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Neues Archiv
der
Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde
Beförderung einer Gesammtausgabe
der Quellenschriften deutscher Geschichten des Mittelalters.
Vierundzw^anzigster Band.
'^^
Hannover und Leipzig.
Hahn sehe Buchhandlung.
1899.
Hannover. Druck von Friedrich Ciilemann.
1 n li a 1 1.
Seite
I. Bericht über die vierundzwanzigste Plenarversamm-
lung der Centraldirection der Monumenta Germaniae.
Berlin 1898 1-12
II. Zum westgothischen Urkundenwesen. Von Karl
Zeuraer 13 — 38
III. Geschichte der westgothischen Gesetzgebung. II.
Von Karl Zeumer 39-122
IV. Urkunden und Forschungen zu den Regesten der
staufischen Periode. Von Paul Scheffer-
Boichorst 123—229
V. Die Anfänge der polnischen Annalistik. Von M.
Perlbach 231-285
VI. Zur Afralegende und zum Martyrologium Hierony-
mianum. Eine Entgegnung von Bruno Krusch 287 — 337
Vn. Miscellen :
Der Novellenauszug De ordine ecclesiastico,
eine Quelle des Benedikt Levita. Von Max
Conrat (Cohn) 3il-348
Ueber eine Quelle der römischrechtlichen Texte
bei Hinkraar von Rheims. Von Max Con-
rat (Cohn) . 349-357
Drei rheinische Papsturkunden. 1147 — 1152.
Von Julius V. Pf lugk-Harttung . . 358—366
Nachrichten 367-397
VIII. Die wiederaufgefundene Vorlage der Annales
Mettenses. Von B. v. Simson 399—424
IX. Die Jahrbücher von Reichenau und der Fortsetzer
Regino's. Von F. Kurze 425—456
X. Verzeichnis der Akten fränkischer Synoden von
742 — 843. Von Albert AVerminghoff . . . 457—502
VI Inhalt.
Seite
XI. Briefe zur Geschichte des 13. Jahrhunderts aus einer
Durhamer Handschrift. Von K. Hampe . . . , 503—532
XII. Zur Florians- und Lupus-Legende. Eine Entgegnung
(Fortsetzung) von Bruno Kruse h 583—570
XIII. Geschichte der westgothischen Gesetzgebung. III.
Von Karl Zeumer 571—630
XIV. Ueber die Entstehungszeit und die Einheitlichkeit
der lex Saxonum. Von Walther Schiicking . 631—670
XV. Fundationes monasteriorum Bavariae. Von Georg
Leidinger 671—717
XVI. Miscellen :
Zu Nennius. Von LudwigTraube , . . 721—724
Eine Urkunde des Bischofs Adaiger von Worms
vom Jahre 1014. Mitgetheilt von H. B r e s s 1 a u 725—727
Ein Schreiben Odilo's von Cluni an Heinrich III.
vom October 1046. Mitgetheilt von Ernst
Sackur 728-735
Forliveser Annalen des Pietro Ravennate.
Von F. Güterbock 736—742
Nachrichten 743—786
Berichtigungen 786
Register 787—799
I.
Bericht
über die
vierundzwanzigste Plenarversammlung
der Centralclirection
der
Monumenta Germaniae
Berlin 1898.
Neues Archiv etc. XXIV.
Uie 24. Plenarversammlung der Centraldireetion der
Monumenta Germaniae historica wurde in diesem Jahre
vom 18. bis 20. April in Berlin abgehalten. Durch Er-
krankung -vrarde Herr Geheimerath von Hegel in Erlangen
an der Theilnahme verhindert. Die Herren Prof. Dove
in Freiburg und Hofrath Maassen in Innsbruck hatten
als Vertreter der Münchener bezw. Wiener Akademie frei-
willig ihr Mandat niedergelegt. Herr Geheimerath Watt en-
bach war uns am 20. September 1897 durch den Tod
entrissen worden. An der Versammlung betheiligten sich
demnach die Herren Prof . B r e s s 1 a u aus Strassburg. Geh.
Justizrath Brunn er, Geheimerath Dum ml er als Vor-
sitzender. Prof. Holder-Egger, Prof. ßitter Luschin
von Ebengreuth aus Graz. Prof. Mommsen, Prof.
Mühlbacher aus Wien. Oberbibliothekar Ei e zier aus
München. Prof. Scheffer-Boichorst. Dr. Traube aus
München. Prof. Z e u m e r.
Im Laufe des Jahres 1897/98 erschienen
in der Abtheilung Auetores antiquissimi :
1) Chronica minora saec. IV. V. VI. VII ed. Th.
Mommsen IH. 4 (A. a. XIIL 4);
in der Abtheilung Scriptores:
2) Libelli de lite imperatorum et pontificum sae-
culis XI et XII conscripti III;
in der Abtheilung Leges :
3) Capitularia regum Francorum II edd. Boretius
et Krause;
4) von dem Neuen Archiv der Gesellschaft Band
XXIII. herausgfeofeben von H. Bresslau.
Unter der Presse befinden sich 7 Quartbände, 2 Octav-
bände.
In der Sammlung der Auetores antiquissimi ist als
Abschluss des 3. Bandes der kleineren Chroniken das von
Herrn Dr. Lucas entworfene Register hinzugekommen.
Da hiermit diese ganze Reihe von Quellen ihr Ende er-
reicht hat. so folgrt unten ein zusammenfassender Bericht
4 Bericlit über die vierundzwanzigste Plenarversammlnng 1898.
des Herausgebers über dieselben. Als einen Nachtrag
darf man die kritische Handausgabe von Eugippius' Vita
Severini betrachten, welche, aufgebaut auf eine neue und
umfassende Vergieichnng der Handschriften, sich gegen-
wärtig unter der Presse befindet.
Als ersten Halbband der zu einer besonderen Gruppe
ausgesonderten Gesta pontificum Romanorum hat Herr
Prof. Mommsen den ersten Theil des Liber pontificalis
bis 715 bearbeitet. Der Druck steht nach Vollendung des
Textes bei der Einleitung. Die Fortsetzung dieser Aus-
gabe soll den Händen des Herrn Prof. Kehr in Göttingen
anvertraut werden. Das weitere biographische Material
zur Papstgeschichte würde sich später anschliessen.
In der Abtheilung der Scriptores wird der 4. Band
der Merowingischen Geschichtsquellen, bearbeitet von Herrn
Archivar Kruse h in Hannover, im Herbste druckfertig
werden und anhebend mit den Werken der Jonas von
Bobbio die Heiligenleben dieser Zeit zu immer reicherem
Ertrage für die geschichtliche Erkenntnis fortsetzen, doch
wird es auch ferner nicht ganz an apokryjDhen Erzeugnissen
fehlen. Mehrfache Angriffe gegen die stark negative Kritik
des Herausgebers im 3. Baude konnten im Grossen und
Ganzen nur die methodische Sorgfalt desselben erhärten.
Mit dem 3. Bande der Schriften zum Investiturstreit
ist diese kleine Unterabtheilung vorläufig abgeschlossen und
in ihr für kirchengeschiclitliche wie für kirchenrechtliche
Untersuchungen ein wichtiges Hilfsmittel dargeboten. Eine
Fortsetzung in späterer Zeit könnte entweder durch un-
verhoffte neue Funde oder durch eine Ausdehnung des
Planes auf das 13. und 14. Jh. veranlasst werden und bleibt
vorbehalten. Herr Prof. H o 1 d e r - E g g e r setzte den Druck
der als Handausgabe erscheinenden Monumenta Erphes-
furtensia saec. XII. XIII. XIV. fort, welcher neben einer
sehr verbesserten Wiederholung früher schon in den Monu-
menten enthaltener Annalen auch manches Neue, wie
namentlich die Cronica minor eines Erfurter Minoriten,
bringen soll nebst mehreren anderen Quellen des 14. Jh.
Der umfangreiche Band wird im Sommer erscheinen. Mit
weitereu Vorarbeiten für den längst ersehnten 31. Band, der
die italienischen Chroniken des 13. Jh. umfassen soll, wurde
Herr Dr. Eberhard betraut. Die sehr wichtige Hs. der
sogenannten Annal. Mettenses und des Eegino aus Durham
durften wir durch die grosse Zuvorkommenheit des Biblio-
thekars Rev. W. Greenwell für künftige Verwendung in
Berlin benutzen.
Bericht über die vierundzwanzigste Plenarversammlung 1898. 5
In dem 3. Bande der deutsclien Chroniken, den
Werken Enikels, ist der Druck von Einleitung und Register
durch Herrn Prof. Strauch in Halle endlich wieder auf-
genommen worden und wird wahrscheinlich in diesem Jahre
zu Ende geführt werden. Für den 6. Band, die Oester-
reichischen Chroniken, hat Herr Prof. Seemüller in
Innsbruck weitere Hss., namentlich in Klosterneuburg, ver-
glichen und sich besonders mit dem Texte der Chronik
Hagens beschäftigt. Für die Sammlung der historischen
Lieder und Sprüche ist Herr Dr. Meyer in Göttingen in
der Herstellung der Texte, zunächst für die mittelhoch-
deutsche Zeit, begriffen.
In der Abtheilung Leges ist der durch den Tod des
Dr. Krause abermals verwaiste 2. Band der fränkischen
Capitularien durch die angestrengte Bemühung der Herren
Zeumer und Werminghoff, denen das Register noch
grosse Schwierigkeiten schuf, zum Abschluss gebracht
worden. Eine Untersuchung über die Quellen des Bene-
dictus Levita wird Herr Dr. Seckel als Vorläufer seiner
Ausgabe demnächst veröffentlichen.
Für die grosse Ausgabe der Leges Visigothorum des
Herrn Zeumer hat das Neue Archiv mehrere Vorarbeiten
gebracht und ist der Beginn des Druckes demnächst zu
gewärtigen. Die für die neue Bearbeitung des bairischen
Volksrechtes erforderliche Reise nach Italien niusste Herr
Prof. von Schwind wegen der aus besonderen Gründen
verfügten Verlegung der Osterferien und seiner Versetzung
nach Graz abermals um ein Jahr verschieben.
Für die karolingischen Synoden hat Herr Dr. Wer-
minghoff das gedruckte Material von 695 bis 916 durch-
gearbeitet und, von Herrn Müller unterstützt, mit der
Vergleichung von Hss. begonnen. Für den ersten bis 843
reichenden Theil wird eine summarische üebersicht der
Ueberlieferung im Neuen Archiv gegeben werden. Beson-
deren Dank erwarb sich Herr Dr. Göldlin von Tiefenau,
Custos an der Wiener Hofbibliothek, durch Vergleichungen
und Nachforschungen. Eine Reise nach Frankreich wird
für den Fortgang dieser Arbeiten unerlässlich sein. Für
die Sammlung der fränkischen und langobardischen Ge-
richtsurkunden ist Herr Prof. Tan gl in Berlin an die
Stelle des Herrn A. Müller getreten, und auch für ihn
erscheint eine Reise geboten.
Herr Dr. Schwalm in Göttingen hofft im Herbste
dieses Jahres den Druck des 3. Bandes der Constitutiones
regum et imperatorum anzufangen, für welchen die Archive
6 Bericht über die vierundzwanzigste Plenarversammlung 1898.
von Koblenz und namentlich von München manchen neuen
Fund ergeben hatten. Der bei Weitem wichtigste der-
selben, ein Steuerverzeichnis königlicher Städte aus dem
Jahre 1241, ist bereits als Nachtrag zum 2. Bande ver-
öffentlicht worden. Geforscht wurde von ihm auch in
Wolfenbüttel und Nassau. Der Besuch einiger weiterer
süddeutscher Archive und vor Allem eine Reise nach Ve-
nedig und Ravenna ist ausserdem noch in Aussicht ge-
nommen.
In der Abtheilung Diplomata ist der Druck der Ur-
kunden König Heinrichs II. in der bisherigen Weise fort-
gesetzt worden und wird in diesem Jahre bis an das Ende
der Texte gelangen. An Stelle des in den Archivdienst
übergehenden Dr. Meyer ist neben Herrn Dr. Bloch als
Mitarbeiter Dr. Holtzmann seit Neujahr eingetreten.
Herr Dr. Bloch hat soeben noch eine kleinere Reise nach
Ferrara und S. Sepolcro bei Arezzo unternommen. Unter-
suchungen über einzelne Urkunden, verbunden mit Nach-
trägen für die Zeit der Ottonen, gingen dieser Aus-
gabe fördernd zur Seite. Abweichend von den ersten
beiden Bänden wird das Register hinter den urkundlich
überlieferten zur Erläuterung auch die neueren Ortsnamen
nach Thunlichkeit nachweisen.
Für die Karolingerurkunden wurde das Material,
namentlich durch eine Reise des Herrn Prof. Dopsch
nach dem südlichen und westlichen Frankreich und nach
dem nördlichen Spanien im März bis Juni, nicht unerheb-
lich vermehrt, während Herr Prof. Tan gl in dergleichen
Absicht im Sommer die Schweiz besuchte. Abgesehen von
Chur und von Osnabrück, wohin Herr A. Müller ent-
sandt worden war, fanden die Vertreter der M. G. überall
die günstigste Aufnahme, ganz besonders auch bei dem
Archivar in Urgel, Herrn Canonicus Dr. Marti, und bei
Herrn von Terrebasse auf Schloss Cunault. An Stelle
des Dr. Schedy trat seit dem 1. April Herr Dr. J. Lechner
als Hilfsarbeiter ein. Die Vorarbeiten für den ersten bis
zum Jahre 814 geplanten Band sind so weit gediehen, dass
der Druck noch im laufenden Geschäftsjahre voraussicht-
lich beginnen kann. Ausser dem Besuche einiger deutscher
Archive wird dafür noch ein solcher von Paris erheischt
werden, um die nur dort vollständig vorhandenen französi-
schen Drucke durchzugehen.
In der Abtheilung Epistolae hat der seit längerer
Zeit ruhende Druck des 2. Bandes des Registrum Gregorii
seit Kurzem mit dem Register der Namen wieder begonnen
Bericht über die vierundzwanzigste Plenarversammlung 1898. 7
und soll nunmehr ohne Unterbrechung fortdauern. Der
5. Band, welcher die karolingischen Briefe etwa bis zur
Mitte des 9. Jh. weiterführt, befindet sich seit dem Sommer
1897 unter der Presse und dürfte etwa in Jahresfrist voll-
endet werden. Herr Dr. Hampe, welcher päpstliche
Schreiben sowie Einhart und Frothar darin bearbeitet hat,
ist seit Neujahr aus seiner Stellung als Mitarbeiter aus-
geschieden, nachdem er im vergangenen Frühjahr eine
Eeise nach Paris, Nordfrankreich und Brüssel für diese
Abtheilung mit günstigen Erfolgen unternommen hatte.
Neben ihm arbeitete seit dem Herbst Herr Dr. A. von
Hirsch-Gereuth, der sich bisher mit Vorarbeiten für
die Briefe der Päpste seit der Mitte des Jahrhunderts be-
schäftigt, und neuerdings ist neben ihm Herr Alfons
Müller als zweiter Mitarbeiter eingetreten. Während die
Papsturkunden in diese Sammlung keine Aufnahme finden
sollen, werden dagegen die in die karolingische Zeit fallenden
Register, soweit sie erhalten sind, vollständig abgedruckt
werden. Eine von Herrn Dr. Hampe in Paris vorläufig
untersuchte Hs. mit werthvollen Briefen über das sicilia-
nische Königreich aus dem Anfange des 13. Jh. wird für
weitere Benutzung hier von ihm ausgebeutet.
Das überaus zerstreiite Material dieses Bandes nöthigte
vielfach die Gefälligkeit auswärtiger Bibliothekare und Ge-
lehrten, zumal auch für Hraban's Briefe, in Anspruch zu
nehmen, so der Herren Schnorr von Carolsfeld in
Dresden , B a u m a n n , R i e z 1 e r und Simonsfeld in
München, Leitschuh in Bamberg, K e r 1 e r in Würzburg,
Wolfram in Metz, Stadtarchivar Beyer in Erfurt, P. Gabr.
Meier in Einsiedeln, Prof. Wil. Hauthaler in Salzburg,
Ed. Favre in Genf, H. Jadart in Reims, Bonnet in Mont-
pellier, Riviere in Douai, Davidsohn in Florenz, Ratti
in Mailand, Arnold und Friedens bürg in Rom, denen
allen der wärmste Dank hiermit ausgesprochen sei. In
Wolfenbüttel besorgte Herr Dr. Werminghoff einige
Vergleichungen.
In der Abtheilung Antiquitates sind für den 2. Band
der Necrologia Germaniae mit Hülfe des Herrn Dr. Vancsa
in Wien die umfangreichen Register vollendet und z. Th.
dem Drucke übergeben worden. Ein 3. Band, welcher die
vier bairischen Sprengel Freising, Brixen, Regensburg,
Passau umfassen soll, ist von Herrn Reichsarchivrath Bau-
mann in München in AngrifE genommen worden. Eine
besondere Ausgabe des Xantener Todtenbuches beabsichtigt
der frühere Mitarbeiter Herr Dr. M. Meyer in Münster.
8 Bericht über die vierundzwanzigste Pleuarversammlung 1898.
Der schon im vorigen Jahre begonnene Druck des
4. Bandes der Poetae latini, bearbeitet von Herrn Dr.
P. von Winterfeld, ist bis zum Drittel etwa fort-
geschritten. Fast zwei Drittel desselben, welche als erste
Abtheilung einzeln erscheinen sollen, werden noch von der
für die lateinische Kunstdichtung so überaus fruchtbaren
karolingischen Zeit ausgefüllt, der Rest wird für das 10. Jh.
namentlich die Ecbasis captivi, Waltharius, die Werke der
Nonne Hrotsvitha und Walther von Speier bringen.
Das Neue Archiv hat seinen gewohnten Fortgang als
ergänzendes und vorbereitendes Organ der M. G. gehabt.
In den Redactionsausschuss wurde an Stelle Watten-
bachs Herr Prof. Holder-Egger gewählt.
Dem Auswärtigen Amte des Deutschen Reiches und
der Königlichen Bibliothek als Vermittlern des für unsere
Zwecke unentbehrlichen Handschriftenverkehrs bleiben wir
nach wie vor zum aufrichtigsten Danke verpflichtet, von
den auswärtigen Bibliotheken aber ganz besonders der
Nationalbibliothek in Paris und ihrem hochsinnigen Leiter.
Schlussbericht
über die Herausgabe der Auetores antiquissimi.
Von Th. Mouiiusen.
Die im Jahre 1875 von mir übernommene Abtheilung
Auetores antiquissimi der Monumenta Germaniae historica
ist mit dem jetzt abgeschlossenen Arbeits jähr zu Ende ge-
führt worden. Sie umfasst in 13 Quartbänden die fol-
genden Schriftwerke:
Alcimus Avitus (VI, 2)
Ausonius (Y, 2)
Cassiodorus, Variae (XII)
Chronica minora, vol. I. II. III (IX. XI. XIII)
Claudianus (X)
Corippus (III, 2)
Ennodius (VII)
Eugippius, vita Severini (I, 2)
Eutropius und Paulus, bist. Eomana (II)
lordanes (V, 1)
Salvianus (I, 1)
Sidonius (VIII)
Sjmmachus (VI, 1)
Venantius Fortunatus (IV)
Victor Vitensis (III, 1).
Von diesen Bänden sind Cassiodor, Jordanes und die
drei Bände der Chroniken von mir, die übrigen von den
Herren Birt, Droysen, Halm, Krusch, Leo, Lüt-
johann, Partsch, Peiper, Sauppe, Schenkl, Seeck,
Vogel unter meiner Leitung bearbeitet worden.
Dass diese im Wesentlichen der römischen Geschichts-
periode angehörige Abtheilung in die Monumenta Ger-
mania historica aufgenommen worden ist, war von den
Begründern dieser Sammlung beschlossen worden, lange
bevor nachPertz' Tode mit dem Eintritt des Directorats
von Waitz der neue Arbeitsplan festgestellt wurde. Der
annus quingentesimus aus dem Vorblatt unserer sämmt-
lichen Bände bezieht sich auf die beabsichtigte Ausgabe
von Jordanes und Cassiodor. Ausgeführt war allerdings
von den dafür bestimmten Arbeiten noch keine, auch der
10 Th. Mommsen.
Kreis derselben niclit endgültig festgestellt ; aber für einen
Theil derselben waren umfassende Vorarbeiten unternommen
und die Abtheilung selbst öffentlich angekündigt worden,
so dass man damals übereinkam, auch hierin an dem ur-
sprünglichen Plan festzuhalten.
Für die Auswahl trage ich als Leiter dieser Abthei-
lung im Wesentlichen die Verantwortlichkeit. Mich hat dabei
zunächst der Gedanke geleitet, dass es überhaupt, ins-
besondere aber für eine üebergangsepoche, wie diejenige
ist von dem Zusammenbruch des römischen Westreichs bis
zum Beginn der fränkischen Vormacht, schlechterdings un-
möglich ist, das für den Historiker erforderliche Material
in einer bestimmten Zahl von Bänden zusammen zu fassen,
und dass demnach diese Abtheilung nicht darauf angelegt
werden durfte, in dieser Hinsicht eine nothwendig schein-
hafte Vollständigkeit zu erzielen, sondern vielmehr bei
jedem einzelnen Schriftwerke zu erwägen war, einmal ob
es für die historische Kunde dieser Epoche von wesentlicher
Bedeutung sei, und zweitens, ob eine kritische Bearbeitung
desselben, namentlich die Herstellung der handschriftlichen
Grundlage Nutzen verspreche. Die höhere auf Sprach-
und Sachkenntnis beruhende Kritik kann bei Collectiv-
unternehmungen, wie die unsrige ist, wohl als wünschens-
werther Gewinn, aber nicht als das regelmässige Ziel in
das Auge gefasst und wie die geistige Arbeit überhaupt
wohl gefördert, aber niemals abgeschlossen werden. Die
diplomatische Kritik dagegen fordert, wo sie in weiterem
Umfang auftritt, Mittel, wie nur eine vom Staat getragene
Institution sie zu liefern vermag, und bei ihr ist andrer-
seits ein Abschluss erreichbar. Darum sind Tacitus und
Ammian ausgeschlossen worden; sie sind ohne Zweifel für
die deutsche Geschichte unendlich viel wichtiger als sämmt-
liche in meine Abtheilung aufgenommene Autoren; aber
die diplomatische Kritik ist bei beiden einfach und im
Wesentlichen erledigt. Dagegen war für alle oben ge-
nannten Schriftwerke die handschriftliche Grundlage der
Feststellung bedürftig, und dass jedes einzelne derselben
für die Geschichtsforschung der bezeichneten Epoche von
wesentlichem Nutzen ist, wird nicht bestritten werden.
Die Grenzen einer derartigen Bearbeitung sind allerdings
mit objectiver Bestimmtheit nicht zu ziehen und bis zu
einem gewissen Grade abhängig theils von der Meinung
des Leiters der Abtheilung, theils von dem Belieben der
Centraldirection selbst, die nicht alle Anträge des Leiters
genehmigt hat. Bei der Grenzenlosigkeit der Aufgabe
Schlussbericht über die Herausgabe der Auetores antiquissimi. 1 1
selbst hat in der praktischen Ausführung eine gewisse
Willkür nicht vermieden werden können. Indess hoffe ich,
wenn auch im Einzelnen manches hinweg- oder hinzu-
gewünscht werden mag, doch im Ganzen den richtigen
Mittelweg zwischen dem zu Wenig und dem zu Viel ge-
funden zu haben. Insbesondere bei den in den drei Bänden
der Chroniken vereinigten Miscellaneen habe ich es lebhaft
empfunden, dass ohne die grossen Hülfsmittel, welche eine
Institution wie die unsrige gewährt, eine derartige für das
einzelne Kleinstück schlechthin unmögliche und doch in
ihrer Gesammtheit unentbehrliche Sammlung sich niemals
würde haben durchführen lassen.
Die Rücksicht darauf, dass Ausgaben, wie die unsrigen
sind, vor allen Dingen den diplomatischen Apparat liefern
sollen , hat mich weiter dazu bestimmt , was vielleicht
manchen Tadel gefunden hat, wo es irgend anging, nicht
einzelne Stücke, sondern die uns erhaltenen Werke des
betreffenden Schriftstellers vollständig zu geben. Freilich
bei Prosper, Eugippius, Cassiodor, Beda Hess sich dies
nicht durchführen. Aber wenn auch von Ausonius oder
Claudianus dem Historiker nur wenige Abschnitte direct
nützlich sind, so darf auch über diese keiner mitsprechen,
der nicht den Schriftsteller im Ganzen kennt und beur-
theilen kann. Die Excerptenpublication mag für die Wissen-
schaftlichkeit zweiter Ordnung am Platz sein, für unsere
Arbeiten ist sie mir immer als ein dem nationalen Unter-
nehmen wenig anstehendes Armuthszeugnis erschienen.
Die mir übergeben en Vorarbeiten erwiesen sich mit
geringen Ausnahmen als unbrauchbar; die CoUationen —
solche von Pertz und Waitz fanden unter den für diese
Arbeit mir übergebenen sich nicht — gehörten überwiegend
der Frühzeit der Gesellschaftsarbeit an und waren ebenso
unzulänglich wie leicht ersetzlich. Wir, meine Mitarbeiter
und ich, haben keine Mühe und keine Kosten gescheut,
um in dem bezeichneten Kreise die diplomatische Kritik
abschliessend zu erledigen.
Eine Schranke habe ich bei dieser Abtheilung oft
ungern, aber dennoch streng eingehalten ; es ist dies der
Ausschluss der byzantinischen Geschichtswerke. Dass der
Eömerstaat namentlich der späteren Kaiserzeit diese ebenso
und vielleicht noch mehr fordert als die lateinischen
Quellen, bedarf der Ausführung nicht; und wie sehr selbst
ein Schriftsteller wie Prokop des kritischen Apparates ent-
behrt, in wie geringem Grade die sogenannte akademische
Byzantinerausgabe ihrem Namen Ehre macht, wie wir
12 Th. Mommsen.
überall, wo de Boor nicht gearbeitet hat, uns in kläg-
licher Unsicherheit befinden, das wissen die Kundigen alle
und fordert dringend Abhülfe. Aber diese kann nur eine
Sonderbearbeitung der byzantinischen Geschichtsquellen
bringen, die zu unseren Monumenten so nothwendig gehört
wie einstmals das Ostreich zum Westreich gehört hat. Die
grosse Gefahr, der unsere Monumenta Germaniae in Folge
der centralen Lage unseres Landes ausgesetzt sind, die
üferlosigkeit unserer Sammlungen durch das üebergreifen
in die Geschichte der Nachbarstaaten, würde wesentlich
gesteigert werden, wenn unsere Arbeiten auch auf das
Gebiet des Ostreichs und die griechischen Geschichts-
quellen erstreckt würden. Ich habe darum der nament-
lich bei der Bearbeitung der kleinen Chroniken oft sehr
lockenden Versuchung, in diese Kreise einzugreifen, nicht
nachgegeben.
Ebenso wie ich bemüht gewesen bin, von den auf-
genommenen Schriftstellern die Werke, so weit möglich,
vollständig zu geben, habe ich dieselben auch nach Mög-
lichkeit in der Publication getrennt. Ein Sammelunter-
nehmen, wie das unsrige ist, kann bei den Schriftwerken
die Trennung nach den Autoren nicht in dem Umfang
durchführen, wie dies in der Behandlung der griechischen
und römischen Schriftsteller geschieht ; in viel weiterem
Umfang ist es hier erforderlich, kleinere Schriftwerke zu-
sammenzufassen, secundäre den primären anzuschliessen.
So weit aber die Sonderung sich durchführen lässt, er-
leichtert sie nicht bloss die Fertigstellung der Publicationen,
welche ohne weitgehende Arbeitstheilung nicht zum Ziel
gelangen können, und gewährt den Benutzern bei ihren
sehr verschiedenartigen Interessen die Möglichkeit, sich
das, was ein jeder braucht und nur dies zu beschaffen,
sondern sie macht es auch möglich, wo nöthig und so weit
wie nöthig zu bessern und zu erneuern. Bei weitschich-
tigen Unternehmungen dieser Art kann es nicht ausbleiben,
dass eine einzelne Bearbeitung mit oder ohne Schuld der
Herausgeber sich als ungenügend erweist, der litterarische
Apparat einer Ergänzung oder einer Correctur bedarf. In
meiner Abtheilung ist dies bei der kleinen Schrift des
Eugippius eingetreten. Ich habe in Folge dessen eine
neue Recension derselben hergestellt, welcher bei dem ge-
ringen Umfang des Werkes und bei der Brauchbarkeit des-
selben auch für Unterrichtszwecke die Form der Octav-
ausgabe gegeben worden ist.
II.
Zum
westgothischen Urkundenwesen.
Von
Karl Zeumer.
1. Subscriptio und Signum.
Das westgothische Urkundenwesen ruht wie das aller
südgermanisclien Völker auf dem römischen; ja es schliesst
sich diesem ursprünglich vielfach enger an als das der
Nachbarvölker, der Burgunder und Franken, und erst im
Laufe der Zeit treten stärkere Abweichungen hervor.
Texte westgothischer Privat -Urkunden aus der Zeit
vor der arabischen Eroberung sind uns fast nur in der
Gestalt von Formeln in der deshalb doppelt wichtigen
westgothischen Formelsammlung enthalten; dazu kommen
urkundenartige Bestandtheile der Concilsakten und eine ge-
ringe Anzahl von Königsurkunden, die in diesen Akten über-
liefert sind, sowie die in den westgothischen Gesetzbüchern
enthaltenen Constitutionen, soweit sie urkundliche Form
haben. Dieses dürftige Material wird aber in so glück-
licher Weise durch die reichhaltigen und eingehenden Be-
stimmungen, welche die westgothischen Gesetzbücher in
Bezug auf das Urkundenwesen enthalten, ergänzt, dass es
doch möglich ist, das westgothische Urkundenwesen in
seinen Grundzügen zu erkennen.
Vollständig unterrichtet sind wir durch das vorlie-
gende Material über die Unterfertigung der Urkunden
durch Unterschrift oder Handzeichen: erstere heisst tech-
nisch subscriptio, letzteres signum.
Die subscriptio ist ganz die der spätrömischen Ur-
kunden, wie sie Bruns, Die Unterschriften der römischen
Rechtsurkunden, S. 122 ff., gekennzeichnet hat. Es ist nicht
eine einfache Namensunterschrift, sondern eine mehr oder
weniger ausführliche, regelmässig in subjektiver Fassung
gehaltene Erklärung, deren Grundbestandtheil etwa lautet:
Ego N subscripsi. Diese Unterschriften, welche
dem Zwecke der Beglaubigung des Inhalts der Urkunde
durch Aussteller und Zeugen dienen, sind in den spät-
römischen Urkunden vielfach ausserordentlich umfangreich,
wie ein Blick in die Sammlungen von Marini, I Papiri
diplomatici, Roma 1805, und von Spangenberg, Juris Ro-
manae tabulae negotiorum, Lipsiae 1822, zeigt. Der Aus-
16 Karl Zeumer.
steller und jeder einzelne Zenge wiederholen in ihrer sub-
scriptio meist den wesentlichen Inhalt der Urkunde, und
die Zeugen bekunden vielfach zugleich denjenigen Theil
des Vertragschlusses, der sich in ihrer Gegenwart vollzogen
hat, etwa die Zahlung des Kaufpreises, so dass die ein-
zelnen Subscriptionen fast den Eindruck selbständiger Ur-
kunden machen. In einzelnen Fällen begnügen sich die
Unterschriften mit einen Hinweis auf den Inhalt der Ur-
kunde.
Derartige Unterschriften enthält in verkürzter Form
auch die westgothische Formelsammlung. In n. 1 lautet
die auf die Datierungszeile folgende Unterschrift des Aus-
stellers: 'Ego ill. hanc cartulam libertatis in praedictorum
personas a mea voluntate collatam relegi, cognovi et sub-
scripsi. Sunt dies et annos et era, quae supra'. Die dann
folgende Zeugenunterschrift lautet : 'Ille, rogitus a domino
et fratre illo, in hanc cartulam libertatis ab ipso factam
testis ^ subscripsi, die anno et era, qua supra'. Die Angabe
des Datums in den Subscriptionen ist eine Besonderheit
gegenüber den römischen Unterschriften.
Der Formelsammler hat in den Unterschriftsformeln
unter dem ersten Stücke seiner Sammlung offenbar das
allgemein gültige Muster für solche Unterschriften geben
wollen, denn in den folgenden Stücken lässt er die Unter-
schriften mit dem übrigen Eschatokoll meist fort. Nur in
einer Anzahl von Stücken, in denen die Unterschriften be-
sonders modificiert sind, dehnt er die Formeln wieder auf
sie aus; so in 7. 20. 39. 40. Auch diese Unterschriften
haben den gleichen Charakter; denn die in 39 und 40 ein
paar Mal auftretende objective Fassung 'subscripsit' statt
'subscripsi' ist theils sicher, theils wahrscheinlich der fehler-
haften Ueberlieferung zuzuschreiben.
Die Erwähnung des Datum in solchen Unterschriften
findet sich auch noch in gothischen Urkunden der frän-
kischen Zeit in Septimanien, z. B. Histoire de Languedoc
I, n. 57. II, n. 150 (beide Stücke bei Thevenin, Textes
n. 68 und 93 abgedruckt) und in der spanischen Mark,
bei Marca, Marca Hispanica, App. n. 38. 39. 41 col. 804 ff.
Ohne Datum dagegen, aber sonst ganz gleichen Charakters
sind die Unterschriften in den westgothischen Concilsakten,
von denen ich nur einige Beispiele anführe.
Das katholische Glaubensbekenntnis unterschrieben unter
Verdammung des Arianischen Dogmas auf dem III. Concil
1) So ist unzweifelhaft zu lesen statt : 'testamentum suprascriptum'.
Zum westgothischen Urkundenwesen. 17
von Toledo unter ßeccared I. die Geistlichen nach einer aus-
führlichen Formel: 'Gardingus, in Christi nomine civitatis
Tudensis episcopus, anathematizans haeresis Arianae dog-
mata superius damnata, fidem hanc sanctam catholicam,
quam in ecclesiam catholicam veniens credidi, manu mea
de toto corde subscripsi'. Die Laien unterschrieben mit
der einfacheren Formel : 'Fonsa vir inluster anathematizans
subscripsi'. Die Akten des Concils selbst unterschrieb der
König mit der Formel: 'Flavius Reccaredus rex hanc de-
liberationem, quam cum sancta definivimus synodo, confir-
mans subscripsi'. Darauf unterschrieben mit entsprechenden
ausführlichen Formeln die Metropolitane, mit einfacheren
die übrigen Bischöfe. Die Akten des IV. Concils von
Toledo unterschrieb Isidor: 'Ego Isidorus, in Chr. n. eccle-
siae Hispalensis metropolitanus episcopus, haec statuta sub-
scripsi', die übrigen Bischöfe ebenso, doch mit Fortlassung
der Worte 'haec statuta'. Aehnliche Unterschriften tragen
das V. und VI. Concil, ausführlichere wieder das VIII.
Neben subscriptio, subscribere und subscriptor nennt
nun das Westgothengesetz häufig das Signum, und die
signa facientes, ohne ausdrücklich über das Verhältnis des
Signum zur subscriptio Auskunft zu geben. Schon Eurichs
Gesetzbuch dürfte an einer zu ergänzenden Stelle das
Signum neben der subscriptio für die Bekräftigung einer
Schenkung zur Wahl stellen: 'scriptura sua manu signo
sive subscriptione confirmet', c. 307. Oefter findet sich das in
der Eeccessvindiana z. B. II, 3, 3 (Antiqua): 'scriptura sue
man US vel testium signis vel suscriptionibus roborata' ; II,
1, 13 (Reccessv.) : 'electionis pactio trium testium signis vel
subscriptionibus roborata'. Andere Stellen sind in der
Handausgabe im Index rer. et verb. s. v. signum zusammen-
gestellt.
Die subscriptio setzt bei dem Unterschreibenden die
Kunst des Schreibens voraus; wer nicht schreiben kann,
kann auch nicht unterschreiben. Handelt es sich doch
nicht nur um den eigenen Namen, dessen Züge zu erlernen
wohl auch dem sonst des Schreibens Unkundigen gelingt.
Durch das signum ersetzt die subscriptio , wer nicht
schreiben kann; sei es, dass er es überhaupt nicht ver-
steht, sei es, dass er nur zur Zeit daran verhindert ist.
Das besagt ausdrücklich Cap. 15 der Gaudenzischen Samm-
lung : 'in ea donatione ipse donator propria manu subscribat
et ipsa donatio non minus tribus testibus roboretur. Si
autem ipse donator et festes litteras nesciunt, unusquisque
Signum faciat'.
Neues Archiv etc. XXIV. 9
18 Karl Zeumer.
Die Unterschrift wird dann in der Art ersetzt, dass
der Unterzeichner sein Handzeichen, signum, regelmässig
wohl das Zeichen des Kreuzes macht, wozu dann ein
anderer eine stets objectiv gefasste Erklärung schreibt,
deren Grundbestandtheil einfach lautet: 'Signum illius'.
Ein solches Handzeichen machte auch einer der ersten
Laien, welche nach den Geistlichen, die, weil des Schreibens
kundig, stets unterschrieben, das Glaubensbekenntnis des III.
Concils unterfertigten: 'Signum Gussini viri illustris proceri'.
Oft treten dann noch besondere ausdrückliche Zeug-
nisse über die Signierung hinzu, auf die weiter unten ein-
zugehen ist.
Den Ersatz der subscriptio durch das signum haben
die Westgothen aus dem römischen Brauche übernommen.
In den römischen Gesetzen begegnen wir der aus-
drücklichen Erwähnung des signum oder signum crucis
als Surrogat der subscriptio erst seit Justinian. In seinem
Gesetze Cod. lust. VI, 30, 22, 2^ wird für das Nachlass-
inventar die subscriptio des Erben gefordert, doch mit
der Ausnahme : 'si ignarus sit litterarum vel scribere prae-
peditur' ; dann soll ein besonderer Tabularius zugezogen
werden: 'ut pro eo litteras supponat venerabili signo antea
manu heredis praeposito'. In Novelle 90 pr. erwähnt lu-
stinian einen Fall, wo Testamentszeugen einer auf dem
Sterbelager testierenden Person, nachdem bereits der Tod
eingetreten war, die Hand zum Unterzeichnen des Testa-
ments mittels Kreuzes geführt hatten.
Nicht erwähnt wird das signum in c. 8 der Novelle 73,
wo bestimmt wird, dass, wenn des Schreibens Unkundige
{ygcLju/uara ovx sTuoTdjuevoi) Urkunden, mindestens 5 Zeugen
unterschreiben sollen, von denen einer für den Contrahenten
alles, d. h. die ganze Subscriptionsformel, oder nach wenigen
von jenem geschriebenen Buchstaben das übrige schreiben
soll : iv olg eorai xal 6 ygdcpcüv vjieq tov ovfxßdXXovrog i) ro näv
fj 70 fiexä Ta öXiya ygdju/uara rä nag' ixelvov reß^evra. Das
Authenticum hält sich genau an das Original ; dagegen
schreibt Julian, Epitome nov. 66, c. 9 statt dieser Worte:
'et postquam imperitus (litterarum) vel s an et am crucem
fecerit vel paucas litteras, unus ex his quidem testibus
pro eo subscribat'. Julian spricht also deutlich aus,
was wohl auch Justinian voraussetzt, dass der Aussteller,
der sich in der Unterschrift vertreten lässt, selbst minde-
stens das Kreuz zeichne.
Diese Anwendung des Kreuzeszeichens für die Namens-
unterschrift ist aber nicht erst von Justinian eing'eführt.
Zum westgothischen ürkundenwesen, 19
Sie findet sich schon in einem Ravennater Testament von
474 (Spangenberg- 14, S. 101; besser Brmis, Fontes, 5. Aufl.,
S. 303) und einer ebendaher stammenden Schenkungs-
urkunde von 491, Marini n. 84, Spang-enberg n. 28. Aus
der römischen Praxis ist sie dann von den Westgothen
und den Burgundern übernommen und ebenso später von
den Franken, Langobarden und anderen germanischen
Völkern.
Während nun bei den übrigen Völkern das signum
gewissermaassen entartete, indem es ganz unbeschränkt
statt der Unterschrift gebraucht wurde, haben die Westgothen
seine Anwendung in der altern Zeit anscheinend ganz in den
Grenzen gehalten, welche römische Gesetze und römische
Praxis gezogen hatten. Diese aber beschränkten den Ge-
brauch des Signum ausschliesslich auf den Ersatz für die Unter-
schrift des Ausstellers der Urkunde, während die Zeugen
stets die wirkliche Unterschrift leisten mussten. Die Ge-
setze handeln an den angeführten Stellen nur von dem
venerabile signum oder der crux, welche der Testator,
der Verfasser eines Inventars, der Aussteller einer Urkunde
statt seiner subscriptio unter das Document setzt;
während bei den Zeugen stets nur von subscribere die
Rede ist ^.
Dass das nicht zufällig sein kann, geht aus den über-
lieferten römischen Urkunden des fünften und sechsten
Jh. hervor. Eine ganze Reihe von Urkunden bei Spangen-
berg und Marini zeigen oder erwähnen das signum von
Ausstellern, welche entweder der Schrift unkundig (litte-
rarum nescientes oder ignari) oder durch Krankheit am
Schreiben verhindert sind, etwa durch Augenschwäche,
wie Spangenberg n. 53: 'faciente invecilitate oculorum'
oder, wie in n. 14 der Testator Georgius, durch das nichts-
würdige Podagra : 'faciente nequissima egritudine podagrae'.
In 20 Urkunden bei Spangenberg finden sich 34 signa der
Aussteller, nämlich in n. 14 (in 2 Testamenten, dem des
Constantius von 474 und in dem des Georgius von 552).
21. 28. 31 (2 Signa). 35. 38. 41. 42. 44. 49 (2 signa). 50 (in
1) Nicht auf Unterzeichnung mittels signum ist zu deuten sub-
signare in Cod. lust. IV, 29, 23, § 2. Bürgschaften von Frauen sollen
nicht gelten, 'nisi instrumento publice confecto et a tribus testibus sub-
signato'. Bruns S. 124 bemerkt mit Recht, dass hier nicht Untersiegelung
gemeint sei, sondern dass 'subsignare' hier für 'subscribere' stehe, und
führt dafür das Zeugnis des Paulus, Dig. 50, 16, 39 und des Festus s. v.
signare an. Sonst heisst 'signare' in den älteren römischen Quellen regel-
mässig siegeln.
20 Karl Zeumer.
2 Urk. je ein signum). 51 (2 signa). 53 (8 signa). 54. 55. 56
(2 Signa). 58 (3 signa). 75 (2 signa).
Das Signum ist beim Aussteller häufiger als die
Unterschrift. Dagegen finden wir die Zeugen regelmässig
unterschreibend. Eine Ausnahme bietet nur die Verkaufs-
urkunde Spangenberg n. 52, wo, soweit der unsichere Text
vermuthen lässt, nach der in gothischer Sprache und
Schrift ausgeführten Unterschrift des Verkäufers ein Zeuge
unterschreibt, zwei andere ihre signa machen. Selbst wenn
diese beiden Zeugensigna unzweifelhaft wären, könnte man
sie auf besondere Verhältnisse des einzelnen Falles zurück-
führen. Die durch so zahlreiche Beispiele belegte Regel,
dass die Zeugen in den spätrömischen Urkunden unter-
schreiben, während die Aussteller häufiger signieren als
unterschreiben, vermag eine so vereinzelte Ausnahme nicht
zu zerstören.
Während nun die Burgunder schon zu Gundobads
Zeiten den Zeugen beide Arten von Unterfertigung frei-
stellten, nach Lex Burg. -43, 1 : 'quinque aut Septem testes
donationi aut testamento prout possunt aut signa aut sub-
scriptiones adiciant', scheinen die Westgothen ursprünglich
wie die Römer die Anwendung der signa auf die Aussteller
beschränkt, von den Urkundszeugen dagegen die subscriptio
gefordert zu haben.
Dass die Lex Romana Visigothorum in Bezug auf die
Bestimmung, dass die Testamentszeugen unterschreiben
sollen, der Autor selbst sich in der Unterschrift ver-
treten lassen kann, in der Interpretatio zu Nov. Theod.
IL 9 ganz dem Texte folgt, will ich nicht besonders be-
tonen ; aber auch andere Quellen sprechen für unsere An-
nahme.
Leider überliefert uns der Codex Euricianus keine
vollständig erhaltene Stelle, aus der dieses ganz zweifellos
hervorginge. Immerhin spricht aber c. 307 im Vergleich
mit der späteren Fassung, in welcher dieses Capitel in der
Antiqua V, 2, 7 erscheint, deutlich genug für jene Annahme.
Bei Eurich lautet die bezügliche Stelle in der wahrschein-
lich richtigen Ergänzung: 'Maritus si uxori suae aliquid
donaverit, de hoc, quod voluerit, scriptura sua ma[nu] (lies :
scripturam suae manus) [signo sivje subscriptione confir[met,
ita ut du]o aut tres testes ingenui [subscriptorejs accedant;
et sie volun[tas ipsius habeat] firmitatem'. In der Antiqua
heisst es statt dessen: 'Maritus si uxori sue aliquid dona-
verit, de hoc quod ipsa sibi habere voluerit, scriptura
manus sue suscriptione vel signo confirmet, ita ut duo aut
Zum westgothischen Urkunden wesen, 21
tres testes ingenui suscriptores velsigna facientes acce-
dant; et sie voluntas ipsius habeat firmitatem'.
Sehr wahrscheinlich ist demnach, dass schon Eurichs
Text dem Aussteller statt der subscriptio das signum ge-
stattete; unbedingt sicher aber, dass er bei Zeugen das
Signa facere nicht, sondern nur das subscribere erwähnte;
denn für die Worte vel signa facientes reicht der für die
Ergänzug verfügbare Raum keines Falls aus. Die Aus-
dehnung des Signum auf die Unterfertigunof der Zeusfen
beruht also auf einem Zusätze zu dem ursprünglichen
Texte.
Es fragt sich, ob dieser Zusatz bereits Leovigild, oder
ob er erst Reccessvind zuzuschreiben ist. Dass die grossen
und wesentlichen Veränderungen, welche das Capitel
namentlich in den folgenden Sätzen in der Antiqua gegen-
über Eurichs Texte aufweist, auf Leovigild und nicht auf
Reccessvind zurückzuführen sind, ist nach dem, was ich
früher (s. N. Arch. XXIII, 487 f.) ausgeführt habe, kaum zu
bezweifeln. So sehr man demnach von vornherein zu der
Annahme geneigt sein wird, auch diese Interpolation Leo-
vigilds Redactoren zuzuschreiben, so darf man doch an der
Möo^lichkeit festhalten, dass dieser äusserlich geringfügige
Zusatz erst bei Herstellung der Reccessvindiaua zugesetzt
ist. Ein derartiger Zusatz konnte gemacht werden ohne
zu einer Aenderung der Inscription Anlass zvi geben.
Eine entsprechende Interpolation Reccessvinds könnte
vielleicht auch vorliegen in der Antiqua II, 3, 3, wo es
heisst : "scriptura (mandati) sue (sc. conditoris) manus vel
testium signis aut subscriptionibus roborata'.
In anderen Stellen, an denen wohl Eurichs Text im-
verändeii; beibehalten ist, wird von den Zeugen schlechthin
die subscrij^tio, nicht das signum gefordert, so in lY, 3, 3
(Ant.) für ein Inventar: 'brevis factus trium vel quinque
testium subscriptione firmetur', und ebenso in V, 2, 7 (Ant.) :
'iuventarium (episcopi) viri ingenui subscriptione conroborent'.
Wollen wir an jenen anderen Stellen nicht Interpolationen
annehmen, so bleibt nur die andere Annahme, dass, wie
das zu Chindasvinds Zeiten deutlicher hervortritt, die rö-
mische Reo^el nur noch für orewisse Gattungen von Ur-
künden aufrecht erhalten wurde, während für andere die
Signierung durch Zeuofen freigfeg-eben wurde.
Die Gaudenzischen Fragmente kennen freilich be-
reits ein Signum der Zeugen einer Schenkungsurkunde als
Ersatz für ihre Unterschrift, aber nur mit beschränkter
Wirkung; c. 15: 'in ea donatione ipse donator propria
22 Karl Zeumer.
manu subscribat, et ipsa donatio non minus tribus testibus
roboretur. Si autem ipse donator et testes litteras nes-
ciunt, unusquisque signum propria manu faciat, et donatio
ipsa ante curiales deferatur'. Das ist am wahrscheinlichsten
so zu verstehen: nur wenn Aussteller und Zeugen nicht
unterschreiben können, soll die mit deren eigenhändigen
Zeichen unterfertigte Urkunde in die Curie gebracht
werden, damit sie dort die Beglaubigung und Autorisation
erhalte, welche die gehörig unterschriebene Urkunde ver-
möge der Unterschriften besass.
Der Gedanke, dass gewisse Schenkungen zu ihrer
Rechtsgültigkeit der Insinuation bei der Curie bedürften,
scheint nach L. Vis. II, 5, 1. 2 den Westgothen fremd ge-
wesen zu sein, so dass der Zweck des 'ante curiales de-
ferre' wohl nur der gewesen sein kann, die an sich un-
sicheren Zeugensigna zu bestätigen.
Die westgothische Formelsammlung aus dem 2. Jahr-
zehnt des 7. Jh. stimmt, soweit sich das bei der mangel-
haften Mittheilung der Schlussformeln erkennen lässt, mit
dem römischen Brauche überein.
Drei Nummern, 7. 36. 44, enthalten statt der sub-
scriptio des Ausstellers dessen signum. Von den Zeugen
wird in der Corroboratio meist der unbestimmtere Aus-
druck: 'testibus tradidi roborandum' gebraucht, so n. 1. 7.
24. 36. 44. 45. Aber da, wo dieser Ausdruck im Gegensatz
zu dem vorliergenannten signum des Ausstellers gebraucht
wird, wie in 7. 36. 44, dürfen wir ihn wohl auf die sub-
scriptio deuten. Ausdrücklich wird das subscribere den
Zeugen zugeschrieben in n. 33 : 'testibus subscribendam
tradidimus', und in n. 1 lauten die Schlussworte mit un-
bedenklicher Emendation : 'Hl. rogitus . . . testis subscripsi'.
Dass auch in 39 und 40 Zeugen unterschreiben, nicht
signieren, fällt vielleicht weniger ins Gewicht, weil es sich
da um gerichtliche Urkunden handelt. Soviel steht aber
fest: die Formelsammlung erwähnt das signum nur beim
Aussteller, niemals bei den Zeugen.
Chindasvind scheint für gewisse Fälle noch an der
subscriptio der Zeugen festgehalten zu haben. So fordert
er VI, 1, 2 für die Inscriptio die Unterschrift dreier Zeugen:
'trium testium subscriptione roborata . Auch nach Chin-
dasvinds II, 4, 3 hat der Zeuge die Urkunde unterschrieben:
'scriptura, in qua ipse (testis) subscripsisse dinoscitur'.
Läugnet der Zeuge seine Unterschrift ab, und kann sie
ihm nicht 'aliis documentis' bewiesen werden, so soll er vor
dem Richter etwas schreiben zum Zweck der Schrift-
Zum westgothischen Urkundenwesen. 23
vergleichung mit seiner Unterschrift. Hier wird also vom
Zeugen vorausgesetzt, dass er schreiben kann und unter-
schrieben hat.
In II, 5, 13 werden scripturae erwähnt: 'in quibus
suscriptio vel signum conditoris adque testium firmitas reppe-
ritur'. Wenn hier nicht ausdrücklich die sabscriptio von den
Zeugen verlangt wird, so könnte man versucht sein, in der
Erwähnung der 'firmitas' einen Hinweis auf die subscriptio
der Zeugen zu finden. Das ist aber deshalb nicht wahr-
scheinlich, weil Chindasvind in demselben Gesetze die
Schriftvergleichung ('contropatio manuum') zum Zwecke
des Nachweises der Echtheit einer Urkunde nicht nur für
die subscriptiones, sondern auch für die signa anordnet.
Das setzt voraus, dass auch die signa, die Kreuze, eine
charakteristische Handschrift erkennen Hessen, dass etwa
die, welche nicht schreiben konnten, sich wenigstens die
Zeichnung eines besonderen mit eigenthümlichen Kenn-
zeichen, vielleicht irgendwelchen Schnörkeln versehenen
Kreuzes aneigneten.
Solche in ihrer Eigenart erkennbare und von anderen
unterscheidbare signa fordert Chindasvind geradezu, wo er
ihren Gebrauch Zeugen gestattet, in VI, 1, 5: 'epistulam
tres festes evidentibus signis aut subscriptionibus simul
cum eo (dem Aussteller) firment'. Solche signa evidentia,
die zur Schriftvergleichung dienen konnten, waren aller-
dings geeignet, die subscriptio bis zu einem gewissen Grade
zu ersetzen, und es begreift sich mit Berücksichtigung
dieser Ausgestaltung der Signa, wenn Chindasvind für die
Rechtsbeständigkeit der Urkunden neben der genauen Da-
tierung und der Gesetzmässigkeit des Inhalts die Unter-
fertigung durch Aussteller und Zeugen mittels Unter-
schriften oder Handzeichen fordert, so dass beide Unter-
fertigungsarten ganz gleichstehen ; s. II, 5, 1 : 'Scripture,
quae diem et annum habuerint evidenter expressum adque
secundum legis ordinem conscripte noscuntur, seu condi-
toris vel testium fuerint signis aut subscriptionibus roborate,
omni habeantur stabiles firmitate'.
Reccessvind setzt dann ebenso die Zeugensigna den
Zeugensubscriptionen ganz gleich in II, 1, 13: 'trium
testium . , . pactio signis vel subscriptionibus roborata';
II, 5, 10 : 'extrema voluntas sive sit autoris et testium
manu suscripta, sive utrarumque partium signis extiterit
roborata'.
Trotz dieser scheinbar vollständigen Gleichsetzung
werden wir immer noch einen gewissen Unterschied in der
24 Karl Zeumer.
praktischen Anwendung- der beiden Unterfertigungsarten
voraussetzen dürfen. Eine nur mit Kreuzen, wenn auch
verschiedenen Charakters unterfertigte Urkunde ist un-
denkbar. Die Handzeichen der Zeugen bedurften der
Beglaubigung durch andere Zeugen oder durch den Ur-
kundenschreiber; der Autor aber niusste, wenn er nicht
selbst unterschreiben konnte, sich durch einen des Schreibens
kundigen in der Unterschrift vertreten lassen. Diese Ver-
tretung in der Unterschrift hat die westgothische Praxis
der römischen entlehnt.
Schon eine Novelle Theodosius' II. und Valentinians III.,
Nov. Theod. II. 16 (von 439), in die Lex Eomana aufge-
nommen als 9, 1, bestimmt, dass, wenn derjenige, welcher
ein schriftliches Testament macht, nicht schreiben kann,
zu den sonst nöthigen sieben Zeugen, welche das Testa-
ment unterschreiben und siegeln müssen, noch einen achten
Zeugen zuziehen soll, der ihn in der Unterschrift vertritt :
'Quod si literas testator ignoret vel subscribere nequeat,
octavo subscriptore pro eo adhibito eadem servari decer-
nimus'.
Justinian kennt auch die Vertretung des Urkun-
denden in der Unterschrift. Doch soll nach der bereits
oben (S. 18) besprochenen Stelle der Novelle 73 einer der
Zeugen, nicht ein besonderer subscriptor für den Aus-
steller mit der Unterschrift eintreten, während nach Cod.
lust. VI, 30, 22, 2^ bei der Anfertigung des Inventars ein
Tabularius die Unterschrift für den Erben leisten soll.
Von beiden Arten der Stellvertretung durch einen
Notar und durch einen Zeugen finden wir Beispiele in den
spätrömischen Urkunden. In Spangenberg n. 31 dictiert
die edele Frau Eunilo mit Zustimmung ihres Mannes Ee-
lithanc dem Notar ('forensis') Severus eine Schenkungs-
urkunde, von der es im Texte heisst: 'cui propriae manus
tum ego, quam E. . . ivigalis mens propter ignorantiam
litterarum signa inpraessiraus et testibus optuli suscriben-
dam'. Die Unterschrift lautet:
'Signum -j- Ranilonis subl. f. suprascriptae donatricis.
Signum + Eelithauc viri subl. iugalis suprascrij)tae.
Quae ego Severus for. inclusi.'
Wie schon früher richtig erklärt ist, umschliesst der Notar
mit seiner subscriptio, die die Namen und Charakterisierung
der Aussteller enthält, die signa, welche dann nochmals
von den einzelnen Zeugen in ihren Subscriptionen beglau-
bigt werden.
Zum westgothischen Urkundenwesen. 25
Tritt hier ein Notar als subscrij)tor ein, so tritt ein
Freund der Ausstellerin als subscriptor auf in der Schen-
kung- der Maria, Spangenberg n. 28, v. J. 491. Er kann
als mit der subscriptio beauftragter Zeuge betrachtet
werden, wird aber nicht als testis bezeichnet und unter-
schreibt nicht noch einmal als testis mit den übrigen
Zeugen, wie es Julian in seiner Fassung der justinianischen
Novelle später forderte : 'unus ex his . . . testibus pro eo
subscribat, omnes autem quinque testes subscribere debent,
quod' u. s. w. Die Ausstellerin erklärt in der Urkunde
selbst: 'Chartulam lovino notario meo scribendam dictavi,
cuique, quia ignoro litteras, signum feci, ad quod Castorium
V. c. carum meum, ut pro nie suscriberet, conrogavi'. Die
subscriptio lautet:
'Signum Mariae sp. f. suprascriptae donatricis. Fla-
vius Castorius v. c. huic donationi rogante Maria sp. f.
ipsa praesente ad signum eius pro ea subscripsi'. Dann
folgt die subscriptio testium.
Dass die Westgothen die Stellvertretung in der Unter-
schrift von den Eömern übernommen haben, bezeugt schon
die Interpretatio zu der angeführten Theodosianischen No-
velle, wo es im Anschluss an den Text heisst: 'septem
testium subscriptionibus confirmatur; auctor testamenti, si
literas seit octavus ipse subscribat; sin autem aut sub-
scribere non j)otest aut literas nescit, tunc octavum pro
se adhibeat subscriptorem'.
Die älteren Formen des Gesetzbuches der Westgothen
bis auf Erwig erwähnen einen solchen subscriptor nicht.
Dagegen finden wir ihn in n. 7 der Formelsammlung. Dort
erklärt der Aussteller einer 'Cartula oblationis' : 'quia li-
teras ignoro, rogavi dominum et fratrem ill., qui pro nie
suscriptor accessit. ego vero manu mea signum feci et
testibus a me rogitis, bene natis viris, pro firmitate tradidi
roborandam'. Die Unterschrift des Vertreters lautet: '111.,
rogitus a domiiio et fratre ill., quia ipse literas ignorat, pro
eura [sujscriptor accessi et haue oblationem ab eius volun-
tate factam pro confirmationem suae personae subscripsi,
ipse vero subter manu suae signum fecit'. Das in der
Formel nicht gezeichnete signum des Ausstellers wird
dann noch einmal, wahrscheinlich vom Urkundenschreiber
beglaubigt : 'Signum ill., qui hanc oblationis cartulam cum
rebus conlatis sancto martiri ill. spontanea voluntate
contulit'.
Nicht nur einen solchen stellvertretenden subscriptor,
sondern sogar einen Stellvertreter, der entweder subscri-
26 Karl Zeumer.
bieren oder auch signieren kann, kennt Ervig in den Zu-
sätzen zu II, 5, 10 und II, 5, 1,
Das erste dieser Gesetze beginnt in Ervigs Fassung:
'Morientium extrema voluntas sive sit auctoris et
testium manu subscripta, sive utrarumque partium
signis extiterit roborata, seu etiam, etsi auctor subscribere
vel Signum facere non praevaleat, alium tarnen cum legi-
timis testibus subscriptorem vel signatorem ordina-
tionis suae instituat, sive quoque si tantummodo verbis
coram probationem ordinatio eins qui moritur patuerit pro-
mulgata: haec ordinationum quattuor genera omni peren-
niter valore subsistant'.
Vier Arten von letztwilligen Verfügungen — wir be-
zeichnen sie der Kürze wegen als Testamente — • werden hier
unterschieden und zwar neben dem an letzter Stelle ge-
nannten mündlichen Testament drei Gattungen schriftlicher:
1) das von Testator und Zeugen unterschriebene, 2) das von
Testator und Zeugen unterzeichnete, 3) das von einem
Andern an Stelle des Testators, der weder unterschreiben
noch unterzeichnen konnte, unterschriebene oder unter-
zeichnete Testament. Darauf giebt Ervig Vorschriften für
die Behandlung dieser verschiedenen Testamente. In Bezug
auf die beiden ersten Gattungen schärft er zunächst ein,
dass sie, wie alle schriftlichen Testamente, gemäss II, 5, 12
innerhalb 6 Monaten nach dem Tode des Testators publi-
ciert werden sollen : 'scripturae illae, quae secundum primi
et secundi ordinis confectionem sunt alligatae, id est, sive
quae auctoris et testium manu subscriptae, seu quae utra-
rumque partium signis extiterint roboratae, infra sex menses
iuxta legem aliam sacerdoti pateant publicandae'.
Dann heisst es weiter: 'Et si forsitan contigerit, ut
in huiusmodi scripturis auctor, qui subscribere debuit,
Signum inpresserit, hoc ipsud testis, qui in eadem scrip-
tura subscriptor accessit iurare curabit, quia signum ipsud
a conditore factum extiterit'. Hieraus sehen wir, dass die
beiden ersten Gattungen in dem Vorhergehenden nicht
genau bezeichnet sind. Ob die Zeugen unterschreiben oder
unterzeichnen, macht keinen Unterschied aus, sondern nur
ob der Testator selbst unterschreibt oder nur sein Hand-
zeichen macht. In letzterem Ealle bedarf es eines Zeugen,
welcher subscriptor, nicht nur signator ist, also eine wirk-
liche subscriptio leistete, die vermuthlich eine Erklärung
über das vom Testator gemachte Handzeichen enthielt.
Dieser subscriptor soll später die Echtheit des Handzeichens
beschwören.
Zum westgothischen Urkundenwesen. 27
Ueber die dritte Gattung wird dann verordnet : 'Illae
vero scripturae, quae snb tertii ordinis alligatione sunt
editae, id est in quibus advocatus a eonditore legitimus
testis snbscripsit, tunc omni habebuntur stabiles firmitate,
quando infra sex inenses et ille, qui in eadem scriptura ad
vieem morientis subscriptor accessit, et reliqui testes, qui
ab eo rogati sunt, coram iudice conditionibus factis iura-
verint, quod in eadem scriptura a se subscripta nulla sit
fraus inpressa, sed secundam voluntatem ipsius conditoris
habeatur conscripta, et quod ab eo, qui eam condere vo-
luit, rogiti extitissent, nt in eadem scriptura subscriptores
accederent et ad vicem conditoris eam legitime roborarent'.
Die dritte Gattung bildeten nach dem Vorhergehenden
diejenigen Testamente, in welche der Testator nicht einmal
sein Handzeichen setzen konnte und sich daher dnrch
einen besonders dazu berufenen subscriptor oder signator
vertreten lassen musste. Nur in diesem Falle bedarf es
eines Vertreters, während der in seiner Zeugensubscriptio
die Echtheit des signnm bezeugende Urkundszeuge in dem
vorigen Falle nicht mehr als Vertreter aufgefasst wird.
Dieser Vertreter brancht nun, und das ist besonders das
Auffallende, nicht nothwendig subscriptor zu sein, sondern
kann entweder eine Unterschrift leisten oder auch nur sein
Handzeichen machen ; freilich ist an der eben angeführten
Stelle nur der subscriptor genannt; doch zeigt die Ver-
gleichung mit dem Eingange der Lex, dass der signator
auch hier mit gemeint ist.
Dieses Testament, auf das der Testator weder sub-
scriptio noch signum gesetzt hat, wird nun aber in Folge
dieses Mangels kaum noch wie ein schriftliches Testament
behandelt, denn der stellvertretende subscriptor und sämmt-
liche Zeugen müssen ganz wie die Zeugen beim mündlichen
Testament den vom Testator bekundeten Willen eidlich
erhärten ; nur dass hier der Inhalt des niedergeschriebenen
Willens die Grundlage des Eides bildet, während beim
Zeugnis über das mündliche Testament dessen Inhalt ganz
in die bei den Westgothen üblichen schriftlichen Eides-
formulare ('conditiones') aufgenommen werden musste.
Eine entsprechende Bestimmung, wie sie hier für die
schriftliche 'extrema voluntas morientium' gegeben ist, ent-
hält auch der Zusatz Ervigs zu II, 5, 1, anscheinend in
Bezug auf Schrifturkunden allgemein, wobei dann freilich
aus einigen Wendungen hervorgeht, dass auch hier in erster
Linie letztwillige Verfügungen gemeint sind, die sich ja
bei den Westarothen nicht wesentlich von anderen Ver-
28 Karl Zeumer.
gabungs- und Veräusserungs-Urkunden unterschieden. Die
Bestimmung lautet im Anschluss an das Gesetz Chindas-
vinds über die Rechtsgültigkeit der von Aussteller und
Zeugen unterschriebenen oder unterzeichneten Urkunden :
'Simili quoqvie et illae scripturae valore constabunt, quas
etsi auctor subscribere aegritudine obsistente non valuit,
in eis tarnen, qui subscriptores accederent, postulabit, sic-
que, subscriptionem vel signum ad vicem illius auctoris
ille, qui est rogatus. inpresserit'. Wird der ürkundende
wieder gesund, so soll er die subscriptio nachholen, andern-
falls soll der Zeuge die von ihm unterschriebene Urkunde
innerhalb sechs Monaten, wie jenes andere Gesetz vor-
schreibt, für die Bekräftigung (durch seinen und der
übrigen Zeugen Eid) sorgen. Die Bestimmungen sind in
ähnlicher Weise nachlässig gefasst, wie in jenen anderen
Zusätzen. Auch hier ist mitunter nur von der subscriptio
die Rede, wo diese oder das signum gemeint ist.
Aus beiden Gesetzen, wie sie durch Ervig erweitert
und verändert sind, gewinnen wir wichtige Aufschlüsse über
die Bedeutung der beiden Unterfertigungsarten für die
Glaubwürdigkeit der Urkunden.
Was zunächst die Unterfertigung durch den Aussteller
betrifft, so verleiht die subscriptio des Ausstellers der Ur-
kunde volle Glaubwürdigkeit. Tritt an Stelle der subscriptio
das Signum des Ausstellers, so verleiht dieses der Urkunde
die gleiche Glaubwürdigkeit, wenn die Echtheit des Hand-
zeichens bewiesen wird. Diesen Beweis hat ein Zeuge, der
die Urkunde unterschrieben hat, durch seinen Eid zu er-
bringen. Kann der Aussteller aber drittens weder unter-
schreiben noch unterzeichnen, fehlt also jede Unterfertigung
des Autors, so trägt die Urkunde ihre Beweiskraft nicht
mehr in sich selbst, sondern nur in den Zeugen, die sie
unterfertigt haben, und mit ihrem Eide für die Wahrheit
des Inhalts eintreten müssen. Die nicht vom Aussteller
unterfertigte westgothische Urkunde hatte also dieselbe
Bedeutung wie die fränkische Privaturkunde.
Gegenüber der für die Beweiskraft der Urkunde ent-
scheidenden Uuterfertigung des Ausstellers tritt die der
Zeugen mehr zurück. Sie dient nur zur Sicherung des
Beweises der Echtheit für jene oder in Fällen, wo die
Unterfertigung des Ausstellers ganz fehlt, zur Sicherung
des Zeugenbeweises für den Inhalt der Urkunde. Hier ist
denn auch das signum der subscriptio ganz gleichgestellt.
Während das Handzeichen des Autors wie seit Alters der
Beglaubigung durch einen 'testis, qui subscriptor accedit',
Zum westgothischen Urkundenwesen. 29
bedarf, wird von einer solchen Beglaubigung der Zeugen-
signa nichts berichtet, und sie ist auch mit dem Wesen
der Unterfertigung durch Zeugen kaum vereinbar. Sobald
man, was vielleicht seit Leogivild, sicher seit Reccessvind
geschah, Handzeichen der Zeugen zuliess, mussten sie auch
für sich genügen und konnten es um so eher, als sie,
wie wir oben sahen, oft individuell gestaltet waren. Eine
Art von Beglaubigung fand dabei wohl nur in der Weise
statt, dass der Urkundenschreiber die Namen der Zeugen
zu deren Handzeichen setzte.
Die selbständige Beweiskraft der westgothischen Ur-
kunde ruhte, wie die Zusätze Ervigs zu einigen Gesetzen
im 5. Titel des II. Buches zeigten, allein in der Unter-
fertigung des Ausstellers. Deshalb galt es gegenüber der
Anfechtung einer Urkunde, namentlich wenn der Aussteller
verstorben war, sowie gegenüber der Abläugnung einer
Unterfertigung vor allem die Echtheit der Unterfertigung
festzustellen. Hierzu aber diente bei den Westgothen neben
dem Zeugenbeweis besonders die Schriftvergleichung, ein
Institut, welches sich bei den Franken und Langobarden
nur in ganz beschränktem Maasse findet ^. Das reine ger-
manische Beweisrecht konnte ihm nur einen weit gerin-
geren Raum gewähren, als das romanisierte Beweisrecht der
Westgothen.
1) Siehe darüber besonders Brunner, Deutsche Rechtsgeschichte II,
422 f. 425 f.
2. Die Schriftvergieichung (contropatio).
Die Schriftvergleichung als Mittel zur Feststellung
der Echtheit einer Urkunde haben die Westgothen mit
ihrem XJrkundenwesen von den Römern übernommen. Ehe
wir zur Betrachtung der westgothischen Schriftvergleichung
selbst schreiten, müssen wir daher die bisher noch nicht
eingehend im Zusammenhang behandelte Schriftvergleichung
des römischen Rechtes, soweit sie für die Beziehungen zum
westgothischen Rechte von Interesse ist, erörtern.
Die Schriftvergleichung, von den Römern als 'scrip-
turarum collatio, manus collatio, litterarum comparatio'
bezeichnet, ist im Criminalprocess als Beweismittel wohl
von Alters her im Gebrauch gewesen. Constantin ordnet
ihre Anwendung beim crimen falsi an, Cod. lust. IX,
22, 22 : 'übi falsi examen inciderit, tunc acerrima fiat in-
dago argumentis, testibus, scripturarum collatione aliisque
vestigiis veritatis'. Auch im Civilprocess scheint die Schrift-
vergieichung im älteren römischen Rechte vielfach ver-
wendet zu sein. Darauf deuten die wiederholten Versuche
sie gesetzlich einzuschränken. Eine Constitution von Ho-
norius und Theodosius vom Jahre 421 erklärt die Schrift-
vergieichung allein nicht für ausreichend, die Echtheit der
von einem Verstorbenen ausgestellten Urkunde zu beweisen;
Cod. Theod. II, 27, 1, § 1: 'scripturam probator adfirmet;
quam tamen adstrui non sola manus collatione conveniet,
— quid enim aliud falsarius agit, quam ut similitudinem
veritatis imitetur? — sed aliis multiplicibus documentis'.
Dann hat Justinian wiederholt die Schriftvergieichung
beschränkt und bei der Gelegenheit auch einmal auf jene
ältere Constitution und die darin enthaltene Begründung
ausdrücklich hingewiesen in der Einleitung zu Novelle 73,
wo es in der Fassung des Authenticum heisst: 'Novimus
nostras leges quae volunt ex collatione litterarum fidem
dari documentis et quia quidam imperatorum . . , haec
talia prohibuerunt, illud studium falsatoribus esse cre-
dentes, ut ad imitationem litterarum semet ipsos maxime
exercerent, eo quod nihil aliud est falsitas nisi imitatio
Zum westgothischen Urkimdenwesen. 31
veritatis'. Zuerst hat sich Justinian mit der Schriftver-
gleichung beschäftigt in einer Constitution vom Jahre 530,
Cod. IV, 20, 21. Die häufige Schriftvergleichung- reize zur
Urkundenfälschung an. Deshalb sollen Privaturkuuden
zur Vergleichung nur benutzt werden, wenn sie die Unter-
schrift von 3 Zeugen tragen und nachdem die Echtheit
dieser Unterschriften durch Anerkennung von Seiten der
Zeugen oder durch Schriftvergleichung gesichert ist: 'non
licere comparationes litterarum ex chirographis fieri, nisi
habuerint trium testium subscriptiones et prius litteris
eorum fides imponatur, vel ex ipsis hoc deponentibus . . .
sive comparatione litterarum procedente, et tunc ex huius-
modi chartula iam probata comparatio fiat'. Ausser solchen
beglaubigten Privaturkunden sollen nur noch öffentliche
Urkunden ('forensia vel publica instrumenta') zur Schrift-
vergleichung zulässig sein. In allen Fällen aber sollen
diejenigen, 'qui comparationes faciunt', vorher eidlich ver-
sichern: 'quod neque lucri causa neque inimicitiis neque
gratia tenti huiusmodi faciunt comparationem'. Es ist dies
der Eid der die Schriftvergleichung ausführenden Sach-
verständigen, der uns hier zuerst begegnet ^ Einen solchen
Sachverständigen -Eid fordert Justinian für die Schrift-
vergleichung auch in Novelle 49, c. 2 am Ende -. Wie in
diesem Punkte so bestätigt diese 537 erlassene Novelle auch
im übrigen die früheren Bestimmungen und weist nur eine
missbräuchliche Berufung auf das Gesetz von 530 in einer
bestimmten Richtung zurück.
Neue Anordnungen über die Schriftvergleichung ent-
hält die Novelle 73, die auch andere Fragen betreffs des
Urkundenwesens eingehend regelt. Die Einleitung legt
sehr ausführlich dar, welche Schwierigkeiten dem Beweis
durch Schriftvergleichung entgegenstehen. Die wichtigsten
Bestimmungen aber enthält Capitel 7.
Hier wird bestimmt, dass der Beweis durch Schrift-
vergleichung nur dann eintreten soll, wenn alle anderen
Beweismittel für die Echtheit einer Urkunde versagen,
1) V, Bethmann - Hollweg, Civil - Process III, S. 95 beruft sich auf
dieses Gresetz nicht nur für den Sachverständigen - Eid, sondern irrthüm-
lich auch für den Calumnien -Eid des Producenten, von dem darin nicht
die Rede ist. 2) Im griechischen Texte heisst es : 'rör ogy.or diÖövat.
Tovg d)'r«^£TdC"o)Ta? rot ygäß/nara vEvojxodeTrjy.aiiEv'' und nachher 'roS fisvroi
ogxov rwr avyy.oir6vro)y\ Im Authenticum steht dafür: 'iusiurandura
praebere discutientes litteras sancivimus' und 'iureiurando tarnen compa-
rantium'. Julian, Const. 44, sagt : 'omnes autem litterarum comparatores
prius sacramentum praestent et tunc deinde faciant comparationes'.
Ueberall sind sicher nur die Sachverständigen gemeint.
32 Karl Zeumer.
wenn der Tabellio, die Urkundszeugen, der etwa genannte
Numerator todt oder abwesend und andere Zeugen nicht
zu beschaffen sind. Kommt es zur Schriftvergleichung, so
soll diese nach Möglichkeit ausgedehnt werden auf die
Zeugenunterschriften und die Completio des Notars. Immer
soll aber vor der Anwendung der Schriftvergleichung der
Richter den Producenten einen Gefährdeeid schwören lassen
des Inhalts : 'quia nihil maligni conscius in eo, quod a se
profertur, nee quandam artem circa collationem fieri prae-
parans, sie utitur eo, quatenus neque perimatur quicquam
omnino et per omnia munitio in rebus fiat' (Auth.). Später
wird dann dieser Eid des Producenten nochmals erwähnt
und zwar als etwas bisher bereits übliches : 'quod hactenus
valuit fiat, ut, qui profert ad collationes documentum, iuret
sollemniter' (Auth.), oder wie es statt der letzten Worte
genauer im Original heisst: 'ö/uvvvai ja. ve/uojuiojueva' (legi-
timum sacramentum praestet). Obwohl dieser Calumnieneid
des Producenten in früheren Gesetzen nicht erwähnt wird,
dürfen wir nach dieser Stelle nicht zweifeln, dass er be-
reits herkömmlich war.
Als etwas unzweifelhaft Neues wird dann aber auch
von der Gegenpartei des Producenten (des 'Producten', wie
die Processualisten zu sagen lieben) ein Eid verlangt. Sie
soll nach dem Authenticum schwören: 'quia non aliam
idoneam habens fidem ad collationes instrumen forum venit
nee quicquam circa eam egit aut machinatus est, quod
forte possit veritatem abscondere'. Julian, Const. 66, fasst
den Inhalt des Originals kurz zusammen: 'Sin autem nullum
aliud ad veritatem probandam supersit quam comparationes
litterarum, tunc illud teneat, quod usque ad hoc tempus
obtinuit, ut qui instrumentum producit legitimum sacra-
mentum subeat: quod nulla malitia usus est; sed et is,
qui fidem instrumenti exigit, de dolo et calumnia iusiu-
randum subeat'.
Wie verhält sich nun die Schriftvergleichung, wie
sie uns im Westgothenrecht entgegentritt, zu der römi-
schen?
In westgothischen Gesetzen finden wir erst seit Chin-
dasvind die Schriftvergleichung erwähnt. Sie wird in Ge-
setzen dieses Königs und seines Nachfolgers bezeichnet als
'contropatio manuum' oder 'scripturarum'. 'Contropare'
heisst dasselbe wie 'conferre', wird nicht ausschliesslich
von der Schriftvergleichung, aber von dieser immer ge-
braucht und hängt wohl zusammen mit Spanisch : 'con-
trovar', Ital. : 'controvare'. Das Wort ist meines Wissens
Zum westgothischeu Urkundenwesen, 33
bis jetzt nur in den westgotliischen Gesetzen nachgewiesen
(vgl. Leges Vis. ant. p. 73 n. 1).
Dass aber das Institut erst seit Chindasvind in das
westgothische Rechtsleben eingeführt sein sollte, ist nicht
anzunehmen. Wäre das der Fall gewesen, so würden die
westgothischeu Gesetzgeber des 7. Jh. wohl, wie das in
anderen Fällen unzweifelhaft geschehen ist, aus dem justi-
nianischen Eecht geschöpft haben. Die starken Abwei-
chungen der westgothischeu Schriftvergleichung von der
Justinians deuten also darauf hin, dass dieses Institut schon
früher den Westgothen bekannt war; sei es, dass darauf
bezügliche ältere Gesetze nicht erhalten, sondern durch die
späteren verdrängt sind, sei es, dass das Institut ohne ge-
setzliche Regelung in der Praxis galt.
Schon die Art wie Chindasvind II, 4, 3 und II, 5, 13
ohne nähere Erklärung den Ausdruck 'contropare' gebraucht,
dessen Bedeutung er als etwas bekanntes vorauszusetzen
scheint, dürfte gegen die Annahme sprechen, dass erst er
die Sache eingeführt hätte. Es kommt hinzu, dass in
früherer Zeit den Römern des Gothenreichs das Institut
bekannt und für sie durch die Lex Romana anerkannt
war. Die einzige Stelle dieses Gesetzbuches, welche die
Schriftvergleichung erwähnt, ist die schon angeführte Cod.
Th. II, 27, 1. Hier unterscheidet sich nun bereits die
Interpretatio in bemerkenswerther Weise vom Texte. Dieser
setzt als Object der Vergleichung eine Schuldurkunde
voraus, die als chirographum bezeichnet wird. Da für
die Echtheit dieses chirographum nach dem Tode des
Schuldners die Schriftvergleichung in Frage kommt, kann
nur ein eigenhändiges chirographum, ein sog. 'idiochirum'
gemeint sein, nicht aber ein solches, welches im Auftrage
des Ausstellers von einem Dritten geschrieben war ^ Ob man
nun damals als eigenhändiges chirographum nur, wie wohl
ursprünglich, eine vom Aussteller geschriebene Urkunde,
oder schon auch die von einem andern geschriebene, aber
mit der eigenhändigen subscriptio des Ausstellers versehene
Urkunde verstand, wie das nach Brunners Erklärung- bereits
in einer Constitution des Kaisers Leo vom Jahre 472, Cod.
lust.VIII, 7,11, geschehen ist, können wir dahin gestellt sein
lassen. Die Interpretatio lässt aber den ursprünglichen
Hauptfall, dass die Schuldurkunde ganz vom Aussteller
geschrieben war, gänzlich bei Seite und setzt voraus, dass
1) Vgl. über das chirographum die Ausführungen Brunners, Rechts-
gesch. d. Urk. S. 44 f. 53 f. 2) A. a. 0. S. 58.
Xeues Archiv etc. XXIV. 3
34 Karl Zeumer.
durch die Schriftvergleichung- nur die Echtheit der sub-
scriptio erwiesen werden solle: 'intra biennium defuncti
publicet cautionem, ita tarnen ut manus mortui conferatur
et agnosci possit illius esse subscriptio'. Diese Be-
schränkung der Schriftvergleichung auf die Unterschrift
findet sich nun nirgend in den justinianischen Quellen,
dagegen regelmässig bei den Westgothen.
Chindasvinds Gesetz II, 5, 13 ordnet an: 'Omnes
scripture, quarum et autor et testis defunctus est, in quibus
tamen subscriptio vel Signum conditoris adque testium fir-
mitas repperitur, dum in audientia prolate constituerint,
ex aliis cartarum signis vel subscriptionibus contropentur,
sufficiatque ad firmitatem vel veritatis huius indaginem
agnoscendam trium aut quattuor scripturarum similis et
evidens prolata suscriptio'. Dem entsprechen denn auch
Eeccessvinds Gesetze II, 5, 14 und 15. In ersteren wird
von einer Urkunde (scriptura), deren Aussteller verstorben
ist, gesagt: 'Quam sacerdos idem et iudex, adlatis sibimet
tribus aliis scripturis, in quibus testatoris subscriptio rep-
peritur, ex earum contropationem considerent, si certa et
evidens scriptura est, quam idem conditor olografa ratione
conscripsit'. In dem zweiten dieser Gesetze wird ange-
ordnet : 'querenda (sunt) . . . instrumenta cartarum, ut con-
tropatis aliarum scripturarum suscriptionibus adque signis
possit agnosci, utrum (scriptura) habeatur idonea, an repro-
betur indigna'.
Es ist also die Unterschrift und, was ja eine sehr
auffallende Besonderheit der westgothischen Schriftver-
gleichung ist, eventuell auch das stellvertretende signum\
was allein zur contropatio benutzt wird. Nur bei dem
holographischen Testament wird auch die Echtheit der
Schrift des Textes der Urkunde selbst vermöge der Ver-
gleichung mit den Unterschriften anderer Urkunden fest-
gestellt; das ist aber auch da nicht die Hauptsache. Auch
beim sogenannten 'olografum' darf nach westgothischem
Rechte die Unterschrift nicht fehlen. Sie galt einmal, wie
wir sahen, als das, worin die Glaubwürdigkeit und die
selbständige Beweiskraft der Urkunde beruhte. Zur Con-
tropation sollten nach den angeführten Gesetzen nicht die
Texte, die ja auch regelmässig nicht vom Aussteller her-
rührten, sondern die subscriptiones benutzt werden, und
daher konnte auch ein 'olografum' am sichersten dann
recognosciert werden, wenn es eine solche subscriptio hatte.
1) S. oben S. 23.
Zum westgothischen Urkundenwesen. 35
Das ist der Grund, -weshalb Eeccessvind in II, 5, 14 für
das zeugenlose und ganz eigenhändig vom Testator geschrie-
bene holographische Testament, welches nach römischem
Rechte nicht der subscriptio des Testators bedurfte, auch
noch diese subscriptio verlangt: 'manu propria scribat ea
que hordinare desiderat; , . . toto scripture textu con-
scripto, rursum autor ipse suscribat'. Das ist nicht erst
durch Eeccessvind eingeführt; denn schon Isidor Etymol.
V, 24, 7 erklärt: 'Holographum testamentum est manu
auctoris totum conscriptum atque subscriptum' ^.
In der regelmässigen Beschränkung der Schriftver-
gleichung auf die Unterschrift in den westgothischen Ge-
setzen liegt eine so starke Abweichung von den Bestim-
mungen Justinians, dass wir diese nicht wohl als die Quelle,
wenigstens nicht als die alleinige Quelle jener Gesetze
Chindasvinds und seines Sohnes ansehen können.
In einem Punkte dagegen scheint Eeccessvind wirk-
lich justinianisches Eecht aufgenommen zu haben. Er ge-
stattet II, 5, 15 in dem Falle, dass die Urkunde eines
Verstorbenen produciert wird, der Gegner aber erklärt,
von der Echtheit der Urkunde seines Vorfahren nicht über-
zeugt zu sein ('nescire se dixerit ipsius scripture veri-
tatem), dem Producenten den Beweis durch Schriftver-
gleichung. Es soll dann erst der Producent, darauf aber
auch der Gegner einen Gefährdeeid schwören. Dieser eigen-
thümliche doppelte Eid ist wohl auf Justinians Novelle 73,
c. 7 zurückzuführen, durch welche, wie wir sahen, der Eid
des 'Producten' erst eingeführt wurde -.
Bemerkenswerth sind nun die weiteren Bestimmungen
von II, 5, 15. Sind die Eide geschworen, so soll man das
Hausarchiv ('scrinia domestica') nach Urkunden, welche
zur contropatio dienen können, durchsuchen; wenn das
ohne Erfolg ist, sollen anderweit Urkunden zur Vergleichung
beschafft werden. Wird so durch üebereinkommen der
Parteien ('per talem conventionem') mittels Schriftver-
gleichung die Echtheit der Urkunde festgestellt, so braucht
der Erbe die in der Urkunde enthaltene Anfechtungsbusse
1) Die Untersclirift ist bei den Westgothen also auch für die vom
Aussteller eigenhändig geschriebene Urkunde gesetzlich gefordert. Auch
in der langobardischen Praxis war sie in diesem Falle nach Brunner,
Rechtsgesch. d. Urk. S. 34, mindestens üblich. 2) Schon Ortloff, Der
Diffessionseid, die Zeugenrecognition und die Schriftenvergleichung in den
Juristischen Abhandlungen I, S. 8 f. hat auf die Aehnlichkeit der Bestim-
mungen der Novelle mit der des westgothischen Gesetzes hingewiesen und
die Eide richtig für Calumnieneide erklärt.
3*
36 Karl Zeumer.
nicht zu zahlen. Die Gegenpartei kann aber trotz der
Contropatio der Urknnde ihre Anerkennung- versagen. Da-
durch zwingt sie den Producenten, die Echtheit der Ur-
kunde durch Zeugen zu beweisen.
Gelingt der Beweis durch Zeugen, so hat nun der
Gegner dem Producenten die in der Urkunde festgesetzte
Anfechtungsbusse zu zahlen. Uebersteigt diese den Werth
dessen, was der aus der Urkunde Verpflichtete von seinem
Vorfahren, dem Aussteller der Urkunde, geerbt hat, so
kann jener sich durch Abtretung dieses Erbgutes an den
Producenten von allen Ansprüchen befreien: eine Anwen-
dung des Grundsatzes, dass der Erbe aus Obligationen des
Erblassers nur bis zum Betrage seines Erbgutes zu haften
braucht ^.
Die Bestimmung, wonach schwerere Nachtheile für den
die Echtheit einer gegen ihn vorgebrachten Urkunde Läug-
nenden erst eintreten, wenn er sich beim Beweis durch
Schriftvergleichung nicht beruhigt, und ihm die Echtheit
durch Zeugen bewiesen wird, findet ein Analogon in der resti-
tuierten Lex Cod. lust. IV, 21, 16. Dort wird bestimmt,
dass der, welcher eine von ihm selbst herrührende Urkunde
abläugnet, eine Busse von 24 Schillingen wegen der Lüge,
'vTzsQ avTov Tov ysvöovg' zahlen soll, wenn sie ihm nur
durch Schriftvergleichung als echt bewiesen wird; findet
ein Echtheitsbeweis durch den Tabellio oder die Zeugen
statt, so verliert er die 'exceptio non numeratae pecuniae'.
Die Analogie ist deutlich ; aber an eine Anlehnung an diese
Stelle bei Abfassung der Lex Peccessvinds ist nicht zu
denken. Der Gesetzgeber schöpfte wohl aus der im West-
gothenreiche überlieferten römischen Praxis.
Dasselbe dürfen wir annehmen für eine eigenthüm-
liche Anwendung der contropatio nach II, 4, 3, wo an-
geordnet wird, was geschehen soll, wenn ein Urkunden-
zeuge seine Unterschrift ableugnet : 'Et si hoc ipse quibus-
libet aliis documentis convincere fortasse nequiverit,
experientia iudicis id requirere sollerter curabit ; ita ut pro
manus contropatione testis ille, qui negat, iudice presente
scribat; qui etiam plus cogatur scribere, ut veritas facilius
innotescat; ubi scilicet et hoc omnino querendum est, ut
scripture querantur et presententur, quas antea fecit sive
suscripsit'. Wenn der Zeuge nicht selbst durch 'alia docu-
menta' den Beweis dafür erbringen kann, dass die Unter-
schrift nicht von ihm herrühre, dann soll der Richter ihn
1) Vgl. L. Vis. VII, 5. 8.
Zum westgothischen Urkundenwesen. 37
2;wingen, in seiner Gegenwart etwas zu. schreiben, und zwar
mehreres (d. h. wohl nicht allein eine Unterschrift), um die
Schriftvergleichung damit um so sicherer ausführen zu
können. Daneben sollen aber auch frühere Schriftstücke
oder Unterschriften des Zeugen herangezogen werden.
Einen solchen Fall berichtet uns auch Justinian in c. 1
der Novelle 73: 'quia enim non professus est is, qui scri-
psisse dicebatur, suara esse scripturam, . . . scribere alia
coactus est, quae visa sunt velut similia quidem, non tarnen
per omnia similia, et quantum ad illam scripturam sine
termino causa permansit'. So das Anthenticum ; Julian hat
die Stelle nicht.
Der Richter zwingt also auch hier den Läugnenden
zum Zweck der Schriftvergleichung etwas zu schreiben.
Dass Chindasvind nach dieser Novellenstelle seine Vorschrift
abgefasst haben sollte, ist um so weniger anzunehmen, als
dort ausdrücklich berichtet wird, dass in dem Falle das
Verfahren nicht zum Ziele führte. Das konnte den west-
gothischen Gesetzgeber nicht zur Nachahmung reizen. Wir
dürfen in dieser Stelle vielmehr ein Zeugnis für die im
westgothischen Reiche erhaltene gleiche römische Praxis
erblicken, wie sie uns in der Novelle entgegentritt.
Das Gesetz Chindasvinds unterstützt somit die Mei-
nung derer, welche auf Grund der Novelle 73 die Ansicht
vertreten, dass schon das römische Recht dem Richter die
Macht gegeben habe, die Partei im Gericht zum Schreiben
behufs Schriftvergleichung zu zwingen. Die Frage ist in
der gemeinrechtlichen Litteratur vielfach behandelt, in
neuerer Zeit meist verneint, so namentlich von Ortloff,
a. a. 0. I, S. 83 f. und Wetzell, Civilprocess, 3. Aufl., S. 240 f;
vgl. auch Strippelmann, Beweis durch Schrifturkunden II,
S. 190.
Die Novellenstelle hat man mit der m. E. wenig
durchschlagenden Bemerkung, dass sie nur über etwas
thatsächlich vorgekommenes referiere, zu entkräften ge-
sucht. Das hierfür, soviel ich sehe, bisher nicht heran-
gezogene westgothische Gesetz zeigt uns, dass das Verhalten
des Richters, über welches Justinian ohne Tadel berichtet,
auf einer weiter verbreiteten Rechtsübung beruht, die
König Chindasvind, wenn nicht schon einer seiner Vor-
gänger, für sein Reich gesetzlich anerkannte, ganz wie das
auch in der neueren Gesetzgebung mehrfach geschehen ist.
Der französische Code de procedure civile enthält
Art. 206 die Vorschrift : A defaut ou en cas d'insuffisance
des pieces de comparaison le juge-commissaire pourra ordon-
38 Karl Zeumer.
ner, qn' il sera fait mi corps d' ecritures, lequel sera dicte
par les experts. Diese Bestimmung' ist mit einigen Modifica-
tionen in die bekannte bürgerliche Processordnung lür das
Königreich Hannover vom 8. Nov. 1850, § 335, übergegangen.
Eine entsprechende Vorschrift enthält aber schon die Allge-
meine Gerichtsordnung für die Preussischen Staaten, I. Theil,
Titel 10, § 151, wo bestimmt wird: 'Sodann müssen andere
Schriften, die unstreitig von des Ausstellers Hand sind
. . . oder die der Aussteller selbst in Gegenwart des In-
struenten und der Rechtsbeistände zu schreiben angehalten
wird, herbeigeschafft und von den Parteien ein oder zwei
erfahrene Schreibmeister, welche die Vergleichung anstellen
sollen, vorgeschlagen werden'.
Die westgothische Contropatio ist, so können wir zu-
sammenfassend sagen, auf der Grundlage des römischen
Rechtes erwachsen. Sie hat sich zum Theil, wie hinsicht-
lich der bis auf wenige Ausnahmen ausschliesslichen Be-
rücksichtigung der Unterschrift und ihres Surrogates, des
Signum, selbständig ausgestaltet, zum Theil in ähnlicher
Weise, wie im justinianischen Rechte entwickelt, ohne dass
jedoch wenigstens als Regel eine Entlehnung aus justinia-
nischen Quellen anzunehmen ist.
IIT.
Geschichte
der
westgothischen Gesetzgebung.
n.
Von
Karl Zenmer.
IL Besonderer Theil.
Die nachfolg-ende Besprechung einzelner Gesetze und
einzelner Gruppen zusammeng-ehöriger Gesetze schliesst
sich im Allgemeinen an die Eeihenfolge der Stücke an,
wie sie die grosse Ausgabe der Lex Visigothorum bieten
wird ^. Ich lasse daher zunächst eine Uebersichtstafel
folgen, welche die Reihenfolge der Stücke in der neuen
Ausgabe und zugleich die entsprechenden Nummern der
Eeccessvindiana (nach der Handausgabe) sowie der Madrider
Ausgabe und derjenigen Walters angiebt-. Die Gesetze
des Codex Euricianus, welche solchen des späteren Gesetz-
buches entsprechen, werden im Zusammenhange mit diesen,
solche, denen keine späteren Gesetze entsprechen, soweit
es nöthig ist, da, wo es der Zusammenhang fordert, be-
sprochen werden.
Ausgabe.
n
1,
1.
n
1,
2. 3.
4.
II,
1,
5.
II
1,
6.
n,
1,
7.
Reccessvind.
II, 1, 1. 2. 3.
II, 1, 4.
11, 1, 5.
Ervigiana.
II, 1, 1.
II, 1, 2. 3. 4.
II, 1, 5.
Nov. Cum divine.
Ed. Madrid.
II, 1, 1.
II, 1, 2. 3. 4.
II, 1, 1 n.
II, 1, 5.
n, l,6ii.(l).
Ed. Walter.
U, 1, 1.
II, 1, 2. 3. 4.
II, 1, 5.
II, 1, 6.
)II, 1, 34.
IV, 7, 19.
1) Die Ausgabe wird nicht, wie das früher geplant war, die Rec-
cessvindiana und die Ervigiana getrennt hinter einander bringen, sondern,
% soweit beide übereinstimmen, nur einen Text geben und nur, wo die Re-
censionen von einander abweichen, beide in Columnendruck neben einander
bringen. Die Novellen und andere Stücke, welche keiner der beiden Re-
censionen angehören, aber in den Vulgathss. stehen, giebt die Ausgabe
als Zusätze da, wo die besten Hss. sie enthalten. Bestand, Zählung und
Anoi'dnung der beiden Recensionen kommt dabei deutlich zum Ausdruck ;
doch wird zur Erleichterung des Citierens am Rande eine einheitliche
Zählung durchgeführt. Nach diesen Citierzahlen führe ich die Stücke hier
an, füge aber, wo das wünschenswerth scheint, in Klammern die ab-
weichenden Nummern der Reccessvindiana mit R., oder der Walterschen
Ausgabe mit W. hinzu. 2) In der Rubrik 'Ausgabe' stehen die Citier-
zahlen der neuen Ausgabe. Die Uebersichtstafel giebt zugleich den Plan
der Ausgabe.
42
Karl Zeumer.
Ausgabe.
II, 1, 8-29.
II, 1, 30.
11,1,31.32.33.
II, 2, 1-4.
n, 2, 5-9.
II, 2, 10.
11,3.
II, 4, 1-6.
11, 4, 7.
II, 4, 8.
n, 4, 9-13.
n, 4, 14.
II, 5, 1.
II, 5, 2.
II, 5, 3.
n, 5, 4-9.
n, 5. 10.
II, 5, 11—17.
n, 5, 18.
II, 5, 19.
in, 1-4.
in, 5, 1-3.
in, 5, 4.
ni, 5, 5.
III, 5, 6.
III, 5, 7.
m, 6.
IV, 1.
IV, 2, 1-12.
IV, 2, 13.
IV, 2, 13*.
IV, 2, 14-16.
IV, 2, 17.
IV, 2, 18-20.
IV, 3. 4.
IV, 5, 1-5.
IV, 5, 6. 7.
V, 1, 1-4.
V, 1, 5.
V, 2-6.
Reccessvind. I Ervigiana.
II, 1, 6—27. ! II, 1, 6-27.
11,1,28: Quia.
n, 1, 28: Sa-
cerdotes.
11,1,29.30.31. 1 11,1,29.30.31.
II, 2, 1-4. n, 2, 1-4.
II, 5—9. I II, 2, 5-9.
Xov. Si cepta.
II, 3. I II, 3.
n, 4, 1-6. 11,4,1—6.
- ! n, 4, 7.
Nov. Divalis.
II, 4, 7-11. I II, 4, 8—12.
(Ant. '?) Si quis animam.
II, 5, 1. I n, 5, 1.
II, 5, 2. I II, 5, 2.
Xov. Quarumlibet.
II, 5, 3—8. i II, 5, 3—8.
(Recc. ?) Plene discretionis.
II, 5, 9-15. I II, 5, 9—15.
Nov. Cum sive.
Nov. Plerumque.
III, 1—4. I in, 1—4.
m, 5, 1-3. I III, 5, 1-3.
Nov. Solet.
III, 5, 4. III, 5, 4.
Nov. Orthodoxe.
III, 5, 5.
m, 6.
IV, 1.
IV, 2, 1—12.
IV, 2, 13.
Nov.Wambani
ad IV, 2, 13:
In lege.
IV, 2, 14-16.
IV, 2, 17.
IV, 2, 18—20.
IV, 3. 4.
IV, 5, 1-5.
III, 5, 5.
ni, 6.
IV, 1.
IV, 2, 1—12.
IV, 2, 13.
IV, 2, 14-16.
IV, 2, 17—19.
IV, 3. 4.
IV, 5, 1-5.
IV, 5, 6. 7.
V, 1, 1-4.
V, 1, 1-4
Nov. Quamquam.
V, 2—6. I V, 2—6.
Ed. Madrid.
II, 1, 6-27.
n, 1, 28 n.
II, 1, 28.
11,1,29.30.31.
11,2,1-4.
II, 2, 6—10.
II, 2, 5.
11,3.
11,4,1-6.
n, 4, 7.
II, 4,7 n. (2).
n, 4, 8—12.
11,4, 7 n. (1).
II, 5, 1.
II, 5, 3.
II, 5, 2.
n, 5, 4—9.
II, 5, 10 n.
II, 5, 10—16.
II, 5, 17.
n,l,6n.4(2).
m, 1-4.
III, 5, 1—3.
III, 5, 4.
III, 5, 5.
III, 5, 6.
ni, 5, 7.
III, 6.
IV, 1.
IV, 2, 1—12.
IV, 2, 13.
IV, 2, 13 n.
IV, 2, 14-16.
IV, 2, 17.
IV, 2, 18-20.
IV, 3. 4.
IV, 5, 1—5.
V, 1, 6. 7.
V, 1, 1-4.
V, 1, 5.
V, 2-6.
Ed. Walter.
II, 1, 7-28.
II, 1, 29.
II, 1, 30.
11,1.31.32.33.
II, 2, 1-4.
II, 2, 5—9.
II, 2, 10.
11,3.
II, 4, 1-6.
n, 4, 7.
Suppl.p.664(2)
II, 4, 8—12.
Suppl.p.664(l)
n, 5, 1.
n, 5, 2.
n, 5, 3.
II, 5, 4-9.
II, 5, 11-17.
II, 5, 11—17.
II, 5, 18.
II, 5, 19.
III, 1-4.
m, 5, 1—3.
III, 5, 4.
III, 5, 5.
III, 5, 7.
III, 5, 6.
III, 6.
IV, 1.
IV, 2, 1—12.
IV, 2, 13.
Suppl. p. 6G5.
IV, 2, 14—16.
IV, 2, 17.
IV, 2, 18—20.
IV, 3. 4.
IV, 5, 1-5.
V, 1, 6. 7.
V, 1, 1-4.
V, 1, 5.
V, 2—6.
Geschichte der westgoth. Gesetzgebung, II.
43
Ausgabe.
V, 7, 1-18.
Y, 7, 19.
V, 7, 20.
VI, 1, 1. 2.
VI, 1, 3.
VI, 1, 4—8.
VI. 2, 1.
VI, 2, 2.
VI, 2, 3-5.
VI, 3. 4.
VI, 5, 1-12.
VI, 5, 13.
VI, 5, 13*.
VI, 5, 14—20.
VII, 1-4.
VII, 5, 1-8.
VII, 5, 9.
VII, 6.
VIII.
IX, 1, 1-7.
IX, 1, 8.
IX, 1, 9—14.
TX, 1, 15.
IX, 1, 16-19.
IX, 1, 20.
IX, 2, 1-7.
IX, 2, 8. 9.
X,l.
X, 2, 1—4.
X, 2, 5.
X, 2, 6. 7.
X, 3.
XI.
xn, 1, 1. 2.
XII, 1, 3.
XII, 2, 1—10.
XII, 2, 11.
XII, 2, 12.
Reccessvind. Ervigiana.
V, 7, 1-18. I V, 7, 1-18.
Nov. Tunc recte.
Nov. Sepe audivimus.
IV, 1, 1. 2. I IV, 1, 1. 2.
Nov. Multos.
VI, 1, 3-7.
VI, 2, 1.
VI, 1, 8-7.
VI, 2, 3.
VI, 2, 2.
VI, 2, 3—5.
VI, 3. 4.
VI, 5, 1-12.
VI, 2, 2-4.
VI, 3. 4.
VI, 5, 1—12.
VI, 5, 13. I -
Nov. Precedentium.
VI, 5, 14-20. 1 VI, 5, 13-19.
VII, 1-4. VII, 1-4.
Vn, 5, 1-8. j VII, 5, 1-8.
Nov. Quorundam.
VII, 6.
vin.
IX, 1, 1-7.
IX, 1, 8: Ad
cuius domum
fugerit.
IX, 1, 9—14.
VII, 6.
vin.
IX, 1, 1—7.
IX, 1, 8: Ad
cuius domum
transiens.
IX, 1, 9—14.
— 1 IX, 1, 15.
IX, 1, 15—18. I IX, 1, 16—19.
Nov. Priscarum.
IX, 2, 1—7. I IX, 2, 1-7.
IX, 2, 8. 9.
X,l.
X, 2, 1-4.
X,l.
X, 2, 1-4.
Nov. Abrogata.
X, 2, 5. 6.
X, 3.
XI.
XII, 1, 1. 2.
X, 2, 5. 6.
X, 3.
XI.
XII, 1, 1. 2.
Nov. Eximia.
XII, 2, 1-60.
xn, 2, 11.
XII, 2, 12.
xn, 2,1— 10.
XII, 2, 11.
XII, 2, 12.
Ed. Madrid.
V, 7, 1-18.
V, 7, 19.
V, 7, 20.
VI, 1, 1. 2.
II, 1, 32.
VI, 1, 3-7.
VI, 2, 1.
VI, 2,3 n.
VI, 2, 2-4.
VI, 3. 4.
VI, 5, 1-12.
VI, 5, 13.
VI, 5, 13 n.
VI, 5, 15-20.
VII, 1-4.
VII, 5, 1—8.
VII, 5, 9.
vn, 6.
Vin.
IX, 1, 1-7.
IX, 1, 9.
IX, 1, 8.
IX, 1, 10—15.
IX, 1, 16.
IX, 1, 17-20.
IX, 1, 21.
IX, 2, 1-7.
IX, 2, 8. 9.
X,l.
X, 2, 1—4.
X, 2, 7.
X, 2, 5. 6.
X, 3.
XI.
XII, 1, 1. 2.
xn, 2, 3n.
XII,2, 1— 10.
XII, 2, 12.
XII, 2, 11.
Ed. Walter.
V, 7, 1-18'.
V, 7, 20.
V, 7, 21.
VI, 1, 1. 2.
VI, 1, 3.
VI, 1, 4-8.
VI, 2, 1.
VI, 2, 5.
VI, 2, 2-4.
VI, 3. 4.
VI, 5, 1-12.
}VI, 5, 13.
VI, 5, 14-20.
VII, 1-4.
VII, 5, 1-8.
VII, 5, 9.
VII, 6.
Vin.
IX, 1, 1—7.
IX, 1, 8.
IX, 1, 9.
IX, 1, 1-15.
IX, 1, 16.
IX, 1, 17—20.
IX, 1, 21.
IX, 2, 1-7.
IX, 2, 8. 9.
X,l.
X, 2, 1-4.
X, 2. 7.
X, 2, 5. 6.
X, 3.
XI.
XII, 1, 1. 2.
Suppl. p. 666.
XII, 2, 1-10.
XII, 2, 12.
XII, 2, 11.
1) Walter V, 7, 19 = n, 1, 7.
44
Karl Zeumer.
Ausgabe.
XII, 2, 13-15.
Xll, 2, 16.
XII, 2, 18.
X,3.
Reccessvind.
XII, 2, 13- 15.
XII, 2, 16.
Ervigiana.
XII, 2, 13-15.
XII, 2, 17.
Nov. Cum sacris.
- I XII, 3.
Ed. Madrid.
XII, 2, 13-15.
Xn, 2, 17.
XII, 2, 18.
XII. 3.
Ed. Walter.
XII, 2, 13-15.
XII, 2, 17.
xn, 2, 18.
XU, 3.
Das inhaltlose erste Buch, welches seit ßeccessvind
nur einzelne willkürliche Veränderungen durch Abschreiben
erlitten hat und zu Aenderungen durch die Gesetzgeber auch
keinen Anlass bot, lassen wir hier gänzlich bei Seite.
Das zweite Buch.
II, 1, 1 [W. II, 1, 1]. — Dieses bereits im allgemeinen
Theile (N. A. XXIII, S. 496 f. 513) erörtete Publications-
edict der Ervigiana enthält in der grossen Mehrzahl der
Vulgathandschriften gegen Ende einen Satz über die feier-
liche Publication des Gesetzbuches in Gegenwart der vor
dem Throne versammelten geistlichen und weltlichen Grossen,
welcher in beiden Hss. der Ervigiana fehlt. Er lautet :
'ut, sicut sublime in trono serenitatis nostre celsitudine
residente, videntibus cunctis sacerdotibus Dei senioribusque
palatii atque gardingis, earum manifestatio claruit, ita
earnndem celebritas vel reverentia in cunctis regni nostri
provinciis debeat observari'. Der Satz lehnt sich an eine
Stelle der Lex Quoniam II, 1, 6 |E. II, 1, 5] an: 'legibus,
quas nostri culminis fastigium iudiciali presidens trono
coram universis Dei sanctis sacerdotibus cunctisque offi-
ciis palatinis . . . edidit', Da auch sonst Ervigs Publica-
tionsedict dem Eeccessvinds nachgebildet ist und sich zum
Theil Avörtlich an dasselbe anlehnt, und da ferner der in
unserm Zusätze vorkommende Ausdruck 'gardingi' für die
Palatinen gerade nur unter Ervig (s. Ervigs Gesetz IX, 2, 9
und Conc. Tolet. XIII. 2) und seinem Vorgänger Wamba
(Lex Vis. IX, 2, 8 und Julian von Toledo, SS. rer. Gall.
II, 708. 718) nachweisbar ist^, so müssen wir mit der Mög-
lichkeit rechnen, dass dieser Zusatz der ursprünglichen Re-
daction des Gesetzes angehört haben kann.
Nach der Lage der Ueberlieferung ist allerdings die
spätere Hinzufügung wahrscheinlicher. Dass es sich um
einen Zusatz Egicas handelt, ist nach dem, was wir über
1) Die vandalischen 'gardingi', die nach den älteren Ausgaben bei
Victor Tunn. a. 534 genannt wurden, fallen jetzt fort, nachdem sie sich in
Mommsens Ausgabe als 'Asdingi' entpuppt haben; s. Chronica minora 11,
p. 198.
Gesch. d. westgoth. Gesetzgeb. II. — L.Vis. 11,1,6 — 9: 5, 19. 45
dessen gesetzgeberisclie Thätigkeit wissen (s. X. A. XXIII,
S. 505 ff.) nicht anzunehmen.
II. 1. 6 — 9. II. 5. 19. — Diese unter einander ini Zu-
sammenhange stehenden Gesetze beschäftigen sich mit den
Rechten des gothischen Köuigthums und seiner Sicherung,
sowie der des Gothenstaates überhaupt.
II, 1, 8 rührt von Chindasrind her und ist von Ervig
verändert; II. 1, 6 und 9 sind von E^ccessvind. während
II. 1. 7 und II. 5. 19 Novellen Egicas sind. Alle diese Ge-
setze stehen mit den Zeitereignissen und z. Th. mit der
Gesetzgebung der Concilien im engsten Zusammenhange.
II. 1. 6 R. II, 1, 5 trägt die Ueberschrift: "De prin-
cipum cupiditate damnata eorumque initiis ordinandis et qua-
liter conficiende sunt scripture in nomine principum facte .
Die Ueberschrift erschöpft den Inhalt nicht. Zunächst
freilich eifert der Gesetzgeber gegen die Habsucht der
Fürsten und erklärt alle Erpressungen, auch wenn sie sich
in den Schein freiwilliger Gewährungen hüllen, für un-
gültig. Erwerbungen der Könige von ihren Unterthanen
sollen aber — und das ist offenbar die Hauptsache —
Gültigkeit haben, wenn gewisse Xormen bei der Ausstellung
von Urkunden über Rechtsgeschäfte zu Gunsten des Königs
oder bei der Verlautbarung solcher Rechtsgeschäfte vor
Zeugen beobachtet werden.
Xachdem so festgestellt ist, wie der König erwerben
kann, wird von dem Erworbenen gehandelt, die Frage er-
örtert, was von dem Erworbenen den Privaterben. was dem
Nachfolger am Reich zufallen solle. Man hat dieses Ge-
setz wohl so aufgefasst. als ob hier zuerst eine rechtliche
Scheidung des Privatguts des Königs von dem Königsgute
oder Krongute vorgenommen sei. Eine solche Trennung
muss aber nothweudig schon früher bestanden haben. Dass
der alte Köni^sschatz . die Staatsdomänen, die Königs-
paläste, die "servi fiscales' dem Reichsnachfolger und nicht
den Privaterben des Königs zufielen, versteht sich von
selbst; die Frage war nur. wie weit das von dem einzelnen
Könige zugebrachte und erworbene dem Privatgut ange-
hören und also auf die Privat erben übergehen, und wie
weit es mit dem Krongut dem Nachfolger auf dem Königs-
throne zufallen sollte. - Es wurde bestimmt, dass alles,
was der König als solcher ("pro regni apice) seit seiner
Thronbesteigung erwerbe, nicht den Privaterben zufallen,
sondern auf den Nachfolger übergehen sollte, fi-eilich mit
der bedeutsamen Einschränkung: soweit der König dieses
46 Karl Zeumer.
Gut bei seinem Tode hinterlasse ohne darüber verfügt zu
haben ('quae inordinata reliqvierit'). Ausserdem wird noch
eine nachher zu erörternde Bestimmung- hinzugefügt, welche
die Geltung dieser Regel auch auf die Erwerbungen der
nächsten Vorgänger Reccessvinds ausdehnt ^.
Diese Bestimmungen über die Regulierung des könig-
lichen Nachlasses werden besonders geschützt durch die
Anordnung, dass jeder neue König vor seiner Thronbestei-
gung dieses Gesetz beschwören soll. Im Anschluss hieran
wird dann weiter noch bestimmt, dass jeder, der durch
Volksaufstand oder Verschwörung auf den Thron gelangt,
mit allen seinen Helfern dem Kirchenbann verfallen soll.
Entstanden ist dieses Gesetz aus Anlass eines Vor-
schlages des VIII. Concils von Toledo, mit welchem dieses
vielleicht in Folge einer im Tomus vom Könige gegebenen
Anregung - in einem an den König gerichteten Schreiben
hervortrat, welches die Bezeichnung führt : 'Decretum (oder
auch 'Decretum iudicii universalis) in nomine regis editum' ^.
Die vom König hierauf erlassene Lex hat dann dem
Concil vorgelegen, ist von der Versammlung in can. 10 und
im Schlusscapitel (can. 13) zugleich mit jenem Decret be-
stätigt und in die Concilsacten aufgenommen. Das Gesetz
ist uns denn auch thatsächlich in wörtlich gleicher Fassung
wie in Reccessvinds Gesetzbuche als Anhang der Acten
des VIII. Concils von Toledo neben dem Decret überliefert.
1) In Bezug auf die dem Könige an dem Krongute zustehenden
Befugnisse werden wir annehmen dürfen, dass dieselben dem ganzen
Krongute gegenüber dieselben waren wie gegenüber dem aus der eigenen
Errungenschaft des Königs und der seiner nächsten Vorgänger stam-
menden Theile des Kronguts. Der König hatte nicht nur die Nutzung,
sondern ein anscheinend unbeschränktes Verfügungsrecht über die Sub-
stanz. Nur was er als 'inordinata' hinterliess kam dem Nachfolger zu.
Der König steht dem Krongut gegenüber also noch weit freier da als
der Fiduciar gegenüber dem 'fideicommissum superfuturi'. — Die Schei-
dung zwischen königlichem Privatgut und Krongut ergab sich mit Noth-
wendigkeit aus dem Wechsel der Greschlechter auf dem Throne. Dass
aber auf die Regelung dieses Verhältnisses im Einzelnen die Behandlung
des Privatguts des Bischofs im Verhältnis zum Kirchengut, wie sie für
die westgothische Kirche das Concil von Agde, Concil. Agathense c. 6. 7.
48, geordnet hatte, nicht ohne Einfluss gewesen sein wird, ist Dahn VI'-,
S, 250 zuzugeben. Nur darf man sich dafür nicht auf can. 4 des späteren
Conc. Tolet. IX berufen, welcher vielmehr unserm Gesetze nachgebildet
ist. 2) Siehe S. 47. 3) Dieses 'in nomine regis' bedeutet nicht,
wie Dahn, Könige VI", S. 455 in Bezug auf diese Bezeichnung meint
'im Namen des Königs', wie wir das jetzt verstehen, sondern 'an den
König gerichtet'. Mit 'in nomine alicuius' wird in der Lex Visigothorum
stets der Destinatar eines Schriftstückes bezeichnet. Siehe die zahlreichen
Belege in dem Index rerum et verb. der Handausgabe.
Gesch. d. westgoth. Gesetzgeb. II. — L.Vis.II,l,6 — 9; 5,19. H
Die auf die Bestätigung der Lex durch das Concil
bezüglichen Stellen sind folgende. Can. 10: 'molestis ac-
tibus . . . satis, ut opinamur, et lege gloriosi principis et
decreto sanctae synodi huius contradictum esse couspexi-
mus. — ita . . . praefatae legis erit auctoritas valitura, ut
et perenniter maneat inconyulsa. — cui etiam legi vel de-
creto episcopali non solum in futuro, sed etiam in prae-
senti reverentiam apponentes decernimus , ut quicumque
detractor et non potius renerator decreti eiusdem atque
legis esse maluerit. sive religiosus ille sit sive laicus. non
solum ecclesiastica excommunicatione plectatur verum et
sui ordinis dignitate privetur ^.
In can. 13 heisst es dann, nachdem zunächst das De-
cretum bestätigt ist: 'Legem denique, quam pro coercenda
principum horrenda cujjiditate idem clementissimus edidit
princeps (Reccessvind). simili robore firmamus, atque ut in
futuris retro temporibus modis omnibus observetur pari
sententia definimus. Quae etiam, ne taciturna temporum vel
obliviosa vetustate depereant, huic nostrae constitutioni
utraque decrevimus innectenda. ita cunctorum memoriae
commendanda, ut a cunctis regulis superius ordinatis nus-
quam maneant segregata'.
Diese Stellen zeigen deutlich, dass Reccessvinds Ge-
setz dem Concil vorgelegen hat und neben dem Decret die
Grundlage für die einschlägigen Bestimmungen des Concils
bildet. Das Decret aber hat bei der Abfassung der Lex
vorgelegen und hat sie überhaupt erst veranlasst. In dem
Tomus, welchen der König bei Eröffnung des Concils am
16. December 652 der Versammlung überreichte, und in der
bei dieser Gelegenheit gehaltenen Rede des Königs wird
auf diese Angelegenheit mit keinem Worte hingedeutet.
Der König fordert aber im Tomus das Concil auf, vor-
behaltlich seiner Genehmigung Verbesserungen der welt-
lichen Gesetze vorzunehmen : 'in legum sententiis, quae aut
depravata consistunt aut ex superfluo vel indebito coniecta
videntur, nostrae serenitatis accommodante consensu, haec
sola, quae ad sinceram iustitiam et negotiorum sufficien-
tiam conveniunt, ordinatis'. Am 2. Tage des Concils, wenn
1) In der lex lautet die entsprechende Stelle: 'Nam et si quis legis
huius seriem ex officio palatino malivole detrahendo lacerare voluerit aut
evacuandam quandoque. vel silenter musitans vel aperte resultans, pro-
loqui detectus extiterit, cunctis palatine dignitatis et consortiis et officiis
mox nudatus, oniniuni rerum suaruni dimidiam partem amittat et in de-
putato sibi loco redactus a totius palatü maneat societate seclusus. ReU-
giosus etiam, qui se in eadem culpam devolverit, simili rerum proprietatis
sue dispendio subiacebit.
48 ■ Karl Zeumer.
die an sich nicht unwahrscheinliche Datierung, welche
Mansi, Conc. ampl. coli. X, 1223, giebt, Glauben verdient,
also am 17. December, erging dann wohl in Folge jener
Aufforderung das Beeret an den König. Dem Decrete folgte
die Vorlage des königlichen Gesetzes ^.
Das Decret ist am besten zu charakterisieren als An-
trag. Die Formel, mit welcher nach einer phrasenreichen
Einleitung der Beschluss des Concils, welcher den Inhalt
des Schriftstücks bildet, eingeführt wird, lautet: 'Adeo cum
omni Palatino officio simulque cum maiorum minorumque
conventu nos omnes tam pontifices, quam etiam sacerdotes
et universi sacris ordinibus famulantes concordi definitione
decernimus et optamus, ut . . .' Damit stimmt auch die
Abwesenheit aller Strafandrohungen, die in einer kirch-
lichen Satzung nicht fehlen würden. Nach der Ueber-
schrift und der ihr entsprechenden Bezeichnung des De-
crets im Schluss des Concils (13): 'decreti nostri seriem
quam in Serenissimi domini nostri ßecesvinthi regis edi-
dimus', ist das Schrifstück an den König gerichtet. Es
ist in einem ziemlich hochfahrenden Tone gehalten, weit
entfernt von dem einer Bittschrift. Der gegenwärtige
König wird mit einer gewissen Anerkennung seines guten
Willens behandelt wie einer, von dem man die Erfüllung
der Forderungen ziemlich sicher erwartet. Desto übler
aber ist das Concil auf seine Vorgänger zu sprechen. Harte
Zeiten seien gewesen; jetzt müsse wieder das Recht an
Stelle der Willkür treten. Gewisse Könige hätten die
Königswürde benutzt das Volk auszupressen und dann das
so erlangte Gut nicht für die Ehre und den E-uhm des
Reiches angewandt, sondern wie Privateigentum ihren
Kindern zugewandt. Namentlich wird hervorgehoben, dass
die Könige durch Confiscationen in Folge von Verurthei-
lungen sich bereichert hätten, und dabei lässt das Concil
durchblicken, in welcher Weise die confiscierten Güter
hätten verwandt werden sollen. Es wird der Vorwurf er-
hoben, sie seien 'prorsus exinanita et nee fisci usibus com-
moda nee palatinis officiis ... in remedium salutare col-
lata' ; also weder für den Nutzen des Fiscus noch — und
das ist der Kern der Sache — zur Dotierung- der Palast-
1) Eine ganz genaue Datierung des Gesetzes ist nicht möglich, da
die Dauer des Concils nicht bekannt ist. Wahrscheinlich dauerte es
1—2 Wochen. Das XII. Concil von Toledo (681) dauerte 16 Tage, das
XIII. (683) dauerte 10 und das XVI. (693) 8 Tage. Sicher nach dem
16., wahrscheinlich nach dem 17. Dec. 652 und wohl nur wenige Tage
später ist das Gesetz anzusetzen.
Gesch. d. westgoth. üesetzgeb. II. — L. Vis. II, 1, 6 — 9 ; 5, 19. 49
Aeuiter seien jene Güter verwendet. Ganz wie die Lehn-
träger der späteren Lehnstaaten in ihrem Interesse ver-
langen, dass die Könige heimgefallene Lehen nicht be-
halten, sondern wieder verleihen, so verlangen hier die
Grossen, dass die Güter eines gestürzten Genossen einem
der Ihrigen gegeben werden. Sie behaupten, das Volk habe
grossen Schaden dadurch erlitten, dass nicht nur die Ver-
urtheilten beseitigt, vertilgt seien, sondern auch mit ihren
Gütern kein Anderer an ihrer Stelle bereichert sei: 'Cum
et adiudicatos sententia iudiciorum elisit et eorum bonis
ad ipsorum vicem munificatus nemo surrexit'. So sei allein
der fürstliche Bauch — wie mit Anspielung auf die alte
Parabel gesagt wird — gefüllt, während alle Glieder des
Volkes entkräftet seien.
Während in diesen einleitenden Phrasen nun stets
von früheren Königen in der Mehrzahl die Eede ist, zeigt
sich bei der Formulierung des Antrages, dass in Wirklich-
keit nur einer gemeint war, nämlich Peccessvinds Vater
Chindasvind.
Das Concil beantragt, dass alles von König Chindas-
vind seit seinem Regierungsantritt erworbene Gut in die
Gewalt des regierenden Königs übergehen soll, aber nicht
zu erblichem ßecht, sondern nur kraft der königlichen
Gewalt, damit jeder was ihm gehöre zurückerhalte und
über das Uebrige der Wille des Königs nach Gutdünken
zu Gunsten der Unterthanen verfüge : 'ut omnis conquisi-
tionis profligatio . . . quae a gloriosae memoriae Chindas-
vintho rege a die, quo in regnum dinoscitur conscendisse,
repertus ^ quolibet modo extiterit augmentasse, omnia in
Serenissimi atque clementissimi domini nostri P. principis
perenni transeant potestate et perpetuo deputentur in iure,
non habenda parentali successioue, sed possidenda regali
congressione, ita ut iuste sibi debita quisque percipiat et
de reliquis ad remedia subiectorum quaecumque elegerit
principis voluntas exerceat'. Die Forderung ist zumal in
Verbindung mit dem vorher Gesagten deutlich : Was Chin-
dasvind als König erworben hat, sollen nicht dessen Privat-
erben erhalten, sondern Reccessvind soll das, was in un-
rechtmässiger Weise erworben ist, zurückerstatten, über den
Rest zu Gunsten der Würdenträger des Palastes verfügen.
Nur was Chindasvind vor der Thronbesteigung als Erbgut
besessen oder rechtmässig erworben hat, soll dem privaten
1) Der Satz ist nicht richtig zu Ende geführt, oder falsch über-
liefert. Mansi hat am Rande 'reperta in' für 'repertus'.
Neues Archiv etc. XXIV.
50 Karl Zeumer.
Erbrecht unterliegen, so dass davon dasjenige, worüber
Chindasvind rechtmässig- zu Gunsten seiner Söhne oder
anderer Personen verfügt hat, diesen verbleiben, das übrige
Reccessvind und seinen Brüdern zu gleichen Theilen zu-
fallen soll ; wie der Text nach der vorher angeführten
Stelle weiter lautet: 'illis tantumdem exceptis, quae memo-
ratus d. m. Ch. princeps ante regnum aut ex propriis aut
ex iustissime conquisitis visus est habuisse, in quibus
cunctis filiis eius una cum glorioso domino nostro R. rege
permaneat et divisio libera et possessio pace plenissima;
sed et illae res, quas praedictus princeps de iustis proven-
tibus filiis suis seu quibuslibet iustissime visus est contu-
lisse vel reliquisse , omnes in eorum iure maneant in-
convulse'.
Es ist nun sehr merkwürdig zu sehen, wie Reccessvind
auf diese Vorschläge in der Lex scheinbar eingeht, sie aber
thatsächlich umwandelt, ja zum Theil in ihr Gegentheil
verkehrt. Die Durchführung der Vorschläge des Decrets
hätte ihm ausschliesslich Beschränkungen auferlegt. Sein
Erbrecht wie das seiner Brüder wäre beschränkt auf das,
was Chindasvind vor der Thronbesteigung besessen hatte,
und wenn ihm als König alles, was Chindasvind später
erworben, auch noch so ausdrücklich zu 'dauernder Gewalt
und bleibendem Recht' zugesprochen war, und er auf Grund
dieses Titels wohl manche Revindicationen solchen Gutes
hätte vornehmen können, so war das doch bedeutungslos
gegenüber der Beschränkung in der Verwendung dieser
Güter. Die auf Anregung des Decrets erlassene Lex schuf
dagegen einen Rechtszustand, der für den König aus-
schliesslich vortheilhaft war.
Zunächst beschränkte Reccessvind das Krongut, auf
welches er als regierender König Anspruch hatte, nicht
auf das seit Regierungsantritt seines Vaters erworbene
Gut, auf welches er — freilich mit seinen Brüdern — schon
nach der bisher herrschenden privatrechtlichen Anschauung
Anspruch hatte, sondern dehnte es aus auf alles von den
Zeiten Svintilas an erworbene.
Hierdurch wurde als Krongut zum Theil wohl, was
Svintila selbst, jedenfalls alleSj was Sisenand, Chintila und
Tulga als Könige erworben hatten, anerkannt. Durch diese
Ausdehnung auf die Erwerbungen vor Chindasvind im
Gegensatze zum Decret zeigt sich, dass Reccessvind die
Anschuldigung der 'damnata cupiditas principum' und der
'inmoderatior aviditas principum', welche er anscheinend
in Uebereinstimmung mit dem Decret erhebt, nicht wie
Gesch. d. westgoth. Gesetzgeb. II. — L. Vis. II, 1, 6 — 9; 5, 19. 51
das Concil geg-en seinen Vater Chindasvind, sondern viel-
mehr gegen dessen Vorgänger richtet. Diese Ausdehnung
gab dem Könige Anlass zu Revindicationen gegenüber den
Privaterben der früheren Könige ; und dass das der Zweck
dieser Ausdehnung ist, zeigt die Begrenzung auf die Zeit
Svintilas. Der Kegierungsantritt dieses Königs lag 32 Jahre
zurück. Ueber seine Eegierungszeit mit Revindicationen
hinauszugehen gestattete die Geltung der 'praescriptio tri-
cennalis' nicht. Ist diese auch erst durch ein Gesetz Rec-
cessvinds selbst, L. Vis. X, 2, 4, von dem nicht anzu-
nehmen ist, dass es bereits damals vorhanden war, für An-
sprüche des Fiscus ausdrücklich anerkannt, so galt sie
doch, wie schon Ghindasvinds Gesetz 'De interruptione
tricennii' X, 2, 6 [R. X, 2, 5] zeigt, allgemein. Man war so
daran gewöhnt ihre Geltung vorauszusetzen, dass Reccessvind
in der Einleitung sagen konnte, sie sei so eingewurzelt,
dass sie nicht von Menschen eingerichtet, sondern aus der
Natur der Sache hervorgegangen zu sein scheine ('ut non
iam quasi ex institutione humana, sed veluti ex ipsarum
rerum videatur processisse natura').
Es sollte nicht alles von Svintila und seinen Nach-
folgern erworbene Gut deren Privaterben abgefordert
werden können, sondern nur das, worüber jene nicht bei
ihren Lebzeiten verfügt hatten: 'quaecunque forsitan prin-
ceps inordinata reliquit seu reliquerit'. Reccessvind wagte
wohl einerseits nicht, die rechtsgültigen Verfügungen seiner
Vorgänger anzutasten, und wollte andererseits sich selbst
das freie Verfügungsrecht über das Krongut sichern. Es
ist ja wohl anzunehmen, dass jene früheren Könige im
Vertrauen auf den bis dahin herrschenden Brauch, nach
welchem die Privaterben sich der gesammten Errungen-
schaft des verstorbenen Königs bemächtigten, wesentliche
Theile ihres Erworbenen ohne besondere Verfügung hinter-
lassen hatten. Diese Güter, soweit sie von den Privaterben
in Besitz genommen waren, konnte Reccessvind nunmehr
revindicieren, während er selbst durch Vergabungen sein
Erworbenes in beliebigem Umfange der Krone entziehen
und seinen Privaterben zuwenden konnte.
Darin aber liegt neben der Ausdehnung auf das seit
Svintila erworbene königliche Gut der weitere grosse Unter-
schied zwischen dem aus diesen Bestandtheilen gebildeten
Krongut, wie es das Decret wollte, und dem, welches die
Lex zugestand, dass letztere dem regierenden Könige in
der Verwendung dieses Gutes keinerlei Beschränkung auf-
erlegte: der successor regni erhält alles, was die Vor-
4*
52 Karl Zeumer.
ganger als Könige erworben und ohne darüber zu verfügen
hinterlassen haben, zu völlig freier Verfügung : 'ita habita
potestate, ut quidquid ex his elegerit facere, liberum ha-
beat velle'.
Dieselbe freie Verfügung wird auch dem Könige ge-
sichert für dasjenige Gut, welches er selbst als König
rechtmässig erworben hat. Indem das Gesetz durch Zwang
erpresste, wenn auch der Form nach freiwillig zugestandene
Erwerbungen für ungültig erklärt, sichert es zugleich recht-
mässige Erwerbungen des Königs vor Rückforderung unter
dem Vorwande der Erpressung. Diese Materie ordnet das
Gesetz ganz unabhängig von der kirchlichen Vorlage.
Am engsten schliesst es sich an diese an in Bezug
auf die Abgrenzung des königlichen Privateigenthums. Es
wiederholt jenen Satz der Vorlage, nach welchem das vor
dem Regierungsantritt erworbene Gut den Privaterben zu-
stehen solle, fast wörtlich ^. Indem der König aber auch
hier die im Decret aufgestellte Beschränkung auf Chinda-
svind fallen lässt und die Regel ganz allgemein fasst, sichert
er auch dem von ihm selbst vor der Thronbesteigung er-
worbenen Gute die freie Verfügbarkeit und Vererbbarkeit.
Er erweitert aber dieses königliche Privatvermögen, indem
er es nicht auf das vor der Thronbesteigung Erworbene be-
schränkt, sondern ihm auch dasjenige zuweist, was der
König später durch Erbgang oder Vertrag von seinen Ver-
wandten erwirbt. Diese durchaus sachgemässe und noth-
wendige Erweiterung zeigt wieder, wie selbständig der
König den einseitigen Bestrebungen des Concils, wie sie
in dem Decret zum Ausdruck kamen, gegenüberstand.
Dass der König übrigens nicht durchweg neue Grund-
sätze hier zur Anwendung brachte, sondern im wesentlichen
den bereits geltenden Rechtsanschauungen folgte, darauf
deuten die Bestimmungen des V. und VI. Toletanischen
Concils über den Schutz der Nachkommen des Königs ^.
1) Decretum: quae . . . princeps ante regnum aut ex proprüs
aut ex iustissirae conquisitis visus est habuisse; Lex: de illis rebus, quas
. . . princeps ante regnum aut ex proprio aut ex iustissime conquisito di-
noscitur abuisse. 2) König Chintila, der sich und sein Haus wohl vor
dem Schicksal Svintilas schützen wollte, erwirkte zunächst vom V. Concil
(von 636) einen Beschluss, der seinen Nachkommen Schutz und nament-
lich die Erhaltung ihres Vermögens zusicherte, can. 2 : 'ne rebus iuste
provisis aut etiam parentum digna provisione procuratis vel iuris proprie-
tate iniuste fraudentur'. Entsprechend, nur mit einer Erweiterung, be-
stimmte dann 2 Jahre später das VI. Concil in can. 16 in Bezug auf die
Nachkommen des Königs : 'ne de rebus iuste profligatis aut parentum
dignitate procuratis vel largitate principis aut alicuius impensis aut etiam
Gesch. d, westgoth. Gesetzgeb. II. — L. Vis. II, 1, 6 — 9 ; 5, 19. 53
Darüber, dass das königliche Gesetz den im Decret
gestellten Anforderungen des Concils keineswegs entsprach,
konnte die Versammlung auch durch die Phraseologie des
Gesetzes, welches in seiner scharfen Verurtheilung der Hab-
sucht der Könige so sehr mit dem Decret übereinzustimmen
schien, nicht hinweggetäuscht werden. Immerhin enthielt
das Gesetz eine gewisse Sicherung gegen Uebergriffe der
Privaterben des Königs und ebenso eine Sicherung gegen
Erpressungen. Der herrschenden Unsicherheit gegenüber
mochte daher das Concil in dem Gesetze einen Fortschritt
zum Besseren erkennen, den es nicht zurückweisen wollte
oder konnte. Es bestätigte, wie wir sahen, das Gesetz und
Hess es den Concilsacten anfügen. Um aber, so müssen
wir annehmen, die weitergehenden Wünsche, die der König
nicht berücksichtigt hatte, neben dem Gesetze zur Geltung
zu bringen, wurde auch das Decret vom Concil bestätigt
und wie die Lex mit den Acten verbunden. Man über-
liess es zukünftigen Benutzern, aus den widerstreitenden
Bestimmungen der beiden Documente das dem Zweck Ge-
mässe auszuwählen.
Wie sich das Concil zu dem Inhalte der Lex stellte,
das geht auch deutlich hervor aus dem Canon 10, in
welchem Decret und Lex bestätigt und angeblich der an-
scheinend ganz übereinstimmende Inhalt beider Stücke zu-
sammengefasst wird. Von den einander widersprechenden
Bestimmungen beider Stücke, wird keine angeführt, weder
der Begrenzung auf Chindasvinds Regierungsantritt noch
der auf Svintilas Zeit gedacht, nicht die freie Verfügung
über die königliche Errungenschaft, aber auch nicht die
Beschränkung erwähnt, sondern gewissermassen als Com-
promiss zwischen den einander entgegenstehenden Bestim-
mungen die farblose Bemerkung hinzugefügt: '(reges) erunt
in conquisitis . . . rebus non prospectantes proprii iura
commodi, sed consulentes patriae atque genti'.
Nicht im Decret berührt war die Frage der Thron-
besetzung. Die hierauf bezüglichen ausführlichen Bestim-
mungen des Canon 10 sind angeblich gleichfalls den 'defi-
nitiones' des Decrets und der Lex entlehnt, finden sich
aber nur und auch nur zum Theil in der Lex. Wir stellen
die entsprechenden Stellen neben einander:
proprietate debitis fraudentnr'. Die Nachkommen des Königs sollen also
ihr Erbgut ('proprietas'), ferner was sie selbst von ihren Verwandten,
dem Könige oder sonst Jemand erworben haben, behalten. Das Erbgut
des Königs fiel also an seine Privaterben, und ausserdem war er berech-
tigt, ihnen Schenkungen zu machen ('largitate principis').
54 Karl Zeumer.
Lex. I Can. 10.
Quemcumqtie vero aut per i Abhinc ergo et deiuceps
tumultuosas plebes aut per ita erunt in regni gloriam
absconsa dignitati publice
macinamenta adeptum esse
constiterit regni f astigia, mox
idem cum omnibus tarn nef arie
sibi consentientibus et ana-
thema fiat . . .
praeficiendi rectores, ut aut
in urbe regia aut in loco, ubi
princeps decesserit, cum pon-
tificum maiorumque palatii
omnimodo eligantur assensu,
non forinsecus aut conspira-
tione paucorum aut rusti-
carum plebium seditioso tu-
multu.
Was die Lex bietet, ist eine ziemlicb dürftige nega-
tive Bestimmung, ein Verbot, den Thron durch Aufstand
und Complott zu erwerben. Der Canon aber beschränkt
sich nicht darauf den Inhalt der Lex wiederzugeben, sondern
fügt die positiven Bestimmungen über die Königswahl
hinzu: die Wahl des neuen Königs soll stattfinden ent-
weder in der Hauptstadt oder am Sterbeorte des früheren
Königs, und zwar soll sie stattfinden durch die Bischöfe
und Grossen des Palastes. Indem der Canon auch hier
nicht den Inhalt des königlichen Gesetzes, wie er war,
wiedergiebt, sondern so, wie er nach der Meinung des
Concils hätte sein sollen, zeigt sich wiederum eine starke
Differenz zwischen den Wünschen des Concils und dem
Willen des Königs. Nur das Concil hat das Wahlrecht
der Grossen ausdrücklich anerkannt, keineswegs aber der
König, wie Dahn meint, sich zu einer 'feierlichen und um-
ständlichen Anerkennung des unbeschränktesten Königs-
Wahlrechts des geistlichen und weltlichen Adels' ver-
standen.
Nach alledem dürfte feststehen, dass die von Dahn
vorgetragene Ansicht, nach welcher zwischen Reccessvind
und den Bischöfen völlige üebereinstimmung geherrscht
und dieser nur den Willen des Concils vollzogen hätte,
unbegründet ist^
1) Dahn's Ausführungen, Könige V, S. 201 f. und VP, S. 452 ff.,
enthalten eine Anzahl störender INIissverständnisse, die zum Theil wohl
auf seine Gesamtauffassung Reccessvinds nicht ohne Einfluss gewesen sind.
Es ist nicht richtig, dass R., wie an der zuerst angeführten Stelle be-
hauptet wird, 'Straflosigkeit für alle überwiesenen Empörer' beantragt
und 'die Aufstellung von Schiedsrichtern für Beschwerden Einzelner gegen
den König, denen sich die Krone unweigerlich unterwerfen müsse', ge-
fordert habe. Der König stellt nur die Lösung des Eides anheim, der
Gesch. d. westgoth. Gesetzgeb. II. — L. Vis. II, 1, 6 — 9; 5, 19. 55
Dass Eeccessvind in seiner Lex das Wahlrecht der
Grossen gänzlich mit Stillschweigen übergeht, ist um so
auffallender, als die Concilien es bereits mehrfach prokla-
miert hatten, und der König die Bestimmungen dieser
Concilschlüsse. soweit sie gegen Usurpation und Verschwö-
rung gerichtet sind, im Wesentlichen wiedergiebt und aus
ihnen sogar die Androhung geistlicher Strafen wiederholt.
Ausdrücklich anerkannt hatte das Wahlrecht das
IV. Concil von Toledo, welches 633 unter dem soeben
durch Empörung gegen Svintila auf den Thron erhobenen
Sisenand abgehalten wurde. Unter einer Reihe von Be-
stimmungen zum Schutze des regierenden Königs gegen
Empörer und Kronräuber in can. 75 finden sich auch solche
über die Thron besetzung: 'nullus apud nos praesumptione
regnum arripiat; nullus excitet mutuas seditiones civium;
nemo meditetur interitus regum; sed defuncto in pace
principe primatus totius gentis cum sacerdotibus succes-
sorem regni consilio communi constituant'. Durch eine
dreimal wiederholte feierliche Sentenz wird dann über den
Thronräuber, 'qui praesumptione tyrannica regni fastigium
usurpaverit', und über seine Helfer Anathem und Excom-
munication verhängt.
die Möglichkeit der Begnadigung ausschloss. Eine Stelle aber, welche
auf ein Schiedsgericht in dem angeführten Sinne bezogen werden könnte,
finde ich nicht. Ebensowenig finde ich in den Acten etwas von einem
'bedeutenden Steuemachlass', der 'die Mittel der Regierung schwächte'.
Dahns Bemerkung beruht wohl auf einer Verwechslung mit Ervig und
dem Xin. Concil von Toledo. Wie wenig aber die Regelung der Kron-
gutfrage, soweit Reccessvind darauf einging, eine Beraubimg des Königs
bedeutete, und dass dieser das Wahlrecht der Grossen nicht ausdrück-
lich anerkannte, ist im Texte ausgeführt. In VI" hat Dahn jene vorigen
Behauptungen nicht wiederholt. Aber neue Irrthümer haben sich hier
S. 455 eingeschlichen. Die Beschlüsse des Concils ergehen nicht im Namen
des Königs, ebensowenig das Gresetz zur Zügelung der 'furchtbaren Hab-
sucht der Fürsten'. Freilich finden sich im Canon 13 die Worte: 'decreti
nostri seriem, quam in Serenissimi domini nostri R. regis edidimus nomine'.
Sie beziehen sich aber nicht auf die Beschlüsse des Concils, sondern nur
auf das Decret, und ausserdem bedeuten, wie oben S. 46, N. 3 bemerkt,
die Worte : 'in . . . regis nomine' etwas ganz anderes als im 'Xameu des
Königs'. Bei dem Gesetz gegen die Habsucht der Fürsten kann aber in
keiner Weise von einer Veröffentlichung im Namen des Königs die Rede
sein. Es ist ja ein Gesetz des Königs selbst. Weiter meint Dahn, ange-
hängt seien zwei Decrete des Königs. Aus der folgenden Charakterisie-
rung geht hervor, dass hier nur das eine Decret des Concils gemeint ist.
Dieser Irrthum ist wieder wichtig für Dahns Auffassung Reccessvinds,
wegen der angeblichen Vorwürfe gegen die Regierung seines Vaters.
Merkwürdiger Weise folgt dann der irrigen Darstellung von den an-
gehängten zwei Decreten noch die richtige: 'Auf das Decretum des Con-
cils folfft dann eine Lex des Königs' u. s. w.
56 Karl Zeumer.
Das unter Chintila 636 gehaltene V. Concil von Toledo
proclamierte ebenfalls das Wahlreclit, c. 3 : 'quoniam . . .
se minime capientes, quos nee ovigo ornat nee virtns de-
corat, passim putant licenter ad regiae potestatis pervenire
fastigia, liuius rei causa nostra omnium . . . profertur
sententia, ut quisquis talia meditatus fuerit, quem nee
electio omnium provehit nee Gothicae gentis nobilitas ad
hunc honoris apicem trahit, sit a consortio catholicorum
privatus et divino anathemate condemnatus'.
Hier wird noch die Bedingung edeler gothischer Ab-
stammung des Gewählten hinzugefügt. Auch davon hat
Reccessvind keine Notiz genommen; ebenso wenig von den
weiteren Bedingungen, die das VI. Concil von 638 in c. 17
dieser noch hinzufügte: 'Eege vero defuncto nullus tyran-
nica praesumptione regnum assumat, nullus sub religionis
habitu detonsus aut turpiter decalvatus aut servilem or-
dinem trahens vel extraneae gentis homo, nisi genere Gothus
et moribus dignus provehatur ad apicem regni'.
Geflissentlich vermeidet offenbar Reccessvind, sich auf
die Thronbesetzungsfrage weiter einzulassen, als sein nächstes
Interesse, der Schutz gegen Usurpation und Empörung,
verlangte.
Wir sahen, wie dann das VIII. Concil von Toledo
unter dem Anschein der Bestätigung des königlichen Ge-
setzes die Anerkennung des Wahlrechts von neuem aus-
sprach, zugleich aber eine neue Bestimmung bezüglich des
Wahlortes hinzufügte. Eine Bestätigung der Beschlüsse
des Concils hat Eeccessvind nicht ertheilt, und das Ver-
sprechen die Beschlüsse zu bekräftigen und durchzuführen,
welches der König im Tomus in voraus aussprach, war
nach allen Eichtungen so verklausuliert, dass man daraus
nicht etwa schliessen darf, dass die königliche Bestätigung
als vorweg gegeben anzunehmen sei.
Es ist nicht der Ort hier eingehend zu prüfen, in wie
weit in der Folgezeit die Beschlüsse über Besetzung des
Thrones beobachtet sind oder nicht. Der nächste Nach-
folger Reccessvinds, Wamba, ist in Uebereinstimmung mit
Concil. Tolet. VIII am Sterbeorte Reccessvinds erhoben,
und sonst haben bis zum Ende des toletanischen Reiches
die Erhebungen wohl regelmässig in Toledo stattgefunden.
Aber frei gewählt ist seit Wamba keiner der Könige mehr,
sondern formell sind Ervig, Egica und Wittiza durch De-
signation bei Lebzeiten des Vorgängers zur Königswürde
gelangt. Mit Ervigs Zugehörigkeit zum Gothenvolke stand
es zweifelhaft, da nur seine Mutter, nicht aber sein Vater
Gesch. d. westgoth. Gesetzgeb. II. — L. Vis. II, 1, 6 — 9; 5, 19. 57
gothisch war. Wir müssen annebmeu, dass eine so ent-
schiedene Beiseitesetzung der Wahlregeln der Concilien
nur möglich war, weil Reccessvind die Aufnahme dieser Be-
stimmungen in das Gesetzbuch uuterlassen, wir können
wohl sagen, verweigert hat.
II, 1,7 [W. II, 1, 34 u. V, 7, 19j. Diese Novelle Egicas
sichert die Ableistung des bereits längst üblichen allge-
meinen Huldig-ungseides, welcher den Freien von einem
reisenden 'discussor iuramenti" in den Provinzen abge-
nommen wird, während die Palatinen sich zur Ableistung
vor dem Könige stellen müssen. Zuerst erwähnt wird
dieser Huldigungseid Conc. Toi. IV, can. 75; vgl. Dahn,
Könige VI^ S. 527 f.
II, 1, 8 [R. II, 1, 6]. Dieses Gesetz gegen Landes-
flüchtige, Hochverräther und Verschwörer hat Chindasvind
erlassen, wohl damit es ihm als Grundlage diene für sein rück-
sichtsloses Vorgehen zur Wiederherstellung der königlichen
Gewalt und zur Ausrottung der Revolution. Selbst hervor-
gegangen aus den Kreisen des gegen das Königthum con-
spirierenden Adels und als fast Achtzigjähriger noch durch
einen revolutionären Gewaltact zur Herrschaft gekommen,
wollte er die Krone sich und seinem Hause gegen jeden
Augriff sichern. Nur durch blutige Strenge und rücksichts-
loseste Gewalt glaubte er seiner früheren Genossen Herr
werden zu können. Der sog. Fredegar sagt, Chindasvind
habe 'die Krankheit der Gothen', ihre 'Sucht die Könige
zu entthronen' gekannt, und sei früher oft an solchen An-
schlägen betheiligt gewesen ^. Die Heilmittel, welche er
gegen diese Krankheit anwandte, waren Hinrichtungen
und Gütereinziehungen. Dieselbe Quelle berichtet, dass
er 200 Adlige und 500 Gemeinfreie habe hinrichten lassen -.
Zu solchem Vorgehen brauchte Chindasvind ein Gesetz,
eben das, welches uns vorliegt. Dieses Gesetz gestattete
dem Könige nicht nur die strengste Bestrafung der Hoch-
verräther, sondern verpflichtete ihn dazu.
Der König bestimmt in dem Gesetze: 1. Wer in der
Absicht, Volk und Land der Gothen zu schädigen, von der
Zeit des Königs Chintila bis zu unserm gegenwärtigen
1) Fredegarii Cliron. IV. 82, SS. Merov. II, p. 163: 'cognetus
morbum Gotorum quem de regebus degradandum habebant, unde sepius
cum ipsis in consilio fuerat'. 2) Ebendas. : 'Fertur, de primatis Go-
torum hoc vicio repremendo duceutis fuisse iuterfectis ; de mediogrebus
quingentis interfecere iussit'. Vgl. Contin. Isidor. Hisp. c. 26, MG. Auct.
ant. XI, p. 341 : 'Chindasviiitus per tirannidem regnum Gothorum in-
vasum Yberie triumphabiliter principat, demoliens Gothos'.
58 Karl Zeumer.
zweiten Eegierungs jähre zu den Feinden oder überhaupt
in das Ausland geflohen ist oder dies in Zukunft thut oder
zu thun versucht, und ebenso 2. wer vom ersten Jahre
unserer Regierung an innerhalb des Eeiches Feindseliges
gegen unser Eegiment und das gothische Volk, gegen unser
und der folgenden Könige Leben unternimmt, den soll
Todesstrafe und Confiscation der Güter treffen; im Falle
der Begnadigung kann der König die Todesstrafe nur in
Blendung verwandeln^.
Dass Chindasvind den strafbaren Hochverrath im
Innern des Reiches in diesem Gesetze nicht auf die Fälle
über seine eigene Regierungszeit rückwärts erstreckt, ist
natürlich, da er sonst sich selbst ja für strafbar erklärt
haben würde. Dass dagegen die Strafbarkeit der hoch-
verrätherischen Landesflucht bis auf Chintilas Zeit zurück-
erstreckt wird, zeigt, dass die bereits unter Chintila vor-
handene und von diesem bekämpfte Emigration ^ auch
Chindasvind, der doch den Sohn Chintilas entfernt hatte,
feindlich gesinnt war. Sie bestand also nicht aus Gegnern
nur eines einzelnen Königs oder Königshauses; sie setzte
sich offenbar aus den Feinden eines starken Königthums
überhaupt zusammen.
Weiter enthält das Gesetz noch Bestimmungen gegen
die, welche den Wirkungen der Confiscation dadurch zu
entgehen suchen, dass sie ihre Güter der Kirche oder ihren
Ehefrauen, Kindern oder Verwandten zum Scheine über-
tragen.
Zum Schutz der Vergabungen aus den Confiscationen
wird dann noch bestimmt, dass auch im Falle der Be-
gnadigung die confiscierten Güter selbst unter keinen Um-
1) 'quicumque ex tempore reverende memorie Chintilani principis
usque ad annum Deo favente regni nostri secundo vel amodo et ultro ad
adversam gentem vel extraneam partem perrexit sive perrexerit . . . ut
sceleratissimo ausu contra gentem Gotorum vel patriam ageret . . . sive
ab anno regni nostri primo vel deinceps quispiam infra fines patrie Go-
torum quamcumque conturbationem aut scandalum in contrarietatem regni
nostri vel gentis facere voluerit, sive ... in necem vel abiectionem
nostram sive subsequentium regum intendere . . . proditus videtur esse
. . . inretractabilem sententiam mortis excipiat . . . Quod si fortasse . . .
a principe fuerit illi vita concessa, non aliter quam effossis oculis relin-
quatur ad vitam . . . Res tarnen omnes (des Hingerichteten wie des
Geblendeten) in regis ad integrum potestate persistant'. 2) Vgl. Conc.
Tolet. VI (a. 638) can. 12: 'De confugientibus ad hostes. Pravarum auda-
cia mentium . . . refugium aj^petit hostium ; unde quisquis patrator cau-
sarum extiterit talium, virtutes enitens defendere adversariorum et patriae
vel genti suae detrimenta intulerit rerum . . . excommunicatus et retrusus
longinquioris poenitentiae legibus subdatur'.
Gesch. d. westgoth. Gesetzgeb. II. — L. Vis. II, 1, 6 — 9; 5, 19. 59
ständen zurückgegeben werden dürfen. Der König soll
höchstens ans anderen Mitteln den 20sten Theil des Werthes
jener Güter den Begnadigten schenken dürfen. Die bereits
früher durch Vorgänger des Königs erfolgten Begnadigungen
sollen dagegen volle Wirkung behalten.
Gab es Begnadigungen von Hochverräthern, so wird
es auch, was ja an und für sich wahrscheinlich genug ist,
bereits früher ein Gesetz gegeben haben, welches den Hoch-
verrath mit Strafe bedrohte. Von einem solchen älteren
Gesetze, welches Reccessvind von seinem Gesetzbuch als
veraltet ausschloss und durch das Gesetz Chindasvinds er-
setzte, glaube ich deutliche Spuren in der Lex Baiuvariorum
und im Edictus Eothari nachweisen zu können. In beiden
Gesetzen finden sich übereinstimmende Anordnungen, welche
an römische Bestimmungen erinnern, und kaum anders zu
erklären sind, als durch die Annahme, dass beide Gesetze
sie aus dem Westgothenrecht entlehnt haben.
L. Baiuv. II, 1.
si in necem ducis con-
siliatus fuerit aut ini-
micos in (infral, 10) pro-
vinciam invitaverit aut
civitatem capere ab extraneis fiscentur.
Ed. Eoth.
c. 1. Si quis contra ani-
mam regis . . . consilia-
verit, animae suae incurrat
periculum et res eins in-
c. 4. Si quis inimicus
intra provinciam invi-
taverit . . . animae suae
incurrat periculum et res
eins infiscentur.
machinaverit ... in ducis sit
potestate vita ipsius et omnes
res eius in Patrimonium . . .
Si quis ducem occiderit anim a
illius . . . mortem recipiat et
res eius infiscentur.
Auf römischen Ursprung deutet der Ausdruck 'pro-
vincia'. Das römische Eecht aber behandelt nicht nur
den Verrath einer 'provincia', sondern ganz wie die Lex
Baiuvariorum daneben auch den einer 'civitas' als 'crimen
maiestatis'; vgl. Dig. XLVIII, 4, 1. 10: 'Maiestatis crimen
accusari potest, cuius ope, consilio, dolo malo provincia
vel civitas hostibus prodita est'. Jene Erwähnung der
'civitas' in der bairischen Quelle gegenüber ihrem Fehlen
im langobardischen Edict verhindert die Annahme, dass die
Redactoren des bairischen Gesetzes hier etwa aus dem Edict
geschöpft haben könnten.
Andrerseits erwähnt aber der Edictus Rothari die
im Baiernrecht nicht berücksichtigte Landesflucht in
c. 3 : 'Si quis foris provincia fugire timtaverit, morti in-
currat periculum et res eius infiscentur'. Auch das ent-
60 Karl Zeumer.
spricht dem römischen Eecht, nach welchem des Majestäts-
verbrechens schuldig galt 'qui . . . privatus ad hostes
perfug-it', Dig. XLVIII, 4, 1. 2; vgl. XLIX, 15, 1. 19, c. 4:
'qui malo consilio et proditoris animo patriam reliquit,
hostium numero habendus est'.
Die Annahme, dass die Lex Baiuvariorum und der
Edictus hier wie an anderen Stellen aus dem alten West-
gothenrecht geschöpft haben, werden wir kaum abweisen
können. In diesem Zusammenhange gewinnt es auch eine
gewisse Bedeutung, dass Chindasvind 'in necem nostram'
sagt, wie auch in der Lex Baiuvariorum steht 'in necem
ducis'. An beiden Stellen dürfen wir 'in necem' als einen
aus dem verlorenen Hochverrathsgesetz Eurichs herüber-
genommenen Ausdruck ansehen '.
Die Lex Baiuv. und Eotharis Edict berücksichtigen
nur den Angriff gegen das Leben des Königs, nicht die
versuchte und vollendete Entthronung; als Verbrechen gegen
den Bestand des Eeiches stellen sie nur vollendete Hand-
lungen des Landesverraths hin. Ohne Zweifel waren diese
Bestimmungen der verlorenen auf Eurich zurückgehenden
Antiqua entnommen, erschöpften aber deren Inhalt nicht.
Eine unverkennbare Hindeutung auf diesen Inhalt enthält
eine andere Antiqua VI, 1, 4 [E. VI, 1, 3], wo die dem
römischen Eecht entlehnte Bestimmung wiedergegeben wird,
dass in gewissen Fällen die Knechte gegen ihre Herren
peinlich befragt werden dürfen. Zu diesen Fällen gehört
der Hochverrath und dieser wird in der Antiqua definiert:
'si contra regnum, gentem vel patriam aliquid dictum vel
dispositum fuerit'. Also alle gegen das 'regnum', d. h. die
Herrschaft des Königs, das Königthum, sowie gegen das
Volk und das Eeich ('patria') gerichteten Anschläge werden
als Hochverrath angesehen.
Wenn nun das gesammte Volk nach can. 75 des
IV. Concils von Toledo einen Eid zu schwören hatte: 'pro
patriae gentisque Gothorum statu vel conservatione regiae
salutis', so dürfte darin das Widerspiel des Hochverraths-
gesetzes zu erblicken sein, welches die Verletzung dessen
mit Strafe bedrohte, dessen Förderung der Eid verlangte.
Bei der Uebereinstimmung des Eides mit VI, 1, 4 in der
Sache und in den Ausdrücken 'gens' und 'patria' — nur
für 'regnum' heist es hier 'regia salus' — dürfen wir ver-
1) Die Fassung des alten westgothischen Hochverrathsgesetzes hat
wohl auch eingewirkt auf Oonc. Tolet. IV, can. 75 : 'qui . . . nece regem
attrectaverit'.
Gesch. d. westgoth. Gesetzgeb. II. — L. Vis. II, 1, 6 — 9; 5, 19. 61
mutheu, dass der Eid im Auschluss au das Hochverraths-
gesetz formuliert war.
Nach alledem dürfeu wir wohl auuehmeu, dass jeues
ältere, verlorene Gesetz nicht nur die Bedrohung des Lebens
des Königs und bestimmte einzelne Handlungen des Landes-
verraths, sondern allgemein sämmtliche gegen König, Volk
und Reich gerichteten feindseligen Handlungen und An-
schläge, auch die blosse Landesflucht, unter die Hochver-
rathsstrafen stellte.
Stimmte demnach das alte Gesetz wahrscheinlich mit
dem neuen von Chindasvind an seine Stelle gesetzten in
der Hauptsache überein, so enthielt dieses doch einige
Neuerungen, welche Chindasvind nicht entbehren konnte ;
vor Allem die Straflosigkeit der Empörung, Verschwörung
und Usurpation innerhalb des Reiches bis zu seinem eigenen
ßegierungsantritte, ferner die Schärfung der Strafe durch
die äusserste Beschränkung des königlichen Begnadigungs-
rechtes.
Zur Sicherung der Durchführung seines Gesetzes hat
nun Chindasvind zu einer ganz aussergewöhnlichen Mass-
regel gegriffen. Er hat das Gesetz wahrscheinlich von dem
ganzen Volke, jedenfalls von dessen massgebenden Kreisen
beschwören lassen, wie wir aus den Verhandlungen des
VII. und VIII. Concils von Toledo erfahren.
In can. 1 des VII. Concils vom Jahre 646, welches
Chindasvinds Gesetz wohl auf dessen Veranlassung durch
Androhung kirchlicher Strafen für die Verletzer bekräftigte
und ergänzte, wird zuerst jener Eid erwähnt: 'novimus
omnes pene Hispaniae sacerdotes omnesque seniores vel
iudices ac ceteros homines officii palatini iurasse atque ita
dudum legibus decretum fuisse, ut nullus refuga vel per-
fidus, qui contra gentem Gothorum vel patriam seu regem
agere aut in alterius gentis societatem se transducere repe-
ritur, integritati rerum suarum ullatenus reformetur, nisi
forsitan princeps humanitatis aliquid personis talibus imper-
tiri voluerit, sui tamen non amplius, quam vicesimam partem
rerum ei, qui perfidus extitit, de rebus unde rex elegerit
tribuendi potestatem habebit'. Hier werden die auf die
Vermögensconfiscation bezüglichen Bestimmungen des Ge-
setzes Chindasvinds ^ unter ausdrücklicher Beziehung auf
1) Auch die Schlussbestimmung des Gesetzes bezüglich der Schen-
kung im Betrage des 20. Theiles wdrd angeführt, war also 64:6 bereits
vorhanden. Damit erledigt sich Helflerichs grundlose Bemerkung S. 89 :
'Was weiter folgt . . . zumal der Schluss des Gesetzes könnte später hin-
zugefügt sein'.
62 Karl Zemner.
das vor einiger Zeit erlassene Gesetz ('dudum legibus de-
cretum') angefahrt und gleichmässig als Inhalt des Eides
wie des Gesetzes angegeben.
Während nach dieser Stelle anseheinend einerseits der
Eid auf die hohe Geistlichkeit, den Adel und die könig-
lichen Beamten beschränkt war und andererseits sich nur
auf die das Vermögen betreffenden Strafbestimniungen
bezog, stellen der Tomus und can. 2 des VIII. Concils
von Toledo den Eid als allgemein vom ganzen Volke ge-
leistet und auch auf die Leibes- und Lebensstrafen der
Hochverräther bezüglich dar. In dem von Reccessvind
dem Concil überreichten Tomus heisst es : 'revolutis retro
temporibus ita vos omnemque populum iurasse recolimus,
ut cuiuscumque ordinis vel honoris persona in necem regiam
excidiumque Gothorum gentis ac patriae detecta fuisset
vel cogitasse noxia vel egisse, irrevocabilis sententiae mulc-
tatus atrocitate nusquam mereretur veniae remedium vel
alicuius temperantiae perciperet qualecumque subsidium'.
Der König ersucht das Concil , den Conflict zwischen
diesem Eide und den Forderungen der Menschlichkeit zu
lösen. Die Entscheidung des Concils erfolgt in can. 2 :
' . . . quaecumque iuramenta pro regiae potestatis salute
vel contutatione gentis et patriae vel hactenus sunt exacta
vel deinceps extiterunt exigenda, omni custodia omnique
vigilantia insolubiliter decernimus observanda, a membro-
rum truncatione mortisque sententia religione penitus ab-
soluta' ^
Ob, wie im Tomus behauptet wird, das ganze Volk
geschworen hat, oder ob gemäss can. 1 des VII. Concils
nur die Grossen und die Beamten geschworen haben,
möchte ich nicht mit voller Bestimmtheit entscheiden.
Wahrscheinlich aber ist, dass die Nachricht des Tomus
richtig und die ältere Angabe nur unvollständig ist; dem
VII. Concil kam es wohl nur darauf an hervorzuheben,
dass die massgebenden Kreise des Volkes den Eid geleistet
hätten. Jedenfalls werden wir in Bezug auf den Inhalt
des Eides den Angaben des VIII. Concils vor denen des
VII. Concils insofern den Vorzug geben müssen, als sie un-
zweifelhaft zeigen, dass es sich bei jenen Eiden nicht nur
1) Die letzten Worte : 'a membrorum' u. s. w. sind zu erklären:
'doch soll die eidliche Verpflichtung von Verstümmlungs- und Todesstrafe
völlig gelöst sein'. Dahn, Könige VI-, S. 454 bemerkt, dass diese (Ver-
stümmelungs- und Todesstrafe) beschlossen worden, wissen wir sonst nicht.
Beschlossen sind sie freilich nicht, aber durch Chindasvinds Gesetz und
den Eid verhängt.
Gesch. d. westgoth. Gesetzgeb. II. — L. Vis. II, 1, 6—9; 5, 19. 63
um die Aiifrechterhaltung- der Vermögensstrafen handelte.
Indem das Concil den Eid in Bezug auf die Leibes- und
Lebensstrafen löst, ihn aber in Kraft lässt bezüglich der
Vermögens- und Freiheitsstrafen, zeigt es, dass die Eide
nicht nur von diesen, sondern auch von jenen handelten.
Ein Zweifel an der Richtigkeit der Annahme des Concils
ist aber deshalb schon nicht möglich, weil das Concil vor
seiner Entscheidung den Wortlaut des Eides nach dem
schriftlichen Eidesformulare ('series conditionum'), wie solche
bei den Westgothen üblich waren, verlesen Hess. Ist es
auch zu bedauern, dass wir den Wortlaut der conditiones
nicht kennen, so können wir doch aus den Angaben in
can. 1 des VII. und im Tomus und can. 2 des VIII. Concils
von Toledo in Verbindung mit einander unzweifelhaft
folgern, dass den Gegenstand des Eides der ganze Inhalt
des Chindasvindschen Gesetzes bildete, und als wahrschein-
lich annehmen, dass es wenigstens in allen hauptsächlichen
Bestimmungen wörtlich in die 'conditiones sacramentorum'
aufgenommen war.
Der Eid sicherte den Bestand des Gesetzes wohl min-
destens in gleicher Weise, wie ihn eine Bestätigung durch
das Concil gesichert hätte. Es erklärt sich daraus, dass
Chindasvind auf eine solche Bestätigung zunächst ver-
zichtete. Warum der König aber diesen ungewöhnlichen
Weg einschlug, ist nicht mit Sicherheit zu erkennen. Hätte
Dahn mit seiner Ansicht Eecht, dass der König im Kampfe
gegen die Priesterpartei zur Herrschaft gelangt sei, dass
das 'Widerstreben gegen die Herrschaft der Krummstäbe
über ein Heldenvolk und gegen den Weihrauchqualm der
Synoden' bei seiner Erhebung mitgewirkt habe S so würde
sich daraus eine Erklärung dafür herleiten lassen, dass
Chindasvind bis zu seinem 5. Regierungs jähre kein Concil
berief. Jene Ansicht ist aber, wie mir scheint, unbegründet,
und das Verhalten des im November 646 zu Toledo zu-
sammentretenden VII. Concils spricht deutlich gegen sie.
Mit unverkennbarer Beflissenheit beeilt sich das Concil
vor allen andern Dingen Chindasvinds Gesetz durch An-
drohung geistlicher Strafen für die Verletzer zu sichern
und zu verschärfen. Das Concil giebt im can. 1 den
wesentlichen Inhalt des Gesetzes wieder und fügt an den
entsprechenden Stellen die neuen kirchlichen Strafbestim-
mungen hinzu. Dabei lehnt es sich vielfach an den Wort-
laut des königlichen Gesetzes an und nimmt sogar dessen
1) Vgl. Dahn, Könige V, S. 192 f. VI-, S. 451.
64 Karl Zeumer.
Motivierung zum Theil wörtlich auf, wie folgende Ver-
gleichung zeigt:
Conc. Toi. VII, can. 1.
Quis enim nesciat, quanta
sit hactenus per tyrannos
et refugas transferendo se
in externas partes illicite per-
pepetrata et quam nef anda
super bia iugiter frequen-
tata, quae et patriae di-
minutionem äff errent et
exercitui Gothorum indesi-
nentem laborem imponerent.
Chindasvind (II, 1, 7).
Quautis actenus Goto-
rum patria concussa sit cla-
dibus quantisque iugiter qua-
tiatur istimulis profugorum
hac nefanda supervia de-
bitorum, ex eo pene eunctis
est cognitum, quod et pa-
trie diminutionem agnos-
cunt, et hac hoccasione po-
tius quam expuguandorum
hostium externorum arma
sumere saepe compellimur.
Das Concil bestimmt dann, dass Geistliche, welche
sich gegen das Gesetz vergehen, degradiert werden und
bis zum Todestage der Kirchenbusse unterworfen und ex-
communiciert sein sollen, und dass der Priester, welcher
einem solchen früher die Communion ertheilt, selbst wenn
es auf Befehl des Königs geschehen ist ('etiam ordinante
principe), die gleiche Strafe verwirkt. Laien verfallen
ebenfalls der Excommunication bis zum Todestage, doch
wird dem Könige das Recht zugesprochen die Excommuni-
cation schon früher aufzuheben: 'utrum tamen sit illi
quandoque communicandum pietati principis discernendum
relinquimus, cuius procul dubio potestatis est subiectorum
culpas misericordiae iudiciique sententia temperare'.
So spricht das Concil dem Könige das Begnadigungs-
recht über Laien in Bezug auf rein geistliche Strafen zu,
während dieser selbst in seinem Hochverrathsgesetze sein
Begnadigungsrecht in Hochverrathssachen in die engsten
Grenzen einschränkt und ausserdem diirch ein besonderes
Gesetz YI, 1, 7 [R. VI, 1, 6] bestimmt, dass dem Könige
allein das Begnadigungsrecht nur in eigenen Sachen zu-
stehe, dass er dagegen in Sachen die Volk und Reich be-
träfen, an die Zustimmung der Priester und der Grossen
des Palastes gebunden sei.
Ich nehme an, dass dieses Gesetz später als das von
642 erlassen ist und bestimmt war, dieses zvi modificieren.
Wahrscheinlich ist es sogar erst nach dem VII. Concil
von. Toledo erlassen, welches, wie wir sahen, dem Gesetze
und den Eiden, mit denen es bekräftigt war, noch volle
Geltung beimass. Ja, es ist zweifelhaft ob dieses spätere
Gesch. d. westgoth. Gesetzgeb. II. — L. Vis. II, 1, 6 — 9 ; 5, 19. 65
Gesetz, wie andere undatierte Gesetze Chindasvinds, über-
haupt zur Zeit seiner Regierung publiciert ist, und nicht
etwa nur für die Publication in dem geplanten, aber erst
unter Reccessvind vollendeten Gesetzbuche bestimmt war.
Chindasvind scheint nach VI, 1, 7 der Meinung ge-
wesen zu sein, dass er sein eigenes älteres Gesetz trotz
des ihm vom Volke darauf geleisteten Eides, abändern könne.
Sein Sohn Eeccessvind dagegen empfand jenen Eid, den
er selbst mitgeschworen zu haben scheint, als Hemmnis
für die Ausübung des Begnadigungsrechtes. Er entschloss
sich, die Entscheidung des Concils über die Geltung des
Eides einzuholen, und berief anscheinend in erster Linie
zu diesem Zwecke das VIII. Concil zu Toledo.
Ein Brief, welchen ein Bischof Fructuosus, der am
Concil selbst nicht theilnahm, an den König richtete ^, enthält
die Aufforderung, sich in der Begnadigung der durch lange
Gefangenschaft Gebrochenen nicht durch jenen Eid hindern
zu lassen. Deutlich wird auf die bevorstehende Entschei-
dung durch den König und das Concil hingewiesen : 'Quibus
si impium iuramenti facinus abrogat misericordie bonum,
regali saltim et sacerdotali dementia valde crudele est ut
abdicetur indulgentie patrocinium. Quam de eius(?) huius-
cemodi suggessione et tu . . . et venerantissimi ac sanc-
tissimi patres et famuli vestri, pontifices Dei, sententiam -
tuleritis, cum iudex mundi iudicare seculum per ignem
advenerit, ipsi videbitis. Concedat ipse pius, ea vestra(m)
in bis causis serenitate(m) agere, pro quibus non confu-
sionis sententiam, sed gloriam percipiatis eternam'. Das
heisst etwa: Wenn der unselige Eid ihnen die Gnade ver-
sagt, so ist es doch zu grausam, wenn ihnen auch König
und Priesterschaft die Verzeihung absprechen. Welche
Entscheidung über diese Bitte Ihr, Du und die Priester
Gottes, fällen werdet, das werdet Ihr beim jüngsten Gericht
erkennen. Gebe Gott, dass Ihr so in dieser Sache handelt,
dass Euch nicht Verdammnis, sondern ewige Seligkeit zu
Theil wird. Mit Gundlach, N. A. XVI, S. 46, in diesem
Schreiben 'die Veranlassung zu der von Recesvinth gestellten
Frage, zu dem ganzen Beschlüsse (des Concils)' zu erblicken,
scheint mir nicht zvilässig, da der Inhalt als bereits fest-
stehend vorauszusetzen scheint, dass eine Entscheidung
durch das Concil getroffen werden sollte.
1) Epist. Wisigoth. 18, Mon. Germ. Epp. in, p. 688. 2) So ist
sicher zu interpungieren, nicht mit dem Herausgeber W. Gundlach : 'pon-
tifices, Dei sententiam' u. s. w
Neues Archiv etc. XXIV.
66
Karl Zeumer.
Die Entscheidung- fiel nicht im Sinne des Bittstellers
aus. Dieser wollte Begnadigung- der, wie die Ueberschrift
angiebt, seit Chintilas ^) Zeit gefangen gehaltenen; can. 2
des Concils löste aber die durch den Eid übernommene
Verpflichtung nur in Bezug auf die Ausführung der Todes-
und Verstümmelungsstrafen, also nicht in Bezug auf Ge-
fängnis (Exil) und Vermögensstrafen.
Der Wortlaut der Entscheidung ist oben mitgetheilt.
Dieser voran geht aber ein Satz, durch welchen das Concil
das Begnadigungsrecht dem Könige beilegt, der schon die
Rücksichten auf das Wohl des Volkes und Reiches mit den
Forderungen der Barmherzigkeit vereinigen werde. Damit
weist das Concil dem Könige abweichend von Chindasvinds
VI, 1, 7 auch die Begnadigung solcher, die sich gegen
Volk und Reich vergangen haben, zu, und es scheint dabei
auf dieses Gesetz selbst Rücksicht zu nehmen, worauf auch
Ankläng-e im Wortlaut deuten.
Chindasv. VI, 1, 7 [R. VI, 1, 6].
Quotienscumque nobis pro
his, qui in causis nostris ali-
quo crimine inplicati sunt,
subplicatur , et suggerendi
tribuimus aditum et pia
miseratione delinquentibus
culpas omittere nostre po-
testati servamus. Pro causa
autem gentis et patriae
huiusmodi licentiam dene-
gamus. Quod si divina uii-
seratio tarn sceleratis per-
sonis cor principis misereri
conpulerit, cum adsensu sa-
cerdotum maiorumque palatii
licentiam miserandi li-
benter habebit.
Conc. Tolet. VIII. can. 2 (i.f.).
Hac indulgentiae concessa
1 i c e n t i a m i s e r a t i o n i s
ipsius opus in gloriosi prin-
cipis j)otestatem redigi-
mus, ut, quia Deus illi mi-
serendi aditum patefecit,
remedia pietatis ipse quoque
non deneget; quae ita prin-
cipali discretione moderata
persistant, ut et illis sit ali-
quatenus misericordia contri-
buta et nusquaiu gens aut
patria per eosdem aut peri-
culum quodcumque perferat
aut iacturam. Haec mise-
rationis obtentu temperasse
sufficiat.
1) Die Ueberschrift des Briefes lautet in der leider verderbten
Ueberlieferung : 'Epistola domni Fructuosi ad domno Recesvindo rege
directa pro culpatos, quos retinebatur de tempore domni Scindani'. Für
Scindani will der Herausgeber Sisinanthi lesen und beruft sich dafür auf
Stellen bei Dahn, die aber nichts dafür austragen. Die Endung -ani
deutet vielmehr auf einen Nominativ auf -a, und ofifenljar ist Chintila
gemeint, der ja auch in Chindasvinds Gesetz und also wohl auch im Eide
die entsprechende Stelle einnahm. Zu lesen ist: Scindilani. Der Name
Chintila wird auch sonst ähnlich entstellt; so haben Vulgathss. der
Lex Vis. in II, 1, 8 Cintila, während andere Svintila einsetzen, und bei
Eredegar c, 82, p. 162 steht Sintela und Sintiila.
Gesch. d. westgoth. Gesetzgeb. II. — L. \"is. II, 1, 6—9; 5, 19. 67
Merkwürdig genug- ist nun, dass Reccessviud trotz der
von ihm provocierten Entscheidungen des Concils die beiden
Gesetze seines Vaters ungemildert und unverändert neben
einander in sein Gesetzbuch aufnahm. Das Begnadigungs-
gesetz VI, 1. 7 ist stets unverändert in Geltung geblieben,
das Hochverrathsgesetz ist erst durch Ervig gemildert. Noch
unter Wamba war es in der ursprünglichen Gestalt in Kraft,
wie das über den Empörer Paulus und seine Genossen ge-
fällte Urtheil zeigt, über welches wir durch das 'ludicium
in tjrannorum perfidiam promulgatum', verfasst vom Metro-
politan Julian von Toledo, genau unterrichtet sind ^.
Das Urtheil schliesst sich eng an Chindasvinds Ge-
setz an, welches nach der Reccessvindiana richtig als II,
1, 6 ('in libro II. titulo I. era VI') citiert wird. Die Em-
pörer werden zum Tode verurtheilt, und zwar soll die
Todesstrafe durch die Gnade des Königs nur in Blendung
verwandelt werden können: 'Quod si forsan eis a principe
condonata fuerit vita, non aliter quam evulsis luminibus
reserventur, ut vivant'. Ebenfalls gemäss dem Gesetze wird
die Confiscation der Güter der Verurtheilteu verhängt.
Der König soll über diese Güter frei verfügen, d. h. offenbar
sie nicht den Verurtheilten oder ihren Erben belassen oder
wiedergeben; denn nur so ist die daran geknüpfte Be-
merkung zu verstehen: 'ut seditiosorum nomen funditus
a terra depereat'.
Das Urtheil geht also gemäss der Strenge des Gesetzes
auf völlige Vernichtung der Uebelthäter; aber das Urtheil
wurde nicht vollzogen. König Wamba begnadigte die Em-
pörer zu Decalvation, lebenslänglicher Haft und Infamie.
Wie erklärt sich dieser Gegensatz zwischen dem aus-
drücklich anerkannten gesetzlichen Eecht und der Praxis?
Vielleicht nahm man an, dass durch can. 2, Conc. Toi. VIII.
das Begnadigungsrecht des Königs noch über die in Chin-
dasvinds Gesetz enthaltene Schranke hinaus ausgedehnt
sei. Das stand freilich im Widerspruch mit der bei dieser
Gelegenheit gerade völlig anerkannten ursprünglichen Fas-
sung des Gesetzes.
Ervig beseitigte den Widerspruch zwischen dem Ge-
setz und der Praxis, wie er im Process des Paulus hervor-
getreten war, indem er den Wortlaut des Gesetzes bei
seiner Revision des Gesetzbuches der Praxis entsprechend
änderte. Der Text von Chindasvinds Gesetz, wie er in
der 682 publicierten Ervigiana lautet, lässt statt der Todes-
1) SS. rer. Gall. H, p. 716.
5*
68 Karl Zeumer.
strafe oder deren Surrogat, der Blendung, auch Decalva-
tion nebst Prügelstrafe, lebenslängliche Haft ^ und Ver-
knechtung an den König zu. Ervig strich den Satz, der
mindestens Blendung verlangte, und fügte hinzu : 'et si
nulla mortis ultione plectatur aut effosionem perferat ocu-
lorum, secundum quod in lege hac hucusque fuerat consti-
tutum, decalvatus tamen C flagella suscipiat et sub artiori
vel perpetuo erit religandus exilio pene et insuper nullo
umquam tempore ad palatini officii reversurus est dignitatem,
sed servus principis factus et sub perpetua servitutis catena
in principis potestate redactus eterna tenebitur exilii reli-
gatione obnoxius'.
Die rückwirkende Kraft des Gesetzes in Bezug auf
die Landesflucht bis auf König Chintilas Zeit hat Ervig
im Gesetze selbst stehen lassen. Er hat aber später nach
Erlass des revidierten Gesetzbuches einen Beschluss in
can. 1 des XIII. Concils von Toledo veranlasst, durch
welchen zunächst die Anhänger des Paulus amnestiert, in
ihre Ehren- und Standesrechte wieder eingesetzt wurden.
Diese Amnestie soll sich aber, wie dann mit deutlichem
Hinweis auf Chindasvinds Gesetz gesagt wird, auf alle be-
ziehen, 'qui ex tempore divae memoriae Chintilani regis
simili hucusque infamationis nota respersi sunt'. Auch in
ihre Güter sollen die Begnadigten wieder eingesetzt werden,
soweit jene nicht bereits von den Königen an andere
Personen übertragen sind.
Egica hat das weltliche Gesetz unverändert gelassen,
so wie es aus Ervigs Revision hervorgegangen war. Auch
ist das XVI. Concil von Toledo (v. 693), welches unter
Egicas Einfluss stand und sich offenbar in voller üeber-
einstimmung mit dem Könige befand, bei der Verurtheilung
des Bischof Sisbert wegen Hochverraths und bei der sich daran
knüpfenden Gesetzgebung nicht wieder auf den strengeren
Standpunkt Chindasvinds zurückgekehrt. Sisberts Verurthei-
lung durch das Concil (can. 9) erfolgte auf Grund der Be-
stimmungen des can. 1 des VII. Concils und zwar zu De-
gradation, lebenslänglicher Haft und Excommunicatiou bis
zum Lebensende, wobei noch die von jenem Concil bei
Geistlichen ausgeschlossene Begnadigung von der Excom-
munication dem Könige anheimgestellt wird. Die in can. 10
folgende Strafandrohung gegen andere Hochverräther hält
1) Das ist die Bedeutung des 'exilio religari', vgl. z. B. L. Vis.
Reec. VI, 5, 13 : 'trium annorum exilio sub penitentia religetur aput epi-
scopum, in cuius territorio' etc.
Gesch. d. westgoth. Gesetzgeb. II. — L. Vis. II, 1, 6—9 ; 5,19. 69
sich fast ganz in den Grenzen der Ervigschen Fassung
von II, 1, 8: Verlust der Palatinenwürde, Verknechtung an
den Fiscus und Confiscation des Vermögens sind die Strafen,
die hier durchweg auf die gesammte Nachkommenschaft
ausgedeht werden. Von Todes- oder Verstiimmelungsstrafen
ist gar nicht mehr die Rede, ja nicht einmal von der von
Ervig anerkannten Decalvation nebst Prügelstrafe. Das
Begnadigungsrecht wird auch hier wieder dem Könige
ohne Beschränkung zugestanden.
II, 5, 19. [W. II, 5, 19.] — Mit Sisberts Verschwörung
steht auch Egicas erst unter II, 5, 19 eingereihte Novelle
'Plerumque' in engstem Zusammenhange. Sie ist in Folge
jenes Ereignisses erlassen und also wohl im Jahre 693 ent-
standen, lieber den wesentlichen Inhalt dieses Gesetzes
ist bereits im ersten Theile gehandelt (N. A. XXIII, S. 507).
Das Bestreben, die Bedeutung des allgemeinen dem Könige
zu leistenden Treueides zu stärken, ist diesem Gesetze mit
der oben S. 57 besprochenen Novelle desselben Königs
(II, 1, 7) gemein.
II, 1, 9. [E. II, 1, 7.] — Dieses Gesetz Reccessvinds
ergänzt das vorhergehende Hochverrathsgesetz seines Vaters,
indem es auch die wörtliche Beleidigung des Königs unter
Strafe stellt. Obwohl der Satz des Paulus, nach welchem
entgegen anderen im römischen Rechte begegnenden An-
schauungen das crimen maiestatis nicht nur durch Thaten,
sondern auch durch Worte, 'non solum facto, sed et verbis
impiis ac maledictis' begangen werden konnte, in die Lex
Romana Visigothorum Paul. V, 31, 1 aufgenommen wurde,
scheint doch die wörtliche Beleidigung des Königs bei
den Westgothen nicht unter die Hochverrathsfälle gerechnet
zu sein. Chindasvind erwähnt in seinem Gesetze nichts
davon, und ebensowenig in dem Gesetz über falsche An-
klagen beim König, VI, 1, 6 [R. VI, 1, 5], wo die Anklage
wegen Hochverraths mit den Worten umschrieben wird :
'adversus regem, gentem vel patriam aliquid nequiter medi-
tatum fuisse aut agere vel egisse'. Wenn aber die Antiqua
VI, 1, 4 [R. VI, 1, 3] in Bezug auf den Straf process den
Fall: 'si contra regnum, gentem vel patriam aliquid dictum
vel dispositum fuerit', als crimen maiestatis behandelt, so
geht das 'dicere' hier auf hochverrätherische Anschläge
und Verabredungen, nicht auf Beleidigungen durch Schmäh-
reden.
Die Behandlung der wörtlichen Beleidigung als Hoch-
verrath könnte man vermuthen aus can. 5 des V. Concils
und can. 1 des VII. Concils von Toledo, da an beiden
70 Karl Zeumer.
Stellen Schmäbreden auf den König' ^ im Zusammenbang
mit Hochverrathsliandlungen genannt und gleich diesen
mit Excommunication bedroht werden. Gegen diese Ver-
muthung aber spricht ausser dem Schweigen Cbindasvinds
ganz besonders Fassung und Inhalt des Reccessvindschen
Gesetzes. Dieses belegt die Majestätsbeleidigung nicht mit
der Hochverrathsstrafe, sondern mit sehr viel geringeren
Bussen. Die Möglichkeit aber, dass früher die Hoch-
verrathsstrafen gegolten haben und erst durch Reccessvinds
Gesetz beseitigt und durch mildere Strafen ersetzt sein
könnten, ist durch die Einleitung ausgeschlossen. In dieser
wird nicht etwa die Nothwendigkeit dargelegt, die Strafen
herabzusetzen, sondern im Gegentheil ausführlich begründet,
dass die Person des Königs nicht nur vor feindlichen Ab-
sichten und Thaten, sondern auch vor Schmähreden und
öffentlichen Anschuldigungen geschützt werden müsse. Es
wird also die Nothwendigkeit der Bestrafung der Majestäts-
beleidigung überhaupt erst begründet. Auch Bibelstelleu
werden dazu herangezogen, darunter auch Exodus 22, 28 :
'principi populi tui non maledices'. Wenn nun in can. 5,
Conc. Tolet. V. dieselbe Stelle zu denselben Zwecken be-
nutzt ist, so unterliegt es wohl keinem Zweifel, dass wir
in jenem Canon die Grundlage für unser Gesetz zu sehen
haben.
Hervorzuheben ist noch, dass Reccessvind nicht nur
die Person des lebenden Königs, sondern auch das An-
denken des verstorbenen Königs gegen Schmähreden
schützt. Wer den princeps defunctus schmäht, wird mit
50 Stockhieben bedroht. Auf die Bedeutung dieser Be-
stimmung für die Würdigung des Verhältnisses Reccessvinds
zu seinem Vater habe ich schon früher (N. A. XXIII, S. 492)
hingewiesen.
II, 1, 13. [R. II, 1, 11.] — Dass in diesem Stücke,
welchem nach der besten Ueberlieferung eine Inscriptio
fehlt, eine Antiqua zu erblicken ist, dafür spricht der Um-
stand, dass auch die übrigen ohne Inscriptio überlieferten
Stücke für Antiquae zu nehmen sind. Sie dürfte aus dem
Codex Euricianus stammen, da Gundobads burgundisches
Gesetzbuch, für welches jener öfter als Vorlage diente,
eine ganz entsprechende Bestimmung enthält.
I
1) An ersterer Stelle : 'maledicere principi', an der zweiten : 'in
derogationem aut contumeliam princii^is nequiter loqui'.
Gesch. d. westgoth. Gesetzgeb. II. — L. Vis. II, 1, 9. 13. 71
Lex Vis.
Nullns iudex causam au-
dire presuniat, quae in legi-
bus non continetur, sed . . .
conspectui principis utrasque
partes j)resentare procuret.
Lex Burg. pr. const. c. 10.
Si quid vero legibus nostris
non tenetur insertum , hoc
tantum ad nos referre prae-
cipimus iudicantes.
Eine römische Vorlage für diese Bestimmung, welche
den Gebrauch jeder anderen Rechtsquelle, auch das Ge-
wohnheitsrecht und das freie Ermessen des Richters neben
dem geschriebenen Gesetzbuche ausschliessen sollte, ist
nicht nachzuweisen. Sie ist aber aus den spätrömischen
Anschauungen über die Entstehung des Rechtes hervor-
gegangen, den Anschauungen, welchen später Justinian
Ausdruck gegeben hat in dem bekannten Satze : 'tarn con-
ditor quam interpres legum solus Imperator iuste existi-
mabitur' (Cod. lust. I, 14, 1. 12, 5). Der Zweck jener Be-
stimmung des Westgothenrechtes war, wie ausdrücklich
gesagt wird, ein doppelter. Einmal sollten die vorliegenden
Rechtsstreitigkeiten durch den König entschieden werden,
zugleich aber dadurch die Möglichkeit gegeben werden, ent-
sprechende Rechtssätze in das Gesetzbuch einzufügen: 'quo
facilius et res finem accipiat et potestatis regle discretione
tractetur, qualiter exortum negotium legibus inseratur'.
Neben der Entscheidung des vorliegenden Falles sollte das
Recht fortgebildet oder ergänzt werden, durch den König,
der als die Quelle alles Rechtes galt. Das entsprach der
römischen Auffassung, nach welcher ein vom Kaiser ge-
fälltes richterliches Urtheil zugleich für alle künftigen
Fälle Gesetzeskraft hatte, wie schon Ulpian anerkennt,
Dig. I, 4, 1. 1, § 1: 'Quodcumque Imperator . . . cognoscens
decrevit . . . legem esse constat', und wie Justinian aus-
führlicher sagt, Cod. lust. 1, 14, 1. 12 pr.: 'Si imperialis
maiestas causam cognitionaliter examinaverit et partibus
cominus constitutis sententiam dixerit, omnes omnino iudices
. . . sciant hoc esse legem non solum illi causae, pro qua
producta est, sed omnibus similibus'.
In einem wesentlichen Punkte aber unterscheidet sich
die Auffassung des westgothischen Gesetzgebers von der
römischen. Während nach dieser die Gesetzeskraft der kaiser-
lichen PräJudicien ohne weiteres eintrat, Hess jener sie
erst durch Aufnahme eines entsprechenden Rechtssatzes
in das Gesetzbuch eintreten. Li derselben Weise wichen
auch die Burgunder vom römischen Rechte ab, wie die in
die Lex Burgundionum aufgenommenen königlichen Prä-
72 Karl Zeumer.
Judicien bezeugen, welchen die Gesetzeskraft erst durch
eine ausdrückliche Bestimmung- und durch die Aufnahme
in das Gesetzbuch beigelegt wird; 51, 1: 'Judicium quoque
nostrum, ut praesumptoris inobedientiam resecavit, ita
inditum legibus generalis praecepti iustitiam retinebit', und
52, 5: Judicium vero in hac causa prolatum ad vicem man-
surae in aevum legis praecipimus custodiri'.
Ob auch diese üebereinstimmung mit dem West-
gothenrecht durch dessen Binfluss zu erklären ist, lassen
wir dahingestellt sein. Jedenfalls unterstützt sie unsere
Annahme, dass das vorliegende westgothische Gesetz dem
ältesten Bestände, dem Codex Euricianus angehört.
II, 1, 14. [E. II, 1, 12.] — Reccessvind bestimmt in
diesem Gesetze, dass bei Publication seines Gesetzbuches
bereits anhängige, aber noch nicht entschiedene Eechts-
sachen nach dem neuen Gesetzbuche entschieden, bereits
vorher nach dem älteren Recht entschiedene nicht wieder
aufgenommen werden sollen. Ervig hat dann durch eine
Aenderung diese Bestimmung ausdrücklich auf sein revi-
diertes, mit Beginn seines zweiten Regierun gs Jahres in
Kraft getretenes Gesetzbuch bezogen, indem er statt der
Worte 'Illas autem (causas), quae iam iuste determinate
sunt, resuscitare nullatenus patimvir' setzte : 'Illas autem
causas, quae antequam istae leges a nostra gloria emenda-
rentur, legaliter determinatae sunt, id est secundnm legum
modum. qui ab anno priaio regni nostri in praeteritis ob-
servatus est, resuscitari nullatenus patimur'.
Ist sonach Reccessvinds Fassung dieses Gesetzes die
ältere der beiden überlieferten Formen, so ist sie, trotzdem
das Gesetz Reccessvinds Namen trägt, nicht die ursprüng-
liche. Das Gesetz ist die genaue, z. Th. wörtliche Nach-
bildung einer Bestimmung der Novelle Theodosius II.
(2 § 2), und da diese auch in die Lex Romana Alarichs II.
aufgenommen ist, so wäre es an sich denkbar, dass erst
unter Reccessvind die Bestimmung im Anschluss an jene
Novelle formuliert wäre. Es wird das aber unwahrschein-
lich dadurch, dass die entsj)rechende Vorschrift mit starken
Anklängen im Wortlaut sich auch im Schlusscapitel des
Edictus Rothari wiederfindet. Freilich hat Tamassia ^ ver-
sucht, Justinians Constitutio Tanta als Quelle Rotharis
hinzustellen ; doch mit Unrecht. Rotharis Text ist nicht
aus einer Benutzung der Const. Tanta, sondern nur aus
1) Le fonti dell' eddito di Rothari (Pisa 1889) p. 4.
Gesch. d. westgoth. Gesetzgeb. II. — L. Vis. II, 1, 13. 14. 73
einer Benutzung der Stelle des alten Westgothenrechtes
zu erklären, welche wir als Grundlage des Eeccessviudschen
Gesetzes ansehen müssen, und die ebenso wie jene Stelle
Justinians im Ansehluss an die Theodosische Novelle ver-
fasst war. Die Zusammenstellung der vier Quellenstellen
macht das ohne Weiteres deutlich.
Ed. ßothari: 'decernimus, ut causae, que fenitae
sunt, non revolvantur. Quae autem non sunt fenitae et a
presente . . . diae . . . incoatae aut commotae fuerint,
per hoc edictum iucidantur et finiantur'.
Nov. Theod. : lites, quas inchoatas quidem, necdum
tarnen finitas eo tempore, quo publicantur (hae leges), in-
venerint , secundum earum tenorem volumus terminari ;
illas autem, quae iam vel sententiis definitivis vel trans-
actionibus decisae sunt, minime resuscitari'.
Reccessvind: 'Ut terminate cause nullatenus revol-
vantur . . . Quaecumque causarum negotia incoata sunt,
nondum vero finita, secundum has leges determinare san-
cimus. Illas autem, que iam iuste determinate sunt, resu-
scitare (all. : -ari) nullatenus patimur'.
Const. Tanta. Das Corpus iuris civilis soll gelten
vom 30. Dec. 533 an : 'in omnibus causis, sive quae postea
emerserint, sive in iudiciis adhuc pendent — . Quae enim
iam vel iudiciali sententia finita sunt vel amicali j^acto
sopita, haec resuscitari nuUo volumus modo'.
Die Constitutio Tanta bezeichnet die anhängigen
Processe nicht mit ihrer Vorlage als 'lites inchoatae', son-
dern spricht statt dessen von 'causae quae emerserint, quae
in iudiciis adhuc pendent'. Rothari hat keinen dieser
beiden Ausdrücke verwendet, sondern entsprechend der
Novelle und dem Gesetze ßeccessvinds 'causae incoatae'.
Das allein schon schliesst die Annahme aus, dass E-othari
hier aus Justinian geschöpft haben könnte, und bezeugt,
dass er von ihm unabhängig ist. Die Annahme, dass er
die Novelle selbst benutzt habe, ist wohl ausgeschlossen.
So bleibt als einziger Ausweg die Annahme, dass er aus
dem Westgothenrecht geschöpft hat, mit dem der Edictus an
dieser Stelle auch das 'causae non revolvantur' gemeinsam
hat. Da nun Rothari nicht wohl Reccessvinds Gesetzbuch
benutzt haben kann, sondern hier ^^ie auch sonst eine
frühere Form als Vorlage gehabt haben muss; so müssen
wir annehmen, dass Reccessvinds vorliegendes Gesetz nicht
ganz neu ist, sondern die fragliche Bestimmung aus der
Antiqua, vielleicht aus deren Publicationsedict, herrührt.
Da Reccessvind trotzdem seinen Namen darüber setzte, ist
7-i Karl Zeumer.
anzunehmen, dass er den Wortlaut nicht ganz unverändert
liess und etwa den Schlusssatz hinzufügte.
II, 1, 15—18. [E. II, 1, 13—16.] — Der Gesetzgeber
der 3 ersten dieser Gesetze ist Reccesvind, der des 4. Chin-
dasvind. Sie handeln sämmtlich von der Autorisation der
Eichter. Nach II, 1, 15 sollen Eechtssachen nur von
solchen entschieden werden, denen der König richterliche
Gewalt verliehen hat, oder von gewillkürten Schiedsrichtern,
denen die Parteien die Entscheidung vor Zeugen über-
tragen habend In II, 1, 16 wird von der den Thiufadi
neben der übrigen Gerichtsbarkeit zustehenden Criminal-
gerichtsbarkeit gehandelt und in II, 1, 17 bestimmt, dass
allen Eichtern eine allgemeine Competenz in Bezug auf
Criminal- wie auf Civilgerichtsbarkeit zustehen solle, mit
Ausnahme der Friedensrichter ('assertores pacis'), deren
Zuständigkeit sich nur auf die ihnen besonders vom Könige
aufgetragenen Sachen beschränken solle. Chindasvinds
Gesetz endlich bestimmt, dass nur der, welchem für einen
Bezirk ('territorium') die richterliche Gewalt verliehen sei,
in diesem executivische Zwangsgewalt handhaben dürfe.
Die lU'sprünglichen Texte dieser Gesetze gedenken
zweimal beiläufig der Befugnis der verordneten Eichter,
andere an ihrer Stelle mit der Wahrnehmung richterlicher
Functionen zu beauftragen: in II, 1, 16 wird dem Thiu-
fadus aufgegeben, für den Fall seiner Abwesenheit Stell-
vertreter für die Handhabung der Gerichtsbarkeit zu be-
stellen, und in II, 1, 18 wird der Fall vorausgesetzt, dass
der Eichter sich in der Eechtsprechung durch einen Un-
freien vertreten lässt, für dessen Handlungen er dann ver-
antwortlich ist. So erfahren wir, ohne dass es ausdrück-
lich durch ein Gesetz ausgesprochen wird, dass den west-
gothischen Eichtern die Delegationsbefugnis zustand. Diese
hat Ervig noch erweitert, indem er in einem Zusätze zu
II, 1, 15: 'Nam et si hü, qui potestatem' u. s. w. bestimmt,
dass auch die Substitute der vom Könige eingesetzten
Eichter ('comites et iudices) selbst wieder die Delegations-
befugnis haben sollen. Zugleich erfahren wir aus dieser
Stelle, dass der Auftrag schriftlich ertheilt werden musste,
durch ein Schriftstück, welches als 'commissoria' (mit einer
vom römischen Sprachgebrauch abweichenden Bedeutung)
oder als 'informatio' bezeichnet wird. Unter Hinweis auf
1) In diesem Gesetze finden sich Anklänge an Cod. Inst. III, 1, 14
§ 1 : 'causas dirimendas . . . partium consensu electi'. Vgl. Dig. V, 1, 81.
Gesch. d. westgoth. Gesetzgeb, II. — L. Vis. II, 1, 15 — 20. 75
dieses Gesetz hat dann Ervig in einem Zusätze II, 1, 18
die Zwangsg-ewalt nicht nnr den Substituten der Grafen
und Richter, sondern auch den von den Parteien erwählten
Schiedsrichtern zuerkannt.
II, 1, 19. [E. II, 1, 17.1 _ Chindasvind handelt in
diesem Gesetze von der Ladung durch den Richter oder
unter richteidicher Autorität und von dem Ungehorsam
gegen solche Ladung. Ueber die Form und Bedeutung
der Ladung 'per epistolam vel sigillum' habe ich früher
(N. A. XXIII, S. 85 f.) gehandelt. Dass diese Form der La-
dung erst durch Chindasvind eingeführt sei, ist nicht an-
zunehmen ; sie wird anscheinend als etwas Herkömmliches
angesehen. Wahrscheinlich war schon ein älteres Gesetz
über diesen Gegenstand vorhanden, welches durch dieses
ersetzt wurde, und lag vielleicht bei Abfassung von Lex
Baiuv. II, 13 vor. Dort handelt es sich um den Ungehorsam
gegen eine Ladung des Herzogs, die mittels dessen signum
erfolgt ist. Es ist vielleicht dem Einfluss des älteren west-
gothischen Gesetzes zuzuschreiben, dass im ßaiernrecht
neben dem als Ladezeichen dienenden Siegelring auch der
Siegelabdruck genannt ist: 'Si . . . signnm, quäle usus
fuerit, dux transmiserit aut annulum aut sigillum'.
In Chindasvinds Gesetz ist bezeichnend für seine
mächtige Stellung gegenüber der Kirche die Androhung
von Strafen für alle Geistlichen vom einfachen Kleriker
und Mönche bis hinauf zum Bischof, welche die Annahme
der richterlichen Ladung verweigern oder keinen Vertreter
('adsertor, prosecutor) zum Termin entsenden.
Weder von Bethmann-HoUweg, der Civilprocess IV,
S. 242 f., noch von Dahn, der Studien S. 249 f. über dieses
Gesetz handelt, ist die grosse Schwierigkeit, welche sich
der Erklärung dieses schlecht formulierten Gesetzes entgegen-
stellt, bemerkt. Der Geladene, welcher 100 Meilen ent-
fernt wohnt, wird erst, wenn er nach dem 11. Tage nach
dem Termin kommt, straffällig, der, welcher 200 Meilen
entfernt wohnt, wenn er nach dem 21. Tage erscheint.
Das ist ganz verständlich. Warum aber soll dieser mit
20 Schillingen büssen, jener nur mit 10?
II, 1, 20. [R. II, 1, 18.] — Hier handelt Chindasvind
im Gegensatz zum vorigen Gesetze von der Rechtsverwei-
gerung und -Verzögerung durch den Richter. Der schuldige
Richter soll dem Kläger den Werth des Klaggegenstandes
76
Karl Zeumer.
leisten, das Klagereclit des Klägers aber soll ausserdem
innerhalb der gesetzlichen Klagenverjährnngsfrist fort-
bestehen ^. Auch an Stelle dieses Gesetzes stand wohl
früher eine aus Eurichs Gesetzbuch herrührende Antiqua,
welche das Vorbild gewesen sein dürfte für König Gundo-
bads Bestimmung über Eechtsrerweigerung in Lex Burg.,
prima const. § 12.
Am Schluss unseres Gesetzes wird in Anlehnung an
Lex Rom. C. Theod. II, 6, 4 und II, 7 bestimmt, dass die
Richter in den Mittagsstunden und ausserdem an zwei Wochen-
tagen Ruhe haben, sonst aber stets bereit sein sollen, un-
verzüglich ihres Amtes zu walten. Diese Bestimmung ist
wohl sicher erst von Chindasvind getroffen, der ja auch
die römischen Gerichtsferien in einem eigenen Gesetze (II,
1, 12) einführte.
II, 1, 21. [R. IL 1, 19.] — Diese Antiqua muss bereits
in Eurichs Gesetzbuch vorhanden gewesen sein, wie die
üebereinstimmung mit der Lex Baiuvar. beweist.
Antiqua.
Iudex s i j)er quodlibet
commodum male iudica-
verit et cuicumque iniuste
qvTi dqu am a u f e r r i pr e c e -
perit, ille . . . ea que tulit
restituat. Nam ipse iu-
dex contrarius equitatis aliut
tantum de suo, quantum au-
ferri iusserat, mox reformet
. . . Sin autem per igno-
rantiam iniuste iudica-
V e r i t , et ... non per ami-
citiam vel cupiditate . . .
s e d tantundem ignoranter
. . . quod iudicabit non va-
leat et ipse iudex non in-
plicetur in culpa.
Trotz der weitgehenden üebereinstimmung weichen
aber in einigen wichtio-en Punkten die beiden Texte nach
Lex Bai. II, 16. 17.
Iudex s i accepta pecunia
male iudicaverit, ille,
qui iniuste aliquid ab eo per
sententiam iudicantis abstu-
lerit, ablata restituat.
Nam iudex qui perperam
iudicaverit in duplum ei, eui
damnum intulerit , cogatur
exsolvere ... Si vero nee
per gratiam nee per cupi-
ditate m, sed per errorem
iniuste iudicavit, iudicium
non habeat firmitatem, iudex
vacet a culpa.
1) Ueber die Art. wie der Inhalt dieses Gesetzes mit zwei andern
desselben Gesetzgebers, die von Rechtsverweigerung in Criminal- und
Busssachen handeln, VI, 4, 3. VI, 5, 14, vereinigt werden kann, vgl.
G. Colin, Justizverweigerung S. 147 ff.
Gesch. d. westgoth. Gesetzgeb. II. — L. Vis. II, 1, 20. 21. 77
Fassung und Inhalt stark von einander ab. Es fragt sich,
ob diese Abweichungen auf Aenderungen des bairischen
Gesetzgebers oder auf solche der Revisionscommission Leo-
vigilds zurückzuführen sind. Als bairische Aenderung dem
westgothischen Texte gegenüber können wir die Normierung
der Geldstrafe an den Fiscus auf 40 Schillinge betrachten.
Dagegen glaube ich eine andere Abweichung aus einer
Aenderung des Eurichschen Gesetzes durch Leovigild er-
klären zu müssen. Das bairische Gesetz legt dem par-
teiischen Richter die Zahlung des duplum des der be-
günstigten Partei zugesprochenen Streitgegenstandes an die
geschädigte Partei auf. Dass die zu Unrecht einer Partei
zugesprochene Sache selbst zurückzugeben sei, war bereits
vorher gesagt, so dass wir nur annehmen können, dass der
Richter ausserdem noch den doppelten Betrag zahlen sollte.
Das dürfte auch dem ursprünglichen Sinne des westgothi-
schen Gesetzes entsprochen haben. Die Antiqua spricht
aber nur von einem 'aliut tan tum', welches der Richter
dem Geschädigten neben der Rückgabe der durch das
ürtheil fälschlich entzogenen Sache zu leisten habe, und
erläutert das ausdrücklich in diesem Sinne : 'aliut tantum
de suo. quantum auferri iusserat, mox reformet, id est,
oblate rei simpla redintegratione concessa pro satisfactione
sue temeritatis aliut tantum . . . illi, quem iniuste dam-
naverat, reddat'. Das sieht ganz nach einer einschrän-
kenden authentischen Interpretation eines älteren Rechts-
satzes aus. In der That wäre die einfache Leistung des
Betrages kaum eine Strafe für den bestechlichen gothischen
Richter gewesen, solange noch das Gesetz des Theudis
galt, welches gewissermassen Bestechungssummen bis zur
Höhe des Streitgegenstandes erlaubte; vgl. N. A. XXIII,
S. 91 £P. Ich habe a. a. 0. S. 95 aus einem andern Grunde
vermuthet, dass Chindasvind bereits diese Bestimmung
nicht mehr in Geltung gefunden habe. Sie müsste dem-
nach durch die Revision Leovigilds beseitigt sein; dazu
aber würde gut die Annahme stimmen, dass durch jene
Revision die Strafe für die bestochenen Richter gegenüber
der älteren Gesetzgebung gemildert sei.
Eine weitere Milderung der Strafe hat dann Ervig
vorgenommen. Unsere Antiqua, wie sie in der Reccessvin-
diana überliefert ist, bestimmt, dass der straffällige Richter,
der die Strafsumme nicht aufbringen kann, mit allem, was
er hat, dem Geschädigten verknechtet werden soll. Ervig
ersetzte die Bestimmung durch eine andere, nach welcher
der Richter dem Geschädigten in diesem Falle nur soviel
78 Karl Zeumer.
er besitzt geben, im Falle aber, dass er garnichts besitzt,
Prügelstrafe erleiden soll.
II, 1, 23. [E. II, 1, 21.] — Diese Antiqua, welche un-
verändert aus dem Codex Euricianus übernommen zu sein
scheint, ist dem Inhalte nach, soweit sie auf die bairischen
Verhältnisse anwendbar war, und zum Theil wörtlich in
die Lex Baiiiv. als IX, 17 aufgenommen. Sie verlangt in
scharfem Gegensatze zu dem germanischen Process, dass
der Eichter jeden Eechtsstreit gründlich untersuchen und
nur, wenn durch Zeugen und ürkundenbeweis die Wahrheit
nicht zu ermitteln ist, die Entscheidung durch den Eid
zulassen soll: 'Iudex ut bene causam aguoscat, primum
testes interroget, deinde scripturas requirat, ut veritas
possit certius inveniri, ne ad sacramentum facile veniatur
... In his vero causis sacraraenta prestentur, in quibus
nullam scripturam vel probationem seu certa iudicia veri-
tatis discussio iudicantis invenerit'.
Die Erwähnung der Zeugen, die ja ihre Aussagen
auch beschwören mussten ^, im Geg'ensatz zu dem sacra-
mentum, welches nur als letztes Auskunftsmittel zugelassen
wird, zeigt, dass unter diesem nur der Parteieneid gemeint
ist. Aus Chindasvinds Gesetze II, 2, 5 erhellt aber, dass
es sich dabei nur um das wichtigste germanische Beweis-
mittel, den Eeinigungseid des Beklagten, handelt. Dort
wird der Eichter angewiesen, zunächst von beiden Parteien
Beweise zu fordern: 'probatio ab utraque parte, hoc est
tarn a petente quam ab eo, qui petitur, debet inquiri'.
Unter 'probatio' wird hier der Beweis durch Zeugen, Ur-
kunden und anderes Beweismaterial, dessen freie Würdi-
gung dem Eichter überlassen zu sein scheint, verstanden.
Erst wenn der Eichter hieraus die Wahrheit nicht ermitteln
kann, soll der Beklagte zum Eeinigungseid zugelassen
werden : 'si per probationem rei veritas investigare (lies : -ri)
nequiverit, tunc ille, qui pulsatur, sacramentis se expiet'.
Musste der Eichter noch unter Chindasvind beim Versagen
anderer Beweismittel den Beklagten zum Eeinigungseide
zulassen, so ist unzweifelhaft auch in unserer Antiqua nur
an den Eid des Beklagten zu denken ; und gewiss ist es
kein Zufall, dass nach einer Formel aus Sisebuts Zeit,
Form. Visig. n. 40, in einem Process, nachdem andere
Beweismittel versagt haben, zuletzt dem Beklagten der Eid
auferlegt wird, den dieser aber nicht zu leisten wagt, so-
dass der Kläger den Process gewinnt. Dieser Eest des
1) Oonditiones für einen Zeugeneid Form. Visig. n. 39.
Gesch. cl.westgoth.Gesetzgeb.il.— L. Vis. II, 1,23.24.30.31. 79
germanischen Beweisrechtes ist dann durch Ervig beseitigt,
indem er in einem Zusätze dem Richter auch die Ent-
scheidung darüber, welche Partei schwören sollte, über-
liess: 'In quibus tarnen causis et a quo iuramentum detur, pro
sola investigatione iustitiae in iudicis potestate consistat'.
II, 1, 24. 30 A.B. 31. — Diese vier vom gerichtlichen
Instanzenzuge handelnden Gesetze Chindasvinds, Reccess-
vinds und Ervigs sind nur im Zusammenhang mit einander
zu verstehen und zu besprechen.
Chindasvinds Gesetz II, 1, 24 [R. II, 1, 22] regelt die
Berufung im Civilprocess. Wenn der Richter bis zum dux
provinciae hinauf von einer Partei — das Gesetz fasst
wohl nur als häufigeren Fall den ins Auge, dass es die
des Beklagten ist — für verdächtig erklärt wird, so soll
der für verdächtig erklärte Richter gemeinsam mit dem
Bischof die Sache verhandeln und beide sollen ein ge-
meinsames Urteil fällen : "Si quis iudicem aut comitem aut
vicarium comitis seu thiufadum suspectos habere se dixerit
et ad suum ducem aditum accedendi poposcerit aut fortasse
eundem ducem suspectum habere dixerit, , . . ipsi, qui
iudicant eins negotium, unde suspecti dicuntur haberi, cum
episcopo civitatis ad liquidum discutiant adqvie pertractent
et de quo iudicaverint pariter conscribant subscribantque
iudicium'. Auch gegen dieses Urtheil steht dem Wortlaute
nach freilich nur der Partei, welche den Richter für ver-
dächtig erklärt hatte, die Berufung an den König offen:
'Et qui suspectum iudicem habere se dixerat . . . conpletis
prius, que per iudicium statuta sunt, sciat sibi aput audieu-
tiam principis appellare iudicem esse permissam'. Diese Be-
rufung hat keinen Suspensiveffect; vielmehr muss das
richterlich -bischöfliche Urtheil erfüllt werden, bevor sie
eingelegt wird (vgl. die oben angeführten Worte : 'conpletis
prius' u. s. w. und vorher: 'non sub hac occasione petitor
hac presertim pauper quilibet patiatur ultra dilatione ). Die
Berufung geschieht in der Form einer Klage gegen Richter
und Bischof, ungerecht geurtheilt zu haben ('nequiter iudi-
casse'). Wird die Klage begründet gefunden, so trifft
Richter und Bischof die Strafe des Falschurtheils ; wird
sie unbegründet gefunden, so trifft den Appellanten die
gleiche Strafe. Diese Appellation war somit eine zwei-
schneidige Waffe. Der König sollte vor unnöthiger Be-
lästigung möglichst geschützt werden, und in der That bot
das übereinstimmende Urtheil des Richters und Bischofs
eine so weitgehende Garantie für gerechte Beurtheilung,
80 Karl Zeumer.
dass sich die Parteien in den meisten Fällen dabei be-
ruhigen konnten.
Mcht ganz deutlich lässt der Eingang des Gesetzes
das Instanzenverhältnis zwischen den verschiedenen vrelt-
lichen Richtern erkennen. Nur soviel erhellt, dass der
dux, sonst dux provinciae genannt, über den anderen
steht. Das stimmt mit II, 1, 18, wo er als Aufsichtsinstanz
über den Richtern erscheint. Andererseits werden dem
einfachen iudex oder iiidex loci als höhere entgegengestellt
der dux und der comes (c. civitatis), so II, 1, 19, VI, 5, 12.
Offenbar war der comes civitatis im Allgemeinen den
übrigen Richtern seines Bezirks, der civitas, die sich mit
der bischöflichen Diöcese deckt, übergeordnet, während in
einzelnen Beziehungen der dux, wie dem comes, so un-
mittelbar den andern Richtern übergeordnet war. Ob in
II, 1, 24 ein Instanzenzug für die Appellation a iudice
suspecto von den übrigen Richtern an den dux ange-
nommen ist, scheint unsicher. Vielleicht ist eine solche
unmittelbar von allen Richtern an den dux gehende Be-
rufung, vielleicht auch eine von den übrigen Richtern an
den comes civitatis, von diesen erst an den dux gehende
Berufung vorausgesetzt. Für Klagen gegen die unteren
Richter bildete, das wird in Chindasvinds Gesetz II, 1, o
[R. II, 1, 29] ausdrücklich gesagt, der comes civitatis die
ordentliche Instanz : 'Iudex, si a quacumque fuerit persona
pulsatus, sciat se . . . ante comitem civitatis rationem ple-
nissimam legali ordine redditurum'. Wollte eine Partei
sich bei dem Spruch des comes civitatis nicht beruhigen,
so konnte sie nach II, 1, 24 den comes civitatis für ver-
dächtig erklären und die Intercession des Bischofs anrufen.
Das ist in II, 1, 31 nicht ausdrücklich wiederholt, aber
doch angedeutet, indem diese Intercession ausdrücklich
ausgeschlossen wird für den Fall, dass der König auf An-
suchen der Partei die Sache durch besondere Commissare
aburtheilen lässt: 'Sane si regia in hoc negotio fuerit
postulata preceptio, remoto episcopo aliisque iudicibus,
causam qui fuerint iudices (per regium decretum) instituti
terminabunt'.
Es fragt sich, wie die auf den ersten Blick nicht
ganz klar erscheinenden Bestimmungen von Reccessvinds
Gesetz 11, ], 30 A [R. II, 1, 28] sich zu denen dieser beiden
Gesetze verhalten. Hier ist ebenfalls von einer richter-
lichen Thätigkeit der Bischöfe die Rede; diese wird aber
allgemein auf eine besondere Gerichtsbarkeit 'in Armen-
sachen' bezogen; so von Dahn, Könige V, S. 393, von
Gesch. d. westgoth. Gesetzgeb. II. — L. Vis. II, 1, 24. .30. 31. 81
V. Bethmann - Hollweg, Civilprocess IV, S. 225, von Colin,
Justizverweigerung S. 150. Mir scheint diese Auffassung
unhaltbar zu sein. Vor allem spricht der Umstand dagegen,
dass Ervig dieses Gesetz durch ein anderes ersetzt hat, in
dem die Competenz der Bischöfe im Allgemeinen geregelt
wird ohne besondere Eücksicht auf Armensachen, Da-
gegen spricht aber auch deutlich der Text des Gesetzes,
wenn wir ihn sorgfältig interpretieren und im Zusammen-
hange mit jenen andern Gesetzen betrachten.
Es heisst da zunächst: 'quemcumque pauperem con-
stiterit causam habere, adiunctis sibi aliis viris honestis,
episcopus iuter eos negotium discutere vel terminare pro-
curet'. Das sieht fast aus, als ob der Bischof in allen
Sachen, in denen Arme Partei waren, richten solle. Wie
wäre aber eine solche Competenz zu begrenzen gewesen?
Gab es doch eine scharfe Begrenzung des Begriffs des
Armen im rechtlichen Sinne damals nicht! Sollten etwa
die Bischöfe das Recht haben, alle Sachen, die sie für
Armensachen erklärten, dem ordentlichen Richter zu ent-
ziehen? Das ist undenkbar. Der Begriff des Armen ist
hier in einem andern Sinne als dem heutigen genommen,
in dem Sinne wie oft im Mittelalter die Armen den Reichen
entgegengesetzt werden.
Die 'pauperes' stehen im Gegensatze zu den 'potentes',
sie bilden die grosse Masse des Volkes, welche von den
'potentes' regiert und ausgebeutet wird. Wird jemand be-
drückt, so gehört er zu den 'pauperes'. Nach can. 32 des
IV. Concils von Toledo und ähnlich nach can. 23 des Conc.
Turon. II. wurden die Bischöfe zur Controlle der 'iudices
ac potentes, pauperum oppressores' bestellt. Auch Ervig
erliess das bereits erwähnte Gesetz zum Schutze der 'op-
pressi vel pauperes' gegen die 'iudices perversis iudiciis
populos opprimentes'. Bei der uns erst durch das Gesetz
des Theudis ganz enthüllten Laxheit der Westgothen in
Hinsicht der Bestechung war es kein Wunder, wenn man
ohne Weiteres den durch Rechtsverweigerung oder unge-
rechtes Urtheil bedrückten zu den Armen rechnete.
Die Worte: 'episcopus inter eos uegotium discutere
vel terminare procuret' bedeuten, der Bischof soll sich der
Entscheidung der zwischen den Armen und ihren Gegnern
schwebenden Sachen annehmen. Die Gegner sind die Be-
drücker, die Richter. Aus dem folgenden ergiebt sich,
dass es sich um Sachen handelt, die der Entscheidung des
comes civitatis unterliegen, und dass der Bischof die Auf-
gabe hat, den comes zur Zustimmung zu einem gerechten
Neues Archiv etc. XXIV. ß
82 Karl Zeumer.
Urtheil zu bewegen; nur wenn das nicht gelino^t, soll der
Bischof allein ein rechtskräftig-es Urtheil fällen und den
comes zur Vollstreckung- desselben anhalten : 'ita ut, si
contemni se a comite vel nolle eum adquiescere veritati
sacerdos inspexerit, potestatis eins sit, . . . emisso iustum
iudicium . . . rem, de qua ag-itur, petentis partibus con-
signare'. Offenbar handelt es sich hier um dieselbe Inter-
cession des Bischofs, wie in II, 1, 24 und II, 1, 31. Die
Partei klagt etwa wegen Rechtsverweigerung oder wegen
Verdächtigkeit des Richters (nach II, 1, 31) oder wegen
einer bereits in erster Instanz vor diesen gehörigen Sache
beim comes civitatis. Dieser will dem Kläger nicht Recht
geben und wird deshalb von ihm für verdächtig erklärt
unter Anrufung der Intercession des Bischofs. Der Fall
ist also bis hierher ganz derselbe wie in II, 1, 24; der
Unterschied beruht aber darin, dass dort angenommen
wurde, dass Bischof und Graf sich über ein Urtheil einigen ;
während hier der Fall behandelt wird, wo eine Einigung
nicht zu Stande kommt.
Das vom Bischof in diesem Falle abgegebene Urtheil
soll der comes zur Ausführung bringen ; weigert er sich,
so zahlt er dem Bischof ein Fünftel vom Werthe des Streit-
gegenstandes als Busse. Die gleiche Busse aber zahlt der
Bischof dem Kläger für Rechtsverzögerung, d. h. für ver-
zögerte Rechtshülfe gegen den verdächtigen comes : 'Si
vero episcopus fraudis communionem cum comite tenens
reppertus fuerit pauperi facere dilationem, eandem quintam
partem idem episcopus querellanti exolvat, staute nihil-
hominus negotio pauperis, donec iudicium inveniat veritatis'.
Mit dem in den letzten Worten erwähnten iudicium veri-
tatis deutet der Gesetzgeber wohl auf die endgültige Ent-
scheidung, die nach II, 1, 24 eventuell der König zu
geben hatte.
So fügt sich der Inhalt von II, 1, 30 A völlig in die Vor-
schriften ein, welche Chindasvind über den ordentlichen
Instanzenzug im Process gegeben hatte; und nur, wenn
wir das Gesetz so erklären, enthält Ervigs Gesetz II, 1, 30 B,
durch welches er jenes ersetzte, eine Abänderung derselben
Materie; während bei der gewöhnlichen Deutung von II,
1, 30A auf eine besondere Gerichtsbarkeit der Bischöfe in
Armensachen gar nicht zu verstehen wäre, weshalb Ervig
jenes ältere Gesetz nicht neben seinem neuen hätte be-
stehen lassen sollen.
Ervigs Gesetz II, 1, 30 B [W. II, 1, 30] enthält nun
nicht nur eine Veränderung, sondern auch eine offenbare
Gesch. d. westgoth. Gesetzgeb. II. — L. Vis. II, l, 24. 30. 31. 83
Verbesserung- der Bestimmungen über die Theilnahme der
Bischöfe an der Rechtspflege. Der Gesetzgeber geht von
derselben Voraussetzung aus, wie Chindasvind in II, 1, 24,
dass nämlich der weltliche Eichter nach Meinung der be-
drohten Partei ungerecht geurtheilt hat oder urtheilen
will, d. h. also der Partei verdächtig ist: dann soll der
Bischof ■ — natürlich auf Anrufen der Partei, was still-
schweigend vorausgesetzt wird — mit dem Richter ge-
meinsam die Sache durch ein gemeinschaftliches Urtheil
beendigen. 'Quod si hi, qui iudiciaria potestate funguntur,
aut iniuste iudicaverint causam, aut perversam voluerint
in quolibet ferre sententiam: tunc episcopus, in cuius
territorio agitur, convocato iudice ipso, qui iniustus asse-
ritur, atqne sacerdotibus vel idoneis aliis viris negotium
ipsud una cum iudice communi sententia iustissime termi-
nabit'. Bis hierher stimmt das Gesetz sachlich ganz mit
II, 1 , 24 überein ; weiter aber wird hier derselbe Fall an-
genommen, wie in II, 1, 30 A, nämlich dass ein solches ge-
meinsames Urtheil nicht zu Stande kommt: 'Quod si . . .
iudex ipse . . . iniquum a se datum iudicium . . . noluerit
reformare in melius, tunc episcopo ipsi licitum erit iudi-
cium de oppressi causa emittere'. Hier stimmt das neue
Gesetz Ervigs wieder mit dem älteren Reccessvinds überein :
der Bischof spricht in diesem Falle allein ein Urtheil.
Dieses Separaturtheil soll aber nicht sogleich, wie nach
jenem älteren Gesetze, vollstreckt werden, sondern es
soll mit einem ausführlichen Bericht des Bischofs über
die Punkte, in welchen es von dem Urtheil des Richters
abweicht, mit dem, der. durch dieses beschwert war, an
den König geschickt werden ziir Entscheidung der Sache
durch königlichen Urtheilsspruch : 'ita ut, quid a iudice
ipso perverse iudicatum, quidve a se correctum extiterit, in
speciali formula iudicii sui debeat adnotari. Sicque idem
episcopus et eum, qui opprimitur, nostris procuret dirigere
sensibus pertractandum, ut quae pars videatur veritatis
habere statum, glorioso serenitatis nostrae oraculo confir-
metur'.
Nach dem Recht der Ervigiana ist also die Appella-
tion wegen Verdächtigkeit des Richters und die anschei-
nend analog behandelte Beschwerde wegen Rechtsverwei-
gerung in den Grundzügen folgendermaassen geordnet.
Vom niederen Richter ist anscheinend Berufung oder Be-
schwerde an den höheren Richter, den conies civitatis
oder dux gestattet; von diesem geht sie an den Bischof.
Bischof und Richter sollen dann gemeinsam die Sache ver-
6*
84 Karl Zeumer.
handeln. Vereinigen sie sich zu einem gemeinsamen Ur-
theil, so bleibt der beschwerten Partei gegen dieses als
letztes, nicht ungefährliches Rechtsmittel die Appellation
an den König. Einigen sie sich nicht auf ein gemeinsames
Urtheil, so fällt der Bischof ein Sonderurtheil und schickt
mit diesem und einem Bericht über das abweichende Ur-
theil des weltlichen Richters die durch jenen beschwerte
Partei an den König zur endgültigen Entscheidung.
Diese ganze Gesetzgebung scheint nun entstanden zu
sein unter dem Einfluss justinianischen Rechts und zwar
der Novelle 86 vom Jahre 531. Die tJebereinstimmung
der Novelle mit jenen Gesetzen ist unverkennbar, und
kann wenigstens nicht in allen Stücken aus unabhängiger
paralleler Entwicklung des römischen und westgothischen
Rechtes erklärt werden. Die üebereinstimmung tritt noch
deutlicher hervor, wenn wir an einigen Stellen die ver-
kürzte Bearbeitung der Novelle bei Julian, Const. 69, bei
der Vergleichung zu Grunde legen. Wo jedoch nichts
weiter bemerkt ist, führe ich die Novelle nach dem latei-
nischen Text des Authenticum an.
In Capitel 1 der Novelle wird der iudex (oder praeses)
provinciae als ordentlicher Richter bezeichnet und dann
hinzugefügt: 'Si vero dum aliquis adierit iudicem provin-
ciae, non meruerit iusticiam, tunc iubemus eum adire suum
. . . episcopum, et ipsum mittere ad . . . iudicem aut per
se venire ad eum, et praeparare eum, ut omnibus modis
audiat interpellantem et liberet eum cum iustitia. Si vero
. . . iudex differt discernere negotium et non servet liti-
gantibus iustitiam, iubemus episcopum dare ad nos litteras'
u. s. w. Also bei Justizverweigerung durch den ordent-
lichen Richter wird Beschwerde beim Bischof vorge-
schrieben. Ist dessen Intercession beim Richter erfolglos,
so hat der Bischof dem Beschwerdeführer einen Bericht an
den princeps mitzugeben. Dieser auch im 3. Capitel wieder
hervorgehobene Bericht dürfte das Vorbild gewesen sein
für den Bericht, mit welchem nach Ervigs Gesetz II, 1, 30B
der Bischof den Kläger an den König senden soll.
Entspricht die Stellung, welche hier der Bischof ein-
nimmt, im Allgemeinen schon etwa der, welche ihm die
westgothischen Gesetze zuweisen, so entspricht diesen noch
genauer der Inhalt des 2. Capitels. Dieses lautet bei
Julian: 'Si cui praeses provinciae suspectus esse videatur
et litigare apud eum solum noluerit, liceat ei episcopum
invocare, ut cum ipso considente litem aiidiat' u. s. w. Also
hiernach soll ganz wie nach Chindasviuds II, 1, 24 der
Gesch. d. westgoth. Gesetzgeb. II. — L. Vis. II, 1, 24. 30. 31. 85
welcher den ordentlichen Richter für verdächtig erklärt,
den Bischof anrufen, welcher dann mit dem Richter ge-
meinsam in der Sache richten soll.
Im 4. Capitel wird dem Bischof die Gerichtsbarkeit
für Klagen der Unterthanen wegen Rechtsverletzungen ^
durch den iudex provinciae zugewiesen. Dem entspricht
die Anerkennung der westgothischen Bischöfe als Be-
schwerdeinstanz bei Verdächtigkeit des Richters, nament-
lich der comites civitatum. Reccessvind fasste II, 1, 30 A
die dabei durch die Bischöfe geübte Thätigkeit ebenfalls
als ein Richten zwischen den Beschwerdeführern und dem
Richter auf; und wenn Reccessvind die Möglichkeit berück-
sichtigt, dass der Bischof aus Connivenz gegen den Grafen
seiner Pflicht nicht nachkommt, so hatte er auch darin
ein Vorbild in Capitel 6 der Novelle, welches bei Julian
beginnt : 'Si episcopus ad gratiam praesidis supplicem con-
tempserit'.
Justinian hat durch seine Novelle den Bischöfen eine
Stellung in der römischen Gerichtsverfassung angewiesen,
die sie früher nicht innehatten. Freilich hatte bereits
Constantin eine weitgehende Gerichtsbarkeit der Bischöfe
anerkannt. Das war aber keine staatliche Gerichtsbarkeit,
sondern eine selbständige kirchliche, die mit jener concur-
rierte -. Justinian erst fügte die Bischöfe in den Orga-
nismus der staatlichen Gerichtsverfassung ein. Er bestellte
den Bisehof als ordentliche Instanz in allen Klagen gegen
den ordentlichen weltlichen Richter und als dessen gesetz-
lichen coniudex für den Fall, dass jener von einer Partei
für verdächtig erklärt war.
Diese letztere Einrichtung ist in der westgothischen
Gesetzgebung am genauesten nachgebildet; und dass es
sich nur um eine Nachbildung, nicht um eine von Chin-
dasvind wie von Justinian selbständig in den gewohnheits-
mässig ausgebildeten Verhältnissen vorgefundene und lega-
lisierte Einrichtung handelt, ist hier besonders deutlich,
da sie sich als Neuerung Justinians nachweisen lässt.
Ein coniudex oder ovvdiy.aoT/jg, der mit dem iudex
suspectus richten sollte, wurde früher in jedem einzelnen
Falle vom Kaiser besonders bestellt. Cod. lust. III, 1, 14,
§ 1. Auch die zwei Jahre vor Novelle 86 erlassene Novelle 53
1) Diese werden in den verschiedenen Texten mit allgemeinen
Ausdrücken, welche auch jede durch Pflichtwidrigkeit in der Ausübung
des Richteramtes begangenen Benachtheiligungen zu umfassen scheinen,
bezeichnet ; Orig. : ^ddniTj&ijvai^ Auth. : 'laedi', lul. : 'iniuriam pati'.
2) Siehe Löning, Gesch. d. D. Kirchenrechts I, S. 293.
86 Karl Zeiimer.
(von 537) c. 3, weiss noch nichts von einem gesetzlichen
coniudex, sondern kennt nur den von Fall zu Fall er-
betenen und gegebenen. Erst durch Novelle 86 ist also
der Bischof zum gesetzlichen Mitrichter des iudex suspectus
erklärt.
An der Erklärung der westgothischen Gesetze aus
Nachbildung der Novelle können wir festhalten, trotzdem
wir anerkennen müssen, dass der westgothische Gesetzgeber
nicht überall die wahre Bedeutung der Bestimmungen
seiner römischen Vorlage genau erkannte, den Begriff der
Rechtsverweigerung weiter fasste und namentlich der Ver-
dächtigkeit des Richters eine andere Bedeutung beilegte
als Justinian.
Nach justinianischem Recht konnte gegen den ver-
dächtigen Richter nur vor Einlassung in den Process, vor
der litis contestatio vorgegangen werden. Das hat erst
Justinian eingeführt durch die undatierte Constitution
Cod. 111, 1, 12 § 1. Noch November 530 musste er sogar
die irrige Annahme zurückweisen, dass die recusatio des
iudex suspectus vor der litis contestatio verboten sei.
Cod. VII, 45, 16. Schon im Februar 531 aber und wieder
537 konnte er auf sein eigenes Gesetz hinweisen, nach
welchem das Verfahren gegen den iudex suspectus nur vor
der litis contestatio gestattet sein sollte, Cod. III, 1, 16.
Nov. 53, 3 (lul. c. 47). War der verdächtige Richter ein
iudex delegatus oder datus, so konnte nach justinianischem
Recht die beschwerte Partei den Richter recusieren ; worau^f
an seine Stelle ein arbiter gewählt werden sollte ^ Wurde
ein richtender Magistrat für suspectus erklärt, so konnte
ein anderer Richter statt seiner vom princeps erbeten werden,
oder ein Mitrichter neben ihm '-.
Chindasvind und Ervig gehen dagegen von der Vor-
aussetzung aus, dass das Verfahren wegen Verdächtigkeit
des Richters in jedem Stadium des Processes vor und nach
der ürtheilsfällung möglich sei*, und kennen als Folge der
Verdächtigkeitserklärung die Aj)pellation, welche offenbar
in der Regel — wie die Ausnahme in II, 1, 24 zeigt —
Suspensiveffect hatte.
Eine solche appellatio a iudice suspecto ist dem
1) Cod. lust. III, 1, 16. 18. 2) Cod. lust. III, 1, 14 § 1 ; Nov. 53,
c. 3. 3) L. Vis. II, 1, 24: 'qiü suspectum iudicem habere se dixerat
. . . conpletis prius, que per iudicium statuta sunt' u. s. w. ; II, 1, 30 B:
'si . . . aut iuiuste iudicaverint aut ])erversam voluerint in (juoliljet ferre
sententiam'.
Gesch. d. westgoth. Gesetzgeb. II. — L. Vis. II, 1, 24. 30. 31. 87
justinianischen Rechte fremd, dagegen dem älteren römi-
schen Rechte bekannt, und ist dort ganz wie die west-
gothische wohl in jedem Stadium des Processes, jedenfalls
noch nach dem ürtheil zulässig; vgl. C. Theod. XI, 30, 58:
'si qui provocatione interposita suspecti iudicis velit vitare
sententiam . . . liberam habeat potestatem . . . Sciant
igitur cuncti sibi ab iniuriis et suspectis iudicibus . . .
provocatiouem esse concessam' ; Nov. Valent. III. 34, c. 16 :
'Si quis a suspecto iudice . . . vocem appellationis emiserit'
u. s. w. Die letztere Novelle ist (als Nov. Val. 12) in die
Lex Romana Visigothorum aufgenommen und zwar mit
einer Interpretatio, welche womöglich noch deutlicher die
Appellation als Folge der Verdächtigkeit des Richters hin-
stellt: 'Si quis iudicem pro quibuscumque causis adversum
sibi esse senserit aut habuerit fortasse suspectum, vocem
appellationis exhibeat'. Von dieser älteren im Westgothen-
reiche bekannten appellatio a iudice suspecto gingen Ghin-
dasvind und seine Nachfolger aus und verbanden damit
die Neuerung Justinians in Bezug auf die Mitwirkung des
Bischofs.
Die Einführung dieser Neuerung wurde dadurch er-
leichtert, dass im Westgothenreiche die Bischöfe bereits
vor Chindasvind die Aufsichtsinstanz für die weltlichen
Beamten bildeten. Das war vielleicht unter fränkischem
Einfluss geschehen. Im Frankenreiche wurde auf dem
Concil zu Tours (567) can. 27 (MG. Conc. Mer. p. 135) be-
stimmt: 'üt iudices aut potentes, qui pauperes oppremunt,
si commoniti a pontifice suo se non emendaverint, excom-
municentur'. Dem entsprechend bestimmte die Praeceptio
Chlotharii (MG. Gap. I, p. 19): 'Si iudex alequem contra
legem iniuste damnaverit, in nostri absentia ab episcopis
castigetur, ut quod perpere iudicavit versatim melius dis-
cussione habeta emendare procuret'. Für das Westgothen-
reich aber bestimmte Reccared I. L. Vis. XII, 1, 2: 'Sacer-
dotes . . . monemus, si excessus iudicum aut actorum scie-
rint et ad nostram non retulerint agnitionem, noverint se
concilii iudicio esse plectendos' u. s. w. Das III. Concil
von Toledo (589) sanctionierte diese Bestimmung in can. 18,
und das IV. Concil (633) erneuerte sie in can. 32 mit auf-
fallendem Anklang an das Concil von Tours. Die Bischöfe,
heisst es, sollen das Volk beschützen : 'ideoque dum con-
spiciunt iudices ac potentes pauperum oppressores existere,
prius eos sacerdotali admonitione redarguant; et si con-
tempserint emendari, eorum insolentias regiis auribus in-
timent'.
88 Karl Zeumer.
Durch eine solche Stellung der Bischöfe war der
Boden bereitet, auf welchen Chindasvind und seine Nach-
folger Bestandtheile der Bestimmungen der Novelle 86
verpflanzen konnten. Sie haben dann die Functionen der
Bischöfe für die weltliche Gerichtsbarkeit noch erweitert.
Chindasvind baute die durch II, 1, 24 aufgenommene Ein-
richtung des mit Bischof und Richter besetzten Gerichts
noch weiter aus, indem er einem solchen auch die Ab-
urtheilung der Amtsvergehen des abgesetzten Richters
auftrug.
Reccessvind bestellte IV, 3, 4 den Bischof neben dem
Richter als Vormundschaftsrichter und übertrug ihm, wie
schon Chindasvind gethan hatte, wichtige Functionen in
Testamentssachen (II, 5, 11. 12. 14).
II, 1, 25. [R. II, 1, 23.] — Chindasvind trifft in diesem
Gesetze genaue Anordnungen über die schriftliche Aus-
fertigung der richterlichen Urtheile für beide Parteien und
den Ersatz der schriftlichen Judicate in geringeren Sachen
('res modicas') durch 'condiciones, ad quas iurantur' — bei-
läufig ein Zeichen dafür, dass trotz der oben besprochenen
Gesetze, welche den Parteieneid einzuschränken suchten,
die Beendigung wenigstens der geringeren Sachen durch
solchen Eid die Regel war — . Die schriftliche Ausfertigung
der Urtheile haben die Gothen natürlich von den Römern
angenommen, ohne dass sich für dieses Gesetz ein be-
sonderes römisches Vorbild nachweisen liesse ^ Die schrift-
lichen Judicate sind nicht erst durch dieses Gesetz eingeführt.
Schon die Antiqua kennt sie. Nach II, 3, 2 (Ant.) soll der
Richter eine Processvollmacht aufbewahren, 'cum iudicati
exemplaribus', und V, 5, 10 (Ant.) erwähnt 'scripturas,
que simul tradi partibus debent . . . i. e. testamenta,
iudicia, pacta'. Auch Cod. Euric. 276 setzt wohl im Schluss-
satze bereits schriftlich ausgefertigte Urtheile voraus.
II, 1, 26. [R. II, 1, 24.] — Ueber dieses Sportelgesetz
Chindasvinds, über die älteren Vorgänger dieses Gesetzes
und über seine Erweiterung durch Ervig habe ich in einem
früheren Aufsatze gehandelt (N. A. XXIII, SS. 77 ff., 85 ff.
100). Hier ist nur noch nachzutragen, dass der zweite
Zusatz gegen Ende hinter '^^^i'solvat', der mit 'Idem vero
si super' beginnt und mit 'poena flagelli' schliesst, nicht
1) Vorl. V. Bethmann-HoUweg, Civilprocess III, S. 292.
Gesch. d. westgoth. Gesetzgeb. II. — L. Vis. II, 1, 25. 26; 2, 1. 89
in den Hss. der Ervigiana, aber schon in den besten
Vulgathss. steht, und deshalb vielleicht Egica zuzu-
schreiben ist.
II, 2, l. — Dieses kurze Gesetz, dem die Inscriptio
fehlt, ist unzweifelhaft eine Antiqua. Es lautet: 'Nullus
quemcumque repetentem ac obiectione suspendat, ut dicat
idcirco se non posse de negotio conveniri, quia ille, qui
pulsat, causam cum eius auctorem non dixerit nee eum
aliqua repetitione pulsaverit, excepto si legum tempora
obviare moustraverit'. Der Beklagte soll den, welcher ihn
wegen einer Sache beklagt, nicht mit dem Einwände zurück-
weisen können, dass der Kläger nicht zuvor seinen Auetor
beklagt habe. Unter dem Auetor kann nur der des Be-
klagten gemeint sein, nicht, wie der Verfasser der in der
Reccessvindiana hinzugefügten Ueberschrift sagt, der des
Klägers ('petentis auctor"). Es ist dieses ein recht schla-
gendes Beispiel für die Unzuverlässigkeit der Ueberschriften,
deren Verfasser hier den Sinn des Gesetzes gar nicht er-
fasste. Ganz leicht mochte es freilich für einen an den
längst romanisierten westgothischen Process gewöhnten
Mann des 7. Jh. nicht sein zu verstehen, wie Jemand auf
den Gedanken kommen sollte, einer Klage mit dem Ein-
wände zu begegnen, dass nicht der Auctor des Beklagten
in Anspruch genommen sei. Die Bestimmung der Antiqua
ist nur verständlich, wenn wir annehmen, dass sie gegen
einen germanischen Processgrundsatz gerichtet ist, welcher
zu Gunsten des abweichenden römischen beseitigt werden
sollte.
Nach germanischem Recht wie nach römischem Recht
haftete der Auctor dem Erwerber; er war sein Gewähre.
Die Haftbarkeit äusserte sich aber im germanischen Pro-
cess anders als im römischen. In diesem hatte der. welcher
eine Sache von einem anderen erworben hatte, diese gegen
eine Klage selbst zu vertheidigen, musste aber seinem
Auctor litem denuncieren, um ihm die Möglichkeit zu
geben, mit seiner Sachkunde für die Vertheidigung einzu-
treten, da er an dem Ausgange des Processes wegen seiner
Haftung für etwaige Eviction interessiert war. Sein Ein-
treten war aber ein bloss accessorisches, wenn ihn nicht
etwa der Beklagte zum procurator in rem suam machte.
Im germanischeu Process aber hatte der angegriffene
Besitzer einer »Sache, wenn er diese durch Vertrag von
einem Dritten erworben, diesen seinen Auctor zu stellen,
der dann selbst die Sache zu vertheidigen hatte. Der an-
90 Karl Zeuraer.
gegriffene Erwerber durfte in der Regel gar nicht selbst
statt seines Auetors die Sache führen. Er musste 'auc-
torem dare', nicht ioco auctoris stare' ^ Mit der Stellung
seines Auetors schied dann der Beklagte völlig aus dem
Rechtsstreite aus.
Dem romanistisch geschulten Verfasser der Antiqua
mochte ein solches Zurückweichen des Beklagten hinter
seinen Auctor als unzulässiger Verschleppungsversuch oder
als Versuch, die Stellung des Klägers zu verschlechtern,
erscheinen. Dass er die eigentliche Bedeutung des germa-
nischen Verfahrens nicht erkannte, deutet seine Formu-
lierung an, nach welcher er dieses so auffasste, als ob der
Beklagte die Einlassung verweigerte, weil der Kläger nicht
den Auctor in Anspruch genommen habe. Veranlasst
konnte er zu dieser Auffassung durch einen Fall sein, in
welchem der Beklagte, der eine Klage nicht Wort für
Wort leugnen konnte, nach germanischer Weise formell
die Antwort verweigert hatte unter der Einrede: 'quia
auctorem habeo'.
Nur in einem Falle lässt das Gesetz die Beziehung
auf den Auctor noch gelten, nämlich wenn diese in Ver-
bindung mit der Einrede der Verjährung erfolgt, d. h.
wenn der Beklagte sich auf einen Auctor berief, der die
streitige Sache solange besessen hatte, dass dadurch allein
oder unter Zurechnung der Besitzzeit des Beklagten selbst
die Verjährung des Klageanspruchs eingetreten war. Der
Beklagte wird aber auch in diesem Falle nicht durch Stellung
des Gewähren befreit, sondern weist mit Hülfe des Ge-
währen die Klage durch die Einrede der Verjährung zurück.
Ebenso findet auch nach VII, 2, 8. 9 bei der Eigenthums-
verfolgung an gestohlener Fahrhabe eine Befreiung des
Beklagten durch Stellung des Auctor nicht statt, wenn
auch die Stellung vom Beklagten verlangt wird und ihm
den Nachweis der Unschuld erleichtert.
II, 2, 2. 3. 8. — Der Codex Theodosianus enthält in
Titel 13 und 14 des II. Buches (in der westgothischen Be-
arbeitung) Bestimmungen, welche den Zweck haben zu
verhüten, dass in Rechtssachen eine Partei die andere da-
durch in eine ungünstigere Lage bringt, dass sie eine
mächtige Person vorschiebt, sei es durch Uebertragung einer
Schuldurkunde zur Eintreibung der Schuld an einen Mäch-
tigen, oder durch Führung der eigenen Sache unter dem
1) Siehe Brunner, D. Rg. II, S. 515 f.
Gesch. d. westgoth. Gesetzgeb. IL — L. Vis. II, 2, 1. 2. 3. 8. 91
Namen eines Mächtigen. Denselben Zweck verfolgte Eurich
mit seinem Capitel 312, wo er den Römern verbot, eine
streitige Sache einem Gothen vor der richterlichen Ent-
scheidnng zu überlassen. Dem entspricht die Antiqua II,
2, 8 mit dem Verbot, sich selbst während eines Rechts-
streites an einen Mächtigeren zu übertragen ('ad maiorem
personam se conferre) um dessen Schutzes theilhaftig zu
werden und dadurch den Gegner zu unterdrücken. Wer
dieses Verbot übertritt, soll mit Sachverlust bestraft werden ;
der 'potens in causam 2>a.trocinans' soll vom Richter unter
Androhung schwerer Strafen aus dem Gerichte entfernt
werden können, ebenso andere Personen.
Hier soll offenbar die Hülfeleistung, der Beistand vor
Gericht nicht unbedingt ausgeschlossen werden, sondern
nur soweit der Richter es im Interesse der zu stark be-
nachtheiligten Gegner glaubt verbieten zu müssen.
Das ist im Wesentlichen auch noch der Standpunkt
Chindasvinds in II, 2, 2, wo ebenfalls der, welcher nach
dem Verbot des Richters noch Beistand zu leisten fort-
fährt, mit Strafe bedroht wird. Chindasvinds Gesetz er-
gänzt und modificiert die Antiqua. Diese setzte eine
Geldstrafe, und zwar eine sehr hohe von 2 Pfund Gold,
nur fest für den potens, den Mächtigen, der sich der
Uebertretung schuldig machte, während andere, Freie
und Knechte, mit Prügelstrafe bedroht wurden. Wenn
Chindasvind dagegen bestimmt, dass derjenige, welcher
gegen das Verbot des Richters fortfährt Rechtsbeistand zu
leisten, 10 Goldschillinge, deren 72 auf ein Pfund gingen,
an den Richter zahlen soll, so könnte man das als eine
allgemeine Strafbestimmung, welche die ältere aufheben
sollte, ansehen. Dass der Gesetzgeber die Antiqua vor
Augen hatte, zeigt schon der umstand, dass er in genauer
Uebereinstimmung mit jener die schimpfliche Entfernung
des Uebelthäters aus dem Gericht anordnet. Nach beiden
Gesetzen soll dieser hinausgeworfen werden ^. Chindasvind
mag die Absicht gehabt haben, die Antiqua aufzuheben ;
jedenfalls hat Reccessvind durch ihre Aufnahme die fort-
dauernde Geltung anerkannt. Dasselbe hat auch noch
Ervig gethan, indem er ihr einen Zusatz einfügte, welcher
die Theilung der 2 Pfund Gold zwischen dem Richter und
der Gegenpartei anordnet. Wir müssen deshalb annehmen,
dass nach Reccessvinds und Ervigs Meinung die Busse von
1) Ant. : 'iuiuria violeuta a iudicio propulsare' ; Chind. : 'contume-
Uose de iudicio proiectus abscedat'.
92 Karl Zeiimer.
10 Schillingen als Eegel, die höhere von 2 Pfund als Aus-
nahme und zwar für die Fälle, wo potentes die Schul-
digen waren, gelten, die Prügelstrafe der Antiqua aber für
die gewöhnlichen Freien und Knechte neben der 10 Schil-
lingsbusse bestehen bleiben sollte.
Nicht nur als Ergänzung von II, 2, 8 ist Chinda-
svinds Gesetz II, 2, 2 anzusehen, sondern zugleich als
Ergänzung der hier unmittelbar folgenden Antiqua II, 2, 3.
Diese hatte bestimmt, dass der Richter, wenn die eine
Partei der andern an Zahl überlegen war, anordnen konnte,
dass von der grösseren Partei nur ein gewählter, der klei-
neren Partei an Zahl gleicher Ausschuss im Gericht zu-
gelassen werden sollte : 'ut nulla pars multorum intentione
aut clamore turbetur'.
Demselben Zwecke diente auch Chindasvinds Gesetz,
wie die Eingangsworte, welche an die eben angeführten
Schlussworte der Antiqua anknüpfen, ausdrücklich hervor-
heben: 'Audientia non tumulto aut clamore turbetur'.
Chindasvind ordnet deshalb allgemein an, dass der Richter
zu bestimmen habe, wer ausser den Parteien selbst in der
Sitzung zugegen sein dürfe, und knüpft daran die beson-
dere Bestimmung über die patrocinantes.
II, 2, 5. 6. — lieber das erstere Gesetz Chindasvinds
ist in Bezug auf den Hauptinhalt bereits oben (S. 78) ge-
handelt. Hier sei noch auf die Schlussbestimmung hin-
gewiesen, durch welche, wie an anderer Stelle ausgeführt
ist (N. A. XXIII, S. 85), wahrscheinlich die Processbusse
von 5 Schillingen als Strafe für leichtfertiges Processieren
statt der Verpflichtung der unterliegenden Partei, die Pro-
cesskosten ('sumptus et expensae litis') zu ersetzen, einge-
führt ist.
Eine Ergänzung dieses Gesetzes enthält das folgende
Reccessvinds. Es geht von der richtigen Ansicht aus, dass
unter Umständen der Pauschalsatz von 5 Schillingen als
Ersatz für die vom ungerecht Beklagten aufgewendeten
Kosten nicht ausreiche. Für diejenigen, welche eine Reise
von 60 Meilen zu machen hatten, um der Vorladung zu
folgen, wird daher der Satz auf 6 Schillinge erhöht und
so für jede ferneren 10 Meilen ein je um 1 Schilling er-
höhter Satz für die Processbusse des Anklägers festgesetzt.
II, 2, 7. — Dieses Gesetz, welches ein sehr merk-
würdiges Requisitionsverfahren anordnet für den Fall, dass
die beklagte Partei in einem andern Bezirk wohnt als die
Gesch. d. westgoth. Gesetzgeb. II. — L. Vis. II, 2, 2. 3. 8; 2, 5—7. 93
des Klägers, trägt in beiden Hss. der Reccessvindiana den
Namen Chindasvinds in der Inscriptio, ebenso in der Ma-
drider Ausgabe, wohl auf Grund der Mehrzahl der benutzten
Hss. Der Codex Cardonensis hat statt dessen Reccesvinds
Namen. Beide Hss. der Ervigiana und ebenso eine Anzahl
Hss. des Vulgattextes lassen hier wie auch sonst sehr oft
die Inscriptio gänzlich aus, und nur der Codex Legionensis
bezeichnet, soweit mir bekannt ist, das Gesetz als An-
tiqua. Dieser in seinem Werthe früher masslos überschätzte
Codex Legionensis kann gegen die Auctorität der beiden
Hss. der Reccessvindiana natürlich nichts beweisen. Das
Gesetz ist demnach von Chindasvind, und dieser Fall zeigt
einmal wieder so recht schlagend, wie bedenklich es ist,
das Alter der Quellen nach dem vermeintlichen Alter der
in ihnen vorausgesetzten Zustände bestimmen zu wollen,
statt aus dem durch glaubwürdige Ueberlieferung bezeugten
Alter der Quellen das der darin geschilderten Zustände zu
folgern. Dahn, Westg. Studien, S. 253 meint: Die Be-
stimmungen des Gesetzes seien offenbar Ueberbleibsel aus
einer Zeit, da der Staatsgedanke noch wenig entwickelt
war; und vielleicht hätten ursprünglich ähnliche Grund-
sätze gegolten, wenn die Parteien verschiedenen Bezirken
eines Stammes angehörten. Der Inhalt sei gewiss altes
Recht und der Zusatz des Cod. Leg. : antiqua glaubhafter
als die Chiffre : Kindasvinth. Und ebenso erklärt Cohn,
Justizverweigerung, S. 152: dass das Gesetz nicht aus der
Zeit Kindasvinths herrührt, sondern wie der Codex von
Leon bezeugt, eine antiqua ist, kann nicht bezweifelt
werden.
Freilich muthet es uns sehr alterthümlich an, wenn
dem im Bezirk eines anderen Richters wohnenden Kläger
wegen Rechtsverweigerung ein Pfändungsrecht nicht nur
gegen den pflichtvergessenen Richter, sondern sogar gegen
beliebige Eingesessene seines Bezirkes gegeben wird. Ob
die Einrichtung aus alter Zeit stammt, ob vielleicht Chin-
dasvind nur eine alte Einrichtung durch dieses Gesetz neu
geregelt hat, mag dahingestellt bleiben. Dass aber dieses
Gesetz von ihm herrührt, ist unzweifelhaft; und dass diese
Formulierung nicht vor Chindasvind entstanden sein kann,
bezeugt auch der [Jmstand, dass im Texte sehr nachdrück-
lich auch auf den Fall Rücksicht genommen wird, dass
der Kläger nicht ein Freier, sondern Knecht ist. Erst der
'humane Despot Chindasvind' ^ aber hat in II, 2, 9 den
1) S. V. Bethmann-Hollweg, Civilprocess IV, S. 237.
94 Karl Zenmer.
Knechten das Recht gegeben, als Kläger für sich selbst
und unter Umständen auch für ihre Herren — offenbar
in Bezus: auf das von ihnen bewirthschaftete herrschaft-
liehe Gut — aufzutreten. Vgl. die Bemerkungen zu II, 3, 3.
Der 3. Titel des II. Buches: 'De mandatis et manda-
tariis', handelt von der processualen Stellvertretung, welche
die Westgothen entgegen den Grundsätzen des germani-
schen Rechts aus dem römischen Rechte aufgenommen
und noch weiter ausgebildet haben. Eine Ausdehnung
der Vertretung über das nach römischem Rechte geforderte
Maass hinaus enthält gleich das erste Gesetz des Titels.
II, 3, 1. — Reccessvind ordnet in diesem Gesetze an,
dass der König und jeder Bischof als Partei sich vor Ge-
richt vertreten lassen sollen, um das Uebergewicht, das
ihnen ihr Ansehen über die Gegenpartei gab, zu mildern.
In Hinsicht auf den König entsprach das gewiss längst
herrschender Gewohnheit, und dass auch die Bischöfe als
Beklagte sich bereits vor Reccessvind regelmässig vor
Gericht vertreten Hessen, ergiebt sich aus Chindasvinds
II, 1, 19 [R. II, 1, 17]. Es ist noch nicht völlig klargestellt,
in wieweit Bischöfe im Westgothenreiche auch in Criminal-
sachen ihren Gerichtsstand vor dem weltlichen Richter
hatten ^ Soweit dies aber der Fall war , genossen sie
jedenfalls gemäss Valentinians III. Novelle 36, die als n. 12
in die Lex Romana Visigothorum aufgenommen ist, das
Privileg, sich als Beklagte in gewissen Sachen vertreten
zu lassen. Dieses beschränkte Vertretungsprivileg wandelte
Reccessvind durch sein Gesetz in einen unbedingten Ver-
tretungszwang. Offenbar aus denselben Beweggründen,
welche dieses Gesetz veranlassten, hatten schon 392 Valen-
tinian, Theodosius und Arcadius angeordnet, dass höhere
Staatsbeamte sich im Gericht vertreten lassen sollten,
C. iust. II, 12, 25.
II, 3, 2. 3. — Beide Gesetze sind Antiquae und ent-
halten Bestimmungen über die Vertretung im Process auf
Grund schriftlicher Vollmacht. Die westgothische Formel-
sammlung aus Sisebuts Zeit bietet eine Reihe von Mustern
für solche Vollmachten. Die Vollmacht wird dort als 'in-
iuncto', sonst als mandatum bezeichnet, der Bevollmäch-
1) S. V. Bethmann - Hollweg , Civilprocess IV, S. 225 ; Löning,
Gesch. d. D. Kirchenrechts I, S. 523 f. ; Dahn, Könige VP, S. 371.
Gesch. d. westgoth. Gesetzgeb. II. — Lex Vis. II, 8, 1 — 8. 95
tigte heisst mandatarius, prosecutor oder auch adsertor \
der Auftraggeber mandator.
Das erstere der beiden Gesetze ist lediglich eine Um-
schreibung und weitere Ausführung von L. Rom. Vis.
C. Th. II, 12, 3 und bestimmt, dass der Richter eine Ab-
schrift des Mandates zu den Acten nehmen und das Mandat
des Klägers auf Verlangen dem Beklagten vorgelegt
werden soll.
Nach II, 3, 3 haftet der Mandatar dem Vollmacht-
geber für Verlust des Processes in Folge dolosen Ein-
vernehmens mit dem Gegner. Ervig hat folgenden Zusatz
angefügt: 'Servo tamen non licebit per maudatum causas
quorumlibet suscipere, nisi tantum domini vel dominae
suae, ecclesiarum quoque vel j)auperum seu etiam nego-
tiorum fiscalium' -. Da dieser Satz früher unter der falschen
Elagge der Antiqua segelte, verleitete er zu der irrthüm-
lichen Annahme, dass bei den Westgothen die Knechte,
schon bevor ihnen Chindasvind die Processfähigkeit in
eigener Sache verliehen hatte , in gewissen Fällen die
Fähigkeit gehabt hätten, als Processvertreter aufzutreten.
II, 3, 4. — Chindasvind gestattet durch dieses Gesetz
in gewissen Fällen auch schwere Criminalklagen mittels
Vollmacht durchzuführen, was nach römischem Recht und
auch nach dem Rechtsbuche Alarichs II. verboten war;
s. L. Rom. Vis. C. Th. IX, 1, 9 mit Interpretatio.
Auch diesem Gesetze hat Ervig einen Zusatz gegeben,
der sachlich unbedeutend ist, aber früher, bevor er sich
als Zusatz Ervigs herausgestellt hatte, zu irrigen Meinungen
über die Entstehung der Lex Visigothorum Anlass gegeben
hat. Es wird hier nämlich ein anderes Gesetz Chinda-
svinds angeführt, und zwar nach Buch, Titel und Aera
('in libro sexto, titulo primo, era secunda'). Solange der
echte Text der Reccessvindiana , wo dieser Zusatz noch
fehlt, noch nicht bekannt war, musste man annehmen,
dass dieses Citat von Chindasvind selbst herrühre, und
daraus schliessen, dass es bereits zu Chindasvinds Zeit ein
in Bücher, Titel und Acren gegliedertes Gesetzbuch ge-
geben habe.
II, 3, 5 — 8. — Diese 4 Gesetze, sämmtlich Antiquae,
sind wohl durchweg im Anschluss an römische Einrich-
1) Der adsertor ist nicht Fürsprecher, wie iri'ig v. Bethmann-
Hollweg IX, S. 238 und Dahn, Studien S. 265, meinen. 2) Ein wei-
terer Zusatz der Ausgaben gehört nicht hierher.
96 Karl Zeumer.
tung-en, zum Theil mit nachweisbarer Anlehnung- an rö-
mische Quellen verfasst.
Für II, 3, 5, welches von der Entziehung des Man-
dates gegenüber pflichtwidrigen Procuratoren handelt,
vermag ich eine Quelle nicht anzugeben.
II, 3, 6 schliesst sich z. Th. eng an römische Bestim-
mungen au. Zunächst wird in üebereinstimmung mit dem
römischen Recht des Breviars bestimmt, dass Frauen für
sich selbst im Process auftreten, nicht aber die Sachen
anderer führen können; vgl. L. Rom. Vis. C. Th. II, 12, .5;
IX, 1, 2; Paul. I, 2, 2. Dann folgt die Bestimmung: 'Ma-
ritus sane non sine mandatum causam dicat uxoris aut
certe ante iudicem se tali obliget cautione, quod uxor
negotium non re"volvat, et si revolverit, damnum, quod
cautio demonstrat, maritns accipiat'.
Das entspricht dem römischen Rechte. Dieses ge-
stattete einem kleinen Kreise von Personen für andere,
darunter auch dem Ehemann für die Frau, ohne Mandat
zu klagen, verlangte aber hier wie ursprünglich in allen
Fällen processualer Vertretung satisdatio oder cautio rati-
habitionis (ratam rem haberi, de rato) ; vgl. Dig. XL VI, 7, 3 ;
besonders aber Cod. lust. II, 12, 21 (Constantin a. 315):
'Maritns citra mandatum in rebus uxoris cum sollemni
satisdatione et alia observatione intercedendi habeat liberam
facultatem . . . Sin autem mandatum susceperit, licet
maritus sit, id solum exsequi debet, quod procuratio
emissa praescripserit'. Nach römischem Rechte wie nach
westgothischem konnte also der Ehemann ohne Mandat
für seine Frau klagen, wenn er Sicherheit gegen die Nicht-
anerkennung seiner Processführung leistet.
Das römische Gresetzbuch Alarichs II. kennt nun
dieses Privilegium nicht. Statt jenes Gesetzes Constantins
nimmt es aus dem Cod. Theod. als II, 12, 4 nur einen
Satz aus einer Constitution von Theodosius, Arcadius und
Honorius vom Jahre 393 auf, welcher dem Schlusssatze
jenes älteren Gesetzes nachgebildet ist: 'Procurator licet
maritus sit, id solum exsequi debet, quod procuratio
emissa praescripserit'. Deutlicher als diese Textesstelle
lässt die Interpretatio die Meinung erkennen, dass auch
der Ehemann nicht ohne Mandat für die Frau handeln
dürfe : 'Qui uxoris suae negotium fuerit prosecutus, quam vis
maritus sit, nihil aliud agat, nisi quod ei agendum per
mandatum illa commiserit'. Die gleiche Auffassung finden
wir auch schon in der im 5. Jh. in Burgund verfassten
Consultatio veteris cuiusdam iurisconsulti, wo c. 8 § 1 jene
Gesch. d. westgoth. Gesetzgeb. II. — Lex Vis. II, 3, 5 — 10. 97
Stelle des Codex Theodosianus angeführt und mit wört-
lichem Anklänge an die Interpretatio umschrieben wird :
'maritum illa tantum negotia uxoris velut extraneum auc-
torem prosecuturum, quae procuratio emissa perscripserit'
(vgl. das. § 2 und c. 3 §1.2). Dieselbe Anschauung findet
sich dann auch später deutlich ausgesprochen in den im
fränkischen Reiche verfassten Auszügen aus der Lex ßo-
mana (Epitome Aegidii und Epit. Cod. Paris, suppl. lat. 215)
und in den Formeln von Tours n. 20 und Appendix n. 4.
Auch hier liegt, wie öfter (s. N. A. XXIII, 454 ff.) der
Fall vor, dass das Eecht der Antiqua mit älteren römi-
schen Quellen, nicht aber mit der Lex Romana überein-
stimmt, und wie stets in solchen Fällen ist auch hier zu
schliessen, dass solche Antiqua dem Codex Euricianus, nicht
erst der Revision Leovigilds angehört.
II, 3, 7 regelt zum Theil in freier Anlehnung an
römisches Recht das Verhältnis zwischen dem Vertreter
und dem Vertretenen, mandator iind prosecutor oder nach
römischem Sprachgebrauch dominus und procurator. Dabei
wird auch des Honorars für die Vertretung gedacht und
dabei ganz wie im römischen Recht gefordert, dass der
Betrag vorher fest vereinbart werde : '(prosecutor) ante
cause principium cum mandatore definiat, quantum pro
commodo sui laboris finito negotio ab eo sit accepturus' ;
vgl. C. lust. IV, 35, 17: 'Salarium incertae pollicitationis
peti non potest', und Dig. XVII, 1, 56 § 3. Das Breviar
erwähnt das Honorar des Procurators nicht, so dass auch
hier wieder die Unabhängigkeit einer Antiqua von jenem
Rechtsbuche Alarichs II. hervortritt.
II, 3, 8 handelt von der Aufhebung des Mandats
durch den Tod eines der beiden Contrahenten. Zum Theil
ist die Materie in Uebereinstimmung mit L. Rom. Vis. C.
Th. II, 12, 1.7 geregelt. Die selbständige Fassung aber,
starke sachliche Abweichungen und namentlich die Berück-
sichtigung des Honorars, die sich auch hier findet, beweisen
die Unabhängigkeit auch dieser Antiqua vom Breviar.
II, 3, 9. 10. — Diese beiden letzten Gesetze des Titels
rühren von Chindasvind her. Das erstere enthält in un-
geschickter Formulierung^ den einfachen und gesunden
1) Statt einfach zu bestimmen : keine Partei darf sich durch einen
Procurator vertreten lassen, der höheren Standes als der Gregner ist, wird
unterschieden : 1) wenn beide Parteien gleichen Standes sind, 2) wenn sie
ungleichen Standes sind; und hier wird wieder unterschieden, a) wenn
die vornehmere, b) wenn die geringere Partei sich vertreten lässt. Für
Xeues Archiv etc. XXIV. 7
98 Karl Zeumer.
Gedanken, dass Niemand seinen Gegner dadurch in eine
ungünstigere Lage versetzen darf, dass er seine Sache einem
Procurator überträgt, der mächtiger ist als jener. Der
gleiche Gedanke, aber weniger consequent durchgeführt,
findet sich auch in Cod. Inst. II, 13. Die Lex Eomana
dagegen bietet in C. Th. II, 13. 14 nur einige auf dem-
selben Grundgedanken beruhende, aber nicht auf die pro-
cessuale Vertretung bezügliche Sätze.
II, 3, 10 befreit die Beauftragten des Fiscus in fisca-
lischen Processen von den Beschränkungen des vorigen
Gesetzes.
Der 4. Titel enthält wie die Ueberschrift : 'De testibus
et testimoniis' ankündigt, Satzungen über Zeugenbeweis und
Zeugnis überhaupt.
Die volle Glaubwürdigkeit und damit die Fähigkeit
eidliches Zeugnis abzulegen, kam bei den Gothen, wie bei
den übrigen Germanen und nicht minder bei den Römern,
ursprünglich nur Freien zu. Den Aussagen Unfreier legt
das ältere gothische Recht im Anschluss an das römische
Recht nur dann Bedeutung bei, wenn sie auf der Folter
abgegeben sind. Das ist der Standpunkt, welchen die
Antiquae III, 4, 10. V, 4, 14. VI, 1, 4. VIL 6, 1 vertreten.
Wenn eine Antiqua V, 7, 12 bereits eine Ausnahme für
den Fall, dass freigeborene Zeugen nicht vorhanden sind,
zuzulassen scheint, wie sie später Reccessvind in II, 4, 10
ausdrücklich anerkennt, so hat es sich hier, wie wir sehen
werden, in der ursprünglichen Fassung nur um die Zulas-
sung Freigelassener (liberti, manumissi) gehandelt.
Erst Chindasvind hat in II, 4, 4 den vornehmsten
Königsknechten die volle Zeugnisfähigkeit verliehen.
Bei den Freien ruht die Zeugnisfähigkeit während
der Minderjährigkeit. Erst mit dem vollendeten 14. Jahre
Hess Reccessvind II, 4, 12 sie bei beiden Geschlechtern in
Wirksamkeit treten.
Die Zeugnisfähigkeit erlischt mit dem Verlust der
Standesrechte des Freien durch Infamie. Die wesentlichste
Wirkung der Inf amie(infamia,infamium), ja die einzige, welche
das Gesetz besonders hervorhebt, ist der Verlust des testimo-
die beiden letzten Fälle unter 2) wird richtig gesagt : der Vertreter darf
nicht vornehmer sein als der Gegner ; für den ersten Fall dagegen, wo
die Parteien gleich stehen, wird bestimmt, dass der Vertreter nicht höheren
Standes als der Vertretene sein soll. Es kommt das in diesem Falle auf
dasselbe hinaus, als wenn bestimmt wäre, er soll nicht vornehmer sein als
der Gegner. Doch wird der Grundgedanke durch die Fassung verdunkelt.
Gesch. d. westgoth. Gesetzgeb. II. — Lex Vis. II, 3, 9 — 4, 2. 99
nium. Zeugnisunfähigkeit und infamia werden geradezu
gleichgesetzt. So finden wir als gleichbedeutende Wen-
dungen in II, 1, 21: 'ita ut non flagellorum ista correptio
inducat notam infamie', und 'absque uUa testificandi iac-
tura XXX flagella suscipiat' ; ähnlich II, 4, 2. 3 ; vgl. auch
II, 1, 33 mit VI, 4, 2. Ausdrücklich als Folge der Infamie
wird der Verlust des Zeugnisses hingestellt in der Extra-
vagante II, 4, 14, wohl einer Antiqua: 'sie notam infamie
incurrat, ut postea ei testificari non liceat', und ebenso in
Reccessvinds II, 4, 11 : 'non infamie notam eis pertineat,
sed testificandi . . . sit illis concessa semper et indubitata
libertas'.
Diese Auffassung können die Gothen nicht von den
Römern angenommen haben, da nach römischem Recht
mit der Infamie nicht nothwendig Verlust des Zeugnisses
verbunden war, sondern die Zeugnisunfähigkeit eine be-
sondere Art der Ehrenminderung bildete. Was die gothi-
schen Gesetze als infamia bezeichnen, war wohl die germa-
nische Ehrlosigkeit, die nicht immer von der Rechtlosig-
keit deutlich unterschieden wird. Nach diesen orientie-
renden Bemerkungen wenden wir uns nunmehr einzelnen
Gesetzen des Titels zu.
II, 4, 1. — Chindasvind zählt hier die Verbrechen
auf, durch deren Begehung die Zeugnisfähigkeit verwirkt
wird. Die Stelle erinnert an die Aufzählung derjenigen:
'qui notantur infamia' im prätorischen Edict, Dig. III, 2, 1 ;
doch decken sich die Fälle so wenig, dass an eine An-
lehnung an die römische Quelle kaum zu denken ist. Es
sind ausser dem Ehre und Glaubwürdigkeit vernichtenden
falschen Zeugnis die schweren todeswürdigen Verbrechen,
deren Begehung nach germanischem Recht Ehrlosigkeit
allein oder Ehrlosigkeit und Rechtlosigkeit nach sich zog^.
Hier liegt also in der Hauptsache sicher germanisches
Recht zu Grunde, wenn auch vielleicht im Einzelnen durch
römische Einflüsse modificiert.
II, 4, 2. — Dieses Gesetz, eine Antiqua, handelt vom
Zeugenbeweise. Der Richter soll, wenn von beiden Par-
teien Zeugenbeweis angeboten wird, die Aussagen der Zeu-
gen prüfen und dann entscheiden, welcher Partei Zeugen
ihre Aussagen beschwören sollen. Es wird also entgegen
den Grundsätzen des römischen Processes, nach welchen
die Zeugen vor der Aussage schwören, C. lust. IV, 20, 9
1) S. Brunner, D. Rg. n, S. 597 ; Budde, Rechtlosigkeit S. 95 ff.
100 Karl Zeumer.
= C. Theod. XI, 39, 3, gemäss dem germanischen Process-
recht vorausgesetzt und gesetzlich anerkannt, dass die Zeu-
gen nachträglich den Inhalt ihrer Aussagen zu beschwören
haben.
Eömisch dagegen ist wohl der Zeugniszwang, der in
diesem Gesetze ausgesprochen wird. Wer von den vorge-
brachten Zeugen weder eidlich bezeugen will, was er weiss,
noch auch beschwören will, dass er nichts weiss ('si nescire
se dixerit, id ipsum etiam iurare distulerit') wird mit der
Strafe des falschen Zeugnisses bedroht. Die gleiche Strafe
für falsches Zeugnis und Zeugnisverweigerung sprechen
auch die fränkischen Volksrechte aus. Lex Salica 49, Lex
Rib. 50.
In einem Gesetz, dessen Wortlaut uns nicht überlie-
fert ist, C. lust. IV, 20, 16 pr., hat Justinian den Zeugnis-
zwang, der für den Criminalprocess schon längst bestand,
auch für den Civilprocess anerkannt ^ und dabei ganz wie
der westgothische Gesetzgeber verlangt, dass die Zeugen
entweder beschwören sollen, was sie wissen, oder schwören
sollen, dass sie nichts wissen. Diese Uebereinstimmung
zwischen dem justinianischen Gesetz und der Antiqua ist
so auffallend, dass man geneigt sein könnte, einen ursäch-
lichen Zusammenhang zwischen ihnen anzunehmen. Sollte
eine Einwirkung der Bestimmung Justinians auf die Ab-
fassung der Antiqua anzunehmen sein, so würde diese
natürlich erst bei der Revision Leovigilds enstanden sein
können.
II, 4, 3. — Ueber die eigenthümliche Anwendung der
Schriftvergleichung, welche sich in diesem Gesetze Chin-
dasvinds findet, habe ich oben S. 33. 36 f. eingehend ge-
handelt. Wie in jenen Bestimmangen, so lehnt sich der
Gesetzgeber auch in den darauf folgenden an römisches
Recht an.
Es wird bestimmt : 'In duobus autem idoneis testibus,
quos prisca legum recipiendos sanxit auctoritas, non solum
considerandum est, quam sint idonei genere, hoc est in-
dubitanter ingenui, sed etiam si sint honestate mentis per-
spicui adque rerum plenitudine opulenti'. Die 'prisca legum
1) Etwas ganz Neues war das nicht, wie man nach Wetzeil, Civil-
process § 23, n. 39 annehmen könnte; denn schon in constantinischer Zeit
behauptete der Jurist Arcadius Charisius das Bestehen des Zeugnis-
zwanges auch für den Civilprocess ; Dig. XXII, 5, 1 § 1 : 'Adhiberi quoque
testes possunt non solum in criminalibus causis, sed etiam in pecuniariis
litibus . . . nee ulla lege a dicendo testimonio excusantur'.
Gesch. d. westgoth. Gesetzgeb. IL — Lex Vis. II, 4, 2 — 4. 101
auctoritas' kann sich auf L. Eom. C. Th. XI, 14, 2 beziehen,
wo das Zeugnis eines einzigen Zeugen für ungenügend,
also mindestens das zweier Zeugen für nothwendig erklärt
wird. Dort heisst es im Texte : 'honestioribus potius fides
testibus habeatur. Simili modo sanximus, ut unius testi-
monium nemo iudicum . . . facile patiatur admitti. Et
nunc manifeste sancimus, ut unius omnino testis responsio
non audiatur, etiamsi praeclarae curiae honore praefulgeat'.
Dazu die Interpretatio : 'ut honestioribus magis quam vilio-
ribus testibus fides potius admittatur. Unius autem testi-
monium, quamlibet splendida et idonea videatur esse per-
sona, nullatenus audiendum'.
Nicht ausgeschlossen ist aber, dass die Erwähnung
des früheren Gesetzes sich auf eine entsprechende Consti-
tution des Codex Euricianus bezog, die uns nicht erhalten
ist. Dafür scheint folgendes zu sprechen.
Chindasvind fordert von den zwei Zeugen, deren Noth-
wendigkeit er mit dem Hinweis auf das ältere Gesetz be-
gründet, nicht nur, dass sie freigeboren, sondern auch,
dass sie ehrenhaft und begütert seien. Von dieser For-
derung findet sich nun weder in jener Stelle noch sonst
in der Lex Romana eine Spur, während sie dem älteren
römischen Rechte wie dem Justinians bekannt war. Justi-
nian nennt in Novelle 90, 1 unter den Bedingungen, welche
einen Freien ohne Weiteres zum Zeugnis qualificieren, auch
Reichthum, und schon um das Jahr 200 forderte der Jurist
Callistratus, dass bei der Prüfung der Glaubwürdigkeit
eines Zeugen darauf gesehen werde : 'an locuples vel egens
sit, ut lucri causa quid facile admittat', Dig. XXII, 5, 3 pr.
Es ist dieselbe Erwägung, aus welcher auch Chindasvind
den armen Zeugen für verdächtig erklärt: 'Nam videtur
esse cavendum, ne forte quisque conpulsus inopia . . . pre-
cipitanter periurare non metuat' ^.
Es ist unwahrscheinlich, dass Chindasvind die Armuth
als Verdachtsgrund selbständig aufgestellt haben sollte.
Dann aber liegt es nahe, anzunehmen, dass er als Quelle
eine verlorene, auf dem römischen Rechte ruhende Anti-
qua benutzte.
II, 4, 4. — Chindasvind erkennt hier als Regel noch
den dem römischen Rechte entlehnten Grundsatz an, dass
Aussagen von Knechten im Criminalprocess nur dann Ge-
1) Auch bei Reccessvind finden wir Armuth als Verdachtsgrund
gegen einen Zeugen ; s. 11, 4, 10 [R. II, 4, 8].
102 Karl Zeumer.
wicht haben sollen, wenn sie auf der Folter abgegeben
sind, legt aber den Königskneehten eine eigentliche Zeugnis-
fähigkeit in gewissem Umfange bei. Ohne Weiteres sollen,
etwa unter denselben Voraussetzungen wie Freie, diejenigen
Königsknechte zeugnisfähig sein, welche eins der höheren
Hausämter im Palaste bekleiden ; andere Königsknechte
sollen nur dann Zeugnis ablegen können, wenn es ihnen
der König ausdrücklich gestattet. Ausgeschlossen aber
sollen von der Zeugnisfähigkeit alle diejenigen Königs-
knechte sein, welche ad hoc, um sie zeugnisfähig zu
machen, dem Könige übereignet sind. Das ist der Sinn
der Parenthese: 'nisi qui ad hoc regalibus servitiis man-
cipantur'. Merkwürdiger Weise ist dieser einfache und
klare Sinn schon von den Redactoren Ervigs nicht mehr
verstanden. Sie haben durch Tilgung des 'nisi' einen noth-
dürftigen Zusammenhang mit dem übrigen ebenfalls ver-
änderten Wortlaut hergestellt, dadurch aber einen Text
geschaffen, der eine wirklich befriedigende Interpretation
nicht zulässt.
II, 4, 5. — Auch dieses Gesetz Chindasvinds zeigt
Beziehungen zum römischen Recht. Dieses kannte als
vollwerthiges Zeugnis nur die Aussage von testes prae-
sentes, daneben als minderwerthiges das testimonium per
epistulam oder t. quod recitatur; vgl. Dig. XXII, 5, 3.
Unser Gesetz verbietet nun das testimonium per epistu-
lam gänzlich und verlangt regelmässig testes praesentes
mit Benutzung der technischen römischen Ausdrücke und
wohl im bewussten Gegensatze zum römischen und dem
diesem wahrscheinlich bisher entsprechenden westgothischen
Recht. Die noch nach justinianischem Recht von der
Zeugnispflicht befreiten Kranken und Greise und ebenso
sehr entfernt wohnende Personen sollen sich in der Ab-
gabe des Zeugnisses vertreten lassen können : 'festes . . .
seu etate decrepiti vel infirmitate gravati aut in aliam et
longinquam provinciam constituti, de re, que ipsis est
cognita, testimonium aliquibus iniungendum putaverint'.
Das Mandat, welches einem solchen Vertreter ertheilt wird,
muss den Wortlaut der vom Zeugen über die Sache in
Gegenwart des Mandatars beschworenen Aussage in Form
der dafür abgefassten conditiones sacramenti enthalten.
Der Mandatar soll dann im Gericht beschwören, dass diese
conditiones vom Zeugen in seiner Gegenwart beschworen
seien.
Gesch. d. westgoth. Gesetzgeb. II. — Lex Vis. II, 4, 4 — 8. 103
Das eig-enthümlich ausgestaltete Verfahren dient dem-
selben Zwecke, wie das Reqnisitionsverfahren Justinians,
Cod. lust. IV, 20, 16 § 1; 21, 18. Nov. 90, c. 5.
II, 4, 6 — 8. — Das erste dieser Gesetze gehört Chin-
dasvind an. Es setzt die Strafe für falsches Zeugnis nach
dem Talionsprincip fest. Soviel dem Gegner durch das
falsche Zeugnis entzogen werden konnte, soviel soll der
falsche Zeuge ihm leisten und die Zeugnisfähigkeit ver-
lieren. Im Falle des Unvermögens trifft ihn Verknechtung
an den Geschädigten. Den Anstifter soll die gleiche Strafe
treffen. Die Ervigiana weist nun hierzu einen Zusatz auf,
der zwischen 'serviturus' und 'Quicumque autem' eingescho-
ben ist und lautet : 'Nam omnino per talium testimonium,
qui se primitus false testificasse prodiderit, causa ipsa re-
volvi non poterit, excepto si aliter evidentior ordo veritatis
claruerit, id est aut per legitimum alium et melioratum
festem aut per iustos et legales ordines scripturae'.
Dieser Zusatz, nach welchem die Selbstbezichtignng*
eines Zeugen, früher falsch ausgesagt zu haben, zur Wieder-
aufnahme eines Processes nicht genügen soll, diese viel-
mehr nur erfolgen darf, wenn neue glaubwürdigere Zeugen
oder Urkunden beigebracht werden, stimmt in der Sache
überein mit dem wesentlichsten Theile des Inhaltes des
folgenden Gesetzes, einer Novelle Ervigs, 11,4,7 [W. II, 4,7].
Ervig bestimmt : wenn durch das Zeugnis eines Zeu-
gen ein Rechtsstreit entschieden ist, soll der Zeuge nicht
nachträglich — wozu er durch Drohung oder Bestechung
der unterlegenen Partei leicht gebracht werden könne —
sein früheres Zeugnis als falsch widerrufen und ein neues
entgegengesetztes ablegen dürfen. Der Gesetzgeber bestimmt
vielmehr, durch ein neues Gesetz ('novella tenendum sanc-
tione praecipimus) unter Aufrechterhaltung des obigen
Gesetzes ('staute superiore lege'), d. h. unter Aufrecht-
erhaltung der Strafen, welche Chindasvind in II, 4, 6 für
das falsche Zeugnis festgesetzt hatte, welche also den sich
selbst des falschen Zeugnisses bezichtigenden treffen sollen,
dass dieser nicht zu einem zweiten Zeugnis zugelassen und
der Process nur auf Grund des Angebots neuer glaubwür-
diger Zeugen und Urkunden wieder aiifgenommen werden
dürfe. Auf Grund dieses Gesetzes ist dann offenbar jener
genau entsprechende Zusatz von den Redactoren der Ervi-
giana in Chindasvinds Gesetz eingesetzt, um die Beobach-
tung dieser Bestimmung noch mehr zu sichern.
104 Karl Zeumer.
Ervig fügt dann noch weiter eine seltsame Bestim-
mung hinzu. Wenn in einem Rechtsstreit von einer Partei
Zeugen produciert werden und die Gegenpartei erklärt, sie
wisse gegen die Zeugen nichts einzuwenden, so kann ein
vollstreckbares ürtheil auf Grund der Aussagen dieser
Zeugen ergehen ; der Gegner soll aber noch innerhalb
6 Monaten die Zeugnisunfähigkeit jener gegen ihn produ-
cierten Zeugen nachweisen und Restitution ('reparatio cau-
sae') verlangen können. Gegen inzwischen verstorbene
Zeugen sollen aber lebende Zeugen nicht vorgebracht wer-
den dürfen. Doch soll dadurch die Bestimmung eines
anderen Gesetzes ('iuxta legem aliam'), unter welchem Chin-
dasvinds V, 6, 6 gemeint ist, nicht berührt werden, nach
welcher Schulden und Delicte Verstorbener durch Zeugen
und Urkunden bewiesen werden können.
Ervigs Gesetz hat dann wieder eine Abänderung er-
fahren durch Egica's Novelle Divalis, II, 4, 8 [W. Suppl.
p. 664]. Es ist das einer der Fälle, in welchen Egica gegen
Bestimmungen seines Vorgängers polemisiert. Er hebt die
Beschränkung der reparatio causae auf die Frist von
6 Monaten auf und bestimmt, dass es bei dem älteren Ge-
setze Chindasvinds sein Bewenden haben solle; 'sub gene-
rali edicto Omnibus regni nostri populis reparabilem in
huiusmodi negotiis causandi licentiam pandimus ; ut ex
tempore, quo idem legis ordo est conditus . . . causae . . .
ad eiusdem legis seriem eodem capitulo non teneantur ad-
strictae. Sed disrupta mensium ipsorum Institution e cunctis
liceat causas suas legitima testium probatione iuxta ante-
riorem domini Chindasvindi principis legem proprium ne-
gotium reparare et alium testem proferre'. Mit dem citier-
ten Gesetz Chindasvinds kann nur II, 4, 6 gemeint sein
sollen, und zwar bezieht sich Egica gerade auf jenen von
Ervig herrührenden Zusatz. Egica bemerkt nicht, dass er
sich thatsächlich gegen eine Bestimmung Ervigs auf Ervig
selbst beruft. Er konnte, da er sicher nur den Text der
Ervigiana benutzte, zumal bei der Art der Interpolationen
dieses Textes, auch kaum wissen, dass jener von ihm an-
gezogene Satz nicht von Chindaswind, sondern von Ervig
herrühre.
II, 4, 10. [R. II, 4, 8.] — Die älteste Hs. der Ree-
cessvindiana schreibt dieses Gesetz Reccessvind zu, und für
dessen Urheberschaft spricht auch Fassung wie Inhalt.
Das Gesetz handelt von den Fällen, in welchen Unfreie
in Ermangelung freier Zeugen gültiges Zeugnis ablegen
Gesch. d.westgoth.Gesetzgeb. II. — Lex Vis. II, 4,7.8. 10. 13. 105
können, nämlich 1. bei Tödtungsklagen, 2. in geringeren
Civilsachen, u. a. auch bei Streitigkeiten um kleineren
Grundbesitz zwischen Nachbarn und Miterben, 3. in Bezug
auf streitige oder flüchtige Knechte. Voraussetzung ist
Töllige Unbescholtenheit und nicht zu grosse Armuth und,
ausdrücklich nur für den ersten Fall genannt, aber wohl
auf alle zu beziehen, das Fehlen freier Zeugen.
Chindasvind hatte in II, 4, 4 den Königsknechten
Zeugnisfähigkeit theils bedingt, theils unbedingt verliehen,
in II, 2, 11 dann allen Knechten ein beschränktes Klage-
recht gegeben. Es entspricht dem Fortschreiten der An-
schauungen von der Rechtsfähigkeit der Knechte, dass
Reccessvind allen eine beschränkte Zeugnisfähigkeit gab.
Dieser Entwicklung scheint nun zu widersprechen die
Antiqua V, 7, 12, welche lautet: 'Libertus vel liberta in
nullis negotiis contra quemquam testimonium dicere ad-
mittantur, excepto in aliquibus causis, ubi ingenuitas
deesse dinoscitur, sicut permissum est et de servis'.
Die letzten Worte in Verbindung mit der Beschränkung
auf einige, aber hier nicht genannte besondere Fälle kön-
nen nur als ein Hinweis auf ein anderes Gesetz und zwar
auf das Reccessvinds aufgefasst werden. Dieser Hinweis
muss dann nachträglich bei der Redaction des Gesetz-
buches unter Reccessvind hinzugefügt sein. Dass im Uebri-
gen V, 7, 12 eine Antiqua ist und zwar dem Codex Euri-
cianus bereits angehört hat, ist unzweifelhaft. Die älteste
Hs. der Reccessvindiana bezeichnet sie als Antiqua, und
der Hauptsatz stimmt inhaltlich ganz überein mit Lex
Burg. 60, 3 : 'Libertos etiam, si comj^etens ingenuorum
numerus defuerit, patimur testimonium perhibere'. Bei
den Beziehungen, in denen Gundobads Gesetzgebung zu
der Eurichs steht, dürfen wir als sicher annehmen, dass
die beschränkte Zeugnisfähigkeit der liberti bereits in
Eurichs Gesetzgebung anerkannt war. Dass dagegen da-
mals bereits den Knechten das gleiche Recht zugestanden
sein sollte, ist an sich und besonders im Hinblick auf die
burgundische Parallelstelle unwahrscheinlich und wird
durch die späteren westgothischen Gesetze geradezu aus-
geschlossen. Es bleibt also nur unsere Annahme möglich,
dass die Erwähnung der servi durch die Redactoren Rec-
cessvinds als Hinweis auf II, 4, 10 zugesetzt ist.
II, 4, 13. [R. II, 4, 11.] — Als Antiqua emendata be-
zeichnet ist in beiden Hss. der Reccessvindiana diese letzte
Lex des Titels nach seinem ursprünglichen Bestände. Ich
106 Karl Zeumer.
muss den kurzen Wortlaut g-anz hersetzen : 'Fratres, sorores
uterini, patrui, amite, avunculi, matertere sive eorum filii,
item nepos, neptis, consubrini vel amitini in iudicio ad-
versus extraneos testimonium dieere non admittantur ; nisi
forsitan parentes eiusdem cognationis inter se litem habue-
rint'. Der Gesetzgeber zählt solche Verwandten aiif, die
als Zeugen vermöge ihrer Verwandtschaft für verdächtig
gelten. Die Aufzählung beginnt mit den fratres und
sorores uterini ^, also mit den Halbgeschwistern von einer
Mutter; dann folgen Vaterbruder und -Schwester, Mutter-
bruder und Mutterschwester, deren Bruder u. s. w. Die
Aufzählung ist nicht vollständig; es fehlen die nächsten
Grade : Eltern, Kinder, Vollgeschwister und Halbgeschwister
von einem Vater. Dass diese näher verbundenen Personen
als unverdächtige Zeugen für einander zugelassen werden
sollen, während jene ferneren ausgeschlossen waren, kann
natürlich nicht gemeint sein. Die hier ausgelassenen näher
verbundenen Verwandten bilden eine Hausgemeinschaft, die
Familie oder domus, und zwar in römischer Begrenzung
auf diejenigen Personen, welche unter der patria potestas
desselben pater familias stehen. Dazu gehören auch die
Halbgeschwister vom Vater her (consanguinei), nicht die
von einer Mutter (uterini), mit denen unsere Aufzählung
beginnt. Es setzt also unser Gesetz ein anderes voraus,
welches der Hausgemeinschaft das Zeugnis gegen Fremde
zu Gunsten der Havisgenossen versagte. Ein solches findet
sich nun in der Lex Visigothorum nicht, wohl aber in der
Lex Eomana und zwar in Pauli Sent. V, 17, 1: 'Suspectos
gratiae testes et eos vel maxime, quos accusator de domo
produxerit . . . interrogari non placuit' '-. War dieser Satz
oder ein inhaltlich entsprechender in einer älteren Form
des Westgothenrechtes, in dem Gesetzbuche Eurichs oder
Leovigilds enthalten? Diese Annahme ist unvermeidlich;
denn einen für den Process so wichtigen Satz konnte der
Gesetzgeber nicht stillschweigend als bekannt voraussetzen.
Es dürfte sogar nicht unwahrscheinlich sein, dass der Satz,
welcher das testimonium domesticum verbot, dem Texte
von III, 4, 11 unmittelbar vorherging und erst von Leovi-
gilds oder Eeccessvinds Redactoren fortgelassen ist.
Weshalb dieser Satz nicht mit aufgenommen wurde,
darüber wage ich keine Vermuthung aufzustellen. Sicher
1) In der Ausgabe ist das Komma vor uterini zu streichen. 2) An-
dere Stellen römischer Quellen, welche das testimonium domesticum ver-
bieten oder erläutern, s. Wetzell, Civ.-Pr. § 23 n. 9 ff.
Gesch. d. westgoth. Gesetzgeb. IL — Lex Vis. II, 4, 13. 107
aber ist, dass unsere Antiqua bereits dem Codex Euri-
cianus angehört hat. Die Abgrenzung des engeren von
dem weiteren Verwandtenkreise, wie sie hier gegeben
ist, ist römisch und weicht von der westgothischen,
was den Redactoren des Gesetzbuches leicht entgehen
konnte, ab. Nach der römischen Begrenzung gehörten
zum Hause nicht die fratres, sorores uterini, wohl aber
die consanguinei, auch wenn sie von verschiedenen Müt-
tern stammten. Nach westgothischem Rechte aber, wel-
ches von Eurich bis auf Wamba galt, gehörten die von
einem Vater, aber aus verschiedenen Ehen erzeugten con-
sanguinei nicht zu einem Hause; vielmehr schieden die
Kinder der früheren Ehe bei Wiederverheirathung des
Vaters aus der Hausgemeinschaft des Vaters aus und gingen
in die eines Vormundes über ^. Da nun zu Leovigilds
Zeiten die schriftliche Ueberlieferung des römischen Rechtes
nur auf Alarichs Rechtsbuche und vielleicht auf einem
und dem anderen Stücke der justinianischen Gesetzgebung
beruhte, in diesen Quellen aber ein entsprechender Satz
nicht enthalten ist, so müssen wir dieses Gesetz schon
Eurich zuschreiben, dessen Redactoren vielfach aus ande-
ren älteren Quellen oder der Praxis ihrer Zeit schöpften.
Jedenfalls liegt hier ein Zeugnis für ursprünglich römi-
sches Recht vor, welches in der Lehre von der Verdächtig-
keit der Zeugen eine Lücke auszufüllen geeignet sein
dürfte. Denn dass die fernere Verwandtschaft erst von
den Gothen als Verdachtsgrund neben die engere gesetzt
sein sollte, ist, als der germanischen Anschauung ganz
fremd, nicht anzunehmen. Wir hätten hier also ein Zeugnis
dafür, dass auch das römische Recht schon ausser den
testes de domo producti die entfernteren Verwandten für
verdächtig erklärte, und zugleich eine feste Grenze für
diese weitere Verwandtschaft, welche man in den Quellen
sonst nicht findet.
Nicht ganz zweifellos ist die Bedeutung des Schluss-
satzes: 'nisi forsitan parentes eiusdem cognationis inter se
litem habuerint'. Man könnte diese Worte allenfalls so
verstehen, dass Jemand in einem Rechtsstreit zwischen
gleich nahe mit ihm Verwandten als Zeuge unverdächtig
sei; so dass also parentes eiusdem cognationis zu über-
setzen wäre : Verwandte gleichen Verwandtschaftsgrades.
1) 'ad domum transeimt alienum' Cod. Eur. c. 321. L. Vis. Recc. IV,
2, 1.3. Dass dieses Gesetz wirklich so und nicht anders zu interpretieren
ist, beweist Wamba's Novelle zu IV, 2, 13 und die auf ihr beruhende Fas-
sung der Ervigiana. Näheres s. bei IV, 2, 13.
108 Karl Zeumer.
Damit wäre der Satz, dass nur gleich nahe Verwandt-
schaft mit beiden Parteien die Verdächtigkeit des Zeugen
aufheben könne, den erst ein Spruch der Hallischen
Juristenfacultät von 1855 (Seufferts Archiv IX, n. 92,
S. 134 f.) gegenüber der Praxis und Doctrin des gemeinen
Eechtes zur Geltung gebracht hat, schon im 5. Jh. aner-
kannt gewesen.
Die richtige Erklärung dürfte jedoch folgende sein:
Wenn Angehörige derselben Sippe in der im Gesetz ange-
gebenen Begrenzung mit einander streiten, darf ein Mit-
glied dieser Sippe als Zeuge auftreten. Die Zugehörig
keit des Zeugen zu derselben Sippe, der beide Parteien
angehören, hebt die Verdächtigkeit des Zeugen auf, auch
wenn er innerhalb jener Grenzen mit der einen Partei näher
als mit der anderen verwandt ist. Bei jener anderen Er-
klärung, die auch dem Wortlaute weniger entsprechen
würde, wäre die Begrenzung der Sippe überflüssig; es hätte
der Satz genügt, dass der Zeuge, welcher mit einer Partei
verwandt ist, mit der anderen nicht, oder mit einer näher
verwandt ist als mit der anderen, verdächtig sei. Nach
unserer Erklärung ergiebt das Gesetz, wenn wir seine Be-
stimmungen durch den römischen Satz über die testes de
domo producti ergänzen, folgendes : Gehört der Zeuge dem-
selben Hause (bis zu den consanguinei gerechnet) an mit
der einen Partei, während die andere Partei nicht dem-
selben Hause angehört, so ist er verdächtig. Gehört er
mit beiden Parteien derselben Sippe an, so ist er stets
unverdächtig. Gehört er aber zur Sippe der einen Partei,
so ist er der anderen sippefremden Partei gegenüber ver-
dächtig.
Als Ausnahme fügt die Ervigiana hinzu, dass das
Zeugnis der angeführten Verwandten gegen Fremde bei
gänzlichem Mangel an andern freien Zeugen gelten sollte :
'aut (si) in causa de qua agitur aliam omnino ingenuitatem
deesse constiterit .
II, 4, 14. [R. Extrav. 1 ; W. Suppl. p. 664(1)]. — Wir
haben es hier wahrscheinlich mit einer besonders überlie-
ferten Antiqua zu thun. Ist das der Fall, so kann sich
das Citat einer lex superior de falsariis nicht auf Chin-
dasvinds VII, 5, 2, sondern nur auf ein älteres, durch dieses
ersetzte Gesetz beziehen.
II, 5, 1. — Die Forderung der genauen Datierung
für die Gültigkeit von Schrifturkunden hat dieses Gesetz
Gesch. d. westgoth. Gesetzgeb. II. — Lex Vis. 11, 4, 13 — 5, 3. 109
Chindasvinds der folgenden Antiqua entlehnt. Ausserdem
enthält es die Forderung der Unterschrift oder Unterzeich-
nung. Hierüber, sowie über den angefügten grösseren Zu-
satz Ervigs habe ich an anderer Stelle eingehend gehan-
delt K
II, 5, 2. — Diese Antiqua, die schon dem Codex Euricia-
nus angehört hat, wie die Thatsache ergiebt, dass sie in die
Lex Baiuvariorum übergegangen ist, fordert für die Gültig-
keit schriftlicher Geschäftsurkunden (pacta vel placita)
deutliche Angabe von Jahr und Tag. Das entspricht ganz
dem römischen Brauche, wie er uns in den zahlreichen
überlieferten Urkunden seit dem 1. Jh. entgegentritt, und
wie ihn die Gesetze und die Schriften der Juristen voraus-
setzen. Ein älteres Gesetz aber, welches die Datierung
ausdrücklich als gesetzliches Erfordernis hinstellt, und wel-
ches für unsere Antiqua als Vorbild hätte dienen können,
giebt es nicht -.
II, 5, 3. [W. II, 5, 3.] — Die Ueberlieferung lässt die
Autorschaft dieses mit 'Quarumlibet scripturarum' begin-
nenden Gesetzes zweifelhaft. Der E-eccessvindiana gehört
es nicht an, ebenso wenig der Ervigiana; freilich findet es
sich in E 2, aber nur im Texte, nicht in den Capitelüber-
schriften am Anfang des Titels. Die Hss. E 2, Cod. Skokloster.,
Cod. Toi. 43, 5; 43, 7 haben gar keine Inscriptiou, Toi.
43,6 und Legionensis: Antiqua; Cod. Gorlit. Chindasvinds
und Egicas Namen nacheinander, Vigil. und Emilian. 1.
weisen das Gesetz Egica zu durch die gleichmässige Rand-
notiz: 'Intromissa lex in lib. II. tit. V. era II, Flavii glo-
riosi Egicani regis'. Dass ältere Gesetze, die sich in den
Redactionen Reccessvinds und Ervigs nicht finden, in Vul-
gattexten nachgetragen sind, ist an sich möglich; die Anti-
qua, welche in den Legg. Vis. ant. auf S. 321 gedruckt
ist, bietet dafür ein Beispiel. Es ist das aber immer nur
eine seltene Ausnahme, und so möchte ich auch hier den
Angaben folgen, welche Egica als den Autor nennen. Die
Lex bestimmt, dass, wer als zugezogener Zeuge seine Unter-
schrift unter eine Urkunde setzt, ohne diese vorher gelesen
oder vorlesen gehört zu haben, seine Zeugnisfähigkeit
1) S. oben S. 23 u. 27 f. 2) Merkel, LL. III, p. 60, n. 88 be-
hauptet ganz verkehrt, es. sei die Bestimmung unseres Gesetzes, welche
durch Vermittlung der Lex Baiuv. auch in die Lex Alam. gelangt ist,
aus der Interpretatio zu L. Rom. Vis. C. Th. I, 1, 1 entlehnt.
110 Karl Zeumer.
verloren haben soll. Diese Bestimmung' sieht nicht sehr
alterthümlich aus. Bei den Römern kannten Instruments-
zeugen bei Vertragsurkunden den Inhalt und brachten das
meist auch in der subscriptio zum Ausdruck, während den
Testamentszeugen der Inhalt des schriftlichen Testaments
unbekannt bleiben konnte. Da hier scripturae im Allge-
meinen genannt werden, sind Testamente mit einbegriffen.
Für die westgothischen Testamente aber zur Zeit Eurichs
oder Leovigilds bereits eine sich von dem römischen Testa-
ment so weit entfernende Bestimmung anzunehmen, hat
wenig für sich. Im 7. Jh. dagegen, wo, wie die westgothi-
sche Formelsammlung zeigt, vom römischen Testament
wenig mehr als der Name und einige halb verstandene
Formeln übrig waren (vgl. n. 22 u. ff.), war eine solche
alle scripturae gleichmässig behandelnde Vorschrift wohl
möglich. Am besten verstehen lässt sich unser Gesetz als
Ergänzung zu Chindasvinds II, 4, 3. Dem Zeugen, welcher
'aliut loquitur, quam scriptura continet, in qua subscripsisse
dinoscitur', und der überführt wird, die abgeleugnete Unter-
schrift der Urkunde dennoch geleistet zu haben, wird die
letzte Einrede, dass er den Inhalt nicht gekannt hätte,
abgeschnitten.
II, 5, 4. [R. II, 5, 3.] — Der Hauptinhalt der kurzen
Antiqua ist: 'Filio vel heredi contra priorum definitionem
venire non liceat'. Dieser Satz ist auf die Haftung des
Erben für die Schulden des Erblassers bezogen ^ ; wie ich
glaube, mit Unrecht. Es handelt sich um die Anfechtung
der Echtheit und Gültigkeit von Urkunden der Eltern
oder der Erblasser. Die Schuldenhaftung der Erben wird
erst später in V, 6, 6 und VII, 2, 19 behandelt. Unser Ge-
setz ist nicht mit diesen, sondern mit II, 5, 17 in Verbin-
dung zu bringen.
II, 5, 5. [II, 5, 4]. — Dieses Gesetz Chindasvinds ist
offenbar in Anlehnung an L. Rom. Vis. C. Th. II, 9 verfasst.
Der Anfang stimmt sachlich fast ganz überein mit dem
Text und mehr noch mit der Interpretatio jener Consti-
tution.
Interpr. : 'Si quis . . . adversus pactionem vel defini-
tionem suam, quam nulla potestate constrictus emisit, sed
voluntate propria fecisse dignoscitur, aut interpellare iudi-
ees . . . praesumserit . . . , non solum ex hoc facto pro-
1) Lewis, Succession des Erben etc. S. 71.
Gesch. d. westgoth. Gesetzgeb. 11. — Lex Vis. II, 5, 3 — 7. 111
nuncietur iufamis, sed nee causam ipsam agere j)ermittatur
et poenam, quam in pacto constituit, cogatur exsolvere. . . .'
L. Vis. : 'Qui contra pactum vel placitum iuste liac
legitime conscriptum venerit, quod non forsitam persona
potentior extorserit, antequam causa dicatur, penam, que
in pacto vel placito legitime continetur, exolvat'.
Die Uebereinstimmung der Voraussetzung ist deut-
lich. Das 'nee causam ipsam agere permittatur' ist wieder-
gegeben durch 'antequam causa dicatur'. In Bezug auf die
Folgen der That unterscheidet sich die westgothisehe Lex
von ihrem Vorbilde nur durch den Fortfall der Infamie.
II, 5, 6. [ß. II, 5, 5.] — In diesem Gesetze bestimmt
ßeccessvind ausdrücklich, dass Knechte nicht fähig seien,
ohne Auftrag der Herren rechtsgültige Verträge schriftlich
oder vor Zeugen abzuschliessen. Dadurch wird das von
Chindasvind V, 4, 13 anerkannte Eecht der Knechte, Fahr-
habe aus ihrem Peculium zu verkaufen, wohl kaum be-
rührt, zumal beim Verkauf von Fahrhabe Vertragsschluss
durch Urkunde oder vor Zeugen nicht noth wendig war.
II, 5, 7. [R. II, 5, 6]. — Chindasvind giebt hier den
dem römischen Rechte entlehnten Satz von der Ungültig-
keit von Verträgen mit ungesetzlichen oder unsittlichen
Zwecken wieder. Wenn es da heisst: 'de turpibus et in-
licitis rebus . . . sicut nulluni pactum aut mandatum vel
placitum, ita nee damnum ^ ex omnibus seu quamcumque
definitionem deeernimus posse valere', so besagt das: wie
unerlaubte und unsittliche Verträge selbst, sollen auch die
darin festgesetzten Bussen und Nebenbestimmungen un-
gültig sein. Das dürfte die Erweiterung eines älteren Ge-
setzes sein, welches nur die Ungültigkeit der Verträge
selbst aussprach. Hätte Chindasvind das Gesetz ganz von
Grund aus neu abgefasst, so würde sich der Wortlaut
sicher an den in die Lex Romana aufgenommenen Satz
des Paulus, Sent. I, 1. 2: 'Neque contra leges, neque contra
bonos mores pacisei possumus', angelehnt haben. Mehr als
an diese Stelle klingt der Wortlaut des Gesetzes an ver-
schiedene andere nicht in die Lex Romana aufgenommene
an : Dig. II, 14, 27 § 4 : 'Pacta, quae turpem causam conti-
nent, non sunt observanda' ; cf. Dig. XLV, 1, 26. XVII, 1, 6,
1) damnum = mulcta, poena s. Index rer. et verb. der Hand-
ausgabe.
112 Karl Zemner.
§ 3 : 'Rei turpis nullum mandatum est' ; cf. eod. 22 § 6.
Das spricht dafür, dass hier nur eine von Chindasvind er-
weiterte Antiqua Euriehs vorliegt.
II, 5, 8. [E. II, 5, 7.] — Reccessvind verbietet durch
dieses Gesetz, dass Jemand für eine Leistung sein ge-
sammtes Gut und seine Person verpfänden dürfe. Als
Strafe für Verletzung des Vertrages dürfe nur die Verdop-
pelung oder Verdreifachung der zu zahlenden Summe fest-
gesetzt werden. Kohler, Shakespeare vor dem Forum der
Jurisprudenz S. 21 und S. 55 meint, dass durch dieses
Gesetz die vertragsmässige Schuldknechtschaft aufgehoben
sei; doch mit Unrecht. Es wurde nur verboten, sich zur
Hingabe des ganzen Vermögens und der Freiheit zu ver-
pflichten, für den Fall der Nichterfüllung eines Vertrages.
Das zeigt deutlich der Wortlaut. Die Habgier schlechter
Menschen verstricke viele in der Weise : 'ut cum pro re
qualibet adimplenda sit pactio, res eorum simul obligent
et personas. Sed quotiens undelibet placitus conscribitur
non amplius in transgressoris pena, quam duplatio reddende
rei vel triplatio nummorum satisf actione taxetur'. Also
statt der obligatio rerum et personae soll in pena trans-
gressoris nur duplatio oder triplatio gestattet sein. Es
hatte also die verbotene obligatio rerum et personae den
Charakter eines Strafgedinges. Die Obnoxiatio durch Ver-
trag war damit nicht getroffen. Eine solche Selbstverknech-
tung war regelmässig das letzte Hülfsmittel in Verschul-
dung. Wer wegen Mittellosigkeit eine Schuld, namentlich
eine Busssumme nicht zahlen, sich von der Todesstrafe
nicht lösen konnte, verkaufte sich gegen die Busse oder
Lösungssumme. Was hätte es für einen Sinn gehabt, zu
befehlen, dass in solchem Falle an Stelle der Hingabe der
Person die doppelte oder dreifache Zahlung treten solle?
Unser Gesetz hebt also nicht die vertragsmässige Schuld-
knechtschaft auf, sondern nur das Versprechen der Schuld-
knechtschaft nebst Hingabe des ganzen Vermögens im Falle
der Nichterfüllung eines Vertrages: 'quia iniustum penitus
adprobamus, ut unius causa debiti rerum fiat omnium per-
ditio vel persone'.
Mit dem Verbot und der Ungültigkeitserklärung
schriftlicher Verträge mit solchen Abmachungen dürfte
Reccessvind nur einem vorübergehenden Missbrauch ge-
steuert haben. Wir haben weder in den westgothischen
Formeln noch in den fränkischen Formeln und Urkunden
ein Beispiel dafür, dass dauernde Schuldknechtschaft, Ver-
Gesch. d. westgoth. Gesetzgeb. II. — Lex Vis. II, 5, 8. 9. 113
lust der Freiheit für den Fall der Nichtleistung festgesetzt
wäre. Die Freiheit wird meist sofort aufgegeben gegen
Zahlung oder Erlass einer Schuld, wie Form. Andec. 2. 3.
19. 25; Arv. 5; Marc. II, 28; Tur. 10; Sen. 4; Visig. 32;
Bign. 14. 27 (= Pith. 75); Chartes de Cluny I, 30 p. 35.
Allerdings kennt das fränkische Recht auch die Verpfän-
dung der Freiheit oder eines Theiles der Freiheit für Er-
stattung einer Schuld. Die Freiheit wird dabei aber nur
vorübergehend aufgegeben bis zur Zahlung der Schuld.
Nicht die Freiheit verfällt, wenn der Schuldner nach Ab-
lauf der Frist nicht zahlt oder sich der Pfandknechtschaft
entzieht, sondern die Verdoppelung der Schuld tritt ein ;
Form. And. 38; Sen. 3. Die der römischen stipulatio dupli
nachgebildete Verdoppelung im Falle des Verzuges war
nicht nur in fränkischen Verträgen üblich (Form. And. 60 ;
Marc. II, 25), sondern findet sich auch in der westgothi-
schen Formelsammlung in n. 38. Eeccessvinds positive
Bestimmung bestätigte im Wesentlichen wohl den älteren
billigen Brauch.
II, 5, 9. [II, 5, 8.] — Diese Antiqua enthält den dem
römischen Rechte nachgebildeten Satz, dass durch Gewalt
und Furcht erzwungene Verträge ungültig sein sollen. Sie
ist im Wesentlichen wohl der ältesten Gesetzgebung ent-
lehnt; denn die Fragmente des Codex Eurici enthalten zwei
specielle Vorschriften über Kauf und Schenkung, welche
aus diesem allgemeinen Satze abgeleitet sind; c. 286: 'Ven-
ditio si fuerit violenter extorta, id est per metu mortis aut
per custodiam, nulla valeat ratione' ; c. 309 : 'Donatio, que
per vim et metum probatur extorta, nullam habeat firmi-
tatem'. Erstere Bestimmung ist fast wörtlich in die Lex
Baiuvariorum 16, 2 übergegangen, und in etwas verkürzter
Fassung in die Antiqua V, 4, 3 ; letztere findet sich mit
einer geringfügigen Variante in der Antiqua V, 2, .1 wieder.
Wie Eur. c. 286 dürfte auch unser Gesetz bei der Redac-
tion der Reccessvindiana etwas verändert sein. 'Pactum
quod per vim extorserit persona potentior' lautet jetzt der
Eingang. Dabei fällt auf, dass neben vis nicht auch metus
genannt wird, während es in der Ueberschrift heisst : 'scrip-
tura vel definitio, que per vim et metum extorta fuerit'.
Vermuthlich ist der vollständige technische Ausdruck vom
Verfasser der Ueberschrift dem Texte entlehnt, dann aber
im Texte selbst, wo die Sache deutlich genug auch ohne
das technische Wort ausgedrückt war, als überflüssig fort-
gelassen.
Neues Arohiv etc. XXIV. 3
114 Karl Zeumer.
Die Fälle der Furcht und Gewalt, welche die Verträge
ungültig machen, sind im gothischen Rechte im Ganzen
gleich begrenzt wie im römischen. Von den beiden Stellen
des Codex Euricianus giebt nur c. 286 eine Erläuterung von
metus und vis: 'i. e. per metum mortis aut per custodiam'.
Ausführlicher ist unsere Antiqua: 'i. e. si ille, qui pacisci-
tur, aut in custodia mittitur aut sub gladio mortem forte
timuerit aut ne penas quascumque vel ignominia patiatur vel
certe si aliquam iniuriam passus fuerit, . . . pactio . . .
nullam habeat firmitatem'. Beide Quellen stimmen in der
Hervorhebung der durch Bedrohung mit dem Tode erreg-
ten Furcht und der Gefangenschaft überein.
Die Furcht wegen Bedrohung mit dem Tode bildet
auch im römischen Rechte den Hauptfall des metus iustus ;
Cod. lust. II, 19 (20), 4; IV, 44, 8; Dig. IV, 2, 3, § 1 ; 7 § 1.
Als Zwang, welcher das Geschäft nichtig macht, wird auch
in den römischen Quellen vor allem Freiheitsberaubung ge-
nannt; Paul. Sent. I, 7, 8— 10; Dig. IV, 2, 22; XL VIII, 6, 5.
Was die Antiqua als Furcht vor penae bezeichnet, deckt
sich mit der Furcht wegen einer Reihe von Bedrohungen,
die Cod. lust. II, 4, 13. II, 19, 4; IV, 44, 8 und Dig. IV,
2, 3. 7 einzeln aufgeführt werden, Bedrohung mit salutis
periculum, cruciatus corporis, verbera, vincula. Der im
westgothischen Gesetze erwähnten Furcht vor ignominia ent-
spricht in den römischen Quellen die Furcht vor stuprum,
Dig. IV, 2, 7 § 1, Knechtschaft und ähnlichem (servitutis
timor similiumque) Dig. IV, 2, 4. Unter ignominia dürfte
bei den Westgothen wohl auch die infamia mit inbegriffen
sein ; während bei den Römern freilich timor infamiae
nicht als iustus metus galt, Dig. IV, 2, 7 pr. Entschieden
über das römische Recht geht das westgothische aber hin-
aus, indem es jede Zufügung einer iniuria als Anwendung
von Gewalt im Sinne dieses Gesetzes ansieht ^.
II, 5, 10. [R. Extrav. 2; W. II, 5, 10.] — Nach der
Ueberlieferung ist dieses Gesetz wahrscheinlich von Rec-
cessvind, dann aber wohl erst nach Fertigstellung der Re-
daction des Gesetzbuches, erlassen. Testamente, Schen-
kungen, Dotalverschreibungen und andere Urkunden, welche
1) Als Bedeutung des Wortes iniuria ergiebt sich durch Ver-
gleichung der grossen Mehrzahl der im Iudex rer. et verb. der Hand-
ausgabe angefiUirteu Stellen die thätliche Beleidigung durch Schläge,
Tritte, Raufen, Wegelage und ähnliches. Nur vereinzelt kommt das Wort
für andere ni ' -- - ■ -- . . „ .
letzungen vor.
Gesch. d. westgoth. Gesetzgeb. 11. — Lex Vis. II, 5, 9. 10. 11. 115
das gesetzlich erlaubte Maass überschreiten, d. h. grössere
Vergabungen enthalten, als das Gesetz gestattet, sollen nicht
gänzlich ungültig sein, sondern nur insoweit, als sie jenes
Maass überschreiten. Dieses Gesetz, welches mehrfach
redactionelle Ueberarbeitung erfahren hat, steht eigentlich
nicht an der richtigen Stelle. Beschränkungen in Bezug
auf die Quantität von Zuwendungen finden sich in dem
Vorhergehenden nicht. Es setzt diese Novelle mindestens
die Bestimmungen von III, 1, 5 und IV, 5, 1. 2 voraus.
Hierher ist sie wohl von den Handschriftencompilatoren
nur gesetzt, weil sie eine Norm über die Gültigkeit von
Schrifturkunden und letztwilligen Verfügungen enthielt.
II, 5, 11. [R. II, 5, 9.] — Anscheinend eine Mischung
römischen und germanischen Rechts enthält dieses Gesetz
Eeccessvinds. Die volle Handlungsfähigkeit lässt das West-
gothenrecht wie das römische mit dem vollendeten 14. Lebens-
jahre eintreten; vgl, II, 4, 12, IV, 3, 1. 4; freilich unter-
schiedslos für beide Geschlechter, während das römische
Recht von den Mädchen nur die Vollendung des 12. Jahres
fordert. Das vollendete 14. Jahr wird, ganz wie in Dig.
XXVIII, 1, 5 für die Testamentserrichtung, so auch hier
für das testare de rebus suis, sowie für andere in Schrift-
form oder vor Zeugen abzuschliessende Geschäfte gefordert.
Denn dass auch die undeutliche Wendung 'infra quartum
decimum annum' im Anfange unseres Gesetzes vou der
Zeit vor dem vollendeten 14. Jahre zu verstehen ist, geht
hervor aus der späteren Wiederholung, wo ausdrücklich
steht : 'venientes usque ad plenum ^ quartum decimum
annum in omnibus iudicandi de rebus suis habeant li-
centiam'.
Abweichend vom römischen Rechte wird aber den
minores schon vom vollendeten (wie wir nach der Analogie
annehmen) zehnten Jahre an ausnahmsweise in schwerer
gefährlicher Krankheit das Recht letztwilliger Verfügungen
eingeräumt. Ein Anknüpfungspunkt im römischen Recht
findet sich hierfür nicht. Vielleicht dürfen wir mit Kraut,
Vormundschaft I, S. 113, hierin sowie in der Bestimmung
der Antiqua IV, 4, 3, wonach Alimentationsgelder für aus-
gethane Kinder nur bis zum 10. Lebensjahre gefordert
werden können, Ueberbleibsel eines älteren gothischen
Mündigkeittermins von 10 Jahren sehen, wie er sich später
1) Das Wort fehlt freilich in R. 1, findet sich aber nicht nur in
R. 2, sondern auch in den späteren Formen.
116 Karl Zeumer.
bei den Ang-elsachsen und mit der Zusatzfvist von Jahr
und Tag bei den Ditmarschen findet. Den Sehluss des
Gesetzes bildet die Bestimmung, dass Geisteskranke über ihr
Vermögen nur während der intervalla temporum vel (h)o-
rarum, wo sie ihre Gesundheit wieder erlangt zu haben
scheinen, verfügen können. Die Fassung dieser dem römi-
schen Rechte entlehnten Bestimmung über die lucida inter-
valla würde die Annahme zulassen, dass ßeccessvind aus
Justinians Constitution Cod. VI, 22, 9 geschöpft habe.
II, 5, 12. [R. II, 5, 10.] — Reccessvind handelt hier
von dem mündlichen Testamente. Nur einleitungsweise
wird des schriftlichen Testaments gedacht. Die Voluntas
tantummodo verbis coram probationem promulgata' soll
durch die Zeugen innerhalb 6 Monaten vor dem Richter
eidlich festgestellt werden. Die den Inhalt der voluntas
enthaltenden von den Zeugen beschworenen conditiones
werden vom Richter und den Zeugen unterschrieben, die
Zeugen haben ebenfalls innerhalb 6 Monaten bei Strafe der
Fälschung den Erben zu benachrichtigen und erhalten als
Entschädiguug für ihre Mühe den SOsten Theil des im
Nachlass vorhandenen haaren Geldes — nicht auch des in
Urkunden ( Werthpapieren) und Büchern vorhandenen Activ-
vermögens, welches den Erben unverkürzt bleibt ^.
Die Bestimmungen knüpfen im Allgemeinen an römi-
sche Einrichtungen an, sind aber im Einzelnen durchaus
selbständig ausgebildet. Die Pflicht, den Inhalt des Testa-
ments eidlich anzugeben, wird ausdrücklich von Justinian den
Zeugen des sog. 'testamentum ruri conditum' auferlegt; Cod.
VI, 23, 31 § 4 : 'ipsi testes cognoscant testatoris voluntatem et
maxime, quem vel quos heredes sibi relinquere voluerit, et
hoc post mortem testatoris iurati deponant'. Auch noch
in einem andern Falle wird der eidlichen Deposition des
mündlich den Zeugen kund gegebenen Willens gedacht:
tit. cit. 1. 21, § 5a: 'in qua voluntate quinque testium iura-
1) So verstehe ich die Stelle : 'testes ex defuncti bonis trecensime
pretium portionis prosequantur in solidis tantummodo nummis, cartarum
strumentis et librorum voluminibus sequestratis, que pertinebunt ad heredes'.
Unrichtig sagt Dahn, Westg. Studien S. 69 : 'Auf die Wichtigkeit und
Zahl der Urkunden weist auch die Bestimmung, wonach sie (mit Büchern
und Geld) von dem übrigen Nachlass ausgeschieden und ohne Abzug der
Zeugengebühr den Erben geliefert werden'. Letzteres betrifft nur die
Urkunden und Bücher, während vom Geld grade die Gebühr bezahlt
wird. Dass hier nicht Bücher überhaupt, sondern Rechnungsbücher zu.
verstehen sind, scheint unzweifelhaft.
Gesch. d. westgoth. Gesetzgeb. II. — Lex Vis. II, 5, 11. 12. 13. 117
torum depositiones sufficient' ; und eine solche eidliche
Zeugenaussage ist als selbstverständlich stets vorauszusetzen,
wenn ein mündliches Testament gemacht ist. Die FrivSt
von 6 Monaten (nach dem Tode des Erblassers) ist dem
Gesetz Chindasvinds, II, 5, 12, entlehnt, welches diese Frist
für die Publication des schriftlichen Testaments festsetzt.
Auch die Zeug'engebühr, die Verpflichtung der Zeugen zur
Anzeige an die Erben sind westgothische Zuthaten. Die
Strafe der Fälschung, welche den Zeugen angedroht wird,
wenn sie die Verlautbarung innerhalb der vorgeschriebenen
Frist versäumen, ist nach Analogie der römischen Lex
Cornelia de falsis, welche die Unterschlagung eines schrift-
lichen Testaments mit der poena falsi belegte (Cod. lust.
IX, 22, 14; Dig. XLIX, 10, 2) hinzugefügt.
Unser Gesetz ist dann von Ervig stark erweitert und
verändert. Namentlich die Bestimmungen über die schrift-
lichen Testamente sind vervollständigt, so dass das ganze
Gesetz seinen Charakter verändert hat. Ueber die merk-
würdigen Bestimmungen, welche die Unterfertigung der
Testamente behandeln, habe ich an anderer Stelle ein-
gehend gehandelt; s. oben S. 26. Hier ist nur noch her-
vorzuheben, dass Ervig die Zeugen von der Strafe wegen
Versäumnis der sechswöchigen Frist freispricht, wenn sie
durch Betrug oder Täuschung anderer oder durch könig-
lichen Befehl an der Erfüllung verhindert sind.
II, 5, 13. [R. II, 5, 13.] — Im Eingange dieses von
Chindasvind herrührenden Gesetzes heisst es : 'In itinere
pergens aut in expeditione publica, si ingenuos secum non
habeat, volumtatem suam propria manu conscribat'. Hier
ist Anlehnung an Valentinians III. Novelle 20 (als n. 4
in die Lex Romana Alarichs aufgenommen) § 2 erkennbar,
wo für Nothfälle, in denen Freie, die als Zeugen fungieren
könnten, nicht vorhanden sind, das zeugenlose hologra-
phische Testament zugelassen wird : 'Aliis festes itinerum
necessitas, aliis solitudo villarum, aliis navigatio servis tan-
tum comitibus expetita subducit. . . . intestatus nemo mo-
rietur, cui fuerit sollicitudo testandi, late viam supremis
aperimus arbitriis: si holographa manu testamenta condan-
tur, festes necessarios non putamus'. Unser Gesetzgeber
geht dann aber über sein Vorbild hinaus, indem er dem
in solcher Lage befindlichen Testator, der nicht schreiben
kann, gestattet, seinen letzten Willen vor anwesenden Un-
freien zu erklären. Diese sollen später vom Bischof und
Richter geprüft werden und, wenn sie glaubwürdig befun-
118 Karl Zeumer.
den sind, soll ihre eidlich bekräftigte Aussage durch den
Bischof und Richter unterschrieben und dann noch vom
Könige bestätigt werden. — Die Bestimmungen über das
in der Vorlage behandelte holographische Testament fügte
erst ßeccessvind in II, 5, 16 hinzu.
II, 5, 14. [R. II, 5, 12.] — Chindasvind fordert in die-
sem Gesetze die Publication des schriftlichen Testaments
innerhalb 6 Wochen vor Priester (Bischof) und Zeugen.
Für die Unterdrückung einer solchen scripta voluntas wird
nicht die poena falsi des römischen Rechts angedroht
(s. oben zu II, 5, 12), sondern Ersatz an die dadurch Ge-
schädigten aus dem Vermögen des Schuldigen.
II, 5, 15—17. [R. II, 5, 13—15.] — Ueber den Inhalt
und die Quellen dieser Gesetze, von denen das erste von
Chindasvind, die beiden anderen von Reccessvind erlassen
sind, habe ich eingehend in dem Aufsatze über die Schrift-
vergleichung gehandelt; s. oben S. 30 ff.
Mit diesen Capiteln schliesst ursprünglich der Titel
und damit das II. Buch überhaupt. Vulgathss. und ältere
Ausgaben lassen aber noch zwei Novellen Egicas als II, 5, 18
und 19 folgen.
II, 5, 18. [W. II, 5, 18.] — Egica trifft Bestimmungen,
welche den Beweis durch Urkunden gegen Anfechtung
durch die Aussteller sichern sollen.
Während diese Novelle dem Inhalte nach sehr gut
an diese Stelle passt, gehört die folgende II, 5, 19 [W. II,
5, 19] in einen ganz andern Zusammenhang. S. oben S. 69
und N. A. XXIII, S. 507.
Nachträge und Berichtigiiiigen zum allgemeineu Theil.
(N. A. XXIII, S. 419 ff.)
Zu S. 468. Die Ueberschrift : Uebersicht u. s. w. hätte
der auf S. 421 stehenden zweiten Ueberschrift entspre-
chend gedruckt und mit arabischer 2. bezeichnet werden
sollen, da es sich, ebenso wie dort, um eine Unterabthei-
lung des allgemeinen Theils handelt.
Zu S. 468 ff. Ich hole, einer freundlichen Anregung
Fittings folgend, ein Versäumnis nach, indem ich meine
Nachträge und Berichtigungen zum allgemeinen Theil. 119
Meinung über Beziehungen des Narbonenser Gelehrten Leo
zu Eurichs Gesetzgebung, welche manche Historiker ange-
nommen haben, äussere.
Leo war ein Freund des Apollinaris Sidonius, der
Briefe und Verse an ihn richtet und mehrfach über ihn
berichtet. Er rühmt ihn als einen Historiker, vor dem
Tacitus, wenn er in das Leben zurückkehrte, wirklich 'tacitus'
werden (Epist. IV, 22), als einen Dichter, der Horaz ver-
stummen machen würde, und den er dem Pindar vergleicht,
als einen Juristen, vor dem sich Appius Claudius verkrochen
haben würde, hätte er ihn die 12 Tafeln erklären hören
(Carm. XXIII, v. 446 fE.). Dieser vielseitige Mann war nun
unzweifelhaft Eurichs Rathgeber.
In dem eben citierten Briefe, der an ihn nach Tolosa,
der Residenz Eurichs, gerichtet ist (IV, 22), redet ihn Sido-
nius folgendermaassen an : 'cotidie namque per potentissimi
consilia regis totius sollicitus orbis pariter negotia et iura,
foedera et bella, loca spatia merita cognoscis' (Auct. ant.
VIII, p. 73). Damit stimmt überein, was Ennodius über
ihn in der Vita Epiphanii c. 85 schreibt : 'Erat ea tem-
pestate consiliorum principis (Eurici) et moderator et arbi-
ter Leo nomine' (Auct ant. VII, p. 94). Danach wäre er
sogar der erste und ausschlaggebende im Rathe des Königs
gewesen, der Lenker seiner Entschlüsse. Nach Gregor von
Tours, Glor. mart. c. 91 ('contulit haec cum Leone consi-
liario rex Alaricus', SS. rer. Mer. I, p. 549), war er auch
noch bei Alarich IL in gleicher Stellung. Sidonius berichtet
von ihm, dass er die Erlasse Eurichs in dessen Namen ver-
fasse: 'declamationes, quas oris regii vice conficis, quibus
ipse rex inclitus modo corda terrificat gentium transmari-
narum, modo de superiore cum barbaris . . . foedus victor
innodat, modo per promotae limitem sortis, ut populos sub
armis, sie frenat arma sub legibus'. Auch Ennodius preist an
der citierten Stelle seine declamationes. Leo nahm offenbar
bei Eurich eine ähnliche Stellung ein, wie später Cassiodor
bei Theoderich dem Grossen. Sollte nun dieser mächtige
Minister nicht einen Theil an der Gesetzgebung Eurichs
genommen haben? Ist sie etwa von ihm veranlasst oder
unter seiner Leitung oder Beihülfe entstanden?
Das hat man früher vermuthet oder angenommen.
Lembke, Geschichte von Spanien I, S. 45, sagt noch vor-
sichtig von Eurichs Gesetzgebung, die er nur aus Isidors
kurzem Bericht kennt: 'Bei diesem Unternehmen benutzte
er wahrscheinlich den Rath des weisen Leo'. Weber, Allgem.
Weltgeschichte 2. Aufl. IV, S. 681 behauptet dann schon
120 Karl Zeiimer.
bestimmt: 'Eurich veranstaltete die erste schriftliche Auf-
zeichnung der westgothischen Gesetze . . . , wobei er sich
der Dienste des . . . Rechtsgelehrten Leo aus Narbo be-
diente'. Die Bestimmtheit wächst mit der Entfernung von
den Quellen!
Wir sind über die Aemter - Organisation am Hofe zu
Tolosa nicht genügend unterrichtet, um beurtheilen zu
können, ob Leo als einflussreichster Rathgeber des Königs
und — was aus dem Inhalt der declamationes, wie ihn
Sidonius charakterisiert, hervorzugehen scheint, — Minister
des Auswärtigen auch nothwendig mit der Gesetzgebung
betraut sein musste. Eurichs Gesetzbuch selbst spricht in
seiner Knappheit und Schlichtheit der Fassung entschieden
gegen einen Einfiuss eines Ehetors, Dichters und Juristen
vom Schlage Leos. Wir haben seine Werke nicht; doch
dürfen wir nicht zweifeln, dass sie ebenso schwülstig und
gelehrt gewesen sind, wie die seines Lobredners Apollinaris
Sidonius. Was dieser von Leos Jurisprudenz sagt, ist
vielleicht frei erfunden; jedenfalls giebt es ein Bild von
der 'gelehrten' Jurisprudenz jener Zeit. Ein solcher Jurist
konnte vielleicht in geschraubten Phrasen über die 12 Tafeln
reden ohne sie zu kennen ; dass er im Stande gewesen wäre,
einfache und klare Satzungen für die praktischen Be-
dürfnisse der Gothen zu verfassen oder unter seiner Leitung
verfassen zu lassen, muss man billig bezweifeln.
Auch Cassiodor war ein solcher gelehrter Jurist. Wenn
wir sein schwülstiges Edictum Athalarici regis, Variae IX,
18, mit dem nicht von ihm verfassten schlichten und klaren
Edictum Theoderici vergleichen, so können wir daran den
Unterschied ermessen zwischen dem, was Eurichs Gesetzbuch
geworden wäre, wenn Leo es redigiert hätte, und dem,
was es thatsächlich ist^. Mit anderen Worten, Eurichs
Gesetzbuch kann so wenig unter Leos Einfiuss entstanden
oder gar von ihm verfasst sein, wie das Edict Theoderichs
unter Cassiodors Leitung oder durch ihn selbst.
Mag Leo vielleicht dem Könige auch in Hinsicht auf
die gothische Gesetzgebung seinen Rath geliehen haben;
irgend welche nähere Beziehung Leos zum Codex Euri-
cianus glaube ich als höchst unwahrscheinlich ablehnen
zu müssen.
Zu S. 485 f. Für die noch im 7. Jh. thatsächlich fort-
dauernde Geltung- der Lex Romana Alarichs IL im West-
1) Auch Cassiodor kann sich nicht enthalten, in dem Publications-
patent zum Edictum, Var. IX, 19, auf die 12 Tafeln hinzuweisen.
Nachträge und Berichtigungen zum allgemeinen Theil. 121
^othenreiche bietet einen sicheren Beleg eine Stelle in dem
ludicium inter Martianum et Aventinum episcopos, welches
durch das VI. Concil von Toledo von 638 ergang-en ist und
schon öfter, zuletzt von Dahn, Könige VI-, S. 615 ff. ge-
druckt ist. Dort wird berichtet, dass in diesem Process
von einem Diacon Eulalius eine sententia legum vorgebracht
und verlesen sei, welche lautet : 'Neque contra leges neque
contra bonos mores pacisci possumus' ; a. a. O. S. 616 f.
Dahn bemerkt mit Eecht, S. 631: 'der Diacon Eulalius lebte
als Römer . . . nach römischem Recht' ; er irrt aber, wenn
er meint, das Citat beziehe sich auf Cod. lust. II, 3, 6 ;
wo freilich derselbe Rechtssatz, aber ganz anders formuliert
steht. Dahn fügt hinzu: 'In der Lex Romana Vis. steht wört-
lich entsprechendes, soweit ich sehe, nicht'; er hat über-
sehen, dass jene Worte aus dieser buchstäblich entlehnt
sind. Sie finden sich Pauli Sent. I, 1,2.
Zu S. 492. Die beiden Gesetze Wambas (bei Walter
V, 1, 6. 7) sind vom 23. December (10. Kai. lanuar.) 675.
Danach ist die Parenthese in Anmerkung 3 (S. 493) zu ver-
bessern.
Zu S. 486. Im Tomus, welchen Reccessvind dem
VIII. Concil von Toledo überreichte, finden sich die Worte:
'in legum sententiis, quae aut depravata consistunt aut ex
superfluo vel indebito coniecta videntur, nostrae serenitatis
accommodante consensu, haec sola, quae ad sinceram ivisti-
tiam et negotiorum sufficientiam conveniunt, ordinetis'.
Darin liegt doch wohl eine Aufforderung an das Concil,
die weltliche Gesetzgebung zu revidieren, und vielleicht
steht diese Aufforderung auch im Zusammenhange mit der
damals im Werke befindlichen Bearbeitung der Reccessvin-
diana. Wenigstens hat Egica in seinem dem XIII. Concil
überreichten Tomus seine Aufforderung, an der Revision
des Gesetzbuches mitzuwirken, mit Worten, die zum Theil
denjenigen Reccessvinds entlehnt sind, ausgesprochen. S.
S. 507.
Zu S. 501, letztem Absatz. Das Decret ging vielmehr
der Lex Reccessvinds II, 1,5 voran, S. oben S. 47 ff.
Zu S. 502. Nach dem oben zu S. 486 Nachgetragenen
hatte Ervig doch wohl schon einen Vorgänger in diesem
Verfahren an Reccessvind.
122 Karl Zeumer.
Nachtrag zum besonderen Theil.
Zu S. 84 dieses Bandes. Die 'appellatio a iudice su-
specto' bezeugt für das römische Reclit im Westgothen-
reiehe auch noch Lex Rom. Vis. Nov. Martiani 1, Inter-
pretatio: '. . • illi vero qui pulsatus fuerit, si iudicem
suspectum habuerit, liceat appellare'.
i
IV.
Urkunden und Forschungen
zu den
Regesten der stauflschen Periode.
Von
Paul Scheifer-Boichorst.
S. Thomas zu Acquanegra.
Ottentlial hat neulich aus einem Codex der Pariser
Nationalbibliothek — Collection Baluze n. 17 — eine sehr
wichtige, bis dahin unbekannte Urkunde Ottos des Grossen
veröffentlicht. Nach seiner Aufzählung oberitalienischer
Klöster ^, deren Archive beigesteuert haben, um die Samm-
lung zu Stande zu bringen, durfte ich annehmen, dass sie
auch kaiserliche Urkunden der mich zunächst beschäfti-
genden Zeit enthalte ; und die Vermuthung hat sich als
richtig erwiesen. Einer meiner früheren Zuhörer, Dr. Kükel-
haus, hatte die Freundlichkeit, den Codex für mich zu
durchsuchen und mir alsbald die Abschriften von zwei un-
gedruckten Stücken zu übersenden. Beide Diplome sind
für S. Thomas zu Acquanegra ausgestellt ■^, das eine von
Lothar III., das andere von Friedrich I.
Bis dahin fehlte es an jedem Zeugnisse, dass mittel-
alterliche Kaiser sich dem Thomaskloster zu Acquanegra
gnädig erwiesen haben : G. B. Casnighi, der sich in unserer
Zeit mit dessen Geschichte befasste •^, hatte von der Exi-
stenz der zwei Privilegien keine Ahnung. So wird der
Fund willkommen sein; und wenn die Urkunde Friedrichs I.,
die eine blosse Wiederholung ist und nicht einmal sein
Itinerar ergänzt, auch keinen anderen Werth hat, als für
Beziehungen Acquanegras zu unseren Herrschern einen
Beleg zu liefern; — mit derjenigen Lothars darf ich die
Aufmerksamkeit der Leser noch einen Augenblick beschäf-
tigen. Sie ist die letzte, die meines Wissens aus seiner
Kanzlei hervorging; sie erweitert dann unsere Kenntnis
seiner Aufenthaltsorte. Am 6. November 1137 befand sich
Lothar in loco, qui dicitur Isola Genese, heute : Isola della
1) Mittheilungen des Instituts für Österreich. Geschichtsforschung
XVII, 37. Danach geht der codex vetits manuscri])tus, aus dem Baluze
schöpfte, kaum über das 16. Jh. zurück. 2) Der Ort liegt am Chiese,
nahe bei dessen Mündung in den Oglio. Daher auch: 'Acquanegra sul
Chiese'. 3) 'Raccolta di memorie e documenti risguardanti i tre paesi
di Acquanegra, Barbasso e Medole nel Mantovano. Brescia 1860.
126 Paul Scheffer-Boichorst.
Scala^, südlich von Verona. Wenn nicht schon dort, so
werden die Mönche von Acquanegra den Kaiser doch in
Verona noch anzutreffen gehofft haben. Er aber hatte
seine Eeise ungemein beschleunigt; die Bittsteller mussten
ihm bis Rivoli jenseits der Veroneser Clausen folgen. Da
er schon am 11. November Trient erreichte-, so ist die
Urkunde, die der Tagesdaten entbehrt, zwischen dem 6. und
11. ausgestellt. Im Uebrigen mag noch bemerkt sein, dass
Lothar dem Kloster, das sich 'römischer Freiheit' erfreute,
ein Privileg Innocenz' II. vom 8. September 1136 bestätigt,
aber doch unter Wahrung der Rechte des Reiches, von
denen der Papst natürlich nicht gesprochen hatte ^.
Lothar III. beschützt auf Bitten seiner Gemahlin
das Kloster, bestätigt dessen Besitzungen, dann die
Kapellen, die Papst Innocenz IL ihm verliehen hat,
die Zehnten, den ganzen Inhalt des päpstlichen
Privilegs, wahrt aber die Rechte des Reiches.
1137 (November 6—11), Rivoli Veronese.
In nomine sanctae et individuae trinitatis. Lotarius
divina favente dementia tertius Romanorum Imperator
augustus.
Cum nullus deesse debeat ecclesiis, imperialis muni-
ficentia praecipue eas amplecti debet, quae ecclesiasticae
disciplinae tenent rigorem. Quocirca omnium fidelium
nostrorum noverit industria, qualiter nos iustinctu consortis
nostrae Richinzae^ monasterium sancti Thomae apostoli de
Aquanigra cum omnibus pertinentiis ipsius, mobilibus et
immobilibus, quae vel nunc habet vel in futuro habiturum
est, in nostrae confirmationis tuitionem suscipimus ; atque,
privilegii nostri auctoritate omnes res ipsius comprehen-
dendo, confirmamus ei capellas, quas habet ex concessione
domini papae Innocentii'' et decimas omnium reddituum
et praediorum dominicatorum, quae eidem oblata sunt quo-
libet modo, idque facimus cum omni iure et potestate ac
iurisdictione, quam habuerunt ipsi, qui obtulerunt. Insuper
confirmamus ipsi omnia ea, quae in privilegio domini papae
a) Richmae. b) In.
1) Vgl. darüber CipoUa im Archivio Veneto XX, 345. Die Orts-
bestimmung bei St. 3356 und Bernhardi Lothar III. S. 783 ist irrig.
2) Bernhardi a. a. 0. 784 Anm. 3. 3) Seine Urkunde hat aus dem
Original, das sich im bischöflichen Archiv zu Mantua befindet, Pflugk-
Harttung veröffentlicht. Acta pont. Rom. ined. II, 286.
Urkunden u. Forschungen z. d. Regesten d. stauf. Periode. 127
eidem ecclesiae indulta sunt, salvo in omnibns iure impe-
riali. Haec itaque inviolabiliter omni tempore conservari
volentes praecipiendo statuimus, ut nullus episcopus, dux,
marchio, comes, vicecomes, nulla denique magna parvave
persona huius confirmationis nostrae tenorem infringere
audeat nee in praenominatis rebus ipsam ecclesiam dis-
vestire, molestare aut inquietare praesumat. Si quis vero
contra hoc, quod non credimus, praesumpserit, centum
libras auri, medietatem camerae nostrae et medietatem
praefatae componat ecclesiae. Quod ut verius credatur et
ab Omnibus diligentius custodiatur, praesentem inde cartam
sigilli nostri impressione insigniri iussimus.
Signum domini Lotharii tertii Romanorum imperatoris
invictissimi.
Ego Ekkehardus* vice Henri ci^ archicancellarii re-
cognovi.
Datum anno incarnationis dominicae 1137, indictione
prima, anno vero regni regis Lotharii*^ 13, imperii quinto.
Actum apud Rivollam in Christi nomine, feliciter, amen.
Friedrich I. wiederholt dem Kloster die Urkunde
Lothars III. vom November 1137.
1158 November 26, Eoncaglia.
In nomine sanctae et individuae trinitatis. Federicus divina fa-
vente dementia Romanorum imperator augustus.
Cum nullus deesse debeat ecclesiis, imperialis munificentia prae-
cipue eas amplecti debet, quae ecclesiasticae disciplinae tenent rigorem.
Quocirca omnium fideUum nostrorum noverit industria , qualiter nos
divinae mercedis intuitu monasterium sancti Thomae'i apostoli de
Aquanigra cum omnibus pertinentiis ipsius, mobilibus et immobilibus,
quae vel nunc habet vel in futuro habiturum est, in nostrae confirma-
tionis tuitionem suscipimus *i. Nos itaque privilegii nostri auctoritate
omnes res ipsius e comprehendendo, confirmamus ei capellas, quas habet
ex concessione domini papae Innocentii et decimas omnium reddituum et
praediorum dominicatorum, quae eidem oblata sunt quolibet modo, idque
facimus cum omni iure et potestate ac iurisdictione, quam habuenint ipsi,
qui obtulerunt. Insuper confirmamus ipsi omnia ea, quae in privilegio
domini papae eidem ecclesiae indulta sunt, salvo in omnibus iure impe-
riali. Haec itaque inviolabiliter omni tempore conservari volentes prae-
cipiendo statuimus, ut nullus episcopus, dux, marchio, comes, vicecomes,
nulla denique magna parvave persona huius confirmationis nostrae tenorem
infringere audeat nee in praenominatis rebus ipsam ecclesiam disvestire,
molestare aut inquietare praesumat. Si quis vero contra hoc, quod non
credimus , praesumpserit «, centum libras auri componat , medietatem
camerae nostrae et medietatem praefatae ecclesiae. Quod ut verius cre-
a) AUhardus. b) Inrici. c) Lother ii. d) Thomae etc. tit in
■swperiore usqiie ad: tuitionem suscipimus. e) ipsius etc., centum.
128 Paul SchefEer-Boichorst.
datura et ab omnibus diligentius custodiatur, praesentem inde cartam
sigilli nostri impressione iussimus * insigniri.
Signum domini Federici Romanoruin imperatoris invictissimi.
Ego Eainaldus cancellarius vice Federici Coloniensis
archiepiscopi et archicancellarii recognovi.
[Acta sunt haec] anno dominicae incarnationis 1158,
indictione 7, regnante Federico Romanorum imperatore
gl oriosissimo, anno regni eins 7, imperii vero 4. Datum in
ßuncalia'' 6. kal. Decembris.
S. Leo am Aetna.
Pirro, Sicilia sacra II, 1159 ed. 17.33 hat eine Urkunde
Heinrichs VI. für das Kloster angeführt. Danach verlieh
der Kaiser pro tarenis 200, a WiUelmo indultis, facidtatem
instnurandi molendinuni de Ruvefo in territorio Pafernionis,
Messanae 7. Fehruarii 1196. Um die Notiz über 200 Tarenen
zu verstehen, muss man die Angabe von Seite 1157 hinzu-
nehmen : (Wülelmus I. Sicüiae rex) tarenos ducentos pro vesti-
mentis fratrum quofannis eidem (monasterio) indidsit.
St. 4904 hat die Urkunde zu 1195 gesetzt, und aller-
dings befand sich Heinrich am 7. Februar 1195 in Messina:
wir können ihn dort vom 30. Januar bis 15. Februar nach-
weisen. Aber gleichfalls im Februar 1197 hat Heinrich VI.
sich in Messina aufgehalten, und wenn man annehmen
dürfte, dass die sicilische Kanzlei auch 1197, wie wenig-
stens einmal 1195^, nach Oster- oder Marienjahren ge-
rechnet hätte, Hesse sich '1196' besser auf Februar 1197,
als 1195 beziehen.
Das Original mit genaueren Daten würde Sicherheit
geben. Leider sind meine Bemühungen, einen vollständigen
Text aufzuspüren, ohne Erfolg geblieben. Dagegen fand
ich in dem reichen und wohlgeordneten Urkundenschatze
des Museo civico dei Benedittini zu Catania ein Privileg,
worin auch erzählt wird, dass Heinrich VL die genannte,
im Gebiete von Paternö belegene Mühle dem Prior und
der Kirche geschenkt habe -. Dessen Vergabung bestätigte
der Aussteller, Bartolomeo von Luce : postquam de munifi-
centia nostri domini imperatoris et domine serenissime impera-
a) credatur etc. insigniri. b) Rucalpa.
1) Orig. im Staatsarchiv zu Palermo : 1100 nonagesimo quarto, mense
lanuario 13. indictionis. Stumpf Acta 589 n. 420. 2) Schi-ank 1,
Lade 7.
Urkunden u. Forschungen z. d. Regesten d. stauf. Periode. 129
tricis comitatum Pafernionis hahuimus'^. Nun, im December
1200, entschädigt er das Kloster. Weshalb? Das erfahren
wir aus einer erweiterten Fassung derselben Urkunde, die
auch das städtische Museum aufbewahrt-. Hier fügt der
Graf hinzu, dass er die Mühle den Mönchen des hl. Leo
entrissen und dem von ihm gegründeten Kloster Eoccama-
tore geschenkt habe : et a domina imperatrice fecimus con-
firmari ! ^
Den übrigen Inhalt konnte ich bei Seite lassen, da
er nur lokales Interesse hat. Wohl aber meinte ich, Tnir
noch nachträglich den Wortlaut einer Urkunde Friedrichs II.
für S. Leo verschaffen zu sollen. Ich fand sie gleichfalls
im städtischen Museum — Schrank 1, Lade 9 — , begnügte
mich aber damals mit einem Regest. Auf meine Bitte hat mir
dann später der gefällige Director Francesco di Bartolo
eine Abschrift besorgt. Die Urkunde gehört ins Jahr 1202,
aus dem bisher nur drei andere Actenstücke der Kanzlei
Friedrichs bekannt waren. Auch dieser Umstand mag den
Druck rechtfertigen.
Friedrich IL bestätigt in Anbetracht der Treue und
der Dienste des Priors Peter der Kirche alles, was
sie zu Zeiten Wilhelms I. und IL, Heinrichs VI.
und Constanzens besass.
1202 Februar, Palermo.
Fredericus divina favente dementia rex Sicilie, du-
catus Apulie et principatus Capue.
Decet regle maiestatis munificentia*^, ecclesias et loca
venerabilia salubriter gubernare et eorum utilitatibus miseri-
corditer providere. In de est, quod nos attendentes fideli-
tatem et servitium, quod frater Petrus, prior sancti Leonis
in Monte Gibello *, exhibuit celsitudini nostre, considerantes
etiam honestatem ipsi*^ ecclesie, de solita gratia et liberalitate
nostra confirmamus ipsi ecclesie sancti Leonis in perpetuum
molendina, domos, terras, vineas, virgulta, possessiones et
a) Sic.
1) So urkundet er auch selbst : Ego Bartholomaeus de Lueis dei et
imperialis gratia comes Paternionis. Heinrich VI. nennt ihn : B. de Liicis,
com. Paternionis, magistrmn iustitiarium totius Caluhriae. Pirro II, 1280, 81.
2) Schrank 1, Lade 8. 3) Item molenditmm de Riibito schenkte der
Graf im October 1197 dem Kloster Roccamatore. Pirro 1282. Von der
Bestätigung durch Constanze habe ich keine Spur gefunden. 4) Das
Volk nennt den Aetna heute noch Mongibello = ital. Monte und arab.
Djebel.
Neues Archiv etc. XXIV. 9
ISO Paul Scheffer-Boichorst.
omnia tenimenta, que ecclesia ipsa sancti Leonis tempore
regis Guillelmi primi et secundi et tempore domini impera-
toris et domine imperatricis, parentum nostrorum felicis
memorie, teniiit et possedit. Ad liuius autem confirma-
tionis memoriam presens Privilegium scribi et maiestatis
nostre sigillo precepimus communiri, anno, mense et indic-
tione subscriptis.
Data in urbe felici Panormi anno dominice incarna-
tionis millesimo ducentesimo secundo, mense Februarii
quinte indictionis, regni vero domini nostri Friderici magni-
fici regis Sicilie, ducatus Apulie et principatus Capue anno
quarto, feliciter, amen.
Domeapitel und S. Fiore zu Arezzo.
Die folgenden Urkunden zeugen für ein nahes Ver-
hältnis des Reichskanzlers Christian zu Gewalten Arezzos.
Es möchte wohl sein, dass er für einen Zug in das Gebiet
von Rom und in die Campagna, den er zur Bekämpfung
Alexanders III. anfangs 1165 vorbereitete, in Arezzo und
Umgebung eine besondere Unterstützung suchte und fand.
Mit dem Bischöfe von Arezzo unterhielt er offenbar gute
Beziehungen: er gedenkt seiner in Hochachtung und Zu-
neigung ; er giebt ihm einen Titel , durch den meines
Wissens bis dahin kein italienischer Bischof ausgezeichnet
worden war^: erst in einer etwas späteren Zeit lässt sich
auch der Bischof von Volterra als 'Fürst' nachweisen-;
von Aebten des Aretiner Gebietes befand sich der von
Capolona an Christians Seite, als er im Juni 1165 Anagni
belagerte^; im Februar empfing der von S. Fiore ein Privileg;
ein anderes trug der Dompropst davon; dass dieser mit den
Söhnen Rainers sich verständigt hatte, gereichte dem Kanzler
zur grössten Freude ^ : es waren die Herren von Montauto,
die wahrscheinlich doch, wie ein Ritter aus benachbarter
Gegend, Rainer Berlinghieri, es gethan hat 5, an Christians
Expedition theilnehmen sollten*'.
1) In der ersten Urkunde vom 22. Februar 1165: a seremsslmo
imperatore nostro voeaU et ab eins j^rincipe Aretino episcopo sepe com-
mmtiti ; dann: jirecipinius venerabili Aretino episcopo; in der zweiten:
Dilectis suis Aretino episcopo etc. 2) Ficker, Vom Reichsfürsten-
stande I, 318. 3) S. die Urkunde unter 'Borgo San Sepolcro'. 4) Le-
tantes igitur et plurinium congaudentes de concordia et conventione facta
inter dilectum nostrum Aretinum prep)0situm et filios Ranerii etc. Varren-
trapp, Erzb. Christian I. von Mainz 127 n. 40. Meine Berichtigungen
entsprechen dem Original, von dem Ficker eine Abschrift genommen hat.
5) R. Davidsohn, Gesch. v. Florenz I, 494, Anm, 3. 6) Montauto de'
Urkunden u. Forschungen z. d. Regesten d. stauf. Periode. 131
Der Urkunde für den Abt, die am 14. Februar 1165
ausgestellt wurde, gedachte R. Davidsohn\ doch nur nach
jüngerer Ueberlief erung ; auf das Original im erzbischöf-
lichen Archiv zu Pisa bin ich durch P. Kehr aufmerksam
geworden ^ ; eine Abschrift liess mir der Erzbischof selbst
anfertigen. Christian nennt sich nur Kanzler, gerade so
wie in der vorausgehenden Urkunde, die er am 30. August
1164 dem Kloster S. Maria della Colomba ertheilte ■^.
Offenbar aber handelte er in beiden Fällen als Legat. So
nennt er sich denn auch am 22. Februar, d. h. in der
zweiten meiner Urkunden, in der für den Dompropst. Auch
sie hat schon David söhn benutzt, aber ohne nähere Nach-
v^eisungen^. Aus dem Original im Capitelarchiv stammt
die Abschrift Fickers, die meinem Drucke zu Grunde
liegt. Dasselbe gilt von der dritten, die eine Ergänzung
zur zweiten ist.
Reichskanzler Christian ermächtigt den Abt Amadeo,
den er mit seiner Mönchschaft als treu erprobt
hat, in Galognano eine Burg und am Arno irgend-
welche Bauten aufzuführen; verbietet Consuln und
Volk von Arezzo, sowie allen Capitanen und Val-
vassoren der Grafschaft Arezzo, namentlich denen
von Talla(?), darin oder in anderem Besitz den
Abt zu belästigen.
1165 Februar 14, Arezzo.
Cristianus dei gratia imperialis aul§ cancellarius.
Imperialis §quitas iustiti§ in usum et consuetudinem
duxit, ecclesias dei, que in sua dominatione consistunt,
benignissime protegere, in sinu su^ potestatis confovere ac
promovere, pr§sertim illas, qu§ circa thronum su§ maiestatis
fideles extiterunt et pro incolumitate imperii et statu regni
ßarbolani oder auch di Galbiuo liegt nördlich von Anghiari. Die Orts-
bestimmung bei St. 4815. 5037 ist irrig. 1) Davidsohn a. a. 0. 492
Anm. 1. 2) Nachrichten der k. Gesellsch. der Wissensch. zu Göttingen
1897, S. 178 Anm. 1. 3) Ficker, Forschungen zur Reichs- und Rechts-
gesch. Italiens IV, 179. Ebenso in der dritten der hier folgenden
Urkunden. 4) A. a. O. 495. Doch theile ich die Meinung nicht, die
Davidsohn aus unserer Urkunde zu folgern scheint : 'Der mächtige Orden
von Kamaldoli weigerte dem Kanzler den Gehorsam'. Es handelt sich
hier meines Erachtens nur um das Mutterkloster; der Orden war ebenso
gespalten, wie Davidsohn es a. a. 0. von den Vallombrosanern zeigt. Da-
her sagt Christian am 24. Februar mit gutem Bedacht: fratres de Camal-
dula, qui in servitio ecciesiae dei et iynperii perseverare voliierint etc.
Varrentrapp a. a. 0. 128 n. 41.
9*
132 Paul Scheffer-Boichorst.
devotissime omni tempore laborarunt. Nos vero eius pr^clara
vestigia, in quantum possumus, imitari volentes, cognita
fide et puritate, qua*^ monasterinm sancte Flor§ et Ami-
deus eius venerabilis abbas apud imperium fideliter semper
habuerit''^, notum facimus universis imperii fidelibus, per
Tusciam constitutis, presentibus et futuris, quod nos^ aucto-
ritate imperiali et nostra damus et concedimus plenam
potestatem abbati sanct§ Flor§ ^dificandi et construendi
castrum in Galognano ad honorem dei et imperii et ecclesie
sanct§ Flor§ et qu^cumque hedificia vult in flumine Arni.
Quocirca Aretinis consulibus et toti populo per debitum
iuramenti, quod domino imperatori fecerunt, et sub p§na
centum librarum districte precipimus, pariter et Talsanen-
sibus et universis capitaneis et valvasoribus per Aretinum
comitatum constitutis, ut iamdicto abbati in pr^dicto Castro
de Galognano et in ceteris bonis et possessionibus suis et
in construendis hedificiis in Arno nullani molestiam, nul-
lam iniuriam nuUumque impedimentum de cgtero inferant
vel inferri sinant. Si quis vero contra hoc nostrum man-
datum facere presumpserit, reus erit imperatori^ maiestatis
et sub banno domini imperatoris positus p§nam centum
librarum incurrat, dimidiam parteni persolvendam fisco
imperiali, dimidiam pr^dicto abbati.
Datum apud Arettium*^ anno millesimo 165, indic-
tione 13, 16. kal. Martii, regnante domino F. Romanorum
imperatore sereuissimo, regni eius*^ 12^, imperii vero eius 10.
Reichskanzler und Legat Christian bekundet die Er-
stattung genannter Güter, die auf richterlichen
Spruch erfolgt ist, als sein hochbelobter Propst
Adenulf zu Borgo San Genesio über deren Ent-
ziehung vor ihm geklagt hat; erlässt einen Befehl,
welcher dem der folgenden Urkunde ähnlich, nur
weniger ausführlich ist.
1165 Februar 22, Arezzo.
Cristianus dei gratia imperialis aule cancellarius atque
legatus.
Imperialis equitas iustitie ad hoc nobis in Italia vicem
a) Sic. b) quod nos unleserlich. c) Ohne anno.
1) Am 9. März 1165 ging schon das 13. Königsjahr zu Ende; aber
das 12. entspricht der in der kaiserlichen Kanzlei üblichen Rechnung.
Vgl. die folgende Urkunde, wie auch die beiden, die ich unter 'ßorgo
San Sepolcro' veröffentliche.
Urkunden u. Forschungen z. d. Regesten d. stauf. Periode. 133
suam regendam et ordinandam commisit, ut ecclesias dei
et earum iura tanto propensiori studio muniremus et in
aliquo lesa restituere et reformare certe curemus''^, quanto
per earum nierita in eterna vita maiorem gloriam nobis
provenire speramus et credimus. Nos ergo misericordie
operibus et iustitie inherentes, notum facimus omnibus
imperii fidelibus presentibus et futuris, quod dilectus noster
Attinulfus venerabilis prepositus Aretine ecclesie, aput
sanctum Genesium ^ ad nos veniens, plurimas nobis que-
relas deposuit, quas intuitu retributionis eterne et eius
preclaris servitiis, fide et puritate, quam circa thronum
imperatorie maiestatis fideliter habuit, intercedentibus et
ex sententia iudicum curie nostre terminandas esse dignum
et equum duximus. Ex sententia igitur iudicum curie
nostre pro contumacia Camaldulensium, qui tertio a serenis-
simo imperatore nostro vocati et ab eius principe Aretino
episcopo sepe commoniti qui*^ ad iustitiam faciendam de
Moiona venire contempserunt, auctoritate imperiali et nostra
posuimus dilectum nostrum Aretinum prepositum in pos-
sessionem de Moiona, ut ipse habeat et de cetero suo iure
possideat. Pro contumacia vero Ugonis de Ugitto, qui
tertio a nobis vocatus pro turri de Subiano iudicio nostro
stare contempsit, posuimus iamdictum prepositum in pos-
sessionem de turri de Subiano, quam violenter occupaverat.
Quia vero filii Alberti de Capannolo contumaces perman-
serunt, nam vocati nostro iudicio stare contempserunt de
turri de Vincione, Castro et curte, posuimus prefatum pre-
positum in possessionem de turri de Vincione, Castro et
curte. Pro contumacia vero Walfreducii Saxoli, qui vocatus
ad iustitiam faciendam de Durnula nostro iudicio stare
contempsit, posuimus suprascriptum prepositum in posses-
sionem de Durnula. Rogerius quoque de Manisco quia
contumax extitit et vocatus nostro iudicio stare de campo
quodam posito in Piunta contempsit, posuimus suprascrip-
tum prepositum in possessionem de campo illo posito in
Piunta. Ut^ iamdictus prepositus cum fratribus suis vice
sue ecclesie auctoritate imperiali et nostra habeat et de
cetero suo et ecclesie iure possideat omnia ea, de quibus
ei possessionem dedimus et restitutionem fecimus, sicut in
a) Sic. b) Man erwartet: Mandamus igitur, ut.
1) Einen zweiten Tag hielt Christian 1165 an demselben Orte, als
Erwählter von Mainz und Erzkanzler, d. h. nicht vor October. Ficker,
Forschgen, zur Reichs- und Rechtsgesch. Italiens IV, 182.
134 Paul Scheffer-Boicliorst.
hac pagina continetur. Si quis vero contra institiam dilec-
tum nostrum Aretinum prepositum aut ecclesiani, cui modo
deservit, in illis possessionibus, in quibus ei, ^cclesie et fra-
tribus suis restitutionem fecimus, de cetero molestare vel
inquietare presumpserit, reus imperatorie maiestatis erit et
in banno domni imperatoris positus centum libras auri
purissimi pro pena componet, dimidium eamere imperiali,
dimidium vero predicto preposito atque eeclesie. Hanc
autem restitutionem fecimus omni legittimo auxilio absen-
tibus reservato et impensis ab eis omnibus prius integre
restitutis. Ut autem dei virtute et imperiali auctoritate
Aretine eeclesie et personis ad divinum cultum ibidem
morantibus firma et inviolabiliter consei'vata permaneant*
et pravorum hominum rabies compescatur et raptoribus
occasio mala faciendi et aliena rapiendi certa lege tollatur,
precipimus venerabili Aretino episcopo, dilectis abbatibus
sancte Flore et Campileonis, Aretinis consulibus, omnibus
enumeratis, tarn presentibus quam futuris, omnibus capi-
taneis, valvassoribus per civitatem Aretinam et comitatum
Aretinum et episcopatum eiusdem constitutis per debitum
fidelitatis, quam domno imperatori fecerunt, sub optentu
imperialis gratie et svib pena centum librarum puri argenti,
ut eas possessiones, quas Aretine eeclesie restituimus, ab
omni persona et liominibus, ecclesiam Aretinam vel eins
prepositum contra iustitiam molestare vel inquietare pre-
sumentibus, bona fide retinere adiuvent.
Datum apud Aritium 8. kal. Martii in domo Ugonis
medici anno 1165, indictione 13, regnante domno Frederico
Eomanorum imperatore serenissimo, anno regni eins 12 ^,
imperii vero 10, feliciter, amen.
Reichskanzler Christian schreibt Genannten, dass ihm
der Kaiser die Kirche von Arezzo, als seine und
der Kaiserin besondere Kammer, auch besonders
empfohlen habe; gebietet ihnen daher, das Dom-
capitel in der Behauptung der ihm erstatteten
Güter nachdrücklichst zu unterstützen.
(1165 Februar 22, Arezzo.)
Crisianus'' dei gratia imperialis aule cancellarius
dilectis suis Aretino episcopo, abbati sancte Flore, abbati
Campileonis, consulibus Aretinis presentibus et futuris et
a) Scilicet omnia ea etc. b) Sic.
1) Vgl. S. 132 Anm. 1.
Urkunden n. Forschungen z. d. Regesten d. stauf. Periode. 135
Omnibus capitaneis et valvassoribus per episcopatum Are-
tinum constitntis salutem et dilectionem.
Ad hoc imperiali auctoritate fungimur et eius legatio-
nem in Italia gerimus, ut ecclesiarum iura tueamur*^, illa-
rum presertim, que ad eius cameram spetialiter pertinent
et quas principaliter honorare et promovere intendit. Quia
vero ab imperiali dementia spetialius nobis est iniunctum,
ut ecclesiam Aretinam, qne spetialis camera est domni
imperatoris et imperatricis et eorum sedes, ab obpressioni-
bus suis studiosius liberemus eique sua iura restituamus
et per nos et per fideles imperii conservemus, mandamus
Omnibus vobis, monentes, intime rogantes et per debitum
fidelitatis, quam domno imperatori iurastis, districte preci-
pientes, quatinus omnes possessiones, quas eidem ecclesie
ex imperiali auctoritate restituimus legaliter, videlicet Sub-
ianum, Moionam, Wiccionam, Dorisolam et campum de
Pionta, dilectum nostrum prepositum et fratres suos de-
fendere, conservare et manntenere ita fideliter adiuvetis, quod
nullorum hominum malignitas in his facultatem habeat
nocendi vel impediendi, quod a nobis iuste factum est. Si
qui vero in his iam dictum prepositum et fratres suos
molestare vel perturbare aut iniuste fatigare presumpse-
rint, sub banne domni imperatoris se positos fore cogno-
verint et pro pena 100 marcas puri argenti persolvant.
Bisthum Aversa.
G. Parente, Origini e vicende ecclesiastiche della
cittä di Aversa I, 269 — 271 veröffentlicht ein älteres Re-
gister von Urkunden für die Bischöfe. Aus der staufischen
Periode findet sich darin: je eine des Grafen Dipold von
Acerra 1197, der Kaiserin Constanze 1198, des Legaten
Liutpold von Worms 1215, Friedrichs II. 1221, Manfreds
1259. Bei Erwähnung der Urkunden Dipolds und Luit-
polds bemerkt der Verfasser des Registers, dass sie in
einer Bestätigung Ludwigs III. von 1421 enthalten seien;
die übrigen kannte er also aus anderer Quelle, wahrschein-
lich aus den Originalen.
Das Diplom Friedrichs IL hat Winkelmann, Acta
imp. I, 189 veröffentlicht, das Liutpolds von Worms Mi-
nieri-Riccio, Saggio di cod. dipl. Suppl. I, 22; die der Con-
stanze, Dipolds von Acerra und König Manfreds hoffte ich
nun in Aversa aufzufinden. Aber bei dem Mangel an
rechter Uebersichtlichkeit , der im bischöflichen Archive
a) tueamiir unleserlich.
136 Paul Scheffer-Boichorst.
herrschte, war alles Suchen vergebens; nicht einmal das
Original Friedrichs II., das erwiesener Maassen doch in
unseren Zeiten noch vorhanden war, kam wieder zu Tage.
Glücklicher Weise bietet sich anderweitig wenigstens eine
Art von Ersatz.
Für die Verleihung der Constanze giebt der Regi-
strator selbst das Jahr 1198, und noch genauer, als er, hat
Friedrich II. den Inhalt beschrieben.
Ueber die Urkunden Dipolds und Manfreds hat Lud-
wig III. 1421 ausführlich berichtet. Seiner Bestätigung
habe ich freilich in Aversa auch umsonst nachgeforscht;
aber Bd. 1059 der Processi di regio padronato im Staats-
archiv zu Neapel, nämlich Process n. 188 S. 19 fF. ^, ent-
hält eine Abschrift des ganzen, sehr umfangreichen Textes.
Danach würde ich die Auszüge aus dem Privileg Dipolds,
die wir dem Schreiber Ludwigs III. verdanken, etwa so
wiedergeben :
1198 Februar, Salerno im Palaste Terracena. Dipold
von Gottes und des Kaisers Gnaden Graf von Acerra
schenkt dem Bisthum in Anbetracht (der Treue) des Bischofs
Gentilis, auf Bitten Genannter insulam siiam, quam ad lacnm
Lacrimim hahehat, que vulgo dicifur AtticeUa, und verzichtet
für sich und seine Erben auf alle Rechte daran. — Mit
1197, ind. 1, ao. 1 Fred. Rom. et Sic. reg. — S. 23.
Was Ludwig aus Manfreds Urkunde mittheilt, lässt
sich in folgendes Regest fassen :
1259 März, Melfi. Manfred bestätigt die Privilegien
Friedrichs und Constanzens : gewährt Schutz, Freiheit von
Abgaben, decimam haitdationis, tindam sive iura tincture eius-
dem civitatis cum domo in suhirhio s. Marie et casale Triani.
— per maniis Gualterii de Ocra regnorum lerusalem et Sicilie
canc- — Mit 1258, ind. 2. — S. 25.2
Edele von Baux.
Unsere Kenntnisse von Urkunden, die staufische Herr-
scher dem Geschlechte ertheilten, haben wesentliche Be-
reicherungen erfahren. Früher nur in Auszügen oder gar
nicht bekannt, liegen jetzt vollständige Texte folgender
Privilegien vor: Konrads III. vom 10. August 1145,
1) Darauf hat E. Winkelmann im N. A. III, 650. 651 aufmerksam
gemacht, vgl. auch B. F. "W. 12145, aber die Bestätigung rührt nicht von
König 'Ladislaus'. Genaueres theilt Winkelmann über Dipolds Siegel
mit. Dagegen sagt er von der Urkunde Manfreds nur: '1259, März, für
das Bisthum Aversa'. B. F. 4691. 2) Ludwig III. excerpierte überdies
noch zwei ungedruckte Urkunden Innocenz' II. vom 3. August 1142 und
Urkunden ii. Forschungen z. d. Regesten d. stauf. Periode. 137
Friedrichs I. vom 31. Juli und 5. August 1178 \ Fried-
richs II. vom 8. Januar 1215^ und 2. Juni 1228^. Aber
für vier andere entbehren wir noch den unverkürzten Wort-
laut. Leider haben meine Bemühungen, die Lücken aus-
zufüllen, nur zur Hälfte Erfolg gehalDt.
Ein Herr G. Millet zu Orange verheimlicht die Urkunde,
die Friedrich I. im Jahre 1160 — man weiss nicht: wann
und wo, — den Brüdern von Baux ausstellen Hess. Wie
ein Regest zeigt ^, folgte der Kaiser wesentlich dem Bei-
spiele Konrads III. Noch ein zweites Privileg Friedrichs I.
förderte die Interessen der Baux; es war am 9. October
1184, Aus einem Codex des 13. Jh., der sich im Depar-
tementalarchiv zu Marseille befindet °, sandte dessen Vor-
stand L. Blancard an Collegen Sternfeld eine Ab-
schrift; danach ist mein Druck besorgt. Diese Urkunde
hat dann Friedrich IL am 8. Januar 1215 wiederholt*'. Das
behaupte ich freilich nur auf Grund eines Auszuges, denn
den vollständigen Wortlaut — auch ihn verbirgt Herr
Millet neugierigen Augen. Um so leichter zu erreichen
war die vierte Urkunde, die Friedrich II. am 15. Mai
1228 gab; in einer Abschrift des 13. Jh. bewahrt sie das
Municipalarchiv von Marseille^; daher entnahm einer meiner
Zuhörer, F. Kien er, den an zweiter Stelle folg'enden Text.
Friedrich I. ermächtigt die genannten Brüder von Baux
wegen der treuen Dienste ihres Vaters und ihrer
Oheime, in Orange zu münzen ; bestätigt ihnen das
Banneramt in angegebenen Grenzen, dann die Schen-
kung des Giraud-Adhemar ; gewährt den Bewohnern
ihres Ortes Villeneuve die herkömmliche Immunität,
doch unter Wahrung der Eeichsrechte ; befreit ihre
Alexanders in. vom 11. März 1169. Jene ist gegeben: per maniis Ge-
rardi s. R. e. presb. card. ac bibJiotecarü, 3. non. Aug., ind. 5., c(0. 1142,
ao. pont. 13, ohne Ort; diese: Benevent l per manus Grat/am' s. R. e. stib-
diac. et notarn, 5. i'd. Marcii, Ind. 2, ao, 1168, ao, pont. 10. 1) Stum^jf,
Acta ined. 471. 731. 732 n. 332. 525. 526. 2) Winkelmann, Acta ined.
I, 105. 3) Stemfeld, Karl von Anjou als Graf der Provence 262.
4) Bartheleray, Inventaire des chartes de la raaison de Baux 14 n. 57.
5) B. 1069 fol. 229. Cf. Barthelemy 1. c. 22 n. 84. 6) Barthelemy 1. c.
43 n. 160. Die Daten sind dieselben, wie in dem Diplom meiner 2. Anm.,
aber der Inhalt ist verschieden. Winkelmanns Anfrage, ob St. 3963 als
Vorurkunde gedient habe, ist durchaus zu verneinen : St. 3963 richtet
sich gegen einen Vertreter des Geschlechts. B. F. W. 14653. Auch die
Urkunden Konrads III. von 1145 und Friedrichs I. von 1160 sind nicht
benutzt, denn in ihnen ist noch keine Rede vom Banneramt, das Fried-
rich I. 1184 allerdings auf eine Verleihung Konrads III. zurückführt.
7) CC 12. Cf. Barthelemy 1. c. 62 n. 224.
138 Paul Scheffer-Boichorst.
Leute von allen neuen Zöllen; sichertihnen zu, dass sie
ihre Reichslehen ohne Mittelsperson besitzen sollen.
1184 October 9, Pavia.
In nomine sancte et individue trinitatis. Fredericus
divina favente dementia [ßomanorum] Imperator augustus.
Familiäre habet et g-loriosum putat benig-nitas impe-
rialis, ut de se benemeritorum utilitati simul et honori
prospiciat ipsosque dignis liberalitatis beneficiis in obsequio-
rum et fidei perseverancia teneat obligatos, alios^ etiam
exemplo ad obsequendum iuvitet^. Nichil enim, quod
corda fidelium tanto sibi favore astringat, quam prone
liberalitatis animus concedeus rationabiliter postulata. Nos
igitur memores serviciorum, que fidelis noster Bertrandus de
Baucio et fratres sui nobis et imperio studiosa devotione
exhibuerunt, filiis dicti Bertrandi, Guillelmo, Bertrando et
Hugoni liberaliter concessimus, ut in civitate Aurasica
monetam cudi faciant et omnem exinde proventum ipsi
percipiant. Item vexilliferatum ab Alpibus usque ad Ro-
danum et ab Ysera usque ad mare, ab antecessore nostro
commendande memorie rege Corrado avo ipsorum collatum ^,
predictis fratribus concedimus et confirmamus, ita sane, ut
hec nostra concessio preiudicium non pariat ei, si quis
forte in ipso beneficio ius habuerit. Item ratam habemus
et haberi volumus donationem, quam Geraldus Ademari
de terra sua ipsis fratribus fecit. Villam quoque Novam
ad preces eorum donamus ea immunitate, quam habere
consuevit, scilicet ut habitantes in ea vel habitaturi phys-
cum dare non cogantur aut pulmentationem, salvo tamen
iure imperiali. Indulximus eis nichilominus, ut ab homi-
nibus terre sue nova pedagia nee in terra nee in aqua
exigantur, sed ea dumtaxat pedagia persolvant, que ex anti-
quo sunt vel imperiali auctoritate concessa. Ad hec ipsos
ad*^ hoc privilegiatos esse decernimus, ut beneficia, que ab
imperio tenent, a nobis et successoribus nostris ipsi et
eorum successores nulla mediante persona iure perpetuo
debeant obtinere. Sancimus itaque et imperiali auctoritate
precipimus, quatenus hec nostre concessionis beneficia nemo
temere audeat corrumpere vel quolibet fraudis ingenio de-
vocare in irritum. Quod si quis ausu temeritatis attempta-
verit, quinquaginta libras auri pro pena componat, dimi-
dium physco imperiali, dimidium iniuriam passis. Ut autem
a) aliis. b) immutet. c) ut.
1) Davon ist in Konrads Urkunde bei Stumpf, Acta 471 n. 332
nicht die Rede.
Urkunden u. Forschungen z. d. Regesten d. stauf. Periode. 139
nostre auctoritatis indnltum sua firmitate solidetur, presens
inde Privilegium conscribi iussimus et impressione sigilli
nostri commiiniri.
Hui US rei testes sunt Eberhardus*^ Merseburgensis
episcopus, Henricus Verdunensis episcopus, Lanfrancus Pa-
piensis episcopus, Sifridus Hersveldensis abbas, Greg'orius
abbas Prumensis^, Rodulphus prepositus et imperialis aule
prothonotarius, Lodovicus lantgravius '^ Thuringie, Gerhar-
dus'^ comes de Lon, Symon comes de Spanhey m, Corradus
burgravius de Norimberch'^, Henricus burgravius ßatisponen-
sis, Henricus marescalcus de Lutra^, Conradus pincerna, Ea-
dulfus camerarius, Warnerus de Bonlant et alii quam plures.
Acta sunt hec anno dominice incarnationis 1184, in-
dictione 3, regnante domino Frederico imperatore gloriosis-
simo, anno regni eins 33, imperii vero 31. Datum Papie,
7. idus Octobris.
Friedrich II. schreibt an Bertrand Porcellet und
dessen Neffen, dass er auf Klage des Hugo von
Baux und seiner Frau Barrale, denen Marseille
Rechte und Besitzungen in Stadt und Viconitat
vorenthalte, den Dragonet von Mont-Dragon und
den Blacas (von Beaudinard?) beauftragt habe, sie
sollten der Gemeinde befehlen, innerhalb eines
Monats dem Hugo und der Barrale alles Ihrige
herauszugeben, so wie Barrales Vater es besessen;
theilt ihnen mit, dass er die Marseiller im Falle
der Weigerung bannen würde, und verpflichtet sie,
dem Hugo und der Barrale, sobald Dragonet und
Blacas sie von der Verhängung des Bannes be-
nachrichtigt hätten, die verlangte Hülfe zu leisten^.
1228 Mai 15, Barletta.
Fridericus dei gratia Romanorum Imperator semper
augustus, lerusalem et Sicilie rex Bertrando Porcelleto et
Bertrando Porcelleto nepoti eins gratiam suam et bonam
voluntatem.
Notum facimus fidelitati vestre, quod cum vir nobilis
Hugo de Baucio fidelis noster ad nostre maiestatis presen-
tiam accessisset, conquerendo tam pro se quam pro parte
a) Ebi/ardus. b) Parmensis. c) londeganus. d) Guichardiis.
e) Quomribeeh. f) Luca.
1) Die Porcellets besassen einen Theil der Stadt Arles; Dragonet
war mehrmals Podestä von Arles, wahrscheinlich auch zur Zeit.
140 Paul Scheffer-Boichorst.
Barrale uxoris sue de universitate Massilie, proposnit coram
nobis, quod universitas Massilie iura, que habent et habere
debent in civitate Massilie, in eastris, villis et aliis locis
vicecomitatus Massiliensis et possessionem dicte civitatis
Massiliensis, castrorum, villarum et aliorum locorum, que
sunt in vicecomitatu ip[sius"] et reddituum, quos inde per-
ceperunt, reddere contradicunt, detinendo ea in eorum pre-
iudieium manifestum. Nos igitur predicto Hugoni et Bar-
rale uxori sue fidelibus nostris non debentes deesse in
eorum iustitia nee volentes, Draconeto Montis Draconi et
Blancatio fidelibus nostris dedimus per nostras litteras in
mandatis, quatenus dicte universitati Massilie ex parte
[nostra''] iniunge[rent^] firmiter et mandarent, monentes
eos et propensius inducentes, ut infra mensem post amoni-
tionem eorum, coram [idone]is personis Massiliensibus fac-
tam, omni occasione remota et appellationis ac recusatiouis
remedio penitus excluso, [dicta univer]sitas Hug'oni de
Baucio et Barrale uxori eins plene restituant omnia iura
sua, que habent vel habere debent [in dicta universi]tate
Massilie, eastris, villis et aliis locis vicecomitatus Massilie
cum redditibus et proventibus inde perce[ptis, vicecomita-
tu]m civitatis Massilie cum plena iurisdictione et posses-
sionem castrorum, villarum et aliorum locorum, sicut Bar-
ralus pater [dicte] Barrale supradicta olim tenuisse et
habuisse dinoscitur tempore vite sue. Quod si mandatum
nostrum iuxta prefatam amonitionem infra predictum tem-
pus Massilienses non adimpleverint, preter iram et indigna-
tionem nostram banuum nostre celsitudinis eos noveritis
incurrisse et vos eos habeatis postmodum pro bannitis ^.
Mandamus ig-itur fidelitati vestre et districte precipimus, qua-
tenus, postquam per supradictos fideles nostros vobis con-
stiterit, Massilienses bannum nostrum ut predictum est in-
currisse, vos abinde contra eosdem Massilienses dictum
Hugonem et Barralam uxorem eins ac filios eorumdem in
quibuscumque poteritis studeatis, sicut postulaverint, ad-
iuvare, mandatum nostrum taliter exequendo, ut fidem et
devotionem [vestrjam possimus exinde mer[it]o commendare.
Datum Baroli 15. niadii prime indictionis.
a) s/'ns verblasst. b) nosfra fehlt. c) Hier und fernerhin sind
die eingeklammerten Buchstaben nicht mehr lesbar.
1) Nach B. F. 1752 war Marseille im April 1229 gebannt. Offenbar
galt nicht mehr jener Bann, der 1225 über Marseille verhängt war. Da-
nach ist Sternfeld, Das Verhältnis des Arelats 59 zu berichtigen.
Urkunden ii. Forschungen z. d. Regesten d. stauf. Periode. 141
Hospiz auf dem grossen Sanct-Bernhard.
Bethmann hat in seiner Beschreibung- des Turiner
Staatsarchivs ^ auch eines Packetchens von Urkunden für
das berühmte Hospiz gedacht. 'Alles Copien', sagt er,
'1176, 1187, 1191 April 3, 1191 April 26, 1193'. Die An-
gaben lassen zu wünschen übrig. Um mit dem Unwesent-
licheren zu beginnen, so ist 1191 April 16 zu lesen, wie
bei St. 4693^*. Ferner ist es irrig, dass in dem Convolnt
— Prevote du Grand S. Bernard. Paquet I. n. 5 — eine
Urkunde vom 3. April '1191' sich finde. Das von Beth-
mann gemeinte Stück rührt offenbar nicht von Hein-
rich VI., sondern VII. ; es ist nur mit Ort, Monat und
Tag versehn: Mediolani feriio aprüis, und gehört zu 1311 -.
Dann haben wir die Urkunde von 1193 anderweitig in
einer besseren Fassung, wonach sie am 13. Mai ausgestellt
wurde, St. 4812'''. Viel mehr zu schätzen, als die bisher
bekannte Ueberlieferung, ist dagegen der hier gebotene
Text von 1176. Wie die Urkunde in Mon. patr. Taur.
Chart. II, 1052 vorliegt^, konnte St. 4182 sie zwischen
Juli und November 1176 einreihen. In der Turiner Ab-
schrift heisst es nun apiid Taurinmn 1176 indidione nona,
nonis lanuarii, also: Turin 1176 Januar 5. Das ist zugleich
der erste urkundliche Nachweis für einen Aufenthalt
Friedrichs I. in der ersten Hälfte des Jahres 1176. Nicht
minderen Werth hat der Text von 1187; wir finden in
ihm eine bekannte Urkunde Heinrichs VI. wieder. Nach
dem Drucke der Mon. patr. Taur. Chart. II, 1073^ lauteten
ihre Daten: Mediolani no. dorn, incar. 1180, ind. 13., 4. cal.
April. Dass nun Heinrich VI., 1184 erst zu mannbaren
Jahren gelangt, nicht schon April 1180 selbständig in Mai-
land geurkundet habe, leuchtete Allen ein, etwa bis auf den
Herausgeber, und doch vornehmlich wegen des Jahres hat
St. 4574 über die Urkunde den Stab gebrochen. Wie eine
günstigere Wendung, wenngleich noch längst nicht wie
eine Rettung, erschien später die Mittheilung Grremauds ■\
dass eine Abschrift im Archiv des Hospitals selbst die Da-
tierung trage: Mediolani 1187, indictione 3, hol. April.
Aber Indiction und Jahr widersprachen einander, und so
1) Arch. f. ältere deutsche Geschichtsk. XII, 598. 2) Es ist
meines Wissens ungedruckt, es sollte unter Gremauds Docum. rel. ä l'hist.
du Vallais nicht fehlen. 3) Ebenso in den angeführten Docum. du
Vallais, Mem. et docum., publies par la societe d'hist. de la Suisse Ro-
mande XXIX, 101, wie auch bei Luquet, Etudes hist. sur l'etablissement
hospitalier du Grand Saint Bernard 72 Anm. 1. 4) = Mem. et docum.
1. c. 111, Luquet 1. c. 73 Anm. 1. 5) Mem. et docum. 1. c. 112 Anm,
142 Paul Scheffer-Boichorst.
meinte Gremaud, die neue Lesart nicht bevorzugen zu
dürfen. Alle Zweifel hebt die Turiner Ueberlieferuug.
Ihre Datierung lautet: Mediolani ao. dorn, incar. centesimo
oduagesimo septimo, indictione quinta, tertio calend. Aprilis.
'Mailand 1187 März 30' passt aber auch recht gut ins
Itinerar Heinrichs: er war am 24. März in Lodi, nun am
30. in Mailand, er ging nach Asti^, und befand sich am
6. April in Casale. Wir erhalten damit die erste Kunde,
dass Heinrich im März 1187 Mailand besuchte. Nehmen
wir hinzu, dass er im November, wie ich an einem anderen
Orte zeigte -, nochmals dahin zurückkehrte, so erscheint
die Correctur nicht ganz gleichgültig, abgesehen von der
Bedeutung, die sie als Kriterium für die Echtheit der ver-
dächtigten Urkunde hat^.
S. Paul zu Bisanz.
Der Rechtsstreit, den im Jahre 1175 die Canoniker
mit dem Propste von Dole führten, ist nicht ganz un-
bekannt gewesen^. Aber ein vollständiger Druck der über
ihn handelnden Urkunde wurde meines Wissens bisher ent-
behrt. Das Avar besonders auch wegen der verurtheilenden
Person zu bedauern, denn ein burgundischer Reichslegat,
Burchard von Asuel, der nicht eben zahlreiche Spuren
seiner officiellen Thätigkeit hinterlassen hat, fällte die
Entscheidung.
Eine Beglaubigung von 1381, deren Text leider zu
wünschen übrig lässt, fand Bresslau im Departemental-
archiv zu Bisanz. Nach seiner Abschrift habe ich die fol-
gende Ausgabe veranstaltet.
Burchard von Asuel, kaiserlicher Legat in Burgund,
erklärt auf Grund eines Eides, den Clienten von
Dole zu Gunsten der Kläger, der Canoniker von
S. Paul in Bisanz, gegen den Propst von Dole ge-
1) Dass er dort schon im März gewesen sei, ist eine willkürliche
Deutung der betreffenden Quellenangabe. Gioffredo della Chiesa Mon.
patr. Taur. SS. III, 880 sagt nur, freilich ganz verkehrt, dass Heinrich im
März 1187 nach Italien gekommen sei. 2) Zur Gesch. des 12. und
13. Jh. 216. 221. 3) Was sonst noch vorgebracht ist, um die Fälschung
zu erweisen, scheint mir der rechten Bedeutung zu entbehren. So be-
hauptet Toeche, Heinrich VI. 690 Anm. 3, dass imperimn 7iostrum von
Heinrich als König nie gesagt worden sei. Dagegen genügt der Verweis
auf Stumpf, Acta 559: Henricus etc. 7-ex semp. aug. Cum omnibus im-
perii nostri ßdeJihus etc. 4) E. Clerc, Essai sur la Franche-Comte I, 368.
D(uvernoy), Mouvence de Bourgogne 41. Trouillat, Mon. de Bäle I, 295.
Urkunden u. Forschungen z. d. Regesten d, stauf. Periode. 143
leistet habeu, dass dessen Ansprüche an das Haus
zu Etrepignej unberechtigt seien.
1175.
In nomine sancte et individue trinitatis. Ego ßocardus
de Assuello, imperialis aule legatus in ßurgundia, presen-
tibus et futuris rei gaste noticiam.
Opus pietatis est, ecclesiarum possessiones intemeratas
custodire et ad earum utilitatem, que . . . .^ solvat,
veritatem non occultare. Noverit igitur fidelium univer-
sitas, quod canonici Bisontine ecclesie sancti Pauli queri-
moniam'' de preposito de Dola in conspectu nostro fece-
runt, eo quod annualem recepcionem in domo de Stirpiniaco
contra racionem caperet ac usagium in omnibus nemoribus
de Calce, Aliis et Finagio ^ usurparet. Unde factum est,
quod eosdem canonicos et prepositum ad instanciam con-
vocavimus, et auditis utriusque partis allegacionibus pla-
cuit utrisque, ut clientes de Dola super hec veritatem suam
iureiurando profiterentur. Et quia hoc satis racionabile
videbatur, senioribus quibusdam clientibus per fidelitatem
domini imperatoris precepimus, ut inde veritatem suam
[iureiurando profiterentur'']. Nunc igitiir in curia '^ Hugo
de Hospitali, qui tunc erat prepositus, Stephanus de Dompna
Petra, Paganus de Lavans, Willelmus de Dola et alii
clientes, qui sub eadem fidelitate imperatoris asseruerunt
et iuraverunt®, eciam voluerunt, quod ex iure recepcionem
illam dicta domus non deberet, sed erat libera totaliter,
et usagium in omnibus nemoribus de Calce, Aliis et Fina-
gio pure et libere haberet*'. Ex parte igitur imperatoris
precepimus, preceptam calumpniam ex toto sepeliri et
nulla gravamina ecclesie sancti Pauli deinceps super hac
occasione inferri.
Huius rei testes sunt Odo Campanensis, Guido miles
de Villasum, Arnulphus de Dola, Stephanus de Lala milites.
Eecoguitum est hoc totum in presencia Ebrardi, tunc
temporis Bisontine sedis electi; magistro Atardo et ma-
gistro Ebrardo de curia imperatoris presentibus ; anno ab
incarnatione ^ domini millesimo 100 septuagesimo quinto.
a) home, dann Lücke. b) gravisstmum. c) Lücke. d) in
iure, doch unsicher. e) Lesung unsicher. f) imperate.
1) Mit Aliis ^et Finagio ('oder aliis et -finagio?) weiss ich nichts an-
zufangen, lieber Etrepigney und den AVald von Chaux vgl. Marquiset,
Statistique hist. de l'arrond. de Dole 11, 59.
144 Paul Scheffer -Boichorst.
S. Stefan zu Bolog'ua.
Die Biblioteca dello studio zu Ferrara besitzt die
Sammlungen A. Scalabrinis, auf deren hohe Bedeutung,
von Forschungen Klinkenborgs unterstützt, jüngst Col-
lege Kehr hingewiesen hat ^ Für die Kaiserurkunden kommen
namentlich Monnmenta vetera monusterii Pomposiani et Raven-
natis et Ferrariensis ecclesiaruni in Betracht. Quaternio V. f. 14
bietet die Abschrift einer ungedruckten Urkunde Fried-
richs I., deren corrupte Daten, wie sie ihm von Klinken-
borg mitgetheilt waren, Kehr nicht zu bestimmen ver-
mochte -. Sie lauten in der Abschrift Scalabrinis, der dem
sehr verwahrlosten Original folgte '^ : Ferrarie . . kl. mar.
ani dni MCLXXXI, indictione XV, anno regni XIIII.
imperii XII. Man ändere MCLXVII, und Alles ist in
schönste Ordnung gebracht. Zu Februar 1167 passt die
15. Indiction und das 12. Kaiserjahr, passt aber auch das
14. Königsjahr, nur muss man dabei nicht auf die rech-
nerische Richtigkeit sehen, sondern auf den Kanzlei-
gebrauch*. Was ferner den Ort betrifft, so wissen wir
anderweitig, dass Friedrich damals Ferrara besuchte ^.
Welches Kloster aber leitete der Abt Landulf, für
den die Urkunde ausgestellt ist? In Ferrara selbst gab
es wohl eine Kirche des hl. Stefan, aber kein ihm gewid-
metes Kloster*'. Nach dem übrigen Inhalte des Sammel-
bandes räth man auf Pomposa und Eavenna; doch Patron
von Pomposa war die Jungfrau, und auch Eavenna besass
kein Stefanskloster. Wohl aber Bologna ^ Zum Glücke
findet sich nun noch eine Urkunde, wonach der damalige
Abt von S. Stefan zu Bologna Landulf hiess '^. Offenbar
hat Scalabrini die Urkunde abgeschrieben, nicht weil der
Empfänger für ihn ein Interesse hatte, sondern wegen des
Ausstellungsortes.
Scalabrini hat die zahlreichen Stellen des Originals,
die unlesbar geworden waren, aufs genaueste bezeichnet;
dass ich bei meinen Ergänzungen stets das richtige Wort
getroffen habe, will ich nicht behaupten; aber über den
Sinn kann man nicht zweifeln.
1) Nachrichten der kgl. Gesellsch. der Wissensch. zu Göttingen 1897,
S. 355. 2) A. a. 0. 358 Anm. Die hier auch erwähnte Urkunde
Friedrichs II. vom Juni 1226 ist gedruckt, ß. F. 1630. 3) 'lacero per
r antichita' , Er sagt nicht, wo er die Urkunde gefunden habe. -Ij St. 4079.
80. 81. 82. 5) Vita Alexand. III. ap. Watterich II. 402. 6) Scala-
brini, Mem. istor. delle chiese di Ferrara 64 — 67. 7) Petracchi, Della
insigne abbaziale basilica di S. Stefano di Bologna 1747 scheint unsere
Urkunde nicht gekannt zu haben. 8) 1162 December 15. SavioU,
Annali Belog. V>, 267.
Urkunden u. Forschungen z. d. Regesten d. stauf. Periode. 145
Friedrich I. beschützt den Abt Landulf und seine
jetzigen, wie zukünftigen Besitzungen.
1167 Februar 14—28, Ferrara.
Fredericus dei gratia Romanorum imperator et semper
augustus.
[A]d imperatoriam pertinet maiestatem devotos sibi
et fideles [auctoritatis] sue pagina roborare [et gratie] sue
patrocinium [eis libenter] impendere. Quocirca notum [sit
imperii] nostri fidelibus, presentibus et [futuris, quod] nos
intuitu [divine retributionis] fidelem nostrum Landulfum,
[venejrabilem abbatem sancti Stephani, [et omnes] posses-
siones suas, [qua]s modo habet vel auctore deo habiturus
est, sub imperialem protectionem nostram [susjcepimus,
statuentes et auctoritate nostra firmiter iubentes, ut eum
de c[etero] nee dux vel marchio, nee episcopus, nee comes
vel vicecomes, nee consules vel rec[tores], nec*^ ulla eccle-
siastica secularisve persona, magna sive parva, in bonis et
[possesjsionibus mouasterii sui aut in persona molestare vel
inquietare presu[mat. Siquis] vero hanc nostram auctoritatem
violaverit vel ipsum abbatem fatigare vel [aggravare] pre-
sumpserit, reus erit nostre maiestatis et pro pena 200 mar-
cas auri persolvet, dimidium camere nostre et dimidium
predicto abbati.
Datum Ferrari^ . . kal.^ Martii anno domini 1167'^,
indictioue 15, re[gnan]te domno Frederico Romanorum
im[peratore, anno] regni eins 14, imperii vero 12, [feliciter,
amen.]^
Borgo San Sepolcro.
G. Mazzatinti, Gli archivi della storia d'Italia I, 87
hat neulich einige Notizen über das Archiv der bischöf-
lichen Curie veröffentlicht; auf dessen wichtigstes Stück
hat er nicht aufmerksam gemacht - : es ist ein Pergament-
heft, in welches Guido Ascanins Sfortia, cardinalis s. Marias
in Cosniedin, 1540 eine Fülle nun von ihm bestätigter Ur-
kunden eintragen Hess. Diesen Schatz erhoben zu haben,
a) nulla. b) Mart. am. dni, 1181. c) Das Siegel war verloren.
1) Wenn ich recht beobachtet habe, findet sich vor kal. eine
Lücke. Sie ist aber auch in einer mir vorliegenden Abschrift Blochs
angedeutet. Schon nach Friedrichs Itinerar möchte ich die Urkunde
nicht mit N. A. XXIII, 778, wo übrigens Jahr und Empfänger richtig
bestimmt sind, zum 1. März setzen. 2) Auch der neueste Geschichts-
schreiber von Borgo San Sepolcro, Coleschi, hat es nicht gekannt.
Neues Archiv etc. XXIV. 10
146 Paul SchefEer-Boichorst.
ist das Verdienst Klinkenborgg, dessen Mittheilnngen
mir den Weg nach S. Sepolcro zeigten ^.
Andere werden sich mit dem übrigen Inhalte des
Heftes befassen. Für meine nächsten Zwecke kommen in
Betracht: zwei Urkunden des Eeichslegaten Christian, des
kaiserlichen Kanzlers, und eine des Generalvicars von
Tuscien, Pandulfs von Fasanella. Eine zweite desselben
Ausstellers findet sich auf einem kurzen Pergamentstreifen,
und zwar in eben dem Convolut, worin die Transsumpte
aufbewahrt werden -.
Von hervorragender Bedeutung ist das erste der beiden
Privilegien Christians.
Aus der Zeugenreihe lernen wir seine Anhänger ken-
nen. Ein stattliches Gefolge tuscischer, märkischer, römi-
scher Grossen hat sich seinem siegreichen Zuge in die
Campagna und Maritima angeschlossen^. Die Zeit dieses
Unternehmens aber, die bisher viel umstritten war^, ist
nun durch das Datum festgestellt. Wie wir wissen, hatte
Christian Alles weit und breit unterworfen, nur Anagnis
wurde er nicht Meister "", er musste sich mit einer Ver-
wüstung seines Gebietes begnügen : nach unserer Urkunde
lag er am 3. Juni 1165 im Felde von Anagni.
Beide Urkunden Christians haben dann eine nicht
zu unterschätzende Wichtigkeit für ein diplomatisches
Gesetz.
Der neueste Geschichtsschreiber Christians hat mei-
nen, mit Hülfe Fickers geführten Beweis, dass die Recogni-
tion keineswegs die Anwesenheit des Kanzlers bezeuge '\
nicht für ausreichend erachtet; jede Widerlegung ver-
schmähend, bleibt er einfach bei der alten Regel, dass der
Kanzler, dessen Reeognition die betreffende Urkunde trägt,
1) Da erfreute ich mich des liebenswürdigsten Entgegenkommens,
besonders von Seiten der Herren Gr. Rossi, L. Govanioli und
P. Mäggi. 2) Eine Geschichte S. Sepolcros von Fr. Bercordati,
die L. Coleschi besass, blieb mir unzugänglich. Auf der Communal-
bibliothek sah ich eine andere handschriftliche Geschichte. Darin die
Notiz : jj/7V«7e(//« conßrmavit sua afque predecessorum sitorum imperatm'
novaque concessit in dicta burc/i ahhaiia anno incarnationis 1164 mense
Septemhris. IVlit diesen, besten Falles verwirrten Daten weiss ich nichts
zu machen ; eine sich anschliessende Wundergeschichte, in der Friedrich I.
bei dem damaligen, durchaus abzuweisenden Besuche S. Sepolcros eine
Rolle gespielt haben soll, erweckt gegen das Urkundencitat erst recht
Misstrauen. 3) Vgl. oben S. 130 unter 'Domcapitel und S. Fiore zu Arezzo'.
4) Vgl. Varrentrapp, Erzb. Christian von Mainz 24. 25 und Ficker, Forschun-
gen zur Reichs- und Rechtsgesch. Italiens II, 139 Anm. 27, IV, 183.
5) — 2)reter Anaqniam, quam devastaverunt. Annal. Ceccan. MG. SS. XIX,
285. 6) Kaiser Friedrich' I. letzter Streit mit der Curie 205—211.
Urkunden u. Forschungen z. cl. Regesten d. stauf. Periode. 147
am angegebenen Orte zugegen war. Und so führt Varren-
trapp ^ seinen Helden in der ersten Hälfte des Jnni 1165
nach Deutschland zurück; er hält ihn dort bis zum October
1166 fest und lässt ihn dann nochmals die Alpen über-
steigen ^.
Zwei Momente hätten schon Bedenken erregen müssen.
In der ganzen Zeit, die Christian am Hofe in Deutschland
verbracht haben soll, erscheint er nicht ein einziges Mal
als Zeuge, stets nur als ßecognoscent -'. Ganz anders,
wenn er wirklich beim Kaiser weilt: nicht selten verbinden
sich dann Recognition und Zeugenschaft ^. Ferner wissen
wir, dass Christian mit dem Erzbisthum Mainz erst um
Weihnachten 1166 belehnt wurde, obwohl seine Wahl schon
im September 1165 erfolgt war. Weshalb hat der Kaiser
IY4 Jahr gezögert? Doch wohl nur, weil Christian nicht
zur Stelle war, weil er mit ihm erst in Italien wieder zu-
sammentraf. Da wurde denn zu Bagnolo, einem Orte bei
Brescia, die Investitur vollzogen ^
So ist es von vorneherein nicht wahrscheinlich, dass
Christian 1165 und 1166 an der Seite des in Deutschland
weilenden Kaisers stand. Volle Sicherheit über sein dauern-
des Verbleiben in Italien geben folgende Gründe.
Die erste meiner Urkunden zeigt, dass Christian am
3. Juni 1165 vor den Mauern Anagnis lag. Unmöglich
konnte er da schon am 14., wie Varrentrapp aus einer
Recognition folgert, beim Kaiser in Würzburg sein. Eine
zweite Urkunde führe nicht ich zuerst in die Untersuchung
1) S. 25. 26. 2) 'Der Nachricht eines nicht gleichzeitigen Chro-
nisten zufolge eilte er dann dem Kaiser voran über die Alpen' : Varren-
trapp 26 bezieht sich dabei auf Chron. Ursperg. MG. SS. XXI, 355 :
Imperator — in Alamania lyacem reformavit. Eo namque tempwe impe-
rator jjremiserat ad pugnandum contra Romanos Reinaldum
Coloniensem et Christ/'anum archiepiscojmni Magimtinuin. Quos et ipse cum
exercitu consecutus est. Da liegt aber offenbar eine Verwechselung mit
Späterem vor. Ich will nur folgende Stellen hierher setzen : Imperatoi'
Anchonam obsidet, capit. Intereaque Romam premittit Reinoldum. Colo-
niensem et Christianum Mogontinum — . Subsecptitur eos imperator. Rahe-
wini Gestor. Frid. imp. appendix ed. Waitz. 279. Dann : Änconam civi-
tatem imp. — ad deditionem- compellit, praemissisque archiepiscopis
Maguntino et Coloniensi — Romanorum terras vastat. Annal. Laub.
MG. SS. IV, 24. 3) Die einzige Ausnahme haben sowohl Varrentrapp
S. 129 n. 53, wie auch St. 4065 als Fälschung gebrandmarkt. 4) Varren-
trapp S. 126. 127 n. 25. 32. 33. 34, vgl. 27. 28. 5) Vicent. Prägens.
MG. SS. XVII, 683. Allerdings war Christian schon einen Monat früher,
zu Lodi, mit dem Kaiser zusammengekommen. Da man aber mit der
Investitur solange gewartet hatte, eilte die Sache nicht. Auch waren
wichtigere Dinge zu erledigen, und für das Gepränge einer Belehnung
eignete sich besser die nahe Festzeit.
10*
148 Paul Scheffer-Boichorst.
ein, aber auch sie hat Varrentrapp noch nicht vorgelegen.
Danach war Christian im letzten Viertel des Jahres 1165
zu Borgo San Genesio ^ Wer der 'alten Regel' folgt, muss
also annehmen, dass er 'neuerdings' nach Italien gereist
sei ^. Aber schon im December wäre er wieder in Deutsch-
land gewesen: man werfe nur einen Blick auf seine Ee-
cognitionen! Wenn diese den Ausschlag geben, dann
würde er nun im Januar, März, April und Mai 1166 auf
deutschem Boden geweilt haben, und doch — nach einer
dritten Urkunde, nämlich nach der zweiten, die mir das
Archiv der bischöflichen Curie von San Sepolcro gab ^,
war er in der ersten Hälfte des Jahres 1166 abermals in
Italien: zu Monte Acuto bewies er die Dankbarkeit seines
Gemüthes. Freilich lange hätte Italien ihn auch jetzt nicht
zu fesseln vermocht : zeugt die Recognition für die Anwesen-
heit des Kanzlers, so war er im August wieder in Deutsch-
land. An derartige Hin- und Herreisen wird aber wohl
Niemand glauben^, ganz abgesehen davon, dass nicht ein-
mal immer die Zeit vorhanden ist, von dem deutschen zu
dem italienischen Orte zu gelangen oder von diesem zu
jenem.
Reichskanzler und Legat Christian beschützt wegen
ausgezeichneten Dienstes den Abt Fransian, seine
Nachfolger u. s. w., besonders aber alles, was Erz-
kanzler Reinald (1163 September 7) verliehen und
Kaiser Friedrich (1163 November 6) bestätigt hat;
will die Habe der Bürger und der Leute des
1) Ficker, Forschgen. IV, 182. 2) Nach Will, Reg. archiep.
Mogunt. II, 18 wäre Christian am 30. November 1165 in Pisa gewesen,
dabei hat er jedoch übersehen, dass sein Gewährsmann sich des calculus
Pisanus bedient. 3) Ihrer gedenkt auch Mazzatinti a. a. O. 88, aber
nicht nach dem Hefte der Transsumpte. Wenn er seiner Erwähnung
hinzufügt: senza s/'g/lh, so könnte man glauben, er habe ein Original
gesehen. Ich meinestheils fand nur noch eine schlechte Abschrift des
vorigen Jahrhunderts. 4) Varrentrapp hat St. 4038 nicht gekannt;
und wenn er St. 4035 für unecht erklärte, weil darin schon am 1. No-
vember 1164 ein gleichnamiger Sohn Friedrichs genannt werde, so ist
dieser Grund durch meine Ausführungen in den Mittheil. d. österr. Inst.
IX, 634 — 642 wohl zur Genüge entkräftet worden. Das aber bemerke
ich, denn nun ergäbe sich nach der alten Regel folgendes Itinerar
Christians :
1164 November 1 Ulm, recognosciert. St. 4035.
November 30 Pisa, führt den Papst hierher. Annal. Pisani MG.
[SS. XIX, 251.
December 30 Strassburg, recognosciert. St. 4038.
1165 Februar 14 Arezzo, urkundet. S. oben S. 181.
Urkunden u. Forschungen z. d. Regesten d. stauf. Periode. 149
Klosters, namentlich derer in Casaprato, von allen
Missbränchen befreit wissen; ermächtigt die Mönche,
Wasserleitungen anzulegen, Schenkungen zu em-
pfangen, Tausche einzugehen; entkräftet dagegen-
lautende Urkunden.
1165 Juni 3, im Felde von Anagni.
In nomine sancte et individue trinitatis. Christianus
dei gratia imperialis aule cancellarius et legatus.
Benignitas imperialis ad hoc vicem suam in Italia
gerendam nostre ordinationi specialiter commendavit, ut
ecclesias dei et ipsarum iura ac possessiones conservemus
et tueamur, et illas pre ceteris promoveamus ac honoribus
decoremus ecclesias, que specialius ac devotius pre ceteris
ecclesiis imperio deservire consueverunt et preclara semper
obsequia impenderunt. Proinde notum fieri volumus uni-
versis imperii fidelibus presentibus atque futuris, quod nos
auctoritate imperial! et nostra venerabilem abbatem Fran-
sianum Burgi sancti Sepulchri pro eins fideli servitio ac
preclaro obsequio eiusque successores et ipsius monasterium
iuraque omnia ac possessiones, quas nunc possidet et
annuente deo ipsi monasterio in posterum conferentur^ et spe-
cialiter omnia illa iura, dominium quoque Burgi et liber-
tates illas, quas illustris sancte Coloniensis ecclesie electus
et Italie archicancellarius Reinaldus eidem monasterio
privilegio suo contulit ^ et maiestas imperatoria suo scripto
confirmavit ^, in protection em domini imperatoris et nostram
suscipimus, confirmantes et firmissime precipientes auctori-
tate, qua fungimur, quatenus hec omnia memorato mo-
nasterio rata et illibata omni tempore permaneant. Posses-
siones et res burgensium eiusdem monasteril, quas nunc luste habent
vel inantea cum voluntate monasterii sancti Sei^ulchri legaliter acquisi-
verint, homines quoque omnes ipsius monasterii et Specialiter illos
de Casaprato et eorum bona ac possessiones ab omni mala usuria
liberas et absolutas esse decrevimus^. Concedimus quoque fratribus
sepedicti monasterii, ut eis liceat aqueductus pro utilitate
et commodo ducere [sine] alicuius reclamatione vel contra-
dictione. Si quis et liber homo res ac possessiones suas
eidem monasterio pro salute anime sue seu aliquo contu-
lerit concambio, liceat eiusdem monasterii fratribus libere
suscipere ac quiete possidere. Adiicientes quoque firmiter
1) deo annuente conferentur Friedrich I. und Reinald. 2) Zuletzt
gedruckt bei Prutz, Kaiser Friedrich I. I, 446. 3) St. 3989, zuletzt ge-
druckt bei Prutz a. a. 0. 448. 4) Hiernach kann der in allen Drucken
verderbte Satz der Urkunde Friedrichs I. berichtigt werden.
150 Paul Scheffer-Boichorst.
statuimus, ut nullum alicums ingenii instrumentum vel
scriptum, qnocumque modo acquisitum seu acquirendum,
contra haue Serenissimi imperatoris et nostram protectionem
ac confirmationem quicquid unquam valeat vel quisque
dominum, magnus vel parvus, contra hoc temptare pre-
sumat. Et si aliquomodo, quod absit, contra hoc attemptare
presumpserit sive aliquod Ingenium vel scriptum induxerit,
omnino COntradicimus*^ et in' irritum revocamus. Si'^ quis autem,
quod absit, contra statuti decretum memorati Coloniensis electi et
Italie cancellarii^ ac contra hanc invictissimi imperatoris et
nostram confirmationem seu constitutionem venire presumpserit
vel aliquomodo infirmare tentaverit, pene 1000 librarum subia-
ceat earumque medietatem camere imperiali, alteram medietatem abbatie
l^renotate et abbati persolvat. Quodsi eandem pecuniam persol-
vere non poterit, personam ipsius publicamus et omnes
possessiones eins in modum memorate pecunie fisco impe-
riali et prenotate abbatie eiusque abbati asscribimus.
Testes hü fuerunt: Pistoriensis episcopus Gratianus,
Camerinus episcopus Tuduinus, abbas sancti Antimi Wido,
abbas de Campuleone, abbas sancti Eutitii, abbas de Zam-
bona, abbas sancti Salvatoris de Pete^; laici: prefectus
urbis ßome Petrus, comes Wido Verra, comes Albertus de
Prato, marchio Wernerus, Jonatas comes Tusculanus et
alii quam plures.
Data fuerunt hec anno dominice incarnationis mille-
simo centesimo sexagesimo quinto, indictione decima tertia,
regnante Federico Romanorum imperatore gloriosissimo,
anno regni eius 13^, imperii vero 10, in campo Anangie
tertio non. lunii, feliciter, amen.
Reichskanzler Christian, Erwählter von Mainz und
Legat in Italien, schenkt dem Abte Fransian für
herrlichen Dienst, den er dem Reiche und ihm im
Gebiete von Rom und der Campagna geleistet hat,
neun genannte Massarien in Casaprato mit allem
Zubehör, wie sie der verstorbene Markgraf Wido (von
Tuscien) als Reichslehen besass.
1166, Kloster Monte -Acuto^.
a) contradixerit. b) Sic. c) Beate?
1) in irritum revocamus Friedrich I. 2) Was fortan in kleinem
Drucke erscheint, entspricht der Urkunde Reinaids. 3) Das 13. Königs-
jahr war am 9. März 1165 abgelaufen; die falsche Berechnung entspricht
dem Gebrauche der kaiserlichen Kanzlei. Vgl. S, 132 Anm. 1. 4) Nörd-
lich von Perugia.
Urkunden u. Forschungen z. d. Regesten d. stauf. Periode. 151
Christianus dei gratia imperialis anle cancellarius,
Maguntine sedis electus et sacre maiestatis in Italia le-
gatus.
Benig-nitas imperialis ex innata sibi pietate consuevit
semper ecclesias dei congruis honoribus ac beneficiis subli-
mare et facultatibus suis copiose honorare. Proinde nos
vicem eius in Italia gerentes et ipsius liberalitatis bouam
voluntatem cognoscentes , concedimus venerabili abbati
Burgi sancti Sepulchri Fransiano pro ipsius magnifico ser-
vitio, quod imperio et nobis in Komania et in Campania
multis expensis exhibuit, et eius ecclesie ad usus fratrum
inibi deo famulantium novem massarias in villa Casaprato,
videlicet domum filii Adelasie, domum Lambertutii et lo-
hannis, domum Ranutii Marci, domum Betti, domum Si-
guli, domum Giraldi Guidunzii, domum Dominici de Jan-
dazo, domum lohannis et Tusi, domum Ubertelli de Al-
beo cum omnibus pertinentiis illis, que Wido marchio
defunctus ab imperatore in eadem villa Casaprato in bene-
ficium habuit, sub districto sacramenti''^ et sub pena . . . J^
marcharum puri argenti firmissime precipientes, ut nullus
dux vel marcliio, comes vel capitaneus sive aliqua persona,
magna vel parva, in hac uostra concessione predictum
abbaten! vel eius ecclesiam deinceps audeat inquietare vel
molestare. Si quis vero ausu temerario hanc nostram con-
cessionem in aliquo infringere attemptaverit, perpetuam
indignationem domni imperatoris incurrat et penam memo-
ratam componat, dimidium camere imperiali et dimidium
prefato abbati vel eius successori.
Data apud abbatiam sancti Salvatoris de Montaguto
anno dominice incarnationis millesimo centesimo sexagesimo
sexto, indictione quarta decima, imperante domno nostro
serenissimo imperatore Federico semper augusto, anno regni
eius tertio decimo \ imperii vero 11-. In presentia cardi-
nalis Berardi, abbatis Radicofani, prepositi de Difendale,
Biselmari capellani et in presentia multorum imperii
fidelium.
a) Ob wirklicli so zu leseu ist? b) Die Zahl unleserlich.
1) Abermals ist das Königsjahr um einen Einer zu niedrig be-
rechnet. Das aber entspricht, wie schon gesagt, dem Gebrauche der
kaiserlichen Kanzlei. Auch sie hat bis zum 9. März das 13. gerechnet;
indem sie es noch zum April und Mai setzt, verstösst sie gegen ihre
eigene Regel. Ist diese in unserem Diplom streng befolgt, so gehört es
vor den 9. März. 2) Das 11. Kaiserjahr lief mit dem 18. Juni ab.
152 Paul Scheffer-Boichorst.
Pandulf von Fasanella, kaiserlicher Capitän in Tuscien,
tadelt die Gemeinde, dass sie trotz seiner Befehle
Abt und Kloster mit Abgaben belästige; verlangt,
dass sie innerhalb vier Tagen einen Sjndicus mit
sechs angeseheneren Männern zu ihm schicke.
(1244) October 5, Bibbiena.
Pandulfus de Easanella, imperialis in Tuscia capita-
neus generalis nobili viro domino Donusdeo potestati et
consilio et communi Burgi sancti Sepulcri salutem et amo-
rem sincerum.
Miramur multum et movemur, quod cum vobis semel
et pluries mandaverimus per litteras nostras, ut abbatem
et monasterium sancti Sepulcri non molestaretis in datiis
seu coUectis vel aliquibus exactionibus, — quod contempto
mandato nostro aliquid inde facere non curastis. Unde
ne*^ penitus videamini mandatorum nostrorum contempto-
res, mandamus vobis auctoritate imperiali, qua fungimur,
quatenus idoneum sindicum cum sex hominibus melioribus
vestre terre coram nobis de hinc ad quatuor dies mittatis,
mandatis nostris omnimodo parituri, sub pena 100 marca-
rum argenti. Et sie de gratia imperatoris confidatis.
Datum Biblene^ 5. Octubris tertie indictionis.
Pandulf von Fasanella, kaiserlicher Capitän in Tus-
cien, gebietet der Gemeinde, keine Statuten gegen
die Immunitäten des Klosters zu erlassen und die
schon erlassenen nicht auszuführen, wie auch dem
Kloster und dessen Leuten etwaigen ßaub zu er-
statten.
(1244) October 6, Bibbiena.
Pandulfus de Fasanella, imperialis in Tuscia capita-
neus generalis, nobili viro domino Donusdeo potestati et
consilio et communi Burgi sancti Sepulchri salutem et
amorem sincerum.
Cum abbas pro mouasterio sancti Sepulchri Privi-
legium immunitatis habeat, sibi indultum ab imperiali cul-
mine, et intellexerimus vos certa statuta facere in preiudi-
cium iurium dicti monasterii contra tenorem sui privilegii,
mandamus vobis auctoritate imperiali, qua fungimur, qua-
tenus nulla statuta faciatis nee facta observetis, que per
vos facta sunt contra tenorem privilegii prefati; et si ab
eo vel suis hominibus seu ab ecclesiis boves vel aliquid
aliud afferri fecistis contra formam vel modum dicti privi-
a) cum. b) Biblone.
I
Urkunden u. Forschungen z. d. Regesten d. stauf. Periode. 153
legii, sibi reddi faciatis snb pena a vobis .... inferenda.
Dum Privilegium immunitatis a domino nostro imperatore
concessum volumus illesum servari.
Datum Biblene sexto Octubris tertie indictionis.
Erzbisthum Capua.
Wohl für keine Kirche von ähnlicher Bedeutung
kannte man bis vor Kurzem so wenige Königs- oder Kaiser-
urkunden. In einem dreibändigen ßepertorium begegnete
Bethmann^ der Erwähnung einer einzigen-, aber sie
selbst kam nicht wieder zum Vorschein. Nun hat Lang-
lois im Register Nicolaus' IV. nicht blos diese eine ge-
funden, sondern zugleich vier andere, die mit ihr in Ver-
bindung stehen ^.
Damit wird eine nächstliegende Vermuthung bestä-
tigt, nämlich die, dass ein Mann, um das staufische Haus
so hochverdient, wie Erzbischof Matthaeus, nicht leer aus-
gegangen sei. Matthaeus war einer der ersten Sicilianer,
die Heinrich VI. entgegenkamen; von diesem Augenblicke
an stand er treu zum Staufer, ob auch seine Stadt eine
Belagerung aushalten musste; wohl keinen Kirchenfürsten
finden wir so oft am kaiserlichen Hofe ^ ; nicht mit Unrecht
lässt Petras von Ebulo den Kaiser zu ihm sagen: mentis
pars mcLTima nostre^ : ihn berief dann die Kaiserin in den
Regentschaftsrath, der nach ihrem Tode die Vormundschaft
über Friedrich II. führen sollte. Ein so treuer Anhänger
muss seinen Lohn erhalten haben. Drei Urkunden liefern
jetzt den Beweis. Zwei der Schenkungen bestätigte Fried-
rich II. dem folgenden Erzbischof Rainald.
Von je zwei Urkunden Heinrichs VI. und Friedrichs II.
hat Langlois kurze Auszüge mitgetheilt; eine der Kaiserin
Constanze hat er vollständig veröffentlicht. Der Güte
des Directors unseres historischen Instituts in Rom, Herrn
Prof. Friedensburg, verdanke ich nun auch den un-
gekürzten Wortlaut der Vergünstigungen Heinrichs VI.
und Friedrichs II. Mit ihnen verbinde ich natürlich das
1) Archiv f. ältere deutsche Geschichtskunde XII, 494. 2) Sonst
kannte man meines "Wissens nur noch die Urkunde B. F. 3783, die nach
Winkelmann dieselbe ist wie B. F. W. 14758. Ob Venturas Repertorium
des erzbischöflichen Archivs zu Capua, welches hier nach Capasso e la-
nelli Pietro della A^igiia 51 angeführt wird, das von Bethmann benutzte ist,
kann ich nicht sagen, da unsere Bibliothek das Buch nicht besitzt. 3) Les
registres de Nicolas IV. S. 716. 717 n. 5162 — 5165. 4) St. 4698. 99.
4701. 02. 04. 4890. 95. 96. 4902. 03. 05. 10 a. 22. 5065. 70. 80. 5) Liber
ad honor. aug. v. 412 ed. Winkelmann p. 32.
154 Paul SchefEer-Boichorst.
eng dazu gehörende Privileg der Constanze, den Text Lang-
lois' zu Grunde legend.
Heinrich VI. verleiht zugleich mit seiner Gattin dem
Erzbischof Matthaeus, der ihm aufrichtige Treue
und Ergebenheit bewiesen hat, Castell' a Mare del
Volturno mit Zubehör.
1195 April 8, Trani.
In nomine sancte et individue trinitatis. Henricus
sextus divina favente dementia Uomanorum Imperator sem-
per augustus et rex Sicilie.
Imperialis mansuetudinis excellentiam et christiani
decet principis maiestatem, ecclesias dei diligere et earum
possessiones religiöse devotionis munificentia dilatare, sacer-
dotibus quoque domini ac ministris eins tanto largius dona
sue liberalitatis impendere, quanto id, quod^ eis impen-
ditur, deo, cuius ministri sunt, comprobatur impendi. Ad
laudem igitur dei patris et gloriosi prothomartiris Ste-
23hani, cuius patrocinatum elegimus et optamus habere, in-
specta sinceritate fidei et devotionis, quam Matheus vene-
rabilis Capuanus archiepiscopus, dilectus familiaris et fidelis
noster, serenitati nostre dinoscitur observasse, uua cum
Constantia illustri Romanorum imperatrice et regina Sicilie
semper augusta dilecta consorte nostra, damus et concedi-
mus ei et successoribus eins ac per eos ecclesie beati Ste-
phan! Capuane in perpetuum Castellum Maris de Vulturno
cum Omnibus iustis tenimentis et pertinentiis eins, qua in
hominibus, terris, aquis vel quibuslibet proventibus videtur
habere, ünde ad perj^etuam eins et successorum suorum
sec^^ritatem et pro inconcusse robore firmitatis presentem
inde scribi paginam et nostre auctoritatis buUa aurea ius-
simus communiri, statvientes, ut nulla omnino persona in
alto gradu vel humili constituta contra iamdictam largi-
tionis nostre donationem aliquid proponere vel attemptare
presumat, et qui modo quolibet in preiudicium ipsius nostre
donationis egisse aliquid fuerit interceptus, quinquaginta
librarum auri pena mulctetur, quarum medietas fisco nostro
solvatur, reliqua vero parti eiusdem ecclesie, quam ledere
temptavit, accedat.
Huius rei testes sunt Guillermus archiepiscopus Ra-
vennas, Henricus Wormaciensis episcopus, Galterius Troia-
nus episcopus et regni Sicilie et Apulie cancellarius, Con-
radus imperialis aule cancellarius, Philippus frater noster,
a) ad quod.
Urkunden u. Forschungen z. d. Regesten d. stauf. Periode, 155
Corradus dux Spoleti, Marcualdns imperialis dapifer, Hen-
ricus de Calendin marescalcus et alii quam plures.
Ego Conradus imperialis aule cancellarius una cum
domino Gualterio regni Sicilie et Apulie cancellario re-
cognovi.
Signum domini Henrici sexti Eomanorum imperatoris
invictissimi et regis Sicilie semper augusti.
Acta sunt hec anno dominice incarnationis 1100 nona-
gesimo quinto indictionis tertie decinie, regnante domino
nostro Henrico sexto Romanorum imperatore invictissimo
et rege Sicilie semper augusto, anno regni eins 24, imperii
vero quinto, regni Sicilie primo. Datum apud Tranum
octavo die mensis Aprilis per nianus Alberti imperialis aule
protonotarii.
Heinricli VI. verleiht zugleich mit seiner Gattin dem
Erzbischof Mattliaeus, der ihnen aufrichtige Treue
und Ergebenheit bewiesen, dessen Kirche auch in
ihrem Dienste Schaden erlitten hat, Pino, Pemonte
und alles Land des weiland Landulph Compalatio,
als abgabefreien Besitz, jedoch 'salvo mandato'.
1197 September 24, Messina.
In nomine sancte et individue trinitatis. Henricus
sextus divina favente dementia Romanorum imperator sem-
per augustus et rex Sicilie.
Si iuste postulatio voluutatis in personis quorumlibet,
et hiis, quos nulla precessit observantia, meritorum effectu
debet aliquando prosequente compleri, multo magis impe-
rialis sublimitas sacrosanctis tenetur adesse ecclesiis et
illis presertim dei cultoribus suum reserare humanitatis
auditum, qui propter integritatem fidei augustali munifi-
centie totaliter observatam rerum iacturas et corporum
supplicia evidentius sustinuisse noscuntur. Unde inspecta
sinceritate fidei pariter et devotionis, quam Matheus vene-
rabilis Capuanus archiepiscopus, dilectus fidelis et fami-
liaris noster, excellentie nostre et carissime consorti nostre
Constantie, illustri Romanorum imperatrici semper auguste
et regine Sicilie, dinoscitur observasse, considerata etiam
ipsius ecclesie Capuane iactura, quam sub nostri occasione
servitii eam novimus pertulisse, ipsi venerabili archiepiscopo
et ecclesie Capuane libere et sine aliqua conditione vel
servitio in perpetuum damus et concedimus, una cum dilecta
consorte nostra Constantia illustri Roraanorum imperatrice
semper augusta et regina Sicilie, Pinum et Pemontem et
156 Paul SchefEer-Boicliorst.
terram, que olim fuit Landulphi Compalatii tarn infra quam
extra civitatem Capne, cum omnibus rationibus et iustitiis
ipsis pertinentibus, salvo maiidato et ordinatione nostra et
nostrorum heredum. Statuimus igitur et imperiali saucci-
mus edicto, ut nulla omniuo persona, parva vel magna, se-
cularis vel ecclesiastica, contra hanc maiestatis nostre con-
cessionem et presentem auctoritatis nostre, quam inde faci-
mus, confirmationem audeat venire vel eam aliquo modo
presumat perturbare. Quod si quis facere attemptaverit,
centum libras auri puri pro pena componat, dimidium ca-
mere nostre et reliquum passis iniuriam.
Huius rei testes sunt Carus Montis Regalis archiepi-
scopus, Guillermus Eeginus archiepiscopus, Berardus Messa-
nensis archiepiscopus, Hertwicus Eistedensis episcopus, Theo-
dericus Traiectensis prepositus, Albertus imperialis aule
prothonotarius, Berardus imperialis aule medicus familiaris,
Conradus dux Spoleti, Marquardus senescalcus marchio
Ancone et dux Ravenne, comes'"^ Albertus de Spanheim,
comes Bertoldus de Leschemunde, comes Gentilis, comes
loffredus de Marturano, Guillermus Crassus comes Malte
totius regni ammiratus et alii quam plures.
Signum domini Henrici sexti Romanorum imperatoris
invictissimi et regis Sicilie.
Ego Conradus Hildeneshemensis episcopus imperialis
aule cancellarius una cum domino Waltero Troiano episcopo
et regni Sicilie cancellario recognovi.
Acta sunt hec anno dominice incarnationis 1100 nona-
gesimo septimo, indictione prima, regnante domino Hen-
rico sexto Romanorum imperatore gloriosissimo et poten-
tissimo rege Sicilie, anno regni eius vicesimo octavo, im-
perii vero septimo et regni Sicilie tertio. Datum Messane
per manum Alberti imperialis aule prothonotarii vicesimo
quarto die mensis Septembris.
Constanze I. schenkt dem Erzbischof Matthaeus in
Anbetracht seiner reinen Treue und seiner geneh-
men Dienste die Judenschaft seiner Stadt zu ab-
gabefreiem Besitze; will, dass das Land des Lan-
dulf Compalatio, das Heinrich VI. ihm verliehen,
das er aber der Tochter des Landulf als Baronie
gegeben, wenn deren Geschlecht erlösche, seiner
Kirche heimfalle.
1198 September 9, Palermo.
a) Albertus comes Albertus.
Urkunden n. Forschungen z. d. Regesten d. stauf. Periode. 157
Constantia dei gratia Eomanorum^ imperatrix semper
aug'usta et regln a Sicilie una cum carissimo filio suo Fre-
derico eadem gratia rege Sicilie, ducatus Apulie et princi-
patus Capue.
Notum facimus universis regni nostri fidelibus tarn
presentibus quam futuris presentem paginam intuentibus,
quod nos de solita gratia et liberalitate nostra, pro reme-
dio quoque anime domini regis Rogerii bone memorie nec-
non et domini imperatoris inclite recordationis, attendentes
quoque puram fidem et grata servitia, que Matheus vene-
rabilis Capuanus archiepiscopus, dilectus fidelis et fami-
liaris noster, ipsi domino imperatori et nobis diligenter ex-
hibuit et cotidie exhibet, concedimus ei et ecclesie Capuane
ac successoribus suis in perpetuum iudaicam civitatis Capue
libere et sine alicuius exactione servitii. Volumus etiam,
ut terram, que fuerat Landulphi'' Compalatii, quam pre-
nominatus dominus Imperator bone memorie ipsi archiepi-
scopo et ecclesie Capuane concessit et ad presens idem
archiepiscopus permissione nostra Ricie filie ipsius Landul-
phi^ in baroniam tribuit, quocumque tempore ipsa filia
Landulphi'' vel heredes eius sine berede decesserint, ad de-
manium ipsius ecclesie Capuane deveniat. Ad huius autem
nostre donationis et concessionis memoriam et perpetuam
firmitatem presentem scribi paginam et maiestatis nostre
sigillo iussimus communiri.
Datum Panormi 9. die mensis Septembris secunde
indictionis.
Friedrich II. verleiht dem Erzbischof Rainald in An-
betracht der Reinheit seiner Ergebenheit und
Treue, dann der genehmen Dienste, die er stets
geleistet hat und unaufhörlich zu leisten bemüht
ist, Casteir a Mare del Volturno mit Zubehör, wie
seine Eltern es (1195 April 8) dem Erzbischof Mat-
thaeus geschenkt haben.
1206 März, Palermo.
In nomine dei eterni et salvatoris nostri lesu Christi,
amen. Fredericus divina favente dementia rex Sicilie, du-
catus Apulie et principatus Capue.
Cum ins perpetue firmitatis donis debeatur regalibus,
servari nostro tempore convenit illibatum, quicquid a pre-
decessoribus regibus et maxime a progenitoribus nostris ob
a) Romana. b) Pandulphl.
158 Paul SchefEer-Boichorst.
fidei meritum invenimus fidelibus fuisse collatum. lila
tarnen favorabilia sunt dona principum, que sacrosanctis
conferuntur ecclesiis, ut hereditas domini inter homines
dilatetur. Hinc est igitur, quod nos attendentes devotionis
ac fidei puritatem necnon et grata servitia, que tu Ray-
nalde venerabilis Capuaue electe, fidelis noster, maiestati
nostre semper exhibuisti et incessanter satagis exhibere,
de consueta nostre benignitatis ac munificentie gratia pro
remedio quoque animarum domini quondam imperatoris
patris nostri et domine imperatricis bone memorie matris
nostre, concedimus, donamus et confirmamus tibi tuisque
SUCCessoribus et Capuane ecclesie in perpetuum Castellum Maris
de Vultiirno cum omnibus iustis tenimentis ac pertinentiis eins, que in
hominibus terris aquis et quibuslibet alüs proventibus COnsuevit habere,
quemadmodum olim a domino quondam imperatore patre
nostro et domina imperatrice matre nostra predecessori
tuo Matheo venerabili Capuano arcliiepiscopo eiusque suc-
cessoribus et ecclesie Capuane per eorum Privilegium nos-
citur fuisse concessum. Ad huius autem nostre conces-
sionis, donationis et confirmationis memoriam et inviolabile
firmamentum presens Privilegium fieri iussimus et sigillo
nostre celsitudinis insigniri anno, mense et indictione sub-
scriptis.
Datum in urbe felici Panormi anno dominice incar-
nationis 1200 sexto, mense Martii, indictione nona, per
manus Gualterii regni Sicilie cancellarii, regni vero domini
nostri Frederici dei gratia illustrissimi regis Sicilie, ducatus
Apulie et principatus Capue anno octavo, feliciter, amen.
Friedrich II. bestätigt dem Erzbischof Rainald in An-
betracht seiner reinen Treue und genehmen Dienste
die Schenkungen, die gemäss den seiner Curie vor-
gelegten Privilegien Heinrich VI. und Constanze I.
(1195 April 8 und 1197 September 24) dem Erz-
bischof Matthaeus gemacht haben.
1207 Mai, Palermo.
In nomine dei eterni et salvatoris nostri lesu Christi,
amen. Fredericus divina favente dementia rex Sicilie, du-
catus Apulie et principatus Capue.
Licet imperialia et regalia queque munera perpetuo
robore fulciantur, ea tamen ins digne perpetuat, illis
favor assurgit inviolabilis firmitatis, que personis venera-
bilibus et sacrosanctis ecclesiis pia consideratio principum
elargitur. Non enim decet esse temporale premium, per
Urkunden n. Forschungen z. d. Regesten d. stauf. Periode. 159
quod liereditas obtinetur eterna, cum reponatnr illis in
celis meritum, qui denm in suis honorant ecclesiis larg'itate
donorum. Nuper siquidem ex ostensis in curia nostra quo-
rundam privilegiorum exemplariis, que dudum illustrissinius
pater noster imperator augustus una cum serenissima matre
nostra imperatrice bone memorie fecerat, nostre claruit
maiestati, qualiter ipsi parentes nostri ad laudem dei patris et
gloriosi prothomartiris Stei^hani, cuius sibi patrocinium elegerunt, in-
specta quoque sinceritate devotionis ac fidei Mathei quondam vene-
rabilis Capuani archiepiscopi fidelis et familiaris eorum ac nostri,
necnon et considerata iactura, quam Capuanam ecclesiam sub
eorum noverant ocasione servitii pertulisse, concesserunt et do-
naverunt in perpetuum prenominato Matheo archiepiscopo
eiusque successoribus et ecclesie Capuane Castellum Maris de
Vulturno cum oinnibus tenimentis et pertinentiis eius, que in hominibus,
terris aquis vel quibuslibet proventibus videtur habere. Simili modo
concesserunt ac donaverunt perpetuo eidem Matheo quondam
archiepiscopo suisque successoribus et Capuane ecclesie
Pinum et Pigmontem cum omni honore et tenimentis eisdem
pertinentibus necnon et terram, que fuit olim Landulfi Compalatü
tarn intus quam extra civitatem Capue cum universis rationibus ac
iustitiis suis ^. Nos igitur volentes, quod tam pia consideratio
parentum nostrorum, sicut nostris redolet seculis, sie cele-
bris habeatur in evum, attendentes quoque sinceram fidem
et grata servitia, que tu Raynalde venerabilis Capuane
electe, fidelis noster, celsitudini nostre semper exhibuisti
et que deinceps exhibere poteris gratiora, de innata nobis
dementia et liberalitate immensa, pro remedio quoque
animarum supradictorum parentum nostrorum recordationis
inclite concedimus, donamus et confirmamus tibi tuisque
successoribus et Capuane ecclesie in perpetuum omnia
supradicta, videlicet Castrum Maris de Vulturno cum Om-
nibus tenimentis et pertinentiis eius, que in hominibus,
terris, aquis et quibuslibet proventibus videtur habere, simi-
liter Pinum et Pigmontem et terram, que fuit olim Lan-
dulfi Compalatü cum honore, tenimentis et pertinentiis
eorum, sicut dudum hec omnia ab illustrissimis quondam
imperatore et imperatrice, parentibus nostris, Matheo quondam
archiepiscopo Capuano eiusque successoribus et Capuane ec-
clesie fuerunt concessa. Ad huius autem concessionis,
donationis et confirmationis nostre memoriam et inviolabile
firmamentum presens Privilegium per manus lacobi de
1) Das petit Gedruckte ist einer der beiden Vorurkunden entlehnt;
man hat sie abwechselnd herangezogen.
160 Paiü Scheffer -Boichorst.
Capua notarii ac fidelis nostri scribi et sigillo nostre celsi-
tudinis iussimus insig'iiiri anno, mense et indictione sub-
scriptis.
Datum in urbe felici Panormi per manus Gualteri de
Paleria, regni Sicilie cancellarii, anno dominice incarna-
tionis 1200 septimo, mense Maii, indictione decima, reg-ni
vero domini nostri Frederici dei gracia illustrissimi regis
Sicilie, dncatus Apulie et principatus Capue anno decimo.
Grafen von Castello.
Stumpf kannte von den Urkunden, die Friedrich I.
1152 und Heinrich VI. 1191 den Grafen ausstellten, bloss
dürftige Auszüge, St. 3639 und 5097a. Die erstere ist
jetzt bei Biauchetti, L'Ossola inferiore II, 73 vollständig
gedruckt. Der Herausgeber folgte einer Hs. der Ambro-
siana zu Mailand D. S. IV. 8. Sie wiederholt nur den
Text aus einer Sammlung Sormanis, welche ebendort unter
E. S. IV. 3 aufbewahrt wird. Dieser Codex enthält auch
die Urkunde Heinrichs VI., für die Stumpf nicht einmal
ein bestimmtes Jahr anzugeben vermochte. Danach lasse
ich sie später folgen.
Zunächst muss ich eine diplomatische Merkwürdig-
keit hervorheben. Die Urkunde ist meines Wissens die
erste, in der die Kanzlei nach fortlaufenden Monatstagen
zählt. Häufiger hat man die römische Rechnung erst wäh-
rend Heinrichs VI. zweitem Römerzuge verlassen, d. h. erst
dann, als die Datierungsformen der sicilischen Kanzlei sich
recht geltend machen konnten ^. Aber schon zu Anfang
des Decembers 1191 hat ein Kanzlist versucht, den lästi-
gen Kalender der Römer zum alten Plunder zu werfen.
Spuren seines verständigen Bestrebens zeigten Urkunden
vom 7. und 8. December-; als erste kommt nun die vom
2. hinzu. Nach dem 8. kehrte man zum frühern Gebrauche
für längere Zeit zurück.
Die Singularität beweist in diesem Zusammenhang
die Echtheit. Das ist um so wichtiger, als vielleicht
Jemand wegen des Itinerars Zweifel hegen könnte. Am
27. November war Heinrich zu Pavia, am 29. und 30. in
Mailand ^. Nach unserer Urkunde ist er nun rückwärts
1) JFicker, Beiträge zur Urkimdenlehre II, 365. 2) St. 4727. 29.
Dort fügt Stumpf hinzu : 7 mensis decembris, hier ergänze man : 8. die
men^is decembris. St. 4726, 28, die auch nach fortlaufenden Monatstagen
datiert sind, können als Notariatsacte hier nicht in Betracht kommen.
3) St. 4722. 24.
UrkiiBclen u. Forschungen z. cl. Regesten d. stauf. Periode. 161
gezogen, zu Lodi hat er am 2. December den Grafen von
Castello sich gnädig erwiesen. Schon in den nächsten
Tagen erscheint er wieder in Mailand ^ Das ist kein ge-
wöhnlicher Reiseweg '^ ; aber die ungewöhnliche Rechnung
nach fortlaufenden Monatstagen, die für den Anfang des
December und eben nur da kanzleigemäss ist, zerstreut
die Bedenken.
Heinrich VI. bestätigt den derzeitigen Grafen das
Privileg seines Vaters vom 1. August 1152.
1191 December 2, Lodi.
In nomine sanct§ et individue trinitatis. Henricus dei gratia
Romanorum Imperator et semper augustus.
Imperialis -^ munificentie dignitas exigit, ut omnes ad sinum nostre
misericordi§ confugientes consuete benignitatis manu suscipiamus et dignis
eorum petitionibus efficaciter adquiescamus. Eapropter Omnibus Christi
fidelibus tarn futuris quam prgsentibus volumus esse cognitum, quod nos
fideles nostros Mainfredum Cavalcasellam et fratres et Ardi-
cionem, filios Wilielmi de Castello et Guidonis, comites de Ca-
stello, fratres et nepotes, cum omni beneficio suo atque cum universis rebus
iuste conquisitis et iuste conquirendis tam mobibbus quam immobilibus ubi-
cumque constitutis sub nostri mundibm-dii protectionem suscipimus, sicut a
predecessoribus nostris retro divis principibus, id est Carolo sancte memorie,
Ottone, Henrico et abis imperatoribus, actenus eorum maiores, fideles regni,
suscepti sunt, possessiones (jucque et eorum iura, videlicet castrum Sancti
Angeli cum curte et omni honore ad ipsam curtem pertinente et ripam
Palantie cum mercato et theloneo et castrum de Cerro cum theloneo et
aliis honoribus, cum Toxa et fluminibus, qui de Valle Oxola descendunt,
cum Flumine et Strona, et cum omni honore ad ipsam curtem de Cerro
pertinente. Advocatiam quoque hominum quorumdam monasteriorum et
districtum in predicta valle, quod hactenus possederunt, imperiali auctori-
tate prcdictis fidelibus nostris concedimus et confirmamus, preterea omnia
loca eorum, videlicet castrum de Cavallo et castrum de Agamio et Gra-
ticum et Caron^ et castrum Mayranum cum suis pertinentiis et quidquid
eis pertinet in Pumbia cum omni honore, districto et fodro ibidem per-
tinentibus et theloneis, etiam et mercatum de Scozula ex utraque parte
fluminis, portum etiam de Sexto eisdem fidelibus nostris concedimus, et
a) Dadurch ist die Lücke in Friedrichs I. Urkunde auszufüllen.
1) Wenn das Datum der notariellen Ausfertigung auch für die darin
enthaltene Urkunde Heinrichs gilt, so wäre der Hof schon am 4. December
wieder in Mailand eingetroffen, St. 4726. 2) Man denkt an die Zusammen-
kunft Heinrichs VI. mit Philipp von Frankreich, die eben in diesen Tagen
stattfand. 3) In der Urkunde Friedrichs I. vom August 1152 heisst es:
Imperator et semper augustus. Imperialis munificentie etc., in der Heinrichs
vom December 1191 : rex augustus. Regalis munificentie, etc. Dann aber hier :
Signum dorn. Henrici sexti Rom. imperatoris, regnante dom. Henrico impera-
tore, anno imperü prlmo, und dort: Signum dorn. Friderici Romanorum regis,
regnante Friderico rege, natürlich folgt auch nur das Königsjahr. Die
Schlimmbesserungen des Copisten liegen also zu Tage, und meine Her-
stellung des ursprünglichen Wortlautes wird keinem Widerspruch begegnen.
Neues Archiv etc. XXIV. W
162 Paul SchefEer-Boichorst.
ut in Omnibus prediis suis habeant potestatem legem faciendi, Utes difi-
niendi sive per duella sive per alia legis instrumenta, veluti si ipsa legalis
actio coram nostra pr§sentia ventilaretur. Statuentes itaque iirecipimus,
ut nuUus archiepiscopus , dux », marchio , comes , vicecomes nee aliqua
magna vel parva persona j)redictos fideles nostros de jDredictis eoruiu
possessiouibus molestare presumat. Similiter et alodia domne Berte, uxoris
Mainfredi de Castello, in nostram protectionem sicut omnia supradicta
suscipimus. Si quis igitur liuic nostr§ SCriptur^'' temere contraire temp-
taverit, centum libras auri optimi, medietatem nostre camer§, medietatem pre-
dictis fidelibus nostris solvat. Et ut hec omnia firma et illibata permaneant,
presentem paginam sigilli nostri impressione signari pr^cepimus.
Huic autem nostre inaiestatis indulto interfuerunt
Albertus Vercelleusis episcopus, Bonefacius Novariensis
episcopus, Lanfrancus Bergamensis episcopus, dux Austri§ ^,
Anricus piucerna et alii plures.
Signum domni Henrici sexti Romanorum imperatoris invic-
tissimi.
Acta sunt hec anno ab incarnatione domini 1191, in-
dictione decima, regnante domno Henrico imperatore glo-
riosissimo, anno regni eins vigesimo tertio, imperii vero
primo. Datum Laude, secundo die mensis Decembris.
S. Maria del Monte zu Cesena.
Der Mönch Romuald Serra verfasste in der ersten Hälfte
des vorigen Jahrhunderts einen Catalogus scripturarum ar-
chivii abbatiae s. Mariae in monte prope Cesenam; die Samm-
lung wird heute im Communalarchive von Cesena aufbewahrt.
Daraus hat mir mein verehrter Freund Dr. Güterbock die
Abschrift einer Urkunde Friedrichs I.- vom 8. Juli 1177 be-
sorgt = 1 . Später übersandte mir Dr. K 1 i n k e n b o r g noch
eine Collation nach dem Summarium quod vocatur catalogus
iurium monasterii s. Mariae in monte, einem Codex vom
Jahre 1527, den dasselbe Archiv besitzt = 2.
Die Echtheit der Urkunde unterliegt keinem Beden-
ken; wie wir sehen werden, reiht sie sich vortrefflich ins
Itinerar Friedrichs I. ein ; die Formeln sind tadellos, und
wenn die Verkündigung an alle Getreuen des römischen
Reiches nicht eben gewöhnlich ist ^, so finden sich doch
gerade aus der nächsten Zeit noch zwei Urkunden mit der
Adresse omnihus Romani imperii fidelihtis^.
a) dux, comes, marchio, comes. b) nostro scripta Friedrich I.
1) Gemeint ist Heinrich, der Bruder Herzog Leopolds. Als Herzog
erscheint er auch am 1. März 1191 zu Pisa; zumeist heisst er allerdings:
Bruder des Herzogs. 2) Eine dürftige Erwähnung der Urkunde, mit
falscher Datierung, bei Zazzeri Storia di Cesena 135. 3) S. mein Buch,
Zur Gesch. d. 12. und 13. Jh. 139 Anm. 1. 4) St. 4239. Dazu die Ur-
kunde unter 'S. Johann zu Havanna'.
Urkunden u. Forschungen z. d. Regesten d. stauf. Periode. 163
Die Daten der Urkunde '1177 Juli 8 Cesena' haben
eine gewisse Bedeutung für das Itinerar des Kaisers. Er
stand im Begriffe, sich nach Chioggia zu begeben, also in
das Gebiet des Dogen von Venedig. Dessen Sohn, heisst
es, sei ihm im Juli entgegengeeilt und habe ihn von Ra-
venna nach Chioggia geleitete Dies bestreitet Simons-
feld ^. Mit Recht lässt er den Kaiser von Ravenna, wo
Avir ihn am 11., 17. und 24. Mai finden^, nach Pomposa
reisen. Dort urkundet Friedrich am 2. Juni^^. Dann sei
er nach Chioggia gegangen ; Ravenna hätte er also im Juli
längst verlassen. Dass aber der Kaiser von Pomposa sich
nach Chioggia begeben habe, ist eine Construction Simons-
felds. Kann Friedrich nicht von Pomposa wieder süd-
wärts, nach Ravenna, dann wieder nordwärts, nach Chiog-
gia gezogen sein? In der That und noch mehr: zunächst ist
er sogar nach dem südlich über Ravenna hinaus liegenden
Cesena zurückgekehrt. Romuald von Salerno erzählt von
dem Aufenthalte Friedrichs in Pomposa ^ ; eine Seite weiter
berichtet er, dass der Erzbischof von Köln zum Kaiser
nach Cesena gekommen sei und ihn dann nach Chioggia
geführt habe. Auf dem Wege dahin berührte man Ra-
venna, wo der Sohn des Dogen den Kaiser empfing. So
greift Alles aufs beste ineinander*', und nun erhält die
Angabe Romualds sogar ihre Bestätigung und eine chrono-
logische Bestimmung. Der Reiseweg hat aber deshalb
einen Werth für uns, weil der Kaiser zur Zeit mit dem
Papste, der in Venedig sich aufhielt, über die Herstellung
des Kirchenfriedens unterhandelte. In Pomposa war er
seinem bisherigen Gegner schon sehr nahe gekommen.
Dass er sich wieder zum Süden entfernte, bis nach Cesena,
schien kein günstiges Zeichen zu sein.
Friedrich I. beschützt auf Bitten seines geliebten
Abtes Stefan das Kloster; bestätigt ihm seine
jetzigen und zukünftigen Besitzungen; verbietet
ungerechte Auflagen; wahrt dem Vogte seinen
Sold, dem Reiche und dem Bischöfe sein Recht;
ermächtigt unter angegebenen Bedingungen den
Abt zur Einziehung der Pachtgüter.
1177 Juli 8, Cesena.
1) Hist. duc. Venet. MG. SS. XIV, 83. 2) MG. 1. c. Anm. 2.
3) St. 4192. 93. 94. 4) St. 4196. 5) MG. SS. XIX, 448. 6) Dass
Prutz, Friedrich I. II, 336 irrt, wenn er den Kaiser schon längere Zeit
vor dem 6. Juli nach Chioggia kommen lässt, zeigt Giesebrecht, Kaiser-
zeit VI, 541. In diesem Zusammenhange entbehre ich nur einen Verweis
auf Romuald und eine Widerlegung Simonsfelds. Vgl. übrigens V, 830. 31.
11*
164 Paul Scheffer-Boichorst.
Fredericus dei gratia Romanorum Imperator augustus.
Ad promerendam a rege regum eterne beatitudinis
coronam ac^ temporalis imperii gubernationem tranquillam
nobis suffragari speramus, si religiosarum petitiones perso-
narum circa ecclesiarum necessitates clementer attendamus.
Noverit igitur imperii Romani fidelium presens etas et
futura, quod nos intuitu divine retributionis et simul ob
petitionem dilecti nostri Stephani, venerabilis abbatis sancte
Marie Montis Mauri apud Cesenam, monasterium idem, sci-
licet sancte Marie, cum omnibus pertinentiis suis^, ubi-
cunque site sunt, in nostre tuitionis speciale patrocinium
et mundiburdium suscipimus^ et omnes possessiones, quas
eadem ecclesia iusto hactenus acquisitionis titulo possedit
et tenuit vel inantea rationabiliter acquirere poterit, impe-
riali nostra auctoritate ei confirmamus. Precipimus ergo,
quatenus nee in ipso Monte Mauri nee in ceteris usquam*^
locis ullus unquam marchio, comes, consul, capitaneus aut
ulla prorsus® persona, magna vel parva, secularis aut eccle-
siastica, presumat pertinentias eiusdem monasterii, villas,
castella, agros, vineas, pascua, terras cultas et incultas et
quaslibet possessiones illius ecclesie aliqua perturbare vio-
lentia aut aliqua exactione seu indebito servitio gravare
aut occasione commendationis guardie vel advocatie in-
festare, salva tamen pensione, que cuilibet inde iure legali
debetur, et salva in omnibus imperiali iustitia et episco-
pali iure. Statuimus preterea, ut liceat abbati predicte
ecclesie possessiones iure emphiteotico concessas post lapsum
personarum nostra auctoritate intrare et in eiusdem eccle-
sie libera iurisdictione teuere et gubernare, nisi in emphi-
teotico instrumento contineatur, quod debeat renovari. Sta-
tuimus etiam^, ut, si quis tenens ecclesie illius possessiones
canonem inde constitutum usque ad biennium expletum
contra abbatis voluntatem detinuerit et non solverit, abbas
item nostra^ auctoritate possessiones illas^ libere ingrediatur
et in sua iurisdictione ad usum ecclesie sue teneat et dis-
ponat ; et hie ^ , qui debitum canonem solvere neglexerit,
ins possessionis illius omnino amittat. Mandamus"^ autem
omnibus imperii nostri fidelibus, ut eandem ecclesiam sub
nostra protectione constitutam et imperio specialiter atti-
nentem ubique studeant manutenere et ab omni iniuria et
molestia occursu defensare. Si quis vero ausu temerario
a) et 2. b) eius 1. c) suscepimus 2. d) fehlt 2. e) presens 1.
f) preterea 2. g) fehlt 1. h) possessionem illam 2. i) is 2. k) co-
mendamus 1 ; commendamus 2.
Urkunden u. Forschungen z. d. Regesten d. stauf. Periode. 165
contra hanc nostre benignitatis preceptionem et tuitionem
presumpserit venire et predicti monasterii personas aut
possessiones aliqno g-ravaminis et iniurie malefacto ledere,
pene 50 librarum auri puri snbiaceat, quarum medietas
fisco regali exibeatur, residua medietas abbati ipsius ecclesie
persolvatur.
Datum apnd Cesenam anno dominice incarnationis
millesimo centesimo septuagesimo septimo, indictione 10,
octavo^ idus lulii meusis''.
Domcapitel von Cittä di Castello.
(Muzi), Memorie ecclesiastiche di Cittä di Castello
II, 82 bat aus der folgenden Urkunde das Güterverzeichnis
mitgetheilt; in seinen Memorie civili I, 14 hat er ihrer
nochmals gedacht, St. 3988 a. Das Original findet sich im
Capitelarchiv, aber es soll so verfallen sein, dass sich darnach
kein Text herstellen lasse. Zum Glücke wurde in einer
Zeit, als der Zustand des Diploms noch nicht ganz so
trostlos war, ein Copialbuch angefertigt. Freilich hat auch
die hierin enthaltene Abschrift manche Lücken und Fehler;
sie zu verbessern oder auszufüllen, kommt uns eine Wieder-
holung durch Philipp von Tuscien zu Hülfe. (Muzi), Me-
morie civili I, 18 hat sie veröffentlicht und damit das aus-
reichendste Mittel zur Reconstruction gegeben, B. F. 9.
Natürlich beziehe ich mich auf die Urkunde Philipps
nur dann, wenn ich ihr durchaus folgen muss. Alle ver-
schiedenen Lesarten zu verzeichnen, namentlich auch in
den Ortsnamen, wäre nutzlose Arbeit. So bleibt die eigent-
liche Grundlage meines Textes das erwähnte Copialbuch,
aus dem der gefällige Domherr Ricci mir eine Abschrift
besorgte, während ich zuschauen durfte.
Friedrich I. nimmt auf Verwenden seines treuen und
glorreichen Fürsten Eeinald, des Erwählten von
Köln und Erzkanzlers von Italien, den Propst Rei-
ner, dessen Nachfolger und Brüder in seinen be-
sonderen Schutz ; will sie von jeder ungerechten
Abgabe und Bedrückung frei wissen ; befiehlt die
Zurückgabe der ihnen entfremdeten oder ohne ihre
Zustimmung verpfändeten Güter und Rechte; er-
lässt Verbote gegen Beraubung und Bedrückung;
bestätigt die zahlreich genannten Besitzungen, die
a) VIII. 1. b) fehlt 1.
166 Paul Scheffer-Boichorst.
keinen Abgaben und Leistungen an fremde Per-
sonen unterliegen sollen, aber unter Wahrung der
Gerechtsame des Reiches.
1163 November 6, Lodi.
C. In nomine sancte et individue trinitatis amen.
Fredericus divina favente dementia ßomanorum Imperator
semper augustus.
Inter imperialium [sollicitndinum^] salutiferos fructus,
quos pro generalitatis commodo mente^ gratuita sustine-
mus, nihil dignius aut salubrius^ estimamus, quam sancta-
riim dei ecclesiarum pacem redintegrare, commoda multi-
plicare et in antique sue libertatis statum deo cooperante,
quo auctore omnia prosperantur, feliciter eas reformare.
Ideoque omnium Christi imperiique [nostri'"^] fidelium pre-
sentium ac futurorum cognoscat solertia, quod nos divini
timoris reverentia et interventu fidelis ac gloriosi principis
nostri Rainaldi, illustris Coloniensis electi et Italie archi-
cancellarii, atque aliorum nostrorum fidelium Rainerium,
priorem canonice Castellane Civitatis, eiusque successores
ac fratres nniversos presentes atque futuros et cunctas
eorum res ac possessiones adquisitas et adquirendas sub
imperiali nostra protectione specialiter recipimus atque ab
omnium hominum'^ illicita exactione et indebito gravamine
penitus immunes perpetuo esse censemus, augustali nostro
edicto statuentes ac [precipi]entes®, ut omnes ipsius cano-
nice possessiones ac iura, que hactenus ab ea iniuste alie-
nata sunt vel sine canonicorum licentia et consensu pignori
obligata, a marchionibus vel comitibus, proceribus seu va-
vasoribus [aut consulibus sive civibus] seu aliquibus aliis
personis dicte canonice integraliter restituantur ; de cetero
neque iure villicationis aut yconomie vel nomine feudi aut
occasione custodie vel usus [parentum ab aliquo diripiantur
seu iniuste occupentur, nee licitum sit consulibus vel recto-
ribus Castellane Civitatis aut civibus predictam] ecclesiam
et hospitale* [eins et omnes eins ecclesias] aliquibus exac-
tionibus inquietare, [neque predia eorum vel] vineas rusti-
cas [vel reditus] sive alia [bona presentia vel futura] in-
vadere^ vel detinere, sed*^ predicte ecclesie^ speciali nostre
a) Keine Lücke in der Abschrift ; die Ergänzung nach der Urkunde
Philipps. b) aure. c) digne aut salubre. d) eorum. e) Von ,
hier an sind die Lücken in der Abschrift durch Punkte angedeutet ; die
in Klammern gesetzten Ergänzungen sind — bis auf die Datierung — j
überall nach der Urkunde Philipps vorgenommen. f) fratres. g) in-
vadiare in der Urkunde Philipps. h) sciUcet. i) Die Abschrift I
Urkunden u. Forschungen z. cl. Regesten d. stauf. Periode. 167
tuitioni ac patrocinio subiecte sua omnia perpetuo invio-
lata et illesa conserventur. Ad evidentiorem autem ac
validiorem imperialis liuius uostri edicti observantiam que-
dam ecclesie prenotate bona seu iura presenti pagina nomi-
natim connumerantes, videlicet quidquid iuris liabet pre-
dicta ecclesia in Castellana Civitate et in eius curia, in
castello Upai et in eius curia, in curte Piteni, in plebe
sancti Savini, in curte Falerni, in plebe ßubiani, in sancto
Putito, in love, in Cerbaria, in Silice, in Pitillano, in Cella
alba, in Pistrino, in Scafagia, in plebe Canani, in plebe
sancti Cipriani, in Agello Frigido, in Ba[run]telle, in curte
Anglari, in Conclo, in Terenzalla, in Arsitio, in Roti, in
plebe Bucuniani, et quidquid iuris habet in hospitali Uber-
tatis, in Celle filiorum Berardi, in Casa Nova, in Bagnaria,
in plebe Saddi, in plebe Suffie, in CoUe Medio, in plebe
Agiliouis, in Oolle Matthei, in plebe Gratizole, in eo quod
fuit de Torto de Sasso, in Monte Vicino et in eius curia,
in plebe Apicule, in Nuovole, in Cugnano, in Viano, in
Castilione, in Sessa, in Covacro, in Monte Viano et in tota
eius curia, in Polenzauo et in foro Castellane Civitatis, et
si que in aliis aliquibus locis de rebus aut possessio nibus
prefate ecclesie inventa fuerint, perpetuo ei concedimus et
corroborainus atque ab indebitis dationibus et servitiis
omnium aliarum personarum auctoritate nostra penitus ab-
soluta semper esse iubemus, salva in omnibus imperiali
nostra iustitia. Si quis vero, quod absit, contra hec impe-
riali [a] nostra statuta aliquo in tempore venire temptaverit,
quinquaginta librarum auri penam incidat earumque medie-
tatem imperiali nostre camere inferre et reliquam medie-
tatem priori et supradicte ecclesie cogatur persolvere. üt-
que hoc sacre nostre iussionis edictum verius^ ab universis
credatur et diligenter semper observetur, presentem pagi-
nam manu propria roborantes maiestatis nostre sigillo pre-
cepimus communiri^.
Signum domni Frederici Romanorum imperatoris in-
victissimi.
Ego Rainaldus sancte Coloniensis ecclesie electus et
Italic archicancellarius recognovi.
Data Laude, 8. idus Novembris, anno dominice incar-
nationis 1163, indic[tione 12], imperante domno Frederico
Romanorum imperatore semper invictissimo, anno regni
eius [12, imperii vero] 8. In nomine domini feliciter, amen.
hat hier fünf Punkte, während doch nach dem Zusammenhange und der
Urkunde Philipps nichts zu fehlen scheint. a) acrius. b) cerUori.
168 Paul Scheffer-Boichorst.
Crespino, Montescalari und Vallombrosa.
I. In der Diplomatik spricht Ein Wort zuweilen mehr,
denn ganze Sätze. Das zeigt z. B. St. 3899, eine Urkunde
für die Vallombrosaner von S. Maria zu Crespino ^ Sie
ist längst, aus Inhalt und Form, als wüste Fälschung er-
kannt worden-. Der grösste Theil des Machwerkes ent-
stand ohne ein Vorbild, das vor manchen Missgriffen be-
wahrt hätte. Wenn dann aber die Datierung anhebt:
Achim q^noque est. so sieht der Kenner, dass hier doch
eine Urkunde benutzt ist, und zwar von 1164, denn nur
in diesem Jahre hat ein Schreiber der kaiserlichen Kanzlei
quoque zu actum hinzugefügt'^. Das geschah schon im
Januar, da der Kaiser zu Castro Caro die Kamaldolenser
beschützte, St. 4004 ^. Zu Castro Caro, wo sich Friedrich I.
kein zweites Mal nachweisen lässt, soll auch St. 3899 aus-
gestellt sein, nur nicht 1164, sondern 1160. Offenbar hat ein
Privileg d. d. Castro Caro 1164 Januar als Muster gedient.
Den Ort Castro Caro und den Zusatz quoque behielt der
Fälscher bei, das Jahr 1164 änderte er in 1160, den Ja-
nuar in den October. Seine Quelle konnte indess nicht
der Schutzbrief für die Kamaldolenser selbst sein; denn
ihm fehlen Signum und Recognition, die in St. 3899 sich
richtig finden^; dann beachte man Königs- und Kaiserjahre:
dort 11 und 9, hier 7 und 4, durch einfache Subtraction
von Vier, der Differenz zwischen 1164 und 1160, hätte sich
7 und 5 ergeben. Aber am 10. Februar schrieb der Kanz-
list, ausser seinem quoque, das 11. Königs- und 8. Kaiser-
1) Aus einer Beglaubigung von 1321, die das Florentiner Staats-
archiv aufbewakrt, besitzen die MG. Abschriften Böhmers und Pabsts.
Ihren Daten entsprechen die der Drucke bei Ughelh, Ital. sac. 11, 498
ed. IIa. und Soldanus, Hist. mon. Pass. I, 194. Dagegen heisst es bei
Lami, Del. erud. IV, 190 : 1159 ind. 7, statt 1160 ind. 8. Vgl. aber S. 318.
2) Ich will nur bemerken, dass nach Böhmer die Notare auch das Siegel
beschrieben haben. Ex alio vero latere ipsiiis sigilU scidta erat ymago
cumsdam aquile cum aUs cxtensis et corona in capite. 'Da nun erst Ludwig
der Baier ein Rücksiegel hatte', folgerte Böhmer, 'so muss die Fälschung
1321 sehr jung gewesen sein'. So schrieb er 1837 ; nach dem heutigen
Stande der "Wissenschaft würde er Heinrich VII. an Stelle Ludwigs gesetzt
haben. 3) St. 4004. 07. 12^. 12'^ 25. 28'\ 4) Mittarelli, Annal. Ca-
mald. IV, 21 hat die Urkunde veröffentlicht, doch ohne Orts- und Tages-
daten. Aus einer Abschrift des im Florentiner Staatsarchive beruhenden
Originals, die ich der Güte R. Davidsohns verdanke, mögen sie hier
ergänzt werden: Actum quoque est anno dominice incarnationis 1164, in-
dictione 12, regnante domno Frederico Ro»ianm'um imperatore serenissimo,
anno regni eius 11, imperii vero 9. Datum in Castro Caro 10. tcal. Fe-
bruarii. 5) Nur Hess der Fälscher den Kanzler bei Seite, mit dem
Brzkanzler sich begnügend.
Urkunden u. Forschungen z. d. Regesten d. stauf. Periode. 169
jähr \ die beide um Eins zu niedrig berechnet sind, St. 4007 -;
es war zu S. Arcangelo : nach dem Gesagten bedarf es je-
doch eines Musters aus Castro Caro. Also gab es eine uns
heute verlorene Urkunde, die im Januar 1164 zu Castro
Caro ausgestellt war, wie St. 4004, das 11. Königs-, das 8.
Kaiser] ahr trug, wie St. 4007, und mit Signum und Recog-
nition versehn war.
Nun erheben sich zwei Fragen: aus welchem Archiv
entnahm der Fälscher seine Vorlage und warum hat er
deren Daten geändert?
1) Wahrscheinlich verdankte der Vallombrosaner von
Crespino doch einem Kloster der eigenen Congregation sein
Muster. Aber ein Privileg Friedrichs I. für Vallombrosaner,
das uns nur aus Erwähnungen eines seiner Nachfolger be-
kannt wäre, lässt sich meines Wissens nicht nachweisen ^.
Freilich bezieht sich Heinrich VI., da er dem Kloster
Montescalari gewisse Rechte verleiht, auf den Vorgang
seines Vaters, St. 4612. Aber wie wir sehen werden, kann
man gegen dieses Diplom gewichtige Bedenken geltend
machen, somit auch gegen das uns nicht erhaltene Vor-
bild, dem Heinrich gefolgt sein soll. Dafür mag man
immerhin erwägen, dass die Benedictinerinnen von S. Ellero
in der Mitte des 13. Jh. dem Kloster Vallombrosa selbst
unterstellt wurden, dass sie bald nach Florenz übersiedeln
mussten, dass der Besitz von S. Ellero an Vallombrosa^
gelangte, damit doch auch gewiss das Archiv. Nun nr-
kundete Heinrich VI. für S. Ellero ad imitationem inditae
memoriae praedecessoris nostriFriderici divi imperatoris, St. 4685.
Das Privileg fehlt uns. Sollte es die verlangten Daten ge-
tragen haben? sollte der Fälscher es in seinem Mutter-
kloster gesehen haben?
2) Stumpf glaubte, Fälscher hätten die formelhaften
Theile ihrer Vorlagen hier und da geändert, nur aus der
Absicht, den Verdacht abzulenken. Das hat Ficker be-
stritten; er verlaugt zur Erklärung — wofern nicht blosse
Willkür anzunehmen sei, — einen mit dem Inhalt der
Fälschung zusammenhängenden Zweck, den zu erkennen
dann freilich im Einzelfalle nicht immer leicht sein möchte ^.
1) Ich folge einer Collation Betbmanns, der das Original vor Augeu
hatte. Danach ist die Angabe St. 4007 zu berichtigen. Auch streiche man :
'Mit Zeugen'. 2) Richtig sollte es St. 3899 heissen: a. reg. 9. imi). 6.
3) St. 4722 verweist Heinrich VI. auf ein Privileg Friedrichs 1. für Passignano,
das man in Stumpfs Verzeichnis nicht findet. Es wurde erst später bekannt,
vgl. Mitth. d. Inst. f. österr. Gesch. X, 297. 4) Die Urkunden bei
Soldanus 1. c. I, 133 — 144. 5) Beiträge zur Urkundenlehre I, 22.
170 Paul Scheffer-Boichorst.
So wird man begreifen, dass ich meine Lösung nur als
Versuch betrachte. Daneben wahre ich mir die Annahme
der Willkür.
Im September 1164 bestätigte Friedrich I. den Grafen
Gnidi von Modigliano ihre Besitzungen, darunter auch das
Kloster S. Reparata zu Maradi, St. 4028 '' . Da der Kaiser einer-
seits sagt, er schenke omnia cum omnihus cnrtihus, distric-
tibus et pertinentiis^; da S. Maria zu Crespino andererseits der
hl. ßeparata gehörte ^, so konnten die Guidi Ansprüche
auch auf das abhängige Kloster erheben. Gerade dagegen
richtete sich die Fälschung: sie sollte alle weltliche Herr-
schaft fernhalten, namentlich die der Guidi ^. Deren Pri-
vileg trug das Datum 1164, und die Vorlage des Mönches
von Crespino war ebenfalls 1164 ausgestellt. Nun konnte
man freilich für sein Machwerk immerhin die Priorität be-
haupten, wenn er auch den Januar 1164 beibehalten hätte,
denn das Beweismittel der Gegner schien ja um sieben
Monate jünger zu sein. Aber muss er Tag und Monat
gekannt haben? Wahrscheinlich hatte er doch nur gehört,
dass das älteste Document, worauf die Guidi sich stützten,
dem Jahre 1164 angehörte. So setzte er 1160, anno regni
7, imperii 4 anstatt 1164, anno regni 11, imperii 8. Aller-
dings, für die Aenderung des Januars in den October sehe
ich keinen logischen Grund; da bleibt mir nur die An-
nahme blosser Willkür.
II. In einer datenlosen Urkunde, die König Hein-
rich VI. den Vallombrosanern von S. Cassiano in Monte-
scalari ertheilt, St. 4612, deckt sich zunächst die Arenga,
auch noch ein Satz, wonach für den Aussteller das Bei-
spiel seines Vaters massgebend war, mit einem Schirnibrief,
den er am 1. September 1186 allen Klöstern der Vallom-
brosaner ausstellen Hess, St. 4585. Das Weitere, also der
eigentliche Gehalt des Diploms, ist von St. 4611 um Nichts
verschieden, bis auf eine einzige, noch zu besprechende
Bestimmung. Auch die Zeugen dieses Privilegs, das am
29. April 1187 die Vallombrosaner von S. Salvi in Parati-
nola sich erwirkten, kehren geradeso in St. 4612 wieder,
und eben darum hat man Gleichzeitigkeit angenommen.
St. 4612, einem Gliede der Congregation von Vallora-
brosa ausgestellt, stimmt also mit zwei Urkunden für
1) Die Urkunde wurde bestätigt 1191 von Heinrich VI., 1220 von
Friedrich II, St. 4700. B. F. 1241. 2) Urkunde Alexanders III. von
1168, J.-L. 11421. 3) — faclentes eos exemptos a consortio et dominio
Florentinormn et Faventinorum, a comitibus Guidis etc.
Urkunden u. Forschungen z. d. Regesten d. stauf. Periode. 171
Klöster desselben Ordens überein; Montescalari und Para-
tinola liegen aber im Gebiete von Florenz, nicht weit von
ihnen Vallombrosa, in dessen Archiv die allgemeine Be-
schirmung aufbewahrt wurde. So drängt sich die Annahme
auf, dass St. 4612 aus St. 4585 und 4611 zusammengesetzt
sei. Den gegen die Echtheit erwachten Verdacht bestärken
dann zwei Momente. Erstens ist die Invocation : In nomine
patris et filii et Spiritus sancti durchaus kanzlei widrig ; man
schrieb, wie auch in St. 4585 geschah : In nomine sancte et
indiviciue trinitafis. Zweitens und besonders lautet die Be-
stimmung, um die St. 4611 reicher ist als St. 4612: Pro Jiac
auteni maiestatis nostre concessione prenominati monasterii ahhas
et fratres unum Bysantinum aureum annuatim camere nostre
persolvant. Es ist die einzige Verpflichtung, die den Vallom-
brosanern von Paratinola auferlegt wird ; ihre Ordensbrüder
von Montescalari, denen doch die gleichen Rechte ver-
günstigt werden, haben nicht auch die gleiche Abgabe zu
entrichten, sind vielmehr ganz frei.
Leider ist mir unbekannt, wie St. 4612 überliefert ist.
Trotz der nicht geringen Verdachtsgründe möchte ich daher
mit einer Entscheidung zurückhalten.
III. Zum 18. Februar 1191 wird für Vallombrosa nur
eine Urkunde Heinrichs VI. angeführt, St. 4682. Offenbar
sind es aber zwei verschiedene Privilegien, die Ughelli
Italia Sacra III, 222 ed. 11^ und Lami Del. erud. III, 198
veröffentlicht haben. Lami hat auch ausdrücklich bemerkt,
dass das von ihm herausgegebene Diplom ein anderes sei,
als das Ughellische ^. Der Wortlaut zeigt nur geringe
Uebereinstimmungen ; selbst die formelhaften Theile sind
keineswegs dieselben; und schon daraus sieht man, dass
auch Toeche irrte, wenn er die Fassung, die bei Lami vor-
liegt, für eine Verkürzung hielt -. Allerdings verleiht der
Text üghellis ausführlichere ßechte, aber in Einem Punkte
findet sich doch bei Lami mehr. Gerade daran erkennt
man aber den Zweck der zweiten Urkunde. Ughelli ver-
öffentlichte eine Beschirmung der Vallombrosaner Klöster,
eine Bestätigung und Erweiterung ihrer Rechte. Ein Be-
sitzthum wird mit Namen genannt: Heinrich beschützt
nominatim castrum Magnalis. Auch bei Lami heisst es:
nominatim castrum Magnalis. Nur hier aber verbietet Hein-
rich VI., dass Jemand beunruhige oder besteuere, wie die
anderen Besitzungen, so nominatim predictum castrum. Hin-
1) Vgl. 319 zum Jahre 1191 mit 103 zum .Jahre 1191. 2) Hein-
rich VI. S. 649 n. 105.
172 Paul Scheffer-Boichorst.
gegen ist von den verliehenen Beckten keine Rede. Da-
nach ist doch das Verhältnis so: die Fassung bei Ughelli
sollte auch dem Schutze von Magnali dienen, verfolgte
dann aber weitere Interessen; die von Lami gedruckte
Urkunde gilt recht eigentlich der Sicherung Magnalis.
Die Bedeutung der Burg tritt hier und dort hervor, aber
das andere Mal sollte sie noch schärfer betont werden; es
geschah durch die Wiederholung, es geschah auch dadurch,
dass mit ihrer Sicherung nichts Fremdartiges verbunden
wurde, also nicht die Bestätigung und Erweiterung von
Rechten. Dazu mag noch bemerkt werden, dass die Aebte
von Vallombrosa sich nach der Burg Grafen von Magnali
nannten ^.
Dulgano Bürger von Ferrara.
Klinkenborg fand in den Monumenta Ferrariensia
medii aevi, d. h. einer Sammlung von Originalurkunden,
welche die Biblioteca dello studio zu Ferrara unter n. 334
aufbewahrt, eine der in staufischer Zeit noch nicht eben
häufigen Bestallungen von Notaren '-. Ich lasse sie nach meiner
Abschrift folgen 'K Als Analogon mag man die Urkunde
Friedrichs II. vom 20. September 1220 vergleichen*, nament-
lich insofern, als auch hier neben dem Treueid ein Amtseid
erwähnt ist.
Friedrich II. ernennt den Dulgano, Bürger von Fer-
rara, nachdem er Treit- und Amtseid von ihm em-
pfangen hat, zum öffentlichen Reichstabellio.
1238 Juli, im Lager bei Brescia.
Fridericus dei gratia Romanorum imperator semper
augustus, lerusalem et Sicilie rex.
Per presens scriptum notum facimus universis imperii
fidelibus tarn presentibus quam futuris, quod nos confidentes
de prudentia et fidelitate Dulgani, filii Panisgrani, civis
Ferrariensis fidelis nostri, rece^to ab eo fidelitatis et officii
iuxta consuetudinem iuramento, constituimus eum publicum
tabellionem imperii, ut amodo ubique per Imperium pre-
dictum tabellionatus officium possit et debeat ad honorem
et fidelitatem nostram legaliter exercere. Quocirca uni-
1) Repetti, Dizionario geogr. fis. stör, della Toscana III, 20.
2) Nachrichten der k. Gresellsch. d. Wisseusch. zu Göttingen 1897, >S. 355
Aum. 1. Vgl. auch oben S. 144. 3) Später erhielt ich auch noch eine
Copie von H. Bloch, der mich zugleich belehrte, dass nicht mit Klinken-
borg Bulganus zu lesen sei. 4) B. F. 1162.
Urkunden u. Forschungen z. d. Regesten d. stauf. Periode. 173
versitati vestre precipiendo mandamus, quatinus eidem
Dulgano super hiis, que ad dictum tabellionatus offi-
cium spectare [noscujntur, de cetero intendatis tamquam
tabellioni publice, a maiestate nostra statuto ad honorem
et fidelitatem nostram. Et nullus sit, qui dictum Dul-
g-anum super dicto tabellionatus officio temere imp[edire,
mo]le[stare] vel perturbare presumat. Quod qui presump-
serit, Indignationen! nostram se noverit incursurum. Ad
cuius rei memoriam presens scriptum fieri iussimus, ma-
iestatis nostre sigillo munitum.
Datum in castris circa Brixiam anno dominice incar-
nationis millesimo ducentesimo tricesimo octavo , mense
Julii undecime indictionis.
S. Benignus zu Fruttuaria.
Bios Eine der 10 Urkunden des Klosters, die Stumpf ver-
zeichnet, ist im Originale erhalten, von allen anderen be-
sitzen wir nur ungenügende Abschriften; sehr mit Recht
beklagte jüngst Sackur^ die schlechten Texte, welche die
Geschichte des klösterlichen Besitzes so sehr erschweren.
Nicht viel besser, als die von Stumpf aufgeführten, ist
eine Urkunde Friedrichs II. überliefert, damit zugleich
auch eine bisher ungedruckte Friedrichs I., die dessen
Enkel in die seinige 'einrückte'.
Bei der Beschreibung des Turiner Staatsarchivs hatte
Bethmann- für Fruttuaria kurz angemerkt: 1159. 1238.
Winkelmann ■'^ hat dann neulich die Bestätigung Fried-
richs II. herausgegeben ; 'die völlige Gedankenlosigkeit'
des Copisten wird ihn bestimmt haben, von einer Veröffent-
lichung des eingerückten Privilegs abzusehn. Wir können
den Wortlaut aber nicht entbehren, und so habe ich in
Turin eine Abschrift genommen. Da erkannte ich denn,
dass 'völlige Gedankenlosigkeit' noch kein zu harter Tadel
sei^. Und zu den sinnlosen Verlesungen kommen zahl-
reiche Lücken, = 1.
Die Vorlage war ein Transsumpt von 1338, und aus
gleicher Quelle floss auch eine andere Abschrift, die das
Archivio dell' economato zu Turin aufbewahrt '. Sie zeich-
1) Die Cluniacenser II, 3 Anm. 1. 2) Archiv XII, 598. Ebendort
findet sich auch die Erwähnung einer Königsurkunde von 1202 ; gemeint
ist aber St. 1430 : im Turiner Text ist 1202 aus 1006 geworden. 3) Acta
imp. I, 304. 4) Abbazia S. Benigne, Mazzo 1 enthält drei gleichlautende,
daher gleichschlechte Abschriften. 5) Abbazia S. Benigne, Cartella 1^
mazzo 5, n. 12.
174 Paul Scheffer-Boichorst.
net sich nur durch Einen Vorzug aus : von anderer Hand
sind einige Lücken ergänzt, offenbar mit Hülfe einer bes-
seren Ueberlieferung. Sonst kann die Copie, welche Calli-
garis nachgewiesen und Cipollo für mich verglichen hat,
uns wenig nutzen = 2.
Um so erfreulicher ist, dass Calligaris in seiner
trefflichen Studie über das Kloster Fruttuaria ^ noch auf
einen dritten Text aufmerksam gemacht hat, nämlich auf
eine, im Turiner Staatsarchiv ruhende Beglaubigung von
1298, die ebenfalls die Urkunde Friedrichs II. und damit
denn auch Friedrichs I. enthält-. Sie leidet weniger an
Fehlern ; aber manche Stellen sind unlesbar geworden. Da
kann die sonst schlechtere Ueberlieferung uns Hülfe leisten :
nur deshalb habe ich sie erwähnt ; ihre zahllosen Verkehrt-
heiten und Lücken will ich nicht auf die Nachwelt brin-
gen ^. Meine Ausgabe folgt also im Wesentlichen der Ab-
schrift von 1298, deren Collation ich wiederum der Gefäl-
ligkeit Cipollas verdanke = 3 ; auf die Abschriften des
Transsumpts von 1338 werde ich nur selten Bezug neh-
men ^.
Natürlich habe ich auch die benutzten, unter sich gleich-
lautenden Vorurkunden herangezogen, eine Heinrichs IV.^
von 1069 und eine Heinrichs V. von 1112.'^ Was mit ihnen
übereinstimmt, gebe ich durch kleinere Lettern wieder.
Von einigem Interesse ist das Tages- und Ortsdatum :
es erläutert nämlich in erwünschter Weise eine Angabe
Eahewius. Friedrich hat das Osterfest 1159, d. h. den
12. April, zu Modena begangen: festoque terminato in terri-
torium Bononiense, uhi tunc manehat exercitus, demigrans ad-
ventu suo tmiversos laetificavit''. Wir wissen nun, dass das
Heer bei Castiglone de' Gatti lagerte^ und dass Friedrich
am 17. April in Mitten seiner Soldaten verweilte^.
1) Un'antica cronaca Piemontese 102. 2) Abbazia S. Benigne,
Mazzo 18. 3) Nicht besser möchte eine andere, mir mizugängliche Ab-
schrift sein ; sie floss da una copia antica e niolfo corrosa. Cipolla in den
Atti della r. accademia di Torino XXVI, 895. 4) Noch weniger habe
ich mich um Schreibereigenthümlichkeiten gekümmert, und zwar auch
nicht in Hinsicht auf die bessere Ueberlieferung : ich habe geschrieben,
wie man in der Kanzlei Friedrichs I. zu schreiben pflegte. 5) Stumpf,
Acta 316 S. 447. 6) Guichenon, Hist. de Savoye IV, 664. 7) Ed. Waitz
IV, 32 p. 218. 8) Castiglione de' Gatti im Districte Vergano gehörte den
Grafen Alberti di Mangone — vgl. z. B. Savioli, AnnaH Bolog. II 'J, 169 —
und kam 1340 in den Besitz der Pepoli von Bologna, daher hiess es später
auch Castiglione de' Pepoli. Gozzadini, Delle torri gentilizie di Bo-
logna 412. 9) Nach Giesebrecht, Kaiserzeit V, 192 hätte Friedrich die
Mailänder schon am 16. zu Bologna geächtet; nach Jordan, Rahewins
Gesta Frid. 80 Anm. 1 geschah es erst am 19.
Urkunden u. Forschungen z. d. Regesten d. stauf. Periode. 175
Friedrich I. beschützt auf Verwenden des Kanzlers Rei-
nald und auf Bitten des Abtes Rufin das Kloster
als ein reichsunmittelbares; gestattet freie Wahl
des Abtes, dessen Weihe keinem bestimmten Bischof e
zukommt ; bestätigt die zum Theil genannten Be-
sitzungen des Klosters; schützt es gegen Verjährung
und Abgaben, wahrt aber die kaiserlichen Rechte.
1159 April 17, Castiglione de Gatti.
In nomine sancte et individue trinitatis. Fredericus dirina
favente dementia Romanorum imj)erator et semper augustus.
Imperialis dignitatis " sagacitati congruere videtur,
domino deo nostro devote famulantium curam propensius
gerere^ et, ut in futurum omnipotenti creatori quiete de-
servire valeant, speciali protectione eos confovendo iuvare.
Quapropter noverit eiusdem domini dei ac sacratissimi imperii^
nostri fidelium tarn futurorum quam presentium solers industria, qualiter
nos pro divino araore^ atque anime nostre remedio, interventu quoque
Raynaldi, dilecti cancellarii nostri, ac petitione Rufini, vene-
rabilis Fructuariensis abbatis, ipsum monasterium, in honorem
beatlSSime dei genitricis ^ Marie sanctorumque martirum Benigni et
Tiburtii edificatum cum omnibus personis inibi presentialiter
deo famulantibus aut futuro tempore servituris et cum uni-
versis possessionibus suis cunctisque rebus mobilibus seu
iumobilibus, quecumque, recte dum, iuste et legaliter posse-
dit, liberalitate regum aut imperatorum®, largitate ponti-
ficum, donatione principum vel oblatione quorumlibet fide-
lium aut aliis iustis modis obtinet seu deinceps adijjisci
poterit, in imperialis tuitionis protectionem* jDerpetuo rece-
pimus, ea videlicet ratione, ut idem cenobium omnium hominum remota con-
tradictione sit liberum nulliusque mortaliuni^ potestati subiectum, sed
imperialis mundiburdii ac specialis ^^ nostre defensionis sit*
munimine constitutum ; liceatque monacis pretaxati monasterii,
cum venerabilis abbas Rufin US, qui nunc preesse \'idetur, ab hac vita
decesserit, quemcunque voluerint^ inter se rationabiliter eligere
et eundem a quocumque catholico^ episcopo ipsis placeat ordina-
a) diligentie 3; diligentia 1. 2. b) genere 1. 2. 3. c) säe . . .
. . . nostri 3; sanctissinn imperatoris 1. 2. d) genitricis mar-
tirum 3. e) imperator pontifciim 3; imperator donata
1. 2. f) poterit imperiali tidtione pi-otectionis 3; x>^terit imp. tuitione
protectione 1. 2. g) nulliusque mortal subitum 3; nullusque
potestati subiectum mortal ium 1.2. h) spirittmlis 1. 2. 3. i) sit fehlt 3.
k) quecumque voluerint 1. 2. 3. 1) catol nacionem recipere 3;
cafholico episcopo ipsis presentari aut ordinari occupari 1. 2.
1) Dauach berichtige man den Unsinn im Drucke Stumpfs: ex
divino munere animaeque nostrae remedio.
176 Paul Schefeer-Boichorst.
tionem recipere. Instiper*^ hac decretali pagina prenominato
cenobio confirmamus, donamus et stabilimus'' omnia, que
ipsi ab antecessoribus nostris, imperatoribus seu regibns,
aliisque quibuslibet fidelibns rationabiliter collata aiit quo-
libet modo inste acquisita aut permutata sunt, que sita sunt
in episcopatibus seu comitatibus<^, Eporeiensi videlicet et Taurinensi J, Ver-
cellensi, Novariensi, Mediolanensi, Ticinensie, Terdonensi, Astensi, Al-
bensi, Aquensi, Savonensi, Albigaunensi *", Ferrariensi , Bononiensi,
Augustanensi, Landen si ac Cumano atque Adriensi ac nomi-
natim, quod idem monasterium possedit in Montanario et
in Curte regia s' ac in Verano et in Cauda^' et in villa Vul-
piani et castellum Lumbardori et villam que dicitur Arusea et Faloua
et Calpis et Serralonga et Villanova et Mayeranum, universaque
predia, que possidet intra fines Morocium et in Clusa et in Ca-
valla et in villa Quadraginta' et in Dusicino et generaliter
quidquid ubique locorum in toto imperio nostro de iure
possidet idem^ monasterium in' cellis, ecclesiis, capellis aut
in civitatibus"', castellis, burgis, villis cum omnibus suis
appenditiis videlicet areis", edificiis, pratis, pascuis, alpibus,
silvis, venationibus, viis et inviis, ripis, riponis, aquis aqua-
rumque decursibus, portubus, piscationibus, exitibus atque
reditibus, mercatis, teloneis, molis, molendinis, utriusque
sexus mancipiis, quesitis et acquirendis et cum omni utili-
tate, que nunc aut deinceps inde pervenire poterit". Pre-
terea constituimus i' , ut quecunque predictum monasterium
Fructuarie de possessionibus suis iniuste perdidit sive
propter imperatorum aut regum absentiam sive propter
rectorum negligentiam aut raptorum violentiam, non obsit
ei ulla longi temporis prescriptio, quominus^i veraci instru-
mento seu legitimo testimonio possessionem suam iniuste
alienatam reclamare '' poterit, ut ei restituatur. Precipimus
quoque, ut que possidet idem monasterium Fructuarie in
Paterniano in castello, villa et curtibus^, absque omni
vexatione et quiete possideat^. Statuimus nihilominus, ut
nullus archiepiscopus, episcopus, dux, marchio, comes, vicecomes, nulla
ecclesiastica laycalisve persona, parva seu magna, presumat pre-
a) fehlt 1. 2. 3. b) fehlt 3; donandi, confirinandi et stabüiendi 1. 2,
c) in episco Eporiensi videlicet 3; in convallibus seu comitatibus
Ipporegiensi diocesis videlicet 1. 2. d) Novariensi 3. e) Taurinensi S;
Trivenensi 1. 2. f) lanuensi 1. 2. 3. g) reffio 3. h) et Cand
castellum 8. i) in villa et in Quadraginta 3; in villa Äquantati 1. 2.
k) in mon. 1. 2. 3. 1) fehlt 1. 2. 3. m) civitate 1. 2. 3. n) arris 3;
aris 1. 2. o) pervenerit 3. p) censemiis 3; consens. 1. 2. q) quoniam
in 1. 2. 8. r) proclamare pottierit ei 8; proclamare poterit ei 1. 2.
s) partibus 1. 2. 8. t) possident 3.
Urkunden ii. Forschungen z. d. Regesten d. stauf . Periode. 177
dictum monasterium inquietare aut divestire, aut abbati et suis successo-
ribus molestiam vel iniuriam inferre nec ab eiusdem monasterii abbate
aut famulis seu villanis ad ipsum locum pertinentibus bannum vel ali-
quam exactioneni '"^ requirerei^ aut decimas exigere aut in terris domini-
catis, agris, pratis, vineis vel rebus aliquibus aut animalibus, Salvo in
Omnibus nostre imperialis dig-nitatis bonore. Si quis autem
nostre confirmationis preceptum*^ iufriiioere aut violare presumpserit,
mille libras auri optimi componat, medietatem nostre caniere et medie-
tatem sepedicti monasterii abbati persolvens "^ . Quod ut verius
credatur et diligentius ab omnibus observetur, hanc nostre iussionis
paginam manu nostra propria roborantes sigillo nostro iussimus
insigniri.
Signum domni Frederici Eomanorum imperatoris in-
victissimi.
Ego Eaynaldus caucellarius recognovi.
Datum 15. kal. Maii anno dominice incarnationis 1159**,
indictione 7, anno domni Frederici Serenissimi imperatoris
regni^ eius octavo, imperii tertio. Actum in loco Castel-
lione in episcopatu Bonouie. In Cbristo feliciter, amen.
Lanciano und Ortona a mare.
I. Fella scbrieb in den Jabren 1607—1625 eine Cbro-
nologia urbis Anxani \ wofür ibm jetzt verscbollene Urkun-
den von Lanciano zur Verfügung standen. Leider ist Fellas
Werk, das ungedruckt blieb, beute aucb nicbt mebr vor-
handen. Doch wurde es noch zu Anfang dieses Jahrhun-
derts benutzt, so namentlich von D. Romanelli, Scoverte
patrie etc. nella regione Frentana I. IL 1805 — 9. Wahr-
scheinlich bediente sich der Fella'schen Chronologie avich
U. Bocache, dessen Hss."- dann der neueste Geschicht-
schreiber von Lanciano, L. Renzetti, seinen Notizie isto-
riche della cittä di Lanciano 1878 zu Grunde gelegt hat.
Mit diesen Hülfsmitteln lässt sich über Urkunden
Lancianos, die für unsere Regesten in Betracht kommen,
wenigstens einige Auskunft geben.
Bei Romanelli 1. c. II, 155 findet sich folgender
ürkundenauszug und zwar nach Fella, der als Gewährs-
mann ausdrücklich genannt wird : L' imperatore Federico per
servigi a Im resi e per Ja fedeltä dimonstrafagli da' Lancia-
a) conditionem 3; ponderem 1. 2. b) recipere 3. c) precep-
tionetn 3. d) persolvantur 3. e) MCL. 3. f) regis 3.
1) lieber seine Schriften vgl. Romanelli, Scoverte patrie II, 225
2) Nach C. I. L. IX, 27 werden sie in 14 Bänden auf der Bibliothek zu
Lanciano aufbewahrt.
Neues Archiv etc. XXIV. 12
178 Paiil Scheffer -Boichorst.
nesi nelle xmssate rivolusioni del regno rolle rimeritarli con
qualche grasia. Confermö Jovo per tal ßne tutti gli nsi e le
consuetudini e li (qjpeUd col titolo di hiioni, che averano fin
da' tempi de' sitoi predecessori otteniito, come anclie tutf i pri-
vilegi e le concessioni da quelli fatte, ed agginnse, che avessero
franchigia da ogni dazio, colleffa, pagamento, plateatico e pas-
sagio e che fmalmente resfassero sempre nel reale demonio. Fn
il diploma spedito da Roma nel mese di aprile delV anno 1212
della 15. indinone per mano di Giuseppe di Solmona suo can-
celliere. Derselben Urkunde gedenkt Renzetti 1. c, nur viel
kürzer, aber ausser dem Tagesdatum 'Ajjril 12' theilt er
den wichtigsten Satz in originaler Fassung mit: Volenies
etiam et huins presentis privilegii auctoritate ßrmifcr sfafuenfes,
ut semper in nostro deheat demanio permanere.
Wir erhalten eine in den Regesten fehlende Urkunde
Friedrichs II. d.d. 1212 April 12, Rom ^ Die Daten passen
vortrefflich ins Itinerar, und der Notar Joseph von Solmona
begegnet uns auch im März 1212'-; dass Romanelli ihn
Kanzler nennt, scheint mir ebenso wenig gegen die Echt-
heit zu sprechen, wie dass er Friedrich II. schon als Kaiser
einführt ^.
Die Zusicherung der Unmittelbarkeit gab den Lancia-
nesen auch Papst Alexander IV. Nach Renzetti 1. c. 146
geschah es am 9. October 1255 zu Anagni. Die Daten
entsprechen dem damaligen Aufenthalte des Papstes, und
der Inhalt deckt sich völlig mit Privilegien, die in dersel-
ben Zeit andere Städte erhielten: in demanium Romane
ecclesie speciale nahm Alexander auf: am 30. September
Gallipoli, am 19. October 1255 Frosinone und am 18. No-
vember Penne ^.
Die Urkunden beweisen den Fortschritt der päpst-
lichen Sache. Aber das Blatt wendete sich. Lanciano
ging zu Manfred über, und nichts wäre ja nun natürlicher
gewesen, als dass der König dem Beispiel seines Vaters
von 1212 und des Papstes von 1254 gefolgt wäre. Das
soll denn auch geschehen sein, ja Manfred soll den Lan-
1) Eine andere, in den Regesteu fehlende Urkunde — d. d. 1212
April, Rom — ist für Almanno de Pancaldo ausgestellt. Doc. Sicil.
Serie I tom. VIII, 152 und vollständig bei Paolucci, II parlamento di
Foggia 32. Ich will daraus doch folgende Worte hervorheben : conside-
rantes expensas 2}lurimas etiam et labores, quos in itinere Alamanico pro
honore nostri cuhninis es pterpessus. 2) Winkelmann, Acta imp. I, 95.
S) Die gefälschte Inschrift C. I. L. IX n. 297 M-ill Polidoro der Hs. Fellas
entnommen haben , natürlich braucht sie darum noch nicht Fellas Werk
zu sein. 4) Bourel de la Ronciere etc., Les registres d' Alexandre IV,
n. 855 p. 257, u. 881 p. 262, n. 869 p. 260.
Urkunden u. Forschungen z. cl. Regesten d. stauf. Periode. 179
■ciauesen noch eine weitere Gnnst erwiesen haben. Nach
Homauelli I.e. 11,52 cf. 156 schrieb Fella: Beoc Manfredus
demaniale fecit oppidum Anxanum eique concessit dindam urhem
.antiquissimam Bucam, quam alii — Septetn dixere, et castrnm
jjariter solo aeqnatum, quod Plasianum appellatur, privilegio
dato Partlienope l-al. apv. ind. 2. ao. dorn. 1259, regno eins
primo'^. Damit stimmt Renzetti I.e. 146 überein, nur dass
bei ihm der Ausstellungsort fehlt und dass er S. 177 ausser
Sette und Piazzano noch Belvedere, das nach Romanelli
1. c. II, 52 erst im März 1303 Karl II. hinzugefügt hat,
als Geschenk Manfreds nennt. Ans Eomanellis Anführung
kannte die Urkunde Capasso, Hist. dipl. reg. Sic. 326 '-, und
daraus floss B. F. 4697. Capasso hat sie als unecht ver-
worfen, ihm hat sich Ficker angeschlossen. Zur Zeit seien
privilegia demanii ungebräuchlich gewesen. Dass ich
hier nicht zustimmen kann, ersieht man aus meinen
obigen Anführungen derartiger Freibriefe, die sich in den
Eegesten Alexanders IV. finden. Aber es bleibt der von
Capasso hervorgehobene Widerspruch zwischen den Daten
der Urkunde und dem Itinerar Manfreds. Dieser befand
sich am 22. März in Melfi, am 5. April zu Foggia^, konnte
also am 1. unmöglich in Neapel sein. Will man nicht
annehmen, in Fellas Vorlage sei der Ort verwischt, abge-
schabt, überhaupt schwer zu entziffern gewesen, Fella habe
daher Neapoli etwa statt 3Ielß gelesen und dann das
archaistische Parthenope eingesetzt, so wird man die Ur-
kunde preisgeben müssen. Und noch eine weitere Aende-
Tung Fellas wäre anzunehmen. Er würde in seinem Be-
dürfnis, classisches Latein zu bieten, die Rechnung nach
fortlaufenden Monatstagen, welche allein von den Kanz-
listen Manfreds angewandt wvirde^, in die des römischen
Kalenders übertragen haben.
Dasselbe müsste bei einer zweiten, in den Regesten
nicht aufgeführten Urkunde Manfreds für Lanciano ge-
schehen sein, wenn sie echt sein soll. Ihrer hat P. Poli-
doro gedacht, ohne Angabe des Fundortes; da er aber das
Werk Fellas benutzt hat, so könnte dieses immerhin auch
für das fragliche Diplom seine Quelle sein. Dann wäre es
Fella, der hier und dort die Umrechnung nach römischer
1) Denselben "Wortlaut veröffentlichte aus Fellas Chronologie schon
1744 Tria, Memorie di Lariuo 23. Bei Romanelli 1. c. II, 52 fehlt nur regno
eins primo; vgl. aber Romanelli 1. c. II, 156. 2) Jedoch bloss nach der
knapperen, des Tages entbehrenden Erwälmung II, 156. 3) B. F. 4692 — 94.
4) In den Datierungszeilen finde ich keine Ausnahme, nur im Texte begegnen
zweimal einfach Kaienden, unten S. 187 und Capasso 1. c. 254 n. i\\.
12^
180 Paul Scheffer-Boichorst.
Art vorgenommen hätte. Polidoro nun schreibt in einer
der Abhandlungen, aus denen seine Antiquitates Frenta-
norum bestehen, Manfred habe der öffentlichen Schule von
Lanciano die 50 Aug-ustalen jährlicher Rente, welche die
Gemeinde ihr ausgeworfen hatte, durch ein besonderes
Privileg bestätigt, quarto Nonas Maias, ao. 1255, ind. 13.
Als Ganzes ist Polidoros Werk nie gedruckt worden. Doch
hat V. Bindi, Monumenti storici ed artistici degli Abruzzi
1889 einzelne Abschnitte daraus veröffentlicht; S. 695 findet
man das Regest der Urkunde Manfreds.
Polidoro, geb. 1687, gest. 1748, war nach Mommsen
ein Bösewicht, der Inschriften fälschte ^. Auch kennen
wir nur aus seinem literarischen Nachlass das Chronicon
S. Stephani protomartyris ad Rivum- Maris, das man heute
als unecht preisgegeben hat "-. Urkundenfälschungen Poli-
doros sind bisher nicht nachgewiesen, wohl wegen der
Dürftigkeit des vorliegenden Materials : mir sind ausser
kürzeren Excerpten ^ eben nur die von Bindi veröffentlich-
ten Bruchstücke bekannt geworden"*. Jedenfalls ist Vor-
sicht geboten, wenn kein Anderer, als Polidoro, für eine
urkundliche Angabe Bürgschaft leistet^. Freilich meine
1) C. I. L. IX, 278. Eine Lanze für Polidoro hat Bindi 1. c. 911
— 913 gebrochen. 2) Schipa im Archivio p. 1. prov. Napoletane X^
534 — 568. 3) Wie Polidoros "Werk in unseren Tagen für Bindi eine
sehr reiche, aber auch sehr trübe Quelle war, so im Anfang des Jahr-
hunderts für Romanelli. In seinen Scoverte patrie I, 341 veröffentlichte
er Berardi monachi S. Stefani lamentatio de desolatione sui monasterii,
facta per exercitum domini Henrichi regis (1197) et cruce signatorum..
Unmittelbar vorher beruft sich Romanelli auf eine Hs. Polidoros: wahr-
scheinlich ist es gut gewesen, dass deutsche Forscher das Gedicht bisher
nicht gekannt haben. 4) Mommsen benutzte ein Exemplar des Herrn
M. Tafuri in Neapel. Nach Minieri - Riccio, Bibl. stör, topogr. degli
Abruzzi 540 besassen es 1862 dessen Erben. Ich habe mich vergebens
danach erkundigt. Ein anderes Exemplar befindet sich in der Bibliothek
des Herrn G. Bonanni zu Ortona a mare, die leider verschlossen war, als
ich Ortona besuchte. Bindi druckte Bruchstücke, die P. Saraceni in
Chieti, der erste Herausgeber der Chronik von S. Stefano, ihm zur Ver-
fügung stellte. Vgl. seine Mem. degli Abruzzi 351 Anm. 1. 5) Alex-
ander III. soll 1177 dem Kloster S. Giovanni in Venere seine Güter be-
stätigt haben. J.-L. 12790. Die darüber allein vorliegende Notiz ver-
danlvcn wir Bindi, der sich auch für seine Geschichte von S. Giovanni
vornehmlich auf die Hss. Polidoros stützt. Nur aus diesen, wie erwähnt,
kennen war auch die Chronik von S. Stefano, der kein Anwalt mehr das
AVort redet. Hier und in unserer Urkunde begeg-net aber derselbe
böse Fehler. Nach der Chronik wäre der Papst 1177 durch widrige
Winde in Vasto festgehalten worden; zur Begrüssung hätten sich in
V a s t o eingefunden : mit seinem Abte der Verfasser selbst, dann der Abt
von S. Giovanni. Eben für dessen Kloster ist, wie schon gesagt, J.-L.
12790 ausgestellt, und zwar der Chronik entsprechend: in Vasto.
Urkunden u. Forschungen z. d. Regesten d. stauf. Periode. 181
ich darum noch nicht, dass man eine Urkunde schon als
unecht verwerfen dürfe, weil nur er sie überliefert hat :
auch Inschriften, deren Kenntnis wir Polidoro verdanken,
haben vor der Kritik standgehalten.
lieber Handel und Wandel einiger Ortschaften der
Abruzzen soll Heinrich VI. ein Gesetz erlassen und Fried-
rich II. bestätigt haben. Offenbar hat Polidoro die Ver-
leihung des Vaters nur aus der Wiederholung des Sohnes
gekannt. Denn A. L. Antinori, Raccolta di mem. istor.
delle tre provincie degli Abbruzzi 1782 II, 84 fügt zu sei-
nem Auszuge hinzu: Capitnl. Henrici VI. imp. in diplom.
Friderici IL cit. a. 1223. ap. Polidor. Änfiq. Frent. P. I.
Dissert. 10.^ Danach ergeben sich folgende Regesten:
'1196. Heinrich VI. bestimmt, nach welcher Norm
der königliche Richter die Waaren- und Handelsrichter ^
für Ortona ernennen soll und welche Abgaben an den
Fiscus zu entrichten sind; unterstellt dem Hafen von Or-
tona die Häfen S. Venere al Sangro und S. Vito, die in
Hinsicht ihres Handels und ihrer Abgaben von dessen
Beamten abhängen sollen; wahrt aber die Rechte feu-
daler Gewalten; dehnt die Verfügungen auch über den
Hafen von Termoli aus; befreit die Waaren, die zu den
Mai- und September-Märkten, woher immer, nach Lanciano
geführt werden, von allen üblichen Abgaben^.
1223. Friedrich II. bestätigt die Verordnung seines
Vaters' ^.
Man hat 1196 in 1195 geändert, denn damals befand
Heinrich sich in den Gegenden, welchen seine Massregel
Alexander III. hat aber 1177 Vasto gar nicht besucht: inViesti, also
weit von Vasto entfernt, hat er 1177 einen ganzen Monat verbracht. Das
bezeugen ausser den Urkunden bei J.-L. 12778—89. 91. der Biograph
Alexanders und Romuald von Salemo. Aus Vesta = Viesti hatten aber
schon Schriftsteller, deren Werke Polidoro kannte, Vastum, = Vasto ge-
macht. Vgl. Schipa im Archivio p. 1. prov. Napoletane X, 568. 576.
Nebenbei bemerkt, ist in J.-L. 12790 das umgekehrte Verfahren beliebt
worden : Vasto wurde in Viesti verwandelt, und die Urkunde konnte als
echt gelten. Der oben dargelegte Zusammenhang wird eines Anderen
belehren ; die Angabe des Chronisten, der Abt von S. Giovanni sei zum
Papste gekommen, kann dem Privileg, das er heimgebracht haben soll,
nicht zur Stütze dienen ; umso deutlicher zeigt sich, dass ein Autor beide
Fälschungen vollführte. 1) Romanelli II, 274 scheint mir trotz grösserer
Breite und trotz ausdrücklicher Erwähnung Polidoros nur dem Auszuge
Antinoris zu folgen. 2) / giudici de' mercimoni e de' commerci per
terra e per mare. 3) Diese Vergünstigung für Lanciano hat man auf
eine eigene Urkunde zurückgeführt, wie mir scheint, mit Unrecht. 4) Ro-
manelli II, 275 Anm. 1 setzt die Urkunde zu 1225 ; aber 1225 ertheilte
Friedrich II. den Ortonesen, wenn ich nicht irre, ein anderes Privileg.
182 Paul Scheffer-Boichorst.
gilt. Am 27. April 1195 war er in Ortona selbst \ und
wenn sein nächstes Diplom vom 29. April 1196 datiert^
obwohl es offenbar zu 1195 gehört, so kann dasselbe Ver-
sehen auch bei unserem Gesetze begegnet sein.
Die Bestätigung Friedrichs II. reiht sich passend in
den April 1223 ein. Am 24. und 25. begegnet er zu Pes-
cara'-; auf dem Wege von dort nach Foggia berührte er
das Gebiet von Ortona und Termoli oder war doch von
deren Bewohnern leicht zu erreichen.
Der königliche Eichter ist der haiidus, dem geschulte
Eechtskundige zur Seite standen. Diese wurden in Mes-
sina von Heinrich VI. selbst ernannt -^ ; auch findet sich
da keine Trennung der Competenzen, so dass sich Richter
nur für Waaren und Handel nachweisen Hessen. Darüber
mögen jedoch in verschiedenen Städten verschiedene Be-
stimmungen gegolten haben*, zum wenigsten bis 1230, in
welchem Jahre die Constitutionen von Melfi eine einheit-
lichere Ordnung durchführten. Seitdem sollten in allen
Verkehrs- und Gewerksangelegenheiten zwei, vom Bajulo
ermächtigte Männer nach dem Rechten sehen, ohne doch
als Richter zu fungieren.
Wenn nicht Polidoro unser Gewährsmann wäre, würde
ich das Stigma zu St. 4928 ohne Weiteres tilgen und mich
dem Vertrauen von B.-F. 1487 anschliessen.
Wie es scheint, ist es eine andere Urkunde Fried-
richs II., deren zuerst Romanelli 1. c. II, 276 gedacht
hat '" und von der nun bei Bindi 1. c. 706 ein grösserer
Auszug vorliegt und zwar in einer der von ihm mitgetheil-
ten Dissertationen Polidoros. Danach befreite Friedrich
1225 die Ortonesen ab omnihus vectigalibus regiae curiae de-
hitis ratione lignorum, ferri, picis, cannahis et Uni, quae pro
arte navicidaria utüiter et sine gravamine exercenda necessaria
forent, exhihito tarnen priiis ab ipsis pro fraude toUenda fideli
festimonio consnlum artaliimi officialibus ßsci sive colledoribus i
regiis. Praeterea omnihus et singulis aliis pi'ivilegiis et immu- j
nitatibiis potiri ptacifice et quiete volnit, quibus potiri et gaudere j
consueverunt artifices navicidarii Tremitenses ex concessione '
sua vel antecessorum regum Siciliae recolendae memorie. So
Polidoro, wie er sagt, nach der königlichen Urkunde, deren
Original Ortona bewahre.
1) St. 4925. 2) B. F. 1484. 85. 86. 3) S. mein Buch, Zur
Gesch. d. 12. und 13. Jh. 229. 4) In einer Urkunde der Kaiserin
Konstanze begegnen baiuU Calabrie, qui super maritiarios sunt. Pirro,
Sic. sac. 116. 5) Mit der nicht zutreffenden Quellenangabe: Antinori,
JMem. degli Abruzzi ao. 1225.
Urkunden u. Forschungen z. d. Regesten d. staixf. Periode. 183
Im Jahre 1225 befand. Friedrich II. sich mehrmals
in Gegenden, wo die Ortonesen ihn ohne Schwierigkeit
aufsuchen konnten: im Mai und Juni zu Foggia, im Juni
und Jiili zu Troia, ebendort wieder im August, im Novem-
ber und December nochmals in Foggia, Ende des Jahres
das dritte Mal in Troia ^ Noch besser Hesse die Urkunde
sich einreihen, wenn man annehmen dürfte, dass die Kanz-
listen Friedrichs, wie öfter, so auch hier, das Jahr bis zum
folgenden 25. März weitergerechnet hätten. Denn am
(). März 1226 weilte der Kaiser in Pescara, also sehr nahe
bei Ortona -.
Aber es bleibt mir doch ein Bedenken. Organisierte
Zünfte mit Consuln -^ kann ich für Unteritalien weder zur
Zeit der normannischen noch der staufischen Könige nach-
weisen. Zunächst erscheinen sie meines Wissens bei der
Innung der Seehändler, als consoJi in arte del mare. aber
nicht Tor dem 14. Jh.; frühestens in dessen zweiter Hälfte
entstand das Seerecht von Trani, das Consuln der Seehan-
del sinnungen kennt ^. 1395 redet König Ladislaus von den
Consuln der Zünfte in Aquila, freilich als von einer Ein-
richtung, die auch bisher schon bestanden habe •^. Zu Pa-
lermo finden sich Innungsconsuln erst 1403''. Und wenn
auch die Entwicklung des unteritalischen Festlandes der-
jenigen Siciliens vorausgegangen ist, so doch nicht um eine
so grosse Spanne Zeit, wie von 1225 bis 1403 '.
Die Urkunde von 1225 ist den deutschen Forschern
entgangen, wohl aber haben sie auf eine Amnestie von
1230 geachtet. Friedrich IL, sagt Antinori 1. c. II, 97,
habe am 19. November den Lancianesen und Ortonesen,
sowie deren Anhängern und Unterthanen. die Parteinahme
für den Papst nachgesehen^; Eomanelli 1. c. II, 280 setzt
dieselbe Urkunde zum 13. November. Die Verzeihung
würde dem im September geschlossenen Vertrage von Anagni
nur entsprechen, und in einer ziemlich gleichzeitigen
Acte, wodurch Friedrich IL Anwohner des Fucinersees zu
1) B. F. 1559—66. 1567. 68. 1578. 1586c. 88. 1588a. 2) B. F.
1594 c. 95. 3) festiniottio consulum artalium. 4) Goldschmidt, Uni-
versalgesch. des Handelsrechtes I, 178 setzt das Weisthum von Trani zu
1363, Schaube in Quiddes Ztschr. f. Geschichtswissenschaft IX, 231 zu
1453. Goldschmidt vermuthet dann freilich auch schon in dem Consul
des älteren, vielleicht noch dem 13. Jh. angehörenden Theiles der sog.
Tavola Amalfitana den Vorsteher einer Seehandelsinnung. 5) Gothein,
Die Culturentwicklung Süd -Italiens 216. 6) G. Beccaria im Archivio
stör. Sicil. N. S. XXII, 270. 7) Xicht vorhanden sind hier: Orlando,
Delle fratellanze artigiane in Italia, Firenze 1884. und Scherma, Delle
maestranze m Sicilia, Palermo 1896. 8) Danach B.-F. 1840.
184 Paul Scheffer-Boichorst.
Gnaden aufnimmt, besässen v^iv ein treffliches Seitenstück ^.
Leider ist auch hier eine Dissertation Polidoros die Quelle.
Es bleibt eine letzte Urkunde Friedi-ichs II., die dann
wieder, wie es scheint, von deutschen Forschern nicht be-
achtet wurde. Sie gilt aber keiner der beiden Städte, son-
dern dem Erzpriester und dem Capitel von Ortona; und
diesmal werden wir nicht auf die zweifelhafte Autorität
Polidoros verwiesen. Nach Romanelli 1. c. II, 280 nahm
Friedrich II. den Erzpriester und die Canoniker von Ortona
in Schutz und schenkte ihnen aus den Einkünften seiner
Domänen eine jährliche Rente von 2Y., Pfund reinen Gol-
des, von dem jener und diese je die Hälfte erhalten sollten.
Das hätten Ferdinand I. und Pins IL im Jahre 1462 be-
stätigt. Romanelli macht die Mittheilung, nachdem er vor-
her des Privilegs für Lanciano d. d. '1212 April 12, Eom'
gedacht hat. So will er die Verdienste des Staufers um
beide Städte dem Leser vor Augen führen; Gleichzeitig-
keit braucht man darum nicht vorauszusetzen; vielleicht
gar sah Romanelli sich auf datenlose Erwähnungen in den
Urkunden Ferdinands I. und Pins' IL angewiesen.
Die gewonnenen Ergebnisse lassen an Sicherheit viel
zu wünschen übrig; aber bei der Natur des Materials, das
nur aus dürftigen, zumeist der charakteristischen Merk-
male entbehrenden Pegesten besteht, konnte es gar nicht
meine Absicht sein, die Untersuchung abzuschliessen. Ein-
mal wollte ich nur zeigen, dass Ortona imd Lanciano rei-
cher an Urkunden staufischer Herrscher waren oder doch
gewesen sein sollen, als man in Deutschland wusste, dann
hoffte ich, gelehrte Ortonesen und Lancianesen zu weiteren
Forschungen und Mittheilungen anzuregen.
S. Donnino zu Marola.
P. Kehr bemerkt in seinen schätzenswerthen Reise-
berichten -, dass das Archiv der Familie Venturi zu Reggio, in
Beglaubigung des 13. Jh., eine Urkunde Friedrichs IL für das
Kloster aufbewahre. F. Güter bock hat mir gütigst den Text
verschafft, — soweit er lesbar oder überhaupt noch vorhanden
ist. Denn ein grosses Loch hat fünf Zeilen fast ganz ver-
schlungen; überdies sind die Worte an mehr als Einer
Stelle völlig verwischt. Besonders ist der eigentliche In-
halt der Urkunde den Unbilden der Zeit zum Opfer ge-
fallen^: nur soviel lässt sich noch erkennen, dass Fried-
1) B.-F. 1836. 2) Gott. Nachrichten 1897, S. 225. 3) Da aber
der Abt die Urkunde erbittet, so scheint der Schiedsspruch die Nutz-
Urkunden u. Forschungen z. d. Regesten d, stauf. Periode. 185
rieh II. eine gerichtliche Entscheidung bestätigt. Dafür
sind uns die Namen derer, die das Urtheil fällten und
ausfertigten, um so besser erhalten. Das aber ist nicht
unwichtig, weil sich damit für die Competenz des sicili-
schen Grosshofgerichtes auch in Eeichsitalien, die man
seit 1238 nachweisen kann^, ein neuer Beleg ergiebt -.
Friedrich II. bestätigt auf Bitten des Abtes Egidius
das Urtheil über einen Streit zwischen ihm und
seinen Mönchen, das die Grosshofrichter Petrus
von Vinea und Thaddaeus Ton Suessa gefällt und
der Grosshof richter Roffrid von S. Germano und
der Grosshofnotar Angelus von Capua beurkundet
haben.
1239 August, Cremona.
C. Fridericus dei gratia ßomanorum Imperator sem-
per augustus, Iherusalem et Sicilie rex.
Per presens scrijjtum notum facimus universis imperii
fidelibus tarn presentibus quam futuris, quod frater Egidius
venerabilis abbas monasterii Marolensis, fidelis noster, maie-
stati nostre humiliter supplicavit, ut instrumentum publi-
cum, confectum per magistrum Roffridum de Sancto Ger-
mano, magne curie nostre iudicem, fidelem nostrum, et An-
gelum de Capua, notarium actorum eiusdem curie nostre,
de arbitrio et provisione facta de mandato nostro per magi-
strum Petrum de Vinea et magistrum Tadeum de Suessa,
magne curie nostre iudices, fideles nostros, super questio-
nibus habitis inter ipsum et monacos eiusdem monasterii
confirma[remus, rata habentes omnia inj ip[so contenta].
Nos igitur [predicti] abbatis supplicationibus inclinati ^ a
io — — ■ — — — — — - — — — — —
tor^ regalia, que nos et imperium in eodem habent [mona-
sterio], — — — — — — — — — — — — — — —
monasterii^ — - — — — — nie a — — — — — — —
de '' plenitudine [potestatis nostre confirmamus. Ad huius
autem memojriam et stabilem firmitatem presens scriptum
fieri et sigil[lo maiestatis nostrje iussimus confirmari.
Datum Cremone, anno dominice incarnationis mille-
niessuag der Regalien nur ihm zugebilligt zu haben, nicht auch seinen
Mönchen, die einen Theil beanspruchten. 1) Ficker, Forschungen zur
Reichs- und Rechtsgesch. I, 359 und III, 418. 2) Marola Hegt im
Kreise Carpineti, in der Provinz Reggio dell' Emilia. 3) Mit ti be-
ginnt eine neue Zeile. 4) Ebenso mit tor. 5) Mit monasterii.
6) Mit de plenitudine.
186 Paul Scheffer-Boichorst.
simo ducentesimo trigesimo nono, mense Augusto, duo-
decima indictione, imperante quoque domino nostro Tride-
rico secundo, dei gratia Romanorum imperatore semper
augusto, Iherusalem et Sicilie rege, imperii eins anno
nonodecimo, regni Iherusalem quartodecimo, regni vero
Sicilie quadragesimo secundo, feliciter, amen.
Erzbisthum Messina.
Ans einer Urkunde vom 4. September 1262 wussten
■wir, dass König Manfred am 9. August den Roger Boni-
facio und den Richter Jakob von Bufalo beauftragt hatte,
vom 1. September bis auf Weiteres die Güter der erledig-
ten Kirche von Messina zu verwalten und ein Inventar
derselben aufzustellen^. Das Mandat selbst fehlte bisher.
Ich fand eine Abschrift in dem Codex Qq. H. 12. S. 117
der Commnnalbibliothek von Palermo -. Der Text wird um
so willkommener sein, als er z. B. genaue Bestimmungen
enthält, wie die Einkünfte verwandt werden sollten.
Daran schliesst sich S. 118 ein anderer bisher unbe-
kannter Auftrag Manfreds an den Secreten von Sicilien,
den Roger und den Jakob in den Besitz der Kirchengüter
einzuweisen und für deren Inventarisierung zu sorgen-^.
Manfred bestellt den Roger Bonifacio und den Richter
Jakob von Bufalo zu Verwaltern der erledigten
Kirche, in deren Güter sie der Secrete von Sici-
lien Matthaeus Rufulo einweisen soll; verordnet
die Aufstellung eines Inventars in drei Exempla-
ren: für die Verwalter, den Secreten und die Curie;
trifft Bestimmungen über die Verwendung der Ein-
künfte, aus denen auch die Verwalter und ihr
Notar zu besolden seien; befiehlt, das? von 3 zu
3 Monaten Rechnungsablage vor dem Secreten statt-
finde und dass von jeder Ausgabe Quittung ver-
langt werde.
1262 August 9, Messina.
1) Amico, Diplomi della cattedrale di Messina ed. Starraba = Doc. p
servire alla stör, di Sicilia. Serie I. I, 92. Hier werden beide Beauf- I
tragte iudices genannt ; in den folgenden Mandaten heisst allein Jakob
'Richter'. 2) In der Urkunde vom 4. September sind aus dem Inventar
nur Auszüge mitgetheilt ; vollständig ist es, wenn ich nicht irre, in Qq.
H. 12 enthalten. 3) Ein anderer Codex der Communalbibliothek von
Palermo, Qq. F. 71 ohne Seitenzählung, enthält eine unbekannte Urkunde
Friedrichs II. für S. Maria de Milo d. d. aptid Cataniam 1220, 3. tnetisis
Urkunden u. Forschungen z. d. Regesten d. stauf. Periode. 187
Manfridus dei gratia rex Sicilie Rogerio Bonifacio et
iudici lacobo de Bufalo fidelibus snis^ gratiam et bonam
voluntatem.
De fide et diligentia vestra curia nostra plenarie con-
.fidente'* vos super procuratione Messanensis ecclesie nunc
vacantis, quam ratione vacationis ipsius per nostram curiam
procuramus "^ , duximus a mense Septembris proxime futuri
sexte indictionis in antea pro parte curie statuendos'^.
Fidelitati vestre precipiendo mandamus, quatenus bona
omnia ipsius ecclesie, mobilia et immobilia, sub procura-
tione vestra recipientes a Mattheo Rufulo de Ravello
secreto Sicilie pro eodem anno sexte indictionis, fideli
iiostro, cui de assignandis vobis bonis ipsis mandatum ex-
cellentie nostre dirigimus, et factis de receptione ipsorum
tribus similibus scriptis publicis, distincte et seriatim omnia
bona ipsa continentibus, quoruni uno penes vos retento,
alio eidem secreto dimisso et tertio ad curiam nostram
transmisso, ecclesiam ipsam in bonis suis a Kalendis^ pre-
dicti mensis Septembris in antea diligenter et fideliter pro-
curetis, tribuentes de bonorum ipsorum proventibus lumi-
naria et alia necessaria®, que pro divino cultu concernunt
celebrando, ut lionor debitus ibidem reddatur altissimo,
per quem vincimus et regnamus, et divina ibidem* assidue
celebrentur ; canonicis autem et aliis clericis ipsius eccle-
sie, qui vidan4as^ et alia iura consueverunt recipere, et
aliis personis ad servitia deputatis vidandas ipsas et alia
consueta tempore vestri officii ministretis; domos etiam,
vineas, molendina et possessiones ipsius ecclesie de eiusdem
proventibus reparari et excoli diligenter faciatis, ne sub
procuratione vestra deperdantur, sed de bono in melius
augeantur; totum id, quod extractione omnium predictorum
de proventibus ipsis supererit, Maiuotto Palmentario et
Thomasio de Bilici statutis super reparatione eiusdem
ecclesie pro reparatione ipsa, prout per vos percipi con-
tigerit, assignetis. Et ut liqueat, si in procuratione ipsa
diligenter et fideliter duxeritis procedendum, volumus
et mandamus, ut quolibet trimestri tempore ponatis coram
secretis Sicilie, qui erunt pro tempore, debitam ratio-
nem. Insuper cum nolimus vos in servitiis ipsis ex-
a) eins. b) confidens. c) procurationem. d) sfatuendis.
e) necessa. f) ibique. g) vidanda, wie im Italienischen, eine andere
Form für vivanda.
Octobris, Ind. 12., imp. 4., reg. 26. Also offenbar 122-4 ; da ist die Urkunde
nach B. F. 1541 einzureihen. 1) Vgl. S. 179 Anm. 4.
188 Paul Scheffer-Boichorst.
pensis propriis laborare, placet excellentie uostre, nt de
predictis proventibus, dum in officio ipso eritis, qnilibet
vestriim expensas pro se et uno equo debeat inxta avvisam
cnrie retinere. Uni etiam notario, quem vobiscum in eodem
officio habeatis, uncias auri quatnor pro expensis eins per
annnm, dum in officio i23SO erit, de eisdem'^ proventibus
tribuatis, recepturi de Omnibus que solveritis ad vestram
cautelam idoneas apodixas et sie in exercendo officio ipso
diligenter et fideliter procedatis, quod nulla nota vobis ne-
gligentie vel redargutionis possit adscribi, sed ex fideli
executione procurationis ipsius possitis merito comniendari.
Datum per Goffredum de Cosentia*^ apud Messanam
nono Augusti quinte indictionis.
Manfred befiehlt dem Secreten von Sicilien, Mattbaeus
Euf ulo, den Roger Bonifacio und den Eichter Jakob
Bufalo, die er zu Verwaltern der erledigten Kirche
ernannt habe, in deren Güter einzuführen, und
wiederholt die Verordnung über Inventarisierung
und Rechnungsablage.
1262 August 9, Messina.
Manfridus dei gratia [rex Sicilie]'* Mattheo Rufulo se-
creto Sicilie [fideli suo gratiam et bonam voluntatem].
Quia procvTrationem Messanensis ecclesie nunc vacantis
Eogerio Bonifacio et iudici lacobo Bufalo fidelibus nostris
a mense Septembris proxime futuri sexte indictionis in
antea duximus committendam, fidelitati tue [precipiendo
mandamus], quatenus bona omnia ipsius ecclesie, mobilia
et im mobilia, eis facias assignari, f actis de assignatione
ipsorum'* tribus scriptis publicis distincte et seriatim bona
ipsa omnia continentibus, quorum uno penes> te retento,
alio eisdem procuratoribus assignato, tertium ad cameram
nostram transmittas ; et ut liqueat, ut in procuratione ipsa
diligenter et fideliter duxerint procedendum, volumus et
mandamus, ut quolibet trimestri tempore de officio ipso ab
eis recipias debitam rationem.
Datum per GofPredum de Cosentia'' apud Messanam
nono Augusti quinte indictionis.
Moncalieri.
Als Friedrich II. zu Anfang des Jahres 1238 in Pie-
mont erschien, änderte sich schnell die Lage der Dinge.
a) ehisdem. b) Constantia. c) Statt der eingeklammerten "Worte
steht in der Vorlage überall etc. d) ipsius. e) Constantia.
Urkunden u. Forschungen z. d. Regesten d, stauf. Periode. 189
Das Land wurde unterworfen ; an die Stelle der städti-
schen Podestä traten kaiserliche Capitäne, die dem neu-
g-eschaffenen 'Generalvicar von Pavia aufwärts' gehorch-
ten ^ Dafür wurde den Gemeinden ihre guten Gewohn-
heiten bestätigt und etliche Rechtsvortheile gesichert. Wir
haben dahin lautende Privilegien aus dem März 1238, die
Friedrich den Leuten von Chieri, Cuneo, Savigliano - und
Mondovi ^ verlieh. Mit besonderer Gunst behandelte er
die von Moncalieri : ihnen schenkte er, damit sie ihre Schul-
den bezahlen könnten, die Hälfte aller Einkünfte des Ortes.
Schon der erste Capitän, der über Chieri und zugleich
auch Turin gebot, Philipp von Citro^, Connetable von Ca-
pua, wird die Weisung erhalten haben, die Gelder auszu-
zahlen. Jedenfalls ist der zweite, Jonathan von Luco, der
wohl seit dem 1. Januar 1239 die Leitung beider Städte
übernahm, dazu angehalten worden. Es war am 26. Jan.,
dass ihm sein Vorgesetzter, der Generalvicar Manfred Lan-
cia, den Befehl ertheilte, denen von Moncalieri die Hälfte
aller städtischen Einkünfte zu überlassen. Am 17. Februar
empfing Jonathan das Schreiben, nach dem er sich zu
richten versprach.
Lidess hatten sich die Bürger schon früher beim
Kaiser beschwert, dass ihnen die Gelder aus den Einkünf-
ten des Jahres 1238 vorenthalten würden. Da schrieb
Friedrich dem Generalvicar am 12. Februar 1239, er solle
die Kläger durch einen Vergleich zufrieden stellen, für
das laufende Jahr aber die Zahlung der vollen Summe be-
wirken. Dieses Mandat liess Manfred am 15. März beglau-
bigen; den notariellen Act sandte er an Moncalieri.
Die erwähnten Vorgänge, die für die Verwaltung
Italiens, wie Friedrich IL sie seit 1238 durchzuführen be-
gann, nicht ohne Bedeutung sind, kennen wir aus Urkun-
den des Stadtarchivs von Moncalieri, deren F. Gabotto
in seiner interessanten Studie ün comune Piemontese nel
secolo XIII. S. 14 ^ gedacht hat. Den vollen Wortlaut
1) Ficker, Forschungeu zur Reichs- u. Rechtsgesch. Italiens II, 497.
2) B. F. 2321. 22. B. F. W. 14730 bis. 3) Mein Buch, Zur Gesch. des
12. u. 13. Jh. 396. 4) F. Gabotto, Un comune Piemontese nel secolo
Xlll., S. 13 hat ihn aus einer ungedruckten Urkunde als Capitän von
Moncalieri nachgewiesen. Gabottos Vermuthung , dass zugleich auch
Turin ihm unterstellt war, bestätigt die Urkunde bei San Quiutino Osser-
vazioni critiche sopra alcuni particulari delle storie del Piemonte e della
Liguria II, 221. 5) Durch ein merkwürdiges Missgeschick sind hier
viele Daten falsch angegeben : statt 14 liiglio lies murzo ohne Tag, statt
12 fcbhraio lies 22, statt 18 marzo lies 15, statt 16 marzo lies 17 feb-
braio.
190 Paiü Scheffer-Boichorst.
verdanke ich Herrn Dr. E. Scliaus; die erste entnahm
er dem Original, die zweite Abschriften des 13. Jh,
Generalvicar Manfred Lancia befiehlt dem Jonathan
von Luco, kaiserlichem Capitän von Turin und Mon-
calieri, den Leuten von Moncalieri, wie der Kaiser
es angeordnet habe, die Hälfte aller städtischen
Einkünfte zu überlassen, damit sie ihre Schulden
tilgen könnten.
1239 Januar 26, Turin.
Zwei Richter übergeben obigen Brief dem Capitän
Jonathan, der danach sich zu richten verspricht.
1239 Februar 17, Moncalieri.
Anno domini millesimo 239, indictione 12 in Monca-
lieri die lovis, 13. Kai. Marcii, dominus Castagna et domi-
nus Mainfredus iudices de Moncalieri presentaverunt literas
quasdam sigillatas sigillo domini Mainfredi Lancee mar-
chionis, domini imperatoris vicharii generalis a Papia supe-
rius, ex parte ipsius marchionis domino lonathe de Luco,
imperiali capitaneo Taurini et Montiscalerii. Quarum tenor
talis est:
Viro nobili et discreto, domino lonathe de Luco, im-
periali capitaneo Taurini et Montiscalerii fideli suo, Main-
fredus marchio Lancea, sacri imperii a Papia superius
vicharius generalis, salutem et amorem sinceram*^. Cum de
mandato domini imperatoris procedat, ut comune et homi-
nes Montiscalerii habeant et percipiant medietatem proven-
tuum et redituum eiusdem loci, tam molandinorum quam
aliarum rerum, auctoritate qua fungimur vobis precipiendo
mandamus, quatenus eisdem dimitatis*^ libere et quiete me-
dietatem proventuum et redituum molandinorum et alia-
rum rerum predicti loci Montiscalerii [pro^] persolvendis
et sanandis eorum debitis. Datum Taurini 26. lan. 12. in-
dictionis. Quas literas dictus capitaneus recepit dicendo
et protestando [se^ vjelle parere et obedire mandatis domini
imperatoris et ipsius marchi[onis''].
Testes ibi fuerunt rogati Gucius de Romano, Bergun-
dius Sacus, Grebaudus notarius et plures alii.
Et ego Palmerius Gatus palatinus notarius rogatus
interfui et hanc cartam scripsi.
a) Sic. b) Loch im Pergament.
Urkunden xi, Forschungen z. d. Regesten d. stauf. Periode. 191
Friedrich II. befiehlt seinem Geueralvicar Manfred
Lancia, den Leuten von Moncalieri, die wegen
Hinterziehung' geklagt haben, fortan die ihnen ge-
schenkte Hälfte der städtischen Einkünfte voll
zahlen zu lassen und sie wegen der aus dem Jahre
1238 rückständigen Hälfte durch Vergleich zufrie-
den zu stellen.
1239 Februar 12, Padua.
Manfred Lancia lässt obigen Brief notariell beglau-
bigen.
1239 März 15, Albenga.
Anno domini millesimo 239, indictione 12, die Martis,
15. intrante Martio dominus Mainfredus marchio Lancea,
domini imperatoris a Papia superius vicarius generalis*^,
precepit mihi infrascripto notario, ut autenticarem quas-
dam litteras imperiales et in publicam formam tenorem
earum redigerem, ut j)erpetuam de cetero obtineant firmi-
tatem. Tenor quarum talis est:
Fr[idericusJ dei gratia Eomanorum imperator semper
augustus, lerusalem et Sicilie rex, Mainfredo marchioni
Lancee, sacri imperii a Papia superius vicario dilecto fideli
suo, gratiam suam et bonam voluntatem. Ex querela homi-
num Montiscalerii nostrorum fidelium nostra serenitas in-
tellexit, quod, cum mandaverimus eisdeni dari medietatem
proventuum Montiscalerii pro eorum debitis persolvendis,
medietatem proventuum anni preteriti habere minime potue-
runt. Quare fidelitati tue precipimus et mandamus, qua-
tenus predictam medietatem proventuum iuxta mandatum
nostrum predictis hominibus de cetero facias cum integri-
tate persolvi; de reliqua medietate anni preteriti, quam
non habuerunt ut asserunt, cum eisdem taliter componere
debeas, ut sibi satisfactionem sentiant et ulterius conqueri
non cogantur. Datum Padue 12. Februarii, 12. indictione.
Que littere sigillate erant et munite sigillo dicti impe-
ratoris, ut vidi et legi ego infrascriptus notarius.
Actum est hoc in civitate Albenchensi, videlicet in
curia domini episcopi. Testes ibi rogati fuerunt dominus
Vital de Versa, dominus Gotefredus iudex, dominus Con-
radus Beccutus, dominus Robaudus Bassus. Ego Bergun-
dius de Romano notarius precepto dicti domini M[ainfredi]
rogatus hoc scripsi.
a) Fehlt 1. hnperiaUs 2. 3, der officielle Titel ist generalis.
192 Paul Scheffer-Boichorst.
S. Maria zu Picciano.
E. Winkelmann hat für seine Acta imperii inedita
eine reiche Quelle entdeckt, die Processi di regio padro-
nato, die in 47 starken Bänden das Staatsarchiv zu Neapel
aufbewahrt. Doch konnte er die Sammlung bloss bis zum
327. Process ausbeuten^; ich habe noch einige spätere
durchgenommen, freilich ohne grossen Gewinn. Nur in
1069 Process 419 Seite 17 fand ich die Abschrift einer
ungedruckten Urkunde Friedrichs II. für S. Maria zu Pic-
ciano ^. Er ertheilte sie als König im October 1219'^; als
Kaiser hat er sie, wie man allerdings nur aus einem dürf-
tigen Citate vermuthen kann, im Mai 1221 wiederholt^.
Friedrich II. beschützt den Abt Hector, seine Nach-
folger, das Kloster, die Mönche und alle Güter;
bestätigt ihnen ihren ganzen Besitzstand ; gestattet
ihnen Annahme von Schenkungen, nur nicht aus
lehensrühriger und dienstpflichtiger Habe.
1219 October, Hagenau.
Fridericus secundus divin a favente dementia Roma-
norum rex semper augustus et rex Sicilie.
Que^ salutis eterne sint premia regum et principum
apud deum^, cogitandum est regibus, et liberaliter iuvan-
dum°, divine retributionis intuitu et pro eterne vite reme-
dio, ad ditandas ecclesias et dotandas, ut per'^' temporalia
et caduca lucrentur celestia et adipiscantur eterna. Qua
sane consideratione inducti presentes et® futuros Christi
fideles scire volumus per presentes, quod nos considerantes
religionem et honestatem fidelium nostrorum, Hectoris
abbatis monasterii sancte Marie de Piczano et fratrum ibi-
dem existentium, deo militantium, ob remedium animarum
felicium regum et divorum augustorum parentum nostro-
rum recolende memorie et pro salute nostra, dictum abba-
tem, successores suos, monasterium et fratres et omnia
bona sua sub speciali maiestatis nostre protectione et de-
a) quid — sunt. b) deiim et. c) mercedem. d) pro. q) pre-
sentes et fehlt.
1) Neues Archiv III, 650. 2) Der Ort liegt östlich von Penne,
am rechten Ufer des V^erdario. Ueber die Gründung vgl. Bindi, Mon.
degli Abruzzi 586 Anm. 1. 3) Herr Generaldirector B. Capasso hatte
die Güte, mir eine Abschrift besorgen zu lassen. 4) Antinori, Mem.
degli Abbruzzi II, 92 = B. F. 1335. Soweit ich mich erinnere, war diese
Urkunde in 419 nicht enthalten.
Urkuuden u. Forschimgen z. d, Regesteu d. stani. Periode. 193
feusione recepimus. conürmantes eorum omnes possessiones
et bona, que ex concessione regum, largitate comitum seu
baronum et ex dono quorumlibet Christi fidelium inste et
rationabiliter sunt adepti seu iusto titulo dante doniino in-
antea poterunt adipisci. Concedimus insuper, ut libere
possint accipere quaseumque possessiones et bona, que
Christi fideles ipsi monasterio devote obtulerunt, ita tarnen
quod non sint de feudis seu ad^ Servitutes obligata, exi-
mentes monasterium nominatum ab omni inquietatione ex-
actionis et^ indebita molestatione comitum et baronum et
aliorum^\ qui ipsum, fratres et bona sua perturbare aut
inquietare iniuste presumpserint. Statuimus et presentis
privilegii auctoritate mandamus, ut quecumqne persona
alta vel humilis, ecelesiastica vel secnlaris contra hanc
nostram protectionem et confirmationem ausu temerario
venire presumpserit. viginti libras auri componat. quarum
medietas camere nostre, altera vero passis iniuriam per-
solvatur. Ad huius autem rei memoriam et inviolabile
firmamentum presens Privilegium regale*^ fieri fecimus si-
gillo nostre celsitudinis roboratum anno, mense et indic-
tione subscriptis'^
Data apud Hagenove anno dominice incarnationis
millesimo ducentesimo nono. mense Octobris octave indie-
tionis. regnante domino nostro Friderico secundo, dei gratia
illustrissimo Eomanorum rege semper augusto et rege Si-
cilie. anno Romani regni eius in Germania septimo et in
Sicilia vigesimo secundo, feliciter, amen.
Capitel S. Zeno zu Pistoia.
Das Original befindet sich im Florentiner Staatsarchiv.
Hiernach hat Ficker die Urkunde herausgegeben^. Eine
mir vorliegende Abschrift, die H. Pabst für die Monu-
menta Germaniae besorgte, zeigt nur geringfügige Abwei-
chungen. Fast überall grleiche Lücken! Die Schlussworte
nämlich aller Zeilen sind unlesbar geworden. Ficker hat
zahlreiche Ergänzungen vorgenommen, aber noch immer
zu wenige : mehr als einmal bleibt der Text unverständ-
lich. Also habe ich einen neuen Versuch zur Wieder-
herstellung gemacht: die jedesmaligen Angaben Pabsts,
dass uno-efähr so- und soviele Buchstaben verschwunden
a) Fehlt. b) illornm. c) reale. d) subscripia.
1) Forschungen zur Reichs- und Rechtsgesch. Italiens IV, 182.
Xeues Archiv etc. XXIV. 13
194 Paul Scheffer-Boichorst.
seien, haben mir dabei zur Norm gedient ; doch wer ver-
mag zu sagen, wie viele Abkürzungen der Schreiber be-
liebt habe? Schon deshalb kann ich mich nicht für jedes
einzelne Wort verbürgen. Nur über den Sinn wird man
hoffentlich nicht mehr zweifeln.
Reichslegat Christian, Erwählter von Mainz und Erz-
kanzler von Deutschland, nimmt auf Bitten seines
lieben Freundes, des in Treue erprobten Erzpriesters
Homodei, das Capitel und dessen Besitzungen in
des Kaisers und seinen Schutz.
1165 nach Mitte September^, S. Genesio.
Cristianus dei gratia imperialis aule [legatus, Mogun-
tine sedis eljectus, totius regni Teutonici archieancellarius,
[in perpetuum, amen.]
Inter cetera imperialium virtutum preclara insig[nia'*,
velut sidus aureum et gemma]** clarissima, fulget in prin-
cipe digna mer[itorum retributio et sanctarum] ecclesiarum
dei protectio'^. Nos vero, qui nunc imperatorie [maiestatis
vice fungimur], notum facimus universis imperii fidelibus
per Tusciam consti[tutis, presentibus et futuris], quod nos
canonicam sancti Zenonis in Pistorio*^ [et omnia bona et
possessio]nes suas, quas modo rationabiliter habet ant hab[i-
tura est in posterum], petitione dilecti amici nostri Homi-
nisdei, eiusdem ecclesie [sancti Zenonis veuerabilis] archi-
presbiteri, cuius preclara fides circa ecclesiam dei et [Impe-
rium comprobata est, in] imperialem protectionem et
nostram omni tempore pro[tegenda*' suscepimus, auc]tori-
tate imperiali et nostra, per debitum fidelitatis et [sub pena
100 marcarum^ ar]genti omnibus, ad quoscunque presens
pagina legen[da pervenerit, precipijentes, quatenus de cetero
nulla persona magna vel par[va predictam ecclesiam in
bojnis et possessionibus suis molestare vel inquietare^
a) insig Pabst. b) Parallelstellen anzuführen wäre zu umständ-
lich ; meist standen mir deren zur Verfügung. c) protect Ficker.
d) Pistorie P. e) pro P. ; dass ein Wort, wie das eingesetzte, zu er-
gänzen ist, versteht sich von selbst ; sonst heisst es wohl omni tempore
defendenda. f) Ich habe die Summe hier eingesetzt, obwohl sie nun
in der Strafformel nochmals erscheint ; mein Verfahren rechtfertigt eine
Urkunde vom 14. Februar 1165, oben S. 132. g) inquieta P.
1) lieber die Zeit vgl. Ficker a. a. O., danach kann Christian seine
Wahl zum Erzbischof nicht vor October erfahren haben, also auch erst
in der 14. Indiction, die mit dem 1. September 1165 anhub.
Urkunden u. Forschungen z. d. Regesten d. stauf. Periode. 195
[audeat. Per idem fidelitatis] debitum et sub eadem pena*^,
ut quicunque'^ de [rebus ecclesie aliquid dejtinet aut mo-
lestiam ei intulerit, infra*^ [40 dies tertio vocatus] restituat
et emeiidet. Si quis vero contra hanc nostram institutio-
nem*^ [fecerit, sub banjno domini imperatoris positus penam
centum marcaruni [argenti persolvat], dimidium fisco impe-
riali et dimidium predicte c[anonice*^ eiusque archipres-
bitero].
Datum apud sanctum Genesium anno domini 1165,
indic[tione XIIII.]
S. Maria zu Pog-liola.
Stumpf und Böhmer-Ficker haben die folgenden Ur-
kunden nicht verzeichnet. Das Werk, in dem sie gedruckt
sind, muss sehr selten sein ; auf verschiedenen Bibliotheken
Italiens hat Sc haus es vergebens gesucht; namentlich
fehlt es auch in der reichsten Sammlung italienischer Orts-
geschichten, in der des Freiherrn von Platner, die mit dem
deutschen archäologischen Institut in Rom verbunden ist ^.
Es findet sich im britischen Museum, und aus dessen
Exemplar hat Karl Hampe mir beide Stücke abge-
schrieben. Danach wird ein Neudruck willkommen sein.
P. Nallino di Mondovi heisst der Autor, der 1788 in
seinem Buche II corso del fiume Pesio II, 218. 225 unsere
Urkunden nach den — wie es scheint — jetzt verlorenen
Originalen veröffentlichte. Die erste ist in der zweiten
wiederholt; Nallino hat sie in beiden Fassungen mit-
getheilt; an einzelnen Stellen verdienen die Lesarten im
Drucke des Insertums offenbar den Vorzug. Leider hat
Nallino nur die Zeugen der ersten, nicht auch der zweiten
bekannt gemacht. In Hinsicht auf diese begnügte er sich
mit einer allgemeineren Angabe, die er dem Texte hin-
zufügte.
Noch sei bemerkt, dass das Kloster 1176 gegründet,
1180 eingeweiht und 1592 nach Carassone verlegt wurde.
Pogliola, wie Carassone, sind Ortschaften des Kreises
Mondovi.
a) sc. x>recipintus. b) quicquid F.; quicq; P. c) inP. d) in-
stitu P. e) c F.
1) Katalog der Bibliotheca Platneriana, Rom 1886. Supplemente
al catalogo della Bibl. Platn., Roma 1894.
13*
196 Paiü Scheffer-Boichorst.
JFriedrich I. beschützt das Kloster mit Personen iind
Sachen.
1186 Mai 17, Mailand.
Federicus dei g-ratia Romanorum Imperator et semper
augustus. Pietas imperialis clementie ab officio maiestatis
nostre reqnirit, ut ecclesias^ dei et religiosas personas in
suo iure conservemus et sub protectione virtutis et nostre
clementie eas foveamus. Quapropter notum facimus uni-
versis imperii fidelibus presentibus et futuris, quod nos
monasterium de Poliola et personas inibi divinis obsequiis
mancipatas et mancipandas servare et eins bona, que nunc^
habent vel imposterum inste poterunt adipisci, sub pro-
tectione nostra et defensione suscepimus, statuentes et im-
periali auctoritate sancientes°, ut nulla persona parva vel
magna, secularis vel ecclesiastica, j)redictuni monasterium
aggravare audeat vel in rebus suis aliquatenus '^ perturbare.
Quod qui fecerit, 20 libras auri puri pro pena componat,
dimidium imperiali camere et reliquum iniuriam passis.
Huius rei testes sunt Gulielmus Astensis episcopus\
Bonifacius Novariensis episcopus, Godefredus® imperialis
aule cancellarius, frater Theodoricus -, Rodulf iis camerarius.
Datum Mediolani anno dominice incarnationis 1186,
16. kal. lunii.
Friedrich II. bestätigt dem Kloster auf Bitten der
Priorin Bonacosa das eingerückte Privileg Friedrichs I.
vom 17. Mai 1186 und gewährt überdies Holzungs-
und Weiderecht in öffentlichen Wäldern, bezüglich
auf öffentlichen Weiden.
1238 April Turin.
Federicus dei gratia Romanorum Imperator semper
augustus, lerusalem et Sicilie rex.
Per presens scriptum notum facimus universis imperii
fidelibus, tarn presentibus quam futuris, quod Bonacosa vene-
rabilis priorissa monasterii sancte Marie de Poliola fidelis
nostra pro parte sua et conventus eiusdem monasterii
a) ecclesiam 1. b) vel 1. c) stat. imp. aiict. sanctionem 1.
d) aliquem 1. e) Gofrediis 1.
1) Nach E. Morozzo della Rocca, Le storie dell' antica cittä dei
Monteregale ora Mondovi I, 233 wäre die Urkunde auch erlassen ; a
richiesta dl GiigUelmo vescovo di Ästi. Das entspricht aber nicht den
beiden Drucken Nallinos, auf die allein Morozzo sich doch beruft. 2) de
Silva benedicta.
Urkunden n. Forschungen z. d. Regesten d. stauf. Periode. 197
nostre celsitudini humiliter supplicavit, quatenus quoddam
protectionis scriptum indultum eidem monasterio a dive
recordationis augusto imperatore Federico, avo nostro, de
verbo ad verbum trauscribi et de nostra confirmare gratia
dignaremur. Cuius teiior per omuia talis est: Es folgt die
Vrhtnde Friedrichs I. Nos igitur eiusdem priorisse suppli-
cationibus favorabiliter annuentes considerata feminei sexus
impotencia et religioue, que in eodem monasterio conser-
vatur, predictum scriptum de verbo ad verbum transcribi
et innovari mandavimus, tam ipsum quam ea que conti-
nentur in eo de innata dementia confirmantes. De uberiori
quoque gratia intuitu divine retributionis inducti conce-
dimus, quod liceat sibi et successuris*^ eidem pro eiusdem
monasterii oportunitatibus incidi facere ligna in nemoribus,
que sunt ubique comuni usui deputata, et uti comunibus
pascuis pro animalibus monasterii, quod nulli preiudicium
vel incomodum generet. Ad lauius autem rei memoriam
presens scriptum sibi fieri et sigillo maiestatis nostre iussimus
communiri.
Datum apud Taurinum, anno dominice^ incaruationis
millesimo ducentesimo trigesimo octavo, mense*^ Aprilis un-
decime indictionis ^.
S. lohann Evangelista zu Ravenna.
Der Sammlungen Scalabrinis wurde schon gedacht;
einem von ihm geschriebenen Codex entnahm ich, den Mit-
theihmgen Klinkenborgs folgend, die oben gedruckte Ur-
kunde Friedrichs 1. für S. Stefan zu Bologna. Eine andere
Frucht von Scalabrinis Fleiss ist n. 232 der ßiblioteca dello
studio publico zu Ferrara. Auf diesen Band hat ebenfalls
Klinkenborg unsere Aufmerksamkeit gelenkt, aber das
Diplom Friedrichs I., das ich daraus veröffentliche, ver-
misst man in seiner Inhaltsangabe -. H.Bloch fand es
auf S. 35 des 12. Quaternio; er besorgte mir in gewohnter
Grüte auch eine Abschrift.
I a) successoris. b) divine. c) mensis.
! 1) Nallino fährt fort : La pergamena di questo diploma imperiale e
j sottoscritta da prencipi di casa Savoja, da Manfredo marchese di Laniito,
r ricario generale in lialia, daW imperatore e da altri. Mit der Unterschrift
I des Kaisers ist wohl das Monogramm gemeint ; di Lanuto muss in di
' Lancia geändert werden : Manfred Lancia würde hier zuerst in kaiser-
licher Urkunde vicwiiis generalis a Papia super ins genannt sein. 2) Nach-
richten der k. Gresellsch. der AVissensch. zu Göttingen, 1897, S. 356 Anm. 1.
198 Paul Scheffer-Boichorst.
Die Vorlage Hess zu wünschen übrig ; vor Allem fehlte
das Datnm. Indess ist die Urkunde unzweifelhaft um die Zeit
des Friedens von Venedig ausgestellt : nur damals fanden
sich die Zeugen insgesamt am Hofe Friedrichs I., auch
der Propst Otto von Aachen; denn wer sonst sollte der
in der Historia ducura Veneticorum genannte Otto Ächer-
gensis prepositus sein?^ Er war mit 160 Mann gekommen,
er war offenbar ein mächtiger Herr, ein Reichspropst. Die
Frage des Herausgebers : Achherg in Württemberg ? wird man
ruhig verneinen können ; aber seine andere Vermuthung : an
legendum Aquensis ? trifft das Richtige ^. Doch gehört das
Diplom nicht in die Tage von Venedig selbst, ebensowenig
in die ihnen folgenden : einige Wochen vor Beginn des Con-
gresses war der Zeuge Hermann von Bamberg aus dem
Leben gegangen, am 12. Juni ^.
Kaiserurkunden für S. Johann Evangelista haben
bisher im Druck nicht vorgelegen. Sicherlich werden zu
der Friedrichs I. andere hinzukommen. Schon wissen wir,
dass der Unterbibliothekar der Ciassense zu Ravenna,
S. Bernicoli, in Abschriften des 15. Jh. gefunden hat: 'ein
Diplom Konrads II. von 1037 April 16 Ravenna und ein
Placitum Heinrichs III. von 1047 April 7 Ravenna' *. Dazu
möchte ich die folgende, wenigstens uns Deutschen ent-
gangene Notiz über ein Privileg Ottos I.^ die sich in dem
Werke eines älteren Ravennater Forschers findet, allge-
meinerer Beachtung empfehlen : 'La hadia fii onorata di
nohili privilegi da Ottone re di Germania, menire portatosi
in Italia, per ricevere la corona imperiale, fu in Ravenna :
Vanno 962'«. |
Friedrich I. erneuert dem Kloster seinen früheren
Schirmbrief; bestätigt ihm die jetzigen und zu-,
künftigen Besitzungen; gewährt ihm die Gerichts-:
barkeit in den genannten Orten; verbietet alle Er-I
hebungen, aber unter Wahrung der kaiserlicheni
Gerechtsame.
(1177 vor Juni 12.)
1) MG. SS. XIV, 87. 2) Zu 1177 stimmt auch: imperii Romam]
fidelibtis, vgl. oben unter 'S. Maria del Monte zu Cesena' S. 162 Anm. 4J
stimmt ferner: festes quoque placuit apponi, vgl. z. B. St. -4192. 97.;
211. 28. 3) Freilich wäre er nach Hist. duc. Venet. 1. c. 85 noch Theil-|
nehmer am Friedensschluss gewiesen. 4) Nachrichten a. a. 0. 190 Anm. 3i
5) Uebrigens ist keine der erwähnten Urkunden in den Mem. d'istromj
di S. Giov. evang. bei Fantuzzi, Mem. Raven. V, 486—88 aufgeführt
6) G. Fabri, Le sacre memorie di Ravenna 1664, S. 208. '
Urkunden u. Forschungen z. d. Regesten d. stauf. Periode. 199
In nomine sancte et individue trinitatis. Fredericus
divina favente dementia Eomanorum imperator augustus.
Notum facimus omnibus Christi et*^ imperii Romani
fidelibns presentibns et fiituris, quod nos eterne retribu-
tionis intuitu atque petitione venerabilis abbatis Placiti
dilecti^ nostri ecclesiam sancti lohannis evangeliste, in civi-
tate Ravenne sitam, speeialiter '^ in nostram suseepimus
protectionem, sicut et scriptum eidem ecclesie a nobis ante
collatum poterit protestari. Nunc vero eadem dementia
nostra erga eandem ecclesiam'^ et fratres inibi deo famu-
lantes adaucta® prefatam susceptionem reeentiori privilegio
renovamus et, quicquid eadem ecclesia largitione ecclesia-
sticorum vel secularium^ principum vel aliorum quorum-
libet hominum traditione nunc suscepisse tenereque et
possidere videtur vel in posterum favente deo legitime et
rationabiliter adipisci poterit, concedimus firmitatis robure«
in omni quiete de cetero possidendum. Confirmamus autem
et'^ ex nostre benignitatis munificentia damus et concedimus
eidem ecclesie et iam dicto eius abbati suisque in perpe-
tuum successoribus omne placitum ac omne districtum de
universis possessionibus, quas ipsa ecclesia nunc habet vel
postmodum habebit tam in terris, quam in earum habita-
toribus. De quibus hie suis nominatim exprimenda voca-
bulis dignum duximus, scilicet districtum et placitum de
tota villa Barisani, de tota Calbella et de Roura tota, de
toto loco sancti Gervasii ab utraque parte fluminis ^ et de
tota villa, que dicitur Publicum, ac de toto loco, qui di-
citur sanctus Blasius de Buccadari, et de omnibus posses-
sionibus, quas eadem ecclesia habet per diversa loca in plebe
sancte Marie in Portu, et de tota villa, que dicitur Nisigali ^ ,
et de reliquis eidem nunc ecclesie vel in posterum perti-
nentibus. Preterea sancimus statuentes, ut nulla potestas
ecclesiastica vel secularis vel alicuius civitatis consulatus
nee aliqua persona magna sive parva nomine fodri seu ali-
cuius collecte aut publicarie aut angarie vel perangarie a
predicta ecclesia eiusque possessionibus et hominibus re-
quirat vel accipiat exactiones, salva per omnia imperiali
iustitia, quam nobis ipsis, certis nuntiis ad eandem exi-
a) Fehlt. b) di Sacti. c) dudit. d) frem. e) adauctam.
f) eccl. secul. vel princ. g) conceder firmitati rohur. h) cii ei. i) N
unsicher.
1) Savio. Auch in der Urkunde Eugens III. J.-L. 8809, an deren
Wortlaut der Satz De quihus — parte fluminis anklingt, ist der Fluss
nicht g-enannt.
200 Paul SchefEer-ßoichorst.
gendam specialiter delegatis, exhiberi volumus. Si quis
autem ausu temerario contra huius nostre institutionis pre-
ceptum coiitravenire presumpserit, penam 50 librarum
auri coiiponat''^, quarum media pars fisco nostro, residua
prefate ecclesie et eins abbati persolvatnr. üt vero huius
nostre clementie confirmatio seu donatio predicte ecclesie
rata'^, stabilis et inconvulsa semper permaneat, presentis
privilegii paginani fecimns conscribi et nostre maiestatis
sigillo insigniri.
Testes quoque placuit apponi, qui sunt: üolricus'^
Aquileiensis patriarcha, Arnoldus Trevirensis archiepi-
scopus, Herimannus Babenbergensis'^ episcopus, Garsidonius
Mantuanus episcopus, Otto prepositus Aquensis, Liupoldus
dux Austrie, Henricus marscalcus, Cunradus*^ pincerna et
quamplures alii.
Ego Gotefredus imperialis aule curieque cancellarius
vice Philipi Coloniensis archiepiscopi et Italici regni arclii-
cancellarii recognovi.
Signum domni Frederici Romanorum imperatoris in-
victissimi.
Erzbisthum Eegg'io di Calabria.
lieber ein Privileg, das Heinrich VI. dem Erzbischof
ertheilte, handelt Spanö - Bolani, Storia di Reggio II, 238
ed. I*^, II, 379 ed. II''': Ä Guglielmo arcivescovo di Reggio
V Imperator e Arrigo VI., con iwivüegio dato da Messina nel
Fehhraio del 1195, concesse la contea di Bova, la terra d'Africo,
la haronia di Castellace ed altri heni nella pianura di S. Mar-
tina presso Terranova, concessione, che fu poi confermata da
Federico II. Assicura il canonico Nava, d'aver vedtito e letto
coi suoi occhi questo pi'ivilegio in carta pergamena, che nel
17. secolo fu esihito alla regia camera della sommaria nella
circostansa, che i Bovesi volevano negare il mero e misto im-
perio — ■ come suol dirsi — all' arcivescovo Reggino. Acten
der Camera della sommaria befinden sich in Neapel; aber
die Urkunde für Erzbischof Wilhelm wurde nicht gefun-
den. Hoffnungen auf Reggio zu setzen, würde nach den
Worten Bolanis nur zu Täuschungen geführt haben. Aber
immerhin wollte ich mir Sicherheit verschaffen. Die Nach-
forschungen an Ort und Stelle, bei denen mich der kun-
dige Archivar des Erzbischofs, Dr. P. Dattola, aufs Ge-
fälligste unterstützte, blieben denn auch ohne Erfolg,
wenigstens insofern es sich um den ganzen Wortlaut der
a) condenar. h) orta. c) Ldovkus. d) Baburgensis. e) Girandus.
Urkunden u. Forschungen z. d. Regesten d. stauf. Periode. 201
Urkunde handelte. Wohl aber fand ich einen Auszug-, der
uns die Zeugen kennen lehrt. Im Museo civico zu Reggio
wird eine ältere handschriftliche Geschichte der Stadt auf-
bewahrt; Spagnolio, De rebus Rheginis. Da heisst es
lib. X, cap. III, pag. 128: diplomate, a quo aureum imperiale
sigillum pendehat, Messanae dato 3. holend. Februarii 1195,
civitatis JBovae comitatum cum arce, Africi pagum, Castellacium
oppidum aliaque bona pleno iure largitus est (sc. Henricus
imperator Guillelmo archiepiscopo) . Paternam donationem
ratam hahiiit Fridericus secundus imperator privilegio dato
anno 1212. Von dieser Bestätigung ist weiter keine Rede;
mit Bezug auf Heinrichs Verleihung fährt Spagnolio fort:
Gm suhscripsere quatiior archiepiscopi Matthaeus Capiiae, Ric-
cardus Messanae, Angelus Tarenti^, Bonhomus Cosentiae;
Sanctius Syracusariim episcopus ; Bonifacius ^ Montisferrati
marchio; Conradus dux Spoleti; Pliilippus eiusdem imperatoris
frater et cdii quam plures'^.
S. Peter und Andreas zu Rivaita.
Von den königlichen Privilegien für das Kloster hatten
wir bisher recht dürftige Kunde. Aus Angaben della
Chiesas wussten wir, dass Heinrich VI. sich 1196 den
Mönchen gnädig erwiesen hat, dass Otto IV. 1210 seinem
Beispiel gefolgt ist ^. Weiter Nichts ! Da freue ich mich
nun, die Lücken ausfüllen zu können. In einem Copial-
buch der Abtei, welches das Turiner Staatsarchiv besitzt,
— Abbadia Rivaita Categoria I. Mazzo I. — fand ich nicht
blos die erwähnten Urkunden von 1196 und 1210, sondern
noch eine weitere von 1219. Ich lasse die Texte folo-en.
1) Handschrift : Riccardus Angelus Messanae. 2) Palaeologiis hat
Spagnolio hinzugefügt. 3) 1590 schrieb 0. Pasqua Vitae episcop. eccl.
Hieraciensis, im Anhang zu C. Rossi, Const. et acta synodi Hieraciensis,
Napoli 1755 p. 278 : vor 395 Jahren habe Heinrich VI. Bova und Städte
in der Ebene von Terranova ob praeclara merita Gulielmi huius nomm/'s I.
archiepiscopi augitstali diplomate, cui sigillum aureum pendehat, der Kirche
von Reggio geschenkt. Das habe Alfons I. bestätigt, und als Erzbischof
Paulus 1448 nach Gerace gekommen sei, Alfonsi Privilegium in tabulas
publicas redigi curavit. Leider ist mir die Notiz zu spät bekannt ge-
worden, als dass ich ihr hätte nachgehen können. Nebenbei bemerkt,
trügt Pasquas Buch die Ervi^artungen, die Winkelmann im N. A. III, 630
daran geknüpft hat. 4) ab Ecclesia S. R. e. card., archiep., ep. et abbat.
Pedemontanis regionis chrou. bist. 253. Die Urkunde Ottos IV. erwähnt
auch Ughelli, Ital. sac. IV, 1052. Vgl. St. 5033. B.-F. 415. Wenn hier
aber vermuthet wird, dass ein Privileg Friedrichs II. vom 6. April 1217
eine Wiederholung des Ottonischen sei, so ist das Kloster S. Maria zu Ri-
vaita di Scrivia mit unserem Kloster verwechselt worden. Cf. AVinkel-
mann. Acta imp. I, 120.
202 Paul Scheffer-Boichorst.
Heinrich VI. beschützt auf Bitten des Propstes Bo-
nald von Rivaita ihn und seine Kirche und er-
mächtig-t ihn und seine Geistlichkeit, durch einen
Stellvertreter den Gefährdeid zu leisten.
1196 Juli 29, Chivassoi(?).
Henricus dei gracia Romanorum Imperator semper
augustus et rex Sicilie. Ad presentis vite statum prosperum
atque beatitudinis eterne requiem adipiscendam nobis plu-
rimum speramus proficere, si hiis operam dedimus, que saluti
ecclesiarum dei expedire noverimus et quieti. Qua sane
consideracione inducti notum facimus universis presentem
paginara intueutibus. quod nos ad supplicacionem fidelis
nostri Bonaldi Ripaltensis ecclesie prepositi ipsum eandem-
que ecclesiam, que in honorem beatorum apostolorum Petri
et Andree constructa est et dedicata, cum universis per-
sonis inibi deo servientibus et cum omnibus pertinenciis
suis, quas nunc habet aut imposterum prestante deo iusto
adempcionis titulo poterit**^ adipisci, sub imperialem rece-
pimus protectionem. Ad augmentum quoque favoris nostri
et gracie nostre eidem ecclesie demonstrandum tarn pre-
nominato preposito quam eius canonicis inibi divino officio
ministrantibus sacramentum calumpnie remittimus, ita qui-
dem quod illud in propriis personis facere aut exercere
nullatenus cogantur, sed sindicum seu procuratorem pos-
sint substituere, qui vice ipsorum in suam, ipsius sindici,
iuret animara. Quod ut verius credatur, presentem inde
cartam conscribi et nostre magestatis bulla iussimus in-
signiri, statuentes et imperiali auctoritate precipientes, ut
nulla omnino persona humilis vel alta, secularis vel eccle-
siastica, sepedictam ecclesiam in personis aut rebus presu-
mat molestare aut aliquibus iniuriis afficere. Quod qui
facere attemptaverit, in ulcionem temeritatis sue quinqua-
ginta libras auri componat. medietatem camere nostre, par-
tem residuam sepius dicte ecclesie.
Datum apud Claves ^ anno domini millesimo 196, in-
dictione 13, 4. kalendas Augusti.
Otto IV. wiederholt auf Bitten des Propstes Jakob
die Urkunde Heinrichs VI., grestattet überdies
a) pottterit.
1) Statt Claves möchte ich Clavaslum ändern, allenfalls Clavesimn
= Chivasso ; Claves weiss ich nicht zu deuten, denn Clavese, das auch
Civesio heisst, im Kreise Mailand und im Bezirk Melegnano, scheint mir
nicht ins Itinerar zu passen.
Urkunden n. Forschungen z. d. Regesten d. stauf. Periode. 203
Schenkungen und Verkäufe ans Kloster, zu denen
aber bei Lehensgut der Herr zugestimmt haben
muss, und verzichtet auf die angegebenen, dem
Reiche zustehenden Rechte.
1210 Juni, Turin.
In nomine sancte et individue trinitatis. Otto quar-
tus divina favente clemencia Romanorum imperator et
semper augustus.
Ad presentis vite statum prosperum atque beatitudinis eteme re-
quiem adipiscendam nobis plurimum speramus proficere, si hiis operam
dedimus, que saluti ecclesiarum dei expedire noverimus et quieti. Qua
sane consideracione inducti notum facimus universis presentem paginam
intuentibus, quod nos ad supplicationem fidelis nostri lacobi Ripalteusis
ecclesie prepositi ipsum eandemque ecclesiam, que in honorem beatorum
aijostolorum Petri et Andree constructa est et dedicata, cum universis
personis inibi deo servientibus et omnes res tam mobiles quam
immobiles ad eandem ecclesiam pertinentes et omnia ani-
malia et universa ad supradictam ecclesiam pertinentia,
ubicunque sunt vel acquirere iuste poterint, in nostre
magestatis protectionem ac deffensionem sascipimus. Ad
augmentum quoque favoris nostri et gracie nostre eidem ecclesie demon-
strandum tam prenominato preposito quam eins canonicis supradicte
ecclesie professionem facientibus calumpnie remittimus sacramen-
tum, ita quidem quod illud in propriis personis facere aut exercere nuUa-
tenus cogantur, sed sindicum seu procuratorem possint substituere, qui
vice ipsorum in suam, ipsius sindici, iuret animam. Preterea si quis
homo divina compunctus inspiratione de alodio suo vel
feudo, domino concedente, vel de rebus propriis aliquid
eidem ecclesie conferre voluerit aut contulit aut vendere
intendit, salvo iure nostro liberam in hoc habeat facul-
tatem. Insuper donamus et concedimus quidquid ad nostrum
imperium iure pertinere dignoscitur, liberaliter remittentes
areas vel decursus aquarnm, piscationes, transitus viarum,
Silvas cultas et incultas comunes et pascua comunia eis
damus et concedimus ad pascuandum. Quod ut verius credatur,
presentem inde cartam conscribi et nostre magestatis buUa iussimus in-
signiri, statuentes et imperiali auctoritate precij^ientes, ut nulla omnino
persona humilis vel alta, secularis vel ecclesiastica, sepedictam ecclesiam
in personis aut rebus presumat molestare aut aliquibus iniuriis afficere.
Quod qui facere attemptaverit, in ulcionem temeritatis sue quinquaginta
libras auri componat, medietatem camere nostre, partem residuam dicte
ecclesie.
Huius rei testes sunt Ariprandus Vercellensis episco-
pus, lacobus Taurinensis episcopus. Guido Astensis episco-
pus, Wilielmus marchio Montisferrati, Manfredus marchio
de Saluciis, Galfredus iudex de Trivicella, Petrus de Ran-
fredo et alii quamplures.
204 Paul Scheffer-Boichorst.
Signum^ domini Ottonis quarti Romanorum '^ impera-
toris invictissimi '^ .
Eg-o Conradus Spirensis ecclesie episcopus, imperialis
aule cancellarius vice domini Theodorici*^ Coloniensis archi-
episcopi, Ytalie archicancellarii recognovi.
Acta sunt hec anno dominice incarnationis millesimo
200 decimo, indictione 13, regnante domino Ottone quarto
Romanorum imperatore g-lorioso, anno regni eius 13, imperii
vero primo. Datum apud Thaurinum per manum Walterii
protonotarii, 6. nonas'' lunii, indictione 12.
Friedrich II. )3eschützt Kirche, Propst und Geist-
lichkeit.
1219 Hagenau.
Fredericus dei gracia Romanorum rex semper augustus
et rex Sicilie universis imperii fidelibus, ad quos presens
scriptum pervenerit, graciam suam et bonam voluntatem.
Universitati vestre facimus manifestum, quod nos Ri-
paltensem ecclesiam, prepositum, clericos et conversos cum
Omnibus personis et possessionibus seu rebus suis sub
nostram et imperii protectionem suscepimus, regia preci-
pientes auctoritate, ut nulla persona magna vel parva
ipsam ecclesiam, prepositum, clericos vel conversos ipsius
seu res vel possessiones suas tarn in capite quam in mem-
bris presumat aliquatenus molestare. Si quis igitur huic
iussioni nostre presumj)serit contravenire, bannum mille
marcharum argenti persolvat pro medietate parti lese, pro
alia medietate nostre camere applicandum. Si vero fuerit
creditor, cadat a iure crediti eo ipso.
Datum apud Agliene [anno dominice incarnationis*^]
millesimo 219^, indictione septima.
Roccacontrada, heute Arcevia.
Die kleine Stadt hat ein ziemlich reiches Archiv.
Ein Katalog verweist auf folgende Urkunden der staufi-
schen Periode :
a) Sanctissimi. b) Romani. c) mitissimt. d) Theodontt.
e) Vielleicht ist gfemeint 6 Mus. Die Aenderung 4 non. ist durch B.-F. 411
ausgeschlossen. Derselbe Fehler iu der gleichzeitigen Urkunde B.-F. 412.
f) Keine Lücke.
1) 1219 lässt sich Friedrich in Hagenau nachweisen vom 11. Januar
bis zum 13. April und wieder vom 29. August bis 25. September.
Urkunden u. Forschungen z. cl. Regesten d. stauf. Periode. 205
1237 Affosfo 7. Qtiietanza fatta dal cluca di Spoleto^
alla communitä di Roccaconfrada per le violenze usate verso
kt cittä di Nocera sotto Federico imperatore.
1243 Maggio 15. Pagamento fatto ai soldati per Veser-
cito imperiale, comandato da Guido di SasseUaro '^.
1248 Aprüe 30. Promessa della communitä di pagare
le spese per Vassedio di Romagna ^.
1262 Novemhre 1. Assoluzione data a Ptoccacontrada
dal rettore della marca Anconetana^ per la sommissione pre-
stata a Manfredi re di Sicilia.
1264 Settembre 16. Copie di privilegio, commesso al po-
destä di Roccacofitrada dal cardinale Palhoverio^ legato della
marca, stdla cognizione delle cause senza appellazione, e cid
in compenso di avere scosso il giogo di Manfredo re di Sicilia.
Meines Wissens ist keine der Urkunden bisher ge-
druckt oder benutzt worden ''. Ihre Bedeutung für eine
Geschichte des Kampfes, den die Staufer und die Päpste
um die Mark Ancona führten, wird dem Kundigen ohne
Weiteres einleuchten. Darum ist es recht zu bedauern,
dass F. Gut er bock, dem ich die mitgetheilten Eegesten
verdanke, nicht vollständige Abschriften nehmen konnte.
Zeit und Umstände nöthigten ihn, sich auf die Copierung
nur Einer Urkunde zu beschränken. Oben habe ich die-
selbe nicht aufgeführt, wenngleich auch sie im Katalog
verzeichnet ist. Hier muss ich nun ihre Voraussetzungen
mit raschen Strichen andeuten.
Nach dem Tode Friedrichs II. haben die Staufer zu-
nächst keinen Anspruch auf die Mark erhoben. Aber zu
Ende der 50 er Jahre knüpften die Ghibellinen mit Manfred
Verhandlungen an. Fermo eröffnete den Reigen \ und als
Manfred den Percival Doria in die Mark entsandte, trat
ein Ort nach dem anderen zu ihm über. Seit December
1) Einen Herzog von Spoleto hat es 1237 nicht gegeben. Es ist
gewiss der päpstliche Rector des Herzogthums gemeint, und die Gewalt-
thätigkeiten, die Roccacontrada gegen Nocera unter Friedrich II. verübt
hat, werden in die Zeit der ersten Zurücknahme seiner Länderschenkungen
gehören, 1228 — 1230. Dass der Rector des Herzogthums Spoleto die Ur-
kunde ausstellt, während Roccacontrada doch zur Mark Ancona gehört,
kann nicht Wunder nehmen : Nocera, dem Roccacontrada eine Sühne ge-
zahlt haben wird, war eine Stadt des Herzogthums. 2) Ihm bin ich
anderweitig nicht begegnet. 8) — per Vassedio di Bomagna ? 4) Man-
fred, Bischof von Verona. 5) Simon Paltinieri, Cardinalpriester von
S. Martin. 6) Leider habe ich mir nicht verschaffen können : E. Bruna-
monti, Dimonstrazione istorica del nobile si antico che moderno stato di
Roccacontrada, con note da A. Anselmi, Castelpiano 1897. 7) F. Tenck-
hoff. Der Kampf der Hohenstaufen um die Mark Ancona und das Herzog-
thum Spoleto 76.
206 Paiü Scheffer-Boichorst.
1258 machte er die schnellsten Fortschritte; Privilegien
vollendeten ^, was Waffen begonnen hatten. Namentlich
in den ersten Tagen des März schüttete Percival ein ganzes
Füllhorn von Gmistbezeugungen über Städte der Mark aus.
Unter ihnen befand sich auch Roccacontrada, das ein
werth volles Pergamen am 5. März 1259 empfing -.
Percival d'Oria, Generalvicar der Mark Ancona, des
Herzogthums Spoleto und der Romagna, will die neu-
lich zur Treue des Königs zurückgekehrte Gemeinde
von Roccacontrada in Gewohnheiten und Freiheiten
erhalten ; bestätigt ihr Alles, was sie zur Zeit seiner
Ankunft besass; sichert den Geistlichen freien
Aufenthalt im Gebiete von Roccacontrada, Immu-
nität von Leistungen und dass sie von den Beam-
ten nicht zur Abhaltung des Gottesdienstes ge-
zwungen werden ; verspricht Beachtung der Ge-
meindestatuten seitens der Curie, falls sie nicht
deren Rechte schmälern ; trifft zu Gunsten der Stadt
Bestimmungen über die Heeresfolge, deren Leistung
durch Söldner, die Stellung von Geiseln, die von
der Curie verlangten Gesandtschaften, endlich die
Gerichtsbarkeit.
1259 März 5, Jesi.
Percival de Auria, marchie Ancone, ducatus Spoleti
et Romaniole regius vicarius generalis, populo et comuni
Rocce de Contrata, domini regis fidelibus, salutem et omne
bonuni.
Honorem regle magestatis exequimur et sibi cedit ad
gloriam, si redeuntes ad fidei sue cultum favore digno re-
spicimus et iustas petitiones eoruni ad exauditionis gratiam
promovemus. Considerantes itaque fidei puritatem, quam
redeuntes nuper ad fidem domini nostri regis laudabiliter
ostendistis, terram ipsam in consuetudinibus, libertatibus
et inmunitatibus suis conservare promittimus et eam reci-
pimus sub alis regle gratie gubernandam. Item pro regia
parte, auctoritate qua fungimur, vobis et eidem communi
perpetuo concedimus infrascripta, videlicet quod comune
IJocce in suis possessionibus et tenutis vel quasi*, quas
a) Nämlich: quasipossessionibiis.
1) B. F. W. 14071. 73. 78. 80. 81. 82. 83. 84. 85. 2) ßethmann hat
in Pertz' Archiv XII, 553 nach einem Verzeichnis der Arcevieser Urkunden,
das er in Gubbio sah, die Urkunde erwähnt.
Urkunden u. Forschungen z. d. Regesten d. stauf. Periode. 207
nunc habet et habere poterit in futurum et quas habuit
a tempore nostri adventus in Marchia manuteneri debeat
et servetur illesum, ita tamen quod ex presenti privilegio
nostro nulli alii preiudicium in suis iuribus g-eneretur.
Item quod clerici omnes reguläres et seculares cuiuscum-
que religionis, in Rocca et eins districtu morantes, libere
possint in eadem terra et suo districtu morari et ab Omni-
bus obsequiis sint immunes et ad celebrandum divina per
officiales curie nullatenus conpellantur. Item quod statuta
omnia et ordinamenta comunis eiusdem facta et inantea
facienda inviolabiliter observentur per curiam nullatenus
infirmanda, dummodo non sint ad depressionem iurium
curie vel aliter contra honorem regle magestatis. Item
quod comune Rocce in exercitum extra Marchiam exire
non debeat ac morari, nisi per viginti miliaria proxima
terre predicte. Quando vero mandaretur eidem, quod cer-
tam mitterent militum seu peditum quantitatem in exer-
citum supradictum, liceat tunc eidem comuni mittere forenses
solderios vel de terra, quos voluerint destinare. Item quod
obsides aliqui de Rocca per curiam de cetero nullatenus extra-
hantur. Item quod ad mandatum curie ambassatores vel aliqui
nuntii de Rocca trahi non debeant, nisi quos comune eius-
dem terre duxerit eligendos. Item quod prime cause, tarn
civiles quam etiam criminales, in curia Rocce cognosci pos-
sint de cetero et decidi. Item per presens privilegium
notum facimus, quod alicui comuni seu speciali persone
contra predictum comune per aliqua privilegia nostra nichil
duximus concedendum, salvis in omnibus supradictis man-
dato et ordinatione Serenissimi domini nostri regis. Unde
ad futuram memoriam et ut predicta omnia vobis sint per-
petuo valitura, presens privilegii nostri scriptum vobis inde
fieri fecimus sigilli nostri robore communitum.
Datum Esii anno domini millesimo 259, 5. Martii
2. indictionis, regnante serenissimo domino rege Manfrido
dei gratia inclito rege Sicilie, regni eiusdem anno primo,
feliciter amen.
S. Paolo fuori le mura bei Rom.
Der folgende Befehl Lothars III. an die Gemeine
Fiano, sie solle unter ihre rechtmässige Herrschaft zurück-
kehren, diente offenbar den Interessen des römischen
Klosters S. Paolo fuori le mura. fl. Bloch, der den
Brief in einem Codex des Capitelarchivs zu Novara fand ^,
1) Abschrift des 12. Jh. auf den vorgebundenen Blättern des Co-
dex 34 im Capitelarchiv zu Novara, fol. 3.
208 Paul SchefEer-Boichorst.
fügte seiner gütigst für micli genommenen Abschrift hin-
zu : 'Dass hier S. Paul zu Eom gemeint ist, geht aus
anderen Eintragungen mit unbedingter Sicherheit hervor'.
Dies beweist denn auch der Inhalt: das Stück erweitert
unsere Kenntnis über einen Streit, den das römische
Kloster Jahrzehnte hindurch um Fiano geführt hat ^. Unter
Paschal II. gaben Cencius und Stefan Cenci die Feste,
welche ihr Vater an sich gerissen hatte, dem Kloster
zurück 2 ; der Prior Anastasius übertrug sie ihnen darauf
zu Lehen ^ ; aber der Friede währte nicht lange : vor dem
Gerichte des römischen Senats, also frühestens 1143, ver-
langte das Kloster von Gliedern der Familie Cenci die
Herausgabe Fianos^; Friedrich I. fällte ein Urtheil zu
Gunsten der Mönche ^, das Heinrich VI. während seiner
königlichen Regierung bestätigte '~\ In diese Entwicklung
1) Fiano liegt nördlich von Rom, an der 24. IMiglie der Via Fla-
minia. Seine Regesten hat Tomassetti im Archivio della r. societä Ro-
mana VII, 360 — 866 zusammengestellt. Dazu möge bemerkt sein, dass
J.-L. 5200, die vom Verfasser angeführte Urkunde Gregors VII., eine Fäl-
schung ist, dass er Privilegien Anaklets II. und Heinrichs VI., J.-L. 8373
und St. 5081, nicht berücksichtigt hat. Auch in'te er, wenn er S. 362
n. 11 den viel besprochenen Ort S. Flarianns, wo Lothar III. 1133 das
Osterfest feierte, für Flaianum = Fiano erklärte. Wie schon Giesebrecht,
Kaiserzeit IV, 435 gezeigt hat, ist wegen Lothars Reiseweg an Fiano gar
nicht zu denken. Nach einer Bulle Eugens III., J.-L. 8991, sei vielmehr
ein Ort bei Viterbo gemeint. Das ist unzweifelhaft richtig ; doch um noch
genauer zu sein, würde ich sagen: bei Montefiascone, denn unmittelbar
unter des 'Flaschenberges Höh' liegt die schöne, berühmte Kirche S. Fla-
viano, neben der auch ein casah et burgus S. Flainani sich nachweisen
lässt, vgl. z. B. die Urkunden bei Campanari, Tuscania e i suoi monumenti
II, 103. 117. In dieser Gegend also hatte Lothar sein Lager aufge-
schlagen. Nachdem die Localität seit Papebroch vergebens gesucht wurde,
darf ich nun vielleicht den Ausruf auf Fuggers Grab, eben in S. Flaviano,
mir zu Eigen machen : Est, est, est .' Nur weiss ich doch aus eigener Er-
fahrung, dass man um Montefiascone viel Köstlicheres findet, als die Lö-
sung eines antiquarischen Problems. 2) Galletti, Capena, municipio de'
Romani 59. 3) Galletti 1. c. 62. 4) Galletti 1. c. 69. Das Stück, in
dem von Fiano die Rede ist: Nos Nicolaus — monachus S. Pauli kann
nicht unmittelbar zu der vorausgehenden Acte von 1139 gehören. 5) Es
ist mir leider nur aus der folgenden Urkunde Heinrichs XI. bekannt;
nach Pflugk-Harttung, Iter 80 und nach Bethmann im N. A. II, 360 scheint
es überhaupt nicht mehr vorhanden zu sein. 6) St. 5081. Auch die ori-
ginale Fassung dieser Urkunde ist uns verloren ; wir kennen sie nur aus der
datumlosen Transsumierung Karls IV. B. H. 4730. Cf. Galletti 1. c. 47.
Was Toeche, Heinrich VI, 690 Anm. 4 gegen die Echtheit vorbrachte,
hat mich nicht überzeugt. Wenn er den ersten der Zeugen: lohannes
Tuscanae ciritatis episcopus 'unverständlich' nennt, so hat er übersehen,
dass Johann, Bischof von Toscanella, der im .lalire 1189 zugleich Cardinal-
priester von S. demente wurde, in päpstlichen Bullen zu wiederholten
Malen beide Titel führt. Auch die übrigen Zeugen sind durchaus
zeitgemäss.
Urkunden u. Forschungen z. d. Regesten d. stauf. Periode. 209
gehört der Brief Lothars, den er nach seiner Kaiser-
krönung und wohl auf einem seiner Römerzüge den Fia-
nesen zugehen Hess. An das Kloster, das nun schon zum
zweiten Male bei ihm geklagt hatte, wird eine Abschrift
gesandt sein : so ist uns der Wortlaut erhalten.
Lothar III. befiehlt nach zweimaliger Klage der Mön-
che den Bürgern von Fiano, die einer anderen Herr-
schaft gehuldigt haben, dem Kloster sich und ihre
Burg zurückzugeben und Treue zu schwören.
Lotharius dei gratia Romanorum Imperator augustus
universis civibus de Flaiano gratiam*^ suam et bonam volun-
tatem.
Fratres sancti Pauli altera vice nobis conquesti sunt,
quia, cum ipsis et sancto Paulo pertineatis**, alieno dominio
vos subdidistis. Quod quantum contra vestram salutem et
nostrum honorem sit, ex hoc potestis cognoscere, quod illa
ecclesia sub imperiali tuitione tuta et tranquilla solius dei
misericordia pro omnibus orare debet. Precipimus itaque
vobis sub optentu nostre grati§, quod amodo ipsis et sancto
Paulo vos teneatis atque statim post acceptas et visas lit-
teras vosmet ipsos cum Castro reddatis et fidelitatem facia-
tis. Ita enim illius apostoli ac doctoris gentium §cclesi^
alligati sumus, quod illius iustiti§ deesse nequaquam de-
bemus. Quod nisi feceritis in proximo, imperialem poenam
sentietis. Quodsi inique vos gravari calumniamini, vos una
cum nostro nuntio ad nostram audientiam veniatis.
S. Pietro in Vincoli und S. Gregorio zu Rom^.
Aus Bethmanns Papieren hat Karl Pertz mitge-
theilt-, dass S. Pietro in Vincoli einst das Archiv der late-
ranensischen Congregation besass, dass sich darin fünf Ur-
kunden unserer Kaiser befanden. Diese sollten jetzt im
römischen Staatsarchiv aufbewahrt werden. Da aber hat
E. Winkelmann sie vergebens gesucht ^ ; sie galten für ver-
schollen. Der Verlust schien um so beklagenswerther zu
sein, als Aussteller und Empfänger ungenannt blieben.
Wüsste man, welchem Kloster der Congregation und von
a) gratias suas et bonas voluntates. b) optineatis.
1) Ausnahmsweise überschreibe ich den Artikel nicht nach den
Empfängern, sondern nach dem Aufbewahrungsort. Der Grund wird den
Lesern klar werden. 2) N. A. II, 362. 3) N. A. IH, 654.
Neues Archiv etc. XXIV. 14
210 Paul Scheffer -Boichorst.
welchem Kaiser die fünf Diplome ertheilt wurden, so Hesse
sich vielleicht feststellen, ob sie nicht anderweitig erhalten,
ob sie nicht etwa schon gedruckt sind. Hier dienen nun
Bethmanns Papiere ^ selbst als Wegweiser. Am 6. April
1853 schrieb er an G. H. Pertz, den Hauptbestandtheil
des Archivs von S. Pietro in Vincoli bilde das Archiv von
S. Catervio in Tolentino; aber damit seien auch Urkunden
aus anderen Klöstern verbunden : das Ganze stelle den
Rest eines Gesammtarchivs der lateranensischen Congrega-
tion dar - : an Kaiserurkunden enthalte es : 'ein Original
Heinrichs III. von 1046, eine Urkunde Friedrichs I. für
S. Maria in Portu und drei Urkunden Friedrichs II.'
1047 muss für 1046 gelesen werden, denn zu der Ur-
kunde, die Heinrich III. am 17. März 1047 der Kirche
S. Catervio gab ^\ fügte der Herausgeber hinzu ^ sein Text
stamme aus dem Original, wovon Bethmann in S. Pietro
1) Es ist sehr bedauerlich, dass Bethmanns Briefe nicht für die
Ergänzung seines Reiseberichtes verwerthet worden sind. Bei der Ge-
legenheit gebe ich genauere Auskunft über St. 5054, dem eine Mitthei-
lung von Pertz zu Grunde lieg-t. An ihn schrieb Bethmann unter dem
17. August 1852, dass sich in einer Privatbibliothek zu Capri ein Re-
gister des Archivs der dortigen Certosa von 1631 befinde. Darin seien
verzeichnet :
n. 487. Donatio Henrici VI. imperatoris hospitali S. lohannis Hiero-
solymis pro salute anime sue ac genitoris sui et felicitatis consortis sue
et illustris filii sui Federici de castro Guarnionis, quod assiguat sacro
hospitali seu fratri Desigio magistro hospitalis Baroli. 1197 Jan. 10.
n. 488. Donatio facta per Robertum de Venusio et de
Frassineto, iusticiarios terrae Bari, pro cousignando castro Guarnionis
fratri Desigio seu domo hospitali Baroli, sicut comes Rogerius Angriae
illud tempore regis Wilelmi tenuei-at. 1197.
Bethmann schliesst : 'Noch werden zwei Instrumente von 1328 und
1329 aufgeführt, in Neapel caractere Longohardico geschrieben, also hat
diese Schrift bis ins 14. Jh. bestanden. Die Originale sind in der Certosa
von Neapel, wo auch noch andere Kaiserurkunden sind'. Ueber die
Schenkung Heinrichs VI. konnte ich dort nichts erfahren ; ihrer gedenkt
Constanze I., Winkelmann, Acta I, 66. 2) Doch sind Urkunden wenig-
stens eines Klosters der lateranensischen Congregation nicht in das
Archiv von S. Pietro gekommen. Pennotus, General, tot. ord. cleric.
canon. liist., Romae 1624, p. 684 zeigt, dass 1470 S. Maria zu Bagnara
— nördlich von Scilla, an Meer und Bahn, — der bessernden Zucht der
lateranensischen Oanoniker sich unterstellt hat. Nun wird das Original
einer Urkunde Friedrichs II. für Bagnara, die Winkelmann, Acta I, 152
aus neuerer Abschrift druckte, nach gefälliger Mittheilung von E. Sackur
im Lateranarchiv aufbewahrt, und in ein Bullarium basilicae Lateran, ist,
wie Pflugk - Harttung, Iter Italicum 79. 80 bemerkte, auch ein päpstliches
Diplom für Bagnara eingetragen. 3) In der Urkunde heisst die Kirche
s. Salvatorls in vocabuh s. Mariae. Vgl. über die wechselnden Namen
von S. Catervio Santini, Saggio di mem. della cittä di Tolentino 93.
4) Stumpf, Acta 652 n. 462.
Urkunden u. Forschungen z, d. Regesten d. stauf. Periode. 211
eine Abschrift für die M. G. g-enommen habe. Ebendort-
her kennen wir eine Urkunde Friedrichs I. für S. Maria
in Portu vom Juni 1155 ^ Ferner ist zu Drucken zweier
Privilegien, durch die S. Modesto zu Benevent, auch ein
Xloster der lateranensischen Congregation, von Friedrich II.
ausgezeichnet wurde, dieselbe Provenienz angegeben -. Es
bleibt das fünfte Diplom, das dritte Friedrichs II.
St. 3721 lautet: '1155 Friedrich I. für die Kirche
S. Catervius zu Tolentino. Nach Bethmauns Mittheilung
ex arcMvio conf/regafionis Lateranensis . Also zwei Urkunden
Friedrichs I., während doch nur von der einen für S. Maria
in Portu die Rede war! Will man annehmen, dass in
Bethmanns Brief 'je zwei Urkunden Friedrichs I. und II.'
zu lesen sei? Ich möchte die Frage nicht bejahen, da in
den Sammlungen der M. G., welche Bethmanns Abschrift
der vier nachgewiesenen Urkunden enthalten, von St. 3721
keine Spur sich findet. Freilich, auch das dritte Diplom
Friedrichs II. ist darin vergebens gesucht worden. Doch
hierfür bietet sich mir eine Erklärung. Eine der Urkun-
den ist am 6. März 1223 ausgestellt. In einem älteren
Drucke fehlt das Jahr, steht statt März : October, dazu
eine andere Indiction. Und doch floss auch dieser ganz
fehlerhafte Text aus den Materialien der lateranensischen
Congregation^. Wahrscheinlich sah Bethmann beide Ueber-
lieferungen. Als er an Pertz schrieb, hatte er die Arbeit
vielleicht noch nicht beendet; später mag er die Werth-
losigkeit des einen Stückes erkannt haben ; nun liess er es
bei Seite. Aber die Nachricht über fünf Kaiserurkunden
war einmal an den Leiter der M. G. abgegangen^.
So streiche ich die zweite Urkunde Friedrichs I., die
dritte Friedrichs II., ob auch Bedenken bleiben; dagegen
zweifle ich keinen Augenblick, dass St. 4935 einem Irr-
thume seine Existenz verdankt. In Bethmanns Reisebericht
heisst es, dass in S. Gregorio das Archiv von S. Michele
di Murano aufbewahrt werde, 'darin Kaiserurkunde 1195.
13. hol. lun.' '" 'Ex originali archivii S. Michaelis de M^irano,
1) Ibid. 486 n. 341. 2) Winkelmann, Acta I, 229. 288 n. 250. 817.
3) Ughelli, Italia sac. VlII, 130 eben aus dem Archiv von San Modesto,
das 1505 an die lateranensische Congregation gekommen sei. Hiernach
Huillard - BrehoUes, Hist. dipl. Frid.'sec. VI, 913. Da Böhmer die Ur-
kunde in seinen Regesten nicht aufgeführt hatte, konnte Bethmann, wie
später noch E. Winkelmann, sie für ungedi-uckt halten. 4) Ueber hand-
schriftliche Sammlungen von Privilegien der Congregation vgl. Kehr in
den Gott. Nachrichten 1896 S. 301, 1897 S. 371. 5) 'Tnl' ist Schreib-
lehler. In Bethmanns Collation und in Pabsts Abschrift, auf die ich
zurückkomme: 'lun.'
14*
212 Paiü Scheffer-Boichorst.
iam apiid S. Georgiwn in Urhe servati', schrieb Bethmann
unter eine Collation für die M. G. Dieser aber legte er
zu Grunde, wie er selbst angiebt : Mittarelli, Annal. Camald.
IV, 194, d. h. eine Urkunde, die den Camaldulensern von
S. Hippolito und Lorenzo zu Faenza ertheilt wurde l 1195.
13. kal. lun. = St. 4934. Danach ist St. 4935: 'Heinrich VI.
bestätigt dem Camaldulenserkloster S. Michele di Murano
seine Rechte' ein Phantasiegebilde, das wohl nie entstan-
den wäre, wenn nicht die Urkunde für S. Hippolito und
Lorenzo, d. h. für ein Glied der Congregation von S. Mi-
chele, in dessen Archiv gelangt wäre. Uebrigens ist San
Michele erst 1212 gegründet worden^; und natürlich hat
H. Pabst, der nach Bethmann in S. Gregorio, dem dama-
ligen Aufbewahrungsorte des Archivs von S. Michele ^ für
die M. G. arbeitete, nur St. 4934 gesehen, nicht auch
4935. Von jener Urkunde besitzen unsere Sammlungen,
neben der Collation Bethmanns, eine Abschrift Pabsts,
von dieser Nichts, weil sie nie vorhanden war und nie vor-
handen sein konnte ^.
1) Mittarelli IV, 225. Vgl, dazu die Urkunden Mittarelli IV, App.
312. 313 n. 190. 191. 2) Unsere Urkunde befindet sich jetzt in der
Pariser Nationalbibliothek, Cod. Nouv. acquis. lat. 2573, vgl. N. A. XXI,
785. Danach wäre sie in dem alten, von Bethmann auch erwähnten Car-
tarium des Klosters enthalten, während sie in dem Reiseberichte, wohl
irrig, unter Anecd. Camald. D. 3 aufgeführt ist. Pabst sagt: 'Aus Mitta-
rellis Sammlungen'. Anecd. Camald. D. 3 ist freilich nach Bethmann
eine Sammlung Mittarellis, scheint aber nur aus Abschriften zu bestehen.
3) Wie ich hier doch bemerken will, ist St. 5062 = 5064 a-, das erkennt
man aus der Vergleichung der Quellen, deren Inveges, AnnaU di Palermo
in, 498 für 5064a sich bediente; danach ist auch das Tagesdatum von
5062 das richtige. — B. F. 305 = B. F. W. 14630, wo man Bullarimn Vati-
canuni I, 154 statt Lateranense lese ; die Urkunde selbst habe ich im N. A.
XX, 202 veröffentlicht. — B. F. 1254 = 1274; der für 1254 angegebenen
Quelle folgend, hat F. Güterbock mir eine Abschrift besorgt, und
die Identität mit 1274 trat zu Tage. — Dass B. F. 4744 und 4745 nur
eine Urkunde ist, davon habe ich mich in Palermo überzeugt. — Wieder
der Gref älligkeit G ü t e r b o c k s ist es zu danken, dass eine angebliche
Urkunde Ottos IV. vom 30. April 1210 als die schon in den Regesten
verzeichnete vom 28. Februar 1210 erkannt werden konnte. Die Abschrift,
auf welche Kehr in den Gott. Nachrichten 1896, S. 301 verwies, trägt die
nicht ins Itinerar passenden Daten Farenne pr/'d. kal. Mali, während es
in der Ueberlieferung, auf der B. F. 353 beruht, richtig heisst prid. kal..
Marcii. Doch hat der von Kehr gefundene Text andere Vorzüge : wir
lernen daraus Recognoscent und Datar kennen ; zu B. F. 353 ergänze mau
Ego Conradus Spirensis etc. per manus Ghialterii etc. Ueberhaupt bin
i c h Herrn Kehr für seine IVIittheilungen immer sehr verbunden ; ein
Irrthum, wie der nachgewiesene oder ein anderer, ja ein noch schlimmerer,,
kann m. E. ihren Werth doch nur wenig- mindern.
Urkunden u. Forschungen z. d. Regesten d. stauf. Periode. 213
Edele von Sannazzaro de' Burgondi.
St. 3998 giebt ein dürftiges Regest. Die Urkunde
war vollständiger gedruckt in der Herren Tettoni e Sala-
dini, Teatro araldico II. s. v.^, und danach wurde sie jüngst
wiederholt von G. Gazzaniga, Storia di Sannazzaro de' Bur-
gondi 133. Man kann aber einen besseren, dazu um die
Zeugen vermehrten Text - — wie mich E. Schau s belehrt
hat — mit Hülfe einer Deductionsschrift des Turiner Ar-
chivio camerale herstellen. In dessen 'Declaratorie 1780
f. 272' findet sich ein Sommario nella causa delli signori
conte Gerolamo Zoroastro, vassallo, Odoardo e conte Fede-
rico Sannazaro, convassalli di Giarole, contro la comunitä
di esso luogo. S. 50 ist unsere Urkunde gedruckt; ihr
Text bringt uns allerdings an und für sich keinen Gewinn;
aber von einer Hand des vorigen Jahrhunderts sind einige
Fehler verbessert und die Zeugennamen nachgetragen. Da-
bei hat entweder die Urschrift oder eine brauchbare Copie
ihre Dienste geleistet. Auf dieser Grundlage beruht der
Text, den ich Herrn Seh aus verdanke.
In demselben Sommario S. 52 fand Sc haus auch
ein Bestätigung Friedrichs II., die bisher ganz unbeachtet
blieb. Soweit sie einen originalen Wortlaut hat, lasse ich
sie folgen. Der hier nicht gedruckte Rest ist nur eine
Wiederholung der Urkunde Friedrichs I. Wenige Varian-
ten, die beide Fassungen von einander unterscheiden, haben
keine Beachtung verdient.
Friedrich I. beschützt in Anbetracht ihrer Treue und
ihrer grossen Dienste genannte Ritter von Sannaz-
zaro und ihren gesammten Besitz; bestätigt ihnen
alles Eigen und Lehen, dann die aufgeführten
1) In dem wunderlichen Buche II. s. v. Mandelli ist auch von
einem Privileg Friedrichs I. für Robaconte und Gruido von Mandello die
Rede. Sie waren Söhne des Tazio, des Führers und Bannerträgers der
Mailänder, der 1158 im Kampf gegen die Kaiserlichen fiel. In einer Hs.
von Rahe\vini Gesta Frid. HI, 40 ed. Waitz 171 heisst er Statins, quem,
iit tunc fama fuerat, regulum sivper se creare cogitaverant. Da wäre es
denn nicht unwichtig, wenn Friedrich I. bald nachher, noch 1158, wie
Tettoni und Saladini behaujiten, den Söhnen Tazios ihr väterliches Lehen
Maccagno bestätigt hätte. Noch sei bemerkt, dass nach Calchi, Hist. pa-
triae ed. 1627 p. 206 Friedrich I. der Familie 1160 ein Privileg verliehen
hat und zwar zu Lodi, wo er im Aprü des Jahres sich aufhielt. Diese
Urkunden hat Stumpf nicht verzeichnet, wohl aber einen Schutzbrief für
den Ort Mandello = 3847. Auch darüber unterrichtet uns nur Calchi
1. c. 190 in dürftiger Kürze. Das Buch von D. Muoni, La famiglia Man-
delli, Milano 1877, ist hier nicht vorhanden.
214 Paul Scheffer-Boichorst.
Hoheitsrechte, wahrt sich aber das Fodrum; will
sie wegen der Eegalien nur dem Eeiche verpflichtet
und in Klagesachen nur vor sich oder seinem Boten
belangt wissen ; ermächtigt sie zu beliebigem Burgen-
bau auf ihren Besitzungen.
1163 December 2, Pavia.
In nomine sancte et individue trinitatis. Federicus
divina favente dementia Romanorum imperator.
Cognoscant universi fideles imperii per Italiam con-
stituti presentes et futuri, quod nos fidelium nostrorum
militum de Sancto Nazario, Widonis scilicet, Bulgondio-
nis ^, Assaliti et Eaineri, fidelitatem pre oculis habentes et
magna eorum servitia in memoria retinentes, que ipsi cum
detrimento rerum et periculo personarum nobis et imperiO'
frequenter exhibuerunt, tam ipsos quam omnia eis perti-
nentia sub nostram tuitionem et defensionem suscepimus
et omnia eorum allodia ac beneficia ipsis et eorum here-
dibus confirmamus. Insuper totum districtum et regalia
nostra, sive sint theolonea sive pedagia tam in aquis quam
in terris, et placita et bannos et etiam advocatias eccle-
siarum, quas in imperio nostro iuste habent, et plenam
iurisdictionem, quam super castra et curtes et villas et pos-
sessiones eorum sive in terra sive in aqua possidemus et
habemus, eis et eorum heredibus auctoritate nostra con-
cessimus et confirmavimus excepto fodro regali, quod ad
manus nostras pro servitio imperii retinuimus. Statuentes
quoque firmiter precipimus, ut nullus de cetero predictos*
fideles nostros in suis allodiis vel beneficiis et in ceteris
eorum possessionibus aliquo modo gravare vel molestare
presumat, et ipsi de regalibus nostris nulli de cetero re-
spondeant nisi solummodo nostre maiestati, cum servitium
personarum et rerum nobis de ipsis habere placuerit. Ad-
iicimus insuper, ut a nullo cogantur in causis vel aliquo
placito stare nisi ante nostre maiestatis presentiam vel
nostrum legatum, quem ad hoc direxerimus, et plenam
babeant potestatem edificandi castrum ubicumque volue-
rint in possessionibus eorum. Quod quidem ut verius cre-
datur eisque inviolatum omni tempore servetur, presentem
paginam scribi et sigilli nostri impressione iniunximus pre-
a) Fehlt hier, nicht aber in der "Wiederholung Friedrichs II.
1) In Oberti Annal. lanuens. MGr. SS. XIX, 58 heisst es Burgonzus
de S. Nazario; er war einer der Gesandten, die Friedrich I. 1164 an Ba-
reso von Arborea schickte.
Urkunden u. Forschungen z. d. Regesten d. stauf. Periode. 215
muüiri. Preterea sicnt ea, que nunc prenominati fideles
uostri in regalibus nostris habent, eis plene donavimus, et
que de cetero legitime adepti fuerint, concessimus et in-
tegre donavimus.
Huius rei testes sunt Conradus Magontinus arcliiepi-
scopus, Hermanus Verdensis episcopus, Hermanus Erfel-
densis abbas, Henricus curie protonotarius, Otto palatinus
comes de Vitelinespac^, Burcardns prefectus Magdebur-
gensis, comes Gebard us de Lucemberg, comes Marcvardus
de Grombac, Enricus mariscalcus.
Signum Federici Romanorum imperatoris invictissimi.
Ego Cristianus cancellarius vice Reinaldi Coloniensis
archiepiscopi et Italie archicancellarii recognovi.
Acta sunt hec anno dominice incarnationis 1163, in-
dictione undecima, regnante domino Federico Romanorum
imperatore gloriosissimo anno regni eins 11, imperii vero
octavo. Datum Papie quarto Nonas Decembris.
Friedrich II. bestätigt genannten Rittern von Sannaz-
zaro die Urkunde Friedrichs I.
1219 September 13, Hagenau.
Federicus divina favente dementia Romanorum rex
semper augustus et rex Sicilie.
lustitia exigit et ratio postulat, ut nostra regia benignitas
iustis precibus et votis fidelium aures suas benigne accomodet,
illorum precipue, quorum studio, quorum labore, quorum etiam
fidelitate honor et gloria imperii quotidie augmentantur et ad
pristine dignitatis nitorem cum sua plenitudine reformantur.
Eapropter cognoscant universi fideles imperii per Italiam constituti presen-
tes et fiituri, quod nos fidelium nostrorum militum de Sancto Xazario, Assa-
liti videlicet et filiorum eins ; Guidonis Rainerii, Burgondi,
Gulielmi et Conradi fratrum, filiorum quondam Raineri;
Norandi, Conradi et Assaliti fratrum, filiorum quondam
Guidonis ; Bonifacii, Henrici et Raineri atque Burgondi
fratrum, filiorum quondam Assaliti, et nepotum eorum,
fidelitatem pre oculis habentes et magna eorum et antecessorum sive
maiorum eorum defunctorum servitia in memoria retinentes, que
ipsi cum detrimento rerum et periculo personarum nobis et felicis me-
morie avo et patri nostro et^ imperio exhibuerint, tarn ipsos quam
eorum omnia pertinentia eis sub nostra tuitione et defensione suscepimus
u. s. iv., ivie in der Url'unde Friedrichs I.
Datum apud Agenowe etc.''
a) Vitelinus Parc. b) Fehlt. c) Das Datum 1219 Settembre 13
steht an der Spitze des Textes; wie die originale Fassung lautete, lässt
sich nicht sagen.
216 Paul Scheffer-Boichorst.
Erben des Murico von Siponto.
In dem Liber plegiorum, einem werthvollen Codex
des Staatsarchives zu Venedig, findet sich auf Seite 100*
ein Schreiben Konrads IV., das den Bearbeitern der E,e-
gesten entgang-en ist. Einen Auszug hatte Predelli, II libro
communis, detto anche plegiorum 171 Nr. 722 mitgetheilt.
Darauf machte mich W. Lenel aufmerksam; derselbe
junge Freund vermittelte mir auch eine Abschrift, die
Herr Predelli besorgte.
Konrad IV. ersucht den Rainer Zeno, Dogen von
Venedig, dafür Sorge zu tragen, dass dem Lorenzo
von S. Giovanni Rotondo, dem Bevollmächtigten
der Erben, jene 392 Unzen Goldes, die Murico
durch lacopo von Florenz bei Marco Corner hinter-
legt hat, ohne weiteren Verzug gezahlt werden.
1253 April 11, Incoronata.
Conradus dei gratia Romanorum in regem electus
semper augustus, lerusalem et Sicilie rex Rainerio Zeno
duci Venetiarum, devoto suo, gratiam suam et omne bonvim.
Cum Paula, uxor quondam Murici de Sjponto, Petrus
et lacoba, filii et heredes eiusdem Murici, fideles nostri,
constituerint procuratorem suum Laurencium de sancto
lohanne Rotundo, fidelem nostrum, ad exigendum et reci-
piendum uncias auri trecentas nonaginta duas, depositas
per lacobum de Florentia nomine dicti Murici apud Mar-
cum Cornarium civem Venetiarum, sicut per instrumenta
de procuratione ipsa cum iuris soUempnitate confecta ple-
narie celsitudini nostre constat, devotionem tuam tenore
presentium duximus requirendam ortantes attentius, quati-
nus prefato procuratori loco et nomine dictorum nostrorum
fidelium de quantitate predicte pecunie per prefatum Mar-
cum satisfieri facias, sciturus, quod gratissimum erit excel-
lentie nostre, si dicti fideles nostri pro recuperanda dicta
pecunia non graventur ulterius laboribus et expensis, et
celsitudo nostra proinde litterarum inculcatione nullatenus
fatigetur.
Datum aput Coronatam 11. Aprelis, 11. indictione.
S. Maria maggiore zu Spello.
Auf das Original im Archiv der Kanoniker hat Maz-
zatinti, Gli archivi della storia d'Italia I, 30 die Auf-
merksamkeit gelenkt. In dem liebenswürdigen Entgegen-
Urkunden u. Forschungen z. d. Regesten d. stauf. Periode. 217
kommen, das ihn auszeichnet, hat mich dann F. Güter-
bock durch eine Abschrift erfreut.
Heinrich VI. beschützt das Kanonikat, den Prior und
die Kanoniker mit ihrem Besitze; befreit sie, ihre
Kirchen und Leute von städtischen, gräflichen und
weiteren Auflagen ; befiehlt den Consuln von Spello,
Assisi, Foligno und Bevagna, den Klagen des Priors,
der Kanoniker und der Geistlichen, deren Kirchen
zum Kanonikat gehören, in Monatsfrist gerecht zu
werden; ermächtigt die Kläger, sich in den Besitz
eines Streitobjects zu setzen, wenn der Verklagte
sich nicht stellt; verbietet, Kanoniker und Geist-
liche ohne Zustimmung des Priors und der Kano-
niker zu ernennen.
1187 Februar 9, Foligno.
Heinricus sextus divina favente dementia ßomanorum
rex augustus.
Creditum nobis a deo regle dignitatis officium nostram
ammonet sollicitudinem, ut ecclesias dei et ecclesiasticas
personas pio benignitatis nostre favore clementer respicien-
tes contra iniquas infestantium importunitates tuitionis
nostre patrocinium ipsis apponere studeamus. Eapropter
notum facimus universis imperii fidelibus, tam presentibus
quam futuris, quod nos intuitu eterne retributionis canoni-
cam beate Marie de Spello, priorem et fratres, tam pre-
sentes quam eorum successores, cum omnibus ecclesiis bonis
ac possessionibus, quas in presentiarum habent vel in poste-
rum auctore deo iusto acquisitionis titulo poterunt adipisci,
in nostre protectionis defensionem recepimus. Ipsam quoque
canonicam cum ecclesiis suis, cum canonicis, clericis eorumque
familiis, que videlicet in ipsorum domibus cum eis manen-
tes necessaria ipsis amministrant, cum cunctis etiam pos-
sessionibus suis ab omnibus exactionibus, datis et collectis,
angariis et perangariis consulum, potestatum et commu-
nium, comitum, capitaneorum, nobilium et valvassoruni
liberam reddimus et penitus absolutam. Consulibus itaque
et potestati Spellensium, Assisiensium, Fulgineorum et Be-
vaniensium tam presentibus quam futuris in perpetuum
districte per gratiam nostram et sub debito fidelitatis pre-
cipiendo mandamus, ut de omnibus querimoniis, quas prior
vel canonici Spellensis ecclesie prenominate vel clerici eccle-
siarum suarum ipsis proponere voluerint, infra unmn mensem
plenam eis faciant iusticiam. Quodsi forte adversarii eorum
ad rationem venire contempserint, ipsi prior et canonici et
218 Paul Scheffer-Boicliorst.
ecclesiarum suarum clerici nostra auctoritate possessionem in-
grediantur de proprietate postmodum responsuri. Sub pena
etiam banni nostri et sub pena, que infra determinabitur,
probibemus, ut nullns hominum, iieque clericus neque lai-
cus, in canonicam beate Marie Spellensis vel in aliquam
eins ecclesiam ullam personam imponere audeat sine con-
sensu et vohintate prioris et canonicorum. Statnimus ita-
que et regia auctoritate precipimus, nt nnlla oinnino
bumilis vel alta, secnlaris vel ecclesiastica persona predic-
tam canonicam, prioreni, fratres vel eorum ecclesias, bona
aut possessiones contra hanc maiestatis nostre protectioneui
molestare vel iuvadere audeat aut presentem constitutionis
nostre paginam in aliquo violare. Quod qui facere pre-
sumpserit, 10 librarum auri puri pena plectatur, quarum
medietas camere nostre, reliqua iniuriam passis persolvatur.
Huius rei testes sunt Anseimus Fulgineus episcopus,
Rüdolfus imperialis aule protlionotarius, ßenerius abbas
sancti Petri de Bovario, prefectus urbis Petrus, Cünradus
dux Spoleti, Henricus Testa marscalcus, Ido Terdonensis,
Syrus Salienbene, Lutherius de Sancto Genesio, regalis aule
iudices, et alii quam plures.
Datum Fulginei anno dominice incarnationis 1187,
indictione 5, 5. idus Februarii.
S. Lucia zu Sjrakus.
Die Kirche gehörte den Bischöfen von Cefalü, wie
gross auch die Entfernung war. Danach kann man sich
nicht wundern, bei Pirro, Sicilia sacra I, 655 ed. 3*^ zu
lesen, Heinrich VI. habe am 10. März 1196^ auf Bitten
des Bischofs Johann von Cefalü alle Güter und Gebiete
des Klosters S. Lucia umschrieben. Sicher ist Heinrich
denn auch bemüht gewesen, dem Bischof zu seinem Rechte
über S. Lucia zu verhelfen ; er hat Befehl ertheilt, den Zu-
behörungen von S. Lucia nachzuforschen und sie aufzu-
zeichnen; aber man würde fehlgreifen, wenn man zum
10. März 1196, nach der Angabe Pirros, eine Aufzählung
der Besitzungen von S. Lucia den Regesten Heinrichs ein-
reihen wollte. Denn gerade am 10. März 1196, während
Heinrich in Deutschland weilte -, haben seine Beauftrag-
ten zu Syrakus den Wünschen Johanns von Cefalü ent-
sprochen.
1) Pirro: dat. 10 Martii 14 Ind. 1195. Die Indiction und meine
folgenden Ausführungen berichtigen die Jahresangabe Pirros. 2) Darum
heisst es wohl in der Einleitung : residente feliciter in palatio suo Panormi
domina nostra Constantia.
Urkunden u. Forschungen z. d. Regesten d. stauf. Periode. 219
Die betreffende Urkunde, welche den Irrthum Pirros
erklärt, zugleich aber auch von der erwähnten Thätigkeit
Heinrichs VI. Zeugnis giebt, findet sich in dem Codex der
Communalbibliothek zu Palermo Qq. F. 69 f. 337. Da be-
richten, wie gesagt: am 10, März 1196^, Wilhelm Malcou-
verat, Grossjustitiar des kaiserlichen Hofes -, und Roger
Busello, Justitiar von Val di Noto :
Cum essemus Syracusis pro imperialibus serviciis exer-
cendis, dominus lohannes venerabilis Chepaludensis episco-
pus imperiales litteras nobis presentavit, ut de divisis casa-
lium ecclesiae S. Luciae de Syracusis inquireremus de-
signanter (?) et eidem ecclesiae assignari faceremus, ut eius-
dem episcopi ecclesia Cephaludensis non posset exinde fati-
gari vel molestari, similiter de domibus ipsius ecclesiae
S. Luciae, quae burgensibus Syracusanis ab ipsis villanis
venditae dicebantur.
Den weiteren Wortlaut der Urkunde brauche ich nicht
mitzutheilen. Für mich handelt es sich nvir um die An-
theilnahme Heinrichs VI.
Hofvicariat Bischof Jakobs I. von Turin.
Die beiden Bestallungen fand H. Bloch in einem
Notariatsinstrument vom 7. Mai 1225, welches das Capitel-
archiv zu Vercelli besitzt. Es würde ihnen ein Platz in
den Constitutiones et acta publica gebührt haben; doch
sind sie erst nach dem Erscheinen des betreffenden Bandes
zu Tag gefördert worden.
In der ersten unserer Urkunden werden die Befug-
nisse des neuen Hofvicars beschrieben. Sie sind viel um-
fangreicher, als diejenigen, die sich für die früheren Col-
legen Jakobs nachweisen lassen. Sein nächster Vorgänger,
Friedrich von Trient, war zugleich Legat gewesen und ver-
fügte als solcher über grössere Macht. Auch Jakob heisst
vereinzelt Legat, und in der That würde das Amt eines
Legaten 'seiner nächsten Verwendung besser entsprochen
haben' ^•
Am 28. August 1218 war Jakob ernannt worden; am
1) Zu Anfang nur 1196 März ind. 14, am Schlüsse aber 10. März
ind. 14. 2) Er nennt sich Guilelmus Malconverat magnae imperialis
curiae magister insUtiarius. Das erwähne ich in Hinsicht auf Ficker,
Forschungen zur Reichs- und Rechtsgesch. Italiens I, 351. 352. III, 417.
Noch unter Constanze I., im Mai 1198, ist Wilhelm Grosshofjustitiar,
ß. F. W. 12158. Doch heisst er hier Malconvenant, ebenso 12271. 3) Ficker,
Forschungen zur Reichs- und Rechtsgesch. Italiens I, 340.
220 Paul Scheffer-Boichorst.
17. April 1220 erhielt Italien in der Person des Hofkanz-
lers Konrad einen Generallegaten ^. Nun trat der Hofviear
immer mehr zurück. Als Zeug-e heisst er zumeist einfach
Bischof von Turin '-. Die Verdrängung scheint er aber
empfunden U7id Schritte dagegen unternommen zu haben.
Die Folge -würde die zweite unserer Urkunden gewesen
sein: darin bestätigte der Kaiser am 24. November 1220
dem Bischöfe das ihm früher verliehene Vicariat in vollem
Umfange, mit der Bestimmung, dass Privilegien, die ein
Anderer erhalten hätte oder erhalten würde, seinen Befug-
nissen keinen Eintrag thun sollten. Dennoch heisst er in
den nächst folgenden Urkunden Friedrichs II. immer nur
Bischof von Turin ^. Dann erlässt er allerdings als Hofviear
am 5. Januar 1221 einen Befehl, von gewissen Urkunden
Abschriften anzufertigen^; aber mit gutem Grunde hat
man vermuthet, dass er hier nur den Generallegaten ver-
treten habe^ Auch am 25. Februar scheint er lediglich
in dessen Auftrag zu handeln, wenn auch unter dem Titel
eines Hofvicars'\ Schwerlich hat die Bestätigung vom
24. November 1220 reale Bedeutung gehabt ''.
Friedrich II. ernennt seinen hochbelobten Bischof
Jakob zum Hofviear, verleiht ihm die aufgeführten,
umfassenden Befugnisse und ermahnt alle Getreuen,
dem Vicar zu gehorchen.
1218 August 28, Ulm.
In nomine sancte et individue trinitatis. Fredericus
secundus divin a favente clemencia Romanorum rex semper
augustus et rex Sicilie imperpetuum.
Quanto efficacius ex habundancia regie benivolencie
ad fidelium nostrorum exaltacionem necnon imperii promo-
1) B. F. 1101. 2) B. F. W. 12629. 36. 37. Dann in einem Xo-
tariatsinstrument allerdings Hofviear 12638. 3) B. F. 1211. 28. 29. 33.
36. 39. 40. 42. 4) B. F. W. 12659. 5) Ficker a. a. 0. 1, 341. 6) B. F. W.
12682. Hier ist doch gewiss zu lesen in j)resencia lacobi Taurinensis epi-
scopi et impeHalis ende vicarii a dorn. Conrado Mettensi et Spirensi epi-
scopo, cancellar/'o imperii et Italie legato, delegati et in presencia episcopi
Mantoani ab eodein canc^llario et Italie legato deUgati. 7) Noch 1226
nennt sich Jakob I. imperialis aule vicarius, aber er handelt da nicht in
Heichsangelegenheiten. Savio, Gli antichi vescovi di jTorino 116. 117 be-
zieht die Urkunde auf Jakob II., der gleich seinem Vorgänger im Bisthum
auch mit dem Hofvicariat belehnt worden sei. Dafür entbehre ich Be-
lege, und was mehr sagen will : nach Ficker a. a. 0. 342 fehlte, bei der
nun völlig geänderten Sachlage, auch jedes Bedürfnis, Jakob I. 'einen
Nachfolger zu geben', d. h. das Amt des Hofvicariats überhaupt noch
fortzuführen.
Urkunden u. Forschungen z. d. Regesten d. stauf. Periode. 221
cionem inclinamur, tanto evidencius uostris videmur utili-
tatibus intendere et benemeritorum circa regiam maiesta-
tem recoguoscere devocionem. Cum autem propter diversi-
tatem agendorum imperii nostri singulis imperii fidelibus
necesse [sit*^] siugula committere negocia pertractanda, ut
quod nos preseutialiter exequi nee volmnus nee valemus,
eorum industria per[tractetur] ^ g . . . . [vacjante
potencia et auctoritate, talibus ex innata nobis circumspec-
tionis affluencia vices nostras volumus ac debemus commit-
tere, qui usque modo in fide[litate] ope . . . . t
efficaces. Considerata igitur diligencius et recognita hone-
state, peritia, maturitate et sincere circa regiam eminenciam
fidei integritate dilecti et familiaris nostri lacobi venera-
bilis Taurinensis episcopi, ad notitiam presencium et me-
moriam futurorum volumus pervenire, quod nos de [propria]
voluntate nostra, habito principum et baronum nostrorum
consilio, eidem episcopo imperialis curie commisimus vica-
riam, constituentes eum nostrum vicarium atque ad offi-
cium necnon dignitatem vicarie nostre omnibus civitatibus,
oppidis, castris, monasteriis, ecclesiis ac villis singulisque
imperii fidelibus ipsum offerentes. Damus eciam eidem
vicario nostro liberam facultatem vice nostra, ut liceat ei
singulos quosque, tam magnos et parvos quam mediocres,
universitates quoque et communia civitatum aliorumque
omnium locorum, ad causas citare, questiones et causas
nniversas libere examinare et diffinire, sentencias nniversa-
liter execucioni mandare, possessiones contra contumaces
dare, contumaces bannire et alias punire iniusteque a quo-
cumque bannitos absolvere. Ad hec eidem liberam con-
cedimus facultatem, ut tutoribus et curatoribus dandis et
emancipationibus atque adoptionibus '^ et insinuacionibus
inmensarum donacionum faciendis vice nostra possit aucto-
ritatem prestare. Et quecumque alia, que ad officium et
dignitatem imperialis vicarie spectare videntur, conferimus
eidem ita, ut ea libere et generaliter vice et auctoritate
nostra ubique exequi valeat, ratum quod in his fecerit per-
petuo habituri. Quare universis imperii fidelibus manda-
nius per gratiam uostram firmiter iniungentes, quatenus
eidem episcopo vicario nostro tam de predictis omnibus
quam de aliis, que ad vicarie dignitatem pertinere dino-
scuntur, in integrum respondere curetis omni occasione et
recusacione cessante. Si quis autem contra ordinacionem
a) Keine Lücke. b) Was hier und im Folgenden eingeklammert
ist, war nicht mit Sicherheit zu lesen. c) adocionibus.
222 Paul SchefEer-Boichorst.
et constitucionem iiostram in aliquo presumpserit contraire,
offensam nostram et imperii se iioverit incurrisse. Ad huius
igitur rei evidenciam, robur atque memoriam perpetuam-
que observanciam hoc scriptum sibi indulsimus sigillo reg'ie
maiestatis communitum.
Hü sunt testes : episcopus Lausanensis, Hanricus Basi-
liensis episcopus, Cbüno Fuldensis et Eluuacensis'* abbas,
comes ßurchardus de Manesuelt, comes Hermannus de
Harzburch*^, Hanricus Constantiensis maior prepositus re-
galis aule prothonotarius et Eberhardus de Tanne, frater
eins, comes ülricus de Helfenstein, Anshelmus de lustin-
gen imjDerialis aule marscalcus, E-ichardus privatus domini
regis cainerarius et alii quam plures.
Ego Cbunradus Metensis et Spirensis episcopus impe-
rialis aule cancellarius vidi et recognovi.
Datum apud ülmam anno ab incarnacione domini
nostri lesu Christi 1218 sexte indictionis, quinto kalendas
Septembris, feliciter.
Friedrich II. bestätigt in Anerkennung der geleisteten
und in Erwartung fernerer Dienste dem Bischof
Jakob das Vicariat, in dessen Ausübung ihn kein
entgegenlautendes Privileg hindern soll.
1220 November 24, bei Eom.
Fredericus secundus divina favente dementia Roma-
norum imperator semper augustus et rex Sicilie universis
imperii fidelibus, ad quos presens scriptum pervenerit, gra-
ciam suam et bonam voluntatem.
Universitati vestre facimus manifestum, quod nos at-
tendentes sinceram fidem et grata obsequia, que fidelis
noster lacobus venerabilis episcopus Taurinensis nobis exi-
buit et que deo propitio nobis exibere poterit in futurum,
Privilegium vicarie condam a nobis concessum imperial!
auctoritate duximus in omnibus confirmandum, nullis lit-
teris vel privilegiis alicui a nostra serenitate concessis ob-
stantibus nee etiam concedendis, cum confirmationem huius-
modi ex certa scientia faciamus.
Datum in castris apud Urbem [anno dominice incar-
nationis''] millesimo 220, 8. kalendis Decembris, indictione 9.
a) Harhbiirch, b) Cluuacensis. c) Keine Lücke.
Urkunden u. Forschungen z. d. Regesten d. stauf. Periode. 223
S. Sisto zu Viterbo.
Die Societä Napoletana di storia patria besitzt, wie
Capasso in seinem Verzeichnis ihrer Urkunden angegeben
hat ^, auch das Original der folgenden. Capasso fügt hinzu :
d'ignota provenienza. Doch ergiebt sich die Herkunft aus
J. L. 13125, d. h. aus einem ungedruckten Privileg, das nach
Mittheilung Kehrs die Kirche S. Sisto in Viterbo erhielt:
es gehörte zu der Urkundensammlung einer Familie Fusco,
die auch unser Diplom besass-.
Heinrich VI. beschützt die Kirche und sichert sie gegen
ungerechte Forderungen und gegen alle Gewohn-
heiten, die den Gesetzen und der Vernunft wider-
sprechen.
1196 October 23, Montefiascone.
Henricus sextus dei gratia Eomanorum Imperator et
Sicilie rex et semper augustus.
Divinis et salutaribus sacrarum scripturarum ammo-
nemur eloquiis, ecclesiaruni dei tuitioni et securitati cle-
menter intendere, ut et eterne beatitudinis premium et
temporalis imperii prosperiorem decursum exinde mereamur
feliciter obtinere. Noverit igitur omnium presentium im-
perii fidelium etas et successura posteritas, quod nos pro
Salute anime nostre et parentum nostrorum te Petrum et
personas fratrum tuorum et ecclesiam sancti Sixti, cui pre-
esse dignosceris, cum omnibus possessionibus suis, quas in
presenti habet aut inposterum iusto acquisitionis titulo
poterit adipisci, in nostre protectionis defensionem recepi-
mus. Statuimus itaque et imperialis edicti vigore districte
precipimus, ut nullus dux, nullus com es, nulla civitas,
nullus consul, nullum commune, nulla potestas, nulla deni-
que humilis vel alta, secularis vel ecclesiastica persona
prenominatam ecclesiam, clericos et eins homines in per-
sonis aut in rebus molestare audeat vel quamcunque ab
eis indebitam exactionem, datam, collectam, angarias in-
iustas seu perangarias extorquere. Volumus etiam, ut ali-
qua consuetudo legibus et rationi contraria iustitie ecclesie
prenominate preiudicare non possit. Quod si quis facere
presumpserit, in ultionem temeritatis sue 10 libras auri
puri componat, dimidium camere nostre, reliquum ecclesie
iniuriam passe, et post penam solutam hec nostra consti-
1) Archivio stör. Napol. XII, 436. 2) Gegen Pflugk - Harttung
Eter Itai. 896 bemerke ich : wenn es ein Kloster S. Sisto zu Neapel ge-
geben hätte, so würde es der Verfasser des Catalogo di tutti gli edifizi
sacri della cittä di Napoli im Archivio 1. c. VIII, 730 genannt haben.
224 • Paul Scheffer-Boichorst.
tutio nichilominus imperpetuum firma permaneat. Ad
horum autem omnium evidentiam presenteui paginam con-
scribi iussimus et sigillo nostro cominuniri.
Datum apud Montem Flasconem anno domini 1196,
indictione 15, 10. kal. Novembris.
Regesten ungedruckter Urkunden der Kaiserin
Constanze.
Die Quellen für manche der folgenden Urkunden hat
E. Winkelmann nachgewiesen ^. Seine kurzen Notizen haben
dann in Behrings Regesten des normannischen Königs-
hauses Aufnahme gefunden-. Von einigen ahderen hatte
dieser aus anderen Erwähnungen dürftige Kunde ^. Mir
liegen jetzt volle Texte der von Winkelmann und Behring
angeführten Diplome vor^. Aber auch von Privilegien,
die beiden Forschern unbekannt geblieben sind, habe ich
mir den Wortlaut verschafft. So ist ein ziemlich reiches
Material zur Geschichte der Gemahlin Heinrichs VI. zu-
sammengebracht worden; — es unverkürzt vorzulegen,
würde zu viel Raum verlangen ; ich begnüge mich mit Re-
gesten, die hoffentlich ihre Dienste leisten '".
1195 Juni 25, Palermo, gebietet auf Klage des
Erzbischofs Caro von Mon reale, wonach Leute ihres
Gerichtes seiner Kirche, der sie sich besonders verpflichtet
1) Forschungen zur deutschen Gesch. XVIII, 480. 481. gedenkt
er der Ui'kunden, denen n. 3. 7. 8. 9. 14. 16 meiner Regesten entsprechen,
n. 3 gehört aber zum November 1195, nicht zum December; n. 7 muss zu
1196 angesetzt werden, nicht zu 1197, doch ist die Urkunde gefälscht;
u. 14 entbehrt des von Winkelmann hinzugefügten Tages, und die be-
stätigte Urkunde Heinrichs VI. kann nicht im Juni 1195 ausgestellt
sein. 2) n. 283. 86. 87. 99. 300. Ol. S. meine Regesten n. 3. 8. 9. 14.
7. 16. 3) n. 281. 85. 90. 94. 97. 98. Die letztere Urkunde, irrig zum
December 1196 gesetzt = 286; n. 297 gehört zu 1195, nicht 1196; zu
n. 285 hat Behring willkürlich ein Tagesdatum hinzugefügt ; im Uebrigen
wiederholt er, wie es ja nicht anders sein konnte, die Versehen Winkel-
manns. 4) Einige der Urkunden, die Behring nur aus Anführungen
kannte, sind nun anderweitig gedruckt, nämlich 288 = de Waal, Römische
Quartalschrift II, 51 ; 289 = Delaville le Roux, Cod. dipl. de l'ordre de
S. Jean I, 623; 291 = Stumpf, Acta imp. ined. 595. 5) Dass meine \
Sammlung nicht über 1197 hinausreicht, hat seinen Grund darin, dass Winkel-
mann die noch ungedruckten Urkunden, die Constanze als Vormünderin
ihres Sohnes ausstellte, in seinen Acta imp. veröffentlicht hat. Zu B. F.
und B. F. W. kann ich nur zwei gedruckte Dii^lome der Kaiserin nach-
tragen: 1198 September 8 für Erzbischof Matthaeus von Capua, s. oben i
S. 157, 1198 October 8 für Eustacius, den Sohn Sanctors. Gattini, Note j
storiche sulla cittä di Matera 349, doch bezweifle ich die Echtheit des '
übrigens nicht vollständig mitgetheilten Privilegs. Noch sei bemerkt,
dass die Urkunde Constanzes für Trani, deren bei Mazzatinti, Gli archivi ,
della storia d'Italia I, 152 und im N. A. XXEII, 766 gedacht wird, gleich
B. F. 527 ist. !
Urkunden n. Forschungen z. d. Regesten d. stauf. Periode. 225
fühlt, das Gebiet Grnmo und andere Besitzungen entrissen
hätten, den Justitiarien von Bari, ihm den Raub zu er-
statten; will denen, die einen Anspruch zu haben meinen,
vor ihrer Curie Gerechtigkeit widerfahren lassen. — Ent-
halten in Urkunde des Johann von Monteforte, kaiserlichen
Justitiars von Bari, d. d. 1195 Juli 15 Bitonto; Orig. im
erzbischöflichen Archiv zu Monreale; danach hat Dr. Güter-
bock mir eine Abschrift besorgt. — Nur mit ind. 13. —
Regest bei Lello, Hist. della chiesa di Monreale ed. 1596
S. 40 ; doch hat Lello Bestandtheile der Urkunde vom
December 1195 eingemengt. 1.
1195 November — — , Palermo, bestätigt auf
Bitten des Bischofs Roger von Catania ihm und der Kirche
S. Maria zu Rovere Grosso die Mühle Torreta im Ge-
biete von Paternö und zwar nach Massgabe eines der Curie
vorgelegten Privilegs Wilhelms IL und einer Acte, welche
die Zollmeister dem weiland Propste Albert ausfertigten.
— Orig. im Mnseo civico zu Catania, Schrank 1, Lade 5.
— Mit ind. 14 und verkehrtem, aber kanzleigemässem ao.
reg. 25. — Erwähnt von Pirro, Sic. sac. 1179. 2.
1195 November — — , Palermo, bestätigt zum
Wohle und zur Erhaltung ihres liebsten Herrn und Mannes,
sowie zu ihrem eigenen Seelenheil, der Kirche von Lecce
die aufgezählten Schenkungen des Grafen Goffrid von Lecce
und Ostuni, dann des Accard Herrn von Lecce; verbietet
die Güter als Präbenden zm verleihen. — Processi del ^e^.
padron. XVIII, 10 im Staatsarchiv zu Neapel, wonach mir
Capasso eine Abschrift anfertigen Hess. — Mit ind. 13
und verkehrtem, aber kanzleigemässem ao. reg. 25. 3.
1195 December — — , Palermo, bekundet ihre
besondere Werthschätzung des Cistercienserordens ; schenkt
wegen der Religiosität der Mönche von Casamari und
der beständigen Ergebenheit des Abtes Gerald, zum Seelen-
heil des Kaisers, ihrer selbst und ihrer Vorfahren dem
Kloster die Kirche S. Manso im Territorium Arpino. —
Mon. Germ., Bethmanns Abschrift aus dem Cartular
von Casamari, damals in der Bibliothek Albani zu Rom.
— Ao. 1195 deutet auf die Zeit vor dem 25. December,
(10. reg. Sic. 2 passt erst auf die Tage nach Weihnachten;
ao. reg. 25 ist verkehrt, aber kanzleigemäss; ind. 14 und
a. imp. 5 sind richtig. 4.
1195 December — — Palermo, erzählt die Ge-
schichte des Processes, den der Erzbischof Caro von
Monreale um das zu seiner Stadt Bitetto gehörige Bise-
Neues Archiv etc, XXIV. 15
226 Paul Scheffer-Boichorst.
glia führte : 'Konrad von Montefusculo habe, als kaiser-
licher Lehensträger von Grnmo, das angeblich zu Grumo
gehörige Streitobjeet in Anspruch genommen; aber schon
unter Tankred, dem eifrigen Verfolger der Kirche von Mon-
reale, der Grumo seinem Zögling Alexander Buccello zu
Lehen gab, habe die Kirche trotz aller Tyrannei, wegen
der Gerechtigkeit, den Besitz wiedererlangt ; Besitz sammt
Nutzniessung sei dem Erzbisthum danach avich von ihrem
Gerichte zuerkannt, die Eigenthumsfrage aber den Rich-
tern in Apulien vorbehalten worden ; inzwischen habe Caro
die in seinem Archiv gefundene, hier eingerückte, 1136
gefällte Entscheidung des Urso Travaglia, Herrn von Trani,
der Curie vorgelegt; aus dem sorgfältig geprüften Beweis-
stück gehe klar hervor, dass Biseglia gegen den Grafen
Robert von Conversano, den damaligen Herrn von Grumo,
als Zubehör von Bitetto gerichtlich erwiesen worden sei,
während Konrad von Montefusculo sich jetzt nur auf münd-
liche Aussagen gestützt habe' ; will nun die Kirche von
Monreale, die Wilhelm II. mit soviel Liebe begründet hat,
wie ja die Eigenart des Baues und die ihr verliehenen
Würden zeigen, von weiterer Verfolgung befreit wissen;
widerruft ihren Befehl an die Richter von Apulien, da ja
schon 1136 der Streit entschieden worden sei; spricht Bi-
seglia mit allen anderen Zubehörungen seiner Stadt Bitetto
dem Erzbisthum zu; verbietet den Herren von Grumo jede
Belästigung der Erzbischöfe, der von diesen in Bitetto ein-
gesetzten Prioren und der Stadtbewohner. — per manus
Gosfridi notarii. — Zwei Originale im erzbischöflichen
Archiv zu Monreale, wonach Dr. Güterbock mir Ab-
schriften besorgte. — Nach ind. 14 und ao. imp. 5 gehört
die Urkunde in den December 1195; ao. 1196 und a. reg.
Sic. 2 weisen auf die Tage nach dem 25. December 1195;
ao. reg. 26 wäre verkehrt, aber kanzleigemäss im December
1196 gewesen. — Regest bei Lello 1. c. 40. 5.
1196 Januar — — , Palermo, wiederholt auf
Bitten des Abtes Amatus dem Kloster S. Maria diGiosa-
fat, indem sie ihren Willen dem des Kaisers ganz unter-
ordnet, dessen Privileg vom 13. December 1194, am Wort-
laut nur wenig ändernd. — Orig. im Museo civico zu Ca-
tania, Schrank 1, Lade 5. — Mit ind. 14, ao. reg. Sic. 2,
dann dem kanzleigemässen ao. reg. 5, aber falschem ao. imp. 6.
— Erwähnt im Archivio storico Siciliano N. S. III, 472
aus einer Beglaubigung von 1248. 6.
1196 Januar 13, Palermo, wiederholt auf Bitten
des Abtes Amatas dem Kloster S. Maria di Giosafat die
Urkunden u. Forschungen z. d. Regesten d. stauf. Periode. 227
Urkunde Heinrichs VI. vom Januar 1195. — p. m. Con-
radi Brunsvicensis notarii scriptum, datum p. m. Mathei
Capuani archiepiscopi. — Abschrift des vorigen Jahrhun-
derts in dem Sammelbaude der Communalbibliothek zu
Palermo H. 11 S. 306. — Mit ind. 15. ao. imp. 6, ao. reg.
Sic. 2. — Erwähnt im Arch. stör. Sicil. a. a. 0., und zwar
nach dem Original des Palermitaner Staatsarchivs, hier
■ind. 14. — Wie die Urkunde Heinrichs VI., St. 4899a, eine
Fälschung ist, so auch diese Bestätigung. 7.
1196 Januar — — , Palermo, sichert der Kirche
von Cefalü, die ihr Vater König Roger aus eigenen Mit-
teln und mit grosser Liebe gegründet hat, in den genannten
und anderen Besitzungen, die sie auf domanialem Boden
zur Zeit Wilhelms II. besass und jetzt besitzt, die gleiche
Freiheit und Euhe, wer auch immer das Gebiet erhalten
möge. — Orig- iin Staatsarchiv zu Palermo, wonach mir
Dr. Güterbock eine Abschrift besorgte. — Wieder mit
ao. reg. 25. — La Farina, Rischiarazioni e documenti sopra
nove studi storici 257 und 303 hat Bruchstücke aus der
Urkunde mitgetheilt. 8.
1196 Januar , Palermo, erstattet auf Klage
des Bischofs Johann der Kirche von Cefalü, die sie
in besonderer Gunst schützt, weil ja ihr Vater sie aus
eigenen Mitteln und mit grosser Liebe gegründet hat, die
Mühle Fundeca bei Scillato, die Schenkung der Adelicia,
der Nichte König Rogers, nachdem ein darüber handelndes
Privileg von der Curie eingesehen und die Rechtlichkeit der
Forderung aus angegebenem Grunde auch von den Zoll-
meistern anerkannt worden ist; bestätigt ihr nun die
Mühle, und zwar für das Wohl ihres liebsten Mannes,
dessen Glück Gott noch länger bewahren möge, für ihr
eigenes Wohl, für das Seelenheil ihres Vaters und der
Schenkerin Adelicia. — Orig. im Staatsarchiv zu Palermo,
wonach ich eine Abschrift Dr. Güterbock verdanke. —
Mit ao. reg. 25. — • Erwähnt zuerst bei Pirro, Sic. sac. 804,
dann im Arch. stör. Sicil. N. S. V. 116 Anm. ; hier wird
auch die Urkunde der Adelicia von 1156 nachgewiesen. 9.
1196 März , Palermo, schenkt in Erwägung
der grossen Mühen, welche die Tempelherren gegen die
Feinde des Kreuzes ertragen, auf Bitten des Meisters Wil-
helm von S. Paul, dem die Ordenshäuser in Sicilien unter-
stehen, ihm und seinen Mitstreitern Lama Ciprandi mit
Zubehör, und zwar nach Massgabe des Privilegs, das sie
darüber vom Kaiser erlangt haben (1195 April 29). —
15*
228 Paul Scheffer-Boichorst.
Moii. Germ., Mittheilung Kehrs nach Abschrift des 13. Jh.
im vatikanischen Archiv. — Mit ao. reg. 25. — Erwähnt
von Sigonius, Hist. reg. Ital. ed. 1613 p. 354, mit berich-
tigtem, doch nicht kanzleigemässem Königs jähre. 10.
1196 April 5, Palermo, befiehlt Grafen, Justicia-
rien, Kämmerern und Bajuli, den Brüdern von S. Johann
zu Caltabuturo, die diesen Brief mit sich führen, beim
Sammeln von Almosen nicht hinderlich zu sein, sondern
die Kirche, die sie sammt deren Hospital und Brüdern in
Schutz genommen hat, auf jede Weise zu begünstigen. —
Abschrift des vorigen Jahrhunderts in dem Sammelbande
der Communalbibliothek zu Palermo Qq. H. 7 S. 171. —
Nur mit ind. 14. 11.
1196 Mai — — , Palermo, beschützt in Anbe-
tracht der Religiosität und Ehrbarkeit des Abtes Gerald
und seiner Brüder, wegen ewigen Lohnes, das Kloster
S. Johann und S. Paul zu Casamari mit allem Zu-
behör; bestätigt ihm seinen ganzen Besitz; befreit es von
genannten Abgaben bei Kauf und Verkauf, Kommen und
Gehen, sowohl im Kaiser- als im Königreich, zu Wasser
und zu Lande; ermächtigt es zur Entgegennahme jed-
welcher Schenkung, nur nicht von Lehngut; gewährt ihm
Weide- und Waldrecht im Gebiete von Sora , wie sich
dessen die Bürger von Sora erfreuen ; untersagt den Ca-
stellanen von Sora oder Eocca d'Arce, es irgendwie zu be-
drücken; erklärt es als Freistätte für alle Flüchtigen. —
Mon. Genn., Bethmanns Abschrift aus dem Cartular
des Klosters, damals in der Bibliothek Albani zu Rom. —
Nur mit 1196 und ind. 14. — Erwähnt von Huillard-
Breholles, Hist. dipl. Frid. sec. I, 685. 13.
1196 September — — , Palermo, bestätigt auf
inständige Bitte des Archimandriten Elias dem Kloster
Carbone die Privilegien ihres Vaters und anderer Könige^
die darin aufgeführten Freiheiten und Besitzungen , be-
sonders auch die Obedienz S. Angelo zu Battipede. — per
manus Gosfridi notarii. — Mon. Germ., Bethmanns Ab-
schrift aus dem Original in der Bibliothek Doria zu Rom. —
Nur mit 1196 und ind. 15. — Die angezogenen Urkunden
sind die Rogers von 1131, Wilhelms I. von 1155, Tankreds
von 1191 bei Santoro, Storia del mon. di Carbone 1824. 31.
13.
1 ] 9 7 J a n u a r , Palermo, bestätigt auf Bitten
des Abtes Palmerius, um Gottes willen, für das Wohl-
ergehen ihres liebsten Herrn, des Kaisers, und für ihr
Urkunden u. Forschungen z. d. Regesten d. stauf. Periode. 229
eigenes, dem Kloster S. Stej^han zu Monopol! das
eingerückte Privileg Heinrichs VI. von 1195 (März) 19;
ermächtigt die Aebte überdies, von ihren Leuten eine Bede
zu erheben, so oft sie zu Kaiser oder Papst reisen müssen
oder mit einer kaiserlichen Gesandtschaft ausserhalb des
Königreichs betraut sind. — Abschrift des vorigen Jh. im
Sammelbande der Communalbibliothek zu Palermo Qq.
H. 15. — Mit uo. imp. b, reg. Sic. 2, aber 1197, incl. 15 und
dem kanzleigemässen, wenn auch verkehrten ao. req. 26.
U.
1197 März — — , Palermo, bestätigt auf Bitten
des Bischofs Johann der Kirche von Cefalü die ge-
nannten Besitzungen im Val di Noto, und zwar so, wie
ihnen schon unter Wilhelm II. der damalige Justitiar des
Val di Noto, Goffrid von Mohac, und nun auf ihren Befehl
Roger Buccello, Justitiar des Val di Noto und Castellan
von Syrakus, die Grenzen gesetzt haben; wiederholt aus
deren Urkunden die Ortsbestimmungen; verbietet jede Be-
lästigung der Kirche, die ihr Vater König Roger aus
eigenen Mitteln und mit grosser Liebe gegründet hat, damit
die Geistlichkeit ohne Aufhör für sein Seelenheil bete. —
Sehr lückenhafter, mir nicht überall verständlicher Text
des vorigen Jh. im Sammelbande der Communalbibliothek
zu Palermo Qq. H. 7, S. 173; danach hat mir Dr. Güter-
bock eine Abschrift besorgt. — Mit ind. 14 und ao. reg.
Sic. 2, aber 1197, imj). 6 und dem kanzleigemässen, wenn
auch verkehrten ao. reg. 26. 15.
1197 April 2 5, [Palermo], bestätigt zu ihrem
und ihrer Erben Wohlergehen, zur Erhaltung ihrer Herr-
schaft die zahlreich aufgeführten Zehnten, die Graf Robert
der Kirche von Lecce geschenkt hat, doch sollen sie
niemals als Präbenden verliehen werden. — Processi del
reg. padron. XVIII, 9 im Staatsarchiv zu Neapel, wonach
mir Capasso eine Abschrift anfertigen liess. Mit ao.
req. 27. 16.
V.
Die Anfänge
der polnischen Annalistik.
Von
M. Perlbach.
Unter den zahlreichen Fragen, welche die mittel-
alterliche Geschichtschreibung' Polens dem Forscher vor-
legt und um deren Beantwortung sich seit einem Menschen-
alter in Polen und den Nachbarländern nicht wenige Ge-
lehrte bemüht haben, ist die nach dem Verhältnis der
verschiedenen annalistischen Aufzeichnungen zu einander
eine der wichtigsten. Es sind längere oder kürzere histo-
rische Notizen, nach Jahren geordnet, meist in zum prak-
tischen kirchlichen Gebrauch bestimmten Hss. an leer ge-
bliebenen Stellen, auf Vorsatzblättern, vorn oder hinten,
eingetragen, von denen die ältesten aus dem 12., die
jüngsten aus dem 16. Jh. stammen, die wir seit der Mitte
dieses Jh. mit ßoepell als Annales, Jahrbücher (polnisch
ßoczniki) bezeichnen. Bekannt, d. h. durch den Druck
verbreitet wurde ein Theil dieser Jahrbücher schon im
vorigen Jh. durch Sommersberg, der eine Breslauer Hs.
1730, und Lengnich, der einen Heilsberger Codex 1749 nach
dem damaligen Stande der philologischen Akribie heraus-
gab, aber beide Ausgaben verwirrten mehr als sie nützten.
Auch als 1853 der Krakauer Weihbischof Lgtowski im
vierten Bande seines Kataloges der Bischöfe, Prälaten und
Domherren zu Krakau aus einer Hs. seines Capitelsarchivs
Annalen und Kalender aus der Mitte des 13. Jh. zum
ersten Male edierte, wurde zwar ein neues höchst wichtio-es
Quellenmaterial der Wissenschaft erschlossen, aber es fehlte
noch ganz an seiner kritischen Würdigung. Dreizehn Jahre
später, 1866, brachten die Monumenta Germaniae im
19. Bande der Scriptores 15 verschiedene polnische Jahr-
bücher, von denen 9 zum ersten Male erschienen, in ge-
reinigten und kritisch gewürdigten Texten von Wilhelm
Arndt und Eichard Roepell; 1872 und 1878 legte August
Bielowski dieselben Annalen, vermehrt, vielfach durch er-
neute Vergleichung der Hss. berichtigt, aber leider auch
oft unter abweichendem Titel, in seinen Monumenta Polo-
niae historica Band 2 u. 3 dem polnischen Leserkreise vor.
Inzwischen hatte sich die historische Quellenforschung des
234 M. Perlbach.
dankbaren Stoffes bemächtigt; 1873 gaben gleichzeitig-
Heinrich v. Zeissberg in seinem klassischen Werke über
die polnische Geschichtschreibung im Mittelalter und Sta-
nislaus Smolka in seiner unter Waitz' Augen in Göttingen
verfassten Dissertation einen Abriss der polnischen Anna-
listik \ 1878 untersuchte der Nachfolger Bielowski's in der
Leitung des Ossolinskischen Instituts in Lemberg und in
der Herausgabe der Monumenta Poloniae, W. v. Kgtrzynski,
die Stellung des in mehreren Texten überlieferten klein-
polnischen Jahrbuches (Annales Polonorum der deutschen
Ausgabe)-', 1880 unternahm der Lemberger Professor Tli.
Wojciechowski auf breitester Grundlage den leider un-
vollendet gebliebenen Versuch, alle diese Annalen in ihrem
gegenseitigen Verhältnis zu einander zu erklären^. Nachdem
inzwischen Kgtrzynski im 4. und 5. Bande der Monumenta
Poloniae (und ebenso 1893 im 6.) noch einige von ihm ent-
deckten Funde von Annalen veröffentlicht und Referent,
einer Aufforderung Wattenbachs entsprechend, 1892 im
29. Bande der Scriptores die polnischen neuen Entdeckungen
dem deutschen Publikum vorgelegt hatten (nur meine Aus-
gabe der Annales capituli Poznaniensis daselbst kann als
eigene Leistung in Betracht kommen), unternimmt es jetzt
(1896) abermals der Mann, dem die polnische Quellen-
litteratur schon so viel verdankt, Kgtrzynski, in einer
umfangreichen Schrift seine Ansichten über die Geschichte
der polnischen Annalistik vorzutragen^.
Prägen wir zunächst nach der üeberlieferung der
polnischen Annalen, so ergiebt sich das Folgende:
Aus dem 12. Jh. stammen allein die Ann. Craco-
vienses vetusti (Rocznik swietokrzyski dawny, d. h. altes
Heiligenkreuzer Jahrbuch von den Polen benannt, ich werde
hier die abweichenden polnischen Bezeichnungen den deut-
schen [lateinischen] beifügen, mich aber im Verlaufe der
Arbeit nur der lateinischen bedienen), erhalten in einer
jetzt in der kais. öffentlichen Bibliothek zu Petersburg
1) Smolka hat sich, wie aus einer Notiz im Anzeiger der Akademie
der Wissenschaften zu Krakau, 1895, S. 60 hervorgeht, auch noch neuer-
dings mit diesem Gegenstande beschäftigt, aber anscheinend noch nichts
darüber veröffentlicht. 2) Roczniki towarzystwa przyjaciol nauk Poz-
nanskiego Tom X, Poznan 1878, S. 203 — 242 (Jahrbücher der Posener
Gesellschaft der Freunde der Wissenschaften.) 3) Pamigtnik akademii
umiejgtnos'ci w Krakovrie. WydziaTy filologiczny i historyczno-filozoficzny
Tom IV, Krak. 1880, S. 144—233 (Denkschriften der Krakauer Akademie
der Wissenschaften, philol. und histor. - philosoj^h. Klasse). 4) Rozprawy
wydziaTu hist. filozof. akad. um. Krak. XXXIV, 164 — 354, 1896 (Abhand-
lungen der Krak. Akad.).
Die Anfänge der polnischen Annalistik. 235
befindlichen Hs. /.. O. x. OTJ In. 19 in &'\_ die einst dem
Benedictinerkloster auf dem Kahlenberge (Lysa gora). Hei-
ligenkreuz (daher die polnische Bezeichnung) angehörte,
und "lacobi esplicationes in epistolas catholicas" enthält,
wie Arndt in seiner Ausgabe angiebt; dieser hat 1864
f. 3S — 39 unsere Annalen entdeckt, die eine Hand des
12. Jh. geschrieben hat, den Codex selbst setzt er ins
11. Jh.. sagt aber nichts über seinen Cmfang. Eine Schrift-
probe findet sich SS. XIX, S. 542 543.
Im 13. Jh. wurden vier noch vorhandene Annalenhss.
geschrieben :
Ann. Lubinenses, erhalten auf einem jetzt in der
k. Bibliothek zu Berlin als besondere Hs. iMs. Lat. fol. 321)
aufbewahrten Pergamentblatt, das als Einband eines nicht
weiter bekannt gewordenen Buches gedient hatte. Eine
Schriftprobe ebendaselbst.
Ann. Kamenzenses. gleichfalls als Einband des
1405 angelegten Kamenzer Xecrologiums in der Breslauer
UniTersitätsbibliothek erhalten. 1861 von Wattenbach in
den Monumenta Lubensia p. 62 — 63 zuerst ediert. Schrift-
probe wie oben.
Ann. capituli Cracoviensis und Ann. C r a c o -
vienses compilati iRocznik Krakowski '. in derselben
Hs. n. 71 des Krakauer Capitelsarchivs überliefert, deren
genaueste Beschreibung sich in Polkowski's Katalog der
Hss. dieses Archivs, Archiwum do dziejöw literatury i os-
wiaty w Polsce (Archiv für Geschichte der Litteratur und
der Aufklärung in Polen i III. 143—147 n. 209, 1884, be-
findet. Die Capitelsannalen wurden 1267. die compilati
nach 1291 in die anfänglich leer gelassenen Stellen S. 4 — 6
und 16. vielleicht erst im 14. Jh. eingetragen. Schrift-
proben wie oben und Mon. Pol. II Taf.^ 5 (S. 780/781).
Dem 14. Jh. gehören die Hss. der folgenden Jahr-
bücher an :
Ann. Poznanienses. auf dem Vorsatzblatt einer
einst dem Posener Domcapitel gehörigen Hs. der Hist.
scholastica des Petrus Comestor, von Ketrzvnski entdeckt
und Mon. Pol. V. 874—881 veröffentlicht, von niir SS. XXIX,
469 — 470 wiederholt.
Ann. Miechovienses . Bl. 136 — 168 am Schlüsse
einer 1359 vollendeten Hs. Sermonum de sanctis, jetzt in
der kais. Bibliothek in Petersburg /.. F. OTJ I n. 51, bis
1388 von einer Hand, dann von 17 verschiedenen Händen
bis 1434 fortgesetzt.
236 M. Perlbach.
Ann. Polonorum I (Eocznik Traski d. h. Jahrbuch
des Traska, Thratka eciam fuit ibidem schliesst die Auf-
zeichnung), in dem bekannten Cod. Zamoyscianus in War-
schau f. 74 — 89 überliefert; vorangehen (Bielowski, Mon.
I, 387) eine Vita Alexandri regis (1 — 20), der sogenannte
Martinus Gallus (20 — 54), Vita S. Stanislai (55 — 74), es
folgt (90 — 96) die Chronica üngarorum cum Polonorum
mixta.
Erst aus dem 15. Jh. stammen Rocznik wielko-
polski (d. h. das grosspolnische Jahrbuch, für das keine
lateinische Bezeichnung existiert, weil es von den deut-
schen Forschern für keine selbständige Quelle gehalten
wird, ich werde es daher auch unter seinem polnischen
Titel anführen), Ann. Cracovienses breves, Ann.
caj)ituli Poznaniensis; diese drei sind jedoch nicht
einzeln überliefert, sondern mit zwei Chroniken aus dem
14. Jh., der grosspolnischen (früher dem Posener Bischof
Boguphal und dem Domcustos Basko zugeschrieben) und
der des Johann von Czarnkow in einer grossen, in 9 Hss.
überlieferten Compilation erhalten. Um die Entwirrung
dieser Compilation hat sich wieder Ketrzynski in einer
Specialuntersuchung der grosspolnischen Chronik ^ die gröss-
ten Verdienste erworben. Weiter gehören dem 15. Jh. die
Ann. sanctae crucis Polonici an, die in 12 Hss.
überliefert sind, die Ann. Sandivogii, von denen es
nur den Codex des Sedziwoj von Czechel, nach dem sie
benannt sind, giebt, in der Czartoryskischen Bibliothek zu
Krakau, und die vier Hss. der Ann. Polonorum II,
III, III^, IV (Rocznik malopolski, kleinpolnisches Jahr-
buch), B 28 im Königsberger Staatsarchiv, mit dem be-
rühmten von Conrad Gesselen aus Geismar für Dlugoss
angefertigten lateinischen Wigand von Marburg, den Dlu-
goss 1464 im Thorner Minoritenkloster zurückliess, zwei
Petersburger Hss. und die ehemals Heilsberger, lange ver-
schollene, welche 1893 von dem inzwischen verstor-
benen langjährigen Director der Zamoyskischen Bibliothek
in Warschau, Joseph Przjborowski 'in einer Privatbibliothek
des Königreichs' (Eozprawy XXXIV, 293) wiedergefunden
worden ist.
1) Rozpra\^y akad. umiej. Krak. fil. bist. XXXIII, 1896, S. 1 — 54.
Auch die eben erwähnte Unofarisch - polnische Chronik ist von K. zum
Gegenstände einer eigenen Untersuchung gemacht worden, Rozprawy
XXXIV, 1896, S. 355 — 392. Der deutsche Leser findet Auszüge aller
dieser höchst beachtenswerthen Abhandlungen in dem Anzeiger der Kra-
kauer Akademie 1895, 284—288; 1896, 173—196. 402—407.
Die Anfänge der polnischen Annalistik. 237
Erst dem 16. Jh. gehören die Hss. der nur unter pol-
nischen Bezeichnungen bekannt gewordenen Rocznik Kra-
siiiskich an (Krasinskische Jahrbücher, nach dem Auf-
bewahrungsort, der Krasinskischen Bibliothek in Warschau,
benannt, jetzt von Ketrzyriski als Roczuik Domini-
kanskich Krakow skich, Jahrbuch der Krakauer Do-
minikaner bezeichnet), in der Hs. IX der Annalen S. Crucis
am Rande aufgezeichnet. Rocznik Kujawski am Schlüsse
einer theologischen Hs. in Wloclawek, und die von Pol-
kowski aufgefundenen Ann. mansionarium Craco-
viensium (Mon. Pol. V, 890—896).
Kgtrzynski gliedert seinen Stoff in drei Hauptabschnitte :
die capituli Cracovienses und ihre Quellen, spätere Compi-
lationen, capituli Poznanienses. Für uns ist die Haupt-
frage die nach dem Ursprung und den Quellen der Kra-
kauer Capitelsannalen. Dass diese in ihrer jetzigen Ge-
stalt erst 1267 entstanden sind, ergiebt sich deutlich aus
der Krakauer Hs., aber über die Art ihres Entstehens
gehen die Meinungen weit auseinander. Die deutschen
Herausgeber und 1873 Smolka nehmen ein verlorenes Kra-
kauer Annalen werk an, aus dem nicht nur die jetzt er-
haltenen Capitelsannalen. sondern auch die anderen Annalen-
reste mehr oder weniger geflossen sind ; Wojciechowski ist
der Ansicht, dass die vorhandenen Capitelsannalen das alte
Jahrbuch vollständig und neben ihm noch einige andere
Quellen aufgenommen haben. Kgtrzjnski dagegen hält die
jetzigen Capitelsannalen für eine Compilation aus noch
heute vorhandenen Annalen oder deren Quellen : für directe
Quellen der jetzigen capituli sieht er an: 1) Rocznik wiel-
kopolski, 2) Ann. Cracovienses vetusti, 3) Ann. breves; ge-
meinsame Quellen nimmt er an mit A. Poznanienses, com-
pilati, Lubinenses, Kamenzenses. Da von der ersten Gruppe
nur die vetusti in ihrer Ueberlieferung älter sind als die
capituli, müssten die übrigen dem Compilator von 1267 in
älteren Codices vorgelegen haben, als wir sie heute be-
sitzen. Das wollen wir nun im Einzelnen untersuchen.
Rocznik wielkopolski enthält 49 Jahreseintragungen
von 730 — 1191 und ist, wie schon erwähnt, nur in der
grossen Compilation von Boguphal/Janko überliefert, aber
von den 9 Hss. derselben enthalten es nur vier, die Rö-
mische (Ottobonianische). die Breslauer. die von Sienawa
und die von Wilanow, die übrigen haben es nicht (vgl.
Ketrzynski Rozpr. XXXIII, 8 — 11); in allen vier Hss. folgt
ein weiterer Annalenrest von 1202 — 1279 unmittelbar, nur
im römischen Codex ist die Reihenfolsre der ersten sechs
238
M. Perlbach.
Notizen durch Einschiebung fremder Bestandtheile noch
mehr verwirrt (967, 1390). Dass diese Annalen von 1202
zum Theil wörtlich mit den Krakauer Capitelsannalen
übereinstimmen, hat schon Bielowski erkannt. Von den
49 Jahresangaben von 730 — 1191 fehlt keine einzige in den
Capitelsannalen, es finden sich nur folgende Unterschiede:
Ann. capit. Cracovienses.
capit.
750 Pipinus iubente Za-
charia papa per unc-
tionem sancti Bonifacii
episcopi rex appellatur.
774 . . Karolus Eomam p e r -
V e n i t.
778 Karolus contra Saxones
p u g n a V i t.
782 Karolus Romam venit
ibique baptizatus est fi-
lius eins Karlomannus,
quem Adrianus m u -
t a t o nomine Pipinum
vocavit.
Iterum Karolus Romam
venit et sanguis de celo
prof luxit.
Karolus per Alemaniam
pervenit ad fines ßa-
uarie.
840 Loduicus imperator
obiit.
786
787
895
906
936
953
De miseria famis ac
mortalitatis christiani
homines alter alterius
carnem comederunt.
Adalbertum.
Henricus rex obiit.
Maguncia ab Ottone
obsessa est.
958 Cruces apparuerunt in
vestibus.
774
778
782
786
Rocznik wielkopolski.
750 Pipinus miles a Zacha-
ria papa per unccionem
sancti Bonifacii episcopi
rex appellatur.
. . Karolus Romam ve-
nit.
Karolus contra Saxones
p u g n a t.
Karolus Romam venit
ibique baptisatus est fi-
lius eins Karolomannus,
quem Adrianus nomine
Pipinum vocavit (also
mutato ausgelassen!)
Karolus Romam venit
iterum et sanguis de
celo fluxit.
Item 787 Karolus per Ale-
maniam venit ad fines
Bavorie.
Lodvicus imperator
obiit; Lotharius suc-
cessit.
De miseria famis ac
mortalitatis christiani
homines alter alterius
carnem comedit et
comederunt (et ad in-
vicem comederunt nur
Hs. 5).
Albertum.
Henricus rex Polonie
obiit (so 1, 5, 8 Ger-
manie 6).
Maguncia ab Ottone
abscessit.
Cruces apparuerunt in
vestibus.
840
895
906
936
953
954
Die Anfänge der polnischen Analistik.
239
Ann. capit. Cracovienses.
1002 Otto Imperator III. obiit
Henricus snccessit.
1191 Cracovia devastata est
a Meskone.
Eocznik wielkopolski.
1002 III. fehlt.
(1190) Eodem anno Craco-
via devastata est a Mes-
kone.
Die Capitelsannalen haben von 730 — 1002 (wir lassen
die letzte Notiz von 1191 ausser Acht), also für den Zeit-
raum der fremdländischen (nicht polnischen) Nachrichten
81 Angaben, Eocznik wielkopolski nur 42; dennoch weist
Kgtrzynski die Möglichkeit, dass die kleinere Quelle aus
der grösseren geflossen sei, ab und meint, dass in der
kleineren ein nur unvollständiges Bruchstück der Quelle
der grösseren vorliege ; dann müssen wir eben dieses Bruch-
stück an allen Stellen, wo es sich von den capituli unter-
scheidet, nach diesen abändern, wozu wir bei der Ueber-
lieferung in vier Hss. methodisch kaum berechtigt sind.
Nun glaubt Kgtrzynski die Quellen der fremden Nachrichten,
welche den Anfang der Krakauer Capitelsannalen bilden, zu
kennen; es sind, wie Waitz gezeigt hat, Reichenauer und Hers-
felder Annalen. An allen 13 Stellen, an denen Eocznik wiel-
kopolski von den capituli abweicht, haben die letzteren den
Wortlaut der Quellen besser bewahrt, man vergleiche:
750 'PipinusdecretoZachariae'
Hersfelder Ann.
774 'pervenit' Augienses
778 'pugnavit' Hersfeld.
782 'mutato nomine 'Hersfeld.
786 'profluxit' Hersfeld.
787 'pervenit' Augienses
S95 'alterius carnem come-
derunt' Augienses
905 'Adalbertum' Augienses
936 'Heinricus rex obiit'
Augienses
953 'obsessa est' Augienses
'iubente Zacharia' Capituli
P. 'miles a Zach.' E.W.
'pervenit'Capituli'venit' E.W.
'pugnavit' Capit. 'pugnat'E.W.
'mutato nomine' Capituli
'mutato' fehlt E.W.
'profluxit'Capituli 'fluxit'E. W.
'pervenit Capituli 'venit' E.W.
'alter alterius carnem come-
derunt' Capituli 'alter alte-
rius carnem comedit et come-
derunt' E.W.
'Adalbertum' Capituli 'Alber-
tum' E.W.
'Henricus rex obiit' Capituli
'Henricus rex Polonie obiit'
E.W.
'obsessaest'Capituli'abscessit'
E.W.
240
M. Perlbach.
958 'Signum crucis' Hersfeld. 958 'Cruces' Capituli
954 'Cruces' E.W.
1002 'Otto III. imp.' Hersfeld. 'Otto imp. IIL' Capituli
'III' fehlt R.W.
Ueberall steht das Capitelsjahrbuch der deutschen
Quelle näher als das grosspolnische; der einzige Zusatz
desselben 840 'Lotharius successit', der in den Eeichenauer
Annalen nicht steht und den Hersfeldern, welche die Nach-
folge Ludwigs des Deutschen berichten, geradezu wider-
spricht, berechtigt uns noch nicht, die Ableitung aus den
caj)ituli zu verwerfen, auch ein halbwegs verständiger Ab-
schreiber konnte sich diese zwei Worte leicht aus dem vier
Zeilen tiefer stehenden Lottarius Imperator obiit ergänzen.
Eine zweite Quelle der capituli sieht Kgtrzynski in
den Ann. Cracovienses vetusti, deren Ueberlieferung älter
ist als die der Capitelsannalen ; soll eine directe Beziehung
zwischen beiden bestehen, so können nur die vetusti von
den capituli benutzt sein. Die vetusti haben 44 Eintra-
gungen von 948 — 1136, davon stimmen die ersten 29 mit
den capituli, bis 1091, übereiu, doch sind die Zahlen von
948 — 1000 und 1082 um eine Einheit höher angegeben,
was Kgtrzjnski sinnreich aus der Stellung in einem Linien-
schema erklärt. Der eine Copist entschied sich für die
obere (capituli), der andere (vetusti) für die untere, höhere,
Zahl, denn K. ist der Ansicht, dass der Annalist von 1267
nicht den Heiligenkreuzer Codex vor sich gehabt habe,
sondern einen älteren (XXXIV, 177). Nun finden sich in
den bei beiden vorkommenden Jahresangaben die folgenden
Unterschiede :
Ann. Cracoviensis capituli.
966 Mesko dux Polonie bap-
tizatur.
987 Strzezizlava mater
sancti Adalberti obiit.
999 Ordinacio Gaudencii in
episcopum.
1003 heremite.
1016 Kazimirus dux natus est
mit Tagesdatum.
1018 Primus ßolezlaus Ru-
thenos superat et
terram vastat.
1025 Primus Bolezlaus rex
Magnus obiit . . .
Ann. Cracovienses vetusti.
967 Polonie fehlt.
988 mater sancti Adalberti
obiit.
1000 ordinatio sancti Gau-
dencii episcopi.
1003 heremite quinque.
1016 dux und Datum fehlen.
1018 Bolezlaus superavit
Ruziam.
1025 Bolezlaus Magnus obiit.
Die Anfänge der polnischen Annalistik.
241
Ann. Cracoviensis capituli.
1034 Mesko rex Felonie
obiit.
1039 Stephanus rex H Un-
gar orum obiit.
1045 Mesko filius Kazi-
miri nascitur. Tages-
datum.
1077 Bolezlaus II Corona tur,
qui occidit sanctum
Stanizl aum.
1089 Mesko regis Bolezlai
filius obiit.
1091 Wladislaus, cognomi-
natus Hermannus,
dux vicit Pomoranos ad
Rechen.
Ann. Cracovienses vetusti.
1034 Mysko rex Polonio
rum obiit.
1039 Stephanus rex obiit.
1045 Mysco natus est.
1077 Bolezlaus secundus co-
ronatus est.
1089 Mysco obiit.
1091 Wladizlaus dux vicit Po-
meranos ad Drecim (so
ist nach Arndts Anmer-
kung SS. XIX, 578, N. a
zu lesen, derselbe Name
heisst bei Gallus II, 2
Drzu, Driesen).
Dazu kommen noch zwei Stellen, für welche wieder
deutsche Parallelen vorliegen:
951 Otto primus rex
Ytaliam sub-
egit. capituli.
961 Otto in regem
elevatur. capi-
tuli.
951 Otto primus
Italiam sub-
egit. vetusti.
962 Otto in regem
ungitur. ve-
tusti.
951 Otto rex per-
rexit in Italiam
Hersf.
961 Otto puerulus
in regem ele-
vatur . . Ann.
S. Benigni Di-
vion. (Fortsetz.
der in den Au-
gienses benutz-
ten Annalen).
Die übrigen 14 Notizen zeigen keine Abweichungen;
die capituli haben von 947 — 1091 57, die vetusti 29 An-
gaben. Von den folgenden 15 Nachrichten der vetusti
fehlen in den capituli 1092, 1103, 1109, 1115, 1116, 1118,
1121, 1122, 1136, also neun, von den anderen sechs stimmen
mehr oder weniger überein:
Ann. capituli.
1101 Lambertus episcopus
Cracoviensis obiit mit
Datum.
Neues Archiv etc. XXIV.
Ann. vetusti.
1101 Das Datum fehlt.
16
242
M. Perlbach.
Ann. capitnli.
1102 Herrn annus duxPo-
lonie cognominatus
Viadislaus obiit.
1105 Vladizlans secundus na-
tus est.
1111 ... Bolezlaus devicit
Bohemos.
1113 Bolezlaus III. Nakel et
alia castra obtinuit.
1119 Item Bolezlaus Pomo-
ranos duces bello de-
vicit et utramque
possedit terra m.
Ann. vetusti.
1102 Wladislaus dux obiit.
1105 Wladizlaus secundus na-
tus est.
1110 Bolezlaus III. in trat
Boemy am,
1113 Bolezlaus III. Nachel et
alia castra obtinuit.
1119 Bolezlaus i d e m d u o s
Pomeranorum duces
bello convicit, unum
liaravit et a. f.
Die Vergleichung der abweichenden Stellen erg-iebt,
dass in den vetusti uns kein selbständiges Jahrbuch, son-
dern nur ein Auszug- vorliegt; das Fehlen der Würde-
bezeichnungen dux, rex, der ausgelassene Name Strzezis-
lawa zeigen es ganz augenscheinlich. Natürlich ist dieser
Auszug nicht aus den jetzigen Capitelsannalen gemacht,
sondern aus deren Quelle, wie von allen deutschen For-
schern und (1873) von Smolka angenommen wird, und zwar
erst nach 1138, da zu 1105 Wladizlaus bereits als secundus
bezeichnet wird, was vor seinem Regierungsantritt nicht
möglich war. Der Nachtrag zu 1136 wird einige Jahre
später hinzugefügt sein ; leider sind die drei letzten Nach-
richten dieses ältesten Jahrbuches noch nicht erklärt,
Hector, Zuetopolk dux Odreusis und Sophya sind uns un-
bekannt. In den vetusti liegt offenbar nur ein Fragment
vor, der Abschreiber wollte ursprünglich sein Werk weiter
führen, da die Jahre 1123 — 1164 zwischen Linien gesetzt,
aber keine Notizen zu ihnen gestellt sind. An zwei Stellen,
1003 quinque und 1091 Drecim ist die alte Quelle besser
erhalten als in den Capitelsannalen.
Als dritte Quelle der capituli sieht Kgtrzynski die
Ann. breves Cracovienses an. Auch diese sind uns, wie
Rocznik Wielkopolski, nur in der grossen Compilation des
15. Jh., der Chronica magna, erhalten und zwar in zwei
Theile getrennt, 965—1135 und 1142—1283, in drei Hss.
(Ottobon., Breslau, Sienawa) vollständig, in zwei (Czarto-
ryski und Petersburg) nur Theil I, in der Königsberger Hs.
nur einzelne Notizen von beiden Theilen, in der Hs. von
Wilanow nur der Schluss von II. Kgtrzynski hält ein
Fragment aus dem 13. Jh., das er von einer theologischen
Die Anfänge der polnischen Annalistik.
243
Hs. zu Wapcz in Westpreussen abgelöst hat und das Bie-
lowski als Notae Cracovienses herausgab, für den Rest
einer Hs, der breves. Dass diese 1399 in ihrer jetzigen
Gestalt vorhanden waren, beweisen die Ann. S. Crucis Po-
lonici, die in diesem Jahre entstanden, die breves völlig in
sich aufgenommen haben. Der erste Theil der breves,
965—1135, enthält 29, der zweite, 1142—1283, 44 Notizen.
Mit den capituli berühren sich im ersten Theile 24 Stellen
von 29, nämlich:
Ann. capit. Cracoviensis.
965 Dubrovka ad Meskonem
venit.
966 Mesco dux Polonie bap-
tizatur.
990 Professio sancti Adal-
berti cum fratre Gau-
dencio.
997 Passio sancti Adalberti.
1002 Ottoimperatorlll.obiit.
Henricus successit.
1003 heremite in Polonia mar-
tirizati sunt.
1018 Primus Boleslaus Ru-
thenos super at et ter-
ram vastat.
1025 Primus Bolezlaus rex
niagnus obiit. Lamber-
tus filius eins succedit.
1034 Mesko rex Polonie (Po-
loniorumA.vetusti)obiit.
1038 Corpus sancti Adal-
berti translatum est.
1061 Zula in episcopum Cra-
coviensem ordinatur et
tunc cognominatus
est Lambertus.
1065 (MLXV) Mesko filius
Kazimiri ducis obiit.
1071 Sula,cognominatusLam-
bertus, episcopus Craco-
viensis obiit.
Ann. Cracovienses breves.
965 Dubrowka venit ad du-
c e m Mesconem.
966 Meszco baptizatur et fi-
des katholica in Po-
lonia recipitur.
990 Professio sancti Adal-
berti cum fratre Gau-
dencio.
997 Sanctus Adalbertus
martyrizatus est in
Prussia.
1002 Otto Imperator obiit.
1003 heremithe in Polonia
martirizati sunt.
1018 Primus Boleslaus super-
avit Ruthenos et ter-
ram eorum vastavit.
1025 Primus Boleslaus rex
magnus obiit.
1030 Meszco rex Polonorum
obiit.
1038 Sanctus Adalbertus
translatus est.
1061 Ordinacio Lamberti in
episcopum Cracovien-
sem, qui Sula voca-
batur.
1070 (MLXX) Mesco dux
obiit.
1071 Lambertus obiit, cui
sanctus Stanislaus suc-
cessit.
16*
244
M. Perlbach.
Ann. capit. Cracoviensis.
1072 Stanyzlaus suc cedit.
1077 BolezlausII.coronatur
(coronatus est A. vetu-
sti), qui occidit sanctum
Stanizlaum.
1079 Stanizlaus episcopus
Cracoviensis (lange Er-
zählung) . . . martiri-
zatur . .
1081
1082
1086
1088
1102
1111
1125
1135
Secundus Bolezlaus rex
obiit.
item ordinacio Lamberti
in episcopum Cracovi-
ensem.
Mesko filius Bolezlai
secundi de Hungaria
rediit et Bolezlaus ter-
cius natus est. ludith
mater sua obiit.
Mesko uxorem duxit.
Hermannus dux Polonie
cognominatus Vladis-
laus obiit.
Bolezlaus devicit Bohe-
mos (BolezlausIII. intrat
Boemyam A. vetusti).
Cracov combustum est.
Wizlicia cede destruitur
V. Idus Februarii.
Ann. Cracovienses breves-
1078
1079
BoleslausII. coronatus
est, qui occidit sanc-
tum Stanislaum.
Beatus Stanislaus mar-
tirizatus est, cui suc-
cessit in episcopa-
tum Lambertus, non^
nisi quarto anno.
1081 Rex Boleslaus secundu»
obiit, occisor sancti
Stanislai.
1082 Lambertus in episcopum
Cracoviensem ordinatur.
1086
1088
1102
1111
1125
1135
Mesco dux de Unga-
ria rediit et Boleslaus
tercius natus est et Ju-
dith mater sua obiit.
Mesco dux uxorem
duxit.
Wladislaus cognomina-
tus Hermannus diem
clausit extremum.
Boleslaus dux Craco-
viensis devicit Bohe-
mos et terram eo-
rum vastavit.
Cracow combustum est.
Vislicia cede destruitur
V. Idus Februarii.
Ziehen wir das von Kgtrzjnski entdeckte Fragment
mit in Betracht, so erhalten wir aus dem ersten Theile der
breves noch zwei Notizen zur Vergleichung mit den Ca-
pitelsannalen ;
Ann. capit. Cracovienses.
1109 Balduinus episcopus
Cracoviensis obiit,
Maurus succedit.
1118 Maurus episcopus
Cracoviensis obiit,
Radost successit.
Notae Cracovienses.
1109 (hinter 1135) Balduinus^
obiit; cui Maurus suc-
cessit.
1118 (hinter 1109) Ma[u]rus
obiit, Robert US suc-
cessit.
Die Anfänge der polnischen Annalistik. 245
Die Ann. S. Cnicis beweisen, dass die Nachricht der
Capitelsannalen richtig ist und in dem Fragment der Bi-
schof swechsel Yon 1118 mit dem von 1142 Eadost obiit,
Robertus successit verbunden ist. Mit dem Bischofswechsel
von 1142 beginnt der 2. Theil der breves, der also, wie
wir jetzt aus dem Fragment ersehen, mit den an ihrer
richtigen Stelle ausgelassenen Notizen von 1109 und 1118
begann. Auch die Ann. S. Crucis haben in ihrem Exem-
plar der breves die Bischofswechsel von 1109 und 1118
hinter 1135 gelesen, denn sie ändern, um die chronologi-
sche Reihenfolge wiederherzustellen, willkürlich die beiden
störenden Zahlen 1109 und 1118 in 1138 und 1153 (Mon.
Pol. III, 69, vgl. Rozprawy XXXIV, 182).
Innerhalb des ersten Theiles der Ann. breves haben
also 26 Notizen die entsprechenden Parallelen in den capi-
tuli. Zu beachten ist dabei, dass an zwei Stellen 1034
und 1077 der Wortlaut der breves an den der vetusti er-
innert; mitunter machen die breves kleine Zusätze, so 965,
966, 997, 1018, 1065, 1071, 1079, 1081, 1086, 1111. Sieben
Stellen der breves sind nicht in den capituli enthalten :
982, 991, 992, 1001, 1059, 1088, 1133.
Dass die zu 1088 erzählte Translation des h. Stanis-
laus wörtlich aus der 1260 von dem Dominicaner Vincenz
von Kielce verfassten Lebensbeschreibung herrührt, hat
schon 1873 Smolka S. 19 angemerkt; aus derselben Quelle
dürfen wir auch die Nachricht von 1059 über den Bischof
Aaron von Krakau herleiten, die nur (Smolka S. 38) aus
Versehen unter sein Todesjahr 1059 statt 1046 gerathen
ist; dabei ist der dem Schreiber unwahrscheinlich klin-
gende Ort Köln, wo nach der Vita die Ordination Aarons
«rfolgt sein soll, in Rome umgewandelt. Die noch übrig
bleibenden fünf Notizen 982, 991, 992, 1001 und 1133 haben
ein Gemeinsames, sie beziehen sich auf Böhmen.
Der zweite Theil der Ann. breves (1142 — 1283) ent-
hält 44 Eintragungen. Es stimmen mit den capituli
überein 1142, 1143, 1147 (et ducibus fehlt brev.), 1166
(ohne Tagesdatum), 1170 Sanctus Thomas brev., 1177
optinendam cap., obtinendus brev., 1182 Dux Kazimirus
devicit Ruthenos cap., 1182 Kazimirus dux Cujavie vicit
Euthenos, 1184, 1185 Zusatz in den breves (aus 1187 ent-
nommen) cui Fulco successit, 1186 optinuit cap., obtinet
— eins breves, 1194, 1202, 1205 (breves viel kürzer, die
capituli sind hier bekanntlich interpoliert), 1207, 1208, 1219,
1221 de consensu cap., cum consensu brev., 1222 de civi-
tate fehlt brev., also lauter unbedeutende Abweichungen.
246
M. Perlbach.
Die Capitelsannalen haben von 1142 — 1222 43 Notizen,
die breves nur 23. Zu 1195 vertheilen die breves den Be-
richt der capituli auf zwei Jahre:
Ann. capit. Cracovienses.
1195 Inter Mesconem et
Lezstkonem filiuni
Kazimiri factum est pre-
lium magnum in Mos-
kava et Mesko v i c i t et
ßolezlaus suus filius est
occisus. Tuncdux Mesko
Cracoviam optinet.
Ann. breves.
1195 Inter Mesconem et fi-
lium Kazimiri facta est
cedes magna in Mas-
cova, ita quod Mesco
vincitur et dux Boles-
laus filius suus inter-
ficitur.
1196 dux Mesco in Cracovia
I succedit.
Das Auslassen des Namens Lestco erweist den Bericht
der breves an dieser Stelle sicher als Auszug, aber aus
seiner Quelle hat der Epitomator richtiger, als der Capitels-
annalist von 1267, die Niederlage Mesko's herausgelesen.
Das bestätigen die compilati, die auch nach Kgtrzjnski
mit den capituli eine gemeinsame Quelle haben:
1195 Bellum in Mozgava inter Lestkonem et Meskonem^
Lestko prevaluit et Boleslaus occiditur.
Vermuthlich stand in der Quelle . . et Mesko vincitur
et Bolezlaus suus filius est occisus. Tarnen dux Mesko
Cracoviam optinet; dafür las der Annalist von 1267 Tunc
und änderte nun vincitur in vicit (vgl. Smolka S. 79. 80).
Noch deutlicher ist das Verhältnis der breves zu den
capituli 1197. Man muss diese Stelle mit zwei anderen zu
1189 und 1223 zusammenhalten.
Annales capituli Cracov.
1189 lohannes cardinalis cog-
nominatus Malabranca
venit in Poloniam.
1197 Petrus cardinalis venit
in Poloniam sedis apo-
stolice legatus, qui in-
stituitmatrimonium con-
trahere in facie eccle-
sie et habere uxores sa-
cerdotibus inter dixit.
1223 Gregorius tercius cardi-
nalis in Cracoviam ve-
nit.
Ann. breves.
fehlt.
1197 Petrus secundus car-
dinalis venit in Polo-
niam, qui matrimonium
in facie ecclesie insti-l
tuit contra hi et sacer-
dotibus uxores habere
contra dixit.
fehlt.
Die Anfänge der polnischen Annalistik. 247
Das tercitis wird klar aus dem secundiis der breves
von 1197, sie bezeichnen den Cardinal Peter als zweiten,
obwohl sie den Besuch des ersten übergangen haben, ein
deutliches Zeichen, dass wir es hier nur mit einem Aus-
zug, aber keinem selbständigen Jahrbuch zu thun haben.
Von 1223 wird dieser Charakter noch offenkundiger. Mit
den capituli stimmen überein 1227, 1247, 1253, 1265, nur
die Hälfte der Nachricht ist raitgetheilt zu 1223, 1225,
1231, 1241, 1242. 1243, 1259, 1262, 1266, 1267, 1268. In
diesem ganzen zweiten Theile finden sich bis 1268 keine
Stellen, die nicht auch in den capituli überliefert sind,
dennoch werden wir die breves mit Rücksicht auf ihren
Anfang und die Berichte zu 1195 und 1197 nicht für ein
Excerpt der jetzigen Capitelsannalen, sondern, wie die
vetusti, aus deren Vorlage abgeleitet ansehen müssen, Rocznik
Wielkopolski dagegen halte ich für einen Auszug aus den
capituli von 1267. Die breves und die vetusti treten da-
mit auf dieselbe Stufe, wie die Lubinenses, Kamenzenses,
Poznanienses und compilati, von denen auch Ketrzynski
annimmt, dass sie mit den capituli aus gemeinsamer Quelle
schöpfen.
Wie wir bereits gesehen haben, stehen an der Spitze
der Capitelsannalen fremdländische Nachrichten von 730
an, deren Spuren sich auch in den vetusti, Poznanienses
und, wenigstens eine Stelle, auch in den Ann. Miecho-
vienses erhalten haben : 947 inventio sancti Stephani proto-
martiris. Waitz und Wojciechowski haben nachgewiesen,
dass diese Stelle und die zu 931 über den h. Ambrosius
irrthümlich aus dem ersten Ostercyclus (399 resp. 415) in
den zweiten gerathen sind. Da sich diese Fehler in allen
polnischen Annalen, in denen sie vorkommen, finden, ist
es klar, dass sie bereits der gemeinsamen Quelle der capi-
tuli, vetusti und Poznanienses angehört haben. Wie war
nun diese gemeinsame Quelle beschaffen?
Fränkisch -deutsch -böhmische Nachrichten haben sich
in folgenden, von Kgtrzynski im ersten Abschnitt bespro-
chenen Annalen erhalten:
1) In den Ann. capituli Cracoviensis von 730 bis ?
(das Endjahr muss vorläufig offen bleiben).
2) In den Ann. Cracovienses vetusti von 948 bis 1002.
3) In den Ann. breves von 982 bis 1038 (nur böhmi-
sche Nachrichten).
4) In den Ann. Poznanienses von 929 bis 1038.
5) In den Ann. Miechovienses von 947 bis? (auch hier
kann der Schluss erst später festgestellt werden).
248 M. Perlbach.
In der ersten ki'itischen Ausgabe der Krakauer
Capitelsannalen von ßoepell und Arndt im 19. Bande der
Scriptores wurden als Quelle dieser fränkischen Annalen
die Hersfelder Annalen angesehen (XIX, 575). Dagegen
hat Waitz in den Nachrichten von der K. Gesellschaft der
Wissenschaften zu Göttingen 1873 S. 388 — 391 gezeigt,
dass neben den Hersfelder Annalen als Quelle die Ann.
Augienses (bis 954) und stellenweise die Ann. Corbeienses
in Betracht kommen ; er denkt an eine in Mainz erfolgte
Vereinigung dieser drei Jahrbücher, welche über Prag nach
Krakau gelangt ist, und nennt deshalb die verlorene Quelle
Mainzer Annalen. Wojciechowski dagegen, der 1880 in
der Eingangs erwähnten Abhandlung gerade dieses frän-
kische Jahrbuch sehr gründlich untersucht, entscheidet
sich für Abfassung der Vorlage in Corvey, hauptsächlich
auf Grund der anachronistischen Auffindung des h. Ste-
phan, des Corvey er Localheiligen. K^trzjiiski schliesst
sich in der Hauj^tsache an Waitz an und hält das frän-
kische Jahrbuch für eine Compilation aus den Hersfelder
und Reichenauer Annalen; S. 242 — 253 druckt er in je zwei
Spalten zuerst die Ann. Augienses und Weissenburgenses
(eventuell ergänzt durch die anderen Vertreter der verlor-
nen Hersfelder, Quedlinburger, Hildesheimer, Lampert,
Altaicher, Ottoburani) nebeneinander, dann theilt er auf
der gegenüberliegenden Seite ^ die Nachrichten des frän-
kischen Jahrbuches der capituli (730 — 973) in zwei Colum-
nen, je nachdem sie mit der Reichenauer oder der Hers-
felder Ueberlieferung Verwandtschaft zeigen. Bei der Ver-
gleichung ergiebt sich nun die auch Ketrzynski keinenfalls
entgangene Thatsache, dass alle localen Beziehungen auf
Eeichenau und Hersfeld in dem fränkisch-polnischen Jahr-
buch fehlen, dafür finden sich Localnachrichten Ton Fulda
und Mainz, nämlich :
744 inicium Fuldensis ecclesie.
807 in cenobio Fuldensi fratrum mortalitas magna fuit.
813 pons apud Mogunciam arsit, Radulf us archiepisco-
pus obiit, Ottagarius successit.
890 Liubertus archiepiscopus obiit, Sinderoldus succedit.
891 Sinderoldus archiepiscopus a Normannis occiditur
et Hatto ei succedit.
937 monasteria s. Galli et s. Bonifacii comburuntur.
1) Im Separatabzugf stehen sich diese beiden Seiten leider nicht
gegenüber, sondern folgen auf einem Blatte aufeinander, daher empfiehlt
es sich für diese Vergleichung die Rozprawj' selbst zur Hand zu nehmen.
Die Anfänge der polnischen Annalistik. 249
953 Maguncia ab Ottone obsessa est. Fridricus arch.i-
episcopus obiit, Willihalmus successit.
969 Willihalmus archiepiscopus obiit, Hatto successit.
970 Hatto archiepiscopus obiit, cui Robertus successit.
Offenbar ist ein Mainzer Bischofsverzeichnis Quelle
gewesen, denn nur bei Benutzung eines solchen ist der
irrthum zu 813, das Ueberspringen des Erzbischofs Aistulf,
zu erklären, es muss dagestanden haben:
813 Richulfus (st. Radulf us) archiepiscopus obiit, Aistul-
fus successit.
826 Aistulfus archiepiscopus obiit, Ottagarius successit.
Der Abschreiber irrte aus der ersten in die zweite
Zeile. Dieses Versehen fällt sicher nicht dem Annalisten
von 1267 zur Last, auch nicht mehr seiner Vorlage, un-
zweifelhaft kann es nur bei Benutzung einer Bischofsliste,
in der beide Namen aufeinanderfolgten, entstanden sein,
in den Annalen stehen ja vor 826 schon zwei Notizen von
816 und 821. Von den erhaltenen Mainzer Bischofskata-
logen, die Holder-Egger im 13. Bande der SS. S. 308—33 6
herausgegeben hat, zeigt keiner diesen Fehler. Nach Kg-
trzynski's Theorie vertheilen sich von diesen 9 Localnach-
richten 6 (744, 807 Fulda, 813, 890, 969, 970 Mainz) auf
Hersfeld, 3 (891, 953 Mainz, 937 Fulda) auf Reichenau.
Ist das wahrscheinlich?
Bereits Wojciechowski hat 1880 in der öfters citierten
Abhandlung S. 205 ganz klar ausgesprochen, dass nicht die
Hersfelder Annalen, sondern ein verlorenes Jahrbuch von
Fulda die Quelle des fränkisch -polnischen Jahrbuches ge-
wesen ist. Damit stimmt auf das Beste die Untersuchung
von H. Lorenz, Die Annalen von Hersfeld, Leipziger Disser-
tation von 1885, deren wesentlichstes Ergebnis für unsere
Frage ist, dass nach Hersfeld in der Mitte des 10. Jh. in
Fulda verfasste Annalen gelangt sind, deren Spuren sich
auch in den Werken des Mainzer Chronisten aus dem 11. Jh.,
des Schotten Marianus, wiederfinden. Auf denselben Mainzer
Chronisten hat kürzlich (aber erst nach dem Erscheinen
von Ketrzynski's Abhandlung, die er freilich nicht kennt)
J. R. Dieterich in seinem Buche: Die Geschichtsquellen
des Klosters Reichenau bis zur Mitte des 11. Jh., Giessen
1897 ^, als mit den Krakauer (und Prager) Annalen in Ver-
1) Dieterich behandelt die Krakauer - Prager Annalen S. 173 — 198
u. S. 260 — 285, aber zutreffend nur an der ersten Stelle. Der Anhang II,
Die Anfänge der böhmischen und polnischen Annalistik S. 260 £f. wird
durch die Nichtbeachtung aller polnischen Vorarbeiten beeinträchtigt.
250 M. Perlbach.
bindung stehend hingewiesen (S. 174). Zu Mainz stehen
aber, wie schon 1873 Waitz hervorgehoben hatte, die Ann.
Augienses in enger Beziehung, da die einzige Hs. derselben
der Codex 4860 (Colbertinus 240, ßegius 3730 a) der Pariser
Natioualbibliothek ist, in welchem sich noch eine andere
Mainzer Quelle befindet, die Albaner Annalen, die im
zweiten Bande der SS. (239 — 247) als Ann. Wirziburgenses
herausgegeben sind. Sie sowohl wie die Ann. Augienses
sind mit den Annalen von Weingarten und St. Gallen Aus-
züge aus grösseren, wohl schwäbischen, Reichsannalen. Von
beiden Seiten, von Hersfeld und Reichenau, werden wir
somit nach Mainz geführt. Der Kreis der in Betracht
kommenden Annalen wird allerdings erheblich weiter ge-
zogen werden müssen, als es Kgtrzjnski gethan hat ; nicht
nur mit den Augienses und Weissenburgenses, sondern mit
einer ganzen Reihe anderer Jahrbücher sind die fränkischen
Nachrichten der Ann. capituli Cracovienses zu vergleichen.
Die Hs. der Krakauer Capitelsannalen wird nach
einem nicht mehr völlig lesbaren Prologe eröffnet durch
eine Abschrift der kleineren Chronik des Isidor von Sevilla
(Etjmol. lib. 5 c. 89 de descriptione temporum), welche von
Lgtowski und Bielowski abgedruckt, von den deutschen
Herausgebern fortgelassen ist, auch K^trzyiiski geht nicht
weiter auf sie ein. Nur an wenigen Stellen weicht sie von
dem recipierten Text (jetzt am besten in Mommsens Aus-
gabe (A. antiquiss. XI, 426 ss.) ab, so nach 4542 (Moi:.
Pol. II, 786): 'Numa Pompilius lanuarium Februarium
menses adiecit' nach der grösseren Chronik Isidors c. 37,
5474 (M. P. II, 787) zu Kaiser Tacitus ebendaher, 4833
'Artaxerxes isto altero nomine Assuer vocatur', nach dem
Buche Esther. Ein bemerkenswertherer Zusatz findet sich
S. 788 zu lulianus apostata: 'qui postea a Persys vivus ex-
coriatur, stramine repletur et in insultibus moritur'. Die-
selbe Fabel erzählt Gotfried von Viterbo im Pantheon
XXII, 7 (SS. XXII, 181) 'sicut legitur in vita s. Fabiani
(in passione s. Floriani B)'. Waitz bemerkt dazu S. 179,
dass eine derartige Legende noch nicht (1872) bekannt sei,
ähnliches aber im Chron. S. Benedicti, SS. III, 696, also
zur Zeit Otto I., berichtet werde. Der heilige Florian
wurde 1184 nach Krakau gebracht (Ann. cap. Crac), Hss.
seiner Legende sind daher in Polen mehrfach verbreitet
(Krakauer Capitelsbibliothek n. 157 Archivum doziejow
III, 110, Kurnik, Dzialynskische Bibliothek I, D 52, Mon.
Pol. lY, 45, Krakau Czartoryskische Bibliothek n. 3064,
M. P. IV, 243), ob aber die Stelle über Julians Ende darin
Die Anfänge der polnischen Annalistik,
251
steht, ist nicht bekannt. Den Schluss des Isidor, der bis
zum Jahre 5856 o. e. reicht, bildet die subscriptio Re-
ceswinthiana aus dem 10. Eegierungs jähre dieses Fürsten
(= 658) bis S. 4, Columne 2, dann folgen die Ann. compi-
lati 965—1247 S. 4—6 und S. 7 beginnt 730 das fränkische
Jahrbuch. Die Anfügung desselben an Isidor (die compi-
lati wurden erst nach 1291 auf die leer gelassenen Blätter
eingetragen) wurde wohl erst 1267 vorgenommen, Isidors
Etymologien befanden sich schon 1110 in der Bibliothek
des Domcapitels nach dem alten Katalog der Dombibliothek
Mon. Pol. I, 377, vermuthlich der jetzt im Besitze der
Jagiellonischen(Universitäts-)Bibliothek zuKrakau befindliche
Codex n. 484 des Handschriftenkataloges von Wislocki (S. 154).
Jetzt wollen wir die einzelnen Jahresangaben der
Krakauer Capitelsannalen von 730 an mit den entsprechenden
deutscheu Annalen zusammenstellen.
Ann. capituli Cracoviensis.
730 Beda presbiter obiit. Ebenso Ann. Fuld. breves
SS. II, 237, aber zum richti-
gen Jahre 735.
Ebenso Ann. Sangallen-
ses\ Weingartenses, Augienses
(aber Frisiam oder Fresiam).
SS. I, 64. 67.
Ebenso nur Aug. (A.), die
anderen 'invadit'.
Ebenso A. , Sangallenses
(SG.), Weingart. (W.).
Urquelle ist die Notiz der
Ann. Fuldenses antiqui (ed.
Kurze S. 137): '744 initium
monasterii Fulde'. Als 'Ini-
cium Fuldensis monasterii' aus
den Hersfelder Annalen bei
Lampert, den Weissenburger
(ed. Holder -Egger 14, 15),
Quedlinburger (SS. III, 35),
Wirziburgenses (S. Albani,
aber zu 745, SS. II, 239).
W. ebenso, SG. etwas ver-
stümmelte Namen, A. SG.
zu 745.
734 Karolus Friofiam vastat.
735 Karolus Wasconiam in-
vasit.
741 Karolus moritur.
744 Inicium Fuldensis ecclesie.
746 Karolomannus Aleman-
niam ingreditur.
1) Nach der Ausgabe von Henking in den Mittheilungen zur
vaterländischen Geschichte, N. F. IX, St. Gallen 1884, S. 220 ff.
252
M. Perlbach.
Ann. capituli Cracoviensis.
746 Karolomannus Romam
pergit tonsoratus.
750 Pipinus iubente Zacharia
papa perunctionem sancti
Bonifacii episcopi rex ap-
pellatur.
754 Bonifacius martirizatur
et Pipinus Italiam intrat.
755 Organum primum in
Franciani yenit.
756 Pipiniis rex Saxoniam in-
greditur.
757 Pipinus rex Wasconiam
intrat.
766 Sclavi victi sunt aFrancis.
Urquelle sind Ann. Lauris-
senses minores SS. I, 115:
'Karlmannus . . Romam per-
venit ibique tonsoratus'. In
den Quedlinburger Annalen,
die hier als einziger Vertreter
der Hersfelder gelten müssen,
steht : 'Karolomannus Romam
pergens tonsoratur' (SS. III,
35), ebenso bei Marianus Sco-
tus (SS. V, 547).
Urquelle wieder Ann. Lau-
riss. min. SS. 1, 116 : 'Pippinus
. . ad Zachariam . . per unc-
tionem sancti Bonifacii . .
appellatur rex'. Darauf be-
ruhen die Hersfelder, die statt
'iubente' — 'decreto' haben
und Marianus, der fälschlich
'unguitur in imperatorem'
schreibt.
A. SG. W. (aber alle 'in-
travit').
Am nächsten steht die Fas-
sung Marians zu 757: 'Orga-
num primitus venit in Fran-
ciani'. Die Hersfelder (Weiss.,
Quedl., Altaicher) haben 'pri-
mum' nicht.
A. W. (in Saxoniam) und
758, ebenso Marianus (nach
A.), der 'rex' in 'imperator'
abändert, SG. 756.
758 Pipinus rex in Wasco-
niam W.
758 Pipinus rex in Wasco-
nia SG.
759 Pipinus in Wasconia A.
760 Pipinus in Vascones in-
greditur Marian.
760 Pippinus in Wasconiam
venit Quedlinb.
Ebenso ('Victi sunt Sclavi
a Francis') nur die Weissen-
Die Anfänge der polnischen Annalistik.
253
Ann. capituli Cracoviensis.
768 Pipinus rex obiit.
771 Karolomannus rex frater
Karoli obiit.
burger. Die anderen Ablei-
tungen der Hersfelder : Lam-
pert, dieAltaieher, Ottenbeur.
setzen noch den Namen des
Schlachtortes Weidahaburg
(Lamp. Ott.), Weitahaburg
(Alt.) hinzu. Die Stelle wird
auch von Holder -Egger für
eine eigene Nachricht der
Hersfelder Annalen gehalten.
Den Ort sucht Grössler in
der Zeitschrift des Harzvereins
VIII, 124 in Wettaburg an
der Wethau im Kreise Naum-
burg s.-ö. von Naumburg. Es
ist die erste Nachricht von
den Slaven und der erste
deutsche Ortsname, der in
den Hersfelder Annalen vor-
kommt, darum wird er näher
an Hersfeld zu suchen sein.
Weitaha, das heutige weima-
rische Amt Weida bei Kalten-
nordheim , nordöstlich von
Fulda, ist 824 Besitz von
Fulda (Oesterley, Hist.-geogr.
Wörterbuch742,nachDronke,
Traditiones Fuldenses 39, 41).
Ist meine Deutung richtig, so
ist die Fuldaer Vermittelung
auch für diese Notiz sicher.
Ebenso die Ann. Fuld. an-
tiq. ed. Kurze 137, A. (SG.
W moritur). Mit Datum auch
die Ann. S. Benigni Divio-
nensis (SS. V, 38). Die Hers-
felder Annalen und Marian
sind ausführlicher.
Aehnlich A. SG. W. ('frater
Karoli' fehlt), mit Datum Ann.
Benigni, wo wie in den Quedl.
rex ausgelassen ist. Der Tod
Karlmanns war auch in Fulda
aufgezeichnet, Kurze 137.
254
M. Perlbach.
Ann. capituli Cracoviensis.
772 Karolus in Saxonia Has-
burg expugnat.
773 Karolus in Ytaliam venit.
774 Ytalia capta est a Francis
et Karolus Romam per-
veuit.
778 Karolus contra Saxones
pugnavit.
779 Iterum Karolus in Saxo-
niani venit.
'781 Saxonia capta est.
782 Karolus Eomam venit ibi-
que baptizatus est filius
eins Karlomannus, quem
Adrianus niutato nomine
Pipinum vocavit.
Nur die Quedl. haben den-
selben Wortlaut, die anderen
Ableitungen der Hersfelder
expugnavit und Heresburg.
Urquelle sind Ann. Lauriss.
minor. SS. I, 117.
A. SG. W. lassen das Ver-
bum fort, die Hersfelder sind
ausführlicher nach den Laur.
min.
Ebenso ('capta est Italia')
A. SG. (773) W., deren Quelle
die Ann. Alamannici conti-
nuati (SS. I, 40), der Schluss-
satz stimmt wörtlich.
Den Fehler 'Saxones' statt
'Sarracenos' hat Kgtrzynski
S. 243 angemerkt. Die Hers-
felder Annalen haben den
Satz : 'Karolus pugnavit con-
tra Sarracenos' aus den Ann.
Lauriss. min. zu 779, dann
folgt sofort 'et Saxones Lo-
ganihi vastant', daher der
Irrthum.
Ebenso (nur ohne Verbum)
A. SG. W. Ann. Colonienses
(Col. SS. I, 97), Benigni, Ha-
rlan. 'Iterum' fehlt Col. u.Ben.
A. SG. W. Col. Ben. ebenso
zu 780, Marian 781: 'Karolus
Saxoniam capit'.
Urquelle der Hersfelder,
welche den Satz fast gleich-
lautend haben (nur 'perrexit'
statt 'venit') sind die Ann.
Mosellani (Holder - Egger zu
Lamp. 17) auch Marianus hat
ihn ebenso mit 'perrexit', und
Albani (Wirzib.) SS. II, 240.
A. SG. W. Col. Ben. haben
ihn stark verkürzt, aber A.
'venit', die anderen 'vadit',
zu 781.
Die Anfänge der polnischen Annalistik.
255
Ann. capituli Cracoviensis.
786 Iterum Karolus Eomam
venit et sanguis de celo
profluxit.
787 Karolus jjer Alemanniam
pervenit ad fines Bavarie.
788 Tasilo venit in Franciam
et Bavaria capta est.
789 Karolus pervenit in Scla-
vos et qui dicuntur Vuil-
cici subegit.
Die Hersfelder sind aus-
führlicher. Der erste Theil
fast wörtlich Col., etwas ver-
ändert Cperrexit') Ben. A. SG.
(785) W., auch Marian (mit
'tertio' statt 'iterum'). Der
zweite Theil bei Marian, den
Albani, und den Ann. S. Bo-
nifacii (Fulda) SS. III, 117
'et sang-uis e celo ('et de terra'
Mar. Alb.) fluxit' ('profluxit'
Mar. Alb.).
Wörtlich in den Quedlinb.
788 (den andern Hersfelder
Ableitungen fehlt der Satz),
A. ; SG. W. Col. Ben. mit 've-
nit' zu 788, Marianus zu 787
lässt 'fines' aus.
788 A. SG. (790) W. (A. W.
dux) Col. Ben. 790 dux.
Marianus hat nur den zwei-
ten Theil unverändert ge-
lassen.
789 A. (SS. II, 238) Karolus
perrexit in Sclavos qui
dicuntur Vulzi.
789 W. 792 SG. Karolus rex
pergit in Sclavos qui di-
cuntur Wilzi.
791 Col. Ben. Karolus pergit
in Sclavos qui dicuntur
Wilti.
789 Hersfelder: Karolus sub-
egit gentem Wilzorum.
789 Marianus : Karolus Scla-
vos qui dicuntur Vulzi
subegit.
Die Urquelle der Hersf.
sind hier nach Holder-Egger
Ann. Lauriss. min. SS. I, 119:
'Karins Sclavorum gentem
qui dicuntur Wilzi trans flu-
vium Helbia dicioni sue sub-
egit'. Die Fassung des fr an-
256
M. Perlbach.
Ann. capituli Cracoviensis.
790 Karolus
venit.
in Pannoniam
791 Karolus regnum Hunno-
rum vastat.
kisch- polnischen Jahrbuches
lässt deutlich erkennen, dass
es einem reicheren Texte
folgte; 'pervenit' haben A.
SG. W. Col. Ben. daraus (d. h.
aus der auf Ann. Lauriss.
min. beruhenden compilatio
Fuldensis) , 'subegit' Hersf .
und Marian aufgenommen.
Den ursprünglichen Wortlaut
der Nachricht finden wir in
den Ann. Laureshamenses
(SS. I, 34), aus denen sich
'pervenit' bis in den Text der
Capitelsannalen gerettet hat
(vgl. die Zusammenstellung
bei Dieterich , JReichenauer
Geschichtsquellen 172).
Lamp. Weiss. 790 'Karolus
perrexit in Pannoniam', aus
unbekannter Quelle , aber
ebenso zu 791 bei Marianus
(ohne 'in'). Die Nachricht
wird im folgenden wieder-
holt.
791 Hersfeld. Karolus subegit
gentem Avarorum.
791 A. SG. W. Karolus rex
Hunorum ('Ungrorum'
Col. 'Hungrorum' Ben.)
regnum vastat, ebenso
Marian ('Hunorum').
Die Fassung stammt aus
den Murbacher Annalen (SS.
I, 47), der vorgehende Satz
('Karolus in Pannoniam venit'}
erinnert an Ann. Lauresham.
zu 791 (SS. 1, 34): 'et ipse
introivit in Illyricum et inde
in Pannonia'. Die Compilatio
Fuldensis verband hier zwei
verschiedene Annalen und er-
zählte daher dasselbe Ereignis
zweimal, ihr folgen die Hers-
Die Anfänge der polnischen Annalistik.
257
Ann. capituli Cracoviensis.
794: Friistrada resrina obiit.
801 Karolus a Romanis Au-
gustus appellatus est.
807 In cenobio Fiüdensi fra-
trum mortalitas magna
fuit.
813 Pons apud Mogunciam
arsit. Eadulfus archi-
episcopus obiit, Ottaga-
rius successit.
814 Karolus imperator obiit.
Ludvicus successit.
Neues Archiv etc. XXIV.
f eider, Marian und die Kra-
kauer Annalen.
794 Quedlinb. Lamp. Marian.
S. Albani (Wirz.).
Die Königin wurde zu St.
Alban in Mainz begraben, die
Nachricht kann also Mainzer
Ursprungs sein, aber auch die
Ann. Fuld. antiqui (Kurze
S. 138) haben: '794 IUI. Idus
Aug. obit Fastrata regina'.
Quelle ist daher wohl auch
hier die compilatio Fuldensis.
Ann. Fuld. ant. 138: 'Ka-
rolus rex a Eomanis est ap-
pellatus Augustus'. Aus dieser
Quelle Marian (801), S. Albani,
Ben., Col., Herst".
Die drei Ableitungen der
Hersf. haben übereinstim-
mend : 'mortalitas maxima
facta est in Fulda'. Dass sie
unter den Mönchen herrschte,
berichtet Marian zu 806 :
'Mortalitas maxima orta est
in monasterio Fuldensi, ita
ut plurimi ipsorum monacho-
rum morerentur'. Also wieder
gemeinsame Quelle, nämlich
compilatio Fuldensis.
'Pons apud Mogontiacum
incendio conflagravit' (nach
Ann. Fuldens. Einhardi S. 19)
Quedl. ('flagravit'), Weiss.
Lamp. ('incendio periit'), Ma-
rian ('conflagr.'), Albani ('com-
bustus est), alle haben auch
den Mainzer Bischofswechsel,
aber mit den richtigen Namen
Richolfus und Haistulfus.
Uebereinstimmend in den
vier Ableitungen der Hers-
felder, nach der Contin. Ful-
dens. der Ann. Lauriss. minor.
17
258
M. Perlbach.
Ann. capituli Cracoviensis.
116 Statutum est, ut omnes
monachi cursum beati
Benedict! cantarent.
840 Lodvicus Imperator obiit.
842 Divisio regni.
843 ludit regina obiit.
855 Lottarius imperator obiit.
860 Meginradus heremita
martirizatus est.
869 Lotarius rex obiit.
872 Vuormacium ictu fulmi-
nis comburitur.
(SS. I, 122), Marianns folgt
Einhard und Thegan, ähnlich
W. und Ben.
Das 'Praeceptum' der Ur-
quelle, Cont. Fuld. der Ann.
Laur. min. (SS. 1, 122) findet
sich noch in den QuedL,
Lamp., Altah., die Weiss, ha-
ben 'decretum', Marian 'ius-
sura', alle aber zu 815.
Ebenso W., etwas kürzer
A., Col., mit Datum Ben. Die
Hersfelder sind ausführlicher.
Ebenso A., Col., 'inchoata'
W., aus den Ann. Alamannici
(SS. I, 50, ebenso Ann. He-
remi SS. III, 139). Die Hers-
felder abweichend.
Ebenso Ann. Alam. (Heremi,
SS. I, 50. III, 139), ohne 're-
gina' A. W. Nicht in den
Hersf.
Ebenso Alam. u. W. zu
856, in den Ben. mit 'rex'
und Datum 855 ; auch in den
Ann. Corbeienses (ed. Jaff e Mo-
numenta Corbeiensia S. 33).
In den Hersfeldern abwei-
chend.
860 Ann. Alamann. ('martiri-
zatur'), A. (-tus), Marian.
863 Heremi und von der Hers-
felder Gruppe die Altah.
und Quedl. (Maginradus
860).
869 Ann. Alam. (SS. I, 51)
W. ausführlicher, gleich-
lautend Ann. Corb. die
Hersfelder abweichend.
872 'Ictu fulminis Wormatia
comburitur'. A. u. Ma-
rian, ebenso die Quedl.,
die anderen Ableitungen
der Hersfelder haben den
Die Anfänge der polnischen Annalistik.
259
Ann. capituli Cracoviensis.
875 Lodvicus cesar in Italia
obiit et Karolus rex Gal-
lie Romam pervenit.
87 7 Lodvicus filius Lodvici
obiit et bellum in Ei-
puaria inter Lodvicum
et Karolum committitur.
679 Karolus filius Lodvici re-
gis Francorum et frater
Karlomanni et Lodvici
in Italiam intravit.
'881 Karolomannus rex Bava-
rorum obiit.
882 Karolus Eome cesar effi-
citur.
687 Karolus imperator regno
privatur et Arnulphus
filius Karlomanni in re-
gem elevatur.
889 Karolus imperator obiit.
Satz nicht. In den Al-
bani: 'Wormacium ful-
minis ictu crematur'.
874 Marian ('cesar Italie . .
perrexit'), A. 875 ('perve-
nit'). Nicht in den Hersf.
876 Gleichlautend A., bis auf
den Schlachtort Ripuaria,
auf den Waitz, Gott. Nach-
richten 1873, S. 390 hin-
gew^iesen. Derselbe findet
sich auch bei Marian und
Hermann von Reichenau
(SS. V, 107) in einem
sonst aus Regino stam-
menden Auszug.
879 Ebenso A. u. Marian, die
'primum' hinzusetzen: W.
nur 'Karolus Italiam in-
travit', ebenso Col. Ben.
mit einem weiteren Zu-
satz über Karlmann.
881 A. ('Bavarie'), 880 Ann.
Alamann. ('Baioariorum'),
880 W. (nur 'rex'); Ma-
rian ausführlicher nach
Regino.
882 A. ebenso, W. 881 etwas
erweitert; Ben. 885 'Ka-
rolus imperator efficitur
Francorum'. Mariannach
Regino, in den Hersf.
fehlen alle diese Nach-
richten.
887 A. W. (888 'in regnum
elevatur'), Alam. ('eleva-
tus'). Marian nach Re-
gino, die Hersfelder ab-
weichend.
888 Alamann. A. Albani ('iu-
nior'), Col., Ben. Marian
ausführlicher nach Re-
gino. Hersf. ohne 'impe-
rator'.
17*
260
M. Perlbach.
Ann. capitnli Cracoviensis.
890 Liubertus archiepiscopus
obiit, Sinderoldus succe-
dit.
891 Sinderoldus arcliiepisco-
pus a Normannis occidi-
tur et Hatto ei succedit.
891 Arnulplius in Italiam
venit.
895 De miseria famis ae mor-
talitatis cliristiani homi-
nes alter alterius carnem
comederunt.
890 Diese Nachricht findet
sich wieder in den Hers-
felder Ableitungen (Hil-
desheim., Weiss., Lamp.),
aber auch und zwar voll-
ständiger bei Mariau, mit
Datum. DenTodLiuberts
haben auch die Ann. Ala-
mannici (SS. I, 52).
891 A. (ohne Hatto), Albani
(mit Todesort Worms),
Marian mit Ort und Da-
tum.
Die Hersfelder Ableitungen
erwähnen die Normannen
nicht, kommen daher hier
nicht in Frage.
894 'Arnolfus in Italiam cum
exercitu' Ann. Alamann.
(cod. Veron.) SS. 1, 53,
Ann. Heremi SS. III, 140.
'Arnulfus rex in Italiam
cum magno exercitu' Ann..
Alam. Laubac. SS. I, 53.
'Arnolfus rex Italiam ce-
pit et Burgundiam' Ann.
Alam. Tur. SS. I, 53, W.
Bei Ketrzynski S. 249 ist
dieser Satz in die Hersfelder
Spalte wohl aus Versehen ge-
rathen, da er in keiner Ab-
leitung der Hersfelder An-
nalen steht. Marian folgt
wieder Regino.
896 A.: 'Et in Augia mise-
ria famis et mortalitatis
christiani homines alte-
rius carnem comedervmt'.
895 Ben,: 'Audita miseria
famis ac mortalitatis et
christiani hominis alte-
rius carnem comedentis(!)'
896 Col. : 'Et audita miseria
famis, mortalitatis et chri-
Die Anfänge der polnischen Annalistik.
261
Ann. capituli Cracoviensis.
897 Arnulphus Eome cesar
efficitur.
899 Ungari in Italiam ingressi
sunt.
Arnolphus obiit.
Lodvicus filius eins in
regem elevatur.
901 Arnulphus imperator
obiit.
906 Bellum inter Conradum
et Adalbertum etFrancos,
in quo Conradus cecidit.
907 Ungari in Saxoniam ve-
nerunt.
stiani hominis alterius
carnem comedentis (!)'
Die Krakauer Fassung steht
zwischen den verderbten Tex-
ten der Col. Ben. und der
ursprünglichen Lesart der
Aug. Das Jahr 895 stimmt
mit Ben.
Dieser Satz steht vor dem
vorigen in A., Col. (896), Ben.
(895), zu 897 etwas abweichend
in den Albani: 'Arnolfus rex
Romam veniens imperator ef-
ficitur' und ebenso zu 896
W. u. Alam.
899 Alam. 'Ungari Italiam in-
gressi'. A., Col., Ben.
'Ungari Italiam ingressi
multa mala fecerunt'.
Alam. Ben. Col. 'Arnol-
phus imperator obiit'. W.
900. A. : 'moritur'. Ma-
rian mit Datum aus Re-
gino.
Ebenso A., 'filius eins'
fehlt Col. Ben.
Auch die Hersfelder aber
abweichend ('cui L. f. e. suc-
cessit').
Zu 901 nur die Annales
Pragenses (mit 'Alnolfus' !).
905 A. ('et' vor 'Francos'
fehlt), ebenso zu
904 Col. Ben., etwas abwei-
chend Albani ('Pugna —
committitur — occiditur'),
Marian folgt Eegino, die
Hersfelder kürzer und
abweichend.
Denselben Wortlaut, aber zu
906, die Ann. Corb.;
908 Alamann. 'Ungari in Sa-
xones'.
908 A. Col. Ben. (909): 'Un-
262
M. Perlbach.
Ann. capituli Cracoviensis.
931 Sanctus Ambrosius epi-
scopus Mediolanensis
obiit.
933 Hungarorum exercitus ab
Henrico interfectus est.
gari Saxoniam et Thu-
ringiam vastant'.
906 Die Hersfelder Ableitun-
gen (Hild., Weiss., Lamp.,
Ott., Altah.) 'Ungarii va-
staverunt Saxoniam'.
Wie Waitz, Gott. Nachrich-
ten 1873, S. 390 gezeigt hat,
durch Versehen aus dem
1. Ostercyclus in den 2. ge-
rathen (931 — 532 = 399);
dasselbe Versehen begehen
auch die Annales Barenses,
(SS. V, 53 N. a): '931 hoc
anno obiit Ambrosius Medio-
lanensis antistes'. Natürlich
ist diese Uebereinstimmung
nur rein zufällig; in den ver-
wandten Quellengruppen fin-
det sich nichts entsprechen-
des. (In der Kölner Hs. CHI.
Jaffe et Wattenbach, 'Eccle-
siae metropolitanae Codices:
manuscripti' S. 132 stehen der
Tod des hl. Ambrosius und
die Auffindung des hl. Stephan
ebenfalls zu 929 u. 947).
933 Ann. Corb. 'Ungariorum
exercitus ab Heinrico
rege interfectus est'.
Ebenso 933 Ann. Pra-
genses (SS. III, 119) ohne
'rege' ; 933 Ann. Quedl.
(aber nur diese, nicht die
anderen Ableitungen der
Hersf., die Quedl. haben
die Corveyer benutzt) :
'Ungarorum exercitus a
rege Heinrico devictus
est'. Die Mainzer Quellen,
A. und Marian, lauten
anders : 'Ungari ab exer-
citu res'is Heinrici occisi
Die Anfänge der polnischen Annalistik.
263
Ann. capituli Cracoviensis.
934 Hinricns Danos subegit.
I
936 Hinricus rex obiit, Otto
filius eins successit.
937 Monasteria S. Galli et
S. Bonif acii comburuntur.
940 Hyemps valida.
Comete vise sunt.
sunt et multi . . . coni-
prehensi sunt'.
934 Ann. Corb. 'Heinricus rex
Danos subeit'.
934 Ann. Prag. 'Henricus rex
Danos subiecit'.
Kein anderes deutsches
Jahrbuch berichtet über den
Dänenfeldzug König Hein-
richs, nur die grösseren Chro-
niken, Widukind von Corvey
(ed. 3. von Waitz I c. 40), Thiet-
marl, 17 (ed. Kurze) und Adam
von Bremen erwähnen ihn.
936 A. (und Marian) : 'Hein-
ricus rex obiit et Otto
filius eius in regnum con-
stituitur'.
Aehnlicher, aber zu 935,
Col. Ben. 'Heinricus magnus
rex obiit et Otto successit'.
Nicht ganz denselben Wort-
laut Corb. und ganz kurz
Prag. 'Henricus rex obiit 935'.
Die Hersf'elder Ableitungen
lauten fast gleich : 'Heinricus
rex obiit, cui filius eius Otto
successit'.
937 A. (und Marian) '. . igne
consumuntur'. Albani:
'. . cremantur' (zu 938).
Corbeienses : 'Monasteria
Fuldense et S. Galli exar-
serunt'. Die Hersfelder
Ableitungen berichten
nur den Brand von Fulda.
939 Ann. Col. (nicht Ben.)
'Hyemps valida', ähnlich
Hermann von ßeichenau
('h. seva').
941 Ann. Corb. 'Cometae ap-
paruit'.
941 Ann. Prag. 'Comete ap-
paruerunt'.
264
M. Perlbach.
Ann. cai^ituli Cracoviensis.
940 Mortalitas iumentornm.
947 Invencio sancti Stephan!
protomartiris.
951 Otto primus rex Ytaliam
subes'it.
953 Maguncia ab Ottone ob-
sessa est. Fridricus ar-
chiepiscopns obiit. Willi-
balmns (!) successit.
955 Luiclolplius filins Ottonis
obiit.
943 Ann. S. ßonifacii (SS. III,
118): 'Stella cometes ap-
paruit'.
939 '. . et mortalitas anima-
lium' Col. ('et pestis ani-
malinm subsecuta').
Quelle ist:
941 Ann. S. Gall. majores
(SS. I, 78) 'et mortalitas
boum fuit'.
Dass diese Stelle ebenso zu
erklären ist wie die zu 931,
hat Wojciechowski 1. c. 207
gezeigt '(947 — 532 = 415).
In den verwandten Quellen-
gruppen kommt sie nicht vor.
951 Ann. S. Gall. majores
(SS. I, 78) : 'Otto rex Ita-
liam cepit'.
951 Col.: 'Otto Italiam in-
gressus eam sibi subiun-
xit' (Ben. '. . rex' und 'sub-
iugavit').
951 Albani: 'Ottho rex Ita-
liam petit eamque sibi
subiecit'.
Die Hersfelder Ableitun-
gen reden von der Königin
Adelheid.
953 Ebenso A. (und Marian),
nur '0. rege'. Dann die
eigenhändige Aufzeich-
nung Wilhelms über den
Mainzer Bischofswechsel,
mit der A. endet.
953 Albani : 'obiit Fridericus
Mogontiacensis archiepi-
scopus, pro quo Willehel-
mus constituitur filius
imperatoris Otthonis'.
Die Hersfelder Ableitungen
zu 954 (mit 'successit').
Zu diesem falschen Jahr
(Ludolph starb am 6. Sept.
Die Anfänge der polnischen Annalistik.
265
Ann. capituli Cracoviensis.
958 Cruces apparuernnt in
vestibus.
961 Otto in regem elevatur.
Ecljpsis solis.
963 Otto imperator appella-
tur.
965 Dnbrovka ad Meskonem
venit. 966 Mesco dux
Polonie baptizatur.
957, s. Waitz zu Widukind
ed. 3 S. 78) nur bei Marian:
'Ludolfus filius Oettonis im-
peratoris obiit', er wurde zu
St. Alban begraben.
960 Albani: 'Cruces in vesti-
bus apparuerunt'.
957 Ben. (vorher Ludolfs Tod):
'Cruces apparuerunt in
vestibus'.
958 Ann. Heremi (SS. III,
142): 'Cruces in vestibus
apparuerunt'.
Die Hersfelder Fassung
('Signum crucis . .') lautet ab-
v^eichend, der Tod Ludolfs
wird hier zu 957 verzeichnet.
961 Ann. Ben.: 'Otto pueru-
lus in regem elevatur in
Aquisgrani palatii. Eclip-
sis solis fit'.
961 Ann. Col. : 'Otto minor
rex effectus est'.
961 Ann. Heremi.: 'Otto fi-
lius regis eligitur in re-
gem puer vivente patre'.
Von den Hersfelder Quellen
haben nur Lampert und Al-
tah. das Factum, aber mit
anderen Worten.
963 Albani: 'Ottho rex Eo-
mam veniens imperator
efficitur'.
961 Marian: 'Otto rex ungui-
tur in imperatorem ab
lohanne papa'.
Von den Hersfelder Quellen
berichten die Altah., Ottob.
und Lamp. die Kaiserkrönung
Otto's I., aber wesentlich ab-
weichend.
Für diese beiden dem frän-
kischen Jahrbuch natürlich
erst im Osten eingefügten
266
M. Perlbach.
Ann. capituli Cracoviensis.
968 Iiinior Otto per Leonem
papam cum patre suo
c o r o n a t ti r.
969 Willibalmns archiepisco-
pus obiit, Hatto snccessit.
970 Hatto arcbiepiscopus
obiit, cui üobertus suc-
cessit.
981 Zlavnyk pater sancti
Adalberti obiit,
987 Strezizlava mater sancti
Adalberti obiit.
990 Professio sancti Adalberti
cum fratre Gaudencio.
997 Passio sancti Adalberti.
Nachrichten finden sich keine
deutschen Aequivalente.
968 Marianus: 'Otto filius Ot-
tonis imperatoris a Jo-
hanne papa ante altare
S. Petri c u m patre suo
coronatus est'.
Die übereinstimmenden
Schlussworte sprechen deut-
lich für gemeinsame Quelle.
Der falsche Papst Leo statt
Johann ist wohl auf Rech-
nung des Copisten von 1267
zu setzen.
968 Marianus, mit Daten.
968 Albani('..cuisuccessit..').
970 Marianus (mit Daten).
Albani ('Puobbertus').
Beide Bischofswechsel zu
968 und 969 stehen auch in
den Hersfelder Ableitungen,
aber der letzte Name lautet
'Euotbertus'.
981 Ann. Prag.: 'Slaunic pa-
ter sancti Adalberti obiit'.
987 Ann.Prag.: 'Strezslaua ma-
ter sancti Adalberti obiit'.
Ann. Prag. : 'Professio s.
Adalberti'.
Ann. Prag. 'S. Adalbertus
martirizatus est'.
Nur den Märtyrertod Adal-
berts berichten auch deutsche
Quellen, die Albani 995: 'S.
Adelbertus episcopus de Praga
civitate aPrucis martyrio coro-
natur', gleichlautend (aber
ohne 'Sanctus' und mit Tages-
datum) die Quedl., ähnlich die
Ann. Ottobur. (SS.V, 5) : 'Sanc-
tus Adalbertus episcopus mar-
tyrio coronatur in Sclavia',
Ann.Altah.u.Lamp. 997: 'Adal-
bertus episcopus martyrizatur".
990
997
Die Anfänge der polnischen Annalistik.
267
Ann. capituli Cracoviensis.
999 ordiuacio Gaudencii in
episcopum.
1002 Ottoimperatorlll.obiit,
Henricus successit.
1003 Heremite in Polonia
martirizati sunt.
1009 Bruno episcopns marti-
rizatus est.
1012 Hermanmis dnx obiit.
Auch diese Nachricht findet
sich in der Hersfelder Quellen-
gruppe, ausführlich in den
Hildesheimer Annalen, kür-
zer bei Lamp. und den Alt.,
überall zu 1000. Die Mainzer
Gruppe hat sie nicht.
Diese fast in allen deutschen
Annalen enthaltene Nachricht
am ähnlichsten in den Weiss.;
auch Ben. : ^Obiit Otto III'.
Ohne deutsche Parallel-
stelle.
1009 Marianus: 'ßrun epi-
scopus martirizatus'.
1009 Albani: 'Brun episcopus
et monachus a Prucis
multis suppliciis affec-
tus et manibus pedibus-
que abscisis postremo
capite plexus coelos pe-
tiit'.
Dieselbe Stelle mit Datum,
aber ohne 'multis' bis 'post-
remo' auch in den Quedl.
Das kann doch nur Herzog*
Hermann III. von Schwaben
sein, Ann. Quedl. 1012, Ann.
Alt. 1012. Zu 1017 wird die-
selbe Nachricht noch einmal
in den Krakauer Capitels-
annalen berichtet, ist aber,
wie Arndt SS. XIX, 586 N. b
angiebt, von der Hand des
Schreibers gestrichen , der
Vorwurf Bielowski's, Mon.Pol.
II, 793, die deutschen Heraus-
geber hätten diese zweite No-
tiz 'Hermannus dux obiit' aus-
gelassen, trifft daher nur die
Schulausgabe der Annales Po-
loniae, in der alle Varianten
268
M. Perlbach.
Ann. capitnli Cracoviensis.
Ohne deutsche Parallel-
stellen.
absichtlich fehlen. In den
Ann. S. Gall. maj ores (SS. 1, 82)
ist der Tod Hermanns von
Schwaben in verschiedenen
Hss. zu 1012 und 1018 mit-
getheilt : das Jahr scheint in
der Quelle derselben also un-
bestimmt angeg-eben gewesen
zu sein.
1015 Wladimir dux Euthe-
norum obiit.
1016 Kazimirus dux natus est
8. Kai. Augusti luua 16.
1018 primus BoleslausRuthe-
nos superat et terram
vastat.
1025 primus Bolezlaus rex
Magnus obiit. Lamber-
tus filius eins succedit.
1026 Kazimirus traditur ad
discendum.
1027 Ypolitus archiepiscopus
obiit, Bossuta succedit.
1028 Stephanus archiepisco-
pus obiit.
1030 Romanus et Lambertus
episcopi obierunt.
Die drei Erzbischöfe werden für Gnesener gehalten,
andere ältere Nachrichten über dieselben fehlen, die beiden
Bischöfe dagegen wollen sich in keine Reihe der polnischen
Bischöfe einfügen lassen. Weder Arndt-Roepell noch die
neueren polnischen Kritiker vermögen anzugeben, zu welcher
polnischen Diöcese sie gehören, Bielowski bringt ihren Tod
in Verbindung mit den von Gallus und Nestor berichteten
Unruhen nach dem Tode Boleslaws Chrobry ; damit liesse
sich auch die Nachricht des Cosmas zum Jahre 1022 (die
vielleicht um 10 Jahre später anzusetzen ist) vereinigen;
'A. d. i. 1022 in Polonia facta est j)ersecutio christianorum'
(SS. IX, 63). An Bischof Lambert I. von Krakau ist bei
Lambertus episcopus nicht zu denken, denselben kennen
die beiden ältesten Krakauer Bischofskataloge aus dem 13.
und 14. Jh. überhaupt noch nicht, er ist, wie der Heraus-
geber Kgtrzynski Mon. Pol. III, 332 mit Recht bemerkt,
Die Anfänge der polnischen Annalistik. 269
aus der fabelreichen Ungarisch -polnischen Chronik in die
polnische Tradition gerathen und taucht zuerst zu 995 in
den Kamenzer Annalen auf: nach Thietmar IV, 45 (ed.
Kurze) war 1000 Poppo Cracuaensis episcopus. Dass 1027
und 1028 drei Erzbischöfe in Gnesen auf einander gefolgt
sind, erregt auch Bedenken. Ketrzynski sucht sich hier
mit einer weitgehenden Conjectur zu helfen, er will (S. 235)
zn 1028 lesen: '[Bossuta archiepiscopus] obiit, Stephanus
successit'. Bekanntlich haben die in die Krakauer Annalen
übergegangenen Nachrichten über die Mainzer Erzbischöfe
Wilhelm, Hatto und Ruotbert bis in dieses Jahrhundert
hinein bewirkt, dass diese drei Namen für die von Gnesener
Erzbischöfen gehalten wurden, erst die kritische Ausgabe
der Gnesener Bischofskataloge durch Liske im 3. Bande
der Mon. Poloniae (wo übrigens S. 382 Wojciechowski das
Verdienst dieser Entdeckung zugeschrieben wird) hat den
Sachverhalt endgültig aufgeklärt. In den Capitelsannalen
wird bis zum Jahre 1059, mit alleiniger Ausnahme des hl.
Ambrosius von Mailand, kein einziger Bischofssitz genannt,
die sämmtlichen zu 750, 813, 890, 891, 953, 969, 970, 999,
1009, 1027, 1028, 1030 erwähnten Bischöfe und Erzbischöfe
erhalten keine Ortsbezeichnung. Es ist nun von Interesse
zu sehen, wie die späteren annalistischen Compilationen,
denen die Capitelsannalen von 1267 vorgelegen haben, sich
zu diesen Namen verhalten. Als directe Benutzer der
Capitelsannalen kommen nach Kgtrzynski's Untersuchungen
im 2. Theile seiner Abhandlung (S. 271 — 329) nur die
Annales Sandivogii in Betracht, auf denen die Ann. Polo-
norum in zwei Redactionen (einer kürzeren in den Hss. II,
III, III ^, einer längeren I, IV) beruhen; alle diese berück-
sichtigen nur den Bischofs Wechsel von 1027. Eigenthüm-
lich ist dabei die Auffassung von Ann. Pol. I, wo Ypolitus
und Bossuta für Krakauer Erzbischöfe gehalten werden,
wie aus den Ordnungszahlen des Compilators hervorgeht
(SS XIX, 620: '1027 Ypolitus . . primus, Bossutha . . se-
cundus, 1046 Aaron . . . Cracoviensis tercius'. Die Ein-
tragungen der Capitelsannalen zu 1028 und 1030 werden
von den Ann. Sandivogii (und A. Polonorum) nicht auf-
genommen, sie haben nur in den Rocznik Krasinskich, Zu-
sätzen in einer Hs. der Annales Sauctae Crucis aus dem
16. Jh., die Kgtrzynski einem Krakauer Dominikaner zu-
schreibt, Eingang gefunden ; auch K. hält (S. 209) die hier
in Frage kommenden Stellen entlehnt aus den capituli.
Der Krakauer Dominikaner hat aber auch — und er ist
der einzige von allen polnischen Annalisten — die drei
270 M. Perlbach.
Mainzer Erzbischöfe Wilhelm, Hatto und Eobert auf ge-
genommen, während Sedziwoj von Czechel diese ebenso wie
Stephanus, Romanus und Lambertus ausliess. Ich ziehe
daraus den Schluss, dass der Augustinerprobst von Klo-
dawa, dem wir die Ann. Sandivogii verdanken, alle diese
Namen als fremde angesehen hat. Auch sein Zeitgenosse
Johannes Dlugoss hat mit Romanus und Lambertus nichts
anzufangen gewusst, er hat sie nirgends in seine polnische
Geschichte noch in seine Bischofsverzeichnisse eingereiht,
nur den Tod des Stephanus archiepiscopus setzt er zu 1058
(Hist. Pol. I, 316, vitae arch. Gnesn. 346), ohne erweisbare
Quelle.
Wir haben oben bei der Vergleichung der fremden
Nachrichten in den Krakauer Capitelsannalen gesehen,
dass sich dieselben an zahlreichen (27) Stellen, nämlich zu
768, 771, 779, 781, 782, 786, 787, 788, 789, 791, 801, 814,
840, 855, 879, 882, 888, 895, 897, 899, 906, 907, 936, 951,
958, 961, 1002 mit den Jahrbüchern des St. Benignus-
klosters zu Dijon in der Diöcese Langres berühren,
die in ihrer jetzigen Fassung ein Werk des 12. Jh., nahe
mit den Kölner Annalen bis 961 verwandt, ebenfalls Aus-
züge aus schwäbischen Reichsannalen enthalten. In diesen
burgundischen Annalen wird zum Jahre 1030 ein doppelter
Bischofswechsel verzeichnet (SS. V, 41):
'Lambertus episcopus Lingonensis obiit, cui suc-
cessit Ricardus, qui eiectus est ab episcopatu a Gi-
rardo archidiacono, pergens in Flandriam obiit illic
et successit Hugo in pontificatu'.
Die Krakauer Capitelsannalen haben zu 813 den Namen
des Mainzer Erzbischofs Richolfus in Radulfus umgewan-
delt, es könnte also auch hier in Romanus ein Verschreiben
für Ricardus vorliegen. Doch giebt es noch andere Er-
klärungen des Namens Romanus an dieser Stelle : Romanus
ist einmal der weltliche Name des 1033 verstorbenen Papstes
Johann XIX., sodann aber starb Bischof Lambert von
Langres am 24. August (1031, Garns, Series episc. eccl. cathol.
558), das ist am Tage des heiligen Romanus, Bischofs von
Nepi. Ich möchte dieser letzten Erklärung den Vorzug
geben, zumal in der Hs. der Capitelsannalen, wie die Va-
riante a S. 587 SS. XIX zeigt, nur ein einfaches 0 steht.
Die Vorlage mag enthalten haben:
MXXX [in die S.] Romani [episcopi] et [martyris] Lam-
bertus episcopus 0, woraus der Abschreiber machte
Romanus et Lambertus episcopi 0.
Die Anfänge der polnischen Annalistik. 271
Ist diese Vermuthiing zutreffend, dass in Lambertus
episcopus von 1030 der Bischof Lambert von Langres zu
erkennen ist, so eröffnet sich ein ganz neuer Ausblick.
Denn das Benig-nuskloster in Dijon, mit dessen Jahrbüchern
sich die Krakauer Capitelsannalen von 768 — 1002 27 mal
berühren, steht in dieser Zeit, bis 1031, unter der Leitung
des heiligen Wilhelm von Volpiano und ist eine Hochburg
der cluniacensischen Richtung.
Bei dem Namen Cluny fällt Jedem, der nur ober-
flächlich mit der ältesten polnischen Geschichte bekannt
ist, die Sage von Kasimir I. ein, der als Mönch im Kloster
Cluny gelebt haben und von dort mit päpstlichem Dispens
auf den polnischen Thron zurückgekehrt sein soll. Diese
Sage, welche von Naruszewicz und Roepell als gänzlich
unhistorisch verworfen wurde, ist überliefert in den Lebens-
beschreibungen des heiligen Stanislaus, in dem Chronicon
Polono-Silesiacum, die beide dem 13. Jh. angehören (Mon.
Pol. III und SS. XIX, 559), und der erst aus dem 14. Jh.
stammenden grosspolnischen Chronik (dem sog. Boguphal-
Basko). Die neueren polnischen Forscher Lewicki ^,
Wojciechowski - und Balzer ^ wollen dagegen dieser Sage
einen historischen Kern nicht absprechen. Wojciechowski
sieht als Quelle ein lateinisches Gedicht aus dem 12. Jh.
an, das freilich nicht bis auf uns gelangt ist; den Beweis
für den historischen Kern findet er einmal in der Stelle
der capituli (und vetusti) zu 1026: 'Kazimirus traditur ad
discendum', sodann in den Worten des Gallus (I, 21): 'qui
monasterio parvulus a parentibus est oblatus, ibi sacris
litteris liberaliter eruditus', endlich in dem Briefe der
Herzogin Mathilde von Lothringen an Miesko II. von Polen
von c. 1027 : 'felici inceptu, ut audivi, ipsi divinitati regni
tui primitias devoto pectore consecrasti' (Dethier, Epistola
Mathildis 1842, S. 4 Zeile 4/5). Das Kloster, dem Kasimir
von den Eltern übergeben wurde, halten Wojciechowski
und Balzer für ein polnisches, darin kann ich ihnen nicht
beistimmen, denn das Klosterwesen war 1026 doch in Polen
noch sehr wenig entwickelt. Von den Benedictiner- und
Augustinerklöstern, die allein in Frage kommen können,
sind aus der Zeit Boleslaws Chrobry in gleichzeitigen
Quellen nur die Benedictinerklöster Meseritz in der Posener
1) Mieszko II, Rozprawy wyd. bist, filoz. ak. um. Krak. V, 1876,
S. 87 £F., bes. 199. 2) O. Kazmierzu Mnichu (lieber Kasimir den Mönch)
Pamiftnik ak. umiej. Krak. V, 1885, S. 1—29. 3) Genealogia Piastöw
Krak. 1895, 4' ».
272 M. Perlbach.
und Tyniec in der Krakauer Diöcese sicher überliefert
(Thietmar ed. Kurze VI, 27. VIII, 20. 21. IX, 33); die spätere
Tradition setzt auch Heiligenkrenz , Siecechow und
Trzemeszno in diese Zeit. Dass eines dieser Klöster der
passende Ort war, einen Fürstensohn 'in den heiligen
Wissenschaften ausgiebig zu unterrichten', möchte ich be-
zweifeln. Viel wahrscheinlicher ist es, dass die Eltern,
besonders die Mutter Richenza, die Tochter des lothrin-
gischen Pfalzgrafen Ezzo, den Sohn einem Kloster im
Westen anvertraut haben. Sie war die einzige von sieben
Schwestern, die nicht ins Kloster ging ; ihre Familie, Vater
und Brüder, steht mit Abt Poppo von Stablo ('apud quem
tunc temporis religio maxime monachica cum regulari
discretione vigebat', Hist. Bninwil. SS. XIV, 133) in Ver-
bindung und lässt sich von ihm bei der Einrichtung des
Familienklosters Brauweiler berathen. Einen Anklang an
dieses Familienkloster finden wir noch im 14. Jh. in der
verwirrten Nachricht der grosspolnischen Chronik c. 12
(Mon. Pol. II, 484) : 'mater (ßichenza) recepto filio suo
Casimiro parvulo Saxoniam versus Brunswik ad solum pa-
ternum remeavit ibique puero literis imbuendum apposito
monasterium quoddam sanctimonialium dicitur intravisse';
an die Stelle des unbekannten Brauweiler ist das bekann-
tere Braunschweig getreten. Dem erst 1024 gestifteten
Brauweiler wird ßichenza ihren Sohn Kasimir aber nicht
zwei Jahre später übergeben haben, sondern einem der
Mittelpunkte der nach Cluny benannten Reformbewegung,
die sich um Odilo von Cluny, Richard von St. Vannes in
Verdun, Poppo von Stablo und St. Maximin und Wilhelm
von Volpiano, Abt von St. Benignus in Dijon, gebildet
hatten (Sackur, Cluniacenser Th. 2). Auf Grund der Be-
ziehungen der Krakauer Capitelsannalen zu den Annales
S. Benigni, die wir oben bis 1030 verfolgen konnten, halte
ich das Benignuskloster zu Dijon für den Erziehungsort
Kasimirs. In Dijon hatte schon früher ein Slave studiert,
ein abbas Anastasius monasterii S. Mariae Selavanense in
provincia, das Sackur, Cluniacenser II. 348 nicht ermitteln
kann; es dürfte wohl Selavanense zu lesen sein.
In den Krakauer Capitelsannalen des 11. Jh. tritt
nun kein Name so stark hervor als der Kasimirs; von 1015
bis 1058 haben wir 16 Nachrichten, in denen viermal Kasimir
ausdrücklich genannt wird (1016, 1026, 1045, 1058), zwei-
mal 1016 und 1045 mit Tagesdatum bei Geburtstagen, was
ganz vereinzelt dasteht; drei andere Notizen 1015, 1025
und 1034 nennen zwar Kasimir nicht, stehen aber mit
Die Anfänge der polnischen Annalistik. 273
seiner Person in Verbindung, da sie den Tod seines
Schwiegervaters (Wladimir dux Ruthenorum) iind Thron-
besteigung- und Tod seines Vaters, Mesko, melden. Das
Interesse an Kasimir bleibt sogar über seinen Tod rege,
zu 1065 wird 'Mesko filius Kazimiri ducis obiit', zu 1087
'Dobronega uxor Kazimiri obiit' angemerkt. Von den neun
weiteren Notizen 1015 — 1058 betreffen drei die bereits be-
sprochenen Bischofswechsel 1027, 1028 und 1030, die Jahre
1018, 1037 bis 1039 handeln von dem Russenkriege Boleslaws
Chrobrj, der Priesterweihe Sula's (des späteren Bischofs
Lambert von Krakau), der Translation des heil. Adalbert
(nach Prag) und dem Tode König Stephans von Ungarn.
Es bleiben noch die beiden gleichlautenden Stellen 1033
und 1048 'Otto dux obiit'. Beide werden von den polnischen
Forschern (zuletzt von Balzer) für polnische Fürsten gehalten,
der erste für den jüngsten Sohn Boleslaws I. ('quem dilecti
senioris sui', d. i. Otto III., 'nomine pater vocavit' Thietmar
ed. Kurze IV, 58), der zweite für den jüngsten Sohn Kasimirs
(GallusI, 19). Von diesem letzten wissen wir nichts, als den Na-
men, ermüsste, da die Eltern nicht vor 1038 geheirathet haben
und er der vierte Sohn war, im Alter von höchstens sieben
Jahren gestorben sein. Achtet man nun auf den Sprach-
gebrauch in diesem Theile der capituli (die beiden Otto
stehen in keinem anderen polnischen Jahrbuch), so bemerkt
man, dass die nicht zur Regierung gelangenden Prinzen
ohne Titel aufgeführt werden, so 1045, 1065 Mesko filius
Kazimiri, 1086, 1088, 1089 Mesko filius Bolezlai. Deshalb
meine ich, die beiden Otto, sicher aber der jüngere, werden
ebenso wie der dux Hermannus 1012 für ausländische
Fürsten zu halten sein. Für den von 1048 bietet sich als
trefflich passend Herzog Otto von Schwaben, der am
7. September 1047 verstorbene Bruder der Königin Richenza,
Kasimirs Oheim (Hist. Brunwil. SS. XIV, 138). Nicht so
sicher ist anzugeben, wer in dem Otto dux von 1033 sich
verbirgt. Zu 1026 melden die Ann. S. Benigni den Tod
Otto (Wilhelms) von Burgund, zu 1037 wird von zahlreichen
deutschen Quellen (Hildesheimer Annalen, Lampert, Her-
mann V. Reichenau) der des Grafen Odo von Champagne
gesetzt, einer von diesen beiden könnte in Krakau an die
unrechte Stelle gerathen sein.
Mit 1048 endet in den Krakauer Capitelsannalen die
Verbindung mit dem Westen, mit 1059 beginnt die Be-
ziehung zu Krakau, erst von jetzt an werden die Krakauer
Bischöfe in unserem Jahrbuch genannt, zuerst 1059 der
Tod des 'Erzbischofs' Aaron, dann zu 1061 und 1071 Thron-
Neues Archiv etc. XXIV. Jg
274
M. Perlbach.
besteigung und Tod Sula- Lamberts. Mit Recht hat schon
1873 Smolka, poln. Annalen S. 57, daraus den Schluss ge-
zogen, dass erst in dieser Zeit 'die Zusammensetzung des
ersten Kerns der polnischen Annalistik erfolgt ist'.
Zu demselben Ergebnis gelangen wir bei der Be-
trachtung der bisher bei Seite gelassenen böhmischen
Tradition in den Capitelsannalen, die anscheinend 981 be-
ginnt und sich, wie seit 1866 bekannt, auf das Engste mit
den Prager Annalen berührt. Diese sind in einer Bam-
berger Hs. des 13. Jh. erhalten und reichen von 894 bis
1220. Von 1054 — 1125 sind sie nach der Ansicht der
meisten Kritiker: Köpke (SS. IX, 10 n. 12), Emier (Fontes
rerum Bohemicarum II, 375), Regel (Ueber die Chronik
des Cosmas von Prag, Dorpater Inaug.-Diss. 1892 S. 35),
Dieterich (Reichenauer Geschichtsquellen 261) ein magerer
Auszug aus der böhmischen Chronik des Cosmas, mit der
sie sich auch schon vorher nahe berührt haben, ebenso
1017 — 1042, nur zu 1000 und 1044 haben sie mehr als
Cosmas. Für das 10. Jh., in welchem die Verwandtschaft
mit den Krakauer Capitelsannalen iinverkennbar ist, bleibt
gleichfalls Cosmas Quelle, wie aus dem Missverständnis zu
984 hervorgeht:
Cosm. I, 28 : 'A. d. i. 984 obiit
Rome cesar Otto
secundus'.
„ 1,27: 'A. d.i. 981 obiit
Slavnic pater
sancti Adalberti' .
„ 1,28: 'A. d.i. 987 obiit
Strezizlava sancti
Adalberti mater'.
„ 1,28: 'A.d.i.990Sanc-
tus Adalbertus
Rome ad sanc-
tum Alexium, in-
scio abbate quis
esset, factus est
monachus. Item
eodem anno
Nemci perdita
est'. (Zusatz des
Mönchs von Sa-
zawa im cod.
Dresdens.)
Ann. Prag. 984 'Otto primus
cesar Rome ex-
titit'.
,, ,, 981 'Slaunic pater
sancti Adal-
berti obiit'.
,, ,, 987 'Strezslava
mater sancti A-
dalberti obiit'.
„ 990 'Professio
sancti Adal-
berti. Nemcis
perdita est'.
Die Anfänge der polnischen Annalistik.
275
Cosm. I, 29 : 'Interfecti sunt
autem in urbe
Lubic quinque
fratres sancti
Adalberti a. d. i.
995'.
„ I, 31:'A. d. i. 996 . .
presul Adalber-
tus feliciter ter-
minavit martirio'.
,, I, 31: '. . 998 consecra-
tus est Teadagus ' .
Ann. Prag. 995 'Lubic perdita
est'.
997 'Sanctus Adal-
bertus marti-
rizatus est'.
998 'Tyadagus ter-
tius episcopus
successit'.
Die Nachrichten über den heiligen Adalbert bei Cos-
mas beruhen auf der Lebensbeschreibung des Canaparius
(die von Ketrzynski S. 264 — 267, wie einst von Johannes
Yoigt, dem Gaudentius zugeschrieben wird); die unrichtige
Angabe des Cosmas 990, Adalbert sei unerkannt in das
Alexiuskloster aufgenommen worden, ist, wie Kolberg in
der Zeitschrift des Vereins für die Geschichte Ermlands
VII, 90 zeigt, eine Verwechslung mit einer anderen Stelle
des Canaparius, die sich auf Adalberts Besuch in Monte
Casino bezieht ('Hie tum licet agnitus non fuisset, tamen
. . honorifice hospitio susceptus est', c. 14).
Auch noch die Jahre 966 bis 973 der Ann. Prag,
stimmen mit Cosmas:
Cosmas I, c. 22. 23 . . 967 . .
'fiat sedes episcopalis . .
in episcopum Dethmarus
eligitur . .'
Cosmas I, c. 26 (969) '. . con-
secrat eum in episcopum
nomine Adalbertum . .'
Cosmas I, c. 27 (Zusatz des
Mönchs V. Sazawa, Cod.
Dresd.) 'Otto imperator
primus Teutonicorum . .
obiit' (aus den Quedlin-
burger Annalen , aus
denen der Dresdener Co-
dex des Cosmas an zahl-
reichen Stellen interpo-
liert ist.
Ann. Prag. 966 : 'Hoc anno con-
stitutus est Pragensis epi-
scopatus. Dethmarus pri-
mus Pragensis episcopus'.
Ann. Prag. 968: 'SanctusAdal-
bertus secundus Pragen-
sis episcopus'.
Ann. Prag. 973: 'Otto primus
imperator obiit'.
IS''
276
M. Perlbacli.
Vor 966 ändert sich das Verhältnis der Ann. Prag,
zu Cosmas, nur noch an drei Stellen berühren sich beide,
894, 929, 931. Cosmas hat für die Jahre 933 bis 950 den
Fortsetzer des E-egino ausgeschrieben, dem er zu 951 eine
Stelle der Quedlinburger (oder Hersfelder Annalen, denn
sie kommt auch in den Hildesheim., Weissenburg. und
Lamp. vor) anfügt: 'Otto rex in Italiam perrexit'. Für 933
bis 950 haben dagegen die Prager Annalen folgende Ver-
wandtschaft :
Ann. Pragenses.
933 Ungarorum exercitus a
Henrico interfectus est.
934 Henricus rex Danos sub-
iecit.
935 Henricus rex obiit.
939 Sol visus est minutus.
941 Comete apparuerunt.
945 Legati Grecorum ad re-
gem Ottonem cum mu-
neribus veuiunt.
950 Bellum magnum factum
est inter Bavaros et Un-
garos.
933 Ann. Corbejenses: 'Un-
gariorum exercitus ab
Heinrico rege interfectus
est'.
934 Ann. Corb. : 'Heinricus
rex Danos subeit'.
936 Ann. Corb. : 'Heinricus
rex obiit'.
939 Ann. Corb. : 'Sol visus
est inminutus tertia diei
hora 4. Id. lul.'
941 Ann. Corb. : 'Cometae ap-
paruit'.
945 Ann. Hildesheim. : 'Le-
gati Grecorum venerunt
ad regem Ottonem cum
muneribus' (ed. Waitz
S. 20). Lampert abwei-
chend mit Tagesdatum,
Weiss, u. Quedl. haben
den Satz nicht.
950 'Bellum magnum factum
est inter Bawarios et Un-
garios' Hild. Quedl.Lamp.
Lamp. hat 'prelium'.
Dieselben Quellen (Cosmas, Ann. Corb. und die Hers-
felder Gruppe) haben die Prager Annalen auch in ihrem
ersten Theile 894 bis 932 benutzt:
Ann. Pragenses. .
894 Hoc anno baptizatus est ! Cosmas I, 14: 894 'Borivoy
Borivoi primus christia- j baptizatus est primus dux
nus in Boemia cum uxore I sancte fidei catholicus
Die Anfänge der polnischen Annalistik.
277
Ann. Pragenses.
sua Ludmila, ex qua na-
tus est Wratizslaus pater
sancti Wenceslai.
901 Alnolfus(!) Imperator
obiit.
910 Ludowicus pugnavit con-
tra Ung-aros.
911 Ludowicus rex obiit, cui
Conradus successit.
912 Ungari Franciam vasta-
verunt.
915 Bellum fuit in Hers-
burch.
919 Conradus rex obiit, cui
Henricus successit.
929 Sanctus Wenceslaus mar-
tirizatus est (Consecratio
ecclesie sancti Viti a Tu-
tone episcopo Ratispo-
nensi) per Boleslaum fra-
tricidam.
. . genuit Wratizlaum ex
. . Ludmila . .' etc.
899 'Arnoldus Imperator obiit
. .' Lamp. Hild. Weiss,
('rex').
910 'Ludowicus rex pugnavit
contra Ungarios' Hild.
Die anderen (Lamp.,
Weiss.) haben 'cum Un-
gariis', den Quedl. fehlt
die Notiz.
912 'Ludowicus rex obiit, cui
Cuonradus successit'
Lamp. Weiss., die Quedl.
zu 911, in den Hild. von
späterer Hand und etwas
erweitert (S. 19).
911 'üngarii vastaverunt
Franciam' Lamp. Weiss.;
die Hild. u. Quedl. setzen
noch 'et Thuringiam'
hinzu.
915 Ann. Corb. : 'Devastacio
Hungariorum in Valun
et bellum in Heresburg'.
In den Hersfelder Ab-
leitungen lautet der Satz :
'Ungarii vastando vene-
runt usque in Fuldam'
Lamp. Weiss., etwas er-
weitert Quedl. u. Hild.
919 Ebenso Weiss.; Lamp.
setzt 'Saxo' hinzu, die
Hild. 'Saxonicus', die
Quedl. haben einen län-
geren Bericht.
929 Cosmas I, 17: '. . sanc-
tus Wencezlaus fraterna
fraude martirizatus . .
Nam Boleslaus germa-
nus . .'
Die Worte der Ann. Prag.
'per Boleslaum fratricidam'
278
M. Perlbach.
Ann. Pragenses.
931 TranslatiosanctiWences-
lai de Boleszau in Pra-
gana.
sind natürlich mit 'martiri-
zatus est' zu verbinden, die
Weihe der St. Veitskirche ist
eine in den Text gerathene
Randglosse ; Dieterich will
nach einer Bemerkung Rei-
chenauer Geschichtsquellen
über sie handeln, S. 261 N. 9,
für unsere Zwecke kommt sie
nicht weiter in Frage.
932 Cosmas I, 19: Transla-
latum est corpus S. Wen-
cezlai martiris de Bolez-
lav oppido in urbem
Praffam'.
Von den 26 Nachrichten der Prager Annalen von 894
bis 998 gehen also 13 auf Cosmas zurück (894, 929, 931,
966, 968, 973, 981, 984, 987, 990, 995, 997, 998), auf den
Hild. Weiss. Lamp., also den Hersfelder Annalen beruhen 7
(901, 910, 911, 912, 919, 945, 950), endlich auf den Corveyer
Annalen 6 (915, 933, 934, 935, 939, 941).
Diese Quellen au alyse zeigt meines Erachtens ganz
klar, dass wir nicht berechtigt sind, mit den Prager und
Krakauer Annalen als einer Einheit zu operieren, wie es
bisher von deutscher und polnischer Seite unbedenklich
geschehen ist. Waitz hat zwar Gott. Nachr. 1873, S. 390
darauf hingewiesen, dass in dem erst 894 beginnenden
Fragment der Prager sich keine Spuren der Augienses
mehr nachweisen lassen — aber Dieterich S. 173 spricht
von den Zwillings] ahrbüchern von Krakau und Prag und
Kgtrzjiiski ergänzt sogar alles, was in den Krakauer Ca-
piteisannalen zwischen 907 und 951 fehlt, aus den Prager.
Ich halte dieses Verfahren für methodisch nicht richtig.
Von den 26 Nachrichten der Prager Annalen von
894 — 998 stehen in den Krakauer Capitelsannalen, welche
für den gleichen Zeitraum 894 — 999 dreissig Notizen, also
ungefähr denselben Umfang haben, nur neun, nämlich :
901, 933, 934, 936, 940, 981, 987, 990, 997.
Davon gehen bei den Prager Annalen 901 auf die Hers-
felder, 933 — 940 auf die Corveyer, 981—997 auf Cosmas
zurück, Quellen, die, wie wir eben gesehen haben, in den
Prager Annalen auch sonst noch an zahlreichen Stellen
benutzt sind, die aber den Krakauer Capitelsannalen für
\
Die Anfänge der polnischen Annalistik. 279
das 10. Jh. an anderen Punkten als da, wo sie mit den
Prager Annalen zusammenfallen, fremd sind. Für die Er-
klärung dieser Beziehungen zwischen den Prager und Kra-
kauer Capitelsannalen (natürlich nicht der heute vorhan-
denen Hss. von 1220 und 1267, sondern ihrer Vorlagen)
ergeben sich drei Möglichkeiten : directe Benutzung a) der
Prager durch die Krakauer, b) der Krakauer durch die
Prager oder c) gemeinsame Quelle. Der Ansicht a sind
Waitz, Arndt, Poepell und (1873) Smolka, b) wird gleich-
massig von Wojciechowski und Kgtrzyiiski vertreten, welche
die polnischen Annalen des Gaiidentius 1038 bei der Plün-
derung Gnesens durch Brzetislaw I. nach Böhmen gelangen
lassen, wo sie später auch von Cosmas benutzt wurden;
für die gemeinsame Quelle erklärt sich jetzt Dieterich,
Reichenauer Geschichtsquellen S. 268.
Ein sicheres Zeichen für die Benutzung zweier Quellen
wird stets darin gefunden, wenn eine und dieselbe Nach-
richt zweimal berichtet wird. Diesen Fall haben wir in
den Krakauer Capitelsannalen bei dem Tode Arnulfs von
Kärnthen, er wird inmitten einer aus Mainzer (Augienses)
Fassung stammenden Satzgruppe richtig zu 899, sodann
noch einmal 901 berichtet, dieselbe falsche Jahreszahl
haben (nach Hersfelder Vorlage) die Prager Annalen (Al-
nolfus ist Fehler des Copisten von 1220). Ktrzy ski's Er-
klärung S. 258, dass diese doppelte Eintragung durch ein
Versehen des Abschreibers entstanden sei, der eine bereits
copierte Stelle wiederholte und sie auszustreichen vergass,
halte ich nicht für zutreffend, weil der Wortlaut nicht
genau derselbe ist (s. oben die Vergleichung). Vielmehr
spricht diese Stelle mit ihrer falschen Jahreszahl für die
Benutzung der Prager Annalen durch die Krakauer (Fall a).
Und durch diese Prager Annalen sind auch die aus den
Corveyer stammenden Eintragungen 933, 934, 9i0 in die
capituli gelangt. Wenn dieser Satz richtig ist, so dürften
die Corveyer Annalen an keiner Stelle in den Krakauer
benutzt sein, die nicht durch die Prager vermittelt wird.
Beziehungen zu den Ann. Corbejenses haben wir oben acht
Mal gefunden :
855 'Lottarius imperator obiit', aber auch Alam. W. Ben.
869 'Lotarius rex obiit', aber auch Alam.
907 'Ungari in Saxoniam venerunt', aber auch Alam.
Col. Ben.
936 'Henricus rex obiit, Otto filius eins successit', aber
auch Aug. Col. Ben., auch Prag.
280 M. Perlbach.
937 'Moiiasteria s. Galli et s. Bonifacii comburuntur',
aber auch Aug., Albani.
940 'Comete vise sunt', aber auch S. Bonifacii und
Prag-.
Nur die beiden Stellen zu 933 und 934 (besonders
die letzte ist ausschliesslich Eigenthum der Corveyer An-
nalen) finden sich allein in den Corveyer-, Präger-, Kra-
kauer Annalen. Somit steht der Annahme, dass die Cor-
veyer Notizen über Prag nach Krakau gelangt sind, nichts
entgegen, und wir werden die vier Stellen über den hei-
ligen Adalbert 981 — 997 in den capituli ebenfalls auf die
böhmische Quelle zurückführen. Dass die Corveyer Annalen
in Prag benutzt wurden, erklärt sich sehr einfach dadurch,
dass der dritte Bischof von Prag Thiaddag 998 — 1017 ein
Mönch aus Corvey war (Jaffe, Mon. Corb. 69). Damit ist
zugleich ein Anhaltspunkt für die Zeit, in der die Corveyer
Annalen nach Prag kamen, gegeben.
Gestützt auf die bisher gewonnenen Ergebnisse wollen
wir uns jetzt denjenigen Annalenresten zuwenden, die
ausser den capituli noch Spuren der fremdländischen Com-
pilation erhalten haben. Nichts Neues bringen die vetusti,
sie haben nur die Jahre 948(47) aus dem ersten Cyclus,
952(51), 959(58), 962(61), 964(63), 1002 alles Mainzer (St.
Benignus) üeberlieferung, dann 982—998(981—997) die vier
Stellen über Adalbert. Nvir die Invencio s. Stephani (947)
und Adalberts Tod haben die Miechovienses. Dagegen tritt
die böhmische Tradition verstärkt auf in den Ann. breves
und den Ann. Poznanienses.
Die Ann. breves haben, wie schon oben S. 245 hervor-
gehoben wurde, fünf böhmische Nachrichten, die nicht in
den Capitelsannalen stehen, 982, 991, 992, 1001, 1133, und
von denen sich die beiden ersten auch mit Cosmas und
den Ann. Pragenses berühren:
982 sanctus Adalbertus in
episcopum Pragensem
consecratur.
991 sanctus Adalbertus f ac-
tus est monachus Rome
apud sanctum Alexium.
1001 . . et eodem anno Po-
Cosmas I, c. 26 und Ann.
Prag, zu 968. Das Jahr 982
ist das richtige. Dieselbe
Nachricht haben auch die
Ann. compilati zu 982.
Cosmas I, c. 28 zu 990
(s. oben S. 274). Die Ann.
Prag, kürzen stark 'Professio
s. Adalberti'.
Cosmas I, c. 34 Blendung
loni ceperunt Pragam ! Boleslaws, I, 35 Eroberung
Die Anfänge der polnischen Annalistik.
281
et ducem Boleslaum in
eadem cecaverunt.
Prags, wobei auch die Jahres-
zahl 1001 angeführt wird.
Jüngeren Ursprungs sind dagegen die Nachrichten
von 992 und 1001, erster Theil :
992 Sanctus Adalbertus
Gneznam veniens fidem
catholicani in Polonia
roboravit.
1001 Otto imperator Eoma
rediens visitat sepul-
chrum sancti Adalberti
in Polonia.
Martinus Polonus SS. XXII,
465 : '(Adalbertus) . . demuni
per Poloniam transiens et
eosdem in fide confirmans . .'
Martinus Polonus SS. XXII,
466 : 'Imperator (aus Rom)
reversus. Et visitans locum
in Polonia, ubi s. Adalbertus
quiescebat martir'.
An zwei anderen Stellen geben die Ann. breves der
böhmischen Fassung vor derjenigen der capituli den Vorzug:
A. capituli:
997 Passio s.Adal-
berti.
1038 Corpus s.
Adalberti
translatum
est.
Ann. breves :
997 S. Adalbertus
martyrizatus
est in Prussia.
1038 S. Adalbertus
translatus est.
Ann. Pragenses :
997 S. Adalbertus
martirizatus
est.
1038 S. Adalbertus
translatus est
de Polonia in
Loemiam per
Brecizlaum
ducem.
Aus den Ann. breves haben wir somit noch vier
Nachrichten gewonnen, die aus der böhmischen Quelle
stammen (982, 991, 1001, 1038).
Noch stärker ist die böhmische Tradition in den Ann.
Poznanienses erhalten. Diese von Ketrzjnski entdeckten
und von ihm 1888 im 5. Bande der Mon. Pol. herausge-
gebenen (auch von mir 1892 abgedruckten) Annalen reichen
in der einzigen Hs. des 14. Jh. von 929 — 1079 und ent-
halten 20 Nachrichten, von denen 14 mit den capituli
übereinstimmen:
931, 947, 965(960!), 966(965!), 987(985!), 990, 997, 999,
1003, 1025, 1038, 1072, 1077, 1079; 6 befinden sich nicht
darin, nämlich:
929 beatus Wenceslaus martirizatur.
932 translacio sancti Wenceslav.
967 natus est pius Boleslaus.
968 lordanus primus episcopus Poznaniensis ordinatus est.
282 M. Perlbach.
973 sanctus Adalbertus venit Poloniam vocatus per pium
Boleslaum.
977 Dambrovca mater pii Boleslai obiit.
929, 932, 987, 990, 997 sind böhmischen Ursprungs, es
finden sich aber auch bei Cosmas 977 der Tod der Dam-
browka, der bisher nur aus diesem bekannt war (I, 27),
999 die Ordination des Gaudentius (I, 34), 1003 der Tod
der fünf Einsiedler in Polen (I, 38, auch die Ann. Bohemici,
Font. rer. Bohem. II, 381 berichten dieses Ereignis). Grosses
Gewicht legt Ketrzyriski auf die Notiz zu 973, d^e er auf
den Erzbischof Adalbert von Magdeburg bezieht, indem
er sanctus, sowie vocatus per pium Boleslaum für spätere
Zusätze hält. Nun haben die Ann. Poznan, mehrfach falsche
Jahreszahlen 960 statt 965, 965 statt 966, 985 statt 987,
ich möchte daher auch in der Jahreszahl 973 einen Fehler
für 991 (DCCCCLXXIII statt DCCCCLXXXXI) annehmen
und die Nachricht mit der der Ann. breves zu 992 ('S.
Adalbertus Gneznam veniens fidem catholicam in Polonia
roboravit') zusammen stellen. Pius, wie Boleslaw Chrobry
in diesen Annalen zu 967, 973 und 977 genannt wird, ist
sein stehendes Beiwort in den Lebensbeschreibungen des
heiligen Stanislaus, in den Annalen heisst er sonst Magnus.
Zu den böhmischen Nachrichten rechne ich auch die von
999 und 1003. Der Tod der 5 Anachoreten steht auch in
den Ann. capituli, vetusti, breves, Kamenzenses, Miecho-
vienses. Bekanntlich ist erst kürzlich (1883) in der von
dem heiligen Bruno von Querfurt verfassten Passio quin-
que fratrum (SS. XV, 2 und Mon. Pol. VI gedruckt) eine
neue Quelle über diese 5 Märtyrer, zwei Italiener und
drei Polen, gefunden worden; sie erlitten den Tod, wie
Petrus Damiani, Cosmas und Bruno übereinstimmend be-
richten, weil eine ihnen von Boleslaw geschenkte grössere
Geldsumme die Habgier des umwohnenden Landvolks reizte.
Als 1038 nach dem Tode Miesko's IL Herzog Brzetislaw
von Böhmen den Leichnam des heiligen Adalbert nach
Prag überführte, liess er nach dem Berichte des Cosmas
auch die 5 Einsiedler, die ebenfalls in Gnesen begraben
waren, nach Böhmen mitnehmen (Cosmas II, c. 4. 5), des-
gleichen den Erzbischof Gaudentius, den Bruder des heiligen
Adalbert, einen geborenen Böhmen. Von da an waren die
Grabstätten dieser Heiligen nicht mehr in Polen, sondern
in Böhmen^. Dazu passt, dass die einzigen Lebensbe-
1) Darauf weist auch Dieterich, Reichen. Geschichtsqu. S. 279 hin,
mit dessen Stammbaum S. 277 ich freilich durchaus nicht einverstanden bin.
Die Anfänge der polnischen Annalistik. 283
Schreibungen der 5 Einsiedler, die ausser der in einem
anscheinend aus Magdeburg stammenden Codex überlieferten
Passio Bruns von Querfurt sich vorgefunden haben, in
böhmischen Bibliotheken, in Prag und Raygern, erhalten
sind (Kade zu Bruno SS. XV, 2. 712 n. 9). Deshalb glaube
ich, dass auch die annalistischen Notizen von 999 ('ordinatio
Gaudencii') und 1003 (nach Bruno 1004) zuerst in Böhmen
aufgezeichnet wurden : in der ältesten Fassung (Vet., cap.,
brev., Miech., Ann. hohem.) ist nur 'in Polonia' als Todes-
ort der 5 Märtyrer angegeben, die jüngeren polnischen
Quellen, Ann. Kamenz. und Poznan, setzen dazu den Ort
Kazmir. In die böhmische Annalistik fand die Nachricht
natürlich erst nach der Translation von 1038 Eingang.
Den Schluss der Ann. Poznan, bilden vier polnische
Notizen: 1025 Tod Boleslaws Magnus, sein Sohn Lambertus
folgt (so heisst Miesko II. auch in den Capitelsannalen),
1072 Ordination des heiligen Stanislaus, 1077 Krönung
Boleslaws II., 1079 Märtyrertod Stanislaws. Den Tod
Boleslaws I. berichtet auch Cosmas (I, 41), Ordination und
Tod des heiligen Stanislaus haben auch die Annales bohe-
mici. Von den 20 Nachrichten der Annales Poznanienses
(929 — 1079) stammen also 10 aus Böhmen (929, 932, 973,
977, 985, 990, 997, 999, 1003, 1038), drei (1025, 1072, 1079)
kommen auch in böhmischen Quellen vor, zwei (931, 947)
sind aus dem ersten Cyclus übernommen, nur fünf sind
rein j)olnisch (960, 965, 967, 968, 1077), aber die ersten vier
(960 — 968) stehen auch mit Böhmen in Berührung, da ja
die Bekehruug Polens durch die Heirath der böhmischen
Herzogstochter veranlasst war. Jedenfalls ist in keinem
Ueberrest der polnischen Annalistik die böhmische Tradition
so stark vertreten, wie in den Ann. Poznanienses.
üeberblicken wir nun den Anfang der Krakauer
Capitelsannalen noch einmal, so erhalten wir folgendes
Ergebnis. Von 730 bis 816 (34 Jahresangaben) ist für 22
eine Fuldaer' Aufzeichnung (die Compilatio Fuldensis be-
nannte Quelle der Hersfelder Annalen), 12 Mal ein am
besten durch die Annales Augienses vertretenes Mainzer
Jahrbuch benutzt, von 840, also nach einer Lücke von 24
Jahren (auf die Lücken in dem fränkisch -polnischen Jahr-
buch hat meines Wissens Wojciechowski S. 206 zuerst hin-
gewiesen) bis 899 ist das Mainzer Jahrbuch ausschliessliche
Quelle. Das Jahr 901 wurde böhmischen Annalen^ ent-
1) Natürlich nicht den Prager Annalen der Bamberger Hp.
von 1220.
284 M. Perlbach.
nommen, 906 wieder der Mainzer Quelle. Nun folgt die
zweite grosse Lücke, die ich nicht mit Ketrzynsky aus
den Prager Annalen ergänze, bis 930; 931, 947 gehören
dem ersten Cjclus, 933, 934 den böhmischen Annalen,
936, 937, 940 a' den Mainzer, 940 b den böhmischen, 940 c
bis 963 den Mainzer Annalen an; mit 965, 966 beginnen
die polnischen Nachrichten: 968 — 970 sind wieder Mainzer,
981 — 999 böhmischen, 1002 Mainzer, 1003 böhmischen,
1009 — 1012 Mainzer Ursprungs; 1016 bis 1025 polnisch,
1030 und 1033 zeigen, wie die Fulda -Mainzische Ueber-
lieferung nach Krakau gekommen ist, aus dem Benignus-
kloster zu Dijon; 1034, 1037 sind polnisch, 1038 böhmisch,
von 1039 an sind keine fremdländischen Wurzeln mehr
wahrzunehmen, denn die Nachricht zu 1048 vom Tode
Ottos von Schwaben, des Bruders der Königinmutter
Richenza, kann sehr gut am Hofe Kasimirs aufgezeichnet
sein. Mit Wladimir dux Ruthenorum beginnt zu 1015 die
zusammenhängende Reihe der polnischen Aufzeichnungen.
Dieser Fürst war der Schwiegervater Kasimirs, der Vater
seiner Gemahlin Dobronega, die er nicht vor 1038 heim-
geführt haben kann (Balzer, Genealogia Piastöw S. 89);
erst um diese Zeit wird der Tod Wladimirs angemerkt sein.
Yon 1038 datiert die letzte böhmische Nachricht, von 1037
(fälschlich zu 1033 gestellt) die letzte burgundische Auf-
zeichnung (1033 Otto dux obiit, s. oben S. 273). So treffen
kurz vor 1040 die drei Wurzeln, aus denen sich der
Stamm der Krakauer Capitelsannalen^ entwickelt hat.
zusammen: die Fulda -Maiuzischen Annalen aus dem Benig-
nuskloster zu Dijon (730 — 1012, 1030, 1033(37). die Corvey-
Prager Annalen 901 — 1003, 1038 und die polnischen Nach-
richten 965, 966, 1015 — 1037. Die Verschmelzung ver-
danken wir vermuthlich dem Manne, der seine eigene
Priesterweihe vor der letzten böhmischen Nachricht eintrug,
dem Priester Sula-Lambertus, dem späteren Bischof von
Krakau, dem Nachfolger des Bischofs Aaron von Krakau,
dessen Tod in den Capitelsannalen zu 1059 die erste An-
knüpfung an Krakau darbietet. Leider wissen wir über
diesen Bischof Aaron, dessen Namen sonst in Polen nicht vor-
kommt, aus gleichzeitigen Quellen nichts. In der Bibliothek
des Krakauer Domcapitels befindet sich eine von Polkowski,
der den Handschriftenkatalog derselben verfasst hat, ins
8. oder 9. Jh. gesetzte Homilienhs. (Predicationes, Archivuni
1) Xatürlich ist dabei nicht an die Hs. von 1267, sondern an deren
Vorlage zu denken.
Die Anfänge der polnischen Annalistik. 285
do dziejöw lit. i osw. III 96 — 98 n. 140), auf deren 5.
ursprünglich leer gelassener Seite eine Hand des 11. Jh.
Aron eps . . . verzeichnet hat, das übrige ist leider durch
unvorsichtige Anwendung von Reagentien zerstört. Ver-
muthlich war Bischof Aaron Besitzer dieser lange vor
Einführung des Christenthums in Polen im Abendlande
geschriebenen Predigtsammlung, der ältesten Hs., die sich
jetzt in der Krakauer Capitelsbibliothek befindet, und die
doch wohl durch ihn in dieselbe gekommen ist. Ueber
Aarons Herkunft sind wir nicht unterrichtet, dass ihn
Dlugoss 'natione Gallicum' nennt, beweist nichts, da dieser
die Bischöfe des 10. und 11. Jh. systematisch aus Italien
und Frankreich nach Polen kommen lässt. Dennoch könnte
er in diesem Falle das Richtige getrofPen haben. Der Be-
sitz der uralten Hs. und der im ganzen polnischen Mittel-
alter nicht wieder vorkommende Name Aaron scheinen auf
einen Fremden hinzuweisen : in ihm, dem Zeitgenossen
Kasimirs, könnten wir dann den Mann sehen, der die
fränkischen Annalen nach Polen gebracht hat.
VL
I
Zur Afralegende
und zum
Martyrologiuin Hieronymianum.
Eine Entgegnung
Bruno Kriisch.
1. Conversio et passio Afrae.
Die beiden Theile der Acten der hl. Afra und ihrer
Genossinnen, welche denselben Anfang haben und in den
Hss. zusammen überliefert sind, wurden dennoch bisher
von der Kritik verschieden beurtheilt, während sie meiner
Ansicht nach als Ganzes betrachtet werden müssen, und
es nicht gestattet ist, den einen zu verwerfen und den
anderen anzuerkennen. Ein grosser Theil der Bekehrungs-
geschichte wird ausgefüllt durch das Auftreten eines
schwarzen Teufels und einen sehr ergötzlichen Streit zwischen
ihm und dem Bischof Narcissus um die Seelen; der Bischof
giebt endlich nach, betrügt aber den Teufel und liefert
ihm einen auf den Julischen Alpen hausenden Drachen
aus. Von dieser höchst spasshaften üebertölpelung des
dummen Teufels durch den schlauen Vertreter des Christen-
thums haben zu meinem lebhaftesten Erstaunen die weise-
sten und frömmsten Anhänger der Legende nichts wissen
wollen, und der Unglaube muss schon in diese Kreise ge-
drungen sein, denn die Conversio Afrae ist heute allgemein
aufgegeben. Ihren Beschluss bildet die Taufe der Afra,
ihrer Mutter Hilaria und der Mägde Digna, Eumenia,
Euprepia. Die Leidensgeschichte dieser Personen behan-
delt der zweite Theil, ausführlich nur die der Afra (c. 1. 2),
kürzer die der anderen Personen (c. 3), die überhaupt gegen
die erstere in den Hintergrund treten. Die Passio ist vor
meiner Kritik für eine echte Schrift angesehen worden,
während ich sie auf ganz dieselbe Stufe gestellt habe, wie
die vorhergehende Conversio. Der Ansicht ist Duchesne ^
nicht, und er muss für seine Zwecke zu der Annahme
greifen, dass beide Theile von verschiedenen Händen ver-
fasst seien. Nun gleichen sich aber beide Theile, die, wie
gesagt, mit ganz denselben Worten beginnen, ungefähr wie
ein Ei dem andern, und der zweite setzt geradezu den
ersten voraus. Es ist interessant zu beobachten, wie sich
Duchesne diese Schwierigkeiten aus dem Wege zu räumen
weiss. In beiden Theilen treten dieselben Personen auf,
und er bemerkt ganz richtig, dass das Martjrologium
1) Bulletin critique 1897, n. 16.
Neues Archiv etc. XXIV. 19
290 Bruno Krusch.
Hieronym. (M. H.) nur die eine Märtyrerin Afra kennt.
Nach den Regeln der Kritik steht dieses auf einem älteren
Standpunkte, und die Vielheit in den Acten ist als Symptom
des späteren Ausbaues der Legende aufzufassen. Ist der
Endzweck der Conversio die Taufe der Frauen durch den
Bischof Narcissus, so wird in der Leidensgeschichte (c. 3)
auf dieses Ereignis geradezu Bezug genommen. Hier setzt
nun eine ebenso gelehrte als tiefsinnige Betrachtung Du-
chesne's ein. Er beweist kunstgerecht aus seiner Theologie
und unter Berufung auf seine Origines du culte chretien,
dass Afra — man staune ! — überhaupt nicht getauft und
gar keine Christin war: also eine Heidin? und die Ver-
folgung war eine Heidenverfolgung? Bei den Einzelheiten
dieses wunderlichen Beweises brauchen wir uns weiter
nicht aufzuhalten, denn Passio c. 3 erklärt der Verfasser
ausdrücklich: 'Digna, Eumenia et Euprepia, quae fuerunt
ancillae eins et simul quae fuerunt in peccato et simul a
sancto Narcisso episcopo baptizatae'. Es muss schlecht
um eine Theologie bestellt sein, in welcher sich solche
Vorgänge abspielen können. Auf diesem Wege erreicht
Duchesne seinen Zweck, die Entdeckung eines Innern
Widerspruches zwischen der Conversio und der Passio, oder
vielmehr nur c. 1 und 2 der letztern, denn c. 3 widersprach
ja seiner Ansicht. Und unbarmherzig zieht er sofort seine
Consequenzen und giebt nicht allein die Conversio, sondern
auch den Schluss der Passio (c. 3) preis. Er steht also,
wie man sieht, schon nicht mehr ganz auf dem Stand-
punkte seiner weisen und frommen Vorgänger, sondern nähert
sich bedenklich meiner ebenso strengen als wenig be-
gründeten Kritik.
Indessen hat seine Untersuchung doch immer noch
ein, wenn auch noch so bescheidenes, positives Ergebnis
zu Tage gefördert und nach den grausamen Abstrichen
können wir nun den Rest getrost als ein echtes Document
zu unserer Erbauung verwertheu. Er nennt ihn une piece
anterieure et de meilleur aloi; das klingt freilich etwas
matt. Sollte die Authenticität immer noch nicht genügend
gesichert sein? In der That hat Duchesne noch etwas
auf dem Herzen. Aus meiner Vorrede weiss man, dass der
heidnische Richter höchst sonderbare Ideen entwickelt und
fast wie ein christlicher Priester spricht: 'Meretrix quae
est, dici non potest christiana'. Diese Auffassung des
Mannes von dem Christenthum scheint auch Duchesne
nicht ganz unbedenklich erschienen zu sein, denn er fürchtet
plötzlich, missverstanden zu werden. Er erklärt jetzt schlank-
Zur Afralegende und zum Martyrologium Hieronymianum. 291
weg, dass er auch die zusammengestrichene Passio nicht
comme une piece absolument originale hinstellen will,
welches amtliche Aufzeichnungen wiedergiebt, sondern er
möchte nur die Möglichkeit einer Eedigierung am Ende des
4. oder Anfang des 5. Jh. betonen. Mit diesem Ergebnis
kann ich sehr zufrieden sein, denn es ist klar, dass man
auf weniger durch den Heiligen cultus befangener Seite
darin eine glänzende Bestätigung meiner Ansicht von der
Unechtheit und dem ünwerth dieser sog. Märtyrerarten
erblicken wird.
Afra hat nach ihren Acten .ein ziemlich unanständiges
Oewerbe im Dienste der Venus getrieben, zu welchem ihre
eigene Mutter sie geweiht hatte, und im M. H. liest man
an einer von den vielen Stellen, wo es ihrer gedenkt:
'7. Id. Aug. In provintia Retia^ civitate Agusta Afrae,
Veneriae'.
Auf den Zusammenhang dieser Notiz mit unserer
Legende hat bereits Rettberg hingewiesen, und auch Du-
chesne giebt die dependance verbale zu, und nur in der
Erklärung gehen wir auseinander. Nach meiner Ansicht
hat der Legendenschreiber den Vorwurf für seine Dar-
stellung der Zusammenstellung der beiden Eigennamen
Afrae, Veneriae entnommen; dagegen hält es mein Gegner
in gleicher Weise für möglich, dass der Verfasser des Mar-
tyrologs durch die Legende beeinfiusst sein könnte, und
das ist ihm wahrscheinlicher: natürlich, denn im anderen
Falle könnten die Acten nicht aus dem 4. oder 5. Jh.
stammen, da die Quelle erst aus dem 7. Jh. ist. Bei seiner
Erklärung kann Veneria natürlich kein Personenname sein;
er schreibt es auch klein und verbindet es mit Afra. Es
bezeichnet also die unsaubere Thätigkeit der Heiligen vor
ihrer Bekehrung, und der Verf. des M. H., der doch sonst
höchstens lobende Attribute austheilt, hätte in diesem
Falle eine Ausnahme gemacht und der Venusdienerin Afra
ein Fest angesetzt: man denke sich die Andacht der
Gläubigen bei dem Gedächtnis dieser sonderbaren Heiligen,
denn das M. H. verfolgt Cultuszwecke. Ein weiterer Ein-
wurf gegen die wunderliche Erklärung Duchesne's ist der,
dass an allen anderen Stellen, und deren sind, wie gesagt,
nicht wenige, Afra den Beisatz veneria im M. H. nicht
führt, oder vielmehr bis vor Kurzem nicht geführt hat.
1) Die Hanpths. E kürzt, wie wir unten sehen werden, die geo-
graphischen Ortsbezeichnungen. Diese nur durch die anderen Hss. über-
lieferten Stellen lasse ich cursiv setzen.
19*
292 Bruno Krusch,
Denn Duchesne's Scharfblick hat natürlich diese Lücke
sofort erkannt und im Handumdrehen Abhilfe geschaffen.
An der folgenden Stelle des M. H.:
7. Id. Oct. In provincia Greta civitate Agusta natale
Afrae mar liest E Affreniae für Afrae mar, und auf diese
Variante baut er seinen Plan. Veneriae, sagt er, verstüm-
melt hier E in 'niae' ; die anderen Hss. unterdrücken es
und ersetzen es durch martyris. Mit Erstaunen wird
jeder besonnene Mensch fragen, weshalb denn jenes 'niae'
zu veneriae und nicht vielmehr zu der viel näher liegenden
und vollständig tadellosen Ueberlieferung der anderen Hss.
(mai") vervollständigt und verbessert werden soll. Und der
Vorgang der Text-Corruption wird mit einer Sicherheit ge-
schildert, als wenn ihn Duchesne selbst beobachtet hätte.
Durch diese Textentstellung wird die Heilige Afra von
ihrem eigenen Verehrer zum zweiten Male mit dem ab-
scheulichen Beiworte ausgestattet. Die Venei'ia ist aber
im M. H. keine Seltenheit, nur hat das Wort niemals die
Bedeutung, die ihm Duchesne unterlegt, sondern es ist
natürlich stets Personenname. Unter demselben 7. Id. Aug.,
unter welchem sich die Zusammenstellung Afrae, Veneriae,
findet, erscheint die Veneria am Anfang noch einmal :
Antiocia Suffroni, Veneriae,
und hier ist eine Verbindung mit dem vorhergehenden
Personennamen schon wegen des verschiedenen Genus
unmöglich. Am Schlüsse desselben Artikels war die veneria
eine Venuspriesterin und klein zu schreiben, am Anfang
ist sie selbstverständlich Personenname und erhält einen
grossen Anfangsbuchstaben. Da aber eine Märtyrerin
Veneria in Augsburg unbekannt ist. hat schon Boschius ^ die
scharfsinnige und wohlbegründete Vermuthung aufgestellt,
die Heilige von Autiochia sei durch eine jener im M. H.
nicht ungewöhnlichen Wiederholungen an den Schluss des
Artikels gerathen und so zur Gefährtin der Afra gemacht
worden. Jedenfalls erscheint es als eine bare Unmöglich-
keit, dass derselbe Ausdruck in demselben Artikel eine
verschiedene Bedeutung haben sollte, und durch die Er-
wähnung der Veneria am Anfang widerlegt sich ganz von
selbst die Erklärung, welche Duchesne derselben Veneria
am Schlüsse gegeben hat. Auf die Bedeutung dieser kri-
tischen Stelle war in meiner Vorrede aufmerksam gemacht
worden, und man wird neugierig sein, wie sich Duchesne
mit ihr abfindet. Sehr einfach! Er schweigt davon, wie
1) AA. SS. Aug. II, 39.
Zur Afralegende und zum Martyrologium Hieronymianum. 293
er auch sonst von den Zeugnissen schweigt, die gegen ihn
sprechen.
Damit sind aber die Beziehungen der Afralegende
zu dem M. H. noch nicht erschöpft. Conversio und Passio
beginnen, wie schon erwähnt, mit derselben Wendung:
Aput provinciam Eetiam in civitate Augusta,
und diese Ortsbezeichnung stimmt fast wörtlich mit der
des Martyrologs 7. Id. Aug. und 7. Id. Oct. :
In provincia Retia^ (Greta 7. Id. Oct.) civitate Agusta,
Wiederum erhebt sich die Frage nach der Priorität
und wiederum könnte Duchesne Beeinflussung des M. H.
durch die Legende annehmen. Aber diesmal verstummt
sein sonst so beredter Mund. Die Ausdrucksweise ist näm-
lich entschieden die des M. H., wie ein Blick in dieses
lehrt und u. a. die folgenden Parallelstellen zeigen:
8. kl. lul. In provincia Palestina civitate Sabasti.
10. kl. Sept. In provincia Cilicia civitate Egas.
prid. kl. Dec. In provincia Achaia civitate Patras.
Der Martyrologienschreiber hatte also allerdings die
Oewohnheit, die Oertlichkeiten in dieser Weise nach der
Provinz und Civitas zu bestimmen, und der Legenden-
schreiber wiederholt seine Formel. Selbst Duchesne ent-
schlüpft unvorsichtiger Weise dieses Zugeständnis: 'qui re-
produisent la formule du martyrologe'. Der Anfang der
Conversio wie der Passio sind einer Quelle des 7. Jh. ent-
nommen, und die Acten sollen ins 4/5. Jh. gehören ?
Wir fanden eben noch Duchesne im richtigen Fahr-
wasser; er hat aber leider den Weg nicht weiter verfolgt
und insbesondere nicht verrathen, wie er sich das Vor-
handensein der Formel des M. H. in der Afralegende er-
klärt. Seine Methode der Legendenkritik ist nämlich zwei-
theilig. Zuerst streicht er aus den Acten alles hinweg,
was Anstoss erregt und zu dem ungünstigen Urtheil über
sie geführt hat, und findet nun den Rest leidlich erträglich ;
die Schwierigkeiten aber, die dann noch auftauchen, und
alle Argumente des Gegners, welche er nicht widerlegen
kann, lässt er unter den Tisch fallen. Belässt man da-
gegen die Acten in der Verfassung, in welcher sie hand-
schriftlich überliefert sind, so sind sie unhaltbar, und inso-
fern erhärtet seine Widerlegung eigentlich nur meine
Kritik. Indessen bin ich weit entfernt, meinem Gegner
sein Vertrauen zu der Afralegende verkümmern zu wollen,
ich protestiere nur gegen die Zerstückelung: den schwarzen
1) E lässt 7. Id. Aug. die Worte In pr. R., 7. Id. Oct. In pr. weg.
294 Bruno Krusch.
Teufel und den Drachen muss er also mit in den Kauf
nehmen.
2. Das Martyrologium Hieronymianum.
Für die Beurtheilung der Acta Afrae waren vom
höchsten Werthe ihre Beziehungen zu dem Martyrologium
Hieronymianum, und auch bei anderen Legenden finden sich
Berührungspunkte mit dieser Quelle. Die Fragen nach
Zeit und Ort ihrer Entstehung sind also für die Kritik
der älteren Hagiographie von grosser Bedeutung, und es
ist Zeit, dass wir uns ihnen jetzt zuwenden. Ich hatte
hervorgehoben, dass Afra im M. H. an vier Tagen gefeiert
wird, an die Missionsthätigkeit des Abtes Eustasius in
Bayern erinnert und die Vermuthung ausgesprochen, dass
dieser ihren Cultus nach Luxeuil übertragen haben könnte.
Allerdings liegt Augsburg in Schwaben, aber von Bayern
trennt es nur der Lech, und der burgundische Wanders-
mann konnte an dieser Stelle Bayern nicht betreten, ohne
die Lechbrücke bei Augsburg zu überschreiten. Das Mart.
Hieronym. hatte ich nach der alten Ausgabe Fiorentini's
durchgearbeitet und dabei mehr auf die gallischen Heiligen
als auf die orientalischen, römischen und afrikanischen
geachtet. So erklärt sich meine Behauptung, dass der
Verfasser zwar viele Heilige zweimal aufführe, doch vier-
mal ausser Afra keinen : ich füge aber hinzu 'quod sciam',
und daraus war zu ersehen, dass ich meine eigene Wissen-
schaft für nicht vollkommen hielt. Der Punkt ist auch
ganz nebensächlich und hat auf die Beurtheilung der Acta
Afrae nicht den mindesten Einfluss. Frohlockend springt
mir nun Duchesne ^ mit acht Heiligengruppen entgegen,
die im M. H. vier- bis achtmal erwähnt sein sollen. Als
praktischer Mann hat er da alles zusammen gelesen, was
seinen Zwecken irgendwie dienen könnte, Heilige der ver-
schiedensten Gegenden mit gleichen oder fast gleichen Namen
als identisch zusammengestellt, particuläre Interpolationen
einzelner Hss. für Lesarten des M. H. ausgegeben und
endlich sogar noch doppelt gezählt Stellen, wo die einzelnen
Hss. im Kalenderdatum differieren und zum folgenden
Tage nehmen, was anderswo beim vorhergehenden steht.
Zur besseren Erläuterung seines Verfahrens sind die unter
n. 7 citierten acht Wiederholungen der angeblichen Heiligen
1) Bulletin critique 1897, n. 17.
Zur Afralegende und zum Martyrologium Hieronymianum. 295
Faustus, lanuarius und Martialis von Cordova nachge-
schlagen und hier ausgeschrieben worden:
17. kl. Mai. 'In Spanis Caesaragusta Luperci — —
Felicis, item Felicis, Fausti, Marcialis, Fortunati.
16. kl. Mai. In Ponto in Slacelli Marcialis, Felicis, item
Felicis, Fausti, Furtunati.
8. kl. Mai. In Affrica Faustini Memmeri, Fausti,
lanuari, item Secundi.
Non. Oct. In Antiochia Dionisi episcopi, lanuari,
Faustini, Marcialis nur E.
8. Id. Oct. In Antiochia Dionisi episcopi, lanuarii,
Faustini martyris, Marcialis nur WB.
5. Id. Oct. In Anazobon Ciliciae natale Taraci,
Fausti, lanuari, Marcialis.
3. Id. Oct. In Spanis Cordoha civitate Fausti, Marcialis.
— — Et alibi Fausti, lanuari, Marcelli.
5. Id. Nov. In Spa,nis Fausti, lanuari et Marcialis.
Als Heilige von Cordova figurieren also bei Duchesne
solche von Saragossa, Pontus, Africa, Antiochia, Cilicien,
und Niemandem vor ihm ist es eingefallen, diese Personen
zu identificieren, denn während die Bollandisten über die
Cordovaner Oct. VI, 187, handeln, sind die beiden ersten
Gruppen April II, 406, die dritte April III, 265, die 4. und
5., die eine ehrliche Polemik nicht hätte doppelt zählen
dürfen, da das was in E bei Non. Oct. steht, WB zu 8. Id.
Oct. ziehen, Oct. IV, 272, behandelt; an den ersten beiden
Stellen ist von keinem lanuarius, an der dritten von
keinem Martialis die Eede ; die vierte und fünfte, die, wie
gesagt, nur durch einen Kunstgriff zu zwei Zeugnissen ge-
stempelt sind, haben statt des Faustus einen Faustinus,
und Cordova wird überhaupt nur an der vorletzten Stelle
genannt. Die Verwechselung der Märtyrer von Saragossa
mit denen von Cordova beweist, dass Duchesne nicht
einmal den bekannten Hymnus des Prudentius kennt, und
die zahlreichen Irrthümer in den Kalenderdaten (5. Id. Aug.
für 5. Id. lul., 13. kl. Feb. für 14. kl. Feb., kl. lan. für
kl. lun.) legen Zeugnis ab von der beispiellosen Flüchtigkeit,
mit der er seinen Stoff zusammengerafft hat. Von dieser
Art der Quellenbenutzung dürfte allerdings das Publikum
erbaut sein. , Derselbe Duchesne begeht dann noch den
groben Schnitzer, dass er seine dritte Heiligengruppe Cos-
conius, Zeno, Menelampus nach Nicaea setzt, während
sie vielmehr nach Nicomedia gehört (AA. SS. Sept. I,
360). Seine Beispiele von häufigen Wiederholungen sind
sämmtlich dem nichtgallischen Theile des M. H. entnommen,
296 Bruno Kruscli.
während Afra unter dem g-allischen steht ; zwischen beiden
nimmt er aber selbst einen solchen Unterschied an, dass
er sogar verschiedene Verfasser statuiert, wenn auch nicht
richtig'. In dem gallischen Heiligenreg'ister nimmt nun
allerdings Afra eine bevorzugte Stelle ein, und den vier
Zeugnissen, die ich früher zusammen gestellt habe, kann
ich jetzt noch ein fünftes, das auch der grosse Kenner
des M. H. nicht kennt, hinzufügen:
4. Id. Aug. In Aretio (lies 'in Retia') Afrae, — nur
in E, da WB hier eine grosse Lücke haben.
Einige Kenntnis des M. H. könnte aber Duchesne
wohl besitzen, denn er ist mit de Rossi der Herausgeber
('sit venia verbo!') desselben in den AA. SS. Nov. II, 1. Ich
habe die Aufstellungen dieser beiden Männer über Haud-
schrif tenverhältnis , Heimath und Alter des Martyrologs
und über seine Entstehung in dieser Zeitschrift XX, 437,
auf wenigen Seiten einer Prüfung unterzogen und ungefähr
alle ihre Ergebnisse über den Haufen geworfen, auch
speciell darauf aufmerksam gemacht, dass in dieser an-
geblichen Schrift aus dem Ende des 6. Jh. sich eine Ein-
tragung vom Jahr 615 findet, die Duchesne nicht berück-
sichtigt hat. Ich habe damals meinem Befremden über
die Uebergehung dieser wichtigen Stelle Ausdruck gegeben,
und erst dieses hat Duchesne veranlasst, sich zur Sache
zu äussern. Er giebt nicht weniger als vier Erklärungs-
versuche für diese Eintragung, die theils die Thatsache
selbst als nicht genügend gesichert hinstellen sollen, theils
einem bösen Zufall die Schuld geben, und der Leser hat
nun die Wahl, wie er das Duchesne entgegenstehende Zeugnis
hinwegprakticieren will. Im allgemeinen bin ich dem
grossen Gelehrten durch diese Kritik höchst unbequem
gefallen, und er ist entrüstet darüber, dass eine Person,
die in der Hagiographie und Kirchengeschichte noch viel
Fortschritte zu machen hat, Capacitäten seines Schlages
ein Sic nolo entgegenzusetzen wagt. Er nimmt also Hoheits-
rechte für sich in Anspruch und vergisst ganz, dass die
Wissenschaft auf republikanisclier Grundlage beruht und
es ein 'crimen laesae maiestatis' in derselben nicht giebt.
Eine erneute Prüfung auf Grund von umfassendem
Matei'ial hat mich zu denselben Resultaten, wie früher, ge-
führt, dass die Ausgabe des M. H. in allen Hauptpunkten
verfehlt ist. Aber hierin liegt offenbar nicht mehr der Schwer-
punkt der Sache. Nachdem Duchesne jetzt zugestanden
hat, dass er das spätere Zeugnis gekannt hat, — und es
hätte ihm schlecht angestanden, dies in dem Augenblicke zu
Zur Afralegende und zum Martyrologium Hieronymianum. 297
läugnen, wo er sich selbst als den grossen Kenner des M, H.
mir gegenüber aufspielt, — muss jetzt die Frage lauten,
ob es eorrect gehandelt war, die Existenz desselben in Ab-
rede zu stellen.
Die von dem Herausgeber zum Abdruck gebrachten
drei Hss. sind:
E) die aus Echter nach stammende Pariser n. 10837,
in angelsächsischer Schrift aus dem Anfang des 8. Jh.;
W) die aus Weissenbiirg stammende Wolfen-
bütteler n. 81 (nicht 23, wie de Rossi irrthümlich angiebt),
geschrieben im Jahr 772, wie eine vorausgeschickte Be-
rechnung und die Ostertafel ^ auf fol. 4 lehren ;
B) die aus Metz stammende Berner n. 289, saec.
VIII. ex., von welcher leider der letzte Quaternio (XVIII)
mit den Tagen XI. kl. Dec. — Villi, kl. lan. verloren ist.
Der Schreiber von E, Laurentius, der sich selbst in
der Unterschrift genannt hat -, wie es scheint, der Notar
des Heiligen Willibrord^, hat Raum gespart und jeden Zeilen-
rest ausgenutzt. Oft fehlen die Monatsnamen und an-
dere entbehrliche Worte, oder doch solche, welche ihm
entbehrlich erschienen sind, und in seinem Streben nach
knapper Kürze hat er auch die Ortsbezeichnungen bis-
weilen vereinfacht :
Id. Aug. Sinnada Frigiae] WB ; Frigia E.
Aus Unachtsamkeit springt er von einem Namen
zum nächsten gleichlautenden über, und solcher Homoeo-
teleuta finden sich mehrere:
8. Id. Mai. Faustinae, [lanuarii, item Victoris, Zetule,
Stialae, Furtuni, Rogati, Faustini fehlen E].
12. kl. Nov. Machari, [Dicei, Proculi. Neapoli Festi,
item Modesti et aliorum numero 272. Puteoli Campaniae
Proculi, Eutici et Macharii fehlen E].
15. kl. Dec. Auril[ianis depositio sancti An fehlen
E] iani episcopi et confessoris.
Aber abgesehen von diesen unbeabsichtigten Lücken sind
die Nameureihen genau und vollständig wiedergegeben, und
von einer Kürzung kann höchstens in stilistischer Hinsicht
und in der Wiedergabe der Ortsbezeichnungen die Rede sein.
Dagegen ist W in der That gekürzt ^, da der Schreiber
1) Eine Hand, etwa aus der Mitte des 9. .Jh., hat die SS. I, 111
edierten Annalen an den Rand geschrieben. Lies 774 'coepit' für 'accepit',
840 'obiit. Eodem anno III. n. mai.' 2) Tuorum, Domine, quorum
nomina scribsi sanctorum, eorum, queso, suffrag-is miserum leva Lauren-
tium, tuque idem, lector, ora. S) S. N. A. XII, 234, und die Beschrei-
bung der Hs. von Arndt, ebenda II, 292. 4) Das hat schon Fiorentini
S. 1054 bemerkt: 'pluribus sparsim martyrum nominibus est decurtatum'.
298 Bruno Krusch.
bei längeren Namenreihen sich seine Arbeit einfach da-
durch erleichtert hat, dass er grosse Partieen wegliess,
und da diese Hs. einer zahlreichen Familie angehört, konnte
man schwanken, ob sie mit ß-echt als Vertreter gewählt
worden ist, obwohl sie das Alter für sich hat. In der That
wollte de Rossi zuerst den Corbeiensis reproducieren, der
einer alten Unterabtheilung dieser Familie angehört, die
noch nicht mit gewissen im Kloster St. Vandrille gemachten
Zusätzen versehen ist; zu derselben gehört ausserdem ein
alter Senonensis (S), der allerdings einen hervorragenden
textkritischen Werth besitzt. Als 'felix repertor' von W,
den als Codex Blumanus schon Fiorentini gekannt und
benutzt hatte, wird im Texte Duchesne gefeiert, während
man aus einer Note erfährt, dass eigentlich S. Berger die
Hs. in dem Kataloge der Wolfenbütteler Bibliothek er-
kannt hat. In der gedruckten Literatur wird die Hs. des
Martyrologium ohne nähere Bestimmung aufgeführt^.
Die Hs. B enthält nicht bloss eigene Zusätze in den
Ortsangaben und Heiligennamen, sondern sogar einige aus-
führlichere Auszüge aus den Passiousgeschichten, die aller-
dings auch im Texte der beiden anderen Hss. nicht vollständig
fehlen. Sie ist also die vollständigste Hs. und mehr solcher
Passionsauszüge bieten nur noch die in der Vaticana be-
findlichen Reste einer Lorscher Hs. (L) saec. VIII. /IX.,
welche den Text von VIII. kal. bis III. Non. lan. und von
VI. kl. bis Prid. kl. Feb. enthalten.
Die beiden Herausgeber bringen nun die Hss. in der
Reihenfolge BL EW zum Abdruck. Sie sind nämlich
der Ansicht, dass das M. H. ursprünglich ausführlichere
Passionsgeschichten enthalten habe, und die bezüglichen
Stellen in BL den ursprünglichen Zustand darstellen,
während die anderen Hss. und besonders E gekürzt seien ;
sie nennen diese Hs. geradezu ein Breviarium und stellen
ihr die 'Codices pleniores' gegenüber. Allerdings existieren
Breviarien des M. H., die von den langen Naraenreihen der
Quellen nur eine Auswahl bringen, aber E selbst gehört
nicht zu ihnen, sondern ist ein vollständiger Codex und
wie die anderen Hss. von Abbreviatoren benutzt worden.
Das Bedürfnis nach kürzeren Fassungen hat also bestanden,
aber umgekehrt auch das nach einer Erweiterung der
trockenen Namenreihen durch Aufnahme von Nachrichten
1) Vgl. F. A. Ebert, Zur Handschriftenkunde (1825) I, S. 189;
Schönemann, Zweites und drittes Hundert Merkwürdigkeiten der Herzogl.
Bibliothek zu Wolfenbüttel (1852) S. 2, n. 106.
Zur Afralegende und zum Martyrologium Hieronymianum. 299
über die Art des Martyriums aus den Legenden. Das M. H.
diente später dem praktischen Gebrauche der Stifter und
Klöster und auf dem Concil von Aachen 817 wurde aus-
drücklich bestimmt, dass beim Capitel zuerst der betreffende
Abschnitt des Martyrolog-s, dann die Regel oder eine
Homilie gelesen werden sollte. Den Zwecken des Vorlesens
genügten aber die blossen Namenreiheu nicht, sondern
man brauchte die Leidensgeschichten, und in den Arbeiten
der späteren Martyrologien- Schreiber Florus, Eaban, Ado,
CTsuard, Notker schwillt durch diese Interpolationen der Stoff
zusehends an. Es entspricht nur der Theorie der beiden
Herausgeber, dass de Rossi sogar die Zusätze Rabans und
Notkers aus einem vollständigeren Codex des M. H. her-
leiten will. Bei Ado würde eine solche Behauptung den
eigenen Worten des Verfassers widersprechen, denn er be-
zeichnet selbst in der Vorrede als einen der Zwecke seiner
Arbeit die Erweiterung des Textes aus den überall zu-
sammengesuchten Codices passionum.
Wären die Passionsauszüge echt, dann müsste ß der
ausgezeichnetste Codex sein, und de Rossi bezeichnet ihn
als solchen und behauptet, dass er die ursprüngliche Les-
art aufbewahrt habe. Er hat den Ehrenplatz unter den
Text- Abdrücken erhalten, während EW die dritte und
vierte Stelle einnehmen; den Lorscher Fragmenten ist die
zweite Columne eingeräumt und es wird ihnen ein ausser-
ordentlicher Werth zugesprochen. Diese Handschriften -
Classification ist grundfalsch. Die älteste Hs. E ist zugleich
auch die beste; WB gehen auf denselben fehlerhaften
Archetypus zurück und L ist nur eine Schwesterhs. von
B : beide legen den Jahresanfang auf Weihnachten und
ihnen folgen die Herausgeber, während E W übereinstimmend
mit dem 1. Januar das Jahr beginnen. Das richtige Ver-
wandtschaftsverhältnis ist aus den gemeinschaftlichen Ver-
derbungen von Personen- und Ortsnamen leicht zu er-
kennen:
4. kl. Feb. In Affrica Perusio (E; Perosiae WBL),
später folgt: In Tuscia Constantini, und Perusio ist zu dieser
Eintragung zu ziehen : In Perusio Tusciae (vgl. 3. kl. Mai.,
8. kl. Dec), während WBL den falsch gestellten Ortsnamen
in einen Personennamen ändern.
prid. Id. Feb. Carpofori] E ; Carpori WB und ähnlich
7. kl. Mart. Carpofori] E; Garpori W; Garphori B.
16. kl. Mart. Anthimi] E; Atheni WB.
3. Non. Ap. Agathemeri] E ; Agat(ha)e Meriti WB.
8. Id. Ap. Nicomedia Sirmi (E ; Firmi WB) Herenei epi-
300 Bnino Krusch.
scopi. Irenäus war Bischof Ton Sirmium, und Nicomedia
ist die Ortsbezeichnung zn dem folgenden Namen Cyriacae
(vo-l. Martyr. Sjr.). — Ebenso 5. Id. Aug-. Firmi WB für
Sirmi.
10. kl. Mai. In Frig (E; Africa B ; Afreca W) civitate
Hirapoli Philippi apostoli.
kl. Mai. Ausi (E ; Tolosa WB) civitate in Gallia natale
sancti Orient! episcopi. Orientius war Bischof von Auch
und nicht von Toulouse; vgl. Scr. rer. Merov. I, 816.
3. Non. lun. Exuperiae] E ; Exupiae W; Exsupiae B.
4 kl. lul. In Spanis] E ; Hynus Pannus WB.
9. kl. Aug. Theogiuis] E ; Theozoni W; Theuzoni B.
5. Id. Aug. Bergamo] E; Permoni WB.
Id. Aug. Antonini] E richtig (vgl. Martvr. Sjr.); Anthioci
W; Anthiochi B.
6. Non. Oct. Pantaleonis] E; Ponti Leonis WB.
5. Id. Oct. In Anazobon Ciliciae] E ; In Acervo Sicili(a)e
WB, unter welcher Corruptel man schwerlich die Cilicische
Stadt Auazarbus vermuthen wird.
7. kl. lan. Menandri] E; Neandri WBL.
Ferner sind WB an denselben Stellen zu gleichen oder
ähnlichen Namen abgeirrt unter Auslassung derselben
Stellen :
Prid. kl. Nov. Vincenti diaconi, [Rusticiani, Agapitae,
Victoriae et aliorum VIII.
In AfErica Dogoni E; fehlt WB].
3. Non. Nov. Theofili, [Vitalis, lusti et Hermetis,
Gobbani, Germani, Teofili E; fehlt WB].
Beide Hss. haben also gemeinsame Lücken, und auch
anderswo lässt sich noch erkennen, dass dieselben durch
ein Homoeoteleuton verschuldet waren :
6. Id. lan. [Secundi, Luci, Felicis, lanuari.
Et in Brundisio Leuci.
Et in Sirmis Anastasi E; fehlt WB], locundi.
Dagegen sieht Duchesne in dieser und anderen Stellen
selbstständige Zusätze der Hs. E, und er entdeckt S. IX
darin geheimnisvolle Beziehungen der Angelsachsen zu Cam-
panien. Vorsichtig hat er hier nur die Worte 'In Brundisio
Leuci' und hernach:
3. Id. Feb. [Et in Armenia Basili.
Et in Vulturno Castrensis E ; fehlt WB]
in Campania Basiliani
nur 'In Vulturno Castrensis' ausgehoben ; er übergeht also
die Erwähnung von Sirmium und Armenien, und dass mit
den angeblich campanischen Nachrichten noch manches
Z\ir Afralegende und zum Martyrologium Hieronymianum. 301
andere in WB ausgefallen ist. Sind auch Pannonier und
Armenier von den Päpsten nach Grossbritannien gesandt
worden? Und seit wann liegt Brundisium in Campauien?
Ich sagte oben, dass in E die topographischen An-
gaben zuweilen gekürzt seien, aber auch in WBL finden
sich solche Fälle :
prid. kl. lan. Et [in cymiterio Priscillae E ; fehlt WBL]
depositio sancti Silvestri episcopi.
10. kl. Feb. [Romae via Salaria veteri E, fehlt WB] Belli.
Das Coemeterium der Priscilla stand in der Quelle
des M. H.\ und es ist klar, dass WBL hier lückenhaft sind.
Umgekehrt ist der grösseren Vollständigkeit dieser Hss. in
den römischen Ortsbezeichnuugen nicht immer zu trauen.
Denn wenn 4. Non. Aug. zwischen 'Romae' und 'Stefani
episcopi' die Hss. WB 'in cimiterio' und allein B ausserdem
noch 'Calesti via Appia' einfügen, so ist mit Rücksicht auf den
topographischen Zusatz von B zu beachten, dass auch in
einigen der Schwesterhss. von W der Maugel des Namens
bemerkt, in einer Raum gelassen, in einer anderen, dem
wichtigen Senonensis, 'Calisti' von zweiter Hand nachgetragen
ist. Solche Ergänzungen der topographischen Angaben des
christlichen Roms waren auch mittelalterlichen Schreibern
aus den ihnen zu Gebote stehenden literarischen Quellen,
wie z. B. den Itinerarien, möglich. Anderwärts sind sie
ihnen nicht gelungen, und die Lesart der Mutterhs. von
WB ist in allen Ableitungfen noch unversehrt erhalten:
WB
Romae in cimityrio Fa-
biani episcopi et Sebastiani.
E
13. kl. Feb. Romae passio
sancti Sebastiani, Fabiani epi-
scopi.
Die Coemeterien lassen sich aus dem Chronographen
von 354 leicht ergänzen:
13. kl. Feb. Fabiani in Callisti,
et Sebastiani in Catacumbas,
und es ist klar, dass der Stammvater von WB diese Quelle
nicht gehabt haben kann. Wenn man aber noch schwanken
sollte, ob hier E oder WB überarbeitet ist, so muss alle
Zweifel die Eintragung der Hss. WB zum vorhergehenden
Tage zerstreuen:
14. kl. Feb. Romae passio sancti Sebastiani martjris.
Das ist genau, die Lesart von E beim folgenden und
richtigen Tage, und es fehlt der Zusatz 'in cimityrio' ; es scheint
1) Vgl. die depositio episcoporum im Chronogr. von 354, Auct.
antiq. IX, 70.
302 Bruno Krusch.
uns also hier die in dem Archetypus von WB getilgte ursprüng-
liche Lesart durch die Gedankenlosigkeit eines Copisten,
wenn auch nicht ganz vollständig, erhalten geblieben zu
sein. Und das Verhältnis zwischen E und Wß bleibt ganz
dasselbe bei der nächsten Eintragung zu 13. kl. Feb.:
E WB
Yia Cornelia miliario ab In cjmitirio ;
urbe XII.
wiederum wollte der Vorfahr von WB das Coemeterium
einsetzen, wiederum hat er den Namen nicht gefunden,
und diesmal fiel seiner Schrulle eine ganz vortreffliche
Lesart zum Opfer, denn die topographischen Angaben von
E werden in allen ihren Theilen bestätigt durch die Passio
der betreffenden Heiligen ^ Eine Vorstellung von seinen
antiquarischen Kenntnissen giebt die Aenderung von Smyrna
in Griechenland :
Kl. Eeb. In Zmirna civitate] E ; In Grecia WB, — es
ist vom heiligen Polycarp die Rede.
Das Einschiebsel 'et' in der folgenden Stelle:
3. Id. Ap. Lugduno Galliae Siagri [et WB] patricii,
würde zeigen, dass ihm der heilige Patricius besser be-
kannt war als der Patricius Syagrius von Lyon, der 585/6
auf einer Gesandtschaftsreise nach Constantinopel im Dienste
König Gunthrams in hinterlistiger Weise diese Würde
erschlich-, aber 'et' ist aus dem Duchesne'schen Abdruck
von B zu streichen, denn es ist späterer Zusatz und geht
also nicht auf die gemeinsame Vorlage zurück.
Die Abweichungen dieses WB -Archetypus, — wir
wollen ihn jezt Y nennen, — von E, die ich oben zur Sprache
brachte, waren keine zufälligen, durch die Unachtsamkeit
und Flüchtigkeit des Schreibers verschuldeten, sondern es
lässt sich fast überall die gute Absicht, den Text zu ver-
vollständigen und zu verbessern erkennen, nur entsprachen
dem Willen nicht die Kräfte, und so war alles verdorben
worden. Schon aus den bisherigen Belegen ging mit voll-
kommener Sicherheit hervor, dass Y sich nicht mit dem
blossen Copieren begnügt, sondern eine redactionelle Thätig-
keit entfaltet hat, und das ist bei den stärkeren Abweichungen
der beiden Texte sehr zu beachten. Eine Untersuchung,
wer an diesen stark abweichenden Stellen den ursprünglichen,
wer den überarbeiteten Text hat, ist bisher noch nicht ein-
1) Passio SS. Mariae, Marthae et filiorum, AA. SS. lan. 11, 219.
2) Fredeg. IV, 5. Die Bollandisten folgen der Interpolation : De SS. Sia-
grio et Patricio Lugduni in Grallia, AA. SS. Apr. II, 13.
Zur Afralegende und zum Martjrologixim Hieronjinianuin. 303
mal versucht worden. Die folgenden Stellen bestätigen
vollständig unsere bisher gewonnenen Ergebnisse :
E
4. Non. Feb. In Affriea Vic-
WB
In Affrica Victoris, Maurini,
toris, Marini, Perpetuae, lu- ' Honorati, Orbani, Hi-
1 a r i , Perpetuae , luliane,
Privatule et aliorum 74.
liae et aliorum 74,
Et Hierosolimis sancti Sy-
meonis.
In Affrica Houorati, Or-
bani, Hilari. Privatulae
et aliorum 34.
In E stehen also zwei Gruppen afrikanischer Märtyrer
und in jeder neben namentlich genannten eine Anzahl un-
genannter, zuerst 74, dann 34; in WB sind beide in eine
Gruppe zusammengezogen, die Namen sind ineinander-
geschachtelt, und nun blieb das zweite 'et aliorum 34'
überschüssig : es ist gestrichen. Aber auch der dazwischen
befindliche Prophet Svmeon von Jerusalem, dessen die
griechischen Fasten ungefähr im Einklang mit E unter dem
3. Februar gedenken, wurde bei dem Processe mit auf-
gearbeitet oder vielmehr versetzt, denn er findet sich in
WB zu Non. lan. vor Symeon dem Styliten eingeschaltet.
Im zweiten Falle :
E I WB
2. Id. Mart. In Affrica In Africa Alexandri, Dione,
Alaxandri, Dionae. i [Nicomedia B] Petri, Mam-
In Affrica Petri, Mam-|meri et Naboris martyris,
meri, Naboris, Comis, I Comes, Frontonis,
Frontonis,
steht wiederum den zwei Reihen Afrikanern von E eine
einzige in Y gegenüber, und B hat durch einen frechen
Betrug die zweite Nicomedia zugewiesen. Die Spuren der
Redigierung zeigt endlich sehr deutlich die Stelle:
14. kl. lun. Donatoris, item Donatoris] E ; duorum Dona-
toris WB.
Es ist undenkbar, dass E zweimal die in sich abge-
schlossenen Afrikaner-Gruppen in zwei zerlegt, dass es die
zweite sogar im Parallelismus mit der ersten mit dem Bei-
satz 'et aliorum 34' versehen hätte. Vielmehr zeigen WB
überall die ordnende und zusammenfassende Thätig-keit des
späteren Redactors, während E auf einem früheren Stand-
punkte der Ueberlieferung steht und den Rohstoff noch un-
berührt enthält.
304 Bruno Krusch.
Die Hss. WB gehen also auf dasselbe verdorbene und
lückenhafte Exemplar zurück und stellen E gegenüber eme
jüngere Recension des M. H. dar. Unsere handschriftliche
Ueberlieferung wird damit auf zwei Quellen E und die
Mutterhs. der beiden Zwillingsbrüder Y zurückgeführt, und
es ist klar, dass diese E gegenüber nur als ein Zeugnis zu
gelten haben. Wenn die Quelle, aus welcher E stammt
— • ich will sie X nennen — , in dieser Hs. fehlerlos wieder-
gegeben wäre, so würde Y für die Textkritik schwerlich in
Betracht kommen; aber E hat Lücken, Flüchtigkeitsfehler
und andere Textverderbnisse, leidet also an allen den Ge-
brechen, durch welche mittelalterliche Hss. entstellt zu
sein pflegen, und da Y, wenn auch viel häufiger, doch
an anderen Stellen sündigte, muss es zur Textverbesserung
herangezogen werden. Wenn aber schon die gemeinsamen
Lesarten von WB, also die der Stammhs. Y, in vielen Fällen
E gegenüber als minderwerthig zu verwerfen waren, weil
sie entweder durch zufällige Verderbnisse oder durch be-
wusste Aenderungen veranlasst waren, so leuchtet ein, dass
die particulären Lesarten der einen oder anderen von
beiden Hss. für die Textkritik des M. H. nimmermehr in
Betracht kommen können, und mit der Uebereinstimmung
EB oder EW die Quelle von XY erreicht ist, über welche
Niemand hinauskommen kann.
Das Verhältnis von WB zu E ergiebt sich sofort, wenn
man auch nur wenige Seiten der drei Texte zusammen-
arbeitet, und auch Duchesne ist es nicht verborgen ge-
blieben. Er schreibt S. XLV seiner Vorrede: 'Horum (nämlich
der Familie Y) textus ex interpolato vel, si malueris, locu-
pletato multis additamentis exemplari defluxit; Epterna-
censis ex puriore et antiquiore', und erkennt S. XL
nur den gemeinsamen Text der Hss. als authentisch an.
Trotzdem giebt er die Ansicht de Rossi's nicht preis, hat
diese vielmehr als Dogma seiner Untersuchung über den
Gegenstand vorangestellt (S. XLIII): 'Familias codicum quas
iamdudum constituit Eossius omnino esse servandas et ego
censeo, et, ut arbitror, censebit, quisquis paulo attentius
textus inter se conferet quos in tribus columnis distri-
buimus', und überlässt es nun dem Leser, wie er sich die
Gegensätze zusammenreimen will. Denn de Rossi hielt
eben nicht E, sondern B für die beste Hs. und hat ihr
wegen ihrer Vortrefflichkeit S. IV den Vorrang vor allen
anderen eingeräumt: 'Bernense primam columnam obtinet
ad fidem codicis diligenter expressum . . . Quae diligentia
. . . debebatur tum dignitati codicis insignissimi, tum eins
Zur Afralegende und zum Martyrologium Hieronymianum. 305
genuinae lectioni tradendae'. Dagegen behauptete er von
E, dass hier die Corruptel auf dem Höhepunkte stände,
und er hatte dieser Hs. früher die dritte Stelle ^ hinter
BW gegeben, jetzt ist sie zwischen die beiden Zwillingshss.
gestellt, woraus hervorgeht, dass sich die beiden Heraus-
geber zur Zeit des Abdrucks des Textes — dieser hat be-
sondere Paginierung — über das Hss. -Verhältnis vollständig
im Unklaren befunden haben.
Als besonderer Vorzug von B werden die vollständige-
ren geographischen und topographischen Angaben gerühmt.
Diese von B zu EW gemachten Zusätze müssten nach un-
seren Ergebnissen Interpolationen sein, und wir beob-
achteten bereits den Schreiber dieser Hs., wie er 2. Id.
Mart. in ziemlich dreister Weise ein 'Nicomedia' einge-
schwärzt hat. Ein andermal (5. Id. Aug.) hat er Nicomedia her-
gestellt aus einem Eigennamen 'Nimidiaci' E, 'Nimidiani' W,
welchen weiter oben alle Hss. 'Nome(i)diani' schreiben. Und
unser Misstrauen gegen den Mann wird befestigt durch
den folgenden Zusatz: '16. kl. lun. Romae [via Salaria ve-
tere B] Parteni et Caloceri', denn die Grabstätte dieser Mär-
tyrer ist S. Callisto an der Via Appia, also ungefähr die
entgegengesetzte Richtung, und B selbst zusammen mit W
giebt den Ort richtig 14. kl. lun. an: 'In cimiterio Calesti
via Appia'. Die nur in dieser Hs. stehenden Römischen
Feste bezeichnet auch Duchesne (S. X) als 'serius, ut vide-
tur, adiecta', also als Interpolationen, denn der Schrift-
charakter ist derselbe. Zum Theil dieselben Zusätze, wie
in B, trifft man auch in den Lorscher Fragmenten, die
de Rossi so hoch stellte, während sich Duchesne vorsich-
tiger Weise über ihren Werth ausschweigt:
4. kl. lan. [Primiani BL], Bouifati episcopi.
3. kl. lan. Donati, [Romae Felicis episcopi BL].
4. Non. lan. [Tubiae BL], Maccari.
Diese Nachträge sind bei der Vergleichung mit anderen
Martyrologien oder Calendarien von einem höchst unacht-
samen Schreiber gemacht worden, denn er hat nicht be-
merkt, dass sowohl Primianus als Tobias bei den betreffenden
Tagen bereits vermerkt waren, und an diesen Stellen haben
alle Hss. die Namen; er hat auch übersehen, dass Papst
Felix schon beim vorhergehenden Tage (4. kl. lan.) ein-
getragen war, allerdings, wie es scheint, irrig, denn im
Chronographen von 354 ist 3. kl. lan. angegeben. Die
1) Roma sotterranea U, p. x ff.
Neues Archiv etc. XXIV. 20
306 Bruno Krusch.
beiden Hss. haben auch gemeinsame Lücken ^ und eine
Menge gemeinsamer Verderbnisse; ich denke aber, schon
die beigebrachten Beispiele werden genügen, um zu be-
weisen, was ich oben behauptet habe, dass L nur eine
Schwesterhs. von B ist. Dadurch wird diese Entdeckung
auf ein sehr bescheidenes Maass zurückgeführt. Was von
den eigenen Zusätzen von L zu halten ist, zeigt die Bei-
fügung der Worte: 'in cimiterio Priscillae 7. kl. lan. beim
Papste Dionjsius'. Der ist vielmehr in S. Callisto beigesetzt-,
und de Rossi hat selbst den Irrthum bemerkt, lässt sich
aber keineswegs dadurch in seiner vorgefassten Meinung
irre machen. Er behauptet kühn, dass zuerst das Richtige
dagestanden, und ein böser Mensch die Notiz gestrichen
und Priscillae für Callisti eingeschwärzt habe ^. Dadurch
ist die Ehre von L gerettet.
Historische Zusätze aus den Leidensgeschichten der
Märtyrer sind in allen Hss., auch in E erhalten, am reich-
haltigsten aber ist L und dann folgt B, und zuweilen
bieten WB gemeinschaftlich diese Notizen; nach diesem
Gesichtspunkte classificiert, würden also die Hss. ungefähr
in umgekehrter Reihenfolge und so zu ordnen sein, wie es
de Rossi gethan hat. Zum Beweise für die Echtheit, und
dass diese Zusätze von L auf den Archetypus aller unserer
Hss. zurückzuführen seien, führt er^ die ausführliche Er-
zählung des Martyriums eines Bischofssohnes aus der Zeit
des Licinius an (3. Non. lan.), weist darauf hin, dass W
noch den Anfang bietet: 'feli episcopi, qui sub Licinio',
und behauptet, dass alle anderen Hss. diese Worte weg-
gelassen hätten, weil sie zusammenhangslos seien, bemerkt
indessen nicht, dass auch in B wenigstens die Worte : 'fili
episcopi' vorhanden sind, und also nur E gar nichts zusetzt.
Da den Text von L in seinem ganzen Umfange weder
W noch die ihm sehr nahe verwandte Hs. B, die doch
wahrhaftig mehr zugesetzt als weggelassen hat, enthält,
so kann er nicht einmal auf die Mutterhs. BL, geschweige
denn auf Y oder gar den Archetypus zurückgeführt werden ;
wie hoch aber diese Stelle von den späteren Martyrologien-
schreibern geschätzt wurde, sieht man daraus, dass sie
wörtlich bei Raban, kürzer bei Notker zu finden ist.
Ein Hauptkriterium für die Benrtheilung dieser Zusätze
bietet ihre Stellung. Wer war der Bischofssohn? Nach
WBL ein Märtyrer in Tomi 'Marcellinus puer christianus',
1) Z. B. 8. kl. lan. Basilei] EW; fehlt BL. 2) Chronogr. v. 354,
Auct. antiq. IX, 70. 3) de Rossi S. xi : Id primitus ibi scriptum esse de-
buit, sed hac annotatione deleta, nescio quo errore, irrepsit 'Priscillae' loco
Callisti' in textum hieronymianum fragmenti Laureshamensis. 4) S. xi.
Zur Afralegende und zum Martyrologium Hieronymianum. 307
denn hinter diesem stehen die Zusätze in den 3 Hss. Gehen
wir nun der Geschichte des Mannes näher nach, so stellt
sich heraus, dass er vielmehr Theogenes hiess und nicht
in Tomi, sondern in Parium am Hellespont gelitten hat ^.
Die Zusätze gehören also weiter oben zu der Notiz : 'In
Helisponto civitate Parethia Cirici, Primi, Theoginis' ; sie
sind in allen 3 Hss. an unrichtiger Stelle eingefügt, sie
sind Interpolationen ; an der richtigen sind in keiner Hs.
Zusätze erhalten, und E ist nicht gekürzt; es ist vielmehr
das beste und reinste Exemplar, als welches es auch der
Gegner hat anerkennen müssen.
Dass L interpoliert ist, lehrt auch die folgende Stelle :
3. kl. lan. 'Et beati Perpetui, qui sancti Martini ba-
silicam aedificavit', oder glaubt man, dass sogar solche
chronikalische Nachrichten im Archetypus des M. H. ge-
standen haben? Die Zusätze von B sind nicht einmal in
die Construction des Martyrologiums eingerenkt:
7. kl. Ap. 'In Sirmi Montani presbyteri [De Lingi-
donis cum Sirmium fugisset, conprehensus et missus est in
fluvium, nono lapide inventum est corpus eins B] et Maxi-
mae uxoris eins', und wer auch nur einen Funken von
Sprachgefühl hat, muss sich sagen, dass zwischen diesen
Genetiven die Interpolation ganz von selbst herausfällt. Sie
Hess sich den genetivischen Heiligennamen nur als Relativ-
satz oder als Partizip anfügen, aber auch bei diesen Versuchen
fällt der Interpolator gar bald aus der Construction:
4. Non. Mai. 'In Nicomedia natale Antoninae [ni-
mium tortae et variis tormentis afflicte, ab uno brachio
tribus diebus suspensae et in carcere biennio reclusae a
Priscilliano preside, flammis exusta obiit' B].
Denselben Charakter tragen die Zusätze von WB, die
also auf Y zurückgehen, z. B.: Id. lul. 'lacobi episcopi
Nicivis, [qui in corpore multa signa fecit et arcam Noe
solus vidit in monte. Nullus alius de his qui cum eo per-
rexerant videre est permissum' WB]. Mit dem selbstän-
digen Satze über die Begleiter hat der Verf. vollständig
den Eaden verloren, und schon Fiorentini hat die Stelle als
späteres Einschiebsel erkannt. Aeussere Kennzeichen der
Interpolation sind auch die Beziehungen auf den voran-
stehenden Monatstag: 'in ipso die' (18. kl. Dec), 'hac die
(14, kl. Dec). Wenn endlich sehr häufig nur hinzugefügt
ist, dass die Acten vorhanden sind: 'quorum (cuius) gesta
habentur', so scheint ja Y seine hagiographischen Studien zur
Vervollständigung des M. H. beinahe selbst einzugestehen.
1) AA. SS. lan. I, 133 ; Anal. Boll. II, 206.
20*
308 Bruno Krusch.
Ganz frei hat sicli auch E von diesen Interpolationen
nicht halten können, doch zeigt schon
prid. kl. Mai. Et alibi Romodiani [ig-nei E] diaconi [rn-
metina remisurini E ; igne nstorum et mare mersorum
B] cum alis XXIIII,
die Vertheilung auf zwei Stellen und die Zerreissung der
Worte und Verdrehung der Buchstaben, dass der Zusatz
in der Vorlage zwischen den Zeilen oder am Rande ein-
geflickt war. Sogar die gleiche Nachricht wie in L findet
sich am 1. Januar auch in E, aber an ganz verschiedenen
Stellen, so dass das spätere Einschiebsel sofort erkannt
wird. Und 6. kl. lan. haben sogar alle Hss. EWBL den^
selben Zusatz:
sancti lacobi fratris Domini, [qui ab apostolis primus
ex ludaeis Hierosolimis est aepiscopus ordinatus et in
medio paschae martyrio coronatus EWBL],
aber in E sind die eingeklammerten Worte von anderer
Hand am unteren Rande ergänzt, und im Texte stand viel-
mehr: 'Hierosolymis, cuius passio VIII. kl. Ap.' (lies 'Ag.'),
welche Worte jetzt getilgt sind ^. Schrieb nun ein Ab-
schreiber diesen E-Text ab, so schob er natürlich die nach-
getragene Stelle ein und liess die getilgten Worte fort;
so erhielt man die Lesart der Hss. WBL. Wenn sich E
bisher durchgehends als die besser beglaubigte üeber-
lieferung erwiesen hat, so fällt dieser Nachtrag hier doppelt
in die Wagschale, und man kann jetzt an einem Beispiele
erkennen , wie die Interpolationen in den Text ge-
kommen sind.
Eine Stütze für die Echtheit der Passionsauszüge fand
man bei Cassiodor, De institutione divinarum litterarum
c. 32, in der Ermahnung an seine Mönche, die Lebens-
beschreibungen der Väter und Leidensgeschichten (Passiones)
der Märtyrer beständig zu lesen, welche sie u. a. in dem
Briefe des Hieronymus an Chromatius und Heliodorus
zweifellos finden würden. Er empfahl ihnen also die Lee-
türe von Märtyreracten, ohne diese doch speciell zu be-
zeichnen, verwies sie vielmehr für genaviere Angaben
sowohl auf andere Quellen, als auf jenen Brief des Hiero-
nymus. Nun steht vor dem M. H. ein fingierter Brief von
Chromatius und Heliodor an Hieronymus und dessen Ant-
1) Duchesne hat in der Ausgabe die Tilgung der Stelle nicht
notiert und den späteren Nachtrag friedlich mit der ursprünglichen Lesart
verbunden ; von ihm behauptet er, er sei 'manu antiqua, quae fortasse
a prima diversa non est', hinzugefügt, wie er überhaupt die verschiedenen
Hände zu unterscheiden unfähig war.
Zur Afralegende und zum Martyrologium Hieronymianum. 309
wort au die beiden Bischöfe, welche über die Entstehung
der Schrift Auskunft geben sollen. Nach der Auffindung
von L glaubte de ßossi die richtige Deutung der Cassiodor-
stelle gefunden zu haben; es ist klar, meinte er, dass sie
sich auf ein M. H. bezieht: 'auctum compendiis ex Actis
niartyrum sinceris et antiquioribus'. Er dachte sich also
im Archetypus zwischen die zum Theil ellenlangen geneti-
vischen Namenreihen immer die Leidensgeschichten ein-
gelegt, die dann böse Menschen wieder herausgestrichen
hätten. Seinem Genossen war die Sache weniger klar, aber
das steht ihm allerdings auch fest, dass der von Cassiodor
erwähnte Hieronymus-Brief von dem vor dem M. H. nicht
verschieden sein kann. Er findet nur eine Schwierigkeit:
ihr Inhalt deckt sich nicht, denn die Passiones sind in
dem falschen Briefe nicht zu finden. Was nun? 'Quae
cum ita sint, suspicio confusionis oritur'. Aha! Cassiodor
hatte einen Band Passiones martyrum und davor stand als
Vorrede entweder das M. H. mit den Briefen oder die
Briefe allein; er glaubte aber, der Titel des Hieronymus-
Briefes beziehe sich auf den ganzen Codex, und so empfahl
er die in dem Briefe erwähnten Passionen zur Leetüre.
Cassiodor hat also geirrt und seine Hs. nur ganz ober-
flächlich und flüchtig angesehen ; Duchesne kennt sie viel
besser und weiss genau, was darin gestanden hat: Cassiodor
musste irren, denn sonst hätten die Herausgeber des M. H.
nicht Recht behalten können.
Es scheint mir jetzt die höchste Zeit zu sein, über
die Einrichtung des M. H. den Verfasser selbst zu Worte
kommen zu lassen, denn obwohl es Duchesne gut und viel
besser als andere Leute zu kennen glaubt, dürfte man doch
— unbeschadet der Autorität des Herausgebers — an-
nehmen, dass es der Autor selbst noch besser gekannt
hat. In dem Briefe bitten die beiden Bischöfe den Hiero-
nymus, dass er das berühmte Feriale des Eusebius von
Caesarea aufsuche und ihnen die Märtyrerfeste sende ('ut
martyrum ad nos dirigas festa'), denn nach dem Beispiel
des Bischofs Gregor von Cordova wollten sie täglich nach
der Messe der Namen der Märtyrer ('martyrum nomina')
gedenken, deren 'natalicia' gerade gefeiert würden. Darauf
antwortet Hieronymus, er habe nach ihrem Befehle von
jedem Tage die Feste aufgeschrieben, so dass tagtäglich
die Namen der Heiligen festlich gefeiert werden könnten,
und indem er über die Menge der Namen klagt, dass kein
Tag sei, an welchem unter 500 gefunden würden, erklärt
er sich für eine Beschränkung: 'breviter eorum qui sunt
310 Bruno Krusch.
in amplissima festivitate in suis locis tantum pro omnibus
memoratus snm'. Der Verfasser hat also die Feste von
jedem Tage aufgeschrieben und die Namen der Märtyrer
und ihre Orte genannt, aber mit keinem Worte historischer
Notizen gedacht, auch nicht der kürzesten: 'De nomi-
nibus tantum in utraque epistula sermo est, minime vero
de historiis, etiam brevissimis', schreibt Duchesne S. XL.
Wer nun gegen sein ausdrückliches Zeugnis ihm diese unter-
schiebt, weist sich selbst seinen Platz in der Wissen-
schaft an.
Nach Abzug der eigenen Zusätze von E und Y wird
das M. H. auf denjenigen Umfang zurückgeführt, den ihm
der Verfasser gegeben hat. Da sowohl E als Y Lücken
haben, ist dieser Process mit einiger Vorsicht auszuführen,
damit man nicht Zusätze der einen Quelle annimmt, wo
thatsächlich Lücken in der andern vorliegen, und die
Theorie Duchesne's von den campanischen Literpolationen
in E lehrt, dass selbst Herausgeber diese Scheidung zu
treffen ausser Stande waren. Das M. H. enthält orienta-
lische, afrikanische, italienische u. a. Feste, besonders
aber gallische, und diese stehen häufig, aber nicht immer ^
am Schlüsse der Artikel und reichen bis in die Zeit des
Verfassers. Es ist also ein antiquarischer und ein currenter
Theil zu unterscheiden. Zur Ermittelung der Heimath des
Verfassers hat Duchesne eine Statistik der erwähnten
gallischen Kirchen angestellt. Seine Tabelle ist aber höchst
ungenau und mangelhaft: Arles wird nicht fünfmal sondern
achtmal, Orleans nicht achtmal sondern zehnmal erwähnt.
Duchesne fand nun die höchsten Zahlen bei Auxerre (30),
Autun (25) und Lyon (26), und er behauptet, nur die ge-
meinsamen Notizen berücksichtigt und nicht auch die
Interpolationen einzelner Hss. mitgezählt zu haben: 'Hie
intellege textum omnibus plenioribus et Epternacensi com-
munem, minime vero textum alicuius codicis singularis'.
Trotzdem hat er es bei Auxerre und Autun gethan und
hier nicht allein die Zusätze von WB, sondern sogar die
von W mitgezählt, sonst hätte er statt 30 nur 28 und statt
25 nur 20 Stellen erhalten können. Während er also in
anderen Fällen die Zahlen zu niedrig angegeben hat, hat
er sie bei diesen beiden Kirchen erhöht und den erhöhten
Zahlen durch eine unrichtige Versicherung mehr Gewicht
beigelegt. Das Calendarium der drei Kirchen hat Duchesne
1) Z. B. steht 11. kl. Tun. das Fest von Auxerre vor dem von
Caesarea Cappadociae und kl. lul. das von Autun vor Persien.
Zur Afralegende und zum Martyrologium Hieronymiamim. 311
selbst aus dem M. H. zusammengestellt, so dass sich jeder
leicht von der Unrichtigkeit seiner Zählung überzeugen
kann. Höchst bezeichnend für die Forschungsmethode des
Herausgebers ist in dem von Antun die zweite Notiz :
'2. Non. lau. Gai Aedui episcopi' mit der gelehrten Note :
'Aed. ep.' om. omnes praeter E. Dieser Bischof Gaius von
Antun war bisher unbekannt, und der Entdeckerruhm ge-
bührt allein Duchesne. Dass Augustodunum die Haupt-
stadt der Aeduer war und Aeduus episcopus u. a. auch
Bischof von Autun heissen kann, weiss jeder Tertianer;
aber der Herausgeber des M. H. hätte ausserdem wissen
müssen, dass diese Deutung nach dem Sprachgebrauch der
Quelle unmöglich ist, dass hier regulär der Ort vor dem
Heiligen steht und also die Fassung hätte lauten müssen:
'Augustoduno Gai episcopi'. In Wirklichkeit gehört Gaius
zu der vorhergehenden Heiligengruppe : 'Bononia civitate
Hermetis, Aggei et Gai', über welche die Bollandisten,
AA. SS. lau. I, 165, handeln, und Aeduus episcopus ist
längst als ein Irischer Abt-Bischof erkannt; es könnte der
Aidus episcopus sein, welcher dem Cölumban in Luxeuil
den Altar geweiht hatte ^, wenn der Name nicht bei den
Iren häufiger vorkäme. Die Worte 'Aedui episcopi' fehlen
in allen Hss. ausser in E ; sie gehören also zu den Britan-
nischen Zusätzen dieser Hs. Die Verbindung des Bologneser
Märtyrers Gaius mit dem Irischen Bischof ist ein ganz
schülerhafter Schnitzer, den Duchesne sich hat zu Schulden
kommen lassen. Derselbe Duchesne ist auch Herausgeber
von Bischofsfasten des alten Galliens, und wir wollen
hofPen, wenn dieses Buch über den 1. Band hinauskommen
sollte, dass der Bischof Gaius von Autun dann seinen Ehren-
platz darin erhält.
Die Vergleichung der drei Kaiendare entlockt Duchesne
den Ausruf: 'Igitur primo, ut ita dicam, conspectu, recensio
nostra Autissiodorensem sese prodit', und er fährt fort:
'Sed malus est, quod in principio cuiusvis mensis appicta
sit rubrica Laetanias indicendas'. Diese Argumentation
wirkt verblüffend ; den ersten Anblick übertrumpft er durch
die monatlichen Litaneienüberschriften, und diese müssten
doch nun wenigstens in beiden Recensionen stehen. Aber
das ist nicht der Fall; sie fehlen in der Haupths. E. Das
erfährt der Leser indessen erst 4 Seiten später, und hier
muss Duchesne sogar mit der Möglichkeit rechnen, dass
sie im Archetypus nicht vorhanden gewesen sind. Er ist
1) MG. Ep. III, 167.
312 Bruno Krusch.
aber keinen Augenblick verlegen: in diesem Falle, meint
er, haben wir ein neues Zeichen für das Alter: 'Si poste-
rius, vestigium novum tenemus antiquitatis', und, füge ich
hinzu, ein Argument weniger für Auxerre. Die Monats-
Litaneien hat nach den Gesta ep. Autissiod. I, 19 Bischof
Aunachar in der Diöcese Auxerre eingeführt, und Duchesne
behauptet, dass keine Zeugnisse sonst für sie vorhanden
seien. Wiederum hat er sich geirrt, wie er sich geirrt
hatte mit dem Aeduus episcopus. Die Abhaltung von
Litaneien in allen 12 Monaten des Jahres wurde 694 auf
dem 17. Concil von Toledo 'per universas Hispaniae et
Galliarum provincias' mit Rücksicht auf die Zunahme der
Sünde und des Meineides vorgeschrieben, und man glaubte
damals eine Einrichtung aufzufrischen, welche schon die
alten Väter getroffen hätten ^ Noch Ado- hat in seinem
Martyrolog den einzelnen Monaten die Worte 'Litaniae in-
dicendae' vorgesetzt, ein bestimmtes Zeichen, dass sie für
die Vienner Diöcese noch im 9. Jh. von praktischer Be-
deutung waren. Die Monats - Litaneien haben also nicht
bloss lokalen Auxerrer Charakter, sondern sind in späterer
Zeit allgemeiner verbreitet gewesen. Da sie in E fehlen,
können sie auch nicht im Archetypus des M. H. gestanden
haben, und nicht einmal in Y. Beim Februar und März
sieht man noch ganz deutlich, wie sie in den beiden Hss.
BW an verschiedenen Stellen eingeflickt worden sind:
[Laetanias indicendas B]
Mensis Febroarius Jiahef dies XXVIII.
Kl. Febr. [letaniae indicende sunt W]
[Kl. Marcias letanias indicendas W].
[Mensis B] Martius habet dies XXXI.
Kl. Mar. [laetanias indicendas B].
Der Zusatz ist also theils vor der Monatsüberschrift, theils
beim ersten des Monats eingefügt worden, und einmal
giebt ihm B die erste Stelle, das andere Mal W. Er ist
für Januar nur in BL, für September nur in B vorhanden.
Hier hat sich also W von der Interpolation freigehalten
und im Mai sogar WB. In diesem Monat wird also die
Lesart von E vollkommen bestätigt durch beide Vertreter
der jüngeren Eecension Y. Darnach scheint dieses Argu-
1) Der c. 6 des Conc. Tolet. XVII beginnt : 'Quamquam priscorum
patrum institutio per totum annum per singulorum mensium cursum lita-
niarum vota decreverit persolvendum' u. s. w. 2) Vgl. Martyrologium
Romanum ed. Rosweyde (1645) S. 200; Fiorentini S. 41, der auch die Be-
stimmung des 17. Concils von Toledo kennt.
Zur Afralegende und zum Martyrologium Hieronymianum. 313
ment für die Auxerrer Herkunft nicht ganz die Stärke zu
haben, die ihm Duchesne beimisst.
Von den Bischöfen Aunachar von Auxerre und Sya-
grius von Autun behauptet Duchesne sei nur das natale
und nicht auch die depositio in das M. H. eingetragen,
und er schliesst daraus, dass die Schrift ihre heutige Ge-
stalt zu Lebzeiten dieser beiden Männer in Auxerre er-
halten habe. Das Fest des Aunachar ist im M. H. auf
2. kl. Aug. angesetzt und nach den Gesta ep. Autissiod.
I, 19 ist dies in der That der Ordinationstag, während
7. kl. Oct. nach derselben Quelle der Todestag v^^ar. Anders
liegt die Sache bei Sjagrius, wie der nachstehende Hand-
schriftenbefund lehrt (6. kl. Sept.) :
E. Agustuduno depositio Suacri episcopi
W. [Augustiduno natalis fehlt W. haben die ver-
wandten Hss.] Siagri episcopi.
B. Agustiduno natal. domni Siagri episcopi.
Die älteste und beste Hs. E enthält also in der That die
Depositio des Bischofs Syagrius von Autun, und wenn
Duchesne mit grösster Sicherheit das Gegentheil behauptet :
'Atque ideni dicendum est de Syagrio, Augustodunensi
episcopo ("I" 599 vel 600), cuius natale tantum, non vero
depositio, in antiquioribus codicibus relatum est',
so weiss man überhaupt nicht, was man dazu sagen soll.
Es handelt sich aber nun darum, ob natalis, welches
die W- Klasse und B für die depositio einsetzen, von dem
Herausgeber des M. H. richtig als natale suscepti episco-
patus gedeutet und richtig auf die Ordination bezogen
worden ist. Zur Erläuterung des Sprachgebrauchs der
Stammhs. Y ziehe ich die folgenden Parallelstellen heran :
Non. Feb. nat. [E, passio WB] Agathe.
17. kl. lun. nat. [E, depositio WB] Fiduli presbyteri.
11. kl. lun. nat. [E, passio WB] luliae.
4, kl. Sept. passio [E, natale WB] s. lohannis.
Nach diesen Zeugnissen ist es zweifellos, dass Y unter
natale die passio und depositio, also das Ende verstanden
hat, und dass die Lesarten von E und WB beim Feste des
Syagrius auf ganz dasselbe hinauskommen. Im M. H. ist in der
That der Tod des Bischofs Syagrius in allen Hss. vermerkt,
und es verschlägt dagegen nichts, dass die W- Familie die de-
positio desselben noch einmal 4. Non. Sept. wiederholt, denn
solche Wiederholungen sind den Interpolatoren des M. H.
häufiger untergelaufen, und ich habe selbst schon auf einige
aufmerksam gemacht. Unser Ergebnis stimmt vollständig mit
dem Gebrauch der Kirche von Autun. In der von den Bollan-
314 Bruno Krusch.
disten ex breviario Aeduensi herausgegebenen sonst werth-
losen Vita des Syagrius liest man ^: 'Tandem Aeduae VI. kal.
Sept. talenta sibi a Domino credita cum foenore — — tra-
didit', und dieser Tag ist in der Literatur vor Duchesne
überall angegeben. Das Todesjahr des Syagrins lässt sich
ziemlich genau bestimmen. Noch 599 ertheilte ihm Papst
Gregor gewisse Instructionen wegen des BisthumsMaurienne -,
dagegen nennt er ihn iiicht mehr in einem Schreiben von
601 an fränkische Bischöfe ^ obwohl er sich sonst mit Vor-
liebe seiner als Werkzeug zur Ausführung seiner Pläne
bedient hatte, und 602 giebt er ihm schon den Beisatz:
'reverendae memoriae' ^. Nach diesen scharfsinnigen Er-
wägungen der Bollandisten ist also Syagrius wahrscheinlich
im Jahre 600 gestorben, und vorher kann das M. H.
nimmermehr geschrieben sein. Dagegen kann Duchesne
die Entstehung noch in das 6. Jh. rücken, nachdem er die
Eintragung der depositio des Syagrius geläugnet hat, und
er findet nun als jüngsten Heiligen den Bischof Avitus von
Clermont. Der soll, wie er aus dem Stillschweigen Gregors
von Tours folgert, nicht vor 592 gestorben sein, und nicht
lange nachher wäre der Archetypus unserer Hss. geschrieben
worden.
Der von Duchesne mit grosser Bestimmtheit aufge-
stellte Satz, dass die Hss. nur bis Bischof Avitus von Cler-
mont zusammengehen, hat sich bei Prüfung des Festes des
Syagrius als falsch erwiesen. In dieser Zeitschrift aber
habe ich bereits nachgewiesen, dass die Uebereinstimmung
viel weiter reicht, und noch der Tod Columbans 615 mit
denselben Worten und an derselben Stelle in den Hss.
erwähnt wird :
9. kl. Dec. In Italia monasterio Bobio depositio sancti
Columbani (Colummani E) abbatis.
1^9, in B der letzte Quaternio fehlt, sind wir für diesen
Theil des M. H. auf E und die W- Klasse beschränkt. Die
Stilisierung der Stelle entspricht durchaus der Gewohnheit
des Verfassers des M. H. :
5. kl. Dec. In Italia civitate Bononia Agricolae et
Vitalis,
und gerade wie oben E die Worte 'depositio sancti' weg-
lässt und W sie zusetzt, so findet sich das gleiche Ver-
hältnis zwischen E und WB noch häufiger; vgl. 14. kl. Ap.,
1) AA. SS. Aug. VI, 89. 2) Scr. rer. Merov. III, 531. 3) Jaffe
n. 1831 -. 4) Greg. Reg. XIII, 11 (MG. Ep. II, S. 377); Jaffe n. 1875'.
Zur Afralegende und zum Martyrologium Hieronymianum. 315
kl. Mai., 6. Id. lun. Hören wir nun die Vertheidigiing"
Duchesne's. Es sei, entgegnet er, keineswegs sicher, dass
in B das fragliche Fest gestanden habe, und in EW könnte
es getrennt eingeführt worden sein; die Fassung sei auch
nur ähnlich und nicht identisch ; denn die eine Hs. lese
Columbani, die andere Colummani, und es wäre überhaupt
schwierig gewesen, auf einen anderen Ausdruck zu ver-
fallen ; endlich könnten beide Texte getrennt aus demselben
Kalender oder einer anderen Quelle geschöpft sein. Den
Thatbestand der Aehnlichkeit giebt er also zu, und er
liess sich nicht gut läugnen, da sich jeder aus seiner Aus-
gabe davon überzeugen kann. Im Uebrigen zeigen die
Ausflüchte des erfindungsreichen Mannes, dass er hier mit
seiner Weisheit zu Ende ist. Wer sich schon zu der An-
nahme versteigt, dass dieselbe Stelle in derselben Schrift
durch zwei getrennte Handlungen aus derselben Quelle
abgeschrieben sein soll, dem muss die natürliche Erklärung
des Sachverhalts sehr zuwider sein, und wer sich hinter
der Variante Colummani für Columbani verschanzt, ergreift
den Strohhalm des Ertrinkenden und will nicht wissen,
dass die Differenzen zwischen den beiden Hss. sonst leider
im Allgemeinen weit erheblicher sind. Die Hs. B ist nun
freilich für diesen Theil verloren und nicht mehr zu be-
schaffen. Nachdem ich nachgewiesen habe, dass WB auf
dieselbe schon arg verdorbene Quelle Y zurückgehen und
also E gegenüber nur als eine Hs. anzusehen sind, und da
die Sache so klar ist, dass sie auch Duchesne zugiebt, wie
sich jeder aus seinem Stammbaum auf S. XLIV überzeugen
kann, ist mit der Uebereinstimmung von EW der Arche-
typus unserer handschriftlichen Ueberlieferung erreicht
und das Zeugnis von B belanglos. Mit den vollständigen
Hss. sind aber unsere Quellen für die Textkritik des M. H.
nicht erschöpft. Wie ich schon erwähnte, sind eine Menge
Auszüge aus der Schrift vorhanden, die sog. Breviarien,
und de Rossi hat einige Varianten aus ihnen bei dem Ab-
drucke von E mitgetheilt, obgleich sie wenig oder gar nichts
mit diesem vollständigen Texte zu thun haben. Eine gründ-
liche Untersuchung dieser Auszüge und ihre strenge Sich-
tung und Ordnung steht noch aus. In dem Reichen auer
Breviar, in welchem verschiedene Exemplare, auch eine
E-Hs. benutzt sind, steht nun ebenfalls die Columban-
stelle und zwar buchstäblich genau in der Fassung von W.
Obwohl in der Ausgabe bei dem Tage nur dieses eine
Breviar angeführt ist, wird doch Columban noch in andern
genannt, und wie die Sache jetzt liegt, würde es von
316 Bruno Krusch.
einiger Bedeutung sein, die Lesart eines aus B geschöpften
an der kritischen Stelle kennen zu lernen. In seiner Vor-
rede erwähnt de Eossi ein von Sollerius (AA. SS. lun.
VII, 2, S. 22 ff.) nach einer Abschrift Labbe's veröffent-
lichtes Breviar und vermuthet ganz richtig, dass sich die
Hs. einst im Collegium Claromontanum in Paris befunden
habe ; er hat sie jedoch auch in der Bibliothek des Sir Thomas
Phillipps nicht auffinden können, ohne indessen ihren Ver-
lust sehr zu bedauern: 'Huius libri iacturam facile tole-
ramus'. Diese Hs. befindet sich jetzt in der Kgl. Bibliothek
in Berlin, Phillipp. 1667 (P), stammt aus dem Ende des
8. Jh. und enthält fol. 185' — 200 den Auszug aus dem
M. H. mit dem vollständigen Texte der Briefe an der Spitze.
Dieser Umstand ist deshalb von grosser Bedeutung, weil
er uns die exacte Bestimmung der Hs. ermöglicht, welche
diesem Breviar zu Grunde liegt. Die folgenden Varianten
von P auf S. LXXXII der Ausgabe Duchesne's :
Z. 3 invitasset] E ; invitaret W; invitare fecit B ; invitare
iussit P.
Z. 21 sublata] W; sublatam E; sublata notitia BP.
Z. 25 suo triumpho] EW; sui triumphos BP.
Z. 30 numerum] EW; numero BP.
Z. 34 de] EW; pro BP,
und besonders die Interpolation 'notitia' in Z. 21 beweisen
mit voller Sicherheit, dass dem Compilator P eine Hs. der
Eecension B vorlag. Bei seinen Auszügen beschränkte er
sich auf knappe Ortsangaben und eine Auswahl der Heiligen-
namen, die nicht immer in der richtigen Reihenfolge auf
einander folgen. Er hat nämlich, wenn ihm die bei der
ersten Durchsicht der Artikel herausgehobenen Namen
nicht genügten, noch ein- oder sogar mehrere Male das
Ganze überflogen und eine Nachlese gehalten, und so ist
die Ordnung häufig gestört worden; er hat gewiss auch
noch andere Quellen für sein Festverzeichnis benutzt. Aber
der Grundstock desselben ist doch wieder ein B-Text, wie
die folgenden Zusätze beweisen, welche von den vollstän-
digen Hss. nur B, und wo L erhalten ist, ausserdem dieses
noch enthält:
7. Id. lan. Isidori episcopi. Eductio lesu de Egypto.
3. Id. lan. Gregorii episcopi.
Prid. Id. lau. Bonitti.
7. kl. Feb. sanctae Paulae.
3. Id. Feb. Bing. Desiderii episcopi.
Prid. Id. Mart. Innocenti und Rome Leonis episcopi et
martjris.
Zur Afralegencle und zum ]Mar1r\*rologium Hieronvmianuin. 317
16. kl. Ap. Hierusolima Quiriaci episcopi und In Scotia
Patrici confessoris.
15. kl. Ap. Eome Pinienii presbvteri.
•3. Xon. Nov. Et depositio domni Permini episcopi bone
memorie.
3. kl. lan. Romae Pelicis episcopi BLP.
Die Yerwandtscliaft von P mit B zeigt sich auch in der
gemeinschaftliclien Yerderbnng der Eigennamen:
8. Id. Ap. Herenei] EW; Berenei B; Berennei P.
Prid. kl. lun. Proti] EW; Procati BP.
Die Hs. P liest nun an der kritischen Stelle:
9 kl. Dec. Rome Clementis. Felicitatis mr.. Maximi, Vero-
ciani. Euticis. Marci, Fateri. B o b i o C o 1 u m b a n e
ab batis,
und denselben Wortlaut enthält das ihr nahe verwandte
Breviarium Gellonense. Der Text ist nur ein Auszug und
die Namensform des Heiligen zeigt die Variante Columbane
für Columbani. Hierauf kann Duchesne wiederum seine
Yertheidigung bauen: 'cette ressemblance n'est pas l'identite'.
Für den Fall, dass man auf den ersten Blick der
von mir hervorgehobenen Thatsache von dem Vorhanden-
sein des Columbanfestes in dem M. H. einige Bedeutung
beimessen sollte, weiss Duchesne ein neues Gegenmittel
und verspricht sich von ihm eine noch weit stärkere Wir-
kung, in entgegengesetzter Eichtung natürlich, als von
meinem Gifte; er ist thatsächlich in Sorge, dass dieses
einige Wirkung ausgeübt haben könnte. Er meint die Ver-
schiedenheit der Hss. hinsichtlich der Eintragungen von
Syagrius. König Gunthram. Gregor I. und Bischof Deside-
rius Yon Vienne. Dass die Verschiedenheit bei Svagrius von
Antun erst durch falsche Deutungen Duchesne's in den
Text der Hss. hineingeschwärzt worden ist. wurde oben
nachgewiesen. Aber König Gunthram s gedenkt nur die
Eecension Y, und über Gregor I. und Desiderius berichten
E und Y verschieden. Es ist klar, dass die Scheidung von
E und Y vor der Eintragung dieser Namen erfolgt sein
muss, aber die Zeit der Scheidung wird dadurch nicht be-
stimmt, denn es ist nicht minder klar, dass die Zusätze
nicht mit den Ereignissen nachgetragen zu sein brauchen,
sondern dies später geschehen sein kann. In dem Archetypus
von EY haben diese Namen gefehlt ; ist das ein Kriterium für
die Abfassungszeit im 6. Jh.? Gunthram ist in demselben
Jahre 592 gestorben, mit welchem Duchesne den Tod des
Avitus in Verbindung bringt, und da doch auch nach seiner
818 Bruno Krusch.
Ansicht der Verf. später geschrieben haben müsste, so
hätte dieses Ereignis doch noch in unserem Archetypus
Aufnahme finden können. Mit Gregor I. ist es eine eigene
Sache, denn wer das M. H. kennt, weiss, dass der Bear-
beiter desselben für die späteren Päpste wenig Interesse
zeigt und nach Bonifaz ("j" 422) überhaupt nur Leo I. er-
wähnt, und das bezeugt Duchesne selbst : 'De sequentibus
pontificibus nulla amplius mentio fit, nisi Leonis Magni'.
Endlich erzählt die Kirchengeschichte, und das könnte
auch Duchesne wissen, dass der heil. Desiderius keineswegs
ein Engel gewesen, sondern wegen eines gemeinen Ver-
brechens kirchenrechtlich bestraft worden ist, und dass
eine starke Partei unter den zeitgenössischen Bischöfen ihn
für alles eher als für einen Heiligen angesehen hat. Von
den vier Personen, welche Duchesne für seine Ansicht ins
Treffen geführt hat, fällt die eine von vornherein weg, die
zweite hätte auch bei seiner Zeitbestimmung Aufnahme
finden können, und bei den beiden anderen beweist das
Fehlen so wenig für die Zeit des Verfassers, dass vielmehr
die Aufnahme auffällig gewesen wäre. Ueberhaupt beruht
der ganze Gegenbeweis Duchesne 's nur auf ex-silentio-
Argumenten, und ich bin fortgesetzt der Ansicht, dass
man die Quellen besser nach dem beurtheilt, was darin
steht, als was nicht darin steht. Und der Todestag Co-
lumbans steht immer noch im M. H. und ist durch die
spitzfindige Argumentation meines Gegners nicht ver-
schwunden.
Dass er aber darin steht, hat die gelehrte Welt erst
durch meinen Artikel in dieser Zeitschrift erfahren ^. Nach
Duchesne's Darstellung in der Ausgabe lag der Sachverhalt
für seine Aufstellungen viel günstiger: 'nullum ibi (in E)
festum post Aviti episcopi Arverni depositionem eodem
modo quo in ceteris annuntiatur; praeter Columbanenses
abbates duo, Attalam et Eustasium, unus Gallicanus oc-
currit sanctus saeculi VII., Desiderius Viennensis'. Er ver-
gleicht also E mit den übrigen Hss., und das sind von
10. kl. Dec. an W mit seinen Verwandten C. L. V; er findet
nach Avitus in diesen kein Fest in derselben Weise an-
1) Die Beobachtung, dass das Fest Columbans von erster Hand in
E eingetragen ist, hat allerdings schon de Rossi in der Roma sott, gemacht,
er setzte aber den Tod des Abtes von Bobbio in das Jahr 715, also ge-
rade um ein .Tahrh. zu spät, und bestimmte mittelst dieses falschen An-
satzes das Alter der Hs. Duchesne hat weder Veranlassung genommen,
den bösen Schnitzer seines Collegen zu verbessern, noch auch den rich-
tigen Gebrauch von der Stelle zu machen, — sondern gesch\viegen.
Zur Afralegende und zum Martyrologium Hieronymianum. 319
gekündigt ; er erwähnt die Nachfolger Columbans in Bobbio
und Luxeuil und sagt dabei von Columban selbst auch
nicht ein Sterbenswörtchen. Für die Forschungsmethode
des grossen Theologen ist dieser Fall vernichtend. Er
fährt fort zu behaupten, dass nach Attala und Eustasius
nur ein einziger Gallischer Heiliger des 7. Jh. begegnet,
Desiderius von Vienne. Diese Behauptung setzt mich in
Verlegenheit. Beim Durchblättern seiner eigenen Ausgabe
finde ich 15. kl. Sept. in E den selbständigen Zusatz: 'et
beati Arnuulfi' ^. Der heil. Arnulf von Metz ist 15, kl. Aug.,
nachdem er sich von der Welt zurückgezogen hatte, anf
seinem Eremitensitze in den Vogesen gestorben, und sein
Freund ßomarich hat seinen Leib in Habendum bestattet ;
aber nach 8 Jahren hat ihn sein Nachfolger Goerich nach
Metz übergeführt, nnd hier ist er also nun zum zweiten Mal
beigesetzt worden. Diese Metzer depositio ist in E gemeint,
und durch S und einen späteren Zusatz in B zu demselben
15. kl. Sept. wird dies noch klarer: 'Mettis depositio Ar-
nulfi episcopi'. Als Todesjahr Arnulfs giebt Sigebert 640
an, und wenigstens kann die Translatio kaum vor diesem
Jahre erfolgt sein, denn erst 629/30 hat er sich in die
Einöde begeben. Ausser den beiden Nachfolgern Colum-
bans erscheint also in E nicht bloss ein einziger Gallischer
Heiliger des 7. Jh. Desiderius, sondern auch noch der viel
spätere Arnulf. Duchesne kennt also wahrhaftig das M. H.
nicht, das er selbst herausgegeben hat, und dieser Mann
masst sich an, Anderen Unkenntnis vorzuwerfen und sich
als den grossen Kenner hinzustellen. Aus der Arnulf -Stelle
scheint gefolgert werden zu müssen, dass sich der Vorfahr
der Hs. E noch bis gegen die Mitte des 7. Jh. in Gallien
befunden hat, ehe er nach Brittannien kam und dort mit
lokalen Zusätzen versehen wurde, und die Spärlichkeit der
Eintragungen zeigt schon, dass man im 7. Jh. das M. H.
noch nicht zur regelmässigen Aufnahme von Nachträgen
fortwährend zur Hand hatte.
Nach Columbans Tode 615 haben sich die beiden Re-
censionen von einander getrennt. Nur in E sind dann, wie
gesagt, die Todestage seiner Nachfolger noch eingetragen:
6. Id. Mar. sancti Atalae abbatis,
4. Non. Ap. depositio Austasi abbatis.
1) Schon der alte Fiorentini S. 35 hat auf Arnulf geachtet und be-
dauert, dass er selbst weg-en UnvoUständigkeit seines Abdrucks von E
nicht nachprüfen könnte, ob er in dieser Hs. stünde. Wie ganz anders
■würde er den Stoff ausgenutzt haben, welcher seinem jüngsten Nach-
folger zu Gebote stand!
320 Bruno Krusch.
Die Scheidung ist also unter der Eegierung des Abtes
Eustasius von Luxenil erfolgt, der 629 gestorben ist. Und
nun gewinnt auch die Eintragung Arnulfs, des spätesten
gallischen Heiligen in E, ihre Bedeutung. Sein Freund
ßomarich hatte sich in Luxeuil bei Eustasius für die
mönchische Laufbahn vorbilden lassen, und er selbst ist
bei seiner Weltentsagung dessen Spuren gefolgt. Er war
also ein Anhänger des Columbanischen Mönchthums und
stand unter dem Einflüsse Luxeuils, was ja auch längst
bekannt ist^: er selbst hat wieder seinen Verwandten Ber-
tulf vorgebildet, den Nachfolger Atalas in der Abtei Bobbio,
ehe dieser sich zu Eustasius nach Luxeuil begab. Schon
früher habe ich das zuerst von Martene und Durand, dann
von mir aus der Pariser Hs. 1408('), saec. VIIL, in dieser
Zeitschrift X, 92 herausgegebene Calendar von Corbie zur
Vergleichung herangezogen. Hier sind ebenfalls die Gedenk-
tage des Atala und Eustasius eingetragen, und ausserdem
noch der des nächsten Abtes von Luxeuil Waldebert (f 670);
wie man hier geschlossen hat, dass das Original in Luxeuil
verfasst gewesen sei, so, meinte ich, müsste dasselbe auch für
das M. H. gelten. Mir war damals entgangen, dass bereits
de E,ossi in der Vorrede zu der Ausgabe mit folgenden
Worten auf dieses Calendar Bezug genommen hatte : 'Alia
tamen sunt kalendaria, quae ab Hieronymianis vere pendent,
quamquam sint ab eins classis breviariis toto caelo dissi-
milia. Antiquissimum fortasse huius classis exemplum
praebet kalendarium nondum, opinor, editum, uncia-
libus litteris exaratum exeunte saec. VII. vel in. VIIL in
cod. Paris. Nat. 14086, quod fuit vere feriale coenobii
Luxoviensis, ad hieronymianam praesertim traditionem
accommodatum'. Allerdings hielt er es für noch unediert,
und auch sein College hat trotz seiner vermeintlichen
Kenntnis der fränkischen Kirchengeschichte nicht bemerkt,
dass es sich um ein längst veröffentlichtes und wiederholt
besprochenes Schriftstück handelt. Aber interessant ist es,
dass auch de Rossi dieses Calendar für ein Feriale der
Kirche von Luxeuil erklärt, und fast noch interessanter,
dass er es direct aus dem M. H. ableitet. Die Beziehungen
zu diesem sind also viel innigere, als ich ursprünglich an-
nahm, denn der Kalender ist geradezu ein Auszug aus
ihm, und eine Vergleichung bestätigt das vollkommen.
Das M. H. nennt als spätesten Heiligen den Stifter von
Luxeuil, den heil. Columban ; in Luxeuil hat sich der Vor-
1) Hauck, Kirchengescli. I, 283".
Zur Afralegende und zum Martyrologium Hieronymianum. 321
fahir unserer Haupths. E zuerst befunden ; in Luxeuil end-
lich ist von einem Kalendermacher die erste Benutzung
erfolgt. Soweit menschliche Berechnung- zu dringen vermag,
ist das M. H. in Luxeuil geschrieben.
Und zwar vor dem Tode des Abtes Eustasius 629.
Eine engere Begrenzung der Zeit entnahm ich der Notiz
über den heil. Dionjsius und seine Gefährten:
7. Id. Oct. Parisius civitate nataJe sanctorum Dionisi epi-
scopi, Eleuteri presbyteri et Rustici diaconi.
Durch die Untersuchungen des vortrefflichen Havet, Que-
stions Meroving. V, wissen wir, dass der Gefährten des
Dionysius keine Quelle vor der Urkunde Chlodoveus' II.
von 65-1 gedenkt und sich seitdem die Tradition über sie
schrittweise regelt und bestimmter gestaltet bis auf Hilduin.
Er selbst hat bereits den späten Charakter der obigen Eintra-
gung erkannt und die Erweiterung der Legende ganz richtig
mit der Stiftung der Abtei St. Denis und der Auffindung
und Uebertragung der Reliquien dorthin 626 in Verbindung
gebracht. Die drei Heiligen hat nach den Gesta Dagoberti
c. 17 dieser König ausgegraben und übertragen, und der-
selbe Gewährsmann versichert uns, dass sie alle drei Dago-
bert im Schlafe erschienen seien und ihm den Ort ge-
zeigt hätten, wo er ihre Särge mit den Aufschriften
finden würde, wie dann auch alles nachher richtig eintraf.
Der Verf. war überzeugt, dass Eleutherius und Rusticus
schon vor der Auffindung bekannt gewesen seien, und wie
sollte er auch nicht, hatte er doch ihre noch heute er-
haltene Passio gelesen und ausgeschrieben; er ist auch
überzeugt, dass damals wirklich ihre Leiber ausgegraben
wurden. Es ist nicht weiter auffallend, dass diese Ueber-
zeugung des braven Mönches von St. Denis aus dem An-
fang des 9. Jh. Duchesne zu der seinigen gemacht hat; aber
auf den objectiven Thatbestand kann die Ueberzeugug der
beiden glaubensstarken Personen keinen Einfluss haben,
und wer noch nicht ganz sein Urtheil der Legende ge-
opfert hat, muss aus dem Schweigen der Quellen vor 626
seine Schlüsse ziehen. Dagegen findet Duchesne dasselbe
sehr begreiflich, denn Dionys ist der Hauptheilige, noch
heute wird er öfter genannt als seine Gefährten. Aber
der Hauptheilige war er vorher wie nachher, und zwischen
öfter nennen und gar nicht nennen ist doch noch ein
kleiner Unterschied. Er wendet endlich ein, dass das Fest
der Auffindung der drei Heiligen, der 22. April, im M. H.
nicht angemerkt sei. Dieses trägt auch von den späteren
Hss. nur eine einzige, S, nach, und da das M. H., wie sich
Neues Archiv etc. XXIV. 21
322 Bruno Krusch.
bald zeigen wird, fast ganz aus litterarisclien Quellen
zusammengeschrieben ist, so würde aus dem Uebergehen
dieses Festes weiter nichts folgen, als dass es der Verf.
in seinen Vorlagen nicht vorgefunden hatte.
Giebt man mir auch in Bezug auf vorstehende Er-
wägung Recht, so würde die Entstehung des M. H. in die
letzte Zeit des Abtes Eustasius, nämlich in die Jahre 627/8,
zu setzen sein. Nach der Scheidung ist das eine Exemplar
X in Luxeuil geblieben, das andere Y bei den Kirchen
von Auxerre und Autun verbreitet und vervollständigt
worden, endlich, wie es scheint, nach Aquitanien gekommen
und hier mit lokalen Zusätzen versehen worden. Von
Auxerre verzeichnen WB das Fest der Weihe dös Baptiste-
riums neben der Kirche des heil. Germanus (17. kl. Mai.).
Von Autun kennen sie ebenfalls ein Kirchweihfest und
zwar das des Doms (Pr. kl. Aug.), tragen ausserdem den
übergangenen Bischof Eeticius (Id. Mai.) nach und gedenken
endlich zweier territorialer Heiligen, des Eptadius (9. kl.
Sept.), der ursprünglich im M. H., wenn auch vielleicht
irrig, beim folgenden Tage stand, und der Regina (7. Id.
Sept.). Dass das Exemplar Y nach der Trennung sich
noch länger in der Burgnndischen Heimath des M. H. be-
funden haben muss, verrathen auch die Feste des luvinus
Burgundio (8. kl. Ap.), König Gunthram in Chalon-sur-Saöne
(5. kl. Ap.) und die der Kirche von Vienne (10. kl. lun.,
7. Id. Oct.). Aus Aquitanien begegnen in Y die Diöcesen
von Angouleme (Eparchius kl. lul.), Saintes (Troianus 4. Id.
Febr.), Limoges (Martin von Brives-la-Gaillarde 5. Id. Aug.)
und Poitiers (Weihe von S. Amautii 18. kl. Febr., Abt
Basinus 5. Id. lul., Radegunde Id. Aug., Weihe von S. Hi-
larii kl. Nov.) mit der einst Oia genannten Insel He
d'Yeu (Vendee), deren Lokalheiliger Florentius nicht bloss
durch die Depositio (3. kl. lan.), sondern auch durch die
Translatio (5. kl. lul.) vertreten ist. Endlich könnte aus
derselben Quelle das Gedächtnis des Aquitaniers Victorius
(4. Id. Sept.) stammen, der auf Veranlassung des Papstes
Hilarus den Paschalcyclus schrieb; die Interpolation ist
aber von WB unter Aenderung von 'episcopi' in 'papae'
bei einem Bischof Hilarus irrthümlich eingereiht worden, der
nicht der Papst war. Auch Bourges hat Duchesne hierher
gerechnet wegen des Todestags des Bischofs Sulpicius I. :
6. kl. Febr. Sulpici episcopi et confessoris,
aber der Bischofssitz ist hier nicht genannt, und die Bol-
landisten unterscheiden diesen Sulpicius von dem Bischof
von Bourges, dessen Fest vielmehr 4. kl. Feb. gefeiert wird.
Zur Afralegende und zum Martyrologium Hieronymianum. 323
Mit mehr Recht Hesse sich das Fest seines Nachfolgers
Austrigisilus auf das Exemplar Y zurückführen :
13. kl. lun. (In W) civitate Beturicas (B. c. B) depositio
sancti Austrigiseli episcopi (abbatis W).
Die Eintragungen stehen in WB an derselben Stelle und
die Differenzen zwischen den beiden Hss. erscheinen be-
langlos, wenn man von dem Schreibfehler abbatis in W
absieht, den seine Verwandtschaft verbessert. Speciell die
Umstellung 'Beturicas civitate' von B findet sich bei einem
anderen Feste (Non. Oct.) auch in W. Aber der Annahme
stellt sich eine unüberwindliche Schwierigkeit entgegen in
den Hss. SC. In dieser selbständigen Unterabtheilung der
W- Familie, auf deren textkritischen Werth bereits hinge-
wiesen ist, fehlt nämlich der Zusatz. Das Zusammentreffen
von WB ist also ein zufälliges und der h. Austrigisilus
kann in der Stammhs. Y nicht gestanden haben. Auch
noch des Todes des Bischofs Sulpicius II. von Bourges
646, 17. Jan. gedenken WB, aber die Fassung geht hier
entschieden auseinander, obwohl sich auch SC diesmal zu
ihrer Verwandtschaft halten. Zu Bourges hatte also Y
gewiss keine Beziehungen, und sonst fällt unter den aqui-
tanischen Orten, deren kirchliche Feste hinzugefügt sind,
am meisten auf der unbedeutendste und am wenigsten be-
kannte, die Insel Oia. Auf eine Stiftung irischer Obser-
vanz und die nachcolumbanische Zeit führt das Gedächtnis
des Bischofs Falbeus (15. kl. Aug.), denn dieser war ein
Schotte. Andererseits hatte man zu des Verf. Zeiten die
irischen Gebräuche schon theil weise aufgegeben und sich
der gallischen Kirche angeschlossen. Dies beweist seine
Stellung zu der Osterfrage, da er nicht allein des Victorius
und seines Ordo paschalis, wie wir sahen, feierlich gedenkt,
sondern auch selbst nach Passions jähren rechnet (9. Non. Mai.).
In dem M. H. sind fremdländische und einheimische
Quellen zusammengearbeitet. Die erste Gruppe bestand
hauptsächlich aus einem orientalischen Martyrolog, einem
römischen Kalender und afrikanischen Quellen. Gleich-
artige Documente sind heute noch in dem allerdings sehr
gekürzten syrischen Martyrolog von 411/12, in der römi-
schen Chronographie von 354 und dem Karthagischen Ca-
lendar erhalten, und es lassen sich aus ihnen Aufschlüsse
für die Textkritik gewinnen. Die benutzte römische Quelle
reichte zwar weiter als die Chronographie von 354, schloss
aber doch schon mit Papst Bonifaz (f 422), nach welchem nur
noch Leo I. angemerkt ist. Dieser fremdländische und anti-
quarische Theil konnte für den gallischen Clerus nicht viel
21*
324 Bruuo Kruscli.
mehr als ein historisches Interesse bieten; von praktischer
Bedeutung konnte das M. H. nur werden, und auf Verbreitung
konnte der Verf. nur rechnen, wenn er die Feste der gallischen
Kirchen eintrug und ihm den lokalen Anstrich gab, den
es jetzt hat. Diese Feste konnte er nur in den Calendarien
der betreffenden Kirchen finden, und das massenhafte Vor-
kommen von Festen der Kirchen von Antun, Auxerre und
Lyon beweist nichts für die Zugehörigkeit des Verf. zu
einer von ihnen, sondern erklärt sich aus den benutzten
schriftlichen Quellen. Dass er sich die Calendare der Kirchen
zu verschaffen gewusst hat, lässt sich mit völliger Bestimmt-
heit an den Auxerrer Notizen nachweisen, die ich zunächst
hier zusammenstelle:
12. kl. Mai. In civitate Autisiodoro depositio sancti Me-
riani (Martini WBP) presbyteri et confessoris.
Kl. Mai. Autissiodoro civitate depositio sancti Amatoris
episcopi.
6. Non. Mai. Autisiodoro translatio sanctorum confes-
sorum Optati episcopi, Memori presbyteri et Sanciani
presbyteri.
5. Non. Mai. Civitate Autisiodoro depositio et trans-
latio sanctorum et confessorum Eusebi presbyteri et
Aviti diaconi.
4. Non. Mai. Autisiodoro depositio et translatio corporis
sancti Corcodomi diaconi et confessoris in hasiUca sancti
Amatoris.
3. Non. Mai. Autisiodoro passio sancti luviniani lectoris
et martyris.
2. Non. Mai. Autisiodoro depositio sancti Valeriani (Va-
leri WBP) episcopi.
8. Id. Mai. Autisiodoro depositio Elladi episcopi.
3. Id. Mai. In civitate Autisiodoro depositio et trans-
latio corporis sancti Marcelliani episcopi.
17. kl. lun. In Autisiodoro civitate vico Baiaco passio
sancti Peregrini episcopi primi civitatis ipsius.
12. kl. lun. In civitate Autisiodoro depositio heati Va-
lentis (Valis WBP) presbyteri et confessoris.
11. kl. lun. In civitate Autisiodoro depositio et trans-
latio corporis sanctae Helenae virginis.
7. kl. lun. Autisiodoro civitate Joco Cociaco passio sancti
Prisci cum sociis suis innumera nndtitudine.
4. Id. lun. In Autisiodoro depositio Censuri episcopi.
16. kl. Aug. Autisiodoro Theodosi (Theodori E) episcopi.
6. kl. Aug. In Autisiodoro civitate depositio sancti He-
theri episcopi.
Zur Afralegende und zum Martyrologium Hieronymianum. 325
3. kl. Aug. Autissiodoro civitate depositio beafi TJrsi episcopi.
2. kl. Aug. Autisiodoro depositio sancti Germaui episcopi et
confessoris et [natcile Zus. BJ domni Aunachari episcopi
[ordinntione episcopati Zus. Wy.
7. kl. Sept. Autisiodoro Eleutheri ej^iscopi.
2. kl. Sept. Autisiodoro sancti Optati episcopi.
10. kl. Oct. In Autisiodoro adventus et exceptio corporis sancti
Gerraani episcopi et confessoris ah Italia.
4. kl. Oct. Autisiodoro Elodi episcopi.
3. kl. Oct. Autisiodoro depositio Fraterni episcopi.
Kl. Oct. hl Galleis civitate Autisioderinsium sancti Ger-
maui episcopi et confessoris.
4. Non. Oct. Autisiodoro depositio Marsi presbyteri.
3. Non. Oct. In Galleis civitate Autisiodoro Firmati dia-
coni et Flavianae virginis Deo sacratae.
2. Non. Oct. In Galleis civitate Autisiodoro ßomani episcopi.
14. kl. lan. Autisiodoro civitate beati Grigori episcopi.
Selbstverständlich sind nur die E und Y gemeinsamen
Eintragungen aufgenommen worden, und das sind 28 und
nicht 30, wie Duchesne gerechnet hat; nur sie können auf
den Archetypus zurückgeführt werden. Schon auf den
ersten Blick überrascht die Reichhaltigkeit dieses Auxerrer
Festverzeichnisses, und bei näherer Prüfung zeigt sich,
dass die Bischofsreihe bis Aunachar vollständig ist mit
Ausnahme einer einzigen Lücke : es fehlt der Bischof Droc-
toald. Was mag der Verf. des M. H. gegen diesen frommen
Mann gehabt haben? Auch Duchesne sucht die Ursache
der Uebergehung zu ergründen und findet sie in der fol-
genden Nachricht der Gesta ep. Autissiod. I, 16 (Migne 138):
'Droctoaldus episcopus obiit VI. Idus. Novemb. Nihil aliud
ex eo memorabile reperire potuimus, quod praesenti operi
inserere quivissemus'. Also weil der Auxerrer Historiograph
aus dem Ende des 9. Jh. keine andere Denkwürdigkeit von
dem Manne finden konnte als seinen Todestag, soll ihn der
Martyrologienschreiber im Anfang des 7. Jh. weggelassen
haben; und was brauchte denn dieser? Just weiter nichts
als den Todestag, den auch die Gesta kennen. Die von
Duchesne angerufene Quelle zeugt also gegen ihn, und das
Räthsel ist durch seine angebliche Begründung keineswegs
gelöst; im Gegentheil bei seiner Annahme, dass das M. H.
in Auxerre geschrieben sei, wird die Uebergehung dieses
einen von den 18 Bischöfen nur um so auffälliger. Und
in der That zeigt der Verfasser, wie Duchesne ganz richtig
hervorhebt, eine ganz _ ausserordentliche Vorliebe für die
Kirche von Auxerre, und dies ist um so merkwürdiger,
326 Bruno Krusch.
weil es sich doch um einen ziemlich unbedeutenden Bischofs-
sitz handelt; vom heil. Germanus zählt er nicht weniger als
drei Feste auf; nennt häufig die Kirchen und heiligen Orte
der Stadt, erwähnt sogar die Translationen und Kirch weih-
feste, also Gedenktage von geringerer Bedeutung, die nur
in der eigenen Kirche gefeiert zu werden pflegen. Diese
Sympathieen des Martjrologienschreibers für Auxerre hat
Duchesne so schön geschildert, . dass ich seiner Darstellung
nichts hinzuzufügen weiss, und nur die Kirchweihen wären
zu streichen, denn diese sind Zusätze von WB und gehen
nicht auf den Archetypus zurück; aber das ist Nebensache.
Die Hauptsache ist, — und diesen Umstand hat keiner von
den beiden Herausgebern bemerkt, die mir jetzt als Auto-
ritäten gegenübergestellt werden — , dass die Vorliebe des
Verf. des M. H. für Auxerre erst mit 12. kl. Mai. beginnt
und schon mit 2. Non. Oct. plötzlich versiegt, dass also
vom 1. Januar bis 19. April und vom 7. October bis 31. De-
cember kein einziges Fest dieser Kirche und nicht einmal
der Name von Auxerre genannt wird. Doch halt, um nicht
die Unwahrheit zu sagen, 14. kl. lan. ist allerdings das
Fest des Bischofs Gregor von Auxerre im M. H. eingetragen.
Näheres über dessen Episcopat ist wieder in den Gesta ep.
Autissiod. zu finden, und hier lese ich I, 13: 'Gregorius
sedit annos 12, menses 6, exactoque suae vicis officio,
14. kl. lun. humana deponens in ecclesia beati Germani
supremum promeruit munus'. Also 14. kl. lun. ist der
Mann gestorben, und der Martyrologienschreiber hat das
Fest fälschlich unter 14. kl. lan. eingetragen, wie er
solche Monatsverwechslungen sich öfter hat zu Schulden
kommen lassen. Jetzt erklärt sich auch das Fehlen des Bi-
schofs Droctoald. Sein Fest am 8. Nov. war das einzige
von denen der 18 Bischöfe von Auxerre, welches in den
fehlenden Abschnitt fiel. Das Festverzeichnis der Kirche
von Auxerre im M. H. ist also am Anfang und Ende un-
vollständig, und der Verf. hat die Lücken aus seiner Wissen-
schaft nicht zu ergänzen vermocht. Mit diesem hoch-
wichtigen Ergebnis ist die Hypothese der beiden Heraus-
geber, dass er der Kirche von Auxerre angehört hätte,
ein- für allemal abgethan, und meine in dieser Zeitschrift
geäusserte Ansicht, dass diese massenhaften Feste aus
schriftlichem Material, den Calendarien der betreffenden
Kirchen, geschöpft seien, aufs glänzendste bestätigt. Der
Verf. des M. H. hat ein Calendar der Kirche von Auxerre
benutzt, dem vorn und hinten Blätter fehlten, so dass er
für fast 4 Monate am Anfang- und für fast 3 Monate am
Zur Afralegende und zum Martyrologium Hieronj^mianum. 327
Schlüsse kein Fest dieser Kirche einzutragen vermochte. Da-
mit fallen zugleich die aus diesem Festverzeichnis gezogenen
Schlüsse für die Entstehungszeit des M. H., denn es ist
klar, dass diese jetzt höchstens für das Alter der Quelle
verbindlich sein könnten. Von Bischof Aunachar war also
in dem Calendar nur die Ordination und nicht auch die
Deposition angemerkt, obwohl diese (7. kl. Oct.) in den
erhaltenen Theil gefallen wäre. Das benutzte Festverzeichnis
der Kirche von Auxerre war also unter diesem Bischof,
einem Zeitgenossen Gregors von Tours ^, aufgestellt worden,
und man weiss auch sonst, dass sich dieser Mann um die
Ordnung des Kirchenwesens der Stadt grosse Verdienste
erworben hat.
Streichen wir alle Einzel -Varianten der Hss. und
achten nur auf das, was allen Hss. gemeinsam ist, so er-
halten wir, wenn wir uns der Führung Duchesne's anver-
trauen, die üecension von Auxerre. Von dieser führt er
uns weiter zu der ursprünglichen Gestalt des M. H., und
von Gallien gelangen wir seinen Spuren folgend in das
wahre Vaterland der Schrift; denn nicht in Gallien hat sie
nach ihm das Licht der Welt erblickt, sondern in Italien,
und die gallischen Feste sollen Zuthaten eines späteren
Bearbeiters sein. Sie stehen, wie bereits bemerkt wurde,
häufig, aber nicht immer am Schlüsse der Artikel, tragen
zum Theil - auch einen anderen Charakter als die fremd-
ländischen und sind im Gegensatz zu diesen im Allgemeinen
weniger verdorben. Hier vermisse ich die Prüfung, in-
wiefern die andere Beschaffenheit der benutzten Quellen
und das grössere Interesse des Verf. an diesen Festen diese
Verschiedenheiten hervorgerufen haben kann. Der eben ge-
lieferte Nachweis von der Benutzung eines Calendars der
Kirche von Auxerre und die augenscheinliche Verschieden-
heit dieser Quellen von den benutzten fremdländischen,
den orientalischen, römischen und afrikanischen, bestärkt
mich in meiner Ansicht. Es ist auch mit Rücksicht auf
die weniger sorgfältige Behandlung dieser letztern Feste
und besonders mit Rücksicht auf die häufige Wiederholung
derselben Namenreihen zu beachten, dass der Verf. in den
vorangeschickten Briefen über den Umfang des Stoffes
grenzenlos gelogen hatte, — er war ja ein Fälscher — ,
indem er behauptete, es gäbe keinen Tag, an dem weniger als
500 Feste gefunden würden, ausser dem 1. Januar. Bei der
1) Vg-l. Scr. rer. Merov. I, S. 653. 2) Eine Ausnahme bildet
z. B. Eptadius von Cervon, der in den nichtgallischen Theil eingereiht und
wie ein Fremder behandelt ist, 8. kl. Sept. : 'Et alibi Eptati presbyteri'.
328 Bruno Kmsch.
Mannigfaltigkeit seiner Quellen ist kaum anzunehmen, dass
er alle gleichzeitig bei der Hand gehabt und zugleich ver-
arbeitet hat, und noch heute würde man bei einer derartigen
Arbeit vielleicht so verfahren, dass man zuerst einen Grund-
stock ausarbeitet und anders geartetes Material in Form
von Nachträgen einfügt. Man kann also zugeben, dass die
gallischen Calendare nachträglich hineingearbeitet worden
sind, ohne doch deshalb verschiedene Autoreu zu statuieren.
Was aber für diese Ansicht und für die italienische Her-
kunft des M. H. beigebracht ist, kann Niemanden überzeugen.
Nach Duchesne hätten Gregor I. und vor ihm Cas-
siodor das M. H. in den Händen oder doch sicher im
Sinne gehabt. Wir sahen bereits, dass Cassiodor etwas
ganz anderes in den Händen hatte und ihm erst Duchesne
das M. H. in die Hände gedrückt hat durch die Annahme,
er hätte geirrt und nicht gewusst, was er wirklich in den
Händen hatte. Gregor I. erwähnt^ ein Martyrolog, in
w^elchem fast alle Märtyrer nach dem Kalender angemerkt
waren ; es standen aber nur Namen, Ort und Tag des
Leidens darin, und insbesondere war die Art des Marty-
riums nicht angegeben. Schliesst man aus dieser Stelle
mit Duchesne, dass Gregor unser M. H. gemeint habe, und
dieses also 598 in Rom bekannt gewesen sei, so würde
dieses Zeugnis wiederum gegen denselben Duchesne be-
weisen, dass ursprünglich keine Passionsgeschichten im
M. H. gestanden haben. Aber die angeführten Merkmale, '
Namen, Ort und Tag der Passio, stimmen ungefähr auf
alle Martyrologien, und eine besondere Beziehung auf das
M. H. ist in der Stelle nicht zu finden. Direct gegen die
Identität spricht erstens die Beschaffenheit des Papst-
kataloges in dem M. H., denn wenn die Gedenktage der
Päpste in dem Martyrolog Gregors I. angemerkt gewesen
wären, würde die Reihe gewiss nicht bloss bis Bonifaz
(f 422) geführt gewesen sein ; zweitens die Abwesenheit
des heil. Benedict von Nursia, der in E von erster Hand,
in S von zweiter Hand nachgetragen ist, in W ganz fehlt
und in B und LMV an ganz verschiedenen Stellen steht.
Es ist ganz undenkbar, dass in einer italienischen Quelle
dieser Mann übergangen worden wäre , während noch
Gregor d. Gr. selbst das 2. Buch seiner Dialoge ganz seinen
Wundern gewidmet hat; dagegen ist allerdings der heil.
Benedict in Gallien vor dem 7. Jh. so gut wie unbekannt
gewesen. Da aber der Papst annimmt, dass sein Marty-
rolog sich jedenfalls auch in den Händen des Adressaten,
1) Jaffe n. 1517 ^
Zur Afralegende und zum Martyrologium Hieronymianum. 329
des Bischofs Eulogius von Alexandrien , befinden würde,
so liegt es näher, an eine griechisch -orientalische Quelle,
resp. deren Uebersetzuug, zu denken, als an eine abend-
ländische Compilation, Das dritte Argument endlich —
dass die italienische Herkunft schon aus der italienischen
Nationalität der Bischöfe Chrom atius und Heliodorus folgen
solle, deren Namen der unter der Maske des Hieronymus
schreibende Verf. in der vorausgeschickten Correspondenz
gemissbraucht hat — hat nur eine gewisse Beweiskraft
für den Grad der Anormalität der Duchesne'scheu Logik.
Er selbst freilich findet seine Beweisführung ganz wunder-
schön und lebt der Zuversicht, dass sich seine Schlüsse
ganz von selbst gegen mein Sic nolo vertheidigen werden.
Ich glaube nicht, dass nach den vorstehenden Ausführungen
noch Jemand in die Lobsprüche mit einstimmen wird,
welche dieser Mann höchst freigebig seiner eigenen Waare
gespendet hat.
üeber das Handschriftenverhältnis, die ursprüngliche
Gestalt des M. H., Ort und Zeit seiner Entstehung, das
Alter der beiden Recensionen sind die beiden Herausgeber
in ihrer Vorrede zu Ergebnissen gelangt, die sich in jeder
Hinsicht als falsch erwiesen haben. Speciell Duchesne
wurde nicht bloss einmal dabei überrascht, wie er Ein-
tragungen späterer Heiligen einfach ableugnet, die trotzdem
vorhanden waren, und wenn auch seine Kenntnis des M. H.
nur eine mangelhafte ist, so gab doch dieser Umstand nicht
immer eine Erklärung für diese auffallende Erscheinung.
Er wurde aber auch auf schülerhaften Versehen ertappt,
die lebhaft contrastieren zu dem anmassenden und gross-
sprecherischen Wesen, welches er zur Schau trägt, und ich
erinnere hier nur an den Bischof Gaius von Autun. Meine
Ansicht, dass das M. H. in Luxeuil verfasst sei, ist noch
besser begründet und die Auxerre-Theorie ein- für allemal
abgethan worden, nachdem der Nachweis geglückt ist, dass
diese Nachrichten aus einem unvollständigen Calendar
dieser Kirche stammen. Ueberhaupt wurden alle meine
Aufstellungen in dieser Zeitschrift bei näherer Prüfung als
richtig befunden, und ich habe nichts zurückzunehmen
brauchen.
Wenn nun auch die Vorrede der neuen Ausgabe des
M. H. in allen ihren Theilen verfehlt ist und einfach neu
geschrieben werden müsste, so könnte doch deshalb die
Ausgabe selbst einen hohen Werth haben und der For-
schung grossen Nutzen bringen, wenn alle die Aufgaben
gelöst wären, welche man an eine solche heute zu stellen
330 Bruno Krusch.
pflegt: die genaue Herstellung des Urtextes unter sorg-
fältiger Benutzung der Hss. und Quellen, die Ausscheidung
und kritische Prüfung der späteren Zusätze sowohl von
X und Y, als von den einzelnen Hss. und endlich die Er-
klärung schwieriger Stellen. Für jeden auch nur ober-
flächlichen Kenner des M. H. ist es klar, dass eine solche
kritische Ausgabe dieser Quelle eine wesentliche Förderung
der kirchenhistorischen Studien bedeuten würde, und in
den betheiligten Kreisen ist das Bedürfnis schon längst
lebhaft empfunden worden. Auch Duchesne erklärte die
Wiederherstellung des Textes für wünschenswerth, die Arbeit
war ihm aber zu schwierig: 'Sed ea est confusio textus,
ea nominum in codicibus Omnibus perturbatio, ut labor
ille restitutionis maximis impediatur difficultatibus', und
er hat sie daher gar nicht erst versucht; auf seinen Rath
hat sie auch de ßossi aufgegeben. Es ist das sehr zu be-
dauern, denn so verkehrte Ansichten über das Hss. -Ver-
hältnis hätten von den beiden Herausgebern nicht geäussert
werden können, wenn sie die einzelnen Texte ineinander
gearbeitet hätten. Dafür haben sie sich auf den einfachen
Abdruck der Haupt-Hss. beschränkt, und das war allerdings
eine weit bequemere und leichtere Arbeit; aber auch eine
rein mechanische und den Namen Ausgabe verdient sie
nicht. Die einzige Kunst bei dieser rein mechanischen
Thätigkeit bestand in der fehlerlosen Wiedergabe der be-
treffenden Hss., und die einzige Anforderung, die man an
eine so mechanische Arbeit stellt, ist die der unbedingten
Zuverlässigkeit. Prüfen wir nun, wie es in diesem Punkte
mit der sog. Ausgabe des M. H. bestellt ist.
Die abgedruckten Hss. EWB hat abgeschrieben und
verglichen Duchesne. Dem Fleiss und der Sorgfalt seines
Mitarbeiters spendet de Eossi in der Vorrede das höchste
Lob, und was über die befolgten Principien gesagt ist,
dass nicht allein die Zeilenschlüsse innegehalten, sondern
auch die grossen und kleinen Buchstaben und sogar die
Compendien im Drucke wiedergegeben seien, erweckt aller-
dings den Eindruck der peinlichsten Gewissenhaftigkeit, aber
auch das Gefühl, dass in diesen Aeusserlichkeiten des Guten
eher zu viel als zu wenig gethan sei. Durch diese übertrie-
bene Reproduction des äusseren Zustandes der Hss. sind die
Worte auseinandergerissen und widersinnig verbunden
worden und überhaupt die ungeheuerlichsten Wortbildungen
entstanden, und da die grossen Buchstaben nicht den Eigen-
namenvorbehalten, sondern nach dem willkürlichen Gebrauche
der Hss. angewandt sind, ist der Ueberblick und das Suchen
Zur Afralegende und zum Martyrologium Hieronymianum. 331
sehr erschwert; endlich fürchte ich, dass auch die Bei-
behaltung der Abkürzungen die Benutzung eher erschwert
als erleichtert. Wenn man nun weiter in Betracht zieht,
dass die entsprechenden Artikel sich nicht einmal immer
gegenüberstehen, da sich in den Hss. häufig der Kalender
verschoben hat, so lässt sich leicht denken, dass weniger
geübte Leser durch diesen ungeordneten Rohstoff nicht
durchzufiiiden wissen und verzweifelt das verkehrte Buch
zuklappen und die alte Ausgabe Fiorentini's zur Hand
nehmen; ja schon der Registermacher ist gescheiterte
Die sclavische Wiedergabe der Hss. in der neuen Ausgabe
grenzt aber fast an Unverstand. In W sind häufig die
Worte auseinandergerissen und die Sylben getrennt, weil
das Pergament so dünn war, dass die Tinte von der an-
deren Seite durchschlug, oder rauh und löcherig, und der
Schreiber war wegen schlechter Beschaffenheit des Mate-
rials sogar gezwungen, ganze Seiten freizulassen; auch in
E finden sich Zwischenräume, welche denselben natürlichen
Grund haben. Es erscheint geradezu widersinnig, dass
diese durch rein äusserliche Umstände veranlassten Wort-
trennungen und Lücken im Textabdrucke wiederg-eo-eben
sind, und der Leser kann durch sie leicht zu falschen
Schlüssen verleitet werden ; aber unverantwortlich ist es,
dass der Herausgeber sogar Worte zerpflückt, die in den
Hss. nicht getrennt sind. Die Wiedergabe der Abkürzungen
durch den Setzer war natürlich im vollen Umfange über-
haupt nicht möglich; und dieselben Abkürzungen sind
häufig verschieden behandelt, einmal aufgelöst, ein andermal
nicht, ja es kommt sogar vor, dass Abkürzung und Auf-
lösung nebeneinander stehen -. Da der ursprüngliche Text
der Hss. durch spätere Correcturen häufig verändert ist,
1) So stösst man in dem Personenregister ('Index alphabeticus
nominum sanctorum, sicuti leguntur in codicibus'), welches sich Duchesne
durch fremde Arbeit hat herstellen lassen, auf Heilige, welche nur der
Zerreissung und dem Missverständnis von Ortsnamen ihre Existenz ver-
danken, und anderen haarsträubenden Blödsinn, und dabei ist dieses
Sammelsurium ('silva' nennt es Duchesne selbst) noch nicht einmal voll-
ständig. Der Bearbeiter hat 6. Non. Oct. aus der Corruptel von WB
Ponti Leonis die Namen Pontus und Leo gewissenhaft in das Register
aufgenommen, aber die richtige Lesart Pantaleonis E sucht man bei ihm
vergeblich; pr. Id. lun. fehlen die Namen Distri, Polimaci, 4. kl. Dec.
Theodori = Theodoli, Pegassi = Picasi, luli, also drei und mit den Va-
rianten fünf an einem Tage ! 2) Duchesne druckt 9. kl. Mai. Saturnini,
8. kl. Mai. saturnini, 5. Non. Mai. satnini, während die Hs. B an den drei
verschieden wiedergegebenen Stellen gleichmässig die letzte Lesart hat.
An anderen Stellen ist die Auflösung hinter der Abkürzung in Klammern
beigefügt; z. B. P (ro).
332 Bruno Krusch.
wäre eine Hauptpflicht des Herausgebers die Entzifferung
der getilgten Lesarten, soweit dies möglich ist, und die Be-
stimmung des Werthes der Correcturen gewesen. Das erste
ist nur höchst unvollkommen geschehen, und besonders
zu bedauern ist es, dass an den Stellen, wo ganze Zeilen
ausradiert sind, die Lesung nicht einmal versucht ist; die
zweite Aufgabe kennt Duchesne überhaupt nicht. Er hat
sich nicht einmal klar gemacht, welchen Text er eigentlich
wiedergeben will, den ursprünglichen oder den sjDäter cor-
rigierten; daher findet man bei ihm die spätere Correctur
bald im Text, bald in den Fussnoten, und es herrscht hier
die wildeste Regellosigkeit. Die Quelle des Correctors von
B war aber ein anderes Exemplar und nicht die Vorlage
des ersten Schreibers, wie besonders der Zusatz auf S. 61
N. 6 und die Verschiedenheit der Lesarten S. 75 N. 1 zur
Evidenz zeigen ^. Die Aufnahme solcher Zusätze in den
Urtext charakterisiert recht das unkritische Verfahren des
Herauso-ebers. Die Correcturen sind gewöhnlich mit 'm. 2'
bezeichnet ohne Scheidung der verschiedenen Hände,
welche den Text verändert und ergänzt haben, und ohne
Bestimmung ihres Alters. Dieser Mangel macht sich u. a.
bei den historischen Zusätzen fühlbar, deren Werth doch
wesentlich von dem Alter der Eintragung abhängt. Bis-
weilen hat Duchesne weder die Rasur noch auch die
spätere Hand erkannt, und also ohne Anstand als Urtext
gedruckt, was erst der spätere Corrector getilgt oder zu-
gesetzt hatte:
3. Non. Ap. nach 'aresti' ist in B ein Name radiert; Sin-
nidiae EW.
8. kl. Mai. am Schlüsse sind in W die Worte 'et com-
memoratio (vigil)ie georgii et sei pulionis' ausradiert,
die aiich in den verwandten Hss. stehen.
4. Id. Febr. signü dni] W, zu streichen als Zusatz saec. IX.,
prid. Id. Feb. et] B, zu streichen als späterer Zusatz.
Die Zuverlässigkeit des Duchesne'schen Abdrucks wird
schon durch diese allgemeinen Ausstellungen erheblich in
Frage gestellt, und nun kommen wir erst zu der Prüfung
im Einzelnen. In den vorangeschickten gefälschten Briefen
zeigen die Hss. keine stärkeren Abweichungen als bei
mittelalterlichen Texten überhaupt, und es wäre unnütze
1) An der zweiten Stelle Prid. Non. lun. las der Schreiber Aricii
diaconi, der Corrector richtig Aricii, Daciani und trug nun Daciani vor
Aricii nach; Duchesne druckt Daciani, Aricii diaconi mit der gelehrten
Note zu D. 'add. m. forte 2'.
Zur Afralegende und zum Martyrologium Hieronymianum. 333
Rauniverscliwenduiig gewesen, wenn man jede der drei
Haupthss. wörtlich abgedruckt hätte. Auch Duchesne ist
hier von seinem Principe abgewichen und hat eine Aus-
gabe versucht und uns so den Massstab zur Beurtheilung-
geliefert, was er als Herausgeber zu leisten versteht. Ueber
seine Grundsätze unterrichtet er den Benutzer in zwei vor-
gedruckten Zeilen: 'Quas recensui ad fidem trium prima-
riorum codicum, maiori, ut oportuit, habita ratione libri
Epternacensis, qui etiam in hoc ceteris magis commendatur'.
Er hat also bei seiner Text-Recension E mehr als die an-
deren Hss. berücksichtigt, und man wird dies Princip
billigen, wenn es nicht so ausgelegt wird, dass man E ab-
druckt und die Lesarten der anderen Hss. in die Fuss-
noteii setzt. Denn es ist stets zu bedenken, dass der
Schreiber von E ein Liebhaber der Kürze war und auch
durch Unachtsamkeit Worte übersprungen hat. Jedenfalls
wird mir jeder zugeben, dass zur Durchführung des Du-
chesne'schen Princips eine ganz genaue Vergleichung von
E die Vorbedingung w^ar. Sehen wir nun, wie ihm die
Herstellung des Textes in der neuen Ausgabe gelungen ist.
S. LXXXII.
Z. 4 devenire] ohne Variante Duch. ; de(i)venisse EWP
und so ist zu schreiben.
Z. 14 Constantius] ohne Variante Duch. ; die richtige
Lesart Constantinus steht aber in EW, welchen sich
jetzt die von mir gefundene Hs. P, die Verwandte
von B, anschliesst.
Z. 27 perennem nostrae parvitatis [nomen Zus. WBP] me-
moriam [habiturum Zus. WBP] fore credentes. Der
Ausdruck nostrae p. nomen ist echt und die einge-
klammerten Worte hätte Duchesne aus den anderen
Hss. in den Text setzen müssen.
Z. 29 plus quam octingentorum [et nougentorum milia
fehlen in E, gehören aber in den Text] raartyrum
nomina.
Z. 34 unus pro omnibus] ohne Variante Duch. ; u. de o. EW
und so ist zu verbessern.
Die Collation der Haupt -Hs. E war also so mangelhaft,
dass sich bei der Nachlese auf der einen Seite, die noch
nicht einmal ausgefüllt ist, noch an 3 Stellen aus der Hs.
der Text verbessern Hess ; die nicht wenigen Irrthümer in
den Varianten der anderen Hss. lasse ich hier ganz bei
Seite. Er ist aber auch seiner Haupths. in ganz mecha-
nischer Weise ohne Sinn und Verstand gefolgt, und ich
334 Bruno Krusch.
habe im Vorhergehenden nur einige Lücken angegeben,
durch die er den Text entstellt hat, denn bei einer neuen
Ausgabe müsste E noch weit öfter in die Note verwiesen
werden. Durch die Auslassung der Worte 'et nongen-
torum milia' in Z. 29 wird geradezu der logische Gedanken-
gang gestört und dem Verf. Unsinn in den Mund gelegt.
Er sagt, er habe von 'singulorum mensium singulorumque
dierum' die Feste aufgeschrieben, und hofft sich dadurch
ein gutes Andenken bei der Nachwelt zu sichern, wenn
'diebus omnibus' die Eeste gefeiert würden; nun fahrt er fort,
'per singulos dies diversarum provinciarum diversarumque
urbium' seien mehr als 800 und 900 000 Namen zu nennen
gewesen, so dass kein Tag sei, der unter 500 hätte, ausser
dem 1. Januar. Es ist klar, dass die Wendung 'per sin-
gulos dies', wie auch oben 'singulorum mensium singulo-
rumque dierum', die einzelnen Tage des Kirchenjahres in
ihrer fortwährenden Aufeinanderfolge, also eine fortgesetzte
Zeit bezeichnet, und Synonym zu 'diebus omnibus' ist,
womit es auch parallel steht. Nur so erklärt sich der
Folgesatz, so dass kein Tag sei, der unter 500 Namen
hätte. Nun zeigt ein einfaches Rechenexempel, dass schon
bei dem Mindestsatze unter Ausschluss des 1. Januars
364 X 500 = 182 000 Feste herauskommen würden, also die
Duchesne'sche Lesart 'octingentorum' sinnlos ist und eine
Zahl verlangt wird, die in die Hunderttausende geht. Die
Worte 'et nongentorum milia' sind also zum Verständnis
des Textes unbedingt nothwendig, und schlägt man die
Hs. E nach, so findet man, dass sie der Schreiber am
Zeilenanfang, bei Uebergang von einer Zeile zur andern,
übersprungen hat. Fragt man nun, welchen Fortschritt
die neue Ausgabe gegenüber der alten Fiorentini's be-
deutet, und sieht man, dass diese richtig 'Constantinus',
richtig 'nomen — habiturum', richtig 'et nongentorum milia',
richtig 'de omnibus' liest, — und das alles auf einer knappen
Textseite — , und an der ersten Stelle wenigstens die Va-
riante 'devenisse' vermerkt, so scheint es fast, als ob man
die Frage umdrehen müsste, und jedenfalls ist das erwiesen,
dass die neue Ausgabe nicht immer den Standpunkt der
alten erreicht.
Ich wende mich jetzt zu dem kalendarisch geordneten
Festverzeichnis und stelle, um den Grad der Zuverlässig-
keit desselben zu ermitteln, einige Stellen des Duchesne-
schen Abdrucks der handschriftlichen Lesung gegenüber:
Kl. lan. Augustoduno] E, lies Agustoduno.
3. Non. lan. pennice] W, lies pennice.
Zur Afralegende und zum Martyrologium Hieronymianum. 335
PEI. ONIANUA] W, lies PRID NON lANÜA.
Non. lan. caitq.] W, lies eauti; die anderen Hss. haben
Acuti.
7. Id. lan. palati] W, lies pallati.
3. Id. lan. stepban§] W, lies stefan§.
19. kl. Feb. cleridiäe] W, lies cleri diac.
17. kl. Feb. tenentur] B, lies tenuntur.
13. kl. Feb. Lug-duno] W, lies lugdono.
12. kl. Feb. et metis] W, lies ermetis, die anderen Hss.
haben Hermetis.
mammar] E, lies mammas.
6. kl. Feb. theoctis^j W, lies theocus^, und diese Lesart
müsste in den Text gesetzt werden ; Tecussae E ; Then-
cus(a)e BL. _
14. kl. Mart. V] W, lies V = .5000 mit den anderen Hss.
10. kl. Mart. potiamiene] W, lies potami mit E ; e ist
radiert und ne gehört zum folgenden Worte.
4. kl. Mart. XXXII] E, lies XXXV.
VI. NONAS MAß.] W, lies VI NONUS MAE.
5. Non. Mart. helbiani] W, lies belbiani.
2. Non. Mart. ei] B, lies ei*^ = eins.
plamfagoni] E, lies plumfagoni.
neochopoli] W, lies neochepoli.
Non. Mart. f erri] W, lies sauri, das s ist aber verloschen ;
Satiri E, Saturi B.
8. Id. Mart. acrem //// feli //// orbani cyrilli epT //// et
manili] W, lies aeren(ie) feli(c)itatis orbani cyrilli epi
(si)luani; die eingeklammerten Buchstaben sind ver-
loschen.
4. Id. Mart. IUI] W, lies VII mit EB.
12. kl. Ap. honis] W, lies bonis (Bionis E).
7. kl. Ap. alior] B, lies alio^i- =:= aliorum.
eiusd§] W, lies eiusde.
6. Id. Ap. ordo sol HIHI I] W, lies orto sole tre m(otus)
fuit in huuizunb. Es handelt sich in dieser gleich-
zeitigen Weissenburger Eintragung um ein Erdbeben
im J. 799.
3. Id. Ap. Die erste VIII fehlt in W und allen anderen
Hss.; ist sinnstörender Zusatz Duchesne's.
12. kl. Mai. iuxta uia] B, lies iuxta uiä.
11. kl. Mai. zwischen et alibi und dep fehlen im Ab-
druck von W die Worte Victoris, Papiae, Felicis et
alibi, obwohl in den nächsten Verwandten der Hs. keine
Lücke ist. Aber auch W enthält die Stelle, und Duchesne
hat nicht weniger als eine ganze Zeile übersprungen.
336 Bruno Krusch.
5. kl. Mai. aluine] W, lies aiuvi§ (Aioviae EB).
kl. Mai. INITIU] B, lies INITIU.
8. Id. Mai. matronae, gallae, sereuae, rogatae] E, lies
gallae, sereuae, rogatae, matronae, wie auch die anderen
Hss. die Worte ordnen ; die Stelle saturninae — ro-
gatae ist zwischen rogati imd matronae ergänzt,
authys] W, lies anthys.
7. Id. Mai. psida] W, lies psyda.
6. Id. Mai. masomosi] W, lies nasomosi mit EB.
3. Id. Mai. daveti] E, lies daucti (nämlich Adaucti).
17. kl. lun. gaionio] W, lies gaiono.
vinanti] W, lies uinceuti, also a für ce gelesen.
15. kl. lun. bastasi] E, lies bustasi (= WB).
5. kl. lun. fyloraini] W, lies sylomini mit den ver-
wandten Hss.
kl. lun. Maxime. It.] B, zwischen diesen Worten schieben
die anderen Hss. ein item Urbanae, Obtatae, und B
liest item ürbani, Ortat§; Duchesne hat nämlich wieder
eine Zeile ausgelassen.
Hier kann ich abbrechen. Einige Fehler sind dadurch ver-
anlasst, dass das Abkürzungszeichen der Hs. beim Satz über-
sehen worden ist. Anderes sind Lesefehler. W ist von
einer sehr deutlichen und kräftigen Hand des 8. Jh. ge-
schrieben und sehr leicht zu lesen, wenn man mit den
wenigen Ligaturen und Abkürzungen Bescheid weiss.
Trotzdem liest Duchesne den Unsinn caitq. statt cauti,
indem er nach Anfängerart die Ligatur ti für q ansieht,
und verwechselt ce mit a in uincenti. An zahlreichen
Stellen hat derselbe Duchesne in E n für r gelesen:
4. Id. Mai. afnoti für afroti,
3. Non. lun. gnati für grati,
18. kl. Oct. epanti für eparti,
17. kl. Oct. cundiani für curdiani.
Id. Oct. minei für mirei,
17. kl. Dec. demigni für demigri,
4. Non. Dec. pemeni für pemeri.
In der angelsächsischen Schrift, in welcher diese Hs. ge-
schrieben ist, ist, wie jeder weiss, der Haken vom r tief
auf die Zeile heruntergezogen, dass es einem n nicht un-
ähnlich sieht, und wer in der Lesung solcher Hss. nicht er-
fahren ist, kann auch s und r, a und u, e und c verwechseln,
wie die Fehler Duchesne's beweisen (mammar für mammas ;
bastasi für bustasi ; daveti für daucti und pr. Non. Aug.
isaci für isaei). Seine Kenntnisse in der Paläographie sind
Zur AfralegencTe und zum Martyrologium Hieronymianum. 337
nämlich äusserst schwach uud er muss noch grosse Fort-
schritte darin machen; jetzt erklären sich auch die früher
geäusserten merkwürdigen ürtheile über das Alter ge-
wisser Hss., durch die er sich in Gegensatz gesetzt hat zu
allen, die vor ihm dieselben gesehen hatten. Die meisten
Fehler sind lediglich auf seine Flüchtigkeit zurückzuführen,
und man erhält eine Vorstellung von der Sorgfalt, mit
welcher diese Publication veranstaltet ist, durch die be-
schämende Thatsache, dass der Abdruck sowohl von W
als von B je eine Zeile der Hs. überspringt. Hinsichtlich
der Hss. E und B hat er unter den allergünstigsten Ver-
hältnissen gearbeitet. Die Pariser E konnte er Monate
lang in seiner Wohnung benutzen, und auch die Berner
ist für seine Zwecke nach Paris geschickt worden, und er
hat die Druckbogen nach ihr corrigieren können; er be-
dankt sich selbst in der Vorrede bei dem Bibliothekar,
'qui tot menses insignem librum a suo domicilio abesse
passus est'. Wenn trotzdem die Nachprüfung ein so
schlechtes Ergebnis geliefert hat, so wird man annehmen
dürfen, dass er eben nichts Besseres leisten konnte. Bei
B kommt ausserdem als erschwerender Umstand hinzu,
dass von dieser Hs. bereits ein Textabdruck nach einer
Abschrift Arndts in AA. SS. Oct. XIII existiert, und
schlägt man diesen nach, so findet man dort 17. kl. Feb.
richtig tenuntur, wo der neueste Herausgeber tenentur
druckt, und kl. lun. die von diesem übersprungenen Worte.
Man wird also gut thun, bei dem Gebrauch der sog. neuen
Ausgrabe des M. H. immer die älteren Abdrücke und Aus-
gaben mit zu Rathe zu ziehen.
Somit wird der wissenschaftliche Werth dieser Lei-
stung auf ein sehr geringes Maass heruntergedrückt, und
es verlohnt sich gar nicht mehr, diese verpfuschte Arbeit
weiter nachzuprüfen oder zu ergänzen. Bei diesem Euphe-
mismus kann man sich also in dem Falle Duchesne nicht
beruhigen. Seine Arbeit muss neu gemacht werden, oder
vielmehr, es muss die kritische Ausgabe des M. H. über-
haupt erst gemacht werden, die er nicht gemacht hat,
weil sie ihm zu schwer war. Sic volo !
Neues Archiv etc, XXIV.
VII.
Miscellen.
22*
Der Novellenauszug De ordine ecclesiastico,
eine Quelle des Benedikt Levita.
Von Max Conrat (Cohn).
Cod. Phillips 1735, niinmelir Cod. Berol. Phillips 160,
enthält den als Epitome Monachi bezeichneten Auszug der
Lex Romana Visigothorum, nebst Anhang, sowie fragmen-
tarisch einen Auszug der als Epitome luliani bekannten
Sammlung der Novellen lustinians, mit welchem die Hs.
abschliesst. Auf den letzteren, der bisher eine eingehendere
Untersuchung nicht erfahren hat ^, glaube ich hiermit auch
die Aufmerksamkeit der Leser dieser Zeitschrift lenken
zu dürfen, da derselbe sich als die Quelle der der Epitome
luliani entlehnten Texte in der Capitulariensammlung des
Benedikt Levita und seines dritten Anhangs darstellt.
Der Auszug der Epitome luliani (fol. 158 '' — 164'^)
schliesst sich ohne jeden Zwischenraum dem Anhange der
Epitome Monachi, Fragmenten zweier Novellen Valenti-
nians IL, an und ist mit diesen von der gleichen offenbar
nicht den Archetyp darstellenden Hand, welche, wie der
von verschiedenen Händen geschriebene Codex überhaupt,
der Wende des 8. Jh. oder dem früheren 9. Jh. angehört '-.
Derselbe beginnt mit der TJeberschrift 'Incp. innovationes
legum novellarum divi memoriae iustiniani ä. sub quo
quintus sinodus constantinopoli congregä (congregata) est.
De ordine ecclesiastico' und bezeichnet sich somit als Samm-
lung der auf den Ordo ecclesiasticus bezüglichen Neuerungen
der Novellen Justinians, des Veranstalters des fünften all-
gemeinen Concils. Hierauf folgt ein Rubrikenverzeichnis
von 52 Capiteln, auf welches ich des Weiteren zurückkomme,
1) Die Veröffentlichung einer solchen von meiner Seite steht bevor.
Als ein freier Auszug der Epitome luliani ist die Schrift erkannt von
V. Rose, Die handschriftl. Verzeichnisse d. Königl. Bibl. zu Berlin S. 352.
2) V. Rose, a. a. 0., charakterisiert den Codex als saec. IX.^ (VIII/IX.),
während Haenel, Lex Romana Visigothorum p. Lxxxi, denselben im 9. Jh.
und zwar in Gallien geschrieben sein lässt.
342 Max Conrat.
und sodann, unter Wiederholung der Rubriken vor den ein-
zelnen Capiteln, die Schrift selbst. Dieselbe ist jedoch nur
bis in den Beginn des 31. Capitels erhalten ('Abbatis ordi-
natio non secundum ordinem vel') : offenbar sind die Blätter
der Hs., welche den Rest des Auszugs enthielten, verloren
gegangen.
Zur näheren Charakterisierung des Auszugs sei be-
merkt, dass in demselben der Text aus Julians Novellen-
sammlung einem Verfahren unterworfen worden ist, das
sich am füglichsten als Epitomierung in dem Sinne be-
zeichnen lässt, in welchem dieser Ausdruck für die unter
dem Namen Epitome bekannten Bearbeitungen der Lex
Romana Visigothorum gebraucht wird. Im Wesentlichen
tritt dem gemäss auch nichts zu Tage, was die Novellen-
sammlung nicht enthält; bekommt dann freilich durch das
Verfahren der Verkürzung bezw. Zusammenstreichung der
Text weithin ein von der Vorlage abweichendes Aeussere,
so schimmert andererseits doch auch wieder überall die
Fassung derselben hindurch in dem Masse, dass die hier
angenommene Benutzung der Epitome luliani für zweifellos
gelten muss. Auch sprachlich tritt nur selten Eigenthüm-
liches zur Erscheinung. Zum Unterschied von jenen ver-
kürzenden Bearbeitungen der Lex Romana Visigothorum
will aber unser Auszug, wie schon die üeberschrift ver-
kündet, nicht ein Abbild der ganzen Novellenvorlage
liefern, sondern lediglich die auf den Ordo ecclesiasticus
bezüglichen Novellen Justinians, bezw. den den Ordo eccle-
siasticus betreffenden Theil der Epitome luliani, wieder-
geben bezw. verkürzen. In Wahrheit sind aber durchaus
nicht alle auf den Ordo ecclesiasticus bezüglichen Capitel
der Epitome luliani bearbeitet worden: es fehlen die auf
den Osten bezüglichen Texte, ferner die zahlreichen Be-
stimmungen, welche dem geistlichen Stande — abgesehen
von den Personen weiblichen Geschlechts — mit Bezug
auf Geschlechts- und eheliche Verhältnisse Beschränkungen
auferlegen, auch zahlreiche sonstige Capitel der Novellen-
sammlung» Das Mass des vom Verfasser bearbeiteten Ma-
terials, die Reihenfolge, in welcher es vorgetragen wird,
auch das gelegentliche Zusammenarbeiten verschiedener
Stücke der Vorlage zu einem, ergiebt die folgende üeber-
sicht, welche zu den einzelnen Capiteln des Auszugs, die
ich dem Rubrikenregister gemäss aufführe ^, die Quelle
1) Dasselbe ist weithin in vulgärlateinischer Fassung, aber auch sehr
corrumpiert überliefert. Aus diesem Grunde gebe ich auch zuweilen die
Üeberschrift in der Form, wie sie in der Sammlung selbst lautet.
Der Novellenauszug De ordine ecclesiastico. 343
verzeichnet. Da die Capitelrubriken des Auszugs von den
Ueberschriften, welche die vom Verfasser benutzten Stücke
in der Epitome luliani besitzen, durchaus abweichen, zu-
gleich aber zum Theil unzureichend sind, würde es bezüg-
lich einer Anzahl von Capiteln aus der Zahl derjenigen,
deren Text in der Hs. nicht erhalten ist, unmöglich sein,
mit Sicherheit die Quelle anzugeben, wenn uns nicht die-
selben, worauf ich zurückkomme, bei Benedikt Levita er-
halten wären. Dank dieses Hilfsmittels lässt sich der
vom Verfasser benutzte Text der Novellensammlung nur in
sehr wenigen Fällen nicht sicher feststellen.
1 De ordinando episcopo (Const.) 6, (cap.) 1,
2 De consecracione episcopi 115, 2.
3 Ut episcopus sit liber omnibus nexibus 115, 6.
4 De accusatore contra ordinacionem episcopi 115, 3;
6, 1; 115, 3 u. 4.
5 Ut episcopus per semetipsum non litiget 6, 2.
6 De non cogendo episcopo ad iuditium venire 115, 9u. 10.
7 De accusacione contra episcopum
8 De iniuria episcopi et letanea sub versa
9 Ut episcopus neminem cedat
10 De rebus episcopi
11 De intestato episcopo
12 De episcopo expulso de civitate
13 De non excumunicando sine causa
14 De ordinibus sacris
15 De multitudine clericorum
16 De clericus qualis fiant (Quales sint clerici
in der Sammlung)
17 De clericis qui de eclesia desistunt
18 Ut clerici non habeant acciones seculares
19 De clericis falsariis
20 De clerico ad tutelam vocato
21 De clericis ad tabulas ludentes
22 De sanctis eclesiis
23 De rebus eclesie inlicitae contractis
24 De Sacra vasa
25 De mutuato sancto loco
26 De emphiteoseos contractus
27 De commutacione inter eclesias
28 De eclesiastica munera
29 De possessionibus ad religiosa loca pertinentibus 119, 5.
30 De redemptione captivorum 119, 12
31 De abbate creando et de sanctis monialibus 115, 54.
115,
39.
115,
52.
115,
16.
119,
17.
119,
18.
115,
17.
115,
15.
6
, 7.
6
, 8.
6
, 4.
51
, 1-
115
,8,
115,
33.
115
7.
115,
13.
7
1.
111
9.
7, 8 u
7.
7,
6.
7,
3.
48,
2.
119,
8.
344 Max Conrat.
32 De monacho creando et non statim ordinando (?) 4, 2.
33 De monacho vel monacha 70, 1.
34 De monachis coste munialibus
(lies 'sanctimonialibus' oder dergleichen) 73, 1 — 3.
35 De monaclio qui monasterio suo demiserit 4, 5. 7. 8.
36 De servo in monasterio positum 115, 55.
37 De bis qui in monasterio ingrediuntur ? ^.
38 De monachis laicis 115, 66.
39 De sponso vel sj)onsa in monasterio ingresos 115, 60.
40 De eclesia aedificanda 61, 1.
41 De his qui in domum suam oraturium habuerit 52, 1.
42 De electione abbastissae 115, 54.
43 De diaconissa 6, 6.
44 De relegiosa muliere decepta 115, 67.
45 De restituendum monastario 7, 11.
46 De litigatoribus 69, 7.
47 De scenicis 115, 68.
48 De blasfemia in Deo 71, 1.
49 De berede qui piam dispositionem non implet 119, 13.
50 De Falcidia . . loca minuenda- (?) 119, 14.
51 De rebus que paganis non conceduntur 119, 19.
52 De prescriptione XL annorum 119, 6.
Ich habe mich soeben bei der Eeconstruction der in
dem Cod. Phillips nur fragmentarisch überlieferten Schrift
De ordine ecclesiastico der Capitulariensammlung des
Benedikt Levita bedient. Es besteht nämlich zwischen
jener und dieser (B.), den dritten Anhang (Add. III) ein-
geschlossen, das folgende Verhältnis. Von den 31 Capiteln,
deren Text die Hs. liefert, kehren 12 völlig, und zwar auch
mit Bezug auf die Eubrik, übereinstimmend in B. und
Add. III wieder. Wenn dann aber aus der Zahl der 21
Capitel der Sammlung, von welchen der Cod. Phillips
nur die üeberschrift erhalten hat, B. und Add. III 18
übereinstimmende Capitelrubriken mit zugehörigem den
Text der Epitome luliani epitomierenden und auf kirchliche
Angelegenheiten bezüglichen Inhalt überliefern, so ist an-
1) Benedikt Levita hat das Capitel nicht aufgenommen. Es lässt
sich nach der Rubrik nicht sagen, von welchem Text aus Const. 4 oder 115
der Epitome luliani die Rede war. 2) Der Text ist corrumpiert: statt
der Punkte liest die Hs. |) p»". a. Dass das Capitel Const. 119 c. 14 ent-
halten hat, begründe ich mit dem Umstand, dass c. 13 derselben Consti-
tution vorausgeht, und die überlieferten "Worte eine solche Auffassung
nahe legen (man lese dann etwa 'De Falcidia episcopi cura loca [statt
'locorum'] minuenda').
Der Novellenauszug De ordine ecclesiastico.
345
zunehmen, dass diese 18 Capitel von B. und Add. III 18
von den 21 Capiteln unserer Schrift gleichkommen, so dass
uns demnach die Sammlung bis auf 3 Capitel bekannt ist.
Um so mehr, vrenn sie in der Art der Epitomierung völlig
den in der Hs. überlieferten Capiteln gleichen. Dabei
kommt jedoch in Betracht, dass die Capitulariensammlung
einzelne der 18 Capitel in einer den klerikalen Zwecken
derselben entsprechend bearbeiteten Fassung bietet, während
daneben jedoch regelmässig, meistens in Add. III, die reine
und offenbar dem Auszug De ordine ecclesiastico eigenthüm-
liche Form erhalten ist ^. Ich gebe hiermit das Register
der bezüglichen Texte, wobei die bearbeiteten durch Cursiv
kenntlich gemacht sind.
8 =
B.
2,
129;
Add.
III,
28.
11 =
Add.
III,
31.
14 =
B.
2,
128;
Add.
III,
34.
15 =
B.
2,
127;
Add.
III,
37.
16 =
B.
2,
126;
Add.
III,
40.
17 =
B.
2,
125;
Add.
III,
43.
18 =
B.
2,
124;
Add.
III,
46 u. 47
19 =
B.
2,
123.
20 =
Add.
III,
50.
21 =
Add.
III,
53.
22 =
Add.
III,
56.
29 =
B.
2,
109.
33 =
B.
2,
110.
34 =
B.
1,
378;
Add.
III,
59.
35 =
B.
1,
379 u.
2,
108;
Add.
III,
62.
36 =
B.
1,
380.
38 =
B.
1,
381;
Add.
III,
66.
39 =
Add.
III,
69.
40 =
B.
1,
382;
Add.
III,
72.
41 =
B.
1,
383 u.
2,
102;
Add.
III,
75.
42 =
B.
1,
384.
43 =
Add.
III,
78.
44 =
B.
1,
385 u.
2,
100;
Add.
III,
81.
45 =
B.
1,
386.
46 =
B.
1,
387.
47 =
B.
1,
388.
48 =
B.
2,
101\
Add.
III,
84.
1) Capp. 45 u. 46, welche B. 1, 386 u. 384 liefert, sind lediglich in
überarbeiteter Form erhalten.
346 Max Conrat.
49 = Add. III, 87.
51 = Add. III, 90.
52 = B. 1, 389.
Die Bedeutung dieses Thatbestandes liegt nicht ledig-
lich darin, dass sich in Folge desselben die fragmentarische
IJeberlieferung unseres Auszugs, welche Cod. Phillips liefert,
in sehr erheblichem Maasse ergänzen lässt. Vielmehr er-
giebt derselbe auch einen Beitrag zu den Quellenverhält-
nissen des Benedikt Levita. Abweichend von Pseudo-Isidor
und den Capitula Angilramni findet sich in der Capitularien-
sammlung des Benedikt Levita nebst Anhang von den
Quellen römischen Rechts auch die Novellensammlung des
Julian in Contribution gesetzt ^. Und zwar in der Gestalt,
welcher wir in unserer Schrift De ordine ecclesiastico be-
gegnen und lediglich in dieser: denn andere Texte, welche
auf die Epitome luliani zurückgehen, als die angeführten,
werden nicht benutzt ^. Man darf sich das Verhältnis
beider Schriften dann offenbar nicht in der Weise zurecht-
legen, dass Benedikt und Anhang für die Quelle der
Sammlung De ordine ecclesiastico zu gelten hat. Denn
ganz abgesehen voii dem Altersverhältnis, welches eine
solche Annahme ausschliesst, hat letztere ja neben den mit
ersteren gemeinschaftlichen Texten auch solche, welche ihr
eigenthümlich sind (Cap. 1—7, 9, 10, 12, 13, 23—28, 30—
32, 37, 50), aufgenommen. Auch liess sich ja eine Schrift,
welche, wie unser Auszug, ausschliesslich eine Zusammen-
stellung Justinianischen Novellenrechts ist und in der Ueber-
schrift als solche bezeichnet wird, aus Benedikt und Anhang
gar nicht herstellen: denn an letzterer Stelle wird die
Justinianische Gesetzgebung nirgends als Quelle namhaft
gemacht und ist das Material Justinianischen Ursprungs
in die grosse Masse von Normen anderer Herkunft hinein-
geschichtet der Art, dass es einer wissenschaftlichen Unter-
suchung bedarf, zu welcher das Zeitalter durchaus nicht
befähigt war, um dasselbe herauszulösen. Diese Gründe
sind so schlagend, dass man sich nicht auf den Umstand
zu berufen braucht, eine Schrift, welche, wie der Auszug
De ordine ecclesiastico, ausschliesslich Material einer einzigen
1) Vgl. dazu meine Gesch. d. Quellen I, 302. 306. 2) Irrthüm-
lich wird, a. d. in d. vor. Note a. 0. (S. 302), entsprechend der Annahme
Savigny's, Gesch. d. röm. R. i. Mittelalt. II, 478, auch für B. I, 390 die
Epitome luliani als Quelle angegeben (Const. 115 c. 10): es ist vielmehr
Br. C. Th. 16, 1. 2 Int. benutzt. Ebenso liegt bei B. II, 108 keine Be-
nutzung der Novellensammlung zu Grunde.
Der Novellenauszug De ordine ecclesiastico. 347
Quelle verarbeitet, müsse dieser im Zweifel näher stehen
als eine Arbeit, die, wie Benedikt, ihr Material von allen
Seiten herschafft: von dem Umstände ganz abgesehen, dass
die Afterver wen düng, deren sich Benedikt Levita durch
klerikale Bearbeitung seiner Texte schuldig macht, den
relativ späteren Ursprung verräth. Sonach bleibt dann
nichts anders übrig als die Annahme, dass entweder Benedikt
Levita nebst Anhang den Auszug De ordine ecclesiastico
als Quelle benutzt hat, oder beide Producte auf eine ge-
meinschaftliche Quelle zurückgehen. Letztere ist dann
freilich eine unbekannte Grösse, wird sich aber füglich
kaum anders vorstellen lassen als etwa in der Weise, dass
man eine Epitomierung der ganzen Novellensammlung
Julians supponiert, aus welcher Benedikt Levita und unser
Auszug geschöpft haben. Aber wie auffallend, dass Benedikts
Schrift dann gerade keine anderen Texte aufgenommen hat,
als solche, welche sich auch im Auszuge finden ! Empfiehlt
sich aus diesem Grunde die Annahme, dass beide Schriften
ihr Material einer gemeinsamen Quelle entlehnt haben, mit
nichten, so steht dagegen der Auffassung nichts im Wege,
dass Benedikt Levita und Anhang aus unserm Auszuge
geschöpft hat. Schon das Alter der Handschrift, ganz ab-
gesehen davon, dass ihr ein älterer Archetyp vorausgeht,
nöthigt zu der Annahme, dass unsere Schrift zur Zeit der
Abfassung der Capitulariensammlung nebst Anhang bereits
vorhanden war, so dass die Möglichkeit einer Benutzung
derselben durch Benedikt Levita besteht. Der Umstand,
dass die Hs.^ und dann aller Vermuthung nach auch die
Vorlage derselben gallischen Ursprungs ist, auch eine
Spur auf sonstiges Vorkommen unserer Sammlung im frän-
kischen Reiche hinweist-, gestattet die Annahme einer
gewissen Verbreitung derselben und giebt damit einigen
Anhalt für die Vermuthung, dass sie Benedikt Levita nicht
entgangen ist. Dass dieser nach unserer Annahme sein auf
die Novellen Justinians zurückgehendes Material nicht der
Quelle, sondern einer klerikalen Zwischenquelle entlehnt hat,
ist durchaus nichts auffallendes. Es fehlt aber auch nicht an
einem positiven Anhalt dafür, dass es sich wirklich so ver-
halten hat. Die Reihenfolge der Capitel im Auszug, welche
1) Vgl. S. 341 N. 2. Hierfür spricht aber insbesondere auch, dass
der Codex die Epitome Monachi der Lex Romana Visigothorum enthält.
2) Im Kataloge von Cluni saec. XU. bei Delisle, Gab. d. Manuscr. II, 6 sub
n. 449, findet sich ein 'volumen in quo continentur innovationes legum
nonnullarum' (lies 'novellarum'). Dies könnte unser Auszug sein. Irrig
meine Gesch. d. Quellen I, 39 N. 1.
348 Max Conrat.
von derjenigen der Epitome Iiiliani unabhängig ist und
ein selbständiges System befolgt, das der auf Samm-
lung des Materials De ordine ecclesiastico gerichteten
Tendenz entspricht (Bischof 1 — 13, clerus 14 — 21, ecclesia
und Kirchengut 22 — 30, Mönchthum 31 — 46, Beziehungen
zu Weltlichem 47 — 52), hat bei Benedikt Levita und seinem
Anhang Spuren zurückgelassen. In dem letzteren werden
die Capitel des Auszugs sämmtlich, wenn auch nicht hinter-
einander, so doch in der Reihenfolge des Auszugs aufge-
führt, während bei Benedikt Levita in den beiden Capitel-
reihen, in welchen vorzugsweise die Texte des Auszugs
wiederkehren (1, 378—1, 389; 2, 123—129), die Systematik
desselben zum Vorschein kommt.
Ueber eine Quelle der römischrechtlichen Texte
bei Hinkmar von Rheims.
Von Max Coiirat (Colin).
Kein Autor des früheren Mittelalters bedient sich,
der Texte des römischen Eechts in dem Masse, wie
Hinkmar von Rheims^. Diese Erscheinung hat längst die
Aufmerksamkeit der Forscher auf sich gelenkt-, ohne dass
sie jedoch eine abschliessende Darstellung und Beurtheilung
erfahren hätte ^ Die Vorbedingung hierzu ist die Fest-
stellung der Quellen bezw. etwaiger Zwischenquellen, aus
welchen Hinkmar sein römisches Eecht geschöpft hat. In
ersterer Hinsicht ist es bekannt, dass die Erwähnungen
römischen Rechts bei Hinkmar auf den fränkischen Quellen-
kreis zurückgehen: es bildet denselben das westgothisch-
römische Gesetzbuch, das sogenannte Breviar, welches ins-
besondere einen Auszug aus dem Codex Theodosiauus,
dazu noch einen solchen aus Novellen, dem Gajus und
den Sentenzen des Paulus überliefert, sowie das vollständige
oder wenigstens — im Verhältnis zum Breviar — vervoll-
ständigte 16. Buch des Codex Theodosianus. Hierzu tritt
dann noch von der Justinianischen Codification der unter
dem Namen Epitome luliani bekannte Novellenauszug ^.
1) Seine Werke benutze ich in der Ausgabe von Sirmond (Opp. I,
II; Paris 1645). Aus der Zahl der von Hinkmar herrührenden Schriften,
die bei Sirmond fehlen, bieten Texte römischen Rechts die sog. Rotula
und die Admonitio, sowie ein damit in Verbindung stehendes Schreiben
an Karl (vgl. Schrörs, Hinkmar, Erzbisch, v. Rheims S. 301 u. 302),
welche ich in der Concilienausgabe von Harduin (V, 1347 ff. 1353 ff. 1357 ff.)
benutze. 2) Vgl. insbesondere von Savigny, Gesch. d. röm. Rechts im
Mittelalter II -, 280 — 283. 484. 485 ; Schrörs a. d. N. 1 a. 0. S. 409 ff. ;
meine Gesch. d. Quellen I, 22—25. 88. 629 (zu S. 88 N. 1). 3) Auch
ein vollständiges Register liegt nicht vor, da, wie sich mir nunmehr er-
giebt, auch das zuletzt veröffentlichte (Gesch. d. Quellen I, 23 — 25 in den
Noten) nicht ohne Lücken ist. 4) Es sei noch erwähnt, dass eine An-
zahl Texte der Justinianischen Codification durch das Commonitorium
Gregors I. (Reg. XIII, 50 nach der Monumentenausgabe) vermittelt ist.
Die von Hinkmar erwähnten Texte der Lex Dei sind ihm durch den
350 Max Conrat.
Die folgenden Zeilen stellen sich dann die Aufgabe, die
Erage zu untersuchen, welcher Zwischenquelle, im Falle
eine solche vorliegt, der Verfasser sich bei Benutzung von
Texten aus dem 16. Buche des Codex Theodosianus bedient
hat. Wenn dieses Unternehmen an und für sich nicht be-
deutend ist, so kommt doch in Betracht, dass die folgende
Inangriffnahme desselben zugleich die Lösung der Aufgabe
enthält und somit eine Basis bietet für Quellenunter-
suchungen mit Bezug auf Rechtsdenkmäler des 9. Jh., deren
Entstehungsverhältnisse denjenigen von Hinkmars Schriften
verwandt sind ^.
Der Schriftsteller benutzt die folgenden Constitutionen
aus dem 16. Buche des Codex Theodosianus (C. Th.):
(Tit.) 1: (const.) 2 (I, 336 und 337)2,
2: 8 (II, 318 und 319). 12 (II, 325; Hard.^ V, 1347;
Hard. V, 1356).
16(11,319; Hard. V, 1357). 23(11,325). 26(11,319).
29 (II, 319). 30 (II, 319). 31 (II, 319). 34 (II, 320).
35 (II, 710). 38 (II, 328). 41 (II, 326 und 785).
44 (I, 718 und 719; II, 786). 47 (II, 327; Hard. V,
1357).
2 (I, 337).
1 (1,337). 6 (1,337). 60 (1,337 und 338). 62 (1,337).
1 (I, 1 und 2).
Es sind dieses Texte, welche zu einem kleinen Theil
auch dem westgothisch- römischen Gesetzbuch, dem Breviar
(Br.), angehören (16, 2, 12 = Br. C. Th. 16, 1, 2; 16, 2, 23 =
Br. C. Th. 16, 1, 3; 16, 2, 35 = Br. C. Th. 16, 1, 4; 16, 2, 44 =
16, 1, 6), und der Schriftsteller bedient sich mit Bezug auf
dieselben mehrfach der im Breviar den Legaltext beglei-
tenden Interpretation (Br. C. Th. 16, 1, 2 [II, 325; Hard. V,
1347 und 1356]; Br. C. Th. 16, 1, 3 [II, 325]; Br. C. Th. 16,
1, 6 [I, 718 und 719; II, 786]).
Für eine kleine Zahl der bezeichneten Texte ergiebt
sich eine Zwischenquelle aus der folgenden Betrachtung.
Appendix der Epitome luliani bekannt geworden (vgl. Mommsen, Coli.
libr. iuris antei. 111, 112 u. 120). 1) Die Frage ist bereits gestellt
und in dem Sinne der folgenden Erörterung beanwortet in Gesch. d.
Quellen I, 256 u. insbes. N. 2. Die Behandlung ist hier aber eine durchaus
summarische und nicht ganz erschöpfend. Auch habe ich inzwischen die
Sammlung, welche die Quelle des Hinkmar enthält, in dem Cod. Phillips (jetzt
Cod. Berol.) einzusehen Gelegenheit gehabt, mit Ausnahme der Blätter,
welche im Cod. Reg. Suec. 1283 erhalten sind, die ich aber — nach der
Beschreibung bei Haenel, Lex Romana Visigothorum — hier als integrie-
renden Bestandtheil des Cod. Phillips behandle. 2) Opp. ed. Sirmond.
3) Acta Coneiliorum.
4
5
11
Heber e. Quelle der römisclirechtliclien Texte Hinkmars. 351
In der Schrift Hinkroars De praedestinatione werden an
einer Stelle und hinter einander 4 aus der Zahl der oben
verzeichneten Constitutionen ausgeschrieben (16, 1, 2; 16,
4, 2; 16, 5, 6 und 62 [I, 336 und 337). Es begegnet hier die-
selbe aus verschiedenen Titeln mit zahlreichen Constitutionen
getroffene Auswahl von Texten, die im Breviar fehlen, so-
dann dieselbe Citierweise, Angabe des 16. Buchs, der Titel-
rubrik und Inscription der Constitution, schliesslich dieselbe
Reihenfolge, — sogar im Wesentlichen die gleiche Art der
Verknüpfung der Texte, — welcher wir im 54. Capitel der
sogenannten Quesnelschen Sammlung begegnen ^. Zieht
man dazu in Betracht, dass Hinkmar nirgends sonst die
Rubrik namhaft macht, wie sich auch den erwähnten Texten
unmittelbar eine in anderer Weise citierte Constitution
anschliesst 2, so wird man an der Vermittlung der 4 Gesetze
durch die Quesnel'sche Sammlung, welche aus dem voll-
ständigen Codex Theodosianus schöpfen konnte, nicht
zweifeln dürfen ^.
Bezüglich der übrigen Texte wird sich schwerlich be-
streiten lassen, dass Hinkmar dieselben, wenn auch nicht
nothwendig dem Gesetzbuch, so doch immerhin einer den
Decimus sextus liber Theodosianae legis darstellenden
Ueberlieferung entlehnt hat. Denn der Schriftsteller be-
zeichnet mehrfach das 16. Buch als Quelle seiner Texte ^,
wie dieses von ihm auch, obschon in verschiedenen Be-
zeichnungen (II, 672 Liber XVI. legis Romanae; II, 218
Sextus decimus liber legum), als der Sitz der kaiserlichen
Gesetze über kirchliche Angelegenheiten namhaft gemacht
wird ^. Tritt man aber der Frage näher, ob das Gesetzbuch
oder eine Zwischenquelle der bezeichneten Art benutzt ist,
so bietet der Umstand, dass die von Hinkmar verwendeten
Texte bald ausschliesslich dem echten Codex Theodosianus,
1) Ed. (Venet. 1757 ; Appendix ad S. Leonis M. Opera [III]) p. 393.
2) In libro decüno sexto Theodosianae legis capite quarto (I, 837 u. 338).
3) Direct oder indirect, insofern unmittelbar aus einer von der Quesnel-
schen abhängigen Sammlung geschöpft sein könnte (vgl. Gresch. d. Quellen
I, 145). 4) Es heisst (II, 320) nach Aufzählung einer Reihe von Texten
(16, 2, 8. 16. 26. 29. 30. 31. 34): 'sed scio sapientiam vestram ex iis, quae
de decimo sexto libro Theodosianae legis sunt posita debere comprehen-
dere plura'. Vgl. femer die N. 2 angeführte Stelle. 5) II, 672 'Lege
librum XVI. legis Homanae, lege decreta Damasi, percurre Leonis episto-
las, et ceterorum pontificum de diversis conciliis ad imperatores trans-
missas : revolve Augustorum edicta de haereticis ad petitionem pontificum
promulgata, scrutare Caesarum nostrorum capitula, et invenies quantum
profuerit atque prosit legum severitas, non solum ecclesiasticae lenitati,
verum totius Christianitatis optandae paci et coiendae tranquillitati'.
352 Max Conrat.
bald auch dem Breviar angehören, und in diesem Falle
zum Theil mit der dem letzteren eigenen Interpretation auf-
geführt werden, keinen weiteren Anhalt für die Annahme
eines eigenthümlich gestalteten Mittelgliedes: Hinkmar
könnte aus dem Breviar und einem selbstständig überlieferten
Liber decimus sextus Theodosianae legis geschöpft haben
oder — was noch einleuchtender erscheint — aus einem
um Constitutionen des 16. Buchs vermehrten Breviar, wie
uns dergleichen die Ueberlieferung des westgothisch -
römischen Gesetzbuchs erhalten hat ^ Dagegen fehlt es
in der That nicht an einem Umstand, welcher auf die Be-
nutzung einer solchen durchaus eigenartigen Zwischenquelle
hinweist.
Es finden sich bei Hinkmar unter der Zahl der mit
Inscription citierten Constitutionen mehrere, welche eine
falsche Inscription haben, und zwar gilt das sowohl von
solchen, welche ausschliesslich dem Codex Theodosianus
angehören, wie von Constitutionen des Breviars. Sämmtlich
gehören sie dem zweiten Titel an, welcher im Breviar den
ersten bildet. Ich habe dabei nicht Abweichungen von
der Ueberlieferung im Auge, welche sich am füglichsten
mit der Annahme fehlerhafter Auflösung eines in Abkürzung
geschriebenen Kaisernamens, sei es schon in der von Hink-
mar benutzten Quelle, sei es erst durch Hinkmar, erklären
lassen 2. Es handelt sich vielmehr darum, dass Hinkmar
unter den dem 16. Buche des Codex Theodosianus ange-
hörigen Constitutionen eine Anzahl mit Inscriptionen auf-
führt, die zu den authentischen durchaus keinen Bezug
haben, während sie wohl zu andern Constitutionen passen :
man könnte darum auch die fehlerhafte Setzung der In-
scriptionen bei Hinkmar ^ von welcher hier die Rede ist,
1) Vgl. Gesch. d. Quellen I, lU. 2) 16, 2, 8 wird statt dem Con-
stantius dem Constantinus magnus zugeschrieben (II, 318 u. .319). Ebenso
demselben Kaiser 16, 2, 12 (Br. C. Th. 16, 1, 2), statt Constantius und
Constans (II, 325, nach der Hard. V, 1335 ergänzten Lesung) (vgl. je-
doch S. 353 N. 2). Ein Fehler anderer Art hegt vor, wenn 16, 2, 41 mit
den "Worten 'Item idem' auf den unmittelbar zuvor genannten Theodosius
christianissimus imperator, Theodosius den Grossen, hinweist, während
die Constitution von Theodosius II. und Honorius herrührt. Letzterer
wird auch an einer anderen Stelle mit genannt (II, 326 und 785).
3) Gewiss ist die Versetzung dem Hinkmar selbst eigenthiimlich. Die
Erklärung des Sachverhalts aus einem Druckerversehen oder mit der An-
nahme einer Interpolation von Seiten des Herausgebers ist völlig unzu-
lässig. Aber auch, dass nicht Hinkmar selbst, sondern erst die vom
Herausgeber benutzte Hs. in Folge eines Versehens des Abschreibers die
Versetzungen hatte, darf für ausgeschlossen gelten, und ist geradezu un-
möglich, wenn — wie dies mehrfach der Fall ist — die fehlerhafte In-
Ueber e. Quelle der römischreclitlichen Texte Hinkmars. 353
als eine Versetzung von Inscriptionen charakterisieren. Es
handelt sich um die folgenden Inscriptionen, denen ich
zur Eechten die authentische Inscription gegenüberstelle.
Ich halte hierbei Constitutionen, die ausschliesslich im
echten Codex Theodosianus stehen, und solche, die auch
im Breviar vorkommen, auseinander.
Codex Theodosianus:
16, 2, 16.
Constantius (quoque, licet lidem AA. (Constantius
Arrianus fuerit ^) et Constans et lulianus : cf . const. 14 u.
(II, 819). 10).
16, 2, 26.
Valentinianus et Valens (II, lidem AAA. (Gratianus Va-
319). lentinianus et Theodosius :
cf. const. 25),
16, 2, 47.
Honorius et Theodosius (in Idem A. et C. (Theodosius
lege data ecclesiae scribunt) A. et Valentinianus C. : cf.
(Hard. V, 1357) (in edicto const. 46).
Honorii et Theodosii mani-
festatur ... in eodem edicto
demonstrant dicentes [11,327]).
Breviar :
16, 1, 2 (= C. Th. 16, 2, 12 2).
Gratianus Valentinianus et Constantius et Constans.
Theodosius (constituerunt)
(Hard. V, 1347) (sanctione
legis Gratiani Valentiniani et
Theodosii [Hard. V, 1356]).
16, 1, 4 (= C. Th. 16, 2, 35).
Valens Gratianus et Valen- Arcadius et Honorius.
tinianus (II, 710).
16, 1, 6 (= C. Th. 16, 2, 44).
Valens Gratianus et Valen- Honorius et Theodosius.
tinianus (II, 786).
scribierung an mehreren und völlig getrennten Stellen der Hinkmarschen
Schriften wiederkehrt. 1) Um dieses Zusatzes willen darf man an-
nehmen, dass Hinkmar, wenn er an einer anderen Stelle die gleiche Con-
stitution namhaft macht, in der Inscription statt Constantinus et Constans,
wie Hard. V, 1357 liest, vielmehr Constantius et Constans geschrieben
haben wird. 2) Derselbe Text wird an einer dritten Stelle dem Con-
stantinus zugeschrieben (vgl. S. 352 N. 2). Sollte hier etwa eine Inter-
polation vorliegen? Die Ausgabe von Sirmond (II, 325) ergiebt keine
Inscription.
Neues Archiv etc. XXIV. 28
354 Max Conrat.
Betrachtet man dann zunächst die Versetzungen in
den drei Constitutionen des echten Codex Theodosianus, so
ergiebt sich in dem Punkte Uebereinstimmung, dass bei
Hinkmar statt des die authentische Inscription bildenden
Pronomens lidem (Idem), welches den Hinweis auf eine
voranstehende Inscription enthält, gerade nicht die letztere,
sondern die für eine andere Constitution passende, aber
nicht in Bezug genommene verwendet ist. Es liegt dann
auf der Hand, dass diese Erscheinung sich sehr einfach
erklären würde, wenn in der vom Verfasser benutzten
das 16. Buch des Codex Theodosianus darstellenden Ueber-
lieferung die von Hinkmar verwendeten Texte mit der
authentischen Inscription lidem (idem) im Anschluss an
Constitutionen aufgenommen waren, welche die von Hink-
mar verzeichneten Inscriptionen besassen. Bezüglich der
Versetzungen in den drei Texten des Breviars ist der Sach-
verhalt nicht der gleiche : denn dieselben führen im Breviar,
wie oben gezeigt ist, nicht das Pronomen lidem, sondern
vielmehr die Namen der constituierenden Kaiser. Nimmt
man daher an, dass Hinkmar die drei Constitutionen dem
Breviar entlehnt hat, so fehlt die Möglichkeit, die beregte
Versetzung der Inscriptionen aus der Annahme eines That-
bestandes herzuleiten, welcher die entsprechende Erscheinung
mit Bezug auf die dem Codex Theodosianus entlehnten
Texte so einfach zu erklären geeignet ist. Hingegen kommt
in Betracht, dass die drei Constitutionen, welche im Bre-
viar die Namen der constituierenden Kaiser tragen, im
echten Codex Theodosianus mit lidem (Idem) überschrieben
sind. Wenn daher Hinkmar auch diese Texte aus einer
das 16. Buch in der Gestalt des echten Codex Theodosianus
darstellenden Ueberlieferung geschöpft hätte, wäre eine
Erklärung der beregten Versetzung aus der Supposition einer
eigenartigen Reihenfolge bezw. Auswahl möglich.
Giebt es eine, sämmtliche von Hinkmar benutzte Con-
stitutionen, soweit sie hier in Frage stehen, umfassende, das
16. Buch des Codex Theodosianus darstellende Ueber-
lieferung? Giebt es eine Ueberlieferung dieser Art, aus
deren Benutzung die Inscriptionenversetzung mit Bezug auf
die drei dem echten Codex Theodosianus eigenthümlichen
Texte in der obigen Weise sich erklären lässt? Ist dann
endlich eine Ueberlieferung, welche den bezeichneten An-
sprüchen genügt, zugleich auch im Stande, durch ihre eigen-
thümliche Gestaltung die beregte Versetzung der Inscriptionen
in den drei Constitutionen, welche im Breviar vorkommen,
zu erklären ? In der That bildet eine solche einen Theil
Ueber e. Quelle der römiscilrechtlichen Texte Hinkmars. 355
der Sammlung des Cod. S. German. 366 und Phillips 1741.
Dann aber darf man gewiss in ihr die Zwischenquelle
erblicken, auf welche die in Frage stehenden Erwähnungen
von Texten des Decimus sextus liber Theodosianae legis
zurückgehen.
Es enthält die genannte Sammlung ^, welche in den
beiden verzeichneten Handschriften, dem Cod. S. German.
366, jetzigen Cod. Paris. Lat. 12445, und dem Cod. Phillips
1741, jetzigen Cod. Berol. 82 2, vorliegt, unter der üeber-
schrift Incipit Liber XVI. einen Auszug aus dem 16. Buche
des echten Codex Theodosianus, mit einem Anhang, in
14 durch fortlaufende ZifPern kenntlich gemachten Ab-
schnitten. Die einzelnen Abschnitte werden in der Reihen-
folge des Gesetzbuchs von Constitutionen aus je einem
Titel gebildet, wobei jedoch in Betracht kommt, dass der
dritte Titel nicht ausgezogen ist. Der Mehrzahl nach sind
die ausgezogenen Constitutionen, welche im Wesentlichen
die Reihenfolge der Vorlage innehalten, nur im echten
Codex Theodosianus vertreten. Sehr bemerkenswerth ist
dann aber, dass der zweite Titel zweimal in verschiedenen
Reihen aufgenommen ist. Beide Reihen sind dann zwar
dem echten Codex Theodosianus entlehnt, da in beiden die
demselben eigenthümlichen Inscriptionen, nicht diejenigen
des Breviars, wo diese abweichen, auftreten; jedoch ent-
hält die erste, den zweiten Abschnitt bildende Reihe lediglich
Constitutionen, welche zugleich im Breviar stehen, und
neben dem Legaltext auch die Interpretation, während die
zweite, den dritten Abschnitt darstellende längere Reihe
ausschliesslich Texte bietet, die dem Breviar fremd sind,
und zum Schluss die eine aus dem vierten Titel aufge-
nommene Constitution (2). Auf die sich danach ergebenden
10 Abschnitte folgen dann in den weiteren 4 Abschnitten
die ersten 7 Sirmondischen Constitutionen, an deren letzte,
im letzten 14. Abschnitt, sich noch eine Reihe von Texten
aus dem Breviar mit der Interpretation desselben anschliesst.
Aus einer Vergleichung des Inhalts der Sammlung^,
1) Vgl. Haenel, a. a. 0. p. lxxxv u. lxxxvi ; Gesch. d. Quellen I,
255 u. 256. 2) Nach letzterem wird die Sammlung im Texte be-
schrieben. 3) Ich gebe hiermit eine Inhaltsangabe der Sammlung:
I Ruhr. 1. 16, 1, 2. 3.
n Ruhr. 2. 16, 2, 2. 12. 23. 35. 39. 44 cum interprett. Brev. (es
fehlt jedoch 'Haec lex interpr. non indig.' zu const. 39).
ni 16, 2, 1—4. 8. 10. 14. 16. Ruhr. 2. 19 ('Impp. Valentinianus
et Valens'). 20. 26. 29. 30. 31. 34. 36. 38. 40. 11. 47. — Ruhr. 4.
16, 4, 2 ('Imppp. Valentinianus Theodosius et Archadius').
23*
356 Max Conrat.
welche in der That eine Ueberlieferung des Liber XVI
darbietet, wie angekündigt, ergiebt sich dann, dass die von
Hinkmar erwähnten Texte des 16. Buchs, soweit sie hier
in Frage kommen ^, sämmtlich in der Sammlung wieder-
kehren. Es zeigt sich ferner, dass die Constitutionen, so-
weit sie ausschliesslich dem echten Codex Theodosianus
angehören, mit ihrem lidem (Idem) auf vorangehende, wenn
auch nicht unmittelbar voranstehende Constitutionen —
denn auch letztere haben zum Teil ein lidem (Idem) — hin-
weisen, welche die von Hinkmar verwendeten Inscriptionen
führen (16, 2, 16 auf 16, 2, 10; 16, 2, 26 auf 16, 2, 20; 16
2, 47 auf 16, 2, 40). Es erklärt sich aber auch aus einer
Benutzung unserer üeberlieferung die auffallende Er-
scheinung bezüglich der drei im Breviar überlieferten Con-
stitutionen, und zwar in der That auf die oben supponierte
Weise: denn diese Texte führen entsprechend der Inscri-
bierung im Codex Theodosianus, aus welchem sie in die
Sammlung aufgenommen sind, die Inscription lidem (Idem)
und weisen dann nach der Reihenfolge des Auszugs auf
vorstehende Inscriptionen hin, welche die von Hinkmar
gebrauchten sind (16, 2, 12 [Br. 16, 1, 2] auf 16, 1, 2; 16,
2, 35 [16, 1, 4] auf 16, 2, 23; 16, 2, 44 [16, 1, 6] auf 16, 2, 23).
Ich glaube nicht, dass es weiterer Momente bedarf,
um die Annahme der Abhängigkeit Hinkmars von einer
Üeberlieferung des 16. Buchs, wie sie in der Sammlung
des Cod. S. German. 366 und Cod. Phillips. 1741 vorliegt,
zu stützen. Immerhin gebricht es an solchen Momenten
doch nicht völlig. Denn wenn eine Constitution des fünften
ini 16, 5, 1. 4. 51. 52. 53. 60. 59. 63.
V 16, 6, 4 ('Valentinianus et Valens AA.').
VI 16, 7, 3 ('Imppp. Gratianus Valentinianus et Theodosius AAA.') 1.
VII 16, 8, 1. 5 {in fine 'cong. expt. non eget'). 7 {in fine: 'cons. expt.
non eget'). 6. 16 {in fine: 'cons. expt. non eget'). 27. 28.
Vin 16, 9, 1 cum interpret. Brev. 2. 5.
VIUI 16, 10, 10 {'Constantinus').
X 16, 11, 1 (ohne interpr.), 2 u. 3 cum interprett. Brev.
XI Ruhr. De episcopaU iudicio. Const. Sirm. 1, 2, 3.
XII Const. Sirm. 4, 5.
Xni Const. Sirm. 6.
Xini Const. Sirm. 7. — Br. C. Th. 9, 1, 1. 3. 4. 5 cum interprett. — ex
interpretatione legis Martiani Br. Nov. Mart. 1 interpret. — Br.
C. Th. 9, 1, 6 — il cum interprett. — ex lege Theodosiani libri.
Brev. C. Th. 1, 1, 1 u. 2 cum interprett. - Br. Nov. Val. 12
interpret. (nicht diejenige des Brev.) zu pr. — §7 und eben-
soviel vom Legaltext.
1) Nämlich mit Abrechnung derer, welche Hinkmar aus der Quesnelschen
Sammlung schöpft. Von diesen vier fehlen allerdings 16, 5, 6 u. 62.
Ueber e. Quelle der römischrechtlichen Texte Hinkmars. 357
Titels (1) mit den Worten 'in libro decimo sexto Theodosianae
legis capite quarto' (verg-1. S. 351 N. 2) ins vierte Capitel
versetzt wird, so trifft diese Zuschreibung gerade für den
Auszug unserer Sammlung zu, in welcher der vierte Ab-
schnitt Constitutionen des fünften Titels, wozu auch die
citierte gehört, enthält. Und wenn Hinkmar einmal eine
Anzahl Constitutionen in einer Reihenfolge aufführt, der
wir in jener Ueberlieferung begegnen ^, so geht dies offenbar
gleichfalls auf die Benutzung derselben zurück-.
1) Die Reihe C. Th. 16, 2, 26. 29. 30. 31. 34 findet sich Opp. II,
319 u. 320 und im dritten Abschnitt der Sammlung. 2) Auch zahl-
reiche sonstige Erwähnungen von Constitutionen des Codex Theodosianus und
aus Paulus Sentenzen, sämmtlich Texten, welche im Breviar vorkommen
und vielfach mit den Worten der Interpretatio aufgeführt werden, begegnen
im 14. Abschnitt der Sammlung (vgl. S. 355 N. 3 [S. 356]) oder, wenn
nicht dort, so doch in den Anhängen der Sammlung nach Cod. S. German;
(vgl. Haenel a. a. 0. p. lxxxvi N. 391). Nur eine kleine Zahl (etwa Br.
C. Th. 1, 1, 3; 3, 10, 1; 9, 19, 1. — Br. Paul. 5, 4, 12; 5, 5, 2. 3. 9 .
5, 17, 6; 5, 18, 11; 5, 27, 1) kehrt dort nicht wieder.
Drei rheinische Papsturkunden. 1147 — 1152.
Mitgetheilt von Julius T. Pflugk-Harttungr.
Nichtveröffentlichte päpstliche Originalurkunden aus
der Zeit vor Hadrian IV. sind in Deutschland sehr selten
geworden, nachdem die weitaus grösste Zahl derselben in
meinen Acta Pontificum Romanorum mitgetheilt ist. In
diesen finden sich auch mehrere Stücke aus dem Staats-
archive in Coblenz, doch fehlen darin die drei hier ge-
gebenen, und zwar aus folgenden Gründen. Während ich
für die Acta sammelte, waren diese Urkunden neben an-
deren werthvollen Diplomen im Besitze des Gastwirthes
Tier in Zell an der Mosel. Ich sprach ihm die Bitte aus,
mir seine Papsturkunden zu schicken, erhielt jedoch zur
Antwort, dass er sie nicht senden könne, dass sie mir aber
in seinem Hause zur Verfügung stünden. Da die Reise
von Tübingen nach Zell für mich zu weit war, verzichtete
ich auf dieselbe. Inzwischen hat im Jahre 1891 der da-
malige Director der preussischen Staatsarchive, Herr von
Sybel, auf Betreiben des Herrn Staatsarchivars Dr. Becker
die Urkunden des Herrn Tier für das Archiv der mittel-
rheinischen Länder in Coblenz angekauft, unter dessen Be-
ständen sie sich jetzt wohlgeborgen befinden. Herr Dr.
Becker hatte die Güte, mir die Schriftstücke nach Berlin
zu senden und mir durch Mittheilungen nützlich zu sein,
wofür ich ihm hiemit meinen Dank ausspreche.
Es handelt sich um ein Original des Augustiner -
Chorherrenstiftes Springiersbach bei Alf a. d. Mosel vom
18. Mai 1147, und um zwei des Benedictiner -Nonnenklosters
ad Horreum, Oeren (St. Irminen) in Trier, vom 20. April
1148 und vom 27. Mai 1152. Von diesen Urkunden
ist namentlich die des 18. Mai durch ihren reichen
Inhalt interessant, der sich die vom 27. Mai würdig an-
reiht, während die vom 20. April mehr dem üblichen
Wortlaute der päpstlichen Privilegien entspricht. Die drei
Bullen sind aus Goerz, Mittelrheinische Regesten II, S. 704,
705 in den Nachtrag der zweiten Auflage von Jaffe's Reg.
Drei rheinische Papsturkunden. 1147 — 1152. 359
Pont. Eom. als n. 9053 a. 9248 a. 9583 a übergegangen. Be-
achtenswerth erscheint bei der vom 18. Mai die Menge
Schreibfehler, welche darauf deutet, dass der Schreiber
mit dem Lateinischen nicht auf bestem Fusse stand. Dies
fällt nicht zum wenigsten deswegen auf, weil es sich um
eine gute Kanzleihand handelt, die auch andere Bullen
geschrieben hat. Eine Urkunde Innocenz' II. für Springiers-
bach ist Jaffe Reg. 8346 falsch zum 22. Februar 1143 an-
gesetzt, während sie zum 24. April gehört. Das Datum
lautet auf dem Originale : 'Datum Laterani, per manum
Gerardi, sanct§ Roman^ ecclesi§ presbiteri cardinalis ac
bibliothecarii. VIII. kal. Madii. Incarnationis dominic§
anno MCXLIII. Indictione VI. Pontificatus vero domni
Innocentii pape anno XIII'.
Bei dieser Gelegenheit mag auf drei Breven aus
Aosta verwiesen werden, welche in Jaffe -Löwenfeld fehlen,
obwohl sie bereits in I. A. Duc, Esquisses Historiques des
eveques d' Aosta (Aoste 1885) I, p. 247. 254. 256 gedruckt
sind, freilich fehlerhaft, wie ich bei meinem Aufenthalte
in Aosta vor 9 Jahren feststellen konnte.
1 152 Januar 15. Eugen III. verbietet, dass kein Bischof
von Aosta Besitzthümer der Domkirche von Aosta ohne
Zustimmung des Capitels entfremden dürfe. — 'Quoniam
universalis ecclesie. — Datum Signie, XVIII. kl. Febr.'
Im Datum stand ursprünglich XVII, eine dritte I mit
anderer Tinte nachgemacht; die beiden letzten I gehen
geschwänzt unter die Linie. — Original im Capitelarchive
zu Aosta. Pergament italienisch, breit 0,14, lang 0,13,
unten ca. 0,017 umgeschlagen, durch zwei Löcher ging die
Schnur, welche mit dem Bleisiegel verloren ist. Von dieser
und der folgenden Urkunde besitze ich eine Abschrift, die
ich zur Verfügung stelle. Vergl. auch J.-L. 9532. 9533.
1176 März 21. Alexander III. bestätigt die Beilegung
des Streites zwischen dem Domcapitel und dem Bischöfe
von Aosta durch den Erzbischof von Tarentaise. — 'Cum
inter vos. — Datum Anagnie, XII. kl. Aprilis'. Wegen des
Datums vergl. J.-L. 12689. Or. im Capitelarchive zu Aosta. —
Pergament italienisch, breit 0,23, lang 0,21, unten ca. 0,02
umgeschlagen, durch zwei Löcher geht die rosa und
grünlichgelbe Seidenschnur, an der das Blei hängt. Bis
'super hoc' helle Tinte, 'rationabili' dunkelbraune, 'Provi-
dentia statutum est et' wieder die helle, der Rest mit der
braunen Tinte geschrieben. — Es handelte sich in dem
Streite 'super quibusdam ecclesiis' um die Pfarreien Cha-
tillon und Jovensan, vergl. Duc, Eveques I. p. 104.
360 Julius V. Pflugk-Harttung.
(1171 — ) 1179 Januar 13. Alexander III. bestätigt dem
Domcapitel von Aosta den Erlass Bischof Arnulfs von
Aosta, demzufolge der Propst ohne Zustimmung des Capitels
weder Güter vergaben noch Bedienstete anstellen darf. —
'Pervenit ad nos. — Dat Tusculani, Id. lan.' Nach der
allgemeinen Sachlage ziemlich sicher 1179 Januar 13. —
Abschrift des 18. Jh. im Capitelarchive zu Aosta.
Papst Eugen III. bestätigt dem Abte Richard von
Springirsbach und den übrigen Aebten derselben
Gesellschaft ihre Einrichtungen und verleiht deren
Genossenschaft Regeln.
1147 Mai 18.
Eugenius episcopus, servus servorum dei, dilectis filiis
Richardo, abbati de Sprinchiresbach, ceterisque abbatibus
eiusdem ordinis et societatis canonice substituendis, in per-
petuum. Religiosis desideriis dignum est, facilem prebere
consensum, ut fidelis devotio celerem sortiatur effectum.
Eapropter quoniam per Operationen! sancti Spiritus in eccle-
siis vestris fervor canonici ordinis acceptabiliter custoditur,
j)lacnit nobis, consuetudines bonas, quas deo inspirante iam
rationabili Providentia inter vos ordinastis sive in posterum
ordinabitis, privilegii nostri auctoritate firmare, ut eas nulli
liceat temere perturbare aut infringere, et nt omnes eccle-
sie, que a vobis institute sunt, aut in posterum secundum
ordinem et consuetudinem vestram instituende, sive que
earundem consuetudinum servandarum vobiscum societatem
inierint, unanimiter secundum vestrum tenorem*' et con-
suetudinem vivant, et ut his, que a vobis communiter ob-
servantur, nulli liceat, aut demere quicquam, aut addere,
aut immutare, nisi communi consensu et diffinitione. Ut
autem inviolabiliter hec a vobis conservari queant, statui-
mus, ut omnium ecclesiarum, que sunt vestre societatis pre-
lati, ubi vobis oportunum visum fuerit, semeP in anno in
unum ad capitulum conveniant, quatinus ibi pari consensu,
que corrigenda de ordine emerserint", corrigantur et qug
supplenda vel adicienda addantur et cetera ad utilitatem
et honestatem communem pertinentia. Si quis vero abba-
tum vestrorum illic vel de persona sua vel de ordinis sui
transgressione "^ notatus vel ac(c)usatus fuerit, humiliter rea-
tum suum confiteatur et postulata venia secundum iudicium
a) Es steht 'tenerem'. b) Es stand 'sesemel', das erste *se' 'weg-
radiert, c) Es steht 'emerserint de ordine', durch zwei Striche vor dem
ersten 'e' und über 'de' die Wortversetzung angedeutet. d) trangresione.
Drei rheinische Papsturkunden. 1147 — 1152. 361
fratrum suorum dignam satisfactionem^ exsolvat. Si autem
aliquis contumax extiterit et, a fratribus suis monitus, cul-
pam suam nullatenus emendare voluerit, per duos vel tres
abbates de vestro ordine episcopo, in cuius parrochia est,
culpa illius exponatur, et per illum iterum cum predictis
abbatibus de correctione sua admoneatur. Quod si nee sie
correctus fuerit, ne et sibi et gregi commisso pernitiosus
existat, secundum consilium eorundem abbatum, per quos
culpa eins innotuit, ab episcopo suo deponatur, et alium
in locum illius secundum liberam fratrum eiusdem eccle-
sie^ electionem, qui eisdem digne preesse valeat, subrogetur.
Depositus autem ad ecclesiam, unde assumptus*^ est, rever-
tatur. Prohibemus etiam, ut nuUi umquam fratrum vestro-
rum post factam professionem absque libera abbatis sui et
fratrum licentia liceat, ecclesiam, in qua professionem*^
fecit, relinquere et ad aliam pertransire. Nee aliquis epi-
scoporum, abbatum, priorum vel aliqua persona® eum reti-
nere presumat, sed tamquam sue prof essionis ^ prevaricator
redire ad locum proprium compellatur. Porro ordo canonicus,
qui per dei gratiam secundum regulam beati Augustini ^ in
ecclesia vestra noscitur institutus, perpetuis ibi temporibus
inviolabiliter conservetur. Id ipsum autem et de bis, que
per vos in posterum, divina cooperante dementia, in regu-
lari ordine fuerint institute, firmiter observari decernimus.
Preterea quieti et hutilitati vestre in posterum providen-
tes apostolica auctoritate prohibemus, ut abbates de
vestro conventu nullum militem vel aliquem alium in
hominium suscipiant, vel bona ecclesiarum in beneficium'*
cuiquam tribuant. Hec igitur et alia, que secundum deum
communi assensu tenenda ammodo decreveritis, ad honorem
sanct§ ecclesi§ et religionis augmentum auctoritate beati
Petri, apostolorum principis ^ , et nostra confirmamus et rata
esse precipimus. Si quis autem huic nostre constitutioni*^
temerario ausu contraire temptaverit, nisi reatum suum
secundo tertiove commonitus congrue emendaverit, domi-
nici corporis et sanguinis participatione privetur. Conser-
vantes autem intercedentibus beatorum apostolorum Petri
a) Das zweite 's' ist übergeschrieben. b) 'ecclesie eiusdem', durch
zwei Striche je über den ersten 'e' die Umsetzung angedeutet. c) Es
stand 'assumptur', das 'r' wegradiert, über das 'u' ein 's' gesetzt. d) 'prof-
fessionem. e) 'persana', aus dem ersten 'a' durch Correctur ein 'o' ge-
macht, f) 'proffessionis', im ersten 'o' radiert. g) 'August' auf Rasur,
es stand 'Benedicti'. h) Ursprünglich 'beneficiunt' das 't' radiert. i) 'prin-
cipi' ; es stand am Ende ein 'm' zum 'i' radiert. k) Es stand 'consti-
tutionis', das 's' am Ende wegradiert.
362 Julius V. Pflugk-Harttung.
et Pauli meritis omnipotentis dei gratiain consequantur.
Amen. Amen. Amen.
(E) Ego Eugenius catholic^ §cclesi§ episcopus ss. (M).
t Ego Albericus Ostiensis episcopus ss.
f Ego Imarus Tusculanus episcopus ss.
— f Ego Guido presbiter cardinalis tit. sancti Grisogoni ss.
f Ego Hubaldus presbiter cardinalis tit. sanctorum lo-
hannis et Pauli ss.
t Ego Guilbertus indignus sacerdos tit. sancti Marci ss.
t Ego lulius presbiter cardinalis tit. sancti Marcelli ss.
— t Ego Otto diaconus cardinalis sancti Georgii ad Velum
aureum ss.
f Ego Octavianus diaconus cardinalis sancti Nicholai in
carcere Tulliano ss.
t Ego Johannes Paparo diaconus cardinalis sancti Adrianiss.
Datum per manum Hugonis , presbiteri cardinalis,
agentis vicem domni Guidonis, sancte Romane ecclesi§ dia-
coni cardinalis et cancellarii. Parisius, XV. kal. lunii. In-
dictione X. Incarnationis dominice anno MCXLVII. Pon-
tificatus vero domni '^ Eugenii^ pape III. anno III.
Pergament nicht italienisch, doch auf italienische Art
verarbeitet, breit 0,48 — 0,485, lang 0,52 — 0,525, unten 0,03
umgeschlagen, durch 2 Löcher geht die dunkelgelbe Seiden-
schnur, an der das Bleisiegel n. 4 (Specimina Tab. 136 n. 7)
hängt.
Papst Eugen III. nimmt das Kloster S. Maria zu Trier
(Oeren) in seinen Schutz, genehmigt ihm die er-
neuerte Regel des heiligen Augustin und bestätigt
seine Besitzthümer.
1148 April 20.
Eugenius episcopus, servus servorum dei, dilectis in
Christo filiabus Lucardi'', monasterii sancte Marie Treveren-
sis, eiusque sororibus tam presentibus quam futuris, regulärem
vitam professis, in perpetuum. Religiosam vitam eligen-
tibus sollicita nos oportet consideratione prospicere, ne ali-
cuius necessitatis occasio aut desides faciat, aut, quod absit,
robur conversationis infringat. Quocirca, dilecte in domino
filie, vobis et ecclesie vestre utilitati clementer providere
volentes, eandem ecclesiam sub beati Petri et nostra pro-
a) 'donni'. b) Hinter 'Eugenii' Punkt, der weggewischt ist.
c) Hier fehlt die Bezeichnung, wahrscheinlich 'magistre' (vgl. die folgende
Urkunde), wohl übersehen, weil sie auch mit 'm' wie 'monasterii' beginnt.
Drei rheinische Papsturkunden. 1147 — 1152. 363
tectione suscipimus et presentis scripti privilegio coinmu-
nimus. Statuentes, ut iuxta providentiam et dispositionem
Riccardi, Sprenkirbacensis abbatis, eiusque successoris, douec
apud eos canonicus ordo viguerit, religio secundum beati
Augustini regulam in vestra ecclesia reformetur et auctore
domino conservetur. Quascumque preterea possessiones,
quecumque bona ex dono Dagoberti regis et filie eins vel
aliorum dei fidelium seu alio modo eadem ecclesia iuste
et canonice possidet aut in futurum iustis modis deo pro-
pitio poterit adipisci, firma vobis et his, que post vos succes-
serint, et illibata permaneant. Decernimus ergo, ut nulli
omnino hominum liceat, prefatum monasterium temere per-
turbare aut eius possessiones auferre vel ablatas retinere,
minuere seu quibuslibet molestiis fatigare, sed omnia integra
conserventur, earum pro quarum gubernatione et susten-
tatione concessa sunt, usibus omnimodis profutura, salva
sedis apostolice auctoritate et Treverensis archiepiscopi
canonica iustitia. Si qua igitur in futurum ecclesiastica
secularisve persona banc nostre constitutionis paginam sciens
contra eam temere venire temptaverit, secundo tertiove
commonita, si non satisfactione congrua emendaverit, pote-
statis honorisque sui dignitate careat, reamque se divino
iudicio existere de perpetrata iniquitate cognoscat, et sacra-
tissimo corpore ac sanguine dei et domini nostri lesu
Christi aliena fiat, atque in extremo examine districte ulti-
oni subiaceat. Cunctis autem eidem loco iusta servantibus
sit pax domini nostri lesu Christi, quatinus hie fructum
bone actionis percipiant et apud districtum iudicem premia
eterne pacis inveniant. Amen. Amen. Amen.
(E) Ego Eugenius catholice ^cclesie episcopus ss. (M).
t Ego Imarus Tusculanus episcopus ss.
— t Ego Hubaldus presbiter cardinalis tit. sancte Pra-
xedis SS.
t Ego Hubaldus presbiter cardinalis tit. sanctorum lo-
hannis et Pauli ss.
t Ego lulius presbiter cardinalis tit. sancti Marcelli ss.
f Ego Wido presbiter cardinalis tit. Pastoris ss.
f Ego Bernardus cardinalis et presbiter tit. sancti Cle-
mentis ss.
— t Ego Oddo diaconus cardinalis sancti Georgii ad
Velum aureum ss.
t Ego Octavianus diaconus cardinalis sancti Nicholai in
Carcere Tulliano ss.
t Ego Gregorius diaconus cardinalis sancti Angeli ss.
364 Julius V. Pflugk ■ Harttung.
t Ego lacintus diaconus cardinalis sancte Marie in Cos-
mydjn ss.
Datum Catalauni, per manum Guidonis, sancte Romane
ecclesie diaconi cardinalis et cancellarii. XII. kal. Madii.
Indictione XI. Incarnationis dominice anno MCXLVIII.
Pontificatus vero domni Eugenii III. pape anno IUI.
Pergament nicht italienisch, aber auf italienische Art
bearbeitet, breit 0,44, lang 0,50 — 0,505, unten 0,022 um-
geschlagen, durch drei Löcher geht eine jetzt weissliche,
ursprünglich wohl goldgelbe Seidenschnur, an der das Blei-
siegel n. 4 (Specim. Tab. 136, n. 7) hängt.
Papst Eugen III. nimmt die Kirche S. Maria zu Oeren
(in Trier) in seinen Schutz, bestimmt ihr Verhältnis
zur Mutterkirche Springiersbach, trifft sonstige Be-
stimmungen und bestätigt ihre Besitzthümer.
1152 Mai 27.
Eugenius episcopus, servus servorum dei, dilectis in
Christo filiabus Offiti§, magistr^ ecclesi^ beate Marig ad
Horreum, eiusque sororibus tam presentibus quam futuris,
canonicam vitam professis, in perpetuum. Quoniam sine
vere cultu religionis nee ecclesia potest salva subsistere
nee gratus deo famulatus impendi, beneplacentem deo reli-
gionem statuere et stabilitam exacta nos convenit diligentia
conservare. Eapropter, dilect§ in domino filig, conservationi
ac profectui religionis vestr§ pro nostri offitii debito pro-
videre volentes, ad petitionem dilecti filii nostri Ricardi,
Sprenkirbacensis abbatis, ecclesiam beat§ Mari§ ad Horreum,
in qua divino estis famulatui mancipat^, sub beati Petri
et nostra protectione suscipimus et presentis scripti patro-
cinio communimus. In primis siquidem statuentes, ut ordo
canonicus, qui secundum dei timorem et beati Augustini
regulara ibi auctore domino institutus esse dinoscitur, per-
petuis ibidem temporibus inviolabiliter couservetur. Pre-
terea quascunque possessiones, qugcunque bona eadem
ecclesia in presentiarum iuste et canonice possidet aut in
futurum concessione pontificum, largitione regum vel prin-
cipum, oblatione fidelium seu aliis iustis modis, prestante
domino, poterit adipisci, firmavobisvestrisque succedentibus*^
et illibata permanea(n)t. IJt autem et statuta in ecclesia
vestra religio et res ad sustentationem vestram et earum,
qu^ post vos successerint, futuris temporibus illibata ser-
a) 'denti' auf Rasur.
Drei rheinische Papsturkunden. 1147 — 1152. 365
ventur, presenti capitulo decrevimus adiungendum, ut semper
ad Spenkirbacensein ecclesiam tanquam ad matrem eccle-
siam ipsa respitiat, et ab ea disciplinam et correctionem
accipiat, a qua studio et Providentia nostra precipue ante-
dict§ regule sunisit exordium. Sprenkirbacensis autem eccle-
sia omnimodam de vobis in domino sollicitudinem gerat
et fratres, ad custodiam vestram inde transmissi, res eccle-
si§ cum consilio magistrg vestr§, qu§ pro tempore fuerit,
salubriter conservent atque disponant. Sorores vero, famu-
latibus divinis intent§, infra claustri ambitum se contineant,
unde nulla detur eis egrediendi facultas, nisi magistra eas
ad alia regularia claustra previderit transmittendas, ut ibi,
qu§ salubria fuerint, doceantur aut doceant, vel sacrum
velamen et confirmationis donum suscipiant. Preterea uti-
litati vestr§ promtum cupientes impertiri consultum apo-
stolica auctoritate statuimus, ut parrochiales ecclesi§ vestr§,
cum eas vacare contigerit, idoneis presbiteris aut etiam
dyaconibus, qui ad presbiteratus offitium sint in proximo
promovendi, solum modo concedantur, et servata eis illa
parte decimarum, quam vetus consuetudo provinti§ vestr§
ipsorum usibus deputavit, reliquum earundem decimarum
ad usus congregationis vestr§ libere revertatur. Hoc quoque
capitulo presenti subiungimus, ut ex hoc nunc ab ecclesia
vestra nuUum benefitium alicui tribuatur, et si aliquod
eorum, qu§ hactenus sunt concessa, eo^, qui exinde im-
benefitiatus est, absque successore legitimo decedente va-
cuum remanere contigerit, ad usus vestri collegii absque
contradictione aliqua revocetur''. Decernimus ergo, ut
nulli omnino hominum liceat, prefatam ecclesiam temere
perturbare, aut eins possessiones auferre, vel ablatas reti-
nere, minuere, seu aliquibus vexationibus fatigare, sed in-
concussa omnia et integra conserventur eorum, pro quorum
gubernatione ac sustentatione concessa sunt, usibus omni-
modis profutura, salva dyocesani episcopi canonica iustitia.
Si qua igitur in futurum ecclesiastica secularisve persona
hanc nostr^ constitutionis paginam sciens contra eam te-
mere venire temtaverit, secundo tertiove commonita, nisi
presumtionem suam congrua satisf actione correxerit, po-
testatis honorisque sui dignitate careat, reamque se divino
iuditio existere de perpetrata iniquitate cognoscat, et a
sacratissimo corpore ac sanguine dei et domini redemtoris
nostri lesu Christi aliena fiat atque in extremo examine
district^ ultioni subiaceat. Cunctis autem eidem loco sua
a) Auf Rasur. b) 'vocet' auf Rasur.
366 Julius V. Pflugk-Harttung.
iura servantibus sit pax domini nostri lesu Christi, qua-
tenus et hie fructum actionis bonf percipiant et apud
supremum iudicem premia §tern^ pacis inveuiant. Amen.
Amen. Amen,
(R) Ego Eugenius catholic§ ecclesie episcopus ss. (M).
t Ego Ymarus Tusculanus episcopus ss.
t Ego Hugo Hostiensis episcopus ss.
— t Ego Gregorius presbiter cardinalis tit. Calixti ss.
t Ego Hubaldus presbiter cardinalis tit. sanct§ Praxedis ss.
f Ego Manfredus presbiter cardinalis tit. sancte Savin§ ss.
t Ego Octavianus presbiter cardinalis tit. sanct^ Cecili§ ss.
t Ego Cencius presbiter cardinalis tit. in Lucina ss.
f Ego Henricus presbiter cardinalis tit. sanctorum Nerei et
Achillei ss.
f Ego lohannes presbiter cardinalis tit. Equitii ss.
— t Ego Otto diaconus cardinalis sancti Georgii ad Velum
aureum ss.
f Ego Radolfus diaconus cardinalis sancte Luci§ in Septa
solis SS.
t Ego lacintus diaconus cardinalis sancte Marie in Cos-
mydyn ss.
t Ego lohannes diaconus cardinalis sanctorum Sergii et
Bachi SS.
Datum Signie, per manum Bosonis, sanct§ Eoman§
ecclesi^ scriptoris. VI. kal. lunii. Indictione XV. Incar-
nationis dominic§ anno MCLII. Pontificatus vero domni
Eugenii pape III. anno octavo.
Pergament italienisch, breit 0,44 — 0,445, lang 0,695,
unten 0,018 — 0,032 (rechts breiter) umgeschlagen, durch
zwei Löcher geht eine ursprünglich rosa, jetzt bräunliche
Seidenschnur, an der das Bleisiegel n. 10 (Specim. Tab. 137
n. 1) hängt.
Nachrichten.
1. In den Abhandlungen der Berliner Akademie ist
die Gedächtnisrede gedruckt, die E. Dümmler in der
Sitzung der Akademie vom 30. Juni 1898 auf Watten-
bach gehalten hat. Auch auf den Necrolog von P. Kehr
in den Geschäftlichen Mittheilungen der Göttin ger Gesell-
schaft der Wissenschaften 1898 S. 67 ff. und auf den von
C. Eodenberg in der Allg. deutsch. Biogr. XLIV, 439 ff.
entworfenen Lebensabriss sei hier hingewiesen.
2. Aus dem Kreise unserer Mitarbeiter ist am 17. Juni
d. J. der Geh. Regierungsrath und Gymnasial director a. D.
Dr. Wilhelm Schmitz in Köln dahingeschieden. Geboren
zu Calcar am 2. Aug. 1828 wirkte er seit 1855 an verschie-
denen höheren Lehranstalten der Rheinprovinz und stand
von 1868 bis 1895 erst als Rector, dann als Director an
der Spitze des K. Wilhelmsgymnasiums zu Köln. Seine
wissenschaftliche Thätigkeit war seit langen Jahren vor-
zugsweise der Erforschung der römischen Tachygraphie ge-
widmet, um die er sich die grössten Verdienste erworben
hat, wie er denn auch in der Entzifferung der tironischen
Notenschrift zu einer bis dahin kaum erreichten Meister-
schaft gelangte. Um die Mon. Germ, hat er sich nament-
lich durch die Ausgabe der Monum. tachygraphica cod.
Paris, lat. 2718 (Hannover 1882) verdient gemacht, und auf
seinen Lesungen beruht zum grossen Theil K. Zeumers Aus-
gabe der Formulae imperiales. Zu unserer Zeitschrift hat
er seit dem 11. Bande eine Reihe werthvoller Mittheilungen
beigesteuert, und die im 3. Heft des 23. Bandes abgedruckte
Miscelle dürfte zu den letzten Arbeiten gehören, die der
verewigte Gelehrte veröffentlicht hat.
3. Am 1. Juni ist Hr. Dr. Otto Cartellieri aus
Cassel bei der Abtheilung Scriptores der MG. als Mit-
arbeiter eingetreten. E. D.
368 Nachrichten.
4. Erschienen ist: In der Abtheilung Auetores anti-
quissimi: T. XIII. pars IV. (Berlin, Weidmann 1898), ent-
haltend die von J. Lucas bearbeiteten Indices zu den
drei Bänden der Chronica minora saec. IV. — VII.
Von den Scriptores rer. Germanicarum in usum
scholarum ex Mon. Germ, recusi : die neue Ausgabe der
Vita S. Severini des Eugippius, herausgegeben von
Th. Mommsen (Berlin, Weidmann 1898).
5. Von der zweiten Gesammtausgabe der 'Geschicht-
schreiber der deutschen Vorzeit' ist der 2. Band der Jahr-
bücher von Genua erschienen. Holder-Egger hat
der Uebersetzung Grandaurs ein Register und zahlreiche
Berichtigungen und Ergänzungen, die nicht übersehen
werden dürfen, hinzugefügt.
6. Von den Jahresberichten der Geschichtswissenschaft
ist der 19., die Litteratur des Jahres 1896 umfassende Band
erschienen.
7. Das 'Handbuch der Quellenkunde zur Deutschen
Gesch. bis zum Ausgange der Staufer' von Prof. Vild-
haut in Hagenau (Arnsberg 1898) verfolgt keine eigentlich
wissenschaftlichen Zwecke, da es aller literarischen Nach-
weise ermangelt, sondern will nur unter Zurückgreifen auf
die römisch -germanische Zeit, besonders für die Benutzer
der Geschichtschreiber der Deutschen Vorzeit einen orien-
tierenden Ueberblick über unsere geschichtliche Literatur
geben. E. D.
8. Im 46. Band der Denkschriften der Wiener Akademie
bespricht M. Büdinger die wichtigsten mittelalterlichen
Universalhistoriker von Africanus bis auf Otto von
Freising, indem er ihre Auffassung und Arbeitsweise, ihre
Art der Quellenbenutzung, ihre Fähigkeit zur historischen
Kritik und ihre Darstellungskunst kurz zu charakterisieren
versucht. Nicht immer sind die neuesten Arbeiten voll-
ständig benutzt worden; so vermisse ich bei Beda die Be-
rücksichtigung der Ausgabe Mommsens (Chron. minora III,
225 ff.), die doch schon 1895 erschienen ist, und bedauere,
dass B. von meinen Untersuchungen über die früher dem
Ekkehard von Aura zugeschriebene Chronik keine Notiz
genommen hat. Auf Büdingers Beurtheilung der be-
sprochenen Schriftsteller kann hier natürlich im einzelnen
nicht eingegangen werden.
9. B. Czapla, Gennadius als Litterarhistoriker
(Kirchengeschichtl. Studien IV, 1; Münster, Schoeningh 1898)
Nachrichten. 369
wiederholt den über de viris illustribus nach dem
von Riehardson in 'Texte und Untersuchungen' XIV ge-
botenen Texte und unterzieht jedes Capitel einer um-
fassenden kritischen Analyse, deren Ergebnisse im 2. Ab-
schnitt zu einer Beurtheilung der Persönlichkeit des Gen-
nadius und des Werthes seines für den Semipelagianismus
parteiisch gefärbten, 491 — 494 vollendeten Kataloges zu-
sammengefasst werden. — In Heft IV, 2 derselben Sammlung
behandelt G. von Dziatowsky in analoger Weise Isidor
und Ildefons als Litterarhistoriker, von denen jener durch
Unselbständigkeit und Flüchtigkeit, dieser durch seine offen-
kundige Tendenz, dem Ruhm Toledo's zu dienen die Be-
deutung ihrer hier nach Arevalo abgedruckten Kataloge
wesentlich gemindert haben. D. spricht sich entschieden
für die Echtheit der noch von Ebert als späterer Zusatz
bezeichneten 12 Capitel des Isidor aus. S. 87 ff. enthält
ein Verzeichnis der Hss. des zwischen 604 und 615 ent-
standenen Isidorkataloges. H. Bl.
10. In einer neuen Zeitschr. 'Le bibliographe moderne'
forscht A. Ingold den Schicksalen von Hss. elsässischer
Klöster und Ordensniederlassungen nach und behandelt
in den beiden ersten Bänden Mss. der Abteien Maurs-
münster, Murbach, Münster, S. Eides, Lützel, Neuburg,
Pairis , Marbach , sowie solche der Augustiner und der
Antoniten von Isenheim. — Ebenda I, 295 ff., druckt
U. Berliere einen von Pierre le Court im 18. Jh. auf-
gestellten Katalog der jetzt verstreuten Bibliothek von
S. Vannes zu Verdun. H. Bl.
11. L. Frati hat einen Katalog über die Codici
Morbio der k. Bibliothek zu Mailand, 156 Hss., die sich
grösstentheils auf die Geschichte der Lombardei beziehen,
in der Sammlung Mazzatinti's herausgegeben (Forli, Bor-
dandini 1897).
12. Der Schluss des von F. Filipin ni herausgegebenen
Inventars des EB. PetrocinusJ von ßavenna (Studi
storici VI, 473 ff.; vergl. N. Archiv XXIII, 264 n. 9) ent-
hält nur wenige nicht belangreiche Bücher. H. Bl.
13. Steinmeyers Ahd. Glossen — ein Werk staunens-
werthen Fleisses — haben soeben mit dem 4. Bande ihren
Abschluss erreicht. Auf die darin enthaltene Beschreibung
der Hss., welche über 300 Seiten füllt, sei hier besonders
hingewiesen, weil dieselbe, durchweg auf eigener Unter-
suchung beruhend, über den gesammten Inhalt der benutzten
Neues Archiv etc. XXIV. 24
370 Nachrichten.
genaue Auskunft giebt und sogar manche kleinere Stücke
gelegentlich zum Abdruck bringt, durch ein Register über
alles sorgfältig orientierend. Ich erwähne u. a. die Bibli-
othekskataloge von Baum garte nberg und B e u r -
berg, lateinische Sprüche an mehreren Orten, den historisch
mehrfach interessanten vor 1139 abgefassten Mahnbrief
eines Bamberger Geistlichen, der nach S. Georgenberg ge-
richtet wurde, eine bisher unbekannte Hs. des Conflictus
lini et ovis u. s. w. Der Verfasser hat sich nicht bloss be-
gnügt, auf diese Stücke hinzuweisen, sondern öfter auch
Vergleichungen des Textes hinzugefügt. Räthselhaft bleibt
der jüdische, aber zum Christenthum bekehrte Astronom
Heremann einer Bamberger Hs. So bieten diese Mit-
theilungen eine wahre Fundgrube für die Culturgeschichte.
E. D.
14. Dem 17. Jahresbericht der Gesellschaft für Rhei-
nische Geschichtskunde ist eine weitere Fortsetzung der
von A. Tille bearbeiteten Uebersicht über den Inhalt der
kleineren Archive der Rheinprovinz beigegeben, vgl.
N. A. XXIII, 267 n. 17. Sie betrifft die Kreise Bonn,
Rheinbach und Euskirchen. Das Archivinventar des Bonner
St. Cassiusstifts bietet Regesten von 1110 an, ein Archiv-
register des Stiftes Vilich solche von c. 1156 an; auf der
Burg Vilich befindet sich im Besitz des Herrn E. v. Ciaer
eine reiche Sammlung rheinischer Archivalien des 13. bis
16. Jh., deren Regesten mitgetheilt werden. Bis ins 12. Jh.
gehen die Archivbestände des kathol. Pfarramtes Buschhofen,
bis ins 13. u. a. diejenigen der Grafen Wolff-Metternich
auf Schloss Gracht bei Liblar und des kathol. Pfarramts
Zülpich zurück.
15. Aus der für die Geistesgeschichte des Mittel-
alters nicht unwichtigen Untersuchung von K. Rück über
mal. Excerpte aus Plinius (SB. der Münch. Akad. Phil.-
hist. Klasse 1898) seien S. 254 f. die Bemerkungen hervor-
gehoben, die auf Beziehungen zwischen Reichenau und der
Schule von Tours hinweisen. H. Bl.
16. In den Studi storici VII, 3 ff. berichtet F. G.
Manacorda über ein Bruchstück einer Hs. der Varien
Cassiodors (saec. XII./XIII.), früher im Besitz des
Canonicus Gatti, jetzt des Vf., dessen Lesungen nach seinen
Angaben eine weitgehende Uebereinstimmung mit denen
der Ausgabe des Accursius zeigen.
17. In Ecole pratique des Hautes Etudes Section des
Sciences historiques et philologiques Annuaire 1898 S. 5 bis
Nachrichten. 371
23 handelt A. Carriere über Gregor, Hist. Franc. IV, 40.
Die Charakteristik Justins II. stimme mit orientalischen Be-
richten überein. Sigiberts sonst nicht überlieferte Gesandt-
schaft nach Constantinopel lasse sich nur durch die Thronbe-
steigung Justins und Sigiberts Tod zeitlich bestimmen.
Heber den Kriegszug der Perser nach Syrien sei Gregor
gut, obschon nicht genau unterrichtet; er erwähne die Be-
gebenheit wegen des hl. Julianus, Histor. III, 12. Auch
die Erzählung über die Persi Armeni werde durch eine
orientalische Quelle bestätigt. Diese Mittheilungen, welche
Gregor früher als die übrigen Berichterstatter giebt, habe
er wohl von einem Mitgliede jener Gesandtschaft nach
Byzanz, am ehesten von seinem Landsmann Firminus, er-
halten. Die Nachrichten V, 19. 30 verdanke er wohl der
VI, 2 erwähnten Gesandschaft. W. Sickel.
18. Wilhelm Levison, Zur Geschichte des Franken-
königs Chlodowech (Jahrb. des Vereins von Alterthumsfr.
im Rheinl. 103, S. 42-T-86) bestreitet, wie ich, den Zu-
sammenhang der Taufe mit der Alamannenschlacht, be-
zieht aber mit Kurth die Stellen in dem Briefe des
Nicetius auf ein blosses Versprechen des Königs, sich in
der Martinskirche in Tours taufen zu lassen, und setzt nun
die Taufe selbst wieder nach Reims. Die örtliche Scheidung
des Gelübdes von der Taufhaadlung stützt sich auf die
handschriftliche Lesart (Ep. III, p. 122, 5): 'baptizare se
sine mora promisit', wo schon die altern Herausgeber
'permisit' ändern und der jüngste bemerkt, dass 'pro' für
'per' in der Hs. noch öfter verschrieben ist. Die chrono-
logische Schwierigkeit, welche die Martinskirche schafft,
sucht L. sehr glücklich zu heben durch den Hinweis auf
einen altern Gothenkrieg 496/8 in der Contin. Prosp. Havn.
Im Anhange hat L. die von mir nicht aufgenommene Vita
des Bischofs Solle mnis von Chartres neu herausgegeben,
die er gewiss richtig in die erste Hälfte des 9. Jh. setzt.
Ihrem Inhalte nach dürftig enthält sie von Thatsächlichem
fast nur die Bischofswahl des Heiligen und seine Bekehrung
des Frankenkönigs, welche sie merkwürdiger Weise bereits
mit einem Gothenkriege in Verbindung bringt. Ihre
Tendenz, die Christianisierung Chlodowechs und des Franken-
volkes als das Werk des Bischofs von Chartres hinzustellen,
ist zu plump, als dass sie ernst genommen werden könnte.
Gleichwohl verdiente die Vita durch ihre Originalität die
Neubearbeitung, die ihr jetzt zu Theil geworden ist.
B. Kr.
24*
372 Nachrichten.
19. Von besonderer Bedeutung: sind die Mittheilungen,
die I. Giorgi im Archivio della R. societä Eomana XX,
247 ff. über einige Hss. des Liber pontificalis macht.
Die Biblioteca Laurenziana hat ein Pergamentdoppelblatt
erworben, das in karolingischer oder, wie G. vorschlägt,
'römischer' Minuskel des 9. Jh. ein Bruchstück der Vita
Leonis IV. enthält und einem Codex der von Duchesne
mit E bezeichneten Gruppe angehört; dem Abdruck des
Fragmentes ist das schöne Facsimile einer Seite beigegeben. —
Nach Farfa führt der zweite umfassendere Theil des Auf-
satzes. Von dorther stammen, wie G. nachweist, der
wichtige, eingehend beschriebene cod. Casanatens. 2010, der
cod. Vat. 3764 und sehr wahrscheinlich auch der cod. Vat.
3761 ebenso wie jene Hs., von der uns in den codd. Vat.
296. 766 und im cod. Vat. Pal. 1811 nur Bruchstücke er-
halten sind. In dem cod. 2010 findet G. die Quelle des
Papstkataloges des cod. 3764 und des Chron. Farfense;
und auf dieses von G. veröffentlichte Farfense r Päpste-
verzeichnis gehen mehr oder weniger direkt die fünf
andern italienischen Kataloge des lO./ll. Jh. zurück, die
Duchesne, Liber pontificalis II, p. XVII besprochen hat.
H. Bl.
20. H. G. Voigt, Adalbert von Prag (Westend -
Berlin, Akadem. Buchhandl. 1898) hat, was uns hier allein
angeht, S. 219 ff. zusammengestellt, was über die Schriften
Adalberts und seine Biographieen bekannt ist, und da-
bei auch manche eigene Ansicht, z. B. über die Abfassungs-
zeit der Vita des Bruno und die Passio s. Adalberti,
geäussert. Im Anhang S. 345 ff. druckt er die neuerdings
von Kolberg (vgl. N. Archiv XXIII, 273 n. 48) untersuchte
Praefatio, Prologus und Epilogus der Passio s. Gorgonii
nach einer Photographie der Königinwarter Hs. und schliesst
sich vorsichtig der Meinung Kolbergs an, dass Adalbert
der Verfasser dieser Theile sei ; allerdings geht er insofern
weiter, als er ihrem Schreiber selbst auch die vorliegende
Bearbeitung der Passion zuweisen will (die er, zu seinem
eigenen Bedauern, nicht aus der Hs., sondern nur nach
den Acta Sanctorum neu herausgiebt). H. Bl.
21. In den 'Festgaben zu Ehren Max Büdingers'
S. 179 — 190 handelt G. Meyer von Knonau nochmals
über den Verfasser des Liber de unitate eccl. con-
serv., um mit vollem Rechte die von Mirbt neuerdings zu
Gunsten des Bischofs Walram von Naumburg geltend ge-
machten Gründe zurück zu weisen und bei einem namen-
losen Hersfelder Mönch stehen zu bleiben. E. D.
Nachrichten. 373
22. B. Gigalski, Bruno Bischof von Segni, Abt
von Montecassino (Kirchengeschichtl. Studien III, 4 ; Münster,
Schoeningh 1898) behandelt im 2. Theile der eingehenden
Biographie die schriftstellerische Thätigkeit des durch seine
Opposition gegen Paschais II. Investiturprivileg bekannten
Geistlichen und würdigt sie im Vergleich mit den Exegeten
des 6. — 12. Jh. S. 175 ff. wird der jüngst in der Frage,
ob Hildebrand Mönch gewesen sei, viel erörterte Abschnitt
der Vita Leonis IX. besprochen; S. 184 ff. handeln von
der Schrift 'Desjmoniacis'. H. Bl.
23. In den Schriften der Akademie zu Krakau
Bd. XXXVIl (Krakau 1898) hat S. Kgtrzynski eine neue
Untersuchung über den Autor der Chron. Polonorum
in polnischer Sprache veröffentlicht, deren Inhalt wir aus
dem Anzeiger der Akademie, April 1898, kennen. K. hält
den Chronisten für einen Mönch aus St. Gilles, der auf
Veranlassung des aus demselben Kloster stammenden Bi-
schofs Franco von Posen wahrscheinlich 1109 nach Polen
gekommen, nach dem Tode seines Gönners, um sich die
Gnade polnischer Bischöfe und des Herzogs Boleslav III.
zu erwirken, seine Chronik geschrieben, diesen Zweck aber
nicht erreicht habe. Von den Hss. der Chronik ist nach
K. der Zamojskische Cod. saec. XIV. die mittelbare Quelle
der beiden anderea erhaltenen ; Diugosz aber und Paprockj
haben Hss. einer anderen Classe benutzt.
24. Der 22. Band der Fonti per la storia d'Italia
enthält Hugonis Falcandi liber de regno Sicilie, nach
den Hss. der Pariser Nationalbibliothek herausgegeben von
B. Sirägusa, und den gegen die bisherige Annahme als
unabhängig davon betrachteten Brief Hugos ad Petrum
Panormitane ecclesie thesaurarium, der im Frühjahr 1190
geschrieben sein soll. Drei Lichtdrucke sind beigegeben.
H. Bl.
25. A. Botteghi bringt in den Studi storici VII,
157 ff. nicht unwichtige Gründe dafür, dass B. Maragone
nicht der Verfasser der Ann. Pisani sei, und dass
die unter seinem Namen von Roncioni und Tronci ge-
brachten Nachrichten einem Werk des XIV. oder XV. Jh.
angehören, das aufs nächste mit der von Tartini veröffent-
lichten Chronik verwandt sei. Langers letztes Programm
(vgl. N. A. XXIII, 585 n. 140) war B. noch unbekannt.
H. Bl.
25. In der Collection des documents inedits hat G.
Paris den vollständigen Text der Estoire de la guerre
374 Nachrichten.
sainte des Ambrosius (Carmen de Ricardi regis itinere
in terram sanctam) herausgegeben, von der ein Theil schon
im 27. Bande unserer Scriptores mitgetheilt war.
27. In sorgfältiger, auf hsl. Materialien beruhender
Arbeit hat P. Richter (Westd. Zeitschr. XVII, 41 jff.) die
Schriftsteller der ßenediktinerabtei Maria-Laach be-
handelt. Die ersten litterarischen Erzeugnisse stammen aus
der Mitte des 12. Jh. ; es sind einige von R. gedruckte, z. Th.
schon durch Wattenbach bekannt gewordene Epitaphien.
Dem MA. gehören Henricus Monogallus (saec. XIII. in.)
und der Mönch Wolfram (saec. XIV. in.) an; in den Bei-
lagen werden Heinrichs Relatio de inventione reliquiarum
sowie sein Liber de ortu charitatis und Wolframs für wirth-
schaftsgeschichtliche Fragen nicht uninteressante Gesta
Theoderici abbatis erstmals gedruckt. Von mal. Annales
Lacenses sind nur dürftige Citate auf uns gekommen.
Die 5. Beilage bringt ein 'Verzeichnis der aus der alten
Laacher Bibliothek stammenden Hss. ohne eigenen litte-
rarischen Werth'. H. Bl.
28. Speculum perf ectionis seu S. Erancisci Assi-
siensis legenda antiquissima auctore fratre Leone nuiic
primum edidit P. Sabatier (Paris, Fischbacher 1898).
Ueberzeugend wird in der Einleitung diese werthvolle, im
Speculum vitae (ed. princeps, Parisiis) unbeachtet einge-
schlossene Gabe aus ihrem Inhalt, ihren Beziehungen zu den
übrigen Biographieen des Heiligen und ihrer handschrift-
lichen Ueber lieferung als die älteste von Bruder Leo
1228 verfasste Lebensbeschreibung des hl. Franz erwiesen,
die u. a. auf die Gründung des Ordens und das Eingreifen
der Päpste neues Licht wirft. H. Bl.
29. In der neuen Sammlung der Monumenta ordinis
fratrum Praedicatorum historica sind bisher erschienen:
I. Fratris Gerardi de Fracheto vitae fratrum 1203 —
1254 (Rom, Stuttgart 1897); II, 1. Fratris Galvagni de
la Flamma cronica 1170 — 1333 (1897); III. Acta capi-
tulorum generalium 1220 — 1303 (1898). Sämmtliche
Bände hat B. M. Reichert mit dankenswerthen Ein-
leitungen und Registern (zu I. und II, 1) herausgegeben.
H. Bl.
30. Als ein Zeichen der in den geistlichen Körper-
schaften neu erwachten Liebe für die historische Forschung
begrüssen wir die von den PP. Morini und So alier
herausgegebenen 'Monumenta ordinis Servorum
Nachrichten. 375
sanetae Mariae', I, Brüssel 1897. Es sollen darin die
Denkmäler für den Orden der Serviten (Marienknechte
oder Blancs Manteanx) vereinigt werden, der auch auf
deutschem Boden eine nicht unwichtige Eolle gespielt hat.
Ich erwähne von dem Inhalte die von dem h. Philipp
Benizi (f 1285) um 1280 verfassten Constitutionen des
Ordens, die im Jahr 1317 verfasste Legende über den Ur-
sprung desselben, dessen Verfasser (vielleicht Petrus de
Tuderto) zweifelhaft bleibt, ferner die Mittheilungen über
die Niederlassungen 'in provintia Allamanie', zumal ein
Register von 1486, welches die Namen der Mitglieder und
das Eigenthum der einzelnen Stifter (in Nordhausen, Halle,
Erfurt u. s. w.) verzeichnet, eine eingehende Abhandlung
über das Pariser Collegium mit einem Anhange von Ur-
kunden, die von 1245 — 1687 reichen, endlich Leo's XIII.
Canonisationsbulle für die 7 Stifter von 1888. E. D.
31. Aus einem Berliner Programm des Grauen Klosters
von J. Heidemann (Berlin 1898, n, 51) über die Deutsche
Kaiseridee und Kaisersage im MA. dürfte die Gegenüber-
stellung der Karls- und der Friedrichs sage interessieren.
H. Bl.
32. W. Sievert, Vorleben des Papstes Urban IV.,
imtersucht in einer Beilage (Römische Quartalschrift XII,
152 ff.) die Biographieen des Papstes, die Gregor
Segni vor 1274 (vielleicht 1269/70) und Thierricus
Vallicolor vor 1279 geschrieben haben. H. BL
33. Mit Bezug auf die Notiz im N. A. XXIII, 586
über 'Heinrich von Heimburg als Verfasser der Cro-
nica domus Sarensis' theilt uns H. v. Krone s mit, dass
er bei der Abfassung seines Aufsatzes noch keine Kenntnis
von dem Erscheinen des 30. Bandes der Scriptores hatte,
da dieser erst im Frühjahr 1898 in die Grazer Universitäts-
bibliothek gekommen ist. Während darin Dieterich bei
der Ausgabe der Chronik an Emiers Nachweis, dass Hein-
rich V. H. ihr Verfasser sei, festgehalten hat, war diese
Annahme von Wattenbach (GQ. II '\ 323) nicht berück-
sichtigt und von Lorenz (GQ. I^, 292) zurückgewiesen
worden. Unter diesen Umständen hält K. es für gerecht-
fertigt, 'diese bisher nicht überzeugend gestützte, von ihm
schon früher gehegte Ueberzeugung zu vertreten und über
jeden Zweifel zu erheben'; die Uebereinstimmung mit Die-
terich, so erfreulich sie ihm sei, könne ihn nicht der Auf-
gabe einer Erweiterung und Vertiefung der Argumentation
entheben.
376 Nachrichten.
34. Gegenüber der Annahme von Loserth (vgl. N. A.
XX, 672 n. 252), dass Sigmar der Verfasser der meisten
im 1. Viertel des 14. Jh. in Kremsmünster entstandenen
Geschichtsquellen sei, tritt A. Altin ger in den Mitth. des
Inst. f. österr. Geschichtsf. XIX, 233 ff. wieder für die von
Waitz vermuthete Autorschaft des Bernardus Noricus
ein; er hält nämlich dafür, dass der Kremsmünsterer Keller-
meister Sigmar mit dem gleichnamigen Abt von Lambach
identisch ist, der, wie wir wissen, 1302 aus Kremsmünster
berufen worden ist. H. Bl.
35. Im Trierischen Archiv 1, 59 ff. (s. unten n. 130)
hat Feiten aus einer Trierer Hs. saec. XIV. Ms. 844 (1310),
vgl. Archiv VIII, 598, welche auch Lupoid v. Bebenburgs
Werk De iuribus regni et imperii enthält, die zuerst von
Freher veröffentlichte Informatio super nuUitate proces-
suum papae lohannis XXII. contra Ludovicum Bavarum,
über die zuletzt Theobald gehandelt hat (vgl. N. A. XXIII,
772 n. 243), neu herausgegeben. Sie wird in dieser Hs. als
ein Werk des Minoriten Bonagratia von Bergamo be-
zeichnet ; ihre Abfassungszeit setzt der Herausgeber zwischen
Ende April und Mitte Juni 1340, indem er für den Tod
des Bonagratia das von einer Helmstedter Hs. überlieferte
Datum des 19. Juni 1340 acceptiert.
36. E. Stapper, Das lumen confessorum des An-
dreas Didaci von Randuf (Römische Quartalschrift XI,
271 ff.) stellt u. a. die Beziehungen dieser Schrift zum
Tractat De modis uniendi zusammen, für dessen Ver-
fasser Andreas von Schwab und Anderen gehalten wurde,
ohne dass jene Beziehungen eine solche Annahme erforder-
lich machen. H. Bl.
37. Auf einen mit Unrecht nahezu verschollenen Ge-
lehrten des 15. Jh. hat A. Franz, Der Magister Nico-
laus Magni de lawor (Freiburg, Herder 1898) die Augen
gelenkt. Als Vertreter der Universität Heidelberg nahm
er seit 1416 am Konstanzer Concil Theil; seine dort
gehaltene Rede ist unter den Anlagen, die im übrigen
theologischen Inhalts sind, abgedruckt. H. Bl.
38. Eine einschneidende Kritik der Win deck- Aus-
gabe Altmanns mit einer Fülle einleuchtender Berichti-
gungen zum Text giebt A. Reifferscheid in den Göt-
tinger Gel. Anzeigen 1898, S. 379 ff. In allen wesentlichen
Punkten stimmt er im übrigen den Ausführungen von
A. Wyss (vgl. N. A. XX, 491 n. 146) zu.
Nachrichten. 377
39. In den Festgaben für Büdinger giebt K. Uhlirz
Nachrichten über einzelne zerstreute Notizen und Bruch-
stücke österreichischer Geschichtsquellen: I. Des
Lesemeisters Leopold Epistel zum Lobe Herzogs Al-
brechts III. ; IL Der Appendix zur sogenannten Chronik
des Gregor Hagen (mit Abdruck der von Pez in seiner
Ausgabe übergangenen Stellen); III. Wiener Aufzeichnungen
von li04, 1406, 1437 aus dem von Krones früher kurz be-
schriebenen Cgm. 317. H. Bl.
40. In den Bulletins de la comm. roy. d'hist. de
Belgique, 5. ser. VIII, 199 ff. erweist H. Pirenne im Ge-
gensatz zu H. Moranville, welcher die Chronogra-
phia regum Francorum (Paris 1891 — 1897) neu her-
ausgegeben hat, deren Abhängigkeit von der Compilation
der Chronique de Flandre (vgl. N. Archiv XXII, 588
n. 145). H. Bl.
41. Aus der Dresdener Hs. R. 94 veröffentlicht
L. Schmidt (Zeitschr. f. Thüring. Gesch. und Alterthums-
kunde XVIII, 462 ff.) zum grössten Theil eine bis 1493
reichende Fortsetzung der als Ann. Vetero-Cellenses
bekannten Geschichte der Wettiner (vgl. N. Archiv XXII,
319 n. 34). H. Bl.
42. G. Gaebel hat die beiden hochdeutschen Be-
arbeitungen der Chronik von Pommern des Thomas
Kantzow (Stettin, Niekammer 1898) in getreuer Wieder-
gabe der Hss. veröffentlicht und in der Einleitung die Ent-
stehung und Ueberlieferung seiner Schriften dargelegt. Mir
scheint — wenn man gegenüber solchen entsagungs- und
mühevollen Arbeiten Wünsche überhaupt aussprechen darf — ,
dass der Werth der Ausgaben derartiger später Chroniken
durch eine ins Einzelne gehende Quellenanalyse wesentlich
gehoben würde. H. Bl.
43. G. Seeliger beginnt mit einem Aufsatz 'Volks-
recht und Königsrecht?' (Histor. Viertel] ahrsschrift I, 1 ff.)
den positiven Theil der Untersuchungen, auf denen seine
Schrift über die Capitularien beruhte. Scharfsinnig ent-
wickelt er aus den sog. Volksrechten und der übrigen
Gesetzgebung der Merovingerzeit seine Anschauungen, die
den seit Sohm und Boretius herrschend gewordenen Gegen-
satz von Volks- und Amtsrecht auflösen; besonderes Interesse
haben für uns hier seine Ausführungen über die Entstehung
der Lex Salica und über die Prologe der anderen Volks-
rechte (S. 16 ff). Der Widerspruch der beiden Prologe des
378 Nachrichten.
alamannisclien Volksrechts mag' allerdings ebenso wie der
Gegensatz der Lex zum Pactus mit seinen stärkeren
fränkischen Einflüssen vielleicht auch in einem Gegensatze
der Alamannen im Herzogthum zu den dem Frankenreich
unmittelbar unterworfeneu Stammesbrüdern im Elsass seine
Erklärung finden; ich hoffe, darauf zurückkommen zu
können. H. Bl.
44. C. Cipolla giebt in den Rendiconti dell' accad.
dei Lincei, 5. Ser., YI, 339 ff., eine Collation des Weiland-
schen Druckes des Konstanzer Friedens mit einer
Ueberlieferung des Archives Gonzaga zu Mantua ; p. 343 ff.
erweist er die Inschrift über die federatio Longobar-
dorum zu Pontida als moderne Fälschung. H. Bl.
45. J. Schwalms für die Geschichte der Reichs-
s feuern überaus wichtiges, im N. Archiv XXIII, 517 ff.
veröffentlichtes Verzeichnis hat sehr beachtenswerthe
Ausführungen von K. Zeumer in der Hist. Zeitschr. LXXXI,
24 ff. und von A. Schulte in der Zeitschr. f. d. Gesch.
d. Oberrheins N. F. XIII, 425 ff. hervorgerufen. H. BL
46. W. Levec, Die krainischen Landhand-
festen (Mitth. des Inst. f. österr. Geschichtsf. XIX, 244 ff.)
bietet im 2. Abschnitt eine üebersicht über die in die
Landhandfesten aufgenommenen und andere, den Charakter
von Landesfreiheiten tragende Urkunden von 1338 an,
unter denen eine Anzahl noch ungedruckter Stücke sich
befindet, so Maximilian I. 1494 Januar 13 und Januar 16;
auch in dem urkundlichen Anhang sind zwei bisher nicht
bekannte Herzogsurkunden von 1365 und 1374 veröffentlicht.
H. Bl.
47. Im Anschluss an Eberstadt, Magisterium und
Fraternitas (Schmollers Staats- und socialwissenschaftl.
Forschungen XV) bespricht K. Koehne in der Zeitschr.
f. d. Gesch. d. Oberrheins XIII, 381 ff. eine früher nicht
richtig gewürdigte Wormser Fisch marktsordnung
von 1106 oder 1107, die für die Frage nach der Entstehung
der Stadtverfassung und des Zunftwesens von Belang ist.
H. Bl.
48. Von der schönen Ausgabe der Oberrheinischen
Stadtrechte, welche die Badische Hist. Commission
unter R. Schröders Leitung herausgiebt, sind seit unserer
Notiz N. A. XXI, 582 n. 129 zwei weitere Hefte erschienen
(Heidelberg, Winter 1897 — 98). Heft 3 enthält Nachträge
für Mergentheim, sowie die Rechtsquellen von Lauda,
Nachrichten. 379
Ballenberg und Krantheim, Amorbach, Walldürn, Buchen,
Külsheim und Tauberbischofsheim. Von den beiden mit-
getheilten Urkunden Ludwigs d. B. für Lauda d. d. 1344
Nov. 22 war die zweite schon bekannt, Böhmer -Ficker
Reg. Lud. Addit. III n. 3503; anscheinend bisher ungedruckt
ist das D. Adolfs für Külsheim, Colmar 1292 Dec. 23. —
Am 4. Heft hat bereits C. Köhne mitgearbeitet, der die
Publication fortsetzen wird; es betrifft Miltenberg, Obern-
burg, Hirschhorn, Neckarsteinach, Weinheim, Sinsheim und
Hilsbach. Von den hier mitgetheilten Kaiserurkunden
(darunter DO. III. 372 und Stumpf Eeg. 2982. 4738) waren
vier: Wenzel 1391 Sept. 10, Euprecht 1404 Mai 25 für
Hirschhorn, Euprecht 1404 Juni 30 für Weinheim (Chmel
n. 1793), Ludwig d. B. 1330 März 28 für Sinsheim bisher
unediert.
49. Die Konstanzer Eathslisten des Mittel-
alters hat K. Beyerle im Auftrage der Badischen Hist.
Commission in sorgfältiger Bearbeitung herausgegeben
(Heidelberg, Winter 1898).
50. Auf den reichen und längst noch nicht erschöpften
Schätzen des Kölner Stadtarchivs beruht die treffliche
erste Preisschrift der Mevissen - Stiftung : F. Lau, Ent-
wickelung der communalen V erf ass ung und Verwaltung
der Stadt Köln bis zum J. 1396 (Bonn, Behrendt 1898).
Von den 22 Beilagen, welche die verschiedenen Seiten der
städtischen Verwaltung bis 1396 beleuchten, verdient be-
sondere Erwähnung die erste, ein neues Bruchstück aus
dem ersten Fascikel des Kölner Schöffenschreius (1169 bis
c. 1175). H. Bl.
51. Eine Publication von hohem Werthe für städtische
Verfassungs-, Eechts- und Wirthschaftsgeschichte sind die
'Urkunden und Akten zur Gesch. der Verfassung und Ver-
waltung der Stadt Koblenz' (Bonn, Behrendt 1898) die
M. Bär mit eingehenden Erläuterungen herausgegeben hat.
Die mitgetheilten Urkunden (darunter Böhmer Albr. I. 376;
Heinrich VIL 156; Karl IV. Huber 2542; Friedrich III.
Chmel 1069) beginnen mit dem J. 1298, die ältesten stadt-
rechtlichen Aufzeichnungen gehören dem J. 1363 an.
52. P. Schweizer, Habsburgiscbe Stadtrechte und
Städtepolitik bespricht in den Festgaben für Büdinger in
lehrreichen Darlegungen Entstehung und Beziehung der
Eechte von Flu m et, Bern, Freiburg i. U., Diessen-
hofen, Bremgarten sowie ihre Ableitung aus dem
380 Nachrichten.
Stadtrechte von Freiburg i. B., zu dessen neuerdings
wieder behandelter Entstehungsgeschichte beachtenswerthe
Bemerkungen gemacht werden. H. Bl.
53. Der erste Theil der Rechtsquellen des Kantons
Argau bringt im 1. Bande 'Das Stadtrecht von Arau',
herausgegeben von W. Merz (Arau, Sauerländer 1898). Die
Zeit von 1283 — 1500 betreffen 67 Nummern, unter ihnen
Wenzel 1379 October 16; Sigmund 1417 März 20, 1418
Januar 29, 1434 Februar 2; Friedrich III. 1442 Juli 30.
H. Bl.
54. In scharfsinnigen Untersuchungen über den heili-
gen Forst und seine ältesten Besitzer bespricht H. Witte
(Zeitschr. f. d. Gesch. d. Oberrheins XIII, 381 ff.) die An-
fänge der Burg und der Stadt Hagenau; er geht dabei
— unter Verwerfung der bei Schilter Observationes zu
Königshof en 1067 erwähnten Datierungszeile (vgl. schon
Bresslau, Jahrb. Konrads II. I, 201 N. 1) — von Stumpf Reg.
3458 aus, das er ganz räthselhafter Weise als ungedruckt
bezeichnet und deshalb hier veröffentlicht ('sicque' Reg. Ba-
densia 135 richtig statt 'sie quod'). Ausserdem giebt er eine
dem 14. Jh. angehörende Uebersetzung des Hagenauer
Stadtrechts (Stumpf Reg. 4019) und die in dem städti-
schen Statutenbuche enthaltene älteste Stadtgeschichte.
H. Bl.
55. Als Beilage zu einem Aufsatze über Wetter-
auer Städtebünde im 13. und 14. Jh. veröffentlicht
H. Werner in den Mittheilungen des Oberhessischen Ge-
schichtsvereins N. F. VII, 73 einen Bundesvertrag zwischen
Frankfurt, Friedberg und Wetzlar vom 28. April 1334.
56. Die ältesten Zunftrollen der Stadt Greifs-
wald (von 1347 an) hat 0. Krause im Programm des
Gymnasiums zu Greifswald 1898 n. 145 herausgegeben und
commentiert.
57. In den Werken der 'Vereeniging tot uitgave der
bronnen van het oude vaderlandsche recht' n. 19 haben
J. C. Overvoorde und J. G. Ch. Joosting eine wichtige
und umfangreiche Sammlung von Aktenstücken zur Ge-
schichte der Gilden in Utrecht bis ins 16. Jh. mit einer
ausführlichen Einleitung herausgegeben (Haag, Nijhoff
1896/97, 2 Bde.).
58. Die zwanzigste Publication der 'Vereeniging tot
uitgave der bronnen van het oude vaderlandsche recht'
Nachrichten. 381
(Haag, Nijhoff 1897) enthält die Rechtsquellen von Steen-
bergen, beginnend mit der Antiqua kora von 1272.
59. In den Magdeburger Geschichtsblättern XXXII,
371 ff. hat R. Setzepfandt das Stadtbuch von Oschers-
leben (1428 — 1562) herausgegeben.
60. Im Neuen Lausitzischen Magazin Bd. 74, S- 1 ff.
giebt H. Knothe Mittheilungen aus einem Görlitzer
Hofgerichtsbuch 1406 — 1423, von dem uns Auszüge
des 18. Jh. in einer Hs. in der Bibliothek der Oberlausitzer
Gesellschaft der Wissenschaften erhalten sind.
61. Im Trierischen Archiv I, 77 ff. (s. unten n. 130)
handelt H. Isay über die Geschichte des Schöffen-
gerichts in Trier nach einer Trierer Eechtshs. des 15. Jh.,
aus der er u. a. die Eidesformeln der Schöffen mittheilt.
62. A. Valentini behandelt im Nuovo archivio
Veneto XV, 5 ff. ausführlich die Brescianer Statuten
des 12.— 15. Jh. H. ßl.
63. Eine Uebersicht über die umfangreiche Literatur,
die sich mit den Ordinamenti von Trani beschäftigt,
bildet die Einleitung zu F. Gabotto, II commercio e la
dominazione dei Veneziani a Trani (Archivio storico per le
provincie Napoletane XXIII, 111 ff.); er selbst hält sie für
eine Fälschung des beginnenden 16. Jh., ohne indess diesen
Einfall hinreichend zu begTÜnden. H. Bl.
64. In dem 29. Bericht der wissenschaftl. Gesellschaft
Philomathie zu Neisse bringt der bekannte Bonifatius-
f orscher Nürnberger einen nach römischen und Münchner
Hss. kritisch gereinigten Text der römischen Synode des
Papstes Zacharias aus dem J. 743. E. D.
65. G. Lurz, Ueber die Heimath Pseudo-Isidors
(München, Lüneburg 1898) hält, nach ausführlicher Wider-
legung der Hypothesen von Wasserschieben, Langen und
Simson, an der Ansicht fest, dass die falschen Decretalen
in der Kirchenprovinz von Reims (und zwar unter mass-
gebendem Antheil des Diacons Wulfhad) entstanden seien.
66. P. Fournier setzt seine eindringenden Studien
über die canonistischen Quellen des MA. in drei
neuen Untersuchungen fort. In den Annales de l'universite
de Grenoble (1897, 2. trim.) berichtet er über die Hs. H.
137 der Ecole de med^cine de Montpellier, in der zwei
verschiedene Mss., Auszüge aus Kirchenvätern saec. IX./X.
und eine canonistische Sammlung saec. XL (die auch für
382 Nachrichten.
unsere Capitularienausgabe benutzt ist, vgl. Capp. II, p. XX)
vereinigt sind; sie enthält auch Briefe Fulberts von Char-
tres. — In denselben Annales 1898 (t. X n. 2) bringt F.
Ywei neue Zeugnisse des 12. Jh. für die mehrfach in Zweifel
gezogene Authenticität der Summa sententiarum des Hugo
von S. Victor bei. — In der Revue d'hist. et de litter.
religieuses III, n. 2. 3 entscheidet er die oft erörterte
Frage, ob das Decretum Gratians Ableitung oder Quelle
der Sentenzen des Petrus Lombard us sei, im letzteren
Sinne und setzt, im wesentlichen mit Thaner überein-
stimmend, die Abfassungszeit des Decretum um 1140, jeden-
falls näher zu 1140, als Zu 1150 an.
67. In n. 20 der Mittheilungen der Badischen hist.
Commission (Beilage zur Zeitschr. f. Gesch. des Oberrheins
XIII) theilt K. Brunn er Statuten des Constanzer
Domcapitels von 1294, Wahlcapitulationen der
Bischöfe von 1326 an und zwei Verträge zwischen Bischof
und Domcapitel von 1483 und 1488 mit.
68. Aus den Beiträgen zur Geschichte der Benedictiner,
die ü. Berliere in der Eevue benedictine XIV, 870 ff. bietet,
erwähnen wir das Erfurter Provincialcapitel von 1259
und die Statuten, die Nicolaus von Cues 1451 für S.
Trond gegeben hat. H. Bl.
69. In der ßömischen Quartal schrift XI, 287 ff. ver-
öffentlicht B. M. Reichert Akten der Provincial-
capitel der Dominikanerprovinz Teutonia 1398 bis
1402, aus denen uns besonders die Abschnitte de studiis
et studentibus und de studiis arcium et naturarum an-
gehen. H. Bl.
70. Als Adressaten des Widmungsbriefes eines
Erzbischofs von Besan^on bei üebersendung der Acta
s. Stephani weiss H. V. Sauerland, Die Reliquien des hl.
Stephanus im Metzer Dom (Jahrb. d. Gesellsch. f. lothring.
Gesch. IX, 87 ff.) einen Metzer Bischof sehr wahrscheinlich
zu machen; als Absender vermuthet er den EB. Ansericus
(1117 — 1134). H. Bl.
71. In der Revue benedictine XV, 131 ff. veröffentlicht
U. Berliere zwei Briefe über die Wahl des Abts Christian
von S. Trond aus dem J. 1193. H. Bl.
72. In den Festgaben für Büdinger vertheidigt
O. Redlich in einem interessanten Aufsatze über die ersten
Beziehungen Habsburgs, Ungarns und Siciliens seine An-
Nachrichten. 383
Setzung der jetzt Reg. imp. VI n. 322 verzeichneten Briefe
gegen Scbeffer-Boieborst, Zur Gesch. des 12. und 13. Jh.,
331 fP., wo sie schon in die Anfänge des J. 1274 gewiesen
werden. H. Bl.
73. In der Römischen Quartalschrift XI, 449 ff. ver-
öffentlicht H. V. S au er 1 and einen Brief über das Pisaner
Concil, der an einen Mann aus der Umgebung des Mainzer
Erzbischofs Werner gerichtet zu sein scheint. H. Bl.
74. Der sehr gründlichen Untersuchung V. Bayers
über die Jugendzeit des Markgrafen Albrecht Achilles
(1414—1440) in den Forsch, zur brandenburg. und preuss.
Geschichte XI, 33 ff. sind als Beilagen zwei Briefe des
Markgrafen von 1438 Nov. 19 und 1439 März 17 an seine
Schwester Elisabeth von Liegnitz und Brieg und zwei
Urkunden König Albrechts II. von 1439 März 3./4.
über die Ernennung des Markgrafen zum obersten Haupt-
mann in Schlesien beigefügt.
75. Die neuesten Berichte P. Kehrs über Papst-
urkunden in Italien (Nachr. der Gott. Gesellsch. der
Wissensch. 1898 n. 1, S. 6 ff., 45 ff.) behandeln die von
Xlinkenborg und Schiaparelli durchforschten Archive und
Bibliotheken der Romagna, der Marken, der Capitanata
und von Benevent. Die Ausbeute war eine sehr reiche;
48 bisher unbekannte Stücke sind theils vollständig, theils
in Auszügen mitgetheilt, von denen eine für die Geschichte
der päpstlichen Recuperationen nach Heinrichs VI. Tode
lehrreiche Urkunde Coelestins III. von 1197 und ein in-
haltlich wie diplomatisch gleich interessantes Placitum
Paschais II. von 1113 besonders hervorgehoben zu werden
verdienen. — Auch diesmal sind wieder, neben neuen
Ueberlieferungsformen bekannter, manche bisher unbekannte
Kaiserurkunden verzeichnet, allerdings nichts vor dem
12. Jh. Ich notiere ein nicht näher bestimmtes ineditum
Friedrichs I. cop. im Arch. stör, comunale zu Cesena; ein
Citat einer Urk. Friedrichs II. von 1239 für Bischof Johann
von S. Agata dei Goti in Ms. von 1721 im bischöflichen
Archiv daselbst; ein Original und eine Copie von Tancred im
Stadtarchiv zu Benevent; Abschrift einer Urk. Friedrichs II.
mit 6. Oct., ind. X., apud Ferentinum in der Bibl. com.
arcivescovile ebenda; endlich im Capitulararchiv zu Troja:
Roger 1095. 1105. 1129. Friedrich II. 1200 Mai Palermo,
1210 November Messina, 1220 August in castris apud Isin-
brugge, sämmtlich Originale.
384 Nachrichten.
76. In den 'Festgaben für Büdinger' erörtert ß. von
Nostitz-Eieneck scharfsinnig und lehrreich die Merk-
male der Original- und der Registerüberlieferung bei den
Papstbriefen und -Urkunden der ältesten Zeit. Besondere
Beachtung verdient, neben den Ausführungen über die
Papstbriefe bei Beda (vgl. dazu Jahresberichte der Ge-
schichtswissenschaft XIX, 4, 134), die Annahme, dass in
einzelnen Fällen auch in Originalen älterer Papstbriefe
der Papstname in der Inscriptio demjenigen des Adressaten
vorangestellt gewesen sei, so dass also die Voranstellung
dieses Namens kein sicheres Merkmal der Registerüber-
lieferung wäre. — Ebenda behandelt M. Tan gl die päpst-
lichen Registerbücher von Benedict XII. bis Gre-
gor XI. Für die Communregister dieser Zeit betrachtet er
mit Denifle Registrierung nach den Originalen als Regel,
solche nach den Concepten als Ausnahme; besonders dankens-
werth sind die Darlegungen über die Secretregister und
die Geschichte des päpstlichen Secretariats, dessen Organi-
sation T. in die Zeit Benedicts XII. setzt.
77. Im Histor. Jahrbuch XIX, 350f. giebt R. v. Nostitz-
Rieneck einen aus den Hss. gebesserten Abdruck des
Schreibens Bonifaz' I. Jaffe-K. 348. H. Bl.
78. Im Archiv f. slavische Philologie, wo R. Nachti-
gall XX, 124 ff. das N. A. XXII, 582 n. 125 besprochene
Werk des Lic. Götz ausführlich und zumeist ablehnend kriti-
siert, behandelt W. Vondräk S. 141 ff. den in der Vita
Methodii überlieferten Brief Hadrians IL Jaffe-E. 2924.
Auch er ist geneigt den Brief für unecht zu halten, möchte
aber keine absichtliche Fälschung annehmen; wie er sich
danach die Entstehung des Briefes denkt, ist mir nicht
völlig klar geworden.
79. In den Annales de la soc. d'emulation de Flandre
Jahrg. 1898 befindet sich eine umfangreiche Abhandlung
von J. Ferrant über den Cultus und die Reliquien des hl.
Bertulfus in der Kirche zu Harlebeke, in der zahlreiche
Urkunden seit dem 11. Jh. theils aus dem Chartular von
Harlebeke, theils aus Originalen des dortigen Pfarrarchivs
mitgetheilt sind. Aus letzteren stammen u. a. das Pri-
vileg Alexanders II. Jaffe-L. 4671 (p. 73) und spätere
Papsturkunden von Alexander IV., Bonifaz VIIL, Jo-
hann XXII., Johann XXIII. (p. 188 ff.) S. 161 ist das Offi-
cium de s. Bertulfo aus einer Brüsseler Hs. abgedruckt.
80. In den Melanges d'archeologie et d'histoire XVIII,
17 ff. theilt G. de Manteyer aus Cod. Vatic. Reg. lat. 117
Nachrichten. 385
sechs aus dem Lateran erlassene Briefe CalixtslI. mit, betr.
die Legation des Bischofs Girard von Angouleme in Frank-
reich. Er setzt sie zum 21. Nov. 1123 an, indem er gegen
JafPe- Löwenfeld, aber mit unzweifelhaftem Recht, Jaffe-L.
7083 in das Jahr 1121 zu Jaffe-L. 6935 verweist, bei Jaffe-L.
7084 aber die überlieferte Ortsangabe 'Laterani', die Jaffe
emendieren wollte, beibehält. Der Aufenthalt in San Valen-
tino, der vor die Rückkehr des Papstes nach Rom fällt,
gehört, wie schon früher Fahre bemerkt hat, nicht zum
IL, sondern zum 18. November 1123; den Ortsnamen möchte
M. auf die Basilica des hl. Valentin bei Rom beziehen.
81. Im Bullettino Senese di storia patria 1898 fasc. 1
hat R. Davidsohn eine Urkunde Alexanders III.
Benevent [1168/69] Jan. 23. herausgegeben und erläutert,
in welcher der Papst Bann und Interdict bestätigt, die
Bischof Rainer von Siena über die Consuln imd die Stadt
verhängt hatte, weil sie einige angesehene Priester der
Stadt, die dem Papst besonders theiier waren, eingekerkert
hatten. Ausserdem wird dem Bischof befohlen, dem Abt
von Vallombrosa einen päpstlichen Brief zu übermitteln,
in welchem die Absetzung des schismatischen Abtes Roland
von S. Mustiola zu Torri angeordnet wird.
82. K. Eubel erwirbt sich von neuem Anspruch auf
besonderen Dank durch die Fortsetzung des einst von
Sbaralea begonnenen Bullarium Franciscanum; der
von ihm musterhaft herausgegebene 5. Band (Rom 1898),
der sein Meistes und Bestes den päpstl. Registerbüchern
verdankt, umfasst die für die äussere und innere Geschichte
des Ordens so wichtige Zeit von 1303 — 1334 und enthält
damit auch das einschlägige Material zur Geschichte Lud-
wigs d. Baiern. Anhang 1 giebt das älteste Provinciale des
Franziskanerordens. H. Bl.
83. Ueber die Verth eilung der Servitia minuta
und die Obligation der Praelaten im 13. und 14. Jh. druckt
J. Hall er in den Quellen u. Forsch, aus italien. Archiven I,
281 ff. interessante Aufzeichnungen, deren älteste der Zeit
Clemens' V. angehört. H. Bl.
84. G. Guerrieri hat im Arch. stör. Ital., 5. ser.,
XXI, 297 ff. aus den Registerbüchern Clemens' VI. und
Innocenz' VI. einige Papstbriefe (1343 — 1354) ver-
öffentlicht, die für die Geschichte Walthers VI. von Brienne,
Herzogs von Athen, von Interesse sind. H. Bl.
Neues Archiv etc. XXIV. 25
386 Nachrichten.
85. Im 6. Band der Quellen und Forschungen der
Görres - Gesellschaft (Paderborn, Schöningh 1898) hat J. P.
Kirsch durch die Mittheilung der auf die Rückkehr der
Päpste Urban V. und Gregor VI. bezüglichen Abschnitte
aus den päpstlichen Cameralregistern mit einer
umfassenden Einleitung einen neuen, sehr werthvollen Beitrag
zur Geschichte des päpstlichen Finanzwesens und zur Cultur-
und Wirthschaftsgeschichte des 14. Jh. überhaupt gegeben.
86. Aus den Registerbüchern Eugens IV. ver-
öfEentlicht R. Arnold in den Quellen u. Forsch, aus ital.
Archiven I, 296 ff. 24 Urkunden und Regesten von 1433
— 1447, die für die Geschichte der ersten Hohenzollernschen
Kurfürsten und zum Theil auch für das Basler Concil von
Werth sind. H. Bl.
87. In der Zeitschrift des hist. Vereins f. Schvraben
und Neuburg XXIV, 45 fP. theilt J. Schlecht Excerpte
aus den päpstlichen Register büchern, betr. die Diöcese
Augsburg und die Jahre 1471 — 1488, mit.
88. Bei Gelegenheit einer Anzeige von Weiss' Buch
über Enea Silvio (N. A. XXIII, 275 n. 21) macht K. Bur-
dach im Litterar. Centralblatt 1898 Sp. 653 f. genauere
Mittheilungen über die schon von Lulves, Die Summa can-
cellaria des Johann von Neumarkt S. 33 f. und Tadra, Summa
cancell. p. XVIII kurz beschriebene Hs. II f. 23 der Breslauer
Universitätsbibliothek, insbesondere über das darin enthaltene
Formularbuch der bischöflichen Kanzlei zu Breslau aus
den Jahren 1441 — 1444, das in merkwürdiger Weise von
der Beeinflussung des Brief- und Urkundenstils durch huma-
nistische Bestrebungen Zeugnis ablegt.
89. In den Melanges d'archeologie et d'histoire XVIII,
37 ff. bespricht P. Lecacheux ein dem Archiv des
spanischen Collegs zu Bologna angehörendes Formular-
buch der päpstlichen Poenitentiaria aus der Zeit des
Cardinais Albornoz (1357/58), aus dem er die wichtigsten
Stücke mittheilt.
90. Im Jahrbuch der Gesellsch. f. lothring. Gesch. u.
Alterthumsk. IX, 308 ff. berichtet G. Wolfram über den
Fortgang des von dem französischen Staate gegen den
Ehrennotar Dufresne eingeleiteten Processes. Nachdem in
erster Instanz auf Herausgabe der Duf resne'schen Ur-
kundensammlung an den Staat erkannt worden ist,
haben im Auftrage des Appelhofs, vor dem die Sache jetzt
schwebt, Ch. Pfister, A. Girj und Et. Charavay ein Gut-
Nachrichten. 387
achten erstattet, durch welches der Nachweis Wolframs
(vgl. N. A. XXI, 784 n. 246), dass der Vater des jetzigen
Besitzers den weitaus grössten Theil des Bestandes seiner
Sammlung aus dem Metzer Archiv gestohlen habe, vollauf
bestätigt wird.
91. In der Revue catholique XVII, 401 ff. hat A. Gasser
Einwendungen gegen H. Blochs Untersuchungen über
die Urkundenfälschungen Grandidiers (vgl. N. A.
XXIII, 279 n. 67) geltend zu machen versucht, die schon
deswegen keinerlei Beachtung beanspruchen können, weil
es evident ist, dass G. die Urkunden, von denen er handelt,
nicht gelesen hat, und weil die Urkundenlehre ihm offenbar
eine terra incognita ist. Vgl. die Entgegnung Blochs ebenda
S. 561 ff., zu der in Vertretung Gassers A. I(ngold?) einige
dessen Standpunkt aufrechthaltende Anmerkungen hinzu-
gefügt hat.
92. In den Comptes rendus de l'Academie des in-
scriptions et helles lettres XXVI, 190 ff. sind von A. Giry
die DD. Ludwigs des Frommen (Mühlb. 536), Karls
des Kahlen (BRK. 1548) und Rudolfs (Lippert n. 14)
für Marmoutier neu herausgegeben, deren zweites, wie Giry
erweist, um die Wende des 10. und 11. Jh. an mehreren
Stellen, hauptsächlich durch eine Bestimmung, welche ge-
stattete, die Knechte des Klosters zu Geistlichen zu macheu,
interpoliert worden ist.
93. In wesentlich erweitertem Umfange hat F. Gabotto
seine Arbeit über die Vercelleser Kaiser Urkunden
(vgl. N. A. XXII, 325 n. 57) aufgenommen und im Arch.
stör. ital. 5. ser. XXI, 1 ff. 255 ff., nachdem er mit fast
zu minutiöser Sorgfalt, unter dankenswerther Heranziehung
des erzbischöfl. Archivs, ihre Ueberlieferungsformen zu-
sammengestellt hat, über ihre Echtheit zu entscheiden ver-
sucht, ohne doch zum Kern der schwierigen Probleme vor-
zudringen. Im Mittelpunkte des ersten Theils steht die
Prüfung von Stumpf Reg. 1634 und des von mir behandelten
Urkundenentwurfs; aber G. verschiebt die Sachlage, indem
er die, ich wiederhole es, sichere Identität der Schrift
des Conceptes mit derjenigen der Briefe Leo 's von 1016
(und der Excommunicatio Uberti) leugnet, und indem er
nicht zugeben will — was bei dem einzig früher bekannten
Brief schon für Dümmler unzweifelhaft war — , dass die
Niederschrift dieser Briefe (nicht in einem, sondern in 2 codd.)
nicht von einem späteren Copisten, sondern nur von ihrem
Verfasser herrühren kann. Er nimmt an der Datierung
25*
388 Nachrichten.
von Stumpf Reg". 1634 Anstoss, offenbar weil ihm die
Eigenart von 'Neuausfertigungen' nicht vertraut ist. Er
beharrt bei der Unechtheit von Stumpf Beg. 1445, indem
er u. a. daran festhält, dass in keinem echten DH. II.
Otto III. 'senior noster' genannt werde; die DD. Stumpf
Eeg. 1319. 1325. 1326. 1344. 1345. 1348. 1370. 1449. 1478.
1488. 1515 mögen ihn über den ständigen Brauch der
Kanzlei unterrichten. Von der Unzulänglichkeit der diplo-
matischen Kenntnisse G.'s, die auch aus seiner überwiegen-
den Werthung der DD. nach ihrer Ueberlieferung hervor-
geht, zeugt es ferner, dass er ein D. 'Heinrici quarti in-
victissimi regis' mit ausdrücklicher Begründung für
Heinrich V. beansprucht. So wird man begreifen, dass auch
im zweiten Theile bei der Behandlung von Mühlbacher
Reg. 1592 und seines Verhältnisses zur Notitia sowie für
die Urkunden Konrads II. und Heinrichs III. noch nicht
die endgiltige befriedigende Entscheidung gefunden ist.
Doch verdient der grosse Fleiss Anerkennung, der aus der
umfangreichen Arbeit spricht und der insbesondere durch
die eingehende Vergleichung der DD. späteren Forschern
die Wege geebnet hat. H. Bl.
94. Im Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums
1898 n. 2 giebt R. Schmidt einen Abdruck mehrerer
neuerworbener Kaiserurkunden aus dem Archiv des
Museums: Ludwig IV. 906 Nov. 4 (Mühlbacher 1985) mit
Eacsimile; danach ist zu lesen S. 21 letzte Zeile Hathonis,
wie im Copialbuch, nicht Hatthonis, S. 22 Z. 5 anim§),
Otto III. 989 April 5 DO. III. 54, Heinrich II., 1011 Juni 25
Stumpf Reg. 1548, Karl IV. 1350 Febr. 16 (nicht bei Huber,
vgl. N. A. XXIII, 781 n. 279) und 1362 Febr. 14 (für Rudolf
von Friedberg, Propst zvt Wetzlar, nicht bei Huber). Welchem
Zweck die Hinzufügung fehlerhafter Lesarten eines Copial-
buchs oder einer schlechten älteren Edition zu dem Abdruck
des Originals dienen soll, ist nicht abzusehen.
95. F. Bosdari druckt als Anhang zu einer Unter-
suchung über Bologna im ersten Lombardenbund (Atti e
memorie della r. deputazione di storia patria per le pro-
vincie di Romagna 3. Ser. XV, 12 ff.; XVI, 143 ff.) einige
Urkunden von 1162—1199, darunter Stumpf Reg. 3956. 4561.
H. Bl.
96. Aus dem Inventario analitico dei Ms. dello storico
abbruzese Francesco Brunetti, welches F. Savini im
Archivio storico per le provincie Napoletane XXIII, 23 ff.
giebt, heben wir den S. 43 erwähnten Sammelband hervor,
Nachrichten. 389
der u. a. (die älteste Urkunde ist von 972) folgende Di-
plome enthalten soll: Stumpf Eeg. 4825. 4911. 4920. 4931.
4932; Böhmer-Ficker 594. H. Bl.
97. Interessante Ergänzungen zu dem Aufsatze Frens-
dorffs über die Reichsinsignien (Nachr. der Götting. Ge-
sellsch. der Wissenschaften 1897, Heft 1) giebt K. Eubel
in der Eömischen Quartalschrift XI, 453 flE. durch VeröfFent-
lichung der noch unbekannten Supplik Sigmunds vom
10. November 1424, betreffend die üebertragung der In-
signien nach Nürnberg; er vergleicht sie mit der Supplik
vom 9. Juni 1424 und der Bulle Martins V. vom 31. De-
cember des Jahres. H. Bl.
98. Für die Frage nach der Bedeutung der in den
deutschen Kaiserurkunden seit der Mitte des 14. Jh. be-
gegnenden Kanzleivermerke dürfte der von A. Morel
in der Bibl. de l'ecole des chartes LIX, 73 ff. erbrachte
Nachweis zu beachten sein, dass bei der schon etwas früher
in der französischen Kanzlei begegnenden Dorsualnotiz: 'per
regem ad relacionem ' unter 'relacio' nicht ein dem
König erstatteter Bericht, sondern der der Kanzlei ertheilte
Beurkundungsbefehl zu verstehen sei.
99. In der Eevue historique LXVII, 70 ff. studiert Ch.
Y. Langlois an dem in Zeugenlisten, Notariatsvermerken
u. dgl. zur Zeit Philipps des Schönen des öfteren auf-
tretenden königlichen und päpstlichen Notar Gottfried
von Plessis die Laufbahn eines Kanzleibeamten. Philipp
ernannte ihn 1304 zum Protonotar Frankreichs, eine
Würde, von der L. vermuthet, dass sie eben für Gottfried
damals geschaffen worden sei. Zur Ergänzung sei darauf
hingewiesen, dass auch Peter Flotte von einer allerdings
trüben Quelle (Chron. de Flandre, Eec. des bist. XXII,
374 C) als 'prothonotaire de toute France' bezeichnet wird.
Sollte bereits dieser vor seiner Erhebung zum Grosssiegel-
bewahrer das jedenfalls aus der päpstlichen Kanzlei über-
nommene Amt eines Protonotars bekleidet haben? E. H.
100. Als Vorläufer des lange ersehnten und nunmehr
in nahe Aussicht gestellten Salzburger Urkundenbuches
hat P. Willib. Hauthaler Die Arnonischen Güter-
verzeichnisse (Notitia Arnonis u. Breves Notitiae),
neu herausgegeben und mit sorgfältigen, namentlich geo-
graphischen Erläuterungen versehen (Salzburg 1898). Z. Th.
durch Heranziehung eines reicheren handschriftlichen Ma-
teriales hat der Text auch der Ausgabe von Keinz gegen-
390 Nachrichten.
über an nicht wenig-en Stellen gewonnen. Die Pergamenths.
von St. Peter wird nns durch 2 Phototypien veranschau-
licht. E. D.
101. J. Strnadt sucht in den Blättern d. Ver. für
Landeskunde von Mederösterreich XXXI, 461 ff. die Un-
echtheit des Grabbriefes des Markgrafen Ernst für
Melk (von 1065?) darzuthun; seine Ausführungen würden
überzeugender sein, wenn er trotz des 'fachmännischen Gut-
achtens', dass sich aus dem Schriftcharakter nichts für die
Frage gewinnen lasse, die äusseren Merkmale der Urkunde
untersucht hätte, die, soweit aus dem Facsimile in den
Mon. graphica V, 3 zu erkennen ist, sehr bestimmte An-
haltspunkte für ein Urtheil gewähren. H. Bl.
102. W. Schulte hat in der Festschrift des Schle-
sischen Geschichtsvereins für Grünhagen 'Silesiaca' (Breslau,
Morgenstern 1898) S. 35 ff. insofern eine neue Auffassung
der Anfänge der deutschen Colonisation in Schlesien an-
gebahnt, als er nicht unerhebliche Bedenken gegen die
Echtheit des sog. ältesten Stift ungsbriefes für Kloster
Leubus vom J. 1175 vorbringt und ihn mit anderen
Fälschungen in Verbindung setzt; indessen dürfte noch
eine sorgsame Untersuchung der ganzen Gruppe besonders
in Hinsicht der äusseren Merkmale nothwendig sein.
H. Bl.
103. In den Blättern des Vereins für Landeskunde
von Niederösterreich XXXII, 85 ff. behandelt M. Tangl
in scharfsinniger Erörterung das Itinerar Herzog Leo-
polds IL von Oesterreich im Jahre 1217 und die Daten
der von ihm ausgestellten oder ihn betreffenden Urkunden
aus diesem Jahr. Es zeigt sich auch hier, wie mit den
Mitteln und der Methode der modernen Urkundenlehre
scheinbare Schwierigkeiten sich sicher beheben lassen.
104. Als Vorarbeit für eine Geschichte der Kaisers-
lauterer Burglehen dient H. Hahn eine Geschichte des
Schlosses und der Herren von Breidenborn (Mittheil,
d. histor. Vereins d. Pfalz XXII, 110 ff.), der 74 Urkunden
und Regesten von 1219 — 1486 hinzugefügt sind, darunter
zahlreiche nicht oder unzureichend bekannte Stücke.
H. Bl.
105. Einem interessanten Vortrage des Freiherrn
V. Hammerstein, der einen reichsgerichtl. Process über
die behauptete Eeichsunmittelbarkeit der Stadt
Saar bürg schildert (Jahrb. d. Gesellsch. f. lothring. Gesch.
Nachrichten. 391
IX, 237 ff.), sind 135 Urkunden und Eegesten von 1241—
1560 beigegeben, darunter Clemens (V. ? — VII.?), Avignon
December 2, pontif. anno 8. H. Bl.
106. Achtzehn Urkunden über das Patronatsrecht
des Klosters Ar ns bürg an den Kirchen Bretzenheim und
Winzenheim von 1366 an veröffentlicht A. Held mann
in den Mittheilungen des Oberhessischen Geschichtsvereins
N. F. VII, 116 ff.
107. Im Archivio della r. societa Romana XX, 369 ff.
veröffentlicht R. Lanciani aus dem Archivio notarile
Capitolino 46 Urkunden von 1422 — 1428 über den römi-
schen Besitz der Familie C o 1 o n n a , die auch für die
Geschichte Martins V. bedeutsam sind. — Eine Notiz von
1387 betrifft das Begräbnis des Cardinais Agapito Colonna.
H. Bl.
108. In den Mittheilungen des Oberhessischen Ge-
schichtsvereins N. F. VII, 77 ff. setzt K. Ebel seine Ver-
öffentlichung der Urkunden des Alsfelder Stadtarchivs
(vgl.N. A.XX, 677 n. 276) für das 15. Jh. fort; ebenda S. 100 ff.
verzeichnet er 61 Urkunden des Stadtarchivs zu Giessen
von 1325 an, unter Mittheilung wichtigerer Stücke in
extenso.
109. In den Mittheil, der Bad. hist. Comm. n. 20
wird S. 121 ff. der Bestand des freiherrl. von Zobel 'sehen
Archivs zu Messelhausen verzeichnet, das mit einer An-
zahl von Lehensbriefen und anderen Urkunden in das
15. Jh. zurückreicht. H. B.
110. Als Archivalische Beilage zum Strassburger
Diöcesanblatt 1897 ist u. d. T. Le cartulaire de l'eglise St.
George de Haguenau ein von dem Abbe C. A. Hanauer
bearbeitetes ÜB. der Pfarrkirche zu Ha gen au erschienen,
das in 1042 Nummern Pegesten und vollständige Urkunden-
drucke von 968 — 1792 enthält. Für die ersten beiden
Regesten von DO. I. 368 (von H. fälschlich zu Nov. 15 ge-
setzt) und von DO. IL 109 ist nur der Druck Schöpflins
citiert, bei der ersten vollständig gedruckten, dem DO. III.
spur. 430 ist auch die Monumentenausgabe herangezogen,
aber der Abdruck H.'s ist mehrfach ungenau, und in den
ihm gewidmeten kritischen Bemerkungen ist auf die Aus-
führungen Erbens in der Zeitschr. f. Gesch. d. Oberrheins
N. F. VII, 35 ff. keine Rücksicht genommen. Auch weiterhin
fehlt der Publication, so verdienstlich sie ist, leider manches
von dem, was wir in Deutschland und neuerdings auch
392 Nachrichten.
in Frankreich von einer Urkundenedition zu erwarten ge-
dröhnt und berechtigt sind.
111. Mit dem 1. Hefte des 3, Bandes beschliesst
F. Philip pi seine erfolgreiche Thätigkeit als Herausgeber
des Osnabrück er ÜB. (vgl. N. A. XXII, 329 n. 80); unter
den 223 zum grossen Theil unbekannten Nummern von
1251 — 1259 sind Urkunden Alexanders IV. von 1255 Januar 18
und Februar 24, 1256 Juli 4. H. Bl.
112. Das 2. Heft des 2. Bandes führt das von P.
Woelky(t) und H. Mendthal herausgegebene ÜB. des
Bisthums Samland (Leipzig, Duncker und Humblot 1898)
von 1313 — 1344 fort; unter vielem Uugedruckten ist ein
Privileg Johanns XXII. von 1320 Januar 18. H. Bl.
113. Die von Haignere begonnene Ausgabe der Ur-
kunden des Klosters St. ßertin nach dem Grossen Char-
tular des P. De Wit hat nach des ersteren Tode der Abbe
Bled für die Soc. des antiquaires de la Morinie fort-
geführt, von dem der Schluss des 3. und der erste Fas-
cikel des 4. Bandes bearbeitet sind (St. Omer, d'Homont
1895—97).
114. In der II. Section der Analectes pour servir a
l'hist. ecclesiast. de la Belgique erscheint ein von E. d e
Marneffe herausgegebenes ÜB. des Klosters Afflighem,
das mit dem vor kurzem ausgegebenen dritten Heft in
296 Nummern bis zum Jahre 1218 gelangt ist.
115. In den Analectes pour servir a l'hist. ecclesiast.
de Belgique 2. ser. XI, 114 ff. wird die Ausgabe der Ur-
kunden des Prämonstratenserstifts Heylissem (vgl. N. A.
XXI, 588 n. 159) von 1238—1242 weiter geführt.
116. Von den in den Regesta imperii XI durch W.
Alt mann bearbeiteten Urkunden Kaiser Sigmunds ist
das 2. Heft des II. Bandes erschienen, die Jahre 1422 bis
1437 umfassend. — Zum ersten Heft des ersten Bandes
vgl. die Kritik Seeligers in den Gott. Gel. Anzeigen 1898
S. 638 ff. E. D.
117. Die Regesten des Geschlechts von Blassen-
berg (N. A. XXI, 591 n. 177) führt C. von Guttenberg
im Arch. f. Gesch. u. Alterthumsk. v. Oberfranken XX,
18 ff. bis 1450 fort.
118. In den Notices et extraits XXXV, 831 ff. be-
schreibt L. Delisle eine schön geschriebene Hs. der Bi-
bliothek der Maristen von S. Foi-les-Lyon, auf deren erstem
Nachrichten. 393
Blatt die Worte stehen: Leidrat licet indignus tarnen
episcopus istum librum tradidi ad ialtare s. Stephani. Diese
Notiz ist, wie die Vergleichung mit zwei anderen Einträgen
in ehemaligen Hss. Leidrats von Lyon (jetzt Cod. Lyon
542, Paris 152) lehrt, von Leidrat eigenhändig geschrieben. —
Bei dieser Gelegenheit bespricht Delisle auch die Hs. n. 14
der Bibl. zu Angere, die f. 9' 22 Verse des Poetae lat. Karol.
I, 92 von Dümmler herausgegebenen Gedichtes mit zahl-
reichen Varianten (der erste Vers lautet hier : Aspicis eximia
rutilans hoc luce volumen) und f. 9 10 andere Verse karo-
lingischer Zeit bietet. — Schöne Facsimile zweier Seiten der
Hs. und jener drei Einträge des Leidrat (ein vierter in
Cod. Lyon 526 ist getilgt und durch einen Vermerk saec.
IX./X. ersetzt) sind der Abhandlung beigegeben.
119. Li dem histor. Jahrbuch der Görresgesellschaft
XIX, 249—287 theilt H. Grauert unter der Ueberschrift
'Rom und Günther der Eremit' einen bisher nur durch die
Erwähnung in den Pöhlder Annalen und bei dem Anna-
lista Saxo bekannten Rhythmus an Heinrich III. über
die Kirchenspaltung von 1046 vollständig aus einer im
Jahre 1550 angefertigten Abschrift mit. Er sucht wahr-
scheinlich zu machen, dass dies merkwürdige Gedicht,
welches einem Einsiedler Wipert zugeschrieben wird, von
dem bekannten Thüringer Günther verfasst sei. Gleich-
zeitig wird auch über die öfter wiederkehrenden Verse
'Roma diu titubans' aus dem 13. Jh. gehandelt, von welchen
sich eine selbständige Abschrift auf demselben Wege er-
halten hat. E. D.
120. Zu Neues Archiv der Gesellschaft für ältere
deutsche Geschichtskunde XXIII, 208. — Die von Ranke
Werke 37, 262 Anm. 1 nach [Karl Ludwig v. Klöber] Schle-
sien vor und seit dem Jahr 1740, II, 370^—372 angezogene
Passio domini papae secundum marcam auri et
argenti ist von Klöber aus [Sam. Benj. Klose] Neue Litte-
rarische Unterhaltungen I (Breslau 1774), 177 — 179 ent-
lehnt. Klose hat sie aus einer Rehdigerschen Hs. der
Breslauer Stadtbibliothek, jetzt Stadtarchiv J. 10, fol. 55,
vom Jahre 1422, enthaltend das Breslauer Landrecht von
1356. Genaue Beschreibung der Hs. bei !E, Th. Gaupp,
Das Schlesische Landrecht, Leipzig 1828, S. 50 ff. — G. Ho-
meyer. Die deutschen Rechtsbücher des Mittelalters, Berlin
1856 n. 100. — G. Bobertag, Die Rechtshss. der Stadt
Breslau in Zeitschrift für Gesch. u. Alt. Schlesiens XIV,
200 f. H. Markgraf.
394 Nachrichten.
121. Zu den N. A. XXIII, 644 mitgetheilten Kalender-
versen aus dem Cod. Paris. 15167 machen die Herren Alb.
Poncelet in Brüssel und Gabr. Meier in Einsiedeln uns
freundlich darauf aufmerksam, dass der von Hampe nicht
verstandene Ausdruck 'bariona' hebräisch ist; bar-Iona,
gleich filius lona, wird in der Vulgata Matthaeus 16, 17
Simon Petrus genannt. Cathedratus Bariona ist also gleich
Cathedra s. Petri.
122. G. Manacorda veröffentlicht in den Studi
storici VI, 215 ff. einen Necrolog von S. Evasio di
Casalmonferrato, das am Ausgang des 12. Jh. beginnt.
H. Bl.
123. L.Traube, Textgeschichte der Regula s. Be-
nedicti (Abhandl. d. bayer. Acad. III. Cl. XXI, 601 ff.,
mit 4 schönen Facsimiles) hat in scharfsinniger Beweis-
führung, in durchsichtiger, spannender Darlegung auf Grund
der wichtigsten (eingehend besprochenen) Hss. und Commen-
tare die ursprüngliche, von Benedict geschaffene Gestalt
der Regel von ihrer 'ersten Ausgabe' durch Abt Simplicius,
seinen zweiten Nachfolger, geschieden und vor unseren
Augen ebenso die Geschichte dieses zunächst die Tradition
beherrschenden Textes wie die Schicksale jenes ürexem-
plars entrollt, das erst durch eine auf Veranlassung Karls
d. Gr. genommene Abschrift seine Bedeutung für die
Ueberlieferung gewonnen hat. Sind hierdurch für die zu
erwartende endgiltige Ausgabe mit sicherer Hand gegen-
über allen bisherigen Editoren und Kritikern die Richt-
linien gezogen, so wohnt der mustergiltigen Arbeit noch
höherer allgemeiner Werth inne sowohl durch ihre metho-
dischen Lehren wie durch die anregungsreichen Hinweise,
die dem Palaeographen (etwa in der Ausführung über die
'kritischen Zeichen'), dem Litterarhistoriker (man vergleiche
z. B. den Gewinn für das Leben des Paulus Diaconus
oder die Anmerkung über Smaragdus und Lupus
V. Ferrieres), dem Theologen (wie in der Geschichte der Re-
geln, der Schilderung des Benedikt vonAniane) gegeben
werden. Und wer immer der Geistesgeschichte der Karo-
lingerzeit nachforschen und Karls Bedeutung für das geistige
Leben seiner Zeit würdigen will, wird an Traube's Schil-
derung nicht vorübergehen dürfen. Aus dem reichen
Inhalt der Anmerkungen seien nur einzelne für uns inter-
essante herausgehoben, die hier vielleicht nicht gesucht
würden: Die Regula Magistri; unbekanntes langobardisches
Concil; der älteste Bücherkatalog von Montecassino (Ab-
Nachricliten. 395
druck) ; Hildemar und Corbie ; Formulae extravagantes in
cod. Sang-allens. 914; die Verbreitung der älteren Martyro-
logien ; das älteste S. Galler Necrologium (gehört vielmehr
nach Eeichenau). Von den 'Urkunden zur Textgeschiehte'
seien hervorgehoben der bisher nur unzureichend bekannte
Brief des Venerandus an den Bischof Constantius von Albi
und das schon gedruckte, gelegentlich an Marculf an-
klingende Schreiben des Grimald und Tatto an Reginbert
von Reichenau. H. Bl.
124. Um seine Ausgabe der Consuetudines Far-
fenses vorzubereiten, beschreibt B. Albers in den Stu-
dien und Mittheil, aus dem Benedictiner- und Cistercienser-
orden XVIII, 547 ff. und XIX, 9 ff. den cod. lat. Vat. 6808
und druckt 18 bisher unbekannte Capitel daraus ab.
H. BL
125. In den Studien u. Mittheil, aus d. Benedictiner-
und Cistercienserorden XVIII, 563 ff. und XIX, 30 ff. stellt
W. Mayer die Gebetsverbrüderungen von Kladrau
saec. XIII. — XV. zusammen; die erste unbekannte rührt
von 1342 her. H. Bl.
126. Der von Dümmler in Haupts Z. f. d. A. XIV,
1 — 73 gegebenen Anregung folgend hat Joh. Egli in St.
Gallen es unternommen, Ekkeharts IV. Liber benedic-
tionum und die dazu gehörigen Glossen mit den nöthigen
Anmerkungen vollständig herauszugeben und so eine alte
Ehrenpflicht St. Gallens zu erfüllen. Der endgiltigen Aus-
gabe geht ein sorgfältig bearbeitetes Probeheft voraus :
'Neue Dichtungen aus dem Liber Benedictionum Ekke-
harts IV', St. Gallen 1898, 55 S. 4°.
Paul V. Winterfeld.
127. In den Analectes pour servir ä l'hist. ecclesiast.
de Belgique 2. ser. XI, 85 ff. veröffentlicht der Abbe Laenen
aus der im Archiv VIII, 50 N. 1 erwähnten Hs. des erz-
bischöfl. Archivs zu Mecheln Notizen über die Weihe der
Altäre des Klosters Villers-en-Brabant von 1217 an.
128. B. Ponschab, Das Pon tif icalbuch Gun-
dekars II. (Studien u. Mittheil, aus d. Benedictiner- u.
Cistercienserorden XVIII, 23 ff. 227 ff.) erläutert die darin
enthaltenen Bilder der Schutzheiligen, in deren einem er
den Abt Utto von Metten erkennen will. H. Bl.
129. In der Zeitschrift des bist. Vereins f. Schwaben
und Neuburg XXIV, 113 ff. veröffentlicht A. Schröder
396 Nachrichten.
auf den Augsburger Dombau bezügliche Inschriften, die
mit dem 14. Jh. einsetzen.
130. Im 1. Heft des Trierischen Archivs, einer von
dem verdienten Vorsteher der städtischen Bibliothek und
des städtischen Archivs Dr. M. Keuffer neu begründeten
und geleiteten Schrift, die in zwanglosen Heften oder
Bänden erscheinen soll (Trier, Lintz 1898), veröffentlicht der
Herausgeber S. 1 ff. eine Beschreibung des im Besitz des
Lords Crawford zu Haigh Hall befindlichen, aus der Zeit
des Abtes Ruotbert zu Prüm (1056 — 1063) stammenden
Lectionars, welches für das von Abt Urold unter Hein-
rich II. gegründete Collegiatstift der hl. Maria geschrieben
wurde; zwei Lichtdrucke nach von dem Besitzer angefertigten
Photographien veranschaulichen die Ausstattung der inter-
essanten Hs. — Ebenda S. 41 ff. giebt Lager aus einer
Hs. des 15. Jh. den deutschen Text einer Ordnung für
die Beamten und Diener des Domcapitels zu Trier
heraus, die in das Ende des 13. Jh. gehören soll, und
S. 56 ff. beschreibt Keuffer eine im Germanischen Mu-
seum zu Nürnberg befindliche Hs. des 15. — 18. Jh. aus
Kloster S. Simeon zu Trier, welche ausser den Namen der
Canoniker von 1629 an Abschriften von Urkunden und
andere Aufzeichnungen des 14. und 15. Jh. enthält.
131. In der Zeitschrift des Bergischen Geschichts-
vereins XXXIII, 59 ff. hat W. Sauer die auf die Be-
sitzungen des Klosters Werden in Elvitheri (Elfter oder
Monninkhof im Kirchspiel Oldenzaal) bezüglichen, bisher
nur z. Th. bekannten Aufzeichnungen in den Heberegistern
und Rechnungen des Klosters herausgegeben und eingehend
erläutert. Zur Erläuterung ist u. a. eine bisher unbekannte
Urkunde des Bischofs Heinrich v. Utrecht d. d. 11. Juli 1255
abgedruckt.
132. Ein interessantes Verzeichnis des Silberschatzes
der Magdeburger Erzbischöfe, enthalten in einer Urkunde
des Erzbischofs Ernst von 1476, theilt G. Hertel in den
Magdeburger Geschichtsblättern XXXII, 454 ff. mit.
133. Von Cesare Paoli's Programma scolastico di
Palaeografia latina e di diplomatica ist die erste Lieferung
des 3. Theiles, welcher die Diplomatik behandelt, erschienen
(Florenz, Sansoni 1898). Auch dieser Schrift eignen die
Vorzüge der Sorgfalt, Klarheit und Präcision, die Paoli's
Lehrbücher auszeichnen.
Nachrichten. 397
134. J. A. Bruun, An enquiry into the art of the
illuminated manuscripts of the middle ages behandelt im
1. Theile (Stockholm 1897) keltische Hss. und giebt
charakteristische Proben ihrer Miniaturen. H. Bl.
135. F. Malaguzzi-Valeri verzeichnet in den Atti
e memorie della r. deputazione di storia patria per le pro-
vincie di Romagna 3. ser., XVI, 52 ff. die mit Miniaturen
ausgestatteten Hss. und Urkunden des Staatsarchivs von
Bologna. H. Bl.
YIII.
Die wiederaufgefundene Vorlage
der
Annales Mettenses.
Von
B. V. Simsou.
Neues Archiv etc. XXIV. 26
K. Hampe entdeckte in einer Hs. der Kathedral-
T^ibliotliek zu Dnrham (C. IV, 15 membr.) einen Text der
Annales Mettenses, anf dessen Wichtigkeit er im Nenen
Archiv XXII, 694 ff. aufmerksam machte. Er hatte den
Eindruck gewonnen, dass dieser Text nicht eine Abschrift
desjenigen, welchen die früher in Cheltenham, jetzt in
Berlin befindliche Hs. (Cod. Phill. lat. 1853) enthält, sondern
eine ältere Vorlage desselben sei. Als Probe gab er einst-
weilen den Bericht über das Jahr 830, mit dem der Text
der Durhamer Hs. endigt.
Nachdem mir durch die dankenswerthe Güte des Herrn
Oeheimrath Dümmler und des Herrn Professor Holder -
Egger die für die Monumenta Germaniae genommene
Collation bezw. Abschrift dieses Textes bekannt geworden
ist, kann auch ich mich Hampe's Ansicht nur anschliessen
und seine Entdeckung als eine erfreuliche und wissen-
schaftlich belangreiche begrüssen.
Die Handschrift setzt Holder -Egger in den Anfang
des 12. Jh., und zwar sind die 'Annales Mettenses' (ausser
diesen enthält sie auch den ßegino) ganz von einer Hand
geschrieben. Eine jüngere Hand des 12. Jh. hat zu Anfang
öfters werthlose Inhaltsangaben hinzugefügt.
Die Jahreszahlen sind fast immer fortgelassen ^. Nur
am Anfange steht 'Anno ab incarnatione Domini nostri
lesu Christi 684' (statt 687 in dem bisher bekannten Texte),
hernach nur noch Jahreszahlen bei 710 — 713 und 731 und
mehrfach 'Hoc anno' ohne Zahl -. Die Anfänge der Jahres-
berichte oder auch einzelne Stellen in ihnen, namentlich
solche, die mit 'Eodem anno' oder ähnlich beginnen, sind
mit rothen oder grünen Initialen bezeichnet.
Besonderes Interesse, um dies an die Spitze zu stellen,
gewährt der materielle Zuwachs, welchen unsere Ueber-
lieferung durch den Durhamer Codex gewinnt. Ist derselbe
auch nicht gross, so fehlt es doch — wie dies auch schon
1) Vergl. hierzu Puckert in der unten angeführten Abhandhmg
S. 148 ff. Auch in den bisher bekannten Ann. Mettenses sind manchmal
mehrere Jahre übersprimgen. 2) 745 — 753. 755 — 759.
26*
402 B. V. Simson.
die Fragmente zeigten — nicht ganz an einzelnen nnbe-
kannten Zügen, bemerkenswerthen Abweichungen oder Be-
stätigungen bisher isoliert stehender Angaben ^.
Ich stelle zunächst die Punkte, in denen dies der Fall
ist, zusammen, übergehe dabei jedoch minder Wichtiges
oder anscheinend bloss Schablonenhaftes.
Bischof Arnulf von Metz wird in unserem Texte nicht
als Grossvater, sondern nur als Verwandter Pippins des
Mittleren bezeichnet. Man liest nicht, wie in den bisher
bekannten Annales Mettenses: 'Ad solidandum quoque ip-
sius imperii fundamentum erat ei agnatione avus quidam
vir plenus virtutibus Arnulfus nomine, Metensis urbis epi-
scopus', sondern statt 'avus' steht 'propinquus'. Dass
dies in der That die ursprüngliche Lesart ist, erscheint
nicht zweifelhaft-.
Der Baiernherzog Odilo wird als avunculus des Grifo
bezeichnet. Nach Ann. Einh. 741 war er der Oheim von
Grifo's Mutter^.
778 heisst es von derjenigen Heeresabtheilung, welche
über den östlichen Theil der Pyrenäen ging, sie sei durch
Septimanien gezogen und zunächst nach Barcelona gelangt:
Pars autem non modica exercitus de Austria, Burgundia,
Bavaria seu Provinciä et Longobardia per Sej^timaniani
prof iciscentes ad Barcinonam civitatem perve-
nerunt'. Die Nachricht ist für uns völlig neu, aber nicht
unwahrscheinlich, zumal da der Emir von Barcelona und
Gerona Ibn al Arabi den Zug Karls d. Gr. nach Spanien
veranlasst hatte und, wie auch schon ein früherer Emir
Pi]5pin gegenüber, die Unterwerfung dieser Städte unter
das Frankenreich erklärte.
789 wird von dem Wilzenfürsten Dragowit berichtet,^
er habe erklärt, dass er seine Herrschaft dereinst von Karl
erhalten habe : 'Venit autem eorundem Sclavorum rex ad
eum qui vocabatur Drogoviz et reddidit regnum illi partibus
Francorum, asser ens se olim ab invicto principe
Carolo eandem potestatem vel dominationem
consecutum fuisse'. Es scheint unzweifelhaft, dass
1) Vergl. V. Ranke, Weltgeschichte V, 2, S. 293 : 'Dennoch ist mir
vorgekommen, als ob sich unter all der »Spreu und dem Wust doch auch
einiges Bemerkenswerthe, selbst einige Abschnitte darin finden, welche
zur Erkenntnis der historischen Wahrheit unentbehrlich sind'. 2) Aehnlich
die Historia s. Gertrudis, welche zu den Ann. Mett. in Beziehung steht r
'Fuerunt ei agnatione propinquae virgines'. Vergl. Bonneil, An-
fänge des karoling. Hauses S. 153, X. 1. 3) Vergl. Breysig, Karl
3Iartell S. 54.
Die wiederaufgefimclene Vorlage der Annales Mettenses. 403
unter dem 'iuvictns princeps Carolus' nicht Karl d. Gr.,
sondern Karl Martell zn verstehen ist; denn jener wird
in unserer Compilation nie so bezeichnet, wohl aber wieder-
holt der letztere ^. Indessen auch so erscheint die Nachricht
weniger unglaublich, wenn man erwägt, dass Dragowit
uach den Ann. Einhardi vor den übrigen Wilzenfürsten
auch durch sein hohes Alter hervorragte ('nam is ceteris
Wiltzorum regulis et nobilitate generis et auctoritate se-
nectutis longe praeminebat'). Dürfen wir der Nachricht
und der Behauptung des Dragowit Glauben schenken, so
wirft sie ein neues Licht auf die Machtsphäre Karl Martells.
801 wird berichtet, dass Karl d. Gr. im Herbst nach
Aachen zurückkehrte und dann dort einen Reichstag hielt :
'Autumnalique tempore pervenit Aquis palacium et ibi more
solito Francorum conventum habuit' '-.
Bekanntlich enthalten die Ann. Mettenses zum Jahr
803 eingehendere Nachrichten über das Itinerar des Kaisers
als die Reichsannalen. Wie sich zeigt, geben sie jedoch
auch hier ihre Vorlage etwas lückenhaft wieder. Es fehlen
in ihnen diejenigen Worte des Durhamer Textes, die hier
gesperrt gedruckt sind :
'Absolutis itaque cum honore imperiali
missis (die byzantinischen Gesandten) dispositisque in
eodem placito (zu Salz) qu§ tunc oportuna esse
videbantur^, imperator partibus Bawari^ tendit, cum
electis iter per Hircanum saltum agens, venationem bu-
balorum ceterarumque ferarum exercens, ceterum exer-
citum per apertiores vias ire permisit^. Inde ad
Reginisburg veniens dispositisque his que utilia esse vide-
bantur, venationem per Bawariam agens adveutum
exercitus de Pannonia redeuntis prestolabatur. Quibus re-
versis, obviam illis ad Reginisburg pervenit' ^.
1) Vergl. 735. 737 (auch Aun. Mett. Scr. I, 325. 326) : 'invictus
princeps Carolus — invicto Carolo priucipi'. 2) Vergl. Ann. Guelfer-
bytaui und unten; Jahrbücher Karls d. Gr. II, 271 N. 4, 274 N. 3;
Waitz, Deutsche Verfassungsgeschichte III'-, 331 — 333 (lieber die Reichs-
versammlungen unmittelbar nach der Kaiserkrönung). 3) Dies ist aller-
dings eine der mehr schablonenhaften, in diesem Werke gewissermassen
gewohnheitsmässig wiederkehrenden Wendungen, so dass ihre Auslassung
den Ann. Mett. nicht zum Vorwurf zu machen ist. Die anderen Quellen
sagen aber auch nichts von einem placitum, das damals in Salz statt-
gefunden habe — abgesehen von den falschen Nachrichten über den dort
abgeschlossenen Frieden mit den Sachsen und der UeberschrJft einiger
Codices zu den Capitula ecclesiastica ad Salz data (Capp. I, 119), nach
denen diese jedoch im Jahr 804 erlassen sein wüi'den. 4) 'ceterum —
permisit' auch in den Zusätzen des cod. B 3 des Regino (Kurze S. 64).
5) Hiernach erscheint auch die zwiefache Erwähnung des Eintreffens des
404 B. V. Simson.
804 wird erzählt, dass Karl d. Gr. auf dem damaligen
Zuge nach Sachsen den Rhein bei Köln überschritten
habe ('Trausitoque Reno apud Colonoam urbeni'; Ann.
Mett. nur: 'Transitoque Eeno'). Wir wussten bisher nur,
dass Karl auf dem Rückwege über Köln kam ^.
Abweichend von den Ann. Laurissenses wird übrigens
auch die Schlacht am Süntel (782) behandelt:
'Sed ipso reverso, suadente perfido Witingindo, Saxones
solito more mentiti sunt. Et ignorante rege, missos suos
Adalgisum et Gailonem et Wogratum, quos cum parte
exercitus Francorum direxit in Saxoniam, ut acceptis ex
his bellatoribus, perrexissent pariter super Sclavos, qui in
illis partibus rebelles erant, hoc perfidi Saxones cernentes
irruerunt super Francos, crudelique prelio commisso ex
utraque parte multi vulnerati ceciderunt. Inter quos etiam
Adalgisus et Gallo - in monte qui dicitur Sundal occubuerunt'.
Hier wird also kein Sieg der Franken behauptet, wie
in den Laurissenses : sondern es heisst, es seien auf beiden
Seiten viele gefallen. Ausserdem wird die Darstellung der
Laur. umgekehrt, indem sich hier nicht die fränkischen
Königsboten auf die Sachsen, sondern die letzteren auf die
Franken stürzen. Indessen ist das letztere jedenfalls un-
genau.
Zu begrüssen ist die neue Entdeckung auch deshalb,
weil sie das Verfahren und die Ergebnisse der Quellenkritik
in ähnlicher Weise bestätigt, wie einst die Auffindung des
Textes der Annales Altahenses. Der Fall liegt sogar in-
sofern noch günstiger, als hier nicht nur eine späte Ab-
schrift, sondern noch ein mittelalterlicher Codex des ver-
loren geglaubten Textes zum Vorschein kommt.
Zuerst schloss Robert Dorr, ein Schüler Giese-
brechts, vor 30 bis 40 Jahren in seiner Doctordissertation
De bellis Francorum cum Arabibus gestis' (Königsberg 1861)
aus den mit den Annales Mettenses eng verwandten Stellen
der Gesta abbatum Fontanellensium und des Chronicon
Kaisers in Regensburg nicht mehr als eine gedankenlose Wiederholung
und Verdoppelung, wofür man sie bisher halten musste, vergl. Forschungen
zur Deutschen Geschichte XX, 404; Jahrbücher Karls d. Gr. II, 297 N. 2^
298 N. 2. Daher möchte ich meine frühere Vermuthung, dass das erste
Mal statt Regensburg eigentlich Salzburg (Salzburch) stehen müsste, jetzt
zurückziehen, obwohl sie dem sonst bekannten Itinerar Karls entspricht
(vergl. Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins N. F. IX, 218).
1) Jahrb. II, 315. 2) Die Titel des Adalgis, Gallo und "Worad ('came-
rarius — comes stabuli — comes palatii', vergl. Ann. Einh.) sind hier eben-
so wie in den Ann. Laur. fortgelassen. 786 nennt der Durhamer Cod. den
Senischalk Audulf nur 'virum illustrem' (so auch die jüngeren Ann. Mettens.).
Die wiederaufgefundeue Vorlaffe der Annales Mettenses. 405
Moissiacense (cod. Anianensis), dass eine solche, aus den
Fortsetzungen des Fredegar und den Annales Laurissenses
combinierte Vorlage der Mettenses vorhanden gewesen sein
müsse. Dann wies man auf die Verwandtschaft einiger
Jahresberichte der Annales Guelferbytani mit den Ann.
Mett. hin. Darauf kamen einige Fragmente ans Licht,
deren enge Beziehungen zu jener Vorlage von Waitz, Giese-
brecht, Ebrard, Puckert u. a. klargelegt wurden. Ferner
bemerkte man auch, dass im Chronicon Vedastinum und
in den Annales Lobienses jene Vorlage benutzt sei u. s. w.'.
Vergleicht man den Durhamer Codex (den ich von
jetzt an mit D bezeichnen will) mit den Fragmenten, so
ergiebt sich im wesentlichen wörtliche Uebereinstimmung.
Zum Beweise genügt die Anführung einzelner Stellen. Von
den Abweichungen der bisher bekannten Fassung der
Annales Mettenses in dem jetzt in Berlin befindlichen Codex
(B) kann man sich aus der Zusammenstellung in SS. XX
und XIII überzeugen.
Fragm. Dusseldorp.
Anno incarnationis Do-
mini 760. Pippinus rex cer-
nens Wagfarium ducem Aqui-
taniorum minime iustitias
ecclesiarum quae in partibus
Francorum erant facere volu-
isse, ex consilio optimatum
principumque suorum in
Aquitaniam iter direxit, et
pervenit in locum qui dicitur
Tedoad. Cum liaec vidisset
Wagpharius, direxit nuntios
suos Witbertum scilicet et
Dadinum, et dedit obsides
Adelgarium et Iterium, spo-
pondens sub iure iurando, ut
quod quondam malo ordine
commiserat contra domina-
D.
Pippinus rex cernensWai-
farium ducem Aquitaniorum
minime iusticias §cclesiarum
quae in partibus Francorum
erant facere voluisse, ex con-
silio optimatum suorum iter
in Aquitaniam direxit, et per-
venit usque ad locum qui
dicitur Tedoad. Cum haec
vidisset Waifarius, direxit nun-
tios Aubertum et Dadinum
et dedit obsides Adalgarium
et Iterium, spopondens se sub
iureiurando ut quod quondam
malo ordine commiserat con-
tra dominationem regis Pij)-
pini, secundum iudicium et
legem emendare deberet.
1) Vergl. die Zusammenstellung der Fragmente und eines Theils
der Excerpte SS. XX, 1 ff., XIII, 26 ff.; dazu Fr. Ebrard in Forschungen
zur Deutschen Geschichte XIII, 463 — 472; Griesebrecht ebend. S. 627 —
633; Waitz ebend. VIII, 681 ff., XX, 385 ff.; Simsou ebend. 395 ff., so-
wie die vielleicht durch allzu grosse Subtilität ermüdenden, aber durch
Cielehrsamkeit und Scharfsinn ausgezeichneten Untersuchungen Pückerts
in den Berichten der königl. sächs. Gesellschaft der Wissenschaften (phil.-
hist. Cl.) 1884 S. 106 ff.
406
B. V. Simson.
Fragin. Dussel clor p.
tionem regis Pippini, secun-
dum iudicium et legem emen-
daret. Hac firmitate suscepta,
plus princeps Pippinus ad
propria revertitur, et cele-
bravit natalem Domini Cari-
siaco, et pascha similiter.
Fragm. Basiliense.
770.
Eodem anno perrexit iam
dicta regina per Bawariam
partibus Italiae.
772.
Inde ad Ermensul usque
pervenit, et ipsum fanum de-
struxit, aurumque et argen-
tum, quod superstitiosum ibi
adunatum fuerat, suis fideli-
bus distrifbuit].
F r a g m. V i n d o b o n e n s e.
785.
Et cum pervenisset in Bar-
tengowe, ibi ad eum Widi-
kindus et Abbi, gener eins,
venit, et firmaverunt sub
sacramentis, illum se secu-
turos esse in Franciam.
D.
Hac firmitate suscepta, prin-
ceps Pippinus ad j)ropria re-
vertitur, et celebravit natalem
Domini Carisiaco et pasca
similiter.
D.
Eodem anno perrexit iam
dicta d o m n a B e r c t a regina
per Bavariam partibus Itali§.
lüde ad Ermensul usque
pervenit, et ipsum fanum de-
struxit, aurumque aut argen-
tum, quod superstitiosum ibi
adunatum fuerat, suis fideli-
bus distribuit.
D.
Et cum pervenisset in Bar-
tengawe, ibi ad eum Witi-
gindus et Abbion, gener eins,
venit, et firmaverunt sub sa-
cramento, illum se secuturos
esse in Franciam.
Besonders interessant ist die Vergleichung mit dem
Clironicon Moissiacense (cod. Anianensis). Sie
widerlegt endgültig die einst von Bouquet und Pertz ge-
hegte Meinung, dass die Annales Mettenses (B) die mit
dieser Chronik übereinstimmenden Stellen aus der letzteren
entlehnt hätten ^. Sie bestätigt vielmehr die mit Unrecht
in Zvreifel gezogene - Ansicht, dass beide aus gemeinsamer
Quelle geschöpft haben. Zweifelhaft könnte auf den ersten
Blick höchstens erscheinen, ob auch das Chronicon Ania-
nense gleich B den Text D (nur in einer theilweise correc-
1) So auch noch Bonnell, Die Anfänge des karolingischen Hauses
S. 159. 2) Auch von Giesebrecht, Forschungen z. D. Geschichte XIII,
631 N. 1. Siehe dagegen Waitz ebend. XX, 391; Simson ebend. 395.
400 und namentlich Puckert a. a. O. S. 113 — 116. Nachträglich war
sogar auch Waitz geneigt, den Zweifel Giescbrechts für begründet zu
halten. (S. B. der Berliner Akad. 1882 S. 406.)
Die wiecleraufgefundene Vorlao;e der Annales Mettenses. 407
teren Handschrift als die Durhamer) benutzt hat, oder noch
weiter auf eine in D verarbeitete Vorlage zurückgeht ^.
Es zeigt sich nämlich, dass die betreffenden Stellen
des Chronicon Anianense sämnitlich, und zwar in derselben
Fassung, auch in D enthalten sind. Selbstverständlich
sind sie also ebenfalls aus D und nicht aus dem Chronicon
in B übergegangen.
Zum Beweise reicht folgende Zusammenstellung hin:
Chron. Moiss
D.
cod. Anian.
SS. I, 293.
Pippinus vero rex
non poterat ea quae
Romano praesuli
promiserat, nisitoto
affectu cum Dei
auxilio adimpleret.
His minis Hai-
stulf US t y r a n n u s
territus, per ma-
nus Pentapolim,
Narnias et Cecanum
Pippinus vero non
poterat ea que Ro-
mano presuli pro-
miserat , nisi toto
effectu cum dei
auxilio adimpleret.
His minis Hei-
sulf u s p e r t e r r i -
tu s, per manus Pen-
tapolim, Narnias et
Cecanum et reliqua
debita quae sancto
B (Ann. Mett.).
754.
Pippinus vero re-
spondit, se non aliud
posse facere, nisi ea
quae Romano prae-
suli promiserat.
Pentapolim ita-
que, Narnias et Ce-
canum et reliqua
debita, quae sancto
Petro abstulerat. . .
et reliqua debita
quae sancto Petro Petro debuerat.
debuerat. . .
Chron. Anianense hat aus D auch Stellen entlehnt,
welche in B nicht benutzt sind, nämlich in den Berichten
über die Jahre 799 — 801. Diese Stellen, deren Verwandt-
schaft mit den Ann. Laurissenses Pertz - erkannte, gehen
doch nicht unmittelbar auf Laur., sondern auf die über-
arbeitete Fassung derselben, die D bietet, zurück.
Chron. Anian.
799.
Inde per fugam
nocte lapsus. . .
800.
Cum autem Ro-
mae propinquaret,
occurrit ei Leo papa
et Romani principes
cum eo.
D.
Inde per noctem
fuga lapsus. . .
Cum autem Ro-
mam proficiscere-
tur, occurrit ei pri-
d i e Leo papa et Ro-
mani principes cum
eo.
Lau r.
noctu j)er murum
evasit.
Romam vero cum
venisset, occurrit ei
pridie Leo papa
et Romani cum eo.
1) Hierülier s. unten.
(SS. I, 303 n. 39).
2) Er nennt ungenau die Ann. Einhardi
408
B. V. Simson.
Chroii. Anian.
800.
post octo vero dies
concione cum Eo-
manis habita, cau-
sam adventus sui
Omnibus patef ecit.
801.
cum apud Romam
moraretur rex Ca-
rolus , Zacharias
presbyter . . . (cum)
duobus monachis
de Hierosolyma a
patriarcha directis
ad regem Eomam
venerunt; qui bene-
dictionis causa cla-
ves sepulcri domi-
uici ac loci Calvaria,
claves etiam civi-
tatis et montis S i o n
cum vexillo c r u c i s ^
detulerunt.
cum ... ab orati-
one consurgeret. . .
Post laudes vero
a plebe decantatas
D.
Post octo vero dies
rex contione cum
Romanis habita,
causas sui adventus
patefecit.
(800).
De lerosolimis
enim a patriarcha
directi venerunt.
Qui benedictionis
causa claves sepul-
cri dominici ac loci
Calvari^, claves eti-
am civitatis et mon-
tis Sion cum ve-
xillo detulerunt.
(801).
cum ... ab orati-
one consurgeret. . .
Post laudes vero
a plebe decantatas
L a u r.
Post VII vero
dies rex contione
vocata, cur Romain
venisset, omnibus
patefecit.
800.
Hier fehlt Sion,
vergl. Ausgabe von
Kurze S. 112 N. 5.
801.
cum ... ab orati-
one surgeret. . .
Et post laudes . . .
Im Ganzen stimmen — abgesehen von einzelnen Vari-
anten, Auslassungen und Interpolationen ^ — folgende
Stellen des Chron. Anian. mit D überein:
SS. I. 291, 42 'ac suo subiugavit imperio'. 46 — 292, 11
'His diebus — scriptum remandavit'. 292, 33 — 35 'ad limina
— pervenit'. 35 — 39 'capitisque coma — professionem spo-
pondit'. 41 — 293, 47 'molestiam Langobardorum — expulit'.
47 — 49 'Eodem anno — martyrio coronatur'. 294,1 — 18
1) Ueber diesen Zusatz vergl. Puckert S. 115 N. 13, 15G N. 47.
2) Solche sind 293, 54 'annum unum et menses tres'. 295, 24 und 36 'et
Oggerio'. 33 — 34 'Karolus vero — a Francis' (vergl. Ann. Lauresham.).
S. 291, 46 — 292,11 ist auch die Chronica universalis ( — 741) Scr. XIII,
19 benutzt, vergl. Forschungen z. D. Gesch. XX, 395 — 399.
Die wiederaufgef uudene Vorlage der Annales Mettenses. 409
'Haistulfus — adductis'. 295, 8 — 27 'Eratqiie tunc — circiiin-
dedit'. 27—28 'Celebravit — Romae'. 29—32 'ßevertente —
ad Constantinopolim perrexit'. 34 — 37 'Porro — reversus
est'. 304, 4 — 10 'Inde per fugam — dednctus est'. 29 — 30
'Cum autem — patefecit'. 42 — 49 'Qiii — se purgavit'.
305, 18 — 23 'duobus monachis — detulernnt'. 26 — 38 'Ipse
vero — adoratus est' ^.
Aach die verwandten Stellen der Annales Guelfer-
bytani stehen dem neu entdeckten, älteren Texte (D)
näher als dem bisher bekannten, späteren (ß), wie folgende
Vergleichung ergiebt :
Guelf.
803. Imperator
autem e s t a t i s
tempore venit ad
Magontiam.
805. Caroli autem
et principum eins
misit in Sclavos in
regione Peehaim,
ipsam regionem va-
dit.
D.
Imperator esta-
t i s tempore ab,
Aquis profectus ad
Mogontiam perve-
nit.
Caroli autem re-
gis et principum
eins qui cum eo
erant imperio usus
totus ille exercitus
ipsam regionem in-
vadit.
B.
Imperator vero
post pascha- ab
Aquis profectus ad
Magonciam venit.
Wie D, jedoch
ist 'eins' wegge-
lassen — 'invasit'.
Es begegnen uns in Guelf. sogar ein paar Angaben,
die wir in B überhaupt nicht finden, wohl aber in D.
Wie Guelf. 804 schreiben: 'inde' (von Nimwegen)
'regressus Kai. Sept. ad Aquis palacium', so D : 'Inde' (von
Köln) 'autem cum l^tania' (1. leticia) 'magna regressus
Kai. Septembr. Aquis palacium venit'. Wie sich zeigt, nahm
Mühlbacher^ mit ßecht an, dass die Notiz der Guelf. erst
auf die Heimkehr Karls d. Gr. von dem sächsischen Feld-
zuge zu beziehen sei. Die Guelf. haben hier ihre Vor-
lage mehrfach bis zur Sinnlosigkeit verkürzt ^. Monod ^ sagt
treffend, um ihren Text zu verstehen, müsse man die Ann.
1) Hier ist 'a d i u n c t o etiam Romano populo acclamante' eigentlich
corrumpiert aus 'et a cuncto Romanorum populo acclamatum est'. 2) Dies
ist ungenau, vergl. Jahrbücher Karls d. Gr. II, 287. 3) Regest. Imp.
S. 164. 4j Heigel in Forschungen z. D. Gesch. V, 400. 5) In seinem
Aufsatze über die Annales Laurissenses minores (Etudes Romanes ded. ä
G. Paris p. 34): 'Les annees 801 ä 805 dans ces dernieres (den Ann.
Guelferljytani) ne sont qu'un extrait mutile et inlbrme du texte que nous
retrouvons dans les Annales Mettenses et celui-ci est indispensable ä leur
intelligence'.
410
B. V. Simson.
Mettenses daneben halten. So wird ihre Angabe in diesem
Falle erst aus derjenigen in D verständlich. Indessen
scheint auch die letztere unrichtig zu sein ^. — Ferner er-
wähnen Guelf. wie D zum Jahr 801 einen Reichstag in
Aachen-.
Desgleichen bestätigt sich die Ansicht, dass die An-
nales Lobienses^ nicht auf die Annales Mettenses (B),
sondern auf deren Vorlage zurückgehen:
Lob.
790. vitilitates
regni sui disponens
799. Geroldus
prefectus Alaman-
n i a e '^ et Bawariae
803. Veneruntle-
gati Nicophori im-
peratoris, qui eodem
anno factus fuerat
Imperator, deposita
Hiren§.
804. eos qui in
Wigmoti commone-
bant *' (1. commane-
bant) . . .
. . . cui Impera-
tor Rhenus cum
laetitia occnrrit.
D.
disponensque uti-
litates interiores
resfni sui. . .
Geraldus comes
quam (sie) rex Ala-
mannis et Bawa-
riis pref ecerat . . .
Quo in loco vene-
runt ad eum legati
Nitifori imperato-
ris, qui eodem anno
factus est Imperator
Grecorum, deposita
imperatrice Herene.
illos qui in Wig-
moti commanebant
Ipse quoque ad
Remorum civitatem
in basilica beati Re-
migii episcopi et
confessoris ei o c -
c u r r i t et c u m
magno g audio
et veneratione
eum suscepit.
B.
disposuitque ea
quae utilia videban-
tur esse in regno
suo.
Giraldus comes
Baioariae praefec-
tus. . .
... et venerunt
cum eis legati Ni-
chofori imperatoris,
qui tunc rem publi-
cam regebat ^.
illos qui in Wig-
moti manebant. . .
Ij)se vero obviam
illi apud Remorum
civitatem in basilica
beati Remigii epi-
scopi et confessoris
prof ectus est, ibique
susceptum . . .
1) Vergl. Jahrbücher Karls d. Gr. II, 300 N. .S, 315 N. 3 und unten.
2) Vergl. o. S. 403. 3) SS. XIII, 224 ff.; vergl. Forschungen z. D. Gesch.
XX, 401— 404. 4) Vergl. Puckert a. a. 0. S. 145. 5) Nach Regmo;
Ann. Laur. : 'et venerunt cum eis legati Nicifori imperatoris, qui tuuc
rem publicam regebat — nam Herenam post adventum legationis Franciae
deposuerunt'. 6) So die Hs. Waitz (SS. XIII, 230) setzte dafür 'com-
morabant'.
Die wiederauf ffef undene Vorläse der Anuales Mettenses. 411
Es ist vielleicht auch kein blosser Zufall, dass sich
sowohl in Lob.^ wie in D 807 eine durch Ueberspringen
von dem Worte 'fenestras' auf das gleiche Wort veranlasste
Lücke findet.
Daneben lässt sich freilich auch beobachten, dass die
Ann. Lobiens. sich sowohl mit den Lauriss. als mit D be-
rühren.
Lob. Laur. D.
776. Nam rebel-
laverant et Eresbur-
gum castrum de-
struxerant, et cum
Sigiburgum s i m i -
liter facere vel-
lent , a p p a r u i t
manifesta glo-
ria Dei . . . Ad
ultimum apparue-
runt supra ipsam
basilicam duo scuta
ingentia ignei co-
loris in aere, ipsam
ecclesiam defensan-
tes.
JBLerisburgum ca-
strum conquisieru nt
et usque solum mu-
rum eins destruxe-
runt . . . Inde ad
Herisburgum (!) pro-
ficiscentes Saxones
simili modo ipsum
castrum multis ma-
chinis preparatis de-
struere decreverunt
... In quo cer-
tamine magnum mi-
raculum deus ma-
nifestare dignatus
est. Nam pugnan-
tibus Saxonibus ap-
paruerunt supra ip-
sam basilicam . . .
fugentia (!) ignis (!)
coloris suspensa
aere ipsam §ccle-
siam defendentes.
Man muss annehmen, dass Lob. neben D auch die
Laur. benutzten '-.
Auch die hier in Betracht kommenden Stellen der
Gesta abbatum Fontanellensium folgen im Wort-
laut bisweilen noch genauer dem Texte D als dem Texte B.
sie Eresburgum a
Francis derelictum,
muros et opera de-
struxerunt. Inde
pergentes voluerunt
de Sigiburgi simi-
liter facere . . .
apparuit mani-
feste gloria Dei
supra domum eccle-
siae ... et dicunt
vidisse instar duo-
rum scutorum co-
lore rubeo flam-
mantes et agitantes
supra ipsam eccle-
siam.
G. abb. Font.
c. 8. Haec igitur
. . . animum pueri
f e r t u r cotidianis
ammonitionibus
corroborasse.
D.
Haec igitur . . .
animum pueri f er-
t u r cotidianis ad-
monitionibus cor-
roborasse.
B.
693. Haec igitur
. . . animum pueri
cotidianis ammoni-
tionibus corrobo-
rabat.
1) Vergl. SS. XIII, 231 e. 2) Vergl. Waitz SS. XIU, 225.
412
ß. V. Simson.
G. abb. Font.
c. 9. cernens se
superatum et ad de-
fendendam j)atriam
suam contra Karo-
lum se viribus esse
destitutum — Ga-
ronnam fluvium
transennt, Burdiga-
lem urbem pervene-
runt — pluribus-
que christianis in-
terfeetis — basili-
camque sancti Hi-
larii i g n e con cre-
mata.
c. 10. regem pre-
fatum Sarraceno-
rum —
spoliis innumera-
bilibus ditatus
c. 12. partibus
Provintiae
filio vero iuniori
suo Pippino
annis 26 et men-
sibus 6
sepultnsque est
D.
cernens se supe-
ratum et ad defen-
deudam patriam su-
am contra Carolum
se viribus esse de-
stitutum — Garan-
num fluvium trans-
eunt, Burdigalem
urbem pervenerunt
— pluribusque
christianis interfec-
tis — Basilicaque
sancti Hjlarii i g n e
concremata.
Regem prefatum
Sarracenorum
— Spoliis innu-
merabilibus ditatus
partibus Provin-
ciae
B.
732, cernens se
esse superatum et
ad defendendam pa-
triam suam contra
Carolum se viribus
destitutum — Ga-
ronnam fluvium
transeunt, et Bur-
digalam urbem per-
venerunt — p 1 u r i -
misque christianis
interfectis — Basi-
licaque sancti Hi-
larii concremata.
737. Regem vero
praefatum Sarrace-
norum —
spoliis que innu-
merabilibus ditatus
739. in partibus
Provinciae
741. Filio vero
iuniori Pippino
annis 26 mensibus
6
filio vero iuniori
suo Pippino
annis 26 et men-
sibus sex
sepultnsque est sepultusque.
Daneben kommt allerdings auch der umgekehrte Fall
vor:
G. abb. Font. D. B.
in loco qui voca-
batur Birra —
pugna acerrima —
depopulata Gotia
derutisque civi-
tatibus
c. 10. in loco qui
vocatur Byrra —
pugna acerrima
commissa — cunc-
ta depopulata Gotia
d i r u p t i s q u e ci-
vitatibus
c. 12. usque ad
litus maris — To-
ringiam que
737. in loco qui
vocatur Birra —
pugna acerrima
commissa ■ —
cuncta depopula-
ta Gothia dirup-
tisque civitatibn.s
usque litus ma- 1 739. usque ad li-
ris — Toringiam ! tus maris — 741.
[ Toringiam que
Die wiederaufgefundene Vorlage der Aunales Mettenses. 413
G. abb. Font.
c. 14. exconsultu
beati Zachariaepa-
pae urbis Romae
P-
ex consulto Za-
chariae papae urbis
B.
750. ex consultu
beati Zacliariae
Romae j papae urbis Eomae.
Dies beruht jedoch offenbar nur darauf, dass die Hss.,
die den Gest. und B vorlagen, an diesen Stellen besser
Avaren als der Durhamer Codex.
Endlich steht auch das Chronicon Vedastinum,
wie man wenigstens aus 771 erkennen kann ^, D näher als
B. Jedoch verlohnt es sich nicht, auf alle Benutzungen
der in Rede stehenden Conipilation einzugehen, wo die
Vergleichung wenig ausgiebig ist.
Keine Bestätigung — dies ist noch hervorzuheben —
erhält durch D die von Waitz - aufgestellte, von Puckert
weiter erörterte Ansicht, dass die kleine Lorscher Franken-
chronik (Annales Laurissenses minores) zum Theil
auf derselben Grundlage beruhe wie die Annales Mettenses •'.
Die Rückschlüsse, welche Waitz aus jener kurzen Chronik
auf den Inhalt der verlorenen Quelle zog, treffen auf D
grösstentheils nicht zu.
D ist von einzelnen Fehlern frei, die sich in B finden.
Ein bekannter Verstoss des letzteren Textes ist es, dass er
(745) Pippin den Theudebald nach Alemannien zurückrufen
und ihm das Herzogthum zurückgeben lässt ('revocatoque
illo, eiusdem loci ducatum dedit et ad propria remeavit')^.
In Cont. Fredegar. 27 (113) liest man dagegen: 'revocatoque
sibi eiusdem loci ducatu, victor ad propria remeavit' und
auch in D : 'revocatoque eiusdem loci ducatu, ad propria
remeavit'. Kurz vorher findet man statt Fredegar. cont.
26 (112): 'per loca deserta et palustria' in B: 'per loca
per quae plaustra ducebantur'. Wir erkennen deutlich,
dass diese Entstellung nicht unmittelbar durch die Fort-
setzung des Fredegar, sondern durch D veranlasst ist, da
wir in diesem finden: 'per loca iniqua perque palustria'^.
— 805 confundiert B den avarischen Kapkhan mit dem
Khakhan (Capcanus princeps Hunorum — • alter Caga-
nus) '• — auch dies ist in D nicht der Fall.
1) Vergl. Scr. XIK, 703 N. 4. 2) S. B. der Berliner Akademie
1882, S. 399 ff. 3) Auch Monod liess diese Annahme in seinem er-
wähnten Aufsatze über die Annales Laurissenses minores (S. 39) dahin-
gestellt. 4) Vergl. Forschungen zur Deutschen Geschichte XX, 402.
5) In der Berliner Hs. der Ann. Mett. ist 'qug' über 'perplaustra' nacli-
getragen. Vergl. die Mittheilung Wattenbachs N. Archiv XV. 560 N. 6.
6) Vergl. Jahrbücher Karls d. Gr. 11, 320 N. 5, 321 N. 8.
•114 B. V. Simson.
Aber auch D enthält schon Fehler, die sich in B
ähnlich wiederholen. So hat D (693) 'Pippiui vero sing'ularis
principatus in Theodericiim', während ich mit Hülfe der
Genealogia Dagoberti im Cod. Paris, latin. n. 9422 nach-
gewiesen zu haben glaube ^, dass die Worte ursprünglich
gelautet haben müssen: 'Anno deinde incarnationis domi-
nice DC™° XC^" III ", Pippini vero singularis principatus
111° Theodericus . . . moritur' 2. Man sieht, aus III ent-
stand in D, durch eine sehr leicht erklärliche falsche Lesung,
'in'; B suchte dies wieder durch 'super' zu verbessern. ■ —
Ebenso ist es nach Geneal. Dagoberti wenigstens wahr-
scheinlich, dass es in einem anderen Satze desselben Jahr-
berichts heissen sollte : 'Ulis quidem nomina regum impo-
nens, ipse totius regni habenas cum summa gloria et
honore tractabat' (wie 714: 'tanti regni habenas tractare
praesumebat'). Allein nicht nur B schreibt statt dessen:
'totius regni habens Privilegium', sondern auch D be-
reits: 't. r. habens privilegia'. — Weiterhin stehen die
Worte 'Eemorum scilicet (B. Remorum vero scilicet) et
Senonum ceterarumque urbium ad ipsum ducatum perti-
nentium' auch schon in D, wie man behaupten darf, ausser-
halb eines vernünftigen Zusammenhangs ^. Sie gehören,
1) Vergl. N. Archiv XV, 557 ff. Zeitschrift für die Gresch. des
Oberrheins N. F. IX, 216 ff. 2) Die Stelle nimmt sich in D noch
wunderlicher aus als in B, weil jener auch das Incarnationsjahr fortge-
lassen hat :
D.
Pippino vero singularis princi-
patus in Theodericum, qui antequam
vinceretur a Pippino annis XIIII, vic-
tus vero sub eodem regnabat III
annis, moritur.
3) Nur das falsche 'vero' fehlt in D.
B.
Anno dominicae (1. deinde) in-
carnationis domini nostri lesu Christi
693, Pippini vero singularis prin-
cipatus super Theodericum, qui ante-
quam vinceretur a Pippino annis 14,
victus vero sub eodem regnavit 3
annis, moritur (Pertz bemerkt dazu
Scr. I, 321 a) seil. Theodericus).
Sonst schreibt auch er fast wörtlich
wie B : 'Remorum scilicet et Senonum ceterarumque urbium ad ipsum
ducatum pertinentium iuniorem filium eins nomine Grimualdum maiorem
domus cum Hildiberto rege constituit'. Das 'scilicet' schwebt hier aber
in der Luft. Ferner kann von einem Majordomus verschiedener Städte
überhaupt nicht die Rede sein. Ueberdies machte Pippin der Mittlere
seinen Sohn Grimoald zum Majordomus Childeberts in Neustrien und
Reims und Sens gehörten nicht zu Neustrien, wohl aber zur Champagne. —
Bonneils Erklärungsversuche (a. a. 0. S. 128. 173 ff.), wonach die Ann.
Mett. hier einen Vorgang aus der zweiten Hälfte des 10. Jh. herein-
gezogen hätten, scheitern endgültig daran, dass D bereits das Nämliche
enthält. So ergeht es einem grossen Theil seiner Kritik der Ann. Mettenses
überhaupt. Auch in dieser Beziehung ist die Entdeckung des Durhamer
Textes wichtig.
Die wiecleraiifgefiMideue Vorlage der Annales Mettenses. -115
wie ich schon früher bemerkt habe, allem Anschein nach
zu den vorhergehenden Worten : 'Igitur Drogonem primo-
genitum suum ducem posuit Burgundion um' (sollte eigent-
lich heissen 'Campaniae'), von denen sie jetzt durch mehrere
Sätze getrennt sind.
Desgleichen lässt eben schon D Pippin den Mittleren
seinen Sohn Drogo zum Herzog der Burgunder (statt der
Champagne) einsetzen, wie es auch das Chronicou Vedasti-
num thut ^. - — Der verderbten Stelle in Ann. Mett. (B) 804
über die Nordalbinger : 'illos, quos ultra Albiam t r ans-
ier at', welche Pertz durch Einschaltung von 'ad' vor 'quos',
Waitz durch die Conjektur 'transmiserat' zu heilen suchte,
ist, wie sich jetzt zeigt, durch Einfügung von zwei Buch-
staben zu helfen. D schreibt: 'quos ultra Albiam trans-
iecerat'. Die Vermuthung von Waitz, die er übrigens mit
einem Fragezeichen begleitete und die mir früher nicht ein-
leuchtend schien "-, traf also dem Sinne nach ungefähr das
Richtige. Aber der Compilator zeigt sich hier schlecht unter-
richtet ; denn die Vorstellung, welche dabei zu Grunde zu liegen
scheint, dass die transalbingischen Sachsen erst durch Karl
d. Gr. über die Elbe geworfen worden seien, ist eine irrige •^.
Dazu kommt, dass der Durhamer Codex nichts weniger
als correct ist. Manche einzelne Fehler lassen sich aus
den Fragmenten, dem Chron. Aniauense, den Ann. Lobiens.,
den Gest. abb. Fontanell., sogar aus B verbessern und selbst
grössere Lücken aus diesem ergänzen^.
Gräulich verwirrt ist in D eine Stelle über den Sieg
Pippins des Mittleren über den Friesenfürsten Eatbod bei
Duurstede :
1) Vergl. Puckert a. a. 0. S. 109 N. 5 — eine Bemerkung, die ich
früher (N. Archiv XV, 561 — 562 und Zeitschr. f. d. Gesch. cles Ober-
rheins N. F. IX, 218) übersehen habe. 2) Jahrbücher Karls d. ör. II,
303 N. 5. 3) Auch andere Stellen in D lauten so, als ob es nur drei
Theile der Sachsen gäbe, 775: 'tertia pars Saxonum qui dicuntur Wesfali'.
779 : 'in Wastfales, que, ut diximus, tertia pars Saxonum est'. Vergl. auch
Ann. Lobiens. 775. 4) So 753. 761. 774. — 753 heisst es in D un-
sinnigerweise 'exercitumque in Britanniam subiugavit partibus f rancorum',
in B dagegen : 'exercitumque in Britanniam duxit, et Venedis castrum
conquisivit totamque Britanniam subiugavit partibus Francorum'. Das
Auge des Schreibers von D glitt also von einem 'Britanniam' zum andern
hinüber. 761 sind in D die Worte 'jDeragrataque Aquitania' ausgefallen
und die vorhergehenden 'cunctos quos ibi repperit, captos secum adduxit'
an eine unrichtige Stelle versetzt; der Text B wird hier auch durch das
Düsseldorfer Fragment bestätigt. 774 schreibt B : 'revertente cum Dei
auxilio. intercedentibus beatis apostolis Petro et Paulo, glorioso Karolo
rege a Romana urbe\ übereinstimmend mit Chron. Anianense (SS. I. 295,
lin. 29 — 30), D dagegen stai'k abgekürzt: 'Revertente Carolo rege a Ro-
mana urbe'.
Neues Archiv etc. XXIV.
27
416 B. r. Simson. *
'Adunato igitur exercitu, iuxta castrum qiiod dicitur
Dorestadnm (aiirestadum cod.) castra metatus est. Cui
occurrit cum valida manu, et pugna commissa est. Ubi
i^risiones magna clade et superba manu Eadbod aciemque
invicem construentes (construntes cod.), valida pugna com-
missa est, ubi Frisiones magna clade percussi sunt'. Die
Verwirrung ist durch Verdoppelung der Worte 'pugna com-
missa est. Ubi Frisiones magna clade', wohl auch von 'manu'
und 'et' entstanden.
In B, wo der dritte Satz (Duchesne III, 267) lautet:
'Ubi Frisiones superba manu ßadbodi in aciemque prope-
rantes, valida pugna' etc., erkennt man das Bestreben, die
Verwirrung zu mildern und die Ausdrucksweise zu feilen;
das erste 'magna clade' nebst 'et' ist ausgemerzt, 'Radbod'
in 'Ratbodi' verwandelt, für 'aciemque invicem construentes'
gesetzt 'in aciemque properantes'. Vollständig ist die Ver-
wirrung damit jedoch nicht beseitigt und die Aenderung
keine glückliche. Denn eigentlich hätte es in der Vorlage
etwa heissen sollen: 'Cui occurrit cum valida et superba
manu Eadbod, aciemque invicem construentes, valida pugna
commissa est, ubi Frisiones magna clade percussi sunt'.
Nicht viel glücklicher als B in der Emendation seiner
Vorlage war hier auch Pertz (SS. I. 321, 32 — 33) in der
Emendation von B. Er schreibt : 'Cui occurrit cum valida
manu, et pugna commissa est, ubi Frisiones superba manu
Eadbodi in aciem properantes, magna clade percussi sunt'.
Hier bleibt ebenso wie in B unkenntlich, dass das Subject
zu 'occurrit' Eadbod ist. Ueberhaupt ist der Text von B
hier nicht zu ändern, sondern, nachdem wir den Grund seiner
Gestaltung aus D ersehen haben, zu belassen wie er lautet.
Auch D ist ferner schon eine Compilation, und zwar
eine sehr ungeschickte. Nicht nur die unglaubwürdigen,
tendenziösen Nachrichten der Ann. Mettenses, sondern auch
die Verdoppelung von Ereignissen, die Wiederholungen und
Confusionen, welche sich in B bemerklich machen, fallen
beinahe sämmtlich bereits D zur Last und sind aus ihm
in B übergegangen ^.
Gross ist die Verwirrung bereits in D zu den Jahren
804 und 805 -:
1) Eine Ausnalime macht die doppelte Erwähnung des Eintritts
Karlmanns in das Kloster Montecasiuo in B (747). Sie ist durch die
Benutzung des Regino veranlasst, welche in D überhaupt nicht stattfindet;
vergl. Forschungen z. D. Gesch. XX, 404. Ebenso liegt der Fall 8U5:
'eiusque precibus favit' (aus Regino) — 'et precibus eins annuens' (aus D).
2) Ueber 803 vergl. o. S. 403.
Die wiederaufgefundene Vorlage der Annales Mettenses. 417
804. Ibiqiie susceptum (den Papst Leo III., den Karl
in St. ßemi bei Eeims empfangen hatte) primo Carisi-
acnm villam, ubi natalem Do mini celebravit,
devenit. lüde pariter j)roficiscentes pervenerunt ad Sues-
sionis civitatem. In qua dimisso pontifice, ad colloquium
german^ su§ Gisle, que in his diebus egrotabat, ad Calam
monasterium pervenit. Fretoqvie (1. Fruitusque ^) eius con-
loquio, ad Carisiacum villam Leonem pontificem, quem
apud Sanctum Medardum dereliquerat, sibi obviam venire
fecit. Quo in loco pariter natalem Domini cum
summa exultatione c^lebrantes, ipsum apostolicum
secum ad Aquisgraui palatium duxit.
Also hier empfängt Karl den Papst in St. Eemi bei
Reims. Dann begiebt er sich zunächst nach Quierzj, wo
er Weihnachten feiert. Von hier reisen beide zusammen
nach Soissons, wo Leo in dem nahen Kloster St. Medard
zurückbleibt, während Karl zu seiner Schwester nach Chelles
geht. Hiernach kommt Karl mit dem Papste wieder in
Quierzy zusammen, wo sie abermals Weihnachten feiern!
Diese Ungereimtheit ist dadurch herbeigeführt, dass
D die Worte 'Ibique susceptum — celebravit' aus den Ann.
Lauriss.'-, die sich hier kürzer fassen, in den ausführlicheren
Bericht seiner anderen Vorlage eingeschoben hat.
B änderte auch hier ein wenig, zum Theil mit Be-
nutzung des Eegino. Die doppelte Erwähnung der Weih-
nachtsfeier in Quierzy fiel ihm auf. Statt jedoch die aus
den Ann. Laur. interpolierte Stelle zu streichen, womit er
das Eichtige getroffen hätte, strich er die späteren Worte
'Quo in loco — c§lebrantes'. So wurde die Confusion
einigermaassen verhüllt, aber nicht aufgehoben. An sich
könnte ja Karl in Quierzy Weihnachten gefeiert haben
und dann erst nach Soissons, Chelles und wiederum nach
Quierzy gekommen sein. Indessen schwindet nun jeder
Zweifel, dass die Ann. Mettenses hier eine irreführende
Wiederholung enthalten ^' und dass die Weihnachtsfeier in
Quierzy hinter den Aufenthalt in Soissons und Chelles fiel.
Noch stärker ist die Confusion bei dem Jahre 805 in
dem Abschnitt 'Imperator vero ipsius aestatis tempus —
1) Fretusque ß. 2) 'ibique susceptum primo Carisiacum villam,
uhi natalem Domini celebravit, deinde Aquasgrani jaerduxit'. 3) Vergl.
Forschungen zur Deutschen Geschichte XX, 405. Jahrbücher Karls d.
Gr. II, 318 N. 1. Auch H. Kohl, Annalen der Deutschen Geschichte im
Mittelalter II, 162, war geneigt, mir hierin zuzustimmen und machte
darauf aufm.erksam, dass schon Leibniz stillschweigend dieselbe Kritik
geübt habe. Anders Mühlbacher, Regest. S. 165 und Nachtrag S. 778,
wo er die Sache wenigstens dahingestellt sein lässt.
27*
418 B. V. Simson.
ad Eiumerici castellum profectus est'. Hier ist der Anfang-
aus der verlorenen Quelle, das Folgende aus Ann. Lauriss.
entnommen. Die Stelle bedarf jedoch keiner nochmaligen
Erörterung, da die fast gleichlautende in B ^ bereits wieder-
holt kritisiert worden ist -.
Andere Wiederholungen in D, die in B nicht über-
gegangen sind, weil dieser an den betreffenden Stellen dem
Eegino folgt, finden sich 783 : 'rex in Franciam reversus
est — Porro Carolus cum triumpho in Franciam reversus'
(so auch Fragm. Bern. SS. XIII, 30). 800: 'In illis quo-
que diebus Zacharias cum duobus monachis . . . reversus
Romam venit, qui (1. quos) patriarcha lerosolimitanus cum
Zacharia ad regem misit. De lerosoliminis enim a patri-
archa directi venerunt' ^. — Ebenfalls 804 heisst es noch
vor der oben besprochenen confusen Stelle: 'medio Septem-
brio Coloniam venit. Inde autem cum letania (1. leticia)
magna regressus Kai. Septemb. ad Aquis palacium venit' ^.
Die Worte 'medio — Coloniam venit' sind aus Ann. Laur.
geschöpft, der folgende Satz aus der verlorenen Quelle.
Hier ist die mechanische Gedankenlosigkeit des Compilators
auf der Höhe.
Unzutreffend ist es, wenn man die Berichte der Ann.
Mett. 803 — 805 auf eine selbständige Fortsetzung der
Ann. Laur. zurückgeführt hat \ D bietet, wie wir uns über-
zeugt haben, auch in diesen Jahren eine Compilation, nur
dass die aus anderer Quelle geschöpften Zusätze zu den
Ann. Laur. hier besonders reichlich üiessen".
In den Jahren 806 — 829 zeigt auch D keine Spuren
dieser anderen Quelle mehr. Er reproduciert hier einfach
die Laurissenses bis zu ihrem Schluss.
Dann folgt der Bericht über 830^, der auch in B
wiederholt, in letzterem aber gekürzt und geglättet ist.
Der Stil ist hier nicht in allen, aber in vielen Beziehungen
ein anderer als bis 805. Er ist sehr alterthümlich, un-
gelenk und barbarisch. Jede vorkommende Person oder
Sache wird immer von Neuem mit 'antedictus, prefatus,
memoratus' bezeichnet. Bisweilen wird dafür auch 'pre-
1) Indessen hat B 'dilectum filium suum Karolum', während in
D 'dilectum' ausgelassen ist. 2) Vergl. Waitz in Foi-schungen z. Deutschen
Geschichte XX, 388. 391 N. 1; Simson ebend. 405, Jahrbücher Karls
d. Gr. II. 329, N. 1; Mühlbacher a. a. O. S. 166. 3) Vergl. oben S. 408.
4) Vergl. 0. S. 409. Bei der Uebereinstimmung der Ann. Guelf. ist Septemb.
nicht als blosser Schreibfehler anzusehen. 5) So Giesebrecht in For-
schungen z. D. Gesch. XIII, 631 u. a. 6) Dasselbe ist aber z. B. auch
schon 790 der Fall. 7) Schon von Hampe a. a. 0. veröffentlicht.
Die wiederaufgefunclene Vorlage der Annales Mettenses. 419
fixns' gebraucht ('prefixam imperatricem — prefixum par-
vnlum eius filiuni — ut prefixum est') — ein Ausdruck,
der in D sonst niemals, überhaupt in diesem Sinne selten
vorkommt^. Dies gilt auch von dem Gebrauch von 'demum'
in der Bedeutung von 'postea' ~, In der Gesinnung verräth
dies Stück eine lebhafte Theilnahme für die Kaiserin Judith
und ihren Sohn Karl, die beide gepriesen werden^. Es
wird beklagt, dass die edlen und weisen Häupter der
fränkischen Aristokratie, die damals die Sache der älteren
Söhne Kaiser Ludwigs unterstützten, die schlechten Be-
weggründe und Absichten der Aufrüher zu spät erkannt
hätten. Dabei wird die Kaiserin Judith wie eine Person
eingeführt, von der noch garnicht die Rede gewesen ist^,
obschon D 819 ihre Vermählung mit Ludwig nach Ann.
Laur. berichtet.
Alles deutet hier auf einen gleichzeitigen Autor, aber
nicht auf den Compiiator selbst, anscheinend auch nicht
auf die von ihm bis 805 neben den Ann. Laur. benutzte
Quelle, sondern auf eine andere.
B beruht für die Zeit von Pippin dem Mittleren bis
zu diesem Bericht über 830 -^ unmittelbar auf D. Er suchte
die Vorlage zu glätten und zeigt insofern mehr Selbständig-
keit und eigene Arbeit als man ihm bisher zutraute. Hin
und wieder hat er auch eine der Wiederholuno-en in D zu
1) Häufig nur iu den Machwerken, die in Le Mans im Kreise des
Bischofs Aldrich verfasst wurden, wie die Gesta Aldrici, die Actus ponti-
ficum Cenomauuis in urbe degentium etc. Vergl. Simson, Die Entstehung
der pseudoisidorischeu Fälschungen in Le Mans S. 65 ff. J. Havet in Bi-
bliotheque de l'ecole des chartes LIV, 63'2 N. 1. 2) 'Demum enim tenuit pre-
fatus Imperator placitum suum in mense Octobri in villa Niumaga' ( B : 'Postea
tenuit Imperator placitum suuni' etc.). Vergl. Simson a. a. 0. S. 71 — 72.
3) Vergl. Jahrbücher Ludwigs d. Fr. I, 341 N. 1. — Auch diese Gesinnung
entspricht der Aldrichs, vergl. u. a. Havet a. a. O. S. 619 — 620. Dümmler,
Gesch. des ostfränk. Reiches, 2. Aufl. I, 72. 127. 170. 4) 'Ante iani
dictus enim dominus Imperator HIodowicus habebat quandam reginam
nomine ludith pulchram nimis et sapienti§ floribus instructam sociatam
sibi in coniugio, que etiam inperatrix coronata et augusta ab omnibus
est acclamata'. Dazu vergl. 81Ü: 'Quo pacto (1. peracto) imperator in-
spectis i^lerisque nobilium filiabus Huuelpi comitis filiam nomine ludith
duxit uxorem'. 5) Xach demselben folgt zunächst ein Theil der Ann.
Bertiniani von 830 an, so dass dies Jahr doppelt vertreten ist. — Vergl.
übrigens v. Ranke, Weltgeschichte V, 2. S. 292 : 'Bei dem hundertsten
Capitel aber verliess der Abschreiber den Fredegarius, weil er auf Pippin
zu reden kam, der seine Aufmerksamkeit besonders anzog : Et quia de
Pippino mentionem fecimus, quis quantusve fuerit dicere non pigebit. . .
Man darf annehmen, dass der Sammler hier zu einer andern Vorlage
griff . . .'
420 B. V. Sinison.
beseitigen gesucht, nur nicht in glücklicher Weiset Als
ein geeignetes Hülfsmittel für seine Zwecke bot sich ihm
Eegino dar, der sich bereits bemüht hatte, das Vulgärlatein
der Ann. Laur. in ein regelrechteres Latein zu verwandeln -.
Diesen hat er daher etwa vom Ende des Jahres 775 an
bis 813 seinem Texte zu Grunde gelegt^. Dabei nahm er
die Zusätze, welche D bot, meistens, jedoch, wie wir ge-
sehen haben, nicht sämmtlich auf, liess auch sonst im Texte
hier und da, der Abkürzung wegen oder aus Unachtsamkeit,
kleine Lücken^.
Diese neue Compilation enthielt auch derjenige Codex,
aus welchem in einer aus St. Arnulf in Metz stammenden,
jetzt in Paris befindlichen Hs. des Regino'' (B3 bei Kurze)
Zusätze aus den Ann. Mettenses hinzugefügt sind. Der
jüngere Text ist in ihnen sogar gelegentlich noch abge-
kürzt oder verstümmelt''. Indessen enthalten sie einen
Satz aus D, der in B ausgefallen ist^ Die hier benutzte
Hs. des späteren Textes war mithin an dieser Stelle voll-
ständiger, was auffallend erscheint, insofern B den Eindruck
einer Originalhs. macht''.
Dass die Fragmente und Excerpte D näher stehen
als B, sahen wir. Dagegen lässt sich noch die Frage auf-
werfen, ob sie ebenfalls auf D oder weiter zurückgehen
— bei den meisten allerdings nur unter der Voraussetzung,
dass auch in der Vorlasre von D bereits die Annales Lau-
1) Vergl. o. S. 416. 417. 2) Regino sagt bekanntlich von den Ann.
Laur., die er von 741 — 813 ausschrieb : 'Haec, quae supra exjiressa sunt, in
quodam libello repperi plebeio et rusticano sermone composita; quae ex
parte ad hitinam regulam correxi, quaedam etiam addidi, quae ex narra-
tione seniorum audivi'. — Die Durhamer Hs. enthält ausser den Mett.
auch den Regino. 3) Von der Art, wie B bei der Verschmelzung von
D und Regino verfuhr, giebt folgende Stelle in der Kürze eine Vorstellung:
Regino.
ßotgaudum rebellem
captum decollare iussit.
ß. D.
776. improvisumque j inprovisumque Raut-
Rothgaudum cepit et j gaudium occupans inter-
decollare praecepit. | emit.
Unter 714 und 718 sind in B auch die Annales Fuldenses benutzt, nach
813 zunächst Einhards Vita Karoli. Die Stelle 716: 'Franci vero nimirum
Danielem quendam (1. quondam) cUricum caesarie capitis crescente in
regnum stabiliunt atque Chilpericum nuncupant' ist aus dem Liber historiae
Francorum entnommen (wie im Chron. Moissiac. S. 290, 25 — 27). D hat
hier nur: 'Cui successit Hilpericus'. 4) So fehlen z. B. 719 hinter
'lUoque traiecto' (transvecto D) die Worte 'fines Baugariorum occupavit.
Subactaque illa gente'. 5) Cod. Paris, n. 5017. Die Hs. stammt aus
ilem 11. Jh., die Zusätze sind jedoch erst im 12. nachgetragen. 6) Vergl.
Zeitschr. f. d. Gesch. des Oberrheins N. F. IX, 219 — 220. 7) 803. 'ce-
terum exercitum per apertiores vias ire permisit'. Vergl. o. S. 403.
8) Waitz im N. Archiv IV, 589.
Die wiecleraufgef undene Vorlage der Annales Mettenses. 421
rissenses benutzt wären ; denn sie theilen mit D nicht nur
seine Zusätze zu diesen, sondern auch die aus den Laur.
selber entlehnten Elemente.
Die Wiener Fragmente g-eben einen besseren Text
als D. Das ist aber doch wohl einfach auf Eechnung- der
Hs., aus der sie herrühren, zu setzen. Diese Hs. war eben
nicht nur älter, sondern auch correcter als D. — Das
Berner Fragment berührt sich zwar in einigen wenigen
Worten, wo es von dem Wiener Fragment und D ab-
weicht, mit den Ann. Laur.^ Aber dieser Uebereinstim-
mung ist vielleicht nicht soviel Gewicht beizulegen, wie
es durch Waitz^ und Ebrard^ geschehen ist. Im Allge-
meinen ist der Text dieses Bruchstückes sogar weniger
vollständig und getreu, als der des Wiener Fragments. Er
bietet, insoweit er überhaupt abweicht, lediglich eine ab-
gekürzte Form — noch abgesehen von einer Lücke, die
durch Ueberspringen auf das gleiche Wort entstanden ist.
So könnte allenfalls auch bei den betreffenden Worten nur
eine Abkürzung stattgefunden haben, die blos zufällig eine
Aehnlichkeit mit Laur. herbeiführte. Jedenfalls liegt auch
in Fr. Bern, nicht nur die Compilation der Laur. mit der
verlorenen Quelle vor, sondern diese Compilation verräth
sich auch hier, wie in D, durch eine der ungeschickten
Wiederholungen, die sie öfters begangen hat*. — Was das
Baseler Fragment betrifft, so erkannte schon Puckert \
was jetzt auch durch D bestätigt wird, dass es sogar eine
stilistisch etwas gefeilte Fassung der Compilation
bietet.
Etwas zweifelhafter hönnte man allenfalls hinsicht-
lich des Chronicon Moissiacense sein. Die Stellen, wo
erzählt wird, dass Papst Leo III. sich unter den Schutz
des Abts Wirund und des Herzogs Winigis flüchtete und
von ihm nach Spoleto geleitet wurde — sowie über den
Presbyter Zacharias, den Karl d. Gr. mit reichen Geschen-
ken nach den heiligen Städten gesandt hatte, entsprechen
1) Es bat 785 'Interdum tarnen cum ibi resideret', ähnlicb wie
Laur.: 'Et dum ibi resideret', während D und das Fragm. Vindobonense
haben: 'Sed dum in eodem Castro residisset' (resedisset). 2) Forschungen
zur Deutscheu Geschichte VIII, 632. XX, 390. 3) Ebend. XIII, 470.
Ebrard glaubte vermuthen zu dürfen, dass die annalistische Aufzeichnung,
'von welcher uns das Berner Fragment erhalten ist, noch enger an die
verlorenen, auf Grund der Reichsannalen bearbeiteten Annalen sich an-
schloss, als die andere, deren Reste wir in den Stücken von Werden und
Wien besitzen'. Nachdem jene verloren geglaubten Annalen in D zum
Vorschein gekommen sind, ergiebt sich jedoch das Gegentheil. 4) Vergl.
0. S. 418. 5) A. a. 0. S. 112 N. 8, 150 N. 39.
422
B, V. Simson.
im Ausdruck weder den Laur. noch D
könnten sie unmittelbar aus der ver
schöpft sein ^ :
Chron. Anian.
799. ad missos
gloriosi praefati
principis Caroli, qui
tunc apud basilicam
sancti Petri erant,
Hwerondum scilicet
abbaten! et Hwine-
gisum Spolitanum
ducem , pervenit ;
qui ab eis Spoletium
deductus est.
A n n. Lau r.
et ad legatos dom-
ni regis, qui tunc a-
pud basilicam san cti
Petri erant, Wirun-
dum scilicet abba-
tem et Winigisum
Spolitinum ducem,
veniens Spoletium
est deductus.
und klingen so, als
lorenen Quelle ge-
D.
ad nostros lega-
tos, qui tunc apud
basilicam sancti Pe-
tri erant,Werondum
scilicet abbaten! et
Winegisum Spolita-
num ducem, veniens
Spoletium deductus
est.
800. Zacharias ;
vorher : Zachariam
presbiterum de jja-
latio suo, qui dona-
ria eins per illa
sancta loca def erret.
801. Zacharias
Presbyter, quem an-
tea rex cum multis
donariis ad sepul-
crum dominicum -
vel per alia loca
sancta miserat illis
jjartibus. . .
Allein diese Abweichungen sind unbedeutend, und
ausserdem steht D den Laur. näher als das Chronicon.
Dass die Ann. Lobienses theilweise auf D beruhen,
wird kaum einem Zweifel begegnen. Aber auch den Ann.
Guelferbytani lag schon der mit den Ann. Laur. compilierte
Text vor. wie sich namentlich 802 deutlich zeio-t^.
Zacharias ; vorher :
Zachariam presbi-
terum de palacio
suo , qui donaria
eins per illa sancta
loca distribueret.
Ann. Laur,
802. Herena im-
peratrix de Constan-
tinopoli misit lega-
tum nomine Leo-
nen! spatarium de
pace confirmanda
inter Prancos et
Grecos. . .
D.
Herena impera-
trix de Constanti-
nopoli misit lega-
tum SU um nomine
Leonen! sjDatarium
de pace confirman-
da inter Prancos et
Grecos.
Ann. Guelf.
Heena imperatrix
de Costiuopoli mi-
sit legatum suum
Leonen! spatarium
de pace confirman-
das inter Prancos
et Grea'os.
1) Vergl. auch Puckert a. a. 0. S. 115 N. 1,3. 2) Hier ist vielleicht
auch Einh. V. Karoli (c. 16) benutzt, was in Chron. Anian. auch sonst
geschieht, vergl. SS. I, 280. 292 N. 92. 294 N. 99. 295 N. 2. 6. 298 N. 4.
.3) Bestreiten muss ich dagegen die von Heigel (Forschungen z. D. Gesch.
V, 401) behauptete Verwandtschaft der Guelf. mit den Laur. in den Jahren
790 — 800; die unzweifelhafte Verwandtschaft beginnt sogar erst 802.
Die wiederaufgefundene Vorlage der Annales Mettenses. 423
Bei den Gest. abb. Fontanell. ist eine Vergieicbmig
mit Ann. Laur. ausgeschlossen, weil die betreffenden Stellen
noch vor den Anfang- dieser Jahrbücher fallen ^ — Das
Gleiche gilt von der Genealogia Dagoberti, und der Text,
welcher in dieser benutzt ist, war von ein paar Missverständ-
nissen frei, die sich schon in D eingeschlichen und dann
auf B verpflanzt haben -. Derselbe Text hat unfraglich
auch den mit D und B übereinstimmenden Stellen der
Genealogia Pippini ^ und der Vita Dag'oberti III. ^ zu Grunde
gelegen.
Hiervon abgesehen, liegt kaum ein Grund vor, für
die Fragmente und Ableitungen eine ältere Quelle als die
in D enthaltene Compilation anzunehmen.
Der Text der Ann. Laurissenses, der in der Compi-
lation benutzt ist, gehörte der Handschriftenklasse C (nach
Kurze's Eintheilung) an, wie u. a. der für diese Klasse
charakteristische Zusatz a. 828 ergiebt.
Das hohe Alter der Compilation ergiebt sich jedoch
namentlich aus ihrer Benutzung in den Ann. Guelferby-
tani, deren Hs. in die erste Hälfte des 9. Jh. gehört ■'.
Auch die Codices, denen die Wiener und das Basler Frag-
ment angehörten, sind wenigstens älter als der Durhamer
Codex, nämlich aus dem 10. Jh., und das durch Freher
schon längst veröffentlichte Fragmentum de Pippino duce,
welches dem Anfange der Compilation entspricht, neuer-
dings in einer Hs. des 11. Jh. aufgefunden worden.
Puckert '' vermuthete in der Angabe der Annales Met-
tenses (B) über die Grabstätte der Königin Hildegard (783):
1) Die Stelle über 817 (Gest. c. 17 ed. Löwenfeld S. 50) kaim
eben sowohl direct aus den Ann. Laur., wie aus D entlehnt sein, da
beide hier genau übereinstimmen 2) Vergl. o. S. 414. N. Archiv XV,
557 — 561. Zeitschrift für die Gesch. des Oberrheins • N". F. IX, 216 ff.
3) Sie findet sich in derselben Hs. wie die Genealogia Dagoberti, Cod.
Paris, latin. n. 9422 (Suppl. lat. n. 563). Der Codex stammt aus dem
Ende des 12. Jh. und gehörte früher dem Marienkloster in Orval. Er
enthält auch die Vita Dagoberti III. 4) SS. rer. Meroving. II, 509 ff.
Die Vita ist auf Veranlassung der Brüderschaft des Klosters Stenay ver-
fasst. Die Worte der Gen. Dagoberti "sedem i 1 1 i regalem sub sua ditione
concessit' stimmen näher mit B (718) überein (D: 'sibi'). Wo das Fragm.
de Pippino duce und die Genealogia Pippini schreiben: 'inter primeve
potestatis gaudia', B (687) 'i. p. aetatis gaudia', hat D nur 'inter
primeve gaudia'. 5) Vergl. SS. I, 21 und Tab. I, ,3. Monod a. a. O.
S. 34. Pertz war sogar geneigt, die ziemlich rohe Schrift noch in den
Anfang des 9. Jh. zu setzen; 'Manus prima' (die bis 805 reicht) 'rudior
a saeculi noni initio minime abhorret'. (Auch die Gest. abb. Fontanell.
sind schon zwischen 834 und 845 verfasst, vergl. Löwenfeld im Vorwort
zu seiner Ausgabe S. 5). 6) A. a. 0. S. 109 N. 5.
424 B. V. Simsou.
'et sepulta est iuxta urbem Mettensem in basilica aposto-
lorum et beati Arnulf i' einen Zusatz des späteren
Compilators. Im 9. Jh., bemerkt er, sei jene Kirche nicht
nach den Aposteln, sondern stets nur nach Arnulf, dem
Ahn des Herrscherhauses, benannt worden. Wie sich in-
dessen zeigt, hat auch D diese Angabe, aber allerdings in
der Form: 'sepultaque est iuxta Metensem urbem in basi-
lica beati Arnulfi confessoris'^.
In St. Arnulf zu Metz mag denn auch die ältere
Compilation ebenso wie die jüng-ere entstanden sein.
Auch die erstere zeigt schon Uebereinstimmung mit jenen
gefälschten Urkunden für St. Arnulf, die Pippins des Mitt-
leren Sohn Drogo ebenfalls zum Herzog der Burgunder
machen -, und aus St. Arnulf stammt auch die Hs. des
Regino, in welche Stellen der jüngeren Compilation ein-
gefügt sind.
1) Ebenso D und B 708 hinsichtlich der Bestattung des Drogo ; vergl.
dazu die eben angeführte Note Pückerts. '2) Vergl. X. Arcliiv XV,
561 - 562 und o. S. 415.
IX.
: Yon Ke
und der Portsetzer Regino's.
Von
F. Kurze.
In einem kleinen Aufsatze 'Zu der Fortsetzung- des
Eeg'ino von Prüm' ^ hat W. Erben in zwei Punkten die
Ergebnisse meiner Reginostudien angegriffen, bezüglich der
Quellen des Fortsetzers und bezüglich des Hss.- Stamm-
baumes. Ich würde diesem Angriffe schon längst entgegen-
getreten sein, wenn ich nicht die Absicht gehabt hätte,
die beiden wichtigsten Ableitungen der Freisinger Hs., die
Wien - Admonter und die Wien- Gott weiher, selbst zu ver-
gleichen, wozu mir bei der Herstellung des kritischen
Apparates leider die Gelegenheit gefehlt hatte. Dazu bin
ich aber erst vor kurzer Zeit gekommen.
Inzwischen ist jedoch das Buch von J. R. Dieter ich
über die Geschichtsquellen des Klosters Keichenau - er-
schienen, welches die eine der zwischen Erben und mir
schwebenden Streitfragen mit solcher Gründlichkeit be-
handelt, dass ich mich nun viel mehr mit ihm als mit Erben
auseinander zu setzen habe.
1. Die Jahrbücher von Reichenau.
Ich hatte ^ Werra's Annahme eines 'vollständigeren und
erweiterten Exemplars' der Annales Augienses als wider-
sinnig bezeichnet und darzuthun gesucht, dass weder die
frühere Existenz einer vollständigen Fassung, von welcher
die erhaltenen Annalen des Pariser Codex ein Auszug sein
müssten, noch die eines durch Zusätze erweiterten Exemplars
wahrscheinlich sei. Erben glaubte nun ein einfaches
Mittel gefunden zu haben, das 'geeignet' sei, 'die ange-
deutete Frage sofort zu entscheiden, den Vergleich mit
der Chronik Hermanns von Reichenau'. Er weist nach,
dass die Fortsetzung Reginos nach dem Jahre 939, wo sie
doch erst anfängt, reichhaltiger zu werden, in der Chronik
Hermanns nicht benutzt ist, und zieht daraus den Schluss,
dass der Verfasser der letzteren auch vor 939 nicht aus
der Fortsetzung Regino's geschöpft haben könne, sondern
1) N. A, XVI, 614 — 622. 2) Cliessen 1897, C. v. Münchow.
3) X. A. XV, 325.
428 F. Kurze.
da, wo dies scheinbar der Fall sei, eine ältere und reich-
haltigere Fassung der Ann. Augienses vor sich gehabt
haben müsse.
So einfach ist die Sache aber denn doch durchaus
nicht. Endet nicht die Einsiedler Eegino - Hs. gerade beim
Jahre 939? und war sie nicht für einen Eeichenauer Ge-
schichtsschreiber der ersten Hälfte des 11. Jh. die am
nächsten erreichbare, da die ehemals Eeichenauer Hs. in
Karlsruhe erst später geschrieben ist? Damit ist die That-
sache, dass die Fortsetzung Eegino's von 939 an in der
schwäbischen Chronik nicht benutzt ist, hinreichend erklärt.
Erben beruft sich auf ßresslau^, welcher Eegino's
Chronik sammt der Fortsetzung aus der Quellenliste
Hermanns streichen wollte, weil keine der Stellen bei
Hermann, an welchen Benutzung Eegino's vermuthet werden
könnte, wörtlichen Zusammenhang mit Eegino zeige, eine
oder die andere derselben sich sogar bestimmt auf andere
Quellen zurückführen lasse. Das gilt aber nicht von dem,
was Hermann zu 887 über die Kaiserin Eichgarde berichtet:
auch zu 869. 876. 879. 883 und 884 ist sicher Eegino die
Quelle, und es ist auch kein verlorenes Zwischenglied
zwischen ihm und Hermann bezw. der schwäbischen Welt-
chronik anzunehmen. Denn wenn man sich auch wundern
mag, dass Eegino nur so spärlich benutzt ist, so ist die
Erklärung dafür doch nicht schwer: für die Zusammen-
stellung einer verhältnismässig knappen Compilation dick-
leibige Bände aufmerksam durchzuarbeiten, ist eben nicht
jedermanns Sache. Neben dem reichlichen Stoffe der
sogen. Ann. Fuldenses und so mancher anderen Quelle
auch noch die umfangreiche Chronik Eegino's Jahr für
Jahr heranzuziehen, um dann das Gelesene auf etwa ein
Zwanzigstel zusammenzudrängen, war dem schwäbischen
Chronisten offenbar zu mühsam. Aber da ihm die Ein-
siedler Eegino -Hs. nun einmal zur Hand war, so hat er
sie eben gelesen und einige Mittheilungeu daraus in stark
A'erkürzter Form und darum im allgemeinen ohne wörtliche
Anklänge in sein Werk aufgenommen.
Die Uebereinstimmungen zwischen Hermann und Eegi-
no's Fortsetzer mit Erben auf eine verlorene Eecension der
Ann. Aug. zurückzuführen, geht also nicht an. Gründlichere
Untersuchung der Eeichenauer Quellen hat aber auch
Dieterich zur Annahme einer solchen ausführlichen Ee-
cension geführt, und mit ihm ist weniger leicht fertig zu
1) N. A. II, 578.
Die Jahrbücher von Reichenau und der Fortsetzer Regino's. 429
werden. Dennoch halte ich seine Ergebnisse für keineswegs
unanfechtbar, und ich hofiEe, die Fehler seiner Schluss-
folgerung aufdecken zu können.
D. geht davon aus, dass bei Hermann (H) und in
der durch die Epitome Sangallensis und die Würzbarger
Chronik ^ vertretenen älteren schwäbischen Chronik (E),
für deren Verfasser er gleichfalls Hermann hält, sich bald
mit der Quelle der Moseila ni und Lauresha-
menses(ML), bald mit den AlamanniciSangallenses
des Züricher Codex (AS)- grössere Uebereinstimmung
findet, um dann sogleich 'mit aller Bestimmtheit' zu be-
haupten (S. 168), dass Hermann eine Vorlage besessen haben
müsse, die älter als AS und mit ML verwandt war. Es
folgt doch aber daraus nur, dass in HE, der mit E nahezu
gleichlautenden gemeinsamen Quelle von H und E, neben AS
auch ML^ oder eine Ableitung daraus benutzt worden ist.
Die nahe Verwandtschaft von AS mit (H)E und der
gemeinsamen Quelle der Augienses, Weingartenses
und Sangallenses breves (AWS) soll ferner (S. 168 f.)
beweisen, dass AS unmöglich unmittelbar aus den Mur-
baceuses abgeleitet sein könne : nichts hindert aber, AS
als die Quelle von E und AWS anzusehen. Die Existenz
eines älteren Exemplars der Ann. Alam. (AA) ist also
keineswegs erwiesen, und der Nachweis seines Eeichenauer
Ursprungs, der auf S. 169 f. versucht wird, steht demnach
völlig in der Luft. Infolge dessen konnte auch der Beweis,
dass AWS aus dem älteren Exemplare geschöpft habe
(S. 171 f.), natürlich nicht gelingen: zu 746 f. und 788 f.
ist E nicht Vertreter von AA, sondern aus AS und AWS,
1) [Die Unrichtigkeit von Dieterichs ADiiahme, dass im Chron.
Wirzeljurgense die verlorene schwäbische AVeltchronik, d. h. die Quelle
Hermanns und des Chron. Suev. univ. (Epitome Sang.) direkt benutzt
sei, einer Annahme, an die sich zahlreiche andere Folgerungen Dieterichs
anschliessen, werde ich demnächst an anderem Orte erweisen. H. B.]
2) Bei der Sammlung des Beweismaterials sind einige Irrthümer unter-
gelaufen, die hier berichtigt sein mögen. Zu S. 166 Anm. 6 : der Zusatz
'iunioris' in AS fehlt nicht in Weing. und Sang, br.; ihre Quelle AWS
ist also von AS abhängig. Zu Anm. 7: zu 735 hat AS so gut wie MIj
'Wasconia'; gemeint ist 760. Im Text ist in Z. 3 v. u. die Zahl 746 ver-
druckt für 764. S. 168 Z. 2 ist die Jahreszahl wieder unrichtig. 3) Da
die Mosell. und Lauresh. aus einer gemeinsamen Quelle, den Lorseher
Annalen, abgeleitet sind, so ist man keineswegs, wie D. (S. 168) anzu-
nehmen scheint, zu der Folgerung genöthigt, dass in E beide lienutzt sein
müssten. Da man in Murbach eine Abschrift von ML besass, welche
bei der Neubearbeitung der dortigen Annalen benutzt wurde (vgl. N. A.
XX, 18), so ist es an sich wahrscheinlich, dass dieselbe, wie so manche
anderen Murbacher Codices für Keichenau abgreschrieben wurde.
430 F. Kurze.
zwei ßeichenauer Quellen, abgeleitet; wenn aber einige
Jahresberichte von AWS mehr mit ML als mit AS über-
einstimmen ^, so folgt daraus, dass in AWS neben AS auch
ML benutzt ist, wovon man eben höchst wahrscheinlich
in Eeichenau eine Abschrift hatte, die auch Vorlage von
E gewesen ist.
Ein zweiter Abschnitt von Dieterichs Untersuchung
(S. 173^ — -197) geht aus von den Hersfelder Annalen.
Als weitere Ableitungen ihrer auch von Marian benutzten
fuldischen Quelle zieht D. die Ann. Cracovienses und
Prägen ses herbei, die bis 1012 eine gemeinsame, nach Waitz
aus Mainz stammende Quelle benutzt haben-, und zieht
daraus (S. 174) die Folgerung, dass die Compilatio Fuldensis
mit der verlorenen Mainzer Quelle identisch sei. Weiter
unten wird der Satz dahin interpretiert, dass die Mainzer
Quelle eine jüngere Eedaktion der Comp. Fuld. sei. Vor-
sichtiger scheint es mir, einfach zu constatieren, dass diese
Mainzer Annalen von den fuldischen abhängig gewesen
sein müssen.
Aus den Ableitungen sucht D. dann die einzelnen
Bestandtheile der fuldischen Compilation genauer festzu-
stellen, wobei die von mir versuchte Entwirrung der Eeichs-
annalenfrage nebenher als 'keineswegs ausreichend' be-
zeichnet wird. In der That, soweit die Ann. Hersf. in
Betracht kommen, muss ich mich einer Versäumnis schuldig
bekennen: denn ich habe es nicht für nöthig erachtet,
dieselben in den Kreis meiner Untersuchungen über die
karolingischen Annalen hineinzuziehen, und doch ergiebt
sich aus ihnen — ich freue mich, hierin mit Dieterich und
theilweise auch mit Holder - Egger einer Meinung zu sein —
die Existenz noch eines verlorenen Annalen-
exemplars. Als Quellen der Comp. Fuld. sind allgemein
anerkannt die sogenannten Ann. Fuld. bis 828 (aus Seligen-
stadt), die fuldische Recension des Chron. Laurissense,
ßeda's Kirchengeschichte mit Anhang und die Ann. Fuld.
antiqui; ausserdem verlangt Holder- Egger '^ eine den Ann.
Lauresh., Mosell. und Nazariani nahe stehende Quelle,
Dieterich eine Fassung der Mosellani mit Fortsetzung bis
wenigstens 799 (S. 174 f.) und — AA. Die Benutzung
eines Exemplars der Lorscher Annalen (ML) bis wenigstens
785 ist wirklich sonnenklar, und die mannigfachen Notizen
von unsicherer Herkunft in den Hersf., welche zum Theil
1) D. nennt 735. 746. 754. 787 und 789; ich verweise ausserdem
besonders auf 760. 774 und 779. 2) Vgl. auch Perlbach oben S. 248 ff.
3) Lamperti opera, p. XXXVI sq.
Die Jahrbücher von Reichenaxi und der Fortsetzer Regino's. 43 1
mit Marian, den Cracovienses und Pragenses Ueberein-
stimmung zeigen, finden ihre allereinfachste Erklärung*
durch die Annahme einer verlorenen Fortsetzung der alten
Lorseber Annalen. Dieses vermisste Werk fügt sich aber
ohne alle Schwierigkeit in das von mir aufgestellte System
der karolingischen Annalen ein.
Ganz besonders die Verwandtschaft der Hersf. mit
den sogenannten Ann. Einhardi, welche sich auf die Jahre
790 — 805 beschränkt, aber beim Jahre 792 in dem Berichte
über die durch Fardulf entdeckte Verschwörung Pippins
ganz augenfällig ist, bezeugt die Abhängigkeit von einer
Quelle, die aus dem verlorenen Chronicon Fardulfi ^ her-
geleitet war, das ja auch in den Ann. Einh. benutzt ist.
Da die Spuren dieser Quelle in den Hersfelder Annalen
gerade da beginnen, wo die bis dahin in erster Linie be-
nutzten Lorscher Annalen enden -, so ist wohl ein Exemplar
der letzteren anzunehmen, welches die durch Lauresh. und
Fragm. Chesnii vertretene zweite Pecension mit einigen
Zusätzen aus der ersten und ihrer Fortsetzung (dem ver-
muthlich in Mainz befindlichen Original der Mosellani),
daran augehängt aber einen Auszug aus dem Chron. Fard.
bis 805 enthielt. D. setzt die Entstehung dieser Quelle
nach Fulda; eher ist vielleicht an Lorsch selbst zu denken,
wo sich sowohl das Original der Annalen zweiter Peceusion
als auch höchst wahrscheinlich eine Abschrift des Chron.
Fard. befand ^, oder an Mainz, wo man nach meiner Ver-
muthung das Original der ersten Pecension besass und die
Lorscher Hss. leicht bekommen konnte.
Was nun die Verwandtschaft der fuldischen Compi-
lation mit AA betrifft, so findet D. (S. 175) als Beweis für
die Abhängigkeit der Cracov.- Prag, von AA die Thatsache
ausreichend, dass dieselben von 875 — 900 grosse Aehnlich-
keit mit den Ann. Aug. und anderen Quellen Peichenauer
Ursprungs zeigen und noch zu 940 und 951 (soll heissen
958) auffällige Anklänge an HE aufweisen. Können denn
aber die Mainzer Annalen, aus denen die Cracov. und
Prag, abgeleitet sind, nicht recht gut erst unter Erzbischof
Wilhelm verfasst sein, unter Benutzung der Ann. Aug.,
die derselbe für sich hatte abschreiben lassen? Und kann
1) Vgl. N. A. XXI, 29 — 49. 2) Die Verwandtschaft mit den
Lauresh. und dem Fr. Chesn. reicht bis 787, die mit den Mosell. bis 790;
vgl. iSr. A. XX, 13—16; XXI, 81. 3) In Lorsch wurde das Chron. Fard.
bereits 807 für das Chron. Laurissense benutzt. Möglicherweise könnte
man vorher daraus den Klosterannalen, und zwar dem Original der zweiten
Recension selbst, eine Fortsetzung bis 805 angefügt haben.
Neues Archiv etc. XXIV. 28
432 F. Kurze.
niclit ein Exemplar dieser Mainzer Annalen, das bis
wenigstens 958 reichte, im Austausch wieder nach Reichenau
gekommen sein und dort als Vorlage von E gedient haben?
Die Möglichkeit ist zweifellos, und damit verliert D.'s Be-
weis alle zwingende Kraft.
S. 176 — 180 will D. beweisen, dass auch die Hers-
felder Annalen (zunächst bis 800 betrachtet) von AA ab-
hängig seien. Aber die Uebereinstimmung mit E und
AWS in den zwei Worten 'ingreditur' zu 746 und 'pergens'
zu 747 beweist, wenn sie überhaupt etwas beweist, nur die
Abhängigkeit der fuldischen Compilation von AWS, nicht
die Existenz einer verlorenen Vorlage AA. Die übrigen
Beweisstellen aber sprechen nur für direkte Abhängigkeit
(der fuldischen Comp.) von den Ann. Nazariani, die ja zu
ihrem Namen bekanntlich nur durch ein Missverständnis
Frehers gekommen sind, in Wirklichkeit aber aus Hessen
und zwar, wie nun auf Grund dieses Quellenverhältnisses
zuversichtlich behauptet werden darf, aus Fulda selbst
stammen ^.
Demnächst untersucht D. (S. 180 — 183) das Verhältnis
der Hersfelder Annalen von 800 an zu AA. Wer aber von
der Existenz von AA noch nicht überzeugt ist — und wir
haben noch keinen zwingenden Beweis dafür gefunden —
vermag in den angeführten Parallelstellen von 860 an -
nur eine enge Verwandtschaft der Hersf. einerseits mit
der Quelle der Weingartenses (AWS) bis 873 und darnach
mit der zweiten Recension der Ann. Alam. (cod. Modoe-
tiensis) bis 908, andererseits mit der schwäbischen Welt-
chronik bis 948 zu erblicken; ausserdem haben die Hersf.
mit den Colon, zu 939 eine Notiz gemein. Aus der ersten
Thatsache wird der Unbefangene nur den Schluss ziehen,
dass in der fuldischen Vorlage der Hersf. AWS
benutzt war, d. h. der Codex Reginberti, welcher, wie
D. weiter unten (S. 207 f.) ausführt, bis 881 Vorlage der
Weingartenses war und dann von 882 bis 912 'Auszüge
aus der Urschrift' (S. 233), von welcher wir im cod. Mod.
'eine so ziemlich lückenlose und wörtliche Abschrift dieses
Abschnittes' haben, enthielt.
1) Sie sind also die eigentlichen Ann. Fuld. antiquissimi, nämlich
bald nach 790 verfasst. Der Zeit nach folgen die fuldische Bearbeitung
des Chron. Laur. bis 817, die Ann. Fuld. antiqui bis 822 und die Com-
pilation, welche die Grundlage der Hersfelder Annalen bildet. Die unter
dem Namen Ann. Fuldenses bekannten östlichen Reichsannalen sind zwar
von 838 bis 887 wohl von zwei fuldischen Mönchen und zum Theil viel-
leicht in Fulda geschrieben, gehörten aber dem Kloster nicht. 2) Die
Zahl 813 ist verdruckt für 873.
Die Jahrbücher von Reichenau und der Fortsetzer Regino's. 433
Ein entscheidender Beweis für die Benutzung von
AWS in der Comp. Fuld. ist die Uebereinstimmung der
Hersf. mit der Weing. zu 869 in der Erwähnung Benevents;
denn nur die Weing. haben 'de Benevento', die Alam.
Sangall. (AS) dagegen 'de Campania'. Auf Grund dieser
Erkenntnis wird man nun die beiden oben erwähnten
kleinen Anklänge bei 746 und 747 auch dreist auf die Be-
nutzung von AWS in der Comp. Euld. zurückführen dürfen;
und man wird sich auch nicht wundern, dass im ersten
Theile sich nicht mehr solcher Anklänge finden, wenn man
beachtet, dass AWS erst herangezogen wurde, als die Comp,
bis wenigstens 827 schon geschrieben war. Mit Recht
nimmt Holder- Egger ^ an, dass dieselbe schon vor 850
nach Hersfeld kam, und D. selbst hält (S. 175) 827 für
ihr ursprüngliches Endjahr, weil sie nur bis dahin mit dem
ersten Theile der östlichen Reiclisannalen übereinstimmt.
Die letzteren sind um 832 von Einhard in Seligenstadt
geschrieben und zunächst bis zum Jahre der Ankunft der
Heiligen in Seligenstadt (828), später bis 838 geführt
worden: zwischen 832 und 838 muss demnach die
Comp. Fuld. verfasst sein.
Einer Meinung bin ich also mit D. darüber, dass der
erste Theil bis etwa 827 ohne Benutzung einer Reichenauer
Quelle geschrieben zu sein scheint. Wenn er aber dann
zu beweisen sucht — das Resultat spricht er S. 197 aus — ,
dass der zweite Bearbeiter der Comp. Fuld. erst nach 958
geschrieben und AA dazu herangezogen habe, so muss ich
dazu von vornherein bemerken, dass dieser Abfassungs-
termiu mir zu spät scheint, nur angesetzt, um die Benutzung
eines bis 958 reichenden Exemplars von AA möglich er-
scheinen zu lassen, während die deutlich sichtbare Ver-
wandtschaft mit den (um 912 in AWS excerpierten) Ann,
Alam. zweiter Recension bis 908 und das zahlreiche Auf-
treten lokaler Nachrichten von etwa 892 an in die Zeit
um 912 — 918 führt. Als eine andere Quelle, deren Be-
nutzung gleichfalls bis ungefähr in dieselbe Zeit, nämlich
bis wenigstens 906 hinabreicht, sind schon von Lorenz die
Ann. Corbeienses erwiesen worden. Um diese Zeit muss
also die Fortführung der Arbeit aufgenommen worden sein;
aber sicher ist nicht das ganze Stück von 830 an erst 912
geschrieben, vielmehr scheint man bis nach 880 sowohl in
Fulda als auch in Hersfeld eine ganze Reihe gleichzeitiger
Eintragungen gemacht zu haben, woraus sich ohne Schwierig-
1) Lamperti opera p. XXXVl.
28*
434 F. Kurze.
keit die mannigfachen Berührungen der Hersf. mit den
Annalen Rudolfs und Meginhards von Fulda erklären. Die
wenigen aus AWS und Ann. Corbei. stammenden Notizen,
welche sich vor dem Jahre 880 finden, können sehr leicht
um das Jahr 912 erst hinzugefügt worden sein; ein ähn-
liches Verhältnis aber bis zum Jahre 958 anzunehmen,
würde auf sehr viel grössere Schwierigkeiten stossen.
Das sind die Folgerungen, die sich aus der Verwandt-
schaft der Hersf. mit den Weing. und Alam. zweiter Eec.
ergeben. Die andererseits bemerkte Verwandtschaft mit
der schwäbischen Weltchronik (E) und Hermann (H), sowie
mit den Ann. Colon, zwingt uns aber auch keineswegs zu
der Annahme einer verlorenen Quelle AA, da, wie schon
oben angedeutet, noch der andere Ausweg offen steht, dass
die Comp. Fuld. zur Zeit des Erzbischofs Wilhelm Mainzer
Annalen als Vorlage gedient haben kann, welche dann in
einer bis 958 reichenden Fassung sowohl nach Köln als
auch nach Reichenau gelangt wäre. Auf diese Weise fände
die auffällige Uebereinstimmung der Ann. Hersf. mit H,
welche Bresslau ^ sogar veranlasst hat, direkte Benutzung'
der ersteren durch den letzteren anzunehmen, jedenfalls
eine viel einfachere und befriedigendere Erklärung als
durch die Annahme einer Urquelle AA.
Wir haben also D. bis S. 183 seines Buches begleitet
und noch keinen Beweis für AA gefunden. Nun führt er
als schwereres Greschütz vier Stellen vor, an denen sich
die Hersf. in der That sehr merkwürdig mit den Jahr-
büchern des entlegenen Einsiedeln, den sogenannten
Ann. Heremi -, berühren. Da er aber hier nur das Resultat
einer späteren Erörterung vorausnimmt, so kann auch ich
mich hier auf den Hinweis beschränken, dass natürlich
nichts hindert, auch für die um 966 geschriebenen Ann.
Heremi Benutzung des meiner Meinung nach in Reichenau
befindlichen Exemplars der bis 958 reichenden Mainzer
Annalen anzunehmen.
Noch weniger beweist für AA die nun auf S. 184 —
195 folgende Darlegung des Verhältnisses der Hersf. zum
Cont. Reginonis. Zunächst geht D. entschieden zu weit
mit seiner Behauptung, dass die Hersf. mit der eigentlichen
Chronik Regino's nicht das Geringste gemein hätten : denn
die Nachricht der Hersf. zu 887 stammt ganz sicher aus
Regino. Dass aber in ihnen sich nicht mehr Entlehnungen
aus dieser Quelle finden können, hat seinen sehr einfachen
1) N. A. II, 579 ff. 2) SS. in, 137 ff.
Die Jahrbücher von Reichenau und der Fortsetzer Regino's. 435
Grund. Wenn ein Hersfelder Annalist die Chronik Regino's
mit Fortsetzung benutzt hat, so hat er das erst nach dem
Jahre 967 gethan. Der Grundstock der Hersf. Annalen
ist aber nach Holder -Egger, dem ich hierin vollständig
beitrete, schon vor 850 aus der Comp. Fuld. entlehnt worden.
Auch nachher sind diese Annalen doch gewiss nicht dauernd
ohne Fortsetzung geblieben; ich kann mir wenigstens nicht
denken, dass die zahlreichen Hersfelder Lokalnotizen, be-
sonders auch die Erwähnung des königlichen Besuches von
918, erst sehr viel später aus den Annalen des Nachbar-
klosters nachgetragen sein sollten. Man wird, denke ich,
bald in Fulda, bald in Hersfeld den Annalen ein Stück
nach dem anderen angefügt haben, so dass streckenweise
auch die Hersfelder Vorlage der fuldischen gewesen sein
könnnen. Jedenfalls fand der Bearbeiter von c. 970 — 973
schon reichhaltige Annalen vor, die wohl bis 953 oder
weiter gereicht haben mögen, und da er kein neues Exemplar
angelegt zu haben scheint, so war er mit seinen Nach-
trägen an den im alten zur Verfügung stehenden Raum
gebunden ^.
Wer wie D. Benutzung der Fortsetzung Regino's in den
Hersfelder Annalen leugnet, sieht sich zu eigenthümlichen
Folgerungen genöthigt. Er muss dann auf die gemeinsame
Grundlage auch solche Nachrichten zurückführen, die gerade
für den Fortsetzer Regino's charakteristisch sind, insbe-
sondere die auf die persönlichen Erlebnisse des Verfassers
Adalbert bezüglichen, und kommt folgerichtig zu dem
Ergebnis, dass der Verfasser der Fortsetzung unmittelbar
vor dem Beginn dieser Arbeit, jedenfalls erst nach 966,
auch schnell noch eine Neubearbeitung der Comp. Fuld.
verfasst habe, eine Annahme, die nicht gerade den Vorzug
grosser innerer Wahrscheinlichkeit hat.
Am Schlüsse dieses Abschnittes sucht D. (S. 195 —
197) nach Beweisen für seine Behauptung, dass das (in der
zweiten Bearbeitung der Comp. Fuld. benutzte) Mainzer
Exemplar der Ann. Alam. bis 958 gereicht habe. Was er
aber vorbringt, lässt sich genau eben so gut für die um-
gekehrte Auffassung verwerthen, dass 958 das Endjahr des
Reichenauer Exemplars der (aus den fuldischen abgeleiteten)
Mainzer Am^^len gewesen ist.
R^
^ ^;^ ■
1) Dieser Beai C ^er war kein gewöhnlicher Annalenfortsetzer, da er
die Hersfelder Annalen zur "Weltchronik umgestaltet hat; von ihm rührt
gewiss auch die überaus wichtige Fortsetzung bis 983 her. Vielleicht
war es der Abt Gozpert, der gerade von 970 bis 984 dem Kloster vorstand.
436 F. Kurze.
Ebenso fügt sicli das, was D. (S. 198 — 206) über
die Kölner Annale ngruppe, Ann. Colonienses und
S. Benign! Divionensis, sagt, ohne Schwierigkeit der An-
nahme, dass ihre gemeinsame Vorlage aus den bis 958
reichenden Mainzer Annalen abgeleitet war. Nur zu S. 201
habe ich noch zu bemerken, dass in den Divionenses neben-
her auch die dürftigen Annalen benutzt sind, die man als
Quelle der Ann. reg. Sangallenses ^ kennt und in Anlehnung
an diesen Namen am besten wohl als 'kleine Königsannalen'
bezeichnet '^.
Sehr dankenswerth sind D.'s Untersuchungen im letzten
der für uns in Betracht kommenden Abschnitte (S. 207 —
239) über 'die süddeutschen Tochterquellen der
Ann. AI am. Aug.', wenn arich die Ergebnisse, welche
er S. 230 ff. zusammenstellt, mir noch der Vereinfachung
fähig und bedürftig erscheinen.
Mit D. (S. 211) stimme ich jetzt der Annahme
W. Giesebrechts zu, dass um 990 eine Abschrift von Reichen-
auer Annalen nach Altaich gekommen sei, und mit D.
(S. 213) halte ich es für möglich, dass dieses Altaicher
Exemplar etwa mit 958, dem Schlussjahre der Mainzer
und Kölner Annalen, endete. Aber einen Beweis für die
Existenz einer Urquelle AA finde ich auch darin wieder
nicht, sehe mich vielmehr in der oben nur vermuthungs-
weise ausgesprochenen Ansicht bestärkt, dass man in
Reichenau eine Abschrift des letzten Theiles der bis 958
reichenden Mainzer Annalen besass, welche vielleicht einem
älteren Reichenauer Annalenexemplar angehängt war.
Dieses Ergebnis wird mir endlich zur Gewissheit durch
die Betrachtung der Ann. Heremi. Nach Pertz, an dessen
Angaben zu zweifeln ich keinen Anlass sehe, sind die
beiden Hss. derselben (cod. 29 und 356) ^ bis zum Jahre
997 noch im 10. Jh. geschrieben, und zwar jeder bis 966
von einer ersten ungefähr gleichzeitigen Hand. Die beiden
Recensionen der Einsiedler Annalen sind auf das engste
mit einander verwandt, und da kein Grund vorliegt, eine
gemeinsame Vorlage anzunehmen, so bleibt nur das von D.
angenommene Verhältnis übrig, dass nämlich cod. 356 um
1) Ebenso der Ann. Aug. breves, S. Dionysii, S. Bonifatii, Auscienses,
Masciacenses u. a. ; vgl. Simson, Forschungen XXA^r l^'S ff- ^^^ N- -^•
XXI, 47. 2) Mit einer besonderen Untersuchuiig dieser kleinen
Annalen bin ich beschäftigt. 3) Leider werden sie nicht versandt
und waren daher mir ebenso unzugänglich wie D. ; doch hatte der
Eibliothekar Herr P. Grabriel Meier die Freundlichkeit, mir einige Fragen
zu beantworten.
Die Jahrbücher von Reichenau und der Fortsetzer Regino's. 437
966 geschrieben und bald darnach von dem ersten Schreiber
des cod. 29 benutzt worden ist, und dass ebenso die Ein-
tragungen von 972 — -997 im cod. 356 original, im cod. 29
aber unter Benutzung des anderen nachgetragen worden sind.
Die Hauptquelle des cod. 356 (Her. I) sind Eegino
und die Ann. Alam. Bei der Beantwortung der Frage, welche
Recension der letzteren vorgelegen hat, entscheidet sich
D. wieder für AA, jedoch mit Unrecht: denn bei genauer
Vergleichung zeigen die Ann. Her. die engste Verwandt-
schaft mit den Ann. Alam. des cod. Modoetiensis, also
einer Fassung, die nach D. selbst erst durch ein Mittel-
glied hindurch aus AA abgeleitet ist. So deckt sich die
Notiz zu 708 'fructus deficiens, Gotefridus obiit' ganz mit
der Lesart des cod. Mod., während die Ann. Alam. des
Züricher Codex (AS), von denen jener abhängig ist, gleich
den anderen Ableitungen der Murbacher Annalen 'deficiens
fructus, Gotefr. moritur' haben. Ebenso haben die Ann.
Her. I 741 gleich dem Modoet. 'Thietpaldus' für 'Theodal-
dus'; und da sie von 882 an, wo die beiden Recensionen
der Alam. auseinandergehen, der zweiten folgen, so kann
es doch wohl nicht länger zweifelhaft sein, dass in ihnen
nicht die angebliche Urquelle aller Ann. Alam., sondern
eine Hs. der zweiten Recension benutzt ist.
Nun zeigen sie freilich an vier Stellen (785. 806. 851
und 870) auffällige Verwandtschaft mit den Hersfelder An-
nalen. Aber ich habe schon darauf hingewiesen, dass die-
selbe au sich eben so gut durch die mehrfach erwähnten
Mainzer Annalen wie durch AA vermittelt sein kann, und
beim Jahre 806 ergiebt sich eine wesentlich grössere Wahr-
scheinlichkeit für die erstere Lösung. Denn die in Her. I
und Hersf. gleichlautende Notiz 'Karolus divisit regnum
cum testamento inter filios Ludowicum, Pippinum et Karo-
lum' findet sich in keinen Reichenauer oder St. -Galler
Annalen, wohl aber grösstentheils wörtlich ebenso im ful-
dischen Codex des Chron. Lauriss.^. Dieses hat mit
Reichenau nichts zu thun, gehört aber zu den Quellen der
Comp. Fuld.; da eine andere Quelle der letzteren, Einhards
Seligenstadter Annalen, auch vom Testament spricht, so
ist anzunehmen, dass der übereinstimmende Wortlaut der
Hersf. und Her. I vom fuldischen Compilator zusammen-
gestellt ist, also nur durch Vermittelung der Mainzer An-
nalen nach Reichenau und von da nach Einsiedeln gelangt
sein kann.
1) 'Imperator Karlus inter filios suos, id est Karlum, Pippinum,
Hluduwihum dividit'.
438 F. Kurze.
Ausserdem sind in Her. I noch die Auo-. benutzt, aber
nur zu 936. 938 und 939; cod. 29 (Her. II) dagegen ist
compiliert aus Her. I, Eegino und den Augienses, d. h.
denjenigen Eeichenauer Annalen, von welchen wir im
Pariser Codex eine Abschrift besitzen.
Was nun weiter die um 1097 geschriebenen Annalen
des Klosters Vormezeele bei Yperen^ betrifft, so ist die
von L. Bethmann angenommene Benutzung der Her. I
ganz unzweifelhaft, so unwahrscheinlich sie D. wegen der
grossen Entfernung der beiden Klöster findet. Denn die
Ann. Formos. geben zu den Jahren 1. 6 — das folgende
Stück bis 769 ist leider nicht gedruckt — 777 und 806/7
Notizen, deren Inhalt aus Regino stammt, und deren Wort-
laut mit Her. I übereinstimmt. Dass die letzteren aber
unmittelbar aus Eegino, und zwar aus der Einsiedler Hs.,
geschöpft haben, steht fest, während für Vormezeele
natürlich an Benutzung Regino's nicht zu denken ist. Wie
die Ann. Her. dahin gekommen sein mögen, entzieht sich
unserer Kenntnis. Die Benutzung der Ann. Bland, verräth,
dass das Kloster seine geistige Nahrung — wenigstens
theilweise — aus Gent bezog: könnte nicht einmal ein
Mönch von St. Gallen nach Gent gekommen sein ? Denn über
St. Gallen und nicht über Eeichenau scheinen mir die
Einsiedler Annalen ihren Weg nach Vormezeele gefunden
zu haben. Neben ihnen erscheinen nämlich als Quelle der
Formos. die Alam. von 771 — 888, und zwar in der Fassung
des Züricher Codex -, welcher einst dem Kloster St. Gallen
gehört hat. Beim Jahre 881 findet sich in den Worten
'cesar efficitur' zwar ein sehr bemerkenswerther Anklang
an die Aug., aber eben so sehr auch an die Weing., die
gleichfalls aus St. Gallen stammen. Ebendahin weist endlich
die Notiz über die üebertragung des heiligen Othmar (770),
welche sich in ähnlicher Form auch in den Ann. Saugall.
mai. findet und ganz gewiss auch nicht die Annahme einer
verlorenen Quelle AA nöthig macht. Zwischen 966 und
1097 also, den Entstehungsjahren der Ann. Her. I und
Formos., muss in St, Gallen einmal jemand eine dürftige
Compilation aus Her. I und den Alam. des Züricher Codex
(AS) unter Hinzufügung ganz vereinzelter Notizen aus
anderen St. Galler Hss. angefertigt haben, welche nicht
über das Jahr 888 hinausgekommen zu sein scheint und
später — vielleicht über Gent — nach Vormezeele gelangt ist.
1) Ann. Forraoselenses, SS. V, 34 ff. 2) Vgl. besonders 792. 795
und 796.
Die Jahrbücher von Reichenau und der Fortsetzer Regino's. 439
So bleiben uns schliesslich die verschiedenen Re-
censionen der Reichenau er und St. Galler Annale n
zur Betrachtung übrig, und wir haben zu prüfen, ob sich
etwa daraus, wenn nicht die Noth wendigkeit, so doch
wenigstens einige Wahrscheinlichkeit für die Annahme
einer verlorenen Urquelle ergiebt.
Nach D. sind vier verschiedene ßecensionen der Ann.
Alam. aus Reichenau und vier aus St. Gallen zu unter-
scheiden. Die Reichenauer sind folgende:
1) AA, das verlorene Original, bis 799 Abschrift der
Murbacher Jahrbücher zweiter Recension, dann allmählich
fortgesetzt bis wenigstens 912, wahrscheinlich aber bis 966.
Bis 881 war es Vorlage von AS, und zwar in drei Absätzen
(—799, —876 und —881), —912 von AWS, gleichfalls in
drei Absätzen (—815, —881 und —912), von 882 — 912
der Alam. des cod. Modoetiensis, von Anfang bis zu Ende
Quelle der Ann. Her. und Formos. und der Schriften Her-
manns, in einer Mainzer Abschrift bis 958 auch der Comp.
Fuld. zweiter Recension, der Kölner Vorlage der Colon,
und Ben. Div. und der Mainzer Annalen, die den Cracov.
und Prag, zu Grunde liegen.
2) AWS, die verlorene Vorlage der Aug., Weing. und
Sangall. breves, also der bekannte cod. Reginberti. Um
820 angelegt und entweder bis 966 aus AA abgeleitet oder
nur bis 912 und von da an selbständig fortgesetzt, war
diese Recension Quelle der Sang. br. bis 815, der Weing.
bis 881, der Aug. bis 881 oder bis 939 und im letzteren
Falle von 912 an Quelle der Comp. Fuld., Colon. -Divion.,
Cracov.- Prag., Heremi und der schwäbischen Weltchronik.
3) A II, die Urschrift der Alam. zweiter Recension,
aus welcher die Hs. von Monza hergeleitet ist. A II nenne
ich sie, während D. sie ohne Bezeichnung gelassen hat.
Er führt sie aber (S. 232 f.) als eine Abschrift des Züricher
Codex (AS) bis 881 auf, 'die bis zum Jahre 912 wieder
aus der Urschrift der Annalen ergänzt ward'.
4) A, die Aug. des Pariser Codex, der für Erzbischof
Wilhelm von Mainz geschrieben wurde, bis 912 aus AWS,
von da an entweder aus AA oder AWS abgeleitet.
Dazu kommen folgende aus St. -Gallen:
1) AS, der Züricher Codex, der nach D. von den drei
ersten Schreibern ( — 799, — 876 und — 881) in Reichenau
aus AA abgeschrieben, von einem vierten zu St. Gallen bis
921 fortgesetzt und von einem fünften um die Notiz zu
926 bereichert worden ist. Er war Quelle von A II bis
881, von W und Sang. mai. von 882 an.
440 F. Kurze.
/
2) S, die Sangallenses breves des cod. 732, ganz aus
AWS (—815) abgeleitet.
3) W, die Ann. Weingart, des Stuttgarter Codex,
welchen D. selbst eingesehen hat. Sie sind bis 881 aus
AWS mit einigen selbständigen Notizen, bis 911 aus AS
abgeleitet, bis 936 selbständig; in St.-Gallen geschrieben
und Quelle der Sang. mai.
4) Die Sangall. mai. des cod. 915, in St.-Gallen aus AS
und W compiliert und bis 955 fortgesetzt.
So nach Dieterich. Er selbst lässt es also zweifelhaft,
ob die Fortsetzung von 913 an in AA oder AWS
enthalten war, d. h. er räumt ein, dass die Existenz von
AA über 912 hinaus sich nicht erweisen lässt. Das Stück
913—966 ist damit abgethan; auch dem Reste muss ich
aber noch weiter zu Leibe gehen.
Von 882 bis 912 war nach D. (S. 233) All 'eine
so ziemlich lückenlose und wörtliche Abschrift' von AA:
kann es also nicht eben so gut das Original selbst gewesen
sein? Es giebt nichts, was dem entgegenstände; nichts
hindert uns aber auch, AWS auf dieser Strecke als Ori-
ginal anzusehen.
Den stärksten Grund für die Existenz von AA meint
D. (S. 237) darin zu finden, dass AS von 802 bis 881
grösstenteils nur Abschrift, nicht Urschrift ist. Urschrift
braucht ja aber AS auch dann gar nicht zu sein, wenn
AA nur bis 799 reichte; wozu haben wir denn noch AWS?
Mag bis 799 AA oder AS die Quelle von AWS gewesen
sein: als dieses um 815 oder 820 geschrieben wurde, reichte
AA wahrscheinlich eben so wenig wie AS über 799 hinaus.
Dann muss die Fortsetzung von 802 bis 815 Eigenthum
von AWS sein. Warum soll sie das nicht? und warum
nicht auch die weitere Fortsetzung bis 881?
Eine Thatsache kommt hinzu, welche D. gar nicht
erklärt, dass nämlich 'die Aug.' (A) mit AS nur bis 858
zusammengehen, während sie doch ganz aus AWS abge-
leitet sind, das wie AS bis 881 aus AA abgeschrieben sein
soll. Die Erklärung ist diese: AWS, das die Führung
übernommen hatte, während AS seit 799 ruhte, wurde in
Eeichenau fortgesetzt; als es bis 858 reichte, wurde in
AS eine Fortsetzung angehängt, die bis 858 aus AWS
abgeschrieben ist, und diese wurde von derselben Hand
bis 876 selbständig weitergeführte Mit Eecht hat Pertz
1) iSTach der Ausgabe von Henking hat der zweite Schreiber von
AS das Stück 802 — 876 in einem Zuge geschrieben; wenn das richtig
Die Jahrbücher von Reicheuau und der Fortsetzer Regino's. 441
dieses Stück Cont. Sang-all. prima genannt: es muss in
St. Gallen geschrieben sein, da es mit den aus AWS ab-
geleiteten Augienses gar nicht übereinstimmt. In ßeichenau
wurde AWS (von AS unabhängig) fortgesetzt bis 881,
während die Fortsetzung von AS beim Jahre 876 stecken
blieb. Darauf wurde in St. Gallen an AS von einer
dritten Hand eine aus AWS entnommene weitere Fort-
setzung bis 881 angefügt, zugleich aber der neue Codex
W geschrieben, der hauptsächlich Abschrift von AWS
war, aber auch die selbständige Fortsetzung in AS (860
bis 876) benutzte und mit einer eigenen Notiz zu 882 vor-
läufig schloss.
Aber auch die Reichenauer rafften sich, gewiss durch
das Vorbild der sanctgallischen Nachbarn angespornt, zu
neuer Thätigkeit auf: hatten sie den St. Gallern ihren
Codex AWS zur Abschrift geliehen, so nahmen sie nun
ihrerseits von dem St. Galler Codex AS Abschrift. Damit
entstand All, und erklärlicher Weise wurde nun die
weitere Fortsetzung bis 912 dem neuen Codex angehängt,
während AWS beim Jahre 881 liegen blieb. Später er-
hielt dann auch AWS seine Fortsetzung, die bis 912 ein
Auszug aus All, von da an selbständig war. Es kann aber
auch für die Strecke von 882 — 912 AWS Original und
All daraus abgeleitet gewesen sein.
In St. Gallen erhielt AS um 921 wieder eine Fort-
setzung von dem vierten Schreiber, der auch die späteren
Zusätze zu den früheren Theilen geschrieben zu haben
scheint^. Die Hauptquelle dieser Fortsetzung war All;
für die Zusätze (vgl. 816. 830. 846 und 858), aber auch
für einige Nachrichten der Fortsetzung-, wurde AWS
benutzt.
ist, so hat AWS eben noch im Jahre 876 nur bis 858 gereicht. Dann
wäre die Fortsetzung von AAVS gerade im Todesjahre des Abtes Folch-
win ins Stocken gerathen, vielleicht eben aus Anlass dieses Todesfalles.
1) Auf diese Thatsache wurde ich von Herrn Dr. Dieterich j^rivatim auf-
merksam gemacht. 2) Hierfür vorläufig nur einen Beleg: 896 haben
die Hersf., welche durch die Comp. Fuld. aus AWS gespeist werden:
'Arnulfus rex Romam veniens Imperator factus est'; ganz ebenso hat die
schwäbische Weltchronik (E), die entweder aus AWS oder aus den von
der Comp. Fuld. abhängigen Mainzer Annalen geschöpft haben kann. Es
ist also anzunehmen, dass Hersf. und E den Text von AWS darstellen,
wenngleich die Aug. nur haben: 'Arnolfua Roraae cesar efficitur'; denn
dieselben wiederholen hier einfach eine unter 881 gebrauchte Wendung.
Da nun AS hat: 'Arnolfus Romam veniens efficitur Imperator', so scheint
doch AWS die Quelle dafür gewesen zu sein, und nicht All, wo es
heisst: 'Arnolfus Romam vi caepit et a Formoso papa Imperator conse-
cratur'.
442 F. Kurze.
So bleibt von AA nur noch der Anfang bis 799
übrig. Dieses Stück soll nach D. (S. 230) bis 798 eine
Abschrift der Murbacher Anualen zweiter Recension ^ sein ;
S. 218 aber will er ihm zu 760, S. 215 zu 770. 777 und
785, S. 171 auch zu 788 einen Wortlaut geben, der sich
von den Ann. Murbac. weit entfernt. Das geht einfach
nicht : denn da AA gleich den Nazar. und Guelferbyt. aus
den Murb., AS aber aus AA abgeleitet sein soll, so haben
wir überall, wo AS mit Naz. und Guelf. übereinstimmt,
auch den Wortlaut von AA. Das ist aber fast überall
der Fall, und wir haben demnach in AS bis 799 eine
ziemlich wortgetreue Abschrift von AA.
In so bescheidenem umfange muss man allerdings
AA gelten lassen, wenn man annimmt, dass AS von An-
fang an in St. Gallen geschrieben sei. Denn bei den
engen Beziehungen zwischen Murbach und Reichenau, wie
sie D. (S. 170) darlegt, ist seine Ansicht, dass die Mur-
bacher Annalen erst über ßeichenau nach St. Gallen ge-
kommen seien, entschieden zutreffend. Das Original der
Murbacher Annalen zweiter ßecension, wie D. will, könnte
AA freilich nicht gewesen sein, da seine unmittelbaren
Ableitungen AWS und AS einige Mal in Lesarten über-
einstimmen, welche im Original, wie die Vergleichung der
Nazar. ergiebt. nicht gestanden haben können'-. Höchstens
könnte AA die Murbacher Fortsetzung 790 — 798 im Ori-
ginal enthalten haben; die beiden letzten Notizen zu 798
und 799, welche Immas und Gerolds Tod melden, scheinen
erst in Reichenau hinzugefügt worden zu sein.
Wenn man aber, wie D. selbst thut, die Entstehung
des Codex AS nach Reichenau verlegt, so ist die Annahme
eines Zwischengliedes zwischen AS und den Murbac. ganz
überflüssig, und der letzte Rest von AA zerrinnt
in nichts. Dann müsste AS zwischen den Jahren 860
und 876, mit welchen die erste sanctgallische Fortsetzung
beginnt und endet, nach St. Gallen gekommen sein; und
da zu der Zeit AWS der Hauptcodex von Reichenau war,
an dessen Fortführung man noch arbeitete, für die ältere
Zeit aber noch andere historische Hss. da waren, so ist
die Annahme, dass man AS als entbehrlich dem Nachbar-
kloster überlassen habe, keineswegs unwahrscheinlich.
Wenn AA existiert hat, so scheint es doch Fortsetzungen
über 799 hinaus nicht erhalten zu haben; als man im
1) N. A. XX, 19. 2) So 714 'maior domus', 715 'iunioris', 758
•inffreditur'.
Die Jahrbücher von Reichenau und der Fortsetzer Regino's. 443
Jahre 881 AS für Reichenau copierte, war AA entweder
abhanden gekommen, oder man hielt die sanctgallische
Abschrift für werthvoller als das Original.
Schliesslich möge hier eine chronologische Uebersicht
der Annalen-Hss. von Reichenan folgen, soweit sie
dem 8. bis 10. Jahrhundert angehören.
W. Giesebrecht^ vermuthete, dass die alamannische
Quelle der Gorze- Lorscher und der Murbacher Jahrbücher,
deren Entstehung ich in dieZeit zwischen 746 und 756 setzte-,
in Reichenau ihren Ursprung habe. Jetzt bin ich aber der
Meinung, dass dieselbe anderswo entstanden ist^. Dagegen
hatte man, wie oben (S. 430) festgestellt wurde, später in
Reichenau ein Exemplar der Lorscher Jahrbücher
selbst, d, h. der Quelle der Ann. Mosellani und Laures-
hamenses, ein Exemplar, das wenigstens bis 789 reichte
und sowohl in AWS als auch in E und H benutzt wurde.
Ein Exemplar derselben Quelle wurde bald nach 790 in
Murbach bei der Neubearbeitung der dortigen Annalen be-
nutzt. Dasselbe wird wohl die Vorlage des in Reichenau
befindlichen gewesen sein.
Eine andere verlorene Quelle aus Reichenau ist zu
erschliessen aus den sogenannten Ann. Sangall. Baluzii
des cod. 124. Derselbe stammt aus dem Anfange des
9. Jh. und schliesst mit gleichzeitigen Notizen zu 801.
805. 813 und 814, scheint aber mit Ausnahme dieser vier
ganz und gar Abschrift einer älteren Vorlage zu sein, die
bis 783 reichte und fast ganz aus den Annalen von St.
Am and, Gorze und Murbach compiliert war. Als Mittel-
glied zwischen diesen sämnitlich in Murbach vorhandenen
Quellen und der Abschrift in St. Gallen ist nur ein
Reichenauer Codex zu denken.
Demnächst entstand in Reichenau AS, der erste Theil
des erhaltenen Züricher Codex, als eine Abschrift der
Murbacher Annalen mit zwei originalen Notizen zu 798
und 799. Zwischen 860 und 876 kam dieser Codex nach
St. Gallen.
Es folgt die wichtigste aller älteren Reichenauer
Annalenschriften, der codex Reginberti (AWS). Bald
nach 814 angelegt als ein Auszug aus AS bis 799, unter
Benutzung der Lorscher Annalen, dann selbständig fort-
gesetzt bis 881, war dieser Codex Quelle der Sangall.
breves bis 814, der Alam. Sangall. (AS) bis 858 und der
1) Münchener historisches Jahrbuch 1865, S. 223. 2) N. A. XX,
S. 27. 3) Nähere Angaben wird mein Aufsatz über die kleinen karo-
lingischen Annalen enthalten.
444 F. Kurze,
Weing'art. bis 881, aber gegen Ende wohl etwas reicli-
lialtiger als diese. Die Fortsetzung von 882 — 912 wurde
vielleicht erst nach 912 aus der Urschrift der Alam. zweiter
Rec. (All) nachgetragen, vielleicht ist auch sie original ;
um 912 — 918 diente der Codex einem Bearbeiter der ful-
dischen Compilation als Quelle ^ Von 913 bis 939 ist er
wieder Original und Vorlage sowohl der Augienses des
Pariser Codex als auch — was für die Controle des Textes
sehr wichtig ist — der Ann. Heremi.
Wenig später als der erste Theil von AWS müssen
die Ann. Augienses brevissimi des cod. 167 von
Karlsruhe- geschrieben sein, die zu der oben erwähnten
Gruppe der kleinen Königsannalen gehören und am
engsten mit den Ann. S. Dionjsii'^ verwandt sind; sie
reichen bis 817. Die nahe verwandten Ann. regum Sangal-
lenses scheinen mir aber die Annahme noch eines verlorenen
Reichenauer Exemplars nöthig zu machen, das ihnen und
den Aug. breviss. als Vorlage diente.
Um 881 wurde der damals in St. Gallen befindliche
Züricher Codex der Alam. (AS) für Reichenau abgeschrieben
und dann entweder bis 912 selbständig weitergeführt oder
um 912 bis dahin aus AWS ergänzt. Eine Abschrift dieser
zweiten Recension der Ann. Alam. (All) besitzen
wir im Cod. Modoetiensis, welcher für Laubach geschrieben
zu sein scheint, da er die Ann. Laubacenses im Original
enthält'^; er befand sich im Jahre 1185 in Basel, kam von
dort nach Verona, wurde 1797 nach Paris verschleppt und
1816 durch eine Verwechselung mit einem ehemaligem
Monzeser Bedacodex. der nach Verona kam, nach Monza aus-
geliefert-''. Der selbständige oder aus AWS abgeschriebene
Theil dieser Recension diente dem vierten Schreiber von
AS als Hauptquelle; ausserdem ist sie in den Ann. Heremi
des Cod. 356 (Her. I) benutzt worden.
Das lezte Glied dieser Reihe bildet die mehrfach ge-
nannte Reichenauer Abschrift der Mainzer Annalen.
Es bedarf aber noch der Untersuchung, ob man in Rei-
1) Es scheint, dass die Wahl des Frankenherzogs zum König,
spätestens aber sein Besuch in Hersfeld 918 den Mönchen von Fulda
und Hersfeld Anlass gab, ihre aunalistische Thätigkeit wieder aufzunehmen.
2) SS. III, 136 f. 3) SS. XIII, 718 ff. 4) Da der letzte Theil der
Laub, im ganzen eine Abschrift der Alam. ist, welche in demselben
Codex vorangehen, so muss eben dieser Codex wohl das Autograph der
Laub, sein, was sich mit den Angaben im Archiv V, 474 und SS. I, 4
wohl verträgt. 5) lieber seine Schicksale vgl. die N. A. XXII, 315
n. 17 und XXIII, 582 n. 129 erwähnten Abhandlungen von Spagnolo und
Varisco.
Die Jahrbücher von Reichenau und der Fortsetzer Regino's. 445
chenau überhaupt eine ganze Abschrift hatte oder nur
einen Auszug, und ob derselbe nicht etwa mit einer anderen
Annalenrecension verbunden war. Die Ann. Her. I, in
welchen wir Spuren dieser Quelle bei den Jahren 785. 806.
851 und 870 fanden und weitere in dem scheinbar selb-
ständigen Theile von 940 bis 966 vermuthen dürfen, benutzen
ausser ihr von Reichenauer Quellen noch All bis 909 und
die Urschrift der Augienses, also den Cod. Reginberti
(AWS) zu 936. 938 und 939. All deckt sich bis 881 mit
AS und bietet namentlich zu 785 einen Text, der es sehr
unwahrscheinlich erscheinen lässt, dass dazu später ein
Zusatz aus den Mainzer Annalen eingetragen worden sein
sollte.^ AWS dagegen, der Cod. Eeginberti, hat in der
Form, wie er dem Schreiber der Weingartenses (W) um
881 und auch noch dem der Augienses (A) um 954 vorlag,
gerade an den vier angeführten Stellen viel freien Raum,
der zu Nachträgen einlud : denn in W und A sind die
Jahre 784. 785. 807—809 (zu 806 in W nur: 'Haito Wal-
doni successit'), 850 — 855 und in A auch 870, während
W hier AS ausschreibt, ganz ohne Eintragungen. Man
darf also die Vermuthung wagen, dass eine besondere
Abschrift der Mainzer Annalen in Reichenau nicht existiert
hat, sondern dass der Cod. Reginb. um 958 aus dieser
Quelle ergänzt und über 939 hinaus fortgesetzt worden ist.
2. Die Quellen des Continuator Reginonis.
Wenn ich mich nicht täusche, so hat die bisherige
Untersuchung ergeben, dass einerseits von grösseren Rei-
chenauer Annalen im Sinne Erbens und Dieterichs nicht
die Rede sein kann, dass aber andererseits auch ich sehr
im Irrthum war, wenn ich die Ann. Augienses cod. Paris,
für den einzigen Vertreter der Reichenauer Annalistik im
10. Jahrhundert hielt.
Diese Bereicherung unseres Wissens ist, wie ich rück-
haltlos anerkenne, Dieterichs Verdienst, und das End-
ergebnis stimmt mit dem seinigen in recht wesentlichen
Punkten überein. Ja, man kann sagen, dass alle einzelnen
Theile seiner Quelle AA in Reichenau wirklich vorhanden
waren, nur dass sie nicht die Stücke eines und desselben
1) All = AS (das Eingeklam-
merte fehlt in All: '(rex) Karolus
in Erespurg resedit et Saxones in
l^ace conquisivit'.
Her. 1 = Altah. (d. Eingekl. fehlt
in Alt.): 'Widuhind(us ad eum)
venit (ad) Attiniacum villam (et) ibi-
(dem) baptizatus (est et) omnis Sa-
xonia Francis subiecta est'.
446 F. Kurze,
Werkes bildeten, welches die Grundlage aller anderen war,
sondern verschiedenen Quellen angehörten, zumeist aber
dem cod. Eeginberti.
Die Mainzer Annalen treten in die Eolle von
D.'s Comp. Fuld. II und sind in der That eine Neubear-
beitung der Comp. Fuld. I unter Benutzung einer Reiche-
nauer Quelle, nur dass diese letztere einfach der cod.
Paris, der Aug. war, von 940 an aber bis 958, so zusagen,
nicht Mainz von Eeichenau, sondern Eeichenau von Mainz
abhängig zu denken ist. Sie sind auch nicht die Quelle
der Hersfelder Jahrbücher, welche vielmehr auf der Comp.
Fuld. (I) beruhen und im letzten Theile die Fortsetzung-
Regino's benutzen. Dadurch fällt die Nöthigung zu der
unnatürlichen Annahme fort, dass die Mainzer Annalen so
vieles enthalten hätten, was gerade der Fortsetzung Regino's
eigenthümlich ist, und erst in den letzten Monaten des
Jahres 966 in einem Zuge geschrieben wären. Der An-
fangstermin rückt nun hinauf bis 954, zum Jahre der
Ernennung Wilhelms zum Erzbischof von Mainz.
Es versteht sich nun von selbst, dass diese Mainzer
Annalen eine Haupt quelle des Cont. Reg. gewesen
sein müssen. Sie treten in dieser Beziehung an die Stelle
der von mir ^ vermutheten f uldischen Quelle und enthielten
jedenfalls auch die rheinisch-lothringischen Nachrichten
des Cont., für welche ich damals keine Erklärung wusste"-.
Unter so veränderter Voraussetzung — wenn die
Annalen nicht erst in den letzten Monaten des Jahres 966
geschrieben zu sein und nicht persönliche Erinnerungen
des Verfassers enthalten zu haben brauchen, die wohl in
die Chronik des Abtes von Weissenburg, aber nicht in die
Annalen des Mainzer Erzstifts hineinpassen — trage ich
aber kein Bedenken, D.'s Vermuthung, dass Ad albert,
der Cont. Reg., auch der Verfasser der mainzischen Annalen
sei, als eine sehr ansprechende zu begTÜssen. Dann
müsste er die letzteren ( — 958) in der Zeit von 954 — 960
geschrieben haben. Von 961 — 962 war er bei den Russen,
von da bis 966 wieder in Mainz. Damals schrieb er sich
vielleicht schon die Chronik Regino's ab, deren Original
sich wahrscheinlich in seinem Heimathskloster St. Maximin
zu Trier befand, in welchem Regino begraben lag.
Von 966 — 968 war Adalbert Abt von Weissenburg:
in diese Zeit fällt demnach die Abfassung der Fortsetzung
1) N. A. XV, 330. 2) Damit ist aber nicht ausgesclilossen, dass
eine uns unbekannte lothringische Quelle in den Mainzer Annalen benutzt
worden sein könnte.
Die Jahrbücher von Reichenavi und der Fortsetzer Regino's. 447
Regino's. Wie die erste Arbeit für das Erzbisthum Mainz,
so war die zweite zunächst für das Kloster Weissenbnrg-
geschrieben, und daraus erklärt sich zur Genüge die freie
Sprache, die der Verfasser führt, wo er von seinem Erz-
bischof redet.
Ist aber hiermit die Entstehungsgeschichte der Fort-
setzung Regino's richtig dargestellt, so versteht sich ferner
auch das von selbst, dass Adalbert für diese Arbeit die
jetzt in Paris befindliche Mainzer Abschrift der Au-
gienses benutzt hat, wie ich schon a. a. O. 326 annahm.
Ganz ohne Noth hat Erben das bestritten; denn für sein
Thema ist dieser Umstand unwesentlich.
Erben will nachweisen, dass dem Cont. Reg. mit
seiner Notiz über die Verbannung des angeblichen bai-
rischen Eberhard im Jahre 938 ein Versehen beffCffnet ist,
und dass der Herzog Arnolf gar keinen Sohn dieses Na-
mens gehabt hat. Diesen Nachweis, dessen Wichtigkeit
ich nicht unterschätze, halte ich auch für gelungen. Dazu
hatte er es aber gar nicht nöthig, meine Quellenanalyse
zu bekämpfen; denn er macht von seiner Annahme voll-
ständigerer Ann. Augienses einen, wie mir scheint, un-
richtigen Gebrauch.
'Durch die Verschmelzung von zwei nicht zusammen-
gehörigen Sätzen seiner Vorlage', sagt er (S. 619), —
"Eberhardum in exilium misit " und "nisi tantum unum
(Arnolf um) Arnolfi filium" — ist also, wie ich glaube, die
Fassung der Continuatio entstanden'. Warum aber soll
diese Vorlage denn nicht der Pariser Codex der Ann. Aug.
gewesen sein, der diese Worte — natürlich ohne das
eingeklammerte — genau so, wie Erben sie citiert, enthält?
Gerade der Text dieser Aug. ist vorzugsweise geeignet,
ein solches Missverständnis zu veranlassen. Vollständig
lautet er so : 'Otto rex in Bawarios ibat illisque resistentibus
rediit. Frater eius Heiuricus comprehensus est ab Eber-
hardo. Illo vero liberato Eberhardum in exilium misit ac
iterum Bawarios invasit cum exercitu omnesque sibi subdidit
nisi tantum unum Arnolfi filium'. Es ist also von zwei
Zügen nach Baiern die Rede, zwischendurch wird ein
Eberhard genannt ohne nähere Bezeichnung seiner Stellung,
und schliesslich wird ein Sohn des bekannten Baiernherzogs
Arnolf erwähnt ohne Nennung seines Namens : was liegt
näher, als den Eberhard mit dem Sohne Arnolfs zu identi-
ficieren? Aber da der Contin. sich vorher über die Ge-
fangennahme Heinrichs durch den Frankenherzog Eberhard
und über die Verbannung des letzteren gut unterrichtet
Neues Archiv etc. XXIV. 29
448 F. Kurze.
erweist, so bleibt sein Irrthum immerhin verwunderlich
genug: er wäre gar nicht zu erklären, wenn der Cont.
nicht zwei Quellen neben einander benutzt hätte, und ein
Missverständnis würde ganz unmöglich gewesen sein, wenn
sein Exemplar der Aug., wie Erben will, den Namen
'Arnolfum' enthalten hätte.
Die Urschrift der Aug. in Reichenau, der cod. Re-
ginberti, bot, wie die Vergleichung der Heremi II lehrt,
einen nur ein klein wenig abweichenden Text, nämlich
'omnesque sibi subdidit nisi tantum Arnolfum filium'.
Freilich für das Verständnis eines ferner stehenden Lesers
ist die kleine Abweichung von entscheidender Wichtigkeit:
für Hermann war der Name des Sohnes gegeben, er hatte
nur den viel bekannteren des Vaters zu ergänzen, und so
schrieb er ganz richtig: 'omnesque praeter Arnolfi ducis
filium Arnolfum subiugavit'.
Endlich fragt es sich, ob neben den bisher ermittelten
noch andere Quellen des Cont. Reg. angenommen werden
müssen. Wenn hinsichtlich der Ann. Laubacenses
Erben (S. 617) jede Aehnlichkeit ihres Berichtes von 910
mit der Fortsetzuug Regiuos leugnet, so liegt das daran,
dass er nach seiner eigenen Angabe (Anm. 2) nicht ver-
standen hat, 'was mit dem gesperrten Druck in den beiden
Columnen (N. A. XV. 327 f.) gesagt werden soll'. Die
Ann. Laub, berichten zu 910, dass die Ungarn zunächst
die Alamannen schlugen und einen grossen Theil des
Volkes sammt dem Grafen Gozpert niedermachten und
dann auf dem Weitermarsche ein fränkisch-bairisches Heer
vernichteten, wobei der Herzog Gebhard, ein gewisser
Liutfrid und viele andere umkamen. Der Cont. Bjeg. aber
erwähnt nur den zweiten Kampf und nennt unter den
Gefallenen nur den Konradiner Gebhard; denn um seinet-
willen allein scheint er an der Sache Antheil zu nehmen.
Er giebt aber auch eine Ortsbestimmung: 'in confinio
Bawariae et Franciae'. Woher hat er die? Nun, ich meine
eben : er hat sie erschlossen aus der Angabe seiner Quelle,
dass die Ungarn auf dem Weitermarsche von Schwaben
mit einem fränkisch-bairischen Heere zusammengestossen
seien. Darum schien und scheint mir die Benutzung gerade
dieses Berichtes unzweifelhaft. Damit ist allerdings, wie
ich gleich bemerken will, nicht erwiesen, dass der Cont.
ihn gerade den Laub, entnommen haben müsste, da auch
sie ihn erst anderwärts entlehnt haben.
Noch mehr hat Erben bezüglich der anderen Stelle,
an welcher ich Aehnlichkeit zwischen Laub, und Cont.
Die Jahrbücher von Reichenau und der Fortsetzer Regino's. 449
Heg', zu finden glaubte, mich missverstanden. Zu 926 haben
die Laub, die in fast gleichem Wortlaut schon zu 911
verzeichnete Notiz : 'Iterum Ungari Alamanniam Franci-
amque invaserunt atque ultra Rhenum et Magi campum
usque in Arhaugiam devastabant ac sine damno reversi
sunt'. Pertz deutet durch die hinter 926 eingeklammerte
Zahl 912 an, dass er diesen Ungarneinfall in das Jahr 912
setzen möchte^; jedenfalls beweist die Wiederholung des
Satzes an zwei verschiedenen Stellen, dass seine Einordnung
zweifelhaft ist. Daraufhin sagte ich (a. a. O. 328) : 'Den
Kern hiervon giebt der Cont. Reg. zu 912 mit den Worten
wieder: Ungarii iterum nullo resistente Franciam et Tu-
ringam vastaverunt'. Die Worte 'et Turingam' hätte ich
an dieser Stelle allerdings durch Punkte ersetzen können
{'Franciam . . . vast.'); denn es ist klar, dass sie nicht zu
dem 'Kern' gehören. Ich konnte aber auch nicht ahnen,
dass Erben mir die Meinung unterschieben würde, dass
ich sie dazu rechnete, da ich doch in der Ausgabe die
beiden Worte nicht wie die übrigen habe in Petitdruck
setzen lassen. Schon damals war ich, wie Erben, der
Meinung, dass sie aus der fuldischen Quelle herrühren
dürften.
Da die Laubacenses zu 707 eine auf Laubach bezüg-
liche Notiz enthalten, — mag dieselbe immerhin den
Lobienses entlehnt sein-, — und zu 911 und 926 über
einen üngarneinfall im Meienfeld und Archgau berichten,
so scheinen sie in der That in Laubach geschrieben zu
sein. Hatte aber Laubach solche Beziehungen zu Reichenau,
dass man Abschriften dortiger Bücher erhalten konnte, so
könnte ein Bücherleihverkehr nach Mainz nicht überraschen,
und Benutzung der Laub., wenn nicht in der Fortsetzung
Regino's, so doch in den Mainzer Annalen, kann nicht als
unmöglich bezeichnet werden.
Aber freilich an Wahrscheinlichkeit steht diese Mög-
lichkeit jetzt weit hinter einer anderen zurück. Der
Bericht der Laub, zu 910 stammt aus den Alam. des cod.
Modoet., also einer Reichenauer Quelle, deren letzter
Theil (882 — 912) im cod. Reginberti excerpiert oder aus
demselben abgeschrieben war; dieser aber war Quelle der
Comp. Fuld., die den Mainzer Annalen zu Grunde lag.
1) Irrthüralich hat Dümmler (Ostfränkisches Reich III', 591 Anm. 2)
das umgekehrt so vei'standen, als ol> der Einbruch unter dem Jahre 912
überliefert wäre und von Pertz in das Jahr 926 gesetzt würde. 2) Laub.
707: 'Hildulfus dux obiit; requiescit in Laubaco monasterio'. Lob.:
'H. d. o. anno Domini DCCVII; requ. in Lobia mon.'
29*
450 F. Kurze.
Und wenn beim Jahre 912 die fuldische Quelle berichtete,
dass die Ungarn nach Thüringen kamen, so wird sie wohl
auch der Verwüstung Fraukens Erwähnung gethan haben.
Also fand der Cont. Keg. wohl die beiden Nachrichten,
welche den Laub, entlehnt sein könnten, in den Mainzer
Annalen vor, die sie ihrerseits wieder der fuldischen Quelle
entnommen hatten.
Ganz ebenso ist es mit den Ann. S angallen ses
maiores. Der von Erben erhobene Einwand, dass die
von mir auf die Sang, zurückgeführten Nachrichten bei
Hermann wiederkehren, ist völlig belanglos ; dagegen sehe
ich mich bei dem jetzigen Stande unseres Wissens, welchen
wir Dieterichs Untersuchungen verdanken, selbst veranlasst,
meine frühere Behauptung zurückzuziehen. Dieselbe be-
ruhte nur auf der Voraussetzung, dass die Sang. mai. bis
918, wo die Benutzung bekannter Quellen aufhört, schon
um 918 verfasst seien. Sie sind jedoch bis 955 in einem
Zuge geschrieben und benutzen auch keine beim Jahre 918
endende Vorlage, die an ihrer statt als Quelle des Cont.
ßeg. angesehen werden könnte. Dass sie aber nicht in.
ihrer ganzen Ausdehnung dem Cont. vorgelegen haben
können, habe ich von vornherein (a. a. O. 328) anerkannt.
Indessen ist die Uebereinstimmung der Fortsetzung-
mit den Sang. mai. an den wenigen Stellen, wo sie sich,
berühren, eine solche, dass sie durchaus der Erklärung
bedarf. Es sind nur vier: zwei davon ^ finden sich auch
in den Ann. Alam. Sangall. des Züricher Codex (AS) '-, die
beiden anderen, welche beim Cont. auf die Jahre 912 und
913 vertheilt sind, in den Sang. mai. dagegen mitten in
dem ziemlich ausgedehnten Jahresberichte zu 913 stehen ^
sind der Art, dass sie eher in Mainz als in St. Gallen
entstanden zu sein scheinen. AS ist in den Sang, mai-
benutzt; für die VerAvandtschaft mit dem Cont. Reg. aber
müssen wir als gemeinsamen Stammvater den cod. Regin-
berti (AWS) annehmen, aus welchem einerseits eine Menge
Nachrichten über Fulda nach Mainz gelangten, andererseits,
wie wir oben (S. 441) gesehen haben, einige Notizen auch
von dem vierten Schreiber des Züricher Codex (AS) ent-
1) 911 Sang, m.: 'Hludowicus rex filius Arnolfi regis obiit; et dom-
nus Chuonradus regnum accepit'. Cont.: 'Lud. r. f. A. imperatoris o.; cui
Cuonr. in regno successit'. 914 »S. m. und Cont.: 'Salomon episcopus
captus est'. 2) 911: 'Hl. f. A. r. moritur; Chunr. r. acc.'; 914: 'Er-
cbanger hostili manu super episcopum Salomoneni venit et eum compre-
hendit'. S) S. m. 913: 'Hatho archiepiscopus obiit. Et Otpertus epi-
scopus occiditur'. Cont. 912: 'Hatho a. o.'; 913: '0. Strazburgensis e. occ.V
Die Jahrbücher von Reichenau und der Fortsetzer Reginos. 45 1
lehnt wurden. Diese beiden zu 911 und 914 müssen denn
wohl auch dazu gehört haben, wodurch übrigens der Zeit-
punkt der Benutzung des cod. Reginb. in Fulda (s. o. S. 444)
unter 914 herabgerückt wird. Die wörtliche Ueberein-
stimmung zwischen dem Cont. Reg. und den Sang. m.
aber erklärt sich nur durch die Annahme, dass die letzteren
die beiden Notizen nicht avis AS, sondern unmittelbar aus
dem Reichenauer cod. Eeginb. entnommen haben. Zu
demselben Ergebnis führt die Betrachtung der beiden
anderen Nachrichten : waren sie Mainzer Ursprungs, so ist
ihr Auftreten in der Forts. E-eg. ohne weiteres verständlich,
in den Sang. m. aber nur dadurch zu erklären, dass deren
Verfasser bereits den aus den Mainzer Annalen ergänzten
cod. Reginb. benutzte.
Als Quellen der Fortsetzung Eegino's behalten wir
demnach nur die Mainzer Annalen und das jetzt in Paris
befindliche Mainzer Exemplar der Ann. Augienses , als
Quellen der vermuthlich von demselben Verfasser herrüh-
renden Mainzer Annalen aber die fuldische G-rundlage der
Hersfelder Jahrbücher und dieselben Augienses.
3. Zur liandscliriftUchen
Ueberlieferiiiig der Fortsetzung Regino's.
Noch an einer anderen Stelle hat Erben, um seinen
Beweis zu stützen, ohne Noth meine Resultate niederzu-
reissen gesucht. Aus der Erkenntnis, dass Herzog Arnolf
von Baiern keinen Sohn Namens Eberhard gehabt hat,
ergiebt sich freilich die noth wendige Forderung, dass das
gefälschte Schreiben Leos VII. zu Gunsten von Lorch-
Passau ^, in welchem ein Baiernherzog Eberhard vorkommt,
mit Benutzung der Fortsetzung Regino's hergestellt sein
muss, d. h. dass die Fälscher in Pas sau eine Regino-
Hs. mit Fortsetzung besessen haben müssen, welche
seither verloren gegangen ist. Indem ich dies unumwunden
einräume, kann ich doch nicht zugeben, dass dadurch der
von mir aufgestellte Hss.- Stammbaum umgestossen würde;
jedoch muss ich in diesem Falle allerdings anerkennen, dass
Erben sich durch das in meiner Ausgabe gebotene Material
zu dieser Schlussfolgerung berechtigt glauben konnte.
Erben hat einen Theil der Admonter Hs. (A la)
verglichen und daraus (S. 622 Anm. 1) eine ziemlich lange
Liste von Lesarten zusammengestellt, aus denen er be-
weisen will, dass sie nicht aus der Freisinger (AI) ab-
1) Jaffe I-, 3614.
452 F. Kurze.
geleitet sein könne. Ich gebe hier den Text der betreffenden
Stellen meiner Ausgabe mit den Varianten von A 1 und
Ala ein klein wenig vollständiger wieder:
S. 149, Z. 6 V. o. 'Adalardo' ('Adalhardo' A 1),
S. 149, Z. 14 V. u. 'Anno dorn. ine. DCCCCIII'.
('DCCCCir AI),
S. 150, Z. 1 V. o. 'ipse cupiditate ('cipidate' AI) ductus',
S. 150, Z. 11 V. o. 'pro tarn inaudito seelere' ('celere' AI),
S. 150, Z. 2 — 1 V. u. 'cum armatorum non modica
manu, ut ('manuunt' Al) irruerent . . .',
S. 151, Z. 14 V. o. 'in Wedereiva' ('uuedereia' AI,
'Uuetreiba' A la),
S. 151, Z. 18 V. u. 'se contra Gebehardum ('Gebeardum
dum' AI, 'Gebeardum' Ala) copias transferre velle',
S. 151, Z. 6 V. u. 'cum sociis fugientes ('fugiente' AI)
insecutus est',
S. 152, Z. 10 — 9 V. u. 'Facultates eius et possessiones
eins in fiscum redactae sunt et dono regis inter nobiliores
quosque distributae' ('distribuit' AI),
S. 152, Z. 8 V. u. 'Francia' {'francea' A 1),
S. 159, Z. 5 — 4 V. u. 'Hildibertus archiepiscopus obiit,
cui Fridericus successit. ünni archiepiscopus obiit ('obiit'
fehlt A 1), cui Adaidagus successit',
S. 164, Z. 9 V. u. 'Strazburgensis' ('stratburgensis' Al;
neben A 1 kommt hier nur noch A 3, der Annalista Saxo,
in Betracht, der 'strasb.' hat; 'strazb.' habe ich in den
Text gesetzt, weil es zwischen den Lesarten von A 1 und
A3 die Mitte hält, und weil an fünf vorhergehenden Stellen
auch A 1 'strazb.' hat),
S. 173, Z. 6 V. u. 'Spolitanum' ('spolatinum' A 1),
S. 175, Z. 3 V. u. 'Langobardis' ('longob.' Al),
S. 177, Z. 4 V. o. 'Erchanbertus' ('Ercanbertus' AI;
'Erkanbertus' A3; ich habe 'Erchanb.' darum im Text stehen
lassen, weil S. 155, Z. 2 v. u. AI. 2* übereinstimmend 'Er-
changer' haben und S. 175, Z. 10 v. o. A 1 'Erchanbertus' auf-
weist).
Da zeigt sich doch nun klar, dass derartige Text-
verbesserungen, wie sie Ala im Vergleich zu A 1 bietet,
jeder halbwegs aufmerksame Abschreiber vornehmen konnte,
und dass mit solchen Abweichungen — deren ich übrigens,
nachdem ich Ala und b selbst eingesehen, noch eine ganze
Anzahl angeben könnte, wenn eine solche Zusammenstellung
irgend welchen Nutzen hätte — die Unabhängigkeit der
Admonter Hs. nicht zu erweisen ist. Nun kommen freilich
noch zwei bisher von mir absichtlich übergangene Stellen
Die Jahrbücher von Reichenau und der Fortsetzer Reginos. 453
hinzu, welche dem Beweismaterial in der That ein be-
drohliches Aussehen geben :
S. 151, Z. 14 V. u. hat A la richtig 'ei incunctanter
occurrit', AI 'eum cunctanter occurrit', und
S. 174, Z. 4 V. o. hat Ala 'statim', das nach Anm. a
meiner Ausgabe in A 1 fehlt.
Aber aus meiner Collation entnehme ich, dass an der
ersten Stelle in A 1 'eum cunctanter' so aus 'ei incunc-
tanter' corrigiert ist, dass man die frühere Lesart noch
gut erkennen kann, und dass ich an der zweiten Stelle
mir ein Versehen habe zu Schulden kommen lassen: 'statim'
fehlt nicht in AI, sondern in A3.
Die Freisinger Hs. AI muss, wie schon Waitz
erkannt hat, der codex archetypus der Hss. Ala — e
sein, weil die letzteren genau an derselben Stelle abbrechen,
an welcher AI verstümmelt endet. Dieser eine Grund ge-
nügt zum Beweise ; es ist mir aber gelungen, auch noch
einige andere Beweismomeute zusammenzutragen:
S. 57, Z. 5 V. u. hat A 1 'parte' für 'ripa' und über-
geschrieben 'vel ripa', Ala 'parte vel ripa', Alb 'ripa';
S. 58, Z. 6 V. o. hat A 1 'Et eodem' für 'Eodem', A la. b
haben ebenso ;
S. 58, Z. 7 V. o. fehlt in A la. b wie in A 1 das Wort
'pons';
S. 58, Z. 20 V. o. hat AI 'Italarum' für 'Italorum';
A la. b machen daraus 'Italiarum';
S. 68, Z. 8 V. u. hat A 1 'quod eum p esset iratus'
für 'quod ei Imperator esset iratus'; Ala hat hier eine
grössere Lücke, Alb aber hat daraus gemacht 'quod rex
contra eum piret iratus';
S. 96, Z. 17 — 18 V. o. haben Ala. b wie AI 'oculisque
erutis' für 'oculosque eius effodit et';
S. 101, Z. 16 — 17 V. o. hat AI die Worte 'Nempe
Carolus levitate iuvenili ductus' offenbar unabsichtlich aus-
gelassen; denn eine Ausfüllung der sinnstörenden Lücke,
die sich in A2 und A3 nicht findet, ist nicht versucht.
Dieselbe Lücke haben auch A la. b, fügen aber zur Heilung
des Satzes ein 'unus' ein. Zwei andere Stellen (S. 85, Z. 6 'per
vos' und S. 132, Z. 21 'Thanai tenus' fehlen in A 1 wie in
Ala — e) habe ich schon früher (a. a. 0. 298) angeführt.
Die Abhängigkeit der Admonter (Ala) und der Gött-
weiher Hs. (Alb) von der Freisinger (A 1) ist also nicht
zu bezweifeln. Natürlich aber ist es nicht ausgeschlossen,
dass zwischen ihnen noch ein Mittelglied existiert hat,
das sich immerhin in Pas sau befunden haben mag:; selbst
454 F. Kurze.
für die von Pertz vermntliete Salzburg-er Hs. als Vorlage
der Admonter bleibt noch Raum. Auch fehlt es bei ge-
nauerem Zusehen keineswegs an Spuren, die auf die frühere
Existenz wenigstens eines Mittelgliedes hinweisen. So ist
an der oben angeführten Stelle S. 101, Z. 16 — 17 doch
kaum anzunehmen, dass die Schreiber von A la und b un-
abhängig von einander auf den gleichen Gedanken ge-
kommen sein sollten, die ausgefallenen Worte durch 'unus'
zu ersetzen, auch die gleichmässige Veränderung des ver-
derbten 'Italarum' in 'Italiarum' (S. 58) weist auf Ab-
hängigkeit von einer gemeinsamen Vorlage. Ebenso zeigen
A la. b an folgenden Stellen gemeinsame Abweichungen
von A 1 :
S. 3, Z. 1 'Dominus lesus Hierosolimam conscendit
ibique anno ine. suae XII.' A 1 ; 'Anno dominicae ine. XII.
Dominus I. Hier, consc. ibique . . .' Ala. b;
S. 47, Z. 24 'rex supradicta villa' AI; 'rex in s. v.'
Ala. b;
S. 49, Z. 18 V. u. 'simul' AI; 'similiter' Ala. b;
S. 49, Z. 8 V. u. 'ibi venientes' AI; ibique v.' Ala. b;
S. 57, Z. 14 'domino' AI; 'dominio' Ala. b;
S. 105, Z. 4 V. u. 'Per tempus idem' AI; 'Per id. t.'
Ala. b;
S. 106, Z. 8 V. u. 'metu' AI; 'meatu' (richtig) Ala. b:
S. 157, Z. 12 'mittensem' AI; 'metensem' Ala. b;
S. 166, Z. 11 'omnibusque' AI; 'omnibus' Ala. b.
War auch an den meisten der angeführten Stellen
sowie an manchen anderen, die ich eben so gut anführen
könnte, die Verbesserung des Textes von A 1 für einen Ab-
schreiber nicht gerade schwierig, so wäre es doch immer-
hin verwunderlich, wenn zwei Schreibern so oft die gleiche
Verbesserung gelungen oder auch wie an der letzten Stelle
das gleiche Versehen begegnet wäre.
Einen werthvollen Beitrag zur Hss. -Kunde der Fort-
setzung hat Dieterich (S. 223) geliefert, durch den Hin-
weis darauf, dass die Einsiedler Hs., welche jetzt beim
Jahre 939 endet, wahrscheinlich niemals vollständig gewesen
ist, da sie schon dem Verfasser des bis 966 reichenden und
jedenfalls um dieselbe Zeit geschriebenen ersten Theiles
der Ann. Heremi I unvollständig vorgelegen haben muss,
weil er sie nur bis 938 oder 942 benutzt hat. Der Jahres-
bericht der Her. zu 942 deckt sich nämlich mit dem letzten
Satze des Cont. Keg. zu dem gleichen Jahre, und da die
Einsiedler Regino-Hs. gerade mit der vollbeschriebenen
letzten Seite einer Lage mitten in einem Satze endet, so
Die Jahrbücher von Reichenau und der Fortsetzer Regino's. 455
ist es höchst wahrscheinlich, dass noch ein einzelnes Blatt
angeheftet war, welches später verloren gegangen ist ^. Das
könnte dann den Text wohl bis 942 enthalten haben. Es
kann aber auch sein, dass für den einen Satz zu 942 die
Mainzer Annalen die gemeinsame Quelle des Cont. Reg.
und (durch Vermittelung des cod. E-eginb. in Reichenau)
der Her. I gewesen sind. Dann wäre anzunehmen, dass
der Schreiber, welcher für Einsiedeln die Fortsetzung ße-
gino's — die eigentliche Chronik besass man schon in einer
Hs. der Klasse B (Bl) — copierte, nach Abschluss der
letzten ganzen Lage die Feder niedergelegt hätte, um für
die Fortsetzung seiner Arbeit zunächst die Vollendung seiner
Vorlage abzuwarten. Zugleich ergiebt sich eine sehr genaue
Zeitbestimmung für die Einsiedler Hs. der Fortsetzung (A2*):
denn da der Fortsetzer in den Jahren 966 und 907 schrieb
und die Abschrift zu einer Zeit gefertigt wurde, als die Vor-
lage nicht wesentlich über das Jahr 939 hinausreichte, die
Ann. Her. I aber, in welchen sie benutzt ist, auch schon
966 oder bald nachher geschrieben zu sein scheinen, so muss
A2''' selbst wohl gerade im Jahre 966 entstanden sein.
Schliesslich nehme ich die Gelegenheit wahr, zwei
Irrthümer meiner Ausgabe zu berichtigen, die Holder-
Egger hervorgehoben hat-. Beim Jahre 962 habe ich
nämlich zwei Sätze in den Text aufgenommen, die — wie
in den zugehörigen Anmerkungen (d und f) auch angegeben
ist — in der Hs. AI fehlen und sich nur beim Annalista
Saxo (A 3) finden. Der erste : 'iste construxit abbatiam
sancti Blasii in Suevia', ist ein erläuternder Zusatz zu 'Ee-
ginbertus Dei servus obiit'; da Schwaben beim Cont. Reg.
immer nur 'Alamannia' heisst, so rührt dieser Zusatz in
der That schwerlich von ihm her. Der zweite Satz: 'pro
quo (seil. 'Adalberone Metensi episcopo') Theodericus con-
sobrinus inperatoris episcopus subrogatur', deckt sich in-
haltlich • — - wie in Anm. 2 bemerkt ist — mit einer unter
965 (S. 176) stehenden Notiz: ('Heinrico archiepiscopo Tre-
verensi Thiedericus ... et) Adalberoni Metensi episcopo
Thiedericus consobrinus imperatoris successores instituun-
tur'. Die Nachricht könnte ja vom Verfasser selbst schon
zu 962 vorangenommen und unter 965 wiederholt sein —
dann wäre aber auch hier statt 'Theodericus' besser 'Thie-
dericus' zu lesen — ; wahrscheinlicher aber ist es allerdings,
dass der Annalista Saxo unter Benutzung der weiter unten
folgenden Stelle auch diesen Satz interpoliert hat.
1) So ist es mit dem letzten Blatte der Freisinger Hs. geschehen.
2) Deutsche Litteraturzeitung 1896, Sp. 561 f.
456 F. Kurze.
Anhang.
Codex Dunelmensis C IV 15.
Während ich an dieser Abhandlung- arbeitete, wurde
ich von Herrn Geheimrath Dümmler benachrichtigt, dass
die im N. A. XV S. 310 f. unter den Eegino-Hss. aufge-
führte Hs. aus Durham C IV 15 (B3c) in Berlin sei, und
erhielt von ihm die Erlaubnis, dieselbe einzusehen. Der
Codex besteht aus zwei gesonderten Theilen von gleichem
Format, aber verschiedener Schrift: mit den Annales Mettenses
hat nur der erste Theil etwas zu thun; der zweite, etwas
jüngere, aber enthält, was nach der Notiz des Katalogs
nicht zu erwarten war, eine vollständige Regiuo-Hs. ohne
Fortsetzung. Wenn dieselbe scheinbar mit dem Jahre 1005
endet, so kommt das ganz einfach daher, dass der Schreiber
nach dem Jahre 899 mit 100(» fortgefahren hat zu zählen,
und dass es für 906 wie in allen von B2 abhängigen Hss.
heisst: 'Anno ut supra'. Die Hs. gehört nämlich augen-
scheinlich nicht unter B 3, wohin ich sie a. a. O. wegen ihrer
scheinbaren Verwandtschaft mit den Ann. Mett. gestellt habe,
sondern unter B2 und zwar in die grosse Gefolgschaft der
Arundel-Hs. B 2a, deren Merkmale, die ich ebenda S. 306 f.
aufgezählt habe, — sie sind sehr zahlreich und höchst
charakteristisch — sich vollzählig auch in ihr vorfinden.
X.
Verzeichnis
der
Akten fränkischer Synoden
von 742—843.
Von
Albert Werminghoff.
Unsere Zusammenstellung des handschriftlichen und
gedruckten Materials für die Ausgabe der fränkischen
Synodal akten bis zum Vertrage von Verdun erhebt nicht
den Anspruch, eine Zusammenstellung der üeberlieferung
für alle überhaupt abgehaltenen Synoden zu sein. Unsere
Edition will — im Gegensatz zu den älteren Concilien-
sammlungen — nicht alle Zeugnisse über alle Synoden
bringen, ebensowenig wie die der Capitularien eine üeber-
sicht über alle fränkischen Eeichstage bietet. Zusammen-
fassung ausschliesslich der die Synoden einleitenden und
an sie gerichteten Documente, der aus ihnen hervorgegan-
genen Satzungen und Schriftstücke, soweit sie sich selbst
als solche zu erkennen geben, ist das Ziel. Ist die Thätigkeit
einzelner Kirchenversammlungen beeinflusst von derjenigen
früherer, von denen keine Akten mehr vorliegen, so wird
in der Ausgabe einleitungsweise darauf hinzudeuten sein.
Die zeitliche Begrenzung war geboten in Rücksicht
einmal auf das Schlussjahr des ersten Bandes der Concilia
(ed. Maassen 1893), sodann auf die Theilung des fränkischen
Reichs durch den Vertrag zu Verdun, die auch für die
weitere Ausbildung des synodalen Lebens von Bedeutung
war ^.
Die räumliche Begrenzung ergab sich aus der Natur
des gestellten Themas. Im Vordergrund stehen die Synodal-
akten des fränkischen Reichs. Infolgedessen wurden die
auf italienischem Boden gefassten Beschlüsse kirchlicher
Versammlungen erst von dem Zeitpunkte an aufgenommen,
in welchem das Langobardenreich dem fränkischen ange-
gliedert wurde; die in Rom selbst verkündeten Satzungen
aber bereits vom Jahre 743 an, als dem Jahre, in welchem
zum ersten Male ein römischer Syuodalbeschluss aus-
drücklich die fränkischen Verhältnisse berücksichtigte.
Die sachliche Begrenzung endlich war nicht un-
erheblichen Schwierigkeiten ausgesetzt. Zu den Diöcesan-
und Provincialsynoden treten die Versammlungen der Geist-
1) Vgl. auch Weyl in Gierke's Untersuclmngen XL, 2.
460 Albert Werminghoff.
lieben auf den Eeichstagen. Hier abei' 'geht die Synode
formell im Reichstag auf. Wird sie unabhängig von einem
Reichstage berufen, so erscheint sie vom Standpunkte des
fränkischen Staatsrechts, falls sie in Gegenwart oder am
Hofe des Königs tagt, als ein mit geistlichen Grossen ab-
gehaltener Hof tag. Andererseits wird der Reichstag zur
Synode, sofern er sich mit kirchlichen Angelegenheiten
befasst'^. Dies Ineinandergreifen der Versammlungen von
rein weltlichem und rein kirchlichem Charakter kommt in
der historischen Ueberlieferung deutlich zum Ausdruck.
Auch der Reichstag wird synodus, concilium genannt, allein
schon Waitz - hat auf die eigenthümliche Erscheinung hin-
gewiesen, dass die wichtigsten Annalen, die sog. Ann.
Laurissenses maiores und Einhardi, zu den gleichen Jahren
die Bezeichnung für die abgehaltenen Versammlungen
wechseln. Erstere sprechen z. B. 761. 767. 770. 779. 782.
785. 787. 788 und 794 von einer synodus, letztere indessen
wiederholen diese Benennung oder ersetzen sie durch die
synonyme (concilium) nur dann, wenn der Inhalt der Be-
rathungen einen rein oder doch vorwiegend kirchlichen
Charakter trägt, also bei den Jahren 767 und 794^. Aber
selbst der Charakter der überlieferten Satzungen kann
über ihren Ursprung täuschen : die Synode zu Frankfurt
im Jahre 794 z. B. befasst sich auch mit weltlichen Dingen*;
manche Capitularien beschäftigen sich mit Stoffen des
weltlichen und des geistlichen Rechts; 'der König ist be-
fugt, ohne Reichstag und Synode kirchliche Normen zu
setzen' ^ Schon aus diesem Grunde ist die Gefahr gerade-
zu unvermeidbar, die durch Synoden gefassten oder vor-
geschlagenen und vom Herrscher in Capitularien ver-
öffentlichten Beschlüsse auszulassen, sobald ihnen die aus-
drückliche Angabe ihrer Entstehungsweise fehlt. Auch
der Stand der Theilnehmer an einer Versammlung ist kein
untrügliches Zeichen ihres Charakters: die Berathungen
fanden wohl meist in abgesonderten Zusammenkünften der
geistlichen Mitglieder des Reichstags statt, aber neben
ihnen kam auch den weltlichen Grossen ein Antheil an der
Beschlussfassung zu'^'. Soweit ich sehe, giebt es nur ein
Kriterium, das die Abhaltung einer Synode mit Sicherheit
1) Brunner, RG. II, 317. 2) Waitz, VG. III -, 563 Anm. 2. 3) Die
Ausführungen von Ketterer, Karl d. Gr. und die Kirche 139 bedürfen
der Einschränkung. 4) Vgl. MG. Cap. I, 74 cc. 4. 5. 5) Brunner,
RG. II, 377, vgl. 318. — Ich verweise auf die Admonitio generalis von
789, MG. Cap. I, 52; dazu vgl. Simson, Karl d. Gr. II, 2 Anm. 8 gegen
Hefele III-, 664. ßj Vgl. Brunner, a. a. O. II, 317; dazu MG. Cap. I, 47.
Verzeichnis der Akten fränkischer Synoden von 742 — 843. 461
<:^rschliessen lässt: es ist der Name, den sie in den Akten-
stücken selbst erhielt oder sich beilegte. Hier allein ist
die Anwendung- von Ausdrücken v^^ie concilium, synodus,
sacer conventus u. a. m. von ausschlaggebender Bedeutung.
Hefele's Conciliengeschichte begeht den Fehler, dass sie
zu oft mit dem Begriffe des concilium mixtum oder der
Eeichstagssynode operiert \ dass sie in enger Anlehnung
an den Wortlaut der Annalen und Chroniken von Synoden
spricht, die nach Lage der Dinge gar nicht stattgefunden
haben können "-.
Es erhebt sich die weitere Frage, ob solche Urkunden
aufzunehmen sind, die auf Synoden von einzelnen ihrer
Mitglieder, nicht aber von Synoden als kirchlichen Organen
ausgestellt wurden. Ich glaube diese Frage verneinen zu
sollen. Ein derartiges Document ergänzt zuweilen unsere
aus anderen Aktenstücken geschöpfte Kenntnis, indem es
ein Verzeichnis der Mitglieder der Versammlung bietet:
hier wird ein einfacher Hinweis genügen, um durch ihn
den Kreis des herangezogenen Materials zu schliessen. Oft
jedoch ist nur eine einzige derartige Urkunde erhalten:
nur wenn sie des Zweckes und der Thätigkeit der Ver-
sammlung gedenkt, verdient sie Aufnahme, die ihr versagt
bleiben muss, sobald sie keine weitere Kunde bringt. Aus
diesen Erwägungen sind z. B. die zahlreichen in Meichel-
becks Historia Frisingensis gedruckten Urkunden über Be-
sitzübertragungen u. s. w. nicht verzeichnet worden, auch
wenn sie als ausgestellt sich ausweisen 'quia synodalis ae-
cesserat dies' (a. a. 0. I, 2, 45 n. 29), 'cuucto clero in puplico
synodo congregato' (ibid. 100 n. 119), 'in puplico synodo'
(ibid. 114 n. 170) oder 'in publico conventu episcoporum'
(ibid. 144 n. 256) u. a. m. Des Zweckes und der Thätigkeit
dieser Zusammenkünfte wird in jenen Documenten nicht
gedacht^, und überdies will mir scheinen, als verdiente die
häufig erwähnte 'synodus' (vgl. ibid. 32 n. 13. 122 n. 192.
192 n. 365. 193 n. 367. 207 n. 390 u. s. w.) nicht überall
den Namen einer Diöcesansynode im technischen Sinne,
eine Bezeichnung, die ihr noch vor kurzem durch Hauck^
beigelegt worden ist.
1) Vgl. dagegen auch Hinschius, KR. Ul, 329. 2) Vgl. z. B.
He feie III-, 620. 3) Ganz vereinzelt steht, soweit ich sehe, die Ur-
kunde bei Meichelbeck, a. a. 0. I, 2, 265 n. 503 (auch bei Hartzheim II,
39), aber die hier erwähnte Versammlung wird sowohl synodus als auch
placitum genannt. 4) Hauck, KG. II, 412 Anm. 5; vgl. auch Häberhn,
Systematische Bearbeitung I, 3. Dagegen Binterim I, 102. Ich möchte
mir eine eingehendere Untersuchung über diese Frage vorbehalten.
462 Albert WerminghofE.
Aber kehren wir zur gestellten Aufgabe zurück.
Die Anordnung des verzeichneten Stoffs ist chrono-
logisch; Synodalakten aus unbekannter Zeit sind zu dem
vermuthlichen Schlussjahre des Zeitraumes gesetzt, dem sie
angehören. Die Trennung in lokale Gruppen erschien
nicht angängig, wie auch davon abgesehen wurde, die auf
Eeichs-, Provincial- und Diöcesansynoden gef assten Beschlüsse
in gesonderten Unterabtheilungen zu vereinigen. Echtheit
und Unechtheit der Akten allein bedingen die Zweitheilung
der nachstehenden Uebersicht: an die acta genuina sollen
sich die acta spuria — mit Ausnahme der bei Benedictus
Levita überlieferten — anfügen. Späteren Entschliessungen
bleibt vorbehalten, ob auch sonstige kirchliche Satzungen,
wie etwa die sog. Statuta Bonifatii oder die Capitularien
Theodulfs von Orleans und andere Diöcesanstatuten ^, in
einen Anhang der Ausgabe aufzunehmen sind.
Die Akten einer jeden Synode sind gleichförmig be-
handelt. Auf die Angabe des Jahres und des Ortes der
Versammlung folgen die Anfangsworte der häufig vor-
kommenden Vorrede, durch die Abkürzung 'pr.' (= praefatio)
eingeleitet, sodann die ersten Worte des ersten Canon und
dahinter in Klammern die Zahl der Canones (cc). Hieran
schliesst sich die Aufzählung der Handschriften, für welche
der Name des heutigen Aufbewahrungsortes, nicht das
Alter des Codex massgebend war; auf ein Werthurtheil
über die handschriftliche üeberlieferung musste bei dem
Stande der Vorarbeiten verzichtet werden '-. Ebensowenig
war es möglich, die Quellen dieser Aufzählung im Einzelnen
namhaft zu machen; selbst die gedrängteste Form hätte
zu viel Eaum beansprucht, und es war zu beachten, dass
der Werth einer Uebersicht nicht zum wenigsten in ihrer
Uebersichtlichkeit liegt. Wenn bei der Aachener Synode
des Jahres 816 von diesem Grundsatz abgewichen wurde,
so geschah es nur deshalb, weil gerade hier die Hand-
schriftenkataloge und andere Beschreibungen oft eine
scharfe Sonderung der Beschlüsse dieses Jahres von denen
des folgenden vermissen Hessen. Auch die Aufzählung der
Drucke ist chronologisch; sie erstrebt Vollständigkeit, ob-
wohl das Fehlen einiger älterer Conciliensammlungen auf
der Berliner Könisrlichen Bibliothek recht schmerzlich em-
1) Vgl. die Zusammenstellung beiHauckll, 612 Anm. 2. 2) Liegen
kritische Ausgaben vor, wie z. B. in den MG. Capitularia oder MG.
Epistolae, so werden diese stets bei Benutzung unserer Uebersicht heran-
zuziehen sein.
Verzeichnis der Akten fränkischer Synoden von 742 — 843. 463
pfunden wurde ^. Sind die Beschlüsse der Synoden histo-
rischen Werken, wie z. B. den Gesta Aldrici oder der Hist.
ecclesiae Remensis des Flodoard, oder Streitschriften, wie
z. B. dem Buche Hinkmars De praedestinatione, oder Samm-
lungen kanonischen Eechts, wie den Libri duo de synoda-
libus causis et disciplinis ecclesiasticis des Eegino von Prüm,
entnommen, so genügte ein Verweis auf die massgebende
Ausgabe ; sind sie in Briefsammlungen erhalten, wie etwa
der des Bonifatius, so wurden nur die Druckstellen inner-
halb der Conciliensammlungen und neueren Editionen ver-
zeichnet.
Gehören zu einer Synode mehrere Aktenstücke, so
sind sie durch römische Ziffern von einander geschieden.
Hier ergaben sich wohl bei der Aufzählung der Hss. und
Drucke Wiederholungen, die aber mit Rücksicht auf die
Uebersichtlichkeit nicht vermieden werden konnten. Nur
bei der Frankfurter Synode von 794 war eine scharfe
Sonderung der Hss. nach ihrem Inhalt noch nicht durch-
führbar: auch hier war, abweichend von dem oben auf-
gestellten Princip, auf die Beschreibungen der Codices zu
verweisen.
An Hss. und Drucke schliessen sich Citate aus der
neueren Litteratur zur Geschichte der Epoche. In den
weitaus meisten Fällen erwies sich eine Erwähnung der
Jahrbücher der deutschen Geschichte oder des ersten
Bandes der Regesta imperii als ausreichend : Mühlbachers
Arbeit gegenüber wird meine Zusammenstellung kaum Neues
bringen ; überall ist sie die Führerin durch eine fast unüber-
sehbare Litteratur gewesen, die nur das Geschäft der Nach-
lese übrig liess.
Im Einzelnen werden sich manche Lücken und noth-
wendige Berichtigungen ergeben. An die Kenner des
Materials aber darf ich die höfliche Bitte richten, ihre
Nachträge und Verbesserungen an meine Adresse (Berlin,
Bayreutherstrasse 19) einsenden zu wollen: dankbar werde
ich jede Belehrung entgegennehmen und sie für die Aus-
gabe auszunutzen mich mühen.
I. Acta genuina.
742 April 21.
Capitulare Karlmanns. 'Ego Karlmannus'. C. 1 'Et
per consilium sacerdotum' (7 cc). — Hss. Karlsruhe, Ra-
1) Ueber die Conciliensammlungen vgl. Salmon, Traite de l'etude
des conciles et de leurs collections 197 sqq., Hefele I-, 74 sqq. und die
Zusammenstellung bei Friedberg, Kirchenrecht * 128.
Neues Archiv etc. XXIV. 30
464 Albert Werminghoff.
statt 22 s. X. XI. Montpellier 137 s. XII. München 6285
s. X. S112 s. IX. 27 246 s. X. Paris 18 219 s. XII. Poni-
mersfeld 2875 s. XVI. Rom, Vallicell. G. 94 s. XVI. Eom,
Vat. 1340 s. XIV. Vat. Pal. 577 s. VIII. IX. 583 s. X.
Salzburg a. IX 32 s. XI. XII. Venedig, S. Marco Zauetti 169
s. XV. Wien 751 s. IX. X.; vgl. Nürnberger, Neues Archiv
VIII, 307. — Bened. Lev. I, c. 2, MG. LL. II, 2, 45i. Oth-
lonis vita S. ßonifatii I, c. 34, Mabillon, Acta SS. ord.
S. ßened. III, 2, 48. — Crabbe II (1538), fol. CXI. Crabbe II
(1551), 456. Sagittarius 350. loverius II, fol. 93. Surius
III, 39. Bollanus - Nicolini III, 437. Baronius 742 n. 21.
Binius III, 1, 210. Goldast, Const. III, 117; ib. I, 15
(Ausz. = Lünig, EA. XV, 8). Sirmond I, 537. Coli. reg. conc.
XVII, 414. Vorburg, Hist. IX, 394. Labbe-Cossart VI, 1533;
ed. Coleti VIII, 269. Baluze I, 145. Harduin III, 1919.
Lünig, RA. XV, 558. Meichelbeck, Hist. Fris. I, 2, 24.
Georgisch 485. Resch, Ann. eccl. Sabion. I, 618. Calles,
Ann. eccl. II, 249. Hartzheim I, 48. Mansi XII, 365. XII,
app. 103. Walter II, 18. MG. LL. I, 16. Migne LXXXIX,
S07. LXXXXVI, 1501. Himmelstein, Sjnod. Herbipol. 9.
Walter, Fontes iuris eccles. 18. JafPe, Bibl. III, 127. Bar-
tolini, Zaccaria papa doc. 10. MG. Cap. I, 24. MG. Epp. III,
309 (= BM. I n. 44, wo weitere Drucke verzeichnet sind).
— Vgl. Hahn 34. Oelsner 479. Hefele III 2, 498. Ribbeck,
Die sog. Divisio des fränkischen Kirchenguts 96. Hauck
12, 502.
743 März 1. Estin nes.
Capitulare Karlmanns. C. 1 'Modo autem in hoc sy-
nodali' (4 cc). — Hss. Karlsruhe, Rastatt 22 s. X. XI.
Montpellier 137 s. XII. München 8112 s. IX. Rom, Vat.
Pal. 577 s. VIII. IX. Salzburg a. IX 32 s. XL XII. (c. 3).
Venedig, S. Marco Zanetti 169 s. XV. Wien 751 s. IX. X. —
Bened. Lev. I, c. 3, MG. LL. II, 2, 46. Othlonis vita S. Boni-
fatii I, c. 34, Mabillon, Acta SS. ord. S. Bened. III, 2, 49. —
Baronius 743 n. 1. Binius III, 1, 212. Sirmond I, 540. Coli,
reg. conc. XVII, 419. Vorburg, Hist. IX, 411. Labbe-
Cossart VI, 1537; ed. Coleti VIII, 273. Baluze I, 149.
Harduin III, 1921. Georgisch 489. Mansi XII, 369. XII,
app. 105. Walter II, 21. MG. LL. I, 18. Migne LXXXIX,
809. LXXXXVI, 1503. JafiEe, Bibl. III, 129. Bartolini,
1) Ich verweise im Folgenden nur dann auf die Sammlungen des
Benedictus Levita und Pseudoisidor, wenn diese die Synodalbeschlüsse im
Ganzen oder zum Theil aufgenommen haben ; im Uebrigen vgl. die An-
gaben von Knust, MGr. LL. II, 2, 19, und Hinschius, Decretales Pseudo-
Isidoz'iauae CXI.
Verzeiclmis der Akten fränkischer Synoden von 742 — 843. 465
Zaccaria doc 12. MG. Cap. I, 26. MG. Epp. III, 312 (= BM. I
n. 45, wo weitere Drucke verzeichnet sind). — Ueber 2 der
Synode fälschlich zug-eschriebene, nach Hampe, Neues Archiv
XXIII, 627 in der Hs. Paris 2373 s. XI. überlieferte Canones
vgl. MG. Cap. I, 27. — Zweifelhaft bleibt die Zugehörigkeit
zweier (oder dreier) Allocutioues de coniugiis inlicitis, die
im Cod. Pal. 577 s. VIII. IX. überliefert und seit Dela-
lande 75 oft gedruckt sind, z. B. Mansi XII, 376. Giles,
Bonifacii opp. II, IS. Bartolini, Zaccaria doc. 17; vgl. gegen
Binterim II, 131 Hefele III ^ 512. — Ueber den Indiculus
superstitionum, MG. Cap. I, 222, vgl. Hauck I-, 516 Anm. 1. —
Zur Synode vgl. Hahn 73. 192. Forsch, z. Deutsch. Gesch.
XV, 69. Oelsner 471. Hefele III 2, 501. Hauck I'^ 514.
74 3 (7 4 4?). Rom^.
Flacius Illyricus, Ecclesiastica historia cent. VIII, 548
veröffentlichte zuerst 14 cc. dieser Synode, pr. 'Zacharias
sanctissimus'. C. 1 'Ut episcopi'. Baronius 743 n. 18 und
die von ihm abgeleiteten Drucke (Binius III, 1, 213. Coli.
reg. conc. XVII, 427. Vorburg, Hist. IX, 406. Labbe-
CossartVI. 1545; ed. Coleti VIII, 283. Harduin III, 1927)
fügten als c. 15 die Rede des Papstes hinzu mit dem An-
fang 'Scripsimus de gradibus', dann die Liste der Theil-
nehmer, ine. 'Praesedente sanctissimo' und endlich die Rede
des Papstes, ine. 'Sanctorum probabilium'. Mansi, Suppl. I,
559 trug die Unterschriften nach und seine Ausgabe in
der Conc. ampl. coli. XII, 381 wurde von Bartolini, Zaccaria
doc. 23 wiederholt. Nürnberger, Die römische Synode vom
Jahre 743 sucht S. 3^ — 21 die 'muthmasslich ursprüngliche
Gestalt der Synodalakten wiederherzustellen'; unter Vor-
anstellung des von ihm ergänzten Datums ordnet er die
überlieferten Stücke folgendermassen: A, Liste der Theil-
nehmer und Rede des Papstes, ine. 'Sanctorum probabilium';
B, die 14 Canones; C, die Rede des Papstes, ine. 'Scri-
psimus de gradibus'; D, die Unterschriften. In den Noten
werden die Canones in der abgekürzt überlieferten Form
mitgetheilt. — Hss. der vollständigen Form : Florenz, Bibl.
aedil. 82 s. IX. Lucca 125 s. X. XL München 3860 '^ s. X.
(unter Weglassung der Formalien, vgl. Nürnberger, a. a. O. 2).
München 14008 s. IX. X. 14780 s. IX. Rom, Barb. XIV. 52
s. IX. X. S. Crucis (Sessoriana) LXIII s. IX. X (ob noch
erhalten? vgl. Neues Archiv XVII, 482). Vallicell. A. 5
1) Die Abweichung: in der Anordnung dieses Abschnittes findet
in seinem Inhalte ihre BegründuuL!,'.
30*
466 Albert WerminghofE.
s. IX. C. 19, C. 23, C. 27, alle s. XVI. Vat. 1342 s. IX. X.
1343 s. X. 1353 s. XV. (1453 bei Nürnberger, a. a. O. 3
Anm. 1 ist Druckfehler, vgl. Neues Archiv VIII, 311; da-
zu Archiv XII, 226). Eom, Vat. 5845 s. IX. Vercelli LXXVI
s. X. — Hss. der abgekürzten Form : Mailand, Ambros.
S. 33 sup. s. IX. München 3860 s. X. 3860 » s. X. Oxford,
Bodl. 893 s. X. Paris, St. Germ. Harl. 386 s. X. ? Eom,
Vat. 1339 s. XI. in.; vgl. Theiner, Disquisit. criticae 278.
Vercelli CXI s. X. Verdun 46 (21) s. X. XI. Verona LXIII
s. X. — Nur die Rede des Papstes 'Scripsimus de gradibus'
enthalten die Hss. Bamberg P. I 9 s. X. -XII. München
6241 s. XI. 6242 s. IX. 6245 s. X. Wien 2198 s. X.; über die
Hs. Köln 115 s. IX. vgl. Jaffe -Wattenbach, Codd. Colon. 46.
Archiv VIII, 619; über die Hss. St. Gallen 671 s. IX. ?672
s. IX. vgl. Scherrer, Verzeichnis 218. Nürnberger, a. a. O. 16
Anm. a. — üeber die Hss. vgl. Maasseu, Gesch. I, 307 ►
Nürnberger, Neues Archiv VIII, 310. — Ueber einen in
den Hss. fehlenden c. vgl. Ughelli, Italia saci-a I-, 1343;
zu c. 9 vgl. Neues Archiv VIII, 312. Zu den Beschlüssen
vgl. die römische Synode von 721 bei Mansi XII, 261.
Richter, Beitr. zur Kenntnis des kanonischen Rechts 49. —
Zu der von JafPe-E. I-, 265 ins J. 744 gestellten Synode
vgl. Hefele III ■^, 515. Nürnberger, Tübinger Theol. Quartal-
schrift 1879, 432.
744 März 3. Soissons.
Capitulare Pippins. pr. 'In Dei nomine trinitatis a. 744.^
C. 1 'In primitus constituimus' (10 cc). — Hss. Paris 9654
s. X. XI. Rom, Vat. 3827 s. X. XI. Vat. Christ. 1041 s. XVII.
Vat. Pal. 582 s. IX.; vgl. Nürnberger, Neues Archiv VIII,
812. — SuriusIII, 40. Bollanus-Nicolini III, 438. Binius III,
1, 214. Goldast, Const. III, 649. Sirmond I, 543. Coli. reg.
conc. XVII, 436. Labbe-Cossart VI, 1552; ed. Coleti VIII,
289. Baluze I, 155. Harduin III, 1931. Georgisch 499.
Hartzheim I, 57. Mansi XII, app. 109. Walter 11, 28. MG.
LL. I, 20. Migne LXXXIX, 824. XCVI, 1504. Bartolini,
Zaccaria doc. 36. MG. Cap. I, 28 (= BM. I n. 53). — Vgl.
Hahn 57. Oelsner 482. Hefele III 2, 518. Hauck I^, 528.
745 October (25-27). Rom.
Protokolle über drei Actiones. — Hss. Karlsruhe, Ra-
statt 22 s. X. XI. München 8112 s. IX. Schlettstadt 29
s. XII. — Othlonis vita S. Bonifatii II, c. 4, Mabillon,
Acta SS. ord. S. Bened. III, 2, 60. — Baronius 745 n. 22.
Binius III, 1, 216. Sirmond I. 551. Coli. reg. conc. XVII,
443. Vorburg, Hist. IX, 441. Labbe-Cossart VI, 1556; ed.
Verzeichnis der Akten fränkischer Synoden von 742 — 843. 467
Coleti VIII, 299. Harduin III, 1935. Hartzheim I, 60.
Mansi XII, 373. Mi^ne LXXXIX, 831. Jaffe, Bibl. III,
136. Bartolini, Zaccaria doc. 47, dazu 46 der eingeschaltete
Brief des ßonifatius. MG. Epp. III, 316; dazu in den Aus-
gaben der Bonit'atiusbriefe. — Zum Tagesdatum der Akten
vgl. Jafee-E. 12, 265. MG. Epp. III, 721. Hauck I^, 548
Anm. 2 ; zur actio III. vgl. Neues Archiv XV, 602. XXII,
644. — Vgl. MG. Epp. III, 327. 323. Hefele III-, 533.
740 — 750. Regensburg? Salzburg?
Beschlüsse, pr. 'Quia igitur dilectissimi'. C. 1 'Ut am-
moneamur plebs sancta' (15 cc). — Hs. München 14410
s. IX. Salzburg (deperd.). — Mansi XIII, 1025. MG. LL. III,
455. — Ort und Zeit unbestimmt: Merkel, MG. LL. III, 238
bald nach dem Erlass Gregors IL d. d. 716 Mai 15 (Jaffe-E.
I- n. 2153); Riezler, Gesch. Baierns I, 108 nach dem Erlass
Gregors III. d. d. 739 October 29 (Jaffe-E. I'^ n. 2251);
Hefele III 2, 736, und Hinschius, KR. III, 585 Anm. 2, nach
der (zweiten) Synode zu Riesbach 799? 800?; Nagel, Forsch.
z. Deutsch. Gesch. XVIII, 439 zu 743 oder 744; vgl. dazu
Hauck I-', 492 Anm. 1. II, 397 Anm. 3.
755 Juli 11. Verneuil.
Capitulare Pippins. pr. 'Sufficerant quidem priscorum'.
C 1 'Ut episcopi debeant' (25 cc). — Hss. Bern 89 s. VIIL
IX. (c. 9). München 6243 s. VIIL Paris 3838 s. X (cc. 8. 9).
Paris 9654 s. X. XL Rom, Bibl. Chis. C. VIIL 239 s. XVI.
Rom, Vat. 3827 s. X. XL Vat. Christ. 1041 s. XVII. Vat.
Pal. 577 s. VIIL IX. (cc. 1-12). Vat. Pal. 582 s. IX. X.
Wolfenbüttel, Blank. 130 s. X. (cc. 7. 9). — Surius III, 41.
Bollanus-Nicolini III, 439. Binius III, 1, 236. Goldast,
Const. III, 650. Sirmond II, 27. Coli. reg. conc. XVII, 594.
Labbe-Cossart VI, 1664; ed. Coleti VIII, 415. Baluze I, 167.
Harduin III, 1993. Georgisch 511. Bouquet V, 638. Mansi
XII. 577. Walter II, 36. MG. LL. I, 24. 578. Migne
XCVI, 1508. MG. Cap. I, 32 (= BM. I n. 75). — Oelsner 468
bezeichnet nur cc. 1-12 als zum Capitulare Vernense ge-
hörig, das sog. Capitulare incerti anni, früher einer Synode
zu Metz zugeschrieben, MG. Cap. I, 31 (= BM. I n. 77)
als eine die Verneuiler Beschlüsse modificierende Vorlage
Pippins für eine Synode im October 755, aus der die sog.
Petitio episcoporum (= cc. 13-25 des Verneuiler Capitulars)
hervorgegangen sei; ihm hat sich BM. I n. 75. 77 ange-
schlossen; dagegen vgl. MG. Cap. I, 33. — Zur Synode
vgl. Hefele III-', 587. Hauck II, 32.
468 Albert Werminghoff.
756. Verberie.
Capitulare Pippins. C. 1 'In tertio genucliim' (21 cc.) —
Hss. Chartres 424 s. XIV. (c. 17). Heiligeiikrenz 217 s. X.
(cc. 1-13. 17-21). München 3858 s. X. (desgl.). Paris 3878
s. X. (desgl.). Paris 9654 s. X. XL Eom, Vat. Pal. 582 s. IX. X.
Wien 2198 s. X. (c. 13). — Sirmond II, 1. Coli. reg. conc.
XVII, 583. Bouchet, La veritable origine 97. Labbe-Cossart
VI, 1656; ed. Coleti VIII, 405. Baluze I, 161. Harduin III,
1989. Georgisch 503. Bouquet V, G37. Mansi XII, app. 113.
V^alter II, 31. MG. LL. L 22. Migne XCVI, 1506. MG. Cap.
I, 39 (= BM. I n. 81). — Ueber Zusätze, die bei Balnze
I, 165, dazu MG. LL. I, 23 Anin. 1, zusammengestellt sind,
vgl. Oelsner 460. — Zur Synode vgl. Oelsner 270. 455. Hefele
III2, 593.
Um 7 5 6. Aschheim.
Beschlüsse, pr. 'Sufficit enim christianis'. C. 1 'Pr§ci-
pimus enim, ut omnes' (15 cc). — Hs. München 6243
s. VIII. IX. — Abhandl. der churf.-baierischen Akad. d.
Wiss. I, 47. Mansi XII, 663. Forster, Concilium Aschai-
mense 11. Canciani II, 391. Dalham, Conc. Salisb. 9. MG.
LL. III, 457. — Zeit unbestimmt: Merkel, MG. LL. III,
239 (wo die ältere Litteratur verzeichnet ist) zwischen 755
und 760, vgl. Hefele III-, 598. Eiezler, Gesch. Baierns I,
158 Anm. 1; Oelsner 297. 506 zu 756; vgl. Hauck II, 399
Anm. 4.
7 57 Mai. Compiegne.
I. Capitulare Pippins. C. 1 'Si in quarta progenie'. —
Hss. Heiligenkreuz 217 s. X. (cc. 1-18). München 3853
s. X. (desgl.). Paris 3878 s. X. (desgl.). Paris 9654 s. X. XI.
Eom, Vat. Pal. 582 s. IX. X. — Sirmond II, 41. Labbe-
Cossart VI, 1694; ed. Coleti VIII, 449. Le Cointe V, 587.
Harduin III, 2003. MG. Cap. I, 37 ; in den älteren Aus-
gaben 18, in der letzten 21 cc. in Folge verschiedener
Capitelzählung. — Baluze I, 179. Georgisch 527. Bouquet
V, 642. Mansi XII, app. 127. Walter II, 47; hier überall
21 cc, die identisch sind mit den 24 cc. MG. LL. I, 27.
Migne XCVI, 1573; dazu sind mit den 21 cc. der MG. Cap.
die cc. 1-3 des Capitulare incerti anni, MG. Cap. I, 31,
verbunden (= BM. I n. 83).
IL Urkunde Chrodegangs von Metz für das Kloster
Gorze von 757 Mai 23. 'In Dei nomine Chrodegangus'. —
Hs. Metz 826 s. XII. — Henschen, De tribus Dagobertis
229 (Ausz.). Chiffiet, Opera I, 455 (desgl.). Labbe-Cossart
VI, 1698 (vollst.); ed. Coleti VIII, 454. Le Cointe V, 562.
Verzeichnis der Akten fränkischer Synoden von 742 — 843. 469
Harduin III, 2007. Mansi XII, 653. rran9ois et Tabouillot,
Hist. gen. de Metz III, pr. 9. Mig-ne LXXXIX, 1121
(= BM. I n. 83a); vgl. Oelsner 315. — Zur Synode vgl.
Oelsner 293. 306. 474. Hefele III^, 593. Hauck II, 33.
7 6 1 Juni 2. Rom.
Urkunde Pauls I. 'Inter diversa'. — Baronius 761 n. 2 ex
autogr. apud moniales S. Silvestri Romae. Binius III, 1, 232.
Coli. reg. conc. XVII, 633. Vorburg, Hist. IX, 594. Labbe-
Cossart VI, 1689; ed. Coleti VIII, 445. Harduin III, 1999.
Mansi XII, 645. Bull. Rom. E. T. I, 248. Migne LXXXIX,
IIÖO (= Jaffe-E. 12 n. 2346). — Vgl. Hefele III^, 602.
7 62(?). Attigny.
Totenbuud fränkischer Bischöfe und Aebte. 'Nomina
episcoporum seu abbatum'. — Hs. Rom, Vat. Pal. 577 s. VIII.
IX. — Labbe-Cossart VI, 1702; ed. Coleti VIII, 461. Har-
duin III, 2009. Mansi XII, 675. MG. LL. I, 29. Migne
XCVI, 1516. MG. Cap. I. 221. — Ueber die wahrschein-
liche Gleichzeitigkeit mit der Urk. Pippins vom 13. August
762 (BM. I n. 93) vgl. Oelsner 358. 474.
767 (Bourges)? 768 (Saintes)?
Capitulare Pippins. C. 1 'Ut illas ecclesias' (12 cc). —
Hs. Leyden, Voss. Q. 119 s. IX. — MG. LL. II, 13. Migne
XCVI, 1519. MG. Cap. I, 42 (= BM. I n. 102). — Zweifel-
haft bleibt wie die zeitliche Ansetzung auch die Annahme
einer Synode, obwohl das 'sinodaliter' der üeberschrift sie
zu fordern scheint; vgl. auch Oelsner 415.
769 April 12 — 14. Rom.
Fragmente von vier 'actiones'. Cenni, Concilium
Lateran. 1. Mansi, Suppl. I, 641. Mansi XII, 713. — Zur
actio I. benutzte Cenni die Hs. Verona LVII s. XL, vgl.
Maassen, Bibl. I, 1, 420. Das von Wasserschieben, Beitr.
162, aus der Canonensammlung des Rotger von Trier c. 128
abgedruckte Stück der Hs. Wolfenbüttel, Heimst. 454 s. X.,
vgl. von Heinemann I, 356 und Sdralek, Wolfenbüttler Frag-
mente 98, ist nach Duchesne, Liber pontif. I, 483 ein falsch
datierter Auszug aus dem Liber pontificalis. Zu den Theil-
nehmerlisten in der Vita Stephani ed. Duchesne I, 473,
die allein in der Hs. Leyden, Voss. 41 s. IX. erhalten sind,
vgl. die Liste der fränkischen Bischöfe bei Sirmond II, 65
ex schedis Panuvianis und den Auszug bei Troya, Storia
d'Italia IV. 5 (Cod. dipl. Longob.) 488 n. 900. — Zur actio IL
vgl. Vita Stephani, a. a. 0. 475; dazu c. 4 D. LXXIX und
470 Albert Werminghoff.
Hinschius, KR. 1, 228. — Actio III. und IV., auch bei
Deusdedit II, c. 131, zuerst veröffentlicht von Holsten, Coli.
Rom. I, 259 nach Anselms von Lucca Coli. can. VI, c. 24
sqq., wiederholt von Labbe - Cossart VI, 1722; ed. Coleti
VIII, 484. Harduin III, 2013. Cenni 10. Mansi, Suppl. I, 647.
Mansi XII, 719. — Zur actio III. vgl. das Fragment im
Briefe des Ratherius, d'Achery, Spie. II, 244. I-, 372, und
c. 3 D. LXXIX. — Ueber Ergänzungen aus dem Briefe
Hadrians I. (Jaffe-E. I- n. 2483) vgl. Hampe, Neues Archiv
XXI, 89 Anm. 3. 103. 111. — Zur Synode vgl. Hefele IIP,
434. Jaffe-E. 1\ 285 und n. 2377. Abel-Simson I, 63.
Um 770. Dingolfing.
I. Decret Tassilos. C. 1 'De die dominico' (12 cc). —
Hss. München 3519 s. XII. 4639 s. XII. 5260 s. XII.
19415 s. XI. Schedae Bosianae (vgl. MG. LL. III, 186).
Wolfenbüttel, Heimst. 532 s. X. (c. 10). — Canisius, Chron.
Victoris 131. Baronius 772 n. 23. Welser, Rer. boic. libii V
p. 311; ed. Lippert 344. Binius III, 1, 282. Lindenbrog 439.
Coli. reg. conc. XVIII, 104. Bail, Summa conc. II, 388. Vor-
burg, Hist. X, 33. Labbe -Cossart VI, 1794; ed. Coleti VIII,
557. Welser, Opp. hist. 162. Harduin III, 2029. Georgisch
326. Resch, Ann. eccl. Sabion. I, 689. Hartzheim I, 129.
Mansi XII, 851. Canciani II, 393. Dalham, Conc. Salisb. 12.
Westenrieder, Beiträge I, 14. Walter I, 293. MG. LL. III,
459.
IL Totenbund der Bischöfe und Aebte. 'In Christi
noraine notitia, qualem convenientiam'. — Hss. München
3519 s. XII. 5260 s. XIL 6243 s. VIII. 19415 s. XL —
Canisius 133. Baronius 772 n. 24. Welser 313; ed. Lip-
pert 347. Binius III, 1, 283. Coli. reg. conc. XVIII, 106.
Vorburg, Hist. X. 33. Labbe -Cossart VI, 1795; ed. Coleti
VIII, 858. Welser, Opp. hist. 163. Harduin III, 2031.
Resch I, 691. Hartzheim I, 130. Mansi XII, 852. Canci-
ani II, 394. Dalham 12. Walter I, 294. MG. LL. III,
461. — Ueber die Zeit vgl. Hefele III -\ 609. Hauck II, 401
Anm. 1 ; über die wahrscheinliche Zugehörigkeit des Decrets
und des Totenbunds zu einer Synode vgl. Abel-Simson I,
55 Anm. 2.
771 October 14. Neuching.
I. Notitia de synodo. 'Regnante in perpetuum'. — Hss.
München 3519 s. XII. 5260 s. XII. 19415 s. XL Schedae
Bosianae (vgl. MG. LL. III, 186); über die Ortsangabe in
den Hss. vgl. Abel-Simson I, 108. — Canisius, Chron.
Verzeichnis der Akten fränkischer Synoden von 742 — 843. 471
Yictoris 134. Baronius 772 n. 25. Welser, Eer. boic. libri V
p. 310; ed. Lippert 343. Binius III, 1, 283. Lindenbrog 439.
Coli. reg-, conc. XVIII, 107. Vorburg-, Hist. X, 34. Labbe-
Cossart VI, 1796; ed. Coleti VIII, 559. Welser, Opp. hist.
161. Harduin III, 2031. Georgisch 325. Eesch, Ann. eccl.
Sabion. I, 686. Hartzheim I, 128. Mansi XII, 853. Canciani
II, 394. Dalham, Conc. Salisb. 11. Walter I, 294. MG. LL.
III, 462.
II. Decreta synodi. C. 1 'Praenotatns princeps uni-
verso' (18 cc). — Hss. München 3519 s. XII. 4639 s. XII.
5260 s. XII. 19415 s. XI. Wien 406 s. XII.; Auszüge in
den Hss. München 2621 s. XIII. 11029 s. XV. München
Universitätsbibliothek 132 s. VIII. Wien 2198 s. X. (cc.
11-13). Wolfenbüttel, Heimst. 532 s. X. Schedae Bosi-
anae. — Canisius 135. Baronius 772 n. 26. Welser 314;
ed. Lippert 348. Binius III, 1, 283. Lindenbrog 400. Coli,
reg. conc. XVIII, 108. Vorburg, Hist. X, 34. Labbe-Cossart
VI, 1796; ed. Coleti VIII, 559. Welser, Opp. hist. 163. Har-
duin III, 2031. Georgisch 328. Eesch I, 699. Mansi XII,
853. Canciani II, 395. Dalham 13. Westenrieder, Beiträge
I, 18. Walter I, 295. MG. LL. III, 464. — Ueber die Zeit
der Synode vgl. Bernardi liber de origine et ruina mona-
sterii Cremifanensis, Eandnote zu I, c. 5, MG. SS. XXV, 641,
dazu Abel-Simson I, 107 sq., wo auch Näheres über das Ver-
hältnis beider Stücke zu einander; für I passt besser die
Bezeichnung 'Protokoll' (Hauck II, 402 Anm. 3) a^s 'Prolog'
(u. a. Hefele III ^ 612).
779 März. Heristal.
Capitulare Karls, pr. 'Anno feliciter undecimo'. C. 1
'De metropolitanis ut suffraganei' (24 [23] cc). — Hss. Ash-
burnham, Barrois 214 s. IX. X. Gotha membr. I n. 84
s. X. XL Heiligenkreuz 217 s. X. (cc. 1-4. 8-10. 11. 17.
21). Ivrea 33 s. IX. X. 34 s. IX. La Cava 22 s. XL
Leyden, Voss. Q. 119 s. IX. X. Modena, Ord. I. 2 s. X.
München 3853 s. X. (cc. 1-4. 8-10. IL 17. 21). München
19416 s. IX. X. Nürnberg, Stadtbibl. Mss. Cent. V. Anh.
n. 96 s. X. XL Paris 3878 s. X. (cc. 1-4. 8-10. 11. 17. 21).
Paris 4613 s. X. 4626 s. X. XL 4628A s. X. 4760 s. X.
XL 9654 s. X. XL 10758 s. IX. X. Eom, Bibl. Chis. F. IV
75 s. X. Eom, Vat. Christ. 263 s. X.-XIV. 520 s. X.-XV.
846 s. IX. X. 1036 s. XV. XVI. Eom, Vat. Pal. 582 s. IX.
X. St. Gallen 733 s. IX. St. Paul XXV Vi s. IX. Wolfen-
büttel, Blank. 130 s. X. — Goldast III, 120. Sirmond II, 84.
Coli. reg. conc. XVIII, 161. Le Cointe VI, 158. Labbe-
472 Albert Werminghoff.
Cossart VI, 1284; ed. Coleti VIII, 589. Baluze I, 195. Har-
duin III, 2055. Georgisch 541. Bouquet V, 646. Hartz-
heim 1,239. Mansi XII, 89-3. XU, app. 141. Walter 11,57.
MG. LL. I, 36. Migne XCVII, 125. MG. Cap. I, 46 (= BM. I
n. 213) — lieber Hss. und Drucke der sog. Langobardischen
Eecension vgl. MG. Cap. I, 47. BM. I u. 213; über ihren
Charakter vgl. Boretius, Capitularien im Langobardenreich
25. 57. Abel-Sinison I, 330. — lieber die Synode vgl.
Abel-Simson I, 324.
779? 780?
Fastenordnung, erlassen 'in episcoporum conseusu (con-
ventu)". 'üt unusquisqiie episcopus'. — Hss. Ivrea 33 s. IX.
X. Ivrea 34 s. IX. Nürnberg, Stadtbibl. Mss. Cent. V. Anh.
n. 96 s. X. XI. Paris 9654 s. X. XI. Eom, Vat. Pal. 582 s. IX.
X. — Benedict. Lev. I, c. 207, add. IV, c. 143, MG. LL. II,
2, 56. 155. — Sirmond II, 159. Coli. reg. conc. XVIII, 95.
Le Cointe VI, 161. Labbe - Cossart VI, 1788; ed. Coleti VIII,
550. Baluze I, 199. Harduin III, 2025. Bouquet V, 648.
Hartzheim I, 241. Mansi XII, app. 145. Walter II, 61.
MG. LL. I, 39. Migne XCVII, 133. MG. Cap. I, 51. — Ueber
die Zeit vgl. Abel-Simson I, 338. Hefele III 2, 625 stellt sie
zur Synode von Heristal im März 779.
794 Juni. Frankfurt.
I. Brief Hadrians I. 'Si tarnen licet'. — Hss. München
14468 a. 821; vgl. Catal. IV, 2, 177. Paris 1568 s. X.-XIV.
(Fragm.); vgl. Catal. III, 153. Paris 4631 s. XV.; vgl. ibid.
III, 616. — Surius IH, 227. Bollanus - Nicolini III, 635.
Binius III, 1, 411. Sirmond II, 161. Coli. reg. conc. XX, 82.
Labbe - Cossart VII, 1014; ed. Coleti IX, 57. Harduin IV,
865. Aguirre, Conc. Hisp. IV, 93. Hartzheim I, 288. Mansi
XIII, 865. Villanuho, Summa conc. Hisp. II, 173. I'-. 344.
Migne XCVIII, 374 (= Jaflee-E. I'^ n. 2482). —Vgl. Simson II,
73 Anm. 4. Grössler, Eislebeuer Progr. 1879, 47.
IL Libellus sacrosy Ilabus Paulins von Aquileja.
'Sancto incitante spiritu'. — Hss. Hamburg XXXII cod.
Chart.; vgl. Archiv VI, 230. München 14408 a. 821. Paris
1568 s. X. (Fragm.). Paris 4628A s. X.; vgl. MG. Cap. 1,73.
Paris 4631 s. XV.; vgl. ibid. Paris 10758 s. IX. X.; vgl.
ibid. — Paulini Aquileiensis episcopi adversus Felicem
Urgelitanum et Eliphandum Toletanum episcopos libellus,
ed. ine. loci a. 1549 (hinter der l.Ausg. der Libri Carolini,
vgl. deren Ausgabe durch Heumann, Einl. 31). J. Herold,
Orthodoxographa 1122 (vgl. Madrisi 8). Surius III, 232.
Bollanus-Nicolini III, 640. Binius III, 1, 414. Alcuini
Verzeichnis der Akten fränkischer Synoden von 742 — 843. 473
opp. ed. Duchesne 1873. Sirmond II, 167. Coli. reg-, conc.
XX, 94. Labbe - Cossart VII, 1022; ed. Coleti IX, 66.
Harduin IV, 878. Paulini opp. ed. Madrisi 1. Ao-nirre
IV, 97. Hartzheim I, 295. Mansi XIII, 873. Migne XCIX,
151. — Ueber verschiedene Recensionen vgl. Giannoni, Pau-
linus II. 65.
III. Schreiben der deutschen Bischöfe. 'In nomine
Domini'. — Hs. München 14468 a. 821. — Surius III, 238.
Bollanus-Nicolini III, 646. Binius III, 1, 418. Sirmond
II, 175. Coli. reg. conc. XX, 109. Labbe -Cossart VII. 1032;
ed. Coleti IX, 76. Harduin IV, 882. Lünig, RA. XV, 571.
Aguirre IV, 103. Hartzheim I, 304. Mansi XIII, 883. Al-
cuini opp. ed. Proben II, 573. Migne CI, 1331.
IV. Schreiben Karls d. Gr. 'Gaudet pietas christiana'. —
Hss. Einsiedeln 191 s. VIII. IX. (Schluss); vgl. Maassen,
Gesch. I, 487. München 14468 a. 821. — Placius lUyricus,
Ecclesiastica historia cent. VIII, 631. Surius III, 247. Bol-
lanus-Nicolini III, 655. Baronius 794 n. 15. Binius III,
1, 424. Goldast, Const. I, 19. II, 1 (das Glaubensbekenntnis
= Vorburg, Hist. X, 195. Lünig, RA. XV, 28). Sirmond II,
186. Coli. reg. conc. XX, 131. Vorburg, Hist. X, 200. Labbe-
CossartVII, 1047; ed. Coleti IX, 91. Harduin IV, 896.
Lünig, RA. XV, 32. Aguirre IV, 111. Hartzheim I, 316.
Mansi XIII, 899. Alcuini opp. ed. Proben II, 582. Ideler,
Karl d. Gr. II, 326. Migne XCVIII, 899 (= BM. I n. 317).
V. Capitulare. C. 1 'Coniungentibus Deo favente'
(56 cc). — Hss. Paris 4628 A s. IX. Paris 4631 s. XV.
Paris 10758 s. IX. X. Wolfenbüttel, Blank. 130 s. X.
(cc. 12-14). — Alcuini opp. ed. Duchesne 1889. Goldast,
Const. I, 18 (cc. 1. 2). Sirmond II, 192. Coli. reg. conc.
XX, 143. Bail II, 291. Labbe -Cossart VII. 1056; ed. Coleti
IX, 99. Baluze I, 261 (cc. 3-56). Harduin IV, 903. Geor-
gisch 585 (cc. 3-56). Bouquet V, 650 (cc. 3-5. 55. 56).
Hartzheim I, 323. Mansi XIII, 907 (cc. 1. 2). XIII, app.
187 (cc. 3-56). Walter II, 113 (cc. 3-56). MG, LL. I, 71.
Migne XCVII, 190. MG. Cap. I, 73 (= BM. I n. 316). —
Der Inhalt der Hss. Hannover 218 s. XVIII. , vgl. Bode-
mann 38, und Rheims E. 249. 326 s. IX., vgl. Archiv VIII,
393 (ist diese oder die Hs. Paris 10758 die von Harduin
IV, 865 erwähnte?), ist noch zu prüfen. — Zur Synode
vgl. die Urk. Karls vom 20. Juli 794 (BM. I n. 318) und
Simson II, 63. Nicht zu den Akten gehört das oft über-
lieferte und oft, zuletzt MG. Epp. IV, 520 gedruckte Mahn-
schreiben Paulins von Aquileja an Aistulph; vgl. dazu
Waitz, Neues Archiv I, 422. Jaffe-E. I- n. 2324.^
474 Albert Werminghoff,
796. Im Lag-er Pippins jenseits der Donau.
Dictatus Paulini patriarcbae. 'In Dei omnipotentis'. —
Hs. Wien 458 s. X. — Mansi XIII, 921. Jaffe, Bibl. VI,
311. — Vgl. BM. I n. 324f. Simson II, 128. 298 Anm. 7.
Giannoni, Paulinus II. 43.
796. Cividale.
Akten der Synode, pr. 'Peg-nante domino nostro';
Eede Paulins von Aqviileja: 'Nulli prorsus dubium'. Sym-
bolum fidei: 'Credo in unum'. Capitula. C. 1 'Primum igi-
tur ut iuxta' (14 cc). — Hss. Müncben 14468 a. 821
(Symbolum fidei). Eom, Vat. 3827 s. X. XL Vat. reg. Cbrist.
1041 s. XVII. — Surius III, 257. Bollanus-Nicolini III,
665. Binius III, 1, 404. Coli. reg. conc. XX, 47. Labbe-
Cossart VII, 991; ed. Coleti IX, 31. Harduin IV, 847.
Paulini opp. ed. Madrisi 63. Mansi XIII, 833. Migne XCIX,
283. — Vgl. den Brief Paulins an Karl d. Gr., MG. Epp. IV,
516 (bier zu 791 gestellt). — Ueber das Datum der Synode
und ibre Bescblüsse vgl. Giannoni, Paulinus IL 88; zum
symbolum fidei vgl. Paulins regula fidei, MG. Poet. lat. I,
124, dazu Giannoni 76; zu c. 9 vgl. MG. Cap. I, 232.
798 (?) Herbst. Eiesbaeb.
I. Einladungsscbreiben Arnos von Salzburg zum
20. August. 'Solito enim more'. - Hs. Müncben 19410 s. IX.
— Pez, Tbes. anecd. VI, 1, 74. Pescb, Ann. eccl. Sabion.
III, 7. Mansi, Suppl. I, 745. Hartzbeim II, 692. Mansi XIII,
1029. Dalbam, Conc. Salisb. 32. Kleimayrn, luvavia Dipl.
Anb. 60. Binterim I, 116 Anm.***. MG. LL. III, 47 7.
IL Rundscbreiben Arnos an den Klerus. 'Diligeiiter
investigavimus'. — Hs. Müncben 4639 s. XII. — Westen-
rieder, Beiträge I, 22.
III. Zwei Canones. 'Ut nullus clericus'. 'Festos dies
celebrare'. Regino de syuod. causis I, cc. 346. 378 ed.
Wasserscbleben. — Datierung und Ordnung des Materials
nacb Hauck II, 407 sq., im Gegensatz zu Pettberg, KG.
II, 227, Zeissberg, Wiener SB. XLIII, 344 und Hefele III^,
617. 626 Anm. 1.
799 Anfang. Rom.
Fragmente der Ansprachen Leos III. betr. Felix von
Urgel in drei Sitzungen (actiones) der Synode. Sirmond II,
244 ex scbedis Pitboeanis. Coli. reg. conc. XX, 262. Labbe-
Cossart VII, 1149; ed. Coleti IX, 213. Harduin IV, 927.
Aguirre, Conc. Hisp. IV, 115. Mansi XIII, 1031. Villanuno,
Summa conc. Hisp. II, 198. I-, 356. — Ueber die Zeit vgl.
Verzeichnis der Akten fränkischer Synoden von 742 — 843. 475
Simson II, 157 Anm. 2, der die Synode mit Ja£Ee-E. I-, 308
und Grössler, Eislebener ProgT. 1879, 23. 50 in den An-
fang von 799 setzt, während Hefele III-, 721 sie dem
September 798 zuweist.
799 (Mai. Juni). Aachen.
Erklärung des Felix von Urgel. 'De caetero ad agni-
tionem'. — Alcuini opp. ed. Duchesne 998 ex cod. Remensi.
Delalande 89. Labbe-Cossart VII, 1858; ed. Coleti IX, 217.
Harduin lY, 929. Paulini opp. ed. Madrisi 246. Aguirre
IV, 41(3. Mansi XIII, 1035. Alcuini opp. ed. Froben I, 917.
Villanufio II, 201. I^, 357. Migne XCVI, 882. Jaffe, Bibl.
VI, 535 (Ausz.). MG. Epp. IV, 329 (desgl.). — Ueber die
Zeit der Synode vgl. Simson II, 159. Giannoni, Paulinus II.
68; Hefele III 2, 722 verlegt sie in den October 798; BM.
I n. 349 a und Dümmler, MG. Epp. IV, 344 Anm. 8 (vgl. aber
Neues Archiv XVIII, 68) in den Juni 800. Grössler 29 setzt
das Glaubensbekenntiiis des Felix in die zweite Hälfte des
Jahres 800.
7 9 9 (?) 8 0 0 (?).
. Riesbach (Januar 2 0). Freising. Salzburg.
Beschlüsse der drei Synoden. C. 1 'Ideoque convenit
supradictam congregationem' (32 cc, erlassen zu Riesbach
und Freising; über die vermuthliche Zugehörigkeit von
cc. 1-5 zu Riesbach, von cc. 6-32 zu Freising vgl. He-
fele III^, 729 Anm. 1); C. 33 'Ut infra quadragesimam'
(15 cc, erlassen zu Salzburg). — Hs. Wolfenbüttel, Blank.
130 s. X. Auszüge in den Hss. Gotha membr. I n. 84 s. X.
XI. Ivrea 33 s. IX. X. Ivrea 34 s. IX. Modena, Ord. I 2
s. IX. München 19416 s. IX. X. — MG. LL. I, 77. Migne
XCVII, 203. MG. LL. III, 468. Mittheil. f. Salzburger
Landeskunde XII, 348 (cc. 1. 4. 5. 11. 13. 14. 24. 25. 30).
MG. Gap. I, 226.
Zur Riesbacher Synode gehören:
L Erlass Karls an Arno von Salzburg. C. 1 'Episcopi
praedicare debent' (8 cc). — Hs. Salzburg, Erzbisch. Arch.
Fase Synodalakten 796 s. XVI. — Gärtner, Gelehrte
Unterhaltungen I, 36. MG. LL. III, 495. Mittheil. f. Salzb.
Landesk. XII, 346 (= BM. I n. 342 z. J. 800).
IL Aufzeichnung über die Synode, pr. 'Arno haec
recitavit'. C. 1 'Pro remedio animarum' (9 cc). — Hs.
Salzburg, Erzbisch. Arch. Fase Synodalakten 796 s. XVI. —
Dalham, Conc. Salisb. 37 (unvollst.). Gärtner, a. a. 0. I, 37
(Ausz.). MG. LL. III, 474 (unvollst.). 496 (vollst.). Mittheil,
f. Salzb. Landesk. XII, 346.
476 Albert Werminghoff,
III. Jordans Auszug aus den Cauones. C. 1 'In aede
Sacra' (12 cc). — Hansiz, Germania sacra II, 110. Mansi,
Suppl. I, 7-14. ßesch, Ann. eccl. Sabion. I, 756. Hartz-
beim II, 692. Dalbam 83. MG. LL. III, 475 mit der Ueber-
setzung von Dückher, Saltzburgiscbe Chronica 37.
IV. Frag-ment der deutschen Uebersetznng. pr. 'Anno
Domini 799.' C. 1 'Nemblich man soll in der Kirchen'
(12 cc). — Dalham 36 ex cod. tabularii Passaviensis. Bin-
terim II, 110. MG. LL. III, 476. — Vgl. die Urkunde des
Abts Cundhar, Meichelbeck, Hist. Frising. I, 1, 94. Litteratur-
nachweise s. o. bei Riesbach 798 (?) Herbst.
800 December (— 801 :-*). Eom.
Eeinigungseid Leos III. 'Auditum (est) fratres caris-
simi'. — Hss. München 6241 s. X. XL 27246 s. X. Rom,
Vat. 1348 s. XII. Würzburg, üniv.-ßibl. Mp. th. f. 46
s. IX. — Burchard I, c. 198. Ivo, Pan. V, c. 4. Ivo, Decr. V,
c. 313. Gratian c. 18 C. II qu. 5 (mut.); vgl. auch BM. I
n. 361a. — Eckhart, Comment. II, 2. MG. LL. II, 15. Jaffe,
Bibl. IV, 378. Pflugk-Harttung, Acta II, 26. MG. Epp.V, 63.
— Zur Synode vgl. Hinschius I, 300. Hefele III-', 737. Jaffe-
E. I-, 310. BM. I n. 360 f. Simson II, 224.
Um 8 00. Nantes.
Beschlüsse. C. 1 'Ut dominicis' (20 cc). — Hss. Paris,
Ste. Genevieve 166 s. XII. (c. 3). Wien 2198 s. X. (cc 12.
19). — Surius III, 569. Bollanus-Nicolini III, 42. Binius
III, 2, 1045. Sirmond III, 601. Coli. reg. conc. XXIV, 676.
Labbe-Cossart IX, 468; ed. Coleti XI, 657. Harduin VI,
1, 457 mit Varianten eines cod. Puteanus. Mansi XVTII,
165. — 4 vereitere Canones bei Ivo, Decr. II, c 118. VI,
c. 152. 257. 258. — Die Zeit der Synode, die Hefele III 2, 104
vermuthungsweise in das Jahr 658 setzt, ergiebt sich daraus,
dass c. 3 = Benedict. Lev. III, c 376, c 10 = Benedict.
Lev. III, c 375 und c 12 = Cap. Theodulfi alterum (bei
Migne CV, 213) sind. Hauck II, 659 Anm. 1 setzt sie mit
Recht in den Anfang des 9. Jh.; vgl. noch Cabassutius,
Notitia ecclesiastica (1690), 364.
801 November. Aachen.
I. Gesetzvorschlag oder Beschlüsse (vgl. BM. I n. 369).
C. 1 'Ut cuncti sacerdotes' (22 cc). — Hss. Ashburnham,
Barrois 43 s. XL XII. München 14508 s. X.-XIV. Paris
9654 s. X. XI. Rom, Vat. Pal. 582 s. IX. X. — Sirmond
11,249. Le Cointe VI, 778. Labbe-Cossart VII, 1178; ed.
Coleti IX, 250. Baluze I, 357. Harduin IV, 957. Martene
Verzeichnis der Akten fränkischer Synoden von 742 — 843. 477
et Durand, Coli. VII, 26. Georgisch 621. Mansi XIV,
app. 255. Walter II, 154. MG. LL. I, 87. Migne XCVII,
217. MG. Cap. I, 105 (hier zur Aachener Synode vom
October 802 gestellt). — Ueber die Capitelzähluug vgl. BM.
I n. 369; über die Capitel der Hs. Ashburnham, Barrois 43
vgl. MG. Cap. I, 106.
II. Unterweisung über die bei der Prüfung der Geist-
lichen zu beachtenden Punkte. C. 1 'Primo omnium ad-
monendi' (9 cc). — Opp. Hincmari ed. Cordesius 683. Le
Cointe VII, 228. Baluze I, 351 ex schedis Sirmondi. Ge-
orgisch 805. Mansi XIV, app. 361. Walter II, 280. MG.
LL. I, 160. Migne XCVII, 323. MG. Cap. I, 237 ('de ipsis
[sc. capitulis] iudicium nostrum incertum manere debet'). —
Vgl. MG. Cap. I, 107. 109, dazu BM. I n. 370 gegenüber
den Ansetzuügen von Boretius. — Ueber die Synode und
ihre Beschlüsse vgl. gegen Waitz III-, 331 die Ausführungen
von Müllenhoff und Scherer, Denkmäler II, 239 ed. Stein-
meyer, denen sich im wesentlichen BM. I n. 368 a. 369.
570 anschliesst.
80 2 März. Aachen.
Es bleibt ungewiss, ob und wie weit das Capitulare
Karls, MG. Cap. I, 91, zurückgeht auf Beschlüsse der Synode,
an der mit BM. I n. 368a. 372 e gegen Simson II, 271. 274
festzuhalten sein wird; Hefele III-, 742 spricht nur von
einer Versammlung, ohne sie näher zu charakterisieren.
BM. I n. 373, vgl. n. 384, bezeichnet es als fraglich, ob das
ganze Capitulare dem Frühjahr 802 angehört. Geistliche
Angelegenheiten werden von c. 10 an (bis c. 24) behandelt,
dem nämlichen Capitel, mit welchem Mühlbacher das
eigentliche Capitulare, 'eine wie es scheint nur für diese
eine Mission bestimmte Instruktion der Königsboten', an-
fangen lässt. Der Kaiser spricht (c. 10 sqq.) durchgängig
in der ersten Person; nur in c. 16 ist von ihm auch ein-
mal in der dritten Person die Hede. — Vgl. auch MG.
Cap. I, 99 (= BM. I n. 374. 375) und 102 (= BM. I n. 384,
liier zur Aachener Synode vom October 802 gestellt).
802 October. Aachen (Reichstag und Synode).
Welche Capitularien Karls auf die Berathungen der
Synode zurückgehen, ist strittig. Hefele III 2, 745 stellt
hierher MG. Cap. I, 109. 234. 235. 107; Boretius dagegen
MG. Cap. I, 105. 107. 109; BM. I n. 384 nur MG. Cap. I, 102,
während MG. Cap. I, 105 zum Jahre 801 gesetzt (vgl. BM. I
n. 369) und MG. Cap. I, 107 als 'Weisungen eines mit der
478 Albert WerminghofE.
Ausführung der 'iussa Karoli' betrauten Missus' bezeichnet
werden, die gleich MG. Cap. I, 109 noch zur Aachener
Synode vom November 801 gestellt sind (vgl. BM. I n. 370).
Simson II, 276 Anm. 2 verzeichnet nur die Vermuthung von
Boretius. — Zur Synode vgl. Ann. Laureshamenses, MG.
SS. I, 38; dazu Maassen, Geschichte der Quellen und
Literatur des kanonischen Rechts I, 469. — Ueber die
früher mit dieser Synode in Verbindung gebrachten Statuta
Murbacensia s. unten zu 817 Juli 10.
804. St. Emmeram bei Regensburg.
Tegernsee (Juni 16).
Beschluss betr. das Kloster Tegernsee. 'Brevem com-
memoratorium de causa S. Mariae ... et b. Corbiniani . . .
domo episcopali, qui dicitur Frigisinga'. — Hs. Cozrohs Cod.
trad. eccl. Frising., München Reichsarchiv Freising 3^ (alt
187). — Meichelbeck, Hist. Frising. I, 2, 92. Mansi, Suppl.
I, 747. Hartzheim I, 384. Mausi XIV, 19. Mon. Boica
VI, 151 (= Hühner, Gerichtsurkk. I n. 170). — Hefele III 2,
746 irrig zu 803 Juni 14.
805 Mai. Freising?
Beschluss. pr. 'Anno natale Domini 805.' 'üt in una-
quaque sede' (1 c). — Hs. München 6244 s. IX. — Archiv
VII, 806. MG. LL. III, 479.
807 Januar 16. Salzburg.
Beschluss über den Zehnten. 'Dum se congregasset'. —
Hss. München 6244 s. IX. Cozrohs Codex trad. eccl. Frising.,
München Reichsarchiv Freising 3* (alt 187). — Brunner,
Ann. Boiorum II, 51. II-, 21. Meichelbeck, Hist. Frising.
I, 2, 154. Labbe-Cossart ed. Coleti IX, 274. Hartzheim
I, 389. Mansi XIV, 15. Dalham, Concil. Salisb. 43. MG.
LL. III, 479; vgl. 252. Pagi zu Baronius 807 n. 11 (Ausg.
der Annales ecclesiastici durch Theiner XIII, 413).
810 Anfang. Rom.
Leos III. 'collatio cum missis' Karls über das Glaubens-
bekenntnis. 'Lectis a praedictis missis'. — Hss. Escorial,
San Lorenzo c II, 21 s. XVIL Paris 3160A s. XV. Rom,
Vat. 3790 s. XVI. — Baronius 809 n. 53 ex cod. Antonii
Augustini. Binius III, 1, 449. Sirmond II, 256. Coli. reg.
conc. XX, 319. Vorburg, Hist. X, 336. Labbe - Cossart VII,
1194; ed. Coleti IX, 278. Harduin IV, 969. Hartzheim I,
394. Mansi XIV, 18 coli, cum cod. univ. Taurinensis.
Migne CII, 971. — Zur Ueberschrift vgl. Traube, Textge-
Verzeichnis der Akten fränkischer Synoden von 742 — 843. 479
schichte der Regula S. Benedict! 118; zum Datum vgl.
Simson II, 408 Anm. 3 gegen Jaffe-E. I^, 313; über den
Charakter der Verhandlungen vgl. Hinschius, KR. III, 715
Anm. 3. Hauck II, 304. — Ueber die Verhandlungen der
Aachener Synode vom November 809 vgl. BM. I n. 433c.
Simson II, 403.
813 Mai 10. Arles.
Beschlüsse, pr. 'Dum anno XLVI.'. C. 1 'Secundum
divin as enim scripturas' (26 cc). — Hss. Köln (deperd.).
München 3853 s. X. (c. 22). 6245 s. X. (c. 18). 27246 s. X.
Novara LXXI (134) s. X. — Crabbe II (1551), 616. Sagit-
tarius 365. Joverius II, fol. 93'. Surius III, 270. Bollanus-
Nicolini III, 679. Binius III, 1, 451. Sirmond II, 266.
Bail II, 295 (nur die Canones). Coli. reg. conc. XX, 328.
Labbe-Cossart VII, 1231; ed. Coleti IX, 319. Harduin IV,
1001. Mansi XIV, 55.
813 Mai. Rheims.
Beschlüsse, pr. 'Hie est ordo'. C. 1 'Capitulum pri-
mum est' (44 cc). — Hss. Köln (deperd.). München 27246
s. X. Novara LXXI (134) s. X. — Crabbe II (1538),
fol. CXXm. Crabbe II (1551), 638. Sagittarius 392. Jo-
verius II, fol. 101'. Flacius lUyricus, Ecclesiastica historia
cent. IX, 374. Surius III, 291. Bollanus-Nicolini III, 700.
Binius III, 1, 468. Sirmond II, 287. Coli. reg. conc. XX,
361. Bail II, 309. Labbe-Cossart VII, 1253; ed. Coleti
IX, 339. Harduin IV, 1017. Mansi XIV, 75.
8 1 3 Juni. Mainz.
Beschlüsse, pr. 'In nomine patris . . ., Almificae reve-
rentiae vestrae'. C. 1 Initium enim actionis' (56 cc). — Hss.
Köln (deperd.). München 3853 s. X. (c. 40). 5541 pars s. XI.
(c. 27. 29. 31. 33. 34-37. 40. 41. 44). 19414 s. XL XII.
(34 oder 35 cc). 27246 s. X. Novara LXXI (134) s. X.
Venedig, San Marco ins can. 11 s. XV. Wien 751 s. X.
(pr., c 1-15 med.). Wien 2198 s. X. (c 27). — Crabbe II
(1538), fol. CXni. Crabbe II (1551), 630. Sagittarius 383.
Joverius II, fol. 99. Flacius Illyricus, Eccl. hist. cent. IX,
363. Surius III, 285. Bollanus-Nicolini III, 693. Binius
III, 1, 462. Sirmond II, 273. Coli. reg. conc. XX, 329.
Bail II, 304. Labbe - Cossart VII, 1239; ed. Coleti IX, 327.
Harduin IV, 1007. Lünig, RA. XV, 581. Hartzheim I, 404.
Mansi XIV, 63. — Zum Datum vgl. Simson II, 502 Anm. 4.
Neues Archiv etc. XXIV. 31
480 Albert Wermiiighoff.
813. Chalon an der Saone.
Beschlüsse, pr. 'Auxiliante doniiuo nostro'. C. 1 'De-
crevim^^s mxta sanctorum' (66 cc). — Hss. Chartres 172
s. XL (c. 29). Köln (deperd.). München 27246 s. X. 29084
s. IX. X. (cc. 19. 26. 30). Novara LXXI (134) s. X. Wien
751 s. X. (cc. 20-66). Wien 2198 s. X. (c. 31). — Crabbe II
(1551), 623. Sagittarius 374. loverius II, fol. 96. Flacius
Illyricus, Eccl. bist. cent. IX, 387. Snrius III, 278. Bol-
lanus-Nicolini III, 686. Binius III, 1, 457. Sirmond II,
306. Coli. reg. conc. XX, 388. Bau II, 299. Labbe-Cossart
VII, 1270; ed. Coleti IX, 357. Hardnin IV, 1029. Mansi
XIV, 91.
8 13. Tours.
Beschlüsse, pr. 'Quantum piissimi imperatoris'. C. 1
'Primo ominum admonuimus' (51 cc). — Hss. Köln (deperd.).
München 3853 s. X. (c. 39). 27246 s. X. Novara LXXI (134)
s. X. Paris 3859 s. IX. ex. (Auszüge); vgl. Theiner, Dis-
quis. criticae 149. Wien 751 s. X. (c. 1-12 med.). —
Crabbe II (1551), 619. Sagittarius 369. loverius II, fol. 94'.
Placius Illyricus, Eccl. bist. cent. IX, 378. Surius III, 274.
Bollanus - Nicoliui IIL 682. Binius III, 1, 455. Sirmond II,
294. Coli. reg. conc. XX, 371. Bau II, 296. Labbe-Cossart
VII, 1259; ed. Coleti IX, 349. Harduin IV, 1021. Mansi
XIV, 81. — Zu sämmtlichen Synoden des Jahres 813 vgl.
Simson II, 500 sqq. Jacobs, Cottbuser Progr. 1863, 7. 10. —
Auf ihre Beschlüsse gehen zurück: 1. Concordantia (epi-
scoporum). C. 1 'De scrutinio faciendo' (33 cc). — Hss.
München 27246 s. X. Novara LXXI (134) s. X. — MG.
LL. II, 552. — 2. Brevis annotatio capitulorum.
'De fide catholica' (121 cc). — Hss. München 27240 s. X.
Novara LXXI (134) s. X. Wien 751 s. X. — Archiv VII,
791. — Ueber die Capitula e canonibus excerpta, MG.
Cap. I, 173, vgl. Hefele III-, 766. BM. I n. 468. Simson
II, 519 Anm. 6. Ketterer, Karl d. Gr. und die Kirche 138
Anm. 7.
816 August ( — September). Aachen.
I. Liber de institutione canonicorum. pr. 'Cum in
nomine sanctae'. C. 1 'Tonsurae ecclesiasticae usus' (145 cc). —
Hss.i Albi 36 s. IX.; vgl. Catal. I, 488. Albi 37 s. IX.-
XII.; vgl. ibid. I, 489. Angers 383 s. IX.; vgl. Wiener SB.
LIX, 449. Arras 685 s. XII.; vgl. Catal. IV, 272. Bamberg
1) Die Herren Dr. Bloch, Müller, Roessler und von Winterfeld
haben mich durch Notizen über Florentiner, Metzer, Römische und
Müuchener Hss. zu verbindlichstem Danke verpflichtet.
Verzeichnis der Akten fränkischer Synoden von 742 — 843. 481
P. I 13 s. IX. (unvollst, und schlecht); vgl. Jaeck I, 59. Berlin,
Hamilton 31 s. IX.; vgi. Neues Archiv VIII, 330. Bordeaux
11 s. XII. (pr., cc. 1-36. 93-145); vgl. Catal. XXIII, 10.
Charleville 23 s. XV. (unvollst.); vgl. ibid. V, 554. Chartres
61 (99) s. IX.; vgl. ibid. XI, 29. Chaumont 38 s. XII. XIII.
(un vollst.); vgl. ibid. XXI, 16. Cheltenham 389 s. X.; vgl.
Wiener SB. CXXVI, VI, 13. Neues Archiv XXII, 674. Chel-
tenham 3508 s. XII.; vgl. ibid. XXII, 678. Cheltenham 6546
s. IX.; vgl. Maassen, Bibl. I, 3, 180. Wiener SB. CXXVII,
IX,4. Neues Archiv IV, 595. [Cheltenham (Thorpe), vgl. Archiv
VII, 101, nicht näher bestimmbar]. Darmstadt s. IX., im
Jahre 1820 Besitz Dahls; vgl. Archiv II, 243. Escorial,
Bibl. S. Laur. d. I 1 s. X.; vgl. Neues Archiv VI, 238. Escorial,
Bibl. S. Laur. Q. II 22 (= Rö Q. II 22) s. XII.; vgl. ibid.
VI, 272. Archiv VIII, 817. Escorial, Bibl. S. Laur. E. III
10 s. XI. XII.; vgl. Neues Archiv VI, 281. Florenz (vorher Ash-
burnham, Libri06) 23 (20?) s.XL; vgl. ibid. IV, 610. XIV, 200.
Florenz, S. Crucis XXI dextr. 12 s. X. Florenz, Laur.
XVI. 17 s. XII. XIII. Florenz, Bibl. Magliab. J. VIII 2
s. XL ex. (pr., cc. 1-3. 144. 145); vgl. Neues Archiv III, 422.
Florenz, Eiccard. 256 (K. 3. 27) s.XL (pr., cc. 1-27 mut.,
c. 36 mut. -113 mut., c. 120 mut.- 145 mut.); vgl. Archiv
XII, 729. ?Hamburg XXII cod. chart.; vgl. Archiv VI,
230. Laon 336 s. IX.; vgl. Catal. I, 185. Le Maus 267
s. XVIII. ; vgl. ibid. XX, 193. Lille 161 s. XV.; vgl. ibid.
XXVI, 119. London, Mus.Britt. Add. 14801 s.XL; vgl. Neues
Archiv IV, 350. Maihingen (Wallerstein) 38 s. X. ; vgl. ibid.
VII, 179. Merseburg 42 s. IX. (in Unordnung); vgl. Archiv
VIII, 664. Merseburg 63 s. XIV. (140 cc); vgl. ibid. VIII,
666. Metz 44 s. XIV.; vgl. Catal. V, 20. Montpellier 85
s. XII.; vgl. Catal. I, 318. Montpellier 238 s. IX. X.; vgl.
ibid. I, 376. München 767 s. XV.; vgl. Catal. III, 1, 147.
München 6255 s. X.; vgl. ibid. III, 3, 80. München 14413
s. XL (und XIV. XV.); vgl. ibid. IV, 2, 168. München
17165 s. XII.; vgl. ibid. IV, 3, 84. Paris 1534 s. IX.; vgl.
Maassen, Bibl. I, 2, 199. Paris 1535 s. X.; vgl. ibid. Paris
1536 s. X. (c. 14 sqq.); vgl. ibid. I, 2, 200. Paris 1537 s. XL;
vgl. ibid. Paris 1538 s. XL (unvollst.); vgl. ibid. Paris 1539
s.XL; vgl. ibid. Paris 1540 s. XII.; vgl. ibid. Paris 1568
s. X.-XIV. (unvollst.); vgl. Catal. III, 153. Paris 1587
s. X.; vgl. Maassen, Bibl. I, 2, 209. Paris 5244 s. XIII.
(unvollst.); vgl. Catal. IV, 59. Paris 16569 s. XL XII.;
vgl. Delisle, Inventaire fasc. IV, 67. Paris 17649 s. XL;
vgl. ibid. fasc. V, 60. Paris, Nouv. acq. 1600 (früher Orleans
123, dann Ashburnh.-Libri 39) s. IX. (unvollst.); vgl. Archiv
31*
482 Albert WerminghofE.
VIII, 391. Delisle, Fonds Libri et ßarrois 42. Neues Archiv
IV, 609. Paris, Mazar. 676 s. XIV. (pr., cc. 1. 2); vgl. Catal. I,
306. Pistoja, Domkapitel; vgl. Archiv XII, 755. ?Rbeims
G. 599. 595 s. IX.; vgl. ibid. VIII, 394. Eom, Bibl. Chis.
C. VIII. 238 s. XV.; vgl. ibid. XII, 390. Eom, Bibl. Chis.
D. VI. 82 s. IX., vgl. ibid. XII, 390, ist jetzt verloren. Eom,
Bibl. Vallicell. B. 32 s. XI.; vgl. ibid. XII, 422. Eom, Vat.
1339 s. XI. in. (c. 145, abgedr. bei Theiner, Disquis. cri-
ticae 291). Eom, Vat. 1351 s. XI.; vgl. ibid. XII, 226.
Eom, Vat. 4885 s. XI.; vgl. Mansi XIV, 283. Archiv XII,
244. Eom, Vat. 4896 s. XVI., kein Druck, wie Archiv XII,
244 angegeben. Eom, Vat. Christ. 1575 s. XIII.; vgl. ibid.
XII, 322. Eom, Vat. Ottobon. 38 s. X.; vgl. ibid. XII, 357.
Eom, Bibl. Vitt. Emman. 2096 Mss. Sessoriani 52 (vordem
S. Crucis 52) s. XI.; vgl. Mansi XIV, 247. Archiv XII, 397.
Sanct Gallen 286 s. IX. (c. 145); vgl. Steinmeyer und Sievers
IV, 447. Sauet Gallen 1398''^ (11) s. IX. (Auszüge); vgl.
Scherrer 468. Schlettstadt 94 s. XI.; vgl. Catal. III, 587.
Sens 45 s. XIIL (c. 27 sqq.); vgl. ibid. VI, 158. Trier 1280
(61) s. XIIL; vgl. Archiv VII, 140. Verdun 6 s. XIII.; vgl.
Catal. V, 431. Vieh, Cath.41 s. XL; vgl.Neues Archiv VI, 340.
Viterbo, Dom s. XIIL; vgl. Archiv XII, 475. Wien 501
s. X.; vgl. Tabulae I, 83. Wien 2090 s. XL XII.; vgl. ibid.
II, 10. Wolfenbiittel, August. (Auszüge?); vgl. Archiv VII,
224. Wolfenbüttel, Extravag. 227; vgl. ibid. VII, 225. —
Crabbe II (1551), 638. loverius II, fol. 103 (nur cc. 114-145,
bei den übrigen cc. Quellennachweise). Surius III, 293.
Bollanus-Nicolini III, 703. Binius III, 1, 473. Goldast,
Const. imp. III, 164. Sirmond II, 329. Coli. reg. conc.
XX, 430. Labbe - Cossart VII, 1307; ed. Coleti IX, 399.
Harduin IV, 1055. Lünig, EA. XV, 41. Hartzheim I, 430.
Mansi XIV, 147; vgl. XIV, 283 das Stück aus Hs. Eom,
Vat. 4885. Kleimajrn, luvavia Anh. 69 (pr. und Index
capitulorum). Migne CV, 815.
IL Liber de institutione sanctimonialium. pr. *Hanc
Constitutionen!'. C. 1 'Audi, filia, et vide' (28 cc). — Hss.
? Brüssel 3380 s. XII. ; vgl. Inventaire 68. Cheltenham 6546
s. IX; s. oben. Montpellier 85 s. XIL; s. oben. München
14431 s. IX.; vgl. Catal. IV, 2, 171. Paris 1534 s. IX.
(unvollst.); s. oben. Paris 1568 s. X.-XIV.; s. oben. Eom,
Bibl. Vitt. Emman. 2096 Mss. Sessoriani 52 s. XL; s. oben.
Würzburg, Univ. -Bibl. mp. th. q. 25 s. IX.; vgl. Archiv VII,
109. Verzeichnis 9. — Sirmond II, 405 e cod. Nicolai Fabri
in bibl. Thuana (nach Harduin IV, 1147 in bibl. Colbertina,
ob heute Cod. Paris. 1568?); vgl. p. 684, wo Verweis auf
Verzeichnis der Akten fränkischer Synoden von 742 — 843. 483
einen Codex Antisiodorensis. Coli. reg. conc. XX, 576.
Labbe-Cossart VIT, 1406; ed. Coleti IX, 495. Harduin IV,
1147. Hartzheim I, 514. Mansi XIV, 249. Migne CV,
935. — lieber die Quellen der Beschlüsse vgl. Scbenkl,
V^iener SB. CXXVII, IX, 4; über ihr Verhältnis zur Eegel
Chrodegangs vgl. Oelsner, Pippin 206. Hefele IV'', 17; über
ihre Benutzung durch Pseudoisidor vgl. Hinschius, Drecre-
tales Ps.-Isidorianae CXXIV. Zum Datum der Synode vgl.
Zeumer, GGA. 1882, 1423, der die Ansetzung Simsons I, 90
Anm. 5 widerlegt. Zur Synode vgl. Hefele IV-, 9. Schneider,
Entwickelung der bischöflichen Domkapitel 33. Hauck II,
533. BM. I n. 602a; dazu die Schreiben Ludwigs an Arno
von Salzburg, Sicharius von Bordeaux und Magnus von
Sens, MG. Cap. I, 338 (= BM. I n. 635-637); dazu das
Wahres und Falsches vermischende Fragmentum historicum
de concilio Aquisgranensi, Mabillon, Vetera Analecta I, 52,
auch bei Bouquet VI, 445.
817 Juli 10. Aachen.
Capitulare monasticum. pr. 'Anno ine. dom. n. J. Chr.
817.'. C. 1 'üt abbates' (80 cc). — Hss. Admont 712 s. XI.-
XIII. Bamberg A. II 53 s. X. (XI. XII. ?). Berlin theol.
fol. 355 s. IX. Brüssel 10274-10280 s. XII. Cheltenham
24275 s. XII. Dresden A. 128 s. XII. Gent 506 s. X. XI.
(Fragm.). London, Cotton. Tiber. A. III. s. XL Mailand,
Ambr. S. 17 sup. s. XL Merseburg 58 s. IX. X. Monte
Cassino 175 s. XL 353 s. X. München 18583 s. XL Paris
1535 s. X. 2826 s. IX. X. 4761 s. X. (im jetzt verlorenen
Theil). Eom, ?Barb. XL 64 s. IX. X. Barb. XIV. 19 s. IX.
Ronen 1385 s. X. XL (28 cc). Turin G.V. 4 s. X. G.V. 38 s. X.
Wolfenbüttel, Heimst. 532 s. IX. X.; über Anordnung und
Inhalt der von Boretius benutzten Hss. vgl. MG. Cap. I,
343. — Bened. Levit., add. IL (nicht gedruckt bei Baluze
und MG. LL. II, 2). — Binius III, 1, 521. Goldast, Coiist.
III, 220. Sirmond II, 435. Coli. reg. conc. XXI, 23. Labbe-
Cossart VII, 1505; ed. Coleti IX, 597. Baluze 1,579. Har-
duin IV, 1228. Lünig, RA. XV, 107. Herrgott, Vetus disc.
monast. 23. Georgisch 821. Hartzheim II, 13. Muratori,
SS. IV, 607. Mansi XIV, app. 393. Walter II, 313. MG.
LL. I, 201. Migne XCVII, 381. MG. Cap. I, 343 (= BM.
I n. 631). — Verloren ist die 'Constitutio de abbatibus regu-
laribus eligendis', vgl. MG. Cap. I, 349, sowie die 'Consti-
tutio de servitio monasteriorum', auf welch' letztere die
'Notitia de servitio monasteriorum', MG. Cap. I, 849, zurück-
geht, vgl. aber Puckert, Berichte der sächs. Ges. der Wiss.
484 Albert Werminghoff.
1890, 46 ff. — Vgl. Simson I, 85 Anm. .3. Hefele IV-', 24;
über das Verhältnis des Capitulars zu den Statuta Murba-
censia (Pez, Thes. nov. anecd. II, 3, 370) vgl. Seebass, Zeitschr.
f. Kircheng-eschichte XII, 322.
819 Januar. Aachen (Reichstag und[?] Synode).
Auf Beschlüsse der vielleicht versammelten Synode
gehen zurück :
I. Erlass Ludwigs. 'Quia iuxta apostolum'. — Hs.
Paris 2718 s. XI. XII. — Baluze I, 561. Georgisch 807.
Bouquet VI, 415. Hartzheim I, 542. Mansi XIV, app. 379.
Carpeutier, Alph. tir. 3. Walter II, 298. MG-. LL. I, 204.
Migne XCVII, 393. Schmitz, Mon. tach. I. 45. MG. Gap.
1, 273 (= BM. I n. 629, vgl. n. 659a. S. 781).
II. Capitula proprie ad episcopos . . . pertinentia.
C. 1 'Quia iuxta sanctorutn patrum' (29 cc). — Hss. Berlin
162, Phill. 1737 s. X. Gent 83 s. X. (cc. 1-6). Gotha
membr, I n. 84 s. X. XI. Ivrea 34 s. IX. Kopenhagen,
Alte Königl. Sammlung 1943 s. IX. Montpellier 136 s. IX.
Paris 4280 A s. X. 4626 s. X. XL 4788 s. IX. X. 18238
s. IX. X. Wolfenbüttel, Blank. 130 s. X. — Sirmond II, 148.
Coli. reg. conc. XX, 627. Labbe-Cossart VII, 1478; ed.
Coleti IX, 569. Baluze I, 563. Harduin IV, 1213. Georgisch
811. Mansi XIV, app. 381. Carpentier 5. Walter II, 300.
MG. LL. I, 206. Migne XCVII, 395. MG. Cap. I, 275
(= BM. I n. 630, vgl. S. 781).
8 22 August. Attigny.
Erklärung der Bischöfe auf der mit dem Reichstag
verbundenen Synode. C. 1 'Dei igitur omnipotentis' (6 cc). —
Hss. Einsiedeln 191 s. VIII. IX. Valenciennes 154 s. IX.
Wolfenbüttel, Blank. 130 s. X. — MG. LL. I, 231. Migne
XCVII, 445. MG. Cap. I, 357. — Vgl. den Brief Agobards
von Lyon, MG. Epp. V, 166. Simson I, 178 Anm. 7. 180
Anm. 5. BM. I n. 733 a.
82 5 Mai. Corte Olona (Reichstag und Synode).
Auf Synodalbeschlüsse gehen zurück:
T. Capitulare Lothars. C. 1 'Placuit nobis, ut si pro
quibuslibet' (10 cc). — Hss. Gotha membr. I n. 84 s. X.
XI. Heiligenkreuz 217 s. X. (cc 1. 4. 5. 8. 10). Ivrea 34
s. IX. La Cava 22 s. XL (cc. 1-4. 7-10). Modena, Cath.
Ord. L 2 s. X. München 3853 s. X. (cc. 1. 4. 5. 8. 10).
Paris 3878 s. X. (desgl.). Rom, Bibl. Chis. F. IV. 75 s. X. (cc 1 - 4.
7-10). Wolfenbüttel, Blank. 130 s. X. — Muratori, SS. I,
2, 151. Mansi XIV, 483. Canciani I, 210. MG. LL. I, 248.
Verzeichnis der Akten fränkischer Synoden von 742 — 843. 485
Migne XCVII, 473. Cod. dipl. Cavensis IV, 2, 53. MG. Cap.
I, 326 (= BM. I n. 991, wo Näheres über die Aufnahme
einzelner cc. in den Liber Papiensis); über diejenige des
c. 10 in die Lex ßomana canonice compta vgl. Maassen,
Gesch. I. 891, und in einzelne Hss. vgl. MG. Cap. I, 326.
II. Capitulare Lothars. C. 1 'lubemus, ut baptisma-
lium' (7 cc, deren letztes vermuthlich späterer Zusatz). —
Hss. Ivrea 34 s. IX. La Cava 22 s. XL Rom, Bibl. Chis. F. IV
75 s. X. Vercelli 174 s. IX. X. Wolfenbüttel, Blank. 130
s. X. — MG. LL. I, 250. Migne XCVII, 477. Cod. dipl.
Cav. IV, 2, 54. MG. Cap. I, 328 (= BM. I n. 992). — Vgl.
Simson I, 237.
825 November. Paris.
I. Schreiben des Kaisers Michael und des Caesar
Theophilus von 824 April 10. 'Notum esse non ambigi-
mus'. — Hs. Paris 1597 A s. IX. — Sjnodus Parisiensis
(Ausg. von 1596, hier nicht paginiert). Baronius 824 n. 17.
Goldast, Decr. de cultu imaginum 611. Goldast, Const. I,
151. Vorburg, Hist. XL 127. Delalande 106. Bouquet VI,
386 (Fragm.). Mansi XIV, 417. Migne CIV, 1314 (Fragm.);
vgl. Simson I, 218.
IL Schreiben der Synode an Ludwig und Lothar
nebst Belegen über die Bilderverehrung. 'Nos servi ac
fidelissimi oratores'. C. 1 'Congruum necessariumque iudi-
cavimus' (unvollst, in 16 cc, darin Entwürfe von Schreiben
an Eugen IL sowie an Michael und Theophilus). — Hs.
Paris 1597A s. IX. — Synod. Paris. 1. Flacius, Catal.
test. verit. ed. 4^. II, 199. ed. 5^*. 1123 (Auszüge). Baronius 825
n. 7 (nur das Schreiben); n. 15. 24 (die Entwürfe); n. 37
(der Schluss). Goldast. Decreta 626. Goldast, Const. I, 154.
Vorburg, Hist. XI, 137 (Auszüge). Delalande 109. Bouquet
VI, 338 (nur das Schreiben). Mansi XIV, 421. Migne
XCVIII, 1299 (nur das Schreiben).
III. Schreiben Ludwigs und Lothars an Hieremias
von Seus und Jonas von Orleans. 'Venerunt ad praesen-
tiam'. — Hs. Paris 1597 A s. IX. — Synod. Paris. 125.
Flacius, Catal. test. verit. ed. 4^. H, 231. ed. 5^. 1155.
Baronius 825 n. 50. Goldast, Decreta 749. Goldast, Const.
I. 187. Sirmond II, 460. Coli. reg. conc. XXI, 92. Vor-
burg, Hist. XI, 151. Labbe - Cossart VII, 1649; ed. Coleti
IX, 648. Baluze I, 643. Le Cointe VII, 771. Harduin IV,
1260. Bouquet VI, 341. Mansi XV, app. 435. Walter II,
365. Migne XCVIII. 1348. CIV, 1316. Quantin, Cartul.
de l'Yonne I, 36 {= BM. I n. 794).
IV. Schreiben derselben an Eugen IL 'Quia vera
citer'. — Hss. Paris 1597A s. IX. Rom, Ottobon. 38 s. X-
486 Albert Werminghoff.
abweichend vom Druck; vgl. Archiv XII, 357. — Sjnod.
Paris. 123. Flacius, Catal. test. verit. ed. 4*. II, 230. ed.
5*. 1155. Baronius 825 n. 47. Goldast, Decreta 747. Goldast,
Const. I, 186. Sirmond II, 459. Coli. reg. conc. XXI, 90.
Baluze I, 645. Vorburg-, Hist. XI, 150. Le Cointe VII, 771.
Labbe - Cossart VII, 1648; ed. Coleti IX, 647. Harduin IV,
1259. Bonquet VI, 342. Mansi XV, app. 437. Walter II,
366. Migne XCVIII, 1347. CIV, 1317 (= BM. I n. 795). —
Zur Synode vgl. Simson I, 247, Die Vermuthungen Eichners,
Zeitschr. f. -wissenschaftl. Theologie XLI, 559, sind unan-
nehmbar.
82 6 Juni. Ingelheim (Reichstag und Synode).
Vorschläge der Bischöfe sind nach BM. I n. 804c die
von Pertz, MG. LL. I, 253 dieser Versammlung zuge-
schriebenen Capitula excerpta aus Ansegis II, cc. 29-46;
hievon sind cc. 1 und 2 = lustiniani epitome novellarum
luliani const. VII, cc. 1. 2 (32. 33) = MG. Cap. I, 310 [420];
cc. 3-18 Auszüge aus den Beschlüssen der Synoden von
Mainz, Chalon, Tours und Arles v. J. 813, auch in der Hs.
München 29085 s. IX. X. = MG. Cap. I, 311 [421]. —
Vgl. Simson I, 254 Anm. 9. Hefele IV '^ 47.
826 November 12. Eom.
I. Capitula admonitionis Eugenii papae. Tratres et
coepiscopi'. — Hs. Wolfenbüttel, Blank. 130 s. X. — MG.
LL. II, 2, 12. Migne :^CVII, 688.
IL Beschlüsse, pr. 'In nomine Domini'. C. 1 'Bea-
tissimi Pauli discretione' (38 cc). — Hss. Florenz, Bibl.
aedil. 82 s. X. Rom, Vallicell. C. 19, C. 23, C. 27, alle s. XVI.;
ob sie auch I enthalten, bleibt zu prüfen. Wolfenbüttel,
Blank. 130 s. X. — Hss. mit Auszügen (vgl. Maassen, Gesch.
I, 308, dazu Neues Archiv XIX, 675. XXII, 668. Rose,
Verzeichnis der Meermanhss. 164. Theiner, Disquisit. cri-
ticae 278): Berlin 82, Phill. 1741 s. X. (cc. 13-15. 18-22).
Cambridge, Coli. corp. Christi 19 s. XII. Mailand, Ambros.
S. 33 sup. s. IX. München 3860 s. X. 3860 '^ s. X. 29084
s. IX. X. (cc. 23. 27-29. 32). Oxford, Bodl. Land. 893 s. X.
Paris, St. Germain Harl. 386 s. X. ?Rom, Vat. 1339 s. XL
in. ?Rom, Vat. 1342 s. X. Vercelli CXI s. X. Verdun 46
(21) s. X. XL Verona LXIII s. X. — Holsten, Coli. Rom.
II, 7 ex cod. Barber. Labbe - Cossart VIII, 103; ed. Coleti
IX, 1117. Harduin V, 61. Mansi XIV, 999 coli, cum cod.
Lucano 124 s. XL; vgl. Archiv XII, 704. MG. LL. II, 2, 14.
Migne XCVII, 691. MG. Cap. I, 370. — Ueber Canones bei
Deusdedit, Coli. can. I, cc. 122. 124. III, cc. 19. 49 vgl.
Verzeichnis der Akten fränkischer Synoden von 742 — 843. 487
JafPe-E. 1\ 321. — Zur Synode vgl. Ae. L. Eichter, Beitr.
z. Kenntnis des kanonischen Rechts 49. Hefele IV '^ 48.
Sinison I, 280; dazu die Akten der römischen Synode vom
8. December 853, Mansi XIV, 1009.
8 27 Juni 6. Mautua.
Urtheil über das Verhältnis Grados zu Aquileja.
'Reg-nante domino uostro'. — Rubels, De scism. eccl. Aqui-
lejensis 224 ex cod. bibl. Vallicell. Labbe-Cossart ed.
Coleti IX, 657. Rubels, Mon. eccl. Aquil. 414. Mansi XIV,
493. — Vg-1. Simson I, 281. Hefele IV-, 50. BM. I n. 814.
1164. W. Meyer, Die Spaltung des Patriarchats Aquileja 16.
MG. Epp.V, 313-315.
8 2 9. Mainz, Lyon, Toulouse, Paris.
I. Erlass Ludwigs von 828 Dec. 'Anno sexto decimo'.
— Hss. Bamberg P. I 1 s. IX. X. Barcelona 40 s. XL
Berlin 163, Phill. 1762 s. X. Bonn 402 s. XII. Paris 4417
s. IX. X. 4628A s. X. 4638 s. X. XL 4761 s. X. 9654
s. X. XL 10758 s. IX. X. Rom, Vat. Christ. 417 s. IX.
X. Vat. Pal. 582 s. IX. X. Schaffhausen, St. Johann 74
s. XL XII. — Sirmond II, 464. Coli. reg. conc. XXI, 134.
Labbe-Cossart VII, 1580; ed. Coleti IX, 692. Baluze I, 653.
Harduin IV, 1279. Georgisch 889. Bouquet VI, 438.
Hartzheim II, 43. Mansi XV, app. 441. Walter II, 371.
MG. LL. I, 327. Binterim I, 115. Migne XCVII, 592. MG.
Cap. II, 2 (= BM. I n. 827, erste Hälfte).
IL Rundschreiben Ludwigs und Lothars (an die
Geistlichkeit, vgl. BM. I n. 828) von 828 Dec. 'Recordari vos
credimus'. — Hss. Barcelona 40 s. XL Rom, Vat. 3827
s. X. XL Vat. Christ. 1041 s. XVII. — Surius III, 358.
Baronius 828 n. 29. Bollanus-Nicolini III, 769. Binius
III, 1, 1540. Goldast, Const. II, 15. Sirmond II, 475.
Coli. reg. conc. XXI, 149. Pithou, Preuves des libertez
II-, 1254. Vorburg, Hist.XI, 186. Labbe-Cossart VII, 1590;
ed. Coleti IX, 701. Baluze I, 657. Lünig, RA. IV, 11. Har-
duin IV, 1289. Bouquet VI, 344. Heumann, Comment. I, 452.
Hartzheim II, 52. Le Cointe VIII, 4. Mansi XIV, 529.
XV, app. 443. Walter II, 375. MG. LL. I, 329. Migne
XCVII, 598. CIV, 1322. MG. Cap. II, 3 (B) {= BM. I n. 828).
III. Rundschreiben derselben (an die Laien, vgl. Hefele
IV-, 55) von 828 Dec. 'Recordari vos credimus'. — Sirmond
II, 404. Coli. reg. conc. XXI, 135. Labbe-Cossart VII, 1581;
ed. Coleti IX, 693. Baluze I, 653. Harduin IV, 1280.
Bouquet VI, 343. Hartzheim II, 44. Georgisch 891. Mansi
488 Albert WerminghofE.
XY, app. 441. Walter II, 372. MG. LL. I, 329. Migne
XCVII, 597. CIV, 1319. MG. Cap. II, 3 (A) (= BM.
I 11. 829). — Von den Beschlüssen der vier angeordneten
Synoden sind die der Lyon er (über ihre Verhandlungen
vgl. Simsoii I, 393) und Toulouser verloren; über die
Mainzer im Juni 829 vgl. die Fragmente der Fuldaer
Briefsammlung, Forsch, z. Deutschen Gesch. V, 387. MG.
Poet. lat. III, 708. Simson I, 312 Anm. 4.
IV. Synode zu Paris.
Beschlüsse von 829 Juni 6 in 3 Büchern. Lib. I. pr.
'Sicut humanae infirniitati'. C. 1 'Causae ad religionem'
(54 cc). Lib. IL pr. 'Hactenus de causis'. C. 1 'Hex a
recte' (13 cc). Lib. III. pr. 'Nos famuli vestri' (auch bei
Bouquet VI, 345. Migne CIV, 1524). C. 1 'Igitur quia
constat' (27 cc). — Hss. Paris 5516. Eoin, Vat. 3827 s. X.
Vat. Christ. 1041 s. XVII. — Surius III, 359. Bollanus-
Nicolini III, 771. Binius III, 1, 542. Sirmond II, 477.
Coli. reg. conc. XXI, 152. Labbe - Cossart VII, 1592; ed.
Coleti IX, 704. Harduin IV, 1291. Mansi XIV, 532. —
Vgl. die Urkunde des Bischofs Inchad von Paris, de
Lasteyrie, Cartul. gen. de Paris I, 42. — Ueber die ver-
lorenen 'capitula ad laicorum fidelium observationem' vgl.
MG. Cap. II, 45 Anm. 59, wo Litteratur über das Ver-
hältnis der Schrift des Jonas von Orleans 'de institutione
laicali' zu diesen capitula und seiner Schrift 'de institutione
regia' zu den erhaltenen Beschlüssen. — Ueber die Synode
vgl. Simsoii I, 315. Hefele IV-, 57. Dümmler I-, 48 und
unten 832 Jan. 22. St. Denis.
V. Rescriptum consultationis sive exortationis ad
domnum Hludowicum imperatorem. pr. 'Xos famuli vestri'.
C. 1 'Primum fundamentum christianae' (62 cc). — Hss.
Gotha membr. I n. 84 s. X. XL Heiligenkreuz 217 s. X.
(pr. und c 1-45). Modena, Ord. 12 s. X. ex. München
3853 s. X. (pr. und c 1-45). 29084 s. IX. X. (Fragm.
der pr.). Paris 3878 s. X. (pr. und c 1-45). Wien 502
s. XL — Bened. Levit., add. II (= cc. 35-62), MG. LL.
II, 2, 117. — MG. LL. I, 332. Migne XCVII, 601. MG.
Cap. II, 26 mit Angabe der Quellen, hauptsächlich der
Pariser Beschlüsse; über das wahrscheinlich im August 829
auf dem Reichstage zu Worms vorgelegte Aktenstück vgl.
Simson I, 323. Hefele TV-, 73 und die Einleitung der
Ausgabe von Boretius.
830 November 2 0. Langres.
Urkunde Alberichs von Langres. 'Notum sit Omni-
bus'. — Chron. Besuense, Hs. Paris 4997 s. XII. —
Verzeichnis der Akten fränkischer Synoden von 742 — 843. 489
d'Achery, Spicil. I, 509. II '-, 406. Analecta Divionensia
I, 257. — Vgl. BM. I n. 849.
(829?). 832 Januar 22. St. Denis.
I, Synodale praeceptum. '. . . . tia prudentium
virorum'. — Paris, Arch. nat. K. 9 n. 7. — Mabillon, De
re dipl. 518, facs. 450. ed. 2^ 518, facs. 450. ed. 3=^
I, 538, facs. 466. Mansi, Suppl. I, 858. Mansi XIV, 633.
— ■ Wohl veranlasst durch die Pariser Synode von 829, aber
deshalb nicht nothwendig mit ihr gleichzeitig, vgl. BM.
I n. 876.
II. Partitio bonorum der Abtei St. Denis von 832
Jan. 22. '. . . . dinis oculum'. — Mabillon 519, facs. 450.
ed. 2=^ 519, facs. 450. ed. 3^ I, 538, facs. 466. Pelibien,
Hist. de St. Denys pr. 49. Mansi, Suppl. I, 860. Mansi
XIV, 636. — Vgl. BM. I n. 876. 877. Hefele IV-, 77.
833 October. Compiegne.
Auf die Beschlüsse der auf dem Reichstage (vgl.
Simson II, 6. BM. I n. 897 a) gesondert berathenden Geist-
lichen gehen zurück:
I. Exauctoratio Hludowici. pr. 'Omnibus in christiana
religione'. C. 1 'Videlicet sicut in eadem' (8 cc). —
Pithoeus, SS. coaetanei 322. Baronius 833 n. 9. Binius
III, 1, 573. Goldast, Const. II, 16. Sirmond II, 560.
Duchesne, SS. II, 331. Coli. reg. conc. XXI, 278. Vorburg,
Hist. XI, 251. Labbe-Cossart VII, 16S6; ed. Coleti IX, 801.
Hardnin IV, 1377. Lünig, RA. XV. 111. Bouquet VI, 243.
Mansi XIV, 647. MG. LL. I, 366. Migne XCVII, 659.
MG. Cap. II, 51.
II. Urkunde Agobards von Lyon. 'I. n. D. . . . anno
ine. eius 833. ego Agobardus'. — Hs. Paris 2853 s. IX. —
Masson, Agobardi opp. 378. Baronius 833 n. 20. Sirmond
II, 564. Duchesne, SS. II, 329. Coli. reg. conc. XXI, 285.
Baluze, Agobardi opp. II, 73. Vorburg, Hist. XI, 255.
Labbe-Cossart VI, 1691; ed. Coleti IX, 806. Bibi. patr.
Lugd. XIV, 319. Harduin IV, 1382. Bouquet VI, 24(;.
Mansi XIV, 652. MG. LL. I, 369. Migne XCVII, 664.
CIV, 319. MG. Cap. II, 56.
835 Februar-März. Diedenhofen.
I. Resignation Ebos von Rheims von 835 März 4.
'Ego Ebo indignus'. — Hss. Berlin 89, Phill. 1765 s. X.
XL Brüssel 5413-5422 s. X. Rom,Vat. Pal. 576 s. IX. ex.
— Hinkmar De praed. c 36, Hincmari opp. ed. Sirmond I, 324.
490 Albert Werrainghoff.
Apolog-eticiim Ebonis, d'Acherj, Spie. VII, 180. III 2, 336.
Narratio clericorum Remensium, Duchesne, SS. II, 341.
Flodoard Hist. eccl. Rem. II, c. 20, MG. SS. XIII, 473.
MG. LL. I, 370. MG. Gap. II, 57; vgl. die Stelle aus
Cod. Pal. 576 (auch im Cod. Bruxell. 5413—22) bei Labbe-
Cossart VII, 1698.
II. Protokoll über die Resignation Ebos, bestehend
aus der obigen Verzichtsurkunde und dem bei Hinkmar,
1. 1. überlieferten Stück 'Acta est haec Ebonis professio'
u. s. w. — Hs. Laon 407 s. IX. X.. als Bestandteil der
von der Synode zu Troyes 867 an Nicolaus I. gesandten
Akten.
III. Brief des Plorus von Lyon an die Synode.
'Audite, patres'. — Martene et Durand, Coli. IX, 666
ex mss. Pelteriano et Harlaeano. Mansi, Suppl. I, 867.
Hartzheim II, 66. Mansi XIV, 663. Migne CXIX, 94;
vgl. Simson II, 185. Hefele IV-, 87. — lieber die mit
dem Reichstag verbundene Synode vgl. Simson II, 126.
BM. I n. 909a-c. — Vgl. unten 838 Sept. Quierzy.
8 36 Februar. Aachen.
I. Reformvorschläge in 3 Büchern. Lib. I. De vita
episcoporum. pr. 'I. n. s. T. cum convenissemus episcopi'.
C. 1 'Initium enim episcopalis' (12 cc). Lib. II: a) De
doctrina episcoporum. pr. 'Cousultum enim est'. C. 1 'Primo
visum est' (12 cc); b) De vita et doctrina inferiorum
ordinum. pr. 'Quia vero de vita'. C 1 'Ut abbates canonici'
(16 cc). Lib. III. De persona regis filiorumque eins et mini-
strorum. pr. 'Tertium quoque capitulum'. C 1 'Ut quid
rex' (25 cc). — Hs. Wolfenbüttel, Heimst. 365 s. X. — Surius
III, 409. Bollanus-Nicolini III, 821. Binius III, 1, 575.
Sirmond II, 574. Coli. reg. conc. XXI, 295. Labbe-Cossart
VII, 1700; ed. Coleti IX, 815. Harduin IV, 1387. Hartz-
heim II, 73. Mansi XIV, 671. — üeber die Quellen vgl.
die Anm. zu MG. Cap. II, 26 n. 196; über die Beziehungen
zu Pseudoisidor vgl. Knust, De f ontibus . . . Ps. - Isidorianae
collectionis 11 und Hinschius, Decretales Pseudoisidorianae
CXXVI.
IL Denkschrift an Pippin von Aquitanien in 3 Büchern.
Lib. I. pr. 'Nos igitur fidelissimi'. C. 1 'Sunt enim non-
nulli' (38 cc). Lib. IL pr. 'Praesens opusculum'. C. 1 'Dixit
autem losue' (31 cc). Lib. III. pr. 'In fine praecedentis'.
C. 1 'Ait enim inter cetera' (27 cc). — Hss. Berlin 87,
Phill. 1763 s. IX. X. Bern 303 s. IX. X. Köln 125 s. IX.
London, Add. 10459 s. IX. Metz 226 s. XL — Crabbe
Verzeichnis der Akten fränkischer Synoden von 742 — 843. 491
II (1551), 703. Sagittarius 402. loverius II, fol. 111.
Surius III, 428. Bollanus - Nicolini III, 840. Binius
III, 1, 583. Sirmond II, 596. Coli. reg. conc. XXI, 336.
Labbe-Cossart VII, 1727; ed. Coleti IX, 842. Harduiu
IV, 1408. Hartzheim II, 91. Mansi XIV, 696. — Ver-
loren ist ein kürzeres Schreiben an Pippin, vgl. Einleitung-
zu II. — üeber die Synode vgl. Simson II, 148. BM.
I n. 923 a. Dümmler I-, 114.
838 September. Quierzy (Reichstag und Synode).
I. Brief des Florus von Lyon an die Synode. 'Obsecro,
mansuetissimi'. — Hs. Paris 13371 s. X. — Martene et Du-
rand, Coli. IX, 641. Mansi Suppl. I, 869. Hartzheim II, 67.
Mansi XIV, 663. Migne CXIX, 71. MG. Epp. V, 267.
II. Desselben 'opusculum de causa fidei'. 'Ees nu-
perrime apud Carisiacum'. — Hs. Paris 13371 s. X. —
Martene et Durand. Coli. IX, 649. Mansi, Suppl. I, 875.
Mansi XIV, 741. Migne CXIX, 80. — Vgl. Simson II, 183.
Hefele IV-, 97. Mönchemeier, Amalar von Metz 44 ver-
sucht den Nachweis, dass der Brief des Florus an die
Synode zu Diedenhofen (vgl. oben z. J. 835) und der zweite
Theil des opusculum zusammen eine Rede des Florus auf der
Synode zu Quierzy bildeten, während der erste Theil des
opusculum den eigentlichen Bericht über diese Synode ent-
halte.
838 Oktober 15. Toul.
Urkunde Frothars von Toul. 'Perspicue cognoscimus'.
— Calmet, Hist. de Lorraine I, pr. 484. II ^ pr. CXXVl.
Hartzheim II, 136. Gallia christ. XIII, instr. 450 ex
archivo S. Apri; vgl. 447 (= Mabillon, De re dipl. 524).
840 Mai 12. Le Mans.
Urkunde Aldrichs von Le Mans. 'Cum in Dei nomine'.
— Gesta Aldrici c. 5S, Baluze Mise. III, 146; ed. Mansi
I, 112.
840 Mai 12. Chieti.
Urkunde Theoderichs von Chieti. 'Cum synodali
more'. — Ughelli, Italia sacra VI-, 679. Mansi Suppl.
I, 897. Mansi XIV, 779.
840 August. Ingelheim.
Urkunde Lothars I. von 840 luni 24 (über das Datum
vgl. Mühlbacher, Wiener SB. LXXXV, 511). 'Quia con-
fessio delictorum'. — Hss. Laon 407 s. IX. X. Paris, Nouv.
492 Albert Werminghoff.
acq. 469 (Copie Sirmonds aus Hs. der Abtei Herivaux). —
Flodoard Hist. Eem. II, c. 20, MG. SS. XIII, 473. MG.
Cap. II, 111. Codex üdalrici, Gretser, Divi Bambergenses
523. — Goldast, Const. I, 189. Sirmoiid II, 631. Coli,
reg. conc. XXI, 399. Labbe-Cossart VII, 1771; ed. Coleti
IX, 905. Baluze II, 341. Hardiüu IV, 1447. Gallia ehrist.
IX, instr. 6. Hartzheim II, 139. Maiisi XIV, 773. XVII,
app. II, 233. Walter III, 262. MG. LL. I, 374 (= BM.
I 11. 1038, wo weitere Drucke verzeichnet sind). — Vgl.
Apologeticum Ebonis, d'Achery, Spie. VII, 175. III '^, 335
(ob dessen 2. Theil als Beschluss einer Rheimser Synode von
840 Dez. 6 anzusehen ist, bleibt ungewiss; vgl. Hampe,
Neues Archiv XXIII, 186, der darauf hinweist, dass die
Synode von Soissons i. J. 853 das Schriftstück als gefälscht
hinstellte); Narratio clericorum Remensiuni, Duchesne, SS.
II, 341. 342; Schreiben der Synode von Troyes 867 und
Karls an Nikolaus I., Mansi XV, 791. 796. — Zur Synode
vgl. Hefele IV-', 100. Dünimler I^, 142.
842. Mailand?
Urkunde Angilberts von Mailand. "Notuin esse cupi-
mus'. — Muratori, Ant. Ital. V, 985. Sassi, Ser. arch.
Med. II, 290. Gradonicus, Brix. sacra 121. Mansi, Suppl.
I, 903. Mansi XIV, 791. Cod. dipl. Langob. 257; vgl.
ibid. 245.
Anhang.
Zeitlich unbestimmbar und noch zu untersuchen
bleiben:
1. 8 Canones einer Pariser Synode, die Mansi
IX, 749 als Anhang der Synode zu Paris von 556 — 573
(MG. Conc. I, 141) zusammenstellt und als der 'disciplina
sub Ludovico Pio vel saltem saeculo IX.' entsprechend
bezeichnet, worin ihm Hefele III-, 14 zustimmt.
2. 7 oder 8 Canones einer Synode zu Ronen, die
Bessin, Conc. Eotomag. 14 und Mansi XIV, 107 der Zeit
Ludwigs des Pr. zuweisen.
3. 16 Canones einer Synode zu Ronen, die u. a.
Bessin, a. a. o. 8 und Bruiis, Canones II, 268 ins Jahr 658
setzen, während sie Harduin VI, 1, 206 mit dem ersten
Herausgeber Pommeraye in die Zeit Ludwigs des Stammlers
{t 879) verlegt. Hefele III-, 96 glaubt sie in karolingischer
Zeit entstanden, Hauck II, 660 Amn. 2 in der Zeit
Ludwigs des Frommen.
Verzeichnis der Akten fränkischer Synoden von 742 — 843. 493
II. Acta spuria.
7 10 April 29. Lüttich.
Canones. C. 1 'Forma verborum' (10 cc). — Eobert,
Vita S. Huberti 166. Hartzheim I, 32. — Vgl. Binterim,
Prag-m. Gesch. II, 13. Hefele III'-', 361.
747.
Entsetzung des Mainzer Bischofs Cervilio. C. 1 'Ger-
vilionem Moguntinum' (2 cc). — Goldast, Const. I, 15.
Lünig, RA. XVI, 1 (= BM. I n. 50).
7 53 Januar. Rom.
Schreiben Stephans II. 'ßesidentibus nobiscum'. —
Mabillon. Acta SS. ord. S. Ben. IV, 1, 5. Ughelli, Italia
Sacra II-, 84. Muratori, SS. I, 2, 189. Mansi, Suppl.
I, 601. Mansi XII, 567. Bull. Rom. E. T. I, 241. Migne
LXXXIX, 1019. MG. SS. rer. Lang. 567 (hier Hadrian
zugewiesen) (= JafPe-E. I^ n. 2309). —Vgl. Hefele III 2, 577 K
7 74 Juni. Rom.
Decret Hadrians I. 'Adrianus papa Romanus'. —
Hss. Douay 7U0 s. XII. Paris 4282 s. XII. Rom, Vat. 1984
s. XI. XII. — Ivo, Pan. VIII, c. 135. Gratian c. 22
D. LXIII. — lieber die Quelle der Fälschung und ihre Ver-
werthung vgl. Bernheim, Forsch, z. Deutsch. Gesch. XV, 633.
Weitere Nachweise bei Hinschius, KR. I, 229. Jaffe-E.
l\ 292. BM. I n. 159b. Abel-Simson I, 175.
788 (?) Juni 27. Narbonne.
Spruch über die Grenzen der parochia Narbouensis.
'Anno ine. dorn. 788.'. — De Catel, Memoires de l'histoire
du Languedoc 743 ex arch. Narbon. Delalande 85. Labbe-
Cossart VII, 964; ed. Coleti IX, 1. De Marca, De concor-
dantia sacerdotii et imperii II, 163. 11% 923. III •\ 174.
III^ 174. Le Cointe VI, 464. Harduin IV, 821. Devic et
Vaissete, Histoire gen. de Languedoc I, pr. 26. ed. 2^ II,
pr. 54. Gallia christ. VI, instr. 2. Mansi XIII, 821. —
Vgl. Proben bei Migne CI, 307, dagegen Hefele III-, 662.
Grössler, Eislebener Progr. 1879, 45.
1) Fälschungen im eigentlichen Sinne des Wortes möchte ich nicht
die drei von Petrus a Thymo, Historia Brabantiae diplom. ed. Reiffenberg
I, 196 zu einer angeblichen Synode von Worms 770 gestellten Canones
nennen; vgl. BM. I n. 135b.
494 Albert Werminghoff.
821 October. Diedenhofen.
I. Vorschlag- der Bischöfe, pr. 'In concilio apud Theo-
donisvillaui'. C. 1 'Si quis subdiacoiuim' (4 cc). — Hss.
Gotha inembr. I n. 84 s. X. XI. Köln 124 s. XI. (pr.).
München 3853 s. X. (pr. mut.). Prag, Böhm. Mus. 277 s. XI.
(pr., cc. 1-3) (ob gleich Böhm. Mus. I. G. 13 s. X.'?). Prag,
Univ. VIII H. 7 s. XII. Eom, Vat. Pal. 584 s. XII. ?Eom,
Vat. 1350 s. XII. — Crabbe II (1538), fol. CXXV'. II (1551),
704. Sagittarius 396. loverius II, fol. 102. Goldast, Const.
11,13. Surius III, 269. Bollanus-Nicolini III, 677. Binius
III, 1, 470. Sirmond II, 445. Coli. reg. couc. XXI, 46.
Le Cointe VII, 573. Labbe-Cossart VII, 1519; ed. Coleti
IX, 611. Baluze I, 625. Harduin IV, 1237. Georgisch 865.
Hartzheim II, 23. Mansi XIV, 389. XV, app. 425; vgl.
Mansi Suppl. I, 823. Walter II, 351. Theiner, Disquis.
criticae 320. MG. LL. II, 2, 5. Migne XCVII, 677. MG.
Cap. I, 359.
II. Capitulare Karls und Ludwigs, pr. 'Placuit nobis
et fidelibus'. C. 1 'Constituimus, ut si quis subdiaconum'
(6 cc). — Hss. Florenz, Laur. Gadd. LXXXVIIII sup. 31
s. XII. (abgedr. Nevies Archiv XX, 315). Gotha menibr. I
n. 84 s. X. XI. München 3909 s. XII. (abgedr. Schmitz,
Bussbücher 738). ?Eom, Vat. 1350 s. XII. Salzburg, S.Peter
a. VIII 7 s. XII. — Crabbe II (1538), fol. CXXVI. Crabbe II
(1551), 704. Sagittarius 397. loverius II, fol. 102'. Surius
111,270. Bollanus-Nicolini III, 678. Binius III, 1, 471.
Goldast II, 14. Sirmond II, 447. Coli. reg. conc. XXI, 48.
Labbe-Cossart VII, 1519; ed. Coleti IX, 611. Baluze I, 627.
Harduin IV, 1239. Georgisch 867. Hartzheim II, 24.
Mansi XIV, 390. XV, app. 425. Walter II, 353. MG. LL.
II, 2, 6. Migne XCVII, 678. MG. Cap. I, 361 (= BM.
I n. 475). — Vgl. Gretser, Opera VI, 196. 388. Phillipps,
Wiener SB. XLIX, 655. Mayer, Zur Entstehung der Lex
Ribuariorum 177. MG. Cap. I, 359. — Beide Stücke auch
bei Burchard VI, cc. 5. 6 und Ivo, Decr. X, cc. 134. 135.
833? Worms? Sens?
Urkunde Aldrichs von Sens für das Kloster St. Eemi.
'Optime venerabilis'. — Copie im Archiv des Depart. de
l'Yonne s. XVL — d'Achery, Spicil. II, 579; vgl. 21. I^, 593.
Le Cointe VIII, 279. Mabillon, Acta SS. ord. s. Ben. IV,
1, 576. Labbe-Cossart VII, 1678; ed. Coleti IX, 793. Har-
duin IV, 1369. Gallia christ. XII, instr. 3. Mansi XIV,
639. Quantin, Cartulaire de l'Yonne I, 39. — Wohl in-
terpoliert; vgl. die gleichlautende Urkunde Weuilos von
Verzeichnis der Akten fränkischer Synoden von 742 — 843. 495
Sens, Quautin I, 63. Simson II, 291, wo Näheres über
das Datum und den Ausstellungsort, der nach BM. In. 918
bei Bouquet VI, 605 Worms, nach dem Drucke der gleichen
Urkunde bei d'Acherj I^, 594 Sens ist. Hefele 1Y\ 81
spricht (wohl kaum richtig) von einer Synode zu Worms.
8 38 September 6. Quierzy.
Urtheil im Streit Aldrichs von Le Maus mit dem
Kloster St. Calais. 'Cum in nomine Domini'. — Gesta
Aldrici c. 50, Baluze Mise. III, 132; ed. Mansi I, 109
(= Hübner, Gerichtsurkk. I n. 293). — Vgl. Baluze, 1. 1. III,
114. 137; ed. Mansi 1, 105. 110. Eoth, Beneficialwesen 451.
Hefele IV 2, 96. BM. I n. 945. 949-951.
839 Juni 20. St. Omer.
Urkunde Folkuins von Terouanne (Morinie). 'Quic-
quid ob amorem'. — Mabillon, Acta SS. ord. S. Ben. III,
1, 122. Guerard, Cartulaire de l'abbaye de S. Bertin (Coli,
des cart. de France III) 85. — Auszüge bei Malbrancq,
De Morinis II, 235. Mabillon, Ann. ord. S. Ben. II, 611.
II-, 570 (hier zu Febr. 20). Miraeus, Opera dipl. IV, 345.
Mansi XIV, 771. — Ueber den Bischofssitz Folkuins vgl.
Gallia christ. X, 1572. Laianne, Dictionnaire bist, de la
France 1702. — Ueber die Fälschung vgl. Holder - Egger,
Neues Archiv VI, 421 Anm. 4, der als Quelle die 'keineswegs
unverdächtige' Urkunde vom 29. Juni 839 bei Guerard,
a. a. 0. 87 nachweist.
Litteraturverzeichnis.
S. Abel, Jahrbücher des fränkischen Reiches unter Karl d. Gr. I
(768—788). 2. Aufl. bearb. von B. Simson. Leipzig 1888.
Abhandlungen der churfürstlich - baierischen Akademie der "Wissen-
schaften I. München 1763.
L. d'Achery, Veterum aliquot scriptorum . . . spicilegium 11 (Parisiis
1657). VII (1666); ed. 2^. per F. J. de la BaiTe I (Parisiis 1723). II
(1723). lU (1723).
.J. Saenz de Aguirre, CoUectio maxima conciliorum omnium Hi-
spaniae et novi orbis. Ed. 2^. IV (Romae 1754).
Analecta Divionensia. Documents inedits pour servir ä l'histoire
de France et particulierement ä celle de Bourgogne I. Dijon 1864.
Anselm von Lucca, Collectio canonica; die Capitelüberschriften bei
Migne, Patrologia latina CXLIX (Paris 1858), 485 sqq.
Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde 11
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versitätsbibliothek Würzburg in alphabetischer Reihenfolge verzeichnet.
Würzburg 1886.
Zeitschrift für Kirchengeschichte, herausgeg. von Th. Brieger, XII.
Gotha 1891.
Zeitschrift für wissenschaftliche Theologie, herausgeg. von A. Hilgen-
feld, XLI (NF. VI). Leipzig 1898.
XL
Briefe
zur Geschichte des 13. Jahrhunderts
aus einer Diirhamer Handschrift.
Von
K. Hampe.
Der Cod. C IV, 24 der Durhamer Kathedralbibliothek
ist ein starker Sanimelband von 364 Blättern. Verschiedene
Hände haben im Anfang- des 14. Jhs. eine grosse Menge
von Briefen und Formeln ohne jede Ordnung in ihn ein-
getragen. Wie ich schon in dieser Zeitschrift Bd. XXII, 609
bemerkt habe, konnte ich die Hs., die ich in Durham selbst
geprüft hatte, durch die ausserordentliche Freundlichkeit
des Bibliothekars Eev. W. Greenwell und mit Erlaubnis
des Capitels später auf der K. Bibliothek in Berlin mit
mehr Müsse benutzen. Mein Interesse nahmen in erster
Linie die Dictamina des Ricardus de Pofis in Anspruch,
auf die ich hier nicht näher eingehen will, ehe ich nicht
andere Hss. zum Vergleich herangezogen habe ; doch enthält
der Cod. auch sonst manche mittheilenswerthe Briefe, und
mit ihnen werde ich mich im Folgenden beschäftigen. Da
sie zwar alle dem 13. Jh. angehören, aber inhaltlich
sehr verschieden sind , würde sich die Besprechung am
natürlichsten der Beschreibung der Hs. anschliessen. Um
jedoch die Geduld des Lesers auf keine allzu harte Probe
zu stellen, hebe ich zuvor einzelne wichtigere Stücke heraus
und lasse erst dann die Aufzählung des sonstigen Inhalts
folgen.
1. Abt Hermann von Corvey und die römische
Curie in den Jahren 1227 — 1233.
Ohne alle Namen und Daten findet sich auf f. 73
unserer Hs. ein Brief, der, auch wenn eine genauere Be-
stimmung nicht möglich wäre, schon als Culturbild durch
seine lebhafte Schilderung Beachtung verdienen würde.
Eine Prüfung des Inhalts wird uns indessen die wichtigeren
unter den ausgelassenen Namen errathen lassen. Der Vor-
gang, um den es sich handelt, ist folgender:
Ein Abt hat den päpstlichen Befehl erhalten, einem
erwählten Bischof ein jährliches Einkommen von zehn Mark
zu zahlen; aber er weigert sich, und erst als die vom Papst
506 K. Hampe.
ernannten Executoren gegen ihn die Excommunication ver-
künden, erbietet er sich, einem Kanoniker, der als Be-
vollmächtigter jenes Erwählten zu ihm kommen v^ürde,
eine Kirche mit entsprechendem Einkommen zu überweisen.
Mit einem päpstlichen Schreiben und einem leeren
Pergamentstück, das im voraus mit dem Siegel des Er-
wählten versehen ist und zur urkundlichen Aufzeichnung
seiner Befriedigung durch jene Uebertragung dienen soll,
trifft der Kanoniker bei ihm ein , um nur zu bald zu
erfahren, dass er das Opfer eines listigen Anschlags ge-
worden ist. Denn wie er eben bei der Tafel sitzt, dringen
auf Anstiften des Abtes Ritter in den Saal, beschuldigen
ihn, er habe an deutsche Fürsten verrätherische Briefe
gegen den Kaiser und seinen Sohn gebracht und schleppen
ihn mit sich fort an den Hof des kaiserlichen Sohnes.
Dort wird er in Gegenwart mehrerer Fürsten seiner Habe
beraubt, mit gefesselten Händen auf einen elenden Klepper
festgebunden, und in dieser schimpflichen Verfassung muss
er dem höfischen Zuge zwei Monate lang durch Städte
und Dörfer und über Land voranreiten. Fast ein Jahr
lang schmachtet er, mancherlei Misshandlungen ausgesetzt,
im Kerker. Endlich kommt seine Unschuld an den Tag.
Durch einen kaiserlichen Befehl wird er in Freiheit ge-
setzt, doch obwohl sich der Papst selbst beim Kaiser für
ihn verwendet, erlangt er das ihm genommene Gut nicht
zurück. Jetzt laden die oben genannten Executoren den
schuldigen Abt vor sich, und als er durch Appellation an
die Curie Aufschub zu erlangen sucht, erklären sie diese
Berufung für nichtig und verurtheilen ihn bei Strafe der
Excommunication zum Schadenersatz von hundert Mark.
Der aber denkt nicht daran, die Summe zu zahlen, sondern
weiss in Gemeinschaft mit mehreren Fürsten durch
Drohungen den Kanoniker derart einzuschüchtern, dass er
sich wider Willen der Gnade des Abtes unterwerfen muss.
Trotzdem scheint der Geschädigte bald an die Curie ge-
flüchtet zu sein und dort das vorliegende päpstliche
Schreiben erwirkt zu haben, das eine erneute Untersuchung
anordnet, uns am Schlüsse aber nicht ganz vollständig
überliefert ist.
Dass es sich hier in der That um ein päpstliches
Schreiben handelt, geht aus der Bezeichnung des Kaisers
als 'des theuersten Sohnes in Christo' klar hervor; die ganze
Fassung spricht ferner durchaus dafür, dass wir es mit
einem echten Briefe, nicht etwa nur mit einer Stilübung
zu thun haben. Nach dem sonstigen Bestände der Sammlung
Briefe zur Geschichte des 13. Jhs. aus einer Durhaiuer Hs. 507
kann als Kaiser nur Friedrich II. ernstlich in Betracht
kommen, und das Schreiben fällt dann jedenfalls in eine
Zeit, in der jener nicht excommuniciert war, d. h. zwischen
den 22. Nov. 1220 und 29. Sept. 1227 oder zwischen den
28. Aug. 1230 und 20. März 1239. Das gilt natürlich
nur für die Absendung des Schreibens; die darin ge-
schilderten Ereignisse, die sich ja über eine längere Zeit
erstrecken, können auch in den Jahren 1227 — 1230 ge-
schehen sein. An Fürsten Deutschlands sollen die ver-
rätherischen Briefe überbracht sein, gemeinschaftlich mit
andern Fürsten hält der Sohn des Kaisers Hof: also ist
Deutschland der Schauplatz. An Konrad IV. , der am
20. März 1239 noch nicht das 11. Jahr erreicht hatte, ist
kaum zu denken; vielmehr wird Heinrich (VII.) jener
Sohn des Kaisers sein, und die schimpfliche Behandlung,
die er einem vom Papste begünstigten Kleriker angedeihen
lässt, deutet auf eine Zeit des Kampfes mit der Curie.
Blättern wir nach diesen Erwägungen die päjjstlichen
ßegesten der Jahre 1227 — 1230 durch, so führt uns gleich
ein Schreiben aus den letzten Tagen Honorius' III. auf die
richtige Spur.
Der Erwählte Engelbert von Osnabrück, ein Bruder
Friedrichs von Isenburg, war der Mitschuld an der
Ermordung Engelberts von Köln bezichtigt worden und
hatte darüber sein Bisthum verloren ^ Später aber gewann
er die Gunst des Papstes wieder. Am 11. Jan. 1227 befahl
Honorius III. dem Domprobst, dem Domdecan und dem
Decan von S. Stephan in Mainz, dafür zu sorgen, dass dem
Erwählten Engelbert in den Bisthümern Osnabrück, Utrecht
und Münster, sowie in den Abteien Hersfeld, Werden und
Corvey Pfründen von bestimmtem Werthe überlesen
würden '-. Ist es schon an sich ein seltener Fall , dass
Aebte durch päpstlichen Befehl gezwungen werden, einem
erwählten Bischof ein jährliches Einkommen zu zahlen,
so schliesst die Uebereinstimmung der angegebenen Geld-
summe mit der unseres Briefes jeden Zweifel an der
Richtigkeit der Beziehung aus ; denn auf dreissig Mark
werden die drei Aebte verpflichtet, 'ita quod quilibet eorum
in decem provideant annuatim — ab eis ac eorum suc-
cessoribus ei vel procuratori eins, quoad vixerit, exhibenda',
während es in unserm Briefe heisst: 'ut — decem marcarum
redditus solveret annuatim'.
1) Vgl. Winkelmann, Jahrb. d. d, R. unter Fried. II Bd. I, 473 N. 1.
2) M. G. Ep. pont. I, 254.
508 K. Hampe.
Wir kennen damit den Erwählten und die Executoren ;
betreffs des Abtes haben wir noch die Wahl zwischen
denen von Hersfeld , Werden und Corvey. In dem ge-
nannten Schreiben Honorius' III. werden indes der Abtei
Werden noch besondere Verpflichtungen auferlegt; sie soll
ausser jener Zahlung den Erwählten Engelbert als Kanoniker
aufnehmen und ihm Praebenden anweisen. Da in unserm
Briefe davon keine ßede ist, so kommt Werden für uns
nicht in Betracht. Abt Ludwig I. von Hersfeld (1217 —
1240) hatte um das Jahr 1222 eine vom Papste angeordnete
Visitation über sein Kloster ergehen lassen müssen ^ ; an
der stauferfreundlichen Haltung seiner Vorgänger wird
auch er festgehalten haben, aber politisch tritt er wenig
hervor. Dagegen stimmen die Berichte unserer Quellen
über den Abt Hermann von Corvey (1223 — 1255) so vor-
trefflich zu den Angaben unseres Briefes, dass ich im
Folgenden den Versuch mache, beide mit einander zu ver-
flechten, und hoffe, dass die Thatsachen für sich selber
sprechen werden.
Hermann stammte aus dem Geschlechte derer von
Holte und war ein Bruder des Bischofs Ludolf von Münster,
der an die Stelle des abgesetzten Isenburgers Dietrich ge-
treten war-. Der Mörder Friedrich von Isenburg hatte
Lehen von ihm besessen; nach ihrem Heimfall zog der
Abt selbst Gewinn daraus , doch bestand immerhin die
Möglichkeit, dass die Söhne Friedrichs ihre Ansprüche
darauf rechtlich durchsetzten ^. Sein eigenes Interesse
brachte ihn also in einen gewissen Gegensatz zu den Isen-
burgern. — Hermann tritt in der Reihe der Aebte von
Corvey als eine bedeutende Persönlichkeit hervor. Ein
späterer Chronist* rühmt ihn als gelehrten Schriftsteller,
der der griechischen Sprache kundig war, aber auch als
weltklugen und betriebsamen Mann, auf dessen Rath der
Mainzer Erzbischof in bedeutsamen und schwierigen An-
gelegenheiten etwas gab. Unter den deutschen Geistlichen,
welche bald in scharfen Gegensatz zur Curie traten und
nicht zum wenigsten gegen die selbstherrliche Verleihung
1) Vgl. den Befehl Honorius' III. vom 18. Febr. 1222, Wenck,
Hessische Landesgeschichte III, Urkb. S. 99. 2) Vgl. Westfäl. Urkb. IH
n. 242. 3) Vgl. ebd. IV n. 166 : Im J. 1228 überträgt Hermann seinem
Capitel gegen Zahlung von 15 Mark 2 Fuder Wein, die früher Graf
Friedrich von Isenburg zu Lehen getragen. Sollten dessen Söhne das
Lehen rechtlich wieder erstreiten, so würde er dem Capitel jene Summe
zurückzahlen. 4) Vgl. Ann. Corbeienses bei Leibniz SS. rer. Brunsvic.
II, 310.
Briefe zur Geschichte des 13. Jhs. aus einer Durhamer Hs. 509
von Pfründen durcli den Papst oder seine Legaten Wider-
spruch erhoben, stand Hermann in der ersten Reihe ^. Was
Wtinder, dass er die Belastung seines Klosters mit einer
jährlichen Zahlung an den Erwählten von Osnabrück, den
Isenburger und Günstling des Papstes, mit Entschiedenheit
verweigerte. Das Verfahren der Executoren gegen ihn wird
sich das Jahr 1227 durch hingezogen haben. Etwa zu
Beginn des neuen Jahres mag der Kanoniker, dessen
Namen wir nicht ermitteln können, als Bevollmächtigter
des Erwählten Engelbert nach Corvej gekommen sein.
Eben damals war Deutschland in Aufregung über die
Excommvmication Friedrichs II. Unsichere Gerüchte durch-
schwirrten die Luft. Es hiess, dass Herzog Ludwig von
Baiern und andere Fürsten in ihrer Treue gegen den
Kaiser wankend geworden seien'-. An Versuchen des
Papstes, sie auf seine Seite zu ziehen, hat es in der Folge-
zeit nicht gefehlt. Unser Kanoniker kam nun geradeswegs
von Pom, mit einem päpstlichen Schreiben in seiner Tasche.
Ein boshafter Anschlag des Abtes war da kaum erforderlich,
um den Verdacht verrätherischer Zettelungen auf ihn zu
lenken. Am Hofe Heinrichs (VII.), wo er verurtheilt
wurde, ist auch Abt Hermann wahrscheinlich zugegen ge-
wesen; er wird dort seinen Einiiuss aufgeboten haben,
um seinen Gegner unschädlich zu machen. Etwa im
Febr. 1228 hat nun Heinrich (VII.) in Ulm für ihn eine
Urkunde ausgestellt ^. Wenn Hermann persönlich anwesend
war, so hat er vielleicht damals den gefangenen Kanoniker
an den königlichen Hof begleitet, und es würde dazu
stimmen, dass Heinrich sich in den folgenden beiden
Monaten nicht längere Zeit an einem Platze aufgehalten
hat^, sondern durch Städte und Dörfer zog, wie es in
unserem Briefe heisst.
Das Jahr der Gefangenschaft des Kanonikers, das
nun folgte, führt uns schon etwa in den Sommer 1229,
und früher kann seine Befreiung auch keinesfalls ange-
setzt werden; denn wenn er sie der Gnade des Kaisers
verdankte, so kann sie erst nach dessen Rückkehr aus dem
heiligen Lande erfolgt sein. Darauf wird die Angelegenheit
eine Zeit lang geruht haben; der Kanoniker bemühte sich
vergeblich, wieder in den Besitz der ihm unrechtmässig
genommenen Habe zu gelangen. Erst nach dem Frieden
von S. Germano konnte sich Gregor IX. beim Kaiser für
1) Vgl. Winkelmann, Jahrb. Fried. 11 Bd. 11, 236. 237. 2) Vgl.
Reg. imp. V, B -F. 4084a. 3) B - F. 4097. 4) Vgl. B - F. 4099 ff.
510 K. Hampe.
ihn verwenden , und der Wortlaut unserer Briefstelle :
'quamquam universalis ecclesiarum prelatus apud iam dictum
inperatorem pro ipso institerit', macht es wahrscheinlich,
dass das mündlich bei ihrer Zusammenkunft in Anagui
im Sept. 1230 geschehen ist.
Inzwischen hatten die obengenannten Executoren ihr
Verfahren gegen den Abt von Corvey wieder aufgenommen;
es ist schon erzählt, wie er auch jetzt in seinem Wider-
stände verharrte, die Auszahlung des Schadenersatzes ver-
weigerte und endlich den Kanoniker so einzuschüchtern
wusste, dass er von seiner Forderung Abstand nahm. Dann
aber brachte jener die Sache noch einmal vor die Curie,
und nun befahl Gregor IX. eine neue gerichtliche Unter-
suchung. Man wird vielleicht nicht allzu sehr irre gehen,
wenn man das vorliegende Schreiben etwa in das Früh-
jahr 1231 setzt.
Leider erfahren wir nichts weiter über den Verlauf
des Verfahrens. Ich vermuthe, dass es überhaupt nicht
zur Ausführung gekommen ist, u. zw. deshalb, weil der
Abt durch neue, noch ernstere Widersetzlichkeit gegen die
Curie sein Amt verwirkte, wodurch jede Untersuchung über
seine sonstigen Vergehen überflüssig gemacht wurde. Denn
als sich im Febr. 1231 ^ auf dem Concil zu Würzburg
gegen den päpstlichen Legaten Otto von S. Nicolaus in
carcere TuUiano von Seiten der deutschen Geistlichkeit
die schärfste Opposition erhob, hat sich Hermann mit be-
sonderem Eifer daran betheiligt, wie wir nach allem, was
geschehen war, wohl begreifen. Der Legat aber antwortete
jetzt mit der Suspension des Abtes von seinem Amte -.
In den Zeiten des Kampfes und der Unruhen hatte sich
Hermann von Corvey Jahre hindurch der Curie gegenüber
behaupten können, ohne nur einen einzigen Schritt zurück-
zuthun. Während des Friedens, der nun folgte, konnte
ein fortgesetzter Widerstand gegen den Papst zu nichts
führen. Im Frühjahr 1233 hat er sich persönlich nach
Rom begeben und die Aufhebung der Suspension von
Gregor IX. erlangt, der am 2. Mai den Convent des
Klosters Corvey davon in Kenntnis setzte ^. Welche Be-
dingungen ihm dabei auferlegt wurden, wissen wir nicht;
vielleicht hat er sie mit Geschick zu mildern verstanden,
1) Ich folge der von Winkelmann angenommenen Datierung, vgl.
B-F-W. 10181a, Jahrb. Fried. II, Bd. 11, 236. 237, wo man eine Dar-
stellung der Vorgänge auf diesem bedeutsamen Concil findet. 2) B-
F-W. 6926. 6959. 3) Westf. Urkb. V, 182.
Briefe zur Geschichte des 13. Jhs. aus einer Durhamer Hs. 511
aber seine Unterwerfung würde darum nicht wenig-er
zweifellos bleiben.
Ich habe versucht, die Angaben des vorliegenden
Briefes mit dem, was wir aus anderen Quellen über den Abt
Hermann von Corvey wissen, zu vereinigen, und denke, dass
sich alles aufs Beste ineinander fügt. Man wird daher mit
annähernder Sicherheit behaupten dürfen, dass sich gegen
ihn das päpstliche Schreiben richtet, welches uns so als
ein nicht unwichtiger Beitrag zur Kenntnis jener kämpf -
erfüllten Jahre deutscher Geschichte erscheint. Ich lasse
nunmehr einen Abdruck desselben folgen und füge die
nöthigen Ergänzungen in Klammern hinzu.
Papst (Gregor IX.) trägt ungenannten Rich-
tern die Wiederaufnahme des Verfahrens gegen
den Abt (Hermann von Corvey) auf, dessen Wider-
setzlichkeit gegen einen Befehl (Honori us' III.)
und dessen frevelhaftes Vorgehen gegen einen
bevollmächtigten Kanoniker des Erwählten
(Engelbert von Osnabrück) des Näheren dar-
gestellt werden. (Etwa Frühjahr 1231?)
ludicibus.
Si ad acciones [Hermanni] abbatis [Corbeiensis] respec-
tum debitum haberemus, ut iuxta quantitatem suorum exces-
suum reciperet stipendiameritorum, non solum ei adimeremus
nocendi licenciam, verum eciam sie eum graviter puniremus,
ut alii eins exemplo territi fu gereut ab ira Ventura et ab
accione perversa cohiberent penitus manus suas.
Sicut enim' . . [canonicus] in nostra proposuit pre-
sencia constitutus, sie in ipsius corde crevit malicia, quod,
cum olim a sede apostolica reciperet in mandatis, ut [Engelberto
electo Osnaburgensi] decem marcarum redditus solveret
annuatim. [ . . preposito maioris ecclesie et . . eiusdem
ecclesie et . . S. Stephani decanis Maguntinis] sibi super hoc
executoribus dej)utatis, et iidem executores in ipsum, dictum
redditum solvere renuentem, excommunicationis sentenciam
exigente iusticia protulissent et fecissent eam solempniter
publicari, eodemabbate, ut iniquitatem pareretpreconceptam,
proditorie, prout ex facto patuit, ex ipsis executoribus pos-
tulante, ut prefatum canonicum ipsius ^, equivalentem eius-
dem redditui electi nomine recepturiim [ecclesiam, ad se
mitterent] 2, idem tandem ^, multa victus executorum instancia,
1) Hier wohl 'Engelberti' zu ergänzen. 2) So oder ähnUch wird
zu ergänzen sein; in der Hs. fehlen die "Worte. 3) Corr. aus 'tarnen' Hs.
Neues Archiv etc. XXIV. 33
512 K. Hampe.
post eosdem nuncios^ cum litteris apostolicis et quadam
membrana vacua predicti electi sigillo munita, ut - optenta
premissa ecclesia de renunciacione redditus prelibata littera
vel instrumentum fieret, ad abbatem memoratum accessit.
Quem iu abathie mensa sedentem — procurante abbate
predicto ipso, ut dicitur — protinus . . milites tanquam
malefactorem et proditorem inperii, asserentes, quod ad
principes Alemannie tarn contra carissimum in Christo filium
nostrum [Fridericum] ^, quam contra suum filium quasdam
litteras detulisset, iniectis in eum manibus violentis ausu
temerario ceperunt et tractum iu pluribus inhoneste filii
eiusdem inperatoris conspectui presentarunt ^. Denique
coram eo et nonnullis aliis principibus coustitutus et spoliatus
primo rebus omnibus, ligatis manibus et pedibus sub vilis-
simo equo constrictis °, per civitates, vicos et plateas ipsis
presentibus et sequentibus per duos menses in contumeliam
creatoris et ignominiam clericalis ordinis*" est deductus ac
fere per annum ferreis constrictus conpedibus, non absque
multis ^ circumdantibus eum "^ tormentis, que non solum
longum, sed eciam flebile per singula reserare, carcerali
fuit custodie mancipatus.
Sed eo misericorditer faciente, qui salvat sperantes
in se, post multa ludibria, post cruciatus borribiles, post
tormenta crudelia, eins tandem conperta innocencia, inperiali
fuit gracia restitutus. Sed quamquam universalis ecclesia-
rum prelatus apud iamdictum inperatorem pro ipso in-
stiterit, nulla tamen facta est restitucio de ablatis.
Cum autemprefati executores supradictum [Hermannum]
excessus tarn detestabilis^ perpenderent non inmuuem ^*',
cuius manus in premissis omnibus fuisse publice fatebatur,
presertim cum potuerit et noluerit tanto facinori obviare,
ipsum ad suam presenciam citaverunt. Sed ipse ad ini-
quitatis sue presidium se convertens^^ et contempnens adire
presenciam eorundem ^-, directis ad eos quibusdam Sathane
filiis, per ipsos ^•" frustratorie ad nos vocem appellacionis
emisit. Quam execvitores predicti de prudencium virorum
consilio frivolam reputantes, sepedictum [Hermannum]
abbatem in C marcis argenti pro dampnis, que occasione
ipsius subierat idem canonicus'"^, condempnarunt, in ipsum,
1) Nämlich die Executoren. 2 Corr. aus 'et' Hs. 3) Die Hs.
hat '. . nostrum'. 4) 'presentarent' Hs. 5) Corr. aus 'constructis' Hs.
6) Am Rande von ders. Hand ergänzt. 7) 'multum' Hs. 8) Corr.
aus 'est' Hs. 9) 'detestabiles' Hs. 10) mnnie'Hs. 11) 'con-uentens' corr.
in 'converentens' Hs. 12) 'earundem' Hs. 13) So wohl statt 'quos' zu
lesen, da der Satz sonst Anakoluth wäre. 14) 'eidem canonico' Hs.
Briefe zur Geschichte des 13. Jhs. aus einer Durhamer Hs. 513
nisi infra certum terminum dictam summam exsolveret,
excommunicacionis sentenciam proferendo. At nominatus
abbas, peccata peccatis accumulans, non solum huiusmodi
peciiniam solvere non curavit, verum eciam et cet.^ Cumque
quamplures principes canonico ipsi comminati fuerint ^ viva
voce, qnod, nisi abbatis gracie se submitteret, eum lederent
in persona, ille, metuens insolenciam consuetam, cum timor
de veteri faciat ^ Ventura timeri, tali metu coactus, qui cadere
poterat in constantem, protestatus, quod hoc faciebat invitus,
ipsius gracie se submisit.
Nolentes igitur tante temeritatis excessum rigorem
fugere canonice ulcionis, cum latum delinquentibus sinum
intendat*, qui non condempnat errata, mandamus, quatinus
inquisita etc.''
2. Zur Datierung des Rundschreibens Gregors IX.
gegen Friedrich II. 'Ascendit de mari bestia' vom
Jahre 1239.
Das grosse Rundschreiben, durch welches Gregor IX.
im Sommer 1239 die Beschwerden, die Friedrich II. am
20. April desselben Jahres gegen ihn erhoben, vor aller
Welt zu widerlegen suchte, war bisher in fünf Ausfertigungen
bekannt. Die Datierung der frühesten, welche an den
Erzbischof von Canterburj gerichtet ist, mit dem 21. Mai
hat mannigfache Bedenken erregt. Obwohl Ficker*" auf
die Bemerkung Rodenbergs in den Ep. pont. I, 654 die
zeitliche Möglichkeit zugab, wollte er doch das 'XII. kal.
lun.' in 'XII. kal. lul.' ändern, da er eine so frühe Aus-
fertigung gerade für England für unwahrscheinlich hielt.
Als dann eine weitere Ausfertigung an die Bischöfe der
Mainzer Provinz mit'kalendis lunii' hinzukam, hätte Winkel-
mann doch mit Finke ' stutzig werden sollen ; trotzdem
nahm er auch hier denselben Schreibfehler an.
Der Durhamer Codex bringt nun auf f. 106 eine bisher
unbekannte Ausfertigung an den Kardinaldiakon Otto von
S. Nicolaus in carcere Tulliano, der damals Legat in England
war, zur Veröffentlichung im Bereiche seiner Legation be-
stimmt, ähnlich wie ihm am 11. April 1239 ein früheres Rund-
schreiben übersandt worden war.'^ Die Adresse lautet:
'Gregorius episcopus servus servorum Dei dilecto filio O.
sancti Nicholai in carcere Tulliano diacono cardinali apostolice
sedis legato salutem et apostolicam benedictionem'. Es
1) So Hs. ; es sind "Worte zu ergänzen, die einen Einschüchterungs-
versuch des Abtes bedeuten. 2) 'fuerunt' Hs. 3) 'faciet' Hs. 4) 'inpen-
dat' Hs. 5) So bricht die Hs. ab. 6) B-F-W. 7241. 7) Westfäl.
Urkb. V, 402. 8) B - F -W. 7229.
' 33*
514 K. Hampe.
folgt das Schreiben, wie es später in das päpstliche Register
eingetragen ist ^, in guter Ueberlieferung. Am Schluss der
Befehl : 'Clero et populo tue legacioni commissis plene ac
diligenter exponi facias supradicta. Dat. Laterani VI. kal.
lunii pontificatus nostri anno XIII.' Also eine Ausfertigung
vom 27. Mai, schon die dritte, die der an den Bischof von
Bologna vom 7. Juni voraufgeht. Mit der Annahme von
Schreibfehlern kommt man am Ende nicht mehr aus.
3. Ein Brief Innocenz' IV. an Ludwig den Heiligen
von Ende 1246.
Es war für die römische Curie ein Augenblick der
ernstesten Gefahr, als im November 1246 — also zit einer
Zeit, in welcher der Kampf mit dem Imperium seinen Höhe-
punkt erreicht hatte — auch in den Reihen des französi-
schen Adels eine scharfe Opposition gegen den Klerus, ins-
besondere gegen die von ihm angemasste richterliche Gewalt
erwachte, als sich ein Bund zur Abwehr seiner Uebergriffe
zusammenthat, mit den mächtigsten Grossen an der Sj)itze,
mit straffer Organisation und einer jährlich zu zahlenden
Umlage zur Durchführung der Beschlüsse. Der Papst, der,
wie Matthaeus Paris schreibt, auf die Nachricht davon in
Verwirrung gerieth und aufseufzte, hat damals selbst gearg-
wöhnt, dass Friedrich II. seine Hand im Spiele habe, und
der Einfluss wenigstens, den seine Manifeste geübt hatten,
war unverkennbar-. Alles kam darauf an, welche Haltung
König Ludwig einnehmen würde. Von einem Zeitgenossen
ist behauptet worden, er habe den Baronen durchaus zu-
gestimmt und selbst sein Siegel an die Bundesurkunde ge-
hängt; dies Gerücht ist indes von ßerger und andern mit
Recht als haltlos verworfen. Für Ludwig war in der That
der Weg klar vorgezeichnet, den er zu gehen hatte ; es galt,
der Opposition ihre Spitze zu nehmen, die sie gegebenen
Falls auch gegen die Krone richten konnte, ihre Beschwer-
den aber wohlwollend zu prüfen und, soweit sie berechtigt
waren, selbst bei Innocenz IV. zu vertreten. Immerhin er-
führen wir aus unsern Quellen gern etwas Näheres über das
damalige Verhältnis von Papst und König.
Da ist denn ein Brief Innocenz' IV. an Ludwig, den
uns unser Cod. auf f. 74 erhalten hat, von Werth. Dass
1) B-F-W. 7245, M. G-. Ep. pont. I, 646. 2) Ich gehe auf
Einzelheiten nicht näher ein, denn ich müsste nur wiederholen, was
E. Berger in seiner verdienstvollen Abhandlung Saint Louis et Innocent IV.
(Les registres d'Innocent IV. Bd. II S. CLXXV ff.) ausgeführt hat. Dort
sind auch die Belegstellen aqgegeben.
Briefe zur Geschichte des 13. Jhs. aus einer Durhamer Hs. 515
er an den französischen König gerichtet ist, lässt sich nicht
nur aus dem Inhalt folgern, sondern auch daraus, dass die
Arenga derjenigen gleicht, mit welcher ein Schreiben
Innocenz' IV. an Ludwig vom 5. Nov. 1246 ^ eingeleitet
wird. Die bedeutsamen Weisungen, die der Papst am
4. Jan. 1247 seinem Legaten, dem Cardinalbischof Otto
von Tusculum betreffs der französischen Barone ertheilt
hat-, zeigen überdies in den Ausdrücken so viele Ueber-
einstimmungen mit unserem Briefe, dass an seiner Beziehung
auf dieselben Vorgänge kein Zweifel möglich ist. Vermuth-
lich ist er schon einige Tage eher, im December 1246, ge-
schrieben worden, auf die ersten, noch unvollständigen
Nachrichten hin, die der Papst über die Verschwörung
erhalten hatte. Denn von ihrer Ausdehnung über ganz
Frankreich ^ scheint er noch nichts zu wissen ; nur von
den Baronen eines einzigen Vasallen König Ludwigs hat
er vernommen^.
Leider ist der Name dieses Vasallen in unserem Briefe
durch ein 'A' ersetzt worden, und es ist nicht ohne weiteres
ersichtlich, ob das der Anfangsbuchstabe ist oder nur eine
indifferente Bezeichnung, wie in älteren Formeln 'N' und
'ille' ^. Eine sichere Entscheidung wird hier kaum möglich
sein, und nur als Vermuthung möchte ich es aussprechen,
dass es sich um Alfons von Poitou handelt, der ja seine
Lande von seinem Bruder König Ludwig zu Lehen trug.
Dass in Poitou der Widerstand gegen den Klerus damals
besonders heftig war, bemerkt auch Boutaric '\ und nach
den von ihm angeführten Verfügungen scheint Alfons keines-
wegs ein Gegner der von den Baronen beschlossenen Be-
stimmungen über die richterliche Gewalt der Geistlichen
gewesen zu sein. Einer der vier Obmänner des Bundes
war der Graf von Angouleme, ein Sohn desselben Hugo
von Lusignan, der sich noch unlängst gegen die französische
Herrschaft empört hatte '. Wenn nun Innocenz in seinem
1) Potth. 12341; M. G. Ep. pont. H n. 257. 2) Potth. 12385;
Huillard-Breholles, Hist. dipl. Frid. II Bd. VI, 483 &. 3) Dafür sprechen
die Namen der Obmänner des Bundes. 4) So ist es offenbar zu ver-
stehen, dass von 'barones tui' (also Ludwigs) die Rede ist, und dann doch
ein gewisser A als deren 'capud et dominus' bezeichnet wird. A war
jedenfalls Lehensträger Ludwigs. 5) So erscheint das A in unserem
Cod. öfter als Ersatz eines Namens, vgl. z. B. f. 54': 'A de B' etc.
Andererseits findet sich gelegentlich auch der erste Buchstabe an Stelle
des vollen Namens. 6) Saint Louis et Alfonse de Poitiers, Paris 1870
S. 423: 'les seigneurs de Poitou se distüiguerent par la fermete de leur
resistance'. 7) Vgl. auch Walion, Saint Louis et son temps, Paris 1875.
I, 231.
516 K. Hampe.
Briefe schreibt: 'non tarn cleri dispendium agitur, quam
aliud, quod in hoc facto tanquam anguis in herba latitat,
intentatur', so könnte man diese Worte zwar auf die angeb-
lichen Zettelungen Friedrichs II. beziehen. Wahrschein-
licher aber ist mir doch, dass der Papst den König an die
früheren Kämpfe erinnern und ihn darauf hinweisen wollte,
wie leicht sich eine solche Liga von Baronen, deren Treue
nicht über allen Zweifel erhaben war, gegen die Krone
selbst wenden konnte. Die Lage von Poitou endlich lässt
es wohl als möglich erscheinen, dass von dort her die
ersten Nachrichten nach Lyon, dem Aufenthaltsort der
Curie, gekommen sind.
Wer aber auch jener A. gewesen ist, wichtig bleibt
für uns, dass der Papst sich auf die Kunde von dem Vor-
gehen der französischen Adligen sofort an Ludwig gewandt
und sein Einschreiten gefordert hat. Vielleicht hoffte er
damals noch, mit Hülfe des Königs die Gefahr im Keime
zu ersticken. Erst als er die wahre Ausdehnung der Ver-
schwörung erfuhr, hat er dem Legaten, dem er von einer
lokalen Begrenzung jener Opposition nichts mehr schrieb,
befohlen, im Verein mit dem französischen Klerus die ge-
sammten Machtmittel der Kirche gegen die widerspänstigen
Barone in Anwendung zu bringen.
(Innocenz IV.) fordert König (Ludwig IX. von
Frankreich) auf, seinen Ei nfluss beiA(lfons von
Poitou?) dahin geltend zu machen, dass die von
dessen Baronen gegen den Klerus beschlossenen
Satzungen aufgehoben würden. (Lyon , Dec. 1246).
Illius devocionis ardore progenitores tui erga ecclesiam
fervisse noscuntur, quod inter ceteros orbis principes
ipsius ecclesie precipui ^ def ensores libertatem eins non
solum conservare, sed augere multipliciter studuerunt.
Super eo igitur, quod tu, progenitoribus propagine san-
guinis et devocionis imitacione succedens, prefate honorem
ecclesie ferventer appetere illumque solicite procurare operis
exhibicione probaris, nobilitatem tuam dignis in Domino
laudibus efferentes, graciarum tibi, quas possumus, referi-
mus acciones'^.
Sane, sicut accepimus, quidam de baronibus tuis, A.,
qui eorum capud est et dominus, minime inherentes, sed
1) CoiT. aus 'precipue' Hs. 2) Bis hierhin reicht mit einigen
unwesentlichen Abweichungen die Uebereinstimmung mit Potth. 12341.
Briefe zur Geschiclite des 13. Jhs. aus einer Durhamer Hs. 517
conantes deviando a capite ecclesiam nove ac prorsus inso-
lite adinvencionis genere miserabiliter anciliare, communi
coniuracione ac conspiracione contra ^ libertatem ipsins
duxerunt plura gravia et enormia statuenda, que ins et
consuetudinem predicte libertatis absorbent, ecclesie honorem
elidunf^, scandalum pariunt et periculum generant ani-
marum. Quia vero in huiusmodi obligacionibus non tarn
cleri dispendium agitur, quam aliud, quod in hoc facto
tanquam anguis in herba latitat, intentatur, nobilitateni
tuam rogandam duximus et monendam, quatinus considerato
prudenter, quod cum idem regnum hactenus fuerit aliis
terris pro fide, que ibi viget, speculum et ecclesie refugium
speciale, quantum ^ ex hoc preter ora obloquencium fidei ac
toti generali ecclesie et ipsius regni, si dici liceat, fame,
nisi conpescatur temeritas taliuni, derogetur, apud eundem
. . interponas pro favore divini nominis efficaciter partes
tuas, ut constituciones hniusmodi, que, ut minus dicatur
et plus intelligatur, non bene sapiunt, dissolvi faciat, tradita
sibi celitus potestate, cum statvita ipsa sint prorsus irri-
tanda et iuramenta prestita omnino illicita et ideo non
servanda, eam in hoc diligenciam habiturus, ut exinde tibi
apud Deum meritorum accrescat cumulus et laus in populis
nacionum.
4. Ein Rundschreiben der römischen Cardinäle
wegen der Tartarennoth, vom 27. Juli 1261.
Papst Alexander IV. hatte am 17. Nov. 1260 an die
Fürsten und Prälaten Europas die Aufforderung gerichtet,
zum 6. Juli des kommenden Jahres Machtboten an die
Curie zu senden, die zur Abwehr der drohenden Tartaren-
gefahr gemeinsame Beschlüsse fassen sollten'^. Er selbst
starb indes am 25. Mai 1261, und die Sedisvacanz dauerte
mehr als drei Monate. Dass während dieser Zeit die Car-
dinäle keine grosse Unternehmung einleiten wollten, ist
begreiflich. Die Verhandlungen verliefen daher ohne Er-
gebnis. Ein späterer Brief Urbans IV. bot uns bisher
die einzigen Angaben darüber^. Jetzt erfahren wir Aus-
führlicheres aus einem Rundschreiben der Cardinäle vom
27. Juli 1261, das in unserem Codex auf f. 116 zu finden
1) 'qua' Hs. ; vgl. Potth. 12385, wie überhaupt für diese ganze Stelle.
2) So ist wohl mit Potth. 12385 zu verbessern statt : 'eludunt' Hs. 3) Das
vorhergehende 'quod' scheint vergessen. 4) B.-F.-W. 9246. Ueber die
Provinzialconcilien zu Mainz, Köln und Magdeburg in derselben Angelegen-
heit im Mai 1261 vgl. B.-F.-W. 11887 und Finke, Concilienstudien zur Gesch.
des 13. Jh. S. 18 ff. und 93 ff. 5) Potth. 18356 vom 9. Jun. 1262.
518 K. Hampe.
ist. Es ist dort an den Erzbiscliof von York gerichtet,
aber die ganze Fassung- zeigt deutlich, dass ähnliche Aus-
fertigungen auch an die übrigen Fürsten und Prälaten
gesandt worden sind, welche bis dahin Bevollmächtigte an
die Curie geschickt hatten. Das Datum lautet: 'Viterbii VI.
kal, Augusti'. Da mir zu einer vollständigen Abschrift
die Zeit fehlte, so begnüge ich mich mit einer kurzen
Wiedergabe des Inhalts.
Das Schreiben geht von dem Aufruf Alexanders IV.
aus, mit dem er sich begnügt habe, weil einem allgemeinen
Concil zu grosse Hindernisse im Wege gestanden hätten.
Dann wird etwa fortgefahren : Dieser Aufforderung ist
man nur zögernd und mangelhaft nachgekommen. Die
einen schützten vor, man sage, die Tartaren seien in Ver-
wirrung aus Syrien zurückgewichen; doch auf dies Gerücht
ist nichts zu geben. Andere waren der Ansicht, jedes Land
müsse für sich selbst den Angriff bestehen, man könne
sich nicht um die anderen bekümmern; das bedeutet nur
die Zersplitterung der Christenheit. Weiter wurde be-
hauptet, die Kirche wolle doch nur die geforderten Mittel
gegen ihre Verfolger ^ gebrauchen oder sonst zu eigenem
Nutzen verwenden; solche Absichten liegen ihr fern.
Wieder andere gaben zwar die Gefahr zu, wollten aber
für sich selbst von jedem Kostenbeitrag ausgeschlossen
sein. Noch andere Gründe, wie die Kürze der Zeit und
dgl. sollten entweder das gänzliche Ausbleiben oder die
ungenügende Vollmacht der Gesandten entschuldigen.
Inzwischen ist Alexander IV. gestorben. Wir, die Car-
dinäle, sind zusammengetreten, um einen neuen Papst zu
wählen, wie ihn die schwierigen Zeitläufte erfordern.
Damit das begonnene Werk nicht im Sande verliefe, haben
wir selbst uns seiner angenommen und haben die Ge-
sandten angehört. Doch bei ihren ungenügenden Voll-
machten und bei dem Mangel eines geistlichen Oberhauptes
war nichts Erspriessliches zu erzielen. Damit aber, wenn
in Kürze die Neuwahl vollzogen ist, die Sache einen glück-
lichen Fortgang nimmt, schicken wir unsere theuren Söhne
'magistros W. de W.' et Alex, de B. clericos, procuratores
et nuntios nostros' zu Euch, damit Ihr alle 'circa predictum
negocium contra Tartaros prosequendum, super quo venera-
bilis frater noster Tyrensis archiepiscopus et nobilis vir
J. Cayphe, celebres regni lerosolymitani nuncii nuperrime
de partibus illis missi, corda nostra novis rumoribus —
1) Damit ist natürlich in erster Linie Manfred gemeint.
Briefe zur Geschichte des 13. Jhs. aus einer Durhamer Hs. 519
perculeruut — sollicite cog-itetis', auf dass der zu er-
wählende Papst Euren Eifer loben möge.
Der hier genannte Erzbischof Aegidius von Tyrus und
Johann von Valenciennes, Herr von Caipha (südl. von Ptole-
mais) waren noch in den Jahren 1264 und 1265 als päpst-
liche Collectoren des Zehnten für das heil. Land in Europa
thätig ^.
5. Beschlüsse des Londoner Provinzialconcils
vom 13. Febr. 1292 über die Kreuzzugsfrage.
Nach dem Fall von Ptolemais (18. Mai 1291) sind
bekanntlich in ganz Europa zahlreiche Provinzialsvnoden
abgehalten worden, welche auf Antrieb Papst Nikolaus' IV.
über die Mittel zur Wiedereroberung des heil. Landes und
über die Vorzüge einer Vereinigung des Templer- und
Johanniterordens Berathungen führen und Gutachten ab-
geben sollten. Die Antworten auf die zweite Frage scheinen
fast durchgängig bejahend gelautet zu haben. Auch sonst
zeigen die Beschlüsse, soweit sie uns noch bekannt sind,
eine seltene Einmüthigkeit, Avenigstens nach der negativen
Seite: man lehnt jede weitere Belastung des eigenen Lan-
des mit Entschiedenheit ab, weist auf die Nachbarvölker,
die noch weniger in Mitleidenschaft gezogen oder stärker
an der Sache interessiert seien, erinnert sich plötzlich in
Frankreich und England, dass derartige allgemeine Ange-
legenheiten der Christenheit dem römischen Kaiser zukämen
und fordert die Neuwahl eines solchen, will etwa die Güter
der Templer und Johanniter für den Kreuzzug verwandt
wissen, giebt aber sonst nur allgemeine Rathschläge, zu
deren Ertheilung eben kein besonderer Opfermuth gehörte ;
es fehlt sogar nicht an recht bitteren Wahrheiten, die dem
Papste bei der Gelegenheit gesagt werden.
Zu den dürftigen Angaben im sechsten Bande von
Hefeies Conciliengeschichte hat Finke - werth volle Er-
gänzungen gebracht. Erschöpft ist das gedruckte und un-
gedruckte Material auch damit natürlich noch nicht; un-
beachtet ist z. B. von ihm die Historia Anglicana des
Bartholomaeus de Cotton^ gelassen, in der sich ausser
anderen Concilsbeschlüssen über dieselbe Angelegenheit
auch ein Gutachten findet, das der Bischof von Norwich
mit den Prälaten seiner Diöcese aufgesetzt hat, um es der
1) Vgl. Potth. 18788. 89 und Röhricht, Regesta regni Hierosolymi-
tani S. 350. 351. 2) Concilienstudien S. 103 £f. 3) Ed. Luard, London
1859; Auszüge SS. XXVIII, 604 ff.
520 K. Hampe.
zum 13. Febr. 1292 nach London berufenen Synode der
Provinz Canterbury einzureichen ^ ; denn so war es be-
stimmt worden, dass jeder Biscbof zunächst mit der ihm
unterstehenden Geistlichkeit Berathungen pflöge. Natürlich
zeigt dies Norwicher Gutachten in einigen Punkten üeber-
einstimmung mit den Beschlüssen der Londoner Provinzial-
synode, die, bisher noch ungedruckt, auf f. 91 unseres
Codex einem Schreiben des Erzbischofs von Canterbury
John Peckham an Papst Nikolaus IV. inseriert sind. Bei
dem allgemeineren Interesse, das sie beanspruchen dürfen,
habe ich mir wenigstens ihren Inhalt kurz aufgezeichnet.
Jenen gesunden Egoismus, der auch auf den anderen Pro-
vinzialsynoden zu Tage trat, zeigen sie besonders scharf
ausgeprägt, wie es sich aus dem englischen Charakter und
der ausserordentlichen finanziellen Ausbeutung gerade dieses
Landes leicht erklärt.
'Littere sanctitatis vestre' -', so beginnt das undatierte
Schreiben des Bischofs von Canterbury ohne Adresse, 'mihi
archiepiscopo et nobis suffraganeis ac prelatis predictis
destinate^, XII. kal. lan. ad me archiepiscopum primitus
pervenerunt'. Bei der Kürze der Zeit war es indes un-
möglich, ein Provinzialconcil zu berufen und schon bis
zum kommenden 2. Febr. darüber Bericht zu erstatten.
Inzwischen lief eine neue päpstliche Mahnung ein. Daraufhin
ist das Concil abgehalten worden, und seine Beschlüsse
werden nun dem Papste übermittelt. Unter der Ueber-
schrift: 'Incipit deliberacio' folgen die einzelnen Punkte,
über die man sich geeinigt hat :
1) Zunächst ist der Zorn Gottes zu besänftigen und
das Leben der Menschen zu bessern. Daher soll der Papst
für die ganze Kirche Gebete , Pasten , Processionen und
andere Bussübungen anordnen.
2) Bevor das Schwert eingreift, sollen geeignete geist-
liche Kämpfer (spirituales ydonei bellatores), welche die
Sprache jener Gegend reden, nach Syrien gesandt werden,
um die Heiden zum Christenthum zu bekehren, und wenn
das nicht gelingt, und sie dort den Märtyrertod erleiden,
1) Vgl. Barth. S. 206. Dessen Angaben sind bereits von Röhricht,
Der Untergang des Königreichs Jerusalem, Mittheil. d. Inst. f. öst. Gesch.
XV, 39 verwerthet; ü-rthümlich wird aber von ihm dies Provinzialconcil
beim Londoner Tempel 1292 mit dem Concil von "Westminster 1291
(Mansi Conc. XXIV, 1079 — 80) zusammengeworfen. Im übrigen ist auf
seine sorgfältige Zusammenstellung der damals in Sachen des heil. Landes
abgehaltenen .S^oioden zu verweisen. 2) Dieser päpstliche Brief vom
18. Aug. 1291 (Potth. 23786) geht im Cod. vorauf. 8) 'distincte' Hs.
Briefe zur Geschichte des 13. Jhs. aus einer Durhamer Hs. 52 1
so ist um so eher zu hoffen, dass Christus dadurch gerührt
wird und jene durch ein Wunder bekehrt.
3) Da Christus bestimmt hat, dass der Kaiser in
geistlichen Dingen vom Papste, der Papst aber in welt-
lichen vom Kaiser unterstützt wird, so möge ein Kaiser
gewählt werden, der die Führung im Kreuzzuge zu über-
nehmen hat. Unter ihm sollen die tüchtigen deutschen
Krieger ('strenui bellatores Alemanii'), vereint mit denen
von Venedig, Genua und Pisa und den anderen Seestädten
zur Rettung des heil. Landes sich aufmachen.
4) Der Papst soll unter den übrigen vielfach
hadernden Fürsten Frieden oder wenigstens Waffenstill-
stand stiften, bis die Sache des heil. Landes zum glück-
lichen Ende geführt ist.
5) Auch die uneinigen Städte , die leicht zur Ver-
hinderung der Unternehmung beitragen können, sind durch
den Papst zu versöhnen.
6) Der Papst soll dafür sorgen, 'ut universalis ecclesia
gaudeat antiqua solita et debita libertate, ut sie liberius
ad placandum Deum vacare possit et subditos ad terre
sancte subsidium animosius excitare'.
7) Besonders ist darauf zu achten, dass diejenigen,
welche das Kreuz nehmen, frei sind von Verbrechen und
von Excommunication, und dass sie sich bei der Abfahrt
demüthig benehmen und massvoll leben.
8) Auch Könige und Fürsten, nicht nur Prälaten,
sind um Rath zu fragen, damit sie nicht etwa, durch Ver-
nachlässigung beleidigt, ihre Hülfe versagen.
9) Die geistliche und die weltliche Macht sollen in
dieser Sache ganz Hand in Hand gehen.
10) Der Papst soll die Fürsten ermahnen, dass sie
sich dem erwählten Hauptheerführer durchaus unterordnen
und auch ihren Unterthanen Grehorsam anempfehlen; für
den Fall, dass dieser Führer stirbt oder unfähig wird, ehe
das Ziel erreicht ist, soll die Curie von vornherein für
einen Stellvertreter sorgen.
11) Ein päpstlicher Legat soll mitgehen und den
Muth der Kreuzfahrer durch häufige Predigten entflammen.
12) Es ist bekannt zu machen, dass Leute, die im
heil. Lande sich niederlassen wollen, dort gemäss ihren
Leistungen Versorgung finden werden.
13) Ein Ort diesseits des mittelländischen Meeres ist
zu bestimmen, an dem sich die Kreuzfahrer zu versammeln
haben.
522 K. Hampe.
14) Was die Kosten betrifft, so geht die allgemeine
Ueberzeugung dahin, dass die ßesitzthümer der Templer
und Johanniter, die ihnen ursprünglich durch die Frei-
gebigkeit der Könige und Fürsten und den frommen Eifer
anderer nur zur Vertheidigung des heil. Landes übertragen
sind, wovon dort viele Tausende von Kriegern unterhalten
werden könnten, dazu die Einkünfte des Imperiums, die
in ähnlicher Weise zum Schutz des gemeinen Wesens be-
stimmt sind ^ ferner der von den Beneficien der ganzen
Kirche bereits gesammelte sechsjährige Zehnte, weiter die
Spenden und Güter der Kreuzfahrer und endlich die zu
erobernden Gebiete mit ihren Schätzen durchaus genügen,
um das heil. Land zurückzugewinnen und zu halten. Von
einer neuen Umlage ist jedenfalls abzusehen , nur der
England schon auferlegte sechsjährige Zehnte mag auf
andere Länder ausgedehnt werden. Ganz unerträglich aber
würde eine weitere Belastung Englands sein.
15) Die für den Kreuzzug von der Curie und ihren
Collectoren gesammelten Gelder sind ausschliesslich für
diesen Zweck zu verwenden.
16) Alle Könige und Fürsten sollen die Laien, welche
nicht das Kreuz nehmen wollen, ermahnen, dass sie zu
den Kosten etwas beisteuern. Dasselbe gilt von den
Prälaten hinsichtlich ihrer Untergebenen.
17) Um schädliche Zwistigkeiten zu vermeiden, sollen
die Templer, Johanniter und andere Orden vom Papste in
einen einzigen zusammengefügt werden. Ihre Güter sind
gebührend nach ihrem Werthe abzuschätzen, und demgemäss
sollen sie verpflichtet sein, so viele Krieger für das heil.
Land zu stellen, als diese Mittel erlauben. Auch sie haben
dem Hauptheerführer unbedingten Gehorsam zu leisten.
f. 92 endet das Stück mit: 'Explicit Concors deliberatio
archiepiscopi Cantuariensis etc. in concilio habita provin-
ciali Londoniensi anno Domini 1291 (so im Annunciations-
stil = 1292).
6. Eine Satire auf die Geldforderungen an der
römischen Curie.
Schon in der Auswahl der in unserem Cod. enthaltenen
Stücke glaubt man gelegentlich ein gewisses Interesse an
den Conflicten zwischen Staat und Kirche wahrzunehmen.
Auch sonst spürt man hier und da etwas von oppo-
sitionellem Geiste gegen die Curie und ihr Finanzsystem.
1) 'ac etiam proventus imperii, qui similiter ad defensionem rei
publice sunt astricti'.
Briefe zur Geschichte des 13. Jhs. aus einer Durhamer Hs. 523
Auf dem unteren Eande sind mehrfach Verse eingetragen,
darunter (f. 67) das oft variierte^:
ßoma manus rodit et que sunt turpia prodit,
Dantem custodit et eum, qui nil tulit, odit.
Auf Honorius IV. scheinen sich die Verse (f. 69') zu
beziehen, die ich schon in der Hist. Ztschr. LXXX, 492
angeführt habe:
0 pater Honori -, pati'ie non vivis honori ;
Desine, vade mori, dabimus cathedram meliori.
Dabei ist nicht ersichtlich, ob die auch sonst verhöhnte
Krüppelgestalt des Papstes, die von ihm mit Eifer wieder
aufgenommene Eintreibung des Kreuzzugszehnten oder
etwa die Verstimmung gegen ihn im Minoriteuorden den
Anlass zu diesen Spottversen gab. Daneben finden sich
auch mancherlei Verschen harmlosen Inhalts, die darum
weniger mittheilenswerth sind, z. B. das auch sonst vor-
kommende '^ :
Inter res multas, cum sit mihi nulla facultas,
Parisius dego, Tantalus alter ego.
Eine sehr scharfe Satire auf die Art, wie man den
Fremden an der römischen Curie das Geld abnahm — sei
es durch die vielfachen Gebühren, sei es durch Zugänglich-
keit für Bestechungen — , bietet ein Schreiben auf f. 308,
das noch kaum bekannt sein dürfte. Es handelt sich wohl
weniger um einen wirklichen Brief, als vielmehr um eine
Stilübung, die aber aus Kenntnis der dortigen Verhältnisse
heraus geschrieben sein mag. In der Form hat dazu
vielleicht ein Stück aus der Sammlung des Eicardus de
Pofis^ Anregung gegeben, das hier auf f. 308 mit einigen
Veränderungen noch einmal eingetragen ist. Das Schreiben
lautet :
Successus ad vota prosperos cum salute.
In Eomana miseria constitutus, in admiranda et
miseranda curia, in castris invidie, in scolis fraudulencie,
in foro cupiditatis , in silva solicitudinis , in venacione
mortis, in massallo -^ virtutum veram non habencium cari-
tatem et in turbine tempestatis, discrecioni vestre significo,
quod negocium nondum est inceptum. Credebam quidem,
cum de partibus vestris recessi, in paucorum dierum spacio
revenisse, sed heu me, quia incolatus mens prolongatur ^,
nee ex aliquo mihi solamen inducitur, nisi ex hoc, quod
1) Vgl. Neues Archiv XXIH, 205. 2) 'Honorii' Hs. 3) Z. B. im
Cod. Paris, lat. 5129 unter den Gedichten Hildeberts von Le Mans.
4) n. 14: 'In tribulatione mea'. 5) "Wie es scheint = masellus, vgl.
Du Gange = habitatio, domus. 6) 'prolongatus' Hs.
524 K. Hampe.
infinitos video in curia morbo simili laborantes. Illud
quidem mihi aliquali modo angustiam relevat, quod^ quam-
plures habeo participes passionum ; nam iuxta philosophum :
Solamen est miserum socios habere penarum '^. Ut autem
de condicionibus curie aliqua innotescant ^, sciatis, quod
hie sunt omnes inprobissimi emunctores^, inportuni, donec
accipiant, et postquam acceperunt, sunt ingrati, et nisi
dator dare eontinet, inimici^ Non abutitur Roma suo
vocabulo, nam rationabiliter " exercet in peregrinos advenas
manuum rasionem , et si quid forte superest , portat
rastrum, quia illud feneratorum improbitas apprehendit,
quod, qui non habet ^ pecuniam, habere compellitur, et qui
habet, cogitur non habere. Beati omnes, quibus datum
est abesse; ab ista miseria miseranda sunt excepti. In
quorum numero vos esse letemini *^, quos in loco pacis et
pascue Dominus collocavit ^. Ego autem, tanquam cervus ^'^
siciens aquarum fluenta desiderat ^^, ab isto laqueo evelli
cupio pedes meos ^-, et si semel Scillam evasero, non incidam
de cetero in Caribdim ^^.
7. Beschreibung der Handschrift.
Ueber den Inhalt des Cod. Cathedr. Dunelmensis C
IV, 24 war bisher nur nach dem Kataloge von Rud im
Archiv VII, 963 eine kurze Notiz gegeben. Es ist ein
Pergamentband in Kleinfolio. Auf dem letzten Blatte
f. 364' findet sich der Vermerk s. XIV. : 'Iste liber donatur
communi armariolo Dunelmensis monasterii
. . . ^^ de Gilburne quondam electum in priorem Dunel-
mensem ; quem qui alienaverit' etc. In Durham ist wohl
auch ursprünglich die übrigens durchaus nicht planvoll
angelegte Sammlung entstanden, und viele Stücke sind
nur von lokalem oder doch rein englischem Interesse.
Daneben ist aber auch ein reiches Material herangezogen,
das für italienische, französische und deutsche Geschichte
werthvoll ist, u. zw. vorwiegend Papstbriefe, neben ganzen
Eormelsammlungen und Briefstellern. Auf welchem Wege
es nach Durham gekommen ist, wird sich nicht mehr
nachweisen lassen.
1) 'per' Hs. 2) So viel ich weiss, ist dies Sprichwort vor dem
13. Jh. nicht nachzuweisen. 3) 'innotescat' Hs. 4) Von 'emungere' =
prellen gebildet. 5) In der Hs. ein m- Strich zu viel. 6) Das Wort-
spiel kommt paläographisch bei der Abkürzung 'rönabiliter' besser heraus.
7) 'habeat' Hs. 8) 'letimini' Hs. 9) Vgl. Psalm 22, 2. 10) 'servus' Hs.
11) 'desiderio' Hs., vgl. Psalm 41, 2. 12) Vgl. Psalm 24, 15. 13) Vgl.
Verg. Aen. III, 420. 14) Lücke im Pergament.
Briefe zur Geschichte des 13. Jhs. aus einer Durhamer Hs. 525
f. 1 — 52'. Ein Theil der Formelsammlung des
Ricardus de Pofis, nämlich von den 469 Stücken
n. 1 — 188 und von den folgenden noch 94 ausgewählte
Briefe. Nur diese Stücke finden sich auch vorn in dem
Index verzeichnet. Das Ganze ist ohne Ueberschrift und
Vorwort, so dass die Sammlung nicht ohne Weiteres zu
erkennen war.
Dahinter noch die Urkunde eines Priors : 'Pateat
universis' und ein anderes Stück 'Quia inventus est', beide
ohne Interesse, ebenso die folgende Schriftauslegung
f. 53 — 53'. Dann von anderer Hand ^ ein französischer
Brief: 'Com moult' etc. und ein lateinischer: 'Pirmam
habentes fiduciam'.
f. 54 mit blasser Tinte von anderer Hand: 18 Briefe,
einige davon der Summa dictaminis des Thomas von
Capua (= T.) entnommen, von der ich eine Abschrift
aus dem Apparat der Monumenta Germaniae benutzen
konnte, da das Werk ja erst zum kleinen Theile gedruckt
ist. l) T. IV, 27. 2) 'Sub expectacione sollicita' etc. ; ich
finde es nicht bei T., obwohl es sich um die Genesung
'cari Thome' darin handelt. 3) T. IV, 21. 4) T. IV, 28.
5) T. V, 12. 6) T. V, 13. 7) 'Per dilectum amicum vestrum'.
8) ßicardus — magistro. 'Cum in negocio', unbedeutend.
9) 'Attendentes tue indolis', Privileg, um dem Empfänger
das uneingeschränkte Studium der scholastischen Disciplinen
zu ermöglichen. 10) 'Quia intendimus'. 11) 'Desideriis
vestris'. 12) 'Illas a vobis preces'. 13) französisch: 'Saluz et'.
f. 55' — 59' sind leer geblieben, f. 60 beginnen ohne
Titel und mitten im Text Briefe und Urkunden aus dem
Anfang des 14. Jhs., auf Durhamer und andere englische
Angelegenheiten bezüglich.
f. 64 wechselt indes der Inhalt wieder; es folgt eine
Anzahl von Formeln, die durchgängig echten Papstbriefen
entnommen zu sein scheinen, u. zw. soweit sie bestimmbar
sind, solchen von Gregor IX. und Innocenz IV. Um die
übrigen zu finden, habe ich einen grossen Theil der
Potthast'schen Eegesten und der päpstlichen Register ver-
geblich durchgesehen; möglich immerhin, dass einzelne
von ihnen gedruckt sind. Mehr Zeit darauf zu verwenden,
lohnte sich indessen nicht, und vielfach sind auch die
Formeln zu häufig angewandt, um eine Bestimmung zu-
zulassen. Ich notiere hier die Anfänge und deute ge-
1) Wo nichts anderes bemerkt ist, gehören die Hände dem Anfang
des 14. Jh. an.
526 K, Hampe.
legentlich den Inhalt an, wo er überhaupt greifbar und
bemerkenswerth ist.
f. 64. 'Cum olim vobis' (== Gregor IX. v. 27. März
1234, M. G. Ep. pont. I n. 472?). 'Accedens ad nostram'.
'Exibita nobis', der Papst befiehlt einem Bischof, den
Grundstein zu einer Capelle der heil. Katharina auf einer
neuerbauten Brücke des castrum . . seiner Diöcese zu
legen.
Dann: ludici. 'Quia proni sensus hominis', ein päpst-
licher Befehl, den Scholaren in Neapel, die 'pro
violenta manuum iniectione' der Excommunication ver-
fallen, gegen Ersatz an die Geschädigten und Auferlegung
einer Busse die Absolution zu ertheilen, damit ihr Studium
nicht unterbrochen werde. Dieselbe Arenga hat ein
Schreiben Alexanders IV. vom 18. Mai 1255, vgl. ßeg.
Alex. IV. ed. Bourel de la ßonciere n. 522.
Ferner ein Papstbrief, der bald nach 1250 geschrieben
zu sein scheint und für uns mehr Interesse bieten würde,
wenn sich der Name des Empfängers- ermitteln Hesse. Er
lautet :
'(S)piritum consilii sanioris. Benigne ac diligenter
audivimus omnia, sed principaliter, que nomine tuo fuerunt
proposita coram nobis primum, quod, licet Deo et ecclesie
corde devotus extiteris, tamen quondam Frederico et
ipsius fautoribus astitisti, ut rerum et personarum pericula,
que pluribus aliis minebant, una cum tuis evadens, eccle-
siam tuam a discrimine conservares. Quare petebatur ^ a
nobis, ut, si quam pretextu favoris huiusmodi sentenciam
aut irregularitatem etiam - incurristi, providere tibi super
hoc de absolucionis et dispensacionis beneficio dignaremur.
Nos itaque tibi duximus consulendum, quod affectum
devocionis tue circa sedem apostolicam , cum iam tibi
Dominus cougruam ad hoc facultatem dederit, ostendere
studeas per efEectum, et firmam fiduciam habeas, quod
predicta sedes, que operibus pietatis semper invigilat, pro-
picia et affabilis tibi habebitur, si ad hoc te perceperit
condignis ^ meritis adiuvari.
Dann: 'Geminum bonum agit'. f. 64'. 'De pia et
sancta'. 'De vestra concepimus'. 'Non decet'. 'Etsi per-
versi'. 'Si fideles nostri'. f. 65. 'Cum nihil valeat'.
Darauf: 'Non sine causa miramur, quod, sicut dilectus
■. . potestas Reatinus exposuit coram nobis, ipsum indebite
1) So wohl statt 'petebant' zu lesen. 2) So Hs. 3) Es folgt
noch einmal 'te'.
Briefe zur Geschichte des 13. Jhs. aus einer Durhamer Hs. 527
persequentes, ut graviter ledatis eundem, quosdam contra
ipsum malivolos concitatis et concitatos potenter et patenter
iuvantes, graves eidem irrog-atis incurias et iacturas, quin
etiam, sicut dicitur, coniuratis, ut, si quis iniuriator ipsius
exinde aliquod dampnum incurreret, vos illud resarciretis
eidem, ut sie quilibet ^ insurgeret audacius contra eum'.
Der schon ertheilte Befehl, von diesen Belästigungen ab-
zulassen , wird daher noch einmal in schärferer Form
wiederholt. Weiter: 'Quia perversi'. f. 65'. 'Si subditorum'.
'Mundo posito'. 'Si diligenter'. f. 66. 'Quia nimis'.
Es folgt der Brief Innocenz' IV. 'Pura fides' vom
18. Nov. 1254 an Walter de magistro Nigro, Bürger von
Messina, dem der Papst für die durch Friedrich II. ihm
zugefügten Schäden ein Lehen in der Diöcese Sjracus
('ad demanium curiae pertinens') ertheilt, hier ohne alle
Namen, vgl. Reg. Inn. IV. ed. Berger n. 8255. Beachtens-
werth scheint mir doch der Schluss, der dort nicht be-
rücksichtigt ist: 'Volumus autem, ut, quocienscumque pre-
fata ecclesia generalem excercitum pro defensione regni
Sicilie congregaverit vel induxerit , tu dictique heredes
teneamini pro predicto casali unum militem armis et equis
bene munitum ad serviendum eidem ecclesie in nostris
sumptibus per duos dies infra dicti regni confinia exhibere.
Nulli' etc.
Darauf die Formel 'Matris ecclesie' ohne Namen,
wie sie M. G. Ep. pont. III n. 322 und sehr oft sonst in
Briefen Innocenz' IV. und Alexanders IV. vorkommt.
f. 66'. 'Pro quibuscumque'. 'Cum fides'. 'Fratribus
ordinis' (etwa Clemens IV., Sbaralea Bull. Franc. III, 38?).
f. 67'. 'Eisdem solet' (wohl eher: Eisdem. 'Solet'). 'Cum
nulla virtus'. f. 68. 'Probata fides'. 'Attenta sedis apo-
stolicae' (sehr häufige Arenga im Jahre 1254, aber auch
sonst). 'Non dubitamus' = Gregor IX. an Friedrich II.
vom 15. Oct. 1230, P. 8626, Ep. pont. I n. 421. 'Pia
desideria'. 'Quia salutem'. f. 68'. 'Decoris debitum'.
'Sicut in nostra'. 'Quanto studiosius'.
Dann beginnen wieder vollständige Briefe , u. zw.
f. 68'. Gregor IX, an Heinrich III. von England vom
7. Juni 1232, P. 8945. f. 69'. Derselbe an den Erzbischof
von York 'Angustias et labores'. Dat. Spoleti. f. 70, Erz-
bischof G(ottfried) von York theilt dem Bischof E(obert)
von Durham das Schreiben Alexanders IV. vom 17. Nov.
1260 (P. 17964) mit; und weitere englische Stücke.
1) 'quelibet' Hs.
Neues Archiv etc. XXIV. 34
528 K. Hampe.
f. 71 wieder Formeln wie f. 64 ff. 'Nimis iiiique'.
f. 71'. 'Cum fides'. 'Quo prestanciorem' und andere hier
meist ganz kurze und unvollständige Stücke. 'In con-
temptum veniens', Enthebung eines Bischofs, der auf Seiten
der Feinde der Kirche gestanden hat, von der 'administracio
temporalium et spiritualium'.
f. 73, ludicibus. 'Ex parte dilecti filii . . prioris
et conventus monasterii de . . ord. S. ßenedicti diocesis
. . fuit propositum' etc.; richtet sich gegen einen, der
sich als Abt gebärdet, aber die Klostergüter verschleudert
und unsittlich gelebt hat, auch bereits 'per R. hospita-
larium' ermahnt ist, davon abzulassen; es soll jetzt Abhülfe
geschaffen werden.
Darauf folgt das oben in Abschnitt 1 mitgetheilte
Stück 'Si ad acciones'.
f. 73'. 'Et verbera patris' ; ein Bischof hat die Kirche
'tempore turbacionis regnorum . .' schwer beleidigt; da
er sich an der Curie aber doch von dem Verdacht ge-
reinigt hat. dass er nach Verkündigung des Interdicts noch
die Messe gefeiert habe, wird er wiederum als Bischof
anerkannt.
'Si secundum principis apostolorum', Aufforderung an
einen Geistlichen, sich zu bessern.
Das folgende Stück ist offenbar an Ludwig- IX.
von Frankreich gerichtet, vermuthlich von Papst Inno-
cenz IV., wie auch der nächste Brief. Da es nicht ge-
druckt zu sein scheint, theile ich es mit, obwohl nicht zu
ersehen ist, um wen es sich darin handelt.
'Est de te generalis opinio, quod tu in etate con-
stitutus tenera mentem ad celestia erigens et tui dirigens
ad Dominum inicium principatus, dedisti in sacrificium
illud sibi ac studuisti postmodum tanquam princeps catho-
licus ei per continuata obsequia conplacere et in hoc per-
severare semper desideras animo indefesso. Propter quod
tibi perseveranti Corona ^ glorie pollicetur et eo potissime,
quod . . pro libertate ecclesiastica exulanti conpaciens,
non solum ipsum in terra tua protegis et defendis, verum
etiam propter suam suorumque tutelam municiones tuas
liberali munificencia contulisti, sicut ipso accepimus inti-
mante. Super quo tibi graciarum acciones referimus et
ad continuacionem precibus et monitis tuam celsitudinem
confortamus, ut preter divinum j)remium, quod ex hoc
tibi augebitur in eternum, nos, qui tante humanitatis gra-
ciam in hoc precipue necessitatis articulo eidem . . factam
1) 'Corona perseveranti' Hs.
Briefe zur Geschichte des 13. Jhs. ans einer Durhamer Hs. 529
memoriter retinemus, obligemur specialiter ad regle celsi-
tudinis increm entum'.
Darauf 'Illius devocionis'. siehe oben Abschnitt 3.
f. 75. 'Sanctam Eomanam ecclesiara', betreffs der
ecclesia Gallicana. f. 75'. ,Etsi de statu regni'. f. 76.
'Ab olim ante promocionis', König Philipp von Frankreich
genannt, f. 77'. 'Decens et dignum'.
f. 78 ff. Wieder nur Anfänge und ganz kurze Stücke,
f. 80. T. quondam episcopo. 'Quoniam delinquentes filios'.
Dann : 'Sortitur genitrix'; wegen der ungeheuren Ausgaben,
welche die Kirche besonders für Sicilien machen musste,
und wegen ihrer Verpflichtungen gegen römische Kauf-
leute bedarf sie dringend der Geldspenden, die dem ' . .
capelle nostre clerico in Suetia ('Suetio' Hs.) nuncio nostro'
anzuvertrauen sind. Im Anfang TJebereinstimmung mit
P. 16557 (Alexander IV. vom 27. Sept. 1256); vgl. unten f. 96.
Darauf: 'Olim venerabilis frater Bononiensis episcopus
propter debilitatem corporis' etc. Ihm ist die 'licentia
cedendi' ertheilt. Vermuthlich handelt es sich um Henricus
de Fratta, der 1240 resigniert hat. f. 80'. 'Item cum G.
quondam Pictaviensis episcopus in nostra et fratrum no-
strorum presencia cesserit' etc., vermuthlich Guillelmus
(c. 1214 — 25). f. 82. 'Inducti sinceritatis tue meritis', Er-
laubnis, bei der Durchreise durch England trotz des Inter-
dicts mit Begleitung bei geschlossenen Thüren die Messe zu
celebrieren oder zu hören, f. 83. Längeres Stück: 'Lignum
in medio paradisi', auf England bezüglich. f. 84 sind
später Urkunden in Urkundenschrift s. XV. eingetragen,
ohne besonderes Interesse, f. 84' — f. 85' leer.
f. 86 beginnt von anderen wechselnden Händen eine
neue Folge von Briefen ohne Ueberschrift. 'In omnibus
semetipsum' etc., sännntlich auf englische Geschichte be-
züglich, darunter f. 87'. 'Audistis, fratres conscripti' etc.,
über die Constitutionen des Ottobonus, f. 89' das Schrei-
ben König Johanns vom 15. Mai 1213 (E.jmer Foed. I,
p. IS. 111). Ebenda Gregor X. an die englischen Bischöfe
über den Peterspfennig, vom 22. April 1273, fehlt bei Pott-
hast, von Wilkins, Concilia Angiiae II, 469 gedruckt als
von Gregor V., von Spittler (Von der ehemaligen Zinsbar-
keit der nordischen Reiche etc., Schriften II, 159 Anm.)
Gregor IX. zugewiesen, endlich von P. Fabre (Eecherches
sur le denier de S. Pierre en Aiigleterre in Melanges
d'arch. et d'hist., Suppl. zu t. XII: Melanges G. B. de Rossi
S. 179) Gregor X. Der letzte giebt S. 178 N. 2 die Liste
der Abgaben nach Cencius ; darin ist (wohl nur von Fabre)
34*
530 K. Hampe.
der zweite Betrag: 'de London, dyoc. XVI lib. et X sol.'
ausgelassen. Sonst enthält der Brief Gregors X. in der
Durhamer Ueberlieferung Abweichnngen von Cencius nur
bei Eochester: 'XII sol.' statt 'X sol.' und beiBatli: 'XII
libr.' statt 'XI libr.', beides vermuthlicli nur Schreibfehler.
f. 91. Nikolaus IV. an Erzbischof Johann von Canter-
bury vom 18. Aug. 1291 'Dura nimis' == Bartholoniaeus
de Cotton. Hist. Anglicana ed. Luard S. 203, vgl. P. 23786
und im Anschluss daran die Berathungen des Londoner
Concils, über welche oben Abschnitt 5 handelt. Dann
Bonifaz VIII. 'Traxit hactenus'. ßomae IV. kal. April,
pont. a. IL (29. März 1296), nicht bei Potthast oder im Re-
gister. f. 93. Philipp d. Schöne 'Inter alia, que', Paris 23.
Oct. 1294 und anderes. Martin IV. an Karl I. von Sicilien
von c. Nov. Dec. 1282, P. 21955. f. 96. 'Sortitur genitrix',
wie oben f. 80; hier heisst es, dass 'Petrus de Piperno
capellanus et nuncius noster' nach England geschickt ist;
ihm sind die Summen des zu spendenden Geldes mit-
zutheilen; vgl. dazu M. G. Ep. pont. II, 528 N. 5: Innocenz
IV. verleiht am 31. Aug. 1248 Petro de Sublaco ostiario
suo Lehen in Pipernum.
f. 97 beginnt ein neuer Theil, bis f. 122 von einer
Hand s. XIV. in. geschrieben. Zunächst Briefe von
Innocenz II I. f. 97. P. 3111 (hier fälschlich mit VIL
id. lun.). f. 97'. P. 3126 (richtig mit VIIL kal. lul.).
P. 3167 (fälschlich mit V. kal. Sept. p. a. I.) f. 98. Innocenz
den Bischöfen von London, Ely und Winchester 'Inter
cetera, que super negocio Cantuariensis ecclesie' etc. mit
'Laterani VII. id. Mai. p. a. X.', also am 9. Mai 1207, nicht
bei Potth. Dann: P. 3419. f. 99. Principibus Alemannie.
'Quanta debet' vom 3. Mai 1199 = P. 686. Dann P. 3600
und f. 99'. P. 3622. f. 100. Stephan, Erzbischof von Canter-
bury (1207 — 28), an seine Suffragane: 'In specule pastoralis'.
f. 100'. Idem. 'Ineffabilis sapiencia'. f. 101. Il(ubert), Erz-
bischof von Canterbury (1193 — 1205). an G(ottfried), Bischof
von Coventry (1198 — 1208): 'Dominus ac redemptor'.
Darauf eine Reihe von Briefen Honorius' III., die
sämmtlich nach England gerichtet sind. f. 102. P. 6265
(ohne bestimmtes Dat.), hier mit 'Viterbii IV. non. lun.
p. a. IV.', also vom 2. Juni 1220. Den folgenden undatierten
Stücken habe ich nicht weiter nachgesucht, vielleicht sind
sie bekannt. Zunächst : Denselben. 'Venerabilis frater noster
Dunelmensis episcopus'. Denselben. 'Licet inquisitionis'.
Dunelmensi episcopo. 'Licet inquisitionis'. Dann f. 103
ohne Adressat : 'Indiscreta precancium' und 'Cum inquisici-
Briefe zur Geschichte des 13. Jhs. aus einer Durhamer Hs. 531
onis Processus', f. 103'. Bathoniensi, Eoffensi etc. episcopis.
'Indiscreta precancium'. Priori et commuiii Dunelmensibus.
'Multis tarn domesticis' und weitere ähnliche Stücke, f. 105.
Notariatsurkunde von 1281. f. 106. Gregor IX. 'Ascendit',
siehe oben Abschnitt 2.
Es folgen wieder auf England bezügliche Urkunden,
besonders für Coventry und Lichfield bis 112'. Aus den
weiteren Stücken hebe ich nur noch diese hervor: f. 114.
Nikolaus IV. vom 18. März 1291, P. 23608 und 23609 betreffs
des Kreuzzugs. f. 116 der in Abschnitt 4 behandelte Brief
des Cardinalcollegiums vom 27. Juli 1261. f. 118. Bonifaz
YIII. vom 19. Febr. 1195, P. 24027. Das Folgende bezieht
sich wieder meist auf Durham. f. 122' ein Register zu den
vorigen Abtheilungen der Hs.
f. 124 beginnt ein ganz neuer Theil des Codex. Incipit
prologus in libro questionum magistri Bartholomaei
Brixiensis. 'Ad honorem omnipotentis Dei et Eomane
ecclesie, cui presidet Gregorius nonus, et ad utilitatem
Bononie et alibi studencium ego Bartholomeus Brixensis(!)
inter scolares brevem summulam questionum dubitabilium
et breviorem venerabilium in iure canonico composui, paucas
allegaciones ex utraque proponens parte, quas prudens
lector, secundum quod ei videbitur, adaptabit, lectori humi-
liter supplicando, ut insufficienciam tolleraret'. Formeln
sind hier nicht aufgenommen.
f. 199. Expliciunt questiones Bartholomaei. Nachdem
noch von anderen Händen einige unwichtige Briefe einge-
tragen sind, folgt f. 200 die Summa des Petrus de Vinea
in 6 Büchern.
f. 307'. Nobilibus civibus urbis egregie Messanensis
sub Pharaone principe - — ancillatis Panormitani salutem
et servitutis iugum abicere et bravium accipere libertatis.
'Consurge, consurge, Sion filia' etc., Brief oder wohl eher
Stilübung aus der Zeit der sicilischen Vesper ; im Apparat
der Monumenta Germaniae findet sich eine Abschrift des-
selben Stückes von Färber aus dem Cod. Paris, lat. 4042.
f. 308. 'In tribulatione raea' und 'Successus ad vota',
vgl. oben Abschnitt 6.
Darauf folgt eine theoretische Anleitung zum Brief-
schreiben von anderer Hand. Der Anfang: 'Ad inven-' ist
verstümmelt. Der zweite Satz beginnt: 'Hoc est facillitas (!),
que tocius sermonis' etc. Endet: 'presentem paginam'.
f. 313'. Wieder vollständige Briefe, u. a. Bonifaz VIII.
vom 25. Febr. 1296 'Clericis laicos' P. 24291, und derselbe
vom 28. Febr. 1297 'Coram illo', P. 24475.
532 K. Hampe.
f. 315. Incipit summa artis dictaminis, composita a
Matlieo de Libris notario de Bononia. 'Qvioniam ars dicta-
toria prelatis, principibus et qnibuslibet aliis, cuiuscumque
condicionis existant, oportuna dinoscitur, ego Matheus quon-
dam Alberti de Libris notarins Bononiensis civis — ultra
trecenta quinquaginta principia ex ingeuii mei laboriosa
subtilitate multaque cogitacione composui'. Hier sind als
Beispiele nur kurze Sätze eingefügt, die auch wohl nur
selten aus wirklichen Briefen genommen sind. Unter den
Adressen findet sich auch 'R. ßomanorum Imperator et
semper augustus'.
f. 348 und 348' sind leer. Im Folgenden häufiger
Wechsel der Hände. Zunächst f. 349 — 352' eine Anzahl
von Formeln, die sich auf italienische Verhältnisse beziehen,
meist mit Antwort verbunden, wohl alle erdichtet. Sie be-
ginnen: Ad consanguineum invectiva, quia non significat
statum suum. 'Si iuxta canonis' etc. ; dem Tone nach
könnte es Thomas von Capua sein, bei dem ich das Stück
indes nicht finde.
Dann wieder vollständige Briefe, f. 353. Suplicacio
G. de Monteforti ad dominum papam = Würdtwein, Nova
Subsidia I, 76. f. 353'. Dissuacio, ne prelati veniant ad
concilium, vgl. Eeg. Imp. V. B.-F.-W. 11308 zu 1241.
f. 355. Stücke aus Thomas von Capua (= T.): 1)T. 1,1 =
P. 7581. 2) T. VI, 10. 3) T. VI, 15. 4) T. VI, 20. 5) T. VII, 2.
6) T. VII, 4 = P. 7205 und andere kurze Anfänge.
Zum Schluss f. 359 — 364 wieder vollständige Briefe,
auf Durham, York etc. bezüglich, aus den achtziger und
neunziger Jahren des 13. Jahrh.
XII.
Zur
Florians- und Lupus -Legende.
Eine Entgegnmig
(Fortsetzung)
Brano Krusch.
3. Passio FlorianP.
Das älteste Zeugnis für den Cult des Lorcher
Märtyrers Florian findet sich im Martjrologium Hieronj-
mianum (M. H.), und so führt uns die Untersuchung- über
seine Passio wieder mitten in die textkritischen Fragen
desselben hinein. Der Heilige hat in den massgebenden
Hss. eine sehr verschiedene Behandlung gefunden. Während
die Recension E sich über ihn vollständig ausschweigt, ent-
hält W nur die topographischen Angaben, und zwar in
einer Form, die sie sofort als Interpolation erkennen lässt,
und nur B kennt die Geschichte seines Martyriums. Diese
kann also nicht auf den Archetypus zurückgeführt werden
und nicht einmal auf den Stammvater der zweiten Eecen-
sion Y. Ihr Alter bestimmte ich daher lediglich durch
das der Hss. WB als die zweite Hälfte des 8. Jahrhunderts,
und setzte die Abfassung der Passio , in der Annahme,
dass die Erzählung von B ein Auszug aus ihr sei, in
die Mitte desselben Jahrhunderts. Bei dem von mir
angenommenen Zusammenhange der beiden Texte hatte
die Legendenschule ein lebhaftes Interesse daran , die
B- Eintragung auf eine möglichst hohe Ueberlieferung, und
wenn nicht auf den Archetypus des M. H., was aussichts-
los war, so doch auf die zweite Recension Y zurückzuführen,
denn der Auszug schob die Passio immer vor sich her.
Duchesne- bestreitet das Fehlen des JSTamens Florian in
E und findet den einzigen Unterschied zwischen dieser
Hs. und den anderen darin, dass letztere ausserdem noch
eine mehr oder weniger lange, augenscheinlich von der
Passio abhängige Geschichte enthalten, vollständig B,
während sie in W nach den ersten Worten abbreche, unter
Verweis auf ein 'anderes Buch'. Er stellt die drei Texte
in der Reihenfolge EBW, also nicht wie er sie in der Aus-
gabe abgedruckt hatte (BEW), einander gegenüber, und findet
nun unter dem vorhergehenden Tage den Namen Florian
auch in E an seinem richtigen Platze; er hat offenbar die
1) Siehe oben S. 287 — 337. 2) Bulletin critique 1897, n. 20.
536 Bruno Krusch.
Streitfrage nicht erfasst, denn nicht die Existenz des
Namens Florian, sondern die des Lorcher Märtyrers dieses
Namens war nachzuweisen. Noch trüber ist seine Dar-
stellung- des Sachverhalts hinsichtlich der Hs. W. Er muss
zugeben, dass die mehr oder weniger lange Geschichte sich
in dieser Hs. auf die ersten Worte, d. h. die Ortsangaben,
beschränkt und folglich, wie jeder sieht, die Geschichte
eigentlich ganz fehlt; durch ein äusserst geschicktes Kunst-
stückchen gelingt es ihm aber, die Lücke rasch auszu-
füllen. Die Lesart loquorq; von W, eine Corruptel des
Namens Lorch, deutet er als loco require, und so erhält
er den kostbaren Verweis auf das 'andere Buch'. Mit
diesem Verweise ist nun freilich immer noch nicht die
ausführliche Florians - Geschichte in dem W-Text gerettet,
aber doch wenigstens das 'Buch' entdeckt, aus welchem
sie W hätte abschreiben können, und diese schwankende
Brücke leitet meinen phantasiereichen Gegner zu den
folgenden Schlüssen. Der W-Text stammt aus demselben
Exemplar, welches auch den Text von B geliefert hat,
nämlich Y, und dieses scheint in der That aus der Zeit
Chlothars IL (614 — 628) zu sein. Man müsste noch weiter
hinaufgehen, meint er, wenn es bewiesen wäre, dass die
Passionsgeschichte auch in E bei Florians Namen ge-
standen hätte: Mais l'etat de l'Epternacensis ne permet
ni de l'af firmer, ni de le nier. So sind wir fast bis an den
Archetypus des M. H. gelangt und erst kurz vor dem
Anschlüsse verlässt uns unser talentvoller Führer; indem
er aber das af firmer vor das nier setzte, kann sich jeder
seinen Gedankengang leicht weiterspinnen. Wozu nur diese
geheimnisvolle Bedächtigkeit just an der entscheidenden
Stelle ? Rücken wir doch offen und ehrlich mit der Sprache
heraus: 'Die Floriansgeschichte steht zwar nicht in E, sie
stand aber darin'.
Ich gebe zunächst den Text des M. H. an der kriti-
schen Stelle, wie er sich in WB unter 4. Non. Mai., in E
unter dem vorhergehenden Tage findet:
In Affrica natale Caelestini, Felicis, Urbani, Romani,
Bellici, Marciani (Marciali B ; Marcialis W), Mittuni, Petri
(prbi. W), [Zus. : Et in Nurico ripense loco Lauriaco natale B]
Floriani, [Zus. : Petri et in Nurico repense loquorq ; W ;
ex principe (et principi B) officii presidis, ex cuius iussu,
ligato saxo collo eins, de ponte (ponente B) in fluvio Aniso
missus est, oculis crepantibus praecipitatum, videntibus
Omnibus circumstantibus B].
Et in Cessarea u. s. w.
Zur Florians- xmcl Lupus -Legende. 537
Die auf den Lorcher Märtyrer Florian bezüg-lichen
topographischen Angaben stehen also in W, wie ein Blick
auf den Text lehrt, nicht an der richtigen Stelle, sondern
sind mit dem Namen Petri verbunden und folgen in dieser
Verbindung dem Namen des Heiligen, statt ihm voran-
zugehen. Vor Floriani aber steht statt Petri in derselben Hs.
prbi. (= presbyteri) und nach der Beobachtung Duchesne's ist
das einfach ein Verderbnis dieses Namens, wie anderwärts
(Non. Apr.) E Probiinprb. verdorben hat. Darnach war die ur-
sprüngliche Lesart der Hs. W nicht Petri, Floriani, sondern
prbi. Floriani, und der folgende Zusatz dieser Hs. Petri et
in Nurico repense loquorque muss folglich ein Nachtrag
sein, und zwar, wie die Wiederholung des Namens in der
richtigen Schreibung Petri beweist, aus einer anderen Hs.
Die Interpolation steht aber in allen Hss. der Familie, als
deren Vertreter W abgedruckt ist, und der Erklärer des
geheimnisvollen loquorq; hätte sich nicht auf die eine Hs.
beschränken dürfen, sondern mindestens noch den wichtigen
Codex S zu Rathe ziehen müssen, der manche Vorzüge
vor der anderen Hs. hat. Dieser liest nun locarci für
loquorq ; und das ist offenbar ein Ortsname. Da nun auch
B an anderer Stelle die Provinz Noricum ripense nicht mit
einem loco require, sondern mit dem Ortsnamen loco Lau-
riaco verbindet, so ist loquorq; oder vielmehr locarci in
Laureaci oder nach der französischen Aussprache Loreaci zu
verbessern. Die Deutung, welche Duchesne dem Worte ge-
geben hat, ist also falsch, und der Versuch durch diese falsche
Deutung die ausführliche Passionsgeschichte auf Y zurück-
zuführen, muss als vollständig gescheitert angesehen werden.
Die Hss. WB gleichen sich nur in den Ortsangaben, differieren
aber durch verschiedene Stellung derselben, und dieser Um-
stand allein verbietet schon, den Zusatz aus der gemein-
samen Quelle herzuleiten. Wie die Fassung desselben in
W an sich den Charakter der Interpolation trägt, so muss
hier der Fall in Betracht gezogen werden, dass in der
Mutterhs. von W die Worte nachträglich eingeflickt waren.
In der Ueberlieferung des M. H. ist dieses Verfahren
häufiger zur Anwendung gekommen. Die historischen Zu-
sätze zu den trockenen Namenreihen des M. H. wurden,
wie ich schon oben bemerkte, sehr geschätzt und eifrig
weiter verbreitet; da aber der ßaum in den Hss. beschränkt
war, wie ein Blick in die noch erhaltenen lehrt, Hessen
sich bisweilen nur die Anfangsworte der Extravaganten
nachtragen. In einem Falle (3. Non. lan.) fanden wir
den Anfang in WB, während L den vollständigen Text
538 Bruno Krusch.
bot ^ Sogar die ganze ausführliche Martyriumsgeschichte war
ein ander Mal gleichlautend in E und L erhalten, also in zwei
Hss., welche in durchaus keinem näheren Verwandtschafts-
verhältnisse zu einander stehen, und nur die gänzlich ver-
schiedene Stellung lieferte den Beweis, dass der Zusatz
nicht aus dem Archetypus stammen konnte. Die betreffende
Stelle (1. Jan.) beginnt in E 'Coronae qui', während der Mär-
tyrer in Wahrheit Telemach hiess ^ und auch in L ähnlich
(Alamachi) genannt wird; von der Corona aber ist in der vor-
hergehenden Notiz die Rede, welche jetzt in E ausradiert
ist. Der Interpolator von E hat also den Zusatz mit
einem fremden Namen in Verbindung gebracht, zu welchem
er keine andere Beziehungen hatte, als lokale, nämlich die
der Nachbarschaft. Der Vergleich mit der Florians -Inter-
polation in W liegt auf der Hand. Auch in diesem Falle
hat der Interpolator bei Aushebung der topographischen
Angaben den fremden Namen Petri mitgegriffen, und 'Petri.
Et in Nurico ripense loco Lauriaco' findet man richtig vor
Floriani gestellt in ß. Wenn diese Hs. ausserdem noch
Angaben über die Amtsstellung des Heiligen und sein
Martyrium hinter dem Namen hinzufügt, so ist bei dem
Fehlen derselben sowohl in E als in W der Fall ganz aus-
geschlossen, dass sie aus dem Archetypus oder der schon
interpolierten Vorlage Y herstammen könnten. Sie sind
vielmehr partikulare Zusätze der B-Ueberlieferung, von
der wir leider nur ein Glied in der Kette besitzen. An
diesen Thatsachen können alle Künste Duchesne's nichts
ändern, und wenn er sonst nur den gemeinsamen Text der
Hss. für den Urtext gelten lässt und die Zusätze einzelner
Hss. als Interpolationen ansieht, kann er unmöglich ver-
langen, dass man ihm in diesem Falle das Gegentheil
glauben soll.
Wenn W wenigstens noch die auf das Lorcher Mar-
tyrium bezüglichen topographischen Angaben enthält, so
hat auch diese nicht einmal die Haupt -Hs. E. Gegenüber
dieser Thatsache hat Duchesne einen schweren Stand, und
er kann eigentlich keine andere Erklärung für diese be-
fremdliche Lücke finden als den Zustand der Hs. Er hat
jetzt ein lebhaftes Interesse daran, diesen möglichst her-
unterzusetzen. E stellt nach ihm einen Auszug dar, und
wenn in Auszügen manches fehlt, hat dies natürlich keine
tiefere Bedeutung. Diese Auszugstheorie ist, wie wir sahen,
Erbschaft de Rossi's, und Duchesne macht eigentlich nur
1) Oben S. 306. 2) AA. SS. lan. I, 31.
Zur Florians- und Lupus -Legende. 539
von ihr Gebrauch, wenn es liebe Interpolationen zu ver-
theidigen gilt. Ein Auszug steht allerdings in E unter
4. Non. Mai. :
'Nicia civitate natale Antoninae.
In Affrica Caelestini et aliorum XL', aber der voll-
ständige Text findet sich in derselben Hs. unter dem vor-
hergehenden Tage. Es sind nämlich unter 5. Non. Mai.
die Eintragungen beider Tage vereinigt. Aeusserlich ist
dies leicht an den doppelten Auxerre-Festen wahrzunehmen.
In diesem Theile des M. H. vom 6. — 2. Non. Mai. schliesst
jeder Tag mit einem Feste der Kirche von Auxerre, und
wenn 5. JSTon. Mai. nicht allein am Ende, sondern auch
noch in der Mitte ein solches Fest begegnet, muss der Artikel
zwei Tage umfassen, und es ist hinter dem ersten Auxerre-
Fest der neue Tag abzutrennen, dessen Beschluss das
zweite bildet. Theilt man nach diesem Gesichtspunkte
den Artikel, so erhält 4. Non. Mai. seinen vollständigen
Text. Ein Vorfahr von E hatte also den Beginn des neuen
Tages nicht beachtet und nun den Text desselben ohne
abzusetzen angereiht. Die so entstandene Lücke ist dann
schon in der älteren Hs. durch den kurzen Auszug aus-
gefüllt worden. Wie auch Duchesne beobachtet hat, ist
dasselbe Versehen in derselben Hs. noch öfter begangen
und in ganz derselben oberflächlichen Weise ausgeglichen
worden. Ausser der obigen Ergänzung habe ich noch die
folgenden gefunden:
13. kl. Oct. In Alexandria Demetri, Castoris et Aniceti.
Et in Campania Neapoli lanuari.
6. kl. Oct. Eomae Eusebi episcopi.
8. Id. Oct. Antiocia Pelagiae.
Et alibi luliani, Martialis, Privati, Faustini.
Romae Eusebi, Eracli, Dionisi, Candidi, Tituli sui.
7. Id. Oct. Frigia Diodori et Dionisi.
6. Id. Oct. In Affrica natale Eusebi, Eracli, Dionisi,
Secundae, Salsae.
17. kl. Nov. In Asia Cereae et aliorum CCLXX.
In allen diesen Fällen waren in der Vorlage von E
durch Vereinigung mehrerer Artikel unter einem Tage
Lücken entstanden, die durch Vergleichung mit einer
anderen Hs. ergänzt worden sind. Es findet sich aber
der ursprüngliche Text vom 13. kl. Oct. unter 14. kl.,
von 6. kl. Oct. unter 7. kl., von 8. Id. Oct. unter JSTon. Oct.,
von 7. Id. Oct. unter 8. Id., von 6. Id. Oct. unter 7. Id., von
17. kl. Nov. unter Id. Oct. In den meisten Fällen hatte
der Schreiber den auf den combinierten Text folgenden
540 Bruno Kruscli.
Monatstag übersprungen und mit dem übernächsten weiter-
gezahlt; nur nach Non. Oct. hat er weiterdatiert, als
wenn keine Lücke vorhanden wäre, und erst 6. Id. über-
sprungen, so dass die beiden vorhergehenden Artikel (8. und
7. Id. Oct.) um einen Tag vordatiert sind. Bei der Colla-
tionierung mit der anderen Martyrologienhs. hat man zu-
nächst die fehlenden Tage ergänzt und dann den beiden
vordatierten Tagen die Köpfe vorgesetzt, die sie in dieser
Hs. hatten. Es war dies aber, wie die kurze Fassung der
Artikel lehrt, eine Breviarienhs. und zwar glich sie am
meisten dem Breviarium von Eeichenau. We]in dieses
4. Non. Mai. folgendermassen liest: 'In Nicea civitate An-
tonini. In Africa Caelestini et aliorum XII (oder XV)', so lehrt
ein Vergleich mit E, dass eigentlich nur die Zahl differiert.
Darnach ist der Ursprung der Breviarien ebenfalls sehr
alt und sicherlich noch in das 7. Jh. zu setzen. Wenn
man aber E wegen dieser Auszüge unter die Breviarien
setzen wollte, so kann es durch eine sehr einfache Procedur
den vollständigen Hss. zurückgegeben werden. Streicht
man nämlich den Lückenbüsser und theilt den vorher-
gehenden Tag in der angegebenen Weise, so erhält man
nicht allein den vollständigen, sondern überhaupt den
besten und reinsten Text. Es fehlt ihm, wie jeder sieht,
nicht allein der topographische Zusatz, welchen W und ß
an verschiedenen Stellen und durch augenscheinliche Inter-
polation einflickten, sondern ausserdem auch die ausführ-
liche Geschichtserzählung B's von dem Martyrium, und in
diesem Punkte zeugt E mit W gegen B. Der Name Florians
ist allerdings auch in E unter dem vorhergehenden Tage
enthalten, darin ist Duchesne Recht zu geben, und er steht
auch an derselben Stelle, wie in den beiden anderen Hss.;
er trägt aber keins von den den Lorcher Heiligen
charakterisierenden Attributen, und dieses Putzes entkleidet,
verwandelt er sich im Handumdrehen in einen — afrika-
nischen Märtyrer, und die beiden Namen Petri, Floriani
bilden den Schluss in dieser Märtyrerreihe, die uns weiter
nichts angeht. Meine Bemerkung von dem Fehlen Florians
in E bezog sich natürlich nur auf den Lorcher Märtyrer,
dessen Passio ich herausgab, und insofern hatte ich Eecht.
Schöner wäre es ja nun freilich, wenn hinter dem Namen
Florians, wie in B, auch in der ersten Recension E die
ausführliche Leidensgeschichte stände; aber gegenüber
der exacten Fassung dieser Hs. müssen alle Versuche die
Lorcher Legende hineinzuprakticieren aussichtslos er-
scheinen. Wer die Frage, ob diese Geschichte in E ge-
Zur Florians- und Lupus - Legende. 541
standen hat, weder bejahen noch verneinen will, sucht ab-
sichtlich Unklarheit zu verbreiten über eine Sache, die
durch den Zustand der Hs. entschieden ist. Zum Lorcher
Heiligen ist der Afrikaner erst durch die Interpolationen
der Hss. WB gestempelt worden, und wie diese durch die
Aufstellung- eines gemeinsamen Textes ganz von selbst
wegfallen, so erhält der reine E-Text auch auf diesem
Wege seine glänzende Bestätigung. Hiermit vergleiche
man das Zeugnis, welches bei einer anderen Gelegenheit
derselbe Duchesne höchst unvorsichtiger Weise derselben
Hs. E ausgestellt hat, dass sie 'ex exemplari puriore et
antiquiore' stamme ^.
Die Sache verhält sich also gerade so, wie ich sie
in meiner Vorrede dargestellt hatte: von dem Lorcher
Heiligen findet sich in der ersten Recension X keine Spur,
während die Hss. der zweiten Y in ihren Zuthaten nicht
übereinstimmen. Der gemeinsame Theil der Hss. WB geht
allerdings auf die Mutterhs. Y zurück; daneben hat aber
jede von beiden ihre eigenen Zusätze und Aenderungen, die
natürlich mit Y in keiner Verbindung stehen.
Mit der Behauptung, Y scheine in der That aus der Zeit
Chlothars II. (614 — 628) zu stammen, ist also für das Alter
der Florians-Interpolationen nichts bewiesen, wenn nicht auch
ihre Zugehörigkeit zum gemeinsamen Theile bewiesen wird,
wozu doch das famose loco require' nimmermehr ausreicht.
Die obige Behauptung ist aber auch an sich falsch. Wir
trennten nns^ von Y mit dem Hinweis auf seine aqui-
tanischen Beziehungen, besonders zu der Insel Oia, welche
letzteren iim so mehr in die Augen fallen, je unbedeu-
tender und unbekannter der Ort ist. Gleichzeitig führte
ich das Gedächtnis des Bischofs Falbeus(l5. kl. Aug.) zum Be-
weise an, dass es sich um eine Stiftung irischer Observanz
und die nachcolumbanische Zeit handle. Das Kloster
auf der einsamen Insel Oia ist fast allein bekannt aus
der Lebensbeschreibung des h. Amandns, der in Aquitanien
geboren, hier seine ersten Studien machte, bevor er sich
nach Tours begab, um Cleriker zu werden, und hernach
nach Bourges zum h. Austrigisel. Amandns aber ist eben-
so wegen seiner Thätigkeit als Missionar der heidnischen
Franken als wegen seines vertrauten Umganges mit ^ dem
Biographen Columbans als ein Anhänger der schottischen
Schule anzusehen. Von Bischof Falbeus hatte ich be-
hauptet, dass er Schotte war. Der Abt Failbeus, Vor-
1) Vgl. oben S. 304. 2) Oben S. 323.
542 Bruno Krusch.
ganger des bekannten Adamnan in der Leitung des Klosters
lona^, kann nicht gemeint sein, sondern es handelt sich
offenbar um einen irischen Bischof dieses Namens, der
sich im 7. Jh. auf der Durchreise in Gallien aufgehalten
hat und zu Aquitanien in Beziehung getreten ist. Der
h. Sigiramnus, dessen Vita ursprünglich in einer höchst
fehlerhaften und barbarischen Sprache abgefasst war, aber
nur in einer stilistischen, wenn auch noch ziemlich fehler-
haften TJeberarbeitung - erhalten ist, war im Berry geboren,
hatte in Tours die Schule besucht, dann unter Flaochads
Leitung am Hofe den Cursus bonorum begonnen und war
noch als Knabe zum Schenken des Königs befördert
worden. Ebendamals hatte sein Vater Singelaicus den
Bischofsstuhl von Tours bestiegen (617 — 620?) und ge-
dachte nun den Sohn mit der Tochter eines seiner Freunde
zu verheirathen. Aber dieser zog den geistlichen Stand
vor und begab sich nach Tours an das Grab des h. Martin,
um sich hier zum Geistlichen zu scheeren. Der damalige
Bischof der Stadt, also einer der Nachfolger seines Vaters,
war damit einverstanden und reihte ihn seinem Clerus ein;
er wurde sogar Archidiacon und allen Kirchen der Diöcese
vom Bischof vorgesetzt. Die Bethätigung seiner Wohl-
thätigkeit brachte ihn in den Verdacht geistig gestört zu sein,
und der Graf der Stadt Hess ihn sogar einkerkern, musste aber
die Frevelthat mit seinem Leben büssen. Damals, heisst es
in der Vita weiter, begab es sich, dass ein Bischof aus
Irland in diese Gegenden kam namens Falvius^, der sich
durch ganz besondere Frömmigkeit auszeichnete, und von
dessen gottgefälligem Lebenswandel weit und breit die
ßede ging. Auch Sigiramnus hörte von ihm und schloss
sich ihm an. Falvius war aber damals in einer ßeise
nach Rom begriffen, und so ist Sigiramnus mit ihm dort-
hin gepilgert. Inzwischen genoss im fränkischen Königs-
palast das allergrösste Ansehen Flaochad und auch Sigi-
ramnus musste auf der ßückreise von Rom in Civilstreit-
sachen seine Hülfe in Anspruch nehmen. Dadurch wurden
die freundschaftlichen Beziehungen zwischen beiden wieder
aufgefrischt. Unter dem Einflüsse des frommen Mannes Hess
sich Flaochad für Klostergründungen begeistern, und so
entstanden in der Diöcese Bourges die Klöster Meobecque
1) Tanner, Bibliotheca Britannico-Hibernica S. 273. 2) Anal. Bolland.
III, 379 ff.: 'Erat enim per omnia, prout se habet auctoritas litterarum, tarn
verbis quam sillabis omnis eins constructio ad intelligendum confusa'. 8) V.
Sigiramni (a. a. 0. S. 386) : 'Accidit autem illo in tempore, ut quidam episco-
pus ex partibus Hiberniae adiret istis in partibus, Falvius scilicet nomine'.
Zur Florians- ubcI Lupiis - Legende. 543
(Indre) und auf einem Landgute des Gönners Longoretus.
Flaochad gelang es noch, seinen Gegner, den Patricius
Willibad zu tödten, als er 11 Tage darnach starb. Nach
Fredegar^ fällt dieses Ereignis in dasselbe J. 642, in welchem
er Majordomus von Burgund geworden war. Der Aufent-
halt des irischen Bischofs Falvius in jenen Gegenden und
seine Reise mit dem Aquitanier Sigiramnus nach Rom sind
unmittelbar vor der neuen Anknüpfung der Beziehungen
zu Flaochad dargestellt und folglich nicht lange vor 642
zu setzen. Wenn sich also unter den Nachträgen der aqui-
tanischen Recension Y auch der folgende 15. kl. Aug.
befindet :
et Falbei (so WP; Fabei B; Falvei C) episcopi,
so wird jetzt durch die V. Sigiramni der Sachverhalt auf-
geklärt, wie der irische Bischof in den aquitanischen
Heiligenkalender gekommen ist. Duchesne's Altersbestim-
mung der Recension Y erweist sich durch diesen Nachweis
als ebenso irrig, wie seine anderen Berechnungen und die
aus denselben gezogenen Schlüsse. Seine Behauptung
hinsichtlich der Hss. WB : 'Simul quidem procedunt usque
ad finem saeculi VI., eumque simul procedentes, excedunt,
iisdem verbis commemorantes depositiouem S. Gregorii
papae (604) et passionem S. Desiderii Viennensis (611); sed
ultra alius alia via pergit', zeigt von Neuem, wie wenig
der jüngste Herausgeber des M. H. seiner Aufgabe ge-
wachsen war, und alle an sie geknüpften Schlüsse sind
hinfällig. Die Recension Y erwähnt das Fest eines Heiligen,
der in den Jahren 630/40 noch frisch und munter nach
Rom gepilgert ist, und wenn man nicht gerade den un-
günstigsten Fall annehmen will, dass ihn auf dieser Reise
der Tod ereilt hat, • — was dann wohl auch der Hagio-
graph nicht unerwähnt gelassen hätte, — können wir als
Zeitgreuze für Y, gerade wie für den gallischen Bestand-
theil der Hs. E, etwa die Mitte des 7. Jh. setzen.
Die zahlreichen Angehörigen der Familie Y gehen
durch zwei Mittelglieder, die Stammhs. der W- Klasse (Z)
und den Vorfahren von B, auf ihren Ahn zurück. Von
dem Exemplare Z sind zwei Linien erhalten, SC und die
Fontaneller Gruppe mit W, und aus der Vergleichung
dieser beiden müssen sich die gemeinsamen Zusätze der
Quelle ergeben. Da diese Untersuchung bisher noch nicht
einmal versucht worden ist, stelle ich im Folgenden meine
Ergebnisse zusammen:
1) IV, 89. 90.
Neues Archiv etc. XXIV. 35
544 Bruno Krusch.
16. kl. Febr. In Gall. civitate Beturicas depositio sancti
om. W) Sulpicii episcopi et confessoris.
4. Id. Feh. et Baldegundis abbatissae.
17. kl. Mai. In eadeni die dedicatione altaris sancti lu-
liani martyris, qui Brivate partibus est.
14. kl. Mai. Autisiodero in Gall. dedicatio altaris senioris
aecclesiae.
8. kl lun. et depositio sancti Marcelli confessoris.
6. Non. lul. Turonns sanctae Monegundae.
3. Id. Aug. et in Cameraco natale sancti Gaurici con-
fessoris.
13. kl. Sept. et in Toronico Kainone Castro depositio
sancti Maximi confessoris.
4. Non. Sept. Agusteduno depositio beati Siagri episcopi.
8. kl. Nov. et Sanctouis translatio sancti Vibiani episcopi
et confessoris.
Prid. Non. Nov. Rotenus Gall. depositio sancti Amantii
episcopi. In Gall. civitate Beturicas depositio sancti
Lusoris pueri et confessoris.
3. kl. lan. Turonus Perpetui episcopi et confessoris.
Von den wenigen Nachträgen des Z- Exemplars sind
noch zu streichen die Feste des Amantius und Lusor (Prid.
Non. Nov.), die in den anderen Hss. unter Kl. Nov. stehen
und also einfach versetzt sind. Ferner ist die Depositio
des Bischofs Syagrius von Autun (4. Non. Sept.), von der
weitläufig oben S. 313 gehandelt wurde, nur eine Wieder-
holung der Eintragung von 6. kl. Sept., wo alle Hss. dieses
Heiligen gedenken, und S verzeichnet dieselbe Depositio
sogar noch ein drittes Mal zu Kl. Sept. Von den 10 übrigen
Festen gehören drei der Kirche von Tours an (Monegunde,
Maximus, Perpetuus), und ausserdem sind die aquitanischen
Kirchen von Bourges (Sulpicius), Poitiers (Baldegunde),
Clermont (Altarweihe in Brioude) und Saintes (Vibian) ver-
treten. Die spätesten Eintragungen sind die Altarweihe in
der Kathedrale von Auxerre, welche von Bischof Desiderius
vollzogen zu sein scheint^, der 614 dem Concile von Paris
beiwohnte, das Fest des Bischofs Gaugerich von Cambrai
(t 623/6) und die Depositio des Bischofs Sulpicius von
Bourges, welcher im J. 646 gestorben ist '-. Die Heimath
dieser Tochterhs. von Y scheint also, wenn nicht Aquitanien,
so doch das benachbarte Tours zu sein. Ihre Entstehung
1) In den Gesta ep. Autissiod. c. 20. ist jedoch 13 (nicht 14) Kl.
Mai. als Festtag angegeben. 2) Vgl. Mittheil. d. Instituts für Österreich.
Geschichtsforsch. XVni, p. 365.
Zur Florians- und Lupus -Legende. 545
kann man nocli in das 7. Jh. rücken, da sich unter den
Zusätzen kein einzig-er ans dem achten findet. Es ist aber
zu beachten, dass ihre Zahl sehr gering- und ausserdem die
Epoche der Aebtissin Baldegunde von Poitiers (4. Id. Feb.)
meines Wissens gänzlich unbekannt ist.
Alle anderen Zusätze der verschiedenen Hss. der
Z- Familie sind erst nach ihrer Abzweigung in den Text
gekommen, und indem ich jetzt SC bei Seite lasse, wende
ich mich der Fontaneller Gruppe zu. Die jüngste Notiz
über die Beisetzungen der Heiligen dieses Klosters wollte
de Rossi in der Eintragung des Abtes Wando 15. Kai. Mai.
(t 756) gefunden haben, durch einen offenbaren Irrthum,
denn gerade in W fehlt dieses Fest. Er brachte damit die
Nachricht der Gesta abb. Fontanell. c. 13 in Verbindung,
dass unter diesem Abte die Kloster -Bibliothek namhaften
Zuwachs, u. a. auch durch den Codex 'Regula sancti Bene-
dicti et sancti Columbani et Martirologium' erfahren habe.
Duchesne dagegen fand als jüngsten Abt dieses Klosters
Lando (f 734) in W angeführt (17. kl. Feb.). Aber auf die
gemeinsame Mutterhs. von W und LMV kann auch diese
Eintragung nicht zurückgeführt werden, denn die Stellung
ist verschieden, und überhaupt differieren bei den meisten
dieser Fontaneller Notizen, etwa mit Ausnahme von Wulf-
ramm und Abt Benignus (13. Kl. Ap.), Ermbert (pr. Kl. Mai.),
Wandregisel (11. Kl. Aug.), die Hss. in diesem Punkte, so
dass sie für die Altersbestimmung der Quelle nicht ver-
werthet werden können. Das späteste gemeinsame Fest
scheint dann das des H. Lambert in Lüttich (15, Kl. Oct.)
aus dem Anfang des 8. Jh. zu sein. Unter den eigenen
Zuthaten von W sind schon Fiorentini die Feste der Kirche
von Maastricht, das des Servatius (3. Id. Mai.) und der
Einweihung der Michaeliskirche (11. Kl. lun.) aufgefallen,
und er behauptete, dass sich ein Vorfahr der Hs. dort be-
funden habe. Die späteste Nachricht ist die vom Märtyrer-
tode des h. Bonifaz ^ (754/5), und 772 ist, wie bemerkt,
die Hs. geschrieben.
Während sich also bei der Z- Klasse durch Ver-
gleichung der zahlreichen Hss. untereinander nach Mass-
gabe ihrer Verwandtschaft die Zusätze gruppieren Hessen,
und so, wenn auch nicht immer das Alter, so doch die
Reihenfolge bestimmt wurde, in welcher die einzelnen
Gruppen in den Text gelangt sind, sind wir gegenüber der
1) 7. Id. lun.: 'et passio Bonifacii episcopi, qui passus est in
Westrachia' ; cf. Scr. rer. Merov. II, p. 176, n. 5.
35*
546 Bruno Krusch.
anderen Linie B dieses Hülfsmittels zur Sichtung ihrer
eigenen Beiträge vollständig beraubt. Sieht man sich aber
diese B- Zusätze näher an, so wird man bald einen tief-
greifenden geographischen Unterschied bemerken, die
Scheidung in einen älteren aquitanischen und einen jüngeren
austrasischen Theil. Ich stelle hier die betreffenden Nach-
träge nach diesem Gesichtspunkte zusammen.
1. Aquitanische Feste.
16. kl. Feb. Beturicas Sulpici episcopi.
3. Id. Feb. et Baldegundis virginis et abbatissae civitate
Pectavis.
3. Id. Mai. In Sanctonico monasterio Salimonno depositio
sancti Martini presbiteri et confessoris.
13. kl. lun. Beturicas civitate depositio sancti Austrigiseli
episcopi.
7. kl. Sept. Beturico translatio corporis sancti Sulpicii.
6. kl. Sept. et dedicatio ipsius basilicae.
10. kl. Oct. Beturico vico noncupante Libroso sancti Sil-
vani et Silvestri.
8. kl. Oct. Beturicas dedicatio basilicae sancti Desiderii
episcopi et martyris.
kl. Oct. In Gall. civitate Beturicas dedicatio ecclesie
sancti Stephani protomartjris.
17. kl. Nov. Beturicas civitate depositio sancti Ambrosii
episcopi et confessoris.
7. kl. Nov. In territurio Beturico monasterio Longoreto
translatio Siggeramni et dedi(ca)tio basilice ipsius.
kl. Nov. In Beturio Gortonis Castro depositio Rumoli
presbiteri.
2. Austrasische Feste.
9. kl. lun. Basilla civitate sancti Albani martyris.
3. Non. lul. In Hilariaco monasteri(o) adventus corporis
sancti Naboris et Nazari.
17. kl. Oct. In Tullo civitate depositio sancti Apri con-
fessoris et episcopi.
16. kl. Oct. In Hilariaco monasterio translatio corporis
sancti Naboris et dedicatio ecclesie ipsius.
3. Non. Nov. et depositio domni Perminii episcopi bone
memorie.
Die erste Gruppe besteht fast ausschliesslich aus
Festen der Diöcese Bourges, und es sind überhaupt nur
zwei Ausnahmen vorhanden, die Aebtissin Baldegunde von
Poitiers (3. Id. Feb.), der wir zu dem vorhergehenden Tage
Zur Florians- und Lupus -Legende. 547
auch in Z begegneten, und Martin von Saujon ^ in der
Diöcese Saintes (3. Id. Mai). Alle übrigen aquitanischen
Nachträge betreffen den ßerry, und zwar drei Bischofs -Depo-
sitionen mit einer Translatio und drei Kirchweihen Bourges
selbst, die übrigen Feste das Territorium, darunter die
Translatio unseres alten Freundes Sigiramnus von Longo-
retus und die dortige Kirchweih (7. Kl. Nov.), während sein
Tod vielleicht wegen Unvollständigkeit hier fehlt, wohl
aber in W angemerkt ist (Prid. Non. Dec). Unter den
Bischöfen von Bourges bemerkt man, wie in Z, Sulpicius II
(f 646) mit seinem Vorgänger Austrigiselus, und zwar
ausser dem Todestage auch die Translatio (7. Kl. Sept.),
welche Bemerkung unter dem folgenden Tage mit der Weihe
seiner Basilica fortgesetzt wird. Ueber den Neubau der
Sulpicius-Kirche sind erst .kürzlich Nachrichten bekannt
geworden, nach welchen derselbe 672 vom Bischof Chado
und Abt Barcelaicus begonnen wurde -. Wie viel Jahre
er gedauert hat, wissen wir nun leider nicht; nur sei bemerkt,
dass 674 der 27. August ein Sonntag war. In noch viel spätere
Zeit würde uns die Beisetzung des Bischofs Ambrosius in
Bourges (17. Kl. Nov.) führen, wenn die gangbare Lebens-
geschichte dieses Mannes erwiesen wäre, dass er ein Bischof
von Cahors und um 770 auf der Durchreise im Berry ge-
storben sei. Jedenfalls ist die starke Berücksichtigung der
örtlichen Kirchweihfeste der Kirche von Bourges zusammen
mit den anderen Bourger Notizen der sicherste Beweis,
dass sich ein Vorfahr der Hs. B in Bourges befunden hat,
wenn sich auch nicht entscheiden lässt, ob er dem 7. oder
8. Jh. angehörte, und in diesem Sinne sind diese Notizen
schon von Duchesne verwerthet worden. Somit ist die aqui-
tanische Herkunft auch des zweiten Nachkommen des aqui-
tanischen Y-Exemplars gesichert.
Dagegen weist die austrasische Gruppe der Nachträge
von B entschieden auf die Metzer Diöcese. Die Beisetzung
Pirmins in Hornbach (3. Non. Nov.) muss vor 754 stattge-
funden haben, in welchem Jahre sich sein Nachfolger nach-
weisen lässt. ^ Vom Kloster Hilariacus, heute S. Avold, sind
zwei Haujjtmerkwürdigkeiten eingetragen, die Ankunft der
h. Nabor und Nazarius und die Translatio des ersteren allein
und seine Kirchweih. In den Besitz des Leibes des h.
Nabor ist das Kloster, eine Stiftung des Bischofs Sigebald
1) Den Ort nennt B Salimonno, während er in den späteren Mirac.
Martini Vertav. Salionum (Scr. rar. Merov. III, 571) lieisst. 2) Auct.
antiq. XI, 493 ; vgl. Mitth. d. Inst. f. Österreich. Geschichtsforsch. XVIII,
S. 365. 3) SS. XV, p. 31.
548 Bruno Krusch.
von Metz ^, durch dessen berühmten Nachfolger Chrode-
gang gelangt. Dieser Hess 765 die drei Leiber des Gor-
gonius, Nabor und Nazarius von Rom in das Frankenreich
übertragen, schenkte aber im folgenden Jahre Gorgonius
und Nazarius den von ihm gegründeten Klöstern Gorze und
Lorsch -. Die Hs. B feiert zwar Anfangs die Ankunft
der h. Nabor und Nazarius in S. Avold, verfolgt aber
nach der Abführung des letztern nach Lorsch nur den
erstem und hält sogar seinen Kirch weihtag für denkwürdig
genug, um ihn auf die Nachwelt zu bringen. Unzweifel-
haft ist entweder sie oder ihr nächster Vorfahr in S. Avold
geschrieben und zwar in der zweiten Hälfte des 8. Jhs.
Der ebenfalls in B angemerkte 'traiisitus Winiramni' (Non.
Nov.) könnte sich auf den Tod des Kanzleibeamteu Pippins
Wineramnus, der noch 753 begegnet, beziehen^, doch war
dieser Laie^.
Die Verwandlung des afrikanischen Märtyrers Florian
in den Lorcher ist nach der Trennung der Tochterhss.
Z B von der gemeinsamen Mutter Y, also nicht vor der
Mitte des 7. Jhs., erfolgt und kann bis in das 7. Jh. vor-
gerückt werden, während der späteste Termin durch das
Alter der Hss. gegeben ist. Wenn es sich auch bei den
Interpolationen der bezüglichen Hss. um eine Textverfäl-
schung des M. H. zum Zwecke der Einführung eines neuen
Märtyrers handelt, so brauchte doch deshalb die Angabe
über sein Martyrium in B nicht auf Erdichtung zu beruhen,
sondern könnte von dem Interpolator aus einer guten alten
Quelle geschöpft sein. Noricum ripense mit Lorch gehörte
zu lUyricum occidentale und stand unmittelbar unter dem
Praefectus praetorio Italiae ^. Die Civilverwaltung. lag in
den Händen eines Praeses; in militärischer Hinsicht aber
war es, nachdem Diocletian dieDucate eingerichtet hatte, mit
Pannonia I. vereinigt und einem Dux als Militärbefehlshaber
unterstellt, unter welchem u. a. die Präfecten der 2. Legion
in Lorch und der Lorcher Flotte standen. Sowohl der
Civilbeamte als der Militärbefehlshaber hatten ihr eigenes
Bureau (officium), und bei beiden stand ein Princeps de
(oder ex) eodem officio an der Spitze, also ein Büreauchef,
1) Paulus. Gesta ep. INEett., SS. II, 267. 2) Ann. Fuld. a. 765.
766 (SS. 1,347 sq.); Paulus a. a. 0. S. 268. Vgl. das Bruchstück eines
Passauschen Kalenders saec. IX. (bei Dümmler, Piligrim von Passau
S. 101): 'Adventus sancti Xazarii in Lauresham'. 3) Ueber ihn siehe
Sickel, Acta Karol. I, 76. 4) Bresslau, Handb. der Urkundenlehre I, 274
N. 1; Mühlbacher, Regesten S. LXXXV. 5) Julius Jung, Römer
und Romanen in den Donauländern (1887j S. 48 '.
Zur Florians - und Lupus - Legende. 549
wie Mommsen erklärt ^ Nach den Ang-aben von B war
Florian ein solcher Büreauchef ausser Dienst (ex principe
officii) und hatte im Dienste des Praeses von Noricum
ripense gestanden, auf dessen Befehl er ertränkt wurde.
Bei der Beurtheilung dieser Stelle ist zu beachten, dass
wir uns in einer Gegend befinden , in welcher man die
Einrichtungen des römischen Reichs das ganze Mittel-
alter hindurch eifrig studiert hat, behufs Anfertigung
der umfangreichen apocryphen Literatur, deren Ehren-
rettung Duchesne noch vorbehalten bleibt. Die Theilprovinz
Noricum ripense war aus der V. Severini bekannt, in welcher
sie öfter genannt wird ; auch das Officium ist in den Le-
genden keine Seltenheit, aber der Princeps officii ist den
Legendenschreibern sonst wenig geläufig. Es ist daher
sehr wahrscheinlich, und ich darf mich hier auf die An-
sicht des Herrn Prof. Mommsen stützen, dass der Inter-
polator B seine Notizen über das Martyrium Florians einer
echten Quelle entnommen hat. Er hat auch gerade wie
sein Vorfahr Y selbständige hagiographische Studien ge-
trieben, und es sind nicht wenige Heilige ^, bei welchen
er das Vorhandensein von Acten durch den Zusatz : quorum
(oder cuius) gesta habentur, bezeugt hat. Sieht man von
dem einem Falle ab , in welchem er durch die Gleichheit
der Namen getäuscht die Bemerkung versehentlich zu afri-
kanischen Märtyrern gesetzt hat, die vielmehr zu zwei
Tage später (4. Id. lul.) erwähnten Mailändern gehört^,
deren Acten allerdings noch vorhanden sind, so sind leider
die von B erwähnten Märtyreracten sämmtlich unterge-
gangen. Wenn sich bei Florian der Interpolator nicht
ausdrücklich auf vorhandene Gesta beruft, kann es fraglich
erscheinen, ob ihm überhaupt über die Märtyrer mehr be-
kannt gewesen ist als die kurze Notiz, welche er mittheilt.
Eine ähnliche Geschichte weiss er von dem Priester Mon-
tanus zu erzählen, der von Singidunum nach Sirmium
geflohen war, wie Florian ergriffen und in den Fluss ge-
worfen wurde, und dessen Leib dann am 9. Meilensteine
1) N. Arch. XIV, 474. 2) Donatus, Heraclius, Vincentius, Su-
sanna, Urbana, Donata, Eulalia in Italien (pr. Id. Feb.), Pomodianus,
Secundianus, Alexander, Bubatus, Saturus, Diodrus, Ropodianus, Nomensis
(pr. Kl. Mai.), Silvanus in Caesarea (4. Non. Mai.), Aquilinus und Victori-
anus in Isaurien (17. Kl. lun.), Nabor, Felix in Africa (6. Id. lul.)
Euphemia in Calcedon (16. Kl. Sept.). 3) Es handelt sich um Nabor und
Felix und der Zusatz von B (6. Id. lul.) lautet: 'decollatorum, quorum
gesta habentur; corpora vero eorum mulier quedam relegiosa postea
transtulit Mediolano'. Der Vorgang steht in der Passio der Mailänder
Märtyrer, AA. SS. lul. 111,292: 'quaedam religiosa femina materfamilias
eiusdem urbis furtim sublatos et vehiculo superpositos Mediolanum deduxit.
550 Bruno Krusch.
zum Vorscliein kam ^ Wie sich die beiden Märtyrer durch
dieselbe Todesart gleichen, so die beiden Interpolationen
durch ähnliche Eedigierung-, und speciell die Worte missus
est in fluvium hat B in beiden Fällen verwandt. Wenn
auch der Märtyrertod des Priesters Montanus von Singi-
dunum anderweitig bestätigt wird -\ so sind doch die näheren
Umstände nur durch B bekannt, und dieses repräsentiert
also in dem vorliegenden Falle eine verlorene Quelle. Eine
zweite Interpolation von B, auf welche ich bereits oben
S. 307 die Aufmerksamkeit gelenkt habe, handelt von der
Märtyrerin Antonina in Nicomedia (4. Non. Mai.), die unter
dem Präses Priscillianus den Flammentod erlitt, nachdem
sie viele und schwere Qualen gelitten und u. a. drei Tage
lang an einem Arme aufgehängt und zwei Jahre im Kerker
eingeschlossen war. Auch in diesem Falle besitzen wir
keine Acten mehr, wohl aber sind kurze Aufzeichnungen
über diese Märtyrerin in griechischen Quellen, Synaxarien
und Menologien, enthalten und diese bestätigen vollständig
die von B gemachten Angaben, den Präses Priscillianus,
das Aufhängen, den 2jährigen Kerker und die Feuerqualen ^.
Das Einschiebsel von B über die Antonina steht in einem
gewissen äusseren Zusammenhange mit dem über Florian,
indem beide zu demselben Tage gemacht sind und ersteres
diesem fast unmittelbar vorangeht.
Während wir also sonst im Allgemeinen nur den Ver-
lust der von B benutzten hagiographischen Literatur zu
beklagen hatten, ist vom h. Florian eine Passio auf uns
gekommen, und nach meinem Vorgange gilt heute die In-
terpolation in der Hs. des M. H. als Auszug aus ihr. Auch
Duchesne hat sich gegen seine sonstige Gewohnheit dies-
mal meiner Ansicht angeschlossen und tritt sogar sehr ent-
schieden für die Abhängigkeit der Hss. WB von ihr ein : 'ils
nous donnent, plus ou moins au long, une histoire qui
depend evideinment de la Passion'. Da er den Zusatz
irrig auf das Exemplar Y zurückführte und dieses wiederum
irrig unter Chlothar II (614 — 628) setzte, erreichte er schon
auf diesem Wege den Anfang des 7. Jh. Es ist aber wenig
wahrscheinlich, fährt er fort, dass das Lorcher Heiligthum
damals vorhanden war und sich überhaupt damals Christen
in jenen Gegenden vorgefunden haben: also, ist sein Schluss,
muss die Passio in die Zeit vor die Stürme der Völker-
1) 7. Kl. Apr. ; siehe oben S. 307. In der Hs. steht irrig Lingidonis
für Singiduno. 2) Vgl. die Passio S. Pollionis in der Einleitung. 3) Vgl.
die in den AA. SS., Mai I, 460, angeführte Literatur.
Zur Florians- und Lupus - Legende. 551
Wanderung- zurückreichen, nämlich in das 4. oder 5. Jh.
Das nennt Duchesne einen wissenschaftlichen Beweis, und
ein so luftiges Gebäude will er an die Stelle meiner Aus-
führungen setzen. Der Ausgangspunkt seiner theils falsch,
theils überhaupt nicht begründeten Schlussfolgerung war,
wie man sieht, meine Ansicht, dass der Zusatz in B ein
Auszug aus der Passio sei. Es thut mir leid, dass ich diese
Ansicht widerrufen muss : sie ist falsch.
Bei genauerer Vergleichung der ' B - Notiz mit der
Passio findet man, dass dort richtig Lauriacus steht, während
sich in dieser eine mittelalterliche Form findet, dass dort
das echte ex principe officii presidis nur ganz leicht in et
principi o. pr. verdorben ist, während man in dieser et
jjrinceps officiae nostrae liest, dass dort das Bersten der
Augen (oculis crepantibus) sicher richtig auf den herab-
stürzenden Märtyrer bezogen ist, während der Legenden-
schreiber nach der allgemeinen Erklärung den Mörder mit
den Worten: 'et statim oculi eins crepuerunt' gemeint hat,
dass endlich dort der Vorgang durch Augenzeugen bestätigt
wird: 'videntibus omnibus circumstantibus', während in
der Legende von diesem Umstände überhauj)t nichts zu
finden ist. Dieser Zusatz in Verbindung mit der entschieden
älteren. Fassung zwingt zu der Annahme, dass die Inter-
polation in der Hs. B über den h. Florian nicht aus der
vorhandenen Passio geflossen ist, sondern ebenso wie die
meisten Zusätze dieser Hs. ans einer verlorenen Quelle
stammt, und zwar hat das richtige Verhältnis zuerst er-
kannt Prof. Mommsen, dessen kundiger ßath mir in der
schwierigen Frage den richtigen Weg gewiesen hat.
Da die direkte Abhängigkeit der beiden Texte auf
der Hand liegt, muss nach der eben gemachten Beobach-
tung vielmehr das umgekehrte Verhältnis angenommen
werden, dass der Legendenschreiber den Zusatz der Marty-
rologienhs. seiner Arbeit zu Grunde gelegt hat. Auf eine
andere Quelle der P. Floriani hatte ich in meiner Ausgabe
aufmerksam gemacht. Die Legende ist bekanntlich in
zwei Fassungen, einer längeren und einer kürzeren, auf uns
gekommen, und man erblickte bisher allgemein in der
letzteren die älteste und ursprüngliche Form, während die
erstere, wie sich Glück ^ ausdrückt, für eine später durch
Zusätze verfälschte Quelle galt. Hier hatte ich die Freude,
eine kleine Entdeckuno- machen zu können. Es fand sich
1) Die Bisthümer Xoricums in SB. der AViener Akad. pliilos. bist.
Kl. 1855, S. 62.
552 Bruno Krusch.
nämlich, dass die kürzere Passio zwar schon in Hss. des 9. Jh.
überliefert ist, diese aber eine Heiligenlebensammlung"
enthalten, die nur aus gekürzten Texten besteht. Es ist
eine in Capitel eingetheilte Legenda sanctorum, und vom
h. Florian handelt das 9. Capitel. Die Form, welche hier
die Acten haben, stammt im allgemeinen von dem Be-
arbeiter des Handbuchs her, und wenn noch ein Zweifel
über den Charakter dieses Textes herrschen könnte, so
würde er zerstreut durch die zuerst von mir zur Ver-
gleichung herangezogene Passio des Bischofs Trenaeus von
Sirmium. Diese Quelle stimmt in der allgemeinen Vor-
rede über die Diocletianische Verfolgung mit geringen Ab-
weichungen wörtlich überein mit der Legende Florians
und zwar mit der längeren, und nur in dieser finden sich
auch die beiden gemeinsamen Worte a tyrannis illata sup-
plicia. Für die Kritik der Florianslegende war dieses
Ergebnis augenscheinlich von der grössten Bedeutung, denn
die Grundlage derselben wurde verrückt, und während man
früher von der kürzeren Fassung ausging, muss jetzt die
längere den Ausgangspunkt jeder Untersuchung bilden.
Nur diese habe ich herausgegeben und die kürzere ßecen-
sion nur soweit benutzt, als sie zur Textverbesserung der
längeren beitrug, und wegen des Alters ihrer Hss. hat ihre
Stimme, wo der Ausdruck nicht geändert ist, allerdings
einiges Gewicht. Die üebereinstimmung mit der P. Irenaei
erstreckt sich aber über die Vorrede hinaus auch auf den
Kern der Legende. In beiden Fällen wird der Märtyrer
ergriffen (conprehensus) und zum Präses geführt. Der sagt
zu ihm : Opfere den Göttern (sacrifica diis). In beiden
Fällen antwortet der Märtyrer: Thue, was dir befohlen
ist (quod tibi praeceptum est). Darauf lässt ergrimmt der
Präses beide mit Knütteln züchtigen (fustibus caedi). Er
fällt gegen beide das Urtheil (dare in aliquem sententiam)
und befiehlt, sie in den Fluss zu stürzen (in oder ad fluvium
praecipitare). Beide beten auf der Brücke mit zum Himmel
erhobenen Armen (extendens manus in oder ad caelum):
'Herr Jesus Christus nimm mich auf, und werden hernach
in den Fluss gestürzt, Irenaeus in die Sau, Florian in
die Enns. Also auch in der Handlung selbst zeigen die
beiden Passionen Verwandtschaft, und wie die Vorrede in
beiden die gleiche war, so stimmen auch die von mir in
Klammern beigefügten lateinischen Ausdrücke in beiden
wörtlich überein. In den äusseren Verhältnissen der beiden
Märtyrer aber weichen sie von einander ab. Irenaeus ist
Bischof, verheirathet und Vater von Kindern, während
Zur Florians- und Lupus -Legende. 5ö3
Florian als alter Soldat ohne Anbang g-eschildert wird.
Nun ist von vornherein klar, dass die Abhäng-igkeit der
beiden Passionen eine viel engere bätte sein können, wenn
Florian ebenfalls zum verbeiratbeten Biscbof und Familien-
vater gemacht worden wäre, und es bätte dann einfach
nur die P. Irenaei unter Aenderung der Namen abge-
schrieben zu werden brauchen. In der Hagiographie wäre
auch dieser Fall nicht gerade unerhört, und ähnlich ist
sogar die Florianslegende für eine V. Florentii ausgebeutet
worden, indem man dem b. Florian stets jenen Florentius
als Genossen beigab. Im vorliegenden Falle war zunächst
auf den militärischen Charakter von Lorch Rücksicht zu
nehmen, zu welchem am besten ein alter Soldat passte.
Es war ja Festung und Hauptquartier der Legio II und
einer Abtheilung der Donauflotte, auch befand sieh da-
selbst eine staatliche Schildfabrik '•. Ferner hatte der
Legendenschreiber die tbatsäcblichen Angaben seiner an-
deren Quelle der B-Hs. des M. H. zu verwerthen. Er fand
darin nicht allein Noricum ripense, sondern auch die
technische Bezeichnung eines princeps officii praesidis, und
indem er nun überall den militärischen Stand des Märtyrers
betonte, konnte sich bei Tillemont- der Büreauchef leicht
in einen Capitaine des gardes du gouverneur verwandeln.
Durch dieselbe Quelle war auch der Sturz des Märtyrers
von der Brücke in den Fluss gegeben, und dieser Umstand
hat den Legendenschreiber offenbar auf den h. Irenaeus
geführt, welcher mit seinem Genossen, dem Priester Mon-
tanus, von dem oben die Rede war, in derselben Weise
gelitten hatte. Jedenfalls konnte aus der P. Irenaei unter
Zuhilfenahme der B-Notiz die Florianslegende mit Leich-
tigkeit zusammengeschrieben werden, und was Duchesne
für ihre Echtheit beigebracht hat, die Ausdrücke Noricum
ripense und Princeps officii praesidis, stammt alles aus der
zweiten Quelle B und kann zur Rettung der Legende nicht
verwerthet werden. Für das Martyrium christlicher Sol-
daten war das berühmteste Muster die Thebaische Legion.
Wenn in dem Zwiespalte zwischen seinen Pflichten, als
Soldat gegen die Obrigkeit und als Christ gegen Gott,
Florian das Gebot des Praeses verschmäht, um nicht wider
die göttlichen Gebote zu Verstössen , so finden wir den
gleichen tragischen Conflict bei den Acaunensischen Mär-
1) Vgl. J. Jung, Die romanischen Landschaften des Römischen
Reichs (1881) S. 318. 431; Römer und Romanen in den Donauländern
(1887) S. 59. 158. 2) Mem. pour servir ä l'hist. eccles. V, 68.
554 Bruno Krusch.
tyrern. Auf die Aehnlichkeit der Reclitfertig-ung beider
ist bereits von anderer Seite ^ hingewiesen worden.
Die Kritik der Florianslegende war aber längst vor
mir geschrieben. Wenn der jnuge Mann, welcher den Hei-
ligen wüthend von der Brücke stösst, sofort erblindet-,
wenn der Fluss den Körper trotz des angebundenen Steins
emporhebt und an einem hochgelegenen Orte aussetzt,
wenn gerade zur rechten Zeit ein Adler (aquila) erscheint,
um über den vom Präses Aquilinus gemarterten Märtyrer
seine Schwingen nach Art eines Kreuzes schützend auszu-
breiten, wenn sich dann der Heilige einer Frau in einer
Vision offenbart und ihr seine zukünftige Begräbnisstelle
bezeichnet, wenn die Zugthierchen (animaliola) auf der
Fahrt dahin unter dem starken Sonnenbrande ermatten und
den in Reisig und Laub gepackten Leichnam nicht weiter
ziehen können, und wenn nach dem Gebet des Weibes all-
sogleich ein lustig sprudelnder Quell an der Stelle entspringt,
der noch zur Zeit des Legeudenschreibers die Wahrheit
dieser Begebenheit bestätigte, wie er es wahrscheinlich
noch heute thut, so sind das sämmtlich Dinge, die der
natürlichen Weltordnung widersprechen, und es gehört in
der That ein starker Köhlerglaube zur Verdauung dieser
sechs groben Wunder vom Martyrium bis zum Grabe, für
die als einziges Zeugnis — ein Wasserquell angerufen ist.
Sogar an der heimischen Stätte, welche, wie der Legenden-
schreiber versichert, der Schauplatz grosser Wunderkuren
war, und wo überhaupt alle glaubensstarken Personen die
göttliche Barmherzigkeit erfuhren, hat sich der Zweifel
geregt und aus seinen eigenen Jüngern sind dem h. Florian
Widersacher erstanden. Der regulierte Chorherr und Coope-
rator zu St. Florian Franz Kurz^ hat im J. 1808 alle die
oben aufgeführten wunderbaren Vorgänge beim Tode und
Begräbnisse des Heiligen verworfen, weil sie gewöhnlichen
Legenden nur gar zu sehr gleichen. Dieses freimüthige
Urtheil stammt von einem Manne, der in dem mittelalter-
lichen Wunderglauben der alten Kirche gross geworden
war, und dem braven Vorkämjjfer für die Wahrheit ist um
1) E. M(ühlbaclier), Zur ältesten Kirchengeschichte des Landes
ob der Enns (Theologisch -praktische Quartal -Schrift, Linz 1868) S. 440.
2j Passio c. 8: 'et statim oculi eius crepuerunt'. Die Augen bersten ihm;
Ducange s. v. crepare führt das frz. crever l'oeuil an. Ueber die Ab-
weichung der Hs. B des M. H. ist oben gehandelt. 3) Kurz, Merk-
würdigere Schicksale der Stadt Lorch, der Gränzfestung Ennsburg und
des alten Klosters St. Florian in Beyträge zur Gesch. des Landes Oester-
reich ob der Enns III, S. 44.
Ziir Florians - und Lupus - Legende. 555
so grössere Anerkennung zu zollen, je schwerer es ihm ge-
worden sein mag, selbst Hand anzulegen an die Zerstörung
der Legende seines Patrons. Grössere Gelehrte haben in
der gleichen Lage nicht immer dieselbe Unbefangenheit
bewiesen. Indessen war doch auch Kurz schon vorgear-
beitet. Der gelehrte Tillemont hatte 1698 die Florians-
acten als nicht sehr alt bezeichnet und möchte die
Wunder für einen späteren Zusatz halten, obwohl dies, wie
er selbst hinzufügt, nicht leicht zu glauben sei^. Er erklärte
sich also gegen eine Zerstückelung dieser Acten, wie ich
mich gegen eine Zerstückelung der Afraacten erklärt habe.
Und diese Ansicht theilt auch ein zeitgenössischer Chor-
herr von St. Florian, auf dessen Urtheil die Wissenschaft
etwas zu geben gewohnt ist, Herr Mühlbacher. 'In der
Gestalt', schreibt er, 'wie die Acten uns jetzt vorliegen,
sind sie offenbar ein Ganzes. Es ist schon an und für sich
unwahrscheinlich, dass sie mit der Aussprechung des Todes-
urtheils abbrechen sollten ; der heldenmüthige Tod des
Blutzeugen ist ja der eigentliche Zweck ihrer Erzählung.
Dieser aber ist von jenen beanstandeten Abschnitten wohl
nicht zu trennen. Sind die Acten ein Ganzes, dann ge-
hören sie einer späteren Zeit an, in der die Legende schon
ihre sagenbildenden Ranken um die Gestalt des verehrten
Märtyrers geschlungen hatte' ^. Er hat es auch direct aus-
gesprochen, dass die Acten aufhören müssten, für das älteste
Denkmal der östreichischen Kirchengeschichte zu gelten,
und dass sie mit der V. Severini nicht coucurrieren könnten.
Den Auszug setzte er in das früheste Mittelalter, das 6,
spätestens 7. Jh., die ausführlicheren Acten ins 9. Jh. Er
steht also unter dem Einflüsse der damals gangbaren An-
sicht über das Verhältnis der beiden Texte, und ich habe
bereits darauf hingewiesen, dass durch meine Untersuchung
die Grundlage für seine Annahme sich verändert hat.
Das nach Form und Syntax höchst mangelhafte Latein
mit wirklichen Schülerböcken, wie dem Gen. sing, officiae
nostrae (S. 69, 5), wird erst aus der von mir aufgefundenen
ältesten Hs. des Passionarium majus Sangall. saec. X. ex.
besser zu erkennen sein, und ich will aus dieser Quelle
vorläufig nur den schönen Acc. pl. illas fantasmas (S. 69, 25)
nachtragen. Diese Sprache kann unmöglich in die römi-
sche Zeit hinaufgerückt werden, und obwohl für sprach-
liche Gründe zur Zeit wenig Verständnis herrscht, wird
1) A. a. 0. S. 67: 'quoique cela ne soit pas aise ä croire'. 2) Mühl-
bacher a. a. 0. S. 437.
556 Bruno Krusch.
man mir yielleicht doch Eecht geben, wenn ich die Ab-
fassung in die Mitte des 8. Jh. setzte. Anch Mommsen
erklärt, dass die Fassung der Acten natürlich modern ist.
Die Formen Lavoriacum, castrum Lavoriacense waren als
mittelalterlich bereits von Glück erkannt worden, und
Mühlbacher schränkt diesen Gebrauch ganz richtig auf
das frühe Mittelalter ein, während im späteren wieder die
römischen Formen Lauriacum und Laureacum zum Vorschein
kommen, ein Vorgang, der bei den geographischen Namen
öfter zu beobachten ist. Jetzt tritt nun Duchesne auf und
erklärt keck, die angeblich mittelalterlichen Formen seien
erst durch mich in den Text eingeführt worden unter
Fälschung des Zeugnisses derHss. (en f aussant le temoignage
des manuscrits), beschuldigt mich also mit dürren Worten
der Textfälschung. Meine literarische Vergangenheit würde
mich der Nothwendigkeit überheben, mich gegen diese
Verleumdung^ Duchesne's zu vertheidigen. Wenn ich
nichtsdestoweniger den Sachverhalt aufkläre, so geschieht
es, um zu zeigen, welcher Mittel mein Gegner sich bedienen
muss, um die betrügerische Legendenfabrikation gegenüber
der scharfen, aber gerechten Kritik eines deutschen Pro-
testanten in Schutz zu nehmen.
Sehen wir uns also die angebliche Textfälschung
näher an. Der Handschriftenbefund ist folgender:
S. 68, 18. in castrum Lavoriacensem] allein B, während die
anderen Hss. die neutrale Endung haben und
den Ortsnamen so schreiben : La : oriacense 1 m.,
Laureacense m. al. AI, Lauriacense A2.
Z. 22. Lavoriacum] La: :riacum J m., Laureacum m. al. AI
Lavoriaco B; Lauriacum A2.
Ebd. Lavoriaco] B; La::riaco Im., Laureacum m. al. AI
Lauriaco A2.
Z. 25. Lavoriaco] La::riaco Im., Laureaco m. al. AI
Laboriaco Henschen; Lauriaco A2.
1) Derselbe Duchesne bezeichnete eine gewisse Schule, mit der er
ehemals in Unfrieden lebte, als 'personnes faciles ä indigner, promptes ä
injurier leurs contradicteurs et meme ä les calomnier' (Annales du midi
1892, S. 290). An diese Aeusserung möchte ich ihn jetzt erinnern und
zugleich an die Antwort, die er einst dem P. Benoit ertheilte, als dieser
sich über die Beschuldigung entrüstete, dass die Mönche Fälscher seien,
und vielmehr ihre peinliche Wahrheitsliebe als bewunderungswürdiges
Beispiel hinstellte : 'Sürement, mon bon Pere, si Ton n'y trouve que des
gens qui vous ressemblent, et je crois qu 'il en est ainsi, en general, au
temps DU nous vivons. Mais au temps de jadis!' (Bulletin critique 1892,
S. 246).
Zur Florians- und Lupus -Legende. 557
Ich bemerke dazu, dass AI (saec. X./XI.) erheblich älter
ist als A2 (saec. XII.) und Henschen eine dritte, wenn
auch interpolierte Hs., benutzt hat. Nun sieht jeder, dass
in A 1 consequent eine ungewöhnliche Namensform aus-
gemerzt ist, um dafür das schulgemässe Laureacum her-
zustellen. Die Textkritik hat in solchen Fällen ihr Haupt-
augenmerk darauf zu richten, die vom Corrector bean-
standete Form zu ermitteln. An der ersten Stelle ist von
den beiden getilgten Buchstaben der zweite noch zu er-
kennen; es war ein o. Zweifel können also nur über den
ersten Buchstaben herrschen, aber nach den Lesarten von
B Lavoriacensem und zweimal Lavoriaco und von Henschen
Laboriaco ist es klar, dass an dieser Stelle nur ein v oder
b gestanden haben kann. Man könnte also nur schwanken,
ob Lavor. oder Labor, zuerst in A 1 gestanden hat. Aus
der Kecension B habe ich dann unter Berücksichtigung
der Easuren in A 1 überall Lavor. in den Text gesetzt.
Die Recension B aber ist durch Hss. vertreten, die bis in
das 9. Jh. hinaufreichen, und zeigt auch schon durch die
masculinische Behandlung von castrum, dass es aus einem
besseren Exemplare stammt, als A L 2. Das ist meine Text-
fälschung. Inzwischen ist mir die Hs. A 1 noch einmal
in die Hände gekommen, so dass ich die Stellen nach-
prüfen konnte. Das ausradierte o ist nicht bloss an der
ersten, sondern auch an den beiden nächsten Stellen noch
zu erkennen, und an allen dreien sieht man, dass der vor-
hergehende ausradierte Buchstabe einen Schenkel über der
Zeile hatte. In der Hs. stand also Labor., und dieses hat
ein Corrector saec. XIII./XIV. mit neuerer schwarzer Tinte
in Laureac. geändert, indem er auf das radierte b ein u
setzte und über das radierte o einen Verbindungsstrich
nach dem r zog. Das Ergebnis wird bestätigt durch die
von mir aufgefundene älteste A-Hs. aus dem Ende des
10. Jh. Man liest nämlich in derselben an den kritischen
Stellen :
Lauricense m. al. corr. Lauriacense und dann dreimal
Laboriaco.
Darnach ist allerdings Lavoriaco oder Laboriaco die ur-
sprüngliche Lesart der P. Floriani. Wenn dagegen mein
Gegner Laur. für die gut beglaubigte Lesart erklärt, so
folgt er der schlechten und späten Hs. A2 und dem späten
Corrector von AI, wie er auch in seiner Ausgabe des M. H.
eine besondere Vorliebe für die späteren Correcturen bewiesen
hat, sehr zum Schaden des Urtextes. Kritischen Sinn ver-
räth aber dieses Verfahren nicht, und auf die Herausgabe
558 Bruno Krusch.
merovingischer Texte angewandt, würde es zu wunderlichen
Ergebnissen führen. Die Formen Lauriaeum und Laurea-
cum in A2 und in den Correcturen von Al sind aber nach
der Beobachtung' Mühlbachers nicht bloss die antiken,
sondern auch die im späteren Mittelalter allgemein ge-
bräuchlichen Schreibungen.
Die Sache hat jedoch noch ein Nachspiel. lieber das
Verhältnis der beiden Texte urtheilt Duchesne mit Rück-
sicht auf die ßecension B : 'qui n'a pas d'autorite contre
la redaction complete et originale'. Er erklärt also den
längern A für den vollständigen und ursprünglichen und
achtet ihm gegenüber den kürzeren B für belanglos. Bis
zu meiner Ausgabe hat aber die umgekehrte Ansicht ge-
golten, dass vielmehr der letztere Text die originale
Fassung darstelle. Woher weiss Duchesne, dass A die
vollständige und ursprüngliche Redaction ist? Er giebt
das ürtheil ohne Quellenangabe und scheinbar aus sich selbst
heraus. Interessant ist es, das Verhalten der andern Kritiker
in diesem Punkte mir gegenüber zu beobachten. Der Recen-
sent in den Analecta Bollandiana XVI, S. 84 erklärt, die
Feststellung der Abhängigkeit der P. Floriani von den Acten
des Irenaeus habe zu einem unerwarteten Resultate ge-
führt: ä un resultat inattendu, savoir que la longue Passion
de S. Florian est plus ancienne que la courte, regardee
universellement jusqu'ici comme anterieure ä l'autre et
plus digne de foi, und A. Ehrhard in dem österreichischen
Litteraturblatt 1897, S. 451 ff. nennt die Feststellung des
richtigen Textverhältnisses eine Entdeckung und weist zu-
gleich auf die systematische Bedeutung meines Ergebnisses
hin, welches den 'vielgepriesenen Canon' von dem grösseren
Alter und Werthe der kurzen Texte umstösst und seine
eigenen Beobachtungen auf dem Gebiete der griechischen
Hagiographie bestätigt. Die Tragnveite meines Ergebnisses
ist also von anderer Seite anerkannt und gewürdigt worden
und Duchesne hätte hier Gelegenheit gehabt, meinen Unter-
suchungen auch einmal ein lobendes Wort zu spenden.
Statt dessen hat er sich meine Entdeckung angeeignet
und sie für seine Zwecke verwerthet, ohne des Urhebers
auch nur mit einem Worte zu gedenken : alles in demselben
Augenblicke, wo er mich der Textfälschung beschuldigte.
Jeder Commentar zu diesem Verfahren erscheint über-
flüssig !
Im Vorstehenden wurde der Standpunkt kurz skizziert,
auf welchem die Kritik der Florianslegende schon vor zwei
Jahrhunderten stand, und dabei Tillemonts gedacht und
Zur Florians- und Lupus -Legende. 559
seiner ablehnenden Haltung zu dieser Quelle. Wenn Jetzt
Duchesne gegen meine Ansicht keck protestiert, drängen
sich von selbst interessante Vergleiche zwischen den beiden
französischen Gelehrten auf, die nicht zu Ungunsten des
älteren ausfallen, und man erkennt den Geist, welcher
diesen Protest inspiriert hat. Wie die P. Floriani die
Glanzzeiten des mittelalterlichen Legendenglaubens wieder-
spiegelt, so ist der Versuch, ihre Zauberkunststückchen zu
echter Geschichte zu stempeln und also die Wissenschaft
auf das Niveau des Legendenschreibers zurückzuschrauben,
allerdings eine bemerkenswerthe Erscheinung an der
Schwelle des Jahrhunderts.
Die P. Floriani ist das älteste selbständige Denkmal
zur Geschichte von Lorch und der Vorläufer der systema-
tischen Fälschungen, deren Erkenntnis wir dem Scharfsinn
Dümmler's ^ verdanken. Nach der kirchlichen Organisation
Bayerns und der Begründung des Bisthums Passau durch
Bonifaz sah man sich nach einem Orte um, den man zum
Träger einer höchst partikularistischen Geschichsfälschung
machen konnte, und fand die alte Römerstadt dazu am
geeignetsten, und nun haben die Passauer Geschichts-
schreiber und die Passauer Kanzlei gewetteifert, sich eine
höchst ruhmvolle Vergangenheit von dem Lorcher Heilig-
thum auszumalen lediglich zur Förderung der Interessen
des eigenen Bisthums. In der kirchlichen Schwindel-
litteratur haben sich die Lorch - Passauer Biedermänner
dadurch für immer einen hervorragenden Ehrenplatz ge-
sichert. Noch aber war der Zusammenhang der P. Floriani
mit dieser Litteratur nachzuweisen, und diese Brücke ge-
schlagen zu haben, ist m. E. das Verdienst J. Strnadts^.
4. Vita Lupi.
Dem Ueberfall Galliens durch die Hunnen und ihnen
verbündeten Völkerschaaren unter Attila 451 wurde, wie
vielleicht auch die Legendenschule zugeben dürfte, durch
die verbündeten Heere der Römer und Westgothen in der
Schlacht von Mauriacus bei Troyes oder auf den Catalau-
nischen Feldern ein so gewaltiger Widerstand entgegen-
gesetzt, dass den Feinden aller Muth zur Fortsetzung des
Kampfes entschwand und sie kleinmüthig den Rückzug in
1) Dümmler, Piligrim von Passau und das Erzbisthum Lorch,
Leipzig 1854; Ueber die Entstehung der Lorcher Fälschungen, SB. der
Berliner Akad. Phil.-hist. Classe 1898, XLVH. 2) Die P. Floriani
und die mit ihr zusammenhängenden Urkundenfälschungen in der Archival.
Zeitschr., Neue Folge VIII, S. 1 ff.
Neues Archiv etc. XXIV. 36
560 Bruno Krusch.
ihre Sitze antraten. Angeblich war der Zug gegen die
Westgothen und nicht gegen die Römer gerichtet, aber
die rücksichtslose Behandlung vieler gallischen Städte, die
Einäscherung von Metz in der Ostervigilie u. a. überzeugten
den schleunigst über die Alpen herbeigeeilten Patricius
Aetius von der Gefahr für das Reich und veranlassten ihn,
die Bundesgenossenschaft der wenig sympathischen West-
gothen zu suchen, wobei er sich der Vermittelung des
späteren Kaisers Avitus bediente.
Die Früchte dieser Politik verspürte zunächst Orleans:
belagert, bestürmt und schon genommen, entging es doch
der Plünderung, und so erfüllten sich nach Sidonius die
Gebete und zugleich die Prophezeiung des dortigen Bischofs
Anianus. Auf diese Gebete des Anianus hat die spätere
fränkische Historiographie von Gregor an den Schwerpunkt
gelegt. Schon dieser deutet H. Fr. II, 7, sehr bestimmt
an, dass eigentlich auch die Niederlage des Hunnenheeres
bei Mauriacus ihr Erfolg gewesen sei: Nam nullus ambigat
Chunorum exercitum obtentu memorati antestites fuisse
fugatum. Fredegar erhöhte den Ruhm des Heiligen durch
Annahme einer gewaltigen Schlacht bei Orleans mit colos-
salen Verlustzahlen, verlegte in diese auch den Tod des
Westgothenkönigs, der nach den älteren Quellen vielmehr
bei Mauriacus erfolgt war, und gab so der Befreiung der
Stadt durch die Gebete des Heiligen den nöthigen drasti-
schen Hintergrund. Nach dem L. H. Fr. c. 5 kamen dann
die Hunnen überhaupt nur noch bis Orleans, wo damals
der heilige Bischof Anianus glänzte, und wurden nach
Ankunft des Aetius und des Westgothenkönigs unter dem
Beistande Gottes durch seine Gebete vor der Stadt voll-
ständig geschlagen und niedergeworfen. So haben zuletzt
die Gebete des Anianus zur Streichung der Schlacht bei Mau-
riacus geführt, und es war ja auch kein Grund abzusehen,
weshalb sich der Hunnenkönig noch ein zweites Mal schlagen
lassen sollte, nachdem dies schon einmal mit so grosser Gründ-
lichkeit besorgt worden war.
Des dankbaren Stoffes hat sich schon in frühkaro-
lingischer Zeit auch die Hagiographie bemächtigt, und ich
habe aus diesem Hunnen-Sagenkreise vier Legenden auf-
genommen, die des Servatius, Memorius, Anianus und Lupus.
Die Ueberlieferung dieser Litteratur reicht bis in das
8. Jh. hinein, und wie von der V. Servatii und Memorii
Hss. saec. VIII. ex. und VIII/IX. erhalten sind, so kann
ich durch die Aufmerksamkeit des Herrn Dr. Traube jetzt
auch für die V. Lupi das Fragment einer Petersburger
Zur Florians- und Lupus -Legende. 561
Hs. saec. VIII. nachtragen, deren Lesarten mit denen des
Passionarium majus SangalL im Anhange von Scr. rer.
Merov. IV. mitgetheilt werden sollen. Meiner Ansicht,
dass diese Hunnen-Legenden keine echten Quellen, sondern
karolingische Fälschungen sind, ist nur hinsichtlich der
V. Lupi von Duchesne ^ widersprochen worden.
Wenn wir von der V. Servatii absehen, die in der
Hauptsache Abschrift der entsprechenden Stellen von Gre-
gors Frankengeschichte ist, so stellen sich die anderen
Legenden als selbständige literarische Producte dar und
zeigen überall die eigene Erfindungsgabe ihrer Verfasser.
Die V. Aniani führt uns die Belagerung von Orleans vor. Der
Heilige bittet nach einem erfolglosen Besuche im Lager
der Hunnen Gott um Erlösung von den Feinden, und nun
erscheinen Aetius und die Westgothen, vernichten sie,
aber er selbst thut dem Gemetzel Einhalt und schlägt die
übrigen durch seine Gebete in die Flucht, ut neque amplius
nomen eorum auditus, forsitan ut nunc memoriter personet.
Dieser Biograph steht also vor der Schlacht bei Mauriacus
still und konnte es unmöglich dazu kommen lassen, weil
er sonst die Wirkungskraft der Gebete des Heiligen abge-
schwächt hätte. Er hat diese Schlacht gestrichen, wie sie
der Verf. des L. H. Fr. gestrichen hat, und dass er auf
dessen Schultern steht, dafür habe ich noch andere ge-
wichtige Beweise vorgebracht.
Ein gefährlicher Concurrent ist dem h. Anianus dann
in den beiden anderen Legenden durch den Bischof Lupus
von Troyes erwachsen. Beide schildern den Hunnenkönig
im Anzüge gegen Troyes und die Gegenmassregeln des
Bischofs, aber hernach gehen sie verschiedene Wege. Die
V. Memorii setzt Anfangs ebenfalls dem herandringenden
Hunnenkönige die Gebete des Bischofs, in diesem Falle
also des Lupus, entgegen, sie gebrauchte aber Blutzeugen,
und so werden 12 unschuldige Kinder mit dem Priester
Memorius, zwei Diaconen und einem Subdiacon abgesandt,
die nun mit Ausnahme des letzteren bei Brolium sämmtlich
enthauptet werden. Aber Memorius hatte zuvor noch eine
höchst merkwürdige Auseinandersetzung mit dem Hunnen-
könig, die uns seine Bedeutung für die Weltgeschichte im
Allgemeinen und die von Troyes im Besonderen erkennen
lässt. Da Attila die Kreuze störten, welche die Leute in
den Händen trugen, gab er Befehl, sie zu verbrennen;
dabei sprang ein Funken ab und dem hunnischen Schenken
1) Bulletin critique 1897, n. 22.
36*
562 Bruno Krusch.
ins Auge, so dass er heulend zu Boden fiel. 'Wenn du
an meinen Gott glaubst', warf jetzt Memorius ein, 'kann
er den Burschen gesund machen'. Der König erwiderte:
'Es geschehe', und so bekreuzigte der Heilige das kranke
Auge und der Betreffende sah wieder. Auch seinen Namen
wollte ihm Memorius nur unter der Bedingung nennen,
dass er an seinen Grott glaubte, und Attila sprach: 'Ich
glaube', und als der Heilige sich nun vorgestellt hatte, that
der König das Gleiche und nannte ihm auch seines Präfecten
Namen. Also gegenseitige Vorstellung und Bekehrung des
Hunnenkönigs zum Christenthume ! Der böse Präfect aber
hetzte gegen Memorius, und so ist er dann, wie gesagt, eben-
falls enthauptet worden, weshalb ? lehrt sein letztes Gebet :
zur Befreiung Troyes' von den Feinden, damit es von der Ge-
fangenschaft und Einäscherung verschont bliebe. Und der
Erfolg sollte nicht ausbleiben. Mitten in der Nacht
dröhnten Himmel und Erde und die Hunnen erfasste ein
solcher Graus, dass sie ganz bestürzt von der Stadt weg-
gelaufen sind. Soweit der Bericht des Biographen des
h. Memorius, der sich, wie man sieht, durch grosse
'Nüchternheit' und 'Genauigkeit' und — seltene Wahr-
heitsliebe auszeichnet. Wenn er uns aber nicht anderes
lehren sollte, so wenigstens das eine, dass man auch in
Troyes, gerade wie in Orleans, die Sehlacht bei Mauriacus
nicht gebrauchen konnte, und dass sie dort wie hier die
lokale Hagiographie ihrem Heiligen zu Liebe geopfert hat.
Hier ist nun der Zusammenhang, in welchen die
V. Lupi hineingehört. Wiederum stehen die Hunnen-
schaaren feindselig vor Troyes und bedrohen schwer die
nicht einmal durch Mauern geschützte Stadt; wiederum
nimmt Bischof Lupus zu seinen gewohnten Mitteln, den
Gebeten, seine Zuflucht und erreicht seinen Zweck und
vertheidigt die Stadt durch die Hülfe der himmlischen
Gewalt ; mit ihrer Befreiung hat er den ganzen Kriegsbrand
erstickt: in cuius absolutione totias discriminis conpressit
incendium. Den Hunnenkrieg haben also nicht die ver-
bündeten Heere der Römer und Westgothen auf dem
Schlachtfelde von Mauriacus, sondern die Gebete des
Bischofs Lupus von Troyes beendigt, und hier, wie in der
V. Memorii, ist von einer Schlacht überhaupt nicht die
Rede. Nachdem dem Hunnenkönig der Bischof Halt ge-
boten hat, kann er sich nur noch heimwärts wenden, und
er nimmt seinen Weg nach dem Rheine, nicht ohne den
Heiligen bis dahin mit sich zu führen. Diese Reise des
Bischofs Lupus von Troyes mit den Hunnen an den Rhein
Zur Florians- und Lupus -Legende. 563
hält Ducliesne für durchaus nicht unwahrscheinlich, denn
1870 hätten französische Bischöfe und Beamte aus ähn-
lichem Anlass dieselbe Reise angetreten, allerdings mit der
Locomotive. Dem geschmackvollen Vergleiche liegt die
Voraussetzung zu Grunde, dass Lupus von den Hunnen
als Geisel abgeführt worden sei. Diese Erklärung wider-
spricht der Darstellung des Sachverhalts in der Vita. Denn
der Heilige ist vermöge seiner Gebete durch die himmlische
Bundesgenossenschaft der erfolgreiche Vertheidiger der
Stadt und also dem Hunnenkönig gegenüber als der Sieger
anzusehen, während Geiseln von den Besiegten genommen
zu werdeu pflegen, wie ja wohl auch der vergleichsweise
angezogene Krieg lehren dürfte. Wie in der echten Ge-
schichtschreibung die verbündeten Heere der Römer und
Westgothen den Gegner Attilas bilden, so ist in der Legende
der Bischof an ihre Stelle getreten, und ebensowenig wie
Attila von jenen hätte Geiseln nehmen können, konnte
er den Bischof in dieser Eigenschaft fortführen. Es ist
ja auch von vornherein klar, dass sich Lupus vermöge
der Gebete, durch die er die Stadt gerettet hatte, natürlich
auch dieser Zumuthung leicht hätte entziehen können, und
in diesem Punkte unterscheidet er sich wiederum von den
1870 an den Rhein abgeführten Bischöfen^. Allerdings ist
nach dem Biographen der Beweggrund für die Entschliessung
Attila's seine persönliche Sicherheit und die seines Heeres,
aber nicht Erwägungen kriegsrechtlicher Natur liegen ihr
zu Grunde, sondern solche aus dem Gesichtskreise des
Hagiographen : er der todtbringende und unbarmherzige
Hunnenkönig bewundert hehren Sinnes den Christen-
glauben des Bischofs: Ad ille feralis Attila et immitis
fidem eins altiori sensu suspiciens. Deshalb nimmt er ihn
zu seinem und seines Heeres Schutze mit, denn er sichert
sich dadurch die Bundesgenossenschaft Gottes, mit deren
Hülfe ihn der Bischof eben von Troyes abgeschlagen hatte.
Der Biograph des Lupus steht offenbar, wie der des Me-
morius, auf dem Standpunkte, dass sich Attila unter dem
1) Uebrigens sei bemerkt, dass mir die Ermittelung dieser Bischöfe
leider nicht gelungen ist. Die Generale v. Blume, v. Ciaer, v. Verdy
erinnern sich nicht an einen solchen Fall, und der Gr. Generalstab erklärt
in einer amtlichen Zuschrift, dass von einer Ueberführung verhafteter
französischer Bischöfe nach Deutschland während des Krieges 1870/1
dort ebenfalls nichts bekannt ist. Richtig ist, das sich der Nachfolger
des h. Anianus, Bischof Dupanloup, durch Feindseligkeit besonders hervor-
that und daher am 5. December 1870 auf Befehl des Generals v. Alvens-
leben, Commandierenden des IIl. Armee - Corps, internirt wurde, aber —
'in seinem Palais' in Orleans.
564 Bruno Krusch.
Banne des Lokalheiligen von Troyes dem Christenthume
zugewandt habe. Bei der freundschaftlichen Trennung am
Rheine wird dem Bischof nicht allein der Eückweg ge-
zeigt, sondern Attila bittet ihn auch noch inständigst für
ihn zu beten, und da Lupus natürlich kein Hunnisch ver-
stand, musste ihm der Hunnen - Dolmetsch Hunigasius den
letzten Wunsch des Gebieters übersetzen. Welchen Erfolg
Attila durch die Gebete der Heiligen gehabt hat, verräth
uns die Quelle leider nicht; wenn man aber an seinen
neuen Verheerungszug nach Italien im folgenden Jahre
denkt, wird man mir vielleicht beistimmen, dass Lupus
noch etwas Besseres hätte thun können, als seine himm-
lischen Beziehungen für den schrecklichen Menschen zu
zu verwerthen.
Den beiden Legenden von Troyes liegt ein und die-
selbe Geschichtsauffassung zu Grunde, dass der Hunnen-
könig allein durch die Gebete des dortigen Lokalheiligen
und ohne Schlacht nicht bloss von Troyes, sondern über-
haupt aus Gallien zurückgewichen sei und unter ihrem
Einflüsse sogar an den Christen - Gott geglaubt habe. Von
den Beziehungen des Bischofs Lupus zu Attila ist in keiner
älteren Quelle bis zum L. H. Fr. herunter etwas zu finden,
und dabei war Sidonius ein grosser Verehrer des Heiligen
und Gregor von Tours hat ihm sogar ein eigenes Capitel (66)
in seinem Buche Gloria conf. gewidmet. Diese Lücke hat
bereits Boschius erkannt und beklagt : Dolendum vero, quod
hunc S. Lupi cum Attila congressum neque Idacius neque
Prosper neque lornandes neque alius illis temporibus ut-
cumque vicinus praeter unum Vitae nostrae veteris auctorem
attigerint^. Die Anfänge der Thätigkeit Anians zur Be-
freiung von Orleans waren dagegen bereits bei Sidonius
zu finden, und nur die Wirkung der Gebete des Heiligen
auf den Hunnenkönig verstärkte sich lawinenartig bei
den späteren Historiographen, je entfernter ihnen die Er-
eignisse lagen. Die Verwandtschaft der Anians - Legende
in Orleans mit der Lupus - Legende in Troyes liegt auf der
Hand. Hier wie dort bringen die Gebete des Heiligen
der Stadt die Rettung, hier wie dort schlugen diese Ge-
bete die Hunnen so in die Flucht, dass gar keine Schlacht
erst nöthig wurde. Das ist die Geschichtsdarstellung des
L. H. Fr., und da die Anians - Legende an diese anknüpft
und die Lupus - Legende wieder der Anians - Legende folgt,
so reiht sie sich ganz von selbst hinter dieser ein. Ueber
l) AA. SS. Jul, Vn, 64.
ZwT Florians- und Lupus -Legende. 565
ihre Auffassung Attilas und seine Stellung zum Christen-
thume ist wohl ernstlich kaum zu disputieren. Anian trifft
in seiner Legende ebenfalls mit dem Hunnenkönig zu-
sammen, aber wie ganz anders empfängt ihn dieser. 'Wenn
ich deinen Graukopf betrachte, könntest du noch bei mir
zu Lande ein Schafhirt sein', ist seine Anrede; er hat also
nur Spott und Hohn für den frommen Bischof. In der
frommen Bewunderung, welche Attila für den h. Lupus
nach dessen Biographen hegt, zeigt sich sofort der spätere
Charakter dieser ganzen Legende. Die Nachrichten der
Quellen zur Geschichte der Hunnenschlacht sind übrigens
in neuerer Zeit einer sachkundigen Prüfung^ unterzogen
und hinsichtlich ihrer Glaubwürdigkeit gegen einander ab-
gewogen worden, aber von der V. Lupi ist in dem ganzen
Aufsatz nicht die Rede. Sie kann in der That für eine
historische Darstellung der Begebenheiten überhaupt nicht
in Betracht kommen, und in ihrer Uebergehung sehe ich
die beste Kritik. Die V. Lupi ist nach dem L. H. Fr. und
nach der V. Aniani geschrieben; sie ist, wie diese, eine
frühkarolingische Fälschung und zeichnet sich durch die-
selbe 'Nüchternheit' und 'Genauigkeit' und seltene Wahr-
heitsliebe aus, welche die Legende ihres Landsmannes Me-
morius kennzeichnet.
Eine zweite Episode der V. Lupi behandelt die Ex-
pedition des Heiligen in Gesellschaft des Germanus von
Auxerre nach Britannien zur Bekämpfung des Pelagianismus.
Die Gefahren der Reise, der Empfang im sicheren Hafen,
die Wunder und der Eindruck auf das Volk, die Erfolge,
nämlich die fast gänzliche Bekehrung des Landes zum
Katholicismus, sind in der Legende nur kurz angedeutet.
Alles das und ausserdem die näheren Umstände, welche
zu der Reise geführt haben, sind ausführlich bei Beda,
H. eccl. I, 17. zu finden, und wenn der Legendenschreiber
am Schlüsse unter den Schülern des Lupus den Bischof
Severus nennt, der in Trier ordiniert, den Völkern der
Germania I. predigte, so kehrt diese Stelle ebenfalls und
zwar wörtlich bei Beda I, 21. wieder, und zwar ist dieser
Severus hier nicht bloss der Schüler des Lupus, sondern
auch der Begleiter des Germanus auf einem zweiten Zuge
nach Britannien. Beda hielt ich auch für die Quelle dieser
Partieen in der V. Lupi. Selbst wenn, wie Duchesne be-
merkt und schon vor ihm die Stelle erklärt war, in der
1) Georg Kaufmann, Ueber die Hunnenschlacht des Jahres 451,
Forschungen zur Deutsch. Gesch. VIII, S. 117 ff.
566 Bruno Krusch.
Ordination des Severns in Trier und seiner Predigt in der
Germania I. kein geographischer Widerspruch zu liegen
braucht, da der Bischof der Belgica I. sich der Heiden -
Bekehrung in der Nachbarprovinz gewidmet haben konnte,
so ist doch der gemeinsame Hinweis auf diese beiden Um-
stände in denselben Ausdrücken ein ganz bestimmtes
Zeugnis für die innere Abhängigkeit der beiden Schriften.
Duchesne wendet nun ein, dass die übereinstimmenden
Stellen sich auch in der Vita des Germanus von Auxerre
zusammen finden. Wenn er damit den in den AA. SS.
lul. VII, S. 200 ff. und sonst veröffentlichten Text des an-
geblichen Constantius versteht, so hat er Recht, aber dies
aus den verschiedensten und zum Theil noch erhaltenen
Quellen zusammengeschriebene weitschweifige Legenden-
werk aus karolingischer Zeit kann nur noch die grösste
Unerfahrenheit in der Legendenkritik für das halten, was
es sein will, für ein Erzeugnis aus der Zeit des Sidonius.
In dem veröffentlichten, von Interpolationen freien, kürzeren
Texte finden sich aber die betreffenden Stellen nicht, und
in dem längeren Texte fehlt doch auch die Bemerkung,
dass Severus der Schüler des Lupus gewesen sei. In diesem
Punkte stimmt also die V. Lupi allein mit Beda zusammen,
und diese Wissenschaft hätte der Legendenschreiber selbst
der längeren V. Germani nicht entnehmen können. Aber
auch wenn man die Lupus - Legende mit der V. Germani
in directe Verbindung setzen wollte, charakterisiert sie sich
doch dieser gegenüber immer nur als ein Auszug, und die
umgekehrte Annahme, dass sie vielmehr der Biograph des
Germanus benutzt haben soll, ist einfach eine bare Un-
möglichkeit. Den weiteren Ausführungen Duchesne's:
Maintenant il parait bien que le biographe d'Auxerre a
connu celui de Troyes. En tout cas on n'a nulle raison
d'admettre comme certaine la relation contraire, liegt auch
nur sein subjectives Empfinden zu Grunde, und man muss
ein so hervorragender Gelehrter, wie er, sein, wenn man
verlangt, dass die Welt diesen 'Schein' als einen begrün-
deten Gegenbeweis hinnehmen soll.
Drittens treffen wir den Bischof Lupus von Troyes
im Verkehr mit den Barbaren-Königen, wie sie ihm sämmtlich
die schuldige Hochachtung erweisen, und sich besonders der
Alamannenkönig Gebavult durch ehrerbietigen Gehorsam
hervorthut. Die Alamanneu hatten nach der Legende einen
Völkerstamm der Diöcese Troyes, die Brigonenses (heute le
Brenois), in unmenschlicher Grausamkeit zu Gefangenen
gemacht, und der Bischof sandte deshalb ein Schreiben an
Zur Florians - und Lupus - Legende. 567
den König, worin er nm ihre Freilassung bat. Gebavult
konnte der Bitte nicht widerstehen und befreite in seltener
Uneigennützigkeit die Leute ohne jeden Entgelt von dem
grausamen Joche der Knechtschaft. Auch für diesen Ab-
schnitt besitzen wir den analogen Bericht einer älteren
Quelle, deren Glaubwürdigkeit über jeden Zweifel erhaben
ist. Der h. Severin befand sich in der That in Noricum
in der Umgebung von Barbarenkönigen, die ihm die schul-
dige Hochachtung erwiesen, und besonders war ihm der
Alamannenkönig Gibuld in Ehrfurcht zugethan (summa
eum reverentia diligebat, V. Severini c. 19). Die Alamannen
belästigten aber durch fortwährende Einfälle die Bürger
von Batavis (Passau), wo der Heilige eine Celle hatte, und
auf ihre Bitten kam er oft dahin. Er erlangte vom Könige
das Versprechen der unentgeltlichen Freigabe der Gefan-
genen und zur Einlösung desselben sandte er einen Diakon
mit Briefen an ihn, der auch einen Theil der Gefangenen
mit zurückbrachte. Setzen wir in dem Bericht des Eugip-
pius für Severin Lupus und für die Bataver die Brigo-
nenses ein, so haben wir im Grossen und Ganzen die
Darstellung der V. Lupi, und ich habe mein Erstaunen
nicht verhehlen können, dass wir den Alamannenkönig an
der Seine just in derselben Thätigkeit wieder finden, die
er thatsächlich an der Donau ausgeübt hat. Die Gelehr-
samkeit meines Gegners findet auch dieses Zusammentreffen
höchst natürlich : Cependant le roi des Alamans etait un
voisin de la cite des Tricasses, und für diese Weisheit
führt er die erste Karte des Spruner-Menke'schen Atlas
an. Vielleicht hätte es sich empfohlen, ausserdem wenigstens
noch die Menke'sche Vorrede nachzulesen. Hier spricht
sich der Herausgeber über die Unsicherheit der Grenzen
und seine Quellen, wie folgt, aus: 'Die Ausdehnung des
Reiches des Syagrius, die der Franken und der Alamannen
um dieselbe Zeit lässt sich nur im Allgemeinen angeben.
Für die Letztgenannten sind die werthvollen Angaben
des Athanarid benutzt, ebenso die V. Lupi'. Somit wären
wir im Cirkel wieder bei unserer V. Lupi angelangt, deren
Angaben zusammen mit denen des schwindelhaften gothi-
schen Philosophen Menke bewogen haben, die Alamannen
zu Nachbarn der Stadt Troyes zu machen. Die Frage, ob
die in der V. Lupi geschilderte Situation an sich möglich
war, tritt aber im vorliegenden Falle zurück gegenüber
der andern, ob der Biograph den Vorwurf für die Ge-
schichte der V. Severini entnehmen konnte, und diese muss
jeder Unparteiische mit mir bejahen.
568 Bruno Krusch.
Hiermit sind wir mit den historischen Partieen der
V. Lupi am Ende. Was sonst noch darin steht, sind un-
controlierbare Nachrichten über Heimath, Familie, Lehr-
zeit u. a. Lebensumstände des Heiligen, seine frommen
Werke, Kasteiungen, Wunderkuren, Spenden für die Armen
und zur Loskaufung von Gefangenen, endlich Angaben über
die Schüler und den nächsten Nachfolger. Nach der Zeit-
rechnung des Biographen war Lupus 2 Jahre vor der Reise
nach Britannien Bischof von Troyes geworden, und da
diese nach Prosper 429 fällt, müsste sein Episcopat von
427 an gerechnet werden. Das Jahr vorher, also 426, aber
soll er nach demselben Biographen in Lerinum bei Ho-
norat zugebracht haben, während wir wissen, dass dieser
in demselben Jahre Bischof von Arles geworden ist und
die Leitung des Klosters an Maximus abgetreten hat. Der
Heilige hätte sich also sehr sputen müssen, um Honorat
noch in Lerinum zu erreichen, und nur schwer lassen sich
die Zeitangaben des Biographen mit denen der echten
Quellen vereinigen. Bei Maximus fiel mir die bekannte
Sidonius-Stelle ein (Ep. VIII, 14. Luporum concellita Maxi-
morumque) und ich fügte hinzu : huius autem Lupum fuisse
concellitam Sidonius ipse testatus est. Sidonius gebraucht
die Wendung mit Rücksicht auf einen dritten, Antiolius,
und dieser könnte zuerst des Lupus und dann des Maxi-
mus Kamerad gewesen sein, und ebenso brauchte Lupus
nicht erst nach der Abtswahl des Maximus mit ihm in
Lerinum zusammengelebt zu haben. Ich habe aber auch
die chronologische Schwierigkeit in erster Linie durch die
bekannten Lebensumstände des Abts und nachherigen
Bischofs Honorat begründet und das obige Sätzchen nur
ergänzend beigefügt. Die Rechnung des Biographen schien
mir der Wirklichkeit um 3 bis 4 Jahre vorauszueilen. In
der Mommsen'schen Zusammenstellung der Zeitangaben in
den Sidoniusbriefen 1 treten gerade die aus der V. Lupi
gefundenen Datierungen von VI, 1 und IX, 11 aus der
zeitliehen Reihenfolge heraus. Der Recensent in den Anal.
Bolland. XVI, 85, hat ganz richtig den Einwand erhoben,
dass Mommsen die zeitliche Reihenfolge in der Anordnung
der Sidoniusbriefe nur mit der Einschränkung 'aliquatenus'
gelten lässt und selbst einige Möglichkeiten bezeichnet,
durch die sie unterbrochen sein kann. Ich habe seiner
Behauptung eine bestimmtere Fassung gegeben, und zwar
eben in Hinblick auf die Werthlosigkeit der Datierungen
1) Auct. antiq. VIII, p. LH ff.
Zur Florians- und Lupus - Legende. 569
der V. Lupi, doch just das Gegentheil von dem, was er
sagt, kann in meinen Worten: Cum epistulae Sidonianae
ordine temporum sese subsequantur, nur derjenige finden,
der wie Duchesne gewöhnt ist in Hyperbeln zu reden.
Für die Entscheidung der Hauptfrage sind natürlich
die von mir bemerkten Schwierigkeiten in der Chronologie
ohne Bedeutung und erst am Schlüsse dieser Ausführungen
hatte ich das Thema probandum aufgestellt, dass die Vita
eine Fälschung sei und den Beweis mit der Hunnen-Epi-
sode begonnen. Von dieser durchaus sicheren Grundlage
muss die Untersuchung ihren Ausgang nehmen ; ich konnte
mich aber in der Vorrede zur V. Lupi über diesen Gegen-
stand kürzer fassen, nachdem ich die Entwicklung der
Hunnensage bereits in den Vorreden der V. Memorii und
besonders der V. Aniani im Einzelnen dargelegt hatte.
Nach Duchesne dagegen hätte ich die V. Lupi wegen
eines einzigen chronologischen Irrthums für unecht erklärt,
und als zweites Argument schiebt er mir die Sidonius-
Stelle über den concellita unter. Darin besteht nämlich
die Kunst seiner Angriffs-Methode, dass er einige neben-
sächliche Dinge herausgreift, behauptet, dass sie die Grund-
lage des gegnerischen Beweises bildeten, und diesen nun
mit leichter Mühe widerlegt; bei den übrigen Einwänden
lohnt es sich dann nicht erst stehen zu bleiben. Dieses
System wird niemals seine Wirkung verfehlen, so lange
man nicht durch Nachschlagen feststellt, dass die Polemik
gegen Phantome kämpft ; es muss aber eine schlechte Sache
sein, wenn man schon zu solchen Mittelchen greift.
Für die Echtheit hat Duchesne nur ein einziges posi-
tives Argument beizubringen gewusst, die Ausdrücke specta-
bilis und clarissimus in den Wendungen : filium expectabilis
Germaniani und clarissima matrisfamilias. Er behauptet,
dass man auf dieselben im 8. oder 9. Jh. sicher nicht ge-
kommen wäre, nimmt also an, dass die Titulatur der römi-
schen Kaiserzeit im karolingischen Zeitalter vergessen ge-
wesen sei. Aber gerade das Gegentheil ist richtig. Ist
es nöthig, an den vir inluster der Merovinger-Urkunden
zu erinnern, und dass Karl d. Gr. noch bis 775. eben diesen
Titel geführt hat? Ohne lange zu suchen, finde ich den
vir clarissimus in den St. Gallener Formeln ^ aus dem Ende
des 9. Jh., und in der berüchtigten V. Mauri des trefflichen
Odo, die selbst ein Duchesne für gefälscht hält, liest man :
supradictus clarissimus vir Florus,
Tunc clarissimus vir Florus,
clarissimo senatorum genere.
1) Ed. Zeumer n. 12, S. 385.
570 Bruno Krusch.
Sogar die alte Abkürzung für das Prädicat vc begegnet
noch einmal in dem von Hinkmar gefälschten Testament
des Eemigius, nur ist sie constant vor die Namen gesetzt ^,
gerade wie auch in der V. Lupi die Titel vor den Namen
stehen. In sprachlicher Hinsicht ist bei dem Biographen
des Lupus eine Vorliebe für Partizipialsätze bemerkbar, und er
hat sich stilistische Blüthen geleistet von dieser Art: Cuique de-
genti in praedio Matiscone oblatam sibi puellam hora circiter
sexta inpulsu demonis mutam. Ein Literat dieses Schlages
kann meines Erachtens nicht mit gutem Gewissen ins 5. Jh.
gesetzt werden, während im karolingischen Zeitalter der-
gleichen allerdings möglich war, wie an der V. Aridii nach-
gewiesen wurde ^. Als äusseres Anzeichen der späteren Ent-
stehung kann die Schreibung Huni mit anlautendem H gelten,
während im gallischen Latein von Sidonius herunter bis
zum L. H. Fr. der Name Chuni lautet.
Wenn man freilich die Afraacten und die Florians-
legende für echt hält, liegt kein Grund vor, von der Lupus-
legende Schlechtes zu denken, und die Legendenschule will
ja von unechten Legenden überhaupt nichts wissen. Wie
aber die Lupuslegende nur eine Stufe in der Entwicklung
der Hunnenlegenden bildet, und zwar eine der letzten, so
kann diese eine auch in der Kritik nicht aus ihrem Zu-
sammenhange herausgelöst und für sich betrachtet werden.
Ist sie echt, dann sind auch die Legenden Anians und des
Memorius echt; sind diese aber unecht, dann ist mit ihnen
auch die analoge Geschichtsauffassung der V. Lupi ver-
urtheilt. Duchesne hätte also die beiden anderen Hunnen-
legenden in seine Entgegnung mit einbeziehen müssen,
und ohne diese hat er nichts bewiesen.
1) Scr. rer. Merov. III, 340. 2) Scr. rer. Merov. III, S. 579.
XIII.
Geschichte
der
westgothischen Gesetzgebung.
ni.
Von
Karl Zeumer.
IL Besonderer TheiL
(Fortsetzung.)
Das dritte Buch.
Bei der Untersuchung dieses Buches, welches 'De ordine
coniugali' überschrieben ist und von dem Eherecht und damit
in Zusammenhang stehenden oder doch in einen solchen
gebrachten Materien handelt, habe ich häufiger auf die
Abhandlung von Paul London, Quaestiones de historia
juris familiae quod in lege Visigothorum inest, eine Königs-
berger juristische Doktordissertation vom Jahre 1875, Eück-
sicht zu nehmen. Der vorzeitig verstorbene Verfasser der
fleissigen Arbeit nimmt in manchen Fällen Benutzung
römischer Quellen, namentlich auch der justinianischen
Eechtsbücher durch die Westgothen an, wo ein genügender
Grund dafür nicht vorliegt oder, was freilich nach dem
damaligen Stande der Forschung nicht bekannt war, eine
solche Benutzung gänzlich durch das Alter des westgothi-
schen Gesetzes ausgeschlossen ist.
Der erste Titel: 'De dispositionibus nuptiarum', handelt
von Verlöbnis und Eheschliessung:
III, 1, 1. — Dieses Gesetz ist nach der handschrift-
lichen Ueberlieferung unzweifelhaft eine Antiqua, nicht,
wie früher nach der irreführenden Inscriptio der Madrider
Ausgabe meist angenommen wurde, ein Gesetz Reccessvinds.
Der Gesetzgebung Eurichs aber kann diese Antiqua noch
nicht angehört haben, da sie das Verbot der Ehen zwischen
Gothen und Römern aufhebt, welches noch im Jahre 506
in Kraft war. Das zeigt das damals publizierte römische
ßechtsbuch, in welches nicht nur der Text des Gesetzes,
durch welches Valentinian und Valens, C. Th. III, 14, 1,
die Ehe zwischen Provinzialen und Barbaren (gentiles) bei
Todesstrafe verboten hatten, aufgenommen ist, sondern auch
eine Interpretatio dazu, welche das Verbot und die An-
drohung der Todesstrafe ausdrücklich wiederholt und dabei
574 Karl Zeumer.
dem veränderten Sprachgebrauch gemäss die Bezeichnung pro-
vincialis durch die entsprechende Romanus ersetzt ; Interpr. :
'Nullus Romanorum barbaram cuiuslibet gentis uxorem
habere praesumat neque barbarorum coniugiis mulieres Ro-
manae in matrimonio coniungantur. Quod si fecerint, no-
verint se capitali sententiae subiacere'. Ich habe früher,
N. A. XXIII, S. 88 f., auf die Wahrscheinlichkeit hinge-
deutet, dass auch das Gesetzbuch Eurichs ein entsprechendes
Verbot enthalten habe und dass der Gesetzgeber unserer
Antiqua dieses Gesetz, nicht das der Lex Romana im Auge
hatte, als er die prisce legis sententia, welche jenes Ehe-
verbot enthielt, aufhob. Doch wie dem auch sei: unsere
Antiqua kann auf keinen Fall der ursprünglichen Fassung
des Codex Euricianus angehört haben. Sie ist also der
Gesetzgebung Leovigilds zuzuweisen. Hat dieser demnach
erst das connubium zwischen Gothen und Römern gesetz-
lich gestattet, so dürfte doch das alte Verbot der Misch-
ehen schon vor der gesetzlichen Aufhebung mehrfach
durchbrochen und ausser Acht gelassen sein ^
Freilich müssen wir darauf verzichten, die erste Ehe
Leovigilds selbst als Beispiel solcher römisch 7 gothischen
Verbindungen anzusehen ^. Nach einer sich erst bei Lucas
Tudensis findenden interpolierten Stelle der Gothengeschichte
Isidors soll Leovigild in erster Ehe mit Theodosia, einer
Tochter des Severianus, der Mutter Herminigilds und Rec-
careds, vermählt gewesen sein. Wäre die Nachricht glaub-
haft, so würde man doch die Theodosia nicht als Römerin
ansehen dürfen, da ihr Vater in derselben Quelle als Sohn
des Königs Theodericus, mit dem wohl Theoderich der
Grosse gemeint ist, bezeichnet wird -^ Die ganze Nachricht
ist aber in keiner Weise begi'ündet und als ganz unglaub-
haft bereits von Florez, Espana sagrada IX, S. 210 fB., und von
Arevalo in den Prolegomena zur Ausgabe der Werke Isi-
1) Die Worte des Gesetzes: 'exultare debet libertas ingenita, cum
fractas vires habuerit prisce legis abolita sententia' darf man wohl kaum so
verstehen: die Freiheit (d. h. der Stand der Freien) muss frohlocken,
wenn die (Gesetzes) - Kraft eines (thatsächlich bereits) in Abgang ge-
kommenen Gesetzes beseitigt wird. Gemeint ist wohl, dass die sententia
legis erst jetzt durch die formelle Aufhebung abolita werde. 2) Wie
auch ich leider noch N. Arch. XXIII , S. 478 , A. , im Anschluss an
Dahn, Könige V, S. 135 und VI-, S. 81, gethan habe. 3) Chron, min.
ed. Mommsen 11, p. 287: Leuuigildus regnum obtinuit, qui cum primo
Christianus haberetur, Theodosiam filiam Severiani ducis Carthaginensis,
filii regis Theuderici duxit uxorem, ex qua Hermegildum et Reccaredum
filios suscepit. Severianus war der Vater Isidors und Leanders, deren
Schwager demnach Leovigild gewesen sein müsste.
Gesch. d. westgoth. Gesetzgeb. III. — L. Vis. in, 1,1. 575
dors, Opera S. Isidori I, p. 117 sq., uaclige wiesen. Auch
andere, die Dahn. Könige V, S. 237 anführt, leugnen die Ehe
mit Theodosia und es ist nicht ersichtlich, aus welchem Grunde
Dahn gerade diese 'genealogische Fabel', die nicht besser
begründet ist als die übrigen, welche er mit Recht verwirft,
aufrecht erhalten will.
Ein anderes Beispiel aber, welches Dahn, Könige
VI-, S. 82 für gothisch-römische Ehen aus der Zeit von 506
bis auf Leovigild anführt, kann wohl als gesichert gelten.
Eine Inschrift hebt hervor, dass ein gewisser Sindicius,
der im Jahre 562 geboren ist, von väterlicher Seite
gothischer Abkunft war (domum paterno traens linea Ge-
tarum). Mit Recht wohl schliesst Dahn, dass die Mutter
nicht ebenfalls gothischer sondern römisch-provinzialischer
Abkunft war. Dieses eine uns zufällig bezeugte Beispiel
wird natürlich nicht das einzige gewesen sein.
Die früher herrschende Meinung, dass durch unser
Gesetz Ehen zwischen Gothen und Römern, wenn nicht
alle Ehen überhaupt, an eine obrigkeitliche Genehmigung
gebunden gewesen wären, ist durch die Publikation des
echten Textes der Reccessvindiana endgültig beseitigt.
'Prosapie sollemniter consensu comite', d. h. wenn die Ein-
willigung der Familie vorhanden ist (consensu comite nach
der Analogie von vita comite zu verstehen) darf die Ehe
geschlossen werden. Das besagt der echte Text. Frühzeitig
aber ist die Stelle nicht mehr richtig verstanden und jenes
Misverständnis entstanden, welches erst jetzt beseitigt ist.
Die besten Hss. des Vulgattextes, wie Codd. Skoklosteranus,
Gorlitianus, Toletanus 43, 7, Cardonensis (= Escurial. z —
y — 2) und auch schon die zweite Hs. der Ervigiana (E 2)
fügen zu 'comite' noch 'permittente' hinzu, so dass man
verstehen muss: mit Zustimmung der Familie (prosapie
consensu) und mit Erlaubnis des Grafen (comite permittente).
Andere Vulgat-Hss. dagegen wie Codd. Toletani 43, 5 und
6, Emilianensis I und nach der Madrider Ausgabe zu
schliessen auch der Legionensis haben den echten oder
einen diesem näher stehenden Text erhalten.
Gegenüber der starken und frühen Verbreitung der
Lesart mit 'permittente' könnte man geneigt sein, die Aen-
derung etwa auf die Revisionsthätigkeit Egicas oder viel-
leicht schon Ervigs zurückzuführen ; doch ist es zu unwahr-
scheinlich, dass lediglich in Folge einer misverstandenen
Textstelle ein solches Consensrecht des comes wirklich gesetz-
lich anerkannt sein sollte. Wir werden das 'permittente'
vielmehr als Besserungsversuch nicht eines Gesetzgebers,
Neues Archiv etc. XXIV. 37
576 Karl Zeumer.
sondern eines Abschreibers ansehen müssen, vielleicht des
Schreibers einer Hs., die als authentisch galt. Oder sollte
etwa 'permittente' ursprünglich nicht neben, sondern für
'comite' eingesetzt werden?
III, 1, 2. 6 — 8. — Diese Gesetze, sämmtlich Antiquae,
welche von dem Eecht der Verlobung handeln, stehen in
engerem Zusammenhange mit einander.
III, 1, 2 spricht das unbedingte und ausschliessliche
Eecht des Vaters, die Tochter zu verloben, aus. Bricht
die Tochter das vom Vater geschlossene Verlöbnis, indem
sie einen anderen Mann heirathet, so wird sie nebst diesem,
und zwar beide sammt ihrem ganzen Vermögen, dem früheren
Verlobten verknechtet. Brüder, die Mutter oder Verwandte,
welche zu dem Verlöbnisbruch behülflich gewesen sind,
zahlen ein Pfund Gold 'cui rex iusserit'. Ein Schluss-
satz 'Eandem legem' u. s. w., welcher die Ausführung
des vom Vater abgeschlossenen Verlobungsvertrages auch
nach dessen Tode anordnet, hat in der Lex Romana, C.
Th. III, 5, 7, ein fast genau entsprechendes Seitenstück,
dem er nachgebildet zu sein scheint.
Nach III, 1, 6 gilt schon die Braut selbst als die
Empfängerin der dos ; doch wie der Vater den Verlöbnis-
vertrag abschliesst, so erscheint er auch insofern noch als Ver-
trags - Partei , als ihm das Recht zugesprochen wird,
den Betrag der dos einzutreiben (exigeudi) und bis zur
Trauung, wo er ihn der Braut ausliefern muss, in seinem
Gewahrsam zu haben.
Nach des Vaters Tode tritt nach III, 1, 7 die etwa
überlebende Mutter an seine Stelle hinsichtlich des Rechtes,
die Kinder zu verloben, welches sich, wie wir hier erfahren,
auch über die Söhne erstreckte. Sind beide Eltern ver-
storben, so geht das Recht in Bezug auf die Verlobung
der Töchter auf deren grossjährige Brüder, in deren Er-
mangelung auf den Vaterbruder über, während erwachsene
Söhne sich nach dem Tode beider Eltern ganz selbständig
verloben und vermählen können. Vaterbruder oder Brüder
sollen aber nicht allein über die Verlobung der Nichte
oder Schwester verfügen, sondern unter Beirath und Zu-
stimmung der nächsten Verwandten. Als hauptsächlichstes
Erfordernis für die Zulassung eines Bewerbers wird dabei
seine völlige Ebenbürtigkeit hingestellt; er muss natalibus
aequalis sein.
III ,1,8 behandelt den Fall , dass die Brüder in
böswilliger Absicht nicht zeitig für eine standesgemässe
Oesch, d. westgoth. Gesetzgeb. III. — L. Vis. III, 1, 2. 6—8. 577
Heirath der Schwester sorgen. Haben sie zwei oder drei
standesgleiche Freier abgewiesen, so hat die Schwester das
üecht, einen ebenbürtigen Gatten selbständig zu wählen,
ohne Schmälerung ihres elterlichen Erbtheiles. Wenn die
JBrüder aber nur zögern, um für einen wirklich würdigen
Freier zu sorgen (ut provideant digniorem), und die Schwester
sich dann unter ihrem Stande vermählt (ad inferiorem
forte maritum devenerit), so verliert sie ihr Erbrecht an
elterlichem Gut. Gegen die Brüder aber und andere Ver-
wandten behält sie ihr Erbrecht.
Das Gesetz ist schlecht redigiert. Was soll geschehen,
wenn die Schwester im zweiten Falle einen ebenbürtigen
Gatten wählt? Darauf giebt das Gesetz unmittelbar keine
Antwort. Es berücksichtigt nur den als tyj)isch gesetzten
Fall. Kaum zweifelhaft aber scheint es, dass gesagt sein
soll: die Tochter darf sich nach der Eltern Tode auch
ohne Zustimmung ihrer Brüder vermählen, wenn diese
mehrfach standesgemässe Freier abgewiesen haben; sie ver-
liert aber ihr Erbrecht am elterlichen Gut, wenn sie einen
unebenbürtigen Mann nimmt.
Das römische ßecht setzte für das Verlöbnis und die
Eheschliessung einer filiafamilias die Zustimmung des pater-
familias voraus. Nur die gross jährige Wittwe war davon
befreit nach Cod. Th. III, 7, 1; die Interpretatio zu dieser
Stelle bindet auch die vaterlose Wittwe unter 25 Jahren
an die Zustimmung der Verwandten (pro honestate conjunc-
tionis iudicium sequendum est propinquorum), lässt also
nur die grossjährige und vaterlose Wittwe frei wählen.
Justinian hat dann in Nov. 115, c. 3, § 11 auch der ledigen
Haustochter über 25 Jahren gestattet, sich auch ohne
Einwilligung des Vaters zu verehelichen; wenigstens soll
dies, wenn sie es thut, keinen Grund bilden, sie zu ent-
erben.
London hat angenommen, dass in den Capiteln 7 und 8
<iie angeführte Stelle der Lex Homana benutzt sei. Das ist
aber mindestens zweifelhaft, wenngleich auch auf diesem
Gebiete im Einzelnen römischer Einfluss auf die For-
mulierung der Antiquae eingewirkt haben mag. Wenn
das römische Recht jener Zeit die Tendenz zeigt, die
älteren Mädchen und Wittwen in Bezug auf Verlobung
und Verheirathung unabhängiger zu stellen, so mag auch
das die westgothische Gesetzgebung hie und da beein-
flusst haben. Im ganzen dürfen wir aber wohl alt-
nationale Grundlagen für diese Antiquae annehmen. Es
ist gewiss kein Zufall, dass im nordischen Recht, in der
37*
578 Karl Zeumer,
isländischen Graugans ein paar wichtige Bestimmungen
dieser Gesetze wiederkehren. Zunächst findet sich auch
dort das Eecht der Wittwe, ihre Tochter zu verloben, frei-
lich nur, wenn Söhne nicht vorhanden sind ; s. E.ive, Vor-
mundschaft I, S. 96, wo Anm. 43 die Stelle aus Grägäs,,
Fest. f). 1 (I, S. 305 f.) citiert ist. Dann aber, und hier ist-
die üebereinstimmung besonders auffällig, gestattet die
Graugans dem Mädchen, sich imter derselben Vorbedingung
selbst zu verloben, wie unsere Antiqaa III, 1, 8. Grägas,
Fest. |). 2 (I, S. 307) heisst es nach Rives Uebersetzung, a. a. 0.
I, S. 99: Wenn die Verlober die Heirath verhindern wollen
und zwei untadelhafte Freier abweisen, kann sie (das
Mädchen) bei der dritten ihr gebotenen anständigen Partie
(jafn raeiJi = gleiche Heirath) sich selbst berathen mit
dem Beirath irgend eines Blutfreundes ^.
Die Uebereinstimmung jnit III, 1, 8 ist eine so voll-
kommene , dass an einem ursächlichen Zusammenhange
beider Satzungen nicht zu zweifeln ist. Auch die Motive
sind in beiden Gesetzen dieselben. Die Verlober sollen
nicht aus selbstsüchtigen Beweggründen die standesmässige
Verheirathung des Mädchens hintertreiben. Nicht nur, wenn
die Schwester unvermählt blieb, fiel nach dem Westgothen-
recht ihr Erbtheil den Brüdern zu, sondern auch, wenn
sie sich ohne ihre Zustimmung unter ihrem Stande ver-
mählte. Sie sollen daher nicht ihres Erbes wegen durch
fortgesetzte Abweisung von Freiern die Schwester in die
Arme eines unebenbürtigen Mannes treiben : das ist das
ausgesprochene Motiv des Gesetzes '-.
Diesem ursprünglichen Bestände des Titels sind von
Chindasvind und Reccessvind neue Gesetze hinzugefügt.
III, 1, 3. — Dieses Gesetz Chindasvinds trägt die
üeberschrift 'De non revocandis datis arris', deren eigentliche
Bedeutung nachher deutlich werden wird. Es handelt von
der bindenden Kraft des bei der Verlobung als 'arrae' ge-
gebenen Ringes. Sobald dieser gegeben und genommen
ist, soll die Verlobung auch ohne schriftlichen Vertrag für
beide Theile bindend sein, so dass keiner gegen den Willen
der Gegenpartei von der Verpflichtung zurücktreten kann;
1) Vgl. auch Rive a. a. 0. I, S. 153. 2) Dass das gleiche Motiv
auch den von Brunner, SB. d. Berl. Ak. LIII, S. 1292, zusammengestellten
Bestimmungen nicht nur germanischer Rechte, sondern auch des spät-
römischen Rechtes gegen den Misbrauch des Verlobungsrechtes über die
Wittwe zu Grrunde liegt, wird man nicht gegen den oben behaupteten Zu-
sammenhanaf geltend machen können.
Gesch. d. westgoth. Gesetzgeb. III. — L. Vis. HI, 1, 3. 579
Tielmehr soll nach Zahlung- der dos die Hochzeit statt-
finden: 'decernimus, ut, cum inter eos, qui disponsandi sunt,
sive inter eorum parentes aut fortasse propinquos pro
filiorum nuptiis coram testibus precesserit definitio et
anulus arrarum nomine datus fuerit vel acceptus, quamvis
scripture non intercurrant , nuUatenus promissio violetur.
Nee liceat uni parti suam inmutare aliquatenus volumtatem,
si pars altera prebere consensum noluerit, sed secundum
legem alteram constitiitione dotis impleta, nuptiarum inter
eos peragatur festa celebritas'.
Welche Neuerungen enthielt dieses Gesetz gegenüber
dem älteren Rechte?
Nach diesem verpflichtete sich der Bräutigam bei der
Verlobung regelmässig wohl nur zur Zahlung des Kauf-
preises (pretium, dos) nebst etwa hinzutretender Morgen-
gabe und ausserdem zur Zahlung einer Conventionalstrafe
(poena) für den Fall der Weigerung. Diese Verpflichtung
beurkundete er durch eine Schrifturkunde, die als Pro-
missio dotis oder ähnlich bezeichnet wurde. Weitergehende
Verpflichtungen des Bräutigams kennen die erhaltenen For-
meln für solche Urkunden, n. 14 — 20 der westgothischen
Sammlung, Formulae S. 581 ff., nicht und auch die über-
lieferten Gesetze lassen solche nicht erkennen. Ja, wir
dürfen schliessen, dass eine Antiqua, welche Reccessvind
beseitigt und durch III, 1, 4 ersetzt hat, ebenso wie das
entsprechende Capitel in Rotharis Edictus (c. 178), für
welches jene verlorene Antiqua das Vorbild gewesen sein
dürfte, und wie das römische Recht, welches die Quelle
dieser Antiqua war, als Rechtsfolgen für den Bräutigam,
der seinen durch die Verlobung eingegangenen Verpflich-
tungen nicht nachkam, nur gewisse vermögensrechtliche
Nachtheile und den Verlust des Anrechtes auf die Braut
anerkannte. Von einem weiteren Zwange zum Halten und
Erfüllen des Verlöbnisses, von einer Strafe für den Bruch
des Verlöbnisses durch adulterium oder durch Schliessung
einer anderen Ehe findet sich keine Spur.
Ganz anders verhält es sich mit der Braut. Sie ist
schon nach dem älteren Rechte zum Halten des von ihr
oder ihrem Mundwalt geschlossenen Verlöbnisses verpflichtet.
Stand vielleicht dem Vater als Mundwalt seiner Tochter
nach III, 1, 2 ein Recht die Verlobung rückgängig zu
machen zu, so scheint ein solches der Braut selbst nicht
zugebilligt zu sein. Brach sie das Verlöbnis, so trafen sie
die schweren Strafen des Ehebruchs; doch scheint nach
580 Karl Zeumer.
III, 4, 2 diese strenge Verpflichtung der Braut erst durch
Zahlung des pretium eingetreten zu sein^
Wurde also bisher der Bräutigam durch die schrift-
liche Dotalbestellung, die Braut vollständig erst durch
Zahlung verpflichtet, so sollte nach Chindasvinds Gesetz
die Verpflichtung für beide Theile gleichmässig bereits
durch Begebung des Ringes begründet werden, und zwar
sollte von diesem Akte an keine Partei ohne Einwilligung^
der andern zurücktreten dürfen. Die Verschiedenheit der
Verpflichtungen des Bräutigams und der Braut aus dem
Vertrage blieb dabei bestehen. Von einer Strafe für den
Bruch des Verlöbnisses durch den Bräutigam enthält das
Gesetz nichts. Erst Reccessviud hat durch III, 6, 3 die
Ehebruchsstrafe auf den Bräutigam, welcher das Verlöbnis
bricht, ausgedehnt und somit beide Parteien ganz gleich
gestellt.
Eine weitere wesentliche Neuerung in Chindasvinds
Gesetz ist, dass die Verlobung durch den als Arra gege-
benen Ring der Verlobung durch schriftlichen Vertrag
gleichgestellt, die Schriftform neben der Arra für entbehr-
lich erklärt wird. Dem entspricht es, wenn Reccessviud in
seinen Gesetzen die Verlobung durch Begebung der 'arrae'
als gleichberechtigt neben der durch 'scriptura' geschlossenen
erwähnt; III, 1, 4: 'Aliter quandoque aut arrarum aut
scripture celebrata confectio non valebit' ; III, 6, 3 : 'post
arrarum traditionem aut facta secundum leges definitionis
sponsione'.
Die Bezeichnung der Arra und vielleicht auch ihre
Anwendung auf den Verlobuugsvertrag oder doch die Auf-
fassung des Ringes als Arra haben die Gothen wohl von
den Römern entlehnt, Function und Bedeutung der Arra
aber erheblich verändert. Sie haben anscheinend in Folge
einer mehr äusserlichen Aehnlichkeit die römische Be-
zeichnung auf ein nationales Institut, das Handgeld, über-
tragen.
Freilich sind wir über die Arra des älteren römischen
Rechtes nur mangelhaft unterrichtet. Doch ist wohl un-
zweifelhaft, dass ebenso wie nach griechischem und nach
justinianischem Recht die zum Zweck eines künftigen Kaufes
vom Käiifer gegebene Arra nicht nur vom Verkäufer, wenn
dieser zurücktrat, etwa neben weiteren Zahlungen zurückge-
geben werden musste, sondern auch vom zurücktretenden.
Käufer an den Verkäufer verloren wurde ^. Die west-
1) Vgl. auch L. Burg. 52. 2) Vgl. Schulin, Rom. RG. S. 372 ff. ;
Demburg, Pandekten II ^ S. 33.
Gesch. d. westgoth. Gesetzgeb. III. — L. Vis. HI, 1,3. 581
gothische Arra aber unterscheidet sich von allen bekannten
Formen der griechisch-römischen Arra dadurch, dass sie
nur den Verkäufer bindet. Sie dient als Verzichtpfennig.
Durch Annahme der Arra verzichtet der Empfänger auf
die Ausübung von Rechten, der Verkäufer einer Sache auf
die anderweitige Veräusserung derselben bis zu dem für
Zahlung des Kaufpreises bestimmten Termin. Der Käufer
hat das Eecht. nicht nur die Zahlung des bedungenen
Preises zu unterlassen und dadurch den Kaufvertrag zu
lösen, sondern er kann in diesem Falle sogar die gegebene
Arra zurückverlangen. Diese ursprüngliche Bedeutung
der westgothischen Arra hat Heusler, Institutionen des
deutschen Privatrechts I, S. 84 ff. II, S. 253 ff. an der Hand
von L. Vis. V, 4, 4 überzeugend nachgewiesen, und die seit-
dem bekannt gewordenen älteren Formen dieses auf Eurich
zurückgehenden Gesetzes lassen die Richtigkeit seiner Aus-
führungen nur noch deutlicher erkennen. Dass auch die
Verlöbnis- Arra bei den Westgothen dieselbe Bedeutung
hatte, zeigt die üeberschrift zu Chindasvinds Gesetze. Sie
lautet: 'De non revocandis datis arris', d. h. von Arrae,
welche nicht zurückgefordert werden dürfen. Wenn sich
der Sinn dieser Üeberschrift in der Hauptsache mit dem
Texte des Gesetzes, welcher besagt, dass nach Begebung
der Arra keine Partei einseitig von der Verlobung zurück-
treten kann, deckt — und es liegt kein Grund vor, daran zu
zweifeln — so ergiebt sich, dass vor diesem Gesetze der Geber
der Arra dieselbe zurückfordern und dadurch den Vertrag
lösen oder vereiteln konnte. Also der Bräutigam ver-
pflichtete sich durch Hingabe der Arra bisher ebensowenig,
wie der Käufer nach Eurichs Gesetze; wie dieser den Ver-
käufer bis zum Zahlungstermin, so band der Bräutigam
die Braut durch die Arra bis zum Termin, auf welchen
die Zahlung des 'pretium' festgesetzt war. Er selbst da-
gegen konnte nach Belieben zahlen und die Braut heim-
führen oder die Arra zurückfordern und das Verlöbnis
lösen. Aus der Vergleichung von Text und üeberschrift
unseres Gesetzes ergiebt sich also eine neue Bestätigung
der Auffassung Heuslers von der Bedeutung der west-
gothischen Arra.
Während der Rubrikator nur an die Veränderung
dachte, welche das Gesetz gegenüber dem bisherigen west-
gothischen Rechte einführte, dürfte der Gesetzgeber selbst
zugleich auch die Beseitigung der besonderen Rechts-
wirkungen, welche die bisher bei den Römern üblichen Ver-
582 Karl Zeumer.
lobungen mit arra sponsalicia hatten, im Auge gehabt
haben.
Das Verlöbnis war bei den Eömern jedenfalls seit der
Kaiserzeit einseitig lösbar, und zwar stand die Lösung
gleichmässig beiden Parteien zu ^. Nur durch Begebung der
Arra wurde es gegen leichtfertige Lösung bis zu einem
gewissen Grade gesichert. Die arra sponsalicia hatte wohl
dieselben Wirkungen wie die Arra beim Kauf. Unter Ver-
lust der Arra konnte der Bräutigam zurücktreten, durch
die Erstattung eines mehrfachen, nach dem Codex Theo-
dosianus des Vierfachen der empfangenen Arra, die poena
quadrupli '-, die Braut ihre Verpflichtung lösen. Diese
römischen Verlöbnisse durch Arra mit ihren besonderen
Wirkungen wurden durch die Publication des Chinda-
svindischen Gesetzes in der Eeccessvindiana beseitigt.
Am Schluss wird ein anderes Gesetz citiert: 'secun-
dum legem alteram ^ Constitutionen! dotis impleta, nuptiarum
inter eos peragatur festa celebritas'. Die 'lex altera' kann
nur Chindaswinds Gesetz über den Maximal -Betrag der
dos, III, 1, 5 sein. Die Bezeichnung als 'lex altera' deutet
darauf hin, dass beide Gesetze ursprünglich unmittelbar
neben einander standen, so dass also in der Aufzeichnung
seiner Gesetze, welche Chindasvind für die neue Codification
herstellen Hess III, 1, 5 auf unser Gesetz unmittelbar folgte.
Erst Reccessvind schob sein Gesetz III, 1, 4 dazwischen.
III, 1, -i. — ßeccessvind knüpft in diesem Gesetze
zunächst an das vorige an. Hatte jenes die Regel aus-
gesprochen, dass Verlöbnisse nicht einseitig auflösbar seien,
so fügt dieses die Ausnahme hinzu: es sei denn, dass
jüngere Männer mit älteren Weibern verlobt seien. In
diesem Fall soll jede Partei befugt sein, das Verlöbnis zu
lösen. Am Schluss des Gesetzes wird dann dieser Be-
stimmung entsprechend als Bedingung für die Wittwenehe
hingestellt, dass der Mann mindestens gleichen Alters mit
der Wittwe sei^.
1) Kariowa, Rom. RG. Jl, S. 176 ff. 2) Cod. Theod. III, 5, 11 ;
6, 1; 10, 1. 3) In der Handausgabe habe ich altei-am zu constitutionem
dotis bezogen, so dass der Sinn sein würde: 'wenn nach dem Gesetz der
andere Dotalvertrag , d. h. der Rest des Vertrages, erfüllt ist'. Ich bin
jedoch davon zurückgekommen, da es wohl nicht möglich ist, die Zahlung
der Arra oder die conscriptio dotis als prima constitutio dotis aufzufassen.
Es ist also alteram zu legem zu ziehen und zu erklären: wenn nach dem
anderen Gesetze der Dotalvertrag erfüllt ist. 4) 'alii viro ab adule-
scentiae eins annis' d. h. einen Mann an Alter von ihren Jahren aufwärts.
Die Hauptbestimmung des Gesetzes: 'ut femine minoris semper etate viris
maioribus in matrimonium disponsentur', scheint dem Wortlaute nach auch
Gesch. d. westgoth. Gesetzgeb. III. — L. Vis. III, 1, 3. 4. 583
Ferner enthält das Gesetz die Bestimmung, dass nach
Abschluss der Verlobung- die Hochzeit innerhalb zwei
Jahren stattfinden soll, ausser wenn beide Parteien eine
Verlängeruug beschliessen. Diese Verlängerung und ebenso
weitere Verlängerungen sollen immer nur auf zwei Jahre
vereinbart werden können. Wer diese Fristen ohne echte
Noth oder ohne solche Prolongation verstreichen lässt, hat
die festgesetzte Straf summe zu erlegen, ohne von der Er-
füllung des Verlöbnisses befreit zu sein : 'et penam, qvie
in placito continetur, adimpleat, et quod definitum est in-
mutare non liceat'. Das kann in dem Zusammenhange
nur heissen: ihm, dem Säumigen, soll trotz der Buss-
zahlung nicht erlaubt sein, von dem Vertrage abzugehen.
Also: lassen beide Parteien ohne Widerspruch die zwei-
jährige Frist oder deren vertragsmässige Widerholung ver-
streichen, so ist das Verlöbnis ungültig; keine Partei kann
auf Erfüllung bestehen. Erklärt sich eine Partei zur Hoch-
zeit bereit, während die andere sich über die Frist hinaus
weigert, so wird die schuldige Partei straffällig und bleibt
zum Abschluss der Ehe verpflichtet, während natürlich
die andere Partei jetzt unter Berufung auf die Versäumung
des Gegners den Abschluss verweigern kann.
Diese einfache und nothwendige Auffassung ist R.
Löning entgangen. Er sieht, Vertragsbruch S. 151, in der
Fristbestimmung nur ein 'leeres Drohmittel', findet, dass
keine 'rechtliche Idee' darin zum Ausdruck gelangt, weil
er den vorhin im Wortlaut angeführten Passus dahin ver-
steht, dass, wenn eine Partei den Abschluss der Ehe binnen
jener Frist rechtswidrig verweigert, sie nur die Conven-
tionalstrafe verwirkt haben soll, der Vertrag selbst dadurch
aber nicht verletzt oder gar aufgelöst sei. Die Pflicht zur
Eingehung der Ehe bleibe trotzdem bestehen, d. h., wie
L. meint, für beide Parteien. Der Text aber kann nur so
verstanden werden, dass diese Pflicht für den Schuldigen
bestehen bleiben, nicht durch Versäum ung und Bussezahlung
absorbiert sein soll. Diese Erklärung wird noch unter-
stützt durch die römische Quelle unseres Gesetzes.
Verlöbnisse von Altersgleichen zu beanstanden. Doch l)eruht das vielleicht
nur auf mano-elhafter Fassung. Jene Bestimmung wegen der Wittwen
und die Fassung der Ueberschrift sprechen dagegen. — Wenn es in
Richters Lehrbuch des Kirchenrechts 8. Aufl. (von Dove und Kahl) S. 1081
Anm. 11 heisst: 'Verbote (der Ehe) wegen ungleichen Alters, namentlich
der Braut (es soll natürlich heissen: namentlich wegen höheren Alters
der Braut) finden sich übrigens schon früh bei den germanischen Völkern',
und wenn dazu in erster Linie unsere Stelle angeführt wird, so ist da-
gegen zu bemerken, dass es sich hier nicht um ein Eheverbot handelt.
584 Karl Zeumer.
Die zweijährige Frist ist dem römischen Rechte ent-
lehnt; sie findet sich Cod. Theod. 111, 5, 4 und 5. In
ersterer Constitution wird allgemein bestimmt, dass der
Verlobte seine Ansprüche aus der Verlobung- verliert, wenn
er die Braut nicht innerhalb zwei Jahren heimführt. Diese
ist dann nicht mehr an die Verlobung gebunden. Die fol-
gende Constitution nimmt in einem besonderen Falle auf
diese Regel Rücksicht.
Die entsprechende Bestimmung Reccessvinds ist nun
offenbar nicht der Lex Romana Alarichs II., in welcher
sich die erste der beiden Constitutionen nicht findet, ent-
nommen, sondern einer Antiqua. Wohl nur diese verlorene
Antiqua kann die Quelle gewesen sein für die gleiche Be-
stimmung im Edictus Rothari c. 178. Dass Rothari
nicht aus dem Codex Theodosianus schöpfte, ist von vorn
herein anzunehmen. Auch weist die langobardische Fassung
Uebereinstimmungen mit Reccessvinds Gesetz auf, die auf
eine gemeinsame Quelle deuten, welche nicht die Stelle
des Codex gewesen sein kann. Beide Quellen heben die
echte Noth als Ausnahme begründend hervor und bezeichnen
die Zahlung mit dem Worte 'adimpleat' ; weder das eine
noch das andere findet sich im Codex Theodosianus.
Dürfen wir so auf eine verlorene Antiqua als gemein-
same Quelle für Rothari und Reccessvind schliessen, so
lässt eine andere Stelle in Rotharis Fassung Ueberein-
stimmung mit der Constitution des Codex Theodosianus
erkennen, welche darauf deutet, dass bei der Abfassung
jener verlorenen Antiqua Cod. Theod. III, 5, 4 vorlag.
Dort wird die Vollziehung der Ehe mit 'nuptias exequi'
ausgedrückt und dasselbe geschieht an der entsprechenden
Stelle bei Rothari ^. Ist aber in der verlorenen Antiqua eine
nicht in Alarichs II. Lex Romana aufgenommene Constitution
des Cod. Theod. benutzt, so folgt, dass nicht ein Zusatz Leo-
vigilds, sondern ein schon dem alten Codex Euricianus ange-
höriofes Gesetz vorlag.
1
111, 1, 5. — In diesem oft besprochenen Gesetze
Chindasvinds liegt eins der wenigen genau datierten Stücke
des Gesetzbuches vor; es ist vom 12. Januar 644. Die
Ueberschrift lautet entsprechend dem Inhalt: 'De quanti-
tate rerum conscribende dotis'. In seiner ursprünglichen,
1) Cod. Theod.: 'si . . . intra biennium exequi nuptias super-
sederit'; Rothari: 'si . . . dilataverit nuptias exequi, post transactum
biennium' . . .
Gesch. d. westgoth. Gesetzgeb. III. — L. Vis. III. 1,4. 5. 585
in der ß,eccessvindiana überlieferten Gestalt setzt das Ge-
setz als Maximalbetrag der dos, d. h. der dos im germa-
nischen Sinne, welche von Seiten des Bräutigams der Braut
dargebracht wird , für den höchsten Stand, den der pri-
mates und seniores des Gothenvolks, den Betrag von
1000 solidi fest und gestattet daneben nur noch die
Schenkung von 10 Knechten, 10 Mägden und 20 Pferden,
die herkömmliche Morgengabe, wie uns n. 20 der west-
gothischen Formelsammlung aus König Sisebuts Zeit lehrt.
Mehr soll der Braut nur dann gegeben werden dürfen,
wenn sie dem Bräutigam ebensoviel zubringt; wie unter
Berufung auf Bestimmungen römischer Gesetze angeordnet
wird ^. Männer , welche Schenkungen über dieses Maass
hinaus der Frau eidlich oder schriftlich bei der Verhei-
rathung gelobt haben, sollen daran nicht gebunden sein.
Vollzogene Schenkungen der Art sollen, soweit sie das
erlaubte Maass überschreiten, von den Eltern oder Ver-
wandten des Mannes zurückgefordert werden können.
Weitergehende Schenkungen unter Ehegatten sind im all-
gemeinen erst nach Ablauf des ersten Jahres der Ehe
statthaft ; früher nur in Todesgefahr.
Diese letzten Bestimmungen beziehen sich wohl auf
alle Stände, nicht nur auf den Adel, trotzdem bisher von
diesem allein gehandelt ist. Für die übrigen Stände wird
nunmehr die Maximal -dos einheitlich bemessen. Wer
10 000 sol. Vermögen hat, darf Alles in Allem bis 1000 sol.
Werth als dos geben, wer 1000 sol. hat, bis zu 100 sol.:
'Et sie ista constitutio dotalis tituli ad ultimam usque ad
summam omni controversia sopita perveniet'. Obwohl
unklar ausgedrückt, kann das nur bedeuten, dass die dos
immer im gleichen Verhältnis zum Vermögen stehen, also
nicht über den zehnten Theil desselben betragen soll.
R. Schroeder - meint, es könne darüber kein Zweifel
herrschen, dass Chindasvind zu dieser Aufstellung durch
die Bestimmung der Lex lulia et Poppaea, dass kinderlose
Ehegatten in Testamenten einander nur bis zum zehnten
Theil ihres Vermögens bedenken dürfen, bewogen sei. Zu
dieser Annahme sehe ich um so weniger Grund, als jene
Bestimmung schon im Jahre 410 durch Honorius und
Theodosius ausdrücklich aufgehoben und das aufhebende
1) Vgl. hierzu die Handausgabe p. 90, n. 1 — 3. Die dort angeführte
Novelle Justinians kommt wohl am ehesten in der Bearbeitung Julians,
Const. 90, c. 1 in Betracht. Zur Litteratur ist vor allem noch die wichtige
Abhandlung Brunners hinzugekommen: Die fränkisch -romanische dos, SB.
der Berl. Ak. 1894, S. 549 ff. 2) Gesch. d. ehelichen Güterrechts I, S. 74.
586 Karl Zeumer.
Gesetz in den Codex Theodosianus (VIII, 17, 2) und ebenso
in den Codex lustinianus (YlII, 57, 2) anf genommen ist.
Völlig neu sind Cbindasvinds Bestimmungen nicht.
Das zeigt die schon erwähnte aus dem vierten Eegierungs-
jahre Sisebuts datierte Formel, in welcher die Bestand-
theile der Morgengabe angegeben werden:
Ecce decem inprimis pueros totidemque puellas
Tradimus atque decem virorum corpora equorum
Pari mulos numero; damus inter caetera et arma,
Ordinis ut Getici est et morgingeba vetusta.
Zum Tb eil wörtlich in TJebereinstimmung mit diesen Versen
schreibt Chindasvind vor: 'X pueros, X puellas et caballos
XX sit . . . dandi conscribendique libertas'. Die gleich-
massige Bezeichnung der Knechte und Mägde an beiden
Stellen deutet darauf hin, dass die TJebereinstimmung nicht
bloss darauf beruht, dass an beiden Stellen aus dem gleichen
Gewohnheitsrechte geschöpft ist. Es ist vielmehr wahr-
scheinlich, dass schon eine beseitigte Antiqua einen ent-
sprechenden Satz enthielt, aus dem der Verfasser der Formel
schöpfte.
Bemerkenswerthe Veränderungen hat an Cbindasvinds
Gesetze König Ervig 681 vorgenommen. Er hat die Ma-
ximal-dos von 1000 sol. für den Adel beseitigt und das
für die übrigen Stände geltende Zehntel auch auf den ,
ersten Stand ausgedehnt. Die Morgengabe aber hat er dem
Adel als Vorrecht belassen und noch weiter ausgestaltet.
Er verstattet zunächst wie Chindasvind: 'decem pueros
decemque puellas et caballos XX', fügt aber hinzu: 'seu
in ornamentis, quantum mille solidorum esse constiterit'.
Das soll nicht heissen : 'entweder 20 unfreie und 20 Pferde
oder für 1000 sol. Schmucksachen', noch auch: '20 Un-
freie etc. und für 1000 sol. Schmucksachen' sondern:
'20 Unfreie und 20 Pferde, auch etwa Schmucksachen,
zusammen bis zu 1000 sol. Werth' ^. Das war formell
eine Erweiterung der Chindasvindschen Morgeugabe, mate-
riell bedeutete es eine solche nicht nothwendig, da die
Mancipien und Thiere bei guter Qualität allein bereits den
Werth von 1000 sol. darstellen konnten. Eeccessvind
hat III, 3, 9 als höchsten Werth eines Knechtes 100 sol.
angenommen, die Lex Burguudionum tit. 10. kennt für
qualifizierte Knechte Todschlagsbussen von 30 bis 150 sol.,
Summen, welche die eigentlichen Werthe der Knechte
1) So scheint auch der Verfasser einer Dotalurkunde aus dem Ende
des 9. Jhs. bei Helfferich S. 255, u. 64 den Text vei-standen zu haben.
Gesch. d. westgoth. Gesetzgeb. III. — L. Vis. III, 1, 5. 9. 587
jedenfalls nicht erheblich überstiegen, da der Werth von
gewöhnlichen Mancipien in 4, 1 anf 25 sol. angegeben wird.
Ein Knecht von mittlerer Qualification konnte leicht 50 sol.
werth sein, so dass 10 Knechte schon die Hälfte des
Maximalbetrages ausmachten. Auf die anderen 500 sol.
konnte sich dann leicht der Werth der 10 Mägde und
20 Pferde belaufen. Indem Ervig ausser den von Chin-
dasvind allein zugelassenen Mancipien und Pferden auch
noch ornamenta als Morgengabe zuliess, näherte er deren
Bestandtheile wieder mehr dem älteren Rechte, wie es
uns in der nach Sisebut datierten Formel entgegentritt,
welches neben den 20 Unfreien und 20 Thieren noch andere
Gegenstände gestattete: 'inter cetera et arma'.
III, 1, 9. — Reccessvind hat dieses Gesetz als Zusatz
zu Chindasvinds III, 1, 5 erlassen. Es gestattet ausdrück-
lich die dort festgesetzte dos nicht nur von Erbgut (res
propriae), sondern auch von Königsschenkungen oder sonst
rechtmässig erworbenem Gute zu bestellen, 'iuxta moduni
legis date conscribendi dotem', d. h. nach den in III, 1, 5
aufgestellten Normen. Es soll also das Zehntel von den
verschiedenen Kategorien des Gutes, nicht nur von den
res propriae, als dos gegeben werden können.
Diesem Gesetze ist dann von Ervig eine Einleitung
vorausgeschickt, welche in der Madrider Ausgabe^ fälschlich
als besonderes 1. Capitel dem Titel vorangestellt ist. In
dieser Einleitung wird die Hingabe oder schriftliche Be-
stellung einer dos für nothwendig zum Abschluss einer
rechtsgültigen Ehe hingestellt; dieselbe Ansicht drückt
Ervig auch in seinem Judengesetz XII, 3, 8 aus, wenn er
den Juden gebietet zu heirathen: 'non aliter quam cum
praemisso dotis titulo, quod in Christianis salubri institu-
tione praeceptum est'. Ein ausdrückliches Gebot der Be-
stellung einer dos, auf welches wir diese Stelle beziehen
könnten , findet sich weder in den canonischen Quellen
noch vor Ervig in dem weltlichen Gesetzbuche. Dass Ervig
mit jenen Worten auf seine eigene Einleitung zu III, 1, 9
hätte hinweisen wollen, ist durch die Priorität der Juden-
gesetze ausgeschlossen-. Es wird sich demnach bei den
Worten: 'quod in Christianis . . . praeceptum est', nicht
um den Hinweis auf eine ausdrückliche Gesetzesvorschrift
handeln, sondern nur um einen nicht ganz correcten Aus-
1) Nach S. 33, n. 7 folgt die Ausgabe darin dem Codex Vigilanus.
2) S. N. A. XXIII, S. 494 ff.
588 Karl Zeumer.
druck für die herrschende Rechtsanschauung- von der Be-
deutung der dos.
Der zweite Titel des III. Buches: 'De nuptiis inlicitis',
enthält acht Gesetze, welche mit einer Ausnahme Antiquae
sind. Nur n. 7 ist ein Gesetz Chindasvinds.
III, 2, 1. — Dieses Gesetz stellt Wiederverheirathung
und adulterium der Wittwe innerhalb eines Jahres nach
des Mannes Tode unter Strafe. Die Frist ist dem römi-
schen Rechte entlehnt, 12 Monate, das Trauerjahr, welches
durch eine Constitution von Gratian, Valentinian und Theo-
dosius vom Jahre 381, Cod. lust. V, 9, 2 = Cod. Theod.
III, 8, 1, statt der früheren Frist von 10 Monaten einge-
führt war. Auch die Strafe, Verlust des halben Vermögens an
die Kinder erster Ehe — oder, fehlen diese, an die sonstigen
Erben — führt London auf das römische Recht zurück,
wie aus der Wahl der Stellen hervorgeht, die er als Quelle
für dieses Gesetz in seiner Uebersichtstafel anführt. Ent-
weder soll Cod. lust. VI, 56, 4, ebenfalls eine Constitution
von Gratian u. s. w. von 380, oder Nov. 22, c. 22. die
Quelle sein. Die ältere Constitution bestimmt, und die
Novelle wiederholt diese Bestimmung, dass die innerhalb
der Trauerzeit heirathende Wittwe infam sein soll. Die
Gnade des Kaisers kann diese Infamie beseitigen ; wenn
aus der früheren Ehe Kinder vorhanden sind aber nur
unter der Vorbedingung, dass sie diesen die Hälfte ihres
Vermögens ohne Vorbehalt schenkt. Es ist möglich, dass
in der That diese Bestimmung das dann freilich sehr frei
nachgeahmte Vorbild für die Vermögensstrafe der Antiqua
war. Jedenfalls dürfte als mittelbare oder unmittelbare
Quelle nur die ältere Constitution, nicht die Novelle in
Betracht kommen^.
Unser Gesetz unterscheidet sich in seinen Bestim-
mungen vom römischen Recht auch dadurch, dass es
Wiederverheirathung und aussereheliches Beilager (adulte-
rium = röm. stuprum) der Wittwe während des Trauer-
1) Man könnte daran denken, dass die Strafe des Verlustes der
Hälfte des Vermögens der Ehebruchs- oder Unzuchtsstrafe des römischen
Rechtes nachgebildet sei, wie sie Rein, Criminalrecht der Römer, S. 862
annimmt. Dieser irrt jedoch, wenn er angiebt: 'Die gewöhnliche Strafe
für Stuprator und Stuprirte war Confiscation des halben Vermögens'.
Nur eine der von ihm hierfür angeführten Stellen erwähnt diese Strafe
Paul. Sent. II, 26, 13, und zwar nur für den Mann, welcher sich mis-
brauchen lässt, während die folgende Bestimmung die überführte Ehe-
brecherin mit dem Verlust der halben dos und des Drittels ihres Ver-
mögens bedroht.
\
Gesch. d. westgoth. Gesetzgeb. 111.
L. Vis. 111,2, 1. 2.
589
Jahres ganz gleich behandelt; wogegen das römische Eecht
bis auf Justinian besondere Strafen nur für die Wieder-
Terheirathung kannte, ein von der Wittwe in dieser Zeit
begangenes stuprum dagegen nur mit den überhaupt für
dieses Vergehen festgesetzten Strafen bedrohte. Erst Justi-
nian verfügte durch Nov. 39, c. 2, dass die Wittwe im
Falle des stuprum ausser den hierfür bestimmten Strafen
auch noch die für die vorzeitige Wiederverheirathung au-
gedrohten erleiden solle, beschränkte diese Straf häuf ung
aber auf den Fall, dass die Wittwe in Folge ihres Ver-
gehens innerhalb des Trauerjahres ein Kind gebar. Sowohl
diese Beschränkung, als der Umstand, dass hier eine straf-
rechtlich gleiche Behandlung des stuprum mit der Wieder-
verheirathung, wie wir sie in der Antiqua fanden, auch durch
die Novelle nicht herbeigeführt ist, lassen eine schon an
sich unwahrscheinliche Benutzung der Novelle von Seiten
des Gesetzgebers der Antiqua wohl ausgeschlossen erscheinen.
Rein aus westgothischen Zuständen und Anschauungen
hervorgegangen ist ein Zusatz, den Ervig diesem Gesetze
gegeben hat, wonach ausdrücklich diejenigen Wittwen von
der Strafe ausgeschlossen werden, welche sich auf Befehl
des Königs vorzeitig wieder verheirathen.
III, 2, 2. — Diese Antiqua zeigt starke wörtliche
Uebereinstimmung mit einer römischen Quelle, der Interpreta-
tio zu L. Rom. Vis. C.Th.IX, 6, 1, einem Gesetze Constantins.
Interpretatio.
S i qua ingenua mulier
servo proprio se occulte
miscuerit, capitaliter pu-
niatur. Servus etiam, qui in
adulterio dominae con-
victus fuerit, ignibus exu-
ratur.
Antiqua.
Si ingenua mulier servo
suo vel proprio liberto se in
adulterio miscuerit aut
forsitan eum maritum habere
voluerit et ex hoc manifesta
probatione convincitur, oc-
cidatur, ita ut adulter et
adultera ante iudicem publice
fustigentur et ignibus con-
crementur.
Dass die Redaktoren der Antiqua sich hier an eine
römische Quelle, sei es diese Interpretatio selbst, sei es
eine andere uns nicht bekannte ähnliche Stelle, angeschlossen
haben, ist unzweifelhaft. Die Antiqua unterscheidet sich
aber von der römischen Quelle einmal dadurch, dass sie
nicht nur über den Knecht, sondern auch über die Frau
•die Strafe des Feuertodes verhängt, ferner dadurch, dass
590 Karl Zeumer.
sie die Verbindung mit dem eigenen Freigelassenen der
mit dem Knechte gleichstellt. Letztere Abweichung aber
beruht auf römischer Grundlage und zwar auf einem
Gesetz des Kaisers Anthemius vom Jahre 468, Haenel,
Novellae constit. c. 343 sq., worin er die Ehe der freien
Frau mit ihrem Freigelassenen in gleicher Weise verbietet,
wie Constantin den Umgang der Herrin mit ihrem Knechte,
nur dass er an Stelle der Todesstrafe Deportation treten
lässt. Auf dem Inhalt dieser Novelle beruhen wohl auch
die Worte der Antiqua 'aut foristan eum maritum habere
voluerit', denn erst Anthemius hat auch die Ehe zwischen
Herrin und Freigelassenen verboten, während Constantin
und die Interpretatio nur vom heimlichen Geschlechts-
verkehr, dem adulterium, handeln.
Auch im Folgenden zeigt unsere Antiqua Benutzung
der Novelle des Anthemius, daneben aber auch des Con-
stantinischen Gesetzes selbst, und aus mangelhaftem Ver-
ständnis dieser Vorlage erklärt sich die mangelhafte Fassung
der Antiqua. Diese fährt fort: 'Cum autem per reatum
tarn turpis admissi quicumque iudex . . . agnoverit domi-
nam servo suo sive patronam liberto fuisse coniunctam, eos
separare non differat'. Die Frau soll ihr Vermögen ver-
lieren, die Kinder aus dieser Verbindung sollen nicht erben
können. 'lila vero', heisst es dann weiter 'penam excipiat
superius conprehensam'.
Wozu wird hier die Trennung des Paares durch
den Richter angeordnet, da es doch nach dem ersten
Satze mit dem Feuertode zu bestrafen ist? Constantins
Gesetz erklärt diesen Widerspruch. Dort war die Todes-
strafe für das Paar nur ausgesprochen für die nach dem
Erlass des Gesetzes eintretenden Fälle: § 6. 'Post legem
enim hoc committentes morte punimus' ; für die früheren
Fälle dagegen wird die Trennung der verbotenen Verbin-
dung angeordnet: § 1. 'Ante legem nupta tali consortio
segregetur, non solum domo, verum etiam provinciae com-
munione privata amati abscessum defleat relegati'. Augen-
scheinlich sind beide Bestimmungen in der Antiqua zu-
sammengeworfen.
lieber das Gut der verurtheilten Frau bestimmt die
Antiqua : 'bona eiusdem mulieris aut si sunt de alio viro
idonei filii evidenter obtineant, aut propinquis eins legali
successione proficiant. Quod si usque ad tertium gradum
defecerit heres, tunc omnia fiscus usurpet'. Das lehnt sich
einerseits an die Worte Constantins an, nach denen die
Güter den rechtmässigen Erben zufallen sollen: § 3. 'Suc-
Gesch. d. westgoth. Gesetzgeb. IIl. — L. Vis. III, 2, 2. 591
cessio autem mulieris ab intestato vel filiis, si erunt legi-
timi, vel proximis deferatur vel ei, quem iuris ratio ad-
mittit', und ähnlich lautet der letzte Satz der Interpretatio ;
andererseits aber scheint auch das Gesetz des Anthemius
auf die Fassung der Antiqua eingewirkt zu haben, welches
die Confiscation der Güter, die publicatio facultatum
verhängt. Die Antiqua combiniert beides; ja die Worte
'fiscus usurpet' scheinen dem Gesetz des Anthemius, in
welchem diese ebenso wie in der Antiqua den Satz schliessen,
entlehnt zu sein.
Wie Constantin so schliesst auch die Antiqua die aus
der verbotenen Verbindung hervorgegangenen Kinder vom
Erbe aus. Jener bestimmt: § 2 'Filii etiam, quos ex hac
coniunctione habuerit (mulier), ... in nuda maneant liber-
tate, neque per se neque per interpositam personam quo-
libet titulo voluntatis accepturi aliquid ex facultatibus
mulieris'. Entsprechend bestimmt die Antiqua: 'ex tali
enim consortio filios procreatos constitui non oportet he-
redes'.
Wir sehen also, dass die Verfasser der Antiqua sich
zum Theil eng an römische Vorlagen anschlössen. Dennoch
war es nicht rein römisches Recht, welches sie mittheilten.
Die strenge Bestrafung des geschlechtlichen Umgangs einer
Freien mit ihrem eigenen Knechte entsprach wohl auch
dem gothischen Rechte. Das wird dadurch wahrscheinlich
gemacht, dass wir wenigstens in einem germanischen Recht,
dem fränkischen, eine entsprechende Ahndung dieses Ver-
gehens finden. In der ältesten Novelle zur Lex Salica, die
sicher noch dem 6. Jh. angehört (bei Hesseis p. 406;
Behrend C 1, 5) heisst es: 'Si quis mulier, qui cum servo suo
in coniugio copulaverit, omnes res suas fiscus adquirat et
illa aspellis faciat. Si quis de parentibus eum (l. eam)
occiderit, nullus mortem illius nee parentes nee fiscus nulla-
tenus requiretur. Servus ille pessima cruciatu ponatur, h. e.
in rota mittatur. Et vero muliere ipsius (/. ipsi) de paren-
tibus aut quaelibet panem aut hospitalem dederit, sol.
XV culp. iud.'. Hier wird, wie der entstellte Text doch
deutlich erkennen lässt, die Frau, die sich dem eigenen
Knecht verbindet , mit Friedlosigkeit bedroht. Busslos
kann sie getötet werden. Wer von ihrer Sippe oder wer
sonst sie beherbergt und speist, hat 15 Schillinge zu büssen.
Den Knecht aber trifft grausame Todesstrafe.
Der Umstand, dass diese Bestimmung sich im
ältesten Texte noch nicht findet, könnte die Vermu-
thung nahe legen, dass sie erst unter Einwirkung des
Neues Archiv etc. XXIV. 38
592 Karl Zeumer.
römisch-gothischen Rechtes aufgezeiclinet sei. Die Möglich-
keit ist nicht zu läugnen ; dass aber die Bestimmung selbst
altfränkisches, germanisches Recht enthält, geht wohl deut-
lich aus der hier als unmittelbare Strafe angewandten Fried-
losigkeit hervor. Die Friedlosigkeit, die bei den Franken
in jener Zeit regelmässig nur als letztes prozessuales Zwangs-
mittel benutzt wurde, dagegen als unmittelbare Strafe für
Vergehen fast ganz ausser Uebung gekommen war, würde
hier sicher nicht als Strafe gewählt sein, wenn erst damals
das Vergehen unter Strafe gestellt wäre.
III, 2, 3. — In dieser Antiqua finden wir eine starke
Mischung germanischen und römischen Rechts. Es wird
bestimmt, dass das freie Weib, welches sich ehelich oder
ausserehelich mit einem fremden Knechte verbindet, dem
Herrn desselben verknechtet werden soll. Diese Folge soll
aber nicht ohne weiteres stattfinden, sondern subsidiär
nach erfolglosen andern Maassregeln. Zunächst soll der
Richter die Trennung des Paares befehlen und seinem Be-
fehl mit je 100 Geisseihieben bei jedem der beiden Nach-
druck verleihen. Dreimal soll nöthigenfalls diese barba-
rische Prozedur wiederholt werden ; wenn das Paar dann
noch nicht von einander lässt, soll die Frau in die
Gewalt ihrer Sippe gegeben werden, und erst wenn diese
sie wieder freigiebt, soll sie dem Herrn ihres Mannes ver-
knechtet werden. Die mit dem Manne erzeugten Kinder
folgen dem Stande des Vaters; das Vermögen der Frau
nehmen ihre Verwandten.
Ich habe im allgemeinen Theil (N. A. XXIII, S. 455 f.)
gezeigt, wie diese Bestimmungen sich sachlich und wörtlich
zum Theil an ältere römische Quellen und zwar an solche,
die nicht in die westgothische Lex Romana aufgenommen
sind, anschliessen ^. Die dreimalige Mahnung, die trina
contestatio oder denuntiatio der römischen Vorlage ist in
der folgenden Antiqua III, 2, 4 für einen analogen Fall rein
aus der römischen Quelle übernommen, hier aber aus einer
Mahnung durch den Herrn des Mannes zu einem richter-
lichen Befehl geworden und mit der bei den Westgothen
so überreichlich angewandten Prügelstrafe ausgestattet.
Die Verknechtung an den Herrn des Mannes und die Be-
stimmung über die Kinder sind ebenfalls der römischen
Quelle entnommen. Dagegen haben wir in der Ueber-
lieferung der Frau in die Gewalt ihrer Sippe unzweifelhaft
1) Die in Betracht kommenden römischen Quellen sind: Paulus
Sent. n, 21A; Cod. Theod. IV, 11, 4. 6; Nov. Valent. lU. 30, § 6.
Gesch. d. westgoth. Gesetzgeb. III. — L. Vis. IH, 2, 3. 593
eine altgothische, germanische Einrichtung zu erblicken.
Durch ihre Hingabe an den Unfreien hatte die Frau die
Ehre ihrer Familie, ihrer Sippe verletzt und war deren
Strafgewalt verfallen. Die Sippe hatte das Eecht, die Ehr-
vergessene zu strafen, und zwar war die regelmässige Strafe
ursprünglich die Todesstrafe. Erst wenn die Sippe die
Strafe nicht vollzog, trat ergänzend die öffentliche Strafe
ein. Mit voller Deutlichkeit zeigt dasselbe Verhältnis sich in
der Lex Burgundionum und im Edict Rotharis. Die be-
züglichen Stellen setzen die Bestimmung der Antiqua erst
in das richtige Licht.
Lex Burg. 35, 2. 3 : 'Si vero ingenua puella voluntaria
se servo coniuncxerit, utrumque iubemus occidi. Quod si
parentes puellae parentem suam punire fortasse noluerint,
puella libertate careat et in servitutem regiam redigatur'.
Ed. Roth. c. 221: 'Si servus liberam mulierem aut
puellam ausus fuerit sibi in coniugium sociare animae suae
incurrat periculum et illa, qui servum fuerit consentiens,
habeant parentes potestatem eam occidendi aut foris pro-
vincia transvindendi ; et de res ipsius mulieris faciende quod
voluerint. Et si parentes eins hoc facere distulerint, tunc
liciat gastaldium regis aut sculdhais ipsam in curte regis
et in pisele inter ancillas statuere'.
Ergänzen und erklären diese Bestimmungen einerseits
die Antiqua, so weichen beide in einem wichtigen Punkte
von ihr ab. Macht die Sippe von ihrer Strafgewalt keinen
Gebrauch, so wird nach jenen Rechten die Frau dem Könige
verknechtet, während sie nach der Antiqua die Sklavin
des Herrn ihres Mannes wird. Es ist zu vermuthen, dass
das westgothische Recht ursprünglich mit dem burgundi-
schen ^ und dem langobardischen übereinstimmte , dann
aber vielleicht bei der Revision Leovigilds unter dem Ein-
fluss des römischen Rechtes diesem entsprechend geändert ist.
Stimmt so die Antiqua in einigen Punkten mit dem
römischen Rechte überein, in anderen mit dem burgundi-
schen und langobardischen, so weicht sie in einem Punkte
sowohl von diesen germanischeu Rechten als vom römi-
schen ab. Sie ordnet schliesslich an, dass mit dem freien
Manne, der sich mit einer Unfreien verbindet, in gleicher
Weise verfahren werden soll wie gegen die freie Frau, die
einen Sklaven zum Manne nimmt. In wie weit dieses Ver-
1) Die "Wendung 'libertate careat' entspricht dem Sprachgebrauche
der Lex Visig. Vielleicht ist die Bestimmung dem Codex Euricianus ent-
nommen.
38*
594 Karl Zeumer.
fahren gegen freie Männer im Einzelnen anwendbar war,
mag dahin gestellt bleiben: jedenfalls sollte der freie Mann
im äussersten Falle dem Herrn seiner unfreien Frau ver-
knechtet werden. In diesem Satze aber stimmt die Antiqua
mit der Lex Salica überein, welche in 25, 5 bestimmt: 'Si
vero ingenuus ancilla aliena publice se iunxerit, cum ea
in Servitute permaneat' ^. Auch hier haben wir es also
wohl mit germanischem, gothischem Rechte zu thun. Der
Eechtssatz, dass der freie Mann durch die Verheirathung
mit einer unfreien Frau unfrei wird, findet sich ja noch
im Mittelalter mancher Orten in Deutschland und Frank-
reich, wenn auch nicht in der Allgemeinheit wie man nach
dem bekannten Rechtssprichwort: 'Trittst du mein Huhn,
so bist du mein Hahn', annehmen sollte'-.
I
III, 2, 4. — Dieses Gesetz regelt die Verbindung frei-
gelassener Frauen mit Knechten im Anschluss an römische
Quellen, die bereits früher, N. A. XXIIl, S. 455, nachge-
vriesen sind.
III, 2, 5. — Handelt von der Zugehörigkeit der Kin-
der aus Verbindungen zwischen unfreien verschiedener
Herren. Quellen sind nicht nachweisbar.
III, 2, 6. — Diese Antiqua verbietet, dass eine Frau,
deren Mann verschollen ist, sich wieder verheirathet, bevor
sie sich aus sicheren Anzeichen von seinem Tode über-
zeugt hat. Dieselbe Sorge liegt auch demjenigen ob, der
sie heirathen will. Heirathen sie sich, ohne sich die Sicher-
heit vom Tode des ersten Mannes verschafft zu haben, und
kehrt dieser zurück, so werden beide ihm verknechtet,
d. h. sie erleiden die Strafe des Ehebruchs, welche nach
Westgothenrecht in derüeberlieferung des schuldigen Paares
an den beleidigten Gatten besteht; vgl. III, 4, 1. 3. 12.
Diese Bestimmungen sind unzweifelhaft dem römi-
schen Rechte entlehnt. Sie stimmen so ziemlich überein
mit denjenigen, die Justinian in Novelle 117, c. 1 1 (= Julian
108, c. 10) für die Soldatenfrau trifft. Diese soll, wenn ihr
Mann im Kriegsdienste längere Zeit abwesend ist, sich
1) Der ursprüngliche Satz von der Verknechtung der freien Frau
eines Unfreien, wie ihn die westgothische Quelle in Uebereinstimmung
mit dem römischen Rechte bietet, findet sich ebenfalls in der Lex Salica
und zwar einmal im unmittelbaren Anschluss an den oben angeführten
Satz in einer Hs. (Codex 1) und ausserdem in 18, 8. 2) Siehe R. Schrö-
der, D. R(j. 3. Aufl. S. 458; Warnkönig, Flandr. Staats- u. RG. III, S. 18 f.
Gesch. d. westgoth. Gesetzgeb. III, — L. Vis, III, 2, 3 — 6. 595
nicht anderweit verheirathen, bevor sie sich durch ein
amtliches Zeugnis volle Gewissheit vom Tode ihres Mannes
verschafft hat, Verheirathet sie sich ohne ein solches Zeug-
nis erlangt zu haben, so trifft sie und den, der sie heirathet,
die Strafe des Ehebruchs ; Auth, : 'et ipsa et qui ducit
eam uxorem velut adulteri puniantur' ; und fast ebenso
lautet die Stelle bei Julian.
Dürfen wir nun mit London S. 51 annehmen, dass
diese Novellenstelle in unserer Antiqua benutzt sei? Ich
glaube nicht. Vielmehr scheint der westgothische Gesetz-
geber sich an schon früher allgemein geltende römische
Normen angeschlossen zu haben, denen Justinian in jener
Novelle nur besondere Anwendung auf die Soldaten-
frau gab. Er schreibt ihr genau vor, in welcher Weise
sie sich amtliche Auskunft und damit Gewissheit über den
Tod ihres ersten Mannes verschaffen soll , bevor sie zu
einer neuen Ehe schreitet. Eine solche Vorschrift war
durchaus sachgemäss, weil die Militärbehörde in den meisten
Fällen im Stande gewesen sein dürfte, sichere Auskunft
zu ertheilen. Dagegen war bei Männern, welche in eigenen
Geschäften, etwa aaf Handelsreisen abwesend waren, eine
solche allgemeine Vorschrift, in welcher Weise der Tod
des Abwesenden festzustellen sei, nicht möglich. Dass aber
jede Frau vor ihrer Wiederverheirathung sich Gewissheit
über den Tod ihres ersten Mannes verschaffen sollte, stand
wohl lange vor Justinian fest. Eine in die Digesten auf-
genommene Stelle Papinians, Dig, XL VIII, 5, 12, § 12,
spricht deutlich dafür. Nach ihr soll die Frau, welche die
Nachricht erhält, dass ihr abwesender Mann gestorben sei,
und sich von neuem vermählt, straflos sein, auch wenn ihr
Mann zurückkehrt ; vorausgesetzt, dass sie im guten Glauben
gehandelt hat und wirklich getäuscht ist. Hat sie die
Nachricht als Vorwand erdichtet, so trifft sie die verdiente
Strafe: 'vindicari debet pro admissi criminis qualitate'.
Das kann dem ganzen Zusammenhange nach kaum etwas
anderes als die Ehebruchsstrafe sein ^. Der westgothische
1) Diese Stelle bezieht sich ebenso wie die Novellenstelle und die
Antiqua auf die Wiederverheirathung in Folge begründeter Annahme vom
Tode des Abwesenden. Andere handeln von der Wiederverheirathung
der Frau in Folge stillschweigender Aufgabe der Ehe von Seiten des
im Kriegsdienste abwesenden Mannes, Cod. lust. V, 17, 7 und Nov. 22
c. 14. Wieder andere handeln von der Wiederverheirathung der Frau
in Folge von Kriegsgefangenschaft des Mannes, ein Fall, der nach be-
sonderen Grundsätzen behandelt werden musste wegen der mit der Kriegs-
gefangenschaft eintretenden capitis deminutio. Ueber diese vgl. Puchta,
Institutionen § 290 p — u, wo jedoch irrthümlich auch Nov. 117, c. 11 und
Cod. lust. V, 17, 7 auf Kriegsgefangenschaft bezogen sind.
596 Karl Zeumer.
Gesetzgeber konnte also den von ihm angewandten Grund-
satz schon dem älteren römischen Rechte entnehmen.
Gegen die Benutzung der Novelle spricht auch noch, dass
die Antiqua nicht wie jene den Kriegsdienst als Grund
der Abwesenheit des Mannes bezeichnet.
III, 2, 7. — Chindasvind hat dieses Gesetz höchst
wahrscheinlich in Anlehnung an Justinians Novelle 22, c. 11
(= Julian 36, c. 3) erlassen. Dort wird bestimmt, dass ein
Herr, der in böswilliger Absicht zulässt, dass eine freie
Person eine ihm gehörige unfreie Person im Glauben, dass
sie frei sei, heirathet, sein Recht an der unfreien Person
verwirkt haben, und die beiden Gatten und ihre Kinder
frei sein sollen. Der westgothische Gesetzgeber übernimmt
diese Bestimmung nicht ganz unverändert. Er beschränkt
sie einerseits auf den Fall, dass der Herr seinen Knecht
oder seine Magd ausdrücklich für frei ausgegeben hat, und
erweitert sie andererseits, indem er sie auch auf die Ehen
der Unfreien mit Freigelassenen anwendet.
III, 2, 8. — Antiqua. Wenn ein Mädchen zu einem
Manne geht um seine Frau zu werden, so soll der Mann
zuvor (prius), d. h. bevor mit ihr die eheliche Gemeinschaft
beginnt, mit den Eltern verhandeln. Stimmen diese zu,
so soll er den rechtmässigen Preis (pretium) zahlen ; willigen
sie nicht ein, so soll das Mädchen in der Gewalt der Eltern
bleiben (in parentum potestate consistat). Wenn aber die
Ehe ohne Wissen und Willen der Eltern geschlossen wird,
und die Eltern die Tochter nicht nachträglich wieder zu
Gnaden aufnehmen wollen (si eam parentes in gratiam
recipere noluerint), dann soll die Tochter ihr Erbrecht am
elterlichen Gut verlieren.
Dieselbe Folge, Verlust des Erbrechtes am Elterngute,
fanden wir in III, 1, 8 ausgesprochen für das Mädchen,
welches nach der Eltern Tode unter willkürlicher Beiseite-
setzung der Verlobungsgewalt ihrer Brüder sich eigen-
mächtig verheirathet, und ebenso wird damit auch in III, 4, 7
(Antiqua) die freie Frau bedroht, die als Mädchen oder
Wittwe sich einem Manne ausser der Ehe hingegeben hat.
Auch der nachfolgende Eheschluss unter nachträglicher
Genehmigung der Eltern ändert darin nichts.
Diese Bestimmungen ruhen auf der gemeinsamen
Grundlage einer Rechtsanschauung, nach welcher die Preis-
gabe der weiblichen Ehre — und als solche galt auch die
Eingehung einer Ehe ohne Genehmigung der gesetzlichen
Gesch. d. westgoth. Gesetzgeb. HI.— L.Vis. HI, 2, 6—8. 597
Verlober — den Verlust des Erbrechtes am Elterngnt
nach sich zog. Woher, fragt es sich, hat der Gesetzgeber
diese ßechtsanschaunng empfangen? Entstammt sie dem
römischen oder dem gothischen Rechte?
London führt als Quellen an: Br(eviarium) C. Th. de
raptu virg. et vid. IX, 29 (lies: 19), 1. 1 aut verisimilius
Lex Burg. XII, c. 5. Die Zweifel, die London selbst gegen
die Vermuthung, dass jene Stelle des Codex Theodosia-
nus, die Quelle sei, ausdrückt, sind vollauf berechtigt.
Jene Stelle handelt vom raptus. Der Frauenräuber wird
mit der Todesstrafe bedroht, ebenso die Entführte, wenn
sie einverstanden war. Wenn sie zwar nicht einverstanden
war, aber doch die Entführung geschehen liess, ohne zu
versuchen sie durch Hülfegeschrei und alle anderen mög-
lichen Mittel zu verhindern, so sollte sie das Erbrecht
gegen ihre Eltern verlieren: 'eis parentum negari succes-
sionem praecipimus'. Von dieser singulären Bestimmung
in Bezug auf den Frauenraub kann jener allgemeine im
westgothischen Rechte an verschiedenen Stellen zum Aus-
druck gebrachte Grundsatz um so weniger hergeleitet sein,
als dieser hier gerade beim Frauenraube niemals Anwen-
dung findet.
Ebensowenig kann von der Herleitung aus der Lex
Burgundionum die Rede sein. An der angegebenen Stelle
12, 5 wird allerdings derselbe Grundsatz angewendet. Es
heisst: 'Romana vero puella, si sine parentum suorum volun-
tate aut conscientia se Burgundionis coniugio sociaverit,
nihil se de parentum facultate noverit habituram'. Es
könnte den Anschein haben, als sollte diese Folge nur
das römische Mädchen treffen. Doch dürfte der Sinn der
Stelle vielmehr der sein, dass auch die Römerin dieser für
burgundische Frauen selbstverständlichen Folge einer eigen-
mächtigen Verlobung mit einem Burgunder unterliegen
soll. Nehme ich so freilich an, dass der Satz dem bur-
gundischen Rechte bekannt war, so macht doch die frag-
mentarische Form, in welcher er in ihm zum Ausdruck
kommt, es noch unwahrscheinlicher, dass der westgothische
Gesetzgeber aus jener Stelle geschöpft habe, als das nach
dem Verhältnis der Lex Gundobada zur westgothischen
Gesetzgebung, wie wir es überhaupt annehmen müssen,
ohnehin schon ist.
Dass es sich hier um einen germanischen Rechtssatz
handelt, den der westgothische Gesetzgeber dem germani-
schen Rechte der Gothen entnahm, zeigt die Ueberein-
stimmmig mit andern germanischen Rechten, vor allen dem
598 Karl Zeumer.
nordischen Rechte. Wilda führt in seinem Strafrecht der
Germanen »S. 801 auf Grnnd nordischer Quellen folgendes
aus: 'Im Norden konnten Witt wen, ja selbst Mädchen . . .
sich selbst berathen. Ein Weib, welches ohne die erfor-
derliche Zustimmung ihrer Freunde zu einem Manne gieng
um mit ihm in ehelicher Gemeinschaft zu leben, verwirkte
dadurch . . . alle auf Familienrecht gegründete Erbansprüche;
sie wurde ein Gnadenweib (miskuna kuna im Uplandsgesetze)
ihrer Freunde, in deren Willkür es stand, ob sie ihr ver-
zeihen und etwas . . . aus dem Gute zukommen lassen
wollten'; ferner S. 811: 'Da schon eine Frau, die sich
ohne Zustimmung ihres Mundwaltes einem Manne vermählt
hatte, sich ihres Antheiles am Familiengute verlustig ge-
macht hatte, so war dies um so mehr bei einer, die ihre
weibliche Ehre preisgegeben, der Fall'. Auch K. Lehmann,
Verlobung und Hochzeit nach den nordgermanischen
Rechten S. 47, N. 1 bemerkt, dass das ältere isländische
Recht 'den Verlust des Erbrechtes wenigstens an schwere
Unzucht knüpfte'.
Die Uebereinstimmung mit dem Westgothenrechte
liegt auf der Hand. Sogar einen Anklang an die Be-
zeichnung 'Gnadenweib' kann man in L. Vis. III, 2, 8
finden: 'si eam in gratiam recipere noluerint'.
Schon Kraut, Vormundschaft I, S. 320 fp., hat bemerkt,
dass die Bestimmung, welche König Liutprand c. 5 ge-
troffen hat: 'Si filiae aut sorores contra voluntatem patris
aut fratris egerint', auf Verheirathung ohne Einwilligung
des Vormundes zu beziehen ist. Die Folge ist auch hier:
Verlust ihres Erbes. Auf demselben Grundsatze beruht es
wohl auch, wenn Liutprand c. 119 den Verlust ihres Erb-
theiles auch für die Braut, welche ihr Verlöbnis bricht,
verfügt. Deutlich spricht sich die Lex Angliorum et
Werinorum aus c. 47 : 'Si libera femina sine volun-
tate patris aut tutoris cuilibet nupserit, perdat omnem
substantiam, quam habuit vel habere debuit'. In dieser
besonderen Anwendung auf eigenmächtige Verheirathung
ohne oder gegen den Willen des Mundwalts findet sich
der Satz in zahlreichen deutschen Rechtsquellen des Mittel-
alters. Ausser den Stellen, welche Kraut a. a. 0., Laband,
Vermögensrechtliche Klagen S. 378, anführen, sind noch
hervorzuheben Frensdorff , Dortmunder Statuten und Urtheile
S. 76 ; Braunschweigisches Stadtrechtsprivileg (saec 13), c. 34
(Hänselmann, Urkundenbuch d. Stadt Br. I, S. 6).
Manche dieser Stellen sind so gefasst, dass man
ausser den Fällen, wo es sich um Eheschliessungen handelt,
Gesch. d. westgoth. Gesetzgeb. III. — L. Vis. IH, 2, 8. 599
auch einfache Unzucht als ebenfalls mit der Erbrechts-
entziehung bedroht ansehen kann; doch wird das hier
nirgend mit voller Klarheit ausgesprochen. Längst aber hat
man mit Recht aus der bekannten Stelle des Sachsen-
spiegels I, 5, 2 geschlossen, dass wie bei Westgothen, Bur-
gundern und Nordgermanen auch nach im Mittelalter
irgendwo geltendem Rechte Unzucht des Weibes den Ver-
lust des Erbrechtes zur Folge hatte. Denn wenn Eike
von Repgow an jener Stelle sagt: 'Wif mach mit un-
kuschheit irs lives ire wifliken ere krenken ; ire recht
ne verlüset se darmede noch ir erve', so lässt der Nach-
druck, mit dem dieser negative Satz hingestellt wird,
darauf schliessen, dass eine entgegengesetzte Ansicht be-
stritten werden soll.
Stillschweigenden Widerspruch gegen den Satz Eikes
von Repgow übte der Bearbeiter des Deutschenspiegel,
indem er ihn fortliess. Der Verfasser des sog. Schwaben-
spiegels nahm ihn wieder auf (ed. Gengier c. 16, § 14), aber
nur in der Beschränkung auf Mädchen über 25 Jahre, die
er aus einer missverstandenen Bestimmung in Justinians
Novelle 115, c. 3, § 11 ableitetet Ein ausdrückliches Zeug-
nis dafür, dass im Gebiete des schwäbischen Rechtes früher
entsprechend dem gothischen und nordischen Rechte der
Satz galt, dass der Verlust der weiblichen Ehre den des
Erbrechtes am Elterngute nach sich ziehe, ist bisher über-
sehen. Es findet sich in einem Aktenstück des 11. Jhs.,
welches Ortlieb von Zwiefalten in seiner Chronik mittheilt,
Mon. Germ. SS. X, p. 74. Es fordert dort eine Frau,
die ihrem Manne untreu geworden ist, vor Gericht ihr
väterliches Erbe. Ihre Klage wird aber abgewiesen, weil sie
ihre Keuschheit und damit ihr Erbrecht verloren habe :
'predium . . . quasi iniuste sibi ablatum . . . repetiit ; set
quia legalia iura propter turpem abiectionem mariti per-
didit, contradicentibus legisperitis (die Urtheiler sind ge-
meint) minime recepit: quippe quae maritalem castitatem
amisit etiam iura hereditaria perdidit'. Dieser Satz liefert
die beste Illustration zu jener Sachsenspiegelstelle. Der
von den schwäbischen Urtheilsfindern im 11. Jh. ange-
wandte Grundsatz ist derselbe, den wir im alten West-
gothenrechte antrafen und der also wohl gemeingermani-
schen Ursprungs ist.
1) Aus dem Schwabenspiegel ist der Satz in derselben Beschränkung
dann wieder in andere Quellen übergegangen z. B. in das Stadtrecht von
Brunn, Rössler, Rechtsdenkmäler II, S. 402; vgl. R. Schröder, Z. f. RG.
Vn, S. 131 ff.
600 Karl Zeumer.
Titel 3 trägt die TJeberschrift : 'De raptu virginum
vel viduarum', welche dem Codex Theodosianus IX, 24
buchstäblich entlehnt ist. Von den 12 Capiteln des Titels,
welche vom Frauenraub und verwandten Verbrechen han-
deln, sind die eine Hälfte Antiquae, während die andere
Hälfte sich zu gleichen Theilen auf Chindasvind und
Reccessvind vertheilt. Eömischer Einfluss und besonders
solcher justinianischen Eechts macht sich im ganzen Titel
stark geltend sowohl in Hinsicht der Auffassung des raptus
als auch der Strafen.
III, 3, 1. — Antiqua. Wer ein Mädchen oder eine
Wittwe raubt, soll, wenn diese unbeschadet ihrer Ehre
zurückkehrt, die Hälfte seines Vermögens an sie verlieren.
Hat er das Beilager mit ihr vollzogen, so soll er keines-
falls die Ehe mit der Geraubten unter Zahlung einer
Busse verlangen können. Denn so sind die Worte zu ver-
stehen : 'in coniugium puelle vel vidue mulieris, quam
rapuerat, per nullam conpositionem iungatur'. Es soll
nicht etwa die Entführung ein Ehehindernis bilden. Die
Eltern der Geraubten, oder diese selbst, wenn sie selb-
mündig, können mit dem Räuber nachträglich eine Ehe
vereinbaren, wie das die Antiqua III, 3, 7 ausdrücklich
bezeugt ^. Dieser soll nur nicht das Recht haben, auf Grund
einer Busszahlung die Ehe zu verlangen. Mit dieser Be-
stimmung verlässt der Gesetzgeber ausdrücklich den Stand-
punkt derjenigen germanischen Volksrechte, welche die
ehebegründende Kraft des Erauenraubes insofern aner-
kennen, als sie dem Räuber das Recht geben, die Geraubte
gegen nachträgliche Zahlung des Kaufpreises und einer
Busse zur Ehe zu behalten ^.
Dass auch das westgothische Recht früher diesen
Standpunkt einnahm, ist schon wegen der nachdrücklichen
Zurückweisung jenes Anspruches wahrscheinlich. Ausser-
dem macht sich eine gewisse üebereinstimmung unserer
Lex mit dem vom raptus handelnden Artikel der Lex
Burgundionum geltend, welche vermuthen lässt, dass an Stelle
unserer Antiqua im Codex Euricianus ein anderes Gesetz
stand, welches die Vorlage der burgundischen Bestimmungen
war und diesen auch im Uebrigen mehr glich als die uns
erhaltene Antiqua. Gundobad unterscheidet wie diese den
Fall, dass die Geraubte unversehrt zu ihren Eltern zurück-
kehrt, und den, dass dies nicht geschieht, der Räuber also
1) Anders H. Colberg, Das Ehehindemis der Entführung S. 21 ff.
2) Siehe ßrunner, D. RG-. I, S. 72 f.
Gesch. d. westgoth. Gesetzgeb. HI. — L. Vis. III, 3, 1. 601
die von ihm beabsichtigte Geschlechtsgemeinschaft mit ihr
begonnen hat. Die Lex Burg, kennt nicht nur für den
ersten Fall, sondern auch für den zweiten in erster Linie
nur eine Geldbusse des mehrfachen pretium, die nur, wenn
der Schuldige nicht zahlen kann, durch Uebergabe seiner
Person in die Gewalt der Eltern der Geraubten ersetzt
wird. Aller Wahrscheinlichkeit nach sollte dagegen im
Falle der Zahlung die bereits begonnene Geschlechtsgemein-
schaft als Ehe fortbestehen. Eine entsprechende Bestim-
mung dürfte für den zweiten Fall auch Eurich getroffen
haben. Diese ist dann vermuthlich bei Leovigilds Revision
zum Theil im Anschluss an justinianisches Recht abgeändert
worden. Das ältere römische Recht kannte für den Frauen-
raub die Todesstrafe ; Justinian fügte für den Raub freier
Frauen und Mädchen hinzu den Verlust des gesammten
Vermögens an die Geraubte; Cod. lust. IX, 13, 1, f.:
'omnes res . . . raptorum ... ad dominium raptarum mu-
lierum . . . transferantur' ^. Diese Hingabe des ganzen
Vermögens an die Geraubte hat unsere Antiqua übernommen,
und dafür, dass gerade Justinians Gesetz IX, 13, 1 die
Quelle ist, spricht noch ein wörtlicher Anklang. Da es
sich um den Raub von Jungfrauen oder Frauen handelt,
so gebraucht Justinian unterscheidend von der weiblichen
Ehre, deren Verletzung zum römischen Begriff des raptus
gehört, die Ausdrücke: virginitas vel castitas. Ebenso
unterscheidet die Antiqua und spricht mit denselben Aus-
drücken von Verlust der integritas virginitatis seu casti-
tatis. Die Normierung der Vermögensbusse für den leich-
teren Fall auf die Hälfte des Vermögens dürfte dann
gleichzeitig an die Stelle einer anderen älteren gesetzt
sein. Wahrscheinlich aus dem älteren Gesetze Eurichs
übernommen ist die Strafe der Ueberlieferung des Schul-
digen an die Geschädigte oder deren Eltern. Doch trifft
1) Vgl. Rein, Criminalrecht der Römer S. 392. Dass Justinian
diese Vermögensbusse erst eingeführt hat, ist anzunehmen, weil vorher
in den Quellen des römischen Rechts von einer solchen keine Spur vor-
handen ist. Weder der Codex Theodosianus noch das Edictum Theoderici
noch die Lex Romana Burgundionum kennen sie. Auch die Institutionen
•Justinians kennen IV, 18, 8 nur die peinliche Strafe, verweisen aber wegen
des Genaueren auf jenes Gesetz. Dieses war nur -I Tage vor Publication
der Institutionen erlassen, woher es sich erklärt, dass zwar auf das Gesetz
verwiesen wird, dass es aber im Texte selbst nicht berücksichtigt ist.
Auch der Umstand, dass der Misbrauch, der mit der Forderung der Ver-
mögensbusse getrieben wurde, Justinian selbst zu einer authentischen
Interpretation der Bestimmung in Novelle 143 Anlass gab, spricht dafür,
dass es sich um eine noch nicht eingewurzelte Einrichtung handelte.
602 . Karl Zeumer.
sie jenen jetzt in allen Fällen, während sie früher wohl
nur wie in der Lex Burgundionum eintrat, wenn die Busse
nicht gezahlt werden konnte. Die Aimahme eines älteren
abweichenden Gesetzes über dieselbe Sache und die Spuren
der justinianischen Gesetzgebung nöthigen uns, unsere An-
tiqua auf Leovigild zurückzuführen.
III, 3, 2. — Nach dieser Antiqua tritt eine Verschär-
fung der Strafe ein, wenn die Eltern dem Räuber die Ge-
raubte mit Gewalt abnehmen, ('Si parentes mulierem vel
puellam raptam excusserint', in der Ueberschrift : 'Si a
potestate raptoris puellam parentes eripere potuerint').
Die gewaltsame Zurückführung setzt wohl voraus, dass
eine gutwillige Auslieferung auf Erfordern der Eltern ver-
weigert ist. In diesem Falle soll der Räuber stets den
Eltern übergeben werden und zwar nicht zur Knechtschaft,
sondern zur beliebigen Behandlung und Bestrafung. Die
folgende Bestimmung, welche besagt, dass, wenn die Ge-
raubte sich mit dem Räuber, dem sie gewaltsam abge-
nommen ist, wieder verbindet, beide dem Tode verfallen
sein sollen (ambo morti tradantur) zeigt deutlich, dass bei
der üebergabe des Räubers die Tötung nicht nur möglich
war, sondern als das Regelmässige vorausgesetzt wurde.
Die Quelle dieses Gesetzes ist im Cod. Theod. IX, 24, 1
zu suchen.
III, 3, 3 wird im Anschluss an III, 3, 5 erörtert.
III, 3, 4. — Auch diese Antiqua enthält Bestimmungen,
die auf römischen Einfluss zurückzuführen und vielleicht eben-
falls in Anlehnung an Cod. Theod. IX, 24, 1 entstanden
sind. Brüder, welche bei Lebzeiten ihres Vaters den Raub
ihrer Schwester begünstigen oder nach dem Tode des
Vaters gegen den Willen der Schwester diese einem Frauen-
räuber in die Hände spielen, werden mit schweren Strafen
bedroht, im ersteren Falle mit den Strafen des Frauen-
räubers mit Ausnahme der Todesstrafe, die freilich nicht
in III, 3, 1, aber in III, 3, 2 diesem angedroht war (ex-
cepto mortem damnum, quod de raptoribus est constitutum,
excipiant). Die Strafbestimmungen knüpfen sonst an die
von III, 3, 1 an.
Wegen der Bestrafung anderer Beihelfer wird auf ein
anderes Gesetz verwiesen: 'Sicut est in alia lege consti-
tutum'. Da sich das nur auf Reccessvinds Gesetz III, 3, 12
Gesch. d. westgoth. Gesetzgeb. III. — L. Vis. III, 3, 1—7. 603
beziehen kann, dürften wir es hier mit einem redaktio-
nellen Zusätze der Eeccessvindiana zn thun haben.
III, 3, 5 ; cf. III, 3, 3. — Die vom Eaube der Braut
eines andern handelnde Antiqua III, 3, 5 hatte wohl schon
eine Vorgängerin in einer Bestimmung des Codex Euri-
cianus, von der sich Spuren in der Lex Baiuvariorum
erhalten haben ^. Da aber die Strafbestimmungen im Zu-
sammenhange mit denen der jüngeren Antiqua III, 3, 1
stehen, so dürfen wir die vorliegende Fassung erst Leovi-
gild zuweisen.
Reccessvind hat zu diesem Gesetze in III, 3, 3 eine
Ergänzung gegeben. Er bestimmt, dass die Eltern der
sponsa, wenn der Raub mit ihrer Zustimmung geschehen
ist, dem geschädigten Bräutigam den vierfachen Betrag
des mit ihm bedungenen pretium zahlen sollen. Hierin
haben wir eine Uebertragung der römischen poena quadrupli
der vom Bräutigam gegebenen sponsalia, zu welcher die
Braut oder die Brauteltern, durch deren Schuld das Ver-
löbnis gelöst wurde, verpflichtet waren, auf das westgothi-
sche pretium. Vgl. Cod. Theod. III, 5, 11 ; 6, 1 ; Cod. lust.
V, 1, 5 § 5 und dazu N. 1 in Krügers Ausgabe im Corpus
iuris civ., II. p. 193.
III, 3, 6. — Wie III, 3, 1 so scheint sich auch diese
Antiqua an Justinians Gesetz vom Jahre 533, Cod. lust.
IX, 13, 1 anzulehnen. Die Bestimmung: 'Si quis de rapto-
ribus fuerit occisus, homicidium non teneatur', kann man
als kurze Paraphrase des § 1 jenes Gesetzes ansehen. Wenn
die That als straflos begründet wird mit den Worten :
'quod pro defendenda castitate commissum est', so erinnert
das an Paulus, Sent. V, 23, 8 : 'Qui . . . occiderit , puniri
non placuit; alius enim vitam alius pudorem publico fa-
cinore defenderunt'.
III, 3, 7. — Diese letzte Antiqua des Titels bestimmt,
dass für Klagen wegen raptus die allgemeine Klagenverjäh-
rungsfrist von 30 Jahren (s. X, 2, 3. 4) gelten soll. Das
war nöthig, weil nach römischem Recht die Klage wegen
raptus schon in 5 Jahren verjährte. Wir dürfen diese
Antiqua geradezu als in bewusstem Gegensatz zu dem be-
1) Vgl. die Anfangsworte unserer Antiqua: 'Si alienam sponsam
quicumque rapuerit' mit denen von Lex Bai. 8, 16: 'Si quis sponsam ali-
cuius rapuerit'.
604 Karl Zeumer.
züglichen römischen Gesetz, Cod. Theod. IX, 2-1, 3 (vgl.
Ed. Theod. c. 20) erlassen ansehen. Ausserdem erkennt,
wie schon oben erwähnt, unser Gesetz ausdrücklich das
Recht des beleidigten Theiles an, sich mit dem Räuber
wegen einer Ehe mit der Geraubten zu vereinigen.
III, 3, 8. 9. 10. — Das zweite dieser Gesetze ist von
Reccessvind erlassen und von Ervig stark erweitert, die
beiden anderen sind von Chindasvind erlassen. Alle drei
enthalten Straf bestimmungen für Unfreie, welche raptus
begehen. Quellen oder Vorbilder sind nicht nachzuweisen.
III, 3, 11. — In diesem Gesetze hat Chindasvind
zwar verschiedene, aber im Zusammenhange stehende Ma-
terialien verbunden. Zunächst werden Strafen festgesetzt
für die 'sollicitatores adulterii uxorum vel filiarum aliena-
rum', also für die, welche fremde Frauen und Töchter zu
verführen suchen. Nach dem Vorbilde des römischen
Rechtes, wie es in der Lex Romana Paul. V, 4, 5 (cf. Dig.
XL VII, 11, 1) vorlag, wo die sollicitatores nuptiarum mit
Strafe extra ordinem bedroht werden, behandelte Chinda-
svind ebenfalls diesen Versuch als selbständiges Verbrechen,
welches freilich den germanischen Anschauungen ent-
sprechend dadurch gesühnt wird, dass die Schuldigen und
ihre Zwischenträger den beleidigten Gatten oder Eltern
zur Rache überliefert werden. Daran schliesst sich ein
Verbot des Ehezwangs ohne königlichen Befehl. Wer ein
Mädchen (natürlich ohne als Mundwalt dazu berechtigt zu
sein) oder eine Wittwe ohne königlichen Befehl einem
Manne gegen ihren Willen zur Ehe giebt, soll der geschä-
digten Person 5 Pfund Gold zahlen und die Ehe soll gegen
den Willen der Frau nicht gültig sein. Die hohe Geld-
strafe dürfte in Anlehnung an L. Rom. C. Th. III, 11, 1,
festgesetzt sein, wo dem Beamten, der seine Amtsgewalt zur
Ausübung eines Ehezwanges misbraucht, neben anderen
Strafen die Zahlung von 10 Pfund Gold auferlegt wird.
Diese Stelle wie L. Rom. Vis. C. Th. III, 6, 1 und III, 10, 1
zeigen uns, in welcher Weise solche erzwungene Ehen zu
stände kamen. Solcher Art sind auch die von Chindasvind
in unserem Gesetze und ebenso wohl die von Reccared in
III, 5, 2 als gewaltsam (violenter) geschlossen bezeichneten
Ehen, keine Raubehen im eigentlichen Sinne, wie Dargun,
Mutterrecht und Raubehe S. 113 für letztere Stelle an-
nimmt.
Gesch. d. westgoth. Gesetzgeb. m. — L. Vis.III ,3,7—11. III, 4. 605
Dass der König die auf Befehl des Königs erzwun-
genen Eheschliessungen von der Strafe ausnimmt, ist ein
Ausfluss des von den Westgothenkönigen wie von den
Merowingern in Anspruch genommenen Rechtes, über die
Hand freier Mädchen und Wittwen unter Umständen zu
verfügen. Die Annahme, dass die germanischen Könige
und insbesondere die Westgothen in Ausübung dieses Ehe-
zwanges einem Missbrauch der römischen Imperatoren
gefolgt seien ^, scheint mir aus den von Loening, Gesch.
d. D. Kirchenrechts II, S. 604, ausgeführten Gründen be-
denklich ^. Es scheint dieses Recht von den Gothenkönigen
erst später, vielleicht nach fränkischem Vorbilde, geübt zu
sein. Die Antiquae der ßeccessvindiana enthalten noch
nichts davon. Der Zusatz zu der Antiqua III , 2 , 1 , in
welchem dieses Recht vorbehalten wird, ist erst von Ervig
hinzugefügt (s. oben S. 589) ; es kommt in der weltlichen
Gesetzgebung überhaupt zuerst bei Chindasvind vor und
zwar ausser unserem Gesetze noch in III, 5, 1. Auch das
entsprechende Ehescheidungsrecht des Königs tritt zuerst
bei Chindasvind III, 6, 2 hervor. Freilich kämpft schon
das III. Concil von Toledo (a. 589) in c. 10 in einer Weise
gegen den Ehezwang, dass man annehmen könnte, die
Könige hätten diesen schon damals in Anspruch genommen ;
dem aber steht entgegen, dass ausdrücklich die Zustim-
mung Königs Reccared zu diesem Beschlüsse hervorgehoben
wird, der König also ein solches Recht sich nicht vorbe-
hielt. Man kann das als Verzicht auf ein früher geübtes
Recht deuten. Doch ist das bedenklich gegenüber der
doppelten Thatsache, dass die älteren westgothischen Ge-
setze ein solches Recht des Herrschers nicht kennen, die
Lex Romana aber C. Th. III, 10, 1 die Uebung eines solchen
Zwanges als blossen Missbrauch kennzeichnet und bekämpft.
Wir werden deshalb annehmen müssen, dass das Concil
reine Gewaltthaten im Auge hatte, die nicht durch könig-
lichen Befehl gedeckt waren.
Titel 4 trägt die Ueberschrift : 'De adulteriis'. Das
adulterium, wie es uns hier entgegentritt, deckt sich nicht
mit unserem Begriff des Ehebruchs. Es umfasst auch die
übrigen Unzuchtfälle mit Ausschluss des raptus.
III, 4, 1. 3 — 6. — Diese im Zusammenhange zu be-
sprechenden Gesetze sind mit Ausnahme von c. 6 Antiquae.
1) Vgl. Dahn, Könige VI^ S. 494; Brunner, D. RG. H, S. 56.
2) Auch Dahn äussert neuerdings Zweifel, Könige VII, 3, S. 888.
606 Karl Zeumer.
III, 4, 1 handelt vom Ehebruch begangen mit einer
verheiratheten Frau gegen deren Willen oder mit deren
Willen. Im ersten Falle wird der schuldige Mann allein,
im anderen Falle das ehebrecherische Paar dem Gatten
der Frau zur Rache überliefert : 'ut in eins potestate vin-
dicta consistat ; marito sit potestas de eis faciendi quod
placet'. Das schliesst unzweifelhaft das Recht sie beide
oder einen von beiden zu töten ein. Es ist dabei nicht
an handhafte That zu denken, sondern an eine Auslie-
ferung der Schuldigen durch den Richter, Durch Ervig
ist dem Gesetz ein Zusatz eingefügt, wonach entsprechend
dem später von Chindasvind gegebenen Gesetze III, 4, 12,
die Güter des adulter dem Ehemanne nur dann mit über-
liefert werden sollen, wenn jener keine ehelichen Kinder hat.
Geht III, 4, 1 von der Schuld des Ehebrechers aus, so
III, 4, 3 von der des Weibes. Ergreift ihr Mann sie nicht
in flagranti, (si deprehensa non fuerit), so muss er vor dem
Richter mit genügenden Beweismitteln (competentibus sig-
nis vel indiciis, die signa sind wohl als leibliche Bewei-
sung zu verstehen) klagen. Wird die Frau überführt, so
wird sie mit ihrem Buhlen dem Manne zur beliebigen Be-
strafung übergeben.
Wenn es nun neben diesen beiden Gesetzen, die eine
vor Gericht durchgeführte Ehebruchsklage voraussetzen, in
III, 4, 4 heisst: 'Si adulterum cum adultera maritus occide-
rit, pro homicidio non teneatur', so kann sich das nicht
auf die Tötung des ihm vom Richter zur Bestrafung über-
lieferten ehebrecherischen Paares beziehen, sondern nur
auf die Tötung in flagranti. Das Recht des Mannes, die
Ehebrecherin auf handhafter That zu töten, wird hier
als selbstverständlich vorausgesetzt. Ausdrücklich wird nur
gesagt, dass der Ehemann sich nicht des strafbaren Tot-
schlages schuldig macht, wenn er den Ehebrecher mit der
schuldigen Frau zugleich tötet.
Dasselbe bestimmt Lex Baiuv. 8, 1 : Wird der Ehe-
brecher mit der schuldigen Frau im Bette, also auf hand-
hafter That, erschlagen, und zwar, wie der Zusammenhang
ergiebt, vom Ehemanne, so soll für ihn keine Sühne ge-
fordert werden können : 'in suo scelere iaceat sine vindicta'.
Das ergiebt den unausgesprochenen Gegensatz, dass der
rächende Ehemann das Wergeid des Getöteten zahlen
muss, wenn er ihn ohne die Frau erschlägt. Das lango-
bardische Edikt, Roth. c. 212, spricht dem beleidigten
Gatten einfach das Recht zu, beide Schuldige auf hand-
hafter That zu töten: 'Si quis cum uxorem alium forni-
Gesch. d. westgoth. Gesetzgeb. III. — L. Vis. III, 4, 1. 3 — 6. 607
cantem invenerit . . . potestatem habeat eos ambos occi-
dendi, et si eos occiderit, non reqiiirantur', und entspre-
chend bestimmt die Lex Burg. 68, dass der Ehemann in
jenem Falle beide busslos töten könne, wenn er aber nur
einen töte, für diesen Wergeld zahlen müsse:
1. Si adulterantes inventi fuerint, et vir ille occidetur
et femina. 2. Nam hoc observandum est, ut aut utrumque
occidat, aut si unum occiderit, pretium ipsius solvat.
Das Recht des Mannes, das schuldige Paar auf hand-
hafter That zu töten, war wohl gemeingermanisch. Es
findet sich bei den Nordgermanen und im deutschen Rechte
des Mittelalters^.
III, 4, 5 scheint in etwas ungeschickter Fassung dem
Vater und nach dessen Tode Brüdern und Vaterbrüdern
eines Mädchens die gleiche Befugnis zuzuerkennen, wenn
sie dieses in ihrem Hause in unzüchtigem Verkehr mit
einem Manne ertappen. Dass dies der Sinn sein soll, geht
namentlich aus dem Zusatzgesetze ßeccessvinds III ,4,6
hervor, der ausdrücklich bestimmt, dass es der Dienerschaft,
wenn sie das Paar auf frischer That ergreift, nicht wie
den parentes gestattet sei, dasselbe zu töten. Auch für
dieses Recht des Vaters oder der nächsten Blutsfreunde
dürfen wir germanischen Ursprung annehmen, da es auch
bei den Nordgermanen begegnet ^.
Ganz anders regelte das römische Recht die Bestra-
fung des Ehebruchs und der Unzucht auf frischer That
durch den Vater oder Ehemann. Der Vater durfte die
Tochter mit ihrem Buhlen töten, der Ehemann den Ehe-
brecher nur unter gewissen Voraussetzungen, seine untreue
Frau aber überhaupt nicht. Das ist in der Hauptsache
wohl schon durch die Lex lulia de adulteriis so geordnet
und auch vom Justinianischen Recht anerkannt. Vgl. Pau-
lus, Sent. II, 26 und Dig. XLVIII, 5, 21—25. Im denkbar
schärfsten Gegensatze zu dem germanischen Recht, welches
in Bezug auf die Befugnisse des Ehemannes wohl über-
haupt, wie jedenfalls das westgothische und bairische, von
dem Rechte die untreue Frau zu töten ausging und die
Tötung des Ehebrechers nur dann straflos Hess, wenn
die Frau mit getötet wurde, steht der von Paulus, Sent.
1) S. Wilda, Strafrecht der Germanen, S. 823 f. Der Ehemann soll
die Leichen der beiden Schuldigen auf einander gebunden vor Gericht
bringen. Ebenso nach dem sog. Berliner Schöffenrecht des 14. Jhs. III,
12, 2 (im Berlinischen Stadtbuche, herausgegeben v. Clauswitz, S. 146).
2) Vgl. Wilda a. a. 0. S. 810. 812.
Neues Archiv etc. XXIV. 39
608 Karl Zeumer.
II, 26, 5, mitgetheilte Satz: 'Maritum, qui uxorem depre-
hensam cum adultero occidit . . . lenius puniri placuit'.
Wenn wir nun dem gegenüber in der Lex Romana
Burgundionum c. 25 den Satz finden: 'Maritus si adul-
terum cum uxore invenerit, ita ut in unum sint . . . libe-
rum arbitrium habebit utrumque uno ictu punire secundum
legem novellam Maioriani, quae exinde ad ius vetus cuncta
revocavit', so werden wir trotz der Zurückführung auf
eine Novelle Majorians, die wahrscheinlich ^, und der Be-
rufung auf das alte Recht, die sicher irrig ist, nicht umhin
können anzunehmen, dass die Rechtsanschauung, welche
hier vertreten wird, aus dem germanischen Rechte einge-
drungen ist. Der Verfasser der Lex Romana glaubte der
Bestimmung Gundobads, welche dem Ehemanne beide
Schuldigen zusammen zu töten erlaubte (L. Burg. 68),
müsse auch eine römische entsprechen, und glaubte sie in
einer Quelle zu entdecken, die thatsächlich nichts davon
enthielt. Ist hier offenbar durch Einfluss des burgundi-
schen Rechtes jener dem römischen Rechte fremde Satz
in eine römische Quelle gekommen, so ist in der Lex Ro-
mana Visigothorum das germanische Recht des Ehemannes
die schuldige Frau zu töten durch Einfluss gothischer
Rechtsanschauung zum Ausdruck gekommen mittels einer
leichten Aenderung eines Satzes des Paulus, der uns glück-
licher Weise nicht nur in Alarichs IL römischem Rechts-
buche, sondern auch im echten, den römischen Standpunkt
zeigenden Texte in der Collatio legum Rom. et Mois.
überliefert ist.
Paulus II, 26, 7 (= Collatio
4, 12, 6).
Inventa in adulterio uxore
maritus ita demum adulterum
occidere potest, si eum domi
suae deprehendat.
Lex Rom. Vis. Paul. II, 27, 1.
Inventam in adulterio uxo-
rem maritus ita demum occi-
dere potest, si adulterum
domi suae deprehendat.
Deutlicher tritt dann der germanische Rechtssatz in
der Bearbeitung der Lex Romana hervor, die als Epitome
Guelferbitana bezeichnet wird: 'Si adulter in domum de-
prehendatur cum adultera, pariter puniantur' ^.
1) Vgl. die Anmerkung Barkows in seiner Ausgabe der Lex Rom.
Burg. S. 75 zu dieser Stelle. 2) Die oben begründete Vermuthung steht
im Gegensätze zu der Brunners, welcher D. RG. II, S. 663 sagt: 'Wahr-
scheinlich dem römischen Vulgarrechte haben Westgoten und Burgunder
den Rechtssatz entlehnt, dass die Tötung des Ehebrechers nur dann straf-
los ist, wenn der Ehemann gleichzeitig die Ehefrau tötet'. Genau in
Gesch. d. westgoth. Gesetzgeb. III. — L. Vis. III, 4, 2. 609
III, 4, 2. — Diese Antiqua stellt den Verlöbnisbruch,
durch adulterium der Braut dem Ehebruch gleich. Die
Strafe wird so bestimmt: 'una cum adultero puniatur, aut
certe ei, qui isponsus fuerat, ambo tradantur, ut de eis
quod voluerit faciendi habeat potestatem'. Vergleichen
wir dies mit dem, was über die Bestrafung des Ehebruchs
bestimmt ist, so werden wir die Worte 'una cum adultero
puniatur' auf die Tötung der treubrüchigen Braut und
ihres Verführers auf handhafter That beziehen^, das tra-
dantur dagegen als Folge einer gerichtlichen Klage an-
sehen dürfen. Was die lex in Bezug auf die Form des
Verlöbnisses enthält, ist früher (zu III, 1, 3) erörtert.
Die Antiqua hat durch Ervigs Redaktion eine erheb-
liche Umgestaltung erfahren. Zunächst ist hinter 'de futuro
coniugio' ein überflüssiger redaktioneller Zusatz hinzugefügt,
ferner aber die Strafbestimmung für adulterium ausgedehnt
auf den Fall der unrechtmässigen Verlobung oder Ver-
heirathung der Braut mit einem anderen ; was im ganzen
den Gesetzen Chindasvinds und Reccessvinds III, 6, 2. 3
entspricht. Auch wird gemäss Chindasvinds Gesetz III, 4, 12
die Uebergabe der Güter an den Beleidigten für den Fall,
dass die Schuldigen keine echten Kinder hinterliessen, an-
geordnet. Wichtig als Zeugnis für eine mildere Auffas-
sung sind zwei Aenderungen der Ervigiana: erstens lässt
sie die Worte 'una sum adultero puniatur' fort, beseitigt
also das Tötungsrecht in flagranti, zweitens fügt sie in
der Bestimmung über die Uebergabe der Schuldigen in
die Gewalt des geschädigten Bräutigams dem 'tradantur'
zweimal hinzu 'servituri'. Das Recht der Tötung ist also
beseitigt und an Stelle der Auslieferung zur Rache die
Verknechtung getreten. Wird nach 'tradantur' am Schluss
in der Ervigiana noch der Passus aus dem älteren Texte
beibehalten : 'ut de his quod voluerit faciendi habeat po-
testatem', so ist durch die Hinzufügung von servituri diese
freie Verfügung soweit beschränkt, wie sie dem Knechte
gegenüber beschränkt war.
dieser Fassung findet der Satz sich nur bei Westgothen und Baiern, bei
den Burgundern aber und in den Quellen des römischen Vulgarrechtes
nicht. Was sich davon im römischen Vulgarrecht findet, gehört den
römischen Rechtsbüchern der Westgothen und Burgunder an, deren Ent-
stehung nach den nationalen Gesetzbüchern dieser Stämme allein schon
für die Ableitung aus jenen spricht. Auf die Formulierung des Satzes
in L. Romana Burg. 68 (utrumque uno ictu punire) dürfte eine Stelle
Ulpians, Dig. XLVIII, 5, 24 § 4, vielleicht mittelbar eingewirkt haben,
wo es von dem Vater heisst: 'debet enim prope uno ictu et uno impetu
utrumque occidere'. 1) L. Rom. Burg. c. 25 steht punire in demselben Sinne.
39*
610 Karl Zeumer.
Trotz dieser Milderungen Ervigs, die übrigens zeigen,
dass sein in der Lex Pragma ausgesprochenes Programm
nicht ganz leere Redensart war, bleibt die Strafe des Ver-
löbnisbruches immer noch schwer genug ^. Wenn aber
R. Löning, Vertragsbruch S. 150, in der westgothischen Be-
strafung des Verlöbnisbruchs kein anderes Prinzip findet
als das despotischer Willkür, so ist dem doch entgegen-
zuhalten, dass eine ausserodentliche Strenge in dieser Hinsicht
sich auch in anderen ostgermanischen Rechten findet. Die
Lex Burgundionum enthält in Titel 52 ein ürtheil des
Königsgerichts, nach welchem gegen eine Verlöbnisbrecherin
und ihren Mitschuldigen principaliter die Todesstrafe aus-
gesprochen, aber im Gnadenwege in Wergeidzahlung ver-
wandelt wird. Wenn man dieses Urtheil vielleicht aus
einer Benutzung unserer Antiqua III, 4, 2, an die es ge-
wisse Anklänge enthält, erklären könnte ^, so bedrohen doch
auch das isländische und altnorwegische Recht die Ver-
löbnisbrecher und ihre Mitschuldigen mit Friedlosigkeit ^.
Deshalb ist anzunehmen, dass auch die Bestimmungen
unserer Antiqua im altgothischen Recht wurzeln.
Zu III, 4, 7 s. oben S. 596. — III, 4, 8 hat eine
Parallelstelle in L. Bai. 8, 8 und ist deshalb auf Eurich
zurückzuführen.
III, 4, 9. — Altgothisches Recht enthält wohl auch
diese Antiqua, welche bestimmt, dass die Freie, welche mit
einem Ehemanne in Geschlechtsverbindung tritt, der Ehe-
frau des Mannes zur Rache überliefert werden soll : 'ut in
ipsius potestate vindicta consistat'. Schon Wilda, Strafrecht
der Germanen S. 828, hat darauf hingewiesen, dass auch
das altschwedische Recht ein solches Recht der beleidigten
Ehefrau, gegen ihre Nebenbuhlerin Rache zu üben, kennt.
Wilda sowohl wie Dahn, Studien S. 231, führen die hierin
liegende Anerkennung des Rechtes der Ehefrau auf christ-
liche und kirchliche Einflüsse zurück ; wie mir scheint, ohne
Grund. Dass christliche Auffassung mit der westgothi-
schen Bestimmung nichts zu schaffen hat, zeigt sich deut-
lich genug in der Straflosigkeit des Mannes und der Be-
schränkung des Racherechts auf die freie Nebenbuhlerin.
Ganz unbegründet aber ist es, wenn Dahn nun weiter daraus
1) Vgl. III, 1,2; 6, 3. 2) Auf die Verwandtscliaft des burg-undischen
Urtheils mit den westgothischen Bestimmungen hat schon E,. Löning,
a. a. 0. S. 153 hingewiesen. 3) K. v. Amira, Nordgerm. Obligationen-
recht n, S. 665 und K. Lehmann, Verlobung S. 50 f. 111 f. (besonders
die an letzter Stelle angeführte Gulathingslög § 1.
Gesch. d. westgoth. Gesetzgeb. III. — L. Vis. III, 4, 7—13. 611
Anlass nimmt, das hohe Alter unserer Antiqua zu be-
zweifeln. Er meint: 'Das Gesetz wird unglaubhaft als
Antiqua bezeichnet. Wenn schon unter Rekared solcher
Einfluss der christlichen Anschauung anzunehmen wäre,
müsste man späteren Rückfall voraussetzen'. Ich wüsste
nicht, welche Thatsachen zwängen, einen solchen Rückfall
anzunehmen. Die Bezeichnung als Antiqua ist durch die
Ueberlieferung unbedingt gesichert, und dieser Thatsache
gegenüber müssten auch besser begründete Zweifel schweigen.
Darnach gehört also das Gesetz jedenfalls dem Codex revi-
sus Leovigilds an. Die üebereinstimmung mit dem alt-
schwedischen Recht aber lässt kaum bezweifeln, dass wir
es hier mit einem Gesetze Eurichs zu thun haben.
III, 4, 10. 11. — Die römische Quelle dieser beiden
Antiquae lässt schliessen, dass auch sie dem Gesetzbuche
Eurichs entstammen. Das Nähere ist im allg. Theil, N. A.
XXIII, S. 454 ausgeführt.
III, 4, 12. — Chindasvind will durch dieses Gesetz
Zweifel beheben, die bei den Richtern darüber entstehen,
ob mit dem ehebrecherischen Paare auch dessen Vermögen
in die Gewalt des beleidigten Gatten gegeben werden soll.
Das soll geschehen, wenn die Schuldigen eheliche Kinder
nicht haben. Ervig dehnt in einem Zusätze, entsprechend
den Zusätzen zu III, 4, 2 diese Bestimmung in analoger
Weise auf den Verlöbnisbruch aus.
III, 4, 13. — Chindasvind regelt in diesem Gesetze
Pflicht und Recht zur Anklage einer Ehebrecherin. In der
Handausgabe ist vermuthet, dass das Gesetz nach dem Vor-
bilde von L. Rom. Vis. C. Th. IX, 4, 2, einem Gesetze Constan-
tins, verfasst sei. Das ist aber nur so zu verstehen, dass
das römische Gesetz den Anlass gegeben zu haben scheint,
die Anklage des Ehebruchs durch ein westgothisches Ge-
setz zu ordnen. Die Tendenz beider Gesetze ist eine grund-
verschiedene. Constantin schränkt das Recht der Anklage
möglichst ein, auf einen engen Kreis von Personen, nahen
Verwandten, welche verus dolor zur Klage treibe, und
auch diesen wird gestattet die Anklage zu unterlassen.
Chindasvind dagegen will das adulterium auf jeden Fall
bestraft wissen. Wenn der Ehemann die Klage unterlässt,
so sollen die erwachsenen Söhne, fehlen solche, die Ge-
sippen des Ehemannes die Klage erheben. Zur Belohnung
wird ihnen das Vermögen der bestraften Ehebrecherin
612 Karl Zeumer.
oder wenigstens ein Theil davon versprochen. Versagen
alle diese Instanzen, so kann der König einen Ankläger
für den einzelnen Fall bestellen. Diesem Gesetz hat Ervig
einen Zusatz (hinter manifeste patuerit) eingefügt, nach
welchem das ehebrecherische Paar mit seinem ganzen Ver-
mögen demjenigen zugesprochen werden soll, der die Klage
durchführt. Er darf die Schuldigen schlagen und ver-
stümmeln, nur nicht töten. Die masslose Leidenschaft-
lichkeit, mit welcher die westgothischen Gesetzgeber die
Verletzung der Familienehre strafen, findet hier ihren Höhe-
punkt. Ihrem eigenen Sohne soll gegebenen Falls die
Mutter verknechtet, seiner beliebigen Misshandlung über-
lassen werden. Diese Rohheit wird in einer späteren in
einzelnen Handschriften überlieferten ^ Fassung des Gesetzes,
deren Urheber wir nicht kennen, gemildert. Den Söhnen
soll nur Person und Gut des Mitschuldigen und das Gut
der Mutter überwiesen, die Mutter selbst aber einem anderen,
den der König bestimmt, überwiesen werden.
III, 4, 14 — 17. ■ — Für diese vier von weiteren Un-
zuchtvergehen handelnden Antiquae bietet römisches und
germanisches Recht nur wenig Anknüpfungspunkte.
III , 4 , 14 bedroht Freie für Nothzucht an freien
Wittwen und Mädchen mit Verknechtung, Unfreie mit
dem Feuertode, letzteres wohl im Anschluss an römisches
Recht. Vgl. III, 2, 2; Ed. Theod. c. 61 und dazu Dahn,
Könige IV, S. 72. Ervig fügte weitere Bestimmungen
hinzu, welche die nachträgliche Ehe der Stuprierten mit
dem ihr verknechteten Freien verhindern sollten. Die Frau
soll, wenn sie den Thäter qualibet occasione zur Ehe nimmt,
mit ihrem Vermögen in die Gewalt ihrer Erben gegeben
werden. Da III, 2, 2 die Ehe einer Freien mit ihrem
eigenen Knechte oder Freigelassenen mit dem Tode bedroht,
so ist hier etwa an den Fall zu denken, dass sie zuvor
den ihr Verknechteten einem Dritten zum Zweck der Frei-
lassung veräussert hatte.
III, 4, 16 setzt auf Vergewaltigung fremder Skla-
vinnen für Freie eine Geldbusse von 20 sol. und 50 Hiebe,
für Unfreie 200 Hiebe. Dieser Antiqua dürfte L. Burg. 30
nachgebildet sein, wo der Freie mit Geldstrafe (12 sol.),
der Unfreie mit 150 Hieben für dieses Vergehen bedroht
wird. Die Prügelstrafe für den Unfreien ist dann auch
von der L. Rom. Burg. c. 19 übernommen worden. Dass
1) Cod. Cardon, und Cod. Tolet. 43, 6.
Gesch. d.westgoth.Gesetzgeb. III. — L. Vis. III, 4, 13 — 5, 1.2. 613
unsere Antiqua bereits Eurich zuzuschreiben ist, wird
durch diese burgundischen Parallelstellen wahrscheinlich.
Ob sie dem römischen Rechte entlehnt ist, scheint zweifel-
haft, da dieses für das an einer fremden Unfreien began-
gene stuprum, und zwar mit Beschränkung auf die ancilla
immatura nur Schadenersatz nach der Lex Aquilia kannte ^.
II, 4, 16 ist nach der Ueberlieferung unzweifelhaft
eine Antiqua, die aber so sehr den Geist der späteren
westgothischen Gesetzgebung athmet, dass sie wohl erst der
Revision Leovigilds zuzuschreiben ist. Mit massloser Härte
wird die Prostitution unter Strafe gestellt. 300 Hiebe
werden der freien Frau für jeden Rückfall angedroht, ein
Strafmass, welches sonst nicht erreicht wird! Die Unfreie
kommt dagegen glimpflicher weg. Von römischen Vor-
bildern ist nichts der Art bekannt; man müsste denn an
das Senatusconsult unter Tiberius denken wollen, welches
Frauen ritterlichen Standes die Prostitution verbot; Taci-
tus, Ann. II, 83; Sueton, Tib. c. 35.
III, 4, 17. — Dieses Gesetz Reccessvinds gegen die
Unkeuschheit der Geistlichen bildet den Schluss des Titels.
Es ist im Anschluss an can. 5 des VIII. Concils von Toledo
(652) erlassen und als weltliches Ausführungsgesetz zu
jenem Canon anzusehen, den es als patrum sententia
citiert und dem es sich im Wortlaut vielfach anschliesst.
Es ergänzt ihn, indem es einmal ganz im westgothischen
Geiste den mitschuldigen Weibern Prügelstrafe, ferner aber
auch den in der Verfolgung solcher Vergehen lässigen Bi-
schöfen hohe Geldstrafen androht. Letzteres ist charakte-
ristisch für den angeblichen Pfaffenknecht Reccessvind.
Titel 5 : 'De incestis et apostatis adque masculorum
concubitoribus', enthält fünf Gesetze, unter denen sich keine
Antiqua befindet.
III, 5, 1.2. — Das erste Gesetz, von Chindasvind, stellt
als Incest unter Strafe die eheliche (matrimonium) oder
aussereheliche (adulterium) Verbindung mit Abkömmlingen
des Vaters oder der Mutter, der Grosseltern, der Eltern
der Frau, ferner mit der Verlobten oder Wittwe des Vaters,
der Wittwe eines Verwandten sowie mit allen Verwandten
bis zum sechsten Grade einschliesslich. Ausgenommen
von den Strafbestimmungen dieses Gesetzes sollen solche
1) Vgl. Ulpian, Dig. XLVH, 10, 25. Paulus, Sent. I, 13 A, 6.
614
Karl Zeumer.
Verbindungen nur dann bleiben, wenn sie auf Befehl oder
mit Genehmigung- des Königs geschlossen sind.
Ich habe an anderer Stelle (N. A. XXIII, S. 104 ff.)
nachgewiesen, dass dieses Gesetz an Stelle eines älteren
steht, welches in der Lex ßaiuvariorum als 7, 1 — 3 erhalten
ist. Nachzutragen ist noch ein Hinweis auf Edictus Eot-
hari c. 185, wo jenes Gesetz offenbar benutzt ist.
L. Baiuv. 7, 1. 2.
De nuptiis incestis . .
. . uxorem habere non li-
ceat . . . privignam, no-
vercam . . . fratris uxo-
rem .. . Si quis contra
hoc fecerit . . . separentur
et omnes facultates amit-
tant, quas fiscus adquirat.
Ed. Eoth. c. 185.
De incestas . . . nup-
tias. Nulli liceat nover-
cam suam . . . neque pri-
vignam ... neque cogna-
tam, qui fuit uxor fratris,
uxorem ducere . . . vir, qui
eam ducit, conponat ... in
curte regis et mox separe-
tur ab ea . . . et ipsa mulier
de omnis res suas . medieta-
tem amittat et curtes regia
accipiat ... et ... sepa-
rentur.
Die Uebereinstimmung erklärt sich aus der Benutzung
des westgothischen Gesetzbuches durch Rotharis Gesetzes-
redaktoren und verstärkt so die Gründe für die Zugehörig-
keit jenes Capitels zur Gesetzgebung Eurichs.
Noch bevor die Antiqua durch Chindasvinds Gesetz
aufgehoben und ersetzt wurde, erliess ßeccared in III, 5, 2
ein Gesetz, welches jene in wichtigen Punkten ergänzte
und modificierte. Eine der wichtigsten Bestimmungen,
auf welche auch Chindasvind ausdrücklich verweist, be-
trifft das Erbe der des Incests Schuldigen. N. A. XXIII,
S. 110 f. habe ich dargelegt, dass Eeccared dem älteren
westgothischen Rechte gegenüber das Erbrecht der natür-
lichen Erben gegenüber dem Eiskus wiederherstellte, dem
Rechte der Lex Romana gegenüber aber ein Erbrecht der
im Incest erzeugten Kinder nach den Kindern aus früheren
rechtmässigen Ehen anerkannte. Dabei erklärt der Gesetz-
geber ausdrücklich, dass die im Incest erzeugten Kinder
nicht nur erbberechtigt, sondern auch frei von Infamie
sein sollen, wie ich glaube, im Gegensatz zu der Interpre-
tatio zu Cod. Th. III, 12, 3, wie er sie verstand. In dieser
werden wie in der Constitution selbst die im Incest Er-
zeugten vom Erbrecht ausgeschlossen und daran ein Passus
geknüpft, den der westgothische Gesetzgeber dahin ver-
Gesch. d. westgoth. Gesetzgeb. III. — L. Vis. III, 5, 1. 2. 615
stand, dass sie als infam gelten sollten, während that-
sächlicb nur die beiden Eltern selbst für infam erklärt
werden : 'atque etiam si filios babuerint, non habeantur
legitimi nee beredes, sed infamia sint notatae utrimque
personae, ita nt possidere tantum proprias facultates prin-
cipis beneficio videantur'. Dass sich die infamia blos auf
die Eltern bezieben soll, gebt aus der folgenden Bestim-
mung über das Vermögen im Vergleich mit dem Texte
der Constitution selbst deutlich hervor. Doch lag das
Missverständnis nahe. Ebenso wie nach meiner Annahme
E-eccared haben auch die Redaktoren der zweiten Text-
form der Lex Salica und hat auch der Verfasser der Lex
Romana Raetica Curiensis die Stelle miss verstanden. Jene
nahmen in tit. 13 (Hesseis, XIII, 11, Codd. 5. 6; Behrend
13, 8 Add. 2.) die Stelle der Interpretatio in folgender
Fassung auf: 'atque etiam si filios babuerint, non habeantur
legitimi beredes, sed infamia sint notati' ; und in der Lex
Rom. Cur. III, 12, 3 heisst es entsprechend: 'filii eorum non
sint legitimi, sed ipsi debunt esse notati et de parentum facul-
tatem nihil habeant'. Das Missverständnis wurde den Ger-
manen wohl dadurch besonders nahe gelegt, dass sie den
Mangel des Erbrechtes als Folge einer Rechtlosigkeit, die
sie mit der Infamia identifizierten, ansahen.
Was aber die Interpretatio an dieser Stelle in Wahrheit
meinte, dass die in incestuoser Verbindung lebenden Per-
sonen infam seien, spricht auch die Interpretatio des fol-
genden Gesetzes, C. Tb. III, 12, 4 aus. Hier wird die Ehe
eines Mannes mit der Schwester der verstorbenen Frau für
Incest erklärt und hinzugefügt: 'noverint tali consortio se
esse notabiles'. Diese Stelle scheint Reccared vorzuschweben,
wenn er neben die unerlaubte Verbindung mit einer Gott-
geweihten oder Büsserin und mit der Blutsverwandten die
mit einer solchen stellt, deren Beiwohnung infam mache :
'nullus . . . devotam virginem, nullus sub religionis habitu
consistentem . . . vel sui proximam generis aut eam, de
cuius admixtione incestive notam possit subire Infamie,
. . . accipiat coniugem'.
Die Interpretatio müssen wir als Quelle für die von
Reccared angenommene Infamie in Folge Incestes ansehen;
aber woher hat die Interpretatio zu Cod. Theod. III, 12, 3
und 4 diese Folge entnommen, da eine solche weder die
Constitutionen, zu denen die Interpretatio gehört, noch
andere echte Quellen des römischen Rechtes kennen ? Der
Interpretator war offenbar der Meinung, dass die in den
Constitutionen im Einzelnen aufgeführten Rechtsfolgen des
616 Karl Zeumer.
Incestes Aeusserungen einer zu Grunde liegenden In-
famie seien.
Indem ßeccared die Ehe mit einer gottgeweihten
Jungfrau oder Wittwe unter die Strafe des Incestes stellte,
ergänzte er das Westgothenrecht im Sinne der Kirche. Der
eben erst zum Katholicismus übergetretene Westgothen-
könig bezeichnet als Motiv hierfür seinen Eifer für den
katholischen Glauben und beruft sich auf canones eccle-
siastici. Concilienschlüsse und Decretalen der Päpste ver-
boten, eine gottgev^eihte Jungfrau oder Wittvre zu heirathen.
Papst Gelasius bereits bezeichnete in seinem Decret 'Ne-
cessaria rerum' vom Jahre 494 (Reg. pontif. n. 636) solche
Verbindungen als 'incesta foedera'. Unter Eeccared selbst
hat das III. Concil von Toledo und das II. von Barcelona
in Uebereinstimmung mit älteren kirchlichen Satzungen
solche Verbindungen mit Excommunication bedroht (Conc.
Toi. III, c. 10; Conc. Bare. II, c. 4), und diese Canones
hatte der König vielleicht hauptsächlich im Auge.
Auch das römische Recht bestraft solche Verbindungen
und zwar sehr streng mit dem Tode. Diese Bestimmungen
waren aus dem Codex Theodosianus IX, 25 in die Lex
Eomana Vis. Cod. Th. IX, 20 aufgenommen. Für die
Römer des Reichs bedeutete also Reccareds für alle
Nationen des Reiches bestimmtes Gesetz ^ in diesem Punkte
eine Milderung.
III, 5, 3. — Dieses Gesetz König Chindasvinds han-
delt von dem Verbrechen der Apostasie, welches Reli-
giösen, d. h. Mönche, gottgeweihte Jungfrauen und Wittwen
sowie Büssende (poenitentes), durch Rückkehr zum welt-
lichen Leben begehen. Das Gesetz erkennt die Bestim-
mungen, welche das IV. Concil von Toledo (c. 49. 52.
55. 56) und das VI. Concil (c. 6 ff.) über diesen Gegen-
stand getroffen hatten, auch für das weltliche Recht an:
gewaltsame Zurückführung zum geistlichen Leben durch
Einsperrung in ein Kloster zu lebenslänglicher Busse. Das
Gesetz erkennt neben dem freiwilligen Eintritt in das
geistliche Leben auch die Darbringung eines Kindes durch
seine Eltern als rechtlich verbindliche Form des Eintritts
an, wie das c. 49 des IV. Concils verlangt: 'Monachum
aut paterna devotio aut propria professio facit; quidquid
horum fuerit, alligatum tenebit: proinde eis ad mundum
reverti intercludimus aditum' u. s. w. Das X. Concil von
1) S. die Worte: 'provinciarum uostrarum cuiuslibet gentis homines'.
Gesch. d, westgoth. Gesetzgeb. III. — L. Vis. III, 5, 2—4. 617
Toledo unter Eeccessvind hat c. 4. 5. 6 diese und andere
Bestimmungen bezüglich der Religiösen bestätigt und
erweitert. An den Wortlaut der angeführten Canones der
beiden älteren Concilien finden sich in Chindasvinds Ge-
setze zahlreiche Anklänge. Dieses bestätigt nicht nur die
canonischen Vorschriften, sondern modifiziert und ergänzt
sie auch. Den kirchlichen Strafen fügt Chindasvind Ver-
mögensverlust hinzu und Infamie, als deren Wirkungen
er am Schluss des Gesetzes hinstellt: Unfähigkeit zur
Erhebung einer Anklage, zum Zeugnis und zur Vertretung
im Gericht (Personis vero talibus accusandi vel testificandi
adque aliena negotia prosequendi licentiam penitus ab-
negamus). Während die letzte dieser Folgen der prae-
torischen Infamie des römischen Rechtes entlehnt ist^,
scheinen die beiden ersteren mit der germanischen Recht-
losigkeit zusammenzuhängen.
Gewisse Kategorien nimmmt Chindasvind von der Be-
strafung aus, darunter die, welche das geistliche Leben
in schwerer Krankheit ohne Bewusstsein übernommen
haben: 'Illos etiam ab hac sententia inmunes efficimus,
qui sie invalescente langore ad penitentie vel tonsure per-
venerint ordinem, ut id se nee accepisse tunc noverint nee
petisse meminerint'. Mit deutlichem Hinblick auf diese
Bestimmung hat das XII. Concil von Toledo (a. 681) c. 2
bestimmt, dass auch in diesem Falle der, welcher das
geistliche Gewand ablege , der Apostasie schuldig sein
solle ". Ervig hat jenes Concil zur Mitarbeit an seiner Ge-
setzesrevision aufgefordert und dessen Beschlüsse bestätigt.
Wenn er es trotzdem unterlassen hat, Chindasvinds Gesetz
diesem Beschlüsse entsprechend zu ändern, so bedeutet
das wohl, dass er für das weltliche Recht auf Chindasvinds
Standpunkt verharrte.
III, 5, 4 [W. III, 5, 4] Nov. 'Solet'. — Auf Chindas-
vinds Gesetz folgt in den meisten Handschriften diese
Novelle Egicas, die sich gegen ein eigenthümliches Ver-
fahren der Wittwen bei Annahme des geistlichen Gewandes
richtet. Diese pflegten in der Zeit der Trauer das geistliche
Gewand anzunehmen, dabei sich aber die Rückkehr in das
weltliche Leben offen zu halten, indem sie farbige Streifen
der inneren Seite des Gewandes aufnähten, auf Grund
1) Cf. Big. III, 1; 2, 1; Greenidge, Infamia (Oxford 1894), p. 113 £f.
2) Der Vorwand: *se nuUis regulis ecclesiasticae discipline sub hoc voto
teneri, quia poenitentiam nee ipsi petierint nee sentientes acceperint',
wird mit Hinweis auf die "Wirksamkeit der Kindertaufe zurückgewiesen.
618 Karl Zeumer.
deren sie dann vorgaben, nie wirklich ein geistliches Ge-
wand getragen zu haben. Derselben und ähnlichen
Schwindeleien trauernder Wittwen war schon unter Rec-
cessvind das X. Concil von Toledo in c. 4 entgegengetreten,
indem es bestimmte, dass Wittwen nur nach vorgängiger
schriftlicher Erklärung, immer im geistlichen Stande
bleiben zu wollen, von dem Priester das geistliche Gewand
empfangen und dass an dem Gewände keine bunten Farben
sein sollten. Dass der Canon nicht den erwünschten Erfolg
hatte, zeigt Egicas Gesetz.
III, 5, 5 [R. III, 5, 4]. — Chindasvind verhängt in
diesem Gesetze gegen die concubitores masculorum als
Hauptstrafe der Schuldigen die Entmannung. Inwiefern
das altgothischem Rechte entspricht, wissen wir nicht. Im
altnorwegischen Recht findet sich die gleiche Strafe für
einen anderen Fall unnatürlicher Unzucht, Wilda, Straf-
recht d. Germ. S. 859 ; aber auch dem römischen Rechte
war diese Strafe neben der Todesstrafe nicht ganz fremd;
s. Rein, Criminalrecht d. Römer S. 867 , N. *. Die in die
westgothische Lex Romana aufgenommenen auf dieses Ver-
gehen bezüglichen Stellen (Cod. Theod. IX, 4, 5 ; Paulus
V, 4, 14), boten für ein solches Gesetz keine genügende
Grundlage und sind von Chindasvind auch unbeachtet
gelassen.
III, 5, 6 [W. III, 5, 7] Nov. 'Orthodoxe'. — Egica
führt in dieser Novelle (novella lex) den Kampf gegen die
Sodomie fort, indem er nicht nur die von Chindasvind
festgesetzten Strafen bestätigt, sondern auch eine darauf
bezügliche kirchliche Strafsatzung, welche im 3. Jahre seiner
Regierung erfolgt war, als weltliches Recht anerkennt:
'iubente principe vel quolibet iudice insistente non solum
castrationem virilium perferat, sed insuper illam in se
iacturam excipiat ultionis, quam pro his causis nuper in
anno videlicet tertio regni nostri sacerdotalis decreti pro-
mulgata sententia evidenti prescriptione depromit'. Dieses
Citat passt vollkommen auf can. 3 des XVI. Concils von
Toledo, welcher den Geistlichen Verlust ihrer Würde, den
Laien wie ein weltliches Gesetz 100 Schläge und Decal-
vation, beiden aber lebenslängliches Exil, d. h. Einsperrung
unter strenger geistlicher Zucht, androht. Dieses Concil
ist aber nicht im 3. sondern im 6. Regierungs jähre Egicas
abgehalten. Eine Bleistiftnotiz von Bluhmes Hand in unserm
Apparat besagt: '690 war ein Concil, dessen Akten verloren
Gesch. d. westgoth. Gesetzgeb. III. — L. Vis. III, 5, 4—6, 1.2. 619
sind. Die Sentenz aber dieses Provinzial - Concils ist be-
stätigt im Conc. Toi. XVI, 3'. Helfferich, Westgothenrecht
S. 208, A. 239 dagegen meint, die Jahreszahl im Gesetze
Egicas sei falsch; statt 'tertio' sei zu lesen 'sexto': 'Der
Abschreiber verwechselte das Zahlzeichen VI mit III'.
Erscheint diese Annahme an sich plausibel, so wird sie
freilich bedenklich durch den Umstand, dass die hand-
schriftliche Ueberlieferung in der Lesart ^tertio' (mit Buch-
staben ausgeschrieben) völlig übereinstimmt; der Fehler
müsste auf den Archetypus, der in diesem Falle wahr-
scheinlich mit der offiziellen Aufzeichnung zusammen fällt,
zurückgehen. Gegenüber den Schwierigkeiten, welche
dieser Annahme entgegenstehen, möchte ich die Annahme
Bluhmes, dass ein entsprechender Canon bereits in ver-
lorenen Concilsakten aus dem 3. Jahre Ervigs vorlag, nicht
ganz von der Hand weisen.
III, 5, 7 [E. III, 5, 5. W. III, 5, 6]. — Chindasvind
ergänzt durch dieses letzte Gesetz das erste dieses Titels,
indem er Männern die Geschlechtsverbindung mit Weibern,
die in ausserehelichem Geschlechtsverkehr mit dem Vater
oder Bruder jener gestanden haben, zu ihnen also im Ver-
hältnis der sogenannten affinitas illegitima stehen , bei
Strafe des Incestes untersagt. Quelle oder Vorbild für
dieses Gesetz vermag ich nicht nachzuweisen. Kirchliche
Anschauungen, wie sie später in Concilienschlüssen und
Bussbüchern hervortreten, scheinen zu Grunde zu liegen.
Titel 6 : 'De divortiis nuptiarum et discidio ispon-
sorum' enthält nur 3 Gesetze.
III, 6, 1. 2. — Die beiden ersten Stücke, eine Antiqua
und ein Gesetz Chindasvinds sind zuletzt von Dahn, Stu-
dien S. 120 f., von London S. 45 f. und von Geffcken, Ge-
schichte der Ehescheidung S. 38 ff., erörtert. Ich vermag
mich keinem meiner Vorgänger ganz anzuschliessen, glaube
aber darauf verzichten zu sollen, im Einzelnen jede Ab-
weichung oder üebereinstimmung zu bemerken.
Die beiden ersten Gesetze sind nicht — wie man das
wohl gethan hat — als Zeugnisse für dieselbe Rechtsmaterie
auf zwei verschiedenen Entwicklungsstufen zu betrachten,
nicht als ob die Antiqua das alte Recht, die Lex Chinda-
svinds das reformierte Recht darstelle ^. Chindasvinds Ge-
1) So Dahn, Studien S. 120: 'Dieses ältere Scheidungsrecht (III, 6, 1)
hat dann Kindasviath in einem umfassenden Gesetz (III, 6, 2) reformiert'.
620 Karl Zeumer.
setz lässt vielmehr das in der vorhergehenden Antiqua
enthaltene Recht unberührt. Das von ihm als reform-
bedürftig erkannte Recht war in einer Antiqua enthalten,
die durch sein Gesetz verdrängt wurde. Denn regelmässig
verfuhr man bei Herstellung der Reccessvindiana so, dass
man das veraltete Recht beseitigte und nur das vom alten
Rechte, nöthigenfalls mit geringen Aenderungen, unter
der Ueberschrift Antiqua aufnahm, was fortbestehen sollte
und mit dem neuen Recht in Einklang war. Das war die
Regel und musste es sein, wenn das Gesetzbuch seinem
Zwecke entsprechen sollte. Dass trotzdem einzelne Züge
des älteren Rechtes, welche mit dem neueren nicht über-
einstimmen, durch dieses aufgehoben werden und zweck-
mässiger hätten ausgeschieden werden sollen, in den Texten
der Antiquae enthalten sind, ist wohl erklärlich. Solche
Inconsequenzen der Redaktion können für unsere Kennt-
nis der Entwickelung des Westgothenrechtes sehr werthvoll
sein, sind aber sicher von den Redaktoren nicht beabsich-
tigt. Diese wollten nur das geltende Recht in das neue
Gesetzbuch aufnehmen; historisches Interesse hatten sie
natürlich nicht, und würden Antiquae sicher nicht aufge-
nommen haben, deren Inhalt sie als veraltet erkannt
hätten.
Für das Verständnis der beiden Gesetze und ihres
Verhältnisses zu einander kommt vor Allem der Sinn der
Bezeichnungen repudium und repudiare einerseits und di-
vortium, divertere, divortisse andererseits in Betracht.
Man findet vielfach und zwar durchweg in den beliebtesten
Lehr- und Handbüchern des römischen Rechtes die Angabe,
dass divortium die Ehescheidung auf Grund gegenseitigen
Uebereinkommens der beiden Gatten bezeichne, repudium
dagegen die einseitig, d. h. von einem Ehegatten gegen
den Willen des anderen Theiles vorgenommene Lösung
der Ehe^. Ein solcher Gegensatz aber ist den Quellen
fremd. Wenn die beiden Bezeichnungen in Gegensatz zu
einander gesetzt werden, so geschieht das in einem ganz
anderen Sinne, nämlich um hervorzuheben, dass repudium
1) Vgl. Demburg, Pandekten III, § 10: 'In Rom war die Ehe
durch privaten Entschluss lösbar, und zwar nicht bloss mittels Ueber-
einstimmung — divortium — , sondern auch einseitig — durch repudium'.
— Sohm, Institutionen 7. Aufl. § 97 S. 451: 'Hier kann die Ehe ge-
schieden werden durch Vertrag der Ehegatten (divortium) oder durch
einseitige Aufkündigung seitens eines Ehegatten (repudium). — Schulin,
Lehrbuch der Geschichte des Rom. Rechtes S. 224: 'Beendigungsgrund
für die Ehe ist die Scheidung, die entweder durch einseitige Aufkündigung,
repudium, oder durch beiderseitige Uebereinkunft, divortium, erfolgt'.
Gesch. d. westgoth. Gesetzgeb. III. — L. Vis. III, 6, 1. 2. 621
auch auf die Lösung eines Verlöbnisses, divortium nur auf
die einer Ehe bezogen werden könne. {Dig. L, 16, 1. 101
§1; 1.191).
Bei der Ehescheidung aber schliessen divortium und
repudium einander nicht aus. Auch die durch repudium
einseitig, gegen den Willen des anderen Gatten vollzogene
Scheidung heisst divortium, wie Paulus Dig. XXIV, 2, 3
bezeugt, wo er erklärt, dass ein verum divortium nur
durch Bezeugung dauernden Willens entstehe : 'ideoque
per calorem misso repudio, si brevi reversa uxor est, nee
divortisse videtur'. Auch einseitige Scheidung mittels repu-
dium wegen eines Verbrechens ist divortium nach Cod.
Theod. III, 16, 2, einem Gesetz von Honorius, Theodosius
und Constantius v. J. 421, wo es im Eingange heisst: 'Mu-
lier, quae repudii a se dati oblatione discesserit, si nullas
probaverit divortii sui causas u. s. w.' ^. Andererseits wird
auch beim divortium ex consensu das repudium voraus-
gesetzt, C. lust. V, 17, 9: 'Si constante matrimonio com-
muni consensu tam mariti quam mulieris repudium sit
missum u. s. w.' ^.
Schon aus diesen Stellen ergiebt sich, dass divortium
die allgemeine Bezeichnung für jede Ehescheidung war,
repudium mittere, dare dagegen die Form, in der sich die
Ehescheidung und zwar auch die consensu vereinbarte voll-
zog. Sehr deutlich drückten das auch die römischen Ju-
risten aus, welche gegen das Jahr 500 das römische Rechts-
buch für die Burgunder bearbeiteten. In Titel 21, der
'De divortiis' überschrieben ist, wird zuerst der Satz auf-
gestellt: 'Consensu partis utriusque repudium dari et ma-
trimonium posse dissolvi'. Darauf folgen dann die Fälle,
in denen der Mann gegen den Willen der Frau und
die Frau gegen den Willen des Mannes das repudium
geben will : 'si pars viri repudium dare uxore contra-
dicente voluerit' und 'si mulier nolente marito repudium
ei dare voluerit'. Dieselbe Auffassung bezeugt auch die
Auswahl der beiden ersten Fragmente von Dig. XXIV, 2.
Das erste giebt mit einer Stelle des Paulus die Fälle der
Auflösung der Ehe an: 'Dirimitur matrimonium divortio,
morte, captivitate vel alia contingente Servitute utrius
1) Vgl. damit auch Nov. Theod. c. 12 von 439, die 10 Jahre später
durch das im Anfang völlig gleichlautende Gesetz 0. Just. V, 17, 8 ersetzt
■wurde. 2) Dass auch bei dem sog. divortium bona gratia ia C. Just.
V, 17, 10 das repudium mittere erwähnt wird, mache ich nicht geltend,
weil der dort erörterte Fall thatsächlich eine einseitige Auflösung der
Ehe durch die Frau bedeutet.
622 Karl Zeumer.
eorum'. Hier umfasst divortium offenbar alle Fälle der
Scheidung. Nach einer ebenfalls für alle Fälle zutreffen-
den etymologischen Erklärung des Wortes divortium folgt
dann in fr. 2 : 'In repudiis autem, id est renuntiatione,
comprobata sunt haec verba : tuas res tibi habeto' u. s. w.
In dem ganzen Zusammenhange kann das nur bedeuten,
dass das repudium die renunciatio, die feierliche Ankün-
kündigung des divortium ist.
Diese feierliche Ankündigung des repudium konnte
mündlich geschehen, und zwar persönlich oder durch Boten,
und wohl nicht nur im letzteren Falle unter Zuziehung
von Zeugen^. So fasst auch Isidor, Etymol. IX, 7, 24 die
Sache: 'Repudium est, quod sub testimonio testium vel
praesenti vel absenti mittitur' '^. Isidor dachte wohl bei
dem Ausdruck repudium mittere nicht nur an die münd-
liche Erklärung, sondern auch an die schriftliche durch
Uebersendung eines Scheidebriefes. Dieser wird Dig.
XXIV, 2, 7 als libellus divortii, Cod. V, 17, 6 als repudii
libellus bezeichnet, in den fränkischen Formelsammlungen
regelmässig als libellum repudii (Marculf II, 30. Form.
Tur. 19. Form. Sal. Merk. 18), und hier entspricht die Be-
zeichnung als repudium, trotzdem es sich in diesen Stücken
durchweg um divortium ex consensu handelt, durchaus
dem aus den römischen Quellen gewonnenen Resultat.
Treten wir nunmehr an die westgothischen Gesetze
heran und halten fest, dass die Ausdrücke repudium und
repudiare oder divortium an sich noch keinen Schluss auf
die eine oder andere Art der Scheidung zulassen, so wird
die Erklärung sehr vereinfacht. Ausserdem haben wir den
Vortheil von III, 6, 1 jetzt einen Text mit Sicherheit als
den originalen betrachten zu können, der einen guten und
sachgemässen Sinn ergiebt, während die früheren Erklärer -^
den hier verstümmelten Vulgattext benutzt haben, der sie
nothwendig auf falsche Fährten bringen musste ^.
1) Cf. Dig. XXIV, 2, 1. 2, § 3 ; 1. 9 ; vgl. ausserdem Kariowa, Rom.
RG. II, S. 189 und Schlesinger, Die Form der Eheschliessung bei den
Römern, Z. f. Rechtsgesch. V, S. 193 ff. 2) Die Erklärung welche
Isidor unmittelbar darauf von divortium giebt ist zu eng, widerspricht
aber unserer Auffassung nicht. 3) Älit Ausnahme Geffckens, der den
Text der Reccessvindiana nach der Handausgabe kannte, aber auf diese
Stelle nicht näher eingeht. 4) Der im Anfang unverstümmelte Text
von III, 6, 1 war vor dem Erscheinen der Handausgabe nur durch die
Madrider Ausgabe bekannt, die hier gegen die Regel einmal einen besseren
Text als die anderen Ausgaben enthielt. Vgl. Dahn, Studien S. 120;
London S. 47. Dahns Vorwurf, dass das Gesetz schlecht redigiert sei,
erledigt sich durch den ursprünglichen Text von selbst.
Gesch. d. westgoth. Gesetzgeb. HI. — L. Vis. HI, 6, 1. 2. 623
Der früher zu Grunde gelegte Text lautet: 'Mulierem
ingenuam a viro suo repudiatam nullus sibi in coniugio
sociare praesumat'. Er führte nothwendig zu der Annahme,
dass das Gesetz die Wiederverheirathung der durch repu-
dium Geschiedenen schlechtweg verbiete. Es fehlte aber
die im echten Texte hinzugefügte Bedingung: 'nisi aut
scriptis aut coram testibus divortium inter eos fuisse factam
evidenter agnoscat'. Nunmehr ist alles klar! Eine Ge-
schiedene darf nicht von einem anderen Manne zur Ehe
genommen werden, wenn sie nicht durch Urkunde (Scheide-
brief) oder Zeugen nachweisen kann, dass eine Scheidung
der Vorehe wirklich erfolgt ist. Kann dieser Nachweis
nicht erbracht werden, so gilt die zweite Ehe als adulte-
rium und das Paar verfällt der Ehebruchsstrafe, Ueberlief-
rung an den ersten, einzig als rechtmässig anerkannten
Mann.
Die feierlichen Formen der Ehescheidung, entweder
schriftlich oder vor Zeugen, sind offenbar dem römischen
Rechte entlehnt, und waren hier wie dort vorgeschrieben,
einerseits um die wirklich Geschiedene bei ihrer Wieder-
verheirathung gegen eine Ehebruchsklage zu sichern, andrer-
seits einer Ehebrecherin den Einwand, dass sie geschieden
sei. abzuschneiden.
Wem die Beseitigung jener Bedingung 'nisi — agnos-
cat' zuzuschreiben ist, wage ich nicht mit Bestimmtheit zu
behaupten. Wahrscheinlich aber ist sie bereits in Ervigs
Redaktion vom Jahre 681 getilgt^, und damit das unbe-
dingte Verbot der Wiederverheirathung der geschiedenen
Frau ausgesprochen. Es ist darin wohl eine Concession
an die kirchliche Anschauung zu sehen, bei der nicht be-
achtet wurde, dass sie sich mit dem übrigen Texte der
Gesetze nicht vertrug.
Auf die Strafbestimmung für die Wiederverheirathung
der nicht rechtsgültig geschiedenen Frau folgt der Satz:
'si tamen causam inter priorem maritum et uxorem adhuc
inaudita mauere constiterit, aut si isdem maritus alteri se
matrimonio non coniunxerit' -.
1) Sie steht freilich in El, fehlt aber in E2. El ist wahrschein-
lich Abschrift eines Exemplars der Reccessvindiana , welches gemäss
Ervigs Revision corrigiert war. Dabei konnte leicht die Tilgung dieses
Passus aus Versehen unterbleiben. 2) In der Handausgabe habe ich
diese Worte zu dem Eolgenden gezogen. Wiederholte Beschäftigung mit
der Stelle hat mich zu der Ueberzeugung geführt, dass sie zu dem Vor-
hergehenden gehören. Vor 'si tamen' ist also statt des Punktes ein Semi-
kolon und nach 'coniunxerit' ein Punkt zu setzen.
Neues Archiv etc. XXIV. 40
624 Karl Zeumer,
Nach dem Vorhergehenden sollte die Wiederver-
heirathung bestraft werden, wenn die Frau nicht die Auf-
lösung der Vorehe durch divortium beweisen konnte. Hier
wird als weitere Voraussetzung für die Bestrafung hinzu-
gefügt, dass der Prozess zwischen der Frau und dem
ersten Manne noch nicht entschieden sei (causa adhuc in-
audita) und dass der erste Mann sich nicht wieder ver-
heirathet habe. Drücken wir das positiv aus, so können wir
also sagen: Die Frau darf eine neue Ehe eingehen 1) wenn
sie das divortium der Vorehe beweist, oder 2) wenn ihr
Prozess mit dem ersten Manne zu ihren Gunsten entschieden
ist, oder 3) wenn ihr erster Mann sich anderweit ver-
heirathet hat.
Der Nachdruck wird schon im Vorhergehenden auf
die Einvrilligung des ersten Mannes gelegt. Die Strafe
soll erleiden 'mulier, que se alteri extra volumtatem mariti
prioris in coniugium copulavit'. Verheirathete er selbst sich,
so gab er damit seine Ansprüche an die erste Frau auf,
auch wenn er ein förmliches repudium nicht ertheilt hatte.
Sonst musste die Frau das über die Scheidung der ersten
Ehe vom Manne ertheilte repudium nachweisen, entweder
durch Vorlegung des libellus repudii oder durch Nachweis
der Ertheilung vor Zeugen. Ob das repudium mit ihrer
Einwilligung oder gegen ihren Willen gegeben war, und ob
es in diesem Falle rechtmässig oder unrechtmässig gegeben
war, trägt für die Frage der Wiederverheirathung, für die
es nur auf den Scheidungswillen des ersten Mannes an-
kommt, nichts aus.
Sind so die erste und die dritte Bedingung klar, so
ergiebt sich auch, was für ein Prozess mit der causa adhuc
inaudita in der zweiten Bedingung allein gemeint sein
kann. Es kann hier nur der einzige Fall ins Auge gefasst
sein, in welchem die Frau auch gegen den Willen ihres
ersten Mannes sich neu verheirathen darf, das ist der Fall,
dass sie den ersten Mann eines Verbrechens überführt,
welches sie zur einseitigen Lösung der Ehe und Schliessung
einer neuen berechtigt. Als solche Verbrechen sind in
III, 6, 2 Sodomie und Preisgebung der Frau zur Unzucht
gegen ihren Willen genannt: 'si mulieris maritus mascu-
lorum concubitus adprobatur aut eandem suam uxorem,
ea nolente, adulteranda[m] cuicumque viro dedisse vel per-
misisse convincitur . . . nubendi mulieri alteri viro . . .
nullatenus inlicitum erit'. Nicht das Verbrechen selbst,
sondern erst die Ueberführung giebt ihr das Recht. Es
muss also eine Criminalklage wegen eines dieser Ver-
Gesch. d. westgoth. Gesetzgeb. III. — L. Vis. III, 6, 1. 2. 625
brechen gegen den Mann erfolgreich durchgeführt sein.
Heirathet sie vorher, 'cansa adhuc inaudita manente', so
setzt sie sich der Ehebruchsstrafe aus.
So findet jene Stelle eine einfache und sachgemässe
Erklärung. Für eigentliche Ehescheidungsklagen ist kein
Raum im Westgothenrecht. Es kennt nur, wie auch das
römische Recht Klagen wegen Verbrechen des einen Gatten,
die wohl dem andern Gatten das Recht zur Lösung der
Ehe gaben, welche aber nicht auf Trennung der Ehe,
sondern auf peinliche Bestrafung des andern Gatten ge-
richtet waren. Deshalb dürfen wir auch an jener Stelle
nicht an eine Ehescheidungsklage denken. Auch eine
Criminalklage gegen die Frau kann nicht gemeint sein.
Wäre die Frau des einzigen Verbrechens , welches nach
III, 6, 2 ihren Mann zu einseitiger Verstossung berechtigte,
des Ehebruchs überführt, so hätte ihre Bestrafung ihre
Wiederverheirathung unmöglich gemacht; wäre sie nicht
überfühi't, so hätte die erste Ehe fortbestanden.
Handelt bis hierher das Gesetz allein von der Wieder-
verheirathung der geschiedenen Frau, so werden in den
folgenden mit 'Gerte si maritus uxorem iniuste reliquerit'
beginnenden Bestimmungen die Folgen unrechtmässiger
Verstossung der Frau für den Mann bestimmt: Er soll ihr
die ihr von ihm bestellte Dos belassen und ihr ganzes
Vermögen herausgeben. Erpresste Verzichtsurkunden sollen
ungültig sein.
Auch das ältere römische Recht kennt für diesen
Fall den Verlust der Dos an die Frau, natürlich der
römischen Dos, fügte aber noch das Verbot der Wieder-
verheiratung des Mannes hinzu. Cod. Theod. III, 16, 1 :
Si absque bis criminibus liberam eiecerit, omnem dotem
restituere debet et aliam non ducere'. In demselben Sinne
spricht sich auch die folgende Constitution III, 16, 2 aus
und ebenso die Interpretatio zu beiden.
Ist wohl kaum zweifelhaft, dass der Verlust der Dos
in der Antiqua dem römischen Recht entlehnt ist, so fragt
es sich, ob das älteste Westgothenrecht nicht auch das
Verbot der Wiederverheirathung für diesen Fall kannte.
Unsere Antiqua sagt darüber nichts. Ein Schluss aus
diesem Schweigen ist aber nicht zulässig. Es entspricht
vielmehr ganz dem sonstigen Inhalt des Gesetzes, welches
die Folgen der Scheidung für die Frau behandelt, wenn
hier nur die vermögensrechtlichen Nachtheile für den
Mann, insofern als sie Vortheile für die Frau waren, hervor-
gehoben sind. Das Verbot der Wiederverheirathung des
40*
626 Karl Zemner.
Mannes als Folge ungerechter Verstossung der Frau finden
wir im folgenden Gesetz Chindasvinds III, 6, 2. Wahr-
scheinlich stand es ebenfalls schon in der Antiqua, welche
durch dieses Gesetz verdrängt ist.
Chindasvind handelt in III, 6, 2 hauptsächlich von
den Folgen der Ehescheidung für den Mann und zunächst,
wie ich gleich vorweg nehme, von dem Falle, in welchem
der Mann selbst die Ehe rechtmässig einseitig lösen kann.
'Nullus virorum', so lautet die wichtigste Stelle, 'excepta
manifesta fornicationis causa uxorem suam aliquando relin-
quat et neque per testem neque per scripturam seu sub
quocumque argumento facere divortium inter se et suam
coniugem audeat'.
Als einziger Grund, der dem Manne die Scheidung
gestattet, wird hier in Anlehnung an die Bibel und mit
Benutzung des Wortlautes der Vulgata (Matth. 5 , 32 :
excepta fornicationis causa) Ehebruch der Frau hingestellt.
Auch in c. 8. Conc. Tolet. XII. wird dieser einzige Grund
angegeben. Dagegen kennt das, wie Geffcken mit Recht
betont, westgothische Concil von Agde ^ (c. 25. Conc. Agath.
a. 506) mehrere causae discidii. Vermuthlich waren auch
in der durch Chindasvinds Gesetz verdrängten Antiqua
mehrere Gründe angegeben und zwar wohl die des römischen
Rechts nach Cod. Theod. III, 16, 1, wie sie in der Inter-
pretatio der westgothischen Lex Romana zu dieser Stelle
anerkannt, in das Edict Theoderichs c. 52, in die Lex Rom.
Burg. t. 21 und mit einer Entstellung in die Lex Burgun-
dionum t. 35 aufgenommen sind : die Frau konnte einseitig
Verstössen werden, wenn ihr Ehebrvich, Giftmischerei oder
Kuppelei nachgewiesen war. Dass diese Gründe auch im
alten Westgothenrecht galten, wird noch besonders wahr-
scheinlich durch einen starken wörtlichen Anklang unseres
Gesetzes an die Stelle der Lex Burgundionum. Dort wird
§ 4 das Verbot, auf andere Gründe hin eine Frau zu Ver-
stössen, mit den Worten erlassen: 'nulli virorum liceat',
von Chindasvind mit den Worten: 'nullus virorum . . .
relinquat'. Diese wörtliche Uebereinstimmung kann nicht
zufällig sein; auch aus der gemeinsamen römischen Quelle
ist sie nicht zu erklären. So bleibt nur die Annahme,
dass Chindasvind sie aus der durch sein Gesetz ersetzten
Antiqua entnahm und diese, die dann schon in Eurichs
Gesetzbuch sich befunden haben muss, die Quelle war
für Gundobads Gesetz Lex Burg. t. 35.
1) Geflfcken, Ehescheidung S. 44.
Gesch. d. westgoth. Gesetzgeb. HI. — L. Vis. HI, 6, 1. 2. 627
Mehrfach macht sich in Ghindasvinds Gesetze eine
Uebereinstimmung mit Justinians Novelle 117 bemerkbar.
So in der Behandlung des Ehebruchs als Grund für ein-
seitige Ehescheidung, wo beide Gesetze als Voraussetzung
der Scheidung die ordentliche Durchführung der Ehe-
bruchsklage hinstellen. Ich vergleiche mit Ghindasvinds
Texte c. 8 der Novelle in der lateinischen Form bei Julian
(Const. 107, c. 7), welcher der westgothische Text hier
noch etwas näher steht als dem Authenticum.
Novelle 117, c. 8.
Si de adulterio maritus
putaverit uxorem suam posse
convinci prius debet inscrip-
tiones deponere . . . contra
mulierem ... et si talis
accusatio vera comprobata
fuerit . . .
Chindasvind III, 6, 2.
Sed si adulteram (uxorem
suam) maritus dixerit fortasse
redarguendam iuxta legem
aliam eins publice scelere
comprobato . . .
Deutlicher noch tritt die Uebereinstimmung hervor
in der Bestimmung eines Falles, in welchem der Frau die
einseitige Lösung der Ehe gestattet sein soll.
Nov. 117, c. 9, § 3 (Auth.)
Si maritus uxoris castitati
insidiatus aliis eam adulte-
randam temptaverit tradere.
Chindasvind.
si mulieris maritus . . .
suam uxorem . . . adulteran-
dam cuicumque viro dedisse
vel permisisse convincitur.
Wir werden die Vermuthung nicht abweisen können,
dass hier Ghindasvinds Gesetz durch die Novelle beein-
flusst ist. Ist das aber der Fall, so könnte man einen
solchen Einfluss auch an einer anderen Stelle anzunehmen
geneigt sein, nämlich da, wo Ghindasvind vom Eintritt der
Ehegatten in den geistlichen Stand handelt. Justinian
hebt in c. 10 der Novelle das divortium ex communi con-
sensu auf mit Ausnahme des Falles, dass die Ehegatten
sich dem geistlichen Leben widmen wollen. Julian, Gonst.
108, c. 9, fasst den Sinn der Stelle kurz, aber richtig zu-
sammen : 'Nulli liceat consensu matrimonium solvere, nisi
forte castitatis amore hoc fecerit'.
Hiermit könnte man die Stelle in Ghindasvinds Gesetz
in Beziehung setzen, welche beginnt: 'Gerte si conversio-
nis', und in dieser Verbindung einen weiteren Grund für die
Behauptung finden, dass auch Ghindasvind in unserem
Gesetze die Ehescheidung ex communi consensu gänzlich
628 Karl Zeumer.
ausgeschlossen habe. In diesem Sinne hat nämlich Geffcken,
Ehescheidung, S. 43 jene Stelle gedeutet, welche vollstän-
dig lautet: 'Gerte si conversionis ad Deum volumtas exti-
terit, communem adsensum viri scilicet et mulieris sacerdos
evidenter agnoscat, ut nulla postmodum cuilibet eorum ad
coniugalem aliam copulam revertendi excusatio intercedat'.
Geffcken schliesst hieraus : 'dass es nach westgothischem
Recht eine freiwillige Scheidung mit der Befugnis für
beide Gatten sich anderweitig wieder zu verheirathen über-
haupt nicht gab, denn es wäre eine seltsame Benachthei-
ligung des Gatten einer ins Kloster tretenden Person ge-
wesen, wenn ihm allein die Wiederverheirathung verboten,
Leuten, die sich aus anderen Gründen freiwillig schieden,
aber gestattet sein sollte'.
Sehen wir genauer zu, so finden wir nun, dass hier
von einer freiwilligen Scheidung zum Zweck des Eintrittes
in den geistlichen Stand gar nicht die Rede ist. Es han-
delt sich nur darum, dass ein Ehegatte, der constante
matrimonio in den geistlichen Stand treten will, nicht
zugelassen werden soll ohne ausdrückliche Zustimmung des
andern, denn darauf läuft der verlangte communis adsensus
viri et mulieris thatsächlich hinaus. Der Zweck wird an-
gegeben : der im weltlichen Stande bleibende Ehegatte soll
nicht von neuem heirathen dürfen. Indem er seine aus-
drückliche Zustimmung gab, erkannte er die Fortdauer der
Ehe an und verzichtete damit auf nachträgliches einseitiges
divortium bona gratia, wie es nach römischem Recht in
solchem Falle sonst möglich war^. Das wurde vorge-
schrieben um zu verhindern, dass sich jemand seines Ehe-
gatten dadurch entledigte, dass er ihn überredete in den
geistlichen Stand zu treten, wohl regelmässig unter dem
Vorgeben seinerseits dasselbe thun zu wollen, um dann
hinterher ungehindert eine andere Ehe schliessen zu können.
Dass diese Auffassung, die im wesentlichen schon
London, dessen Ausführungen Geffcken entgangen zu sein
scheinen, überzeugend vertreten hat, richtig ist, geht aus
dem ganzen Zusammenhange mit voller Deutlichkeit her-
vor. Der ganze erste Theil hat den ausgesprochenen Zweck
zu verhindern, dass Männer sich ihrer Frauen entledigen
um andere zu heirathen. Habsucht und zügellose Begierde
treiben, heisst es im Eingange, viele dazu, ihre Frauen zu
verschmähen und mit allerlei List nach anderen zu streben.
Darum wird bestimmt, dass die Verstossung der Frau
1) Vgl. London p. 53.
Gesch. d. westgoth. Gesetzgeb. HI. — L. Vis. m, 6, 1. 2. 629
nur nach erfolgreich durchgeführter Ehebruchsklage statt-
finden darf, darum wird bestimmt, dass erpresste Urkunden
der Frau, welche dem Manne die Erreichung seiner Ziele
ermöglichen sollten, keine Geltung haben. Von der Frau
wird gesprochen als von der, die durch des Mannes Bos-
heit von ihm geschieden ist (mulier que per nequitiam
illius a coniugio resoluta est) und endlich wird bestimmt,
dass den Mann, welcher Scheidungs- oder Verzichturkunden
von seiner Frau erpresst oder auch ohne dies sie verstösst
und eine andere nimmt, schwere Strafen treffen sollen.
Ueberall liegt die Voraussetzung vor: der Mann sucht sich
seiner Frau gegen deren Willen mit List oder Gewalt zu
entledigen. Von einem Verbot eine Ehe aus beiderseitigem
freien Willen zu lösen ist keine Rede und dafür über-
haupt kein Platz in diesem Zusammenhange. Dass in
den Worten : 'neque . . . sub quocumque argumento facere
divortium inter se et suam coniugem audeat', nicht ein
solches Verbot liegt, geht aus dem Zusammenhange her-
vor; und was über den Fall der voluntas conversionis
gesagt ist — es geht der Nichtigkeitserklärung erpresster
Urkunden der Frau vorauf — kann in diesem Zusammen-
hange nicht, wie Geffcken will, gedeutet werden und ist
ausserdem ungezwungen anders zu deuten: eins der hinter-
listigen Mittel, welche die Männer anwenden, soll ihnen ent-
zogen werden. Das bestätigt die schon von London angezogene
Parallele des folgenden Gesetzes III, 6, 3, in welchem der
Bruch des Verlöbnisses mit den Ehebruchsstrafen bedroht
wird, und auch die Fälle erwähnt werden, wo die Verlobten
vorgeben geistlich werden zu wollen : 'sine pari consensu
aut egritudinis fortasse manifesto periculo ad religionis
propositum calliditate magis quam devotione conversionis
adspirare presumserint'. Auch in der Bestimmung unseres
Gesetzes wird ein solches betrügerisches Vorgeben bekämpft.
Das Gesetz enthält aber auch positive Zeugnisse dafür,
dass ein divortium communi consensu nach dem geltenden
Eechte zulässig war, dass der Mann mit Einwilligung der
Frau die Ehe lösen und eine neue eingehen konnte, wie
das nach III, 6, 1 die Frau mit Einwilligung des Mannes
konnte. Chindasvind erklärt die Scheidungs- und Verzichts-
urkunden, welche der Mann von der Frau zum Zweck der
Scheidung erpresst, für ungültig: 'Quod si aliter quisque
uxorem suam spernens quacumque calliditate scripturam ab
ea, sibi suisque volumtatibus profuturam, exigerit, non so-
lum tale vinculum quandoque reppertum nihil omnino
firmitatis habebit', und entsprechend heisst es weiter unten:
630 Karl Zeumer.
'Maritus autem, qui vel divortii vel securitatis a coniuge
scripturam quamlibet exigerit, seil fortasse non exigens,
contemta tarnen uxore, aliam sibi uxorem adsumserit' u. s. w.
(folgt die Strafsatzung), Welchen Zweck hatte es für den
Mann, von der Frau Scheidungs- oder Einwilligungsurkunden
zu erpressen, wenn der Scheidungswille und der Verzicht
der Frau an sich werthlos, die Scheidung auch mit ihrer
Einwilligung unzulässig gewesen wäre? Die Ungültigkeits-
erklärung der erpressten Willenserklärung hat die Gültig-
keit freiwillig gegebener zur Voraussetzung.
Nun bietet das Gesetz dem Verständnis keine Schwierig-
keiten mehr. Der Mann, welcher seine Frau verstösst,
wird durch Vermögensverlust und, wenn er sich wieder
verheirathet, mit Exil (d. h. Klosterhaft) oder Verknech-
tung bestraft. Die Frau, welche um die rechtlich noch
bestehende erste Ehe weiss und ihn doch heirathet, wird
entsprechend der Antiqua III, 4, 9 der verstossenen Frau
übergeben.
Am Schluss werden die entsprechenden Strafen auch
der Frau angedroht, welche ihre Ehe einseitig gegen den
Willen ihres Mannes mit Hülfe der Obrigkeit, durch Be-
fehl des Königs oder seines Beamten, zu lösen versucht.
Dass nur zwei bestimmte Verbrechen des Mannes ihr das
Eecht geben sollen sich von ihm zu trennen und einen
andern zu heirathen, ist bereits oben S. 624 erwähnt,
ebenso dass das eine dieser Verbrechen auch von Justinian
in Novelle 117 als Scheidungsgrund aufgestellt ist.
Ervig hat bei seiner Revision nur einige geringfügige
Aenderungen an dem Gesetze angebracht.
III, 6, 3. — In diesem letzten Gesetz des Titels und
Buches überträgt Reccessvind die Strafen , welche sein
Vater in III, 6, 2 auf einseitige Scheidung der Ehe gesetzt
hat, auf willkürliche einseitige Lösung des Verlöbnisses,
Die Bestimmungen sind schon mehrfach im Vorhergehen-
den (s, S, 580 und S, 629) berücksichtigt.
XIV.
i
lieber die Entstehungszeit
und die Einlieitlichkeit der lex Saxonum.
Von
Walther Schücking.
Ueber die Entstehungszeit der lex Saxonum.
Nachdem Brunner ^ im Anschluss an Ältere, nament-
lich Waitz 2, sich dafür ausgesprochen, dass die lex Saxonum
ihre Entstehung wahrscheinlich dem Aachener Reichstag
von 802 verdanke, ist diese Behauptung von Amira^
wiederum heftig angegriffen worden. Letzterer hält gegen-
über Brunner an dem Standpunkte Richthof ens ** fest, wo-
nach das sächsische Volksrecht schon aus den Jahren 777
bis 797 stammen, vielleicht um 785 abgefasst sein soll.
Dem Hinweis Brunners auf die Thatsache, dass die lex
Saxonum in cap. 50 — 53 inhaltlich aus dem Capitulare legi
Ribuariae additum vom Jahre 802 bezw. 803 ^ schöpfe, be-
gegnet Amira durch die Behauptung, die Ausführungen
Richthofens gegen diese Abhängigkeit der lex Saxonum
von besagtem capitulare seien von Brunner nicht widerlegt
worden. Aber worin bestehen denn diese Ausführungen?
Richthofen hatte gemeint, es lasse sich ebensogut
eine Abhängigkeit des cap. leg. Rib. add. von der lex. Sax.
behaupten, wie umgekehrt der lex Sax. vom capitulare.
Freilich hat schon Waitz ^ diesen Gedanken von Richthofen
mit einem Hinweis auf den Zusammenhang der fraglichen
Stellen in der lex Sax. mit den vorhergehenden cap. zurück-
1) Brunner, Deutsche Rechtsgeschichte Bd. I, S. 349 2) Waitz,
Deutsche Verfassungsgeschichte Bd. III 2. Aufl., S. 157 ; vgl. auch Graupp,
Recht und Verfassung der alten Sachsen 1837, S. 45. Nach Stobbe, Ge-
schichte der Deutschen Rechtsquellen 1860 Bd. I, S. 192 sind um das Jahr
802 wahrscheinlich die verschiedenen Stücke, aus denen sich nach ihm
die lex zusammensetzt, vereinigt worden ; nach Boretius, Historische Zeit-
schrift Bd. XXII 1869, S. 165 ist wenigstens an eine Entstehung von
cap. 21 — 66 um 802 oder 803 zu denken. 3) von Amira, Göttinger
gelehrte Anzeigen 1888, S. 56. 4) Frhr. v. Richthofen, Zur lex Saxonum
1868, S. 331 — 348. 5) Das Cap. leg. Rib. add. ist zwar von 803 da-
tiert, seine Entstehung aber vorzüglich auf Grund der Annal. Lauresh.
ad a. 802 (SS. I, p. 39) schon für den Aachener Reichstag vom October
802 anzunehmen. 6) Waitz a. a. O. S. 214. Waitz folgt dabei Usingers
Forschungen zur lex Sax. 1867, S. 59 ff. Schon dieser wollte aus dem
Zusammenhang der lex mit Gewissheit folgern, dass die fraglichen Stellen
aus dem capitulare in die lex hineingearbeitet. LT. E. ist dieser Versuch
gescheitert.
634 Walther Schücking.
gewiesen. Seine Ansicht geht dahin, dass die ganze Art,
wie die fraglichen Stellen in die lex eingeführt sind, auf
die Benutzung einer besonderen Quelle hindeute. Wir
können Waitz hierin nicht ganz zustimmen. Namentlich
daraus, dass in cap. 50 der lex noch ein allgemeiner Grund-
satz aufgestellt ist, der in der Bestimmung von cap. 18
schon auf einen speziellen Fall angewandt ist, dass ferner
im Schlusssatz von cap. 52 ein Fall erörtert wird, der mit
dem im Schlusssatz von cap. 18 behandelten verwandt ist,
wird man nicht mit annähernder Sicherheit schliessen
können, bei der Abfassung der cap. 50 — 53 sei aus einer
besonderen Quelle geschöpft worden.
Richthof en ist jedoch u. E. bezüglich seiner Be-
hauptung von Brunner schon damit widerlegt worden, dass
letzterer das Verhältnis zwischen fränkischem Recht und
dem Recht der unterworfenen Völker überhaupt betont.
Wo wären denn sonst noch, wie Richthofen hier behaupten
möchte, sächsische Rechtsideen zu jener Zeit in das Recht
des fränkischen Siegers eingedrungen?
Erwägen wir endlich, wovon Brunner schweigt, dass
gerade dieses capitulare eine besonders weite Verbreitung
gefunden zu haben, ja zum Theil in das langobardische
Recht aufgenommen zu sein scheint ^, so dürfte wohl seine
Benutzung für die lex Sax. bei der theilweise wörtlichen
Uebereinstimmung der fraglichen Stellen beider Gesetze
ziemlich ausser Frage stehen.
Und es ist, als ob Richthofen selbst an die von ihm
behauptete Möglichkeit, man möchte bei der Redaction
des capitulare die lex ausgeschrieben haben, nicht recht
geglaubt hätte, wenn er auf die fernere Möglichkeit auf-
merksam macht, dass weder das fränkische Gesetz aus dem
sächsischen, noch das sächsische aus dem fränkischen ge-
schöpft, beiden vielmehr eine ältere Verordnung Karls zu
Grunde liege.
Da uns jedoch von einer solchen Verordnung durch-
aus nichts bekannt ist, so erkennen wir zwar diese Möglich-
keit an, so lange es einer dahin zielenden Behauptung aber
an dem Schatten einer Unterlage fehlt, werden wir den-
noch an der Vermuthung festhalten müssen, dass die lex Sax.
unmittelbar aus dem capitulare schöpfe. Dann aber kann
die lex Sax. nicht vor dem Jahre 802 bezw. 803 entstanden
sein, während Richthofen sie, wie oben gesagt, jedenfalls
für älter als das capitulare Saxonicum von 797 hält.
1) Vgl. Boretius, Die Capitularien im Langobardenreich , Halle
1864, S. 83.
Ueb. d. Entstehungszeit u. d. EirLheitKclikeit d. lex Saxonum. 635
Für die Unrichtigkeit dieser Behauptuug' bringt
ßrunner dazu einen durchaus zwingenden Beweis durch
den Hinweis auf die Bestrafung der Brandstiftung. Da
Amira auch diese Beweisführung Brunners angegriffen hat,
gehen wir auf dieselbe im Folgenden näher ein.
Das cap. Sax. von 797 bedroht eigenmächtige Brand-
stiftung mit 60 sol. Busse, die lex Sax. mit der Todes-
strafe. Zwei Gründe sprechen dafür, dass letztere schärfere
Strafe die jüngere sei. Einmal die allgemeine Beobachtung,
dass in den germanischen Rechten überhaupt in Bezug
auf die Brandstiftung eine mildere Beurtheilung einer
schärferen Platz gemacht hat und diese That erst spät
als selbständiges und den schwersten Missethaten zuzu-
rechnendes Verbrechen betrachtet worden ist. Die in der
Brandstiftung liegende Gemeingefahr wurde eben von dem
altgermanischen Recht nicht berücksichtigt, vielmehr sah
dasselbe in dieser That nur eine widerrechtliche Schadens-
zufügung und es mussten schon besondere Momente, wie
nächtliche Heimlichkeit hinzutreten, um die That be-
sonders strafbar zu machen. Bei rechtmässiger Fehde
aber war diese Art der Schadenszufügung nicht wider-
rechtlich und deshalb muss nach altsächsischem Volksrecht
die gewöhnliche Brandstiftung in diesem Falle straflos ge-
wesen sein. Das capitulare Sax. bestimmt aber, dass nur
noch die Brandstiftungen erlaubt sein sollen, die einstimmig
von allen auf einem placitum versammelten Gaugenossen
wegen Ungehorsams gegen ein gerichtliches Urtheil be-
schlossen werden, die eigenmächtige Brandstiftung jedoch
mit der Bannbusse von 60 sol. gesühnt werden soll ^.
Wenn nun statt dessen die lex. Sax. die eigenmächtige
Brandstiftung mit der Todesstrafe bedroht, so müssen wir
darin schon nach jenem allgemeinen Gesichtspunkt die
jüngere Strafe sehen. Dazu kommt dann aber als zweiter
gewichtiger Grund die Thatsache, dass die Todesstrafe die
im neunten Jahrhundert in Sachsen bei der Brandstiftung
übliche ist. Folglich ist die lex Sax. auch das jüngere
Gesetz. Diesen Schluss bestreitet Amira, indem er der
Behauptung widerspricht, der Tod sei im neunten Jahr-
hundert die Strafe für den sächsischen Brandstifter ge-
wesen. Aber dieser Widerspruch ist unberechtigt. Die
Spangenbergische Handschrift der lex enthält einen Zusatz,
wonach nicht die Todesstrafe, sondern die lex loci delicti
commissi zur Anwendung kommen soll, wenn der sächsische
1) Capitulare Saxonicum cap. 8.
636 Walther Schücking.
Brandstifter die That ausserhalb Sachsens begangen hat.
Richthofen vermuthet nun, diese Randglosse schöpfe aus
einem königlichen Gesetz, das seinem Inhalte nach erst in
die zweite Hälfte des 9. Jhs. fallen könne. Denn erst
seit 864, seitdem aber wiederholt, ist eine theilweise
Territorialität des Rechtes in fränkischen Reichen anerkannt
worden ^. Dagegen wendet Boretius ^ ein, es werde sich
nicht bestimmen lassen, wann im sächsischen Recht durch
Reichsgesetz zuerst das Territorialitätsprincip zur An-
wendung gelangt sei; jenes ostfränkische capitulare von
864, auf das Richthofen als erste Anerkennung des neuen
Princips hingewiesen, könne nicht herangezogen werden,
weil sich damals die Reichsgesetzgebung wohl nicht mehr
um die Gesetzgebung im ostfränkischen Reiche gekümmert
habe.
Unseres Erachtens ist es überhaupt recht zweifelhaft,
ob jene Randglosse thatsächlich aus einem bestimmten
königlichen Gesetze schöpft, zumal uns von einem solchen
nichts überliefert ist. Könnte man nicht in derselben
einfach den Niederschlag einer sich allmählich Bahn
brechenden neuen Rechtsidee erblicken?
Richthofen meint zwar, dass die theilweise Aus-
schliessung der Anwendung des geltenden persönlichen
Rechts in Sachsen nur durch besonderes Gesetz hätte
erfolgen können. Aber da weder in der lex Sax. selbst
noch in den sächsischen Capitularien an irgend einer Stelle
allgemein das Personalitätsprincip aufgestellt ist, so konnte
vielleicht in Sachsen in denjenigen Fällen, wo die Persona-
lität nicht im Besonderen durch Gesetz als massgebend
bestimmt war^, eine andersartige Auffassung bei der
Handhabung der sächsischen Gesetze zum Durchbruch
gelangen.
Mag man nun aber Richthofen darin zustimmen, dass
die Randglosse aus einem königlichen Gesetz aus den
Jahren zwischen 850 und 900 schöpfe, mag man mit
Boretius auf eine Zeitbestimmung für dieses Gesetz ganz
verzichten — völlige Klarheit wird darüber wohl niemals
zu erlangen sein — , keinesfalls wird man Amiras Be-
hauptung beitreten können, die Glosse könne schon vor
797 entstanden sein.
Unterliegt es doch keinem Zweifel, dass im 8. Jh.
und bis in das 9. Jh. hinein das Personalitätsprincip ganz
1) Vgl. Riclithofen S. 16 und das dort Citierte. 2) Boretius a. a. 0.
S. 154. 3) Vgl. Ansegisi cap. app. 11 c. 35 (MG. LL. Capp. I, p. 449).
Ueb. d. Entstehungszeit u. d. Einheitlichkeit d. lex Saxonum. 637
unumstritten geherrscht hat. Bei der reichen gesetzgebe-
rischen Thätigkeit Karls des Grossen begegnen wir nirgend-
wo dem Gedanken der Territorialität des Rechts, für
Sachsen ist uns das entgegengesetzte Princip speziell durch
eine Gesetzesstelle verbürgt^, Die Vermuthung spricht
deshalb sehr entschieden gegen den Gedanken, jene Glosse
sei älter wie das capitulare von 797 ; ein Versuch, diese
Vermuthung zu entkräften, ist von Amira nicht gemacht
worden und hätte nach Lage der Dinge auch schwerlich
gelingen können. Amiras Angriff gegen Brunners Beweis-
führung ist also auch hier unberechtigt.
Auffallend ist es, dass gerade ßichthofen, der zuerst
die Todesstrafe als die im 9. Jh. für eigenmächtige Brand-
stiftung übliche erwiesen hat, trotzdem die lex Sax. für
älter als das capitulare von 797 erklärt, obgleich dieses
doch wie oben gesagt 60 sol. Geldbusse für jenes Delict
androht. In dieser letzteren Bestimmung des capitulare
sieht Eichthof en aber nur eine Ergänzung der Strafandrohung
der lex Sax., so dass nach seiner Auffassung die lex
Sax. eigenmächtige Brandstiftung mit dem Tode be-
drohte, während das capitulare der Strafandrohung noch
die Bannbusse hinzufügte. Hier ist Richthofen jedoch u. E.
entschieden zu widersprechen. Eine solche Verbindung von
Todesstrafe und Königsbann ist zunächst ohne jedes Ana-
logon in den Volksrechten. Wenn Eichthofen vergleichs-
weise auf das cap. 43 der lex Thuring, hinweist, in welchem
für Brandstiftung neben dem Bann von 60 sol. die drei-
fache Entschädigung angeordnet ist, so ist Königsbann und
dreifache Privatbusse denn doch etwas ganz anderes, als
Königsbann und Todesstrafe. Abgesehen davon , dass in
der Regel die Todesstrafe die Confiskation des ganzen Ver-
mögens ohnehin nach sich zog ^, eine Verbindung von
Todesstrafe und Bannbusse also schon deshalb ausgeschlossen
erscheint, ist es bei der ganzen Lage der Dinge (da offen-
bar früher die Brandstiftung in der Fehde als berechtigte
Schadenszufügung straflos gewesen) wahrscheinlicher, dass
sie zuerst mit der Bannbusse und erst später mit der
Todesstrafe bedroht wurde. Dafür und damit für die
Priorität des capitulare spricht dann ferner der Wortlaut
der von der Brandstiftung handelnden Bestimmungen
des capitulare und der lex. Dass auch aus diesem ein
wesentliches Moment für die Entscheidung der Streitfrage
zu entnehmen ist, finden wir nur bei Brunner ^ angedeutet,
eine eingehendere Erörterung mag hier Platz greifen.
1) Vgl. S. 636 N. 3. 2) Brunner a. a. O. Bd. II, S. 599. 3) Brun-
ner a. a. 0. Bd. I, S. 347.
638 Walther Schücking.
Wenn cap. 38 der lex sagt: Qui domum alterius vel
noctu vel interdiu siio tantum consilio volens incenderit, capite
puniatur, so deuten in diesem Rechtssatz die Worte 'suo tan-
tum consilio' doch auf einen Gegensatz hin, für dessen Ver-
ständnis uns die übrige lex durchaus keinen Schlüssel bietet.
Ziehen wir nun das capitulare von 797 heran, so heisst es dort
in cap. 8 : De incendio convenit, quod nullus infra patriam
praesumat facere propter iram aut inimicitiam aut qualibet
malivola cupiditate, excepto si talis fuerit rebellis, qui
iustitiam facere noluerit et aliter districtus esse non po-
terit, et ad nos, ut in praesentia nostra iustitiam reddat,
venire dispexerit, condicto commune placito simul
ipsi pagenses veniant, et si unanimiter consenserint, pro
districtione illius causa incendatur; tunc de ipso placito
commune consilio facto secundum eorum ewa fiat
peractum, et non pro qualibet iracundia aut malivola inten-
tione, nisi pro districtione nostra. Si aliter quis incendium
facere ausus fuerit, sicut superius dictum est, solidos sexa-
ginta componat. Eine unbefangene Würdigung dieser
beiden Gesetzesstellen ergiebt u. E. am klarsten die Priori-
tät des capitulare. Denn in diesem finden wir eine weit-
läufige Behandlung der Brandstiftung. Hier wird aus-
führlich die öffentliche Brandstiftung auf Volksschluss als
Akt der Zwangsvollstreckung der eigenmächtigen Brand-
stiftung aus Zorn, Feindschaft oder irgend welcher Bosheit
gegenüber gestellt, es wird der Begriff der strafbaren
eigenmächtigen Brandstiftung als eines selbständigen De-
lictes hier gesetzlich festgelegt. Die lex Sax. konnte dann
in jenem cap. 38 dieses Delict kürzer behandeln. Das 'in-
cendium suo tantum consilio' der lex wird aber nur ver-
ständlich durch das 'incendium commune consilio facto' des
capitulare. Wäre die lex das ältere Gesetz und das incen-
cendium suo tantum consilio durch die lex als Delict mit
bestimmten Merkmalen festgelegt worden, und hätte es sich
bei der Redaction des capitulare nur um eine Strafverschär-
fung gehandelt, warum in aller Welt hätte der Gesetz-
geber dabei über das Delict so viel Worte machen sollen,
warum zum Eingang dieses cap. des capitulare so ausführ-
lich von seiner Strafbarkeit reden?
Und weiter, klingt die Strafandrohung des capitulare,
die Worte : 'si aliter quis incendium facere ausus fuerit . . .
solidos sexaginta componat' so, als habe der Gesetzgeber
neben der Todesstrafe noch die Bannbusse verhängen wollen?
Erscheint uns schon danach das höhere Alter des
capitulare als eine feststehende Thatsache, so sprechen für
üeb. d. Entstetiimgszeit u. d. Einheitlichkeit d. lex Saxonum. 639
diese Annahme noch andere Momente, namentlich ein Ver-
gleich der Bestimmungen über den solidus und der Taxen
verschiedener Naturalien in dem capitulare und der lex.
Indem Brunner feststellt, dass in beiden Punkten die lex
die genaueren Bestimmungen enthält, zieht er daraus den
Schluss, dass sie das jüngere Gesetz sei. Allerdings sind
auch seine hierauf bezüglichen Ausführungen von Amira
angegriffen. Derselbe gelangt sogar bei dem Vergleich
beider Gesetzesstellen zu dem entgegengesetzten Ergebnis,
indessen vermögen u. E. seine Einwendungen die Unrich-
tigkeit jener Beweisführung Brunners nicht darzuthun.
Prüfen wir zunächst die Quellen auf die Schluss-
folgerung Brunners bezüglich der Bestimmungen über den
solidus. Cap. 11 des capitulare beginnt: 'Illud notandum
est, quales debent solidi esse Saxonum'. Es folgen dann zur
Werthbestimmung des sol. eine Reihe von Schätzungen land-
wirthschaftlicher Naturalien, und das capitulare fährt fort:
'In argento duodecim denarios solidum faciant. Et in aliis
speciebus ad istum pretium omnem aestimationem composi-
tionis sunt'. In Ueberein Stimmung mit Waitz, Soetbeer
und Usinger ^ wird diese Stelle von Brunner dahin gedeutet,
dass das capitulare Sax. den fränkischen solidus von 3 Ti-emis-
sen gleich 12 Denaren als denjenigen Werthmesser bestimmen
will, auf welchen alle vorausgegangenen Werthangaben
der Naturalien zu beziehen sind, wie nach ihm alle übrigen
Naturalien, die zur Busse hingegeben werden, veranschlagt
werden sollen. Damit, dass nach dieser Deutung des
cap. 11 Karl hierdurch das fränkische Münzwesen auch in dem
eroberten Sachsen, wo man bisher wie im östlichen Fries-
land 2 tremisses unter einem solidus als Rechnungsmünze
zusammengefasst hatte, zu dem ausschliesslich geltenden
machen will, würde es denn übereinstimmen, dass wir
diesem Bestreben bei ihm auch sonst in Deutschland und
Italien begegnen 2.
Gegen diese Auffassung jener Gesetzesstelle hat zuerst
Richthofen Front gemacht^. Seine Auslegung derselben
ist jedoch u. E. unhaltbar. Den Schlusssatz des cap. 11:
'Et in aliis speciebus ad istum pretium omnem aestimationem
compositionis sunt', will er nämlich dahin verstanden wissen,
dass bei anderen Naturalien als den schon vorher aufgfe-
1) Waitz a. a. O. Bd. IV, S. 80. Soetbeer in Forschungen zur Deut-
schen Geschichte Bd. IV, S. 292. Usinger a. a. 0. S. 24. 2) Waitz, Die
Münzverhältnisse in den älteren Rechtsbüchem des fränk. Reichs. Ab-
handlungen der Gesellschaft der Wissenschaften, Göttingen 1861, S. 258.
3) Richthofen, MG. LL. V, p. 93, Anm. 61 ; Zur lex Sax. S. 41 — 43.
Neues Archiv etc. XXIV. 4][
640 "Walther Schücking.
zählten alle Schätzungen nach dem Beispiel der im voraus-
gehenden abgeschätzten Gegenstände erfolgen sollen. In-
dem Richthofen nun von der Voraussetzung ausgeht, dass
jene vorausgehenden Schätzungen nach solidi minores (von
zwei tremisses) erfolgt, kommt er zu dem befremdenden
Resultat, dass nach jenem cap. 11 des capitulare zwar die
Bussen in baar nach solidi maiores (von drei tremisses), in
Naturalien aber nach solchen von nur zwei tremisses, nach
solidi minores, gezahlt werden sollen.
Das Sinnwidrige einer solchen Bestimmung liegt auf
der Hand, zumal da wir uns die Masse des in Sachsen
vorhandenen Baargeldes sehr gering und die Zahlung in
Naturalien als die Eegel, die Zahlung in baar als für den
Empfänger vortheilhafte Ausnahme denken müssen. Wer
eine Busse von 1 solidus zu entrichten hätte, würde dann
doch immer einen Gegenstand im Werthe eines solidus
minor = 8 Denaren hingeben statt 12 Denare in baar.
Davon abgesehen beruht jene Hypothese Richthof ens aber
auch auf zwei falschen Voraussetzungen.
Einmal kann man Richthofen nicht in der Annahme
beitreten, die jenem Schlusssatz des cap. 11 vorausgeschick-
ten Abschätzungen von Naturalien seien offenbar in sol.
min. geschehen. Zu dieser Annahme gelangt er durch die
Verbindung der auf den Werth des Rindes bezüglichen
Stellen in dem capitulare und der lex. In beiden Ge-
setzesstellen will er eine Taxe des zwölf Monate alten
Rindes finden. Daraus, dass die eine cap. 66 der lex Sax.
den 'bos anniculus duodecim mensium' ausdrücklich zu
einem sol. min. veranschlagt, schliesst er, dass auch der
sol., zu dem nach ihm die andere Gesetzesstelle, cap. i 1
des capitulare, das zwölfmonatliche Rind veranschlagt ein
sol. min. sein müsse. In der That aber handelt letztere
Stelle überhaupt nicht von dem 12 Monate alten Rind.
Sie lautet : 'Id est bovem annoticum utriusque sexus autum-
nali tempore sicut in stabulum mittitur pro uno solido,
similiter et vernura tempus, quando de stabulo exiit, et de-
inceps quantum aetatem auxerit, tantum in pretio crescat'.
Richthofen deutet diese Stelle so, dass nach ihr ein Rind
von einem Jahre zu einem sol. veranschlagt, gleichzeitig aber
bestimmt wird, dass das im Sommer auf der Weide ge-
borene Kalb als einjährig bis zum zweiten Einwintern,
das im Winter im Stalle geborene bis zum zweiten Früh-
jahrsaustreiben gilt^.
1) Zu dieser Deutung gelangt Richthofen, indem er zur Interpre-
tation der Stelle die Bestimmung der lex Sax. heranzieht, nach welcher
das 12Monatsrind zu 1 sol. min. veranschlagt wird. Jene Bestimmung
Ueb. d. Entstehungszeit u. d. Einheitlichkeit d. lex Saxonum. 641
U. E. aber beschäftigt sich der Gesetzgeber hier nicht
mit dem 12 Monatsrind und stellt ihm ein anderes um
etliche Monate älteres gleich an Werth, sondern handelt
überhaupt nur von diesem älteren, dem 'bos annoticus
autumnali tempore sicut in stabulum mittitur', d. h. von
dem 1 Jahr alten Rind, welches im vorvergangenen Sommer
geboren zur Herbstzeit zum zweiten Male in den Stall ge-
bracht wird, um dort zu überwintern, und dem 'bos anno-
ticus et vernum tempus quando de stabulo exiit' d. h. von
dem 1 Jahr alten Rind , das im vorvergangenen Winter
geboren und zum zweiten Male auf die Frühjahrsweide
getrieben werden soll. In beiden Fällen hat cap. 11 des
capitulare also ein Rind im Sinn, das zwar als einjährig
bezeichnet wird, von dem wir aber durch ergänzende Zeit-
bestimmungen erfahren, dass es neben seinem einem Jahre
auch etliche Monate alt ist. Darin liegt keineswegs etwas
Auffallendes, denn auch nach unserem Sprachgebrauch
wird das Alter, wenn in Jahren, dann meistens ohne Hin-
zufügung eines hinzutretenden Bruchtheils angegeben. Ist
unsere Deutung jener Stelle aber richtig, so kann daraus,
dass cap. 66 der lex das zwölfmonatliche Rind auf einen
sol. minor veranschlagt, nicht mit Richthofen darauf ge-
schlossen werden, dass auch der sol.. zu dem cap. 11 des
capitulare das etliche Monat ältere Rind taxiert, ein sol.
minor sei ; eher wäre der gegentheilige Schluss gerecht-
fertigt.
Aber lassen wir es vorläufig dahingestellt, in welchen
sol. hier im Anhang des cap. 11 des capitulare das Rind
und die im Anschluss daran aufgezählten Gegenstände ver-
anschlagt sind: auch jene zweite Voraussetzung, von der
Richthofen ausgeht, dass nämlich der Schlusssatz des capi-
tulare bestimmen wolle, alle übrigen zur Busse hingegebenen
Gegenstände sollten nach dem Beispiel der im voraus-
gegangenen taxierten Naturalien veranschlagt werden, ist
offenbar unrichtig. Jener Schlusssatz folgt nämlich nicht
unmittelbar den im cap. 11 enthaltenen Abschätzungen
von Naturalien, sondern es geht ihm der Satz voraus: 'In
argento duodecim denarios solidum faciant'. Wenn daran
anknüpfend der Schlusssatz lautet: 'Et in aliis speciebus
ad istum pretium omnem aestimationem compositionis sunt',
der lex kann aber offenbar bei der Uebersetzung dieser Stelle des capi-
tulare zur Auslegung nur verwandt werden, wenn es sich bei beiden Ver-
anschlagungen um sol. min. handelt, was Richthofen doch erst beweisen
will.
41*
642 Walther Schücking.
so kann unter jenem Werthe, nach dem auch alle übrigen
Sachen berechnet werden sollen, nur der zuvor erwähnte
sol. von 12 Denaren verstanden werden, andernfalls müsste
es heissen 'ad pretium istarum rerum', da eine ganze Reihe
von Werthangaben vorausgehen ^
Gelangt man aber zu unserer Deutung jenes Schluss-
satzes, so ist auch anzunehmen, dass die im vorausgehen-
den Theile des cap. 11 veranschlagten Gegenstände in sol.
maior. taxiert sind. Dafür und nicht dagegen, wie Boretius
meint, der sonst der hier vertretenen Ansicht in Bezug
auf den Charakter des sol. dieses cap. ist, spricht der Ver-
gleich mit der Werthtaxe des Rindes in cap. 66 der lex
Sax., welches zwar ein Rind von nur 12 Monaten wie ge-
sagt auf einen sol. min., dagegen aber ein Rind von
16 Monaten, welches an Alter dem u. E. im capitulare
geschätzten ungefähr gleichkommen möchte, zu einem sol.
maior veranschlagt. Endlich sprechen dafür, dass cap. 11
des cap. nur den fränk. sol. von 12 Denaren kennt, auch
folgende von Boretius geltend gemachte Gründe. Alle
Reichsgesetze gleicher Zeit wissen von keinem andern sol.
wie dem fränkischen. Gerade dieser wird in unserem ca-
pitulare ausdrücklich erwähnt und kein anderer. Bei der
Richthofen'schen Auffassung wäre deshalb die Fassung des
cap. äusserst schlecht und unklar.
Mit Recht geht Brunner also bei seinem Vergleiche
der Bestimmungen des capitulare und der lex über den
solidus von der Annahme aus, dass das capitulare überall
nur den sol. maior von 12 Denaren kenne. Amira meint
zwar, diese Annahme thürme nur neue Schwierigkeiten auf.
Denn wie sei es zu erklären, dass, nachdem das capitulare
nach dieser Meinung für sämmtliche Geldzahlungen die
fränkische Rechnung nach grossen sol. eingeführt habe,
die nach Brunner spätere lex wieder auf die ältere sächsi-
sche Rechnung nach kleinen sol. zurückgrifPe. Uns scheint
diese Erklärung nicht allzu fern zu liegen. Ueberblicken
wir die ganze karolingische Gesetzgebung in Sachsen, so
1) Dieses für die Deutung jener Stelle so wichtige sprachliche
Moment verkennt u. E. auch Schröder, der sich Richthofen in der Aus-
legung jener Stelle anschUesst (vgl. Schröder, Rechtsgeschichte 2. Aufl.
S. 185 Anm. 8). Wenn Schröder dabei betont, dass die althergebrachten
Werthtarife für solche Objecte, die als allgemeine Tauschmittel an Zahlungs-
statt hingegeben wurden, überhaupt von Aenderungen im Münzwesen
unberührt geblieben seien, so scheint das wenigstens für das sächsische
Recht, wo cap. 66 der lex Sax. bei der Werthbestimmung der Naturalien
ausdrücklich zwischen dem Aequivalent für den kleinen sächs. und den
grossen fränkischen sol. unterscheidet, unzutreffend.
Ueb. d. Entstehungszeit u. d. Einheitlichkeit d. lex Saxonum. 643
erscheint ein solches Zurückgehen auf sächsische Institu-
tionen keineswegs vereinzelt. Es liegt ja in der Natur der
Sache, dass die Gesetze aus der allerersten Zeit nach der
Eroberung mehr den Charakter des Stammes der Sieger
tragen wie des der Besiegten. So sehen wir auch Karl
bei Erlass der cap. de part. Sax., unbekannt mit den Ver-
hältnissen, Gebräuchen und Rechten der Besiegten, nur
bestrebt, seine Herrschaft in dem eroberten Lande zu orga-
nisieren und die Unterworfenen seine Faust fühlen zu
lassen. Anders bei Erlass des capitulare Sax. von 797.
Der Eroberungskampf liegt schon weiter zurück. Der Er-
oberer ist inzwischen vertraut geworden mit den Zuständen
des eroberten Landes, er schenkt seinen Bewohnern ein
gewisses Mass von Vertrauen, er hat vielleicht auch wahr-
genommen, dass die heimische Sitte in vielen Dingen mäch-
tiger als sein Gesetz ist, und giebt nach, wo es sich nicht
um seine Herrschaft handelt. Deshalb kommt das cap.
Sax. vom Jahre 797 unter Theilnahme von Westfalen, Ost-
falen und Engern zu Stande und trägt dem heimischen
Rechte Rechnung. Hatte z. B. die capitulatio den kleinen
Bann nach fränkischem Recht auf 15 sol. bestimmt, so
kehrt das cap. Sax. zu. dem altsächsischen ständisch abge-
stuften Satz zurück, nach welchem von jeher bei den
Sachsen wie bei den Friesen und Thüringern der kleine
Bann 12 sol. betrug. Derartige Beispiele lassen sich eine
Reihe nennen. So stellt die capitulatio gelegentlich im
Anschluss an fränkische Verhältnisse ein Rind an Werth
10 sol. gleich^, während wir aus dem capitulare erfahren,
dass in Sachsen das Rind zur Zeit seines zweiten Einwin-
terns bezw. zweiten Früh Jahrsaustreibens nur einen Werth
von einem sol. maior hat. Es wäre also keineswegs so
unerklärlich, wenn wir in Bezug auf das Münzwesen eben-
falls den Vorgang zu verzeichnen hätten, dass Karl in
seiner späteren Gesetzgebung mehr wie bisher den sächsi-
schen Verhältnissen Rechnung trägt. Die historische Ent-
wicklung wäre dann in diesem Punkte folgende gewesen.
In seinem ersten Gesetz für Sachsen, der capitulatio, be-
rührt Karl das sächsische Münzwesen nicht, die Aufgabe
dieses Gesetzes ist ja auch nur eine beschränkte. Es finden
sich zwar wiederholt in dem Gesetze Strafen in sol. ange-
droht, die als Königs- oder Grafenbann zu entrichten sind,
aber es wird dabei der Werth des sol. nicht bestimmt,
1) Darüber, dass diese Stelle aufrecht zu erhalten, vgl. Richthofen
MG. LL. V, S. 44 Anm. 60.
644 Walther ScMicking.
vielmehr offenbar als selbstverständlich angenommen, dass
die ihrer Höhe nach fränkischen Strafgelder auch in der
vollwerthigen fränkischen Münze bezw. nach fränkischem
Werthmesser , der solidus zu 12 Denaren, zur Einziehung
gelangen werden ^.
Das capitulare Sax. trifft dann die erste Bestimmung
über das Münzwesen in Sachsen, wonach künftig nicht nur
der Königs- und Grafenbann, sondern auch alle privaten
Bussen nach fränkischen sol. entrichtet werden sollen. Diese
Bestimmung hatte etwas Rigoroses, wenn wir bedenken,
dass durch dieselbe alle Bussen um die Hälfte der bis-
herigen Summe erhöht wurden; so oft früher 8 Denare
gezahlt waren, konnten jetzt 12 gefordert werden. Die
praktische Durchführung dieser Massregel mag dazu schwierig
gewesen sein, Aenderungen in den Münzen, Massen und
Gewichten, nach denen das Volk rechnet, lassen sich ja auch
bei unserer fortgeschrittenen Kultur noch nicht mit sofortiger
Wirksamkeit durch einen gesetzgeberischen Akt herbei-
führen. So wird man auch in Sachsen vielfach bei der
alten Rechnung beharrt haben, bis diese im cap. 66 der
lex Sax. neben der neuen wieder ihre ausdrückliche ge-
setzliche Anerkennung in den Worten fand : 'Solidus est
duplex, unus habet duos tremisses alter solidus
tres tremisses'. Es wird damit eben jene Politik des Aus-
gleichs von Karl verfolgt, der wir, sobald seine Herrschaft
sich befestigt, wiederholt begegnen, und die Regelung erfolgt
in der Weise nach jenem cap. der lex, dass 'niaiori solido
aliae compositiones , minori homicidia componuntur'. Bei
den Wergeidsätzen soll also wieder nach alten sol. minor,
gerechnet werden, für die übrigen Bussen hingegen es sein
Bewenden haben bei der neuen fränkischen Rechnung. Auch
das findet Amira ganz unerklärlich. Sollte nicht das Motiv
zu der hier beliebten Norm in folgenden Umständen zu
finden sein?
Nach fränkischem Recht betrug das Wergeid (ohne
fredus) ISSYs, bei den Alamannen, Baiern und Thüringern
160 sol. Mit letzterer Summe stimmt die Höhe des alt-
sächsischen Freienwergeldes , 240 sol. min. (= 160 sol.
maiores), völlig überein. Die Vorschrift des capitulare Sax.,
wonach auch diese Summe in grossen sol. entrichtet werden
musste , bedeutete also eine Verpflichtung für den Tot-
schläger, die weit über das Mass der übrigen Stammes-
rechte hinausging. Ein Grund hier zu dem früheren Zu-
1) Richthofen MG. LL. V, S. 45 Anm. 60 und das dort Citierte.
Ueb. d. Entstehungszeit u. d. Einheitlichkeit d. lex Saxonum. 645
stand zurückzukehren lag um so mehr vor, als bei den
Sachsen der Adeling den Anspruch auf das sechsfache
Wergeld des Freien hatte, die Verpflichtung des Schuldners,
auch dieses in grossen sol. zu entrichten, für ihn aber eine
schier unerträgliche Verschlechterung seiner Lage bedeutete.
Hier war es also eine weise socialpolitische Massregel
Karls, wenn er die durch jene Bestimmung des capitulare
eingetretenen Uebelstände beseitigte. Dazu boten sich ihm
zwei Wege. Einmal hätte es in seiner Macht gelegen, die
Wergeidsätze unmittelbar zu erniedrigen und zu bestimmen,
dass in Sachsen fortan statt 240 nur 160 sol. als Freien-
wergeld zu entrichten sei. Statt dessen wählte er, um
denselben Zweck zu erreichen, eine conservativere Mass-
regel, indem er bei den Wergeidsätzen auf die ältere
sächsische Geldrechnung zurückgriff. Anders bei den
übrigen von der lex angedrohten Bussen. In kleinen sol.
veranschlagt und mit den Busssätzen der lex Thuringorum
als mit dem der lex Sax. zeitlich zunächst stehenden
Volksrecht verglichen, bleiben sie hinter denselben zum
Theil erheblich zurück. Ein Vergleich der lex Sax. mit
der lex Rib. führt zu demselben Resultate, auch hier sind
die sächsischen Bussen, der sol. zu 2 tremisses gerechnet,
fast ausnahmslos geringer als die ripuarischen. Hier
konnte es also der Gesetzgeber ruhig bei der durch das
capitulare Sax. eingeführten Rechnungsart bewenden lassen.
Theils blieben die Busssätze, zu grossen sol. veranschlagt,
trotzdem noch geringer als die der benachbarten Stämme ^,
und wo sie zum andern Theile dieselben überstiegen, da
war die Differenz zu Ungunsten der Sachsen in der Regel
nicht grösser, als sie bei Berechnung in kleinen sol. zu
ihren Gunsten gewesen wäre -. Erwägt man nun das be-
sondere Interesse . welches Karl daran hatte , auch in
Sachsen den fränkischen sol. zur Geltung zu bringen, so ist
es begreiflich, dass er hier überall die Rechnung nach sol.
zu 12 Denaren bestehen Hess.
Wir sehen also, dass alle von Amira beigebrachten
Gründe nicht geeignet sind, die bisher vorherrschende An-
nahme zu widerlegen, das cap. Sax. kenne nur den frän-
kischen sol. zu 3 tremisses = 12 Denaren. Steht dieser
Satz aber für uns ebenso fest, wie die unläugbare That-
sache, dass die lex Sax. neben dem fränkischen sol. auch noch
1) So betrug für die ■wlitiwa, die einem Freien zugefügt, die Busse
bei den Sachsen 120, bei den Thüringern 150 tremisses. 2) Das dem
Freien ausgeschlagene Auge kostete bei den Sachsen 120 sol. = 240
bezw. 360 tremisses Busse, bei den Thüringern 300 tremisses.
646 Walther Schücking.
den sächsischen anerkennt, so erhellt daraus, mehr noch
nach dem schon im vorausgehenden über das Verhältnis
der einzelnen sächsischen Gesetze zu einander Gesagten
als aus der grösseren Genauigkeit der Angaben der lex, dass
wir aus beiden Thatsachen auf die Priorität des capitulare
schliessen können und Amiras Angriffe gegen diesen Schluss
von Brunner ungerechtfertigt sind.
Es ist schon oben gesagt, dass Brunner denselben
Schluss auch aus einem Vergleiche der in den beiden Ge-
setzen erfolgten Schätzungen von Naturalien ziehen will.
Beide Werthtaxen beginnen mit dem Rind , dem
wichtigsten Tausch- und Zahlungsmittel bei ausgedehnter
Weidewirthschaft und mangelndem Metallgeld. Die schon
oben erörterte betreffende Stelle des cap. 11 des capitulare
wird von Brunner im Anschluss an Richthofen so gedeutet,
dass sowohl das einjährige Rind wie dasjenige ältere,
welches noch nicht zum zweiten Male eingewintert bezw.
auf die Frühjahrs weide getrieben ist, zu einem sol. maior
taxiert wird. Indem Brunner dem die Taxe aus cap. 66
der lex Sax. gegenüberstellt, nach der ein Rind von
12 Monaten einen sol. minor, ein solches von 16 Monaten
einen sol. maior werth ist, bezeichnet er die Taxe der lex als
die genauere ^
Mit Recht wendet Amira, der die auf das Rind be-
zügliche Stelle des capitulare ebenso deutet wie Brunner,
dagegen ein, das capitulare sei ebenso genau wie die lex,
es erwäge die von der lex zur Geltung gebrachten Unter-
schiede zwischen dem gerade einjährigen und dem etliche
Monate älteren Rinde sehr wohl, spreche ihnen nur die
Relevanz ab. Hingegen trifft dieser Einwand von Amira
bei unserer Auslegung des capitulare nicht zu. Veran-
schlagt dieses nur das im Sommer auf der Weide geborene
Kalb zur Zeit des zweiten Einwinterns, das im Winter im
Stalle geborene zur Zeit des zweiten Frühjahrsaustreibens
zu einem sol. maior, so kann man wirklich in der Taxe
der lex eine Fortentwicklung der Bestimmung des capitulare
erblicken. Die lex wäre dann nicht nur darin das genauere
Gesetz, dass sie in dem zwölfmonatlichen Rind das
1) Boretius, der ebenfalls der Deutung folgt, welche Richthofen
der betreffenden Stelle des capitulare giebt, sucht den danach bestehenden
Widerspruch zwischen der Taxe des Hindes in dem capitulare und der
lex dadurch hinwegzuräumen, dass er die Werthtaxe der lex für eine
spätere Privatnotiz erklärt oder, falls das Schlusscapitel authentisch sei,
eine Veränderung des Geldwerthes in der Zeit zwischen beiden Gesetzen
annimmt. Für beide Hypothesen fehlt es aber an dem nöthigen Anhalt.
Ueb. d. Entstehungszeit u. d. Einheitlichkeit d. lex Saxonum. 647
Aeqnivalent für den sol. minor bestimmt, sondern auch in
dem Punkte, dass sie einfacher und klarer mit dem Alter
von 16 Monaten den Zeitpunkt festsetzt, zu welchem das
ältere Rind den Werth von einem sol. maior erreicht hat.
Die Richtigkeit unserer Auslegung des capitulare
vorausgesetzt, spräche also auch von diesem Gesichtspunkte
aus die Wahrscheinlichkeit für das höhere Alter des
capitulare.
Amira weist endlich noch darauf hin, dass das
capitulare viel mehr Gegenstände bei der in cap. 11 ge-
gebenen Werthtaxe berücksichtige als die lex in cap. 66.
Allerdings ist nicht zu bestreiten, dass im Gegensatz zum
capitulare die lex sich, abgesehen von den jüngeren und
deshalb hier nicht in Betracht kommenden Zusätzen, ganz
auf die Veranschlagung des 12 monatlichen Rindes zum
sol. minor und des 16 monatlichen zum sol. maior beschränkt
und ersterem nur noch das 'ovis cum agno' gleichstellt.
Wir möchten jedoch aus der Thatsache, dass die Werthtaxe
des capitulare die umfassendere ist, nicht mit Amira darauf
schliessen, die bezüglichen Bestimmungen des capitulare
seien nur die Ergänzung der Taxe der lex und letztere
deshalb das ältere Gesetz.
Das Beispiel der lex Thuringorum, in welchem eine
Werthtaxe für die zur Busse hingegebenen Naturalien über-
haupt fehlt, lehrt uns, dass zu jener Zeit derartige Ver-
anschlagungen jedenfalls nicht als ein integrierender Be-
standtheil einer Codifikation des Volksrechtes angesehen
wurden. Wir finden sie deshalb in der lex Sax. auch nur
im engsten Zusammenhang mit den Bestimmungen der lex
über die Münzverhältnisse. Die Eigenartigkeit der letzteren
in Sachsen machte es nothwendig, dass in der lex ein
Aeqnivalent für beide Arten des sol. festgestellt wurde.
Wenn aber das capitulare eine ganze Reihe solcher Aequi-
valente für den sol. maior aufstellt, so geschieht das um
den Werth dieser in Sachsen bis dahin nicht gebräuchlichen
Münze möglichst genau zu bestimmen. Gerade die Aus-
führlichkeit des capitulare in diesem Punkte deutet darauf
hin, dass es sich hier um eine Neu -Einführung handelt.
Die lex konnte sich mit einem Aeqnivalent für den sol.
maior begnügen, weil er zu ihrer Zeit schon bekannter war,
wie die lex Thuringorum gar kein Aeqnivalent für den sol.
aufstellt, weil der Werth desselben in Folge seiner langen
Geltung ausser Zweifel war.
Endlich möchten wir, um die Priorität des capitulare
darzuthun, noch auf das Verhältnis des cap. 36 der lex
zum cap. 3 des capitulare hinweisen. Indem das cap. 36
648 Walther Schücking.
der lex als Friedensgeld beim Diebstahl den altsächsischen
Satz von 12 sol. von dem nobilis und einen entsprechenden
Bruchtheil von dem Freien und Liten fordert, scheint es
cap. 3 des capitulare vorauszusetzen , nach welchem in
Sachsen für den kleinen Bann wieder der altsächsische
Satz von 12 sol. für den nobilis eingeführt wurde. Andern-
falls hätte das Verhältnis zwischen dem fredus des cap. 36
der lex und dem minor bannus, wie ihn cap. 31 der cap.
de part. Sax. angeordnet, etwas sehr Auffallendes, da das
Friedensgeld und der kleine Bann meistens dieselbe Summe
betrug.
Aus allen diesen Gründen kann also gegen die Be-
nutzung des Cap. leg. Rib. add. vom Jahre 802 bezw. 803
bei der Redaction der lex Sax. nicht geltend gemacht
werden, die Redaction der lex Sax. sei schon vor 797
erfolgt. Diese Abhängigkeit der lex Sax. von dem Cap.
leg. Rib. add. ist aber, wie zu Eingang unserer Erörterung
dargelegt, auch sonst unanfechtbar. Wenn Brunner nun
wie Andere vor ihm eine gleichzeitige Entstehung der lex
Sax. mit jenem capitulare auf der Reichsversammlung zu
Aachen im Spätherbst 802 annimmt, so sprechen dafür
gewichtige Gründe in folgenden Stellen der Geschichts-
quellen jener Zeit. Das Chron. Lauresham. berichtet zum
Jahre 802^: 'Et mense Octobrio congregavit (Karolus)
universalem synodum in Aquis .... Et ipse Imperator
Interim, quod ipsum synodum factum est, congregavit duces,
comites et reliquum populum Christianum cum legislatoribus
et fecit omnes leges in regno suo legere et tradere uni-
cuique homini legem suam et emendare, ubicumque necesse
fuit, et emendatam legem scribere, ut iudices per scriptum
iudicassent et munera non accepissent, sed omnes homines,
pauperes et divites in regno suo iustitiam haberent'. Dazu
berichtet Einhard in seiner vita Karoli c. 29^: 'Post su-
sceptum imperiale nomen cum adverteret, multa legibus
populi sui deesse — nam Franci duas habent leges in
plurimis locis valde diversas — cogitavit, quae deerant
addere et discrepantia unire, prava quoque ac perperam
prolata corrigere. Sed de his nihil aliud ab eo factum
est, nisi quod pauca capitula et ea imperfecta legibus
addidit. Omnium tamen nationum, quae sub eins
dominatu erant, iura, quae scripta non erant,
describere ac litteris mandari fecit'. Hier ist
1) Vgl. S. 363 Anm. 5, dazu Chron. Moissiac. ad a. 802 MGr. SS. I,
p. 307. 2) Schulausgabe von Waitz, 4. Aufl. S. 24.
Heb. d. Entstehungszeit n. d. Einheitlichkeit d. lex Saxonum. 649
uns doch in durchaus glaubwürdiger Weise berichtet, dass
sich Karl auf jenem Aachener Reichstage nicht auf die
Revision älterer Volksrechte und ihre Ergänzung beschränkt
hat, sondern dass es dabei auch zu einer Codifikation von
ungeschriebenen Volksrechten gekommen ist. Geht man
aber die sämmtlichen aussersächsischen Volksrechte durch,
so kann nur die lex Thuringorum und die lex Chamavorum
um jene Zeit abgefasst sein. Letztere ist aber kaum ein
eigentliches Stammesrecht zu nennen, da die chamavischen
Franken, ribuarischen Stammes, nur in einzelnen Punkten
ein Sonderrecht hatten. Einhard hat bei dieser Nachricht
aber offenbar mehrere Stammesrechte im Auge, und so
liegt denn der Schluss nahe, dass es damals auch gleich
zur Aufzeichnung des sächsischen Rechtes gekommen ist.
Auch klingt es wie eine Bestätigung dieser Vermuthung,
wenn der Poeta Saxo zum Jahre 803 sagt ^ :
Tum sub iudicibus, quos rex inponeret ipsis,
Legatisque suis permissi legibus uti
Saxones patriis et libertatis honore.
Wohl mit Recht hat deshalb auch Schröder ^ das
Jahr 802 als muthmassliche Entstehungszeit der lex Sax.
bezeichnet. Verlegt man aber die Entstehung der lex Sax.
auf jenen Aachener Reichstag von 802, so muss man im
Hinblick auf diese Quellenstellen durchaus daran festhalten,
dass es sich hier um einen gesetzgeberischen Akt Karls
des Grossen handelt, nicht nur um die kaiserliche An-
regung zu einer privaten Compilation von einzelnen Stücken,
wie solches zuletzt wiederum von De Geer behauptet ist^.
Die Einheitlichkeit der lex Saxonum.
Ob die lex. Sax. ein einheitliches Gesetz oder aus
mehreren Satzungen zusammengestellt sei , bezeichnet
Brunner noch als eine Streitfrage. Sehen wir von den
älteren Erörterungen Spangenbergs ^ und Wigands ^ ab, so
ist eine Zeit lang die von Merkel in der Einleitung seiner
Ausgabe der lex Sax. vorgetragene Lehre, wonach cap. 1 — 23
der lex von 782, cap. 24 — 60 aus der Zeit zwischen 785
und 797 und cap. 61^ — 66 frühestens von 798 stammen und
1) MGr. SS. I, p. 261. 2) Schröder, Deutsche Kechtsgeschichte
2. Aufl. S. 243. 3) De Geer, Xieuwe Bijdragen voor Rectsgeleerdheit
en Wetgeving NR. Deel n, 1874, S. 410 — 455. 4) Spangenberg, Bei-
träge zu den Deutschen Rechten des Mittelalters, Halle 1822. S. 181.
5) Wigand, Archiv für ältere Geschichtskunde IV, S. 346.
650 Walther Schücking.
diese getrennten Stücke um 802 vereinigt sein sollen,
herrschend gewesen. So haben sie Abel, Stobbe, Walter,
Siegel, vorübergehend auch Waitz vertreten^. Das Ver-
dienst, dieselbe zuerst in ausführlicher Darlegung bekämpft
zu haben, gebührt Usinger. Aber während Usinger dabei
von der gänzlich unhaltbaren Ansicht ausgeht, die lex
Saxonum sei überhaupt nur eine Privatarbeit, hat Richt-
hofen in seinem ungefähr gleichzeitigen Werke an Merkels
Lehre eine vernichtende Kritik geübt, ohne dabei Usingers
verfehlten Standpunkt hinsichtlich des Charakters der lex
zu theilen. Seit Usinger und Richthof en neigt die
herrschende Lehre dazu, die lex Saxonum als einheitliches
Gesetz zu betrachten -. Einhelligkeit herrscht jedoch nicht
darüber, namentlich haben Boretius^ und De Geer* eine
Zusammensetzung der lex aus einzeln Theilen behauptet,
ohne dass ihre Ausführungen bis jetzt eine eingehendere
Würdigung gefunden hätten ''.
Wie vor ihm schon Merkel stützt sich Boretius auf
die Thatsache, dass eine der uns überlieferten 4 Hss.
der lex Sax. zu dem cap. 24 die Ueberschrift lex Francorum
trägt. Er spricht die Vermuthung aus, dass diese Notiz
im Original der Spangenbergischen Hs. am Rande ge-
standen habe und von dem Abschreiber fälschlich vor
cap. 24 statt vor cap. 21 gesetzt worden sei, und fährt
dann fort: 'In unserer Praxis ist uns wenigstens eine
solche Einschaltung von Randbemerkungen an einer falschen
Stelle des Textes schon öfters vorgekommen und wie oben
bemerkt, hat dieselbe Spangenberger Hs. auch andere
Marginalglossen am unrichtigen Ort eingefügt'. Boretius
begeht hier aber das auffallende Versehen, die Notiz 'lex
Francorum' plötzlich in den Spangenbergischen codex zu
versetzen, während sie thatsächlich nur in der Corveyer
Hs. enthalten ist. Es lassen sieh also aus Fehlern der
Spangenbergischen Hs. keine Schlüsse machen in Bezug
auf jene Notiz! Trotzdem könnte die Vermuthung von
1) Abel, Jahrbücher des fränkischen Reichs unter Karl dem Grossen,
1860, S. 344. Walter, Deutsche Rechtsgeschichte, 1857, S. 162. Siegel,
Geschichte des Deutschen Gerichtsvei-fahrens, 1857, I, S. 282. Stobbe a.
a. 0. S. 187. Waitz, Verfassungsgeschichte Bd. III, 1860, S. 119, 130, 132
und 144, vgl. aber denselben Autor in Göttinger Gelehrte Anzeigen von
1869 S. 364 wo er stillschweigend seine frühere Ansicht über die Drei-
theilung der lex zurücknimmt. 2) Vgl. Schröder a. a. 0. S. 242. Brunner
a. a. O. S. 347. 3) Boretius a. a. 0. S. 148. 4) De Geer, Nieuwe
Bijdragen voor Rectsgeleerdheid N. R. Deel. II, 1874, S. 419 ff. 4) Ausser
von den Genannten wird die Streitfrage nur noch von Amira in seiner
Kritik der Richthofen'schen Ausgabe der lex Sax. (Hist. Zeitschr. N. F.
Bd. IV, S. 306 ff.) berührt.
Ueb. d. Entstehtmgszeit u. d. Einheitlichkeit d. lex Saxonum. 651
Boretius richtig sein, dass schon das dem Abschreiber von
Corvey vorliegende Original die Notiz 'lex Franc' enthalten
habe. Boretius will sie dann also vor cap. 21 setzen, auf
den ganzen nachfolgenden Theil der lex Ijeziehen und als
Beweis für die Zusammensetzung der lex aus getrennten
Stücken betrachten. Unseres Erachtens irrt er jedoch in
allen drei Punkten.
Es lässt sich zwar nicht bestreiten, dass mit cap. 21
ein neuer Abschnitt des sächsischen Gesetzbuches beginnt.
Während die ersten 20 cap. ausschliesslich die Bussen für
Verletzungen und damit altsächsisches Volksrecht behandeln,
drohen die zunächst folgenden Strafen für Vergehen an,
die, wie Mord in der Kirche oder Hochverrath gegen den
fränkischen König, nur zu Zeiten fränkischer Herrschaft
denkbar sind ; in diesen cap. sind die nobiles, deren Statut
der erste Theil der lex auch nach Boretius sein soll, mit
keinem Worte erwähnt. Trotzdem ist es u. E. kein Fehler
des Abschreibers, dass die Ueberschrift lex Franc, nicht
vor cap. 21 sondern vor cap. 24 steht. Denn cap. 24 — 26
sind, wie Richthofen nachgewiesen hat, inhaltlich aus dem
ersten Gesetz der fränkischen Sieger, der capitulatio de
partibus Saxoniae cap. 11 — 13, geschöpft und enthalten
nur gelegentlich der neuen Redaction in cap. 26 eine
Ergänzung dahin, dass auch das Leben des Sohnes wie die
Geschlechtsehre der Frau und Mutter des dominus be-
sonders geschützt werden ^ Jene Notiz in der Corvejer
Handschrift und vielleicht auch ihrem Original bedeutet
also nur einen Hinweis darauf, dass diese Bestimmungen
ans dem Gesetz des Siegers entnommen seien.
Mit dieser Erklärung für die Notiz fällt aber zugleich
die völlig unhaltbare Behauptung von Boretius, dass durch
die Notiz 'lex Franc' der fränkische Charakter des zweiten
Theils der lex Sax. gekennzeichnet werden solle. Und wie
steht es denn in Wirklichkeit um diesen aussersächsischen
Charakter des zweiten Theils des Gesetzes, den Boretius
von cap. 21 — 66 rechnet? Enthält er nicht ganze Ab-
schnitte z. B. über eheliches Güter- und über Erbrecht,
1) Vgl. cap. 11 — 13 der capitulatio: 'Si quis domino regi infidelis
apparuerit, capitali sententia puuietui'. Si quis filiam domini sui rapuerit,
morte moriatur. Si quis dominum suum vel dominam suam interficerit,
simili modo punietur' mit cap. 24 — 26 der lex Sax.: 'Qui in regnum vel
in regem Francorum vel filios eins de morte consiliatus fuerit, capite
puniatur. Qui dominum suum occiderit, capite puniatur. Qui filium do-
mini sui ocoidei'it vel filiam aut uxorem aut matrem stupraverit, iuxta
voluntatem domini occidatur'.
652 Walther Schücking.
die wohl unzweifelhaft altsächsisches Gewohnheitsrecht in
sich bergen? Gewiss finden sich in ihm eine Reihe von
Bestimmungen, die auf den fränkischen Gesetzgeber zurück-
zuführen sind, trotzdem kann man mit Bezug auf den In-
halt nicht einmal von einem vorwiegend fränkischen Cha-
rakter jenes angeblichen zweiten Theiles sprechen ^. Will
man darunter aber nur das Zustandekommen unter frän-
kischem Einfluss bezeichnen, so ist solches auch für den
ersten Theil der lex von cap. 1 — 20 wegen der merkwür-
digen Abhängigkeit dieser cap. in Bezug auf die Anord-
nung des Stoffes von der lex Ribuariorum nicht zu be-
streiten.
Aber gesetzt selbst, Boretius hätte in den beiden
ersten Punkten recht, die aus der Vorlage des Corveyer
Abschreibers genommene Ueberschrift lex Franc, gehöre
vor cap. 21 und trenne einen rein sächsischen von einem
vorwiegend fränkischen Theile der lex, was wäre damit
denn eigentlich für die zeitlich getrennte Entstehung der
beiden Theile bewiesen? Dürfen wir doch nicht vergessen,
dass die Corveyer Hs.- unter den Texten der lex, wie Bo-
retius selbst zugeben muss, an wahrscheinlicher Treue erst
an dritter Stelle kommt. Fehlt nun in den besseren und
älteren Hss. jene Ueberschrift, so beweist dieser Umstand,
dass sie eine blosse Privatnotiz verhältnismässig späten
Ursprungs und jedes officiellen Charakters entbehrt -. Eine
solche wird aber die Vermuthung, die doch für die Ein-
heitlichkeit der lex spricht, nicht entkräften köunen.
Merkel hatte dann seine Behauptung, der erste Theil
der lex sei ein Adelsstatut aus der Zeit vor der cap. de
part. Sax., darauf stützen wollen, in jener capitulatio sei
schon auf die geschriebene lex Sax. verwiesen. Dagegen
hatte Richthof en ausgeführt, die lex Saxonum setze um-
gekehrt die capitulatio voraus. Boretius will ihm darin
uur Recht geben in Bezug auf cap. 21 — 66 der lex^, be-
1) Schon Eichhorn, Deutsche Rechtsgeschichte, 1834, Bd. I, S. 621
und Gaupp a. a. 0. S. 57 haben entschieden dagegen protestiert, die
Ueberschrift lex Franc, auf den ganzen zweiten Theil der lex zu be-
ziehen; beide betrachten sie jedoch oflenbar ganz irriger Weise für die
Ueberschrift eines eingeschobenen Theils. Waitz a. a. 0. Bd. III, 2. Aufl.
18&3, S. l-iS u. S. 159 neigt dazu, die Ueberschrift nur auf das eine
cap. 24 der lex zu beziehen. Die Richthofen'sche Auffassung hat jedoch
u. E. die gi'össere Wahrscheinlichkeit für sich. 2) Bereits Gengier,
Deutsche Rechtsgeschichte, 1849, S. 161 Anm. 98, hatte das im Gegensatz
zu den andern älteren richtig erkannt. 3) Boretius erkennt zwar nicht
an, dass aus der lex Sax. bezw. cap. 21 — 66 die Priorität der cap. de
part. Sax. hervorleuchte, hält dieselbe aber für wahrscheinlich.
Ueb. d. Entstehungszeit u. d. Einheitlichkeit d. lex Saxonum. 653
zeichnet es aber als nicht unwahrscheinlich, dass die ersten
zwanzig cap. noch vor der fränkischen Eroberung abgefasst
seien. Abgesehen davon, dass bei Anordnung der ersten
zwanzig cap., wie schon bemerkt, die lex Ribuaria zum
Vorbilde genommen ist — eine Thatsache, die der vor-
fränkischen Entstehung entschieden widerspricht — scheint
es, als ob wir in den ersten cap. selbst den Spuren frän-
kischer Herrschaft begegnen. Und zwar gerade in jenem
cap. 8, dessen Text noch von Boretius herangezogen wird,
um daraus die vorfränkische Entstehung jenes Abschnitts
der lex darzuthun. Dasselbe lautet: Quicumque gladio
stricto super alterum cucurrit et retentus ab alio fuerit, XII
sol. componat vel in manu liti sui vel sua arma iuret.
Hier finden wir also eine Bestimmung über die Form, in
der die Leistung dieses Eides geschehen soll, entweder in
die Hand des Liten oder auf die Waffen.
Erwägen wir nun, dass die ersten sieben cap. bei
der Erörterung von schweren Verletzungen sämmtlich auch
vom Reinigungseid sprechen, ohne über die Form desselben
irgend etwas zu bestimmen, ebenso die cap. 9 und 16 — 18
der lex, so wird man zugestehen müssen, dass der in cap.
8 berührte Eid, wie er allein ein Eineid ist, alle jene an-
dern aber Helfereide, auch bezüglich der Form in einem
Gegensatz zu den andern in der lex erwähnten Eeinigungs-
eiden steht. Denn wenn der Reinigungseid immer, auch
als Helfereid, in der von cap. 8 für den dort verlangten
Eineid Torgeschriebeueu Form geleistet werden sollte, so
wäre diese Form ganz sicher dort bestimmt, wo zum ersten
oder zum letzten Male der Reinigungseid erwähnt wird.
Es handelt sich also unzweifelhaft in cap. 8 um eine be-
sondere Form des hier vom Schwurpflichtigen verlaugten
Eides und diese besondere Form steht der allgemeinen
gegenüber. Erstere ist nun offenbar die altheidnische.
Der Waffeneid reicht in das höchste Alterthum hinauf,
wir begegnen ihm übereinstimmend bei den Quaden, den
Nordgermanen, den Angelsachsen und Franken ^ , und der
Eid in die Hand des Liten scheint eine nationalsächsische
Form zu sein, die uns von keinem andern Stamme bezeugt
ist, die sich aber aller Wahrscheinlichkeit nach vor der
fränkischen Eroberung gebildet hat. Liegt dann aber nicht
die Vermuthung nahe, dass die allgemeine Form die neue
christliche ist? Dagegen Hesse sich einwenden, die all-
gemeine Form könne auch eine andere altheidnische ge-
1) Brunner a. a. 0. Bd. II, S. 428.
654 Walther Schücking.
wesen sein, cap. 8 normiere nur die Form für den dort
auferlegten Eineid, für den in den übrigen Gesetzes-
stellen erwähnten Helfereid habe eine andere heid-
nische Form bestanden. In der That sind uns noch eine
ganze Reihe germanischer Eidesformen bezeugt, so der Eid
auf den Eidring, der Eid 'in circlo et in collore, in vesti-
mento vel in pecunia', der Eid in die Hand des Sippe-
genossen, und andere, alle jedoch nur für bestimmte Volks-
stämme und keiner für Sachsen. Welche Form sollte also
der altsächsische Helfereid gehabt haben? Aber auch
wenn wir annehmen, dass in Sachsen für diesen eine nicht
überlieferte Form bestanden hätte, oder eine jener andern
Formen in Gebrauch gewesen sei, weshalb sollten jene
cap. der lex dieselbe unerwähnt lassen, während die Form
für den Eineid des cap. 8 in dasselbe aufgenommen ist?
Setzen wir aber voraus, dass zur Zeit der Eedaction jener
cap. durch cap. 32 der cap. de part. Sax. der christliche
Brauch, Eide in der Kirche zu leisten, auch für das er-
oberte Sachsen allgemein vorgeschrieben war, so hat es
nichts Befremdendes mehr, wenn die lex eine Bestimmung
darüber vermissen lässt, wie im allgemeinen die Eide
namentlich der bei weitem am häufigsten geleistete Helfer-
eid abzuschwören ist, und sich darauf beschränkt, in cap. 8
festzusetzen, dass für den dort auferlegten Eineid die
heidnisch -sächsische Form beibehalten werden soll.
Erscheint schon aus diesen Gründen die Annahme,
der besonderen heidnischen Form des cap. 8 stehe als all-
gemein in den übrigen den Reinigungseid erwähnenden
cap. die christliche gegenüber, nicht unberechtigt, so er-
reicht sie u. E. einen hohen Grad von Wahrscheinlichkeit
durch die Thatsache, dass wir den heidnischen Formen
der Eidesleistung verschiedentlich in den Volksrechten
neben den christlichen begegnen und zwar als Formen
für einen minder feierlichen Eid in einer minder wichtigen
Sache. So wird nach dem edict. Rothar. c. 359 der Zwölfer-
eid nach christlicher Sitte auf die Evangelien, der Sechser-
eid auf die geweihten Waffen und der Dreiereid ein-
fach auf die Waffen geschworen. Aehnlich bestimmt die
lex Frisionum tit. XII ^ : Si servus rem magnam quamlibet
furasse dicatur vel noxam grandem perpetrasse, dominus
eins in reliquiis sanctorum pro hac re iurare debet, si vero
de minoribus furtis et noxis a servo perpetratis fuerit inter-
pellatus, in vestimento vel pecunia iurare poterit. Auch
1) MG. LL. III, p. 666.
Ueb. d. Entstehiingszeit u. d. Einheitlichkeit d. lex Saxonum. 655
hier finden wir also neben der christlichen Form der Eides-
leistung auf die Reliquien die offenbar altfriesische des
Schwurs 'in vestimento vel pecunia' für einen minder
wichtigen Eid erhalten. Vergegenwärtigen wir uns nun,
dass cap. 8 der lex Sax. die Form für einen Eineid be-
stimmt, durch den man sich vom Verdachte eines nur ver-
suchten Ueberfalls, des geringsten aller Delicte, reinigen
kann, dass es sich mithin hier auch um eine minder wichtige
Sache und deshalb auch um einen minder feierlichen Eid
handelt, so scheinen jene Analogien doch die Vermuthung
zu bestätigen, dass auch hier die heidnische Form als
die besondere der christlichen als der allgemeinen ge-
genübergestellt wird. So ist die Bestimmung des cap. 8
von Richthof en wie ßrunner gedeutet ^ und diese Deutung
scheint uns nach dem Gesagten richtig zu sein. Brunner
übersieht nur, dass sich mit dieser Annahme die oft wieder-
holte Behauptung nicht vereinigen lässt, der erste Theil
der lex Sax. sei von jeglichen Spuren der fränkischen
Herrschaft frei. Setzt die lex wirklich für alle in ihrem
ersten Theil angeordneten Reinigungseide die christliche
Form voraus, so begegnen wir dem Frankenthum ja in
der Mehrzahl der cap. jenes ersten Abschnitts; und so lassen
sich mit dem ersten Abschnitt auch cap. 21 und 22 der
lex vereinigen, welche die Strafe für den in der Kirche
geleisteten falschen Eid bestimmen.
Mit Recht hat ferner Waitz gegen die vorfränkische
Entstehung des ersten Abschnitts dessen lateinische Sprache
hervorgehoben -. Dieses Moment, dass die Sachsen vor
Karl dem Grossen ihr Recht doch nicht in lateinischer
Sprache aufgezeichnet hätten, ja bei der Abgeschlossenheit
und Rückständigkeit ihrer Kultur gar nicht hätten auf-
zeichnen können, spricht so entschieden gegen die frühere
Abfassung jenes Abschnitts, dass, wer doch an dieser Be-
hauptung festhalten wollte, in dem uns heute vorliegenden
lateinischen Texte schon eine zu karolingischer Zeit in
Zusammenhang mit der Redaction des angeblich zweiten
Theiles erfolgte Uebersetzung sehen müsste.
Einen ferneren Grund für seine Theilung der lex
findet Boretius darin, dass dieselbe, wäre sie wirklich ein-
heitlich, durch die Bestimmungen über die Verletzung von
1) Vgl. Richthofen MG. LL. V, p. 50, wo derselbe seine Armahme
mit den oben erwähnten Stellen aus dem langob. u. fries. Recht be-
gründet. Brunner a. a. 0. Bd. II, S. 428; Bd. I, S. 347 Anm. 10. 2) Waitz
a. a. 0. Bd. in 2. Aufl., S. 157 Anm. 1.
Neues Archiv etc. XXIV. 42
656 Walther Schücking.
Kirche und König eingeleitet sein müsste. Aber der Ver-
gleich mit der verwandten lex Thuringorum \ deren Einheit
nicht bestritten wird, lehrt, dass Boretius mit seiner Be-
hauptung im Unrecht ist. Auch sie beginnt mit dem
Todtschlag des Adelings und es fehlt in ihr sogar völlig
an irgend welchen Bestimmungen in Bezug auf König und
Kirche. Diese Wahrnehmung rechtfertigt den an sich
wahrscheinlichen Schluss, dass es bei der Aufzeichnung
der Stammesrechte Karl nicht darum zu thun gewesen ist,
in denselben an erster Stelle Rechtssätze in Bezug auf
seine Herrschaft und die christliche Kirche zur Anerkennung
zu bringen; dazu dienten ihm die Capitularien. Ja bei
dem Vergleiche mit der lex Thuriug. erscheint es vielmehr
als etwas Ausserordentliches, dass dergleichen Bestimmungen
überhaupt bei der Redaction der lex Sax. in dieselbe auf-
genommen wurden. Letztere Thatsache erklärt sich u. E.
auch nur aus dem Bestreben, die betreffenden Rechtssätze
der Capitularien zu ergänzen, zu erweitern und neu zu
fassen. In dieser Absicht benutzte man die Aufzeichnung
des sächsischen Volksrechts zur Einschaltung der hierauf
bezüglichen Bestimmungen an geeigneter Stelle. Letztere
aber fand sich dort, wo man von den todes würdigen Ver-
brechen überhaupt handelte, nämlich im zweiten Theil der
lex cap. 31—38.
Denn Boretius irrt, wenn er behauptet, dass zuerst
in cap. 1 — 20 der lex von allen möglichen Verwundungen
und Vergehen gehandelt wird, dann von cap. 21 an von
todeswürdigen Verbrechen gegen Kirche und Religion, den
Franken -König, den dominus und die domina, und nun
wieder von allerhand geringeren Delicten geredet werde
und dass diese völlige Dispositionslosigkeit sich nur aus
einer getrennten Entstehung einzelner Theile erklären lasse.
Im Gegentheil ist die Disposition (die ersten zwanzig cap.:
Verletzungen der Person und ihre Bussen, die cap. 21 — 38
todeswürdige Verbrechen ') so streng durchgeführt , dass,
abgesehen von einzelnen Bestimmungen, die nur des offen-
1) Wie oben gesagt, wahrscheinlich um 802 verfasst. Der Vergleich
mit dieser liegt viel näher als der von Boretius herangezogene mit der
lex Alam. (nach Brunner von 717 — 719) und der lex Bai. (nach Brunner
von 74.4 — 748), weil letztere beiden unter wesentlich anderen Bedin-
gungen, nämlich unter dem starken Einfluss der herzoglichen Gewalt zu
Stande gekommen sind. 2) Des weiteren: cap. 39 Beweisregeln als
Anhang; cap. 40 — 49 Familien und Erbrecht; cap. 50 — 60 Haftung für
(eigenes und fremdes) Verschulden und Zufall; cap. 61 — 65 Veräusserungen ;
cap. 66 Schätzungen für Busszahlungen.
Ueb. d. Entstehungszeit u. d. Einheitlichkeit d. lex Saxonum. 657
baren Zusammenhangs wegen hier ihre Stelle gefunden ^,
nur das einzige cap. 37 ein Delict eigener Art behandelt,
das mit der Todesstrafe bedroht ist. 'Qui homini in hoste
vel de hoste, ad palatium vel de palatio pergenti malum
aliquid fecerit, in triplo componat'. Schon cap. 26 des cap.
de part. Sax. hatte bestimmt: 'Ut nulli hominum contra-
dicere viam ad nos veniendo pro iustitia reclamanda aliquis
praesumat, et si aliquis hoc facere conaverit, nostrum ban-
num solvat'. Jetzt wird der besondere Schutz des auf der
Fahrt zum König Begriffenen auf den in den Feldzug Aus-
rückenden, sowie die von der königlichen Pfalz oder dem
Feldzug Heimkehrenden ausgedehnt. Gleichzeitig aber
nimmt dieser Schutz eine billigere Form an, der Uebel-
thäter soll hinfort nicht mehr die Bannbusse zahlen, sondern
dem bei der Ausübung seiner staatsbürgerlichen Pflichten
und Rechte Verletzten wird ein Anspruch auf die dreifache
Sühne gegeben. Damit war dem Geschädigten mehr ge-
holfen als durch die Zahlung des Bannes seitens des Ver-
letzers an den König bezw. den Grafen, gleichzeitig aber
durch die dreifache Sühnepflicht auch die durch das Delict
kundgegebene Missachtung der höchsten Gewalt gebührend
bestraft. Und im Hinblick auf diesen staatsverletzenden
Charakter des Delicts reihte man jene Bestimmung in
den Abschnitt der lex über todeswürdige Verbrechen ein,
weil darin die andern Delicte gegen König, Staat und
Kirche zur Sprache gekommen. In der That wird die
Einheitlichkeit des zweiten Theils der lex und die Disposition
des Ganzen durch die Einschiebung an dieser Stelle am
wenigsten gestört.
Wenn Boretius des weiteren gegen die Einheitlichkeit
der lex den äusseren Umstand in das Feld führt, dass die
ersten zwanzig cap. meistens mit Si, die folgenden durch-
weg mit Qui beginnen, so vermag auch das nichts zu be-
weisen. Denn erstens beginnen von den ersten zwanzig
cap. auch vier relativisch, aber abgesehen davon erklärt
sich das Vorherrschen der bedingenden Form in jenem
ersten Abschnitt sehr einfach durch die oben schon mehr-
fach berührte, nicht hinweg zu leugnende Thatsache, dass
die lex Eib. in der Anordnung den ersten zwanzig cap.
1) Nämlich cap. 18: 'capitis damnatus nusquam habet pacem, si in
ecclesiam confugerit, reddatur' und cap. 36, anhangsweise hinzugefügt,
weil in cap. 35 der todeswürdige Diebstahl behandelt ist: Quicquid vel uno
denario minus tribus solidis quislibet furto abstulerit, novies componat,
quod abstulit; et pro fredo, si nobilis fuit, soUdos XII, si über VI, si
litus IV et conscius similiter.
42*
658 Walther Schücking.
der lex Sax. zum Vorbild gedient hat und erstere ihre
Rechtssätze in die Form der Bedingung kleidet. In dem
cap. 21 und folgenden der lex Sax., wo man das Vorbild der
lex Rib. hat fallen lassen, bedient man sieh dann der, wie
das Beispiel der lex Thuring. zeigt, im Gesetzesstil jener
Zeit beliebten relati vischen Wendung.
Wenden wir uns endlich der Betrachtung des Um-
standes zu, dass inhaltlich die ersten zwanzig cap. der lex
sich vorzüglich mit den nobiles befassen, während die
folgenden nur zwei gelegentliche Bezugnahmen auf die
Sonderstellung der nobiles enthalten^. Trotz dieser auf-
fälligen Thatsache scheint uns Boretius in der Annahme
zu irren, die ersten zwanzig cap. bildeten ein Adelsstatut.
Da uns die lex als ein einheitliches Volksrecht überliefert
ist, so spricht die Vermuthung offenbar gegen den be-
sonderen Charakter jenes Abschnitts. Untersuchen wir zu-
nächst, ob der Inhalt der ersten zwanzig cap. geeignet ist,
einen zwingenden Beweis gegen diese Vermuthung zu
liefern. Das scheint auf Grund folgender Erwägungen ver-
neint werden zu müssen. Es finden sich in jenem Abschnitt
eine Reihe von Bestimmungen die u. E. in ein Adelsstatut
kaum Aufnahme gefunden hätten Cap. 16 der lex be-
stimmt das Wergeid des Liten auf 130 sol. ohne dass da-
bei zum Ausdruck gelangte, der Herr des Liten sei ein
nobilis. Nun wird allerdings von Boretius auf Grund der
Thatsache, dass die vorhergehenden cap. ihrem Wortlaute
nach ausschliesslich von nobiles handeln 2, angenommen,
es sei auch hier nur an den Liten eines nobilis gedacht.
Gegen diese Annahme scheint der Umstand zu sprechen,
dass der Lite eines nobilis kein anderes Wergeid besass
wie der eines Freien. Deshalb wäre es u. E. auffällig
dieser Bestimmung in einem Adelsstatut zu begegnen, d. h.
einem Gesetz, welches Normen aufstellt, die dem Adel
eigenthümlich sind. Dasselbe gilt aber von cap. 17, das
ein Wergeid für den Sklaven bestimmt, cap. 18, das den
umgekehrten Fall wie cap. 16, nämlich die Haftpflicht des
Herrn für einen von seinem Liten verübten Todtschlag
behandelt, und von cap. 19, das normiert, in welcher Weise
die Mordbusse von den dazu verpflichteten Personen auf-
gebracht werden soll. Alle diese cap. schweigen darüber,
welchem Stande der Herr des Sklaven oder Liten bezw.
der heimliche Mörder angehört, und wenn man annimmt,
1) Vgl. cap. 36 und cap. 64. 2) Ausgenommen cap. 15, welches
aber auf die vorhergehenden Bezug nimmt.
Ueb. d. Entstehungszeit u. d. Einheitlichkeit d. lex Saxonum. 659
es sei in allen Fällen ein nobilis, so befremdet es u. E.,
die betreffenden Rechtssätze in einem Adelsstatut zu finden,
da sie materiell unzweifelhaft allen Ständen gemeinsam
sind. Man könnte uns allerdings einwenden, wir zögen
den Begriff des Adelsstatuts zu eng. Rechtssätze von so
hervorragendem Interesse für den Edeling wie diese hätten
sehr wohl in einem Adelsstatut Aufnahme finden können,
obgleich sie dem gemeinen Rechte angehörten. Diesem
Einwand glauben wir aber mit dem Hinweis darauf be-
gegnen zu können, dass für einen so sehr erweiterten Be-
griff des Adelsstatuts der Inhalt des ersten Abschnitts
wiederum zu dürftig ist. War es für den Edeling denn
nicht auch von hohem Interesse, wie hoch er für den
Totschlag eines Freien haftete ? Und doch findet sich in
der lex keine Bestimmung darüber. Aus doppeltem Grunde
also, einmal weil es im Gesetz nicht zum Ausdruck gelangt
ist, dass es sich in cap. 16- — 19 nur um Angehörige der
nobiles handelt, ferner weil die Bestimmungen dieser cap.
dem Inhalte nach gemeines Recht darstellen, scheint
uns der Gedanke näher zu liegen, ihre Geltung sei auch
formell nicht auf den Kreis der Edelinge beschränkt.
Dann aber müsste man, um in dem ersten Theile der lex
Sax. allenfalls ein Adelsstatut sehen zu können, diesen
ersten Abschnitt weder mit Merkel bis zum 28 (incl.) noch
mit Boretius bis zum 20 (incl.), sondern nur bis zum cap. 15
(incl.) rechnen. Aber auch diese Hypothese würde sich
nicht aufrecht erhalten lassen. Widerspricht ihr doch die
schon so häufig erwähnte Thatsache, dass die ersten zwanzig
cap. der Anordnung der lex Rib. folgen und deshalb
wenigstens unter sich offenbar zusammen hängen. Wer
also die oben dargelegte Auffassung der cap. 16 — 19 theilt,
dem wird es zweifelhaft erscheinen, ob überhaupt ein
Adelsstatut vorliegt und er wird den Gedanken an ein
solches fallen lassen, sobald sich eine andere annehmbare
Erklärung für die Thatsache findet, dass die ersten 15 cap.
der lex ihrem Wortlaute nach ausschliesslich Rechtssätze
für die nobiles enthalten. Eine solche Erklärung wäre
gegeben, wenn wir annehmen dürften, es sei eine redactio-
nelle Eigenthümlichkeit der lex, dass sie auch dort Rechts-
normen für alle Stände schaffen will, wo sie wörtlich nur
Rechtssätze für die zur nobilitas gehörigen ausspricht. Ist
es der Wille des Gesetzes, dass aus dem, was für den nobilis
gilt, auf das Recht des Freien geschlossen werden solle,
so wären alle Zweifel darüber, ob die ersten zwanzig cap.
der lex auch in eine Codification des gemeinen sächsischen
Stammesrechtes hineinpassen, hinweg geräumt.
660 Walther Schücking.
Dafür, dass wir zu dieser Annahme berechtigt sind,
sprechen u. E. folgende Erwägungen.
Wenn es in cap. 1 der lex heisst: 'De ictu nobilis
30 sol. vel si negat tertia manu iuret', so ist ausdrücklich
der Geschlagene als ein nobilis hingestellt. Es ist aber
offenbar auch der Schläger als ein nobilis gedacht worden.
Denn in cap. 17 wird bei einer Geldbusse von 36 sol. als
Reinigungseid vom nobilis ein Dreiereid, vom Freien und
Liten hingegen ein Zwölfereid gefordert. Es wäre aber
offenbar widersinnig, wenn in dem Falle des cap. 17 der
Freie einen Zwölfereid, in dem Falle des cap. 1 aber nur
einen Dreiereid zu leisten hätte, da in beiden Fällen die
Streitsache annähernd gleich ist, von dieser aber nach
allen Stammesrechten die Grösse des Eides in erster Linie
abhängt. Der scheinbare Widerspruch zwischen cap. 1 und
cap. 17 lässt sich mithin nur durch die Annahme hinweg-
räumen, als Schwurpflichtiger sei für den in cap. 1 gefor-
derten Dreiereid auch ein nobilis gedacht, eine Annahme
die auch bisher immer vertreten worden ist^. Behandelt
danach also wirklich jenes cap. 1 nur den Fall, dass ein
nobilis einen andern nobilis verletzt hat, so hat doch Nie-
mand daran gedacht, die ratio legis auf diesen Fall zu
beschränken. Auch diejenigen, welche in dem ersten Theil
der lex ein Adelsstatut sehen, werden zugestehen müssen,
dass cap. 1 wahrscheinlich auch eine Norm schaffen will
für den Fall, dass der nobilis von einem Freien geschlagen
worden ist. Denn dass der Schlag gegen den Adeling auch
gerade wieder von einem Adeling geführt ist, ist doch
sicherlich nur ein Ausnahmefall. Galt es in cap. 1 aber,
die Rechte des geschlagenen Adelings festzulegen, so musste
doch offenbar daran gedacht werden, welche Rechte dieser
gegenüber einem Freien als Schläger hatte. Darüber aber
schweigt cap. 1 der lex. Es bleibt uns also nur übrig
anzunehmen, dass nach dem Willen des Gesetzes von dem
Reinigungseid, der in cap. 1 von einem nobilis als Schläger
gefordert wird, auf den Reinigungseid geschlossen werden
muss, den im gleichen Fall der Freie zu leisten hätte.
Geht man aber einmal davon aus, dass die ratio legis eine
umfassendere sei, als sich nach dem wörtlichen Inhalt
zunächst vermuthen lässt, so möchten wir die Frage auf-
werfen, ob man nicht mit demselben Rechte, mit dem man
einerseits aus dem Reinigungseid des adeligen Schlä-
gers auf den des freien Schlägers schliessen zu müssen
1) Vgl. ßichthofen MG. LL. V, p. 48 Anm. 55.
Ueb. d. Entstehungszeit u. d. Einheitlichkeit d. lex Saxonum. 661
glaubt, auch annehmen darf, es sei andrerseits nach dem
Willen des Gesetzes aus dem Bussanspruch, der dem ge-
schlagenen nobilis gegeben wird, auf den Bussanspruch
des geschlagenen Freien zu schliessen. Diese Annahme
erscheint doch so lange zulässig, als der besondere Charak-
ter des ersten Abschnittes der lex Sax. als eines Adels-
statutes nicht erwiesen ist. Dasselbe was aber von cap. 1
der lex Sax. gilt, muss dann für alle übrigen cap. des
ersten Abschnittes zutreffen, soweit solche sich anscheinend
auf Bestimmungen über Rechte und Pflichten der nobiles
beschränken. Wir wären auch hier berechtigt, implicite
die Bussansprüche der anderen Stände normiert zu sehen,
und diese Berechtigung würde uns der Annahme überheben,
der erste Theil der lex Sax. habe den besonderen Charakter
eines Adelsstatuts.
Etwas Befremdendes hätte die Fassung der lex aller-
dings in diesem Falle, aber bei eingehenderer Beschäf-
tigung mit der lex Sax. nehmen wir wahr, dass der Inhalt
doch in etwas dem entspricht. Wie nach cap. 16 der lex
die Busse für Verletzungen des Liten überall nach der
Busse für Verletzungen des nobilis und nicht des Freien
berechnet werden soll, ebenso wird nach cap. 36 der lex
Sax. das normale Friedensgeld von dem nobilis gezahlt,
und das Friedensgeld des Freien bildet nur einen Bruchtheil
davon; der nobilis zahlt 12, der Freie 6, der Lite 4 soL, es steht
also auch das Friedensgeld des Freien der Höhe nach,
dem des Liten näher wie dem des nobilis. ßichthofen
will allerdings einen Textverderb annehmen und die Zahl
4 durch 3 ersetzt wissen \ so dass sich das Verhältnis von
1:^/2: V4 zwischen den Friedensgeldern der einzelnen
Stände ergäbe, wie solches in der Strafandrohung des cap.
■Sax. cap. 5 enthalten: 'Si quis de nobilioribus ad placitum
mannitus venire contempserit, solidos quatuor componat,
ingenui duos, liti unum' ; desgl. in den cap. 19 — 21 des
capitulare de part. Sax.
Uns scheint zu solcher Aenderung des in allen Hand-
schriften gleichlautenden Textes jedoch kein Grund vorzu-
liegen. Wo, wie im sächsischen Volksrecht, der nobilis das
sechsfache Wergeid des Freien und der Freie nur das
doppelte Wergeid des Liten hat, da wäre es geradezu
verwunderlich, wenn in Bezug auf das Friedensgeld der
Freie ganz in der Mitte zwischen nobiles und Liten stände.
1) Richthofen M&. LL. V, p. 67.
%,
662 Walther Schücking.
Auffallend ist es ja allerdings, dass nach dem vorliegenden
Texte des cap. 36 der lex Sax. die Verhältniszahlen für
das Friedensgeld der einzelnen Stände andere sind, wie in
jenen Strafandrohungen aus den älteren sächsischen Ca-
pitularien ^. Aber da die lex Sax. ihrem allgemeinen Cha-
rakter nach unzweifelhaft die spezifisch sächsischen ßechts-
anschauungen am besten wiederspiegelt, so hat es immer
etwas Missliches, den Text der lex Sax. auf Grund der Ca-
pitularien abzuändern.
Der innere Grund für die absonderliche Fassung der
lex ist also mit Richthofen in der 'in furchtbarer Weise prä-
valierenden Stellung der nobiles im alten Sachsen zu finden,
wo für den kleinen Finger eines Edelings dieselbe Busse
gezahlt werden musste, wie für einen erschlagenen Freien' "-.
Auffallend bleibt es trotzdem, dass, wenn auch die lex
Sax. das Wergeid des nobilis als das normale betrachtet,
von dem alle andern nur Bruchtheile bilden, wir wohl in
Bezug auf den Liten (cap. 16), aber nicht in Bezug auf
den Freien über die Höhe des Bruchtheils unterrichtet
werden , sondern in dieser Frage ganz auf Rückschlüsse
angewiesen sind. — Auch der letzte Beweis, den Boretius
dafür zu erbringen sucht, dass der erste Abschnitt der lex
ein Statut älteren Datums, ist u. E. nicht schlagend. Er
weist nämlich darauf hin, dass der Inhalt von cap. 18 in
cap. 50 der lex wiederkehre und glaubt darin ein Argu-
ment gegen ihre Einheitlichkeit gefunden zu haben. Wie
steht es aber in Wirklichkeit um diese angebliche Wieder-
kehr? In dem oben schon erwähnten cap. 18 ist im Zu-
sammenhang mit den in den vorausgehenden und nach-
folgenden cap. behandelten Bussen für andere Verletzungen
der von einem Liten verübte Totschlag, erörtert und es
werden Normen aufgestellt , einerseits über die Haftung
des Herrn als Anstifter und andererseits über die Bedin-
gungen (nämlich Uebergabe des Liten u. s. w.), durch deren
Erfüllung sich der Herr von dieser Haftung befreien kann.
In cap. 50 zu Beginn des vierten Abschnitts der lex, in
dem die Haftung- für fremde Handlungen und Zufall be-
handelt wird, ist dann ganz allgemein gesagt: 'Quicquid
1) Cap. 3 des cap. Sax. 'Item placuit omnibus Sax. ut ubicumque
Franci secundum legem sol. XV. solvere debent, ibi nobiliores Sax. sol.
Xn, ingenui Y, liti TV componant' kommt, weil offenbar verderbt, kaum
in Betracht. Richthofen MG. LL. V, p. 88 will auch hier 5 durch 6,
und 4 durch 3 ersetzen. Usinger a. a. 0. S. 50 beschränkt sich im Hin-
blick auf lex Sax. cap. 36 auf die gleiche Verbesserung der 5, u. E. mit
Recht. 2) Richthofen a. a. 0. (Zur lex Sax.) S. 124.
Ueb. d. Entstehungszeit u. d. Einheitlichkeit d. lex Saxonum. 663
servus aut litus iubente domino perpetravit, dominus emen-
det'. So enthält cap. 50 nur einen allgemeinen Grundsatz
in privatrechtlichem Zusammenhang, der in einem Theile
von cap. 18 auch auf einen einzeln strafrechtlichen Fall
angewandt ist ^, von einer eigentlichen Wiederholung des
cap. 18 in cap. 50 kann aber nicht gesprochen werden-.
So viel von der ünhaltbarkeit der Behauptungen von
Boretius. Ebensowenig hat nach ihm De Geer die Ver-
muthung der Einheitlichkeit der lex durch seine Aus-
führungen zu entkräften vermocht. Er will im ganzen
fünf verschiedenartige Bestandtheile der lex unterscheiden.
Prüfen wir aber die Begründung dieser Hypothese, so
stossen wir überall auf Widersprüche.
Als ersten Bestandtheil betrachtet De Geer ein an-
geblich in cap. 1 — 17 der lex enthaltenes Adelsstatut, dem
später die Bestimmungen in cap. 18—20, die durch Form
und Ausdrucksweise einen anderen Charakter zeigten, hin-
zugefügt seien. Es ist aber schon hervorgehoben worden,
dass einer Trennung der ersten 20 cap. die gemeinsame
Abhängigkeit derselben von der lex Eib. widerstreitet. Als
zweiten Theil will De Geer dann cap. 21 — 27, 29 — 30,
32 — 35 und cap. 38 angesehen wissen und darin eine nach
797 abgefasste Aufzählung der nach fränkischer Gesetz-
gebung in Sachsen todeswürdigen Verbrechen erblicken.
In diesen Abschnitt sollen cap. 28, 31, 36, 37 später ein-
geschaltet sein. Aber auch hierin wird man De Geer
schwerlich folgen können. Eine ganze Reihe der Bestim-
mungen in diesem von De Geer als fränkisch bezeichneten
Theile der lex sind ja allerdings fränkischen Ursprungs,
andere aber enthalten ziemlich zweifellos altsächsisches
Recht. Das gilt vorzüglich von den cap. 29 — 30, 32 — 35.
Das erste von diesen bestimmt: 'Qui caballum furaverit,
capite puniatur'. Abgesehen davon, dass wir der Todes-
strafe für Pferdediebstahl in den alten Volksrechten ver-
schiedentlich begegnen^, ist uns diese gerade für das alt-
sächsische Recht verbürgt. In der Lebensbeschreibung
des h. Ludger wird uns berichtet^, wie selbiger eine Auf-
1) Die Art in welcher sich die einzelnen Abschnitte der lex ihrem
Inhalte nach von einander abheben, berechtigt u. E. auf diese Abschnitte
jene Classifikation anzuwenden. Die Flüssigkeit der Grenzen zwischen
dem öffentlichen und privaten Recht jener Zeit soll damit nicht verkannt
werden. 2) Dagegen auch Amira. Hist. Zeitschr. Bd. 40, S. 308. 3) L.
Fris. add. I. 3; L. Burg. IV. 1; Cart. Senon. App. 6, MG. Form. p. 211.
Dazu Wilda, Strafrecht der Germanen, 18-i2, S. 892. 4) Diekamp, Die
Vitae S. Liudgeri, Münster 1881, S. 69.
664 Walther Schücking.
erweckung- an einem Toten vorgenommen, der den Steini-
gungstod gestorben war, weil er dem Herzog Widukind
Rosse gestohlen hatte.
Aber auch in jenen folgenden cap., die für Diebstahl
unter erschwerenden Umständen Todesstrafe androhen,
werden wir altsächsisches Eecht sehen müssen ^. Die be-
treffenden Bestimmungen der lex Sax. sind härter als die
der übrigen Volksrechte, welche den grossen Diebstahl in
erster Linie mit Geldbusse bedrohen. Das Studium der
aussersächsischen Stammesrechte, namentlich aber ein Ver-
gleich mit den fränkischen und friesischen Rechtsquellen
lehrt, dass auch hier dem Anscheine nach ursprünglich
für den schweren Diebstahl Todesstrafe gegolten hat, die-
selbe jedoch dadurch bis auf vereinzelte Fälle verdrängt
worden ist, dass man dem Schuldigen zunächst gestattete,
sich mit seinem Wergeid zu lösen, bis er schliesslich als
Strafe nur eine Greldbusse zu zahlen brauchte. Die Straf-
art, der wir in der lex Sax. begegnen, ist also die ältere
und es ist deshalb von vorn herein unwahrscheinlich, dass
sie auf einer Neuerung Karls in Sachsen beruhe. Für eine
derartige Neuerung Hesse sich auch durchaus kein Grund
finden. Wir sehen Karl im Gegentheil bemüht, im christ-
lichen Sinne die Strafen zu mildern. So bestimmt cap. 23
des capitulare vom Jahre 779, dass der Diebstahl erst im
zweiten Rückfall und zwar nur 'si non emendaverit' mit
dem Tode gebüsst werden soll -.
Enthalten aber die cap. 21—27, 29 — 30, 32 — 35 und
38 nicht wie De Geer will nur die Aufzählung der nach
der früheren fränkischen Gesetzgebung in Sachsen todes-
würdigen Verbrechen, so fällt damit der einzige Grand für
ihn hinweg, cap. 28, 31, 36 und 37, weil andern Inhalts
aus dem zweiten Abschnitt der lex als spätere Einschiebsel
auszuschalten. De Geer selbst müsste also die Einheitlich-
keit des Abschnittes von cap. 21 — 38 einschliesslich an-
erkennen, er müsste aber auch darauf verzichten, diesen
zweiten Abschnitt der lex von cap. 21 — 38 in einen Gegen-
satz zu dem ersten zu stellen und eine getrennte Ent-
stehung der beiden zu behaupten, denn sein einziger Grund
dafür ist die Annahme, der zweite Abschnitt enthalte
eine Wiedergabe fränkischer Gesetze für Sachsen. Und
diese Annahme ist unrichtig.
1) Das hat ßichthofen, Zur lex Sax. S. 311—320, überzeugend nach-
gewiesen. Wir beschränken uns in folgendem auf die Wiedergabe der
wesentlichsten Momente seiner Beweisführung und nehmen auf seine
Nachweise im einzelnen Bezug. 2) MG. LL. Capit. I, ]). 51.
Ueb. d. Entstehnngszeit vi. d. Einheitlichkeit d. lex Saxonum. 665
Als dritte Gruppe stellt De Geer dann cap. 39 mit
cap. 61 — 65 zusammen. Diese Bestimmungen sollen ihre
gemeinsame Quelle in einer älteren fränkischen Verordnung
haben. Nun zeigt allerdings cap. 39, da es einen Rechts-
satz über Beweisrecht und Beweisform enthält, eine gewisse
Verwandtschaft mit cap. 68, das sich mit denselben Dingen
beschäftigt. Aber die Zusammenstellung dieser beiden
Capitel mit cap. 61, 62 und 6-1 erscheint schon sehr ge-
wagt, da diese Capitel sich durchaus nicht mit dem Be-
weisrecht beschäftigen, sondern von der Rechtsgültigkeit
bezw. Ungültigkeit der Veräusserungen von Liegenschaften
in Folge verletzten Beispruchs- oder blossen Vorkauf srechtes
handeln. Ihrem Inhalte nach so verschiedenartige Be-
stimmungen kann man doch wahrlich nicht wegen innerer
Verwandtschaft als aus einer gemeinsamen älteren
Quelle hervorgegangen bezeichnen, vollends nicht in Ge-
meinschaft mit cap. 65. Denn cap. 65 hat folgenden
Wortlaut: 'Lito regis liceat uxorem emere, ubicumque
voluerit, sed non liceat ullam feminam vendere'. Kann
man zwischen den Rechtssätzen über Beweislast und Be-
weisform und denen in cap. 61, 62 und 64 über Ver-
äusserungen noch immer einen losen Zusammenhang darin
sehen, dass bei allen an Grundstücke gedacht ist, was in
aller Welt hätte aber die Ehe eines königlichen Liten oder
die Rechtsungültigkeit des Verkaufs eines Weibes durch
einen königlichen Liten mit der Beweislast und Beweisform
zu thun, wie sie in cap. 39 für den Fall der Vindikation
des nicht besitzenden Eigenthümers normiert ist.
Wir sehen, De Geers Behauptungen fehlt es überall
an den sachlichen Unterlagen, er verbindet Unzusammen-
hängendes und trennt Zusammenhängendes. So auch bei
der Gruppe angeblich älterer Bestimmungen, die De Geer
als ferneren vierten Bestandtheil der lex betrachtet. In
dieser Gruppe fasst er die Capitel 50 — 60 zusammen, von
denen die cap. 50 — 55 und 57 — 59 aus einer fränkischen
Verordnung über Haftpflicht schöpfen, die cap. 56 und 60
Fragmente einer späteren fränkischen Verordnung sein
sollen. Dieses Herausreissen von cap. 56 und 60 aus dem
Zusammenhang mit den übrigen Capiteln erscheint aber
zunächst durchaus unzulässig. Denn einerseits bilden die
cap. 50 — 60 einen zusammenhängenden Abschnitt der lex
über die Haftung für Verschulden und Zufall und anderer-
seits stehen innerhalb desselben wieder die cap. 54 — 60 in
einem engeren Zusammenhang. Denn nachdem in cap. 50 —
53 die Haftung^ des Herrn für den Liten und Sklaven ab-
666 Walther Schücking.
gehandelt, wendet sich der folgende Theil dieses Abschnitts
in cap. 54 — 60 der Haftung für zufällige Umstände zu. Es
sind die Fälle aufgeworfen, dass ein Baum, der gefällt
oder verbrannt werden soll (cap. 54 und cap. 55), im Nieder-
stürzen Unheil angerichtet, dass eine zum Thierfang ge-
grabene Grube oder gelegte Schlinge (cap. 56), endlich
irgend ein Hausthier (cap. 57) einen Schaden verübt hat.
Weshalb soll nun das cap. 56 an dieser Stelle eingeschoben
sein? Passt es etwa nicht in den Zusammenhang? De Geer
weiss für diese Behauptung nur anzuführen, dass der Inhalt
von cap. 56 auch in cap. 58 enthalten sei, und nimmt an, dass
cap. 58 einer fränkischen Verordnung seinem Inhalte nach
entlehnt und später noch ein Fragment dieser Verordnung,
aus der cap. 58 geschöpft habe, als cap. 56 in das Gesetz
hineingeschrieben sei. Nun stimmen allerdings cap. 56 und
cap. 58 inhaltlich völlig überein ^, aber hat De Geer's
Hypothese zu Erklärung dieses Umstandes irgend welche
innere Wahrscheinlichkeit? Wenn wirklich schon jene
angebliche fränkische Verordnung in cap. 58 dem Inhalte
nach wiedergegeben war, weshalb sollte dann später in
cap. 56 ihr Wortlaut eingeschaltet sein? So thöricht ist
doch sonst nicht bei der angebliehen Compilation ver-
fahren worden. Uns scheint es viel wahrscheinlicher, dass
die Wiederholung von cap. 56 in cap. 58 einem zufälligen
Versehen eines Abschreibers zuzuschreiben ist. Und auf
welche Thatsachen stützt sich denn eigentlich die Hypothese
De Geer's, dass cap. 56 gerade der ursprüngliche, später ein-
geschobene Text einer in cap. 58 auszugsweise wieder-
gegebenen Verordnung sei? De Geer vermag nur das eine
anzuführen, dass cap. 56 mit Qui, cap. 58 mit Si beginnt,
und da die Mehrzahl der Capitel dieses Abschitts mit Si
anfängt, so behauptet er. man habe die relativisch gefasste
fränkische Verordnung bei der Aufnahme in diesen Ab-
schnitt der Compilation in die bedingende Form gekleidet.
Dem ist entgegen zu halten, dass sogar innerhalb der
ersten 17 Capitel der lex, die selbst nach De Geer nicht
fränkischen Verordnungen entstammen, sich mitten zwischen
conditionell gefassten ßechtssätzen solche finden, die mit
einem Eelativsatz anheben. Damit fallen aber die auf
cap. 56 und 58 bezüglichen Ausführungen De Geer's in-
einander, wie ein Kartengebäude. Eben so fällt damit
1) Cap. 56 lautet: 'Qui laqueum fossam vel ad feras caiDiendas
fecerit et haec damnum cuilibet fecerint, qui eas fecit, multam solvat'.
Cap. 58: 'Si fossa vel laqueus ad feras capiendas praeparata damuum
cuilibet fecerint. a quo parata sunt componatur'.
Ueb. d. Entstehungszeit u. d. Einheitlichkeit d. lex Saxonum. 667
die Behauptung De Geer's hin, dass auch cap. 60 an dieser
Stelle nicht ursprünglich, sondern ein eingeschobenes
Fragment einer fränkischen Verordnung sei, weil es eben-
falls relativisch beginne. Passt cap. 60 doch auch vor-
züglich in den Zusammenhang der lex. Denn nachdem
cap. 57, wie erwähnt, die Haftpflicht des Eigenthümers
für den durch seine Thiere angerichteten Schaden aus-
gesprochen hat und cap. 59^ fortgefahren ist: 'Si ferrum
manu elapsum hominem percusserit, ab eo cuius manum
fugerat componatur excepta faida', behandelt cap. 60 den
Fall, dass durch Unterlassen gebotener Vorsicht nicht eine
fremde Person selbst, aber deren Vieh getötet ist. Der
Zusammenhang zwischen cap. 59 und cap. 60 ist demnach
u. E. nicht zu bestreiten.
Abgesehen davon irrt De Geer überhaupt, wenn er
in allen Bestimmungen dieser Gruppe Auszüge oder
Fragmente fränkischer Verordnungen sieht. Die Capitel
50 — 54 über die Haftung des Herrn für Delikte des
Sklaven mögen einer milderen Auffassung des Sklaven-
verhältnisses entstammen, wie sie dem christlichen Eroberer
eigenthümlich und wie wir ihr in seiner Gesetzgebung
auch sonst begegnen-. Die Bestimmungen von cap. 54 —
60 hingegen sind wohl nicht fränkischen Ursprungs, die
Verpflichtung zum Schadensersatz hat in den germanischen
Rechten überhaupt eine auffallende Ausdehnung '^ Das
älteste germanische Recht lässt sich hier allgemein so sehr
von Billigkeitsgründen für den Geschädigten leiten, dass
offenbar in einzelnen Fällen Unbilligkeiten für den un-
freiwilligen Schädiger entstehen. Wir finden also auch in
diesem Abschnitt der lex über Haftpflicht für Verschulden
und Zufall (cap. 50 — 60) einige Bestimmungen, die wahr-
scheinlich fränkischen, andere, die sicherlich altsächsischen
Inhalts, vereinigt in zweckentsprechender Anordnung und
in gleichartiger sprachlichen Fassung. Das entspricht aber
ganz jenen Nachrichten der Chroniken über die Art der
Codifikation von Volksrechten aus dem Jahre 802 ^.
Endlich erblickt De Geer in den cap. 40 — 49 , die
er als fünfte Gruppe bezeichnet, nur einen Auszug aus
einer grösseren Aufzeichnung über sächsisches Ehe- und
1) Cap. 58 übergehen wir aus dem oben angeführten Grunde.
2) Vgl. Richthofen MG. LL. V, p. 75 Anm. 31, p. 76 Anm. 35. 3) Vgl.
Wilda a. a. O. S. 544 ff. 4) Vgl. oben S. 18 ff., namentlich den Bericht
des Chrnn. Lanrpsh. 'et fecit (Karolus) omnes leges in regno suo legere
et tradere unicuique homini legem suam et emendare ubicumque ne-
cesse fuit et emendatam legem scribere, ut iudices per scriptum iudicassent'.
668 "Walther Schücking.
Erbrecht. Den Grund dafür will er darin sehen, dass die
Bestimmungen dieses Abschnitts zwar in ihren Sprach-
wendungen übereinstimmten und deshalb offenbar aus der-
selben Quelle schöpften, aber in der Aufeinanderfolge völlig
ohne Ordnung und Zusammenhang seien. Eine nähere
Prüfung ergiebt aber, dass denn doch auch die einzelnen
Capitel dieses Abschnitts in einem gewissen Zusammenhang
stehen. Cap. 40 behandelt die Heirath und belehrt uns
darüber, dass derselben regelmässig ein Kauf zu Grunde
liegt. Das folgende cap. 41 enthält den Fundamentalsatz
des sächsischen Erbrechts, dass die Söhne die Töchter bei
der Erbfolge in den Grundbesitz ausschliessen, und nach-
dem so der Uebergang des Vermögens beim Todesfalle des
Vaters geregelt ist, beschäftigen sich die folgenden vier
cap. 42 — 4.5 mit dem Uebergang der Geschlechtsvormund-
schaft nach dem Tode des Ehemanns bezw. Vaters. Im
Anschluss an die Bestimmung der lex über die Tutel der
überlebenden Tochter wird der Fall der Erbconcurrenz
zwischen der überlebenden Tochter und überlebenden Enkeln
zu Gunsten der letzteren entschieden (cap. 46), es folgen
in cap. 47 und 48 zwei Bestimmungen über das eheliche
Güterrecht, und der ganze Abschnitt wird mit einem
anhangsweise hinzugefügten Busssatz für die Entführung
einer schon Verlobten geschlossen.
Ueberblicken wir diese Bestimmungen in ihrer Ge-
sammtheit, so können wir De Geer weder darin beistimmen,
dass zwischen den einzelnen Capiteln dieses Abschnitts
keinerlei Zusammenhang bestehe, noch darin, dass gerade
dieser Abschnitt besonders fragmentarische Rechtssätze ent-
halte. Legen wir den Massstab einer modernen Codification,
in der natürlich bei einer ganz anderen Ausführlichkeit des
Gesetzbuches dessen Eechtssätze auch in einem viel engeren
Zusammenhang untereinander stehen, beiseite und ver-
gleichen diesen Abschnitt der lex mit deren übrigen Theilen
und den anderen Volksrechten, so werden wir eher Gaupp
darin Recht geben, dass in diesem Abschnitt 'die nicht
bloss kurze Berührung, sondern zumTheil ausführlichere
Darstellung der interessantesten Gegenstände dem wegen
seiner angeblichen Dürftigkeit zuweilen fast angeklagten
sächsischen Gesetze einen ganz vorzüglichen Werth ver-
leiht' K
Aus dem Gesagten erhellt zur Genüge, wie unhaltbar
die Ausführungen De Geer's gegen die Einheitlichkeit der
1) Gaupp a. a. O. S. 137.
üeb. d. Entstehungszeit u. d. Einheitlichkeit d. lex Saxonum. 669
lex Sax. sind. Am Schlüsse unserer Betrachtung möchten
wir uns noch kurz gegen Brunner wenden, welcher der
alten Lehre von der Zusammensetzung der lex aus ein-
zelnen Theilen gewissermassen eine Einräumung macht,
wenn er sagt: 'Der selbständige Inhalt der ersten 20 Ca-
pitel mag darauf beruhen, dass das altsächsische Compo-
sitionenrecht etwa im Wege des Weistums festgestellt
wurde, um auf Verlangen des sächsischen Adels in die
lex aufgenommen zu werden'^. Gewiss bilden die ersten
20 Capitel der lex, sämmtlich die Bussen für Verletzungen
enthaltend, einen selbständigen Abschnitt, aber wir haben
gesehen, dass die lex noch vier andere in ähnlicher Weise
die verschiedensten Gebiete des Privat- und Strafrechts
zusammenfassende Abschnitte enthält. Es erscheint danach
kaum gerechtfertigt, den ersten Abschnitt, wie Brunner es
doch scheinbar will, in einen gewissen Gegensatz zu den
übrigen Theilen zu bringen, zumal doch auch er von
Spuren des Frankenthums nicht völlig frei ist. Dieser in
Wirklichkeit wohl nicht existierende Gegensatz soll dann
in der besonderen Entstehung jenes ersten Abschnitts durch
Weistum begründet sein. Da uns eine active Theilnahme
des sächsischen Volkes und namentlich seiner Häupter,
wenn anders wir die Abfassung der lex in das Jahr 802
setzen, durch die Quellennachrichten ausdrücklich bezeugt
ist, so wird sich manches dafür sagen lassen, dass der
fränkische Gesetzgeber zunächst durch ein Weistum das
geltende Recht hat feststellen lassen und dann seine
Aenderungen bezw. seine Einschaltungen getroffen hat.
Aber warum diese Entstehungsart auf den ersten Abschnitt
beschränken? Uns scheint vielmehr eine unbefangene Be-
trachtung z. B. jenes Abschnitts von cap. 40 — 49 über
eheliches Güter- und Erbrecht eben sowohl eine vorherige
Feststellung der in ihm enthaltenen Rechtssätze durch
Weistum wahrscheinlich zu machen '-.
Und wenn schliesslich Brunner die besondere Ent-
stehung durch Weistum, die er für den ersten Abschnitt
annehmen möchte, damit zu erklären sucht, dass auf Ver-
langen des sächsischen Adels das altsächsische Composi-
1) Brunner a. a. 0. Bd. I, S. 347. 2) Der Wortlaut von cap. 47 :
'Dotis ratio duplex est: Ostfalai et Angarii volunt apud Westfalos
' deutet allerdings an, dass die Niederschrift der Bestimmung von
einem Dritten ausserhalb des Kreises der Volksgenossen stehenden ge-
schehen ist. Aber dadurch wird die Feststellung des Inhaltes der Be-
stimmung durch ein vorhergehendes "Weistum nicht ausgeschlossen. Auch
der erste Abschnitt des Gesetzes ist, falls durch Weistum entstanden, bei
der Niederschrift vielleicht hie oder da anders gefasst worden.
670 Walther Schücking.
tionenrecht in die lex aufgenommen worden sei, so glauben
wir ihm vollends hierin entgegentreten zu müssen. Wenn
es galt, und das kann nach den Quellennachrichten vom
Aachener Eeichstage keinem Zweifel unterliegen, hier nicht
einzelne sächsische Rechtssätze, sondern das ganze im
damaligen Sachsen geltende Recht aufzuzeichnen, so musste
das Compositionenrecht einen hervorragenden Platz in
dieser Codification einnehmen. Es entspricht nicht der
Bedeutung, die das System der Privatbussen zur Entschä-
digung für Verletzungen in den Gesetzbüchern jener Zeit
hat, anzunehmen, dass es hier nur auf Verlangen des
sächsischen Adels seine Stelle gefunden habe.
Dass der Adel auf den Inhalt der lex Sax., nament-
lich auf die Rechtssätze des ersten Abschnitts bei der
Redaction grossen Einfluss gehabt hat, geht unzweideutig
aus dem Texte des Gesetzes hervor. Nur das glauben wir
auch gegenüber Brunner verneinen zu müssen, dass ein
besonderer Theil der lex seine besondere Geschichte habe
und sein Dasein dem Adel verdanke.
XV.
Fiindationes
monasteriorum Bavariae.
Von
Georg Leidiuger.
Neues Archiv etc. XXIV. 43
Unter dem Titel 'Fundationes monasteriorum Bava-
riae' und verschiedenen ähnlichen erscheint seit dem Ende
des 14. Jh. in der baierischen Geschichtslitteratur eine
Quelle, über deren Umfang, Urheber, Entstehungszeit und
Ursprungsort nirgends Klarheit herrscht.
Wer bei Forschungen auf sie stösst undsich viel-
leicht bei Potthast (Bibl. bist. I '^, 610) Aufschluss über sie
erholen will, wird übel berathen. Dort findet man nur,
dass es eine Historia fundationum monasteriorum Bavariae
nonnullorum gebe, die handschriftlich in clm. 351, saec. XV.,
der Hof- und Staatsbibliothek zu München erhalten sei
und von einigen dem Veit Arnpeck, von andern dem An-
dreas von Regensburg zugeschrieben werde. Gedruckt sei
sie als Beigabe zu Frehers Ausgabe des Chronicon de du-
cibus Bavariae des Andreas von Regensburg (Amberg 1602,
S. 171 — 212) und daraus wiederholt in Kuens Collectio
Script, rer. bist. (II, 209 — 224). Nun giebt es aber nicht
bloss die genannte eine Hs. , sondern eine ganze Reihe
ähnlichen Titels und Inhalts.
Bei Gelegenheit meiner Untersuchungen ^ über die
Quellen, aus denen Veit Arnpeck schöpfte, und insbesondere
ausgehend von der Forschung nach dessen angeblichem
Liber de fundationibus monasteriorum in Baioaria habe
ich versucht, auf Grundlage der Hss. in Kürze darzuthun,
dass eine Sammlung von Gründungsgeschichten baierischer
Klöster, als deren Verfasser bald Andreas von Regensburg,
bald Veit Arnpeck, bald Sebastian Rangk, bald Stephan
Leopolder, bald irgend ein Unbekannter galt, bereits in
der 2. Hälfte des 14. Jh. angelegt wurde. Der Umfang
und Zweck jener Arbeit verbot ein weiteres Eingehen auf
Inhalt und Bedeutung der Fvmdationes. Es liegt aber im
Interesse der kritischen Durchforschung der baierischen
Geschichtsquellen des Mittelalters, dass auch dieser dem
historischen Inhalt nach zwar geringwerthigen, aber dennoch
1) lieber die Schriften des baierischen Chronisten Veit Arnpeck,
München 1893.
43*
674 Georg Leidinger.
weitverbreiteten und vielbenutzten Sammlung ihre Stellung
in der Geschichte der baierischen Historiographie ange-
wiesen werde. Diese Untersuchung wird sich auch aus
einem anderen Grund nicht werthlos erweisen, weil sie
nämlich zugleich über eine 'ihrer Herkunft nach völlig
unsichere'^ Geschichtsquelle, 'der wir für das 13. und l-A. Jh.
manche beachtenswerthe Nachricht aus verlorenen Schriften
verdanken'", neue Aufschlüsse bieten wird.
Zunächst sei festgestellt, dass zwei Sammlungen von
Gründungsgeschichten baierischer Klöster streng von ein-
ander zu scheiden sind. Die eine — handschriftlich erhalten
in Cod. hist. fol. 5 der Ständischen Landesbibliothek in
Kassel und in clm. 351^ — ist ein Auszug aus des An-
dreas von Regensburg Chronicon generale, wie
ich in der von mir vorbereiteten Ausgabe der Werke des
Andreas näher darlegen werde. Sie wird in dieser Unter-
suchung nicht weiter berücksichtigt. Die andere Samm-
lung, über 50 Jahre früher als jene angelegt, wird hier
als selbständiges Erzeugnis für sich betrachtet.
Von ihr sind mir acht Hss. bekannt geworden, die
eingehend zu untersuchen um so nöthiger ist, als Joetze"^,
der gleich mir bei seinen Studien über Arnpecks angebliche
Klostergeschichten die Hss. der Fundationes durchforschte,
das Verhältnis derselben zu einander leider gründlich mis-
kannte und so zu schiefen Resultaten kam. Allerdings
war ihm gerade die wichtigste der Hss. ganz entgangen :
clm. 14 594, das Autograph des Sammlers, von dem die
übrigen Hss. clm. 27 164, cgm. 227, 427, clm. 22 117, 1470,
1802 und cod. pal. vind. 3520 abstammen.
Clm. 14 594 ist eine Papierhs. in 4 ° und besteht aus
6 Lagen, deren 1.— 3., 5. und 6. die Gründungsgeschichten
baierischer Klöster und damit zusammenhängende Notizen
enthalten, während die 4., fol. 41 — 50', von derselben Hand
geschrieben, mit historischen Abschnitten anderer Art ge-
füllt ist. Als Umschlag ist eine Pergamenturkunde ver-
wendet, die Innenseite des vorderen Deckels ist mit ge-
nealogischen Notizen bedeckt. Die ursprüngliche Blatt-
zählung ist am Schlüsse der Hs. etwas abgeändert: auf
fol. 74 folgt ein Blatt mit einer alten Bezeichnung (fol. 79)
und einer neueren (fol. 75) ; es sind an dieser Stelle — auch
äusserlich deutlich erkennbar — vier Blätter (alt fol. 75—78)
1) Lorenz, Geschichtsquellen I, 199. 2) ßiezler, Greschichte
Baierns II, 509. 3) Vgl. N. Arch. XXIII, 251. 4) Veit Aernpekch,
ein Vorläufer Aventins, in Verhandl. d. hist. Ver. f. Niederbaiern XXIX,
45—128.
Fundationes monasteriorum Bavariae. 675
entfernt worden, und zwar schon von dem Schreiber der
Hs. selbst, da der Text von fol. 74' auf (alt fol. 79, neu) fol. 75
hinüber mitten im Satz weitergeführt ist. Wir eitleren
unten nach der neuen Numerierung- (fol. 1 — 81). Neben
der Foliierung macht sich eine weitere Numerierung be-
merkbar, die, wenn auch ungenau, nicht ganz durchgeführt
und vielleicht nicht von dem Sammler selbst herrührend,
die einzelnen Theile der Sammlung bezeichnen soll. In
den rechten oberen Ecken der Vorderseite einzelner Blätter
laufen nämlich die Ziffern 1 — 44, so zwar, dass z. B. auf
den fol. 30 — 36, welche die Gründungsgeschichte von
Ebersberg enthalten, überall die Ziffer 16 vermerkt ist.
Die 5. und 6. Lage der Hs. war theilweise schon mit No-
tizen philosophischen Inhalts beschrieben; der Sammler
benützte also zu seinen historischen Notizen die noch freien
Stellen des Papiers und schrieb gerade, quer oder an den
Rand, wo immer ein leerer Fleck war. Die Aufeinander-
folge der einzelnen Theile ist hier regelloser, die Schrift
ungleichmässiger. Als Grundlage unserer Untersuchung
geben wir den Inhalt der Sammlung an und bestimmen
die einzelnen Bestandtheile derselben.
fol. 1 — 2 Ueberschrift : Dietramescelle.
Gründungsgeschichte ^ von Dietramszell.
fol. 2 — 9' Ueberschrift: Tegernse.
1. Gründungsgeschichte von Te gern see, stark gekürzt
aus der bei Pez, Thes. III, 3, 475 — 496 gedruckten Historia
fundationis- monasterii Tegernseensis.
2. Kurze Quirinuslegende.
1) Gedruckt bei Hund-Gewold 11,253 (ich citiere im Folgenden
mit Hund die erste Ausgabe seiner Metropolis Salisburgensis, Ingolstadt
1582, mit Hund-Gewold die Ausgabe mit Gewolds Erweiterungen, München
1620) ex libro traditionum, dann in den MG. SS. XV, 2, 1070 — 1072,
ed. Holder-Egger nach clm. 27164, 1802, c. pal. vind. 3520 und dem
nicht zur Fundationes- Gruppe gehörigen clm. 19487, endlich bei Fugger,
Kloster Dietramszell, S. 77 (ohne den Abschnitt von der Einweihung). —
fol. 1 seitwärts 1. am Rand: 'Infra Liemberg et Wyl jjrope villam Töf-
fingen fuit bellum comitis de Wirtemberg 1388'. — fol. 1' unten verkehrt
am Rand: Note ad a. 1256, gedr. in der Compilatio chronologica (die ich
im Folgenden mit Comp, citiere) bei Oefele, SS. rer. boic. II, 338.
2) B. Sepp lässt neuerdings ('Zur Quirinuslegende' in Monatsschrift d.
hist. Ver. v. Oberb. 1896, S. 31 und 'Die Berechnungen des Todesjahres
des h. Rupert' im Oberb. Archiv 49, 426, Anm. 3) diese Fundatio erst
um die Mitte des 15. Jh. entstanden sein, ohne L. v. Heinemanns Ab-
handlung 'Zur Kritik Tegernseeer Geschichtsquellen', N. Arch. XII, 143 ff.
zu berücksichtigen, nach der die Abfassung 'im 13., vielleicht sogar erst
im 14. Jh.' erfolgte. Dass vom 15. Jh. jedenfalls nicht die Rede sein
kann, beweist unsere dem Ende des 14. Jh. angehörige Hs.
676 Georg Leidinger.
3. Noten 1 ad a. 1373 und 1346.
fol. 10 Ueberschrift : Imperator Ludwicus.
Noten- meist über die Klostergründungen des Kaisers
ad a. 1301. 1309. 1323. 1330. 1341. 1347^ Vielleicht in
München entstanden; nicht ohne Werth. Ebenso die auf
fol. 10' mit ueberschrift: Rudolphus dux Bavarie
folgenden genealogischen Auf Schreibungen - ad a. 1300.
1306. 1309.
fol. 11 — 11' Ueberschrift: Cenobium Pewerberg S. Petri
und Confirmacio claustri.
Bestätigungsurkunde ^ des Papstes Calixt II. vom
30. März 1121 für Beue'rberg.
fol. 11'— 14' Ueberschrift: Bilren.
Gründungsgeschichte ^ von Benediktbeuern.
f. 15' Ueberschrift: Fundacio prima Celle.
Geschichte ^ der Gründung von Baier ischzell (Mar-
garethenzell), der Uebertragung des Klosters nach Pisch-
bachau, dann nach Eisenhofen (Glaneck, Petersberg), endlich
nach Scheyern.
f. 16 — 17'' Ueberschrift: Heibach collegium canoni-
corum.
Kleine Klostergeschichte mit Benutzung der zwei für
das Kloster Hab ach (Bez. -A. Weilheim) wichtigsten Ur-
kunden. Mitte des 14. Jh. geschrieben. Unediert.
Anno D. 1085 indiccione VIII., V. Kai. Marcii Nor-
pertus episcopus Curicensis fuiidavit collegium canonicorum
secularium de octo cauonicis in propria ecclesia sua Hei-
bach — nun folgt ein Auszug aus dem bei Hund 234 ge-
druckten Gründungsdiplom, dann wird fortgefahren: In
quo prenominato monasterio Sigemarus, comes de Heibach,
qui eidem ecclesie multa bona fecit, in meridionali latere
videlicet absjde simpliciter est sepultus. Post istam
fundacionem longis temporibus nobiles de Sevelt usur-
1) Gedr. Comp. 2) Gredr. Comp, sämmtlich unter den einzelnen
Jahren, wie eine fol. 11 stehende, wohl zu obigen gehörige Note ad
a. 1322. — fol. 10' Ueberschrift: De cronica Pelagii. Stück aus der
Legenda aurea des lacobus de Voragine. Ausg. v. Graesse S. 827.
3) Gedr. Hund-Gewold II, 135; Mon. B. VI, 403; Rambaldi, Geschichte
des Schlosses Eurasburg, Oberb. Archiv 48, 11. Original im Reichsarchiv
zu München. 4) Gedr. Duellius, Miscellanea II, 1—10; Mon. B. VII,
17 — 31; MG. SS. IX, 229 ff. ed. Wattenbach. Der Anfang auch bei
Hund-Gewold II, 143. — fol. 14' — 15' Ueberschrift: De imperatore Hein-
rico: Cap. 23 und 24 aus der Vita Heinrici II. imp. von der Heilung zu
Montecassino SS. IV, 805 — 807. 5) Wohl Excerpt aus Chounradi
Chronicon Schirense SS. XVII, 615—623 (oder seine Quelle?). Wörtlich
bei Andreas Ratisponensis, Chronicon generale (Pez, Thes. IV, 3, 496).
6) fol. 17 und 17' Noten ad a. 1.371. 1372. 1344. 1375. Gedr. Comp.
Fundatioues monasteriorum Bavariae. 677
paverunt sibi advocaciam predicti monasterii gravando et
denigrando miiltis exaccionibus et dampiiis eandem eccle-
siam. Die nun folgende Erzählung stützt sich auf den
Text der über die Restauration des Klosters durch Ludwig
den Baier ausgestellten Urkunde d. d. Augsburg 1. Mai
1332^. Et sie Ludwicus Imperator reformavit predictum
cenobium, quod desolatum fuit per nobiles de Seveld, ita
quod per longum tempus nullus canonicorum vel presby-
terorum potuit ibi residere. Ulis temporibus unus de
Siechtorf officiavit ecclesiam Heibach.
fol. 18 Ueberschrift : Siechtorf.
Kurze Gründungsnotiz - von Schleh dorf.
fol. 18—20' Ueberschrift: Claustrum Etal.
Unedierte deutsche Gründungsgeschichte von Ettal.
Bemerkenswerth als deutsche chronikalische Aufschreibung
aus der 2. Hälfte des 14. Jh. (wohl zwischen 1355 und
1360). Die Gründungslegende erscheint hier in ihrer
ältesten und einfachsten Form; sie wie die wichtigen
Nachrichten über die weiteren Schicksale des Klosters
wurden später nur mehr phantastisch ausgeschmückt, so
dass ein Abdruck dieser ältesten Form gerechtfertigt
erscheint.
Als der keiser Ludwig zu Rom vnd in welschen
landen gewesen waz mit groszen kosten vnd zerungen, do
waz im ab gegangen vnd gebrochen an der zerunge, daz
er vil geborget vnd entlehent hete vnd dy synen da vur
virsetzet hete, vnd waz vast bekümmert, wann er wer
gerne geyn dewtschen landen gewest, wan dez riches ding
stund dye wyl in dewtschen landen nicht eben vnd auch
in syme hertzogntume zu Beyern, dar vm waz er vast be-
sorget vnd vnmutig, want er nicht gerne dy synen, dy er
virsetzet hete, an bürge liez. Do kam eyns tages, als er
mit groszen sorgen dar vm bevangen waz, eyn grawer
munich zu im vnd sprach : wolt er im vulgen, er wolt im
sagen, wye er aus den sorgen queme. Do antwurt er im :
wo ez nicht gröslich wider got wer, so wolt er im gerne
vulgen. Do sagte im der munich : er solt gote vnd synre
muter ein dinst tuen. Do fragte der keiser ^. Der münch
sprach : er hiete in syme lande ein stad, dy hies 'auf me
Ampherang', da sould er pawen ein closter in ere gots
1) Böhmer, Reg. 1445. Hund 235 bringt nur eine kurze Stelle
aus unseren Fundationes, während Gewold 11, 388 in seine Additiones
die Urkunde Ludwigs d. B. aufnahm. Vgl. auch den etwas abweichenden
Text im Diplomatarium Ludovici imp. bei Oefele I, 766. 2) Benutzt
bei Hund 295. 3) clm. 27164 zwischen den Zeilen: Was?
678 Georg Leiclinger.
vnd vnser frawen. Daz giobte im der keiser vnd sprach :
doch er enwiste nicht, wo daz wer vnd hete sjn ny ge-
hören nennen. Der munch sprach : wiltus tun als du mirs
gelubt hast, wan du dan heim kummest, so wirt man dirs
balde zeigen. Also schreib ez der keiser selbis in syn
tefEelyn etc. Do saide im der raünch, daz ein [lampartisch ^]
welscher herre zu im kerne vnd bete in daz er in fryete
vnd syn laut, der wurde im geben geldes als vil als er
yesche vnd mit dem gelde keaie er dan auz. Als der
keyser dy rede vernam, er giobte dem munche ernstlich
daz closter zu stiften. Do gab im der munch ein Marien
bilde, daz waz von alabaster-, vnd schied von dem keiser,
also daz in der keiser nummer me gesach. Die rede
gingen vort, als der munch vor gesagt hete, im wart von
dem herreu als vil geldes als er eyschen wolde, vnd dar
über schankte der herre der keiserin'^ L tausent gülden
vnd in dy cantzelye II tausent etc. Der keiser reid auz
geyn dewtschen landen. Do er kam gen Bartenkirchen',
er hete eynen jeger, hies meister Heinrich derVende^, der
kam im dar vnd entphieng in. Den fragte der keiser nach
der stede, wo der Ampherang lege, ob er daz icht weste.
Der jeger sprach: ja, ir syd allir nehest dar by, ich habe
myne weyde lehen da selbes. Da muste den keysir der
jeger da hin füren. Der keiser besach die stede vnd hies
inn eyn hultzin hus dar pauwen, daz soult eyn jagirhaus
syn. Do daz haws bereite wart, er hies fryheit dar ruffen
allen den, dy arbeiten woulden, daz dy friden soulden
haben vur aller maniglich. Da waz ein dicker wilder walt,
da phlagen sich dy morder inne zu behaltene vnd taden
dar auz groszen schaden. Den wald liez er auz rewten
vnd ving da daz closter an zu paweu. Da legte er den
ersten steyn mit dem bilde, daz im der munch zu Rome
gegeben hete, auf den tag Vitalis martyris*" anno 1330.
Da machte er ein apty von sante Benedicti ordene mit
XXII personen vnd den ersten apt nam er von Eichen-
bach "' vnd saste in dar, der hies apt Fridrich der Heinrich-
ruter ^; nach dez tode nam er eynen von Nidern Altha, da
1) Ist wieder ausgestriclien. 2) Nagler, Das Madonnenbild in
Ettal, Oberb. Archiv X, 205. 3) clm. 27164 und folgende (ausser clm.
1802) falsch: dem kayser. 4) Partenkirchen. 5) Das Greschlecht der
Fendt war schon 1278 zu Ammergau ansässig; später zog die Familie
nach München und zählte zu den adligen Bürgergeschlechtern der Stadt.
Vgl. Daisenberger, Greschichte von Oberammergau, Oberb. Archiv XX, 99.
6) 28. April. 7) Reichenbach. 8) Eingesetzt 1332, f 1844. Mon. B.
Vn, 237.
Fundationes monasterioruin Bavariae. 679
waz er XL jar prior g-ewest, der hies apt Eberhard. Auch
hete er dar gesetzet XII ritter ^ mit iren wirtin vnd sechs
witwen vnd gab den phrunde als den pristern vnd dy
waren da, dy wyle der keiser lebte, vnd nante der keiser
daz selbe closter Etal. Nach dez keisers tode namen syne
kint dy besten gut dannen, daz di ritter dannen musten
varen vnd mochten sich da nicht begen, vnd apt Ebirhard
gab auch do dy apty auf ^ vnd vur widir in syn closter
heim. Nach dem wart der dritte apt, der hies Jodocus
von Agenwang, der waz gewaltig in daz virde jar, py dem
nam daz closter als vast ab, daz si in grosze gulde kam,
wan der marcgrafe ted dem gotshause als vngenedich, daz
er vil guter dar von nam, dy der keiser darzu gegeben.
In dez aptes virden jare^ satzte der marcgrafe phleger in
daz closter, der hies Kynen Heinrich der Eschilbeck^ der
waz vur dez closters schriber gewest, der pracht do daz
gotshaus zu groszem schaden vnd in grosze gulte. Dar
nach satzte er eynen andern phleger, der hies Fridrich
der Glockener ■^, einen purger zu München, der prachte do
daz closter me wan vm tausent phunt phennige vnd ver-
terbte ez gar. Dar nach ted vnser fraw eyn zeichen. Der
marcgraf het dem gotshaus genommen Wildenberg, eine
vesten, vnd het si gegeben Eberlyn dem Camerer. Dez
vugte sich eyns tags auf vnser frawen abent annunciacio,
daz dez Glokners sun vnd eynre syn frund erstachen den
Camerer. Do musten dy Glokner rinnen von dem closter
vnd daz gut wart dem closter wider ledig.
Dass eine deutsche Gründungsgeschichte '' von Ettal
vorhanden gewesen war, wusste man ", weil Andreas von
Regensburg in seinem Chron. generale "^ einen deutschen
Text übersetzte, wie er selbst angiebt (hanc historiam sie
scriptam de vulgari in latiuum transtuli). Die Ueber-
setzung hält sich ziemlich an den vorliegenden Wortlaiit;
nur eine Stelle in der Mitte ist im Lateinischen stark ge-
kürzt und der Schluss fehlt. 'Ein schöne kronick von kay-
ser Ludwigen des vierdtn wye durch jn das Loblich gotz-
1) Vtjl. deren merkwürdige Regel Mon. B. VII, 235. 2) 1351.
MoD. B. VII, 287. 3) 1355. Mon. B. VII, 237. Der nächste Abt, der
in dem vorliegenden Stück nicht mehr genannt wird, Konrad, wurde
1360 eingesetzt. Wir glauben daher vermuthen zu dürfen, dass die Auf-
zeichnung vor diesem Jahre gemacht ist. 4) Mon. B. VII, 259. 5) Mon.
B. XVIII, 685; XIX^ 20. 47. 222. 471. 477; XX, 11. 6) Vgl. die aus
dem 17. Jh. stammende poetische Behandlung der Gründungsgeschichte
in V. Hormayrs Taschenbuch 1848, S. 76 — 80. 7) Cf. Lorenz, Geschichts-
quellen 1,206. 8) Pez, Thes. IV, 3, 561; Eccard, Corp. hist. 1,2100;
in des Andreas Chron. de duc. Bav. ed. Freher p. SO nur im Auszuge.
680 Georg Leidinger.
haiisz vnser Frawen zu Etal Erpawet vnnd gestyfft ist
worden', ein Wessobrunner Druck (von Lukas Zeysseumair
ca. 1502), der nach 1484 verfasst ist, hat offenbar unsern
Text zu Grunde gelegt, aber schon sag-enhaft ausgestaltet,
insbesondere die Sage von dem Fussfall des Pferdes^ hinzu-
gethan , die wohl ursprünglich an einem andern Orte
haftete. Unabhängig von Andreas benützte Hund 211 für
seinen Abschnitt über Ettal (von dem letzten Satz abge-
sehen) nur die deutsche Erzählung und giebt ihren Inhalt
etwas gekürzt wieder, wobei er bemerkt: ut habet historia
monasterii.
fol. 19' — 20' Eine Anzahl verschiedener Notizen 2,
die aus verlorenen ^ Ettaler Geschichtsquellen — darauf
deuten Ausdrücke wie 'presens templum'^ und 'huius loci' —
stammen dürften und für die Geschichte des Klosters
wichtig sind. Sie betreffen die Jahre 1330. 1332. 1347.
13.58. 1360 ^ 1363.
fol. 21 Ueberschrift : Miraculum in Stames de morte
imperatoris Ludwici.
Erzählung des Wunders, wie Kaiser Ludwig der Baier
am Tage nach seinem Tode einem die Messe celebrierenden
Mönch des Klosters Stams in Tirol erschien. Stammt
wahrscheinlich auch aus einer Ettaler Chronik. Am Schluss
unvollständig und abbrechend mit den Worten: O pater,
die mihi, quid notasti cum istis teutonicis verbis? . . .
Ebenso abbrechend in der Comp.'' und bei Veit Arnpeck^.
Der Schluss des Fragmentes ist uns durch Hormayr * über-
liefert. Derselbe theilt aus 'einer uralten handschriftlichen
Chronik^ des Klosters Ettal' einen mit dem der Funda-
tiones übereinstimmenden Text^*' mit, der nach obigen Wor-
ten schliesst: qui respondit sibi Ludovicum imperatorem
obiisse et sibi aj)paruisse in missa.
fol. 21' — 22 Ueberschrift: Reitenpuch.
1) Vgfl. Holland, Kaiser Ludwig der Baier und sein Stift zu Ettal
S. 6. 2) Sämmtlich gedr. Comp. 3) Ettals Bibliothek ging im Jahre
1744 durch einen Brand völlig zu Grunde, vgl. Mon. B. VIT, 22ö. 4) Siehe
unten S. 704 N. 1. 5) Benutzt in dem obengenannten Wessobrunner Druck.
6) Oefele bemerkt dazu: Hactenus apographum meum, non enim finita
videtur haec fabula. 7) Pez, Thes. III, ;^, 341. 8) Histor.- statist.
Archiv f. Süddeutschland, Bd. II, S. 293 — 298: Der Bruder .lohann von
Kempten, Mönch zu Stambs und Kaiser Ludwig d. B. 9) Ich vermag
diese Chronik nicht festzustellen. 10) Von dem obengenannten Wesso-
brunner Druck benutzt. Den Text dieses Druckes hinwiederum giebt
Hormayr darauf aus einer 'Chronik des Klosters Stambs', die wohl nur
eine Abschrift des Druckes sein dürfte.
Fundationes monasteriorum Bavariae. 681
Notiz ad a. 1101; dann unter der Uebersehrift Ge-
nealogia et acta illius Welfonis, qui ecclesiam Eeiten-
buchensem fundavit an Stelle einer eigenen Gründung-s-
geschichte von Reitenbuch das 13. Cap. der Hist. Welfo-
rum Weingartensis SS. XXI, 461.
fol. 22' Uebersehrift : Steyngaden.
Hier sind nur die Gründungsjahre von 12 Prämonstra-
tenserklöstern, darunter Steingaden, aufgezählt, die sich
auch in den Ann. Osterhovenses SS. XVII, 540 — 542 finden :
ad a. 1125. 1126. 1130. 1145. 1147. 1160. 1167. 1171. 1181.
1183. 1208 (unsere Hs. 1198). 1213 (unsere Hs. 1230).
Die Vermuthung ^, es seien — • weil für Steingadens
Geschichte bis zum 15. Jh. nur dürftiges ürkundenmaterial
vorhanden ist — durch den Brand des Klosters 1525 ältere
Aufzeichnungen verloren gegangen, wird man, soweit Chro-
niken oder Annalen in Betracht kämen, wohl aufgeben
dürfen, wenn man sieht, dass auch schon unser Sammler
mit der einen Jahrzahl aus des Klosters Geschichte sich
begnügen musste.
fol. 23 — 25' Uebersehrift: Pollingen.
1. Urkunde- der Wiederherstellung des Klosters durch
Kaiser Heinrich II. 1010.
2. Notiz ^ über die Schirmvogtei des Bischofs von
Brixen über Fölling.
3. Notiz "^ über Beschwerungen baierischer Nonnen-
klöster ca. 1300.
4. Eine alte Geschichte der Gründung von Fölling
durch Tassilo ist uns nicht erhalten. Tassilo galt jedoch
stets als der Gründer des Klosters und sein Andenken
wurde durch eine Aufzeichnung festgehalten, die in vielen
Hss. zu finden ist. Sie trägt meist den Titel Status et
beneficia fundatoris monasterii in Fölling oder (wie in
clm. 1470, fol. 106') bezeichnender Protestatio vei'itatis de
Tassilonis vita et degradatione und ist uns mit je nach
dem Ortsbedürfnis gemachten Aenderungen aus den meisten
der Klöster, welche in Tassilo ihren Gründer verehrten,
überliefert, so ausser aus Fölling ^ auch aus Wessobrunn '\
Weltenburg ', Frauen-Chiemsee *^. Erst unsere Fundationes-
1) Hager, Die Bau- und Kunstdenkmale des Klosters Steingaden,
Oberb. Archiv 48, 128. 2) Gedr. Hund 270 (unvollständig); Mon. B.
X, 37. 3) Gedr. Hund 271. 4) Benutzt von Hund 271; gedr. Comp,
ad a. 1300. 5) Hund-Gewold III, 113. 6) Vgl. Riezler in Aventins
sämmtlichen Werken III, 567. 7) Mon. B. XIII, 503. 8) Rader,
Bavaria sancta (Dillingen 1701) I, 149. Die Schlussangabe: 'haec tabulae
Laurissenses' ist wohl auf die Uebersehrift in clm. 14594 und den Ab-
schriften: 'de Laurissa' zurückzuführen.
682 Georg Leidinger.
Hs. aber zeigt uns — was bisher uubekannt war — dass
das Stück einen Pollinger Kanoniker zum Verfasser bat.
Obwohl der übrige Inhalt nichts Neues bietet, dürfte ein
Abdruck hier nicht überflüssig sein, weil die hier vorliegende
Form die älteste ist.
Anno^ Domini 1281 nos Eudolphus canonicus et cus-
tos Pollingensis ecclesie relacioue virorum discretorum di-
dicimus videlicet sacerdotum et conversorum ordinis S. Be-
nedicti in Laurissa necnon in prescriptione tumbe domini
Tasselonis hunc primum fuisse ducem Bavarie, postea
regem Longobardorum ex parte Liutpurgis uxoris sue, que
erat filia Desiderii regis Longobardorum, postremoque mo-
nachum in Laurissa ordinis S. Benedicti videlicet conversum.
lam vero prelibatum Tasselonem, ut diximus, primo
fuisse ducem Bavarie ex nobili prosapia oriundum videlicet
filium sororis Pippini patris Karoli Magni, que vocabatur
Hillerudis nomine, didicimus, qui Domino feliciter deser-
viens - in cenobiis construendis, ut j^atet in Pollingen ca-
nonicorum regularium et in multis aliis cenobiis, defenso-
remque viduarum et orphanorum, iudicem strenuum, in
elemosina largum. Hie vero victus^ a iam dicto Karulo
ad debellandum Longobardos proficiscens cunctisque viribus
prospere succedentibus genti iam supranominate ab impe-
ratore in regem preficitur. Qui etiam heu! postmodum
consilio incolarum illius terre depravatus avunculo suo
Karulo se opposuit, a quo non post multum temporis
elapsum in prelio publice cum suis vinculis mancipatur et
per duarum pelvium ignitarum inspeccionem excecatur.
Qui penitentia ductus ad peticionem principum absol-
vitur et libere quocunque vellet ire permittitur. Iam vero
bona memoria dictus Tasselo ob spem futurorum prospera
mundi cuncta despiciens Laurissam devenit ibique sub
specie pauperis habituque religioso et ab omnibus ignotus
usque ad extremum vite sue terminum permansit. Post
multorum vero annorum curricula iam dictus Karolus
Magnus ad ecclesiam Laurissensem pervenit ibique una
noctium solito more oracioni vacans Tasselonem lumine
carentem per manus angeli de ara ad aram cum summa
reverencia deduci prospexit. Karolus Imperator summo di-
luculo consurgens patrem ecclesie advocat diligenterque
sciscitatur, quisnam sit, cui tanta beneficia ab angelo im-
1) Ueberschrift von späterer Hand: 'de Laurissa'. 2) sie.
3) Kader a. a. 0.: 'devictus precibus iam dicti Caroli'. Ebenso Riezler
a. a. O.
Fiindationes monasterioruni Bavariae. 683
pensa fuissent. Qui se ignorare respondit. Seqnentique
nocte abbas cum imperatore beneficia iam prelibato Tasse-
loni ab angelo impensa videre promeruit. Cum vero Do-
minus Creator, reformator et remunerator omnium hunc
famulum suum post longam carnis maceraciouem, volun-
tariam paupertatem necnon laudabilem vitam de hoc seculo
nequam eripere decrevisset, febre corripitur et a viris reli-
giosis corpore et sanguine Domini nostri lesu Christi pro-
curatur sanctoque oleo inunctus contestatur vite sue origi-
nem illis innotescere. Qui graviter suspirans singula per
ordinera eisdem enarravit. Hie vero oracionibus suetis
insistendo feliciter migravit ad Dominum. Ad cuius tum-
bam Dominus per merita famuli sui cunctis eins auxilium
implorantibus quam plurima beneficia usque in presens
impertiri non dedignatur. Horum beneficiorum testimonium
perhibent tam litterati quam laici in Laurissa adhuc super-
yiventes et hoc me audiente.
In keiner einzigen gleichzeitigen Geschichtsquelle ist
uns überliefert, wann und wo Tassilo gestorben ist. Wenige
nennen überhaupt den Ort seiner Verbannung, nämlich —
darin stimmen sie in der Mehrzahl überein — Jumieges
an der Seine. Erst später taucht die Nachricht auf, Tassilo
sei zu Lorsch Mönch gewesen und dort gestorben. Zuerst
schreibt Otto von Freising ^: Rex ... in monasterio Lau-
reacensi, quod ipse constrnxerat, eum monachicum habitum
assumere ac de peccatis suis poenitentiam agere permisit.
Dann melden die kleinen ganz unbedeutenden dem 18. Jh.
angehörenden Ann. - ducum Bavariae : Karolus Tassilonem
in monasterium Lauriacum ^ trusit.
Dem Alter nach schliesst sich nun unsere Pollinger Auf-
zeichnung an, der Form nach eine Protestatio der Erkun-
digungen, die der vielleicht eigens zu diesem Zweck nach
Lorsch geschickte Canonicus Rudolf von Fölling dort über
die den Gründer seines Stiftes betreffende Tradition ein-
gezogen hatte. Wenn Riezler^ bemerkt, die Sage, wie
der blinde Tassilo in der Lorscher Kirche von Engeln zu
den Altären geleitet wird, scheine zuerst in einer Auf-
zeichnung von Kremsmünster sich zu finden, so ist diese
Vermuthung nicht zutreffend, vielmehr bringt unsere Pol-
1) Chronicon V, 29; SS. XX, 226. 2) SS. XVII, 366. 3) Trotz
der beidesmaligen Verwechselung von Laureacum (Lorcli) und Lauresham
oder Laurissa (Lorsch) ist letzteres gemeint. Vgl. jSTecrolog. Lauresham.
(Böhmer, Fontes III, 151): III. Id. Dec. Tessilo dux ex laico monachus.
4) Gesch. Baierns I, 171.
684 Georg Leidinger.
linger Notiz dieselbe zum ersten ^ Male. Die Stelle, auf
welche Riezler verweist, findet sicli - in einem Stück der
Monumenta Weltenburgensia, welches nach der üeber-
schrift 'Bernardi Norici opusculum V. anecdotum de ge-
nealog'ia fundatoris coenobii Cremit'anensis' sein soll, that-
sächlich aber, wie die Vergleichung ergiebt, eine Welten-
burger Compilation aus Bruchstücken der Geschichtsquellen
von Kremsmünster und aus anderen Quellen ist, wobei
sogar — mit alibi legitur eingeleitet — gerade auch die
Pollinger Notiz benutzt ist. Die Geschichtsquellen von
Kremsmünster kennen die Engelsage nicht. Sie berichten^
von Tassilos Ende: . . . condemnatus monasterium, quod
ipse construxerat, Laurishaim ingressus cum Theodone filio
suo . . . tonsuratur. übi tarn religiöse vixit quam spon-
tanee introivit.
Rudolf von Fölling ist auch der erste, der von einem
Grabmal^ Tassilos mit Inschrift in Lorsch berichtet, das
er selbst gesehen. Die Kremsmünsterschen Quellen über-
liefern dessen Inschrift.
Die auffallenden sagenhaften Züge unseres Stückes,
dass Tassilo König der Langobarden gewesen und durch
diese zum Aufstand gegen Karl bewogen worden sei, führt
Eiezler"^ wohl mit Recht auf die getrübte Erinnerung an
den mächtigen Einfluss der langobardischen Königstochter
Liutbirg zurück.
Ueber Rudolf von Fölling selbst konnte ich nichts
Näheres finden. Jedenfalls ist seine Aufzeichnung werth,
ihre Stelle in der baierischen Sagengeschichte angewiesen
zu erhalten.
5, üeberschrift : Frivacio Tasselonis.
Abschnitt, dem die Ann. Lauriss. mai. ad a. 787. 788,
SS. I, 170 ff., zu Grunde liegen.
6. Zwei schätzenswerthe, vielleicht aus Fölling stam-
mende Nachrichten'' ad a. 1388.
1) In cgm. 227 (s. u.) fol. 130 schrieb eine Hand des 18. Jh. ein:
Hie habes originem fabulae de Thassilone natae in Fölling. Man
wird aber nicht behaupten dürfen, dass die Legende in Polling fabriciert
worden sei, sondern sie scheint wirklich in Lorsch umgegangen zu sein.
2) Mon. B. Xm, 503. 3) Loserths Ausgabe, die der in SS. XXV ent-
haltenen vorzuziehen ist, S. 87. 4) Den Grabstein mit der Inschrift
sah 1615 noch Helwich (Antiquitates Laureshaimenses S. 28 und 204).
1645 aber berichtet Zeiler (Merian) in seiner Topographia Palatinatus
Rheni p. 36, Tassilo's Grabstein sei 'zu unsern Zeiten ein Säutrog, wie
berichtet wird, worden'. Heutzutage (Falk, Gesch. des ehem. Klosters
Lorsch S. 27 und 156) weiss man nicht, was mit dem Steine weiter ge-
schehen ist. 5) Aventins Sämmtl. Werke III, 568. 6) Gedr. Comii.
Vgl. Riezler, Gesch. Baierns III, 140.
Fundationes monasteriorum Bavariae. 685
fol. 26 Ueberschrift : Wessesprunnen.
Gründungsgeschichte ^ von Wessobrunn.
fol. 26'— 28' Ueberschrift: Dieszen.
1. Gründungsgeschichte von Diessen. Findet sich
fast wörtlich mit diesem Text übereinstimmend in der in dem
berüchtigten clm. 3005 niedergeschriebenen Andechser
Gründuugsgeschichte -. \. Oefele spricht in seiner Ge-
schichte der Grafen von Andechs, S. 6, die Ansicht aus,
dass jene Gründungsgeschichte von Diessen wie die Grün-
dungsgeschichte von Andechs sich erst im 15. Jh. gebildet
haben, ßiezler^ setzt die Entstehung der Andechser Fäl-
schungen in die Zeit der bekannten Reliquienauffindung
zu Andechs, also um 1388. Es ist hier nicht unsere Auf-
gabe, zu untersuchen, wann die Andechser Geschichte ent-
stand: die Diessener Grüudungserzählung ist jedenfalls
nicht erst im 15. Jh. aufgekommen, denn clm. 14594 ist
schon in den achtziger Jahren des 14. Jh. geschrieben. Die
fertige Diessener Geschichte wvirde als Ganzes in die An-
dechser Gründungsgeschichte eingeschoben und trägt auch
innerhalb dieser in der Hs. (fol. 50' — 51 des clm. 3005) deut-
lich den Charakter des Einschiebsels.
Jaffe hat SS. XVII, 328 — 331 unter dem Titel De
fundatoribus monasterii Diessensis 5 verschiedene zum Theil
schon früher edierte Aufzeichnungen über die Gründung
und die Familie der Gründer von Diessen herausgegeben^.
Die obige Gründungsgeschichte ist darin als dritte Note
mit dem Titel Alia annotacio fundatorum nostrorum leider
nur in einer viel späteren Bearbeitung (nach 1478 verfasst,
aus clm. 5688, fol. 180' — 184') enthalten, so dass der ein-
zige Druck der Geschichte in unserer Form bei Duellius,
Miscellanea II, 124 — 127 vorzuziehen ist.
2. Ueberschrift: Nota"*: apud S. Stephanum in Diessen
hec Corpora sunt sepulta.
1) Gedr. Khamm, Hierarchia Augustana III, 376; Hund-Gewold
m, 485; Leuthner, Hist. mon. Wessofontani p. 9; Mon. B. VII, 372,
daraus bei Fugger, Kloster Wessobrunn p. 113; SS. XV, 2, 1024. —
Wohl aus clm. 22021 fol. 1', saec. XL Fol. 26 unten eine Notiz über
Gründung von Niederaltaich, die sich in clm. 22021 ebenfalls an die Wesso-
brunner Geschichte anschliesst; mit fast gleichem Wortlaut bei Andreas
Ratisp. Chron. gen. (Pez IV, 3, 428). 2) Gedr. unter dem Titel: An-
ecdota de celeberrimo monasterio montis Andecensis et inclyta canonia
Diessensi bei Finauer, Hist.-literar. Magazin für Pfalz - Baiern, I, 114 — 145.
3) Gesch. Baierns III, 837. 4) Vgl. dazu Oefele 1. c. S. 5 und 6.
5) Gedr. SS. XVII, 330, ed. Jaffe, als fünfte Xote. Jaffe kannte für seine
Ausgabe keine Hs., sondern benutzte nur die früheren Ausgaben: Oefele
11,703; Mon. B. VIII, 299; Duellius 11,127.
686 Georg Leidinger.
3. Ueberschrift : Nota.
TJnediert. Ueber Erwerbungen des Propstes Konrad
von Diessen (f 1359).
4. Ueberschrift: Graf Eazzo.
Gründungsgeschicbte von Werd (Grafrath). In dieser
Form ungedruckt. Vgl. Kunstmann, Zur Lebensgeschiehte
des Grafen ßasso von Andechs, Oberb. Archiv XXVI, 372.
fol. 29 Ueberschrift: JFurstenveldt.
Chronikalische Aufzeichnung ^ aus Fürstenfeld.
fol. 30 — 37' Ueberschrift: Ebersperg, und (fol. 37):
Gisenfeld.
Gründungsgeschichte"- von Ebers b er g und Geis en-
feld.
fol. 37' — 39 Kleine baierische Annalen^ von
1150—1297.
Scbetti. mai. 1150'^. Chelheim obsessa est.
1158^. Vilsa fluvius in Ensdorf III. Kai. Februarii siccum iter
prebuit. Fridricus imperator Mediolani'' triumphavit. Otto maguus
episcopus Frisingensis obiit.
1159. Mediolanum imperatori rebellavit.
1160. Crema' civitas deleta est ab imperatore Fridrico. Arnoldus
Moguntinus episcopus VIII. Kai. liüii occiditur^.
1162. Mediolanenses^ sponte se suaque imperatori dederunt, et
absque ulla dementia Mediolanum destruitur.
1173. Heinricus Brixinensis episcopus captus est a comite Conrado
de Valey ^° et ipso anno obiit.
1203. Propter gwerram inter episcopum Ratisponensem
et ducem pene tota provincia incendio periclitatur. Dux
Meranie Berchtoldus obiit.
1205. Corpus beati Corbiniani gloriosa translacione
sublimatur.
1212 -^ Otto imperator multis Apulie regionibus et
Italic subiugatis in partes Alemannie revertitur, validam
coniuracionem principum sibi resistentium ibi reperiens,
unde et ab his, qui adhuc ei adherebant, in brevi eum Deo
1) Gedr. Oefele II, 555 als Anonymi Fürstenfeldensis breve cbronicon
Bavariae (e Gewoldianis coUectaneis) und SS. XXIV, 75 als Notae Fuersten-
feldenses (aus unserem clm. 14594). Am Schluss zwei Notizen ad a. 1258
und 1262, auch in der Comp. gedr. 2) Der hier vorliegende Text ist
das SS. XXV, 867 — 872 herausgegebene Chron. Eberspergense posterius
(bei Oefele II, 4 — 11 antiquius) mit Auslassungen, aber auch kleinen be-
langlosen Erweiterungen, fol. 37' quer am Rand Notiz ad a. 1;S86; gedr.
Comp. 3) Herrn Professor Dr. Holder -Egger sei an dieser Stelle für
freundliche Winke zur Herstellung des folgenden Textes gedankt. 4) So
statt 1151 auch Ann. Scheftlar. maior. SS. XVII, 386. 5) Comp,
fälschlich ad a. 1268. 6) Hs. Mediolanum. 7) Hs. Cremona. 8) Am
Rand: 1386 strages facta est circa Renum per societatem super duces
Austrie, quorum capitaneus erat Engeh-amus princeps de Cuciaco. 9) Hs.
Mediolanum. 10) Vgl. Riezler, Gesch. Baierns I, 706, Anm. 2. 11) Hs. 1222.
Fundationes monasterioriim Bavariae. 687
deserente derelictus est ac miserabiliter fiigiens subito regno
destituitur, et rex Apulie Fridricus a cunctis pene episco-
pis et principibus auctoritate apostolica est subrogatus.
1217. Dux Austrie cum immenso exercitu crucis signatorum Schefti.
pertransivit mare. Farnes valida fuit.
1221. Ludwicus dux Bavarie in auxilium sancte terre transfre-
tavit ; ipso vero et aliis Christi militibus ab exercitu paganorum
callide circumventis soldano Damiata resignatur.
1230. Gebhardus Patavieiisis episcopus captns est a
coinite Conrado de Waszerburg-.
1231. Castruni Valej a Gebhardo Tolznawer^ obtine-
tur, unde tota provincia devastatur. Rapoto com es palatinus
obiit.
1232". Ludwicus dux Bavarie occiditur in Cbelheim.
1233. Otto dux Bavarie cum Conrado episeopo Fri-
singensi tractavit ^ de pace in Lantshuta ibique redditur
episeopo castrum in Purckrejn ^.
1234. Otto dux Meranie obiit.
1236. Corpus S. Elizabeth presente Fridrico imperatore magni-
fica translacione subliraatur.
1246. Cunradus rex, imperatoris Fridrici filius, matrimonium
cum filia ducis Ottonis Bavarie in Vohburg^ contraxit.
1247. Ludwicus iunior dux Bavarie Conradum comi-
teni de Waszerburg eiciens tarn castrum quam homines
infra 17 ebdomadas potenter obtinuit.
1253. Otto dux Bavarie obiit.
1254. Conradus rex obiit in partibus terre latine.
1) Bruder des Bischofs Konrad von Freising (Conradus Toltznaer
bei Arnpeck, De gestis epp. Frisingensium in Deutinger, Beyträge III,
518). 2) So statt 1231 auch die Ann. Scheftlar. min. SS. XVII, 343.
3) Hs. tractans. 4) Burgrain, Bezirksamt Wasserburg. Vgl. die Sühne
zwischen Herzog Otto und Bischof Konrad vom 9. Juni 1237 (Quellen
und Erörterungen V, 60), worin wegen Burgrain eine frühere compositio
apud Landeshüt facta erwähnt wird. In der Anm. dazu heisst es: 'Es
ist wohl der Vergleich vom 17. März 1235 (Meichelbeck, bist. fris. IIa,
14) gemeint'. Das dürfte falsch sein. Jener Vergleich stammt vom
1. April 1235 und handelt nicht von Burgrain. Die obige Angabe wird
richtiger sein und schon Meichelbeck hat sie a. a. 0. nach den aus der
gleichen Quelle wie die unserigen schöpfenden Wessobrunner Annalen
benutzt. 5) Die auch von den Ann. S. Rudp. Salisb. SS. IX, 789 ge-
brachte Ortsangabe 'Vohburg' ist nach Böhmer, Wittelsb. Regesten S. 21
unrichtig. Die Vermählung habe zu Augsburg stattgefunden. Doch nimmt
Riezler, Gesch. Baierns II, 84 und Haeutle, Genealogie S. 4 Vohburg an.
Diese Annahme wird durch die Angabe unserer und der aus der gleichen
Quelle geschöpften "Wessobrunner Annalen (in den Ann. Scheftlar. min.
clm. 17138 ist die Stelle des Ortsnamens leergelassen) wahrscheinlich ge-
macht. Mit den Salzburger Annalen stehen die vorliegenden in keiner
Verbindung. Vohburg liegt an der Donau unterhalb Ingolstadts,
Neues Archiv etc. XXIV. 44
688 Georg Leidinger.
1257. Eichai'dus rex Anglie res Romanorum creatur.
Otackarus rex Boheinie Bavariam hostiliter ingreditur et sine victoria in
terram suam revertitur.
1259. Farnes validissima est facta et morticinium graude
nimis, et innumerabilis multitudo hominum iu Ungariam
est profecta.
1267. Filius Conradi regis, Conradinus, ad partes Ita-
lic processit.
1268. Rex Conradinus occiditur.
1273. Rudolfas comes de Habichsperg in regem Eo-
manorum creatur et Aquisgrani statim intronizatur.
1276. Rudolf US rex Austriam potenter est iugressus et
optinuit Carniolam, Stiriam, Carinthiam et ipsam Austriam
infra duos menses. Mures omnimodis destruxerunt terram
Bavarie. Rex Hispanie duabus vicibus vicit regem Francie
in conüictu, Filius regis Romanorum contrahere promisit
cum filia regis Bohemie et e converso filius Bohemi cum
filia regis Romanorum.
1277. Contractus matrimoniales inter j)rescriptos reges
dissoluti sunt et gwerra gravis fuit inter eos.
1278. Rudolf US Romanorum rex devicit regem Bohe-
mie et occidit eum — sed per suos traditus fuit — et obtinuit
Moraviam et cum voluisset occupasse Bohemiam, proliibitus
fuit per marchionem Brandenburgensem. Qui sunt concor-
dati, ut infra invenitur.
1279. Puer Polanus, filius ducis Ludwici, promisit
ducere filiam regis Romanorum in uxorem, quod papa im-
pediens revocavit. Rudolf us rex fuit in discordia cum duce
Heinrico Bavarie, sed sunt concordati restitutis ipsi regi
Lintza \ Welsa, Styra et aliis castris et filio suo duci Ot-
toni assignatis Castro Nuwenberg et Frienstat et Ried-
marche. Ante festum lohannis baptiste Mouacensis modius
siliginis vendebatur pro quatuor solidis d., qui ducebatur
a Suevia pulcherrimus.
1280 ■-. Dux Ludwicus cum rege Romanorum per
Austriam cum exercitu vadens contra Bohemiam adversus
marchionem Brandenburgensem et tarn ipse rex Romano-
rum quam etiam marchio et dux Ludwicus per matrimonia
omnes sunt concordati.
1283. Dux Austrie Albertus a patre suo Rudolffo
consentientibus electoribus regni in ducem creatur. Lud-
wicus dux Bavarie castrum in Swaben^ edificare incepit.
1) Linz, Wels, Steyr, Neuburg am Inn, Freistadt und die Hofmark
Ried, sämmtlich in Oberösterreich. 2) 1281. 3) Schwaben, Bezirks-
amt Ebersbero".
Fundationes monasteriorum Bavariae. 689
1284. Apud Renum quidam surrexit dicens se esse
Fridricum imperatorem et similis ei dicebatur; qui postea
concrematur a rege Radolffo 1285.
1286. Muldorf civitas a duce Heinrico restituta est
episcopo Salzpurgensi , quam anno priori expugnaverat.
Aves in Austria repentina morte moriebantur. Discordia
orta est inter duces Bavarie ex victoria Paulsdorferii contra
Satelbogerium et dapiferum de Eckenmul et incendia diversa
inter eos tarn apud Swaben quam alibi; que concordavit
rex Romanorum.
1288. Tonitrua in die S. Stephani circa nativitatem
Domini sunt per multas terras audita. Heinricus Mogun-
tinus archiepiscopus, qui fuit de ordine minorum fratrum,
subitanea morte obiit.
1290. Ludwicus iunior dux Bavarie occubuit in tor-
namento. Item rex Ungarie occisus est, cui tunc successit
conies de Ast. Item frater regis Ungarie submersus est
et sie prevaluit iste comes de Ast. Item ßudolfus episco-
pus Salzpurgensis obiit; cui successit dux Bavarie Steffanus.
Sed niissis nunciis Eomam videlicet Conrado tunc episcopo
Laventensi cum multis aliis super confirmacione eiusdem
Stephani dominus papa ipsum reprobavit et dictum Conra-
dum Laventensem episcopum per se ipsum in archiepisco-
pum Salzpurgensem ordinavit, magistrum Heinricum pro-
thonotarium et canonicum tunc Salzpurgensem iurisperitum
similiter ordinans ecclesie Laventensi.
1291. Rudolf US rex obiit.
1292. Dux Otto Bavarie invasit Stiriam contra ducem
Austrie et Karinthiam contra ducem Meinhardum et sine
victoria est reversus.
1293. Laugingenses ^ recesserunt a domino suo Lud-
wico duce Bavarie et Adolfo regi Romanorum se dederunt.
1294. In die purificacionis Ludwicus dux Bavarie obiit.
Item Rudolf US filius Ludwici promisit contrahere cum filia
regis Adolffi, sicut et contraxit, et deinde cum eodem rege
in expedicionem in terram Mysnensem processit.
1296. Fames validissima fuit, ita qnod modius Mona-
censis siliginis vendebatur pro 5 libris d., modius avene
pro 3 libris. Rudolfus dux Bavarie occupavit castrum Mer-
gartaw -, cuius confines exinde per reysauos -^ destruebantur,
et tamen idem castrum per Rudolfum ducem destructum
est. Ludwicus filius Heinrici ducis Bavarie obiit.
1) Lauingen a. D. 2) Mergentau südöstlich von Augsburg.
.3) "Wohl mit rais, raisa = Kriegszug zusammenhängend, vgl. Schmeller
II, 139.
690 Georg Leidinger.
1297^. Cuonradus de Haldeuberg- et iuvenis de Wil-
denrad^ apud Lantsperg* Winhardum de Rorbach -^ cum
magna fraude occiderunt. Eodem anno Otto dux Bavarie
comitem "^ de Heigerloch in conflictu occidit.
Diese kleinen Annalen stellen in ihrem Anfange (ad
a. 1150. 1158. 1159. 1160. 1162. 1173) im Zusammenhang mit
dem ersten Theile der Ann. Scheftlarienses maiores SS. XVII,
334 — 343, bezw. mit den Quellen dieses ersten Theiles,
unter denen insbesondere verlorene oder unbekannte Ens-
dorfer Annalen zu erkennen sind. Es scheint mit diesen.
Quellen des ersten Theils eine nähere Verbindung als mit
den grösseren Schäftlarer Annalen selbst vorhanden zu
sein, was daraus zu schliessen sein möchte, dass die vor-
liegenden Annalen nur die genannten Nachrichten (1150
— 1173), nicht aber wichtigere, spätere, wirklich in Schaf fc-
larn selbst entstandene Notizen mit den Schäftlarer An-
nalen gemeinsam haben. Aehnlich verhalten sie sich zu
den Ann. Scheftlarienses minores SS. XVII, 343 — 345. Sie
schöpfen wohl aus der nämlichen Quelle wie letztere ad
a. 1217. J221. 1231. 1232. 1234. 1236. 1246. 1257. 1259.
Diese Quelle unserer und der kleineren Schäftlarer
Annalen ist noch einem dritten Annalenfragment gemein-
sam, nämlich den durch den Wessobrunner Mönch Stephan
Leopolder (f 1532) als Chronicon imperii überlieferten
Wessobrunner Annalen' von 757 — 1298. Mit Unrecht
erblickte Lorenz *• in ihnen die Reste ^ der Chronik des
Probstes Konrad von Ranshoven, und sie werden wohl auch
fälschlich dem Wessobrunner Klosterbruder Konrad Pozzo
zugeschrieben^*^. Sie bringen wenig selbständige Nachrichten,
sondern sind aus den verschiedensten Quellen compiliert,
worunter allerdings auch, wie Waitz ^^ bemerkte, verlorene
Aufzeichnungen, theils aus der Freisinger, theils der Augs-
burger Diöcese hervortreten. Ein Vergleich mit unseren
kleinen Annalen zeigt, dass zu den Jahren 1203. 1205. 1217.
1221. 1230. 1231. 1232. 1233. 1234. 1236. 1246. 1247. 1253.
1254. 1257. 1259. 1267. 1268. 1273. 1276. 1277. 1279. für
1) Diese Notiz findet sich auch in einer Hs. der Ann. SS. Udalrici
et Afrae Augustenses SS. XVII, 428. 2) Haltenberg am Lech.
3) AVildenroth an der Amper. 4) Landsberg am Lech. 5) Rohrbach,
BA. Paffenhofen. SS. XVII, 434 fälschlich Kombach. 6) Albert.
7) Gedr. bei Leuthner, Historia monasterii Wessofontani II, 16 — 35. Vgl.
Eiezler, Gesch. Baierns II, 245. 8) GQ. 1, 175. 9) Ueber das Ver-
hältnis der Wessobrunner Compilation zur verlorenen Ranshover Chronik
urtheilt auch richtig Erben N. Arch. XXII, 470 Anm. 2. 10) Es sei
denn, dass ein unbedeutender Theil von ihm in der Compilation steckt.
Vgl. Wattenbach, GQ. II, 376. 11) SS. XXIV, 60.
Fundationes monasteriorum Bavariae. 691
die Wessobrunner Reste die nämliche Quelle zu Grunde
lag, aus der unsere Annalen für jene Jahre geschöpft
haben, und zwar beziehen sich diese Nachrichten ofEenbar
auf die Freisinger Diöcese. Die kleineren Schäftlarer An-
nalen haben — verglichen mit den Wessobrunner — die
gemeinsame Quelle für eine Anzahl von Jahren ^ nur noch
viel dürftiger ausgeschrieben als dies in unseren Annalen
der Fall ist. Dass die letzteren nicht unmittelbare Vor-
lage der Wessobrunner sind, ergiebt sich daraus, dass unsere
Annalen einzelne Angaben weniger als jene enthalten, die
deutlich auf dem Wege der Excerpierung der Quelle weg-
gefallen sind, während die Wessobrunner sie aus der Quelle
übernommen haben. Andererseits sind unsere Annalen
auch nicht aus den Wessobrunner geschöpft: in den letz-
teren finden sich z. B. zum Jahr 1279 bruchstückhaft die
Worte: 'Rudolfus rex fuit in discordia'. Stellt man daneben
die Stelle, wie sie in unsern Annalen lautet: 'Rudolf us rex
fuit in discordia cum duce Heinrico Bavarie, sed sunt
concordati' etc., so springt in die Augen, dass die Wesso
brunner Aufzeichnungen nur gedankenloses Excerpt bieten
während unsere Annalen die Quelle richtig wiedergeben
Oder: die Wessobrunner Annalen enthalten zum Jahr 1278
die gleiche Mittheilung wie die unsrigen mit dem Schluss
'ut infra invenitur'. Die Nachricht aber, worauf dieser Hin-
weis geht, fehlt ihnen, während sie in den unsrigen zum
Jahr 1280 gegeben wird.
Dienen die vorliegenden Annalen auf der einen Seite
dazu, über Wessobrunner und Schäftlarer Annalen und die
darin enthaltenen Quellen einige Aufklärung zu geben, so
sind sie andererseits schätzenswerth, weil sie einzelne selb-
ständige Mittheilungen zur Territorialgeschichte überliefern.
Auf solche — soweit sie in der Comp., die ungefähr die
Hälfte der Annalen enthält, gedruckt sind — bezieht sich
z. B. auch Riezler Gesch. Baierns II, 159. 166. 265.
Die Glaubwürdigkeit solcher Nachrichten, die bisher,
als nur durch die Comp, verbürgt, nicht allzuhoch stand,
erhöht sich nunmehr durch die Thatsache, dass hier
eigene kleine Annalen vorliegen. Denn die Zusammen-
gehörigkeit der Annalen in der in clm. 14594 vorliegenden
Form dürfte kaum zweifelhaft sein.
In den ungedruckten Theilen findet sich manche
brauchbare Angabe, und wenn auch die Chronologie —
1) 1215. 1217. 1220. 1221. 1225. 1227. 1228. 1231. 1233. 1234.
1285. 1236. 1241. 1246. 1247. 1251. 1257. 1258. 1259. 1263. 1267.
692 Georg Leidinger.
■was vielleicht dein Abschreiber zur Last fällt — einiges
zu wünschen übrig lässt, so erweisen sich die Nachrichten
selbst doch meist als zuverlässig und lassen den Verlust
der umfangreicheren Quellen , deren ßeste sie zu sein
scheinen, bedauern.
Ihr Entstehungsort dürfte in der Diöcese Freising,
vielleicht in der Nähe Münchens zu suchen sein, wofür
vor allem die zweimalige Erwähnung des Getreidepreises
nach Münchener Mass spricht. Ob an Ebersberg als ür-
sprungsort zu denken ist, weil die Annalen der Ebersberger
Gründungsgeschichte angereiht sind und weil die von Ebers-
berg nicht weit entfernte Burg Schwaben zweimal genannt
ist, bleibe dahingestellt.
fol. 39'. Ueberschrift : Pejhartingen.
Gründuugsnotiz ^ des Stiftes Beyharting.
fol. 39'. Ueberschrift: Wiger.
Gründungsnotiz- des Klosters Weyarn.
fol. 51' — 53. Ueberschrift: Inferior Alta.
Kurze annalistische Notizen 'Ab Adam usque ad dilu-
vium' . . . am Schluss Geschichte Nieder altaichs von der
Gründung bis nach dem Tode Herzog Heinrichs I. von
Niederbaiern (f 1290). Erweist sich als ein Auszug aus der
Schrift Hermanns von Niederaltaich: 'De institutione mon.
Altahensis' (hsg. von Jaffe SS. XVII, 369), die zwischen 1242
und 1253 entstand. Unser Auszug ändert den dort zu
Lebzeiten des Herzogs Otto IL geschriebenen Schluss fol-
gendermassen: 'Post quorum mortem illustris princeps
Otto ... fit huius ecclesie advocatus, cuius gloriosus heres
preclare memorie dux Heinricus dedit ^ ecclesie huic deci-
1) Gedr. Hund-Gewold U, 134 und bei Wiedemann, Gesch. d.
regulierten Augustiner- Chorherren -Stiftes Beyharting, S.Beilage (aus einer
dem 16. Jh. entstammenden Beilage des cgm. 1765), in Deutingers ßey-
trägen z. Gesch. etc. des Erzbisthums München-Freysing IV, 1-47. 2) Gedr.
Comp. — fol. 41 — 50 = 4. Lage der Hss. enthält: 1. Cronica de origine
et processu regum Franciae. 2. Papstkatalog, zunächst bis Urbanus (VI.,
1378 — 1389) geführt, zu dessen Zeiten die Hs. entstand. Eine andere
Hand führte die Reihe bis Martinus (V., 1417 — 1431), eine weitere fügte
noch eine Notiz über Eugen IV. und Felix V. bei. 3. Kaiserprophezeiung
auf Herzog Friedrich von Landshut. Nach Kampers, Die deutsche Kaiser-
idee in Phrophetie und Sage S. 217, ins Jahr 1376 zu setzen. Abdruck
daselbst aus cgm. 227. Die älteste Hs. ist jedoch unser clm. 14594, in
welchem ich sie unabhängig von Joetze seinerzeit fand, vgl. meine oben
erwähnte Schrift S. 106. Zu Kampers S. 123 bemerke ich, dass die
Prophezeiung nicht durch Veit Arnpeck überliefert ist, wie es dort heisst,
sondern durch unsere Fundationes. Veit Arnpeck erwähnt sie nicht.
3) Vgl. die Urkunde (d. d. Vilshofen 19. April 1260) Mon. B. XI, 234
und Quellen und Erörterungen V, 171.
Fundationes monasteriorum Bavariae. 693
mam in Rottal et Marchartstein. Hornm anime in sancta
pace requiescant'.
fol. 53'. Traditiüusnotizen ^ aus Niederaltaich.
fol. 54 — 55. Annalistiscbe Notizen von Christi Geburt
bis 1322. Auffallend oft ist der Minoritenorden erwähnt.
Woher diese Aufzeichnungen stammen, wage ich nicht zu
entscheiden. Am nächsten liegt es, den Ursprung in einem
baierischen Minoritenkloster zu suchen, vgl. z. B. die An-
gaben :
1275. fratres minores claustrum fecerunt in Ingestat.
1280. monasterium fratrum minorum in Lantzhuet
fundatur.
1315. consecratus est chorus minorum in Lantzhuet
in honore S. Marie, Petri et Pauli.
Sie sind bisher nur in der Comp, gedruckt ^.
fol. 55'. Straubinger Annale n.
In einer scharfsinnigen Untersuchung 'Die ältesten
Spuren geschichtlicher Aufzeichnungen in Straubing' ^ hat
A. Ebner mit grossem Geschick aus den Ann.Windbergenses^
des clm. 1031 auf Straubing bezügliche Nachrichten mit
Einträgen in einer Niederaltaicher Hs. (Cod. pal. vind. 413
[bist. eccl. 29]), die schon Böhmer (Archiv VII, 478) 'eine
kleine Straubinger Chronik' nannte, und schliesslich mit
den Straubings Geschichte betreffenden Stellen der Comp,
verglichen und ihr Verhältnis zu einander festzustellen
gesucht. Er kam zu dem Ergebnis, dass in den drei Auf-
zeichnuugen einheimische Straubinger Quellen benutzt sind.
Ueber die Art derselben wurde er sich nicht ganz klar,
woran ihn hauptsächlich wohl die unsichere Herkunft und
Zusammengehörigkeit der in der Comp, enthaltenen Nach-
richten gehindert haben mag. Festeren Boden gewinnen
wir, wenn wir sehen, dass und wie die einzelnen auf Strau-
bing bezüglichen Theile der Comp, zusammengehören. Nach
den unten folgenden Erörterungen über das Verhältnis
der Comp, zu den Fundationes ist es unzweifelhaft, dass
die in der Comp, zerstreuten Nachrichten sich auf fol. 55'
1) Benutzt Hund 174/5. Gedr. Comp, ad a. 1000. 1040. 1049.
1246. 1301. Oefele bemerkt dabei am Rand ad a. 1000: 'Haec videntur
e chron. Ältahensi a compilatore nostro excerpta'. 2) Ad a. 1109. 1129.
1200. 1205. 1208. 1212. 1224. 1220. 1228. 1231. 1233. 1236. 1238 (d. h.
die Nachricht zu diesem Jahr bringt die Comp, fälschlich ad a. 1387!).
1241. 1246. 1250. 1251. 1253. 1255. 1256. 1257. 1260. 1266. 1268. 1272.
1275. 1277. 1290. 1291. 1298. 1310. 1312. 1313. 1315. 1322. Einige
Notizen fehlen in der Comp. 3) In Sammelblätter zur Geschichte der
Stadt Straubing N. 164 (1885). 4) Mon. ß. XIV, 108; Böhmer, Fontes
III. 524-, SS. XVn, 565.
694 Georg Leiclinger.
unseres clm. 14594 beisammen finden in einer Form, dass
wir sie unbedenklich als ßeste von Straubinger Annalen
bezeichnen dürfen. Die drei Texte (der Windberger, Nieder-
altaicher und der unsrige) stehen mit einander selbst in
keiner unmittelbaren Berührung, sondern haben jeder für
sich die gleiche Quelle benutzt, deren Eutstehungsort
Straubing (Karmeliterkloster) sein dürfte. Ebners Ansicht,
dass die Windberger Zusammenstellung als Vorlage der
Niederaltaicher betrachtet werden muss, theile ich aus
mancherlei Gründen nicht. Jede der drei Quellen hat
Einzelheiten der Vorlage mehr oder weniger aufgenommen,
aus denen deutlich erkennbar ist, dass kein direkter Zu-
sammenhang der drei besteht.
clm. 14594 giebt folgenden Text^:
1288 -. A voragine ignis Strubinga est destructa in vi-
gilia ^ Pantaleonis.
1313'^. Habitus est conflictus in Gamelsdorff ^.
1315. Facta est fames magna, quod schaffa siliginis
solvebat*' 5 libris et 60 denariis ßatisponensibus.
1332. Ludwicus Imperator obsedit Strubingam secunda
feria ^ ante festum Udalrici et permansit ibi usque ad fes-
tum Bartholomei^ et fecit pontem in Chabers" ultra Da-
nubium.
1338. Cremati sunt ludei in Strubinga et in Tecken-
dorff. Eodem anno multitudo ^^ locustarum volaverat per
totam terram Bavarie.
1342. Diluvium erat tantum, quod transiit ultra pon-
tem in Strubinga.
1347. Obiit Imperator Ludwicus ^^
1348. Factus est terremotus magnus in die conversio-
nis S. Pauli ^\
1350 ^^. Erat pestilencia magna per totam Almanniam.
1356. Albertus dux Bavarie obsedit castrum Natern-
berg. Eodem anno fuit iterum terremotus in die Luce
evangeliste ^* in gallicantu.
1) Wo nichts 1:)einerkt ist, stimmt derselbe mit W und N überein.
2) W und N berichten voraus, dass Straubing 1218 erbaut wurde; fehlt
hier, wohl weil schon in den vorausgehenden Annalen gemeldet wird:
'1208 Straubinga construitur'. 3) 27. Juli. 4) Fehlt N. 5) Später
zwischen die Zeilen geschrieben: 'in die quatuor coronatorum'. 6) Sic,
auch W und N. 7) 2. Juli. W: 'circa festum S.U'. X.: 'Secunda feria
post f. S.U'. 8) 24. Aug. W und N: 'usque ad quintam feriam ante f.
S.B'. 9) Kagers, Dorf an d. Donau oberh. Straubings. W: 'Chabers',
N: 'Chagers'. 10) Hs. 'multae'. 11) Am Rand von derselben Hand
Zusatz : 'qui fuit intoxicatus a Johanna ducissa Austrie'. Siehe dazu
unten S. 706. 12) 25. Jan. 13) Fehlt W uud N. 14) 18. Oct.
Fundationes monasteriorum Bavariae. 695
1360. Dnx Albertus obsedit castrum in Hilgersperge ^
1360'-. Albertus dux ßavarie struxit castrum in Stru-
binga.
1867 ^. Albertus dux Bavarie fundavit claustrum fra-
trum Carmelitarum in Strubinga. Post festum Michaelis
dominica die cantabatur prima missa ibidem. Albertus
Stejnhauf addidit cenobio magnam aream.
1378'*. Albertus filius Alberti ducis venit de Hollan-
dia in Strubing et incepit ibi regere.
fol. 56. Annalistische Notizen ^, kaum zusammenge-
hörig.
fol. 56'. Ueberschrift : Ad S. Nicolaum Patavie.
lieber Errichtung*^ und Privilegien von St. Nikolaus
in Pas sau.
fol. 56' — 57. Ueberschrift Osterhoven.
Gründungsgeschichte ' von Oster hofen.
fol. 57 — 58. Annalen'^ von 1256 — 1308: Auszug aus
den Ann. Osterhovenses SS. XVII, 537 — 558. Zu einzelnen
Jahren finden sich aus den auch von letzteren benützten
Annalen Hermanns von Altaich und ihrer Altaicher Fort-
setzung Stellen, die in den Osterhofener Annalen (wenig-
stens in der von Wattenbach herausgegebenen Form) fehlen.
fol. 58'. Ueberschrift: Metem.
Gründungsgeschichte von Metten in der ältesten er-
haltenen Form. Zwischen die Nachrichten von der nach
dem Brande des Klosters erfolgten Wiederaufrichtung und
von Abt Konrad von Auerbach ist die Geschichte der
Gründung durch Karl den Grossen eingeschoben. Bisher
fand sich diese Geschichte am frühesten bei Andreas '■* von
1) Hilgartsberg. 2) Links am Rand. Nicht bei W und N".
3) Unten am Rand. Nicht bei W und N. 4) Links am Rand. Nicht
bei W und N. 5) Gedr. Comp, ad a. 1310. 1349. 1379. 1242. 1337.
Ob aus Osterhofen? Aber ohne Zusammenhang mit den Ann. Oster-
hovenses SS. XVII, 537—558. 6) Benutzt Hund 251 (in chronica
scripta monasteriorum Bavariae invenio etc.). Gedr Comp, ad a. 1027.
7) Gedr. Hund 259; Mon. B. XII, 329; SS. XV, 2, 1105 ed. Holder-
Egger, der dazu von den Fundationes - Hss. clm. 27164 und cod. pal.
vind. 3520 benutzte. — fol. 56'' am Rand Notizen über Burgenbauten in
Schärding (1225), Flinsberg (1230), Teisbach (1251), Dingolfing (1251)
aus den Annalen Hermanns von Altaich. — fol. 57 Notiz: '1375 in die
Gregorii obiit Lupoldus ultimus comes de Halse sepultus in Osterhoven'.
Das gleiche Datum auch auf dem Grabstein jenes letzten Grafen von
Hals. Vgl. Brunner, Die Grafen von Hals, S. 55 Anm. 1. 8) Zum
grösseren Theil auch gedr. Comp. — ad a. 1308 hat die Hs. bei Heinrich
dem Natternberger am Schluss als späteren Zusatz: 'qui obiit a saltu
solarii in Naternberg' (1333). 9) Mittermüller, Das Kloster Metten
S. 10: 'ob sie in noch altern Schriften aufgezeichnet war, aus denen
Andreas schöpfte, lässt sich nicht ermitteln'.
696 Georg Leidinger.
Regensburg, der den mittleren ^ Theil unseres Textes im
Chronicon generale - überliefert.
Karolus Magnus fundavit claustrum in Metem anno . . .
Anno 1236 combustum est monasterium S. Michaelis
in Metem et omnia meuia eins diruta atque destructa.
Anno autera 1264 indiccione VII. IV. Idus lunii recon-
secratum est iam prenominatum cenobium eiusque altare
reconsecrando reformatum^ agente domino Conrado de Aur-
bach plebano cum promocione Ottonis et filiorum eins du-
cum ßavarie.
Notandum autem, quod primitiva fundacio prenominati
monasterii exordium habuit sub Karolo Magno in hunc
modum. Cum enim Karolus Magnus provinciam Bavarie
tunc temporis obtineret, accidit quod transitum faceret in
venacione positus per locum, in quo predictum monasterium
pronunc est situm, tunc silvaticum existentem, viditque ibi-
dem hominem disposicione heremitica existentem, qui in
construccione cuiusdam cellule extitit occupatus et bijjen-
nem, cum quo lignum excidebat, ad radios solares suspen-
dentem. Quo viso miraculo predictus rex admonuit pre-
fatum heremitam nomine Uttonem, ut aliquid peteret ad
profectum suum, quod presto esset se daturum. Qui petiit,
ut cultus Dei in construccione cuiusdam monasterii ampli-
ficaretur. Quod rex statim annuit et monasterium ibidem
fieri iussit et muneribus magnificis regaliter sublimando do-
tavit. In quibus sublimationibus per longa tempora per-
duravit, sed gravissime per combustionem ignis est depressum.
In qua desolacione per longa tempora deguit, quousque
secundario fuit reformatum, ut prius est expressum.
Anno 1297^ obiit Cunradus de Aurbach abbas et
erector ^ claustri in Metem **.
I
1) 'Ab hoc quoque Karolo primitiva fundatio monasterii in Metten
exordium habuit in hunc modum' . . . bis 'muneribus magnificis regaliter
sublimando dotavit'. 2) Pez, Thes. IV, 3, 440, wohl aus unserem Text.
3) 'Anno 1236' . . . bis 'reformatum' ist auch in clm. 8201a (Speculum
naturale des Vincentius Bellovacensis) nach der Schlussnote 'Anno D. 1332
scriptus est iste liber' etc. eingeschrieben (aber nicht von der Hand des
Schreibers der ganzen Hs., wie Mittermüller S. 36 meinte). Die oben
folgenden Worte 'agente domino Conrado' etc., die clm. 8201a nicht ent-
hält, sind aus anderer Quelle sicher irrthümlich darangefügt. Bruschius,
Centuria II, 27. 28 verbreitete den Irrthum (Konrad von Auerbach war
erst 1287—1297 Abt des Klosters) weiter. Mittermüller (S. 40 und 51)
sah sich hier darum vor kaum entwirrbaren Zweifeln, die aber im Sinne
seiner Anm. 167 zu lösen sein dürften, besonders wenn man nun noch
annimmt, dass der Irrthum in der vorliegenden Zusammenschreibung
entstand. 4) So auch der noch vorhandene Grabstein. 5) Siehe
dazu Mittermüller Anm. 167. 6) Diese letzte Notiz gedr. Comp., ebenso
eine unten am Rand der Hs. angebrachte, wohl auch aus Metten stam-
mende Note ad a. 1347.
Fundationes monasteriorum Bavariae. 697
fol. 59. Ueberschrift: Windenberge.
1. Notiz ^ über die Gründung des Prämonstratenser-
klosters Windberg nnd die Familie der Gründer.
2. Note ad a. 1196 ans den Ann. Windbergenses 2.
fol. 59'. Verschiedene werthlose Notizen^. Beachteus-
werth (zur Baugeschichte von St. Emmeramm in Regens-
burg) ist nur folgende vielleicht von dem Schreiber der
Hs. selbst herrührende ungedruckte Auf Schreibung : '1387
ipso die Blasii^ hora horologii tercia dormitorium S. Em-
merammi igne comburitur per Wolfhardum dictum Perch-
toltshover eiusdem monasterii monachum presidente tunc
temporis Frederico abbate domino de Wydenberg •", qui pre-
dictum monasterium eodem et in uno anno construxit et
reformavit. Capeila vero S. Colomanni sita subter dormi-
torium incombusta et illesa remansit, que tamen sita fuit
quasi in medio ignis'.
fol. 60—60'. Ueberschrift: Obernalta.
Geschichte ^ der angeblichen Restauration des Klosters
Oberaltaich und seiner weiteren Schicksale, gefertigt
nach der ältesten datierten Urkunde des Klosters v. J. 1104
und der ßestätigungsbulle Honorius' II. von 1126, Mon.
B. XII, 15 u. 98. Dazu Note ad a. 1220.
fol. 61. Ueberschrift: Unser Frawen Celle (von anderer
Hand Zusatz: 'apud Prennberg').
Gründungsgeschichte' des Klosters Frauenzell. Ist
Auszug aus der bei Hund-Gewold II, 468 gedr. Confirma-
tionsurkunde des Bischofs Nikolaus von Regensburg von
1320 (nicht 1324, vgl. Janner, Gesch. d. Bischöfe von Re-
gensburg III, 159) mit Zusatz am Schluss.
fol. 61. Ueberschrift: Ratispona.
Unter dieser Ueberschrift folgen auf den nächsten
Blättern eine Anzahl Notizen verschiedenster Art, von denen
manche aus verlorenen Regen sburger Quellen stammen,
einzelne in den Resten der Regensburger Quellen zu finden
und die meisten in die späteren Regensburger Geschichts-
erzeugnisse übergegangen sind.
1. Note^ ad a. 1337, zu welcher höchstwahrscheinlich
1) Benutzt Hund-Gewold III, 488; gedr. Comp, ad a. 1143.
2) SS. XVII, 565. 3) Am Rand links oben steht: 'Hasebecke predi-
cator in Ratispona'. Was dieser Name hier zu bedeuten hat, ist unklar.
4) 3. Febr. 5) Abt Friedrich von Weidenberg 1:385 — 1395. 6) Gedr.
Comp, ad a. 1104. 1125. 1220. Vgl. Mayer, Ueber die Gütererwerbungen
des Klosters Oberaltaich S. 19. 7) Gedr. Comp, ad a. 1324. 8) Gedr.
Comp. Mitgetheilt auch von Andreas von Regensburg (Pez, Thes. IV, 3,
562) und in der Farrago historica bei Oefele II, 507 (wonach Riezler,
Gesch. Baierns 11,458 Anm. 1 zu berichtigen ist). Ueber den Denkstein
vgl. Graf Walderdorff, Regensburg^ S. 373.
698 Georg Leidinger.
die g'leiclizeitige Inschrift eines noch vorhandenen Denk-
steines zu Eegensburg benützt wurde.
2. Kurze Geschichte der h. Aurelia ^.
3. f. 61'. Ueberschrif t : 'S. Emmerammi Eatispone'.
697. Appollonius primus abbas ecclesie S. Emmerammi
preficitur. Cui successit Sandradus. Item abbas Sigis-
mundus a Karulo Magno preficitur. 793 . . . damit ist ab-
gebrochen und die ganze Seite leergelassen. Vielleicht
liegt hier der fehlende Anfang der Annales S. Emmerammi
brevissimi (ed. Jaffe SS. XVII, 571) vor.
4. fol. 62 — 63. Eegensburger Annalen 874—1026.
Sie erweisen sich als Reste jenes zu Regensburg entstan-
denen und als Ganzes leider nicht mehr vorhandenen An-
nalenwerkes, aus dem sich in zwei in manchen Theilen von
einander abweichenden Hss. Excerpte erhalten haben. Der
Text der letzteren wurde von Wattenbach in den SS. XVII,
577 — 590 als Annales Ratisponenses - herausgegeben. Die
in clm. 14594 enthaltenen Reste bringen — ■ verglichen mit
W^atteubachs Annales Ratisponenses — gleiche oder ähn-
liche Nachrichten ad a. 874. 886. 888. 889. 892. 894 (Hs.
893). 895 (Hs. 894 u. 895). 900. 912. 916. 917. 918. 929.
930. 931. 934. 936. 949. 955 (Hs. 956). 995. 998. 1002. 1026.
Mehr als die Ann. Ratisp. berichten sie ad a. 880 und 1024
und ausserdem bringen sie Angaben zu den von den Ann.
Ratisp. überhaupt nicht berührten a. 896. 898. 921. 1001.
1014. Alle diese Reste sind aber dürftig und unbedeutend.
Immerhin darf eine etwaige Neuuntersuchung der Regens-
burger Geschichtsquellen sie nicht ganz ausser Acht lassen.
Zwischen die Jahre 900 und 912, bei deren ersterem
der Tod Kaiser Arnulfs verzeichnet steht (SS. XVII, 583),
ist ein den Annalen ursprünglich fremdes Stück ^ über
Arnulfs Zug gegen die Normannen ('Arnulfus regum Europe
olim famosissimus' etc.) eingeschoben. Dasselbe dürfte aus
einer späteren Regensburger Quelle stammen.
1) Vgl. Rader, Bavaria sancta II, 166. 2) Vorher bei Böhmer,
Fontes III, 488—495 als Hugonis (de Lerchenfeld) Ratisponensis Cronica
ohne Kenntnis der zweiten von Wattenbach benutzten Hs. 3) Andreas
von Regensburg hat es in sein Chron. gen. (Pez, Thes. IV, 3, 458) und
Chron. de duc. Bav. (Freher S. 32) aufgenommen. Vgl. auch den Traktat
De ducibus Bavariae in cod. pal. vind. 3402, fol. 175. — fol. 63 Note über
die Einführung des Allerseelentages. Vgl. Ringholz in Studien und Mitth.
a. d. Benediktinerorden 2, II, 236 und Sackur, Die Cluniacenser II, 230
und 475. — fol. 63. Ueberschrift: Divisio ecclesiarum S. Petri et B. Marie
in Monaco. Aufzeichnung ad a. 1271 über die Theilung Münchens in
zwei Pfarrsprengel. Gedr. Comp. Vgl. Ann. Undersdorfenses SS. XVII,
332.
Fundatioiies monasteriorum Bavariae. 699
5. Aufschreibungen, die in der Absicht gemacht zu
sein scheinen, die hervorragendsten Grrabstätten zu St. Em-
meramm aufzuzählen. Von Werth, wie sich gelegentlich
der neuerdings erfolgten Entdeckung der Confessio des h.
Emmeramm zeigte.
a) Anno 994. pridie Kai. Novembris S. Wulfgangus
Eatisponensis episcopus XII. migravit ad Dominum, qui
ibidem rexerat annis XXII. Anno 1052 Non. ^ Octobris a
B. Leone papa IX. est canonizatus et in criptam Occi-
dental em translatus^ presente et procurante Heinrico im-
peratore III. in Pabenberg (sie) sepulto.
b) Notandum ^ et unicuique devoto sciendum est, quod
locus, in quo constructum est monasterium S. Emmerammi,
Mons Martyrum^ antiquitus vocabatur pro eo, quod tunc
fide catholica pullulante in eodem loco infiniti pro fide
catholica martyrium subierunt, et omnes isti martjres in
cripta Orientali, que appellatur vulgariter cripta
S. Eamuoldi, patruelis S. Wulfgangi, corporaliter sunt
sepulti, et altare S. lohannis versus orientem, quod propter
eosdem Sanctos 'a pede Sanctorum' vocatur, ob eorun-
dem martyrum reverenciam est constructum.
c) Anno 995. Kai. Novembris obiit Heinricus primus
dux Bavarie ad S. Emmerammum sepultus^ ßatispone in
latere aquilonari. Heinrici'^ regis pater et defensio
legis — Bavarie cultus pius est hie dux H. sepultus.
d) S. Emmerammus Pictaviensis episcopus predicando
verbum Dei venit in Bavariam et ibidem in Helffendorf
pro Christo passus' est scilicet membratim incisus a baro-
nibus de Peierbrunnen, qui tunc rexerunt Bavarie ducatum.
Mortuus autem est in loco gramineo, qui proprie dicitur
vf dem gevilde, ubi nunc est capella in honorem nominis
ipsius, sepultus vero primo in villa Ascheym in ecclesia
principis apostolorum ibique per 40 dies quiescens divina
1) Vgl. zu diesem richtigen Datum SS. XVII, 572 Anm. 29. 2) Vgl.
Walderdorft', Regensburg* S. 317. 3) Gedr. aus dem ehem. Emmer-
ammer Clm. 14002 (geschrieben 1347), fol. 194, bei Endres, Die neuent-
deckte Confessio des h. Emmeramm zu Regensburg, Rom. Quartalsschrift
IX, 30. Vgl. auch Ebner, Die ältesten Denkmale des Christenthums in
Regensburg, in Verhandlungen d. hist. Vereins v. Oberpf. u. Regensb. 45,
174. 4) Vgl. dazu Dürrwaechter, Die Gesta Caroli Magni der Regens-
burger Schottenlegende S. 31 u. 186. 5) Zu dieser Nachricht vgl.
Hirsch, Jahrbücher I, 175 Anm. 4. Ueber die Tumba im nördlichen
Seitenschiff zu St. Emmeramm, vgl. "Walderdorff a. a. 0. 345. 6) Am
Rand der Hs.; Inschrift auf dem Rande der Platte der Tumba. 7) So
beginnt die (auch schon von Andreas von Regensburg mitgetheilte) Grab-
schrift und fährt fort: 'passus est anno D. 652 et hie primo tumulatus est'
(Walderdorff a. a. 0. 338).
700 Georg Leidinger.
revelacione mirabiliter deductus est ad urbem prenobilem
Ratisponam anno 652.
e) Anno 900. (sie) obiit Arnulfus Imperator et est se-
pnltns in cboro S. Emmerammi Ratispone cor am sum-
mum altare, cui loco multa bona fecit, ut patet in chro-
nicis. Cui successit filius eins Lndwicus , qui rexit XII
annis Romanorum rex et obiit anno 912 (sie) et est sepul-
tus in medio orientalis cliori S. Emmerammi Ratis-
pone ante summ um altare^.
f) Anno 1001. erastino die S. Viti sanetus pater
Ramuoldus migravit ad (Dominum) et sepeliebatur in orien-
tali cripta- S. Emmerammi. qui plura et nobilia signa fecit.
6. Noten wohl aus St. Emmeramm stammend.
fol. 64. ad a. 1052. 1254 3. i258. 1299^. 1308 ^ 1197 «^^
fol. 64'. ad a. 1202 '.
fol. 65. Noten (vielleicht unter Zugrundelegung einer
Prüveninger Bearbeitung der Ann. Ratisponenses SS. XYII,
585—589) ad a. 1109. 1117 (Comp. 1114). 1130. 1163 (Ann.
Rat. 1153). 1166. 1161. 1166 (Ann. Rat. 1167). 1152. 1176.
1253 (nicht in den Ann. Rat.)«. 1228 •'.
fol. 65' — 66. Bruchstück einer St. Emmerammer Auf-
zeichnung von 881 — 919, einer Quelle, aus welcher auch
Andreas von Regensburg ^'^ geschöpft haben muss.
fol. 66 — 67. Annalenii ad a. 1203. 1204. 1205. Iden-
tisch mit den Nachrichten der Continuatio der Admunter
Annalen SS. IX, 590 f.^^.
fol. 67. Note über die Schenkungen Kaiser Arnulfs
nach St. Emmeramm. Aus der nämlichen Quelle schöpfte
auch Andreas von Regensburg (Pez, a. a. O.)
7. Noten aus Obennünster in Regensburg.
886. indiccione IV. IV. Kai. Maii regnante Karulo
imperatore Ludwici et Hemme regine filio et presidente
1) Walderdorff a. a. 0. 336/7. 2) Das. 306. 8) Andreas von
Regeusburg bringt (Chron. gen. bei Pez, Thes. IV, 3, 531) dieselbe Nach-
richt mit den gleichen Worten und der Angabe 'ut legitur in cronica ad
sanctum Emmerammum ßatisijonae' zum Jahr 1251. 4) Comp, ad a.
1249! 5) Diese fünf Noten gedr. Comp. 6) Identisch mit dem Ab-
schnitt z. d. .T. der Notae S. Emmerammi SS. XVII, 573 f. 7) Die-
selbe Nachricht in der Continuatio der Admunter Annalen (in einer von
den übrigen abweichenden Hs.) SS. IX, 590. Gedr. Comp. 8) Sämmtl.
gedr. Comp. 9) Identisch mit dem sich an die oben erwähnten Nach-
richten ad a. 1197 anschliessenden Theil der Notae S. Emmerammi SS.
XVII, 574. Gedr. Comp, ad a. 1228. 1229 und folgende. 10) Vgl.
Chron. gen. bei Pez, Thes. IV, 3, 459. 11) Gedr. Comp, zu diesen
.lahren. 12) Vgl. oben fol. 64' ad a. 1202. Die Admunter Fortsetzung
resp. jene abweichende Hs. derselben dürfte in einem engen Verhältnis
zu Regensburg stehen.
Fundationes monasteriorum Bavariae. 701
Emericho (sie) Eatisponeiisis ecclesie episcopo datum est
Privilegium ^ superiori monasterio in villa Eotvvil etc.
1020. 1052 2.
fol. 67'. Ueberschrif t : Keisersheim.
Grüudungsnotiz ^ des Klosters Kaisheim (Kaisers-
heim).
fol. 68. 1. Uebersclirif t : 'Malhersdorff'.
Notiz ^ über Gründung des Benedictinerklosters und
den späteren Kirchenbau in Mallersdorf.
2. Ueberschrift : Vallis Felix.
Note'' über das Begräbnis der Gründerin des Cister-
cienser- Nonnenklosters Selige nthal bei Landsbut.
3. CFeberschrif t : Landeshut predicatores.
Note ^ über die Gründung des Dominikanerklosters in
Lands hut.
fol. 68'. Ueberschrift: Petenbach alio nomine Scheftlern.
Kurze Aufzeichnung ^ über Gründung, Verfall und
Wiederaufrichtung des Klosters Schäftlarn.
fol. 72. 3 Stücke '^ aus Hermanns von Niederaltaich
Schrift De institutione monasterii Altahensis SS. XVII,
370—372.
fol. 74. Ueberschrift : Cenobium Montis S. Viti in No-
voforo.
Gründungsgeschichte ■* des Benediktinerklosters S t.
Veit bei Neumarkt a. d. Rott.
fol. 71'. 1. Ueberschrift: Genghoven.
Notizen^'' über Gründung und Geschichte der Deutsch-
ordenskommende in Gangkofen bei Landshut.
1) In chronikalischen Aufzeichnungen bisher zuerst erwähnt bei
Aventin, Annales (Sämmtl. Werke II, 428). Vgl. Mühlbacher Reg. 1698.
Ueber die gefälschte angebliche Original -Urkunde, deren Protokoll jedoch
aus echter Vorlage genommen ist, vgl. Mühlbacher, Die Urkunden Karls III.
in SB. der AViener Akademie 92, 493. 2) Beide gedr. Comp. 3) Der
Schluss stammt aus der bei Hund-Grewold II, 216, Lünig, Spicil. eccl.
III, 326 und bei Schaidler, Chronik des ehem. Reichsstiftes Kaisersheim
S. Vn, gedr. gefälschten (vgl. Steichele, Das Bisthum Augsburg II, 612)
Bestätigungsurkunde. Gedr. Comp, ad a. 1130 und 1135. — Unten am
Rand von späterer Hand eine Notiz ad a. 1415. 4) Gedr. Comp, ad
a. 1139 und 1265. 5) Gedr. Comp, ad a. 1240. 6) Gedr. Comp, ad
a. 1287. 7) Gedr. Hund 289; Comp, ad a. 1140. Ist nicht identisch
mit dem SS. XVII, 345 gedr. Stück De fundatione Scheftlariensi. —
fol. 69 ist leer. fol. 69' — 71' Notizen aller Art, darunter fol. 71 eine
baierische Herzogsreihe aus Niederaltaich, vgl. Series ducum Bavariae bei
Böhmer, Fontes III, 480. 8) Die beiden letzten gedr. Comp, ad a. 1001
und 1218. — fol. 72'— 73'. Nichthistorische Notizen; nur fol. 73' zwei
annalistische Noten aus Niederaltaich ad a. 1218 (gedr. Comp.) und 1342.
9) Gedr. Comp, ad a. 1171. Oefele bemerkt dazu: 'Haec compilator
chronici huius ex tabulis fundationis videtur excerpsisse, quae tarnen
Hundii et Gewoldi sagacitatem effugerunt'. 10) Gedr. Comp, ad a. 1152.
1278. 1283.
702 Georg Leidinger.
2. Ueberschrift : Semanshausen.
Notiz ^ über die Gründung des Wilhelmiten- (später
Augustiner-) Klosters zu Seemannsbausen südlich von
Dingolfing. Einzige Quelle, vgl. Riezler, Gesch. Baierns II,
218 und Janner, Gesch. d. Bischöfe von Regensburg II, 451.
3. Ueberschrift: Wiechpach.
Nachricht ^ über Gründung und Vergrösserung des
Augustiner -Eremitinnen- Klosters Niederviehbach bei
Dingolfing.
fol. 76 — 78'. (fol. 77 gehört vor fol. 76 und scheint
später falsch eingeklebt worden zu sein, da der Text von
dem abbrechenden Schluss des fol. 77' auf den Anfang von
fol. 76 hinüberleitet). Schlechte Abschrift (mit Auslassun-
gen) eines Theils'^ der Annalen Hermanns von Niederalt-
aich SS. XVII, 381 — 407 und deren Fortsetzung, daselbst
408—416.
Dazwischen fol. 76 ein Stück ^ ad a. 1277 aus Eber-
hardi archidiac. Ratisponensis annales SS. XVII, 598; fol. 78
ein weiteres^ ad a. 1286 ('Visio mirabilis in claustro grisei
ordinis Tripolis') ebendaher (a. a. O. 605) und schliesslich
fol. 80' (die fol. 79 — 81 enthalten nicht hiehergehörige No-
tizen) eine Note ad a. 1304 ebendaher (a. a. O. 600).
Auf die Innenseiten des Umschlags der Hs., zu wel-
chem, wie oben erwähnt, eine Pergamenturkunde, und zwar
des Papstes Urban VI. vom Juni 1382, verwendet wurde,
hat der Sammler eine Reihe von genealogischen Bemer-
kungen — die jüngste nennt das Jahr 1382 — über An-
gehörige des wittelsbachischen Fürstenhauses eingetragen.
Sie finden sich grösstentheils in der Comp, wieder. Es
sind darunter einzelne wohl brauchbare Angaben, die auch
Haeutle in seiner 'Genealogie des erlauchten Stammhauses
Witteisbach' verwerthet hat.
Aus der ganzen vorausgehenden Untersuchung des
clm. 14594 ergeben sich folgende Gesichtspunkte: die Merk-
male einer Sammlung trägt unsere Hs. in allen Theilen
offenbar an sich, wenn dies auch durch keinen Titel, kein
Vorwort oder auf irgend eine andere Weise ausgesprochen
1) Gedr. Comp, ad a, 1255. 2) Benutzt und theilweise gedr.
Hund 313 (gegenüber Aventins Angaben eingeleitet mit: Alibi autem
habetur . . .); ganz gedr. Comp, ad a. 1296. — fol. 75 und 75' leer.
3) Alles gedr. Comp. 4) Nebst den beiden folgenden gedr. Comp.
5) Auch in der Continuatio Weichardi de Polhaim SS. IX, 811 zu finden.
Clm. 22117, fol. 84' giebt eine eigene Fortsetzung dazu.
Fundationes monasteriorum BaA^ariae. 703
ist. Des Sammlers Absicht ging wohl von vornherein da-
hin, zunächst die ihm zugänglichen Gründungsgeschichten
baierischer Klöster in einem Buche zu vereinigen und dabei
in zweiter Reihe von anderen historischen Notizen aufzu-
nehmen, was ihm bekannt wurde und abschreibenswerth
dünkte. Ob er den Gedanken, Klostergründungsgeschichten
zu sammeln, selbständig entwickelte, oder ob ihm vielleicht
schon eine ähnliche kleinere Sammlung vorlag, lässt sich
nicht entscheiden. Der Gedanke lag nicht fern; denn es
gab genug Fundationes als eigene abgeschlossene Erzeug-
nisse der erzählenden Litteratur, während allerdings andere
aus anderen historischen Quellen, Chroniken, Annalen, Ur-
kunden u. s. w., herauszunehmen waren. Jedenfalls möchten
wir vorschlagen, das Ganze mit dem Titel 'Historiae fun-
dationum' oder kürzer 'Fundationes monasteriorum Bavariae'
zu bezeichnen. Aus dem Kunterbunt des Buches heben
sich fast 40 Gründungsgeschichten baierischer Klöster (nur
Kaisheim ist schwäbisch) hervor. Nur wenig wichtige Klö-
ster des Landes fehlen in der Zahl. Die vierte Papierlage
trennt nicht nur zufällig: auf den ersten drei Lagen sind
nur oberbaierische Klöster behandelt, die beiden letzten
Lagen sind (abgesehen von Schäftlarn und Kaisheim) den
Klöstern Niederbaierns und der Oberpfalz gewidmet.
Bei der Frage, woher der Sammler seinen Stolf holte,
könnte man daran denken, dass er in einer grösseren
Klosterbibliothek, etwa zu St. Emmeramm in Regensburg
oder in Niederaltaich, aus den dort vorhandenen Quellen
sich seine Auszüge gefertigt hätte. Doch möchten wir im
Hinblick auf die grosse Mannigfaltigkeit der Quellen, aus
denen er schöpfte und die in solcher Menge sich kaum in
einer Bibliothek der damaligen Zeit vereinigt vorfanden,
lieber annehmen, dass er, wie später ein Aventin, im Lande
von Kloster zu Kloster umhergezogen ist und mit Bienen-
fleiss in sein Büchlein eingetragen hat, was ihm für seine
Zwecke gut schien, hier mehr, dort weniger, wie er es
fand und wie er es nehmen wollte. Es macht den Ein-
druck, als habe unser Sammler zuerst in Oberbaiern, dann
erst in Niederbaiern und der Oberpfalz sich aufgehalten,
wo insbesondere Niederaltaich und Regensburg den Reich-
thum ihrer historischen Aufzeichnungen darboten. Be-
achtet man die Reihenfolge der Gründungsgeschichten und
fasst die Lage der hauptsächlich behandelten Klöster ins
Auge, dann ist man fast versucht, den Weg zu zeichnen,
den der Sammler vom Alpenfuss bis zu den Hängen des
Donauthals gemacht haben könnte.
Neues Archiv etc. XXIV,
45
704 Georg Leidinger.
Wer und woher er war, können wir nur vermuthen.
Am wahrscheinlichsten ^ dünkt mich, dass er ein Mönch von
St. Emmeramm zu Eegensburg gewesen ist, dem Kloster,
in dessen Bibliothek seine Sammlungshandschrift der Nach-
welt überliefert wurde. Die jüngsten Nachrichten von
seiner Hand betreffen Ereignisse des Jahres 1388 -: man
wird kaum fehlgehen, wenn man annimmt, dass die ganze
Sammlung um dieses Jahr angefertigt wurde.
Der Werth der Sammlung liegt heute nicht sowohl
in den grösseren Gründungsgeschichten, die ja fast alle
auch sonst erhalten sind, als vielmehr in den vielen kleinen
Notizen aus den verschiedensten Quellen, darunter manchen
verlorenen, was man nach den oben je im Einzelnen ge-
gebenen Andeutungen ermessen kann.
Von clm. 14594 wenden wir uns zur Beschreibung der
übrigen Hss. und Untersuchung ihres Verhältnisses zu
clm. 14594, wobei wir insbesondere genöthigt sind, die Auf-
stellungen Joetzes im Einzelnen zu verbessern. Sein Haupt-
fehler, der ihn auch verleitet hat, in Sebastian Rangk den
Verfasser der Fundationes zu erblicken, ist der, dass er in
clm. 221 17 die Vorlage des clm. 27164 erkennen will, während
es sich gerade umgekehrt verhält, und clm. 27164 hin-
wiederum Abschrift des Joetze unbekannt gebliebenen Ori-
ginals clm. 14594 ist.
Clm. 27164 (in 4^; aus Tegernsee, später im k. Reichs-
archiv; auf dem vordem Deckel der Titel: 'Fundationes
aliquorum monasteriorum Bavariae ordinis S. Benedicti et
S. Augustini aliarumque ecclesiarum in Bavaria existentium' ;
5 unbezeichnete und 117 numerierte Blätter) zerfällt in
zwei von zwei verschiedenen Händen geschriebene Theile,
deren erster, fol. 1 — 93, vollständige Abschrift des
clm. 14 5 94 ist, während der zweite, fol. 94 — 112, eine
Sammlung anderer, hauptsächlich Salzburger, Gurker und
Chiemseer historischer Stücke enthält. Auf dem 1. unbe-
zeichneten Blatt befindet sich ein Inhaltsverzeichnis (clm.
14594 hat keines), welches, wie die Hs. selbst, in zwei,
von verschiedenen Händen geschriebene Theile zerfällt.
Für den ersten Theil ist es überschrieben: 'In hoc libello
continentur cronicae fundationum plurium monasteriorum' ;
vorangestellt ist dann Tegernsee '^ wohl weil die Abschrift
1) An Ettal (vgl. Oefele II, 343) wegen der Ausdrücke 'presens
templum' oder 'hiiius loci' zu denken, ist unzulässig, da ähnliche Stelleu
in den verschiedenartigen Theilen der Sammlung auch sonst vorkommen.
2) Der Papstkatalog ist bis Urban VI. (1378—1389) geführt. 3) Nur
im Inhaltsverzeichnis; der Text beginnt wie 14594 mit Dietramszell.
Darnach ist Joetze S. 112 zu berichtigen.
Fundationes monasteriorum Bavariae. 705
dahin gehörte ; die Reihenfolge der übrigen Stücke ist bei-
behalten. Wichtig ist darin die Angabe — die Joetze
entgangen ist und seine Behauptung ^, die Hs. müsse nach
dem Papstkatalog unter Innocenz VIII. (1484; — 1492) ange-
fertigt worden sein, widerlegt — : 'Catalogus summorum
pontificum usque ad Felicem V., qui nostro aevo electus
contra Eugenium in concilio Basiliensi postea libere papatui
cessit, quem sequitur modernus summus pontifex Nico-
laus V. Demnach wurde das Inhaltsverzeichnis während
des Pontificats Nikolaus' V. angelegt. Die Abschrift des
Textes selbst, die von anderer Hand als das Inhaltsver-
zeichnis herrührt, fällt wohl noch etwas früher, nämlich
in die Zeit Felix' V. Denn der Papstkatalog reichte wie
in clm. 3 4 594 zunächst-, wie obige Notiz des Inhaltsver-
zeichnisses bezeugt, bis Felix V. Das wurde schon früher
erkannt: eine dem 18. Jh. angehörende Hand schrieb an
den untern Rand des ersten Blattes: 'Scriptus est hie liber
circa annum ]440 sub Eugenio papa et Feiice suo anti-
papa'^. Der zweite Theil der Hs. ist gegen Ende des 15. Jh.
geschrieben.
Die Abschrift der Fundationes des clm. 27164 ist
genau und folgt ängstlich der Vorlage clm. 14 594. Joetzes
gekünstelte Erklärung für die Abstammung des clm. 27 164
von clm. 22117: der Abschreiber habe die in clm. 22117
verwirrten Theile in clm. 27 164 geordnet, indem er die
verschiedenen Einschiebsel stets an der rechten Stelle
unterbrachte, fällt sofort haltlos in sich zusammen. Wo-
her hätte der Schreiber auch wissen sollen, welches 'die
rechte Stelle' ist?
Randnotizen des clm. 14 594 werden in clm. 27164
theils an der entsprechenden Stelle auch an den Rand ge-
schrieben, theils in den fortlaufenden Text aufgenommen.
Die unvollständigen, oft mitten im Satz abbrechenden
Stücke der Vorlage sind in gleicher Verstümmelung abge-
schrieben. Die genealogischen Notizen, welche auf die
Innenseite des Vorderdeckels von clm. 14 594 gekritzelt
sind, fügt clm. 27 164 an den Schluss der ganzen Abschrift.
Völlig klar wird das Verhältnis der Hss. durch einen Irr-
thum, der dem Schreiber des clm. 27 164 unterlief und sich
dann auch in die von diesem Codex abstammenden Hss.
1) S. 112. 2) Die späteren Päpste wurden in clm. 27164 von
späteren Händen, und zwar drei verschiedenen, eingeschrieben, zunächst:
Nikolaus V. 1447, Calistus III. 1455, Pius II. 1458, Paulus II. 1464,
Sixtus rV. 1471; dann: Innocentius VIII. ; dann: Alexander VI. 3) Da-
mit modificiert sich meine frühei'e Ansicht; Veit Arnpeck S. 106.
45*
706 Georg Leidinger.
fortpflanztet Auf fol. 55' findet sich in den Straubinger
Annalen die Notiz: 'Anno 1347. Obiit imperator Ludwicus',
dann folgt ein Zeichen, welches auf einen an den linken
Rand quergeschriebenen Zusatz: 'qui fuit intoxicatus a lo-
hanna ducissa Austrie' hindeutet. Bevor dieser Zusatz an
den Rand geschrieben wurde, befanden sich dort schon
zwei Notizen: 'Anno 1360. Albertus dux Bavarie struxit
castrum in Straubinga', dann folgte eine leere Zeile, in
welche später jener Zusatz von der angeblichen Vergiftung
Kaiser Ludwigs eingeschrieben wurde, und darunter standen
die Worte: 'Anno 1378. Albertus filius Alberti ducis venit
de Hollandia in Strubing et incepit ibi regere'. So clm.
14 594. Nun ist in clm. 27 164, der einzelne Randnotizen,
wie erwähnt, bei der Abschrift in den Text aufnahm, in-
folge der Nichtbeachtung des Zeichens nach Ludwicus
folgender Unsinn zusammengeschrieben worden (fol. 68) :
'Anno 1360. Albertus dux Bavarie struxit castrum in
Strawbing, qui (!) fuit intoxicatus a Johanna ducissa Austrie.
Anno 1378. Albertus etc. venit de Hollandia etc.
Anno 1347. Obiit imperator Ludwicus'.
Ein ähnliches Verhängnis hat die in clm. 14594 fol. 11
oben stehende Ueberschrift 'Cenobium Pewerberg S. Petri' in
clm. 27 164 fol. 12 mitten in den Text des Stückes de cro-
nica Pelagii hineinverschlagen, und so Hessen sich noch
eine ganze Reihe von Kleinigkeiten anführen, die clm. 14 594
sicher als die Vorlage von clm. 27 164 kennzeichnen.
'Author est Vitus Arenbek' hat eine Hand des 17. Jh.
auf dem fünften Blatt des clm. 27 164 bemerkt und spätere
Gelehrte, Pez, Leibniz u. a. haben dies geglaubt: dass der
Chronist des ausgehenden 15. Jh. hier nicht als Verfasser
in Betracht kommen kann, zeigt die ganze bisherige Dar-
legung.
Cgm. 427 (in 4 *', 253 ßl.) enthält unter mannigfachen
andern Stücken fol. 76 — 250^ eine deutsche üebersetzung
der Fundationes, und zwar aus clm. 27 164^. Am Ende
der üebersetzung bezeichnet der Schreiber den Tag der
Vollendung: 'Amen in gottes namen 1479 an Sand Chlaren
tag der junckfrawen'. Der Papstkatalog schliesst dement-
sprechend mit 'Sixtus der IUI.' (1471 — 1484), bis zu welchem
Papst damals auch das Verzeichnis in clm. 27 164 fort-
1) Auch in die Comp. 2) Ursprünglich selbständig foliiert.
3) Nicht aus cgm. 227, auf welchen der Catalogus codd. mss. bibl. reg.
monac. V, 69 verweist. Das ergiebt sich bei Vergleichung aus vielen
Einzelheiten.
Fundatioiies monasteriorum Bavariae. 707
geführt war. Die üebersetzung; ist vollständig ^ und genau.
Die Reihenfolge der Stücke ist unverändert; die von clm.
27 164 an den Schluss versetzten genealogischen Noten des
Vorderdeckels von clm. 14 594, wie die von clm. 27 164 in
den Text aufgenommenen Randnoten, die abgebrochenen
Stellen-, die Irrthümer^ sind getreulich übersetzt.
Cgm. 227(in2 0; aus Ebersberg. 224 BL, fol. 106—222
auch mit alter eigener Blattzähluug) enthält fol. 106 — 176
eine Abschrift der Fundationes, sicher aus clm. 27 164.
Die Papstreihe schliesst mit 'Sixtus 4. 1471' und ist ganz
von einer einzigen Hand geschrieben. Da in clm. 27 164
später noch Innocenz VIII. (1484 — 1492) eingetragen wurde,
dürfte die Abschrift zwischen 1471 und 1484 gefertigt sein.
Sie hält sich im Ganzen streng an die Vorlage; Zusätze
fehlen ; man bemerkt nur verschiedene aus äusseren Grün-
den sich erklärende Umstellungen einzelner Stücke.
Eine lückenhaftere und schlechtere Abschrift aus
clm. 27 164^ enthält cod. pal. vind. 3520 (Lunael. in q. 59),
fol. 151a — 209 a. Er stammt aus dem Ende des 15. Jh.
Oefele gab in seinen Rer. boic. SS. I, 10 seiner Zeit an,
dass die Klostergründungsgeschichten des Andreas von Re-
gensburg, deren Betrachtung in dieser Abhandlung bei Seite
gelassen ist, in zwei Hss. erhalten seien. Nach seiner Be-
schreibung erweist sich die eine als clm. 351 , den wir
oben angeführt haben ; bezüglich der andern aber, die
Oefele aus dem Katalog der Mondseeer Hss. im zweiten
Theil der Mantissa chronici Lunaelacensis bipartita (1769)
kennen lernte, ist festzustellen, dass sie nicht die Funda-
tiones des Andreas enthält, sondern zur Hss.-Gruppe unserer
1) "Wenn Joetze S. 110 sagt, clm. 427 sei inhaltlich nicht so voll-
ständig wie die drei von ihm vorher genannten lateinischen Chroniken
(er hat übrigens vier genannt), so ist das undeutlich. Cgm. 227 fügt
allerdings die beiden Stücke von den Schottenklöstern zu Regensburg und
Memmingen hinzu, in clm. 27164 ist ein zweiter, doch erst viel später
eingeschriebener Theil enthalten, clm. 22117 ist eine spätere eigene Be-
arbeitung, cod. pal. vind. 3520 giebt die Fundationes fast ganz in der
Form des clm. 27164, jedenfalls aber ist der Kern, der in allen vier Hss.
steckt, nämlich die Fundationessammlung des clm. 14594, in cgm. 427
vollständig aus clm. 27164 übersetzt. 2) Bei der abgebrochenen
Erzählung von dem "Wunder in Stams ist bemerkt: 'Es was nicht mer
da geschriben'. 3) Z. B. der oben erwähnte IiTthum mit der Notiz
über die angebliche Vergiftung Kaiser Ludwigs: 'Item anno domini 1360
iar hat hertzog Albrecht zw Payren das geschlos zw Straubing gepawt, der
ist vergifft worden von frawen Johanna hertzogin zw Osterreich'. 4) Vgl.
Holder- Egger in SS. XV, 1105. Nach Mayrs Ansicht (N. Arch. V, 132)
sind die Fundationes in cod. pal. vind. 3520 aus clm. 14594 abgeschrieben,
was jedoch nicht zutreffen dürfte.
708 Georg Leidinger.
Fundationes gehört. Es ist cod. pal. vind. 3520 (aus Mond-
see), wie sich aus Vergleichung der Inhaltsangabe in jenem
Mondseeer Hss.-Katalog S. 393 mit der von Wattenbach \
Archiv X, 497 ergiebt.
Die in clm. 1470 (in 2 °, saec. XVI., aus Wessobrunn,
217 fol.), fol. 103 — 171 enthaltene Cronica fundationum ist
ebenfalls Abschrift aus clm. 27 164 und zwar enthält sie
auch fast dessen ganzen zweiten Theil. Die einzelnen
Stücke sind nur anders geordnet, manche sind weggelassen,
andere, so z. B. fol. 114 eine ausführlichere Fundatio mo-
nasterii S. Rassonis comitis in Werde, an die Stelle der
ursprünglich vorhandenen gesetzt. Diese Umgestaltung
dürfte von dem Wessobrunner Mönch Stephan Leopolder,
mit dessen Namen andere , von der gleichen Hand her-
rührende Theile des Bandes versehen sind, gemacht worden
sein (nach 1516'-). Mit dem im Folgenden behandelten
clm. 22 117 steht clm. 1470 nicht in direktem Zusammen-
hang ^.
Wenn man die Fundationes des clm. 1470 als 'Stephan
Leopolders über fundationum' bezeichnet^, darf man Leo-
polders eigene Arbeit dabei möglichst gering ^ schätzen.
Von clm. 27 164 stammt ferner clm. 22 117, den Joetze
für den wichtigsten der Gruppe, für die älteste lateinische
Fassung ansah, der es aber mit nichten ist.
Clm. 22117 (in 4", aus Wessobrunn; 154'^^ Bl.) enthält
fol. 3 — 88 eine lückenhafte Abschrift des clm. 27 164, fol.
88' — 92' und fol. 148 — 153 spätere Ergänzungen dieser
Lücken aus dem nämlichen Codex, fol. 99 — 147 eine Samm-
lung von Steingadener Urkunden '. Auf dem Holzdeckel
liest man: 'Collectura monasteriorum Sebastian! ßangk' und
auf fol. 1 oben: 'Liber Sebastiani Rangk', beide Notizen von
der Hand des Schreibers und Eigenthümers der Hs. ge-
schrieben.
Sebastian Rangk, dem Leuthner in seiner Hist. mon.
Wessofontani I, 362 einen längeren Abschnitt widmet, war
der Bruder des Abtes Paul IL von Wessobrunn (1460 — 1486)
I
1) Wattenbach bemerkte damals über die Fundationes : Allerlei
Notizen und Excerpte, worunter vielleicht Brauchbares sein kann. 2) Cf.
fol. 77'. 3) Damach ist Leuthner I, 362 zu berichtigen. 4) Fugger,
Kloster Wessobrunn, S. IV. 5) Joetze S. 109 geht zu weit. 6) Alte
Blattbezeichnung: zwei leere Blätter, dann Quaternionen A. 1, 2, 3, 4 etc.
bis neu fol. 98, dann alte fol. 1—54 (= neu fol. 99 — 153). 7) Ausser-
dem fol. 93 — 94 die 'Protestatio veritatis de Tassilonis vita' Rudolfs von
Fölling in der späteren Pollinger Form (Hund-Gewold III, 113) und
fol. 95 — 98 Stücke aus dem mittleren Theil der Wessobrunner Annalen
(Leuthner II, 26).
Fandatioues monasterioriim Bavariae. 709
und Pfarrer zu Beuern in der Nähe des Ammersees. Nach
einer unten zu beleuchtenden Notiz hat er 1514 noch ge-
lebt. Mit Unrecht hat Leuthner ihn auf Grund der Col-
leetura monasteriorum zum Schriftsteller gestempelt und
sind Spätere ^ seinem Vorgang gefolgt. Sebastia,n Rangk
hat nichts verfasst noch excerpiert, sondern nur abge-
schrieben.
Seine Vorlage für die Fundationes war clm. 27 164.
Beim Abschreiben der Tegernseeer Hs. waren von ihm ein-
zelne Stücke zunächst weggelassen worden ; später hat er
dann die flüchtige und unvollständige Abschrift einer Ver
gleichung mit der Vorlage unterzogen, nach ihr verbessert
erweitert und die grösseren ausgelassenen Theile auf fol
88'--92' und fol. 148—153 nachgetragen. An den Stellen
an welchen letztere nach der Vorlage stehen müssten, ver
wies er dann mit kurzen Worten auf die späteren Eintrags
platze und umgekehrt von den späteren auf die früheren
so correspondieren diese Notizen auf fol. 33 mit fol. 90
fol. 54' mit fol. 91, fol. 56 mit fol. 150, fol. 69' mit fol
91' und fol. 92', fol. 70' mit fol. 90'. Auf diese Weise wurde
endlich doch fast der ganze Inhalt der Fundationes in
ßangks Abschrift wieder vereinigt, und es fehlen schliess-
lich nur (fol. 56) der ganze Abschnitt 'Sunt quidam ..." der
Frankenchronik, der Papstkatalog und die Kaiserprophe-
zeiung. Und an dieser Stelle verräth Rangk auch seine
Vorlage; am Rand heisst es: 'Nota deficiunt quasi 7 folia',
eine Bemerkung, deren Sinn uns unter Beachtung einer
weiteren zwischen den Zeilen stehenden Notiz: 'Sunt qui-
dam fol. 56 in libro Tegernseensi' klar wird, sobald wir
den Tegernseeer clm. 27 164 aufschlagen. Hier sind näm-
lich auf den sieben Blättern 56—62 die in clm. 22117
fehlenden Stücke, beginnend mit 'Sunt quidam . . .' enthal-
ten-: zweifellos ist also clm. 27 164 jener liber Tegernseen-
sis. Hat doch in diesem Rangk selbst schriftliche Spuren
hinterlassen.
In Clm. 27 164 fol. 77' hat am Schlüsse der Nachricht
von dem Aufenthalt des Papstes Leo IX. zu Regensburg
1052 Rangk beigeschrieben: 'De illo vide bullam in pen-
ultimo folio huius libri'. Damit ist auf die folio 111 ent-
haltene, zu dem, wie oben erwähnt, gegen Ende des 15. Jh.
geschriebenen zweiten Theil der Hs. gehörige Bulla ex
parte S. Dionysii Ratisponam translati von 1052 verwiesen.
1) Kobolt , Gelehrtenlexikon S. 543 , Fugger , Kloster Wessobrunn
S. 11 und 65, .Toetze. 2) Aber nicht als selbständiger Zusatz, wie Joetze
S. 110 meint, sondern, wie alles, in Abschrift aus clm. 14594.
710 Georg Leidinger.
In clm. 22117 fol. 70' war die erstgenannte Notiz ad
a. 1052 zunächst weggelassen worden , wurde dann aber
unter oben geschilderter gegenseitiger Verweisung fol. 90'
nachgetragen, und dort merkte Rangk anscheinend zu der
nämlichen Zeit, in der er die gleiche Notiz in clm. 27 164
fol. 77' machte, an: 'Vide infra de illo bullam papae' und
schrieb die Bulle ^ fol. 151' ein.
In clm. 27 164 wurden auf einer leeren Seite fol. 50'
von einer späteren Hand, sicher nach 1493, genealogische
Aufzeichnungen über das baierische Herzogshaus einge-
tragen. Dort hat Rangk zu der Angabe: 'Anno D. 1451
(Albertus) genuit ducem Wolfgangum Omnium Sanctorum'
an den untern Rand des fol. 51 bemerkt: 'Anno D. 1514
in die S. ürbani papae, quae erat dies ascensionis Domini,
mane hora secunda ante ortum lucis obiit - Wolfgangus dux
Bavariae, cuius anima requiescat in pace. Sebastianus
sacellanus secundus scripsit'. Rangks Handschrift ist un-
verkennbar und man braucht an keinen andern Sebastian
zu denken. Kleinere Bemerkungen von seiner Hand finden
sich noch fol. 23', 31' und 50.
Aus alledem geht hervor : Rangk hat clm. 27 164
zweimal in Händen gehabt ; das eine Mal zur Anfertigung
seiner ersten lückenhaften Abschrift, die er vielleicht nahm,
bevor der zweite Theil in clm. 27 164 hinzugefügt war:
finden sich doch am Ende dieser ersten Abschrift (clm.
22 117 fol. 88) die Worte 'Huius operis finis' — , das zweite
Mal zur Ergänzung und Verbesserung: damals scheint er
jene Notiz ad a. 1514 eingetragen zu haben, wohl gleich-
zeitig mit der berichteten Thatsache. Auf jene Zeit deutet
auch noch folgender Umstand : in clm. 27164 machte eine
spätere Hand die Bemerkung : 'Treveris S. Maternus anno
1512 cum aliis reliquiis inventus' ; Rangk fügte diese Worte,
die bei seiner ersten Abschrift noch nicht vorhanden waren,
bei der Revision am untern Rand von fol. 47 des clm.
22117 an.
Man sieht, wie Unrecht Joetze hatte, wenn er in
Rangks Collectura die älteste Fassung der Fundationes
erblicken wollte, einer Abschrift, die weit über 100 Jahre
von dem Original sich entfernt.
1) Nebst dem in clm. 27164 fol. 110' derselben vorhergehenden
Stück 'Privilegium monachorum de Scotia Ratisponae'. Den zweiten Theil
des clm. 27164 hat Rangk ausserdem nicht benutzt. 2) In Landsberg
und wurde in Andechs begraben, beides Orte, die nicht weit von Beuem
und Wessobrunn entfernt liegen, so dass Rangks genaue Angabe be-
greiflich und zugleich zuverlässig erscheint.
Fundationes monasteriorum Bavariae. 711
Clm. 1802 (iu 40; saec. XV; aus Polling; 144 fol.)
enthält fol. 119 — 143 die ersten Stücke der Fvindationes
bis zur Geschichte von Ebersberg- in einer sehr schlechten
Abschrift, deren Lesarten mit clm. 14 594 übereinstimmen;
dabei sind viele Schreibfehler vorhanden und Stellen und
Worte, die in der Vorlag-e schlecht leserlich waren, in der
Abschrift öfter einfach weggelassen. Mit clm. 27 164 und
den von diesem abstammenden Hss. häng-t clm. 1802 nicht
direkt zusammen.
Ein kurzer Auszug- aus den Fundationes findet sich
schliesslich noch in clm. 4423, fol. 99 — 101, dem Notizenbuch
des Fraters Simon Weinhart aus dem St. Ulrichskloster
in Füssen, welches dieser während eines Aufenthaltes im
Kloster Mondsee 1481 — 82 anlegte. Vorlage für die Ex-
cerpte war hier wohl cod. pal. vind. 3520.
Wir haben den Inhalt der Fundationes so eingehend
bestimmt, weil sie einer Reihe späterer Geschichtschreiber
als Quelle gedient haben. Der Zeit nach am nächsten
steht Andreas von Regensburg. In seinem Chron. generale
räumte er den baierischen Klostergründungsgeschichten
besonders viel Raum ein, so dass daraus später sogar ein
eigener Auszug, der jene wieder vereinigte, gefertigt wer-
den konnte : die von Freher seiner Ausgabe der baierischen
Chronik des Andreas angehängten Historiae nonnullorum
insignium monasteriorum per partes Baioariae, deren Be-
deutung als Excerpt der Chronik natürlich eine ganz ge-
ringe ist gegenüber unserer Sammlung, die immer die ur-
sprünglichen Quellen ziemlich unverändert wiedergiebt.
Die Benutzung unserer Fundationes durch Andreas ist un-
verkennbar: seine Nachrichten über Dietramszell (Pez,
Thes. IV, 3, 498), Beuerberg (509), Baierischzell-Scheyern
(496), Habach (497), Ettal (561), Niederaltaich (428), Wesso-
brunn (441), Diessen (454), Ebersberg und Geisenfeld (476),
St. Nikolaus zu Passau (486), Metten (446), Windberg (514),
Frauenzeil (554), Kaisheim (511) und andere einzelne Noti-
zen dürften — der Textgestaltung nach zu schliessen —
unserer Sammlung entnommen sein. Ob Andreas die Pol-
linger Geschichte von dem blinden Tassilo (441), sowie
einzelne Nachrichten aus den kleinen baierischen Annalen
— so zu 1158 (517), 1203 (523), 1286 (546), 1288 (546),
1290 (547) — gerade aus den Fundationes oder anders-
woher schöpfte, bleibe dahingestellt.
Von der Benutzung der Fundationes durch das Kloster
Beyharting, dem anscheinend die eigene Gründungsgeschichte
verloren gegangen war, dürfte folgendes dorther stam-
712 Georg Leidinger.
mende Schriftstück^ zeugen: 'Cum omnis actio mundauoruni
quamvis solenniter celebrata temporum curriculo elabante
cadere soleat nisi quodam quasi fulcimento scripturarum
adminiculo perennetur, universis huius paginae inspectoribus
tain modernis quam successoribus volumus publicari de
originali fundatione nostri praesentis moiiasterii, quam ye-
nerabilis dominus Udalricus tunc temporis praepositus -
repperit Eatisponae in monasterio S. Emerani literaliter in
quodam libro per revelationem abbatis eiusdem monasterii
tarnen sine annali numero incarnationis Domini nostri lesu
Christi in tali tenore, qui hie sequitur' : nun folgt aufs
Wort die in unseren Fundationes enthaltene Gründungs-
geschichte und den Schluss bildet das Datum : 'Scripta sunt
haec in nostro monasterio anno incarnationis Domini 1444'.
Es dürfte als sehr wahrscheinlich betrachtet werden können,
dass gerade clm. 14 594 die Hs. war, aus der Propst Ulrich
von Beyharting die Gründungsgeschichte seines Stiftes
heimholte.
Stiftete die Sammlung so im Einzelnen Nutzen, so
machte von ihr später den ausgiebigsten Gebrauch Veit
Arnpeck, dessen Stellung zu ihr ich in meiner oben ange-
führten Schrift S. 97 — 110 untersucht habe; unabhängig
davon kam auch Joetze S. 69 in der Hauptsache zu dem
gleichen Ergebnis. Es finden sich ferner Spuren der Benutzung
der Fundationes durch Aventin und durch Laurentius
Hochwart. Auch Bruschius mag sie gekannt haben.
Fast 200 Jahre später als unser ungenannter Mönch
das Bedürfnis empfunden hatte, eine Sammlung von Grün-
dungsgeschichten baierischer Klöster anzulegen, führte Wi-
guleus Hund denselben Gedanken auf breiterer Grundlage
in seiner heute noch schätzenswerthen und unentbehrlichen
Metropolis Salisburgensis (Ingolstadii 1582) aus und zwar
in deren zweitem Theil, in welchem er Fundationes et
erectiones monasteriorum et ecclesiarum collegiatarum per
Baioariam behandelte. Hiezu leistete ihm die ältere
Sammlung des Ungenannten viele Dienste. Er entnahm
ihr zahlreiche Stücke, die wir im Einzelnen oben bezeich-
net haben, und nennt sie als seine Quelle ausdrücklich an
verschiedenen Stellen: S. 189 (liber manuscriptus de fun-
dationibus aliquorum monasteriorum Bavariae), 205 (liber
Dietramzellensis), 206 (haec ex libro Diethramzellensi), 235
(ex libro fundationum monasteriorum aliquot Bavariae ete.
1) Hund-Gewold 11,1:54; vol. AViedemann a. a. O. 2) 1410 —
1449.
Fundationes monasteriorum Bavariae. ■ 713
scripto in Dithrami Zella), 251 (in chronica scripta mo-
nasteriorum Bavariae), 271 (ex libro monasteriorum in DietU-
ramszell), 302 (in libro quodam scripto monasteriorum Ba-
variae). Der Inhalt jener Stellen lässt keinen Zweifel,
dass unter jener Hs. unsere Fundationes zu verstehen sind.
Hunds Annahme, die Hs. stamme aus Dietramszell, bezw.
sie sei dort geschrieben, erklärt sich wohl aus dem Um-
stände, dass in der ß,eihe der Gründungs^eschichten jene
von Dietramszell voransteht — wenn man nicht der Ansicht
sein will, dass auch Dietramszell eine Abschrift der Fun-
dationes besessen habe.
Als Marcus Welser seine Res boicae schrieb, benutzte
er auch nach einem von ihm unterzeichneten 'Verzaichnusz
etlicher Buecher so Ich den 18. Juni Anno 1595 ausz der
Fürstlichen bayrischen Bibliothec zwe München empfing-' i
eine Hs. : 'Boiariae regionis historia sive fundationes in-
signium monasteriorum'. Da dieser Titel aber demjenigen
der von Freher herausgegebenen Sammlung ähnlicher ist
als dem, unter welchem wir bisher unsere Sammlung citiert
fanden, erscheint eher die Benutzung jener glaubhaft.
Die Metropolis Salisburgensis gab bekanntlich Christoph
Gewold, vermehrt durch seine Notae, München 1620 neu
heraus, wobei der ursprünglich 153 Seiten umfassende
zweite Theil auf 2 Bände (tom. 2 und 3 des Ganzen) von
zusammen über 1100 Seiten anwuchs. Auch zu dieser Neu-
bearbeitung wurde, wie aus einzelnen Angaben ersichtlich
ist. unsere alte Fundationes-Sammlung wieder benutzt-.
Damals nun traf sie ein besonderes Schicksal, unter
dem sie bis heute zu leiden hatte: die vorliegende Unter-
suchung soll die restitutio in integrum bewirken.
Wir besitzen eine nach Herkunft und Verfasser ganz
unsichere Geschichtsquelle ^\ welche Oefe]e unter dem Titel:
'Anonymi monachi bavari compilatio chronologica rerum
boicarum ab anno Chr. M ad annum MCCCLXXXVIII ^' in
seinen Rer. boicar. SS. II, 331 — 344 veröffentlicht hat.
Oefele fand diese Aufzeichnungen in den hinterlassenen
Papieren Christoph Gewolds und zwar, wie er in der Ein-
leitung zu seiner Ausgabe angab, in dessen Apparat zur
Neubearbeitung von Hunds Metrop. Salisburgensis nach
1) Baierische Blätter für Geschichte, Statistik, Literatur und Kunst
18:32, S, 192. 2) Siehe auch oben S. 686, Anm, 1. ;!) Ebner
(Sammelblätter z. Gesch. d. Stadt Straubing, N. 164, 1885) bezeichnet
sie als: eine mit grossem Fleisse gefertigte Sammlung von historischen
Notizen. 4) Janner, Gesch. der Bischöfe v. Regensburg III, 205 nennt
fälschlich 1:350 als Schlussjahr.
714
Georg Leidinger.
den Acta Dietramcellensia. Gewold hatte keinerlei Bemer-
kung- beigefügt, woher die 'ab amanuensi parum perito' ge-
fertigte Abschrift genommen war. Oefele reinigte den
Text, brachte ihn in chronologische Ordnung und legte ihm
den Titel 'Compilatio chronologica' bei, unter dem das Stück
seither stets citiert wird. Er erklärte, dass es sich nicht
nm ein einheitliches Werk handle, sondern um eine Menge
von Notizen, die ein unbekannter baierischer Mönch ohne
Ordnung und Auswahl zusammengeschrieben haben müsse.
Den Sammler glaubte er in Ettal suchen zu müssen —
und Riezler, der in seiner Gesch. Baierns II, 569 einen
Mönch von unbekannter Herkunft als den Compilator an-
sah, schloss sich III, 884 dieser Meinung an — , da bei
der Notiz von der Einweihung der Kirche in Ettal ad a.
1363 1 von 'praesens templum' die Rede ist. Als Quellen
machte er namhaft: eine Altaicher Chronik (ad a. 1000),
eine Ettaler Chronik (ad a. 1363), Fürstenfelder Aufzeich-
nungen (ad a. 1258. 1262. 1304) und die Gründungs-Ür-
kunden und -Geschichten von Mallersdorf, St. Veit, Weyarn
und Tegernsee.
Schon Martin Mayr hatte- den clm. 14 594 als wahr-
scheinliche Vorlage Gewolds für seine von Oefele ver-
öffentlichte Copie der Compilatio chronologica bezeichnet,
ohne dieser Vermuthung weiter nachgehen zu können.
Und in der That: die Compilatio ist nichts anderes
als eine Reihe von Bruchstücken aus der Fundationes-
Sammlung unseres clm. 14 594, wie wir in folgender Zu-
sammenstellung nachweisen. Es finden sich nämlich die
einzelnen Abschnitte der Compilatio an folgenden Stellen
des clm. 14 594:
1000.
fol. 53'.
1001.
. 72.
1020.
„ 67'.
1027.
„ 56'.
1040.
„ 53'.
1049.
„ 53'.
1052.
., 64, 67'.
1104.
. 60.
1109.
„ 55', 65.
1114.
„ 65.
1123.
. 38 ^
1125.
„ 60.
1129.
. 54.
1130.
„ 65, 67'.
1185.
fol. 67'.
1139.
« 68.
1140.
„ 68'.
1143.
« 59.
1150.
„ 37'.
1152.
„ 65, 74
1154.
. 76'.
1159.
., 37'.
1160.
r, 37'.
1161.
. 65.
1162.
„ 38.
1163.
„ 65.
1166.
„ 65.
1171.
„ 74.
1) Oefele II, 343. 2) Wiener Hss. zur baierischen Geschichte,
N. Arch. V, 133. Aehnlich früher Sanftl, vgl. Catalogus codd, mss. bibl.
reg. monac. IV, 2, 199. 3) Hs, ad a. 1173.
Fundationes monasteriorum Bavariae.
715
1176.
fol
.65.
1283.
fol. 38', 74'.
1191.
„
76 ^
1284.
„ 38'.
1200.
„
54', 56'-.
1285.
„ 57', 38'.
1202.
„
64'.
1286.
„ 39, 68, 78.
1203.
„
38, 66.
1288.
„ 55'.
1204.
!?
66'.
1290.
„ 39, 55, 57'.
1205.
54, 66'.
1291.
„ 55.
1208.
^
54.
1293.
„ 39, 55».
1211.
n
78'.
1294.
„ 39.
1212.
54'.
1296.
„ 39. 74'.
1217.
^
38.
1297.
. 58'.
1218.
»
72, 73'.
1299.
„ 54'«.
1220.
60', 77.
1300.
„ 10, 10', 23', 57'.
1224.
^
77.
1301.
„ 10, 53'.
1225.
„
56', 77.
1304.
„ 80'.
1226.
„
77'.
1306.
„ 10', 58.
1227.
n
77'.
1308.
„ 58, 64.
1228.
54', 65, 65'.
1309.
„ 10, 10'.
1229.
„
77, 65'.
1310.
„ 55, 56, 59, Umscb
1230.
„
56' (auch 78'), 65'.
1312.
n 55.
1231.
n
54', 78'.
131,3,
„ 55, 55'.
1233.
n
55, 78'.
1315.
. 55'.
1236.
38, 54'.
1322.
„ 11, 55.
1239.
^
78'.
1323.
. 10.
1240.
^
68, Umschlag.
1324.
. 61.
1241.
„
54', 76.
1330.
„ 10, 19'.
1242.
^
56.
1332.
., 20, 55'.
1246.
,,
38, 53', 54'.
1337.
„ 56, 61.
1247.
r>
38,
1338.
. 55'.
1249.
641
1340.
. 55 ^
1250.
,,
55.
1341.
„ 10.
1251.
^
54', 78'.
1342.
„ 55'.
1253.
)1
54', 65.
1344.
„ 17'.
12,54.
64.
1346.
„ 9'.
1255.
^
54', 74'.
1347.
„ 19', 21, 58'.
1256.
^
54', 1'.
1348.
„ 10, 55'.
1257.
^
54'.
1349.
„ 56, Umschlag.
1258.
^
30, 37'*, 64.
1350.
. 55'.
1259.
n
38'.
1356.
„ 55'.
1260.
54'.
1358.
« 19'.
1262.
,,
30.
1360.
„ 20, 20', 55'.
1265.
„
68.
1361.
Umscblasf.
1266.
,,
54', 57.
1863.
„ 19', 20. '
1268.
„
54', 57'.
1367.
„ 55'.
1271.
63.
1371.
„ 17, 17', .55 ^
1272.
,,
39', 54'.
1372.
„ 17'.
1273.
^
54.
1373.
« 9-
1275.
^
54'.
1375.
. 17', 57.
1277.
38', 55', 57', 76.
1376.
. 37'.
1278.
^
38', 74'.
1377.
Umschlag.
1280.
38', 54, 57'.
1378.
. 55'.
1281.
^
76.
1379.
„ 56, Umschlag.
1282.
"
57'.
1380.
Umschlag.
1) Hs. ad a. 1199. 2) Hs. ad a. 1251. 3) Hs. 1299. 4) Hs.
1158. 5) Hs. 1294. 6) Hs. 1298. 7) Hs. 1315. 8) Hs. 1271.
1381.
Umschlag.
1382.
V
1385.
fol. 56.
716 Georg Leidinger.
1386. fol. 56.
1387. „ 55'.
1388. „ 25'.
Man sieht : die ganze Compilatio steckt in den Fun-
dationes. Aus clm. 27 164 oder einer davon abstammenden
Hs. — darauf deuten die Lesarten — war Wichtiges und
Unwichtiges excerpiert worden. Als Oefele die Hs. aus
Gewolds Nachlass mit den g-leichmässig geschriebenen Ex-
cerpten vor sich hatte, war kaum zu erkennen, dass und
wie einzelne Theile zusammengehörten. Darum wird man
ihm keinen Vorwurf machen dürfen, dass er nun sich unter-
fing, die ganze Menge von Nachrichten in zeitliche Reihen-
folge zu bringen. Mit dieser gutgemeinten Ordnung wurde
aber für die kritische Verwerthung der Nachrichten von
der verschiedenartigsten Herkunft ein schlechter Dienst
gethan und das Zusammengehörige auseinandergerissen.
Die obige Zusammenstellung lässt erkennen, an wel-
chen Orten der Originalhs. der Fundationes die Angaben
zu den einzelnen Jahren der Compilatio zu finden sind, und
die von uns vorgenommene Scheidung und Bestimmung
des reichen Inhalts der Fundationes lässt sodann Herkunft -
und Werth der verschiedenen Nachrichten ersehen.
1) Hs. 1238. 2) Welche verhäugnisvolle Wirkuuoen die Zer-
stückelung in der Comp, mit sich gebracht hat, möge an einem Beispiele
zu erweisen erlaubt sein. .Tanner berichtet in seiner Gesch. der Bischöfe
von Eegensburg II, 107, dass 'am 19. Febr. 1152 Bischof Heinrich die
Einweihung der St. Aegidienkirche, der späteren Deutschherrnkirche (in
Regensburg) vorgenommen' habe, und citiert für diese Nachricht die Comp.
(Oefele II. 333), aus der er die betr. Stelle ganz abdruckt. Bei Oefele ist
in dieser Notiz kein Ortsname genannt; aber sowohl aus dem übrigen
Inhalt als insbesondere nunmehr nach dem Nachweis der Zugehörigkeit
der Stelle in unseren Fundationes ergiebt sich, dass nicht von der Deutsch-
ordenskirche in Regensburg die Rede ist, sondern von jener in Gangkofen
<s. oben S. 701). In Band III, 30 seiner Geschichte sah sich Janner, der
unsere Fundationes natürlich nicht kennt und wahrscheinlich durch andere
Nachrichten (insbesondere die der Comp, ad a. 1278 und 1283, auf welche
Oefele bei jener ad a. 1152 verweist) aufmerksam wurde, genöthigt zu
erklären, dass durch Versehen II, 107 angegeben wurde: St. Aegidien-
kirche, statt der Pfarrkirche zu Gangkofen. In unseren Fundationes lässt
die — in Gewolds Abschrift verhängnisvoller Weise wie alle übrigen weg-
gelassene — Ueberschrift 'Genghoven' von vornherein keinen Zweifel auf-
kommen. Leider wirkte Janners anfänglicher Irrthum weiter; denn in
seinem sonst vortrefflichen Werke 'Regensburg in seiner Vergangenheit und
Gegenw-art' berichtet Graf Walderdorff, ohne anscheinend die Berichtigung-
Jänners bemerkt zu haben, S. 372: Die Kirche zum hl. Aegidius (in
Regensburg) wurde schon 1152 erbaut und am 19. Febr. d. J. von Bischof
Heinrich geweiht.
Fundationes monasteriorum Bavariae. 717
Damit ist für die kritische Prüfung im Einzelnen ein
sichererer Boden, als er bis jetzt vorhanden war, gewonnen,
und der nunmehr gelieferte Nachweis, dass die ganze Com-
pilatio ein Excerpt aus den Fundationes ist, dürfte zu-
sammen mit der oben gegebenen Inhaltsbestimmung der
Fundationes für manche Untersuchung brauchbare Winke
geben. Jedenfalls übertrage man nun die Schätzung, die
man bisher der Compilatio schon entgegengebracht hat,
in erhöhtem Maasse auf die Fundationes.
XVI.
Miscellen.
Keues Archiv etc. XXIV. 46
i
Zu Nennius.
Von Ludwig Traube.
Die zuerst von Mommsen ^ herangezogene Hs. der
Donibibliothek zu Chartres hat einen ganz unerwarteten
Einblick in die Quellen, die Urgestalt und die allmähliche
Erweiterung der Historia Brittonura eröffnet. Wie zunächst
die glücklichen Resultate R. Thurnejsen's -' aus eindring-
licher Betrachtung der in dieser Hs. erhaltenen Fassung (Z)
gewonnen sind, so wird die Forschung noch manches Mal
von ihr auszugehen haben, wenn auch ein grösserer Er-
folg im allgemeinen nicht mehr in Aussieht steht. Um
so dankbarer wird man daher E. W. B. Nicholson, dem
hochverdienten Leiter der Bodleiana, sein müssen, der durch
einen urkundlichen Beitrag uns gleich einen ganzen Schritt
weiter und aus dem Gebiet der Hypothese auf festes Land
geführt hat.
Wie bekannt, ist schon die Ueberschrift von Z con-
trovers. Duchesne ^ las : INCIPIUNT • EXBERTA • FII-
URBAOEN DE LIBRO SCI GERMANI INÜENTA ET
ORIGINE • ET GENELOGIA BRITONU; Girard, dessen
Abschrift von Mommsen ^ benutzt wurde, las statt der ersten
Worte EXBERTA FU (oder FII) URBACEN. Nicholson
hat (nach brieflicher Mittheilung an Mommsen) nun die
Hs. selbst eingesehen und gefunden, dass mit deutlichen
Buchstaben FILI URBAGEN da steht, also das, was Thurn-
1) Xeues Archiv 19, 283; Chronica minora 3, 111. 2) Zeitschrift
f. deutsche Philologie 28, 80; Zeitschrift f. celtische Philologie 1, 157.
Einen nicht unwichtigen Beitrag zur Textgeschichte von Z hat A. Anscorabe
gegeben (Zeitschrift f. celtische Philologie 1, 274). Er liest in dem Füllsel
in Z (Chron. min. 172 adn. 1) die ersten Worte Slibine (libine Z) abas
lae in Ripuni ciritate invenit und bezieht sie auf einen Fund, den Slebhine,
Abt von lona (a. 7.52 — 767), in Ripon in Nordhumbrien gemacht habe.
Ist diese Erklärung richtig — und eine Stütze erwächst ihr daher, dass
unabhängig auch Nicholson auf sie gekommen ist — , so ist es Anscombe
doch noch nicht gelungen, den sonstigen Wortlaut des arg zerrütteten
Flickstückes herzustellen (z. B. int/s CCC annis ist gewiss nichts anderes
als in CCC'>^ annis); auch ist natürlich nicht richtig, dass Marcus den
Zusatz gemacht habe. 3) Revue celtique 15, 175. 4) Chron. min. 113.
46*
722 Ludwig Traube.
eyseu ^ vermuthet hatte ; F und I sind in ziemlich ge-
wöhnlicher Weise lig-iert, G ist etwas beschädigt, die Lesung
aber ist durchaus sicher.
Nicholson vermuthet weiter — ohne zu wissen, dass
Thurneysen hierin vorausgegangen ist — , der in dieser
Ueberschrift genannte Sohn des Urbagen sei der in § 63
der Historia genannte Bnm map Urhgen (wie die Fassung
der Hss. HK hat, Chron. min. 206, 37) oder Run mep Ur-
heghen (wie die gekürzte Fassung der Hss. CDGL hat, Chron.
min. 207, 11). Ferner meint er, was Mommsen von vorn-
herein abgelehnt, Thurneysen dennoch angenommen hatte,
EXBERTA sei eine Corruptel für EXCERPTA.
Diese beiden Vermuthungen, besonders die wichtige
erste, sind erst noch zu prüfen. Run Map Urbgen drängt
sich zwar, wie Thurneysen sagt, in § 63 der Historia ziemlich
unmotiviert in den Vordergrund; ich glaube aber zeigen
zu können, dass gerade für diese Episode eine andere Qvielle
vorgelegen hat als die Aufzeichnungen eines fiUus Urhagen^
und damit verliert freilich die so nahe liegende Identifi-
cierung alle Wahrscheinlichkeit. Es gehen nämlich an der
erwähnten Stelle die Fassungen auseinander. Z fehlt, es
haben aber
HK: I CDGL:
Si quis scire voluerit, qiiis eos \ Si quis scire voluerit, qnis hap-
haptizavit,
tizavit eos, sie mihi Menchidus
episcoims et Elhobdus episco-
ponim sanctissimus tradiderunt.
Run mep Urheghen, i. Paulimis
Ehoracensis nrchiepiscopus ,
eos haptizavit.
Rum map Urhgen
haptisavit eos.
Wie man nun auch über das Verhältnis der beiden
Fassungen sonst denken mag, es ist klar, dass der ur-
sprüngliche unverkürzte Wortlaut hier in der verkürzenden
Fassung bewahrt ist. Denn nur sie giebt den Stil des
Nennius wieder, wie wir ihn aus zwei Stellen kennen, die
in beiden Fassungen gleich und im allgemeinen richtig-
lauten: § 10 (Chron. min. 149, l) Si quis scire voluerit, quo
tempore x^ost diluvium hahifafa est haec insula, hoc experimen-
tum hifarie inveni und § 15 (Chron. min. 156, 13) Si quis
autem scire voluerit, quando vel quo tempore fuit inhahitabilis
et deserta Hihernia, sie mihi peritissimi Scottorum nuntiaverunt.
Also muss auch in § 63 eine Quellenangabe gestanden
haben, und dann kann es nur die in CDGL überlieferte.
1) Zs. f. d. Phil. 83.
Zu Nennhis. 723
in HK unterdrückte gewesen sein. Demnach hatte über
den Täufer Run map ürbg-en nicht ein map Urbgen be-
richtet, sondern Elbod, der Lehrer des Nennius, mit Be-
rufung auf einen uns nicht bekannten Bischof Renchidus.
Aber auch EXCERPTA, so ansprechend und nahe
liegend die Vermuthung ist, kann nicht richtig sein.
Thurneysen vergleicht die ersten Worte im Prolog des
Nennius (Chron. min. 143, 6): ego Nennius, Elvodugi disci-
jyidus. ah'qua excerpfa scrihere curavi : es habe dem Nennius
wohl ein Werk mit ähnlichem Titel vorgelegen wie uns in Z
vorliegt. Auch ich glaube das, halte aber gerade excerpta
bei Nennius für eine Unmöglichkeit. Denn auf das an und
für sich mögliche aliqua excerpta scribere curavi folgt un-
mittelbar quae hehitudo gentis Britanniae deiecerat, quia
nidlam perifiam habnerunf neque uUam commemorationem in
lihris posneriint docfores dlins instdae Britanniae. Offenbar
hat nun selbst ein Nennius nicht sagen können hebitudo
gentis Britanniae deiecerat excerpta, ex quibus hie aliqua
scribere cnrari, wie man die Worte doch müsste wenden
können. Vielmehr muss bei ihm etwas gestanden haben
wie 'historische Kunde', 'Nachrichten', 'urkundliche Be-
richte', von denen er behaupten konnte, die Britten in
ihrer Nachlässigkeit und Unbildung hätten sie verkommen
lassen. Es wird also ein Begriff gefordert, wie ihn die
gleich folgenden Wörter peritia und commemoratio enthalten.
Von diesen ist auch peritia höchst ungewöhnlich gesetzt,
kehrt aber im Prolog wieder (Ohron. min. 144, 13: cedo
Uli. qiii plus noverit in ista peritia satis quam ego) und § 17
(Chron. min. 161, 17: hanc peritiam inveni ex traditione
feter um). Mit den letzten Worten ist inhaltlich ganz
sicher die uns durch Z vermittelte Vorlage des Nennius
bezeichnet; aber auch das sonderbare peritia selbst findet
sich in Z als die Ueberschrift des von Nennius citierten
Abschnittes: de quadam peritia a britania insule (Chron.
min. 147 im Apparat). Neben peritia fällt in Nennius'
Sprachgebrauch experimentum auf, das gleichfalls für den
hier geforderten Begriff steht und gleichfalls von ihm ver-
wendet wird, wenn er dieselbe Vorlage citieren will: § 7
(Chron. min. 146, 3 CDGL) Brittanie insule experimentum
iuxta traditionem veterum explicare curabo; § 10 (Chron. min.
149, 10) si quis scire voluerit, quo tempore post diluvium habi-
tata est haec insula, hoc experimentum bifarie inveni; § 17
(Chron. min. 159, 13) aliud experimentum inveni de isto Bruto
ex veteribus libris veterum nostrorum. Erinnert man sich jetzt
der räthselhaften exberfa in der Ueberschrift von Z und
724 Ludwig Traube.
des unmöglichen excerpta im Prolog des Neunius, so wird
man nicht mehr das erste nach dem zweiten corrigiereu
"Rollen, sondern eher annehmen, dass beides avis experta
entstanden ist: durch einen äusseren Schaden wurde daraus
in Z exherta, durch Emendation in der Handschrift, aus
der die üeberlieferung des Prologs stammt, excerpta.
Nennius hatte erst das im Titel und wohl auch vor einigen
Capiteln seiner Vorlage als Ueberschrift gebrauchte experta
gesetzt, später, wo es sich um einzelne urkundliche Belege
handelte, mit experimentum variiert. Der Titel aber der
Vorlage, der in Z nicht nur mit dem einen Fehler be-
haftet, sondern auch in kleine Theilchen zersprengt und
aufgelöst, auf iins gekommen ist, mag ursprünglich der
folgende gewesen sein : experta fili Urhagen de origine et
genealogia Britonimi in lihro sancfi Germani inventa. Er
wirft noch manche Frage auf; doch sollte hier nur vor-
läufig auf Nicholsons neue Lesung gewiesen werden.
Eine Urkunde des Bischofs Adaiger von Worms
vom Jahre 1044.
Mitgetheilt von H. Bresslau.
In nomine sancte et individue trinitatis. Adalgerus
divina ordiuante dementia Wormatiensis ecclesie pastor.
Notum sit Omnibus sancte dei ecclesig fidelibus tam futuris
quam presentibus, quoniam Ebbo custos Wormatiensis eccle-
sie de thesauro * ecclesie XX libras puri auri et CC marcas argenti
mihi prestitit. Quas cum domno meo regi Heinrico pre-
stitissem, ab ipso quoddam predium Rodonesleba dictum in proprium
accepi situm in pago Nordturingun et in comitatu Berenhardi marchionis
cum Omnibus suis appenditiis *, eo videlicet * tenore ut egO meique
successores idem ^ predium libere et potestative in proprietatem habe-
a m u s , nee aliquis ex eo quicquam presumat * sue potestati aut iuri
vendicare, nisi rex ipse predictus vel post mortem suam uxor eins
aut filii sui, si filios habue r i t , si non habuerit, quicumque heres eius
pari numero voluerit eidem ecclesie et mihi vel successori meo
XX libras boni auri et CC marcas argenti persolvere. Item pre-
stitit mihi prenominatus custos LVII marcas argenti de
thesauro prescripte ecclesie, quas expendi in servitium
domni mei regis predicti, pro quibus restituendis decima-
tionem ecclesie, que est Diermundestein, cum omni utilitate
sua concessi eidem custodi. Si quid vero in his defuerit,
de Camera mea restituatur *.
Die im Vorstehenden abgedruckte Urkunde des Bichofs
Adaiger von Worms, die jedenfalls in das Jahr 1044 ge-
hört, ist, soviel ich sehen kann, bisher unediert, während
die Sache, von der sie in ihrem ersten Theil handelt,
längst bekannt ist. lieber das Darlehensgeschäft, das Hein-
rich III. vor Beginn seines ungarischen Feldzuges von 1044
mit seinem Kanzler Adaiger abschloss, der im Anfang des
1) Corr. aus 'id est'. 2) Aus dem Chartular. eccl. "Wormatiensis
(saec. XII.) f. 38' in der öffentlichen Bibliothek zu Hannover. — Ueber-
schrift: De pecunia quam Adalgerus Heinrico regi mutuatus est pro pre-
dio Rodonesleba. — Der Petitdruck bezeichnet die Uebereiustimmung mit
St. 2262.
726 H. Bresslau.
Jahres zum Bischof von Worms ernannt war, haben wir
ein Diplom des Königs selbst vom 16. Juni dieses Jah-
res ^. Das Geschäft, bei dem der König als Pfand für eine
Anleihe von 20 Pfund Goldes und 200 Mark Silbers dem
Bischof das Gut Rodensieben- mit dem Verbehalt der
Wiedereinlösung um die gleiche Summe für sich und seine
Erben überliess ^ vdrd in unserer Urkunde und in jenem
Diplom sachlich ganz übereinstimmend und fast mit den-
selben Worten erzählt; das Diplom ist in der Bischofs-
urkunde selbst benutzt worden. Neu erfahren wir aus der
letzteren in Bezug auf dies Geschäft nur das eine, dass
der Bischof seinerseits den dem König vorzustreckenden
Betrag sich durch ein Darlehen bei dem Capitel, beziehungs-
weise dessen Vertreter, dem Domcustos Ebbo \ beschafft hat.
Von grösserem Interesse als der erste ist der zweite
Theil unserer Urkunde, in der über ein zweites von dem
Bischof aus dem Kirchenschatz bei dem Domcustos aufge-
nommenes Darlehen berichtet wird: für beide zusammen
ward demselben der Zehnte der Kirche von Dirmstein
übertragen. Dies zweite Darlehen betrug 57 Mark Silbers,
die der Bischof 'in servitium regis' verausgabt hat.
Unter dem 'servitium regis' kann entweder eine Auf-
wendung Adalgers für Hof- oder Heerfahrt (man denkt an
den bevorstehenden Ungarnfeldzug) oder aber die für die Ver-
1) St. 2262, vgl. Steindorfr, Jahrb. Heinrichs III., Bd. 1, 205 N. 2.
2) Gross -ßodensleben im Kr. Wollmii-städt, vgl. Böttger, Diöcesan- und
Gaugrenzen III, 187. — Dasselbe Gut (Rodenesleua in pago Nortturiggia)
hatte Heinrich II. 1006 seinem Capellan Dietrich mit der Bedingung des
Heimfalls an die Krone nach seinem Tode oder nach seiner Ernennung
zum Bischof geschenkt (St. 1420). Der Heimfall muss also erfolgt sein.
3) In seinem Wesen entspricht das Darlehensgeschäft genau denen, welche
sonst im 11. Jh. so häufig zwischen weltlichen und geistlichen Herren
abgeschlossen werden. Ein Gut wird verpfändet, der Ertrag des Gutes
fällt dem Darleiher zu und ersetzt ihm die Zinsen ; Wiedereinlösung wird
vorbehalten. Vgl. die Beispiele, die ich Jahrb. Konrads II., Bd. 11, 391 N. 1
beigebracht habe. Obwohl in unserem Fall eine Frist für die Einlösung
nicht gesetzt war, ist es dazu doch nicht gekommen ; durch Urkunde vom
4. März 1051 (St. 2399) hat Heinrich III. das Gut dem Bischof Arnold
und dessen Xachfolgern für immer zu vollem Eigenthum abgetreten.
4) Ebbo erscheint als custos schon in der Urkunde Bischof Azecho's (Boos,
ÜB. der Stadt Worms I, 46 n. 51) und in der Tradition Hunbraths aus
der Zeit Azecho's (das. I, 45 n. 49) ; Schannat, Hist. Worm. I, 85 kennt
ihn noch in einer Urkunde von 1044 für Kloster Neuhausen, gedruckt ohne
die Zeugen bei Schannat I, 109. Wahrscheinlich ist er identisch mit dem
seit 1016 (Boos I, 35 n. 45) mehrfach genannten gleichnamigen magister
scholarum, der in der von Boos herausgegebenen Wormser Biiefsammlung
aus dieser Zeit eine grosse Rolle spielt, zu unterscheiden aber von dem
1044 — 1068 (oder gar schon 1030) begegnenden gleichnamigen Decan
(vgl. Schannat Hist. Worm. I, 78).
I
Eine Urkunde des Bischof Adaiger von Worms. 727
pflegung des Hofes bei einem Aufenthalt in Worms dem
Bischof obliegende Leistung ^ verstanden werden. Ein Auf-
enthalt Heinrichs in Worms ist uns zwar für das Jahr 1044,
in welches unsere Urkunde gesetzt werden muss, anderweit
nicht bezeugt, aber es spricht an sich nichts dagegen, dass
wir ihn eben aus dieser Urkunde erschliessen. Der König
war im Februar in Sachsen und urkundet noch am 22. in
Goslar; Ostern feiert er dann am 22. April in Nimwegen -.
Auf dieser Reise an den Niederrhein Hesse sich ein Auf-
enthalt in Worms in das Itinerar einfügen: Heinrich hätte
eine unmittelbare Veranlassung dazu in der Erledigung des
Wormser Stuhles durch den am 17. Januar erfolgten Tod
des Bischofs Azecho gehabt; indem er seinen Kanzler
Adaiger zum Nachfolger ernannte, liegt die Annahme, dass
er dessen Weihe beiwohnte, nahe. Andererseits ist aber
auch auf der Eeise von Nimwegen nach Bonndorf, wo das
oben angeführte Diplom vom 16. Juni ausgestellt ist, wie
immer man diesen Ortsnamen auch deuten mag^ ein
Aufenthalt in Worms möglich und vielleicht noch wahr-
scheinlicher.
Trifft eine der letzten Annahmen zu, so würde unsere
Urkunde das sehr dürftige Itinerar Heinrichs in der ersten
Hälfte des Jahres 1044 ergänzen. Ihr Hauptwerth aber
liegt in der bestimmten Angabe über den Betrag, auf
welchen sich das 'servitium regis' des Bischofs von Worms
zum mindesten'* belief; es ist meines Wissens die einzige
zahlenmässige Angabe dieser Art, die wir aus dem 11. Jh.
überhaupt besitzen.
1) Vgl. Waitz VG. VIII, 227 ff. 2) Vgl. Steindorff I, 199 f. Da-
zwischen setzt Steindorff I, 200 N. 5 (wo 6. April statt 8. Druckfehler
ist), vgl. I, 398 f., einen Aufenthalt zu Nienburg oder Naumburg an der
Saale am 8. April auf Grund von St. 2259, einer offenbar gefälschten
Urkunde, deren Daten er aber einem echten D. von 1044 entnommen sein
lässt. Indessen haben wir für die letztere Annahme keinerlei Gewähr;
selbst wenn für die Daten der Fälschung eine echte Urkunde aus der
Königszeit benutzt wäre, ist eine Aenderung grade der Tages- und der Orts-
angabe in der Fälschung sehr wohl möglich; und bei der grossen Ent-
femmig zwischen Nienburg oder Naumburg und Nimwegen ist es an sich
nicht sehr wahrscheinhch, dass der König am 8. April an der Saale ge-
wesen sei, wenn er am 22. in Nimwegen Ostern feierte. 3) Vgl.
Steindorff I, 205 N. 2. 4) Zum mindesten: denn es ist natürlich nicht
ausgeschlossen, dass der Bischof einen grösseren Betrag als den von Ebbo
erhaltenen dafür verausgabt hat.
Ein Schreiben Odilo's von Cluni an Heinrich III.
vom October 1046.
Mitgetheilt von Ernst Sackur.
H. Grauert veröffentlichte kürzlich im Historischeu
Jahrbuch XIX, S. 254 f. Verse, in denen Heinrich III. auf-
gefordert wird, die drei Päpste, die den Stuhl Petri be-
setzt halten, abzusetzen und einen neuen zu erheben. Für
den Verfasser hält er den im Böhmerwalde als Eremiten
lebenden ehemaligen Edlen Günther, der Heinrich III. nahe
gestanden habe und als Bussprediger namentlich in Böh-
men und Baiern wirkte. Der Beweis wird besonders mit
Rücksicht auf eine Stelle der Ann. Palid. geführt, in der
drei Verse des von Grauert zum ersten Mal veröffentlich-
ten Gedichtes citiert werden mit der Bemerkung, dass der
Eremit Wipert, der 'in confinio Bohemie' lebte, auf die
Kunde von dem dreifachen Schisma in Rom sie an Hein-
rich III. richtete. Da sie, und deutlicher noch das ganze
Gedicht, die Aufforderung enthalten, alle drei Päpste abzu-
setzen, was in der That später geschah, nimmt Grauert
an, dass Heinrich eben dieser Aufforderung gefolgt sei, und
schreibt den Versen somit eine welthistorische Bedeutung zu.
Ich sehe von der Namensverschiedenheit, die zwischen
Günther und Wipert besteht, ab und will zugeben, dass der
Pöhlder Annalist eben jenen Günther im Auge gehabt
haben kann. Viel schwerwiegender ist für mich eine andere
Schwierigkeit, die auch Grauert andeutet mit den Worten^:
'Ob der in Deutschland zu suchende Verfasser der Verse
eine völlig genaue Kenntnis der Verhältnisse des päpst-
lichen Stuhles im Jahre 1045/46 haben konnte, ist freilich
eine andere Frage'. Günther stirbt nämlich bereits am
9. October 1045 , und da es in dem Gedichte ausdrücklich
heisst: 'Propter aurum et argentum hoc malum est inventum',
müsste er ausserge wohnlich früh von dem simonistischen
Erwerb der Tiara von Seiten Gregors VI. am 1. Mai des-
1) Vgl. S. 259 N. 1 am Ende.
Ein Schreiben Odilo's von Climi an Heinrich 111. 729
selben Jahres Kenntnis erhalten haben, während wir doch
wissen, dass die Wahl Greg-ors VI. zunächst für durchaus
canonisch galt. Petrus Damiani wusste anfangs jedenfalls
nichts davon, und in französischen Klöstern hatte man
g-anz gewiss längere Zeit keine Ahnung von den Vorgängen.
Damit wird es aber auch höchst unwahrscheinlich, dass
der Einsiedler des böhmisch-bairischen Waldgebirges eine
derartige Kenntnis besitzen konnte, die ihn bis zum Octo-
ber 1045 in den Stand setzte, Verse, wie die veröffent-
lichten, an Heinrich zu schreiben. Ich kann mich also
der Ansicht nicht verschliessen : entweder ist der Eremit,
dem die Verse zugeschrieben werden, nicht Günther ge-
wesen, oder die Nachricht der Ann. Palid. ist überhaupt
eine Fabel.
So wenig wahrscheinlich es an sich ist, dass ein im
Böhmerwalde lebender Eremit durch einige Verse einen
entscheidenden Einfluss auf die That Heinrichs III. ausge-
übt haben soll, so gänzlich muss eine derartige Vermuthung-
in den Hintergrund treten, wenn wir nachweisen können,
dass kein anderer als der Abt Odilo von Cluni unmittelbar
vor den entscheidenden Schritten in Sutri und ßom für
die Absetzung Gregors VI. eingetreten ist, und wenn wir
die Verantwortlichkeit für diesen Schritt damit wieder der-
selben Seite beimessen dürfen, die wir schon früher in
vollstem Einverständnis mit den kaiserlichen Massregeln in
Rom nachweisen konnten.
Im Cod. Vat. 1. 8563 saec. X. (enthaltend Predigten
und Lectionen) findet sich nämlich auf fol. 138' von einer
Hand des 11. Jh. auf leeren Blättern eingetragen eine
'Epistola Odilonis abbatis Cluniacensis ad Heinricum impe-
ratorem Augustum'. Dass wir es mit einem echten Schreiben
Odilo's zu thun haben, zeigt der Stil: die Odilo eigene
Vorliebe für Reimprosa und gewisse rhetorische Figuren,
eine bis zu Versen gesteigerte Spielerei mit Worten^, der
1) In dem Briefe sind folgende Verse aufgenommen:
Dicat omnis Gallia: 'Quis audivit talia'?
Dicat Italicus populus levatis sursum manibus:
'[Per quel den] hie est cesaris unicus Octonis magni fiUus',
Dicant paui^erum miba: 'Per ista mea anima,
Hunc mater nostra et domina genuit Adalleyda'.
Hier ist, worauf mich mein College Dr. H. Bloch im Hinbbck auf die
von ihm N. Arch. XXII, 119 ff. veröftentlichten Versus de Ottone et
Heinrico, die in demselben Versmass gedichtet sind, aufmerksam macht,
vielleicht ein Rythmus auf Otto II. benutzt. Nur hat es in dem ur-
sprünglichen Gedicht wohl: 'Dicit', resp. 'dicunt' geheissen. Die fran-
zösischen Worte: 'Per quel deu' sind natürlich Zusatz Odilo's, zumal sie
das Versmass stören.
730 Ernst Sackur.
lebhafte und emphatische Ton und endlich der Inhalt.
Dass der Brief an Heinrich III. gerichtet ist und nicht an
Heinrich II., worauf zunächst einige weniger wesentliche
Momente hindeuten könnten ^ : dafür giebt es durchaus ent-
scheidende Stellen. Der Brief fällt in die Zeit des Eömer-
zuges Heinrichs III. von 1046 und ist ein kirchen politi-
sches Document ersten Ranges, insofern als Odilo sich be-
müht, im Sinne seiner Kirchenpolitik auf Heinrich III. zu
wirken. Aber die Zeit der Abfassung und die Tendenz
lässt sich noch genauer bestimmen.
Wir stehen unmittelbar vor den entscheidenden Schrit-
ten bezüglich der Lösung der römischen Frage. Nicht nur
ruft Odilo dem Könige zu : 'caute tractate rempublicam et
diligenter supra modum sedem apostolicam', sondern er
sagt auch weiter: 'Unum dicam apertius, quod, si celatum
fuerit, ut multum timeo, diiudicabitur acrius: Quod ille
perdit, qui totum dedit, non debet ille possidere, qui totum
tulit. Totum tulit, quantum in illo fuit. Si posset suum
velle, nil valeret divinum posse. Res enim, qu§ in prae-
sentia tractatur, pro anima est et, ut magis dicam, Dei
causa est'. Wer der ille ist, qui totum tulit, ist deutlich
genug. Der Priester Gratian von St. Johann ante portam
Latinam, der die Papstwürde Benedict IX. abkaufte. Odilo
verlangt also, dass Gregor VI. abgesetzt werde , natürlich
ebenso Benedict, wie aus den Worten 'quod ille perdit qui
totum dedit' hervorzugehen scheint. Eine Beziehung dieser
Stelle etwa auf die Doppelwahl von 1012, wo Gregor von
der Crescentischen, Benedict VIII. von der Tusculanischen
Partei erhoben wurde, verbietet sich deshalb, weil damals
ein Handel zwischen beiden Päpsten nicht stattgefunden
hat und nach allem, was wir wissen, auch nicht stattge-
funden haben kann, der aber gerade für 1045 bewiesen
1) Das Hauptmoment wäre wohl das, dass in dem Briefe von einem
früheren Aufenthalt Heinrichs in Pavia die Rede ist und von einer Schädigung
der Kirche S. Syrus. Das würde auf den Aufenthalt Heinrichs II. von
1004 passen, wo ein Theil der Stadt in Flammen aufging. Ferner be-
schäftigt sich Odilo bei seinen allgemeinen Rathschlägen mit den Juden:
wenn sie die Taufe empfingen, sollten sie sich des kaiserlichen Schutzes
erfreuen. Das könnte in Verbindung gebracht werden mit der von den
Ann. Quedlinburg, zu 1012 gemeldeten Vertreibung der Juden aus Mainz
von Seiten des Königs (vgl. J. Aronius, Regesten zur Geschichte der Juden
S. 61). Aber wir wissen, dass es sich in diesem Falle um eine ganz
locale und vorübergehende Ausweisung handelte ohne weitere Bedeutung.
Odilo's Rathschläge tragen einen viel allgemeineren Charakter und sind
eher aus französischen Verhältnissen zu abstrahieren als aus deutschen.
Die Hauptsache ist, dass der Brief einige Momente enthält, die gar nicht
anders als auf das Schisma von 1046 gedeutet werden können.
1
Ein Schreiben Odilo's von Cluni an Heinrich III. 731
ist^ Der Brief ist also vor den Synoden von Sutri und
Rom g'eschrieben. Für diesen und keinen früheren Termin
spricht auch die Aufforderung, die Simonie zu bekämpfen,
die ganz in diese Zeit passt, weit weniger aber in die Zeit
des Römerzuges Heinrichs II.
Der Brief ist aber weiter dem Könige in Pavia, wo
er spätestens am 24. October 1046 eintraf-, überreicht
worden. Denn Odilo schreibt ihm : 'Videte, ne fraudetur
vestra dignissima promissione ille pater patrie, beatus vi-
delicet Syrus, et gubernator Papie. Et, ut vestris ipsis veri-
dicis verbis vos conveniam, dixistis, si dignamini recordari :
"Si Deus concesserit nobis reditum ad istas partes cum
prosperitate, honorabo gcclesiam sancti Syri secundum suum
decere, ne irascatur mihi pro iniecto sibi tanto discrimine'.
Dann fährt er erst fort: 'De cetero, domine mi rex . . .
caute tractate rempublicam' etc. Odih:) erinnert Heinrich
an ein früheres Versprechen: wenn er wieder ad istas par-
tes, nämlich nach Pavia komme, ein dem hl. Syrus zuge-
gefügtes Unrecht gut zu machen. Dieser frühere Aufent-
halt Heinrichs in Pavia kann nur im Sommer 1037 statt-
gefunden haben, als der junge König mit starkem Heere
nach Italien zog, um seinen Vater im Kampfe gegen Ari-
bert von Mailand zu unterstützen -^ Dass Heinrich damals
in Pavia war, wissen wir zwar ebenso wenig aus anderen
Berichten, als dass er der Kirche des hl. Syrus schweren
Schaden zufügte : aber wenn wir aus der Mittheilung Odi-
lo's den Schluss ziehen dürfen, dass Heinrich damals den
Auftrag erhielt, Pavia zu züchtigen, dessen Bürgerschaft
dem in Pavia geächteten Erzbischof Aribert ebenso an-
hängen mochte, als die Mailands, so würden wir nicht nur
eine vollkommene Erklärung für Odilo's Worte, sondern
auch für die Berufung Heinrichs aus Deutschland gefunden
haben, die der Bannung und Flucht Ariberts unmittelbar
folgte, und gleichzeitig einen interessanten Beitrag für die
Geschichte des zweiten Römerzuges Konrads II. Ist aber
Odilo im Stande ein Versprechen Heinrichs aus jener Zeit
wörtlich anzuführen, so liegt der Schluss nicht weit, dass er
selbst damals in Pavia zugegen war. Davon wusste man bis-
her auch nichts: aber wie Odilo im Jahre 1004 zu Gunsten
1) Die entscheidende Stelle enthält die Worte: 'Quod ille perdit,
qui totum dedit etc.'; gerade der Ausdruck 'dedit' wird in dem Lib.
Pont. (Duchesne 11, 270) gebraucht von Benedict IX., der Gregor VI. die
päpstliche Würde abtritt. 2) Steindorff, Jahrb. Heinrichs HI., I, 307.
8) Vgl. Bresslau, Jahrb. Konrads II., II, 240; Steindorff, Jahrl». Hein-
richs ni., I, 39.
732 Ernst Sacknr.
der Pavesen bei Heinrich II, eintrat, so mochte er sich eben
auch für sie im Sommer 1037 verwendet haben: genug ein
Bild von so ineinander passenden Zügen, dass wir an der
Tbatsache, dass Heinrich III. eben damals die Pavesen be-
strafte und Odilo für sie intervenierte, nicht mehr werden
zweifeln können.
In Pavia überreicht also Odilo das Programm, nach
dem er wünscht, dass der König bei der Reform des römi-
schen Stuhles verfahre. Er fordert darin vor allem die
Absetzung des bis zuletzt anerkannten Gregor; der Termin
war gut gewählt, denn unmittelbar nach der Synode von
Pavia , die bereits die Eechtmässigkeit seines Pontificats
discutiert zu haben scheint \ hatten Heinrich und der Papst
eine Zusammenkunft in Piacenza-. Für das Verhalten bei
der Reform giebt aber Odilo noch speciellere Rathschläge :
'Res enim, que in presentia tractatur, pro anima est et, ut
magis dicam, Dei causa est. Causa vero Dei a dilecto-
ribus Dei oportet tractari. Causam anim§ vestre eis debe-
tis committere, qui suas diligere student potius quam audire.
Qui diligit iniquitatem odit animam suam. De toto mundo
debetis eligere, quorum arbitrio Romanum Imperium decer-
nitis ordinäre. Sicut cum militibus ordinäre militiam, ita
cum spiritualibus ecclesiasticum tractare negotium, cum
misericordibus miseriam inopum etgemitum pauperum'. Dann
warnt er vor schlechten Räthen, wie es scheint, specieller vor
einigen Fürsten.
Der Sinn der Rathschläge ist ganz klar: Für die Neu-
ordnung der römischen Verhältnisse soll der König seine Be-
rather aus der ganzen Welt wählen, die kirchlichen Fragen
mit Hilfe der Geistlichkeit entscheiden. Dass Odilo sich und
seine Partei damit dem Könige anbietet, ist deutlich genug.
Wir sehen aber weiter daraus, dass Odilo nicht die ge-
ringsten canonischen Bedenken gegen Heinrichs Eingriffe
hat, er räth selbst zur Absetzung Gregors VI. Der König
soll sich nur nicht auf deutsche oder italienische Räthe
allein stützen, sondern diese frei aus der ganzen Welt
wählen : d. h. Odilo selbst will gehört werden und ein
Wort mitsprechen. Für solche Forderungen war 1046 ganz
anders Raum als zweiunddreissig Jahre früher: wissen
wir doch, dass von Seiten des französischen Episcopats
die Absetzung Gregors und die Erhebung Clemens II.
1) Vgl. Steindorff" I, 311. Bestimmte Beweise sind dafür nicht da,
aber Steindorffs Vermuthung wird durch unsern Brief gestützt. 2) Stein-
dorff a. a. O.
Ein Schreiben Odilo's von Cluni an Heinrich III. 733
nicht anerkannt wurde, weil die französischen Bischöfe
nicht zugezogen worden waren ^ Sehr ähnliche Forderungen
erhebt Odilo.
Glücklicherweise sind wir in der Lage, die Wirkung
des Schreibens an den König zu ermessen. Denn abgesehen
davon, dass die beiden Päpste, vor allem Gregor VI., dessen
Absetzung allein zweifelhaft sein konnte, von Heinrich III.
thatsächlich beseitigt wurden, wissen wir jetzt auch aus
dem in dieser Zeitschrift XV, S. 119 ff. veröffentlichten
Capitel der V. Odilonis, dass Odilo zur Berathung über
die Wahl Clemens II. in der That zugezogen wurde, für
dessen Erhebung er stimmte, und dürfen somit auch
schliessen, dass das Verfahren gegen die beiden Päpste mit
seiner Zustimmung und in seiner Anwesenheit erfolgte. Da
Odilo dem Könige bereits in Pavia begegnete, hat er jeden-
falls schon an der Synode von Pavia theilgeuommen, und
ebenso an den folgenden von Sutri und Rom. Wahrschein-
lich war Odilo's Stellung zur römischen Frage schon aus-
schlaggebend für die Begegnung Heinrichs III. mit Gre-
gor VI. in Piacenza.
Bemerkenswerth ist die ausserordentlich discrete und
vorsichtige Art, mit der Odilo die Absetzung Gregors em-
pfiehlt: war Gregor bis dahin doch der anerkannte Papst,
auch Petrus Damiani betrachtet ihn bis zuletzt als solchen,
wenn er auch bei der Besetzung gewisser Bischofsstühle
in Italien wünscht, dass der Papst nicht vor der Ankunft
des Königs entscheide '-. Er mochte bereits etwas ahnen.
Aber um so unwahrscheinlicher wird es, dass bereits über
ein Jahr früher, im Sommer 1045, Günther der Eremit
von der bairisch-böhmischen Grenze durch jenes etwas täp-
pische Gedicht in dem behandelten Sinne auf Heinrich III.
hätte wirken können.
Der bestimmende Einfluss Odilo's und der Cluniacenser
auf Heinrichs Kirchenreform wird damit offenbar. Der Grund
dafür, dass von cluniacensischer Seite eingeschritten wurde,
muss darin gelegen haben, dass Gregors simonistische Er-
hebung und der Vertrag mit Benedict IX. ruchbar gewor-
den war. Es ist ein seltsamer Moment, Odilo den Papst
mit absetzen zu sehen, durch dessen Verbannung nach
Deutschland Hildebrand heimathlos wurde.
1) De ordinando pontifice auctor Gallicus, Lili. de Ute I, p. 11 ;
vgl. Cluniacenser II, 307. 2) Vgl. Cluniacenser II, 286.
734 Ernst Sackur.
Epistola, Odilonis abbatis Cluniaceiisis ad
Heinricum imperatorem Augustnm.
Hfeinrico] Augusto maximo divo, omni favore dignis-
simo, omnis catholicus homo, omnis §cclesiasticus ordo, om-
nium miserorum et pauperum multitudo solium regni, arcem
imperii, gratiam Dei et gaudia c^li.
Quoniam prelia domini Dei vestri contenditis preliari
in prima tyrocinii vestri congressione, munite vos armis
iusticie, induite vos vestimentis letieie, non corrumpat vos
amor pecuni§, non deviet a vero aeceptio person§. Videat
vos superbus terribilem, sentiat humilis mitem, vobis veni-
ente siiperbia resupinata iniquorum languescat, cnpiditas
superborum incurvata torpescat, innocentia pauperum af-
flicta convalescat. Gaudeat vos sibi advenisse Italicum
regnum, trijDudiet in adventu vestro Eomanum imperium.
*f. 139. L^teutur episcopi, divites et pauperes, clerici, abbates*
et monachi omnesque ecclesie filii. Non liceat maioribus
minores opprimere, discant minores maioribus obedire.
Vestro regimine vitia deleantur, vestro imperio virtutes
oriantur, heresis symoniaca sit in porcorum stercora. Absit
illicitus questus velut idolatri§ cultus, omnis hereticus ut
fumus evanescat. ludeus infidelis confusus erubescat, sed
in fide renatus vestri gratiam babeat. Signati sacro baptis-
mate ita debent sub vestra defensione gaudere, ne habeant
occasionem exorbitandi in fide. Si iterum sue olive cupiunt
inseri, sua heriditate desiderant frui, non debent evelli, non
debent exheredari. Nutriantur materna et catbolica karitate,
ut perseverent in fidei firmitate. Subdita vobis regna vestro
tutamine polleant, vestra prudentia floreaut. Vicine [natio-
nes*"^] aut se subdere vobis festinent aut preconiis vestre vir-
tutis auditis tremefacte tabescant. Sclauus grunniat, Ungarns
strideat, Grecus miretur et stupeat. Sarraeenus turbetur et
fugiat^' . Punicus persolvat tributum, Hispanus requirat auxi-
lium, Burgundio veneretur et diligat, Aquitanus letabundus
accurrat. Dicat omnis Gallia: 'Quis audivit talia'? Dicat
Italiens populus levatis sursum manibus: 'Per quel deu,
hie est cesaris unicus Octonis magni filius'. Dicant pau-
perum milia: Ter ista mea anima hunc mater nostra et
domina genuit Adalleyda'. Videte, ne fraudetur vestra dig-
nissima promissione ille pater patrie, beatus videlicet Syrus,
et gubernator Papi§. Et, ut vestris ipsis veridicis verbis
vos conveniam, dixistis, si dignamini recordari: 'Si Deus
concesserit nobis reditum ad istas partes cum prosperitate,
a) Von mir ergänzt. b) fugeat f; über dem e ist i corrif/iert.
Ein Sclireiben Odilo's von Cluui an Heinrich III. 735
honorabo fcclesiam Sancti Syri secundum suum decere, ne
irascatnr mihi pro iniecto sibi tanto discrimine'. De cetero,
domiiie mi rex, prudentissime regum et clarissiine cesa-
rum, caute tractate rempnblicam, et diligenter supra mo-
dum sedem apostolicam. Gaudete vos potius prodesse
seculo, quam praeesse populo. Nos vero, servi vestri, op-
tamus vos feliciter praeesse et omnibus prodesse et cum
ilio regnare qui semper habet esse. Satis vero cousequens
est et nimis laudabile, ut ipsi inimici de vestra gratia
possint g-audere. Sic enim precepit veritas: Diligite ini- Mattii. 5,41.
micos vestros, henefacite his qui oderunt vos. Et procul
dubio latum Dei mandatum, quando dilectio extenditur
usque ad inimicum. Econtra valde contrarium est et nimis
inhonestum, ut hi qui fideles fuerint, seutiant detrimentum.
Audiant a nobis laborantem pro vobis: Venite ad me, qui Matth.11,28.
lahoratis et onerati estis, et ego vos refitiam. Tarn leve et
suave eis iugum inpouite, ut possiut ^quanimiter et fideliter
ferre. Unum dicam apertius, quod, si celatum fuerit, ut
multum timeo, diiudicabitur acrius: Quod ille perdit qui
totum dedit, non debet ille possidere qui totum tulit. To-
tum tulit, quantum in illo fuit. Si posset suum velle, nil
valeret divinum*'^ posse. Res enim, qu§ in preseutia trac-
tatur, pro anima est et, ut magis dicam, Dei causa est.
Causa vero Dei a dilectoribus Dei oportet tractari. Causam
anim^ vestr^ eis debetis committere, qui suas'' diligere
Student potius qviam audire. Qui diligit iniquitatem odit
animani suam. De toto mundo debetis eligere, quorum
arbitrio ßomanum Imperium decernitis ordinäre. Sicut cum
militibus ordinäre militiam, ita cum spiritualibus ecclesiasti-
cum tractare negotium, cum misericordibus miseriam iuo-
pum et gemitum pauperum. Si plures vobis consiliarii
fuerint sive Salomone dicente : Unns eJectus de niiUe, of.cant.5,10.
sint tales quales David se habere gaudebat, cum dicebat:
Ocidi mei ad fideles ferre, nt sedeant mecum, et amlmlans in Ps. ioo,g.
via inmacidafa hie mihi ministrabat. Videte, ne tales sint de
quibus Isaias vobis repraehendendo dicat: Principes tui in- 1^.1,2^-
fideles, sota fnrum. Omnis diligit munera, sequitur retrihutiones.
PupUlo non iudicant, et causa vidue non ingreditur ad eos.
Talibus etiam sibi male suggerentibus dedignabatur aures .
David accomodare, sed dicebat: Declinate a me indigni, e^ ps. 118,115.
scridahor mandata Dei mei. Tales omuipotens Dens a con-
spectibus vestris pestes longe faciat, mittendo vobis de celis
auxiliuni et consilium, qui per cuncta secula seculorum vi-
vit et regnat. Amen.
a) So wohl zu emendieren; suurum undeutlich c. b) seil, animas.
Neues Archiv etc. XXIV. 47
Forliveser Annalen des Pietro Ravennate.
Von F. Güterbock.
G. Mazzatinti, Inventari dei mss. delle biblioteche
d'Italia V, 40 (n. 807) erwähnt unter den Hss. der Biblioteca
Ciassense in Ravenna das Fragment einer Bologneser Chronik,
das aus dem 15. Jh. stammt und die Jahre 1106 — 1276
umfasst. Ich habe den Codex '5 M' eingesehen i. Es
handelt sich um Annalen von Forli, denen Bologneser und
andere Nachrichten beigemischt sind.
Die Annalen des lacobns Moratinus -, die im Anfang
ein Auszug aus Cantinelli's Chronik ^ sind, beginnen erst
1275. Aeltere Forliveser Ereignisse trifft man in der Chronik
Cobelli's* und vereinzelt auch in einem Chronicon des
Azzurini^. Die Chronik Cobelli's (aus dem Ende des 15. Jh.)
zeigt von 1176 — 1236 eine Lücke und bringt überdies die
meisten Notizen in italienischer Uebersetzung, manche nicht
mehr in der schmucklosen ursprünglichen Form, sondern
in sagenumsponnener später Bearbeitung*^. Zu vergleichen
sind daneben die Annalen Cesena's, welche von Chiara-
monti, Hist. Caesenae (1641) benutzt und dann von Muratori '
veröffentlicht wurden: sie enthalten Nachrichten, die, wie
schon Chiaramonti ^ bemerkt, auf Forliveser Annalen zurück-
gehen. Aus einer verwandten Quelle haben schliesslich
Eossi (ßubeus), Hist. Ravennat. (1571)" und Bonoli, Ist. di
Forli (1661)^*^ geschöpft. Ueberall besteht eine auffallende
Uebereinstimmung in der Fassung des Textes.
Bei Bonoli erscheinen die Forliveser Nachrichten aus
dem 12. und der ersten Hälfte des 13. Jh. am vollständigsten :
1) In der Bibl. Ciassense fand ich bei dem Vicebibliothekar S. Ber-
nicoli die freundlichste Unterstützung. 2) Muratori SS. XXII, 135 ff.
3) Mittarelli, Ad SS. Muratorii accessiones hist. Fav. 231 ff. Vgl. Simons-
feld in den SB. der Münchener Akademie 1893, p. 369 ff. 4) Dei
monumenti istorici pert. alle prov. della Romagna Serie III, Tomo I
(Bologna 1874). 5) Mittarelli, Accessiones 320 ff. (zu 1239 und 1241).
6) Vgl. die Jahre 1160 und 1241. 7) SS. XIV, 1089 ff. 8) A. a. o.
p. 251. 9) Vgl. auch die Ausgabe von 1589. 10) Eine zweite Aus-
gabe erschien 1826. Ich eitlere nach der ersten von 1661.
Forliveser Aunaleu des Pietro Ravennate. 737
er bezeichnet als seinen Gewährsmann den Pietro Ravennate,
den er oft im Wortlant citiert. Auf die Chronik des Pietro
di Ravenna bezieht sich gleichzeitig- in anderem Zusammen-
hang Fabri, EfEemeride sacra et istorica di Ravenna antica
(1675). Nach Fabri ^ erstreckten sich die Annalen von 1 100 —
1377, nach Bonoli- bis 1372. Fabri sagt von Pietro 'racconta
molti avvenimenti del mondo' und führt ihn bei Raven-
uater Begebenheiten an^. Bonoli spricht von den Antichi
Annali des Pietro als Forliveser Quelle. Das Manuscript
Bonoli's befand sich zusammen mit mehreren anderen An-
nalen 'in Casa de'gli Albertiiii' und war 'in alcuni luochi
corosa' K Schon im vorigen Jahrhundert erklärte Giuanni ''
die Annalen für verschollen.
In dem Fragment der Bibl. Ciassense ist das dem
Pietro zugeschriebene Werk wenigstens theilweise erhalten.
Hier findet man wörtlich die Stellen, die Bonoli aus seiner
Vorlage wiedergegeben hat: so 1169 die Befreiung Faenza's
durch die Forlivesen und deren leitende Stellung daselbst'',
1170 die zweite Belagerung Faenza's durch Bologna und
die Auslieferung der Gefangenen'', 1175 die Belagerung
S. Cassiano's und die sich anschliessenden Kämpfe Christians
von Mainz, der Forlivesen unter Guido Guerra, der Faen-
tiner, Ariminesen und Caesenaten gegen Bologna und den
Lombardenbund ^ 1178 Bau des Kirchthurms von S. Mer-
curiale^ 1195 (Bonoli 1198) anticuriale Bewegung in Forli,
bei der ein Neffe des Papstes Innocenz gehenkt Avurde",
1198 (Bonoli 1199) Kriegszug der Forlivesen und Bolog-
nesen zum Schutze Cesena's gegen Markward von Anweiler ^^,
1205 (Bonoli 1203) Kanalanlage in Forli i\ 1213 und 1228
Eroberung von Burgen ^^ 1233 (Bonoli 1235) Sieg Forli's
über Bologna und Demüthigung Faenza's, das Rectoren
1) P. 152. 2) P. 56. 3) P. 232 und 875. 4) So nach der
ersten Ausgabe p. 56. Nach der zweiten Ausgabe I, 152 wäre dagegen
die Chronik an mehreren Orten aufbewahrt : diese Verdrehung des Sinnes,
die der Herausgeber durch Umstellung der Worte erreicht, kennzeichnet
so recht die unwissenschaftliche Art, mit der in der ersten Hälfte des
19. Jh. alte italienische Stadtgeschichten neu herausgegeben wurden.
5) Memorie degli scrittori Ravennati (1769) 11, 156—157. 6) Bonoli
p. 56, Ann. Caesen. bei Muratori XIV, 1090—91, Cobelli p. 31. 7) Bonoli
p. 57. Unsere Hs. enthält auch die letzten Ereignisse des Jahres, die
))ei Bonoli fehlen, einen Sieg Christians am Idice und die Eroberung
zweier Burgen seitens Bologna's. 8) Bonoli p. 58, Ann. Caesen. p. 1091.
S. Mercuriale an der Piazza Vittorio Emanuele in Forli. 9) Bonoli
p. 60. Für das J. 1198 spricht, dass Innocenz erst damals Papst wurde.
10) BonoU p. 60. 11) Bonoli p. 64; Ann. Caesen, p. 1093 haben wie
unsere Hs. 1205. 12) Bonoli p. 65 und 68. Die zweite Notiz in den
Ann, Caesen. p. 1095 fälschlich zum J. 1238.
47*
738 F. Güterbock.
von Forli nehmen muss \ 1239 (Bonoli 1237) vergebliche
Belagerung Faenza's und Niederlage Forli's durch Faenza
und Bologna'-^, 1243 (Bonoli 1241) Privileg Friedrichs II.,
durch das Forli das Münzrecht mit dem Adlerwappen
['numismatis cuneum et nigre vexillum aquile'] erhält ■%
1242 und 1257 Unruhen in Forli ^ u. s. w. Die Ab-
weichungen in den Jahreszahlen erklären sich theils durch
Flüchtigkeit Bonoli's, der die Jahre in der Regel am Eand
ohne direkte Beziehung auf die Citate giebt^, theils aber
auch durch Fehler der uns vorliegenden Abschrift *\
die jedenfalls nicht mit dem Manuscript Bonoli's iden-
tisch ist '.
Bei einem Vergleich zeigen sich weitere Beziehungen
unserer Handschrift zu Bonoli auch da, wo dieser den
Pietro nicht citiert. Z. B. erzählt Bonoli '^ zum Jahre
1243 die Besetzung Cervia's seitens der Venetianer unter
Berufung auf Chiaramonti; Chiaramonti^ übernahm die
Nachricht von Vincenzo Carrari, Storia dißomagna^^, und
Carrari hat sie allem Anschein nach aus unseren Annalen :
'1243 . . . Veneti obsident Cerviam et habent contra For-
livienses, qui illam tenebant^^'. Ebenso kommen Ereignisse
der Jahre 1252 und 1268 1^, die Bonoli nach Chiaramonti
und Rossi berichtet, in der Hs. vor und sind so in letzter
Linie wohl auch von den Annalen des Pietro Ravennate
abzuleiten.
Nach Fabri hätte Pietro allgemeine weltgeschichtliche
und spezielle Ravennater Begebenheiten dargestellt. Von
drei Citaten Fabri's lassen sich zwei ^^ in unserem Fragment
nachprüfen: die Sonnenfinsternis vom 3. Juni 1239 und der
1) Bonoli p. 72. Auch hier wird Bonoli recht haben, da eine in
der Hs. vorausgehende Notiz über einen harten Winter (s. u ) zu 1234
statt 1233 gehört. 2) Bonoli p. 75, Cobelli p. 32. 3) Bonoli p. 76.
Cobelli p. 35 hat wie unsere Hs. 1243. Eine andere Chronik (Forli Bibl.
Comunale Ms. 300) nennt das J. 1242. Hier wie in der Chronik Coljelli's
endet die Notiz mit den offenbar verderbten "Worten '. . impartit sui anni
XXV. Vielleicht ist das Document zusammen mit einem Privileg für
Imola (B. F. W. V, n. 3408) in den Anfang von 1244 zu verlegen: die
damaligen Urkunden haben meist '1243' mit anno imperii XXIV.
4) Bonoli p. 77 und 81, CobelU p. 35 und 36. 5) So erzählt Bonoli
p. 75 die Niederlage Forli's zu 1237. nachdem er p. 72 das Ereignis
schon mit dem richtigen J. 1239 erwähnt hat. 6) Manchmal kommt
bei Bonoli die Jahreszahl auch im Citat selbst vor: so 'MCCXXXV
(Sieff Forli's), wo unsere Hs. '1233' setzt. 7) Vielleicht gelingt es noch
das'"Ms. Bonob's aufzufinden. 8) P. 78. 9) P. 315. 10) Das Werk
ist nicht gedruckt. Hss. in Ravenna Bibl. Ciassense und Forli Bibl.
Comunale. 11) Italienisch auch bei Cobelli p. 35. 12) Vgl. Cobelli
p. 35 und 36. 13) Fabri p. 152 und 375.
Forliveser Anualen des Pietro Ravennate. 739
durch die Winterkälte von 1234 hervorgerufene Wein-
mang-el. Da Fabri nicht im Wortlaut citiert, bringe ich
die Stellen aus der Hs. zum Abdruck: (1239) 'Tertia die
iunii solis facta est defectio et celum stellatum' und (1234) ^
'Hyems asperrima nimis pinetum ßavenne arruit totum
et vites et ficus. Plurimi anno sequenti aquam potant vini
defectu'. Beide Sätze sind aus Ricobaldus von Ferrara -
entlehnt. Sieht man näher zu, so hat nämlich der Compi-
lator unserer Annalen die verschiedensten Quellen ausge-
schrieben: vor allem eine Bologneser Chronik und die
Kaiser- und Papst-Chronik des Ricobaldus.
Die Bologneser Quelle war die lateinische Vorlage
der italienischen Hist. miscell. Bonon., die meist nach
Bartholomeo della Pugliola, einem Compilator vom Ende
des 14. Jh., benannt werden -l Bonoli hat die schon er-
wähnten Berichte von der Belagerung Faenza's 1170 und den
Kämpfen Christians 1175^ abgedruckt. Andere Stellen des
lateinischen Textes^ sind aus den Ann. Caesenates bekannt.
Unsere Handschrift bietet noch zahlreiche weitere Belege**.
Die Chronik des Ricobaldus ist öfters in den Hist.
miscell. Bonon. ^, weit mehr jedoch noch in unserer Hs.
benutzt. Eine zweite Hs., die fast wörtlich mit der der
Bibl. Ciassense übereinstimmt, aber unter Fortlassung der
Forliveser und Bologneser Nachrichten, fand ich in der
Communalbibliothek*^ Ferrara's: sie ist im letzten Theil ein
Auszug aus Ricobaldus mit einer Fortsetzung bis 1324,
Dort liest man nicht nur die beiden Sätze aus Pietro zu
1234 und 1239, sondern auch Fabri's drittes Citat, das in
dem nicht soweit reichenden Fragment der Bibl. Ciassense
fehlt: den Bericht vom Tode des Erzbischofs 'Rainaldus
1) Hs. fälschlich '1233'. 2) Muratori SS. IX, 129 und 128.
lieber die Sonnenfinsternis vgl. auch MG. SS. XXIV, 219; Muratori SS.
XVIII, 260; Calogerä, Nuova raccolta d'opuscoli IV, 127; Muratori SS.
I, II, 578 (hier zum 4. Juni 1238, der wie der 3. Juni 1239 ein Freitag
war). 3) Muratori SS. XVIII, 241 fF. gab den Text aus zwei Hss. der
Bibl. Estense. Die Originale liegen auf der Bologneser Universitäts-
bibliothek (Mss. 432 und 431). Die Quelle ist auch für die Reichs-
geschichte des 12. und 13. Jh. von hoher Wichtigkeit. 4) Muratori
SS. XVIII, 244 hat zum J. 1175 den unverständlichen Satz 'e il di di
Carnovale vennero a Bologna dal Cancelliere e arsero molte case nella
Villa delle Caselle . . .' Nach der einen Bologneser Hs., die ich nach-
schlug, muss die Stelle lauten: 'el di de charnevale veneno a Bologna.
1175. I cavallieri del Canciliero veneno alle Cavelle el di de
charnevale e arseno molte case . . .' Mit 'I cavallieri' beginnt ein neuer
Abschnitt, dem die Jahreszahl 1175 nochmals vorangestellt ist. 5) Der
lateinische Text ist meist weniger genau; die Jahreszahlen sind etwas
verschoben. 6) Z. B. Bau des Thurras Asinelli 1108 (Cobelli 1109, Pugliola
1119), der Brand von 1131 etc. 7) Z. B. die Sonnenfinsternis von 1239.
8) 'Mss. Esteri' 266.
740 F. Güterbock.
de Concoregio' (18. August 1321 -). Wie die ersten beiden
Notizen mit Ricobaldus, steht die dritte in Zusammenhang
mit einer anonymen Eavennater Chronik ', mit der die Fer-
rareser Hs. und das Fragment der Bibl. Ciassense auch
vorher Berührungspunkte zeigen ^.
Das Fragment der Bibl. Ciassense, das kurz vor llOß
beginnt, bricht unter dem Jahre 1276 ab. Mit 1273 setzt
eine ausführlichere Darstellung ein : diese bringt wörtlich
wie Moratinus Abschnitte der Chronik Cantinelli's ^. Mit
den Annalen des Moratinus stimmen aber auch die letzten
Citate Bonoli's aus Fietro Ravennate (zu den Jahren 1275.
1276. 1278 und 1369, resp. 1372 5) überein. Es ist somit
anzunehmen, dass unsere Hs., von der ja nur ein Bruch-
stück existiert, ursprünglich dieselbe Ausdehnung wie die
Chronik des Fietro (d. h. 1100—1372 oder 1377) hatte und
wie jene einen Theil der Annalen des Moratinus enthielt,
zumal bei Moratinus hinter 1372, wo nach Bonoli das Werk
Fietro's endete, sich ein Einschnitt bemerkbar macht. Dass
Fabri's Citat vom 18, August 1321 nicht bei Moratinus
steht, kann nicht ins Gewicht fallen, weil der überlieferte
Text des Moratinus gerade von 1317 — 1324 eine Lücke
aufweist ".
Die Annalen des Fietro Ravennate stellen demnach
die erste Hälfte der Chronik des Moratinus dar und sind
in der Hauptsache eine Forliveser Quelle aus dem Ende
des 14. Jh. Etwas früher muss die vorausgehende Com-
pilation ' von Forliveser, Bologneser und Ravennater Notizen
des 12. und 13. Jh. entstanden sein, da diese Compilation
den um die Mitte des 14. Jh. verfassten Ann. Caesenates
bereits stellenweise zu Grunde liegt '^. Die Forliveser No-
tizen mögen hierbei auf eine noch ältere Quelle zurück-
reichen. Obschon sie in der vorliegenden Fassung keines-
falls zeitgenössische Aufzeichnungen sind, enthalten sie
doch eine Reihe eigenartiger, sonst unbekannter Nachrich-
1
1) Fabri p. 232. 2) Muratori SS. I, II, 574 £f. 3) Z. B. die
Notiz zu 1240 (statt 1241), dass der Kaiser zwei Säulen aus der Kirche
S. Vitale in sein Königreich schaifen Hess. 4) Nur ist der Text in
dem Fragment weit weniger genau als bei Moratinus überliefert. 5) Bo-
noli p. 91. 92. 94 und 168. Besonders wichtig für den Identitätsbeweis
ist das letzte Citat Bonoli's (mit 1369 am Rande) : dieselben Worte stehen
bei Moratinus (Muratori XXII, 188) unter dem .1. 1372. 6) Muratori
SS. XXII, 183. 7) Die der Chronik des Moratinus vorausgehenden
Nachrichten zu 1058. 1126 und 1188 (vgl. Borsieri in den Documenti di
storia ital. VI, 765 und 786) haben mit unserer Compilation nichts zu
thun. 8) Vgl. Ann. Caesen. die Jahre 1163. 1169. 1170. 1173. 1170.
1178. 1180. 1191 etc.
Forliveser Annalen des Pietro Ravennate. 741
teil, wie z. B. den Hinweis anf das Münzprivileg' Fried-
richs II. u. a. m.
Neben der zeitgenössischen Faentiner Geschichts-
schreibung-, den Chroniken des Tolosanus nnd Cantinelli,
können die dürftigen Forliveser Notizen allerdings nur
selten als Ergänzung in Betracht kommen: so etwa 1235^
die Demüthigung Faenza's, die von dem Fortsetzer des To-
losanus aus Lokalpatriotismus übergangen sein mag,
1239 die Niederlage Forli's, 1241 die Ueberweisung Faenza's
an die Forliveser durch Friedrich II '^. Andererseits fehlt
es aber auch nicht an Abweichungen und Widersprüchen.
Die Zerstörung von Castrum Leonis ist nach Tolosanus ^
in das Jahr 1201 statt 1200^ zu verlegen. Der Feldzusf
Bologiia's von 1198 wurde gegen Markward und Cesena,
also nicht zum Schutze Cesena's, unternommen ■'. Die Kämpfe
Faenza's mit Bologna, die unsere Annalen zu 1169 und
1170 berichten, werden bei Tolosanus'' unter dem Jahre
1171 ganz anders erzählt: Faenza war nicht von Forli,
sondern nur von Guido Guerra und Ferrara ' unterstützt,
während Forli gerade als Todfeind Faenza's auftrat. Tolo-
sanus verdient hier für die Begebenheiten in der Eomagna
unbedingt Glaubend Die Zuverlässigkeit der Forliveser
Annalen ist daher stark in Zweifel zu ziehen.
Trotz ihres geringen geschichtlichen Werths ist die
Chronik des Pietro Ravennate oder richtiger die ihr vor-
angestellte Compilation vielfach in späteren Werken direkt
oder indirekt benutzt worden''. Eine Klarstellung des In-
halts dürfte schon aus diesem Grunde erwünscht erscheinen.
Nachtrag.
Die Annahme, dass der Tod des Erzbischofs Rainal-
dus ursprünglich in den Annalen des Moratinus gestanden
1) Hs. '1233' s. 0. 2) 'et commendavit populo Forlivii' (vgl.
Chron. Azzurinii, Mittarelli Accessiones p. 320): dies entspricht der An-
gabe Cantinelli's (Mittarelli p. 233), dass 1242 zwei Forlivesen in Faenza
das Podestariat bekleideten. 3) ßorsieri p. 681, Mittarelli p. 121.
4) So in unserer Hs. 5) Tolosanus (Borsieri p. 679, Mittarelli p. 119)
und die Hist. miscell. Bonon. (Muratori SS. XVllI, 247) zu 1198, die
Ann. Caesen. p. 1091 — 92 ähnlich zu 1197. In unseren Annalen könnte
freilich ein späterer Feldzug aus der Zeit nach dem Uebertritt Cesena's
gemeint sein ; doch ist dies unwahrscheinlich. 6) Borsieri p. 649 — 652,
Mittarelli p. 81 — 85. Vgl. auch ßorsieri p. 772 Anm. 67 und Tonduzzi,
Hist. di Faenza (1675) p. 204. 7) Der Ferrarese Guillielmus de Marchc-
sella spielte hei den Friedensverhandlungen eine hervorragende Rolle. —
Sollten in unseren Annalen die F o r 1 i v i e n s e s mit den F e r r a r i e n s e s
verwechselt sein? 8) Das Urtheil Simonsfelds über Tolosanus ist m. E.
allzu skeptisch. 9) So bei Cobelli, Azzurini, Rossi, Carrari, Chiara-
monti, Bonoli, Alberti, Sigonio u. a. m.
742 F. Güterbock.
habe und nur infolge einer Lücke ausgefallen sei, bestätigt
sich bei einer genaueren Durchsicht des Ferrareser Ma-
nuscripts.
Die Chronik des Ferrareser Codex ^, die mit Erschaffung-
der Welt beginnt und am Schluss eine Fortsetzung des
Ricobaldus enthält, ist nämlich anscheinend eine der von
Pietro Ravennate und dann von Moratinus ausgeschriebenen
Quellen. Sie hat schon zu den Jahren 1298. 1300. 1302.
1306 und 1307 ganze Sätze mit Moratinus gemein und
zeigt mit diesem von 1308 — 1324 eine fast vollständige
Uebereinstimmung. Sie endet mit den Worten ' . . . pro
Romana ecclesia', die bei Moratinus- dem Jahre 1325 vor-
ausgehen.
Der Ferrareser Text ist mehrfach ausführlicher und
besser als der des Moratinus. Z. B. wird hier der Regie-
rungsantritt Albrechts von Oestreich richtig zu 1298 ^ er-
wähnt. Für den Ferrareser Aufruhr von 1310^ erhält man
die Mouatsangabe 'meuse iulio'. Und so lässt sich schliess
lieh auch die Lücke von 1317-' — 1324 durch einen längeren
Abschnitt ergänzen -'.
Besondere Beachtung verdient, dass in der Ferrareser
Hs. die Auszüge aus Cantinelli und eine bei Moratinus '
sich findende Forliveser Lokalnachricht des Jahres 1313
fehlen*, wie ja schon vorher alle Forliveser Notizen, die
mau in der Chronik des Pietro trifft, ausgelassen sind.
Hieraus ergiebt sich, dass der Chronist, der bis 1324 schrieb,
kein Forlivese war^. Erst von 1325 ab wurden die An-
nalen in Forli, unter Beifügung von älteren Forliveser, Bo-
logneser und Faentiner ^'^ Nachrichten, weiter fortgesetzt ^^
und zwar zunächst bis 1372 oder 1377 von einem Chro-
nisten, der nach Bonoli's und Fabri's Zeugnis Pietro Ra-
vennate hiess.
1) Bibl. Com. 'Mss. Esteri' 266, im Katalog als Chronik des Mar-
tinas Polonus bezeichnet; Martinus bildet aber nur den zweiten Theil der Hs.,
die aus dem Ende des 15. oder Anfang- des 16. Jh. stammt. 2) Muratori
SS. XXII, 183. 3) Anders Muratori SS. XXII, 175. 4) Muratoi'i
SS. XXII, 180. 5) Hs. '1316'. 6) In diesem Abschnitt die Stelle
vom Erzbischof Rainaldus. 7) Muratori SS. XXII, 182. 8) Ferner
wird 130G (vgl. Muratori SS. XXU, 177) der Modeneser Befehlshaber in
der Hs. ohne den Zusatz 'Foroliviensi' genannt. 9) Vielleicht ein
Ferrarese oder ßavennate. 10) Benutzung Cantinelli's. 11) Auch die
Form der Darstellung lässt nach 1325 einen neuen Chronisten erkennen.
Die Forliveser Lokalnotizen mehren sich.
Nachrichten.
136. Am 20. September 1898 starb in Bern der Pro-
fessor der classischen Philolog-ie Hermann Hagen, geb.
am 31. Mai 1844, ein Sohn des bekannten Heidelberger
Historikers Karl Hagen, der in seinen Arbeiten vielfach
auch das Gebiet des mittelalterlichen Lateins berührt und
gefördert hat. Ich erwähne vor Allem seinen sehr verdienst-
lichen 'Catalogus codicum Bernensium', Bern 1874, an den
sich einige weitere Ausführungen über Bongarsius u. s. w.
anschlössen, ferner die vornehmlich aus Berner Hss. ge-
schöpften 'Carmina medii aevi maximam j^artem inedita',
Bern 1877, die neben vielen schon bekannten Gedichten
doch auch wichtige Bereicherungen unserer Kenntnis brach-
ten. Eben dahin g'ehören die als Suj)plementum zu Keils
lateinischen Grammatikern herausgegebenen 'Anecdota hel-
vetica quae ad grammaticam latin. spectant', Lips. 1870,
umfangreiche Proben bisher ungedruckter mittelalterlicher
Grammatiken aus denselben Quellen. Von dem so über-
aus wichtigen Gedichte Theodulfs von Orleans an die
ßichter veranstaltete H. in einem Berner Universitätspro-
gramm von 1882 eine neue Sonderausgabe nach den MG.,
worin er den Text an einigen Stellen verbesserte und die
Nachweise der antiken Entlehnungen vervollständigte (s. N.
A. VIII, 422). In unser Gebiet fällt auch 'Antike und
mittelalterl. Räthselpoesie', eine poj)uläre Skizze, Biel 1869.
Vor allem aber möchte ich noch dankbar erwähnen, dass
H. mit nie ermüdender Gefälligkeit und Sorgfalt Fragen
beantwortete, die sich auf Berner Hss. bezogen, und uns
öfter mit Vergleichungen unterstützte. E. D.
137. Am 9. October starb in Breslau an einem Ge-
hirnleiden der Oberlehrer am Magdalenengymnasium, Pro-
fessor Rudolf Peiper, ein sehr gelehrter Kenner sowohl
der classischen wie der mittelalterlichen Latinität. Unsere
Auct. ant. verdanken seinem unermüdlichen Fleiss die Aus-
744 Nachrichten.
gäbe des Avitus von Vienne, die Wiener Kirchenväter die
des sog. Cyprianus Gallns, die Teubner'sche Sammlung den
Boetius de consolat. philos., die Tragödien des Seneca,
Ausonius, Querolus ; neben vielen kleineren verdienstlichen
Untersuchungen gab er auch den Waltharius heraus. Durch
eine Erblindung im September 1896 wurde er in manchen
weiteren schon vorbereiteten Arbeiten unterbrochen , von
denen namentlich die NichtvoUendung einer schon weit
geförderten kritischen Ausgabe der Carmina Burana schmerz-
liches Bedauern hervorrufen muss. E, D.
138. Am 30. October starb zu Baden au einem Lungen -
leiden der Director im Reichsamt des Inneren O. Schröder,
der einst als vortragender Rath um die Erhöhung unseres
Fonds sich ein wesentliches und dankbar anzuerkennendes
Verdienst erworben hat. E. D.
189. Am 23. November starb in Wien plötzlich der
Generalsecretär der Akademie, Prof. Alfons Huber, ge-
boren zu Fügen in Tirol im J. 1834, einer der ausgezeich-
netsten Forscher in dem Gebiete der oesterreichischen Ge-
schichte. Als Vertreter der Wiener Akademie gehörte er
unserer Centraldirection in den Jahren 1887 — 1890 an.
E. D.
140. Am 14. Dec. starb in Bamberg der dortige Ober-
bibliothekar Fr. Leit schuh , Verfasser eines noch unvoll-
endeten Katalogs der Hss. der Bamberger Bibliothek, mit
deren Schätzen er unsere Arbeiten oft in gefälliger Weise
unterstützt hat. E. D.
141. Der Vorsitzende unserer Centraldirection, Herr
Geheimrath E. Dümmler, ist durch kaiserliche Bestallung
vom 15. November 1898 zum Geheimen Oberregierungs-
rath ernannt worden.
142. Herr Prof. Mommsen hat im Auftrage der
Berliner Akademie eine neue Ausgabe des Codex Theo-
dosianus übernommen, wie sie einst von Paul Krüger
geplant worden war. E. D.
143. Unser früherer Mitarbeiter Herr Dr. K. Hampe
hat sich in Bonn für das Fach der Geschichte und ihrer
Hilfswissenschaften habilitiert. E. D.
144. Bei der Abtheilung Scriptores ist zur Unter-
stützung des Dr. Krusch für die Herausgabe der Merowin-
gischen Quellen seit Neujahr Herr Dr. Wilh. Levison
aus Bonn als Mitarbeiter eino-etreten. E. D.
Nachrichten. 745
145. Für die von Prof. Kehr übernoinmene Fortfüh-
rung der Gesta pontific. Roman or. ist Herr Dr. Alb. Brack-
mann aus Hannover seit dem 1. October als Mitarbeiter
eingetreten. E. D.
146. Herr Dr. Cartellieri hat im Januar 1899, vor-
nehmlich für die italienischen Chroniken des 13. Jh., eine
Reise nach Italien, namentlich nach Rom und Neapel an-
getreten. E. D.
147. Herr Dr. Werminghoff ist im Februar zu Vor-
arbeiten für die karolingischen Synoden nach Paris gereist.
E. D.
148. Erschienen sind:
Von der neuen Reihe der Gesta pontificum Roma-
norum: Vol. I, Libri pontificalis pars prior ed. Th. Momm-
sen(bis Constantinus einschliesslich, mit vier Schrifttafeln).
Von der Abtheilung Epistolae : T. V. pars prior,
Epist. Karolini aevi T. III. (Inhalt: Epp. selectae pont. Ro-
manorum Carolo Magno et Ludowico Pio regnant. scriptae
ed. Hampe; Leonis III. papae epp. X ed. Hampe; Ein-
harti epp. ed. Hampe; Agobardi Lugdun. epp. ed. Dümm-
1er; Amalarii epp. ed. Dümmler; Frotharii Tullensis epp.
ed. Hampe; Ejjp. variorum (814 — c. 850) ed. Dümmler.
149. Von den Geschichtschreibern der deutschen Vor-
zeit ist Bd. 78 der 2. Gesammtausgabe erschienen (Leipzig,
Dyk 1898), der die Werke Hermanns von A Itaich nebst
den Fortsetzungen seiner Jahrbücher und anderen Alt-
aicher Aufzeichnungen enthält. Die üebersetzung Weilands
ist von 0. Holder-Egger, der in der Einleitung die Un-
tersuchungen Wicherts und Kehrs berücksichtigt, revidiert
worden ; dieser hat auch die Vorrede und die Zusätze Eber-
hards von Regensburg aus der Redaction von 1305 unter
dem. ursprünglichen Text der beiden älteren Fortsetzungen
mitgetheilt und die üebersetzung der Fortsetzung Eber-
hards von 1300 — 1305 hinzugefügt. Auch die Anmerkungen
haben manche Bereicherung erfahren; besonders zu beach-
ten sind die hier mitgetheilten Emendationen zu der Aus-
gabe Jaffe's.
150. Auf Veranlassung des P. Ehrle ist am 30. Septem-
ber 1898 eine internationale Conferenz zur Erhaltung und
Ausbesserung alter Hss. in St. Gallen zusammengetreten, an
deren Berathungen auch das Mitglied unserer Centraldirection
Prof. Th. Mommsen als Ehrenpräsident Theil genommen
hat. Die Conferenz, der P. Ehrle einige berühmte Hss.
746 Nachrichten.
der vaticanischen Bibliothek vorlegen konnte, hat sich über
eine Reihe von Vorschläg-en geeinigt, über welche das von
ihr veröffentlichte Protokoll ihrer Berathungen nähere Aus-
kunft giebt.
151. Unter dem Titel 'Catalogue of the librarj of
Syon monastery Isleworth' (Cambridge 1898) hat Frl. Mary
Bateson aus einer Hs. des Corpus Christi College in
Cambridge einen zuerst 1504 abgefassten, dann bis 1526
vervollständigten Katalog des Mönchsklosters Syon sorg-
fältig abdrucken lassen und mit vielen schätzbaren Nach-
weisungen versehen. Der Katalog, dem ein alter Index
beigegeben ist, umfasst mit geringen Ausnahmen nur latei-
nische Schriften, aber — und darin liegt ein besonderer
Werth — zugleich Hss. und Drucke. Wenn auch sehr
einseitig scholastisch und englisch, enthält er doch für
die Literaturgeschichte manche Avichtige Notizen. Von
dieser reichen Bibliothek des im J. 1539 aufgehobenen
Klosters haben sich bisher nur 6 Hss. als noch in englischen
Bibliotheken vorhanden nachweisen lassen. E. D.
152. Eben erscheint der 1. Theil von P. Gabr. Meiers
Catalogus codd. mss. qui in bibl. monast. Einsid-
lensis O. S. B. servantur (Einsiedeln und Leipzig 1899; codd.
1 — 500), ein würdiges Gegenstück zu Scherrers ausgezeich-
netem Verzeichnis der St. Gallischen Stiftsbibliothek. Schon
jetzt wird die Benutzung durch mehrere Register erleichtert,
obwohl diese an Vollständigkeit etwas hinter Scherrer zu-
rückbleiben ; namentlich würde ein Initienverzeichnis der
geistlichen Gedichte auch nach den dankenswerthen Nach-
weisungen Morels der Forschung unschätzbare Dienste
leisten. P. v. W.
153. Catalogue of manuscripts of Sir Thomas Phil-
lip ps sold by Sotheby, Wilkinson & Hodge, London, June
1898 verzeichnet u. a.:
5. Vita s. Albani cum prologo Boswini ad Sigifridum
archiep. [lies Gozwin zu Mainz] ; Vita s. Othonis ejj. [von
Bamberg] ex Suevia; s. 13/1-1.
6. Alberti Magni ep. Ratisj)onensis Polytica; s. 14.
10. Alexandri M. vita per Gualtherum Insulanum,
s. 16.; angebunden Drucke: Petri Lindenberg Chron. Ros-
toch. (Rost. 1596); Catal. abb. Bergensium ap. Veterem
Magdeburgam (Wolfenb. 1564).
53. Astronomia: Canoues regis Alphonsi cum canonibus
lohannis de Saxonia; s. 15.
Nachrichteu. 747
55. S. Aug'ustiui epist. et serrn. um 900, niicial, mit
griech. Buchstaben, einst 'Benedictinorum S. Michaelis in
Lotaringia'.
105. Index nominum biblicornm ; De vitiis et vivtn-
tibus; Formularium iuris; Versus super libros decretalium;
Scripta in Keitlinga per Fr. loan. Gintram lectorem ibi-
dem 1415. Holzband mit Eisenkette. Schmutzblätter XI. Jh.:
Lectionarium mit altdeutschen Glossen.
126. Vita s. Bridgette; Henr. de Hassia sermones;
Decretalia Th. Zoltaii ep. Werdensis [d. i. Conrad von Sol-
tau?] Deutsche Hände 15. Jh.
153. Burchardi Worm. can. libri 12, Hd. 11/12, Jh.
162. Vita s. Cassiani ep. ; Gesta Henrici imper. ; Vita
s. Eljzabethe reg".; Deutsche Hd. 14. Jh. ; einst Christ, von
Wolckenstein 1594.
165. Lectura Nicolai de Cecilia mo. super V. Decret. ;
'a. 1458. comparavit Theod. de Buckinstorff, univ. Lipsiensis'..
219. Concilia Toletana a. 400—732; 12. Jh.
320. Taxatio ecclesiarum orbis; Provinciale; Chron. Pa-
pale; Italienisch 15. Jh.
321. Original letter of Guy of Flanders, acceding to
truce between England and France 1297.
327, Vertrag zwischen England, Flandern, Brabant
über Handelsstreit, 1333, 16. März.
328. Bündnis Edwards III. mit Ludwig von Flandern
gegen Frankreich um 1362 (das engl. Or.).
332. Brief Edwards IV. betr. Arrest von Engländern
durch Grafen von Nassau 10. Febr. 1479.
333. Brief Londons an Ludwig- von Flandern betr.
Arrest englischer Schiffe 28. Sept. 1367.
334. Contemporary certified copies: Oestr.-eugl. Bund
gegen Frankreich 1480; Engl,- burgund. Bund 1466. 1475.
387. Frederici imper. constitutiones ; Liber scintillarum,
Carmen. 13. Jh.
632. Engl. Geleitsbriefe für Thierry Gherbode, bur-
gund. Gesandten 1411. 1417.
768. Legenda s. Kunegundis imper.; Vita s. Hainrici
imp. ; Vita s. Bonifacii Mogunt. 1456 geschr., 'Liber coli.
Mogunt. soc. lesu'.
824. Hist. scholast. Tholomei de Luca. 'A. D. 1464
scripsi Ant. Ludovici de Antwerpia'. Einst S. Marco zu
Mailand.
828. Ludovici Pii ad Hilduinum de Dionysio; Hilduini
ad Chludouuicum responsio ; Hilduini Areopagitica 9. 10. Jh.
Orio-inalband.
748 Nachrichten.
843. Martjrolog'ium sanctorum ecclesiae, Uiiciale 10. Jb.,
Palimpsest über früherem Martyrolog-.
883. Novum testamentnm, . . . Versus Damasi ep. bnr-
bis Eomae; Commemoratio dedic. basil. s. Michaelis. Ka-
roliiig. Unciaie mit irischer Bandverschlingung. 9. Jb.
Einst Clermont, von Montfaueon erwähnt.
979. Vita et mir. s. Rosae de Viterbio, scr. per Bar-
tholomeum Serfredi de Viterbio Notar der Canonisations-
Commission, 1457, autograph. Die Mirakel reichen von
1419—57.
1068. Sermones de tempore et sanctis 'A. 1439, f'ui
rector scholarum in Audelffingen' Deutsche Hd. 15. Jb.
1087. Fulger Carnot. Via Hierosolimitana mit 'schöner
Karte Jerusalems'. — Epistola Arnulfi ep. Roffensis [?] ad
Milonem Tarvan. ep. s. 12. Aus Parc bei Löwen.
1134. Vitae sanctorum: u. a. Sigismundi regis, Gan-
golfi, Gallicani, Goaris, Panteleontis, Perminii; 12. Jh.
F. Lieb er mann.
154. M. R. James, A descriptive catalogue of fiftj
manuscripts from the collection of Henry Yates Thomp-
son (Cambridge 1898) giebt eine eingehende Beschreibujig
von 50 Hss. des 13. — 15. Jh., die durch ihre werthvollen
Miniaturen ausgezeichnet sind.
155. Einen neuen Beitrag zur Kenntnis der Dieb-
stähle Libri's in den französischen Provincialbibliotheken
bringt E. Chätelain, der im Journal des savants 1898
Juni, S. 377 ff. fünf bisher nicht bestimmte Bruchstücke
von alten Hss. — jetzt in der Pariser Nationalbibliothek
— als zugehörig zu von Libri verstümmelten Codices der
Bibliothek des Grossen Seminars zu Autun bezeichnet.
Vgl. auch Delisle in Bibl. de l'ecole des chartes 59, 379 ff.
156. In den Annalen des bist. Vereins f. d. Nieder-
rhein 66, 182 ff. berichtet der Archivar G. A. ßenz über
das reiche Archiv des niederrheinischen Grafen geschlechtes
von Schaesberg, das sich jetzt in Thannheim in Würt-
temberg befindet. Es enthält nicht weniger als 1493
durchweg ungedruckte Originalurkunden von 1275 an; die
älteste Kaiserurkunde ist Rudolf, 1284 Febr. 11., Redlich
1817, Copie.
157. F. Savio, Gli antichi vescovi d'Italia dalle ori-
gini al 1300. II Piemonte (Turin, Bocca 1898), giebt nicht
nur eine neue Bearbeitung der Bischofslisten für die Diö-
cesen von Piemont, sondern stützt diese auch durch viel-
Nachrichten. 749
fache Mitth ei hingen aus hsl. Quellen. Wir heben aus
diesen hervor S. 10 einen Bischofs-Katalog- von Acqui
bis auf Guido, v^ohl saec. XI., S. 240 fE. den Abdruck der
berühmten Diptycha von Novara (mit Facs.), S. 166
Briefe Honorius' II. (1125/26 oder 1128/29) und Inno-
cenz' II. (1130), S. 214 Privileg Honorius' III. (1224),
S. 331 Abdruck von DO. III. 302 (nach Guichenon, ohne
Berücksichtigung der Monumentenausgabe), S. 31 ff. An-
gaben über die Hss. der Vita Guidonis Aquensis,
S. 480 Notiz über die Weihe von S. Maria Maggiore in
Vercelli durch Eugen III. 17. Jun. 1148; S. 469 ff. Zeugen-
aussagen über die kaiserlichen Bischöfe von Vercelli während
des Investiturstreites (Wenrich ist nicht darunter). In den
Excursen handelt Savio S. 555 ff. über die Synode von
Turin (N. A. XVII., 187 f.), die er zu 398 setzt, S. 576 ff.
über die Schriften des Claudius von Turin (nach Dümmler),
S. 580 ff. über die Diöcesangrenzen (mit Karte). Leider
ist bei den im übrigen recht verdienstlichen Untersuchungen
Savio's die neuere deutsche Litteratur, obwohl einzelnes
aus ihr herangezogen ist, doch bei weitem nicht ausreichend
berücksichtigt worden.
158. Von der 'Bibliotheca hagiographica La-
tin a antiquae et mediae aetatis ediderunt socii Bollandiani'
ist (Bruxellis 1898) das erste Heft, enthaltend die Heiligen
Abbanus bis Caecilia, ausgegeben. Unter jedem der in
alphabetischer Eeihenfolge verzeichneten Namen sind alle
auf diesen bezüglichen Schriften (Vitae, Passiones, Miracula,
Translation es, Inventiones etc.) mit allen ihren Druckorten
und, was besonders dankenswerth ist, auch die Auszüge
solcher Schriften, welche in Sammelwerken wie Vincentii
Bellovac. Speculum historiale erscheinen, mit staunens-
■\verther Genauigkeit und Umsicht verzeichnet. Eine solche
Arbeit haben nur die Herren Bollandisten liefern können.
Wenn das Werk vollständig vorliegen vnrd, wird der bio-
graphische Theil von Potthasts Bibliotheca historica mit
seinen zahllosen Fehlern und Lücken zum grössten Theil
völlig veraltet sein. 0. H.-E.
159. Anknüpfend an Czapla's Ausgabe von Genna-
dius' über de viris illustribus (vgl. oben S. 368 n. 9) unter-
sucht F. Diekamp (Rom. Quartalschr. XII, 411 ff.) die
Entstehungszeit des Schriftstellerkataloges, in dem er einen
ältesten Theil (c. 1—82) von 467—469, Zusätze (c. 83—91)
von 475 — 485 (477/8?) und mehrere Ueberarbeitungen unter-
scheidet, H. Bl.
750 Nachrichten.
160. In den Analecta Bollandiana, über welche
durch Zufall längere Zeit nicht berichtet ist, sind in-
zwischen ganz besonders wichtige Publikationen erschienen.
In Bd. XVI, Heft 4 folgten auf den N. A. XXIII, 586
n. 147 angekündigten Aufsatz über die Vitae S. Petri
de Murrone (Papst Caelestins V.) die von zweien seiner
Schüler verfasste älteste Vita desselben mit den Miracula,
zum ersten mal vollständig und kritisch hergestellt, die
von dem Cardinal Cajetan Stefaneschi für sein Gedicht
über das Leben Peters benutzt wurde.
In Band XVII, Heft 1. 2 gab Herr P. Albert Pon-
celet die genaue Inhaltsübersicht des Martyrologiums
Wolfhards von Herrieden, des grossen Oesterreichi-
schen und des grossen Windberg er Legendars. Aus
diesen gab er viele noch unbekannte Stücke heraus, dar-
unter Miracula S. Pantaleonis aus der Mitte des
11. Jh., von einer Nonne zu Passau geschrieben, und die
Vita Aurelii (des Patrons von Hirschau), welche der
berühmte Abt Williram von Ebersberg auf Bitten des
ebenso berühmten Abtes Wilhelm von Hirschau mit einem
an diesen gerichteten Prolog schrieb. In den Vorbemer-
kungen dieser vortrefflichen und namentlich für uns so
dankenswerthen Arbeit zeigte Herr G. Poncelet, dass
aus Wolfhards Martjrolog allerdings manches in das grosse
oesterreichische Legendär übergegangen ist, dass jenes
aber nicht in dem Masse, wie man angenommen hatte, die
Grundlage des letzteren gewesen ist.
Aus dem dritten Heft des XVII. Bandes ist ein Auf-
satz von Herrn Abbe A. Legris über die Vitae der Hei-
ligen von St. -Wandrille (Fontenelle), nämlich Ansbert,
Lantbert, Condedus, Wulfram, Erembert, Wandregisil, zu
notieren. Dieser ist aber sehr unbedeutend. In demselben
Heft wendet sich der Bollandist P. Karl de Smedt gegen
den von Ch. F. Bellet gemachten Versuch, junge und werth-
lose Heiligenleben für -alt und spätestens im 6. Jh. ent-
standen zu erklären, weil er in ihnen den Cursus (Rhythmik
der Satzenden) findet. Er zeigt, dass man nach der Me-
thode des Herrn Bellet jedes beliebige Stück des neunten
oder zehnten Jahrhunderts dem sechsten zuweisen müsste.
Im vierten Heft des XVII. Bandes antwortet Herr L.
D u c h e s n e auf den Aufsatz von B. Krusch im vorigen Heft
dieser Zeitschrift über die Passio Afrae und das Mar-
tyrologium Hiero nymianum. Er giebt eine Anzahl
Mängel der von Giov.-B. de Rossi und ihm besorgten Aus-
gabe des Martyrologiums zu, hält aber an seinen Auf-
Nachrichten. 751
Stellungen über dessen Abfassungs-Zeit und -Ort fest und
stützt diese mit neuen Gründen. Da ich höre, dass Herr
Dr. Krusch diese Frage in dem vorliegenden Heft von
neuem behandelt hat, enthalte ich mich eines ürtheils
darüber. Auch seine Meinung über das Alter und den
Werth der Passio Afrae vertheidigt Herr Duchesne. Hier
bin ich nicht geneigt ihm zuzustimmen. O. H.-E.
161. In einer Münsterschen Dissertation De Fausti
Reiensis epistula tertia (Münster 1898) behandelt B. Eeh-
ling den von Krusch A. A. VIII, 292 n. 20 edierten Brief
des Faustus vonRiez besonders mit Rücksicht auf seine
üeberlieferung und Entstehungsgeschichte. Als Adressaten
verniuthet er einen in dem Brief an Paulinus erwähnten
Eremiten Marinus.
162. In der zweiten ganz umgearbeiteten Auflage
des N. A. XXI, 779 n. 226 erwähnten Buches von Bellet
(Paris, Picard 1898), über welches auch die eingehende
Kritik von Maere im Museon (Löwen 1897) S. 372 ff. zu
vergleichen ist, ist die Untersuchung über die ältesten
Bischofschroniken und die falschen Papstbriefe für Vienne,
die das 6. Capitel der ersten Auflage bildete, fortgelassen ;
doch kündigt B. eine eigene Schrift über das Martyro-
logium Adonis und die Heiligen von Vienne an, aus
der er einige Ergebnisse bereits mittheilt. Neu hinzu-
gekommen ist namentlich ein Abschnitt über die älteste
Vita S. Martialis Lemovicensis, die B., einer der eif-
rigsten Apologeten der kirchlichen Tradition, ebenso wie
manche andere Heiligenleben auf Grund von Untersuchun-
gen über den cursus in denselben ins 6. Jh. setzen will.
Wie oben n. 160 bemerkt, ist dieser kritiklose Versuch
schon von de Smedt zurückgewiesen worden.
163. In der Römischen Quartalschrift XII, 299 ff.
veröffentlicht A. Postina die Vita S. Arbogasti aus
einer bisher nicht benutzten Vaticanischen Hs. H. Bl.
164. K. Horst setzt in den Englischen Studien XXV,
195 ff. seine 'Beiträge zur Kenntnis der altenglischen
Annale n' in einer eingehenden Untersuchung verschiede-
ner Hss. fort (vgl- N. A. XXIII, 768 n. 233). R. H.
165. G. Monod, Etudes critiques sur les sources de
l'histoire carolingienne (Bibliotheque de l'ecole des hautes
etudes CXIX) giebt in dem vorliegenden ersten Buche eine
dankens werth e Uebersicht über die karolingischen
Annalen bis 829, der eine kurze Zusammenfassung der
Neues Archiv etc. XXIV, 48
752 Nachrichten.
inerovingischen Historiogi'aphie und eine Würdigung der
karolingisclien Renaissance vorangeschickt ist. Da die Arbeit
schon früher entworfen war, sind die eindringenden Unter-
suchungen Kurze's vielfach nur in Anhängen und An-
merkungen berücksichtigt; sich in Bezug auf die Ent-
stehungs- und Ableitungsverhältnisse der kleineren Annalen
mit ihnen auseinanderzusetzen, lehnt M. ab : 'nous trouverions
egalement imprudent de contredire ou d'adopter ces con-
clusions'. Scharf spricht er sich gegen ihre Zurückführung
auf verlorene Hof annalen (Arnold -Bernays) aus. Dagegen
tritt er für den officiellen Ursprung der sog. Ann. Laurissens.
mai. ein: der erste zwischen 788 und 792 verfasste Ab-
schnitt soll unter Angilram (weder von Arn, noch von Riculf),
der folgende bis 801 unter Angilbert in der kgl. Kapelle
niedergeschrieben sein; der Theil von 801 — 818, der während
Hildebalds Kanzleileitung entstanden wäre, könnte hinter
den J. 808 und 813 Einschnitte aufweisen; den Schluss von
819 — 829 nimmt er, wie Kurze, bestimmt für Abt Hilduin
von S. Denis in Anspruch, der vielleicht auch die J. 809 —
813 schon eingetragen habe. Nirgend sei, weder bei der
Abfassung der Annalen selbst noch bei der Bearbeitung
bis 801, eine Betheiligung Einhards anzunehmen, üeber
ihre Beziehung zur Vita Karoli vgl. n. 166. Endlich sei
noch erwähnt, dass Monod für die sächs. Herkunft des Ver-
fassers der Gesta Karoli eintritt und sie nach 801 in
Verbindung mit den Ann. Laureshamenses bringen will,
sowie dass er aus der Ueberlieferung der kleinen Lorscher
Frankenchronik als Fortsetzung der Chronik Beda's und
aus einzelnen ihrer Angaben auf einen angelsächsischen
Mönch als Verfasser schliesst. H. Bl.
166. Durch den Vergleich einer Anzahl von Stellen
aus Einhards Vita Karoli und den sog. Ann. Ein-
hardi glaubt E. Bern heim in der Hist. Vierteljahrschrift
1898, S. 161 ff. endgiltig erwiesen zu haben, dass die letz-
teren in der ersteren benutzt seien, gegenüber Kurze,
der das gegentheilige Verhältnis annimmt. Ich bedauere,
mich Bernheims principieller Ansicht, dass es möglich sein
müsse, auf diesem Wege ein völlig sicheres Resultat zu
gewinnen, nicht anschliessen zu können, und ich bin auch
nicht der Meinung, dass ich, indem ich dies bestreite,
irgendwie 'die Grundlage der ganzen neueren Geschichts-
forschung' in Zweifel ziehe (Deutsche Zeitschr. f. Geschichts-
wissensch. N. F. I, Monatsblätter 129 f.). Mir scheint im
Gegentheil, dass, wenn (wie Kurze glaubt) wirklich beweis-
Nachrichten. 753
bar wäre, die Originalhs. der Annalen könne erst nach 829
geschrieben sein, damit die Frage nach ihrem Verhältnis
zu der vor 829 entstandenen Vita objectiver und deshalb
sicherer, wenn auch auf indirectem Wege, entschieden wäre,
als durch die Vergleichung der in beiden Quellen über-
lieferten Nachrichten. Für diesen Beweis, den ich ein-
gehend nachgeprüft habe, hat Kurze sehr erhebliche Gründe
geltend gemacht; aber es lassen sich auch nicht unbedeu-
tende Argumente dagegen anführen; und die ganze Frage
wird noch einer neuen gründlichen Untersuchung be-
dürfen. Ich will nur noch darauf aufmerksam machen,
dass auch Monod in der oben n, 165 erwähnten Schrift
S. 146, wenn er auch zu Bernheims Ansicht neigt, doch
eine ganz sichere Entscheidung der Frage überhaupt nicht
für möglich hält.
167. G. Hüff er, Korveier Studien (Münster, Aschen-
dorff 1898) geht von der Persönlichkeit und dem Wirken
Gerolds, des Kaplans Ludwigs d. Fr., aus, dem er nach
dem Vorgang M. Mejers die bis 801 reichende Bearbeitung
der Ann. Lauriss. mai. zuweist. Er sei der Lehrer des
Mönches Agius gewesen, in dem H. nicht nur den Ver-
fasser der Vita Hathumodae, sondern auch der Vita
S. Liborii und vor allem der von einem poeta Saxo
verfassten Gesta Karoli erblickt. Wird das 'missliche Eathen
auf bestimmte Verfasser', vor dem Sybel einst warnte, immer
von subjectiven Anschauungen beeinflusst sein, so tritt der
hypothetische Charakter von Hüffers Darlegungen in den-
jenigen Abschnitten noch stärker hervor, die sich mit dem,
von H. in den Mittelpunkt der sächsischen Politik Karls
gerückten Salzer Frieden von 803 und den ältesten Ur-
kunden Karls d. Gr. für die sächsischen Bisthümer be-
schäftigen. So wenig ich Hüffers von der bisher geltenden
und durch Simson begründeten durchaus abweichende Auf-
fassung für bewiesen erachte und so unzureichend viel-
fach ihre Begründung ist, scheinen doch einzelne Hin-
weise beachtenswerth; auch dürfte eine zusammenfassende
Untersuchung jener unechten Diplome, aus denen Hüff er,
m. E. vergeblich, zahlreiche echte herauszuschälen sucht,
ihren Zusammenhang befriedigend zu erklären haben.
H. BI.
168. In den Studi storici VII, 399 ff. beginnt D. Giani
eine Untersuchung über die Chronologie des Agnellus.
H. Bl.
48*
754 Nachrichten.
169. Ausführliche Erläuterung-en zu der unter dem
Namen des GeograjDhus Bawarus g-ehenden Aufzeich-
nung über die Slavengaue (vgl. Wattenbach GQ. 1*^, 289)
giebt A. Kralicek in der Zeitschr. f. d. Gesch. Mährens
u. Schlesiens II, 216 fP. 340 ff.
170. Eine Breslauer Dissertation von W. Seydel,
Studien zur Kritik Wipo's (Breslau, Trewendt 1898), wider-
legt, was nach den Darlegungen Stein dorffs in den GGA.
1891, S. 848 ff. kaum noch in dieser Ausführlichkeit erfor-
derlich war, V. Pflugk - Harttungs Ansichten über die Be-
richte des Ademar und des ßodulf Glaber betreffend die
Wahl Konrads II. und nimmt dann Wipo überhaupt gegen
die Kritik Pflugk - Harttungs in Schutz. Ein erster Excurs
richtet sich gegen Lindners Ansicht, dass Wipo bei der
Wahl Konrads nicht zugegen gewesen sei, der zweite be-
handelt die Chronologie des Cap. 33 der Vita. Im ein-
zelnen erscheinen mir die Ansichten des Verf. vielfach
vei'fehlt.
171. Zum Chronicon Andegavense (oder Vin-
dociuense), das bisher nur unvollständig nach dem bis
1251 reichenden Labbeschen Druck bekannt war, veröffent-
licht Rosa Graham in der Euglish historical review
XIII, 695 ff. unter dem Titel 'The annals of the monastery
of the holy trinity at Vendöme' verschiedene Zusätze und
den bis 1347 reichenden Schluss. Der Werth der Quelle
beginnt mit den selbständigen und gleichzeitigen Ein-
tragungen seit dem J. 1075. Die Hs., welche sich jetzt
in der Bodleiana befindet, enthält nach G. u. a. noch
drei unbekannte, das Kloster Vendöme betreffende Bullen
Honorius' II. von 1128 für französische Bischöfe.
E. H.
172. In den Annalen des bist. Vereins f. d. Nieder-
rhein 65, 237 ff. erörtert H. Höf er einige Daten aus der
Lebensgeschichte des Caesariusv. Heister bach, indem
er namentlich dessen Geburt 10 Jahre höher hinauf rücken
will, als bisher angenommen wurde. Prior von Heister-
bach ist Caesarius, wie H. zeigt, erst nach 1227 geworden.
173. In der Bibliotheque de l'ecole des chartes LIX,
533 ff. beschreibt L. Delisle eine Hs. von S. Land zu
Angers, welche die Gesta consulum Andegavensium
und ein Cartular des Klosters enthält. H. Bl.
174. Der Eevue historique LXVII, 420 entnehmen
wir die Notiz, dass F. C h a m b o n im Bulletin historique
Nachrichten. 755
et scieutifique de rAuvergne 1897 n. 9 — 10 über die Chro-
nik des ßobert de Clarj handelt. R. H.
175. Im YII. Abschnitt seiner g-rnndlegenden Studien
zu den Ungarischen Geschichtsquellen (vgl. N. A. XXIII,
770 n. 239) kommt E. F. Kaindl (Archiv für Österreich.
Gesch. LXXXV, 431 ff.) zu dem mit den Untersuchungen
Heinemanns (N. A. XIII, 63 ff.) übereinstimmenden Er-
gebnis, dass dem Alberich vonTrois-Fontaines
eine bis Ausgang des 11. Jh. reichende Ungarngeschichte
vorlag, die K. als Gesta Hungarorum veter a bezeich-
net und die bei Keza mit der Hunnengeschichte vereinigt
ist. Beide sind benutzt in der um 1300 entstandenen
Ofener Minoriten- oder nationalen Grundchronik.
— Ausserdem deckt K. eine um 1175 entstandene verlorene
ungarische Geschichtsquelle auf, die in Muglens Chronik
und ins Chronicon Pictum übergegangen ist. H. Bl.
176. Ueber das Speeulum perf ectionis, das P.
Sabatier dem Bruder Leo und dem J. 1228 zuweisen
wollte (vgl. oben S. 374 n. 28), ist eine lebhafte Erörterung
entstanden; wir verzeichnen die Mittheilungen von Faloci-
Pulignani in Miscellanee Francescane VII und die Be-
sprechungen in der römischen Quartalschrift XII, 324 ff.;
Archivio stör. ital. Ser. 5, XXII, 134 ff. ; Giornale storico
della letteratura italiana XXXII, 63 ff. H. Bl.
177. Im Archivio della r. Societä Romana XXI, 7 ff.
beginnt F. Pagnotti die Neuausgabe von Papstleben des
13. Jh. mit der Vita Innocentii IV., die aus dem ein-
zigen schon von Baluze benutzten Cod. lat. Paris. 5150 mit
zahlreichen, namentlich Matthaeus Paris berücksichtigenden
Anmerkungen gedruckt wird. Im Anhang zu der mehr-
fach auf die Hss. zurückgreifenden Einleitung, welche die
Papstbiographieen und die einschlägigen Chroniken des
13. und 14. Jh. behandelt, werden die urkundl. Nachweise
über den Verfasser Nicolaus de Carbio (Calvi bei Narni;
Curbio war Lesefehler des Baluze) zusammengestellt (S. 58
eine Uebersicht über die im vaticanischen Archiv befind-
lichen Urkunden von Nonantola 1058—1198). Die von
Pagnotti besprochene Benutzung von Dokumenten der
päpstl. Kanzlei in der Vita erstreckt sich noch weiter, als
er angenommen hat. H. Bl.
178. Wegen ihrer Nachrichten über König Alfons
machen wir auf die Ausgabe der Chronik der Könige
von Castilien (1248—1305) durch A. Morel -Fatio (Bibl.
756 Nachrichten.
de l'ecole des chartes LIX, 325 ff.) aufmerksam, deren Ver-
fasser Gaufridus de Loaisa die Chronik des Erzbischofs
Roderich von Toledo fortsetzte. H. Bl.
179. In dem Bulletino delF istituto storico ital. XX
giebt F. Novati aus dem Cod. X, 165 der Nationalbiblio-
thek zu Madrid die um die Mitte des 13. Jh. geschriebene
werthvolle Stadtbeschreibung 'De magnalibus urbis Medio-
lani' des Frä Bonvicino della Riva heraus. H. Bl.
180. In beachtenswerthen Darlegungen behandelt
F. Wilhelm (Mitth. des Inst. f. Österreich. Geschichtsf.
XIX, 615 ff.) Entstehung und Tendenz der Schriften des
Jordan US von Osnabrück. Den von Waitz heraus-
gegebenen Tractatus de praerogativa Romani imperii sucht
er durch die Zuweisung zu den J. 1279/80 in neues Licht
zu rücken; die von ihm gedruckte Notitia seculi von
1288 findet zum ersten Male angemessene Würdigung.
H. Bl.
181. Die schon angekündigte ausführliche Unter-
suchung von F. V. Krön es über das Cistercienserkloster
Saar in Mähren und seine Geschichtschreibung (vgl. N.
A. XXIII, 586 n. 145 und XXIV, 375 n. 33) ist im Archiv
für Österreich. Geschichte LXXXV, 1 ff. erschienen. Sie
beschäftigt sich mit dem Leben Heinrichs von Heim-
burg, begründet eingehend die von Emier und Dieterich
aufgestellte These, dass er auch der Verfasser der Chronica
domus Sarensis sei, behandelt ihre Beziehungen und
spätere Benutzung und untersucht endlich die der Chronica
angehängte Genealogia fundatorum sovile das Chron. Zdia-
rense im v^esentlichen mit dem gleichen Ergebnis, das
Dieterich SS. XXX, 680 formuliert hat. H. Bl.
182. In der Collection de textes pour servir ä l'etude
et ä l'enseignement de l'histoire (Paris, Alph. Picard et
fils 1899) gab Fr. Punck-Brentano unter dem Namen
Chronique Artesienne (1295 — 1304) die in Arras in
französischer Sprache verfasste, für den flandrisch - franzö-
sischen Krieg überaus wichtige Chronik heraus, welche früher
allein von De Smet im Recueil de Chroniques de Flandre
sehr fehlerhaft unter dem Titel 'Chronique anonyme de
la guerre entre Philippe le Bei et Gui de Dampierre'
publiciert war. Unter dem Texte gab Funck- Brentano
Stücke einer unedierten Chronik von Tournai aus dem
15. Jh., in welcher für diese Zeit unbekanntes, gleichzeitiges
Quellenmaterial benutzt sein muss. Die erklärenden Bei-
Nachrichten. 757
gaben der Anmerkungen und im ausführliehen Register
sind reich und werthvoll. O. H.-E.
183. In scharfsinnigen Erörterungen handelt K. Kopp-
mann (Hansische Geschichtsblätter 1897, 149 ff.) über die
verlorene, in den verschiedenen Chroniken Detraars und
von Korner benutzte Lübische Stadeschronik; er
vermuthet ihre Abfassung im J. 1347 durch den Lübecker
Rathsnotar Johann Ruffus; ihm schreibt er auch eine
gleichfalls nicht erhaltene, früher entstandene Chronik bis
1276 zu, die mit der gefälschten Rathswahlordnung in Zu-
sammenhang steht. S. 197 ff. und S. 283 ff. wird das Ver-
hältnis Detmars zu Korn er noch eingehender als in der
trefflichen Ausgabe Schwalms geprüft. H. Bl.
184. Dom Ursmer Berliere berichtete in den Bulle-
tins de la Commission royale d'histoire de Belgique 5. serie,
t. Vlll, n. 1 über die modernen Abschriften, welche dem
bekannten Prämonstratenserabt Hugo von Etival aus bel-
gischen Prämonstratenserklöstern für seine Annales ordinis
Praemonstratensis zugesandt waren und die sich jetzt in
Nancy befinden. Es fand sich wenig Unbekanntes darunter.
B. publiciert daraus Excerpte aus Nekrologien von
Cuissy und Floreffe, eine Tafel über Gründung und
Weihe dieses Klosters. Das wichtigste darunter war der von
dem bekannten Chronisten Peter von Herentals in der
zweiten Hälfte des XIV. Jh. verfasste C atalog us abba-
tum Floref f iensium , den B. ebenda n. 5 aus einer
Abschrift des vorigen Jahrhunderts herausgab.
O. H.-E.
185. Der erste Band der von J. H. AI bau es ge-
sammelten, nach dessen Tod von U. Chevalier manchmal
ohne eine letzte Ueberarbeitung, wie sie nöthig gewesen wäre,
herausgegebenen 'Actes anciens et documents concernant
le bienheureux Urbain V. pape' (Paris, Picard, und Mar-
seille, Ruat, 1897) enthält die 14, bisher zum Theil unge-
druckten Viten Urbans, welche vor dem 16. Jh. ent-
standen sind, ferner das sehr langathmige Protokoll über
die 1376 — 79 in Marseille betreffs der Wunder Urbans er-
hobenen Zeugenaussagen, welche gelegentlich der auf eine
Canonisation dieses Papstes abzielenden Verhandlungen
abgegeben wurden, sowie den 'Liber de vita et miraculis
beati Urbani pape quinti', eine 1390 in derselben Angelegen-
heit auf Geheiss Clemens' (VII.) aufgestellte luformatio ;
auch die beiden letztgenannten Stücke waren bisher zwar
bekannt, aber ungedruckt. R- H.
758 Nachrichten.
186. Die glückliclie Auffindung einer von dem Berner
Chronisten Konrad Jnstinger eigenhändig geschriebenen
Quittung vom J. 1423 hat A. Flur j in den Stand gesetzt,
im Berner Staatsarchiv zahlreiche andere Schriftstücke
von seiner Hand nachzuweisen und in eingehender pa-
hieographischer Untersuchung (Anzeiger f. schweizer. Gesch.
1899 S. 128 ff.) darzuthun, dass, wie schon G. Tobler ver-
muthet hatte, drei in der Stadtbibliothek zu Bern erhaltene
Pergamentblätter Ueberreste der von Justinger eigenhändig
geschriebenen Originalhs. der Chronik sind, womit alle
Zweifel daraii, dass Justinger die unter seinem Namen
gehende Chronik verfasst habe, behoben werden. Zugleich
ergiebt sich nun, dass die Copieen der beiden Stettier
(Vater und Sohn) von 160.5 und 1648 unmittelbar auf die
verlorene Originalhs. zurückgehen und also den Abschriften
des 15. Jh. vorzuziehen sind. Dem für die Kritik der Chronik
sehr wichtigen Aufsatz ist eine Schrifttafel beigegeben.
187. In der Zeitschrift für Social- und Wirthschafts-
geschichte VI, 369 ff. setzt C. Koehne seine Studien zur
sogenannten Reformation Kaiser Sigmunds fort (vgl.
N. A. XXIII, 689 ff.), indem er dieselbe inhaltlich analy-
siert, auf ihre Quellen untersucht und ihre Benutzung im
15. und 16. Jh. klarlegt. Die genannte Schrift kann weder
mit dem Hussitenthum noch mit anderen gleichzeitigen
Bewegungen, als deren Ausfluss Neuere sie hinstellen wollten,
in Zusammenhang gebracht werden, sondern ihr Verfasser
hat die Ideen seiner Zeit in ziemlich selbständiger und
eigenartiger Weise verarbeitet. Ausser Wolfgang Aytinger
(vgl. N. A. XXIII, 717) ist im 15. Jh. kein Benutzer nach-
weisbar. R. H.
188. Als Hauptquelle für die Darstellung Vadians
von den Burgunder Kriegen erweist J. Haue im Anzeiger
für Schweizerische Gesch. 1898 n. 4 die verlorene Chro-
nik eines St. Gallers Meinrad vom J. 1482, von der sich
mehrfach Auszüge, namentlich ein grösseres Bruchstück
über die Jahre 1475/76 in Bd. 6 der Hallerschen Documenten-
Sammlung auf der Stadtbibliothek in Bern, erhalten haben.
Ebenda n. 3, S. 66 ff. theilt Th. v. Li eben au einen be-
achtenswerthen Bericht von Jörg Hochmuth an die Stadt
Donauwörth über dieSchlacht vonNancy d.d. 11. Jan.
1477 mit; vgl. auch zur Geschichte der Murtener Schlacht
den von G. Tobler das. n. 4, S. 95 ff. gedruckten Brief
des Berner Raths.
Nachrichten. 759
189. In einer Untersuchung- über Paul Volz von
Offenburg und die Annalen von Schuttern hat J. Maj
(Leipzig-, Fock 1898) das Verhältnis der verschiedenen Re-
censionen zu einander zu bestimmen gesucht. H. Bl.
190. A. V. Halb an, Das römische Eecht in den
germanischen Volksstaaten (Untersuchungen zur deutschen
Staats- u. Rechtsgesch. 56, Breslau, Marcus 1899) verfolgt
in eingehender Erörterung die Beeinflussung des germani-
schen durch das römische Recht in den Staaten der Van-
dalen, Odovakars, der Ostgothen, Westgothen und Bur-
gunder.
191. Im Archivio giuridico Filippo Serafini n. s. II
erörtert A. Solmi die Beziehungen zwischen den lango-
bardischen und nordischen Rechtsquellen und tritt für die
Zugehörigkeit d*es langobardischen Rechts zu der Gruppe
der vrestgermanischen Rechte ein. Von Fickers Arbeiten
sind dabei nur ein Aufsatz in den Mittheil, des oesterr. Inst.
Erg. II und die Forsch, zur Reichs- und Rechtsgesch. Italiens,
aber nicht das grosse Werk der Untersuchungen zur Rechts-
geschichte (1891 ff'.) berücksichtigt.
192. Der 2. Auflage von Behrends Lex Salica ist
schnell noch eine neue Ausgabe derselben Quelle gefolgt:
Lex Salica zum akademischen Gebrauche herausgegeben
von Heinrich Geffcken (Leipzig, Veit & C, 1898). G.
giebt hinter dem Texte einen reichen fortlaufenden Com-
mentar, der sich schon äusserlich durch seineu Umfang
als wesentlichsten Theil des Buches kennzeichnet und
keineswegs nur für Anfänger brauchbar ist, sondern auch
die volle Beachtung der Forscher verdient. K. Z.
193. In der Zeitschr. der Savignystiftung für Rechts-
gesch. germ. Abtheil. XIX, 174 — 178 berichtet Lieber-
mann über die erste Lieferung seiner umfassenden und
kritischen Ausgabe der Gesetze der Angelsachsen
(Halle 1898), für welche durchweg eine neue Vergleichung
der Hss. stattg-efunden hat. Die lateinische Uebersetzung
des 12. Jh. (Quadripartitus) und eine neue deutsche Ueber-
tragung ist dem Texte beigefügt. E. D.
194. In der ' Archaeologia Cantiana' (1898) geben Arnold
und Lieb er mann eine sehr genaue Beschreibung und
Inhaltsangabe des sog. Textus Roffensis, einer unter
dem Bischof Ernulf von Rochester (f 1125) angelegten
Sammlung angelsächsischer Gesetze, welche noch jetzt der
760 Nachrichten.
Cathedrale von Eochester gehört. Ein sehr schöner Licht-
druck einer Seite ist beigefügt. E. D.
195. Der zweite Theil von G. Seeligers scharf-
sinnigen Untersuchungen über Volksrecht und Königsrecht
(Histor. Vierteljahrschrift 1898, 313 ff.; vgl. oben S. 377
n, 43) behandelt die Gesetzgebung im Frankenreich. S. be-
gründet zunächst nochmals seinen Widerspruch gegen die
bekannte Dreitheilung der Capitularien (vgl. N. A. XIX
255 n. 33) und stellt sodann die Zeugnisse für die Theil-
nahme der Unterthanen an der Rechtsbildung zusammen,
mit denen die Annahme unbeschränkter Gesetzgebung allein
durch den König unvereinbar sei. So wenig daher das Recht
nach den gesetzgebenden Kräften zu scheiden sei, so wenig
hält S. eine dem Inhalt entnommene Theilung der Rechts-
bestimmungen in solche des Volksrechtes . und andere des
Königsrechtes für zulässig. Nicht in solchem starren Rechts-
dualismus, sondern in den Wechselströmuugen von Gewohn-
heit und Gesetz, Volkseinwirknngen und Königseinwir-
kungen, Stammes- und Reichsrecht sei die Rechtsent-
wickelung vor sich gegangen. H. Bl.
196. Von dem Abdruck der beiden Urkunden des
Wormser Concordats, welchen H. O(mont) in der
Bibliotheque de l'ecole des chartes LIX, 655 ff. nach einer
bisher unbekannten Abschrift in der Züricher Cantonal-
Bibliothek veröffentlicht, kann nur derjenige des päpstlichen
Privilegs Interesse beanspruchen, da das kaiserliche im
Original erhalten ist. Die Züricher Ueberlieferung der
Urkunde Calixts erweist sich als zu der von Weiland (Consti-
tutionen I, 160) mit B bezeichneten Handschriftenklasse
gehörig und enthält verschiedene neue, aber für die Her-
stellung des Originaltextes belanglose Varianten. R. H.
197. In der Zeitschrift der Savignj- Stiftung XIX,
Germ. Abth. berichtet S. 143 f. Edward Schröder über
Fragmente einer Hs. des Lehnrechts des Sachsenspie-
gels s. XIV. (im Privatbesitz) und S. 145 ff. Hermann Isay
über eine Hs. des kleinen Kaiserrechts im Stadt-
archiv zu Trier (bisher in der Stadtbibliothek unter n. 851^).
K. Z.
198. Ueber die Wiesbaden betreffende Stelle des
von Schwalm publicierten Eingangsverzeichnisses städtischer
Steuern (N. A. XXIII, 517 ff.) spricht F. Otto in den An-
nalen des Vereins f. Nassauische Alterthumsk. n. Geschichtsf.
XXIX, 222 ff. R. H.
Nachrichten. 761
199. In der Zeitschr. für Gesch. des Oberrbeins N. F.
XIII, 664 ff. bereitet C. Koehne die ihm übertragene
Herausgabe der badischeu und elsässischen Stadt-
rechte durch eine üebersicht über das gedruckte und hand-
schriftliche Material vor, die zunächst das mittlere und
südliche Baden betrifft. H. Bl.
200. Die von G. Caro in der Histor. Vierteljahr-
schrift Bd. II, S. 72 ff. veröffentlichten, gegen die Authenti-
cität des lateinischen Textes des l.Strassburger Stadt-
rechts, bezw. die Angaben Grandidiers gerichteten Aus-
führungen sind in der Hauptsache durchaus missglückt.
Denn weder ist, was Schilter allerdings irrig behauptet
hatte, dessen lateinischer Text eine Uebersetzung des deut-
schen, noch ist zu zweifeln, dass Grandidier, dessen Aus-
gabe zahlreiche bessere Lesarten bietet, einer guten, alten
und selbständigen Ueb erlief erung folgte. Die Frage, wie
Grandidier zu den von ihm allein überlieferten, angeblich
demselben Cod. saec. XIII. entnommenen Texten des 2.
und 3. Stadtrechts kam, die er doch nicht erfunden haben
kann, ist gar nicht aufgeworfen worden. Auch ist gar
kein Zweifel, dass einige bei ihm fehlende, bei Schilter
überlieferte Stellen Zusätze zu dem ursprünglichen Texte
sind, wobei man höchstens zweifeln kann, ob Grandidier
sie als solche erkannt und demnach fortgelassen habe,
oder ob sie seiner Vorlage fehlten. Ohne einer eindringen-
den Untersuchung vorgreifen und mich auf Einzelheiten
einlassen zu wollen, möchte ich meine Meinung nach reif-
licher Ueberlegung zu Gunsten der Grandidierschen An-
gaben abgeben. Eine andere Frage ist die, ob neben dem
Texte Grandidiers, der auch in Zukunft als Grundlage zu
dienen haben wird, nicht die eine oder andere Lesart
Schilters Berücksichtigung verdiente. E. Sackur.
201. Ueber eine werthvolle Hs. saec. XV. in. des
Eechtsbuchs von Prag in der Bibliothek des Dom-
capitels zu Olmütz berichtet B. Bretholz in der Zeitschr.
f. d. Gesch. Mährens und Schlesiens II, 380 ff.
202. Bemerkenswerthe Ausführungen von F. Frens-
dorff über die Zollordnung des Lübischen Eechts
(Hansische Geschichtsblätter 1897, 107 ff.) kommen über
Ueberlieferung, Form und Inhalt der Ordnung zu Ergeb-
nissen, die von anderen neueren Arbeiten wesentlich ab-
weichen (vgl. N. A. XX, 507 n. 226) und seine früheren Dar-
legungen werthvoll ergänzen. H. Bl.
762 Nachrichten.
203. In den auf archivaliscben Studien beruhenden
^Beiträgen zur Geschichte des Märkerwesens zu Nieder-
lahnstein' von F. Michel (Annalen des Vereins f.
Nassauische Alterthumsk. u. Geschichtsf. XXIX, 202 ff.)
wird ein Vertrag zwischen den Märkern und der Gemeinde
Yom 20 Nov. 1455 abgedruckt. E. H.
204. Ein bisher unbekanntes Capitel der Tabula
von Amalfi veröffentlicht und bespricht F. Ciccaglione
im Arch. stör, per le provincie Naj)oletane XXIIl, 365 ff.
H. Bl.
205. Im Nuovo archivio Veneto XV, 288 ff. veröffent-
licht C. Cipolla eine Anzahl politischer und commercieller
Verträge Veronas und anderer oberitalienischer Städte
aus dem 12. Jh., darunter den ältesten erhaltenen Handels-
vertrag zwischen Verona und Venedig von 1107, auf den
ich, was dem Verf. entgangen ist, zuerst hingewiesen habe.
W. L.
206. In der Revue des Bibliotheques n. 10/11 des
Jahres 1898 giebt (S. 361 — 370) Am. Salmon Nachricht
von sechzehn Hss. (und einigen alten Drucken), welche
sich in die Bibliothek des Gerichtshofes (tribunal civil) von
Beauvais verirrt haben. Während die übrigen dem späteren
Mittelalter oder der neueren Zeit angehören und namentlich
für die Rechtsgeschichte Frankreichs ergiebig sind (darunter
die Coutumes de Beauvoisis von Phil, de Beaumanoir), ist
für uns besonders wichtig eine Hs. des 9. bis 10. Jh.,
welche die von der Aachener Synode des Jahres 836 in
drei Büchern an Pippin von Aquitanien gerichtete Denk-
schrift enthält, und zwar wird dieselbe, was bisher nicht
bekannt war, hier ausdrücklich als ein Werk des bekannten
Bischofs Jonas von Orleans bezeichnet (vgl. oben S. 490).
E. D.
207. In der Einleitung zu meiner Ausgabe der Briefe
Alcvins, EE. IV, p. 2 — 3 n. 6, habe ich nach 3 Hss. einige
Räthselfragen herausgegeben, von denen ich vermuthete,
dass sie von Alcvin selbst herrühren könnten. Hierbei
war mir entgangen, dass eben dieselben schon längst aus
der dem 7. Jh. angehörigen Pariser Hs. 10318, dem ehe-
maligen Salmasianus, von Ed. Wölfflin in dem Erlanger
Prorectoratsprogramm von 1878 S. 17 mit der Ueberschrift
'Aenigmata quae Aristoteles philosophus posuit' heraus-
gegeben worden waren. Durch die Einleitung Wölfflins
aber wird noch auf eine ältere Quelle dieser Sprüche hin-
Nachrichten. 763
g-ewiesen, nämlich auf des hl. Hieronymiis lib. contra Rufi-
num III. c. 39 (Opp. ed Vallarsius II, 566), wo sie mit den
Worten eingeleitet werden: 'Illaque aenig-mata quae dili-
gentissime Aristoteles in suis libris prosequitnr'. Vorauf
gehen auch dort wie in den Hss. n. 144 und 145 Stücke aus
Seneca de moribus, die hier auf Pjthagoras zurückgeführt
werden. Die Beliebtheit dieser somit dem classichen Alter-
thum angehörigen Eäthsel geht aus ihrer grossen Ver-
breitung hervor, so finden sie sich z. B. auch in der Hs.
des Trinit}^ College in Cambridge B. L. 30 aus dem 12. Jh.,
Pembroke College A. 2. 21 aus dem 13. Jh. (Schenkl,
Bibl. patr. lat. Britann. VIII, 6; IX, 8.) E. D.
208. Auf die Schrift von C. Lux über Tapst Sil-
vesters II. Einfluss auf die Politik K. Otto 's III.' (Breslau,
Müller & Seiffert 1898) sei hier namentlich deswegen hin-
gewiesen, v^eil in ihr die den meisten deutschen Forschern
durch ihre Sprache unzugänglichen Untersuchungen Bubnovs
über die Briefe Gerberts eingehende Berücksichtigung
gefunden haben. Die Datierung der Epp. 181 — 187 wird
in einem Anhang S. 72 ff. besonders erwogen, hinsichtlich
deren L. den Ansetzungen Bubnovs vor denen von Havet
und Sickel schwerlich mit Recht den Vorzug giebt. Leider
ist Lux die Abhandlung Blochs über Leo von Vercelli in
dieser Zeitschrift Bd. XXII unbekannt geblieben.
209. Eine Vorbereitung zu den Regesten Lothars IIL
stellen Untersuchungen über einige Briefe des Codex
Udalrici von E. Sc haus dar (Historische Viertel jahr-
schrift I, 222 ff.). Er reiht die Briefe über die Excommuni-
cation Gebhards von Würzburg zum J. 1126 ein; scharf-
sinnig wird aus den Schreiben Jaffe Bibl. V, n. 250 — 253
eine Reichsversammlung zu Nürnberg erschlossen, die vor
dem October 1130 sich mit dem Schisma beschäftigte, und
auf die entgegengesetzte Politik Lothars und Adalberts
von Mainz hingewiesen. H. Bl.
210. Hugo III. von Amiens, Erzbischof von Ronen
1130 — 1164, hat in P. Hebert (Revue des questions histo-
riques LXIV, 325 ff.) einen Biographen gefunden, der sich
hauptsächlich mit seinen Briefen beschäftigt. Die Schrif-
ten Hugos sind nicht alle erwähnt, z. B. findet sich über
seine Vita s. Adiutoris nichts. R. H.
211. A. Dieudonne, Hildebert de Lavardin
(Paris, Picard 1898) behandelt nach einer Schilderung des
Lebens dieses im Mittelalter vielgenannten Dichters und
764 Nachrichten.
Philosophen aiisführlich seine Briefe; für den Verfasser
des an Hildebert gerichteten Schreibens über Paschais II.
Gefano-ennahme (Libelli de lite II, 667 ff.) hält er, wie auch
Mirbt, einen italienischen Geistlichen. H. Bl.
212. Als Beilage zu einer Abhandlung P. AI dingers
über die Erhebung Arnolds von Isenburg zum Erzbischof
von Trier im Programm des evang. theol. Seminars zu
Schönthal 1898 n. 610 ist ein Brief der Wähler Ar-
nolds an die Gräfin Ermesinde von Luxemburg von 1242
(Goerz Mittelrh. Eeg. III, n. 290) abgedruckt.
213. Der erste Band von G. St ein hausen, Deut-
sche Privatbriefe des Mittelalters (herausg. mit Untei"-
stützung der preuss. Akademie, Berlin, Gaertner 1899) ent-
hält in 590 Nummern Briefe von Fürsten, Magnaten, Edlen
und Rittern, bezw. diesen Ständen angehörigen Frauen aus
der Zeit vom Anfang des 14. bis zum Ende des 15. Jh.
Da sie zum weitaus grössten Theile bisher ungedruckt
waren, wird hier durch den rühmenswerthen Fleiss des
Herausgebers eine reichlich fliessende Quelle für die Kultur-
geschichte des ausgehenden Mittelalters neu erschlossen.
War es aber wirklich erforderlich oder wünschenswerth,
dabei den Begriff 'Privatbriefe' so peinlich eng zu fassen,
dass aus den mitgetheilten Briefen alles amtliche oder
politische ausgemerzt werden musste ? Eine grosse Zahl philo-
logischer Berichtigungen zu der Ausgabe hat A. Schön-
bach, Deutsche Litteraturzeitung 1899 n. 5 gegeben;
Steinhausens Erwiderung auf diese Anzeige wird gar mancher,
bei aller Dankbarkeit für eine reiche Gabe, weder dem
Inhalt noch der Form nach für glücklich halten.
214. In den Mittheil. d. Inst, für oesterreich. Ge-
schichtsf. XIX, 697 ff. veröffentlicht K. Uhlirz einen
Brief des Wiener Stadtschreibers Hans Menestorfer vom
9. Juli 1488. H. Bl.
215. Ueber eine interessante, wahrscheinlich im An-
fang des 13. Jh. in Tours entstandene, um die Mitte dieses
Jahrhunderts in Deutschland überarbeitete Formular -
Sammlung, die in clm. 6911 mit der Ars dictandi Au-
relianensis (vgl. Quellen und Erörterungen IX, 97 ff.) ver-
bunden ist, und über die verwandte Formularsammlung
in cod. Paris, lat. 14069, giebt H. Simonsfeld in den
SB. der Münchener Akademie 1898 Heft 3, S. 402 ff. ein-
gehende und dankenswerthe Mittheilungen. Dass die in die
Münchener Sammlung aufgenommenen deutschen Königs-
Nachrichten . 765
Urkunden fingiert sind, wie auch S. schon erkannt hat,
kann keinem Zweifel unterliegen ; ich mache nur noch
darauf aufmerksam, dass die S. 417 N. 1 besprochene Con-
junction in den Formularsammlungen angewandt wird,
wenn dem Benutzer zwischen mehreren gleichbedeutenden
Sätzen oder Satztheilen oder mehreren Namen die Wahl
gelassen werden soll, und dass die Wendung 'astantibus
in nostro palatio' etc. (S. 422) dem Formular der capetin-
gischen Königsurkunden angehört (Giry S. 747).
216. In Folge der von mir N. A. XXI, 783 n. 242
ausgesprochenen Bedenken hat 0. Redlich das von ihm
herausgegebene Oberrheinische Formularbuch des
Einsiedler Cod. 329 einer erneuten Untersuchung unter-
zogen, über die er in der Zeitschr. f. Gesch. des Oberrheins
N. F. XIII, 689 ff. berichtet; er stimmt jetzt mit mir darin
überein, dass die der ersten und letzten Gruppe des For-
mularbuchs angehörigen Briefe, d. h. diejenigen, welche
K. Rudolf und seine Zeit betreffen, als fingiert, als Stil-
übungen anzusehen sind ; sie sind daher, wiewohl ihr
Verfasser gewisse Kenntnisse von den Zeitereignissen ge-
habt hat, nur mit grosser Vorsicht als Quelle zu ver-
werthen.
217. Die Fortsetzung der Berichte Kehrs (Nachr.
der Gott. Gesellsch. der Wissensch. 1898 S. 237 ff.) imd
Klinkenborgs (das. S. 335 ff.) über Papsturkunden
in Italien behandelt Apulien, die Abruzzen, die Gegend um
den Monte Gargano, den Principato, die Basilicata, Cala-
brien. Von bisher unbekannten Papsturkunden werden
54 theils im Auszug, theils vollständig abgedruckt; dazu
kommen, Nachrichten S. 505 ff., 7 Nummern aus den
Sammlungen des A. Massarelli in San Severino. Weniger
bedeutend war hier natürlich die Ausbeute für die Diplo-
mata : ich notiere, die normannischen KU. übergehend :
DO. I. 357, Or. in Penne Arch. cap. (von Sickel nach üghelli
ediert); Heinrich VI., 1195, Cesena, Abschriften in Putig-
nano arch. com. und in Conversano cancell. vescov.; Con-
stanze, 1197 Apr., Abschrift in Penne arch. com.; 1197, Ab-
schrift in Putignano arch. com.; 1199 Sept., Or. in Trani
arch. cap.; Friedrich II., 1205 Juli, Palermo, früher im
Capitelsarchiv zu Barletta, jetzt vergeblich gesucht; 1212
März, für Villio di Farazzano cameriero del card. S. Angelo,
Regest in Boiano; 1212 Apr., Abschrift in Lanciano bibl.
com.; 1214, erwähnt in einem Inventar zu Putignano 1221
Febr., Salerno, Abschrift in S. Giovanni Rotondo arch. com.;
766 Nachrichten.
1221 Apr., Tarent, Or. in Monopoli arch. cap. ; 1222 Aug. 5.,
Melfi, Original in Bari arcb. cap. di S. Savino; 1223 Jan.,
Foggia, für S. Maria d'Arbona im Besitz des H. Üb. Pasqui
in Arezzo; 1231, Foggia, Abscbrift in S. Giovanni Rotondo
arcb. com.; Manfred, 1259 Apr. 1, Citat in Lanciano bibl.
com.
218. Im Zusammenbang mit der von Kebr vorberei-
teten Sammlung der Papsturkunden ist die Arbeit von
E. B. Graf v. Hacke, die Palliumsverleibungen bis 1143
(Marburg, Elwert 1898) entstanden. Der Uebersicht der
Palliumsurkunden sind kritische Untersuchungen eingefügt,
in denen allerdings nur die formalen Merkmale berück-
sichtigt werden, da es für den Zweck der Arbeit nicht
sowohl auf die Feststellung der Echtheit der Urkunden
an sich als auf die Entwicklung der Palliumform ein an-
kam. Den Schluss bilden ein Verzeichnis der bekannten,
aber nicht mehr vollständig erhaltenen Urkunden und drei
ungedruckte Stücke: Leo IV., 852 April 1, und Benedict III.,
858 März 30, für Grado, Paschalis II., 1105 December 31,
für Besan9on. H. Bl.
219. Im Scbriftwart, Zeitschrift für Stenographie und
Schriftkunde, 1898, S. 74 &. bespricht C. Dewischeit
die Silbentachjgraphie in den Privilegien Silvesters II.,
ohne neues darüber zu sagen. Doch giebt er eine Ab-
bildung von den Noten in dem Privileg für Terracina
(N. A. XXI, 785 n. 248), die mit derjenigen Giorgi's nicht
ganz übereinstimmt, und, wie es nach S. 77 N. * den An-
schein hat, auf einer neuen Photographie beruht, obwohl
das nicht deutlich gesagt ist.
220. Sehr lehrreich ist eine Mittheilung von P. Kehr
über das Verhältnis der Urkunde Benedicts IX. (Jaffe-L.
4109) für das Capitel zu Florenz zu derjenigen Leo 's IX.
(Jaffe-L. 4230) in den Nachr. der Göttinger Gesellsch. der
Wissensch. 1898, S. 496 ff. Nachdem bereits Davidsohn
erkannt hatte, dass eine ziemlich gleichzeitige Copie der
ersteren, die noch erhalten ist, durch mancherlei Correc-
turen zum Concept für das Privileg Leo's IX. umgestaltet
wurde, weist Kehr, unter Beigabe eines Abdrucks beider
Urkunden und eines Facsimile - Fragments nach, dass jene
Correcturen von der Hand des Bibliothekars und Kanzlers
Petrus herrühren, von dem wir bisher schon wussten, dass
er bei der Mundierung päpstlicher Urkunden betheiligt
war. Sehr merkwürdig ist dann, dass bei der Herstellung
Nachrichten. 767
des von Lietbuin gescliriebeuen Orginals der Urkunde Leos
neben diesem Concept noch eine andere Urkunde als Vor-
lage benutzt ist. Weiter theilt Kehr S. 504 einen Spott-
vers mit, den der Kanzler Peter auf die Eückseite von
Jaffe-L. 4231 geschrieben hat; wie Kehr ansprechend ver-
muthet, bezieht sich dieser auf des Petrus Nachfolger im
Kanzleramt. Udo von TotiL
221. L. Zdekauer handelt in der Rivista italiana
per le scienze giuridiche XXV, 242 ff. von dem dm-ch
Schiaparelli aufgefundenen Privileg Houorius' II. für
Troia vom 5. December 1127, das er nach der Ausgabe
Kehrs in den Nachrichten der Gott. gel. Gesellsch. 1898
S. 76 ff. abgedruckt hat. H. Bl.
222. Ueber das Itinerar Clemens' V. vom 18. Sept.
1311 bis zum 22. Mai 1312, d. h. über die Reise des Papstes
zum und vom Vienner Concil, handelt U. Chevalier im
Bulletin d'hist. eccl. des dioceses de Valence, Gap, Grenoble
et Viviers, 1898 Juli -Sept.; vgl. Revue historique LXVIII,
191. R. H.
223. Im 58. Bericht des bist. Vereins für Bamberg
S. 1 ff. theilen B. M. Reichert und H. Weber Urkunden
Johanns XXII. von 1324 — -1328 an und über Heinrich II.,
den vom Papst ernannten und von Ludwig d. B. bekämpften
Bischof von Bamberg, mit.
224. Im Hist. Jahrbuch XIX. 567 ff. druckt K. Eubel
aus den Verhandlungen der päpstlichen Consistorien, deren
Protokolle sich abschriftlich in den Armaria genannten
Beständen des vatic. Archivs befinden, den Treueid, welchen
Graf Wilhelm von Jülich am 30. Jan. 1332 dem Papst
Johann XXII. leistete, und verzeichnet die anderen ebenda
enthaltenen und sich gleichfalls auf die kirchenpolitischen
Kämpfe dieser Zeit beziehenden Urkunden. R. H.
225. In seinen 'Ciarenthaler Studien' (Annalen
des Vereins f. Nassauische Alterthumsk. und Geschichtsf.
XXIX, 173 ff.) untersucht F. Otto auf Grund der Urkunden
und Epitaphien sowie des Necrologiums des Klosters die
bisher unklare Geschichte der Aebtissinnen und Priorinnen
Ciarenthals und bespricht eingehend die beiden fälschlich
Clemens (VII.) und Urban VI. zugewiesenen Bullen für
Ciarenthal, die er für Clemens VI. und Urban V. in
Anspruch nimmt, demgemäss auf den 3. November 1344
und den 13. Juni 1366 datiert und nach den Originalen
neu druckt. R- H-
Neues Archiv etc. XXIV. 49
768 Nachrichten.
226. Die beacbtenswerthe Abhandlung von L. Mirot
über die Rückkehr des päpstlichen Hofes nach Rom im
J. 1376 (Le Moyen äg-e n. s. II, 85 ff. 193 ff. 354 ff. 413 ff.)
beruht fast ganz auf bisher unbekannten Actenstücken des
vaticanischen Archivs, aus denen in den Anmerkungen
umfangreiche Mittheilungen, auch vollständiger Papst-
urkunden, gemacht sind.
227. In den Mittheil, des Inst. f. oesterreich. Geschichts-
forschung XIX, 417 ff. erstattet H. J. Tomaseth ein-
gehenden Bericht über die Registerbücher Urbans V.
und Gregors XI. und verbindet damit Untersuchungen
über die Anfänge des päpstlichen Secretariats ; dass aber,
wie er S. 445 ff. vermuthet, dieses sich aus dem alten Notariat
entwickelt habe, erscheint mir durchaus unwahrscheinlich
und ist auch von Tangl, den Tomaseth dabei anführt,
nicht angenommen worden. Ebenso ist es irrig, wenn
letzterer S. 426 N. 7 anzunehmen scheint, die von Dona-
baum in den Mittheil. XI, 105 ff. besprochene Sigle R in dorso
der päpstlichen Concepte sei auf 'remittere' zu beziehen.
Donabaum hat die Sigle zu 'rescribe' aufgelöst, wie vor ihm
Werunskj; in Wirklichkeit bedeutet sie, Avie ich schon
wiederholt bemerkt habe (vgl. N. A. XV, 620), 'recipe'.
228. In den Quellen und Forschungen aus ital. Archiven
und Bibliotheken II, 1 ff. veröffentlicht J. H aller Auf-
zeichnungen aus der ersten Hälfte des 16. Jh. über das
Verfahren bei der Ausfertigung von Papsturkunden
(namentlich Provisionen) und den Auszug einer Constitution
Alexanders VI. über die Referendare von 1497/98. Zu den
in der Einleitung gegebenen Ausführungen wäre mancher
Vorbehalt zu machen.
229. Neue Nachweisungen über Grandidiers Ur-
kundenfälschungen bieten H. Bloch in der Zeitschr.
f. Gesch. des Oberrheins N. F. XIII, 543 ff. durch die Ana-
lyse der Zusammensetzung von Mühlbacher Reg. 150. 195.
196 und H. Bresslau, ebenda XIV, 9 ff. durch die Dar-
legung seiner dreisten und völlig willkürlichen Aenderungen
an dem Text von Stumpf Reg. 1676.
230. P. C. V. Planta's Versuch, in einer kleinen
Broschüre 'Schulte und Tschudi' (Chur 1898) die Aus-
führungen Schulte's über die Urkundenfälschungen Gilg
Tschudi's zu entkräften, ist völlig misslungen.
23 1 . In zusammenfassender Betrachtung legt A. D o p s c h
in den Mittheil, des Inst. f. oesterreich. Geschichtsforschung
Nachrichten. 760
XIX, 577 ff. Inhalt und Tendenz der nunmehr sämmtlich
als Fälschungen anzusehenden Ebersheim er Kaiser-
ur künden dar; unter ihnen nimmt das D. Arnulfs Mühl-
bacher Reg. 1768 insofern eine besondere Stellung- ein, als
es eine vom Strassburger Bischof ausgehende Fälschung
zu sein scheint. Mühlbacher Reg. 122 wird als eine von
Grandidier in der bekannten Weise angefertigte Fälschung
nachgewiesen. Auf das in Mühlbacher Reg. 767. 768 ent-
haltene Ebersheimer Dienstrecht, das Dopsch wieder-
hergestellt hat, ist auch von A. Gasser in der Revue d'Al-
sace (1893) 322 ff. 506 ff. hingewiesen worden. H. Bl.
232. In völlig überzeugender Untersuchung widerlegt
E. Dümmler in den SB. der Berliner Akademie 1898
n. 47 siegreich die missglückten Versuche , die zuletzt
Widemann und Ratzinger gemacht haben, den Bischof
Piligrim von dem Verdacht der Urheberschaft an den be-
kannten L o r c h - P a s s a u e r Urkundenfälschungen zu
entlasten. Vgl. N. A. XXII, 596 n. 185 und XXIII, 591
n. 165. Nur hinsichtlich der Echtheit des oft besprochenen
Briefes Hatto's von Mainz an den Papst, die Dümmler
S. 11 N. 4 jetzt Lindner zuzugeben geneigt ist, möchte ich
einen Vorbehalt machen; ich hoffe gelegentlich auf die
Frage zurückkommen zu können.
233. Aus dem ehemaligen Archivbestand des Priorats
Cunauld veröffentlicht L. Maitre (Bibl. de l'ecole des
chartes LIX, 233 ff.) sehr alte Urkunden für die Abtei von
Noir montier (Hermoutier) : Mühlbacher Reg. 846 (mit
IUI. non. aug.) und eine Schenkung des Geilo, des späteren
Bischofs von Langres, vom 25. August 868, beide aus dem
Original. Von ganz besonderem Werth ist die uns in einer
Abschrift des 11. Jh. überlieferte Stiftungsurkunde des
Klosters von Bischof Ansoald von Poitiers aus dem 2. Jahre
Dagoberts II. (mit Facsimile), in der über die Eintragung
in die gesta municipalia und die Verhandlung vor dem
defensor und der curia Pictaviensis civitatis berichtet wird.
H. Bl.
234. In der Bibliotheque de l'ecole des chartes LIX,
616 führt M. P(rou) einen uns nicht zugänglichen Aufsatz
an aus den Mem. de la societe histor. du Cher 1898 von
J. Soyer, Un faux diplome carolingien attribue tantöt ä
Louis' le Debonnaire et tantöt ä Louis le Begue, concer-
nant l'abbaje de Devre. H- Rl-
235. Im 4. Anhang des auf umfassenden und gründ-
lichen Studien beruhenden Werkes von R. Parisot, Le
49*
770 Nachrichten .
royaume de Lorraine sons les Carolingiens (Paris, Picard
1899), in welchem die Geschichte des lotharingischen ßeichs
von 843 — 923 ebenso sorgfältig wie eingehend von einem
weder deutschen, noch französischen, sondern specifiscli
lothringischen Standpunkt aus (über dessen Berechtigung
an dieser Stelle nicht discutiert werden kann) dargestellt
ist, wird das D. Lothars IL für Belmont (Mühlbacher
1252) aus inneren Gründen für eine Fälschung Yigniers
erklärt. Sehr viel bedenklicher erscheint mir der Versuch
im 1. Anhang, die beiden in der Collectio Britannica über-
lieferten Briefe Leo's IV. Jaffe-E. 2618. 2619 für ge-
fälscht oder stark interpoliert zu erklären und damit die
Authenticität jener Sammlung in Zweifel zu ziehen. — In
den Beilagen druckt P. das D. Lothars IL für St. Pierre
zu Vienne (Mühlbacher 1264) und eine Schenkungsurkunde
für St. Vanne von 882. Mancherlei beachtenswerthe Be-
merkungen zur Kritik der lothringischen DD. enthalten
übrigens auch die Anmerkungen des umfangreichen Buches.
236. In den Annales de Bretagne 1898 n. 4 druckt
A. Girv, wie wir aus der Eevue historique LXVIII, 191
sehen, zwei Urkunden Karls des Kahlen und Herzog
Erispoi's für Nantes und datiert sie auf denselben Tag,
welchen er für das 856 zwischen Karl und Erispoi ge-
schlossene Bündnis (Dümmler, Ostfränk. Reich I^ 412) in
Anspruch nimmt, den 10. Februar. R. H.
237. Im Nuovo Arch. Veneto XVI, 89 ff. druckt
C. Cipolla einige Königs Urkunden für die Grafen
von Verona: Berengar I. (916 Pavia?), Adalbert L, ferner
ein D. Karls IV. vom 28. December 1354, in dem eine
Urkunde Berengars aus Pavia, 10. Juli 916, inseriert ist,
H. Bl.
238. In einer uns nicht zugänglichen Festschrift zum
Priesterjubilaeum des Bischofs von Reggio - Emilia Mons.
V. Manicardi hat G. Mercati, wie wir dem Arch. stör,
ital. Ser. 5, XXII, 172 f. entnehmen, in einer Unter-
suchung über die Diöcese Reggio das DO. I, 242 neu
gedruckt. H. Bl.
239. In dem Mitte December 1898 ausgegebeneu Kata-
log 100 von Ludwig Rosenthal in München, der sich ebenso
durch seine Kostbarkeiten wie durch die Höhe seiner Preise
auszeichnet, werden die bisher unbekannten Originale von
drei Kaiserurkunden angeboten, nämlich n. 1242. 976 Nov.
15, Otto II für Worms DO. IL n. 143 (aus Cartular in
Nachrichten. 771
Hannover); n. 760a. 1225 Apr. 25, Heinrich (VII.) für Otter-
burg = Böhmer -Ficker n. 3698; n. 1472a. 1275 Juni 28,
ßudolf für das Cistercienserkloster Baindt (Bu wende) =
üedlich n. 393. Die Preise betragen Mk. 1000, 300 u. 300.
M. Perlbach.
[In demselben Katalog ist unter n. 1672 eine Hs. des
Jacob Twinger von Königshofen verzeichnet, die bisher
in den Städtechroniken nicht benutzt ist. Preis 350 Mark.]
O. H.-E.
240. Aus den in den Mittheilungen der Badischen
Historischen Commisson n. 20, 88 ff. (Zeitsch. f. Gesch. des
Oberrheins N. P. XIII) gegebenen Verzeichnissen ba-
discher Archivalien erwähnen wir noch (vgl. oben
S. 391 n. 109) die Copie einer Urkunde Ottos II. in
Menzenschwand, angeblich vom J. 963 für die Brüder
an der Alb (sicher = DO. II. 297 für S. Blasien vom
J. 983; vgl. MG. DD. II, 350 N. d), eine Abschrift des
D. Heinrichs V., Stumpf n. 3205, sowie eine Urkunde
der Herzöge Albrecht und Lujjold zu Oesterreich für Frei-
burg vom 23. Juni 1368 in Schluchsee, und die Copie
einer Urkunde Innocenz' VIII. vom 10. März 1489 in
Stettfeld. R. H.
241. Im Anschluss an umfangreiche Untersuchungen
über das sicilische Münzwesen veröffentlicht A. Garufi
(Arch. stör, siciliano XXIII, 149 ff. elf Urkunden von 1172
bis 1240, darunter Kg. Wilhelm von 1172, Heinrich VI.
1195 December 13 und Constanze 1196 Januar 13 für
S. Maria di Giosafat, vgl. unten n. 246. H. Bl.
242. Im Anschluss an seine Ausführungen in den
MG. Deutsche Chroniken III, 2, 687 ff. handelt J. Lampe 1
in den Blättern des Vereins f. Landeskunde von Nieder-
österreich N. F. XXXII, 103 ff. mit grosser Sorgfalt über
die Entstehungsverhältnisse des Peilsteiner Lehens-
katalogs. Unter den urkundlichen Beilagen zu dieser
Abhandlung ist u. a. das D. Konrads IV. BF. 4512 neu
gedruckt.
243. Wie wir aus der Historischen Zeitschrift 82, 171
ersehen, hat G. Romano zehn Urkunden Karls IV.
betreffs des Vicariats der Visconti, von denen er schon
früher Regesten mittheilte (vgl. auch N. A. XXIII, 283
n. 79), nunmehr in einer Nozzepublication (Nozze Romano-
Vocca) vollständig oder in Hauptstücken und mit werth-
vollen Einleitungen veröffentlicht, zugleich mit vier die
772 Nachrichten .
Verheirathuri g Giovangaleazzos mit Isabella von Frankreich
berührenden Urkunden König- Johanns II. und anderen
die Visconti betreffenden Acten. R. H.
244. Die Schrift von M. Stern, König Ruprecht
V. d. Pfalz in seinen Beziehungen zu den Juden (Kiel,
Fiencke 1898) enthält eine Sammlung von grösstentheils
bisher unbekannten Aktenstücken, darunter zahlreichen
Urkunden K. Euprechts, zur Geschichte der Juden
in Deutschland aus den Jahren 1400 — 1410. Voran geht
eine ausführliche Einleitung, in der Ruprechts Verhalten
gegen die Juden eingehend dargestellt, aber sehr einseitig
beurtheilt wird. Eine seltsame Unkenntnis des mittel-
alterlichen Münzwesens verräth S. XXI Anm. 1, der zufolge
der Verf. zu glauben scheint, die rheinischen Gulden seien
im Anfang des 15. Jh. keine Goldgulden gewesen. S. XLIX
wäre auf Zeitschr. zur Gesch. der Juden in Deutschland III,
.323 f. zu verweisen gewesen, wo die Ansicht, die der Verf.
als die seinige vorzutragen scheint, zuerst ausgesprochen ist.
245. In der Zeitschr. des Harzvereins XXXI, 309 ff.
theilt J. Graf v. Bocholtz -Asseburg aus seinem und
dem ßraunschweiger Archiv eine Reihe interessanter Schrift-
stücke mit, die den in Städtechroniken VI, 222 und Anm. 10
berührten Handel zwischen Braunschweig und Goslar auf-
klären, darunter ein Schreiben Sigmunds d. d. Constanz
1417 Febr. 20.
246. In einem Tübinger Programm zum 25. Febr.
1899 hat L. v. Heinemann eine interessante Sammlung bis-
her unedierter normannischer Herzogs- und Königs-
ur künden, 26 Nummern von 1079 — 1188, aus den
Archiven von La Cava und Palermo sorgfältig heraus-
gegeben. In der Einleitung behandelt er namentlich die
Gruppe der DD. für S. Maria di Giosafat, von denen die
meisten gefälscht sind. Für eine Fälschung halte ich aber
auch n. 4, Roger I. für La Cava von 1087 Mai. Zu den
schon von v. Heinemann gegen die Echtheit dieser Urkunde
geltend gemachten inhaltlichen Bedenken, die ihn aber doch
nicht zu ihrer Verwerfung bestimmen, kommt eine solche
Fülle von formalen hinzu, dass mir die Entstehung des
Stückes im 11. Jh. schlechterdings ausgeschlossen erscheint.
247. In den Annalen des bist. Vereins f. d. Nieder-
rhein 65, 202 ff. veröffentlicht R. Knipping dreissig bis-
her unbekannte Urkunden Kölnischer Erzbischöfe
aus den Jahren 1117 — 1205. Eine Urkunde des Erzbischofs
Nachrichten. 773
Engelbert d. d. 1224 November befindet sich auch unter
den drei Documenten aus dem Pfarrarcbiv zu Herkenratb.
die A. Tille in den (Düsseldorfer) Beiträgen zur Gescb.
des Niederrbeins XIII, 281 &. mittbeilt. Endlicb bat Tille
zwei Urkunden der EB. Konrad von 1260 und Siegfried
von 1285 für Kloster Steinfeld in den Annalen G6, 190 fE.
herausgegeben.
248. In den SB. der Münchener Akademie 1898
S. 391 ff. veröffentlicht H. Simonsfeld (mit Facsimile)
eine aus dem Ranshofener Codex clm. 12633 abgelöste
Urk. zur Geschichte der Stadt Wels von 1138, die in merk-
würdigen, von dem Herausgeber näher erläuterten Be-
ziehungen zu einer schon längst bekannten, aber verun-
echteten Urkunde des Bischofs Embricho von Würzburg
von 1128 steht.
249. J. V. Pf lugk - Harttung behandelt in den
Forsch, zur Brandenb. und Preuss. Gesch. XI, 301 ff. einige
Urkunden des J o bann it er- Ordens aus dem 12. und
13. Jh., die er für unecht erklärt. Es handelt sich um
die Urkunden des Fürsten Grimislaus, Pommerellisches ÜB.
n. 9. 10, von 1198, Ratibors von Schlawe ibid. n. 23 von
1223, Barnims I. ibid. n. 42 von 1229 und der Branden-
burger Markgrafen Johann und Otto, Mecklenburgisches ÜB.
n. 342, von 1227. R. H.
250. A. G. Little giebt in der English historical
review XIII, 703 ff. zu einigen der seiner Zeit von Ehrle
zusammengestellten Verhandlungen der General-
capitel derFranciscaner im 13. Jh. (vgl. N. A. XVII,
241 n. 77) Ergänzungen aus einem Ms. des Sir Thomas
Phillipps, das jetzt in seinem Besitz ist, nämlich zu den Ca-
pitelsitzungen von Narbonne (1260), Pisa (1263), Paris (1266),
Assisi (1269), Lyon (1274), Padua (1277), Assisi (1279) und
Strassburg (1282). R- H.
251. In den Festgaben zu Ehren Max Büdingers
(Innsbruck, Wagner 1898), 209 ff. erörtert A. Dopsch eine
im Wiener Staatsarchiv aufgefundene Urkunde vom 26. Juli
1286, enthaltend eine Vereinbarung des Grafen Ulrich v.
Heunburg mit Herzog Albrecht von Oesterreich ; trifft
sie Verfügungen für den Fall, dass der Herzog 'per regem
Romanoruni ad honores alios fuerit sublimatus ',
so sieht D. wohl mit Recht hierin eine Stütze für die An-
nahme, dass Rudolf seinen ältesten Sohn nach seiner eigenen
Kaiserkrönuag zum Deutschen Könige habe wählen lassen
774 Nachrichten.
wollen, und setzt diese Absicht mit der Behauptung, Eudolf
habe aus Deutschland ein Erbreich machen wollen, in Ver-
bindung. H. Bl.
252. Einige ungedruckte Urkunden des 14. Jh.
theilt R. Schölten im Anhang zu einem Aufsatz über
die Herren v. Mörmter in den (Düsseldorfer) Beiträgen
für Gesch. des Niederrheins XIII, 269 ff. mit.
253. Eine erste Abhandlung von C. Douais über die
Formel 'communicato bonorum virorum consilio' in den In-
quisitionsurteilen (Le Moyen äge n. s. II, 157 ff.) bringt
nur theilweise Neues und leidet an dem Umstand, dass der
Verf. wichtige Vorarbeiten, so die Ausführungen von Hin-
scbius (Kirchenrecht V, 463 ff.) über die Consultoren, nicht
zu kennen scheint. Als Anhang theilt D. aus der Bibl.
nat. ms. Doat drei Inquisitionsprotokolle aus den Jahren
1323—1325 mit. E. H.
254. Von den Urkunden der Bonner Kreisbiblio-
thek, die H. Loersch in den Annalen d. bist. Ver. f. d.
Niederrhein 66, 40 ff. veröffentlicht, gehören die 6 ältesten
noch dem 14. und 15. Jh. (1357 — 1490) an. H. ßl.
255. In den Festgaben für Büdinger (vgl. oben n. 251),
275 ff. veröffentlicht R. Th omni en ein Verzeichnis über
eine biscböfliche Steuer in der Diöcese Konstanz
vom J. 1379. H. Bl.
250. In der Rom. Quartalscbr. XII, 421 ff. behandelt
G. Schmidt Urkunden des vatican. Archivs zur Ge-
schichte von Salzburg und Tirol während des grossen
Schismas (24 Nummern von 1410—1415). H. Bl.
257. In der Bibliotheque de l'ecole des cliartes LIX,
304 ff. bespricht und veröffentlicht Ch. Nerlinger Nach-
richten zur Gesch. des Schlosses von Thann aus dem 15. Jh.,
darunter eine Urkunde Peters von Hagenbach von 1470.
H. Bl.
258. In seinem Aufsatz 'Una monaca del duodecimo
secolo' (Arch. stör, italiano Ser. 5, XXII, 225 ff.) bespricht
und druckt R. Davidsohn den bisher unbekannten Schluss
des für die Geschichte der Aebtissin Sofia von Prato-
vecchio und Rosano und mehr noch für diejenige von
Florenz und Toscana im 12. Jh. äusserst interessanten
Zeugenprotokolls, das L. Passerini im Arch. stör, italiano
Ser. 3, XXIII, 61 ff. 205 ff. 385 ff. (vgl. XXIV, 3 f.) heraus-
gegeben hatte. Durch diese ergänzende Publication, deren
Nachrichten.
/ /o
Text neben vielen Wiederholungen recht schätzbare Nach-
richten enthält, fällt u. a. neues Licht auf die kaiserliche
Verwaltung Toscana's unter Friedrich I. und Heinrich VI.
R. H.
259. Im Arch. stör. ital. Ser. .5, XXII, 73 £E. weist C. A.
Garufi nach, dass eine bisher ins 14. Jh. gesetzte grie-
chische Urkunde für S. Filippo di Fragalä (Cusa, Dipl.
greci ed arabi 468) in die Jahre 1192 — 1194 gehört, und
beseitigt damit das einzige Zeugnis, das für die Anwendung
der griechischen Sprache in süditalienischen Urkunden (ab-
gesehen vom Gebiet von Gallipoli) noch für das 14. Jh.
beigebracht werden konnte.
260. Im Anhang zum 2. Bd. von G. Caro, Genua
und die Mächte am Mittelmeer 1257—1311 (Halle, Nie-
meyer 1899) theilt der Vf. Analecten aus dem Archiv und
den Bibliotheken von Genua, namentlich Notizen über Hss.
und kurze Urkundenregesten mit. Besonders hingewiesen
sei auf die Ausführungen S. 417 ff. über die älteren Re-
gister der Notare von Genua.
261. Grossentheils auf ungedruckten Archivalien
aus Genua beruht auch die Schrift von H. Sieveking,
Genueser Finanzwesen vom 12. — 14. Jh. (Freiburg, Mohr
1898), deren Anhang eine Anzahl interessanter Schriftstücke
von 1228 an in extenso bringt.
262. Von der Neuatisgabe der Böhmerschen Regesten
ist die erste, die Regierung Rudolfs enthaltende Abtheilung
der als 'Regesta imperii VI.' bezeichneten Regesten
des Kaiserreichs von 1273 — 1313 in vortrefflicher Bearbeitung
von O. Redlich erschienen (Innsbruck, Wagner 1898).
Eine Concordanztafel zur Vergleichung der alten Böhmer-
schen Nummern mit den neuen sowie ein Verzeichnis der
Eingangs- und Schlussworte ungenügend datierter Urkun-
den und ein solches der Empfänger und Aussteller sind
beigegeben. R. H.
263. Gleichzeitig mit der oben n. 235 erwähnten
Schrift Parisots ist eine ebenso sorgfältig gearbeitete
lateinische These desselben Vf. erschienen: 'De prima domo,
quae superioris Lotharingiae ducatum quasi hereditario
iure tenuit' (Paris, Picard 1898). Beigegeben sind derselben
Regesten der oberlothringischen Herzoge bis
1033 und drei oberlothringische Urkunden: Gerhard von
Toul für die cella Salona (971), Rodulf, Sohn Rodulfs, für
St. Vanne (vor 984) und Tyebert für St. Mihiel (1002).
776 Nachrichten.
264. Durch eine Besprechung im N. Arch. Veneto XVI,
211 f. erhalten wir Kenntnis A'On einem Buche von G. Do-
mine z, Eegesto cronolog. dei documenti del principato
vescovile di Trento negli archivi di Vienna (Cividale 1897),
das Urkunden von 1018 — 1778 verzeichnet. H. Bl.
265. In der Zeitschr. des hist. Vereins f. Nieder-
sachsen 1898 S. 148 ff. publiciert E. Doebner Eegesten
des Stadtarchivs von Stadthagen von 1280 ab, die bis
1450 von ihm schon im Correspondenzblatt des Gesammt-
vereins 1893 n. 1^ — -3 mitgetheilt waren.
266. Seiner eingehenden, mit fünf Stammtafeln ver-
sehenen Untersuchung über 'Das Haus Landenberg im
Mittelalter' (Zürich, F. Schulthess 1898) giebt E. Diener
Regesten zur Gesch. des älteren Marschalls Hermann
von Landenberg (f 1306, nachweisbar seit 1282) sowie sechs
Urkunden (Stiftung einer Pfründe zu Turbental 1193,
Urkunden der Landenberger 1350 — 1407) bei. E. H.
267. Eegesten zur tirolischen Kunstgeschichte,
575 Nummern bis 1364, theilt M. Mayr-Adlwang in der
Zeitschrift des Ferdinandeums, 3. F. 'Heft 42, 117 ff. mit.
268. Der 56. Jahresbericht des Museum Francisco-
Carolinum zu Linz (Linz 1898) enthält Eegesten und
Urkunden, beginnend 1375, aus dem jetzt dem Gewahr-
sam des Museums anvertrauten Schlossarchiv Aurolz-
münster, bearbeitet vom Freih. v. Handel-Mazzetti.
269. 0. Cartellieri hat seiner Dissertation über
den 'Abt Suger von St. Denis' (Histor. Studien Heft XL
Berlin, Ehering 1898) ein vollständiges Itinerar dieses
grossen Staatsmannes angehängt (dessen Tod er auf den
13. Jan. 1151 setzt) sowie ein sehr dankenswerthes Ver-
zeichnis des Besitzstandes von St. Denis in seiner Zeit.
E. D.
270. AI. Cartellieri hat seinem Buche 'Philipp IL
August König von Frankreich' Bd. 1, (Leipzig, F. Mejer
1899) vollständige Eegesten dieses Herrschers für die Ee-
gierungszeit seines Vorgängers Ludwig VII. (1165 — 1180)
hinzugefügt, wie auch eine Untersuchung zur Chronologie
des französischen Geschichtschreibers Eigord. E. D.
271. Vom Strassburger Urkuudenbuch ist die
noch fehlende und lange sehnsüchtig erwartete erste Hälfte
des 4. Bandes erschienen (Strassburg, Trübner 1898). Sie
enthält Nachträge und Berichtigungen zu Bd. 1 — 3, darunter
Nachrichten. 777
namentlicli von Wieg and gesammelte wichtige Beiträge
aus den Eegisterbüchern Honorius" III., Gregors IX., Inno-
cenz'lV, Alexanders IV. und ürbans IV., aus dem Melker Seel-
buch des Strassburger Domcapitels und dem ähnlichen Cod.
von Donaueschingen, und aus dem von Finke für seine Aus-
gabe von Dominikanerbriefen benutzten Cod. Berol. theol.
109 oct. Auch Schulte hat noch einiges beigesteuert.
Zu n. 1 Anm. 1 sei nachgetragen, dass der hier genannte
EB. Berthold der aus Besan9on vertriebene ist (vgl. Jahrb.
Konrads II. Bd. II, 42 f.); die Weihenotiz von 1035 ist auch
SS. XIII, 46 gedruckt. Es folgt ein sehr umfangreiches
und ebenso anerkennenswerthes Register zu Bd. 2 — 4, 1,
das wir im wesentlichen der aufopferungsvollen und uner-
müdlichen Arbeitskraft Wiegands verdanken.
272. Der 1. Band von Th. Eheberg, Verfas-
sungs-, Verwaltungs- und Wirthschaftsgeschichte der Stadt
Strassburg (Strassburg, Heitz 1898) enthält Urkunden
und Akten von 1344 an, davon gehören 289 sämmtlich
bisher uugedruckte Nummern dem 14. und 15. Jh. an.
H. Bl.
273. Vom ersten Haupttheil des Codex dipl. Sa-
xoniae regiae (vgl. N. A.XV, 225 n. 65) erschien der dritte,
gleichfalls von 0. Posse bearbeitete Band, (Leipzig, Gie-
secke und Devrient 1898), welcher die Urkunden der Mark-
grafen von Meissen und Landgrafen von Thüringen von
1196 — 1234 enthält. Ein vierter Band, der bis 1247 reichen
wird, liegt bereits zum Druck vor. R. H.
274. Der 2. Band der durch A. Jak seh trefflich
bearbeiteten Gurker Geschichtsquellen (Monumeuta
historica ducatus Carinthiae; Klagenfurt, Kleinmavr 1898;
vgl. N. A. XXI, 592 n. 179) umfasst die Jahre 1233 — 1269
und bringt gut gearbeitete "Register zu den beiden bisher
erschienenen Bänden. H. Bl.
275. Vom vierten Band des von J. Es eher und
P. Schweizer herausgegebenen Züricher Ur künde n -
buchs (vgl. N. A. XXII, 789 n. 288) ist nunmehr auch die
zweite Hälfte erschienen (Zürich, Fäsi und Beer 1898). Sie
enthält in 161 Nummern die Zeit vom März 1272 bis zum
J. 1276 sowie ein ausführliches, von H.Zeller-Werdmüller
angefertigtes Orts- und Personenregister zum ganzen Band.
^ ^ R. H.
276. Sehr zahlreiche Nachträge und Berichtigungen
zu Boczeks Cod. dipl. Moraviae giebt K. Lechner iu
778 Nachrichten.
der Zeitschr. f. d. Gesch. Mährens u. Schlesiens II. 123 ff.
236 ff. 361 ff. III, 71 ff.
277. Der dritte Band der Quellen zur Geschichte der
Stadt Wien, erste Abtheiluug {vgl. N. A. XXII, 790 n. 294)
enthält Regesten des im Klosterneuburger Archive be-
findlichen ürkundenbestandes von S. Dorothea zu Wien
von 1298 an, die Fortsetzung- der Regesten des Stiftes
Schotten in Wien und vor allem Regesten aus dem k. und
k. Haus-, Hof- u. Staatsarchiv in Wien von 1204 — 1395,
unter denen zahlreiche uiigedruckte Urkunden, auch noch
aus dem 13. Jh., verzeichnet sind. — Der von K. ühlirz
herausgegebene erste Band der 2. Abtheilung enthält Re-
gesten der im Archive der Stadt Wien vorhandenen Original-
urkunden von 1239 — 1411, deren Benutzbai'keit durch um-
fangreiche Register erleichtert wird. Der gleichzeitig aus-
gegebene Band I der 3. Abtheilung bringt, in Bearbeitung
von F. Staub, die ältesten Wiener Kaufbücher 1368
bis 1388 mit einer interessanten Einleitung und 4 Schrift-
tafeln. ^ H. Bl.
278. Das Engel berger Urkundenbuch des
P. A. Vogel (vgl. N. A. XXIII, 595 n. 186) ist im Geschichts-
freund Bd. LIII, 101 ff. von 1328 — 1372 fortgesetzt.
279. Die Ausgabe der Urkunden des Stiftes Nonn-
berg von Widmann (N. A. XXIII, 783 n. 295) ist in den
Mittheilungen der Gesellsch. f. Salzburger Landeskunde
XXXVIII, 194 ff. bis 1490 weitergeführt.^
280. Nicht zugänglich sind uns die beiden in der
Bibliotheque de l'ecole des chartes LIX, 614 f. besprochenen
Urkundenbücher von Chälons-sur-Marne und Arras,
von denen namentlich das erstere wegen der zahlreichen
darin enthaltenen Karolingerurkunden für uns Bedeutung-
hat. Wir verzeichnen die Titel: Cartulaire du chapitre
de l'eglise cathedrale de Chälons-sur- Marne, par le chantre
Warin, publie par P. Pelicier (Paris, Picard 1897, auch
Memoires de la societe academique de la Marne). — Comte
Auguste de Loisne, Le cartulaire du chapitre d' Arras (Arras
Rohard - Courtin 1897; Academie d'Arras). H. Bl.
281. Das von Brutails herausgegebene Cartulaire
de l'eglise collegiale Saint-Seurin de Bordeaux (Publ.
de l'academie de Bordeaux. Bordeaux, Gounouilhou 1897)
ist namentlich für das 12. und 13. Jh. von Wichtigkeit;
es enthält über 400 Stücke, worunter auch einige Papst-
und Königsurkunden. R. H.
Nachrichten. 779
282. Der erste Band der Monnmenta Novali-
ciensia (Fonti per la storia d'Italia XXXI), die C. Cipolla
mit ansführlicheu Einleitungen und unter Beigabe trefflicher
Phototypien herausgegeben hat, enthält im ersten Haupt-
theil die Urkunden des Klosters von 726 — 1097, denen an-
hangsweise einige Stücke des 12. und 13. Jh. beigefügt
sind. In den Beilagen werden u. a. Auszüge aus dem
Eeichenauer Confraternitätsverzeichnis, die Necrologien des
Klosters und von S. Andreas zu Turin, die Vitae s. Eldradi
und die bekannten Königslisten der aus Susa stammenden
codd. Ambrosiani abgedruckt. Endlich sei ein Verzeichnis
der noch erhaltenen, aus dem Kloster Novalese stammenden
Hss. erwähnt. H. Bl.
283. Der zweite und Sehlussband von L. Astegiano
Cod. dipl. Cremonese (Turin, Bocca 1898, = Hist. patr.
mon. ser. II, t. 22; vgl. N. A. XXI, 593 n. 186) führt die
Urkunden und Regesten bis 1334 und enthält ausserdem
eine Anzahl besonders verzeichneter Urkundenserien, unter
denen wir die von Guastalla und Luzzara, sowie die Ee-
gesten der im Stadtarchiv von Cremona aufbewahrten, aber
Cremona nicht betreffenden Urkunden von 872 an (S. 168 ff.)
hervorheben. Beigegeben sind Verzeichnisse der Bischöfe
und Eeetoren von Cremona, ein Verzeichnis von Cremo-
nesen, die ausserhalb ihrer Vaterstadt ein Amt bekleidet
haben, sowie eine Geschichte der Stadt bis 1334, die leider
wiederum die neueren deutschen Arbeiten nur sehr wenig
berücksichtigt.
284. Paul Pipers Publication 'Otfried und die übrigen
Weissenburger Schreiber des 9. Jh.' (Frankfurt, Enneccerus
1899) bringt auf 30 vorzüglich ausgeführten Tafeln, zu
denen noch zwölf Autotypien zwischen dem Text hinzu-
kommen, Schriftproben aus dem Weissenburger Tra-
ditionsbuch und den Hss. cod. Vindob. 2687, cod. Bonn.
(discissus) 499 (78), cod. (discissus) Guelferbyt. 131. 1. Extr.,
cod. Palat. lat. 52 von Otfrieds Evangelienbuch.
Auf die sich hauptsächlich gegen 0. Erdmann richtenden,
minutiösen palaeographischen Untersuchungen, die Piper
auf Grund dieser Facsimiles vornimmt, kann hier nicht ein-
gegangen werden.
285. In J. Seemüllers feinsinnigen 'Studien zu den
Ursprüngen der altdeutschen Historiographie' (Halle, 1898)
verdienen die Erörterungen über die poetischen Bearbei-
tungen des Lebens des hl. Gallus besonders hervor-
gehoben zu werden, ferner die über das Ludwigslied,
780 Nachrichten.
welches mit den etwas älteren lateinischen Hervorbring-ung'en
dieser Art, wie mit dem Gedicht auf Pippins Avarensieg
und andern, in fruchtbarer Weise verglichen wird. Diese
historischen Lieder erscheinen als die Vorläufer der viel
jüngeren Geschichtschreibung in deutscher Sprache.
E. D.
286. In der Zeitschr. f. Deutsches Alterthum, B. 42
S. 197 — 217 handelt Eug. Joseph noch einmal über das
vielbesprochene Heinrichslied, dessen Text sorgfältig
geprüft und neu abgedruckt wird. Indem er voraussetzt,
dass schon Hrotsvitha es gekannt habe, bezieht er es auf
die Einsetzung Heinrichs zum Herzog von Baiern um 948,
lässt es aber erst auf dem Kölner Hof tage von 956 ent-
stehen und auf der Reichsversammlung von 965 ebenda-
selbst um einen Vers erweitert werden. Unabhängig von
Joseph handelt über dasselbe Lied Jos. Seemüller in
seinen eben in n. 285 erwähnten Studien S. 61 — 71. Indem
er an der alten Deutung festhält, dass darin die Aussöh-
nung Ottos I. mit seinem Bruder Heinrich im Jahre 941
verherrlicht werden solle, glaubt er doch die Entstehung
erst um 984 ansetzen zu dürfen, als die Aussöhnung Otto's III.
mit Heinrich IL gleichsam ihr Spiegelbild in der Vergangen-
heit in Erinnerung rief. E. D.
287. Als Vorarbeit für die Gesammtausgabe der histor.
und polit. deutschen Lieder des Mittelalters bringt H. Mejer
in dem Jahrbuch des Vereins für Niederdeutsche Sprach-
forschung, Jahrg. 1897, S. 70 — 93 nebst einer neuen Aus-
gabe des Gedichtes 'De Heinrico' eine abermalige Unter-
suchung über Zeit der Entstehung und ursprüngliche Mund-
art desselben. Als letztere wird die sächsische festgestellt,
doch durch einen mittelrheinischen Schreiber bearbeitet,
als erstere wahrscheinlich die Belehnung Heinrichs durch
Otto I. mit Baiern im Jahre 948, mit der Massgabe, dass
auch das Jahr 985 als möglich erscheine, oder dass vielleicht
das Ereignis von 948 als vorbildlich erst 985 besungen
worden sei. (Hierbei sollte jedoch von dem erst durch
Aventin aufgekommenen Beinamen 'der Zänker' für Hein-
rich IL von Baiern ein für allemal abgesehen werden.)
Den Ergebnissen Meyers, welcher die jüngste Arbeit See-
müllers noch nicht benutzen konnte, stimmt Seelmann in
hinzugefügten Bemerkungen (a. a. O. S. 94 — 102) hinsicht-
lich der Mundart vollständig bei, glaubt dagegen nach wie
vor in dem Augsburger Reichstage von 952 die Veranlassung
des Gedichtes erblicken zu dürfen. E. D.
Nachrichten. 781
288. In dem 2. Theile der 'Heiligen auf dem erz-
bischoflichen Stuhle von Köln' behandelt der Pfarrer Jos.
Klein er manns in quellenmässiger Darstellung- den Erz-
bischof Heribert von Köln. Ausser einer Abbildung
seines Siegels nach einer Urkunde von 1003 sind die dem
Texte angehängten lateinischen Gedichte auf Heribert
hier zu erwähnen, darunter die Inschriften seines Reliquien-
schreiiis und 3 bisher ungedruckte Hymnen aus einer Lon-
doner Hs. E. D.
289. Eine schöne Abhandlung K. Strecker' s, 'Ekke-
hard und Yergil' (Zs. f. d. A. XLII, 339—365; vgl. ebenda
S. 267 — 270) gewinnt der oft behandelten Frage nach der
Abhängigkeit des Waltharius von Vergil eine neue Seite
ab ; es stellt sich heraus, dass Vergil nicht bloss, was längst
bekannt war, für Verse und Halbverse, sondern auch für
grössere Abschnitte als Vorbild gedient und dadurch starkeii
Einfluss auf den Inhalt ausgeübt hat. Eben erscheinen
auch eine Fortsetzung der Abhandlung im Dortmunder
Programm und der erste Theil einer Ausgabe von H. Alt-
hof , 'Waltharii Poesis. Das Waltharilied Ekkehardsl.
von St. Gallen' I (Leipzig, Dieterich 1899). üeber beide
werde ich im Anzeiger für deutsches Alterthum ausführ-
licher berichten. P. v. W.
290. In der Zeitschr. für Deutsches Alterthum XLII,
322 — 338 sucht Seemüller in einem Sendschreiben an
Edw. Schröder durch eindringende stilistische Beobach-
tungen , namentlich Untersuchung der Reime , festzu-
stellen, dass das Anuolied nicht aus einem Gusse sei,
und dass wahrscheinlich der dem Annoliede und der Kaiser-
chronik gemeinsame Theil für beide aus einer älteren ver-
lorenen Quelle stammen müsse. E. D.
291. In meiner Mittheilung 'Verse u. Satiren auf Rom'
habe ich (N. A. XXIII, 208) irrthümlich Dumeril als ersten
Herausgeber des Evangelium secundum marcas ar-
genti bezeichnet. Wie ich aus Ferd. Wolf, üeber die
Lais, Sequenzen und Leiche S. 209, ersehen habe, hat schon
im J. 1803 Freih. v. Aretin in seinen Beyträgen I, Hft. 5,
S. 78 — 79 dasselbe Stück aus der Benedictbeuerer Hs., die
er in das 14. Jh. setzt, zum ersten Male abdrucken lassen.
E. D.
292. In der Zeitschr. für Deutsches Alterthum XLII,
367 ff. druckt E. Schroeder ein in der Mainzer Stifts-
fehde entstandenes Lied auf den Heiligstädter Putsch
von 1462. H. Bl.
782 Nachrichten.
293. Auf Grund des Nachlasses O. Schmids hat
F. S. Gutjahr eine eingehende Untersuchung über das
Leben und die, verschiedene Abhandlungen aus dem Gebiet
der Theologie und Moral enthaltenden Schriften des fran-
zösischen Geistlichen Petrus Cantor Parisiensis (auch Re-
mensis genannt, f 1197) veröffentlicht (Graz, Styria 1899).
Peters Werke sind bis jetzt fast alle unediert. E. H.
294. K. Wotke giebt in der Zeitschr. f. d. Gesch.
Mährens u. Schlesiens I, 4, 41 ff. aus cod. Vindob. 556 saec.
XIV. und zwei jüngeren Raygerer Hss. den ersten vollstän-
digen Abdruck der sog. Moralitates Karoli quartiim-
peratoris, die, wie er ausführt, aus dem Nachlass des
Kaisers zusammengestellt sind ; beachtenswerth ist sein
Hinweis auf die Verwandtschaft einiger Stücke daraus mit
der Einleitung zu Karls Autobiographie. Vgl. auch ebenda
II, 161; III, 100 ff.
295. In der gehaltvollen Sammlung sibyllinisch-escha-
tologischer Denkmäler, die E. Sackur, Sibyllinische Texte
und Forschungen (Halle, Niemeyer 1898) vereinigt hat,
wird Adso's epistola ad Gerbergam reginam de ortu et
origine Antichristi, deren Beurtheilung besonders durch
das von dem Mönch Albwin v. Gorze daran verübte
Plagiat erschwert gewesen war, erstmals in gereinigter Ge-
stalt herausgegeben. Für die Zeitbestimmung wäre wohl
noch die Erwähnung des Bischofs Rorico zu verwerthen.
Wesentlich bedeutungsvoller sind die beiden anderen Ab-
schnitte, die sich mit Pseudo-Methodius und der Ti-
burtinischen Sibylle beschäftigen. Die dem Methodius
V. Patara zugewiesene Schrift stammt aus dem Ende des
7. Jh. imd ist in Syrien, wahrscheinlich griechisch, verfasst
worden; ihr aus der Bibel, syrischen und äthiopischen
Quellen geschöpfter Inhalt ist durch die zur Merovinger-
zeit in Gallien entstandene lateinische Uebersetzung Ge-
meinbesitz des Abendlandes geworden; ihren Text hat S.
nach den vier ältesten Hss. und der editio princeps sorg-
fältigst hergestellt. Aehnlich eigenartige orientalische Be-
ziehungen deckt die Geschichte der Tiburtinischen
Sibylle auf; ihre Zurückführung auf ein antikes Muster
ist von grundlegender Wichtigkeit: ein im 4. Jh. unmittel-
bar nach des Constantius' Tode entstandenes Vaticinium,
das den der römisch -griechischen Gedankenwelt entstammen-
den Traum von den neun Sonnen mit eschatologischen
Vorstellungen chaldaeisch - syrischen Ursprungs verband,
ist unter Konrad II. in der Lombardei bearbeitet und auf
Nachrichten. 783
die deutsch -italienischen Kaiser bezogen worden; vor-
sichtig- scheidet die Ausgabe die antiken Reste und die
späteren Zuthaten. Für die Befruchtung, die das Geistes-
leben des Mittelalters aus der Berührung mit der Antike
und dem Orient gewonnen hat, legen die Beziehungen, die
der Verfasser durch seine feinsinnige Arbeit auf z. Th.
höchst entlegenem Gebiet aufzudecken vermocht hat, ein
äusserst werthvolles Zeugnis ab. H. Bl.
296. Als Materialien für die Gesch. der Kaiser-
prophetie im MA. veröffentlicht F. Lauchert, zumeist
aus dem Cod. Dresd. M 63, im Hist. Jahrb. XIX, 844 ff.
die dem Johann Wünschelburg zugeschriebene Prophe-
zeiung, ferner die bald für Heinrich v. Langenstein, bald
für die hl. Hildegard oder den Kaiser Sigmund bean-
spruchte Vision, und zwei kleinere Stücke, die ganz ähnlich
schon Lazius gedruckt hat. H. Bl.
297. Im Hist. Jahrbuch XIX, 547 ff. beendet J. Eohr
seine Untersuchungen über 'Die Prophetie im letzten
Jahrhundert vor der Reformation als Geschichtsquelle und
Geschichtsfaktor' (vgl. N. A. XXTII, 773 n. 240); er be-
spricht u. a. die Stellung Vinc. Ferrers und Edm. Dynters
in der gleichartigen Litteratur sowie die sog, Reforma-
tionen Sigmunds und Maximilians. R. H.
298.' In der Zeitschr. des Aachener Geschichtsvereins
XX, 90 ff. hat F. X. Bosbach das älteste Necrologium
des Cistercienserinnenklosters Burtscheid mit Erläute-
rungen und einem Register herausgegeben. Angelegt wahr-
scheinlich 1302, abgeschlossen um 1424. hat es den Inhalt
eines älteren Totenbuches des Benedictinerklosters wenig-
stens theilweise übernommen. In der Hs., die aus Quix'
Nachlass in die Berliner Bibliothek gekommen ist, fehlen
die Abschnitte vom IG. Sept. bis 12. Nov. und vom 9. bis
31. Dec.
299. Hugo Riemanns Geschichte der Musik-
theorie im 9. bis 19. Jh. (1898) macht in den ersten
2 Büchern zum ersten Mal den besonders für die älteste
Zeit freilich von mancherlei Willkürlichkeiten nicht freien
Versuch, die Geschichte der Theorie und Schuldoctrin der
mehrstimmigen Musik im Mittelalter auf Grund des nament-
lich in Coussemakers Scriptores de musica medii aevi ver-
öffentlichten und bisher nur wenig verwertheten Materials
darzustellen. Für den Historiker von Interesse ist beson-
ders cap. 3: Odo yon Cluny, Berno von Reichenau,
Hermannus Contractus. Friedrich Ludwig.
Xcues Archiv etc. XXIV. 5Ü
784 Nachrichten.
300. Das neuerdigs angezweifelte Ergebnis früherer
Forscher, dass die Homilien des hl. Eligins apocrjph
seien, wird von E. Vacandard in der Revue des questions
historiques LXIV, 471 ff. bestätigt; sie sind nach ihm eine
frühestens um 900 entstandene Compilation. R. H.
301. In der Zeitschr. des Vereins f. thüring. Gesch.
N. F. XI, 125 veröffentlicht K. Meyer eine Notiz über die
Weihe der Kirche zu Woffsleben durch Eß. ßuthard von
Mainz vom J. 1103.
302. C. Wessely's Schrifttafeln zur älteren lateini-
schen Palaeographie (Leipzig, Comm. von Avenarius, 1898)
erfüllen wenigsten z. Th. den oft ausgesprochenen Wunsch,
die Papjrusschätze des Museums des Erzherzogs Rainer in
Wien für das Studium der Geschichte der lateinischen
Schrift nutzbar gemacht zu sehen. Die Sammlung Wessely's,
die im übrigen zumeist schon bekannte Facsimiles wieder-
holt, bietet aus dem Museum Rainer eine Anzahl sehr in-
teressanter Stücke, von denen hier besonders die Quittungen
von 398 (n. 17. 18) und die Rescript-Fragmente des 5. Jh.
(n. 25) erwähnt werden mögen. Leider ist für die Repro-
duction die wenig empfehlenswerthe Methode der Auto-
graphie gewählt, die mir auch durch das, was in der Vor-
bemerkung N. 3 gesagt ist, nicht gerechtfertigt erscheint.
303. Auch von dem zweiten Heft von Arndts Schrift-
tafeln ist nunmehr die dritte von M. Tangl bearbeitete
Auflage erschienen (Berlin, Grote 1898). Von den Tafeln
der 2. Auflage sind zwei, die entbehrlich waren, fortgefallen
und dafür vier neue, recht gut ausgeführte hinzugekommen,
von denen T. 61 ein Blatt aus dem Necrolog des Klosters
Möllenbeck, T. 67 den in der Reichskanzlei hergestellten
Entwurf zu einer Supplik Friedrichs III. an Papst Pins IL
vom 10. April 1459 bietet. Der Text ist gründlich und
sorgfältig revidiert und hat durch die vollständige Trans-
scription aller schwierigeren Schrifttafeln eine sehr will-
kommene Bereicherung erhalten.
304. Die 16. und 17. Lieferung des Archivio
paleografico italiano bringen in vortrefflichen Repro-
ductionen u. a. Bruchstücke aus dem jü)igst von Giorgi
(vgl. oben S. 372 n. 19) besprochenen cod. Laurentianus
des Liber pontificalis, einer Placentiner Weltchronik saec.
XII., und der Summula des Guido Faba; ferner den unter
Abt Rudolf verfassten Bücherkatalog von Nonantola (vgl.
N. A. XXI, 777 n. 218); Veroneser Urkunden von 845—1 139;
Nachrichten. 785
begonnen wird die Wiederjgabe der werthvollen Blätter der
sogenannten Bibel Karls d. Kahlen aus S. Paolo. H. Bl.
305. Von den illements de Paleographie des H. Cano-
nicus ßeusens (vgl. N. A. XXIII, 289 n. 108) ist die
Schlussabtheilung erschienen (Löwen 1899), die in Cap. 6
die Schriften des 11. — 17. Jh., in Cap. 7 die Schreibstoffe
und Schreibwerkzeuge sowie die Form der Hss. behandelt.
Die zahlreichen, gut ausgeführten Facsimiles sind diesmal
zum Aveitaus überwiegenden Theil neu und namentlich für
die Geschichte der Urkundenschrift in den Niederlanden
sehr werthvoll. Sonst sei noch besonders aufmerksam ge-
macht auf T. 24 eine Seite aus dem autographen Brüsseler
Codex des Sigebert, T. 25 eine Seite aus Guido, De variis
historiis (vgl. Archiv VII, 537 ff.), T. 27 eine Seite aus der
Löwener Hs. des Rainer von Lüttich (SS. XX, 499 f.),
S. 236. 238 Schriftproben aus einer aus Kloster Parc
stammenden Löwener Hs. saec. XIII. , wo dem Tractat De
usu astrolabii (Pez, Thesaurus III '', 94 ff.) die Bemerkung
vorangeht: 'Hermannus iste astrologus fuit natus de Ka-
rinthia, non contractus de Suevia, et transtulit almagestum',
T. 40 eine Columne aus einer Löwener Hs. vom J. 1346
der Aurora des Petrus von Riga, T. 49 ein schönes Fac-
simile aus der Brüsseler Hs. 9242 des Jacques de Guise,
T. 51 eine Seite aus einer autographen Hs. Papst Hadrians VI.
vom J. 1496 in der Bibliothek des Seminars zu Mecheln.
306. Auch den oben S. 396 n. 133 erwähnten neuen
Band von Paoli's Grundriss hat, wie die früheren,
K. Lohmeyer ins Deutsche übersetzt (Innsbruck, Wagner
1899).
307. In der Sammlung der Manuali Hoepli ist ein
von A. Cappelli bearbeiteter Dizionario di abbrevia-
ture latine ed italiane erschienen (Mailand 1899). Vgl.
darüber die eingehende Besprechung von Tangl in der
Deutschen Litteraturzeitung 1899 n. 9. — Die bei Loescher
in Rom erschienene 'Raccolta delle principali abbreviazoni
e frasi abbreviate, che si riscontrano negli atti notarili del
sec. XIII. in poi' von G. Vianini kenne ich noch nicht;
in den Quellen u. Forschungen aus ital. Archiven II, 158 f.
wird sie empfohlen.
308. Im Archivio della societä Romana XXI, 121 ff.
beschreibt V. Fe derici das stark zerstörte, im Archiv von
S. Maria in Via lata aufbewahrte Evangeliar von S. Ciriaco
e Niccolö, das im Anfang des 11. Jh. in römischer Minuskel
50*
786 Nachrichten.
auf Veranlassung der Nonne Bertha hergestellt worden ist.
Zwei Lichtdrucke geben den schön geschnitzten Einband
und Proben der nur noch schwer lesbaren Schrift wieder.
H. Bl.
Berichtigungen.
S. 130 Z. 23 lies 'tuscischer' statt 'italienischer'.
S. 189 Z. 22 statt 'Blacas (von Beaudinard?)' lies 'Blacatz (von
Aups)'. Vgl. O. Soltau Das Leben und die erhaltenen Werke des Tro-
badors und Dichterfreundes Blacatz 29.
S. 178 Z. 17. Der Notar heisst nicht Joseph, sondern Johann.
Danach -wird Z.9 Giovanni zu ändern sein. Vgl. auch B. F. 680.
S. 193 Z. 23 statt 'nono' lies 'nono decimo'.
S. 224 Z. 11 statt 'ahderen' lies 'anderen'.
S. 224 Z. 3 der vierten Anmerkung lies 'Roulx Cartul. gener.' statt
'Roux Cod. dipl.'
S. 226 Z. 41 statt 'ao. reg. 5' lies 'ao. reg. 25'.
S. 226 ergänze beim Uebergang zu S. 227: 'obige Bestätigung,
doch mit Ausdehnung der Abgabenfreiheit auf alle Häten Siciliens und
Calabriens und in mehrfachem Anschluss an die'. Schefi'er - Boichorst.
S. 358 Z. 10 und 18 lies Tier' statt 'Tier'.
S. 361 Z. 24 'Institute' steht im Or., ist aber verschrieben für 'in-
stituta'. V. Pflugk - Harttung.
S. 386 Z. 4 statt 'Gregor VI.' lies 'Gregor XI.'
S. 536 Z. 14 statt 'dem' lies 'den'.
S. 542 Z. 13 statt 'Singelaicus' lies 'Sigelaicus'. Krusch.
Register.
A.
Acqui, Bischofskatalog' 749.
Acta s. Constitutiones, Synodi, Vitae.
Actus pontificum Cenomannis in urbe
degentium 419.
Adalbert von Prag 372.
Adalbert von Weissenburg 446 f.
Ademar von Chabannes 754.
Ado 299. .312.
Adso 782.
Aeneas Sylvius 386.
Aenisfmata 762 f.
Afflighem, ÜB. 392.
Africanus, Sextus lulius 368.
Agius monachus Corbeiensis 753.
Agnellus 753.
Alberich von Troisfontaines 755.
Albertus Magnus 746.
Albrecht Achilles 383.
Albwin von Gorze 782.
Alcimus Avitus 9.
Alcvin 762.
Alphonsi regis canones 746.
Alsfeld, Urkunden 391.
Altaich, Geschichtsquellen 745; s.
Nieder- und Oberaltaich.
Althochdeutsche Sprache und Hss.
369 f.
Amalfi, Tabula 762.
Amljrosius s. Carmen de Ricardi
regis itinere.
Amorbach, Rechtsquellen 379.
Andechs, Gründungsgeschichte 685.
Andreas Didaci von Randuf 376.
Andreas von Regensburg 673 f. 676.
695 ff. 707. 711.
Angers, Cartular von S. Laud 754.
Annales Admuntens. s. Continuatio
ann. Adm. ; Alamannici 429 ff. ;
Alamannici Augiens. 436. 439 ;
Alamannici Sangaliens. 429 f. 433.
437 ff. 450 f.; s. Amandi 443;
Anglosaxonici 751 ; Augiens. 239 f.
248. 425 ff. ; Augiens. brevissimi
436. 444 ; Ausciens. 436 ; Bavariae
686 ff. ; s. Benigni Divionens. 241.
436. 439; Blandiniens. 438; s. ßo-
nifatii 436 ; Caesenat. 736. 739 f. ;
cap. Cracoviens. 235. 237 ff. 247 ff.
430 f. 439 ; cap. Poznaniens. 236
Coloniens. 432. 434. 436. 439
Corbeiens. 248. 433 f. ; Cracoviens
brev. 236 f. 242 fl. ; Cracoviens
compilati 235. 237. 246 ; Cracoviens
vetusti 234. 237. 240 ff. 247; s
Crucis Polonici 236. 243 f. ; s. Dio-
nysü 436. 444; Einharti 431. 460
752; s. Emmerammi breviss. 698
rerranens.741 ; Formoselens. 438f.:
Foroliviens. 736 ff.; Fuldens. 420
428. 430. 432 ff. ; Fuldens. antiqui
430. 432; Genuens. 368; Gorziens
443; Guelferbytani 405. 409 f.
422 f. 442; Heremi 434. 436 ff.
444 f. 448. 454 f.; Hersfeldens
239 ff. 248 f. 430 ff. 437. 441. 446 .
Kamenzens. 235. 237 ; Karolingici
751 f. ; Lacens. 374 ; Laubacens
444. 448 f.; Laureshamens. 429 ff.
443. 752 ; Laurissens. maiores 405
407 f. 411. 417 f. 420 ff. 460. 752f.;
Laurissens. minores s. Chronicon
Laurissense ; Lobiens. 405. 410 f.
422. 449; Lubinens. 235. 237;
mansionarium Cracoviensium 237;
Masciacens. 436; Mettens. 4. 399 ff.
456; Miechoviens. 235. 247; Mo-
guntini 248 ff. 430 ff.; Mosellani
429 ff. 443; Murbacens. 429. 437.
442 f. ; Nazarianl 430. 432. 442 ;
788
Register.
Osterhovens. 681. 695; Palidens.
728 f. ; Pisani 373; Poloniae 231 ff. ;
iPolonorum 234. 236; Poznaniens.
285. 237. 247; Prägens. 430 f.
439 ; Ratisponens. 698 ff. ; Sandi-
vogü 236 ; Sangaliens. Baluzii 443 ;
Sangaliens, breves s. Weingartens.;
Sangaliens, maiores 438 ff. 450;
Sangaliens, regum 436. 444; Scheft-
lariens. maiores 686. 690; Scheft-
lariens. minores 687. 690 f. ; Schut-
terani 759 ; Strubingens. 693 ff.
706; Vetero - Oellens. 377; Vin-
docinens. s. Chron. Andegavense;
Weingartens, und Sangaliens, bre-
ves mit Urschrift (Codex Regin-
berti) 429 f. 432 ff. 439 ff. 448^ff. ;
Wessofontäni s. Leopolder; Wind-
bergens. 693. 697. — S. Fragmenta,
Notae, Rocznik.
Annalista Saxo 455.
Annolied 781.
Anonymus Bavarus s. Compilatio
chronologica.
Antiquitates 7.
Arau, Stadtrecht 380.
Archive s. die Eigennamen.
Arn 752.
Arnold von Isenburg, Erhebung zum
EB. von Trier 764.
Arnonische Güterverzeichnisse .389.
Arnpeck, Veit 673 f. 680. 692. 706.
712.
Arnsburg, Urkunden 391.
Arnulf, Note über die Schenkungen
nach S. Emmeramm 700.
Arra, römische und westgothische
580 ff.
Arras, Cartular 778.
Assisi, Generalcapitel der Franzis-
kaner 773.
Athanarid 567.
Auetores antiquissimi 3. 9 ff. 368.
Augsburg, Inschrift über den Dombau
396 ; Papsturkunden betr. d. Diö-
cese 386.
Aurolzmünster, Regesten und Ur-
kunden 776.
Ausonius 9. 11.
Autun, Mss. des Seminars 748.
Avitus von Vienne s. Alcimus Avitus.
Aytinger, Wolfgang 758.
Azzurini 736. 741.
B.
Baden, Archivalien 771 ; Stadtrechte
378 f. 761.
Baierischzell , Gründungsgeschichte
676.
Baiern, Annalen (1150- 1297) 686 ff.;
genealogischeAufzeichnungen über
die Herzöge 710; Gründungs-
geschichten der Klöster 671 ff. —
S. Witteisbacher.
Ballenberg, Rechtsquellen 379.
Bamberg, Mahnbrief eines Geist-
lichen nach S. Georgenberg 370.
Bartholomaeus Brixiensis 531.
Bartholoiueo della Pugliola 739.
Basel, Konzil 386.
Basko s. Chronicon Poloniae.
Baumgartenberg, Bibliothekskatalog
370.
Beauvais, Bibliothek des Gerichts-
hofs 762.
Beda 11. 368. 384. 430. 444. 565 f.
752.
Benedict XII., Kanzlei 384.
Benedict von Aniane 394.
Benedictus Levita 5. 341 ff. 462.
Benedictbeuern, Gründungsgeschich-
te 676.
Benedictiner 382.
Bergen, Abtskatalog 746.
Bern, Stadtrecht 379.
Bernardus Marago s. Maragone.
Bernardus Noricus 376. 684.
Berno von Reichenau 783.
Beuerberg, Bibliothekskatalog 370;
Gründungsgeschichte 676.
ßeyharting , Gründungsnotiz 692.
711 f.
Bibel Karls des Kahlen 785.
Bibliotheken s. die Eigennamen.
Blassenberg, Regesten des Ge-
schlechts 392.
Boguphal s. Chronicon Poloniae.
Bologna , Archiv des spanischen
CoUegs 386; Staatsarchiv 397 ; im
ersten Lombardenbund 388.
Bonagratia von Bergamo 376.
Bonn, Archivinventar des S. Cassius-
stifts 370; Urkunden der Kreis-
bibliothek 774.
Bonvicino della Riva 756.
Bordeaux, Cartular 778.
Brabant, Vertrag mit England und
Flandern (1333) 747.
Register.
789
Braunschweig, Anklage zweier Juden
durch den Rat von Goslar 772.
Breidenborn, Schloss und Herrn von
390.
Bremgarten, Stadtrecht 379.
Brescia, Stadtrecht 381.
Breslau, Formularbuch der bischöfl.
Kanzlei 386.
Breviarien 315 ft'. 540; breviarium
Alarici s. Lex Romana Visi-
gothorum.
Briefe Albrechts Achilles 383; d.
Berner Raths (1476) 758; H. INIene-
storfers 764. Deutsche Privatbr.
764. — S. Epistolae, Leopold.
Brunn, Stadtrecht 599.
Bruno von Querfurt 372.
Bruno von Segni 373.
Buchen, Rechtsquellen 379.
Bullarium Franciscanum 385.
Burchai-d von Worms 747.
Burgheim, Weihe der Kirche (1035)
777.
Burgund, Beziehungen zu England
747; Kriege Karls des Kühnen 758.
Burtscheid, Xecrolog 783.
Buschhofen, Archiv 370.
Caesarius von Heisterbach 754.
Calendarium Corbeiense 320.
Canones regis Alphonsi cum cano-
nibus lohannis de Saxonia 746. —
S. Burchard, Gratian, Synodi.
Cantinelli 736. 740 ff.
Capitularia regum Francorum 3. 5.
19. 87. 377. 460. 463 0. 633 ff.
760; s. Benedictus Levita.
Carmina latina varia 747. 779 ff. ;
de Heinrico 780; de Ludovico 779;
de Ricardi regis itinere in terram
sanctam 374. — S. Claudius Clau-
dianus, Corippus, Ecbasis captivi,
Enuodius, Hildebert, Hrotsvitha,
Sidonius, Stefaueschi, Venantius,
Waltharius. Walther von Spej^er;
und : Poetae latini , Rhythmen,
Sprüche, Versus. — deutsche s.
Lieder.
Cartularia s. Urkuiidenbücher.
Casalraonferrato, Necrolog 394.
Cassiodor 9. 11. 120. 308 f. 370.
Catalogus abliatum Bergensium 746 ;
Floreffiensium 757. — Catalogus
episcoporum Aquensium 749 ; Cre-
monensium 779. — Catalogi ponti-
ficum s. Papstkataloge; regum 779.
Catalogi librorum: Baumgartenberg
370; Beuerborg 370; Montecas-
sino 394; Nonantola 784 ; Petro-
cinus V. Ravenna 369 ; Syon 746 ;
Verdun (S.Vanne) 369. — S.Phil-
lipps, Thompson.
Chälons-sur- Marne, ÜB. 778.
Chiemsee, historische Stücke 704.
Chlodowech 371.
Chronica minora 3. 9. 11. 368.
Chronicon Andegavense 754; Ania-
nense s. Moissiacense ; Cracoviae
s. .Johann von Czarnkow; de Berno
s. Chronographia regum Fran-
corum; de civitate Ravennae 740;
de origine et processu regum Fran-
ciae 692. 709; s. Dionysii in Fran-
cia s. Annales s. Dionysii ; domus
Sarensis 375. 756 ; Eberspergense
posterius 686; Fardulfi 431; im-
perii s. Leopolder; Laureshamense
648. 667 ; Laurissense (Ann. Lau-
riss. min.l 413. 430 ff. 437. 752;
magn. Poloniae 236. 242 ; minor
minoritae Erphesfurtensis 4; Mois-
siacense 404 ff. 420 ff. ; Papale 747 ;
Pictum 755; Poloniae (Polonorum)
236.373; Schirense 676 ; Schutte-
ranum s. Annales Schutterani; s.
Stephani 180 f. ; Suevicum uni-
versale 428 ff. 439. 441. 443; Un-
garorum et Polonorum 236; Veda-
stinum 405. 413; Vindocinense
754; Wirzeburgense429; Zdiarense
756.
Chroniken, deutsche 5. 677 ff. 771 ;
grosspolnische s. Chronicon Po-
loniae ; italienische 4. 745. 755 ;
d. Könige von Castilieu 755 ;
Lübische 757 ; d. Ofener Minoriten
(ungarische nationale Grund-
chronik) 755 ; österreichische 5. —
S. die betr. Verfasser und Kaiser-
chronik.
Chrouique Artesieune 756 ; de Flan-
dre 377 ; de Tournai 756.
Chronographia regum Fran corum 377.
Claudius Claudianus 9. 11.
Claudius von Turin 749.
Clemens V., Itinerar 767.
Cobelli, Leone 736. 738. 741.
Codex Euricianus 20 f. 41. 70. 72.
76 ff. 88. 91. 97. 101. 105 ff. 119 f.
574 f. 581. 584. 593. 600 f. 603.
790
Register.
610 f. 613 f. 626; lustinianus s.
römisches Recht; Reginberti s.
Annales Weingartens. : Theodo-
sianus 744, s. römisches Recht;
Udalrici 763.
Collectio Britannica 770.
Collectiones canonum 381 f.; s. Bm--
cliard, Grratian, Synodi.
Colonna, Urkunden über den römi-
schen Besitz der Familie 391.
Compilatio chronologica anon}'mi
monachi Bavari 675 ff.
Compilatio Fuldensis 430 ff.
Concilia s. Synodi.
Confessio s. Emmerammi 699.
Conflictus lini et ovis 370.
Constantius von Lyon 566.
Constitutiones imperatorum et regum
5. 219. 378. 747. 760. 770.
Constitutiones ordinis s. Francisci 773.
Consuetudines Farfenses 395.
Consuln der unterital. Zünfte 183.
Consultatio veteris cuiusdam iuriscon-
sulti 96 f.
Continuatio annalium Admuntensium
700; Eberhardi Ratispouensis 745;
Fredegarii 405. 413; Hermanni
Altahensis 695. 702. 745; Reginonis
425 ff. 434 f. 445 fi".; Ricobaldi742;
Tolosani 741 ; Weichardi de Pol-
haim 702.
Conversio Afrae 289 ff. ; s. Passio
Afrae.
Corippus 9.
Coutumes de Beauvoisis 762.
Cremona, ÜB. und Stadtgeschichte
779.
Cuissy, Necrolog 757.
ö.
Damasi versus 748.
De magnalibus urbis Mediolani 756.
De modis uniendi 376.
De nullitate processuum s. Informatio
super null, j^i'oc.
De ordine ecclesiastico 341 ff.
De symoniacis 373.
Decreta s. Burcliard , Collectiones ,
Grratian, Pap)sturkunden.
Decretalia Th. Zoltaii ep. Werdens.
747.
Detmar 757.
Deutsche Historiographie, Ursprün-
ge 779 f.; deutsches Recht 377 f.
759 f. — S. Althochdeutsche Sprache
und: Briefe, Chroniken, Lieder,
Sprüche.
Deutschenspiegel 599.
Diessen. Gründungsgeschichte 685 f.
Diessenhofen, Stadtrecht 379.
Dietramszell , Gründungsgeschichte
675.
Dinter s. Dynter.
Diplomata s. Kaiserurkunden.
Diplomatisches 13 ff. 384. 396. 768.
Diptycha von Novara 749.
Döffingen, Notiz über die Schlacht
675.
Dominikaner 374. 382.
Dufresnesche Urkundeusammlung
386 f.
Dynter, Edmundus de 783.
E.
Eberhard von Regensburg 702. 745.
Ebersberg, Gründungsgeschichte 686.
Ebersheim , Kaiserurkunden • und
Dienstrecht 769.
Ecbasis captivi (Egberti Leod.) 8.
Edictum Theoderici 601. 626.
Edictus Rothari 59 f. 72 f. 579. 584.
593. 606. 614.
Edmundus de Dynter 783.
Eike von Repgow 599.
Einhart 7. 420. 422. 4;53. 437. 648 f.
745. 752; s. Annales Eiriharti.
Ekkehard von Aura 368.
Ekkehard I. von S. Gallen s. Wal-
tharius.
Ekkehard IV. von S. Gallen 395.
Eligius, Homilieu 784.
Elsass, Hss. der Klöster 369 ; Stadt-
rechte 378 f. 761.
Engelberg, ÜB. 778.
England, Briefe und Verträge (13. bis
15. Jh.) 747.
Enhard von Fulda (mit Eiuhart iden-
tihciert) 433. 437.
Enikel 5.
Enuodius 9. 119.
Epistolae variae 6 f. 332 f. 370. 382 f.
473. 485. 503 ff. 524 ff. 745. 747.
762 ff. ; Karolini aevi 7. 749. —
Adsonis 782; Agobardi archiep.
Lugdunensis 745; Alcvini 762;
Amalarii 745 ; Anserici archiep.
Vesontini 382 ; Arnonis archiep.
Salzeburgensis 474 ; Arnulfi ep.
Roffensis 748 ; s. Augustini 747 ;
s. Bonifatii 463 ; Eduardi IV. reg.
Register.
791
Angl. 7-i7; Einharti 7. 745; Fausti
ep. Reiensis 751 ; Flori alumni
Lugdunensis 490 f. ; Frotharii 7.
745; Fructuosi ep. Dumieusis 65 f.;
Fulberti ep. Carnotensis 382; Ger-
berti 763 ; Grrimaldi et Tattonis
395 ; Guidonis com. Flandrensis
747 ; Hattonis archiep. Moguntini
769; s. Hiei-onymi 308 f. ; Hilde-
berti archiep. Turonensis 763 f. ;
Hilduini 747 ; Hrabani 7 ; Huberti
archiep. Cantuariensis 530 ; Hugonis
Falcandi 373 ; Hugonis archiep.
Rothomagensis 763; Johannis reg.
Angl. 5*29; Johannis Peckham
archiep. Cantuariensis 520; Karoli
magni 473; LadislailV. reg.Ungar.
383; Leonis ep. Vercellensis 387;
Londoniae civ. 747 ; Ludovici pii
747 ; Ludovici pii et Lotharii I.
485. 487 ; Michaeli II. imp. et
Theophili caes. 485; Nicetii 371;
Odilonis ab. Cluniacensis 728 ff. ;
Paulini Aquileiensis 474; Phi-
lippi IV. Pulchri reg. Franc. 530;
Sidonii Apollinaris 119 f., s. dens.;
Sigismundi 389. 772; Stephani
archiep. Cantuariensis 530; Vene-
raiuli 395. — S. Briete, Papst-
briefe.
Epitaphia 374.
Epitome Guelferbytana 608; luliani
s. De ordine eccl. und Römisches
Recht ; Monachi s. Lex Romana
Vibigothorum; Sangaliens, s. Chro-
nicon Suevicum universale.
Erfurt, Geschichtsquellen 4 ; Pro-
vincialcapitel der ßenedictiner 382.
Estoire de la guerre sainte 373 f.
Ettal, Gründungsgeschichte und an-
dere historische Notizen 677 ff.
Eugippius s. Vita s. Severini.
Eutropius 9.
Evangeliar von S. Ciriaco e Niccolö
(Rom) 785 f.
Evangelium secundum marcas argenti
781.
Excommunicatio Uberti 387.
F.
Fälschungen, moderne s. Grandidier,
Polidoro, Tschudi, Vignier.
Fardulf von S. Denis 431.
Farfa, Codices und Päpsteverzeichnis
372 ; Consuetudines 395.
Farrago historica 697.
Fasteuordnung (ca. 780) 472.
Felix von Urgel 474 f.
Ferrer, Vincenz 783.
Flandern, Briefe und Verträge (13.
und 14. Jh.) 747.
Flodoard 463.
Floreffe, Abtskatalog, Gründung und
Weihe, Necrolog 757.
Florenz, Geschichte 774.
Florus von Lyon 299. 490 f.
Flumet, Stadtrecht 379.
Fontenelle, Heiligenleben 750.
Formulare und Formularbücher 386.
395. 505. 523 ff. 531 f. 764 f. ;
fränkische 97. 112 f. 622. 764 f.;
oberrheinische 765 ; westgothische
15 f. 22. 25. 78. 112 f. 579. 585 ff.
S. Guido Faba, Ricardus de Pofis,
Thomas von Capua.
Formularium iuris 747.
Fragmeuta aunalium saec. VIII.
(Werthinensia) 405 f. 421. 423 ;
Chesnii 431 ; de Pippino duce 423.
Frankfurt, Bund mit Friedberg und
Wetzlar (1334) 380.
Franziskaner 385. 773 ; annalistische
Notizen bairischer Minoriten 693.
Frauenzeil, Gründimgsgeschichte 697.
Fredegar 57. 560; s. Continuationes
Fredegarii.
Freiburg i. B., Stadtrecht 380.
Freiburg i. U., Stadtrecht 379.
Friedberg s. Frankfurt.
Friedrich III., Entwurf einer Supplik
an Pius II. 784.
Fulcher von Chartres 748.
Fundationes monasteriorum Bavariae
671 ff.
Pürstenfeld , chronikalische Auf-
zeichnung 686.
G.
Galvagno de la Fiamma 374.
Gangkofen, Notizen über Gründung
und Geschichte 701.
Gaufridus de Loaisa 756.
Geisenfeld, Gründungsgeschichte 686.
Genealogia Bavariae ducum 710;
Dagoberti 414. 423 ; fundatorura
Sarensis monast. 756 ; Pippini
423. — S. Rudolf, Witteisbacher.
Gennadius 368 f. 749.
Genua, Urkunden und Register der
Notare 775.
792
Register.
Geographus Bavarus 754.
Gerardus de Fracheto 374; s. Girard.
Gerold, Kanzler Ludwigs d. Fr. 753.
Gesta abbatum Fontanellens. 404.
411 ff. 423. 545; Aldrici 419. 463;
consulum Andegavens. 754 ; Hen-
rici imp. 747 ; Hungaror. 755 ;
Karoli s. Poeta Saxo ; pontif. Ro-
manor. 4. 745.
Giessen, Stadtarchiv 391.
Gilden in Utrecht 380 ; s. Zünfte.
Girard von Angouleme, Legation in
Frankreich 385; s. Gerardus.
Glossen 747.
Görlitz, Hofgerichtsbuch 381.
Goslar s. Bi-aunschweig.
Gottfried von Plessis 389.
Gozwin von Mainz 746.
Grafrath, Gründungsgeschichte 686.
Grandidier, Strassburger Stadtrecht
761 ; Urkundenfälschungen 387.
768 f.
Gratian 382.
Graugans s. Nordisches Recht.
Gregor XL, Rückkehr nach Rom
386. 768. 786.
Gregor Segni 375.
Gregor von Tours 119. 371. 560 f.
564.
Greifswald, Zunftrollen 380.
Griechische Sprache in südital. Ur-
kunden 775.
Gualtherus Insulanus 746.
Guastalla, Urkunden 779.
Guido Faba 784 f.
Gundecharus IL ep. Eichstetens. 395.
Günther der Eremit 393. 728 f. 733.
Gurk, Geschichtsquellen 704. 777.
H.
Habach, Klostergeschichte 676 f.
Habsburger, Beziehungen zu Ungarn
und Sicilien 382 ; Stadtrechte 379.
Hadrian VI., Autograph 785.
Hagen, Gregor 5. 377.
Hagenau, Stadtgeschichte und Stadt-
recht 380; ÜB. von S. Georg 391.
Handschriften, Erlialtung und Aus-
besserung 745.
Harlebeke, Urkunden 384.
Heberegister, Werden 396.
HeiligstMter Putsch(1462), Lied 781.
Heinrich der Natternberger, Notiz
über den Tod 695.
Heinrich von Heimburg 375. 756.
Heinrich von Langenstein (Heinricus
de Hassia) 747. 783.
Heinricus Monogallus 374.
Heinrichslied 780.
Heremannus astronomus 370.
Hermannus astrologus de Karinthia
785.
Hermann von Landenberg, Regesten
776.
Hermann von Niederaltaich 692. 695.
701 f. 745.
Hermann von Reichenau 427 ff. 439.
450. 783.
Heylissem, Urkunden 302.
Hildebert von Lavardin 763 f.
Hildcgardis abbatissa 783.
Hildemar 395.
Hilduin von S. Denis 321. 747. 752.
Hilsbach, Rechtsquellen 379.
Hincmar von Rheims 349 ff. 463. 570.
Hirschhorn, Rechtsquellen 379.
Historia fundationum monasteriorum
Bavariae 673 ; Welforum AVein-
gartensis 681.
Hochmuth, Jörg 758.
Hofvicariat unter Friedrich II. 219 f.
Hohenzoilernsche Kurfürsten 386.
Honorius IV., Spottverse auf ihn
523.
Hraban 7. 299. 306.
Hrotsvitha 8.
Hugo Falcandus 373.
Hugo von Rouen 763.
Hugo von S. Victor 382.
Hussitismus 758.
Hymni 781.
I. J.
Jacob Twinger von Königshofen771.
lacobus Moratinus 736. 740 ff.
lacobus de Voragine 676.
Jacques de Guise 785.
Ildefons von Toledo 369.
Indiculus Arnonis s. Notitia Arnonis.
Informatio super nullitate processuum
376.
Inquisition 774.
Inventare s. Catalogi librorum.
Johann von Czarnkow 236.
Johann von Neumarkt 386.
Johann Ruffus 757.
Johann von Wünschelburg 783.
lohannis de Saxonia canones 746.
Johanniter, Urkunden 773.
Jonas von Orleans 762.
Register.
793
Jordanes 9.
lordanus, Christophorus 476.
Jordanus von Osnabrück 756.
Isenheim, Mss. der Augustiner und
Antoniten 369.
Isidor von Sevilla 35. 369. 574. 622.
Isländisches Recht s. Nordisches
Recht,
ludicium inter Martianum et Aven-
tinum 121.
Julian von Toledo 67.
Justinger, Konrad 758.
K.
Kaiserchronik 781.
Kaiserrecht, kleines 760.
Kaisersage 375. 692.
Kaiserslauterer Burglehen 390.
Kaiser- und Königsurkunden 6. 379.
387 ff. 748. 765. 768 ff. — Karo-
linger 6. 387 f. 424. 701. 753.
768 ff. 778; Berengar I. 770;
Otto I. 125. 198. 391. 765. 770;
Otto II. 391. 770 f.: Otto III.
379. 388. 391. 749; Heinrich II.
6. 387 f. 681. 768; Konrad II. 198.
380. 388; Heinrich III. 198. 210.
388. 726 f. ; Heinrich IV. 174 f.
379. 388; Heinrich V. 174. 760.
771; Lothar III. 125 f. 207 ff. ;
Konrad III. 136 f. 380; Friedrichl.
125. 127. 137 f. 141. 144 ff. 149 f.
160 ff. 173 ff. 196 ff. 208. 210 f.
213 f. 380. 383. 388 ; Heinrich VI.
128. Ulf. 153 ff. 160 f. 169 ff.
181 f. 200 ff. 208. 210 ff. 217 f.
223 f. 227 (vgl. 786). 379. 389.
765. 781; Constanze 129. 135 f.
153 f. 156 f. 224 ff. 765. 771;
Otto IV. 201 ff. 212; Friedrich II.
129. 135 ff. 144. 153. 157 f. 172 f.
1771". 181 ff. 186 f. 189. 191 f. 196.
200 f. 204. 210 ff. 215. 220. 222.
383. 389. 765 f.; Heinrich (VII.)
771; KomadIV. 216. 771; Ru-
dolf! 748. 771; Adolf v. N. 379;
Albrecht I. 379; Heinrich VII.
141. 379; Ludwig IV. 379. 677;
Karl IV. 208. 379. 388. 770 f.;
Wenzel 379 f.; Ruprecht 379. 772;
Sigmund 380. 772; Albrecht II.
383; Friedrich IIl. 379 f. 784;
Maximilian I. 378. — S. Epistolae,
Regesten.
Kaisheim, Gründuugsnotiz 701.
Kantzow, Thomas 877.
Kanzleiwesen 389.
Karl IV. s. Moralitates, Vita Ka-
roli IV.
Karlssage 375.
Kärnthen, Greschichtsquellen 777.
Keltische Handschriften 397.
Keza 755.
Kirchenväter 381. 747. 763.
Kladrau, Gebetsverbrüderungen 395.
Koblenz, städt. Akten 379.
Köln, städt. Akten 379; Urkunden
der Erzbischöfe 772 f.
Königshofen, Jacob Twinger von 771.
Konrad von Diessen, Erwerbungen
686.
Konrad Rozzo 690.
Konrad von Ranshoven 690.
Konrad von Scheyern 676.
Konrad von Soltau 747.
Konstanz, bischöfl. Steuer (1379)
774; Statuten u.Verträge des Dom-
capitels 382; Frieden (1183) 378;
Konzil 376 ; Rathslisten 379 ; Wahl-
capitulationen der Bischöfe 382.
Korner, Hermann 757.
Kraiu, Laudhandfesten 378.
Krautheim, Rechtsquellen 379.
Kremsmünster, Geschichtsquellen
376. 683 f.
Kreuzzüge 519 ff. 748.
Külsheim, Rechtsquellen 379.
L..
Landenberger Regesten und Ur-
kunden 776.
Landshut, Gründungsnotiz 701.
Lauda, Rechtsquellen 378.
Lectionaria 396. 747.
Legenda de origine ordinis servorum
375 ; s. Vitae.
Legendare , Oesterreichisches und
Wiüdberger 750.
Leges 3. 5. 19. 377 f. 759 ff. —
Alarnannorum 109. 377 f. 644.
656; Angliorum et Werinorum =
Thuringorum ; Anglo - Saxonicae
759 ; Baiuariorum 5. 59 f. 76 ff.
109. 113. 603. 606 f. 609 f. 614.
644. 656; Burgundionum 19 f. 70 f.
76. 105. 586. 593. 597. 599 ff. 607.
610. 612. 626. 759; Chamavorum
649 ; Frisionum 654 ; Langobar-
dorum 19. 35. 634. 759, s. Edictus
Rothari ; Ribuaria 100. 645. 652 f.
794
Register.
657 ff. ; Romana Burgundionum
601. 608 f. 612. 621. 626; Romana
Raetica Curiensis 615; Romana
Visigothorum 20. 24. 38. 69 ff.
341 f. 349. 352. 574 ff.; Salica
100. 377. 591. 594. 615. 759; Sa-
xonum 631 ff. ; Thuringorum (An-
gliorum et Werinorum) 598. 644 f.
647. 649. 656. 658; Visigothorum
5. 19 ff. 32 ff. 39 ff. 571 ff. 759. -
S. Capitularia, Constitutiones ;
Deutsches, Nordisches, Römisches
Recht.
Leidrat von Lj'^on 393.
Leo III. 474. 476. 478.
Leo frater 374. 755.
Leo Narbonensis 119 f.
Leo von Vercelli s. Rhythmen auf
Otto II.
Leopold II. von Oesterreich, Itinerar
390.
Leopold (Lesemeister), Epistel auf
Albrecht III. von Oesterreich 377.
Leopolder, Stephan 673. 690 f. 708.
Leubus, Stiftungsbrief (1175) 390.
Libelli de lite 3 f.
Liber de unitate eccl. conserv. 372 ;
historiae Francorum 420. 560 f.
564; pontificahs 372. 745. 784;
pontificalis Eichstetensis 395 ; scin-
tillarum 747.
Libri, Handschriftendiebstähle 748.
Lieder, deutsche 5. 779 ff. ; lateini-
sche s. Carmina.
Lindeul)erg, Peter 746.
Lombardei, Geschichtsquellen 369.
Lombardenbund 378. 388.
Lorch, Fälschungen s. Passau.
Lothringen, Regesten und Urkunden
770. 775.
Lübeck, Chronik (— 1276) 757;
Stadeschronik 757; Zollordnung
761.
Lucas Tudensis 574.
Ludwig IV. , Klostergründungen
676 ff. ; Streit mit der Curie 376.
385. 767; Wunder 680.
Ludwigslied 779.
Lupoid von Bebenburg 376.
Lupoid von Hals, Notiz über den
Tod 695.
Lupus von Ferneres 394.
Lützel, Mss. 369.
Luzzara, Urkunden 779.
Lyon , Generalcapitel der Franzis-
kaner 773.
Magdeburg, Silberschatz der Erz-
bischöfe 396.
Mailand, Katalog der Codici Morbio
369; Stadtbeschreibung 756.
Mähren, Codex diplomaticus 777 f.
Mallersdorf, Gründungsnotiz 701.
Maragoue, Bernardo 373.
Marbach, Mss. 369.
Margarethenzell s. Baierischzell.
Maria -Laach, Schriftsteller und
Handschriften 374.
Marianus Scotus 431.
Märkerwesen 762.
Marmoutier, Kaiserurkunden 387.
Martinus Gallus 236.
Martin von Troppau 742.
Martyrologia 299. 323. 395. 748.
750 f. ; mart. Hieronymianum 289 ff.
294 ff. 328. 535 ff. 750 f. - S. die
betr. Verfasser.
INIatthaeus de Libris 532.
Matthaeus Paris 755.
Maursmünster, Mss. 369.
Meginhard von Fulda 434.
Meinrad von S. Gallen 758.
Meissen, Urkunden der Markgrafen
777.
Melk, Gabbrief des Markgrafen Ernst
390; Seelbuch 777.
Menzenschwand, Archivalien 771.
Mergentheim, Rechtsquellen 378.
Messelhausen, freiherrl. ZobeFsches
Archiv 391.
Methodius von Patara 782.
Metten, Gründungsgeschichte 695.
Metz, Urkunden für S. Arnulf 424.
Miltenberg, Rechtsquellen 379.
Miniaturen 397. 748.
Minorita Erphesfurtensis 4.
Minoriten s. Chronik der Ofener
Min., Franziskaner.
Miracula 680. 748. 750. 757.
MöUenbeck, Necrolog 784.
Montecassiuo, ältester Bücherkatalog
394.
Monumenta Erphesfurtensia 4; Wel-
tenburgensia 684.
Moralitates Karoli quarti imp. 782.
Moratinus s. lacobus Mor.
Mörmter, Herren von 774.
Muglen 755.
München , Notiz über Teilung in
zwei Pfarrsprengel 698.
Münster i. E., Mss. 369.
Register.
795
Murbach, Mss. 369.
Murteu, Schlaclit bei 758.
Musikalisches 783.
Nancy, Bericht über die Schlacht
758.
Narbonne, Generalcapitel der Fran-
ziskaner 773.
Keckarsteinach, Rechtsquellen 379.
Necrologia, ßairische 7 ; Burtscheid
783 ; Casalmonferrato 394 ; Cuissy
757; Floreffe 757; Melk 777;
Möllenbeck 784 ; Novalese 779 ;
S. Gallen -Reichenau 395; Turin
779; Xanten 7.
Nennius 721 ff.
Neuburg, Mss. 369.
Nicolaus de Carbio 755.
Nicolaus de Cecilia 747.
Nicolaus de Cusa 382.
Nicolaus Magni de lawor 376.
Niederaltaich, Geschichte 692; Notiz
über Gründung 685; Traditions-
notizen 693 ; s. Altaich.
Niederlahnstein, Märkerwesen 762.
Niederviehbach,Nachricht über Grün-
dung und Vergrösserung 702.
Noirmoutier, Urkunden 769.
Nonantola, Bücherkatalog 784 ; Ur-
kunden 755.
Nonnberg, Urkunden 778.
Nordisches Recht (Isländisches, Nor-
wegisches , Schwedisches Recht)
578. 598. 610. 618. 759.
Notae Cracoviens. 243 f.; s. Emme-
rammi 700 ; Fürstenfeldens. 686 ;
Ratisponens. (nionasterii superioris)
700 f. — 8. Franziskaner, Wittels-
bacher.
Notitia Arnonis 389 ; notitiae Salz-
burgens, brev. 389.
Notker Balbulus 299. -306.
Novalese, Geschichtsquellen 779.
Novara, Diptycha 749.
O.
Oberaltaich, Geschichte 697; s. Al-
taich.
Obernburg, Rechtsquellen 379.
Obligation der Praelaten 385.
Odo von Cluny 783.
Odo von Glanfeuil 569.
Officium de s. Bertulfo 384.
Oschersleben, Stadtbuch 381.
Osnabrück, Uß. 392.
Osterhof'en, Annalistische Notizen
und Gründungsgeschichte 695.
Österreich, Bund mit England (1480)
747; Geschichtsquellen 377; Le-
gendär 750.
Otfried 779.
Otto von Freising 368.
P.
Pactus Alamannorum 378.
Padua, Generalcapitel der Franzis-
kaner 773.
Pairis, Mss. 369.
Palaeograf)hisches 394. 396. 779.
784 fi".
Palliumsurkunden 766.
Papstbriefe und -Urkunden 7. 383 tf.
524 fr. 745. 765 ö: 778. — BonifazI.
384; Gelasius I. 616; Gregor I.
6. 328 ; Stephan II. 493 ; Paul I.
469 ; Hadrian I. 472. 493 ; Leo III.
745; Leo IV., Benedikt III. 766.
770 ; Hadrian II. 384 ; Leo VII.
451 ; Silvester IL, Benedict IX.,
Leo IX. 709 f. 766 ; Alexander II.
384 ; Paschal II. 383. 766 ; Calixt
II. 385. 676. 760; Honorius II.
097. 749. 754. 767; Innocenz IL
126. 136 f. 359. 749; Eugen III.
358 ff. ; Alexander III. 137. 180 f.
359 f. 385 ; Coelestin III. 383 ;
Innocenz III. — Innocenz IV. 507 f.
511. 513 ff. 525 S. 530. 749.
777 ; Alexander IV., Urban IV.
178 f. 384. 392. 517 f. 520 f. 529.
777 ; Gregor X., Martin IV., Ni-
kolaus LV; Bonifaz VIII. 384. 520.
529 ff. ; Johann XXII. 384. 392.
767; Clemens VI. — Urban VI.
385 f. 391(?). 702. 767 f. 786; Jo-
hann XXlil. 384; Martin V. 3«9 ;
Eugen IV. 386; Pius IL 184;
Innocenz Vni. 771; Alexander VI.
768. — S. Registerbücher.
Papstkataloge 372. 692. 704 ff. 709.
Päpstl. Finanzwesen 386; Poeniten-
tiaria 386; Secretariat 384. 768;
Suppliken 389. 532. 784; Urkundeu-
wesen 384. 766 f. — S. Gesta
pont. Rom.
Paris, Generalcapitel der Franzis-
kaner 773.
796
Register.
Passau, Fälschunofen 559. 769; S.
Nikolaus (Errichtung und Privi-
legien) 695.
Passio Adalberti 372 ; Afrae 289 ff.
750 f. ; Floriani 535 ff. ; Gorgonii
372 ; Irenaei ep. Sirm. 552 f. 558 ;
dorn, papae 393.
Passionarium malus Sangall. 555. 561.
Paulinus von Aquileia 472. 47-i.
Paulus diaconus 9. 394.
Peilstein, Lehenskatalog 771.
Petrocinus von Ravenna, Inventar
seiner Bibliothek 369.
Petrus , päpstl. Bibliothekar und
Kanzler 766.
Petrus Cantor Parisiens.(Remens.) 782.
Petrus Damiani 729. 733.
Petrus de Herentals 757.
Petrus Lombardus 382.
Petrus Ravennatis s. Pietro Rav.
Petrus von Riga 785.
Petrus de Tuderto 375.
Petrus de Vinea 531.
Philipp II. August, Regesten 776.
Philippe de Beaumanoir 762.
Phillipps, Sir Thomas, catalogue of
mss. 746 ff. 773.
Piemont, Bischofslisten und Diöcesan-
grenzen 748 f.
Pietro Ravennate 736 ff.
Pisa, Generalcapitel der Franziskaner
773; Konzil 383.
Placita 6.
Plinius, mal. Excerpte 370.
Poetae latini 8. 393. 395 ; s. Carmina.
Poeta Saxo (Gesta Karoli) 649. 752 f.
Polen, Geschichtschreibung 231 ff.
Polidoro, Fälschungen 180 ff.
Fölling, Gründungsgeschichte 681 ff.
Prag, Rechtsbuch 761.
Prämoustratenserklöster, Gründungs-
jahre 681.
Prophetiae 692. 709. 782 f. ; s. Sibylle.
Prosper 11.
Protonotar in Frankreich 389.
Prüm, Lectionar 396.
Pseudoisidor 381.
Pseudomethodius 782.
R.
Rainei von Lüttich 785.
Rainer von Siena 385.
Rangk, Sebastian 673. 704. 708 ff.
Rasso von Andechs 686.
Rechnuno^en, Werden 396.
Reformation, Maximilians 783 ; Sig-
munds 758. 783.
Regensburg , geschichtl. Aufzeich-
nungen 697.
Regesten: Aurolzmünster 776;
Blassenberg 392; Breidenborn 390 ;
Constanze (Kaiserin) 224 ff. ; Cre-
mona 779; Hermann von Landen-
berg 776; Lothar III. 763; Loth-
ringen 775; Philipp IL August
776; Rudolf I. 775; Saarburg
390 f.; Sigmund 392; Stadthagen
776 ; Staufer 123 ff. ; Suger von
S. Denis 776; Tirol 776; Trient
776; Wien 778.
Regino 4. 401. 417 f. 420. 424. 428.
434 f. 437 f. 446. 451. 455 f. 463;
s. Continuat. Reginonis.
Registerbücher der Notare von Ge-
nua 775; der Päpste 7. 384 ff. 768.
777; Gregorii I. 6. 349.
Regula s. Benedicti 394; Magistri
394.
Reichenau, Beziehungen zur Schule
von Tours 370 ; Confraternitäts-
verzeichnis 779 ; Xecrolog 395.
Reichsinsignien 389.
Reitenbuch , Gründungsgeschichte
6b0 f.
Relationsvermerk in der franz.Kanzlei
389.
Remigius von Reims, Testament 570.
Rheinprovinz, Archive 370.
Rhythmen , an Heinrich III. 393 ;
auf Otto II. 729. — S. Versus.
Ricardus de Pofis 505. 523. 525.
Ricobald von Ferrara 739 f.
Riculf 752.
Rigord 776.
Robert de Clary 755.
RocznikKrasinskich(Dominikanskich
Krakowskich) 237; Kujawski 237;
Wielkopolski 236 ff. 247. — S.
Annales.
Roderich von Toledo 756.
Rodulf Glaber 754.
Rom s. Colonna, Evano-eliar.
Römisches Recht 18 ff. 30 ff. 59 f.
71 ff. 341 ff. 349 ff 573. 579 ff.
744. 759.
Rudolf I., Plan eines Erbreichs 773 f.
Rudolf I., Kurf. v. d. Pfalz und Hzg.
V. Oberbayern, genealogische Auf-
schreibungen 676.
Rudolf von Fulda 434.
Rudolf von Fölling 708.
Register.
797
Saar, Geschichtschreibung 756.
Saarburg, Process über die Reichs-
unmittelbarkeit 390.
Sachsen, Cod. dipl. 777.
Sachsenspiegel 599. 760.
Salvianus 9.
Salzer Frieden (803) 753.
Salzburg, historische Stücke 704;
Urkunden 774; ÜB. 389.
Samland, ÜB. 392.
S. Bertin, Urkunden 392.
S. Denis, Besitzstandsverzeichnis 776.
S. Fides s. Schlettstadt.
S. Gallen, Necrolog 395.
S. Trond, Abtswahl 382.
S. Vanne s. Verdun.
S. Veit, Gründungsgeschichte 701.
S. Wandrille, Heiligenleben 750.
Satire auf die Geldforderungen an der
römischen Curie 522 £f.; s. Versus.
Schäftlarn, hist. Aufzeichnung 701.
Schäsberg. Archiv d. Grafen 748.
Schlehdorf, Gründungsnotiz 677.
Schlettstadt, Mss. von S. Fides 369.
Schluchsee, Archivalien 771.
Schööen, Trier 381.
Schwabenspiegel 599.
Schwedisches Recht s. Nordisches
Recht.
Scriptores latini varii 3 f. 370 ff. 749 ff.;
rerura Merovingicarum 4. 744. 752.
Seemannshausen , Gründungsnotiz
702.
Seligenthal , Xotiz über Begräbnis
der Gründerin 701.
Sempach, Notiz über die Schlacht
686.
Series ducum Bavariae 701.
Sermones 747 f.
Serviten 374 f.
Servitia miuuta 385.
Sibylle, Tiburtinische 782.
Sicilien, Briefe saec. XIII. 7 ; Stil-
übung betr. d. sicil. Vesper 531 :
s. Habsburger.
Sidonius Apollinaris 9. 119 f. 560.
561-, 568 f.
Sigebert von Gembloux 785.
Sigmar von Kremsmünster 376.
Sigmund, Regesten 392. — S. Re-
formation, Reichsinsignien, Visio.
Sinsheim, Rechtsquellen 379.
Smaragdus 394.
Sofia von Pratovecchio und Rosano
774.
Speculum perfectionis 374. 755.
Sprüche, deutsche 5; lateinische 870.
762.
Stadtbücher, Stadtrechte, Stadtver-
fassung: Baden und Elsass (Ober-
rheinische Stadtrechte-) 378 f. 761;
Habsburgische Städte 379. —
Amam 762; Arau 380; Brescia .381 ;
Freiburg i. B. 380; Görlitz 381;
Hagenau 380; Koblenz 379; Köln
379; Lübeck 761; Oscherslebeu
381; Prag 761; Steenbergen 381;
Strassburg 761. 777; Trani .381;
Worms 378.
Städtebünde, Wetterauer 380.
Stadthagen, Regesten 776.
Statuta "Bonifatii 462.
Steenbergen, Rechtsquellen 381.
Stefaneschi, Cajetan 750.
Steingaden , Gründungsgeschichte
681; Urkunden 708.
Stettfeld, Archivalien 771.
Steuerverzeichnis, städtisches aus der
Zeit Friedrichs IL 6. 378. 760.
Strassburg, Generalcapitel der Fran-
ziskaner 773; Stadtrecht 761; ÜB.
776 f. ; städt. Urkunden 777.
Suger von S. Denis, Itinerar 776.
Symmachus, Q. Aurelius 9.
Synodi Karolingicae 5. 457 ff. 745 ;
Visigothicae 15 ff. 46 ff. 605. 613 ff.
747. — Aachen (802) 633. 6481".
670, (817) 299, (836) 762, s. Syn.
Karol. ; Basel 386 ; Konstanz 376 ;
Langobardische (unbek.) 394; Pisa
383 ; Rom (743) 381, s. Syn. Kar.
Toledo (694) 312, s. Syn. Visig.
Tours (567) 81. 87; Turin 749
Vienne 767.
T.
Tartarennot, Ptundschreiben der Car-
dinäle (1261) 517 ff.
Tassilo, Gründung von Fölling und
Ende 681 ff.; Privatio Tassilonis
684.
Tauberbischofsheim , Rechtsquellen
379.
Taxatio ecclesiarum orbis 747.
Tegernsee, Gründungsgeschichte 675.
704.
Testamente, westgothische 26 ff. 88.
114 ff. ; s. Remigius.
798
Register.
Textus Roffensis 759. !
Thann, hist. Nachrichten 774.
Theodulf von Orleans 462.
Thierricus Vallicolor 375.
Tholomeo von Lucca 747.
Thomas von Capua 525. 532.
Thompson, Henry Yates, catalogue
of mss. 748.
Thüringen, Urkunden der Landgrafen
777.
Tirol, Regesten zur Kunstgeschichte
776; Urkunden 774.
Tolosanus 741.
Toscana, Verwaltung unter Friedrich
I. und Heinrich VI. 774 f.
Tours, Schule von 370.
Trani, Stadtrecht 881.
Trient, Regesten 776.
Trier, Handschriften von S. Sinieon
und Ordnung für die Beamten
des Domcapitels 396; Schöffen-
gericht 381.
Tschudi, Urkundenfälschungen 768.
r.
Ungarn , Geschichtsquellen 755 ; s.
Habsburger.
Universalhistoriker 368.
Unterrichtswesen 3S2.
Urban V., Acten 757 ; Rückkehr nach
Rom 386.
Urkunden 375. 378 f. 384. 388 ft'.
395. 466 ff. 708. 748. 755. 772 ff.
778 f. 784; fränkische 28. 112 f.;
normannische 383. 765. 771 f. ;
römische 19 f. 31; westgothische
13 ff. — saec. VII. Ansoald von
Poitiers 769 ; Chlodoveus II. 321. —
saec. VIII. Chrodegang von INIetz
468; Tassilo von Bayern 470. —
saec. IX. 770; Agobard von Lyon
489 ; Alberich von Laugres 488 ;
Aldrich von Le Mans491; Aldrich
von Sens 494; Angilbert von Mai-
land 492; Ebo von Rlieims 489;
Erispoi von der Bretagne 770;
Folcuin von Terouanne 495; Fro-
thar von Toul 491; Geilo von
Langres 769; Theoderich von
Chie'ti 491. — saec. X. 389. 391;
Adalbertl. von Italien 770; Rudolf
von Frankreich 387. — saec. XL
391. 676. 772; Adaiger von Worms
725 ff. ; Ernst von Oesterreich 390 ;
Roger von Sicilien 383. 772. —
saec. XII. 210. 219. 388. 390 f.
697. 701. 762. 771 ff. 775 ff.; Bar-
tolomeo von Luce 128 f. ; ßurchard
von Asuel 142 f. ; Christian von
Mainz 130 ff. 146 ff. 194; Dipold
von Acerra 135 f. ; Embricho von
AVürzburg 773; Roger von Sicilien
383; Tancred von Sicilien 383;
Wilhelm IL von Sicilien 771. —
saec. XIII. 205. 390 ff. 466 ff. 692.
738. 771 ff. 777 f.; Heinrich von
Utrecht 396 ; Leopold IL von
Osterreich 390 ; Liutpold von
Worms 135 ; Manfred Lancia 190 f.;
Manfred von Sicilien 135 f. 178 ff.
186 ff. 212. 766 ; Pandulf von Fa-
sanella 152; Percival d'Oria 206. —
saec. XIV. 210. 378. 380. 390 ff.
396. 525. 697. 747. 774. 776 ff. ;
Albrecht und Lupoid von Oester-
reich 771; Johann II. von Frank-
reich 772 ; Karl IL von Neapel
179. — saec. XV. 382. 390 f. 396.
529. 747. 762. 772. 774. 776 ff. ;
Alfons I. von Neapel 201; Ernst
von Magdeburg 396 ; Ferdinand I.
von Neapel 184; Ladislaus von
Neapel 136 ; Ludwig III. von An-
jou (Hzg. von Calabrien) 135 f. ;
Paulus von Reggio 201 ; Peter
von Hagenbach 774. — S. Kaiser-
urkunden, Papsturkunden, Placita.
CJrkundenbücher: Affligliem 392;
Angers 754; Arras 778; Bordeaux
778; Chälons s. M. 778; Cremoua
779; Engelberg 778; Gurk 777
li agenau 391; Heylissem 392
Mähren 777 f.; Nonnberg 778
Novalese 779; Osnabrück 392
Sachsen 777 ; Salzburg 389 ; Sam
land 392; S. ßertin 392; Strass-
burg 776 f.; Wien 778; Zürich
777.
Usuard 299.
Utrecht, Gilden 380.
V.
'Vadian 758.
Venantius Fortunatus 9.
Venedig, Vertrag mit Verona (1107)
762.
Vercelli, Kaiserurkunden und Notitia
387 f. ; Weihe von S. Maria Mag-
giore und Zeugenaussagen über d.
kaiserl. Bischöfe während des In-
vestiturstreits 749.
Register.
799
Verdun, Bibliothekskatalog von S.
Vanne 369.
Verona, Urkunden 784 ; Verträge 762.
Versus 393 f. 523. 586. 728 f. 747 f.
767 ; de Roma 781. — S, Günther
der Eremit.
Victor Vitensis 9.
Vienne, Greschichtsquellen 751 ; Kon-
zil 767.
Vignier, Urkundenfälschung 770.
Vilich, Archivalien 370.
Villers-en-Brabant, Weihe der Altäre
395.
Vincenz von Beauvais 696. 749.
Visconti, Urkunden 771 f.
Visio 783.
Vitae paparum 755 ; sanctorum 748 f.
751. — Adiutoris 763; Adalberti
372; Afrae 289 ff.; Albani 746;
Alexandri regis 236. 746; Aniani
560 f. 564 f. 569 f.; Annonis 781;
Ansberti 750 ; Arbogasti 751 ;
Aridii 570 ; Aureliae 698 ; Aurelii
750; Bonifatii 747; Bridgettae
747; Cassiani 747, Coelestini V. =
Petri de Murrone; Condedi 750;
Dagoberti III. 423 ; Dionysii s. Hil-
duin; Eldradi 779; Elyzabethae
reg. 747; Epiphanii s. Ennodius ;
Eremberti 750; Florentii 553;
Francisci s. Speculum perfectionis ;
Galli 779; Gallicani 748; Gangolfi
748; Germani Autissiodorens. 566;
Goaris 748; Guidonis Aquens.
749; Hathumodae 753; Heinrici
imp. 676. 747; Heriberti 781;
Innocentii IV. 755; Karoli s.
Einhart; Karoli IV. 782; Kune-
gundis imper. 747 ; Lantberti 750 ;
Leonis IV. 372 ; Leonis IX. 373 ;
Liudgeri 663 ; Lupi Trecens. 559 ff. ;
Martialis Lemovicens. 751 ; JMauri
ab. Glannafolii 569; Memorii 560 ff.
569 f. ; Methodii 384 ; Odilonis
733; Ottonis Bambergens. 746;
Pantaleonis 748; Petri de Murrone
750; Pirminii 748; Quirini 675;
Rosae de Viterbio 748; Servatii
560 f. ; Severini 4. 9. 11 f. 368.
555. 567 ; Sigiramni 542 f. ; Sigis-
mundi reg 748; Solemnis 371;
Stanislai 236 ; Stephani 382 ; Syagrii
314 ; Urbani IV. 375 ; Urbani V.
757 ; Wandregisili 750 ; Wulframni
750.— S. Genealogia, Gesta, Passio.
Volz, Paul 759.
Neues Archiv etc. XXIV.
w.
Walldürn, Rechtsquellen 379.
Walram von Naumburg 372.
Waltharius 8. 781.
Walther VI. von Brienne 385.
Walther von Speyer 8.
Walther s. Gualtherus.
Weichard v. Polheim s. Contin.
Weihenotizen 895. 748f. 757. 777.784.
Weinhart, Simon 711.
Weinheim, Rechtsquellen 379.
Weissenburg, Handschriften und Tra-
ditionsbuch 779.
Wels, Urkunde 773.
Weltchronik, schwäbische 428 ff. 439.
441. 443.
Werden, Heberegister und Rech-
nungen 396.
Wessobrunn , Gründungsgeschichte
685.
Wetterau, Städtebünde 380.
Wetzlar s. Frankfurt.
Weyarn, Gründungsnotiz 692.
Wien, Geschichtsquellen 778.
Wiesbaden im Steuerverzeichnis aus
der Zeit Friedrichs II. 760.
Wigand von Marburg 236.
Wilhelm von Jülich, Treueid (1332)
767.
Williram von Ebersberg 750.
Windberg, Gründungsnotiz 697 ; Le-
gendär 750.
Windeck, Eberhart 376.
Wipert, Einsiedler s. Günther.
Wipo 754.
Witteisbacher, genealogische Notizen
702.
Woffsleben, Weihenotiz 784.
Wolff-Metternich, Archiv d. Grafen
370.
Wolfgang von Baiern, Notiz über
den Tod 710.
Wolfhard von Herrieden 750.
Wolfram, Mönch 874.
Worms, Concordat 760 ; Fischmarkts-
ordnung 378.
Wulfhad 381.
Z.
Zobel, Archiv d. Freiherrn 391.
Zollordnung, Lübeck 761.
Zülpich, Archiv 370.
Zünfte: Greifswald .380; Unteritalien
183; Utrecht 380; Worms 378.
Zürich, ÜB. 777.
51
Hannover.
Druck von Friedrich Culemann.
DD Gesellschaft für lUtere
2 Deutsche Geschichtskunde zur
G32 Beförderung einer Gesaram-
Bd,24. tausgabe der Quellenschriften
Deutscher Geschichten des
Mittelalters
ifeues Archiv
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