige  Lage  hin ,  in  welcher 
diese  Versammlung  von  Schulmännern  sich  befinde,  indem  sie  nicht 
genötliigt  ist,  die  bejahende  oder  verneinende  Beantwortung,  zu  der  sie 
bei  Discussion  einer  Frage  gelangt  ist,  sogleich  zur  gebietenden  Norm 
zu  machen.  Die  Wahrheit  dieser  Bemerkung  wird  sich  bei  unserer  heu- 
tigen Discussion  über  den  Gebrauch  bloszer  Texte  oder  commentierter 
Ausgaben  bestätigt  haben;  denn  es  zeigte  sich,  wie  schwierig  es  ist, 
nach  verschiedenen  dabei  einzuhaltenden  Gesichtspunkten  zu  festen  Ab- 
grenzungen einer  allgemeinen  Norm  zu  gelangen.  Indessen  ist  hiermit 
der  Wertb  dieser  Verhandlungen  nur  von  der  negativen  Seite  bezeich- 
net, ihre  positive  Bedeutung  liegt  jedenfalls  in  dem,  was  wir  aus  ihnen 
zu  unserer  eigenen  weiteren  Wirksamkeit  hinzubringen.  Man  beruft 
sich  im  Schulleben  und  musz  sich  berufen  auf  die  Erfahrungen,  die 
man  in  der  Lehrthätigkeit  macht;  aber  man  kann  nicht  mehr  erfahren  . 
als  man  versucht,  und  was  man  erfahre  hängt  von  der  Weise  ab  wie 
man  versucht.  Darum  wird  die  Mittheilung  thatsächlicher  Erfahrungen 
von  denkenden  Schulmännern  zu  einer  Anregung  auf  die  Mittel  zu  den- 
ken, welche  zur  Erreichung  desselben  Zieles  führen  können.  Dasz  wir 
aus  den  in  diesen  Tagen  gehaltenen  Besprechungen  solche  Anregung 
reichlich  in  unsere  weitere  Lehrthätigkeit  hinübernehmen,  das  ist  meine 
feste  Ueberzengung,  und  ich  drücke  gewis  die  Gesinnung  der  Versamm- 
luüg  ans,  wenn  ich  sage,  <dasz  wir  den  Männern,  die  uns  geeignete 
Gegenstände  vorgelegt  haben,  zu  Dank  verpflichtet  sind.  Möchten  sich 
viele  von  uns  über   ein  Jahr  im  Norden  Deutschlands  wiederfinden  and 


i 

l 

[ 


I 


iS54  Berieht  ab.  d.  Verh.  d.  ISn  Vers,  dentoeher  Philologien  usw.  ii  WiMi 

dort  fortsetzen,  was  hier  begonnen  ist.  Indem  ich  die  paedagogischea 
Verhandlungen  unserer  gegenwärtigen  Vefsammlong  schliesze,  habe  i<^ 
den  verehrten  Mitgliedern  ni^ht  blos  für  das  Vertrauen  zu  danken, 
welches  mich  mit  dem  Vorsitze  betraute,  sondern  noch  mehr  dafür, 
dasz  die  verehrte  Versammlung  selbst  mir^  die  Erfüllung  des  ehrenden 
Auftrages  leicht  gemacht  hat.  Denn  indem  ohne  mein  Zuthun  die 
Discnssion  stets  an  der  Sache  selbst  streng  festhielt,  ist  es  möglich 
geworden  über  wichtige  Fragen,  wenn  nicht  überall  zur  Entscheidung, 
60  doch  zu  klarer  Darlegung  der  Gründe  für  und  wider  zu  gelangen. 


L    Register  über  den  Inhalt. 


Abgangsprüfungen  31 ,  S.  438—46. 
Altenhurg:  de  locut.  Lncretiana  S.  581. 

Anton:  quae  intorcedat  ratio  inter  Eth.  Nicom.  VII  12—15  et  X  1—5, 
S.  421. 

Barbxeux:  le  livre  des  demoiselles  27,  S.  372. 
Beckel:  über  die  Stufenfolge  des  Geschichtsunterrichts  S.  573. 
Bender:  Ursprung  und  Heimat  der  Franken  S.  411. 
Berichtigung  zu  S.  45  von  Kayser  in  Sagan  S.  246. 
Berumski:  über  die  ältesten  Zustände  Lithauens  S.  584. 
Bildung 'dos  Gefühls  22,  8.  343—53. 

Borel:  de  r^formes  litt^raires  oper^es  par  Malherbe  27,  S.  372  f.  S.  477. 
Brandon:  Vorschule  für  die  französische  Conversation  27,  S.  371  f. 
Briefe  über  neuere  Erscheinungen  auf  dem  Gebiete  der  deutschen  Philo- 
logie 6,  8.  112—123.  170-^84.  216—34.  255—64. 
Buckenau :  über  Burcard  Waldis  S.  340. 
Büchner:  die  Cardanusformel  28,  8.  373—80. 
Burckhardt:  die  Seelenlehre  des  Tertullian  8.  285. 

Carpenler:  types  of  mankind  9,  8.  149. 

Cicero.    Von  einem  alten  Schulmann  32,  8.  447 — 56. 

—  Lälins.    Erkl.  von  Lahmeyer  25,  8.  363—66. 
Curtius:  de  aoristi  graeci  reliquiis  8,  8.  143 — 47. 
— ,  JST.  Ge.,  Leben  S.569. 

Delius:  Shaksperes  Werke  11,  8.  247—54. 

Deuschle:  der  platonische  Politikos  8.  571. 

Dewischeit:  zur  Theorie  der  Casus  8.  523. 

Dietz:  AVanderungen  in  Pompeji  S.  325. 

Dütmar  und  rölter:  historischer  Atlas  17,  8.  282—84. 

idv  c.  optat.    Anhang  zu  1 ,  8.  139 — 4. 

e/  av  und  H  ov,  die  ^trncturen  geordnet  und  jede  im  Zusammenhang 

nachgewiesen  1,  8.  1—15.  95—102.  135—39. 
Eineri:  die  Bedeutung  der  Schlacht  bei  Roszbach  für  die  deutsche  Lit-^ 

teratur  8.  410. 
Engelhardt:  loci  Platonici,  quor.  Aristot.  in  Politicis  memor  fuit  8.  418. 
Englmann:  Uebungsbuch  zum  übersetzen  aus  dem  Deutschen  ins  Latein« 

19,  8.  324  f.      < 
Ewald:  Lehrbuch  der  hebr.  Sprache  2,  8.  15 — 28. 

—  hebr.  Sprachlehre  fiir  Anfänger  2,  8.  102—112. 
Eysell:  Leben  der  Johanna  d*Arc  II  8.  394. 

N,  Jahrb.  f.  Phü.  «.  Paed,  Hd  LXXVIll.  Hft  12.  45 


656  Regster  fiber  den  Inhalf. 

Fasbender:  Abrisz  einer  Einleitnng  in  die  beschreibende  Geometrie  S.  23*2. 
Fricke:   de  necessitudine   qua   singnlae   inter  se  continentiir  disciplinae 

S.  246. 
Friedländer:  scholae  hebraicae  2,  S.  214 — 16. 
—  zur  Erklärung  der  Psalmen  S.  583. 

Gebhard:  Uebertragnngen  einiger  deutscher  Gedichte  ins  Latein.  S.  190. 
Gliddony  s.  Nolt. 

Gobineau:  essai  sur  rin^galitä  des  races  humaines  9,  S.  153 — 55. 
Gödeke:  Grundrisz  zur  Geschichte  der  deutschen  Dichtkunst  18,  8.295 

—324. 
Das  Studium   und  die  Principien  der  Gjmnasialpaedagogik  34,  S.  483 

—519. 
Die  Gymnasialreform  in  Oesterreich  S*  389  f. 
Die  Gymnasien  und  ihre  neuesten  Gegner  in  Kurhessen  5,  S.  79 — ^95. 

Haupt:  über  die  Midiana  des  Demosthenes  S.  477. 

Heideloff:  die  Kunst  des  Mittelalters  in  Schwaben  37,  S.  561. 

Heider  usw.:    die  mittelalterlichen  Kimstwerke  des   österr.  Kaiserstaats 

37,  S.  561. 
Heinemann,  v.,  zur  ästhetischen  Kritik  von  Soph.  O.  R.  S.  412  f. 
Heinrichs:  Themata  zu  lateinischen  Aufsätzen  in  Secunda  S.  474. 
Hemmei'ling:  welcher  Mittel  bedient  sich  Homer  zur  Darstellung  seiner 

Charaktere  S.  574. 
Henrichsen:  senatus  Romani  sub   primis  quinq.  Caes.  fortuna  ao  digni* 

tas  S.  185. 
Hertlein:  spec.  novae  edit.  luliani  Caesarum  8.  196  f.    ^ 
Hiecke:  über  die  Einheit  von  Hom.  II.  I  und  der  Stand  der  homerischen 

Frage  S.  522. 
Himperi:  die  Unsterblichkeitslehre  des  A.  T.  8.475. 
Hirsch:  Geschichte  des  Danziger  Gymn.  seit  1814  8.  421. 
Höfler:  Lehrbuch  der  allgemeinen  Geschichte.    I,    7,8.  123—^3. 
Hötnig:  über  den  geschichtl.  Unterricht  am  Gymn.  8.526. 
Hoff  mann:  tractantur  loci  N.  T.  et  veteris  iuris  Rom.  8.  416  f. 
Holizmann:  Untersuchungen  über  das  Nibelungenlied,  s.  Briefe. 
Horrmann:  die  Construction  von  Soph.  Antig.  8.  421. 
Ht/perideSf  Auffindung  einer  neuen  Rede  12,  8.  254« 

Indigenous  races  of  the  earth  9,  S.  150 — 52.  n 

loannu:  gricch.  Ode  auf  das  25 jähr.  Jubelfest  der  Ankunft  des  Königs 

Otto  S.  463. 
Jubiläum  des  Dir.  Dr.  Bachmann  in  Rostock  8. 840 f.,  des  Dir.  Dr 

Münscher  in  Hersfeld  8.  237—43. 

Kleike:    die   Begründung    der   Breslauer    Realschule   am    Zwinger    21, 

S.  327—30. 
Knorr:  Reinaert  de  Vos  und  Reinecke  Yos  8.  235. 
Köpke:  Über  die  Gattung  der  anofivrjaoveviiaxa  S.  469  f. 
Kossinna:  die  Kriegsmacht   der  Athener  und  Spartaner  im  peloponnes. 

Kriege  8.  532. 
Kostka:  über  die  leiblich  und  menschlich  gedachten  Götter  bei  Homer 

S.  531. 
Krdhner:  die  Sage  von  der  Tarpeia  8.  520. 
Krause:  de  fontibns  et  auctoritate  scriptt.  bist.  Aug.  8.531. 
Kress:  de  attributo  graeco  S.  572. 

Krukenberg:  über  das  gegensätzliche  Particip  bei  Homer  8.  586« 
Kaknast:  deutsche  Kirchenlieder  in  Polen  8.  532. 


Regiftar  aber  den  InhiU.  657 

Latein.  Ungarisches  oder  ciceronianisches?  15,  S.  274 — ^280. 

Laiham:  the  natural  history  of  the  varieties  of  man.  —  Man  and  his 
migrations.  —  the  ethnology  of  the  british  colönies.  -~  the  ethno- 
logy  of  Europe. of  the  british  islands  9 ,  S.  148  f. 

Lehmann:  sprachliche  Stadien  über  das  Nibelungenlied.    II.    S.  539. 

lieber  Lehrerbildung  29,  S.  399—409. 

Lemes:  Göthes  Leben  und  Schriften  18,  S.  295—324. 

LewUz:  de  iide  Fl.  Josephi  S.  527. 
'  Ley:  Grundlage  zur  Begründung  der  goniometrischen  Functionen  S.  526. 

Lipsius:  der  einheitliche  Charakter  von  Xen.  Hellen.  S.  569. 

Lübke:  die  mittelalterliche  Kunst  in  Westphalen  37 ,  S.  561. 

Maturitätsprüfungen.  Normativ  in  Holstein  S.  336,  in  Weimar  S.  423 f.; 

s.  Abgangsprüfungen. 
Mehneri:  Luthers  und  Zwingiis  Streit  über  die  Abendmahlslehre  JS.  423. 
Meihner:  Probe  eines  latein«  Vocabulariums  S.  566. 
Mezger :^\iehT.  Lesebuch  und  Über  Ruth  2,  S.  203—212. 
filf,  s.  ov, 

MÜberg:  memorabilia  Vergiliana  S.  289. 
Das  Mittelhochdeutsche  als  Unterrichtsgegenstand  auf  den  Gymnasien  23, 

8.  453—459. 
Der  Modificationsentwurf  und  seine  Besprechungen  in  der  Zeitschrift  für 

die  österr.  Gymnasien  S.  381—392. 
Männich :  über  den  Unterricht  in  der  Geschichte,  besonders  auf  Gelehrten- 

Bchulen  S.  476. 
Müüenhoff:  die  Weltkarte  und  Chorographie  des  Augiistus  S.  245. 
Munscher:  Bemerkungen  zu  der  Schrift  von  Dr  Thiersch  usw.  5,  S.  84 

—87. 

Nägelshach:  hebräische  Grammatik  2,  S.  155—170. 
Niemeyer:  über  Herders  Cid  14,  S.  272. 
Nüzsch:  Herodotea  S.  472. 
KoU  nnd  Gäddon:  types  of  mankind  0,  8. 149  f. 

OUe:  Handbuch  der  kirchlichen  Knnstarchäologie  des  Mittelalters  37, 

S.  561. 
ov  und  fi'7}  im  Zusammenhang  mit  den  Modalformen  der  Sätze.    Ir  Art. 

36 ,  S.  544—560. 

Pansch:  Entlassungsrede  8.  235  f. 

Patschke:  de  Minenra  Hom.  S.  582. 

Piderit:  zur  Kritik  und  Exegese  von  Cic.  de  orat.  8.  332. 

Planck:  Parallelen  römischer  und  griechischer  Entwicklungsgeschichte 

8.  478. 
Piatz:  die  Götterverwandlungen  bei  Homer  8.  186 — 189. 

Ramauer:  zur  Charakteristik  der  aristotelischen  Magna  MoraliaS.  392.. 
pie  Bedeutung  der  Baumanschaunng  auf  dem  Gebiete  der  Sprache  35» 

8.  535—543. 
Rechtfertigung  von  Suchier  und  Entgegnung  darauf  von  Piderit  S.  396  f. 
Rede  von  Döderlein  30,  S.  431—438. 
Reizius:  Blick  auf  den   gegenwärtigen  Standpunkt  der   Ethnologie  0, 

8.  152. 
Richter:  de  supinis  latinae  Unguae  II  8.  527. 
Riedel:  de  Antigoni  Gonatae  vita  8.  331. 
Röper:  »L  Terenti  Varronis  Eumenidnm  reliqniae  8.  419. 
Roihy  C.  L.,  kleine  Schriften  13,  8.  256-272. 

45* 


658  Register  aber  den  lahtU. 

Schetferlein:   über    die   Norm  der  Subordination   und  Coordination    des 

Casusgebrauchs  in  der  latein.  Sprache  S.  524. 
Schmidt:  Gymnasialpaedagogik  34,  S.  483  f. 
Schramm:  quaest.  de  Plat.  Legg.  part.  Y  S.  521. 
Schraut:  die  Bedeutung  von  ydq   in  den  vorgeschobenen  Sätzen  S.  193 

—  196. 
Schwab:  die  lateinische  Wortfolge  S.  191 — 193. 
— ,  6=.,  fünf  Bücher  deutscher  Dichtung  26,  S.  367  f. 
Schwalb:   ^lite  de  classiques  fran<^ais  und    Bibliotheque   choisie    de    la 

littdrature  fran^aise  27,  S.  368—371. 
Schwanz:  Eigils  Leben  des  h.  Stnrmius  und  die  Anonymi  Tita  S.  Lulli 

S.  331. 
Sehrwald:  de  tribus  Horatii  carminibus  S.  409. 
Simon :  fastorum  Romanorum  specimen  S.  466. 
Sonnenburg:  zu  Aristoteles  Thiergeschichte  S.  468. 
Spangenberg:    Untersuchungen    über   das   Geschichtswerk    des   Poljbios 

S.  335. 
Spengler:  de  Rheso  tragoedia  S.  472. 

Spruner:  historisch -geographischer  Schulatlas  16,  S.  280 — 284. 
Stallbaum:    brevis    recognitio    iudiciorum   de   Hör.    Sat.   I    10    exordio 

S.  288. 
Stein:  yindiciae  Herodoteae  S.  420. 
Stier:  hebräisches  Vocabularium  2,  S.  212—214. 
Strehlke:  de  Andreae  Gryphii  oliveto  S.  4l9f.  . 

Suc/iier:  zu  der  von  Thiersch  angeregten  Gymnasialfrage  5,  S.  87 — 88. 
Süpfle:  Aufgaben  zu  lateinischen  Stilübungcn.    II.    20,  S.  325  f. 

• 

Teipel:  praktische  Anleitung   zum  übersetzen  aus  dem  Deutschen  ins 

Latein.  33,  S.  457—462. 
Teuber:  die  Wahrheit  als  Princip  im  Unterrichte  S.  574. 
Thaulwv:  Gymnasialpaedagogik  34,  S.  483  ff. 
Theokrits  Idyllen.    Erkl.  von  Friizsche  24 ,  S.  359—363. 
Thiersch,  H.,  Zurückführung   des  Gymnasialunterriohts  zur  Einfachheit 

5,  S.  80— 81. 
Thomas:  de  linguae  latinae  casibns  S.  426. 
Thucydides  III  44,  S.  139—142. 

ühdolph:  das  Sternbild  des  Löwen. 
ünger:  de  Ansere  poeta  S.  520. 

Verhandlungen  der  17n  Philologenversammlung  in  Breslau  S.  37  —  73, 

der  18n  in  Wien  S.  591—054. 
Verordnungen.    Kurhessen  S.  339. 

Vilmar:  Kritik  der  Schrift  von  Thiersch  usw.  5,  S.  87—88. 
Völter^  8.  Dittmar. 

Wahner:  zur  Geschichte  Jacobs  I  S.  575. 

PVaitz:   zur  Frage  über  die  Vereinfachung  des  Gymnasialnnterrichts  5*. 

S.  00-05. 
Waszmuth:  über  das  deutsche  Schulwesen  im  Zeitalter  der  Reformation 

8.  528. 
Weclewski:    de   tragoodiis  ex   Graeco   in    linguam  polonicam  conversis 

S.  577. 
Weinkauff:  de  Taciti  dialogo  de  oratoribus  S.  526. 
Wemeke:  das  eddische  Rigsmal  S.  421—423. 

Wernick:  Geschichte  der  deutschen  Nationallitteratur  3,  S.  29 — 35. 
IVüdertnuih :  die  ältesten  süd-  und  nordfranzösischen  Grammatiken  S.  477. 


Refpster  der  Mitarbeiter.  659 


Wiizschel:  das  Fest  der  Sonnenwende  S.  425. 
Wunder:  de  Aeschyli  A^^amemnone  8.  286. 

Ziller:  die  Regierung  der  Kinder  10,  S.  199—200. 


II.    Register  der  Mitarbeiter. 


Aken^  Dr,  Gymnasiallehrer  in  Güstrow,  1.  14.  36. 

Mlihriy  Dr,  Prof.  in  Halle,  10. 

AndrescHy  Dr,  Oberlehrer  in  Berlin. 

Bä'utnlein]  Dr,  Ephorus  am  evangel,  Gymnasium  zu  Maulbronn,  13.  31. 

Becker,  Dr,  Trof.  in  Frankfurt  a.  M.,  33. 

Buchholz,  Dr,  CoUaborator  in  Clausthal. 

Büchner,  Dr,  Dir.  der  höheren  Töchterschule  in  Crefeld,  4,  27. 

Campe y  Prof.  Dr,  Director  in  Greiflfenberg. 

Corssen,  Dr,  Prof.  in  Schulpforta. 

Crecelius,  Dr,  Lehrer  am  Gymn.  in  Elberfeld. 

Cron,  Dr,  Prof.  in  Au^burg, 

BeuschlCy  Dr,  Prof.  in  IBerlin. 

Dinier,  Dr,  Oberlehrer  in  Grimma. 

Bödcrlein ,  Dr ,  Hofrath ,  Prof.  und  Studienrector  in  Erlangen ,  30. 

Dünizery  Dr,  Oberbibliothekar  und  Professor  in  Köln,  18. 

Eberz,  Dr,  Prof.  in  Frankfurt  a.  M. 

FMe,  Dr,  Oberlehi'er  am  Progymn.  zu  Neustadt  in  Westpr. 

falscher,  Prof.  in  Nürnberg. 

Oidionsen,  Dr,  Gymnasiallehrer  in  Oldenburg. 

Goszrau,  Dr,  Oberlehrer  in  Quedlinburg,  2. 

Hartmann,  Dr,  Prof.  in  Sondershausen,  19.  20. 

Hausdörffer ,  Dr,  Conrector  in  Eutin,  8. 

llense,  Dr,  Director  in  Salzwedel,  11. 

Hertzberg,  Dr,  Director  in  Eibingen. 

Kappes,  Lyceallehrer  in  Freiburg  im  Breisgau. 

Kayser ,  Dr,  Prof.  in  Sagan. 

KlosSy  Director  der  Turnlehrerbildungsanstalt  in  Dresden. 

Klotz ^  Dr,  Prof.  in  Leipzig. 

Laluneyer,  Dr,  Conrector  in  Lüneburg. 

Lange,  Dr,  Prof.  in  Duisburg,  34.  ^ 

Löbker,  Oberlehrer  in  Minden. 

Lübker,  Dr,  Director  in  Parchira. 

Mähly,  Dr,  Privatdocent  in  Basel. 

Märker,  Dr,  Prof.  in  Meiningen,  28. 

Mezger,  Prof.  in  Schönthal. 

Müller,  Lic.  Dr,  Prof.  in  Grimma. 

Ostermann,  Dr,  Gymnasiallehrer  In  Fulda ,  24.  25. 

Paldamus,  Dr,  Director  der  höheren  Bürgerschule  in  Frankfurt  a.  M., 

21.  26.  29. 
Peter,  Dr  K.,  Consistorialrath  und  Rector  der  Schulpforta. 
Hein,  Dr,  Prof.  in  Eisenach,  37. 
Roszier,  Dr,  Gymnasiallehrer  in  Bautzen. 
Ixühnnundt,  Dr,  Oberlehrer  in  Potsdam. 
Schmid,  Dr,  Director  in  Halberstadt. 


660 


OrUregiitor  sa  den  BerieliteB. 


Schottin,  Dr,  Gymnasiallehrer  in  Bautzen. 
Sommerbrodt f  Dr,  Director  in  Anclam. 
Spangenberg f  Dr,  Gymnasiallehrer  in  Hanau. 
yibnary  Dr ,  Gymnasiallehrer  in  Hanau ,  15. 
Voübrecht,  Dr,  Rector  in  Otterndorf. 
Wedener^  Prof.  und  Insp.  in  Frankfurt  a.  M.,  35. 
JVeiszenbom,  Dr,  Prof.  in  Erfurt,  9.  12. 
Wolter,  Dr  O.,  Gymnasiallehrer  in  Hildesheim,  23. 
Zacher,  Dr,  Prof.  in  Halle,  6. 


m.  Ortsregister  zu  den  Berichten. 


Aachen  462. 
Altenburg  409. 
Altona  381. 
Arnsberg  462« 
Arnstadt  410. 
Athen  462. 
Baden  185.  381. 
Bedburg  464. 
Berlin  465. 
Bielefeld  468. 
Bischofsheim  185. 
Bonn  408. 
Brandenburg  469« 
Braunsberg  411. 
Braunscbweig  412. 
Breslau  414. 
Bromberg  415. 
Bruchsal  185. 
Budissin  285.  416. 
Burgsteinfurt  470. 
Carlsruhe  186. 
Cassel  331. 
Cleve  470. 
Coblenz  470. 
Coesfeld  471. 
Cöslin  471. 
Conitz  417. 
Constanz  189. 
Danzig  418. 
Detmold  421. 
Deutsch  -  Crone  421. 
Dillenburg  426. 
Dortmund  471. 
Dresden  285.  423. 
DTlren  472. 
Düsseldorf  472. 
Duisburg  472. 
Khingen  475. 
Eisenach  423. 


Eisleben  473. 
Elberfeld  473. 
Elbing  474. 
Ellwangen  475. 
Emmerich  474. 
Erfurt  475. 
Essen  519. 
Eutin  235. 

Frankfurt  a.  O.  519. 
Freiberg  286. 
Freibur^  189. 
Friedland  520. 
Fulda  531. 
Cilatz  521. 
Gleiwitz  521. 
Görlitz  521. 
Greiffenberg  522. 
Greifswald  522. 
Grimma  286. 
Grosz-Glogau  522. 
Guben  523. 
Gütersloh  523. 
Gumbinnen  523. 
Hadamar  427. 
Halle  524. 
Hamm  525. 
Hanau  332. 
Hedingen  525. 
Heidelberg  189. 
Heilbronn  476. 
Heiligenstadt  525. 
Herford  526. 
Hersfeld  235.  335. 
Hildburghausen  566. 
Hirschberg  526* 
Holstein  336. 
Kempen  526. 
Kiel  235. 
Köln  526. 


Königsberg  i.  d.  N.  566. 
—  in  Pr.  527. 

Kreuznach  528. 
Kurhessen  339. 
üahr  190. 
Lauban  529. 
Leipzig  288. 
Leobschütz  529. 
Liegnitz  529. 
Lissm  566. 
Luckau  569. 
Lübeck  569. 
Lyck  566. 
Magdeburg  571. 
Mannheim  190. 
Marburg  i.  H.  340. 
Marienwerder  530. 
Meiningen  572. 
Meiszen  289. 
Merseburg  572. 
Minden  531. 
Mühlhausen  572. 
Münster  573. 
Münstereifel  578. 
Maumburg  573. 
Nassau  426. 
Neisze  574. 
Neu-Ruppin  574. 
Neu. Stettin  531. 
Neusz  574. 
Nordhausen  574. 
Gels  575. 
Oesterreich  381. 
Offenburg  19U 
Oldenburg  392. 
Oppeln  575. 
Ostrowo  575. 
Paderborn  576. 
Pforta  576. 


Namensra^gter  so  den  PeraonalnotizeD. 


661 


Planen  209. 
Posen  577. 
Potsdam  578. 
Pntbus  579. 
üuedlinbnrg  579. 
Rastatt  193. 
Rastenbnrf^  532. 
Katibor  579. 
Recklingbanseh  579. 
Hcndsbarg  393. 
Rinteln  394. 
Rostock  340.  579. 
Roszieben  5S0. 
Rottweil  475. 
Saarbrücken  580. 


Sagan  581. 
Salzwedel  581. 
Schleasingen  581. 
Schweidnitz  581. 
Soest  582. 
Soran  582. 
Stargard  532. 
Stendal  582. 
Stettin  583. 
Stralsund  583. 
Stuttgart  477. 
Thorn  532. 
Tilsit  532. 
Torgan  583. 
Treptow  584, 


Trier  584. 
Trzmesno  584. 
Tübingen-477. 
Ulm  478. 
l^eilburg  428. 
Wertbeim  196. 
Wesel  585. 
Wetzlar  585. 
Wiesbaden  428. 
Wittenberg  585. 
Württemberg  475. 
Zeitz  586. 
Zitton  290. 
Züllicban  586. 
Zwickau  290. 


IV.    Namensregister  zu  den  Personalnotizen. 


Abt  73. 
Achtner  394. 
Acker  394. 
Ahn  291. 
Albini  479. 
Aldenhoven  589. 
AUgayer  587. 
Amati  291. 
Angeleri  73. 
Anger  f  (842. 
Apetz  t  77. 
Arendt  587. 
Aschenbach  341.  394. 
Aubagen  394. 
Bachmann  587  (2). 
Bader  394. 
Bück  197. 
Bänmlein  73. 
Bahnsen  587. 
Bahrdt  291. 
Barthold  f  133. 
Barton  58/. 
Bartsch  133. 
Bauer  429.  587. 
Banse  394. 
Bayer  73. 
Beckel  f  342. 
Becker  74. 
Beckmann  587. 
Beisert  589. 
Bcllinger  291. 
BelvigUeri  291. 


Bene,  v.,  f  482. 
Benedict  f  74. 
Berduschek  341 
Bergmann  293. 
Bermann  74. 
Berndt  74. 
Bertagnini  294. 
Bess^  479.  587. 
Biasoletto  f  294. 
Biehl  74. 
Bigge  70. 
Bill  341. 
Binde  341. 
Binder  133. 
Bippart  429. 
Bltz  587. 
Blackert  429. 
Blase  293.     « 
Bloomfieldt  f  76. 
Blümel  291. 
Bockemüller  394. 
Bogler  341. 
Bohle  479. 
Bohnstedt  291. 
Bonpland  f  481. 
Bortoli  291. 
Brandscheid  74« 
Brandstäter  589. 
Braun  587. 
Brcdow  197. 
Breiter  197.  291. 
Bresler  133.  687. 


Britzelmayer  587. 
Brodnik  74. 
Bronikowski  74. 
Brown  f  430. 
Brühl  197. 
Buchner  76. 
Bndik  f  396. 
Burckhardt  291. 
Bürger  293. 
Bursian  534. 
Busch  t  294. 
Büttel  587. 
Candotti  133. 
Cantieny  f  294. 
Cassetti  138. 
Chapsal  f  198. 
Charge  197. 
Chmel  293. 
Cholevius  198. 
Chyle  587. 
Claussen  587. 
Clebsch  291. 
Clodigh  291. 
Clottu  395. 
Cobenzl  430. 
Coiz  74. 
Conrads  133. 
Corradini  74. 
Gramer  479. 
Crecelius  587. 
Grenzer  f  198. 
Cnreton  f  500. 


662 


Namensregister  la  den  Personalnoti&en. 


Czermak  479. 
Danko  74. 
Decker  587. 
Degen  f  482. 
Dehn  f  294. 
Demel  74. 
Denicotti  291. 
Denkovzky  f  294. 
Deuschle  197.  479. 
Diestel  197. 
Düthey  74. 
Dippe  430. 
Dobrzanski  479. 
Dondorff  587. 
Dragoni  587. 
Drbal  291. 
Drizhal  587. 
Drogan  f  294. 
Drosihn  74. 
Drygalski  197. 
Dümraler  197. 
Dymnicki  479. 
Slbert  291. 
Ebhardt  341. 

Egger  74. 
Eichendorff,  J.V.,  f  77. 

Eickemeyer  341. 

Enns  t  «^Ö&» 
Erhart  f  481. 
Escherich  74. 
Exner  76. 
Faber  587. 
Fabricius  291. 
Fährmann  74. 
Fechner  479. 
Fecht  74. 
Feldmann  589. 
Fikenscher  f  77. 
Fischer  201. 
Fleischmann  74. 
Flügel  293. 
Francke  342. 
Franke  394. 
Frick  394. 
Fricderaann  197. 
Fritsch  479. 
Frosch  479. 
Fürsteuau  74. 
Fütterer  74. 
Funge  479. 
Furner  f  181. 
Fusinato  291. 
Claleotti  f  294. 
Gamm  430.  f  534. 
Gargare vich  587. 
Garke  291. 
Geier  197. 


Giebel  394. 
Gilbert  291. 
Girschner  291. 
Glaszer  f  534. 
Glockner,  v.,  f  482. 
Gloel  587. 
Gneist  479. 
Götz  +  482. 
Götze  587. 
Gotthold  t  481. 
Gottschar  395.  587. 
Gregory  481. 
Gricpenkerl  74. 
Grieszhaber  76. 
Grün  74. 
Gruhl  74.  291. 
Guerini  587. 
Gnidi  74. 
Haage  395* 
Hachmann  395. 
Hagemann  74. 
Hagen  f  530. 
Hahmann  395. 
Halder  587. 
Hanow  341. 
Hansen  587, 
Harms  479. 
Hasper  479. 
Haupt  74. 
Hauser  198. 
Hecht  74. 
Heerwagen  74. 
Heintze  74. 
Heller  479. 
Hennings  479.  587. 
Heraus  587. 
Herbst  430. 
Hertel  293. 
Hctzel  291. 
Heuffel  +  77. 
Hilliger  291. 
Hirner  479. 
Hirschf^der  342. 
Hoffmann74(2).395(2). 
Holzinger  74. 
Hörn  587.  589. 
Horstig  74. 
Hovorka  587. 
Hruschauer  f  481. 
Huber  587. 
Hupe  74. 

Ilnschke  (Jena)  f  430. 
Jäger  133. 
Jagielski  74. 
Jahn  291. 
Jandaurek  291. 
Janota  587. 


Janowski  587. 
Jaseniecki  291. 
Jenko  t  294. 
Jerzykowski  74. 
Ilberg  342. 
Iluicki  291. 
Intra  291. 
Jordan  479. 
Junghans  342. 
Junghenn  480. 
Jystel  t  294. 
Haas  588. 
Kalincsak  430. 
Kalis  291. 
Kallsen  588. 
Kalmus  342. 
Kampschulte  480. 
Karow  197. 
Karpinski  291. 
Kayser  588. 
Kellner  291. 
Keppler  f  396. 
Kcry  481. 
Kieser  f  294. 
Kleiber  291. 
Kleine  430. 
Kleineidam  291. 
Kleiszner  291. 
Klemens  480. 
Kl^sk  480. 
Klucak  74. 
Kluge  291. 
Klumpar  588. 
iCnapp  395. 
Knappe  74. 
Knoblecher  t  430. 
Knoch  74. 
Kobe  +  481. 
Köhler  588. 
Koppen  t  534. 
Köstlin  292. 
Kolster  589. 
Koncinsky  74. 
Kofinek  75. 
Kornicki  292. 
Kornitzer  f  395. 
Kortüm  t  396. 
Kosminski  588. 
Kräh  292. 
Krahner  75.  292. 
Krause  75.197. 842. 395. 
Kreizner  f  77, 
Kreuz  76. 
Kries  f  198. 
Kromayer  480. 
Kroschel  75. 
KraUkowsU  395.