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Full text of "Neue Musik und Wien"

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ARNOLD SCHÖNBERG 
von Egon Schiele 



NEUE MUSIK UND WIEN 



VON 

PAUL STE FAN. 'i^p^M^^tUt 



„Denn wer brennt, wandert, aller- 
dings nicht aus schmerzlicher Un- 
rast, sondern aus Pilgertum.'' 

Theodor Daubler 
Lucidarium in Arte Musicae, 



• 






X 9 a I 

E. P. TAL & CO. VERLAG 
LEIPZIG WIEN ZÜRICH 










496910 



Alle Rechte, insbesondere das der Übersetsung, vorbehalten. 

Copyright 19a i by B. P. Tal & Co. Verlag, 

Leipzig -Wien - Zürich 






Druck der Ofiuin der Waldheim-Eberle A.<-Gm Wien 
Pftartsi hl itrBiWV 




ALFRED UND MARIA 

SCHRÖDER VAN GEUNS 

CORRY VAN GEUNS 

in Amsterdaki 

zur Erinnerung 
an das Mahler-Fest 

dankbar gewidmet 



ZIEL — VERSUCH — WIEDERGABE 

WIRKUNGEN 



L, 



^eser, Käufer, schließ dieses kleine Buch und 
wirf es zurück, wenn du das letzte, kleingedruckte 
Kapitel sogenannter Geschichte der Musik suchen 
solltest: Die Modernen in Wien — oder wie es in 
dieser Art Sprache sonst heißai würde. Hier ist es 
nicht und ich kann es, will es nicht geben. Vielleicht 
wäre es oder wird es einmal Aufgabe der Wissen- 
schaft; wir wollen es ihr nicht wegnehmen. Denn, 
glaub' mir, Leser : nicht das bißchen Geschichte, das 
es bald, oder dereinst enthält, nicht die Zeugnisse, 
die es dann austeilt, sind uns zeitgenösdsch Er- 
lebenden wichtig. Wir wollen das Bild! Sieh, 
ich erinnere mich, dtuikler und heller, an mehr als 
zwanzig Jahre der Vfienex Musik. Ihre Summe, ihr 
Extrakt sei das Wagnis dieser Blätter. Ihr Was und 
Wie sei erwogen, geprüft das Warum; ersehnt, ge- 
zogen die Linie, ersehnt, beschworen der Geist die- 
ses Auf und Ab — des Sichmühens der einen, des 
schmerzhaften Neuseinmüssens der anderen. Ich 
hätte es leichter haben, hätte es dir leichter machen 
können, Leser; die braven Notizen, die Worte, die 
von selber fließen, die Sprache des Musikdiploma- 
ten und vielleicht ein wenig Wissen imd Wissen- 
schaftlichkeit, sie waren wohl da« Aber nochmals, 
ich meine, wir transponieren, obschon das nicht 
eben so einfach ist: wir müssen aus Daten Ge- 



8 Überlieferung 

schichte, aus gewohnten oder rätselhaften Meistern 
Erscheinungen, aus Bewegtem Bewegendes^ aus 
der Musik der Werke müssen wir Dichtung; gestal- 
ten. In den Rahmen, den jeder sieht, füge sich die 
von mir geschaute farbige Gestaltung und in der 
Gestaltiuig walte der Geist. So denke ich mir dieses 
kleine Buch von g^tem und morgen geschrieben, 
ohne Einzelheit, die ihm nicht frommt, ohne Urteil, 
das ihm nicht ziemt. Ein Orbis pictus war da in 
unserem erlebten Leben. Er flamme auf! 

Leser der Nachkriegszeit, Adept, dem Mahler 
schon „klassisch'', Schönbez^ vertraut ist: es war 
nicht immer so. Neue Musik in Wien reicht weit 
zurück. In dieser Stadt ist nichts imgeworden« Die 
Aura ihrer Meister ist, imzerstörbar, überall. Denk, 
daß eine stolzeste symphonische und theatralische, 
eine Opemvorgeschichte da war. Im Bewußtsein 
ersteht sie vielleicht erst als Bildung, im Unter- 
bewußtsein schaltet sie frei, lehrt die Magie der 
lebendigen und der geprägten schönen Formen fas- 
sen ... Es ist ein anderes Blut in Wien. Der 
Süden luid besonders Italien spielt herüber, der 
Osten mischt sich in alles Völker-, Sitten- und 
Lebensgemisch, entlang den sanften Linien der 
Landschaft, entlang d&an urzeitgeheimnisvoll west- 
östlichen Strom. Hier mußte vieles wechselnd ver- 
gehen, manches neu werden, alles, auch das Frem- 
deste, verknüpft sein. Die große Überlieferung 
pflügte den Boden: sie sät die notwendigen Talente 
drüber hinein und es löst ein Genius den andern, ab. 

Diese Stadt eines glänzenden Hofes^ einer Ge- 
sellschaft von Kavalieren, Bürgern und einfach«! 



Die Oper 9 

tff Leuten zog immer wieder an. Sie alle fühlten sich 
s in der Kunst und sie lockten in ihrem prunkenden 
it^ oder bescheiden-reichien Leben die großen Meister 
i von draußen an. Oder es kam hier selber ein Schu- 
ck bert hervor. Und noch heute stimmen Menschen 
s6 aus allen Berufskreisen die Instrumente des Streich- 
let quartetts, Idingt in jedem Haus das einsamere, oft 
i nicht unbegabte Klavier der Sonaten. Noch heute 
is ist eine Gesellschaft da, der Musik ein Publikum. 

Längst ein anderes, doch noch immer nicht 

lei durchaus schlecht. 



A 



Vv ien ist nicht mehr Residenz, war auch vor 
ije dem Versinken des Kaisertums längst nicht mehr 
nur die Stadt eines Hofs. Dieser Hof hatte eigent- 
lich nur noch seine Oper, das wunderbare Haus 
zw^er darum einst zu Tode gehetzter Architekten. 
Hier war geschmackvoll prächtige Entfaltimg des 
Adelsglanzes imd eines zuletzt noch anständigen 
Reichtums. Lichterfülle, gleißender Schmuck, 
Schönheit mädchenhafter, für Manon tind ihren 
Tenor schwärmender Komtessen und wilder ver- 
blühender Frauen. Leser, in dieses Haus kam Gustav 
Mahl er und imter ihm wurde die Oper mon- 
däner Zerstreuung zum Festspieltheater einer un- 
erfüllten Zukunft. Leser der Nachkriegszeit, Adept 
von heute, warum bist du nicht vor anderthalb 
Jahrzehnten erwachsen imd gereift, warum nicht 
damals beim „Tristan" gewesen? Die Gesellschaft 
der Logen und des Parketts war verstummt und es 
wurde gar sehr für uns musiziert, die wir uns auf 
der Vierten Galerie imd, wenn es gut ging, im Steh- 



10 Philharmoniker 

parterre drängten. Und niemals zuvor war die ge- 
offenbarte Leidenschaft dieses Tristan so sehr 
Musik, die geoffenbarte poetische Musik des Wer- 
kes so sehr Leidenschaft geworden. Das war Bann 
von Anbeginn bis zum Ende (sofern ihm> der Kör- 
per standhielt). Die Mildenburg stand auf der 
Bühne in ihrer heldisch^tragischen, menschlich- 
endgültigen Weiblichkeit, Schmedes sang und 
litt, kein Tenor mehr, sondern ein Dichter, der 
junge Roller war ein g^ter Geist des Lichts tmd 
jeder Bewegimg; und nicht anders war es beim 
„Fidelio^', bei Mozart, bei Gluck. Leser, was 
gäben wir tun diese Ouvertüre des Don Giovanni, 
einmal, noch einmal, um das sausende, schneidende 
Allejgro, die erste Wendimg ziun Blech imd zur 
Pauke nach den zitternden Schauem dieses Anfangs : 
m' invitasti e son venuto . . . 
Es ist vorbei. 

Oie Hörerschaft tmd die einander gern Sehen- 
den, die sich gern Sehenlassenden der Hofoper 
finden sich auch in den Philharmonischen Konzer- 
ten zusammen. Sonntag mittags gibt es die, vor 
dem Sonntagsdiner, sehr benachbart dem Kämtner- 
ring imd seinen großen Hotels, wo das weltliche 
Gedränge, ziun Teil nach einer späten Messe wogt; 
aber die Messe ist nicht de rigueur. Nun, in den 
Philharmonischen Konzerten war man immer abhän- 
gig von diesem Publikum. Es gab selbst bei Hans 
Richter den Ton, im groBen Zeitalter dieser Kon- 
zerte, bekehrte sich lässig zu Brahms, kaiun zu 
Brückner, der ja auch lange nicht aufgeführt wurde. 



und Bösendorfer H 

und es ist bekannt, wie das Orchester in seiner nicht 
minder hlergebrachiten Gesinnung» nach! riner Lese- 
probe, Hugo Wolf mißdeutete und absetzte. Und 
noch heute ist der mondäne Dirigent dieser mon- 
dänen Vollkommenheit Weingartner tmd er 
erringt die Virtuosensiege dieser Konzerte eines 
berückenden Klangs. Denn sein Orchester, das 
Orchester der Oper, es klingt noch immer wie Wien. 
Nur einmal gab es, lang ist's her, drei Jahre eines 
Trotzes, auch sie imter M a h 1 e r, drei Jahre einer 
Revolution — mit konservativen Programmen. 

Und das selbe nur wenig geänderte Publikum 
fand sich im schönsten Konzertsaal Europas, dem 
„Saal Bösendorf elr'^ den man sinnlos niedergeris- 
sen hat, erste Tat einer Kri^^ewinnergesinnimg 
nochl vor dem Krieg. In diesem Saal, der klang wie 
Wien, sang Messchaert, spielten Joachim 
tmd Rose . • • Und noch spielen Rose und die 
Seinen, unsere Wohltäter, freilich in nüchternen 
Räiunen. Urlauber von der Front füllten ihre 
Abende, Reste der zerrütteten Hörerschaft von 
einst bevölkern sie heute. In der gelösten Heiter- 
keit letzter, schwebender Ausklänge Beethovens 
entglitten tmd entgleiten wir traurigsten Tagen. 
Hier ist noch immer Erbe von Mahler. An der Hof- 
oper war es bald vertan. Die Gesellschaft siegte, 
äußerer Glanz und! Prunk ergab die Opemmode. 
Erst ganz zuletzt, als für das aime Österreich nir- 
gends mehr etwas zu retten war, kam dn bald ver- 
gessener Intendant, Baron Andrian. Ihm sind 
Richard Strauß und die Direktion eines Franz 
Schalk zu danken. Seither b^ann auf stolzesten 



12 Richard StrauB 

Trümmom ein neuer Ernst der Übung und noch 
immer ist das Opernhaus an seinen großen Abenden 
ein großes Wunder. 

Strauß freilich ist heute, w^enn ichl so sagen 
darf, die Figur seiner eigenen Geschichte. Äußere 
Verhältnisse bringen es mit sich, daß er viel ab- 
wesend sein muß, daß er den Erzieherstand nicht 
hat, der ihm gebührte, daß er nur durch sein Diri- 
gentenbeispiel wirken kacuu Er sollte, wenn schon 
andere als allzu umstürzlerisch gelten, die Ober- 
aufsicht über das einheitlich organisierte Musiker- 
wesen des heute nur kleinen Österreich haben, wie 
das einst einmal Mahlem zugedacht war; leider nur 
zugedacht. Ist der Werkeschöpfer Strauß heute 
noch Anreger? Leser der Nachkriegszeit, Adept 
einer neuen Lehre, du leugnest! Aber ich antworte 
dir, daß er doch wohl noch das vereinigt, was er je 
gegeben hat; imd das war, erinnere dich an den 
„Eulenspiegel", an die „Salome", an die „Ariadne", 
um nur diese zu nennen, war alles, was eine Zeit 
zu geben hattes, deren mancherlei unterirdisch quel- 
lende Ströme eben erst später imd an anderen 
Stellen aus ihrem Karst hervorbrachen. Wemi es 
representative men eines Landes, einer Kunst, 
eines Zeitalters gab, er war einer, ja, er war dieser 
Repräsentant. Und daß er immer noch ein größter 
Meister des Könnens und der Gestaltung bleibt — 
Leser, aber du solltest lernen, was frühe Jugend 
so selten besitzt, das Pathos der Distanz. Genug 
davon: Meister ist er sicherlich und es ist ein Zeug- 
nis von der Kraft eines alten Zaubers, daß Wien 



Neue deutsche Musik 13 

auch ihn sich fesselte. Möchte es ihn nicht schlecht, 
nicht allzu flüchtig gefesselt haben. 

Bruno Walter, teilnahmsvollster Zeuge der 
Mahler-Zeit an der Hofoper, ist nach München ge- 
gangen. Aber wir freuen uns seiner noch heute. 
Die Kunst eines P f i t z n e r, die Walter so gern 
pflegte, sie wird in Wien weiterhin gepflegt; Be- 
weis die schöne Aufführung des „Palestrina'' in 
der Oper, Beweis mancher PfitznerrAbend im Kon- 
zerthaus. Man bewundert Pfitzner und hat ihn noch 
zu Zeiten seiner „Rose" und des „Armen Heinrich" 
geliebt, war erschüttert von der Dichtiuig, der Me- 
lodie, der edlen Askese des letzten großen Werkes. 
Und es trübte mir dieses Bild auch nie, daß der 
Künstler in der Qual seiner imd unserer Tage an 
der Zeit und ihren Erscheinimgen kränklich mäkelte. 
Lehrer einer Generation in Wien ist Pfitzner über 
seine Persönlichkeit hinaus Wohl kaiun geworden. 
Aber das braucht es bei ihm auch nicht. 

Viel ehier Reger. Ich darf sagen, daß wir vom 
Ansorge-Verein es waren, die ihn, den fast Unbe- 
kannten, nach Wien führten. Er beg^^ete man- 
chem Spott, aber obwohl Wien wenig Orgelmusik 
hatte und schon auch darum von R^^ nichts 
wußte, rangen sich die Variationenwerke alsbald zu 
höchster Achtung und Beachtung durch. Seither ist 
Reger Wer, in seiner hypertrophischen Stimmenfülle 
außerhalb der doch nicht so sehr barocken Musik- 
Überlieferung stehend imd auch dem Klangsimi 
immer noch fremd, dennoch auf seine Höhe gehoben 
worden. Man hat ihn vor allem eifrig studiert, seine 
Meisterschaft wieder und wieder staunend erfahren 



14 Fremde Anregungen 

und so darf er vielleicht als Lehrer imd Bildner gel- 
ten. Zumal seit der Zeit, da er (es sind die letzten 
Jahre) in dem von Arnold Schönberg gelei- 
teten Verein für musikalische Privat- 
aufführungen oft gespielt und gerade mit sei- 
nen spätesten Kammermusiken, mit seiner eigen- 
tümlichen Verwendung der Klarinette und der Brat- 
sche zu dämmernden Harmonien die sorgfältig her- 
angebildeten Kenner des Vereins entzückt hat. 

Dies^ und etwa noch Klose, sind die Führer 
der deutschen Zeitgenossen. Über ihre Nachkommen 
weiß man wenig. Von den weltbewegenden Franzo- 
sen hat man D e b u s s y, dessen ,,Pelleas'' zu hören 
war, Ravel, D u k a s, auch als Opemkomponisten 
(„Blaubart^'), bewundert. Aber es waren kleine 
Kreise, die zu solcher Kenntnis kamen, imd auch da 
hat Schönbergs Verein viel helfen müssen, nicht 
minder bei Mussorgsky imdl den Russen bis 
zu S traw'insky imd Scriabin, den Tschechen 
wie S U k und N o v ä k, den Ungarn wie B a r 1 6 k 
und Kodaly. Elgar, Delius und Scott 
sind, irgendwie ein wenig vom Reiz des Exotischen 
umflimmert, hin und wieder, namentlich durch 
Franz Schrekers Chor, aber auch durch 
L o e w e vor einer größeren Hörerschaft aufgeführt 
worden. Dagegen waren die Italiener, wie C a s e 1 1 a 
imd Malipier o, kaiun dem Namen nach bekannt; 
italienische Musik, das war für Wien zuletzt P u c- 
cini. Darf man sagen, daß damit die Kräfte von 
draußen genannt und gegeben sind? Man darf es 
wohl. Wien ist kein Markt wie Paris und Berlin, 
der Krieg wurde ein fester Zaim und heute wagen 



Unsere Orchester 15 

die Handlungen kaiun die Notenliefte ausländischer 
Komponisten zu bestellen, weil sie gegen Wiener 
Kronen nicht zu verkaufen wären. 

Vv ir sind rasch vom konservativsten, dem 
adelig-bürgerlichen alten Publikum imd seiner ganz 
ähnlich gerichteten, den Lesern angepaßten Kritik zu 
der neuesten Hörerschaft, der von Schönbergs Ver- 
ein gelangt, in dem nur mit Bild genau legitimierten 
Mi^liedem der Zugang gestattet ist, während man 
Kritik des Programms wie der Leistungen streng 
ausschließt. Aber im Ratun und in der Zeit: war die- 
ser Weg lang. Es war ein Ereignis, als sich neben 
der philharmonischen imd der Hörerschiaft der Ge- 
sellschaftskonzerte (die mehr als hundertjährige 
Gesellschaft der Musikfreunde führt 
Orchesterkompositionen imd die großen Chorwerke 
auf, ihr rastloser Dirigent ist heute Schalk), neben 
diesen doch ziemlich konservativ gearteten und ge- 
richteten Vereinen ein neuer Kreis für die Sympho- 
niekonzerte des Konzertvereins bildete. Das 
zweite Konzertorchester wurde damit begründet und 
Ferdinand Loewe war ihm ein guter Erzieher. 
Die Vorstadt schloß sich um das Wien der Inneren 
Stadt^ breiteres Bürgertum, Neuem besser zugäng- 
lichl, strömte auf die billigen Plätze, Fluten von 
Musik ergossen sicfal hin. Loewes großes Verdienst 
bleibt es, diese Schichten nicht einseitig unterrich- 
tet zu haben, vnc es heimischer Verknorpelimg ge- 
mäß gewesen wäre, und er ist nicht genug zu preisen, 
daß er ihnen immer wieder Brückner gab und 



i6 Dirigenten ^ 

zeigte; Brückner hat erst durch ihn seine Hörer 
und sein Volk gefunden. 

Der Orchestersehnsucht der Menge lag bald 
nach dem zweiten das dritte Orchester nicht mehr 
fem, die Tonkünstler. Nach einigem Tasten 
leitete sie Oskar Nedbal, eben noch Bratschen- 
spieler des Böhmischen Streichquartetts, ein Mu- 
siker von Natur imd imgewöhnlicher Wucht. Auch 
seinem Unternehmen gelang viel Schönes. Aber der 
Krieg imd seine Menschennot zwangen die zwei Or- 
chester zur Verschmelzung; noch geben sie, unter 
verschiedenem Namen, ihre gesonderten Konzerte, 
aber immer mehr drängt die wachsende Not, 'jetzt 
Not der Orchestermusiker, zu völliger Vereinig^ung, 
sofern das „mittelständische'' Orchester überhaupt 
gerettet und erhalten werden soll. Alle Versuche, 
es als Orchester der Stadt Wien aufzurichten, sind 
vweitelt worden. 

Führer de® Orchesters in den Konzerten des 
Tonkünstlervereins ist ein Gast, der feurige F u r t- 
wängler, dessen Genius alsbald diese Stadt mit 
sich riß. Häufig leitet es Oskar Fried, hier nun 
schon fast seßhaft, ein Fanatiker letzter Ziele, stark, 
eigenwillig, liebenswert, für seinen Mahler oft imd 
stürmisch bedankt. Beide runden den Kreis dieser 
Wiener Gegenwart. 

Aber die beiden Orchester blid>ai nicht bei der 
Sehnsucht des Bürgertums nach Orchesterklang und 
Orchesterfarbe stehen. Die weiteren Vororte dran- 
gen zu ihnen, als Arbeiter-S3rmphoniekonzerte und 
nachmals Konzerte einer sozialistischen Kunstzen- 
trale abgehalten wurden, wie sie D. J. Bach mit 



Volkskonzert und Volksoper 17 

allem Können und allem Glück des Tüchtigen zur 
Blüte gebracht hat. An solchen Abenden als Gast 
teilzunehmen, war eine tiefrührende Freude. Der 
Künstler-Mensch durfte, ja mußte in Menschenge- 
sichtem lesen imd wenn er oft bei solchem Bemühen 
verzweifelt hatte, hier nun hoffen. 

Das gleiche Streben des Jahrzehnts ins nötig 
Breite ergriff die Oper. Der kluge und energische 
Rainer Simons verwandelte ein wenig beachtetes 
neues Schauspielhaus an der Grenze zwischen Vor- 
stadt und Vorort in eine Volksoper und er fand 
in Alexander von Zemlinsky den rechten Musi- 
ker imd Bildner für Sänger, Orchester, Publikum. 
Die leichtesten und bald auch die schwersten Aufga- 
ben wurden angegriffen und gelöst ; und solang es die 
Zeit gestattete, billig zu bleiben, solange Zemlinsky 
da war und eine kluge Praxis nicht in gleichgültige 
Routine verebbte, war und blieb man Volksoper. 
Auch hier folgte der Niedergang, da insbesondere 
die Stadt sich nicht entschließen konnte, ein Auf- 
sichtsrecht über das Haus in ein Recht, in die Pflicht 
zur Initiative wahrster Kunstpolitik zu wandeln. 
Im letzten Jahr hat Weingartner den Versuch 
gemacht, das Haus neuen Kreisen und neuer, musi- 
kalisch besserer Kunstübung zug^uiglich zu machen; 
nur sind auch die Gefahren eines Star-Theaters für 
Zahlende aufgestiegen. 

Für jiuige Komponisten tat vieles der Phil- 
harmonische Chor, der von Franz S c h r e. 
ker begrimdet und bisher geleitet worden ist. So 
führte er besonders Schönbergs „Gurre-Lieder" zum 
ersten Mal auf; aber es gab kaiun einen erreich- 

Stef an, Wien a 



l8 Alte und neue Veranstalter 

baren und auffüfarbaren Komponisten der Gegen- 
warty der nicht auf seinem Programm gestanden 
hätte. Ein uralter Tonkünstlerverein, 
dessen Präsident irgendeinmal Brahms war, 
bewies vielen Mut bei geschlossenen Türen, indem 
er nämlich auch neuere Werke den Mitgliedem 
zu Gehör brachte. Jetzt, unter Robert, wagt er 
sich auch schon hervor. Aul kürzere oder längere 
Strecken begleiteten als gute Weggenossen, ja 
Wegbereiter der Ansorge -Verein und der 
Akademische Verband für Literatur 
und Musik, die ineinander aufgingen, unsere 
neue Musik, anfangs für Reger, später für Schön- 
berg und die Seinen lebhaft werbend; eine Ein- 
jahrsgründungy die V.ereinigung schaf- 
fender Tonkünstler, pflegte 1904, damals 
eine Seltenheit, sogar Mahler, aber erst seit die klare 
Organisationskraft Arnold Schönbergs tätig ist und 
seit, der Zeit entsprechend, die Probemühen imd die 
Aufführungen den Künstlern vergütet werden — 
was wir in allen anderen Vereinen nicht taten, nicht 
tun konnten — erst seither kann, im Verein für 
musikalische Privataufführungen, wahrhaft Fördern- 
des bewirkt werden. 

Die Bildung zur Musik wird auf guten Wegen 
gesucht. Der alte Staat hatte das Konservato- 
rium der Gesellschaft der Musik- 
freunde übernommen und zu einer Akademie 
imigebildet, an der zuletzt, neben Prohaska imd 
Franz Schmidt, schon Marx und Schreker 
unterwiesen. Für Schönberg hatte man leider den 
rechten Platz nicht gefunden. L o e w e ist jetzt Di- 



Unterricht, Presse 19 

rektor und so wird ernsthaft gearbeitet. Daneben 
gibt es ein Neues Konservatorium unter 
R e i 1 1 e r, manche andere Privatschule und vieler- 
lei Einzellehrer. An der Universität hat Guido 
Adler ein berühmtes musikhistorisches Institut 
eingerichtet und gibti die Denkmäler der 
Tonkunst in Österreich heraus, dabei 
ein Geschlecht von jungen Forschem aufziehend!, 
aus dem Wilhelm Fischer, Robert Lach und 
Egon Wellesz zu nemien wären. Adler hat, 
was wohl das Wichtigste ist, seinen Hörern den 
Zusammenhalt mit der Gegenwart, besonders mit 
seinem Jugendfreund Gustav Mahler und allem 
Neuen, seither g^eben xmd gefestigt. Und auch 
außerhalb der Zimft spricht man in Wien viel von 
der Musik, will darüber unterrichtet seixi, verlangt 
das von seiner Tageszeitxmg, die ihre Berichte sorg- 
fältig aufteilen muß (ich will aber Namen nicht nen- 
nen), oder hält gar ein Kunstblatt, wie den M e r k e r 
(begründet von Specht, jetzt von Bach und 
B i 1 1 n e r gelltet), den Musikalischen Ku- 
rier von Max Graf oder den Anbruch der 
UniversalTEdition, deren erdiunspannende Ver- 
legertätigkeit auch Neuem mit Eifer entgegen- 
kommt. 

Dies etwa ist das Feld. Kräfte treten auf. 

Die erste und am stärksten bewegende Kraft 
jeder neuen Regung ist, hinter Beethoven, Richard 
W a g n e r. Er hat Wien nicht geliebt, die Stadt, die 
ihn stets, bald nach Beethovens Tod und bis in die 
Zeit eines Brahms anzog, aber immer wieder ab- 



20 Wirkungen: Wagner, 

stieß : sie komnte ihn nicht halten und er fühlte gar 
wohl, daB hier das sündige imd ach so schöne Trei- 
ben der von ihm bekämpften, der dreiviertel-roma- 
nischen Oper heimisch iind unausrottbar war. Hier 
wurde Wagner Sieger über alle Gemüter, aber nicht 
über Verdi, selbst nicht recht über Meyerbeer und 
OfFenbach. Doch gehörte ihm schon aus Opposition 
gegen die Gesellschaft, der Hanslick diktierte, 
indem er mit ihr genoß, gehörte Wagnern alle Ju- 
gend, von der Kaiserin Elisabeth bis zum armen 
Teufel auf der letzten Galerie der Oper und auf den 
Stehplätzen des Konzertsaales. Er hatte dreierlei An- 
hänger: Schwärmer, Politiker tmd Musiker. Die 
Politiker aller oppositionellen Arten, deutschbetonte 
mit Judenabscheu sowohl wie Sozialisten, f anatisier- 
ten sich ihm lange, jahrzehntelang, von Meinungs 
wegen zu. Den Musikern war er Abgott, Gegenstand 
eifrigster Bemühungen imd Studien, aber in dieser 
Stadt doch nicht so sehr das Muster, das sie eigent- 
lich nachahmen wollten. Goldmark galt zwar 
einem Nietzsche einmal als „Affe Wagners", aber 
er war es nicht, war immer etwas höchst Eigenes 
und Anderes und die wagnerisierenden Werke von 
Gotthelf und Goldschmidt sind wenig be- 
kannt geworden. Die bedeutungsreichsten seiner 
Musikerbewunderer, Brückner und Hugo Wolf, 
haben Formen imd Technik Wagners nicht an- 
nehmen müssen. Sein Wesen, sein Gehalt, seine Er- 
nrngenschaften freilich waren aus dem Werk auch 
des Ssonphonikers imd des Lieddichters nicht w^- 
zudenken. -Um so weniger, da eine Art Wiener Ge- 
meinde, Hans Richter, Ferdinand F o 1 1, Gustav 



Brahms, Brückner 2 1 

Schiaenaich imd andere auch die äußere Bay- 
reuther Überlieferung treu zu hüten suchten. 

Der G^enpol war B r a h m s, Nordländer, doch . 
zuletzt wienerisch weich im besten Sinn, öster- 
reichisch, selbst österreichisch-ungarisch gefärbt, ein 
neues Beispiel der Anziehung Wiens als des ersten 
Südens imd Ostens. Aber nicht daß der Niederdeut- 
sche die Formen Wiens annahm, war die Bedeutimg, 
sondern daß Wien die Haltimg des Mazmes auf- 
nehmen konntet, der dennoch von Bach kam. Brahm- 
sens äußere Wirksamkdt drang mit den Worten 
eines Hanslick und Kalbeck sogleich ins Breito^te, 
aber auch sein Beispiel und seine Anziehung auf 
Musiker war in Wien fast ohne Vorbild. Sie er- 
greift noch die Anfänge eines Schönbeig und hat bei 
anderen Komponisten überhaupt gar nicht auf- 
gehört. 

Ihm gegenüber stand Brückner fast im Dun- 
kel der Sage. Sein Kreis waren die Brüder Schalk 
.und Loewe; dann die Schüler des Konservatoriums, 
mit denen er, Decsey erzählt es, nicht ohne Seufzen 
Kontrapunkt paukte, die Studenten der Universität, 
seine „Gaudeamus'S die er doch ein wenig mit locke- 
ren Zügeln und einigermaßen summarisch laufen 
lassen mußte: Zöllner und Sünder. Von ihnen allen 
ist diesem erhaben rührenden Genius aber nicht nur 
Ruhm gekommen, nicht nur höchste Liebe und Ver- 
ehrung, die man solchen Gestalten aus der Unwirk- 
lichkeit eines Domschattens hinbreiten mußte: 
Brückner ist auch über sie hinaus langsam, un- 
hemmbar ia sein Volk gedrungen und seine Spur 
ist in der Wiener Musik überall; ich spreche gar 



22 Mahler 

nicht von der Musik in der Kirche, wie sie beson- 
ders Max Springer und Vinzenz Goller in 
Brückners Bahn tuid Brückners Geist mit beachtens- 
werten Kräften gelenkt haben. 

In einem menschlich-persönlichen Zusammen- 
hang mit dem ,,Lehrvater'' Brückner stand auch 
Gustav M a h 1 e r, der mit dem Klavierauszug einer 
früheren Fassimg von Brückners Dritter S)rmpho- 
nie b^onnen hat. Mahler ist als Dirigent und Direk- 
tor das unmittelbare Vorbild jedes jüngeren Wie- 
ner Musikers geworden, der Patron der neuen 
Wiener Musik. Was Musik erleben luidi musizieren 
in der großen Linie wie in allen Einzelheiten heißt, 
Phrasienuiig, Betonimg, Takt, Pausen, Tempo, Ton- 
stärke, Rhythmus, melodischer Vortrag und so in 
einem weiter, wissen wir erst seit ihm. Die Ver- 
ehrung, die er nun genießt, nachdem alles Zeitliche 
von ihm abgefallen ist und seine Gegner in Schwei- 
gen verstummten, sie ist keiner anderen Musiker- 
Verehrung vergleichbar. Denn er ist uns (war es 
manchen Erkennenden schon früher) doch ungefähr 
ein Stifter jener Musik, die wir heute erkennen ler- 
nen. Nicht als ob er Schutzherr oder gar Aneiferer 
von Neuerungen als solchen gewesen wäre; nichts 
weniger als das. Er wollte nur, das allerdings mit 
aller Kraft, daß, wer etwas zu sagen haben könnte, 
zu seiner Zeit ans Wort gelange. Aber in ihm selbst 
war so viel Neues, daß es wohl noch eine Generation 
brauchen wird, ehe man über die ersten Anfänge 
des Wissens darum hinauskommt. Und das beginnt 
man jetzt zu erkennen und zu erforschbi. Mahler 
setzte ein neues Publikum voraus: siehe, es bildet 



Wolf 23 

sich. Werke, wie die Achte Symphonie geben am 
deutlichsten die andere Form, man sucht nach einem 
Raimi für ein solches Maß, verwendet das Opern- 
haus, aber es kommt das Lied von der Erde und es 
sind in ihrer Art die Fünfte, Sechste, Siebente imd 
Neunte Symphonie ebenso zu. behausen, und nicht 
nur äußerlich. Eine Epoche hat mit ihm begonnen 
und wir dürfen sagen, daß wir dabeigewesen sind. 

Erstaunlich aber war es, am sechzigsten Ge- 
burtstag eines Hugo W o 1 f zu verfolgen, wie wenig 
Berührung die junge Generation mit ihm hat und 
wie selten er ihr über den Liedgesang hinaus frucht- 
bar geworden ist. Seine Macht ruht darin, daß er. 
Erbe des Gutes Schubert-Schumann-Loewe, auf 
anderen Wegen als Brahms in den Geist deutsche- 
ster, aber auch südlicher Dichtimg von sedner stei- 
rischen Grenzsiedlung her mit den edelsten imd 
zartesten Tongebilden vorgedrungen ist, alles in 
sie fassend, alles in ihnen lösend, was durch die 
Schmerzen des romantischen Wagner- Jahrhunderts 
in einer zuletzt doch österreichischen Form aufge- 
gangen war. 

V/oXt hat einen posthtmien steirischen Jünger 
gehabt, der bei ihm anfing, Josef Marx. Wir fin- 
den ihn später. 



1 



GENERATION IM ÜBERGANG 



D, 



'enn wir kcHXunen nun in unsere Zeit und zu 
den Erscheinungen, zu dem Bild des Übergangs. 
Die neuen Wiener Meister von Brahms zu Mahler 
haben für Wien mehr als für andere Zentren auf- 
wallender Musik eine besondere Wesenheit geformt, 
die sich uns Jüngeren in Wien dbea deutlicher 
aussprach als in einer anderen, mindestens deutr 
sehen Zone. An der Stätte, wo sie gewirkt haben, 
wo sie jedem lebendig waren, gleichsam jedem 
Orchesterdiener und Notenkopisten vertraut, in die- 
sem Wien sind sie in irgend welcher Gestalt gleich- 
sam noch gegenwärtig, liegt ihr Wesen deutlicher 
in der sonst schon reichen Luft. Freunde, Schüler, 
Nachahmer dieser Großen sind zur Hand, deuten 
und lehren aus ihrem Werke. Und so erwachen die 
Zeichen des ersten Erstatmens in den Zeitgenossen, 
erwacht in den Schöpferischen die Anpassung an 
das eben erst Vernommene, und die Jahre luid Er- 
scheinungen des Übergehens^ eines Händereichens 
in die Lücke nach schon entschwundenen Genien, 
eines Vorwärtstastens zu neuen Wagnissen, sie be- 
ginnen. 

Beginnen mit der Lehre, die noch ganz im Sinn 
der Vergangenheit ruht, aber bei den Schülern mit 
der Übung selbst zu Anderem, Neuem wird. Am 
Konservatorimn und, wie es übernommen wird, an 
der nunmehr staatlichen Akademie für Mu- 



Graedener» Robert Fuchs 25 

sik und darstellende Kunst lehrten alt- 
ehrwürdige Gestalten und ich nenne vor allem Her- 
mann Graedener imd Robert F u^ h s. Graede- 
ner ist der Sohn eines Komponisten niederdeutscher 
Schule und sein Stamm reicht so zu den Wiurzeln 
Brahmsens zurück. Der Sohn wird Wiener und die 
südlichere, katholische Musik eines Liszt und Brück- 
ner wird ihm wesensvertraut. Er lehrt ld>endig 
und Leben weisend, lehrt auch als »»Lektor'^ hier 
Brückners Nachfolger, an der Universität, wo frei- 
lich mehr eine Überlieferung als eine Lehre in 
Ehren zu halten ist. Unter seinen SchiUem wird 
auch Franz Schreker genannt. Die jüngste Wiener 
Gegenwart berührt sich noch luunittelbar mit dem 
ausgehenden Spätklassizismus oder doch mit der 
nachblühenden Romantik. 

Neben ihm waltete, der drei Menschenalter von 
Musikern sah, Robert Fuchs. Seine vielen Kom- 
positionen bereiten jedem reines Vergnügen, der es 
zu schätzen weiß, wie sie mustergültig gearbeitet 
sind und wie sie nirgends über sich hinaus wollen 
mit Mitteln, die dieser Könner im leichten Spiel 
beherrschen würde, wollte er täuschen luid nicht 
vielmehr sich geben, seinen Ernst, seine Frische, 
seine Liebenswürdigkeit. Diesem Lehrer sind viele, 
auch von den Jüngsten, Dank schuldig und um die 
Mannigfaltigkeit der Blüte zu zeigen, die von ihm 
ausging, will ich einige Namen nennen. So hat 
Zemlinsky bei ihm gelernt und Zemlinskys glän- 
zender Schüler Erich Wolfgang Korngold. Fei- 
ner R. St. Hoff mann imd Karl Weigl, der 
selbst vielfältig und fruchtbar lehrt (Sein Schüler 



26 R. St. Hoffmaim — Weigl 

ist Hugo K a u d e r.) Hoffmann ist als Kritiker sehr 
bekannt geworden, einer der wenigen, die jederzeit 
für die Anerkennung des Rechtes der neuen Musik 
und besonders, zu einer Zeit, da es noch nicht 
selbstverständlich und nichts weniger als angenehm 
war, für den Komponisten und Direktor Gustav 
Mahler auftraten. In seinen Liedern ist er offen und 
natürlich, eine große Arbdt, wenn ich recht imter- 
richtet bin, eine Oper, beschäftigt ihn seit langem 
imd wir erwarten sie gespannt. Weigl hat in vi^en 
und großen Kreisen Auf merksamkeit gefunden. Sei- 
ner Freudigkeit zu musizieren, die besonder^ aus 
einer Symphonie in E spricht, sind viele Komposi- 
tionen, Lieder, Chöre, Kammermusik entsprossen, 
die indes immer mehr ins Nachdenkliche deuten 
und die Mittel einer ringenden, nicht mehr selbst- 
verständlichen, sondern mit zeitproblematischen 
Technik an sich reißen. Durch seinen Ernst, durch 
seine sittliche Erscheinung ist Weigl, von seinem 
Schicksal nicht eben in den Vordergrund geworfen, 
eine der achtimgswertesten Persönlichkeiten des 
Wiener Besitztiuns. Kauder, Bratschenspieler eines 
neuen Quartetts, Schriftsteller, Philosoph, Kompo- 
nist, vielfältig bemüht, steht als Musiker in ver- 
heißenden Anfängen. 

Schüler Robert Fuchsens ist auch! Franz Mitt- 
ler gewesen, der als Verfasser volkstümlich inten- 
dierter Kompositionen selbst unter die Lehrer ging, 
imd der jiuige Egon Kornauth,zu dem< uns noch 
ein anderer Weg führen soll. In Fuchsens Nähe 
aber nenne ich einige Namen, die dem Gefühl als 
Zeitgenossen von ehemals vorschweben, Hugo 



Heuberger 2^ 

Reinhold, den Meister gefälliger Serenaden, 
Robert Gound, den älteren Ignaz Brüll, eine 
der liebenswürdigsten Gestalten fast schon ent- 
schwundener Tage, der einst mit Opern, wie „Das 
goldenei Kreiiz'" vielen zu Gehör kam. Ich habe diese 
Generation noch vorgefunden, die Brüll neben 
Goldmark als ihre großen Lebenden verehrte, die den 
stillen Liedern eines Anton Rückauf lauschte, 
selber gern von guten alten Zeiten sprach und dar- 
über manches überhörte. Einer ihrer kritischen 
Wortführer, Richard Heuberger, war besser 
unterrichtet. Er hatte viel kompositionstechnische 
Einsicht^ auch manches angenehm Schöpferische — 
es half ihm zu dem großen Erfolg seiner komischen 
Oper „Der Opemball" — , aber er wußte mn den 
Wandel der Zeiten imd er hat schon Brückner an- 
ders eingeschätzt, als man damals gewohnt war. 
Heubei^er ist recht früh verstorben. Man nennt 
als seine Schüler die sehr heutigen Komponisten 
A. H. Spiller imd Egon Lustgarten (der 
sich auch mit einer neuen philosophischen Grund- 
legung der Musik versucht). Ist die Angabe richtig, 
so zeigt auch sie, wie nahe und innig sich bei uns 
Vergangenheit und Gegenwart berühren. Lustgarten 
hat ditrch japanische Lieder einen Ausweg zur Exo- 
tik gefunden, auch hier — einem Busoni ähnlich und 
vielleicht folg^sam — bemüht, den heimischen Bezirk 
in Gedanken und Tönen isu erweitem. 

Nennt man die fast schon historischen Gestalten 
der Lehrer und Theoretiker, so ist gleich Eusebius 
Mandyczewskizu nennen, der^ die Schätze des 
Archivs der Musikfreunde hütend, wahre 



28 Stöhr 

Schätze von Manuskripten der großen Meister und 
von vielen Büchern und Noten, in der Ruhe des 
Forschers dem Wissen um die Musik nachgeht tuid 
es lehrend weitergibt. Einer seiner Schüler ist der 
ungemein fruchtbare Hans Gäl, von dem schon 
dne Oper ^»Der Arzt der Sobeide^^ im Ausland mit 
Erfolg aufgeführt worden ist« * Lieder, Chöre und 
besonders verschiedene Kammermusiken, die ich 
gehört habe, zeigen ihn, formenreich und melodien- 
freudijg, ziemlich deutlich auf den Spuren woa Johan- 
nes Brahms. 

Andere Komp<misten dieser Lehrergeneration 
sind Rudolf Braun, der, blind, in Tönen seine 
bescheiden-leise Welt zu gestalten sucht, imd Josef 
Labor, Meister an der Orgel. Beide haben Kam- 
mermusiken, Braun zudem auch Szenisches ge^ 
schrieben. 

In der immittelbaren Zeitnachbarschaft des aus- 
gehenden Brahms steht sein Freund Karl N a w r ar 
til, den Brahms selbst an Studienbeflissene und 
Ratfragende vielfach und gern empfahl. Ungemein 
populär ist in einem späteren, neueren Jahrzehnt 
eben als Theoretiker Richard Stöhr geworden, 
dessen Lehrbücher viel verbreitet imd für gewisse 
Prüfungen obligatorisch sind. Stöhr ist ein sehr 
ergiebiger Komponist, dem keine Form fremd blieb, 
vom Lied bis ziu- Oper, und sein Name grüßt von 
vielen Konzertprogrammen. Er gibt, vielfach den 
Anregungen des Tages aufmerksam folgend» das 
Erwartete auf volkstümlich angenehme Weise, zu 
einer jüngeren Generation von Komponisten imd 
Lehrern überleitend, der wir uns nun zuzuwenden 



Prohaska 29 

haben. Es sind Carl Pro ba s k a und Franz 
Schmidt, neben denen dann auch Josef Marx 
und Schreker ihr Lehramt an der Akademie zu ver- 
walten bekamen« 

Prohaska ist ein wohl von Brahms ausgehender 
Meister strengster imd gründlichster Schulvmg, der 
sich in schwierigen Formen gelassen imd mit einer 
reichen Phantasie zu bewegen weiß. Außer dner 
Jugendarbeit, den gänzlich auf ihren leicht-anmuti- 
gen Ton gestellten Liedern des „Pierrot Lunaire" 
nach Giraud-Hartleben, den selben, die Arnold 
Schönberg später in seiner Weise komponieren 
sollte, außer Kammermusik hat Prohaska Klop- 
stocks „Frühlingsf eier'^ und eine Kantate „Aus dem 
Buche Hiob^' im größten Stil mit seiner keineswegs 
leichten, aber reich bedeutenden Musik durchtränkt. 
Jede weitere Aufführung dieser Werke zeig^ aufs 
neue, wie sehr sie es wert sind, in ihrer stilbilden- 
den Kraft erkannt und genauer gewürdigt zu wer- 
den; nur hat es bisher nicht allzuviel von diesen 
Aufführungen gegeben. Einen hellfarbigeren Weg 
hat Franz Schmidt genommen, der jahrelang als 
Cellist im Orchester der Oper saß und mit einem 
Mal als Komponist der Oper „Notre Dame'^ zu 
rasch aufleuchtendem Ruhme gelangte. Schmidt 
denkt imd erfindet g^utizlich in der diesseitigen Har- 
monik imd aus der klingenden Musikerheimat seines 
Orchesters. Man wird nicht leicht stärker sinnliche 
Eindrücke des Klangzaubers gehabt haben als bei 
den Aufführungen-^ der Oper und der beiden Sym- 
phonien von Schmidt, die gleichfalls von den Phil- 



30 Schmidt 

harmonikem rauschend gespielt oder vielmehr fast 
gefeiert wurden. Auch die Symphonien sind von 
untadeligem Bau» von reichster Fülle ausgebreite- 
ter Harmonie im Sinn einer beharrenden Hörerschaft 
und von jenem Klang, der fesselt imd nicht entläßt, 
gleich einem schwelgerischen Bad, etwa im warmen 
Meer, am blühenden Ufer des Südens, wie demi 
Schmidt überhaupt einen durchaus österreichisch- 
südlichen Eindruck gibt. Er ist übrigens auch ein 
vortrefflicher Klavierspieler, der den Inhalt einer 
großen Partitur in sein Instrument mit aller Schärfe 
zusammendrängen kann, dabei jene rechte Über- 
trag^ung in den Charakter des Tastenspiels gleich- 
sam einfühlend, die man bei gedruckten imd imge- 
druckten Auszügen oft so sehr vermissen muß. 

£in noch jüngeres Lehrerpaar sind oder waren 
bis in diese Tage Josef Marx und Franz Schreker, 
die an die Akademie als Nachfolger für Fuchs und 
Graedener berufen wurden. Aber in dieses Bild dür- 
fen sie sich erst später fügen, wenn zuvor einige 
ältere Männer betrachtet sind; imd Schreker voll- 
ends erst an seinem Platz, der sich ihm nur über 
die Versuche und Wege der Wiener Oper hinweg 
bereitet. Hier aber ist etwa die Stelle eines Carl 
Laf ite, der, schon in seinem literarischen Profil 
lehrend, lebhaft tind beweglichen Geistes, als Kriti- 
ker, später als Generalsekretär der Gesellschaft der 
Musikfreunde tätig, veranstaltend, bemüht, auch 
als Komponist vieler freundlicher Lieder ein brei- 
tes Publikum hat. Er ist in seinem Wesen Roman- 
tiker, wie es CamiUo Hörn ist, einer der Getreuen 



Laute, Hom, Scherber» Reiter 3' 

und Treiiherzigen um Brückner, nacM Brückner, 
dem der Deutschböhme Hom auch k(Mnpositoriscb 
znit seinen Gaben folgt. Hom hat selbst die Gefolg- 
schaft eines' Vereinesi, der seinen Namen trägt und 
sich's nicht nehmen läßt, den sehr bescheidenen und 
gegen sich mit am kritischesten Mann unermüdlich 
zu fördern. Auch Hom lehrt an der Akademie. 

Ein dritter kritischer Kollege, Ferdinand Scher- 
ber, ist mit seinem feinen Kunstverständnis und 
mit zartestem Sinn für Werte und Farben in große- 
ren und kleineren Formen bei wachsender Aufmerk- 
samkeit kompositorisch tätig. Von den verschiede- 
nen Versuchen Alfred Arbters und von den 
Kammermusiken, die von Guido Peters aufge- 
führt worden sind, hat mir leider nicht genug be- 
kanntwerden können, so daß ich hier nur die Namen 
geben möchte, wobei auch des schätzenswerten Pia- 
nisten Peters zu gedenken ist. 

Eine Erscheinung für sich ist Josef Reiter, 
den Max Morold-Millenkovich eifrig propagiert 
und während seiner Burg^eater-Direktionszeit 
auch als Kapellmeister des Theaterorchesters 
herangezogen hat. Da ich das vielfältige Werk 
Reiters bloß aus der Erimierung in miein Kräftebild 
einzeichnen kann, sei ausgesagt, daß ich etwa von 
einem Requiem des Komponisten Reiter den Ein- 
druck starken Gefühls vind entsprechender Gestal- 
tungsmittel bewahre, während ich von den Opern, 
einem imter Mahler aufgeführten „Bimdschuh"' tind 
einem „Wilhelm Teil", den die Volksoper brachte, 
wenig mehr als den Charakter solcher Versuche 
anzugeben wüßte. Es war insbesondere der „Teil" 



33 Erich J. Wolff, Th. Streicher 

ein ehrliches Bemühen, das TeUenspiel aus dem 
Bann Rossiniscben Gesanges imd romanischer Me- 
lodienschwelgerei in ein bewufit deutsches Musik- 
drama hinüberzuf Uhren, aber bloß mit dem Antrieb 
und nicht mit der genügenden Macht der Musik. 

Ungefähr in die Epoche der früheren Aufführun- 
gen Reiters heftet die Erinnerung zwei Erscheinun- 
gen von Liederdichtem, von denen der eine, Erich 
J. W o 1 f f , bald nach Berlin und von da nach Ame- 
rika gegangen luid dort sehr früh für immer ver- 
stummte, der andere, Theodor Streicher, merk- 
würdig still geworden ist. Aus dem Nachlaß Wol£Fs, 
der, ein vielgesuchter Liedbegleiter, bald nicht nur 
als solcher auf den Programmen stand, sind mdirere 
Hefte von sangbaren, flüssigen und sehr gefälligen 
Klavierliedem gedruckt worden. Bleiben sie im 
freundlich Gewohnten, so stand Streicher sofort als 
eine fast betont neue Gestalt da. Seine Lieder aus 
dem „Wunderhom'^ im Geiste eines Hugjo Wolf 
ersonnen imd vor Mahler bekannt, entzückten luis 
und schienen mit ihrer Märchentiefe vind Märchen- 
singbarkeit einen neuen gproßen Lyriker zu ver- 
heißen. Aber Streicher, aus dem Haus der Klavier- 
macher, dessen Urheber einst für Schillers Flucht 
so vieles tat, Streicher geriet immer mdir in das 
Sonder- und Grüblerwesen seines IcU und seine 
späteren Kompositionen ließen mich ihn anders als 
da sehen, wohin er in dem ungd>vindenen Drang 
dieser ersten Lieder ausgeschritten war. In den 
letzten Jahren hat uns kaum noch eine Kunde von 
ihm erreicht. 

Und mm wäre abermsds ein Beschwörungswort 



R. Mandl, J. B. Foerster 33 

für Marx gesprochen, der ja auch von Hugo Wolf, 
wenn auch in einem ganz anderen Wesen, hergekom- 
men ist. Aber noch immer stehen ältere Gestalten 
im Vordergrund imd eine will wenigstens an dieser 
Stelle gebührend genannt sein, mit aller Achtung 
vmd Verehrung, die sie verdiente. Es ist Richard 
M a n d 1, der einst, der Sonne luid hellerer Farben 
bedürftig, nach dem französischen Süden ging und 
lange dort blieb, dann aber längst, noch vor dem 
Krieg, in sdne Heimat, nach Wien, zurückkam. Er 
glich den romanischen Künstlern des beendeten 
Jahrhunderts^ an die wir oft zu denken haben, trug 
Hut, Schlips und Rock wie sie, aber er w^ auch 
einer der Ihren, nur daß er die späteren Wiener An- 
regungen, Brückner und Mahler, sehr genau und 
mit großem Können aufgenommen hat. Dann hatte 
der Halbpariser ein gutes, feines Ohr für die Melo» 
dien der Bretagne; und als er darauf nach Wien 
zog, hörte er das südlich Bewegte dieser Stadt für 
seine Orchestersuite „Viennensia" heraus. Die Me- 
lancholie des Verkannten lag über der Erscheinung 
Mandls, die überraschend dahinschwand. Aber Josef 
B. Foerster lebt, auch er, gebürtiger Böhme, 
viele Jahre lang ein Wiener Musiker, Lehrer imd 
Kritiker, heute nach Prag ehrenvoll heimgeholt. 
Als Gemahl der Sängerin Berta Foerster-Lauterer 
kam Foerster zu Hamburg in einen Freundesver- 
kehr mit Gustav Mahler, der ihn sehr lieb gewann 
vmd seiner ICammermusikgenossenschaft würdigte. 
Foerster war mir in seiner schlichten Güte imd sla- 
wisch vollblütigen Natur einer der Uebsten Musiker 
seiner Generation und mit der selben herzlichen 

Stefan, Wien o 



34 Marx 

Verefarung, die Foerster g^en konnte und die ihn 
so hoch über den Neid des Standes hinaushob, mit 
der selben innigen Sympathie sah ich zu ihm hin- 
über, so oft ich seinen zahlreichen, in Wien nicht 
eben verwöhnten Werken jeder Art begegnete. 

Nun zu M a r X. Josef, einst Pepo Marx, war der 
Stolz von Graz, das ihn entdeckt hatte ; sein Lands^ 
mann Hugo Wolf gab das Vorbild für seine ersten 
Versuche imd schon sie zeigten ein starkes Emp- 
finden für das Wesen des neuen Liedes, Verständ- 
nis für Sprache, Dichtung, Betonung, für die Kunst 
des begleitenden Instrumentes, Melodik und die 
Kraft des rechten Lyrikers. Decsey bemühte sich, 
Josef Marx auch außerhalb seiner Provinz bekannt 
werden zu lassen; es gelang, der noch junge M^mn 
kam als Lehrer an die Wiener Akademie, er ist 
vielfach tätig, steht sehr oft auf Konzertprogram- 
men imd hat eine Reihe von Schülern, die schon 
Kompositionsabende veranstalteten. Marx ist also, 
wie man gern sagt, ditrchgesetzt. JSs ehrt ihn, da£ 
ihn der Erfolg nicht verführt hat. Ich kenne einige 
sehr g^escheite Aufsätze von ihm, die den Kenner 
mancher fremden Art und Leistimg verraten. Er 
selbst ist der wmtne, melodienbiuite Lyriker geblie- 
ben, von Wolf zu den Italienern, Russen und Fran- 
zosen führend, deren Harmonik bei ihmi nachleuch- 
tet, wie er ja auch Chopins Klavierbild wieder be- 
schwören kann; Lyriker, der außer seinen vielen 
Liedern — er hat ein Italienisches Liederbuch neben 
das seines Meisters Wolf gestellt — auch in den 
Instrumentalkompositionen lyrisch aus sich hin- 



Kienzl 35 

strömt; schon, in ihren Titeln sind sie^ von der Trio- 
Phantasie ziun Romantischen Klavierkonzert, Ly- 
rica. Marx ist einer der für Wien am meisten mar- 
kanten Musiker, auch von den Jüngsten wohl gelit- 
ten, denen er freilich im Übergang geblieben scheint. 
Aber fast alles ist dann Übergang, was uns bisher 
entgegenkam. Oder gar erst Vorbereitung des Uber- 



Schreker, der andere ;,neue'^ Lehrer der Aka<- 
demie, muß aber doch wohl zuerst als Komponist 
betrachtet werden, als Opemkomponist, und da 
steht er am Ende einer Reihc^ die früh luid weit zu- 
rückgreifend beginnt. Etwa mit Wilhelm Kienzl 
beginnt, der einst in Bayreuth wohnte und sich mit 
Wagner zerstritt, weil er Robert Schumann nicht 
preisgeben wollte. In die Zeit solcher Konflikte imd 
Erörterungen führt die Gestalt dieses herzlichen, 
warmen, verständnisvollen und überzeugten Man- 
nes, den zu kennen sich Jüngere gern rühmen dür- 
fen. Kienzl hat viele sangbare Lieder geschrieben; 
dem großen Publikum aber ist er der Dichter imd 
Tondichter des „Evangelimann^^ einer unserer 
ganz wenigen deutschen imd gar österreichischen 
Volksopem. Sie hat alles dazu : die sinnfällig volks- 
tümliche Handlung mit vielen Ausbuchtimgen für 
eine rührsame und hier noch besonders aus reli^ö- 
sen Vorstelliuigen keimende Tränenmöglichkeit, die 
leicht ansprechende Melodik imd Harmonik und den 
Einfall als solchen, der immer wieder, von Szene 
zu Szene, Einfälle im Stil der Volksoper gebiert. 
Und während jene Opern von Kienzl, die von der 



3* 



36 Weingartner 

fixen Idee des wagnerischen Mvisikdramas ausge- 
gangen waren, in die Vergessenheit dieser ganzen 
Geistesprovinz gerieten, gelang dem Komponisten, 
diesmal nicht zu eigenem Text, ein anderer ähn- 
licher Erfolg in seinem „Kuhreigen'^ Auch Kienzl 
hat, wie Marx, die steirische Hauptstadt mit Wien 
vertauscht, nur erst in späten Jahren. Und er ist 
dort mit einem weit gereisten, vielgestaltigen Ju- 
gendfreund seiner Kunst zusammengekommen, mit 
Felix Weingartner. Den Volksopem-Direktor 
hier bei der VoUcsoper zu nennen, ist wohl mn so 
mehr gerechtfertigt, als Weingartner längst bemüht 
ist, eine Volkstümlichkeit der Wirkimg auch als 
Komponist mancher Sjmiphonien, Kammermusi- 
ken und Lieder zu errdchen. Wie Kienzl von 
Wagner, kam Weingartner aus den heute nicht 
minder mythischen Bezirken eines Liszt, für den er 
auch als Dirigent warb. Dirigent von großem Ruf, 
auch hier seiner Wirkung ins Breite sicher, aber 
eher mondän als, etwa in der Art eines Richter, 
Hans Sachsasch volkstümlich, überall in Deutsch- 
land und weit darüber hinaus in allen erdenkbaren 
Stellungen, in Wien als Direktor der Hofoper und 
noch jetzt als Dirigent der Philharmonischen Kon- 
zerte tätig, bald streitbarer, bald exegetischer, bald 
plaudernder Schriftsteller, ist Weingartner sehr 
jugendlich geblieben und so lang^ er immer wieder 
von seinem Pult des Orchesterleiters auf die Bühne, 
in den verschiedensten Stilarten, vom „Genesius" 
über „Kain und Abel" zu der japanischen „Dorf- 
schule", auf dieser Bühne wohl noch am ehester 
seinen Wünschen gerecht werdend. Österreicher unc 



Opernkomponisten 37 

in einem gewissen Sinn Wiener ist auch, nur fast 
durchaus im Ausland weilend, E. N. v. R e z n i- 
c e k, der mit klugen, feinen, ironischen Mischungen 
von der Bühne her gewirkt hat; ,,Donna Diana^', 
an der Hofoper imter Mahler aufgeführt, ist mir 
noch in sehr guter, leider nicht wieder belebter Er- 
innerung. Dabei ist Reznicek den Neuesten stilistisch 
immer näher gerückt. Wiederholt haben .die Kompo- 
nisten Max Oberleithner und Eduard C h i a r i 
Gelegenheit gefunden, ihre volkstümlich gerichteten 
Opeiti von der Bühne herab wirken zu sehen; viel- 
leicht darf ich in diesem Zusammenhang auch 
Brandts-Buys nennen, der als Holländer der 
Verführung imserer Musikstadt erlag, wo er einer 
anmutig gefälligen Kirnst imd besonders der Spiel- 
oper zu dienen sucht; Julius Zajicek-Blan- 
k e n a u, Martin S p ö r r imd Marco Frank, die 
die ernste Volksoper zu pflegen suchen. Spörr, 
Tiroler von weitem Gesichts- und Bildungskreis, 
ist seit vielen Jahren Dirigent der wichtigen volks- 
tümlichen Sonntagskonzerte des Konzertvereins- 
Orchesters. 

Auch der Kritiker und Lehrer Robert Konta 
ist Opemkomponist, hat 'aber seine Arbeiten fast 
ausschließlich in Konzertaufführungen zu Gehör 
bringen müssen. So weit wir danach einen Eindruck 
formen konnten, sucht Konta den Weg von den Er- 
kenntnissen des Musikdramas zu einer Volksoper, 
ein ungemein ernster, mühevoll und mit der eigenen 
Begabvmg mutig ringender Künstler. Gerade ihm 
wäre der Erfolg, der andern so billig wird, vielleicht 
nne Kraft imd eine Stufe ^ . . 



n 



38 Bittner 

Die großen, nicht die billigen Erfolge der neuen 
Wiener Oper sind, nach dem Lebensalter der Kom- 
ponisten ausgesprochen, Bittner, Schreker und 
Komgold. Bittner: eine Erscheinung von ge- 
sunder geistiger Fülle, Musiker, menschlich und 
sozial als solcher und für solche fühlend und doch 
auf den ersten Blick vom Dichtereinfall ausschrei- 
tend, dem er auch kritisch und im Essay gern folgt. 
Er versteht die Worte zu fügen; und in seinen 
Opern, deren Texte er sich immer selbst erfand, 
zeigt er sich nicht etwa als Gebrauchsdichter, son- 
dern als Poet von Anschauung. Dieser Dichter 
prägt Gestalten von solcher Leibhaftigkeit und 
Wohlgestalt, daß der Musiker fast nicht mehr zu 
geben vermag, wie denn gewisse Gedichte durch 
keine Komposition mehr Musik bekommen können 
als sie haben. Ist also Bittner der Theaterdichter, 
der sich mdst (nicht so in seinem ausgezeichneten 
„Lieben Augustin'') der Musik mit bedienen muß, 
so ist Komgold der Musiker, der sich aus innerster 
Notwendigkeit inmier wieder dem Theater ver- 
schreibt, Schreker aber der Opemkomponist, dem 
alles überhaupt gleich Worttontheater wird. 

Bittner, aus dem national gerichteten Dilettan- 
titaius der oberösterreichischen Provinz durch! Mah- 
ler emporgehoben und auf MaMers Wimsch durch 
Bruno Walter unterwiesen, war schon in der „Roten 
Gred" der fertige Meister einer neuen Volksoper, der 
er in diesem ersten Werk eine übrigens auch durch 
die Gutheil- Schoder unvergeßliche Frauengestalt 
schenkte. Er hatte die Melodie, die Worte und ihre 



Bittner 39 

Fügung, die Instrumentation, die sich einprägte, 
weil sie jede ihrer Absichten erreichte, und dabei 
seinen eigenen wahrhaft dramatischen Stil; und als 
er vollends im „Musikant'^ seiner zweiten Oper, 
den Gegensatz zwischen höfisch-welscher und er- 
wachend deutsch-volkstümlicher Musikerweise auf 
eine wahrhaft rührende Art fassen konnte, war ihm 
eines jener Werke gelungen, die man zwar, wie so 
manche deutsche Oper, imnuer wieder aufspüren 
muß, die aber, aneinandergereiht und in Beziehung 
gebracht, eben die Geschichte dieser Oper bilden. Im 
„Bergsee'' gelingt dem Berglandmenschen Bittner 
die Bauemtragödie seiner Heimat, die ja das Land 
S;tef an Fadingers war ; „Höllisch Gold" ist die Wen- 
dung zum Märchen mit einer Volksopemmusik. 
Lieder, Kammerkompositionen und ein symphoni- 
sches Werk geben dem Musiker der Empfindung 
und der Formen sein Zeugnis, der übrigens einer 
der wenigen leitend Tätigen ist, die ohne Zynismus 
Neues aufzunehmen und den Ernst imd das Hand- 
werk zu würdigen und zu fördern wissen. 



VON SCHREKER ZU SCHÖNBERG 



U. 



nd nun ist diese Studie dennoch bei Franz 
Schreker angelangt und damit an der Stelle, da 
sie jene neue Wiener Musik, von der man draußen 
weiß, in einer ihrer am weitesten auffallenden Er- 
scheinungen festhalten soll. Sie versucht es kurz, 
weil ja über Schreker (wie über Schönberg imd Kom- 
gold) einige Arbeiten schon erschienen sind imd in 
der gleichen Sammlimg, wie mein kleines Buch, 
neue erscheinen. Was darf, was muß ich also sagen? 
Schreker, Wiener, doch in Monaco geboren, zum 
Musiker herangeübt imd herangedarbt, dafür von 
dem gleichen Wiener Konservatorium, an dem er 
bald lehren sollte, fast verwiesen, hat seine stärkste 
äußere Bedeutung für Wien als Leiter des Philhar- 
monischen Chores gehabt, mit dem er viele neue 
Werke den Wienern überhaupt erst zum Bewußt- 
sein brachte. Aber sein Ruf ist ihm „draußen*^ und 
nur durch seine Opern begründet worden. Er hat 
eine Künstlerheimat in Frankfurt gefunden, dessen 
vielbedeutender Kritiker Paul Bekker mit starker 
Wirkung auf Schreker hingewiesen hat, imd ist rasch 
an die Leitung der Berliner Hochschule für Musik 
gelangt, womit er nun von Wien scheidet. Von sei- 
nen Opern sind vier aufgeführti: ,,Der ferne Klang", 
„Das Spielwerk und die Prinzessin'", »^Die Gezeich- 
neten" und „Der Schatzgräber'^ Aber er ist uner- 
müdlich in neuen Arbeiten und Entwürfen und hält 



Schreker 4^ 

nach seinen, eigenen Worten läng^ nicht mehr 
dort, wo ihn das Publikum sucht. 

Ich habe mich hier schon bemüht, das Geheimnis 
von Schrekers Wucht imd Erfolg zu fassen. Er ist 
es, der von der ersten Empfängnis an für das Wort- 
Ton-Drama gestaltet: Bekker sagt, als erster seit 
Wagner, womit er ja übrigens kaum ein Werturteil 
aussprechen will. Schreker ist wirklich der Musiker, 
dem (wie etwa einem Marx alles zum hinströmenden 
Lied) eine jede schöpferische Reg^ung in den beweg- 
ten, sehnsüchtigen, fast möchte ich sagen wandern- 
den Zwiespalt des Dramas führt. Man betrachte 
welche Szene Schrekers immer, sie ist das Ergebnis 
zweckbewußter Ordniuig innerhalb eines phantasti- 
schen, aber immer in der Bewegung der Gegensätze, 
also dramatisch schweifenden Gebildes, derart dra- 
matisch, daß der Leser eines Textes von Schreker 
fast gleich selbst die Musik skizzieren möchte. 
Schreker ist dabei durchaus Menschl dieser Zeit, dem 
die ewige Qual des Menschentums und Menschenlei- 
dens, die Sehnsucht nach Vereinigung und Unter- 
gang von Mann und Weib, in wildester Stärke 
aufgesprungen ist. Er sieht die Leidenschaft als 
Romantiker imd sie hat für Schreker immer etwas 
von dem fernen Klang, mit dem er anfing, der die 
dramatisierte Vision eines Novalis sein könnte . . • 
Ein großer Gedanke: daß das weltiungestaltende, 
erlösende Wunder geschehen wäre für den, der es 
irgend erkannte, und daß es eben kaimi einer zu 
seiner Zeit zu erkennen vermochte. Freilich hat 
Schreker das Ergebnis noch nicht in die Welt des 
Novalis oder in eine sonst verwandte und ähnliche 



42 Schreker 

Höhe beben können; seine Menseben bleiben zu 
sehr im Sinnlichschwülen. Mein inniger Wunsch 
für Schreker war es immer» daß er noch die eine 
Stufe der Sammlung, diese eine Stufe finde und bald 
finde. Aber er ist vielleicht noch zu jimg, zu hell 
im Leben selber erglühend, als daß ihm die Über- 
windung der Erlebnistriebe schon gegeben sein 
könnte. Und seine Dramien bleiben darum nicht 
minder grandiose Würfe. Besonders auch um ihrer 
Musik willen. Schreker hat den musikalischen Im- 
pressionismus, den ihm, dem weltabgeschiedenen 
Vorstadtwiener, kaimi ii^end wer aus der Zeit er- 
klärte imd überlieferte, für sich selbst gefunden und 
über alles in dieser Art Bekannte hinausgehoben. 
Auch hier ist es der ferne Klang, den er wirklich 
gehört, der sich ihm wirklich gegeben hat. Schreker 
löst in diesen fernen Klang Akkorde, Tongeschlech- 
ter, überkommene Charaktere der Orchesterinstru- 
mente auf ; seine Partitur gibt — das ist mir bis zu 
den „Gezeichneten'^ hin nach eigenen Eindrücken 
ganz deutlich — völlig Neues. In ihm zuerst und so- 
viel ich sehe allein: ist jenes neue Wesen erstanden, 
das aus der Auflösung doch wieder zu einer Linie, 
zu einer neuen Farbe, in eine neue Ebene gefunden 
hat, während andere noch nicht einmal um die Not 
der Auflösung wußten. 

Uxid Schreker wächst und wandelt sich von 
Werk zu Werk. So nimmt er seinen Lauf, nimmt 
ihn nun über Berlin in die große Welt und Wien 
darf ihn ihr mit allem Stolz übergeben. Die Schule 
Schrekers wird anderswo erstehen. Eine Schule 
war da. 



Schrekers Schüler 43 

Ich habe aber nur das Bild einiger Wiener Schü- 
ler, nicht wie bei Schönberg wenigstens einiger- 
maßen auch der Lehre. Man sagt mir, das Wesen von 
Schrekers Schule sei völlige Freiheit gewesen. Jeder 
habe schreiben können, wie er wollte. Dabei habe 
er den Blick von vornherein auf das Instrumentale 
und Praktische gerichtet. Alle Schüler seien deshalb 
auch angeleitet worden, g^t Klavier zu spielen — 
imd es sind in der Tat au^ezeichnete Pianisten 
darunter. Dann hätten sie frühzeitig der Gesangs- 
stimme Aufmerksamkeit schenken, mit Sängern 
üben, studieren, korrepetieren müssen und sie seien 
sämtlich sogleich und rasch zur Praxis gekommen. 
In der Theorie sei es aufgefallen, daß Schreker als 
erster an der Akademie moderne Fugen habe schrei- 
ben lassen. 

Von diesen Schülern nenne ich zuerst die Gruppe 
der praktisch Tätigen: Alexander Lippay, der 
mit seiner ursprünglichen Dirigentenbegabung in 
Frankfurt wirksam ist und dort schon seines Mei- 
sters Oper ,iDie Gezeichneten^^ geleitet hat, in der 
lebenzugewandten übrigens zugleich eine grüble- 
rische Natur, Komponist von Orchestervariationen. 
Walter Gmeindl, den sich die Münchner Oper 
gesichert hat; sein Chorwerk „Gesang der Idonen"" 
ist von Schrekers Philharmonischem Chor aufge- 
führt worden, leider an einem jener letzten Abende, 
die schon nicht mehr unter Schrekers Verantwor« 
tuxig standen und, nach dem Schicksal der modernen 
Musik in unserem Betrieb, nicht zu sagen gestatte- 
ten, inwiefern der ungewisse Eindruck einer beiläu- 
figen Wiedei^abe nicht etwa doch im^ Werke hege. 



44 Schrekers Schüler: Petyrek, 

Gleichfalls in München lebt xmd arbeitet Franz 
H a 1 a s c h, in Dresden H. H. K nol 1. Ein wenig 
abseits gerückt ist der Schide Paul Breisach, 
ein glänzender Liedbegleiter und als höchst begabter 
Korrepetitor der Wiener Staatsoper mit am meisten 
verdienstreich, als die ausnehmend schöne Auffüh- 
rung der „Frau ohne Schatten" zur Tat wurde. In 
seinen Liedern kehrt Breisach zu einfacheren Auf- 
gaben zurück, als sie sich die Schüler sonst stellen« 
Noch einer ist hier, leider für immer abseits zu nen- 
nen, Harry Löwy, der als liebenswürdiger Wun- 
derknabe rasch reifte und, als der Krieg ausbrach, 
leider auch äußerlich so weit zimi Jüngling gereift 
war, daß er dem allgemeinen Schicksal nicht ent- 
gehen konnte. Musiker bis zuletzt, erlag er in Kleinr 
asien, noch dort als Kammerspieler freie Sttuiden 
verklärend, einer Seuche, dem Lehrer und vielen 
Freunden eine bitter enttäuschte Hoifnxmg. 

Die Pianisten der Schule sind Josef Rosen-, 
stock, der ein bemerkenswert angenehmes Klavier- 
konzert eigener Komposition mit vielem Können 
wiederholt öffentlich vorgetragen hat, von seinem 
Meister nach Berlin geholt, und Felix Petyrek, 
jetzt am Mozarteum in Salzburg, vielleicht der 
Radikalste der Schule, von Franzosen und Russen» 
besonders von Strawinsky beeinflußt, Propagator 
neuester Musik an seinen Klavierabenden, deren 
Gast man immer lieber wurde, mit schon darunii 

weil sie das virtuose Können zeigten, wie es Pety- 

• 

rek auch an seine Konzertbearbeitung von Cramen- 
schen Etüden gewendet hat. Das Salzburger Mo- 
zarteum hat auch Robert Jaeckel als Lehrer an- 



Grosz, H&ba 45 

genommen, der Lieder und eine bemerkenswerte 
Sinfonietta geschrieben hat. Von Ernst Kanitz 
ist eine ,,Lustige Ouvertüre'^ in Konzerten mit Er- 
folg aufgeführt worden, eine geistreiche, hübsche 
Komposition. Siegfried Dreschers Begabimg 
ist seit vielen Jahren engeren imd bald auch weite- 
ren Kreisen bekannt geworden, er dankt der Schule 
viel, scheint aber bei seiner großen Jugend und der 
Wandlungsfähigkeit seines reichen Wesens seinen 
endgültigen Weg noch nicht gef imden zu haben. 

Auch Wilhelm G r o s z hat noch ganz die Wand- 
lungsfähigkeit der Jugend. Er ist einer der geist- 
reichsten, ja witzigsten des Kreises, voller Freude 
an melodischen Einfällen und ihren Wendungen, von 
einer spielerisch-sicheren, fast übermütigen Brillanz 
des Aufbaues imd des Vortrags. Eine Violin-Kla- 
viersonate von Grosz, ein Streichquartett haben in 
diesem Sinne lebhafteste Eindrücke gegeben; sym- 
phonische Variationen in einem viel strengeren Geist 
und von reicherer, ja reichster Arbeit werden im Ver- 
lag erwartet. Auch Grosz, neuestens in Mannheim, 
hat das praktische, überall gern zugreifende, allen 
Forderungen des Tages gerechte Wesen der Schre- 
ker-Schule in sich deutlich ausgeprägt. 

Stiller, mehr slawisch^nachdenklich, ist Alois 
H ä b a, der von böhmischen Meistern herkommt 
und durch die Wechselfälle des langen Krieges in 
Wien seßhaft wurde. Er ist ein guter Übergang 
von der jungen tschechischen Musik zu dem Kreis 
um Schreker, selber zuerst Schüler von J. B. Foer- 
ster, dann von VitSslav Noväk. Eine Klaviersonate 
von Häba ist gedruckt, leider nicht auch das Streich- 



46 Zemlinsky 

quartett, das auf der Vierteltonskala ruht, ein Bei- 
spiel jener Möglichkeiten, von denen Busoni in sei- 
ner Ästhetik einer neuen Tonkunst spricht. 

vS/dst die Sendung des jungen und ^mipathi- 
sehen Alois Häba trotz aller Auflösung und Staaten- 
trennung auf manche Gemeinschaft zwischen Prag 
imd Wien, so ist es nun woM an der Zdt, darauf 
hinzudeuten, daß ein großer und beispielgebender 
Meister, Alexander von Zemlinsky, längst und 
leider Wien mit Prag vertauschen mußte. Zwar, 
Prag hat keine Ursache, es zu bedauern. Das Lan- 
destheater, dessen Opemdirektor, dessen leiden- 
schaftlich bewunderter und geliebter Dirigent Zem- 
linsky geworden ist, das neue deutsche Konserva- 
torium, das er leitet, sie waren imd sind eines sol- 
chen Mannes ganz besonders bedürftig; seine Be- 
deutimg für Prag und für die so sehr auf ihren 
geistigen Bezirk beschränkten Prager Deutschen ist 
unabsehbar. Nur fehlt Zemlinsky seither in Wien 
imd wenn Wien eine solche Persönlichkeit schwer 
vermißt, so ermangelt vielleicht auch der Komponist 
Zemlinsky jener Resonanz, die Wien, ist es auch 
gleich nicht Markt, so doch als die größere Musik- 
stadt immerhin noch verleiht. Wien hat die Liebe 
und Treue, das eifrige Schaffen dieses seines Bür- 
gers überhaupt nie recht vergolten. Zemlinsky, der 
von Fuchs am Konservatorium unterrichtet wor- 
den war, reichte in die Kreise, die Brahms zog, 
aber man fand keinen besseren Platz für ihn als den 
Posten eines Operettenkapellmeisters, an dem er 
Jahre ausharren mußte, zugleich bemüßigt, ebenso 



Zemlinsky 47 

wie sein Freund und Gefährte Schönberg, die Ein- 
fälle neuerer Operettenkomponisten nach seiner Er- 
fahrung zu instrumentieren und umzuinstrumen- 
tieren. Gegen das Ende dieser Zeit wurden wir vom 
Ansorge- Verein seiner eigenen Arbeiten habhaft und 
begannen sie aufführen zu lassen. Es waren die 
ersten seiner Lieder, wie „Tod in Ähren" und ähn- 
liches, aber es ging doch ein Staunen davon aus, 
Staunen über die musikalischle Natur imd Kraft 
dieses Musikers imd man fing an,' über den Kom- 
ponisten Zemlinsky wenigstens zu sprechen. Ge- 
sprochen hat man ja freilich auch über die schöne 
Märchenoper „Es war einmal", die unter Mahler 
aufgeführt wurde, nachdem schon eine andere Oper 
„Sarema" preisgekrönt und in München gegeben 
worden war. Aber dann wurde es wieder lange Zeit 
still, bis endlich Rainer Simons Zemlinsky doch 
an seine Volksoper berief. Zemlinsky, das war die 
Volksoper; was er da gearbeitet und geschaffen hat, 
war eben das, was das Wesen einer Volksoper in 
Wien überhaupt erst bilden konnte. Unveigeßlich 
bleibt der Gipfel einer Leistung mit geringsten 
Kräften, bleibt der „Blaubart" von Paul Dukas. 
Mahler war dem Volksopem-Kapellmeister längst 
Freund geworden, aber eben darum wollte er ihn 
nicht an die Hofoper herübemehmen, und als Zem- 
linsky den Weg dahin endlich doch getrost hatte 
nehmen dürfen, war es für ihn eben Zeit, mit 
Gustav Mahler, also bald nach ihm, zu scheiden. Er 
ging nach Prag und er ist dort ein Hort des Prager 
deutschen Musikerdaseins. Nach Wien kommt er 



48 Zemlinsky 

leider sehr selten, fast nur, lun Mahler, Schönberg 
oder Eigenes zu dirigieren. Von seinen späteren 
Opern ist der „Traumgörg" in Wien gar nicht, die 
ungemein feine, schöne, leichtflüssige, zukunfthältige 
musikalische Komödie „Kleider machen Leute'' 
an der Volksoper gegeben worden; dann, nach lan- 
ger Pause, seine „Florentinische Tragödie" an der 
Hofoper. Hier ist insbesondere jenes Fortschrei- 
ten der harmonischien und orchestralen Differen- 
zierung wahrnehmbar, wie sie diesem tmserem 
Meister seine Stelle in der Nähe des Freundes imd 
Mitstrebenden Arnold Schönberg einst, bei besserer 
Erkemitnis, wohl sichern wird. Der gleiche Weg 
spricht sich in seinen Orchesterliedem (nach Dich- 
tiuigen von Maeterlinck) imd in den beiden Streich- 
quartetten am deutlichsten aus. Das erste, in der 
alten Form imd in einem Übergangswesen, ist durch 
Jahre imd schwere Erlebnisse seiner Kunst von 
einem zweiten gesondert, in dem die einsätzige 
Form wie bei Schönberg herrscht» in dem auch sonst 
die Anschauungen und Erkenntnisse des großen 
Freundes maßgebend geworden sind, ohne daß je- 
doch im geringisten die Eigenart Zemlinskys, dieses 
Neuerers aus strengster Tradition, darum gelitten 
hätte. Die Vernachlässigung gerade eines Zem- 
linsky, seiner symphonischen Schöpfungien, seines 
Psalm<-Chorwerks, seiner dramatischen Lieder- uxld 
Kammerkompositionen durch unsere Konzertver- 
anstalter ist schwer begreiflich und keinesfalls zu 
entschuldigen. Vielleicht haben diese Zeilen, Gruß 
an gemeinsame musikalische Jugenderlebnisse, auch 
die Wirkung, jenen, die Zemlinsky nicht mehr tag- 



Zemlinskys Schüler ^9 

lieh sehen, von ihm nicht mehr täglich lesen, das 
Gedächtnis zu stärken: daß er da ist und wer 
er ist. 

2^emlinsky hat auch Unterricht erteilt. Das war 
für zwei Meister von besonderer Bedeutung. Der 
eine ist Arnold Schönberg, der zwar, durchaus 
selbstgelehrt, nicht als Zemlinskys Schüler bezeich- 
net werden kann, sondern nur mit ihm als einzi- 
gem Fragen der Kunst im allgemeinen imd auch 
Einzelheiten häufig luid in entscheidenden Jahren 
besprochen hat. Schönberg trat dann bald in noch 
nähere persönliche Beziehimgen zu Zemlinsky, hei- 
ratete seine Schwester und die herzlichste, für beide 
Männer schöne und fruchtbare Freundschaft und 
Gemeinschaft verband tuid verbindet sie seit vielen 
Jahren. Aber den jungen Erich Wolf gang Korn- 
gold als Schüler Zemlinskys — und auch Robert 
Fuchsens — zu bezeichnen ist wohl erlaubt. Von 
Komgold zu sprechen ist in Wien und für mich 
nicht so einfach. Seit mehr als einem Vierteljahr- 
hundert kenne ich Erich Wolfgang Komgolds 
Vater, den Forscher imd eifrigsten Diener der Mu- 
sik, damals auch noch Rechtsanwalt in Brunn, bald 
danach aber Musikkritiker an der Neuen Freien 
Presse, kenne ich Dr. Julius Komgold. Ich bekenne 
gern, von ihm durch mancherlei Verkehr, durch 
die freundliche Erlaubnis, in seinen Büchern und 
Notenschätzen zu suchen, und nicht zuletzt durch 
seine kritische Tätigkeit, deren gewissenhafteste 
Ftindamentierung durch fleißige tind gründliche 
Arbeit sich mir je und je auf das deutlichste wohl- 

Stefan, Wien a 



50 Korngold 

tuend kundigibt, sehr viel gelernt zu haben. Den- 
noch glaubte ich vollkommen unbefangen zu sein, 
als ich, mit einer der ersten, den imerhörten Aus- 
bruch der Begabung des jungen Erich Wolfgang 
erkennen diu-fte. In der Tat, die Kompositionen des 
Elfjährigen (Erich war 1897 geboren), die ersten 
Klavierstücke, das Ballett „Der Schneemann'', das, 
in der Instnunentierung von Zemlinsky, alsbald an 
der Hofoper aufgeführt wurde, sie deuteten auf ein 
Phänomen von solcher Art, daß man nur bei uns 
auf den Gedanken kommen konnte, eine Erscheinung 
wie Erich Wolfgang ließe sich der Zeit etwa durch 
Rücksichten auf den Vater aufdrängen. Der heimi- 
sche Nebel war bald zerstreut: Erich Wolf gang war 
und ist als persona sui generis zu werten; und das 
hat sehr frühzeitig ein Mahler getan. Die Violin- 
sonate, das Klaviertrio, immer weiter, rasch anstei- 
gend, die Klaviersonate, das Streichsextett, dazwi- 
schen vielerlei Lieder zeigen den jungen Musiker 
auf stürmisch erklommenen Stufen höchster Zeit- 
Meisterschaft. Am meisten bewundernswert schien 
mir — ich habe auch hier auf eine größere Arbeit in 
der Reihe dieser Musikbücher zu verweisen — am 
meisten bewundernswert der harmonische tind der 
Formenreichtum dieses fast noch Knaben. Die her- 
gebrachten Formen wurden von ihm wie im Flug 
durchmessen, beherrscht und mit der souveränen 
Selbstverständlichkeit des wissenden und können- 
den Genius aufs reichste erweitert und über viele 
Grenzen hinausgetragen. Eine „Sinfonietta'' für 
Orchester ließ ihn dann auf neuen Wegen sehen 
und seine „Konzert-Ouvertüre" zu einem Spiel von 



Korngold ;W 5' 

fröhlicher, innerlich heiterer Art überraschte *^ber- 
mals durch eine Fülle des Themenreichtiuns üxtd-der 
Themenwandlung, durch ihre harmonische üi^- in- 
Strumentale Kühnheit. Denn das war wiedenüi}.£in 
fas^ unglaubliches Ereignis, wie sich dem jungen 
Meister auf den ersten Versuch imd dann itsoAer 

mehr imd mehr die Farben imd Stimmen des Orclie- 

. - •"' 

sters zu eigen gaben« Aber vielleicht am meisten 
auffallend war doch Komgolds harmonische Eigen-^ 
art. Iniierhalb des noch tonalen Aufbaues gt^ht 
Komgold so weit wie irgend denkbar, er ist je Iw- t 
ger, je mehr jener Grenze nahe, an der er dem Git^^ 
hege des heute allgemein noch geltenden Akkord-" 
baues entschwindet. 

Alle blendenden imd' auch wirklich glänzen-/ 
den Eigenschaften dieses höchst bedeutimgsvollen. 
Künstlers, dessen Weg bei seiner unglaublichen 
Jugend in noch ganz andere Höhen steigen kann, 
sie alle vereinigen sich in seinen Opern, besonders 
in der „Violanta^^ einer Renaissance-Tragödie der 
Liebesleidenschaft, zu der E. W. Komgold eine 
aufwühlende, in jedem Takt fesselnde, starke \md 
ohne Uberhitzimg heiße Musik geschrieben hat. 
Die „Violanta^^ ist so ein Grenzfall der Möglichkei- 
ten iuiserer Opembühne von heute geworden und 
der jimge Komponist konnte sie selbst nicht stärker 
kontrastieren, als indem er ihr am gleichen Spiel- 
abend die heitere, gleichfalls kurze Oper „Der Ring 
des Polykrates" entgegenstellte, in der er Versuche 
nach der Richtung der Buff a hin mit seiner, wo man 
sie auch anfasse, imfaßbaren Begabung imtemimmt. 
Und in der Tat könnte eine ausgezeichnete komi- 

4^ 



52 Korngold 

sehe Oper für die unbeirrbare Gestuidheit und das 
gewissenhafteste Kraftbewußtsein des jungen, in 
der .Hßeschichte unserer neuesten Kunst wohl sin- 
gu^LTi^ Meisters ebenso gut möglich sein wie man- 
ch6. andere bedeutende Leistiuig, die ^ch von ihm 
nat!b*diesen bloßen Anfängen mit Sicherheit erwar- 
ten' läßt. Eine Schauspielmusik zu Shakespeares 
„Viel Lärm um Nichts'^ bedeutet ein Ausbiegen in 
einen kapriziösen Kammerstil von reizvollster Fri- 
sclye und gesteigerter Virtuosität im Gebrauch der 
Instrumente, darüber hinaus im Nachfühlen eines 
ttlivergleichlichen Wort- und Dichterzaubers. In 
seiner neuesten Gabe, der ernsten Oper „Die tote 
Stadt" (nach „Bruges la morte" von Rodenbach), 
hat Komgold, soweit es mir eine Klaviervorführung 
jseigte, abermals wie ein Stürmer seinen rechten 
Weg genommen, mit genialem Blick für die Bühne 
und für allen Drang imd Zwang der Bühnenmusik, 
jede ihrer Möglichkeiten kühnlich erfassend und in 
straffem Wagen zu neuem glückhaften Wurf aus- 
holend. Es sei noch vermerkt, daß Komgold bei 
sdler Jugend schon Proben einer wahren Meister- 
schaft in der Ausführung seiner und fremder Kom- 
positionen imd besonders in der Führung des Orche- 
sters abgelegt hat, auch hier seiner Zukunft mehr 
als gewiß. 



SCHÖNBERG UND DIE SEINEN 



lU. 



'nd nun wäre von Arnold Schönberg zu 
sprechen, von einem ddr an Jahren älteren Meister 
erst an dieser Stelle, und ich möchte gleich sagen, 
daß es deshalb geschieht,, weil hier der letzte und 
wohl eigentliche Blickpunkt dieser Umschau ge- 
zeigt werden soll, von dem aus sich! dann wieder 
eine Aussicht nach anderen Richtungen hin öifnet. 
Für die nachquellende Jugend innerhalb luiserer 
Stadt und besonders außerhalb ist nun einmal 
Schönberg das Ereignis, unter dessen Optik sie den 
Weg der neuen Musik verlaufen sieht, und ich 
möchte darüber keinen Zweifel lassen, daß auch mir 
nicht so sehr das Neue an sich, als das Bewußtsein 
und Bewußtwerden des Neuen bei Schönberg imd 
mittelbar bei denen zu beginnen. scheint, die aus 
Schönbergs Schule kommen oder zu ihr wenigstens 
irgendwann irgendeininal gehört haben. Nur wäre 
allerdings zu sagen, daß sich von den Wiener Mit- 
lebenden, auch wenn sie dieser Schule und Gefolg- 
schaft fernstanden, doch kaimi einer der aufregen- 
den Nähe dieses brennenden und in seiner Glut alles 
ergreifenden Geistes entziehen konnte. Es steht 
ilso jedem Leser frei, die Probe von hier aus etwa 
L*ückwärts vorzunehmen imd zu fragen, zu imter- 
uchen, inwiefern die nächsten wie die fernsten 
Komponisten der Wiener Gegenwart ohne Schön- 



54 Schönberg: 

berg möglich wären, ohne die Flucht zu ihm oder 
— die Flucht vor ihm. 

Es gab eine Zeit, in der Schönbcrg plötzlich und 
ohne es gelernt zu haben, nur weil er so mußten viel 
zu malen begann, imd da malte er sein eigenes Bild: 
man sah den — sonst von Schiele vergeistigten, von 
Oppenheimer fast bös und gereizt festgehaltenen — . 
Mann mit seinem tüchtigeir Stock, dem Betrachter 
schon abgewendet, einen Weg ins Weite gehen. 
Man sah auf anderen Bildern Schönberg vor seinen 
inneren Gesichten gleichsam erschreckend, er- 
blickte Visionen wie von der Nachtseite aller Er- 
scheinungen imd Kenntnisse, hatte Formen und 
Farben ohne Beispiel. Es waren Bilder, so wenig 
bequem wie die von Kokoschka, Ausbrüche in 
einem anderen < Mittel, so wenig friedevoll wie die 
eines Strindberg oder Balzac. Aber wer sich dabei 
weder beruhigen noch bloß beunruhigen wollte, der 
durfte daraus wohl manches über das Wollen und 
Müssen Arnold Schönbergs erfahren. 

Ich habe, und^ so bitte ich um Vergebu%, wen» 
ich hier anders färbe, Schönberg nicht so erld^t, 
wie sonst Musiker imd selbst Musiker meiner Um- 
gebimg, mit denen zusammen oder für die mir sonst 
mancher Weg gegönnt war. Ich fand Schönberg iö 
jener Wohnung der mittleren Liechtensteinstraße, 
nahe der Lichtenthaler Kirche, von der Schubert 
ausgegangen war, Tür an Tür mit Zemlinsky hau- 
send, sah ihn in Berlin, in Wien - Ober-St. Veit, iö 
der Wiener Kaserne, nach dem Krieg in Mödling 
(bei Wien), in Holland, sah und das ist fast wich- 
tiger, seine Werke mit Schmach und Spott bewor- 



f 



Leben 55 

fen, sah und durfte dazu helfen, daß sie trotzdem 
wieder aufgeführt vmrden, und sah dann, wie da 
jeweilen ein solcher Art verunglimpftes Werk jedes- 
mal dem nächstfolgenden] gegenüber als giemäßigt, 
wphlgef ügt und beinahe musterhaft gerühmt wurde. 
Leser, freundliche Gestirne sind heute nicht der 
Aspekt; selbst Mahler war nicht immer freundlich 
in der Nähe. Aber daß Schönberg mir ein leuchten- 
des Gestirn immer und imnuer schien, das ist meine 
Schuld. 

In aller Kürze das äußere, objektiv-biographi- 
sche Ergebnis. Schönberg ist Wiener, 1874 geboren, 
hat die Musik zuerst neben einem anderen Beruf 
ohne Lehrer gelernt und theoretisch und praktisch 
geübt, hat Gesangvereine geleitet, ist nach Berlin 
als Kapellmeister an das Kabarett Ernst von Wol- 
zogens gekommen imd hat am Stemschen Konser- 
vatorium gelehrt. Er war dann wieder Lehrer in 
Wien, dem sogar gestattet wurdet, an der Akade- 
mie, doch beileibe ohne Auftrag, Vorlesungen über 
Harmonielehre zu halten. Daxm g^ing er wieder nach 
Berlin, wurde deutlicher wahrgenommen, bekam 
Schüler zu denen, die er von Wien mitnahm, fing 
an, als Komponist seine Kreise zu ziehen, mußte 
im Krieg nach Wien zurück, diente als Soldat, sehr 
pflichtgetreu, zum Glück nur daheim, blieb dann 
mit seinen Schülern in Wien, begründete den Ver- 
ein für musikalische Privataufführungen und soll 
mm mit dem Herbst 1920 jedes Jahr sechs Monate 
in Amsterdam tätig sein, wo er, dank Mengelberg 
und gleich einem Mahler, eine Künsüerheimat ge- 



56 Schönberg: 

fimden hat, längst schon der Aufmerksamkeit einer 
ganzen Welt trotz Krieg und Kriegssperre sicher. 

Dies der Umriß einer Eroica und einer Märty- 
rergeschichte. Es begann mit den 6000 Seiten Par- 
titur von Operetten, die ein Schönberg instrumen- 
tieren mußte, es war eine Kette von Skandalen und 
Beschimpfungen von Aufführung zu Aufführung, 
ein unaufhörlicher Mangel des Lebetisnötigsten, 
war die Trägheit im Herzen tines Staates, der über 
alle politischen Wandlimgen hinweg seine Besten 
zu verkennen entschlossen schien; steht übrigens die 
Figtir nicht schon im „Oeuvre" von Zola? Es war 
hart, dies hilflos mit ansehen zu müssen: diese Zu- 
mutung an einen, der Besseres zu tun hatte, daß 
er immer wieder von vorne beginne; Zumutimg, zu 
unterrichten, statt für sich zu arbeiten, Zumutung, 
Jahre um Jahre zu pausieren, zurückzustehen, kei- 
nen Ton von den eigenen Werken zu hören . • • 
Aber dies ist nur der Umriß einer Eroica, einer Mär- 
tyrergeschichte. 

Und doch, glaube, mein Herz, es geht dir nichts 
verloren • . • Schönberg hatte viele Schüler^ die 
ihn in ihrer Dankbarkeit verehrten, hatte Werke, 
die dämonisch ihre Zeit vorausahnten, ihre Zeit um- 
wälzten; aber am meisten vielleicht wirkte dieses 
Beispiel eines Lebens. Schönberg ist heute schon* 
Legende, wie Mahler Legende ist. 

Den Schülern schenkte Schönberg, vom Helden 
abgesehen, den Meister. Wie früher Musiker und 
Maler ihre Schule hatten, im Sinne einer Lebens- 
und Werkgemeinschaft, so leben die Schüler mit 
Schönberg. Er verführt und verleitet keinen von 



Lehre 57 

ihnen, am wenigsten zu sich selbst und zu seiner 
Schreibweise. Er ist Lehrer, der nur die Wesenheit 
seines Schülers wecken will — daß diese Wesen- 
heit vielfach zu der seinen hinneigt, die seine sucht, 
ist nicht seine Schuld, sondern das Wesen der S}nn- 
pathie, des Sichfindens der Gleichgestimmten — 
und er ist der strengste Lehrer im Sinn einer alten 
Schule, der nur immer die Regeln ganz zuletzt, 
wenn sie der Schüler erlernt hat, als etwas Gewor- 
denes und darum auch wieder Vergängliches be- 
trachten läßt. Niedergeschrieben ist leider nur 
Schönbergs „Harmonielehre^^ eines der grundlegen- 
den Bücher aller Kunst. Man suche darin allerdings 
nicht, was sie nicht enthalten kann, die Erklärung 
jener Harmonik, die sich Schönberg selbst in den 
Schmerzen des Erketmenden abringen mußte. Leser, 
der du Leser auch dieser Harmonielehre sein wirst 
und sein mußt, du findest dort nur, aber es ist über- 
genug, den Weg solcher Erkenntnis; das ist, den 
Weg einer Welt über diese Welt hinaus. Du wirst 
so erkennen, daß etwa Konsonanz und Dissonanz 
nur dem Grad nach verschieden sind, daß im unend- 
lichen Schnittpunkt aller Regeln alles erlaubt und 
eben darum nichts willkürlich sein darf; wirst ge- 
wahr werden, wer Recht b^ründet: das Genie — 
luid was Recht wird: daß man den Stein, der ver- 
worfen war, als Eckstein brauche. 

Dreifältig also ist Schönbergs Gewalt über diese 
ieit: Gewalt des Beispiels, Gewalt der Lehre, Ge- 
walt des Werks. Schönbergs gedrucktes Werk be- 
ginnt mit Liedern, die nur diurch ihren Reichtum 
ber ihre Zeit aufragen; niu: diurch einen allerdings 



^ 



58 Schönberg: 

ganz unerhörten Reichtum. Aber die Lieder Schön- 
bergs sind nach einem feinen Wort des Lieblings- 
schülers und Freundes Anton von Webern oftmals 
Studien zu den Revolutionen der g^ßeren Werke 
vpd so führen diese ersten Lieder ziun Sextett und 
zmn Block der „Gurre-Lieder^". Das Streichsextett 
nach Dehmels ,, Verklärter Nacht*' steht der Zeit 
eines Brahms und der Kunst eines Wagner noch 
näher, als es den ersten schien, die von diesen Wer- 
ken getroffen wiuden« Und dennoch schwebt der 
zauberhafte Klang des Sextetts schon den Grenzen 
der Tonalität entgegen, über den Takt hinweg, und 
zugleich bedeutet dieses Werk eines Fünfundzwan- 
zigjährigen um die Jahrhundertwende, in der Epo- 
che eines Richard Strauß, die Wiederkehr von der 
Programmusik zu der Musik aus ihrer ureigenen 
Form. 

Neben das Sextett stellen sich alsbald die „Gurre- 
Lieder'* imd das sjnnphonische Werk „Pelleas und 
Melisande". Die „Giure-Lieder** sind eine gewaltige 
Gesangs- und Orchesterdichtung, nach den Gedichten 
von Jacobsen für die stärkste denkbare Besetzung 
tmd mit den herrlichsten und ganz neuen Wirkun- 
gen eines Orchesters imd der menschlichen Stimme 
ersonnen. Die Instrumentation der letzten Stücke 
ist erst 19 10, neun bis zehn Jahre später, imter dem 
großen Eindruck einer Klavierauffühnmg vollendet 
worden, die wir den Wiener Konzertveranstaltem 
zum Trotz veranlaßten; eine allerdings schon 
ganz neue Instrumentation, späteren Werken ent- 
sprechend. Und so sind die „Gurre-Lieder*' erst 
19 13 vom Philharmonischen Chor imter Schreker 



■ 



1 



Werke 59 

nach den Absichten des Komponisten aufgeführt 
worden« Wunderbar ist die Melodienmacht, die 
Größe der Liebes^ und Naturszenen, das Melodram, 
das von der Nacht der Leidenschaft und des wilden 
Heeres zum trostvollen Morgen hinüberleitet, wun- 
derbar sind die Chöre, ist das Orchester. Wer dieses 
nicht w^zuleugnende Werk geschrieben hatte, dem 
durfte künftig niemand mehr harmonischen Eigen- 
sinn aus Unvermögen vorwerfen. Und nicht minder 
reich ist die in einem langen Satz hinsingende 
Orchesterdichtimg nach dem Drama des Pelleas 
imd der Melisande von Maeterlinck. Noch immer 
sucht Schönbei^ das Unsagbarste seiner Kunst mit 
den immer intensiver angewendeten Mitteln immit- 
telbarster Vergangenheit auszusprechen. Aber schon 
führt er hier die Ganztonskala ein und an einer 
Stelle haben Webern und Berg schon in diesem 
Werk die Quartenakkorde gefunden, die Schönberg 
erst in der „Kammersymphonie'' „bewußt ausge- 
staltet hat". 

Acht Klavierlieder und sechs Orchesterlieder 
bilden wieder einen Übergang. In den Orchester- 
liedem vollzieht sich der Wandel von der Klang- 
zu der Kanmierinstrumentation. Die Klavierlieder 
enthalten den herrlichen „Wanderer" nach Nietz- 
sche. 

Noch einmal bäumt sich alles .auf, was Schön- 
berg nun verlassen muß, in dem einsätzigen ersten 
Streichquartett in D-Moll, einem Werk von reich- 
ster Erfindung, die sich durchaus thematisch über 
alle Künste der Durchführung ausbreitet, langsame 
und rasche Zeitmaße begründend und verlassend. 




6o Schönberg: 

Der Ruhm der ersten und besten VWedergabe von 
Schönbergs Kammermusik gehört dem Quartett 
Ros6 ; Rose hat auch bei der ersten Aufführung der 
Kammersymphonie in E geholfen, die die Probleme 
des großen Übergangs mit den Linien- und Klang- 
möglichkeiten von fünfzehn Instrumenten auf ganz 
neuen W^en löst und dabei deutlich luid mit Ab- 
sicht aus der Tonalität zu der Ganztonskala und 
dem Quartenaufbau überleitet. Kurze Themen hei- 
schen kürzeren Ablauf und leichteren Bau. Fort- 
setzung und Abwandlung des Übergangs: der Chor 
»»Friede auf Erden'' und zwei Balladen für Gesang 
imd Klavier. Dann das zweite Streichquartett» Fis- 
Moll» in vier Sätzen, deren zweiter, ein Scherzo, in 
wild-skurrilem Scherz imd Schrei einen nach Qua- 
len heitersten „Lieben Augustin'' einilicht Im drit- 
ten langsamen S^tz erheben sich kimstvoUe Varia- 
tionen mit Gesang. Plötzlich bricht die Krise her- 
ein, das Neue ist da und nach Klängien aus einer 
anderen Welt spricht die Singstimme: „Ich fühle 
Luft von anderen Planeten" — Verse von Stefan 
George. Und mm wird alles erreicht: Freiheit von 
jeder Tonalität luid alten Harmonie» Befreiung vom 
Aufbau zugunsten kürzerer Themen» die ihr eige- 
nes Leben führen» Auflösimg jeder überkommenen 
Architektonik in die Erfordernisse imd Mittel des 
reinen Ausdrucks. Eine Erklärung Schönbergs auf 
dem Programm der ersten Aufführung bekennt» daß 
er in den nun folgenden fünfzehn Liedern aus dem 
Buch der Hängenden Gärten von Stefan George 
»»zum ersten Mal dem Ausdrucks- und Formideale 
nahegekommen" sei, wie es ihm seit Jahren vor- 



Neuer Ausdruck 6l 

schwebte. Diese Lieder, die drei Klavierstücke 
Opus II und die fünf Orchesterstücke Opus i6 
versuchen sich nun in dem neuen Stil, dem sie un- 
ausgesetzt neue Aufgaben stellen und neue Lösun- 
gen geben. Eine ganz neue, solistische, ja, solip- 
sistische Instrumentation bricht sich Bahn, die 
einzelnen Instrumente sind nach Lage, Qualität imd 
Quantität auf den zartesten oder herbsten Plan ge- 
richtet, das dritte der Orchesterstücke etwa gibt die 
Morgenstimmung eines Alpsees diu'ch den gjLei- 
chen in wechsehider Instrumentation von Klang zu 
Klang wogenden Akkord. Die Hauptstimmen sind 
in der Partitur besonders bezeichnet (durch einen 
Haken); in späteren Orchesterliedem (Opus 22) 
wird überhaupt eine neue, sogenannte Dirigier-Par- 
titur gegeben, die „jedes Ereignis auf die einfachste 
Art notiert^^ ähnlich einem Klavierauszug. 

Die Bahn des Genius führt jetzt steil und beharr- 
lich aufwärts. Sechs neue Klavierstücke, völlig ge- 
löst, das Monodrama „Erwartung'^ (Worte von 
Marie Pappenheim), der gewagteste Versuch, das 
seelische Geschehen eines Lebens und einer Liebe 
in die Minuten unheimlichster Spannung zu fassen : 
in denen eine Frau den Geliebten vor einem dunklen 
Wald erwartet und tot, imbegreifbar warum, tot 
findet, in die Arme schließt, wütend beklagt — denn 
eine andere Frau, mm weiß sie es, hat ihn getötet — ; 
dann fast ruhig-vibiierend beklagt ; zuletzt den Toten 
noch einmal kommen zu sehen glaubt. wie sonst, 
wenn er nach langem Warten kam . . . Alles dieses 
aus dem Ereignis der neuesten Musik mit furcht- 
barster Intensität gestaltet. Ein weiteres Drama 



62 Schönbergs Schüler: 

„Die glückliche Hand" zu einem Text von Schön- 
berg, der mit Lichtwirkungen die Dichtung einer 
Sphäre erhellt, durch die Sjonbol und Wirklichkeit 
hindurchgehen. Ein Opus 20 (hier habe ich nur die 
Aufgabe, den Reichtum und die Art dieses Fort- 
schreitena zu weisen). Opus 20 ist ein Gedicht „Herz- 
gewächse" nach Maeterlinck für hohen Koloratur- 
sopran, Celesta, Harmonium und Harfe; Opus 21 
ist der „Pierrot limaire" nach Giraud-Hartleben, 
dreimal sieben Gedichte für dne Sprechstimme mit 
Klavier und dazu einzelnen, immer wechselnden 
Streich- und Holzblasinstrumenten. Von allen diesen 
spätesten Werken habe ich leider nur Auf f iUirungen 
des „Pierrot lunaire" hören dürfen; die beiden Dra- 
men sind überhaupt noch nicht gespielt. Im „Pier- 
rot" nimmt Schönberg seine Meisterschaft in den 
kontrapimktischen Künsten auf und folgt damit den 
Stimmimgen der Dichtung wie im Spiel. Die letzten 
Orchesterlieder bieten^ von allem anderen abge- 
sehen, gänzlich neue Probleme der Instrumentation. 
Diese Lieder sind zum Teil schon im Beginn des 
Krieges niedergeschrieben. Seither hat Schönberg 
nur noch (1917) die Dichtung zu einem Oratoriiun 
„Die Jakobsleiter** vollendet, die auch im Druck er- 
schienen ist, eine Kundgebung wahrster, lauterster 
Erhabenheit. 

Dies ist nur ein Ausblick auf Schönberg; man 
müßte fast schon mehr als ein Buch zu schreiben 
haben, wollte man ein Bild von ihm geben können. 
Aber ich konnte immer nur eines geben: Bewunde- 
rung dieses Kämpfers und Künders, imbedingte 
Überzeugimg davon, daß er tausendmal führend 



i 



Webern 63 

recht hatte, möge der Weg des einen, ihm nach, der 
des anderen seitab leiten. Aber er, Arnold Schön- 
berg, kann heute nicht mehr geleugnet, nicht mehr 
verleugnet werden. Die Zeit wird also kommen, 
daß ihn die Officiosi bekennen. Draußen beketmen 
längst ein Ravel, ein Strawinsky^ bekennt Mali- 
piero, was sie ihm schulden. Schönberg, das ist so 
recht: Neue Musik und Wien — aber längst nicht 
mehr Wien allein. 

Und die Zeit scheint mir noch gar nicht so fem, 
in der der junge Anton von Webern mit Karl 
Horwitz und mit Alban Berg sich der Lehre des 
damals noch wenig bekannten Lehrers Schönberg 
anvertraute, nachdem Webern und Horwitz, rechte 
Österreicher, aus Berlin geflohen waren, wo man 
nicht leben könne; sie hatten dort bei Pfitzner ar- 
beiten wollen. Das waren die ältesten Schüler Schön- 
bergs im.d sie dürften wohl ihr Schicksal gepriesen 
haben. Die Schule Schönbergs hat vielleicht nicht 
zu großen äußeren Erfolgen geführt, aber sie ist 
im Leben Wiens imd eben nicht nur Wiens eine 
geistige Macht geworden. Abermals bitte ich um 
Entschuldigung, wenn ich zugunsten lieber Freunde 
lebhafter färben sollte, aber ich glaube, ich darf es. 
Sie sind ausgezeichnete imd wunderbar fimdierte 
Musiker, praktisch und theoretisch in gleicher Weise 
gründlich und günstig geschult, ernste und reife 
Menschen luid von einer hingebenden, bewunderns- 
werten Treue gegen ihren Meister. Eine Verkörpe- 
rung edelsten Denkens und Schaffens, war mir im- 
mer vuid ist mir Webern, den seine Gesundheit 



64 Berg 

lange Zeit von der erwählten Theaterlaufbahn fern- 
hielt; er hat als Lehrer (und Vortragsmeister der 
„Privataufführungen") eine, wie es seine Art ist, 
bescheidene, lange nicht genug gewürdigte Existenz 
geführt. Jetzt endlich werden seine ersten Arbeiten 
verlegt, eine ältere Passacaglia für Orchester, sein 
Meisterstück nach beendeter Lehre, beste, reifste, 
zukunftträchtige Ubergangsmusik. Webern hat sehr 
rasch die neuen Erkenntnisse seines Lehrers gänz- 
lich in seiner eigenen Weise gestaltet, er hat die 
kurzen, oft nur wenige Takte dauernden Stücke, die 
neue Harmonik und Thematik des reinen Ausdrucks, 
die zarteste Farbengebung der Instrumente, das 
Schreiten an alle Grenzen imd gegen jede Grenze, 
das Wandeln an allen Abgründen zu seiner Sache 
gemacht : in jedem Sinn imerhörte Stücke für Geige 
mit Klavier (die Rose öffentlich spielte), fünf Sätze 
für Streichquartett, Orchesterstücke vom Wesen 
derer, wie sie Schönberg schrieb, doch ganz aus der 
Eigenart des Menschen heraus, den der von Ko- 
koschka gezeichnete Kopf jedem Keimer von Ge- 
sichtern sogileich deutet. Zuletzt, analog dem 
Meister, Eingebungen aus strengster Form und aus 
einer unaufhörlich blühenden, ewig ins Ungewisse, 
jimgfräulich Neueste flanmienden, reichsten Phan- 
tasie. Der Parallelismus Schönberg-Webern kann 
nur gänzlichi Oberflächliche und vor allem Fern- 
stehende verwirren. Für mich waren die Werke 
dieser Nähe immer Bestätigungen eines Genius 
durch einen Not- und Wahlverwandten. 

Auch Alban B e r g ist ganz und gar sdnen eige- 
nen Weg gegangen, den Weg einer reichen imd nie- 



Jüngere Schüler Schönbergs 65 

mals von Pragrammen und Prinzipien, sondern nur 
von eigener Erkenntnis geleiteten Begabung. Von 
seinen Werken sind die ersten, eine schöne Klavier- 
sonate und Lieder, bald gedruckt worden ; von späte- 
ren Arbeiten hat der Verein für Privataufführungen 
Stücke für Klarinette aufgeführt Sie werden mit 
anderen Arbeiten dieses hochb^abten Komponisten 
und ernsten Lehrers („Reigen^', für großes Orche- 
ster; noch unvollendet eine Oper „Wozzeck"^ nach 
Büchner) nunmehr verlegt werden und sollten um 
ihrer eigenen iBedeutimg willen wie nicht minder 
als Beispiele eines neuen Wollens wichtig sein. 
Gewissenhafte Arbeit, Erfindung von wahrhaft 
neuer Art, dabei ganz besondere Selbständigkeit 
gegenüber jeder etwa prästunierten Lehrmeinung 
zeigen auchl die veröffentlichten Werke, Lieder, von 
Karl H o r w i t z, besonders das jüngste Opus. 

Karl Horwitz ist diurch den Krieg wenigstens 
vorläufig aus seiner Theaterlaufbahn gerissen wor- 
den. Heinrich Jalowetz, ein anderer ernster, 
tüchtiger und theoretisch wie auch ausübend-prak- 
tisch tätiger Schüler Schönbergs, ist Theaterkapell- 
meister in Prag, Erwin Stein, zuerst Theater- 
kapellmeister, später Lehrer in Darmstadt, hat jetzt 
den Verein für Privataufführungen übemomtmen. 
Der Verein ist das rechte Gebiet des Pianisten 
Eduard S t e u e r m a n n, eines Schülers von Busoni 
md von Schönberg, des unermüdlichen, wahrhaft 
congenialen luid dabei fast imheinüich gedächtnis- 
itarken Interpreten aller der neuen Klaviermusik, 
lie der Verein aufführt. Auch der Geiger Rudolf 
C o 1 i s c h ist Kompositionsschüler Schönbergs ge- 

Stefan, Wien « 



66 Schönbergs Schule 

wordeti und ebenjso Josef Polnauer, der seine 
gründlichen theoretischen Kenntnisse gern in den 
Dienst volkstümlicher Belehrung (in den Abend- 
kursen an der Grenze der Großstadt) gestellt hat. 

Außer einigen jüngeren Kompositionsschülem, 
die zum Teil um Schönbergs willen nach Wien 
kamen luid nun mit ihm nach Holland gehen (wie 
Kaltenborn^ Medicus, Seligmann), 
nenne ich den Theaterkapellmeister und Ldirer 
Paul Amadeus Pisk, einen sehr begabten Piani- 
sten und Komponisten, von dem Klavier- und 
Orchesterlieder, Klavierstücke imd Chöre schon 
aufgeführt worden sind. Es scheint, daß hier eine 
neue Individualität, ein Mensch von ernster, frei- 
lich keineswegs bequemer Art imd ein rechter, im 
rechten Sinn bescheidener Musiker eine Ausdnan- 
dersetzung mit den Problemen der neuesten Kunst 
in der harten Selbstzucht des Künstlers sucht und 
finden wird. 

Die Schüler Schönbergs versuchten, jeder auf 
seinem Weg und gewißlich nie von ihrem Meister 
verführt, etwa im Sinn des Novalis>, den unmittel- 
barsten Ausdruck einer Empfindung in Töne zu 
fassen, ohne Rücksicht auf die überkommene Form. 
Darum scheitert hier auch jeder Versuch einer Deu- 
tung mit den hiezu sonst angewandten Mitteln . . . 

Schüler Schönbergs war auch Egon W e 1 1 e s z, 
der als jung:er Privatdozent an der Universität Mu- 
sikwissenschaft lehrt. Er hat sich der Erforschung 
der beginnenden italienischen und Wiener Oper und, 
durch Studien auf dem Gebiete der bildenden Kunst 



..j 



WcUcsz 67 

mit den Arbeiten eines Strzygowski verknüpft, der 
Musik des alten Orients ergeben. Seine gelehrten 
Arbeiten sind im höchsten Ausmaß g^enwartleben- 
dig. Aufmerksamkeit weckte ein kleiner, wichtiger 
Aufsatz über die nötige Befreiung der neuen Musik 
von allen Absichten und Tendenzen des letzten 
Jahrhunderts mit dgenen Perspektiven, in der 
„Neuen Rimdschau'^ enthalten« 

Der Komponist Egon Wellesz hatte den Vor- 
teil des freien geschärften Blicks und der guten 
Ausschau, die der Gelehrte, der Weltmann, der 
jimge, vorsichtig wägende imd durch Wagemut 
sympathische Mensch gewann und besaß. Franzo- 
sen, Russen, Ungarn, die vor kurzem noch! kaum be- 
kannt waren, wtuxlen ihm früh vertraut. Umgang 
mit Hofmannsthal und Wassermann gab ihm viel 
Sinn für neue Werte der Dichtung. 

Die Russen und Schönberg warfen ihre Schat- 
ten auf seine ersten Kompositionen. Wellesz hat 
frühzeitig begonnen imd hält heute schon, alle For- 
men übend imd diu'chquerend, bei seinem Opus 30. 
Das meiste ist verlegt. Ein Opus 3 „Wie ein Bild" 
versucht eine Musik für Worte von Altenberg zu 
finden. Schon mit Opus 6 (Skizzen für Klavier) be- 
ginnt eine radikale Periode, anfänglich im Gefolge 
von Franzosen imd Ungarn, besonders von Ravel 
und Bartök, alsbald immer freier. Von den Kirscb- 
blütenliedem. Opus 8, 19 12 verl^;t, ist das fünfte 
schon völlig atonal, verwendet das sechste die Quar- 
tenakkorde. Zwei Suiten für Klavier, eine S3anpho- 
nische Ouvertüre „Vorfrühling", eine Orchester- 
suite seien genannt, die Orchesterwerke Versuche 

5* 



68 WeUesc 

koloristischer Art und aufgelöster Formen. Vier 
Streichquartette finden sich» das erste in fünf 
Sätzen, das zweite in der zyklischen Form, die von 
C6sar Franck zu Schönberg reicht, das dritte in 
klassischer Viersätzigkeit, das vierte aus fünf Stük- 
ken ohne symphonischen Aufbau bestehend und 
gänzlich atonal; Lieder nach George und: Stadler, 
ein Geistliches Lied nach Francis Jamxnes mit Strei- 
chern, Idyllen und andere Klavierstücke reihlen sich 
um drei große Arbeiten!: zwei Ballette, „Diana^^ und 
ein Persisches Tanzmärchen, und eine Oper „Die 
Prinzessin Gimara''. Die Ballette bieten dem Tanz 
neue Möglichkeiten der Harmonik und des Rhyth- 
mus, die sich sehr schön bestätigten, als Ellen Tels 
die Werke studiote und aufnahm; Aldsorde beim 
Erscheinen der Diana fesseln darüber hinaus. Die 
Oper ist auf einen Text von Jakob Wassermann 
komponiert, der von imgefähr der Legende am 
Schlüsse des Christian Wahnschiaffe entspricht. Die 
Spannm^ imd der weite Bogen des Dichters sind 
reichlich genützt, Orient, fremder, bunter Reich- 
tum, Märchenhaftigkeit der Schicksale bei göttlicher 
Leitimg aus tiefstem Schauen, alle diese Motive 
sind erfüllt imd zu klingender Gewißheit gestaltet. 
Bild aller Musik von Wdlesz : leichtes Erfassen und 
rasche Beweglichkeit über zeitgebiuidene imd bald 
selbst erfimdene Formen hin, rücksichtslose Auf- 
lösung überkommener Vorstellungen mid Fordenui 
gen, Neigung zu neuer eigener Melodik luid zu ge 
steigertem Ausdruck. 



ANDERE GEGENWART 



L 



einem Zusammenhang, der mir deutlich, aber 
nicht so leicht deutbar ist, stdiien zwei andere Kom- 
ponisten mit der Schule Schönbei^ die ihr „wirk- 
liche^ gar nicht angehören xmd auch nicht angehört 
haben: Rudolf R6ti imd Josef Hauer. R £ t i, Pianist, 
Kenner, Theoretiker, Schriftsteller, Kritiker, Lehrer 
von Profil, ist in seinen Kompositionen: Liedern, 
Klavierstücken, einem symphonischen Werk mit 
Gesang nach Worten von Ossian, durchaus erfüllt, 
ja verzehrt von einer mitreißenden, hinreißenden 
Sehnsucht nach neuen Formen und neuer Melodie. 
Diese Sehnsucht und der innere Drang und Zwang, 
sie reproduktiv über die Erscheinungen der Musik 
rückwärts hin zu deuten, sie hat etwas Magisches 
und umleuchtet das Wesen dieses noch jungen 
Mannes mit dem Licht aus der Dämmerung großer 
Vorzeiten imserer ach so schwankenden Kunst und 
Gegenwart. R£ti müht sich, seinem Wollen imd 
Wünschen gemäß, selbst um die Probleme der an- 
deren, war einer der ersten, die Klavierstücke von 
Schönberg spielten, und der erste, der auf Josef 
Hauer hinwies. 

Hauer, ein wenig älter als Reti, war Lehrer 
nd Cellist in Wiener-Neustadt, hat viel im Orche- 
ter, in Kammermusiken, auf dem Kirchenchor mit- 
espielt imdi dabei mit seinen genial geschärften 
»innen wohl allzu deutlich gemerkt, wie es im alten 



f% 



70 Hauer 

Wesen nicht weiterging. Er rettete sich in die voll- 
kommen ,,atonale Musik''. Was er atonale Musik 
nennt, hat keinerlei Beziehungen mehr zu irgend 
einem Grundton, nur das Intervall ist ihm Ereignis, 
aus dem Intervall kommt die atonale, weder kcmso- 
nante noch dissonante Melodie, die Urmelodie, Er- 
scheinung, Problem, „Baustein'', wie Hauers ato- 
nale Schule sagt, und die Aufgabe ist, den Fall ohne 
„Ideen", ohne Ausbau, ohnia alles Außermusikalische, 
also auch ohne „Persönlichkeit", die sich etwa aus- 
sprechen könnte, zu lösen. Nur die Sache hat ihren 
Willen und die Sache allein hat zu g^ieten. Zu be- 
merken ist aber, daß das Intervall rein nur von den 
gleichschwebend temperierten „atonalen" Instru- 
menten genau und richtig ausgedrückt werden kann, 
vom Klavier, vom Harmonium, von der Orgel. Auch 
die Singstimmie ist erlaubt, Streichr und Blasinstru- 
mente aber sind unmöglich geworden. Eine Schrift 
„Über die Klangfarbe", als Opus 13 bezeichnet und 
in einer neuesten größeren Arbeit „Vom Wesen des 
Musikalischen" wieder aufgenommen, gerät bei der 
Begründung in tmgemein aufregende Nähen zu 
Goethes Farbenlehre. 

In diesem Siim hat Hauer komponiert: zwei 
„Npmoi", Stücke für Klavier, so genannt, damit die- 
ses Urwort jede außermelodische Vorstellung ver- 
banne; dine Apokalyptische Phantasie (aber nun 
doch!) für „Kammerorchester", das ist eine Zusam- 
menstellung von Klavier mit — je nach Bedarf — 
mehreren Harmonien (diese Besetzimg soll auch 
ohne weitere Angaben bei den übrigen Komposi- 
tionen Hauers verwendet werden); Lieder nach 



W. Klein . 11 

Hölderlin, darunter das ,, Schicksalslied", die Anna 
Bahr-Mildenburg gesungen hat; Chorlieder (a cap- 
pella) aus den Tragödien des Sophokles, ein Kyrie 
für Kammerorchester mit Gesang, ein morgenlän- 
disches Märchen, einen Tanz, für Elsie Altman auf- 
geschrieben. Seit Opus 15, Fünf kleinen Stücken, 
notiert Hauer alles in einer „atonalen Notenschrift'*; 
er ist bis zu Opus 19 gelangt. Die Atonalität etwa 
eines Schönberg ist für Hauer, so beachtenswert er 
sie findet, nicht abstrakt, nicht radikal genug. 

r«och weiter abseits von der Schule, aber nun 
wieder, wie auf einer Kreislinie einer älteren Auf- 
fassung der Musik angenähert, steht der Mystiker, 
Denker, Theoretiker, Lehrer und Komponist Wal- 
ter Klein, eine Erscheinung von hoher ästheti- 
scher und sittlicher Reinheit der Einsamkeit, aus 
solcher gleichsam leuchtend. Klein ringt mit einem 
Stil, der einfachsten neuen Ausdruck, einen Aus- 
druck sozusagen in der edelsten, geradesten Liniei, 
mit aller Erkenntnis der Zeit verbindet, wie sie 
dem Anal3rtiker Klein wohl geläufig ist. Seine Lie- 
der, zum Teil mit Begleitung des Streichquartetts 
— und er war der erste, der diese Besetzimg neuer- 
lich angewendet hat — vertonen nur Goethe, Grill- 
parzer, Hölderlin, Nietzsche und Rilke. Weniges 
ist davon zugänglich geworden, aber dieses Wenige 
hatte die Haltung des Asketen, der eher auf jede 
Wirkimg verzichtet, als daß er da und so wirkte, 
wie er es innerlich nicht genau rechtfertigen kann. 
Solche Menschen, solche Künstler sind in jeder 
Zeit selten gewesen. 



1 



72 JCornauth — Szell 

Dagegen ist Egon Korxiauth wie Klein von 
Geburt Deutschmährer, ein ungebeugter Sohn der 
Erde. Seine Natur strömt ungehemmt durch alle 
überkommenen Formen hin, strömt freilicfal über 
diese Formen hinaus, aber er ist der Musizier- 
Musiker (Doktor und Magister verschiedener Schu- 
len zwar auch er, eine Zeitlang Schüler Schrekers), 
der unserer Betrachtung den Rückweg zu einer kon- 
servativen Übung mm vollends leichter macht. In 
der Tat, Komauth, ein Talent aus größter Fülle 
des Empfindens und Gestaltens^ ist etwa von Mah- 
ler ausgegangen, aber er vereinfacht sich immer 
mehr und mehr und sucht nur deutliche Sprache 
und leichte, fesselnde Gestaltung aus der Gegen- 
wart und nicht erst aus einer fernen Zukunft für 
alles das, was eben die Gegenwart zu sagen hätte. 
Nun denn, auch Komauth ist fleißig und mit dem 
Glück eines gern Gehörten tätig gewesen, er hat 
sich vom Lied über die Kammermusik hin zur klei- 
neren Symphonie bewegt überall aus der Logik 
seiner Natur, aus der Kraft seiner Menschlichkeit 
gestaltend. Die Instrumente wie die Stimmen des 
Gesang;s sind ihm vertraut, sie werden ihn, er wird 
sie noch manches lehren. 

Jüngste: Georg Szell, Wunderkind-Pianist, 
aber als Erblühter nicht minder begabt und reif, 
ein unnachahmlicher Gestalter neuester, besonders 
Straußischer Partituren am Flügel, alsbald auch 
Dirigent, auf der Vorstufe zur Selbständigkeit in 
Berlin, dann, neben dem genialen Klemperer, in 
Straßburg, Komponist sjnnphonischer Variationen 



Scholz — Heller — Paumgartner 73 

von besonnener Haltung und verlangender Moder- 
nität. A. J. Scholz, aus deutschböhmischem Mu- 
sikantengeblttt, ein Wunderberrscher im Handwerk 
dieses Musikantentums wie sie alle, die zu uns und 
unserem Wiener Wesen gehörten — nicht minder 
als zu ihrer Heimat. Er begann konservativ und 
wandte das Fragezeichen jedes jimgen Menschen 
rasch ins Allermodemste. Älter, bewußter, kritisch- 
bewußter (ein Kritiker von Temperament), zuerst 
von Brückner ausgehend, ist Hans Ewald Heller, 
der sich mit Liedern, einem Ausdruck heischenden 
Quartett und einer im besten Sinn merkwürdigen 
Oper „Satan'' gezeigt hat, auch er außerhalb der 
Gruppen, mit eingeschlossen in Jugend, Verlangen, 
Werben, Wert. Und hier nun zuletzt, mit Absicht 
gerade hier als letzter, der in seiner Art ein erster 
ist, Bernhard Paumgartner. Sohn der viel- 
bedeutenden Sängerin Rosa Papier-Paumgartner, 
empfing Bernhard den Unterricht eines Bruno Wal- 
ter, leitete bald die volkstümlichen Konzerte des 
Tonkünstler-Orchesters und kam in jimgen Jahren 
als Direktor an das „Mozarteum" in Salzbturg. Er 
hat es zu einer europäischen Musikschule gemacht, 
die es seither in ihrem Wagen bei aller Beschränkt- 
heit der Mittel fast schon mit Wien aufnimmt. Un- 
ablässig erneuert Paumgartner das Ganze, jede 
Einzelheit des Unterrichts, setzt seine Schüler in 
die Praxis der Kirnst imd schenkt, indem er diese 
Schüler üben läßt, den Salzburgem zugleich eine 
Oper. Er ist Mitanxeger und Hauptausführender, 
wenn Salzburg seine Festspiele erhält, komponiert 
Musiken dazu, er Imt während des Krieges Solda- 



J 



74 Frauen 

tenlieder der Armee, tausendfältige Schätze, zu- 
sammengetragen und saimnelt jetzt die Volkslieder 
des Alpenlandes^ fügt sie in alte Krippenspiele ein 
und geht, ein Schwiegersohn Peter Ros^gers^ lu:- 
alten Wurzeln der Art imserer Alpen nach. Und 
dann komponiert dieser unheimlich gescheite, un- 
heimlich fleißige, immer und immer tätige Mensch: 
hat Lieder, Kammiermusik, eine Ouvertüre zu einem 
Ritto^piel imd eine Oper von ganz eigener Art, 
„Das heiße Eisen", nach Hans Sachs aufgeschrieben 
imd ziun Teil verlegt. Seine Musik ist melodiscih- 
sangbar, schreitet aber harmonisch ins Neueste, 
quillt sehr leicht, fließt aus einer Natur und aus 
einem Elternhaus dahin. 

Und F r au e n nenne ich, gesondert, weil sie 
gesondert stehen; es ist nicht das Geschlecht, ver- 
sucht man zu sagen, aber es ist vielleicht doch am 
meisten das, sie müssen anders» imd vielleicht nur 
jetzt noch, nicht so lioch gewachsen sein, als sie 
ihrer Natur und Schule nach wären. Ich bewahre 
nur diese Bilder: viel klug Erlerntes, Angewandtes^ 
Äußerliches^ Abgerundetes von Lio Hans (so in 
der Oper „Maria von Magdala''), Begabungen 6,er 
Gräfin Karoline H a d i k, der Irma von H a 1 a c s y 
und Josefine Hueber-Mansch; eine nach- 
rückende beachtenswerte Erscheinung: Lise Maria 
Mayer, die sich als Dirigentin gezeigt und 
schon an Mahler gewagt hat — Frauen er- 
reichen alles und es ist nicht alles, aber viel — ; 
Johanna Müller-Hermann, die bei Zemlinslqr 
lernte und in Konzerten namentlich des Philhar- 



Alma Mahler 75 

monischen Chors ungemeiii ernsthafte und vielfäl- 
tig-reiche Arbeiten von größter Anlage zu Gehör 
bringen konnte, Chorwerke, Symphonisches, aber 
auch in kleineren Formen, und Alma Maria Mah- 
ler, die Gustav Mahlers Frau war, aber schon vor- 
her bei Zemlinsky gelernt hatte, sie, des Malers 
Schindler Tochter, eine Erscheinung von lauter- 
stem Glanz der Schönheit und von allen Gaben, die 
große Frauen je hatten: mit ihr zu spreche^, zu 
musizieren, ihre sprühenden Anr^^ungen zu hören, 
ist eines der Wiener Geschenke. Es sind nur fünf 
Lieder von ihr gedruckt, aber sie durften mit die- 
sem Namen gedruckt werden. 

Und am Ende? Nein, dieses Wagnis kann nie 
am Ende sein, es folgt der immittelbarsten Gegen- 
wart, folgt anderen Versuchen, Tönen, Kräften, 
Meinungen. Aber ich muß aufhören, irgendwann 
einmal und so ^hließe ich ab, wohl bewußt, daß 
ich manches nicht halten konnte, manches gewollt 
lassen muß. Erinnere dich, Leser, ich hatte nicht 
zu urteilen, keine sogenannte Stellung zu nehmen, 
noch weniger abzulehnen, hatte nur zu erklären, 
Kunst und ihre Art aus Menschlichem zu deuten 
imd in Güte zu deuten, auch wo sie nicht von mei- 
ner Art war, jederlei Wesen aus sich auszudrücken 
und dem Femen näherzubringen. Leser, wemi ich 
nur so viel Seiten brauchte, wie hier sind, verzeih: 
vielleicht haben sie dich nicht gelang^eilt, oder 
nicht mehr als so viel Namen langweilen müssen. 
Prüfender, richtender Leser, imd rechne mir nicht 
vor, daß ich an den so viel Seiten gewendet und 



76 Neue Musik und Wien 

jenem nur einen Teil davon g^eben habe. Sag- 
bares meistert sich nicht nach ZeilenmaBen, wie der 
Ertrag eines Inserates, und wenn ich! ein Verdienst 
habe, so ist es das, mit Worten auszugleichen^ mit 
vielen» mit wenigen, so wie sie mir für den Ton der 
Stelle und für das MaB des Ganzen nötig schienen« 
Leser, ich bin nicht stolz, sondern demütig vor dem 
Bild der Ereignisse. Sicher, es wandelt sich — ein 
Fließen flutet vor dir und in demselben Flusse 
schwimmst du nicht zum zweitenmal. Aber wisse, 
sei überzeugt, getro£Fen, gerührt: an Ruinen vor- 
bei. Trümmer sind aus einer Stadt geschlagen wor- 
den. Sie blühen, sie klingen. Anders als Trümmer 
klingen, hell wie von Ewigkeit, nicht wie gewölb- 
tes Grab. 



INHALT 

Seite 

Ziel — Versuch — Wiedergabe — Wirkungen 7 

Generation im Übergang 24 

Von Schreker zu Schönberg 40 

Schönberg und die Seinen 53 

Andere Gegenwart 69 



Von PAUL STEFAN sind erschienen: 

UMBRIEN (miiErnstDiez). Ein Wanderbuch. HeUer, Wien 1907 
GUSTAV MAHLERS ERBE. H, v. Weber, München 1908 

GUSTAV MAHLER. Eine Studie überPersönHchkeit und Werk. 
5. bis 7. Auflage. Piper, München 1920 (englisch: New 
York 1913) 

OSKAR FRIED. Das Werden eines Künstlers. Reiß, Berlin 1912 

DAS^GRAB IN WIEN. Eine Chronik (1903-1911). Reiß, 
Berlin 1913 

DER UNGEHÖRTE RUF. Erscheinungen, Erlebnisse, Fragen 
(mit Zeichnungen von Oskar Kokoschka). Jetzt: Heidnch, 
Wien [1914] 

DIE FEINDSCHAFT GEGEN WAGNER. Bosse, Regens- 
burg 1918 

DAS NEUE HAUS. Ein Halbjahrhundert Wiener Opernspiel. 
Strache, Wien 1919 

Übertragungen : 

DAUDET. Tartarin von Tarascon. 35. Tausend, hisel-Bücherei 
TACITUS. Germania. 45. Tausend, hisel-Bücherei 

Ausgaben: 

GUSTAV MAHLER. Ein Bfld in Widmungen. Piper, München 
1910 (vergriffen) 

E. T. A. HOFFMANN. Musikalische NoveUen und Kritiken. 
Insel-Bücherei 

RICHARD WAGNER. Kleine Schriften. hisel-Bticherei 

OSKAR KOKOSCHKA. Dramen und Büder, mit Einleitung. 
Wolff, Leipzig 1913 (vergriffen) 

In Vorbereitung: 

DAS GRAB IN WIEN. Eine Chronik. IL Tefl (1912-1919). 
,Wüa«, Wien 

FIDELIO. ,Wila«, Wien 

ROBERT SCHUMANN Ein Bekenntnis. Deutsche Musik- 
Bücherei, Bosse, Regensburg 



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