Neues Archiv
für
Sächsische Geschichte
und
Altertumskunde.
Herausgegeben
vou
Dr. Hubert Ermisch,
K. Archivrat.
Elfter Band.
Dresden 1890.
Wilhelm Baensch Verlagshandlung.
THt GETTY CENTER
LiBSARY
Inhalt.
Seite
I. Die Feste Gvozdec bei Meifsen. Von Ober-
lehrer Dr. Gustav Hej^ in Döbeln .... 1
II. Die Pröpste des Kollegiatstifts St. Petri zu
Bautzen von 1221—1562. Von Prof. Dr. Her-
mann Knotlie in Dresden 17
III. Die Beziehungen Philipp Melanchthons zur
Stadt Zwickau. Von Oberlehrer Dr. Ernst
Fabian in Zwickau 47
IV. Michael Bapst von Rochlitz, Pfarrer zu Mo-
horn, ein populärer medizinischer Schrift-
steller des 16. Jahrhunderts. Von Dr. med.
Eduard Schubert in Frankfurt a. M. und Dr.
med. Karl Sudhoff in Hochdahl bei Düsseldorf 77
V. Zur Politik Sachsens in der Zeit vom west-
fälischen Frieden bis zum Tode Johann
Georg II. Vom Direktor des Hauptstaats-
archivs Geh. Regierungsrat Dr. Paul Hassel
in Dresden 117
VI. Zur Statistik der sächsischen Städte im Jahre
1474. Vom Herausgeber 145
VII. Kleinere Mitteilungen 154
1. Eine Grabschrift auf Herzog Albrecht von
Sachsen. Von Archivrat Dr. Theodor "Distel in
Dresden. S. 154. — 2. Testierfähigkeit vor erfüll-
tem 14. Lebensjahre (1554). Von demselben. S. 155.
— 3. Ein Urnenfund im 16. Jalirhundert. Von
Oberlehrer Dr. Georg Müller zu Dresden. S. 15H.
— 4. Kurfürstin Magdalena Sybille als Verfasserin
des Entwurfs zur- Kleiderordniuig von 1628. Von
demselben. S. 156. — 5. Zur Chronik Dresdens
und zu einem verschollenen Manuskripte Anton
Wecks. Von Archivrat Dr. Theodor Distel. S. 160.
Litteratur 162
VIII. Die Gefangennahme des Landgrafen Philipp
von Hessen 1547. Von Oberlehrer Dr. S. Ils-
leib in Leipzig 177
IX. Zwei Unterrichtspläne für die Herzöge Johann
Friedrich IV. und Johann zu Sachsen- Weimar.
Von Professor Dr. Georg Müller zu Dresden 245
IV Inhalt.
Seite
X. Die Dresdner Malerinnung. Von Dr. Karl
Berling in Dresden 263
XI. Kursächsische Kirchenpolitik im dreifsig-
jährigen Kriege (1619 — 1622). Von Archiv-
sekretär Dr. Ludwig Schwabe in Dresden . 282
XII. Matthias Oders grolses Kartenwerk über
Kursachsen aus der Zeit um 1600. Von Prof.
Dr. Alfred Kirclihoff in Halle 319
Litteratur 333
Besprochene Schriften.
Auerbach, La diplomatie fran^aise (Hassel) 117
Baumgärtel, Die kirchlichen Zustände Bautzens (G. Müller) 167
Beiträge zur sächsischen Kirchengeschichte V (G. Müller) . . 338
Dibelius, Die Einführung der Reformation in Dresden (G. Müller) 167
Ermisch, Das Freiberger Stadtrecht (Schum) 163
Hering, Mitteilungen aus dem Protokoll der Kirchen- Visitation
im sächsischen Kurkreise (G. Müller) 168
Ritter, Deutsche Geschichte im Zeitalter der Gegenreformation
(Wolf) 333
Rüge, Die erste Landesvermessung Sachsens ausgeführt von
Matth. Oeder (A. Kirchhoff) ' 319
Schwalm, Die Landfrieden in Deutschland (Erraisch) .... 166
Steche, Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunst-
denkmäler des Königreichs Sachsen. Heft9—11(A. Schultz) 170
Stefan, Urkundliche Beiträge zur Praxis des Volksschulunterrichts
(G. Müller) 337
Wustmann, Quellen zur Geschichte Leipzigs I (R. Wuttke-Biller) 169
Die Feste Gvozdec bei Meifsen.
Von
Gustav Hey.
Unter die Hunderte von verschwundenen Ortschaften
unseres Sachsenhmdes, Avelchen der eine oder andere der
vielen auf unserem Heimatsboden ausgefochteneu Kriege
den Untergang' gebracht hat, und die wir heute als
Wüstungen oder wüste Marken bezeichnen, sind auch
solche Örtlichkeiten zu rechnen , die einstmals als feste,
umwallte Plätze, slavisch grad, deutsch Burgwart,
lat. hurgiuardus, castrum oder castellum, in Zeiten der
Kriegsnot zu Schutz und Trutz gedient haben, zum Teil
ohne sonst ständig bewohnt zu sein, und von denen mehr-
fach ebenfalls nichts als der Name übrig geblieben ist.
Ja infolge der in diesem Falle leicht erklärlichen gründ-
lichen Zerstörung ist es öfters mit Schwierigkeiten ver-
bunden, die Stätte, an welcher ein solcher Name haftete,
genauer zu ermitteln. So ist unter andern zu nennen
castellum Hivoznie in pago Dalminze oder hiircwardus
Gozne, Goze (981. 1214. 1222), in welchem man eine ehe-
malige Feste auf dem Treppenberge bei Sachsenburg an
der Zschopau vermutet, burcirardus Trebista oder Ti^ehiste
mit einem Dorfe Rocina (100(3. 1071) im Milzenergau,
ferner hurgirardus Titihutzien oder Titihuzie, welclies
von Thietmar (Clu'on. VIII) in Verbindung mit Rochlitz
Neues Archiv f. S. U. u. A. XL 1. 'i.
2 Gustav Hey:
erwähnt und einer näheren Angabe vom Jahre 1090
gemäfs auf den Burgberg bei Lastau bezogen wird^).
Eine besondere Bedeutung für die Gegend von Meilsen
besals eine alte Feste, welche in einiger Nähe von der
Stadt lag und in des Cosmas von Prag Chronica Boe-
morum (Mon. Germ. SS. IX) an drei Stellen zur Er-
wähnung kommt, das verschollene Gvozdec (spr. Gwos-
dez), über dessen Örtlichkeit bisher nur ganz unsichere
Vermutungen aufgestellt worden sind; die nachfolgende
Darlegung soll die noch offene Frage zu einem hoffent-
lich befriedigenden Abschluls bringen.
Es ist zunächst erforderlich und, wie sich zeigen wird,
von entscheidender Wichtigkeit, den Namen selbst genau
festzustellen. Derselbe lautet bei Cosmas an den drei
Stellen Ouozäec, wofür von verschiedenen Gelehrten, wie
V. Gersdorf, Preusker, Posse u. s. w., ganz irrtümlicher
AVeise Guozdek gesetzt worden ist; denn nicht Kehllaut
ist der auslautende Konsonant des Namens, sondern dem
slavischen Brauche gemäls Zahnlaut. Das beweisen ein-
mal verschiedene andere bei dem böhmischen Chronisten
erwähnte slavische Namen, bei denen c entschieden nur
als z zu fassen ist, wie Satec (auch Satz) = tschech.
Zatec, Saaz, Gradec = tsch. Hradec, Camenec = tscli.
Kamenec, Olomuc = tsch. Oloniouc, 01m ütz u. s. w.,
während auslautendes k wirklich mit diesem Buchstaben
bezeichnet wird, wie Vecek, Wececk, Tiirkk, Zlaunik,
(Slavmk,) Detrissek (Detrüek, kleiner DietrichJ u. a.
zeigen; sodann entspricht Ouozdec genau dem sechsmal
in Galizien sich findenden Owozdicc und dem böhmischen
Hvo.idcc-) bei Beraun und bei Budweis, wobei indes nicht
unerwähnt bleiben soll, dafs allerdings auch ein urkund-
liches Givozdek in Schlesien sich findet. Das sorbische
^) Kreysig-, Beiträge zur sächsischen Geschichte VI, 36 und
Hingst, Mitteilungen des Königl. Sächsischen Altertumsveieins
XXIII, 24 haben in dem Teitzig- Walde hei Colditz die Stätte des
alten Titibutzien zu finden vermeint; indes haben die beiden Namen
keine Gemeinschaft miteinander. Der Teitzig heifst 1265 Tjjzk und
entspricht dem Ortsnamen Tisch in Böhmen, d. i. der Ideine Lärcheu-
wald, Eihenwald, während Titihutzie wahrscheinlich einen Personen-
namen Tetihud (vgl. Tctislav, Tctimiü) in der Adjektivform darstellt,
Avie Muzelhuze oder Meuselwitz von Myslihnd, Meldahudzie polu.
von Mcldahnd.
-) Im Tschechischen und im AVendischen der Oberlausitz ist h
der Vertreter des älteren im Altslovenischen, Polnischen, Nieder-
wendischen erhalteneu "•.
Die Feste Gvozdec bei Meifsen. 3
Ovozdec, wie wir nun besser als Guozdec schreil)en, pol-
nische Givo.idicc und tschechische Hvozdcc erklärt sich
als tschechisches Maskulinum livozdec, altslovenisch gvoz-
dki, polnisch gvozdiec = Wäldchen, kleiner Bergwald,
Diminutiv vom altslovenischen gvocdr, neusl. gozd, tschech.
Jwozd, dichter Wald, Bergforst, Waldberg.
Da unser Ovozdec zweimal als castrum prope urhem
Missen, einmal als oppidum bezeichnet und zugleich von
einer Verlegung der ursprünglichen Feste an einen andern
Ort berichtet wird, ohne dals eine noch genauere Orts-
angabe hinzugefügt würde, so beziehen Ursinus (1778)
und Preusker (Vaterländische Vorzeit III, 18) die zwei-
fache Örtlichkeit auf die hohe Eifer beim Götterfelsen
südlich von Meilsen und den Keilbusch nördlich von der
Stadt, Leuber und Posse auf Coswig"), Schöttgen (1745)
auf Grofsenhain, das alte slavische Osek, die letzteren
offenbar verführt durch die Klangähnlichkeit zwischen dem
fälschlich angenommenen Guozdek und den genannten
zwei slavischen Namen. Neuerdings hat Schöttgens An-
sicht Wiederaufnahme und Verteidigung durch G. Schuberth
in dem Schriftchen „Gvozdec = Grolsenhain" (1889) ge-
funden^).
Um die wahre Lage der alten Feste vorerst wenig-
stens annähernd zu ermitteln, bedarf es einer genauen
Verfolgung dessen, was uns Cosmas davon erzählt. Im
zweiten Buche seiner böhmischen Chronik unter dem
Jahre 1087 berichtet derselbe: Rex (Boemiae) Wratislaus,
colledo exercitu, intrat Zrhiam (= Sorabiam, Misniam),
quam olim Imperator Heinriciis in 2->erpetuum sihi liahen-
dam tradiderat Et dum quoddam castrum nomine
Guozdec prope urhem Missen reaedificat, cdiis insistenti-
■•) Codex dipl. Saxoniae regiae I. 1, 105, Anm. 132 meint Posse,
dals Guozdec offenbar eine GegeuAvehi" zu Meifsen, dementsprecheiid
auf das jenseitige Eibufer zu verlegen sei, wobei ihm ein Versehen
im Gebrauche von links und rechts unterläuft, gerade wie S. 192, II.
2. Absatz zwischen Osten und Westen, oberhall) und unterhalb.
') Diese Arbeit gründet sich hauptsächlich auf eine lange
zwischen dem Verfasser und mir geführte briefliche Auseinander-
setzung. Nachträglich erst .ist mir bekannt geworden, dafs hin.sicht-
lich der vielumstrittenen Örtlichkeit von Gvozdec durch Koepke in
seinei' Ausgabe des Cosmas (1847) und durch von Heinemann, Albrecht
der Bär (18H4) die Ansicht, welche im folgenden vertreten wei'den soll,
teihveise bereits g(dtend gemacht worden ist, doch ohne tiefer ein-
gehende ]3egründung.
1*
4 Gustav Hey:
his operi mittit duas scaras ex dectis militlhus cum filio
suo Brecülao nltum ire olim sibi iUatae imuriae^).
Mit dieser Stelle ist zu verbinden, was zu dem
folgenden Jahre 1088 von Cosmas erzählt wird: Contigit,
ut iterwm rex Wratislaus Zrhiam cttm suo exercitn in-
traret, quo praedictum castrnm Guozdec in aUum firmiorem.
locum trcmsfcrret Hiernach wird die in der Nähe von
Meifsen gelegene Feste Gvozdec, Avelche unter die nach
dem Bericht des Lambert von Hersfeld zum Jahre 1076
durch den Markgrafen Ekbert von Meilsen zerstörten
Burgen gehört, durch den mit Sorabien belehnten Wrati-
slaw, welcher von Böhmen her durch den Miriquidi-Wald
in das Sorbenland, und zwar den Gau Nizane, also in
die Dresdner Eiblandschaft einrückt, wieder aufgebaut,
aber nach neuerlicher Zerstörung bei einem zweiten
Zuge an eine gesichertere, der ursprünglichen immer noch
nahe Stelle verlegt. Wie wäre die Beibehaltung des
Namens „kleiner Bergwald, Wäldchen" zu rechtfertigen,
wenn eine Verlegung in eine entferntere Gegend statt-
gefunden hätte? Bei diesem zweiten Zuge nimmt Wrati-
slaw, wie er schon mit dem ersten enie' That der Rache
verbunden hatte, die Gelegenheit wahr, einen edeln und
tapfern böhmischen Kriegsmann Beneda unschädlich zu
machen, der vor ihm hatte flüchten müssen und jetzt
nach Verlauf von zwei Jahren bei Bischof Benno in
Meilsen sich aufhielt, um durch dessen Vermittelung die
Gunst seines Herrn wieder zu erlangen. Der König, der
des Beneda Aufenthalt erfahren hatte, entbietet denselben
zu sich, und da der Arglose alsbald vor ihm in Gvozdec
'0 Es sei nämlich, so wird weiter erzählt, kurze Zeit vorher
hei Gelegenheit der Rückkehr von des Kaisers Hofe dem ehen zum
Könige erholjenen Wratislaw widerfahren, dafs er in einem ansehn-
lichen Dorfe Kyleh ühernachtend plötzlich überfallen und ein Teil
seiner Begleiter von den Bauern erschlagen wurde. Jetzt hätten
nun die zur Rache ausgesandten zwei Scharen nach zweitägigem
angestrengtem Marsche (festinantes die et noctu terüa Ince summa
dilncnlo) Kyleb erreicht, angegriffen und ohne alle Schonung ge-
plündert und niedergebrannt und dann mit der Beute sich Avieder
unversehrt auf den Heimweg gemacht. Unter diesem Kyleb ist
möglicherweise die jetzige Wüstung Culba oder Colba westlich von
Leipzig bei Priestäblich zu verstehen, die von der Meifsner Gegend
aus genau in der angegebenen Zeit zu erreichen ist; freilich steht
dieser Bestimmung, wie Schuberth bemerkt, die spätere auf jenen
Vorgang bezügliche Angabe des Cosmas in partibus Saxoniae an-
scheinend entgegen.
Die Feste Gvozdec bei Meifsen. 5
ersclieintj wird er nach tapferer Gegenwehr überwältigt,
erschlagen nnd noch im Tode gemifshandelt.
Da nnn hei diesen zwei Heerzügen weder eine Be-
rührung Meilsens, noch auch, und dieser Umstand ist
von Wichtigkeit , eine Überschreitung der Elbe erwähnt
wird, die Nähe von Meifsen aber aus mehrfachen An-
gaben — der ausdrücklichen Bezeichnung propc. urheni
Missen, der zweimaligen von Meilsen aus erfolgten Zer-
störung der Feste, dem raschen Erscheinen des Beneda
von Meilsen her — aufs bestimmteste dargethan ist, so
mufs man schon hiernach zu der Annahme kommen, dals
Gvozdec oberhalb Meilsens, nach Dresden zu, auf einer der
Höhen des linken Eibufers gestanden habe, und dals weder
an Coswig oder den Keilbusch, noch gar an Groisenhain-
Ossek zu denken ist, welches letztere als Stadt von der durch
Schuberth angenommenen Bedeutung des Zusatzes j^'^W'^
urheni Missen nicht bedurft hätte und sich auch nicht wohl
als in der Nähe von Meilsen gelegen bezeichnen lälst.
Die dritte ErAvähnung unserer Feste fällt in das
Jahr 1123, in die Zeit, avo entgegen den Absichten des
Kaisers Heinrich V. Herzog Lothar von Sachsen nach
dem Tode Heinrichs des Jüngeren von Eilenburg dessen
Verwandten, den Grafen Konrad von Wettin, an Stelle
des Grafen Wiprecht von Groitzsch in den Besitz der
Mark Meilsen bringt. Zur Wiedereinsetzung des von
Lothar vertriebenen Wiprecht werden vom Kaiser die
Herzöge Wladislaw von Böhmen und Otto von Mähren
mit Heeresmacht im Sorbenlande zu erschehien aufge-
fordert. Hisäem diehns, heilst es bei Cosmas im 3, Buche
(ebenso bei Annalista Saxo), dux WadisJaus et Otto,
sicut praeceperat eis imperator, tarn Boemiae quam Mora-
riae coadunato exercitu, transeuntes silvam, metati simt
casfra idtra opindnm Giiozdec, ex adverso pracdidi ducis
(Lothar). Praesul autem Mucjimtinus ("Erzbischof Adalbert
von Mainz) et comes Vigbertus circa (citra) finvium Mul-
tava stahant gravi cum multitudine armata. Saxones
autem posiii (!) castra in medio dirimehant cos nee sinc-
hant insimul coire adrersarios suos. Also die beiden
Slavenfürsten rücken mit vereinter Heeresmacht auf dem
gewöhnlichen Heerwege über den Miriquidi in den Gau
Nizane ein, nördlich über Gvozdec hinaus **) und schlagen
") Seiner vorgefafsten Meinung- zuliebe läfst Schubertli das
Heer, nachdem es in die Dresdner Landschaft eingerückt ist, dort,
6 Gustav Hey:
in dessen Nähe den Sachsen gegenüber ihr Lager, indem
sie die Feste als Stützpunkt und etwaigen Rückzugs-
platz hinter sich haben, während Wiprecht im Bunde
mit Adalbert an der Mulde, wahrscheinlich in der Gegend
von Nossen, seine Stellung nahm. Die Verbindung aber
mit dem Eibheere vereitelte Lothar in geschickter Weise,
indem er von Norden her — von Meifsen, avo er Konrad
als Markgrafen eingesetzt hatte — sein Heer nach
Süden zwischen beide Gegner schob. Für Lothar ge-
staltete sich die Sache noch günstiger, da die Böhmen
und Mälu'en, denen das kaiserliche Aufgebot sehr unge-
legen gekommen war, überhaupt gar keine Lust bezeigten,
in einen ernsten Kampf sich einzulassen. Denn nach
des Cosmas. Bericht lassen sie dem Sachsenherzog sagen:
nicht aus Übermut hätten sie die Waifen ergriffen, son-
dern lediglich auf des Kaisers Befehl zur Unterstützung
Wiprechts und Adalberts, Da diese nun nicht zur Stelle
wären, so möchten die Sachsen etwas aus ihrer Stellung
zurückweichen, damit sie selbst sagen könnten, die Feinde
seien gewichen, sie aber hätten das Feld behauptet und
die Verbündeten am verabredeten Orte erwartet. Darauf-
hin wurde es Lothar leicht, durch Vorspiegelungen in
seiner Erwidermig die Unlust der Slaven zum Unmut
und zum Milstrauen gegen den Kaiser zu steigern und
sie zum Abzüge zu bewegen. His auditis, sagt Cosmas,
male credidi verbis dolo compositis Boemi depopulata
regione quae est circa urhem Missen reversi sunt ad
propria. Nur um den Schein zu wahren und alter Sitte
getreu, brandschatzen sie die Gegend südlich von Meilsen
(sie waren ja idtra Guozdec) und kehren, ohne dals es
zu eigentlichen ernsten Feindseligkeiten gekommen wäre,
wahrscheiiilicli in Aukuüpfuug' au das fabelhafte Stammwort von
Dresden, trasi Fähre, über die Elbe setzen, anf dem rechten Ufer
an Meifsen vorüber weit nordwärts nach Grofsenhain ziehen nnd mm
ultra (ivozdec- Grofsenhain den Weg westwärts einschlagen, einen
zweiten Elbüliergang- bei Merschwitz ausführen und in der Eiesaer
Gegend — ultra Gvozdec ! — dem Feinde gegenüber das Lager schlagen.
Jedenfalls gehört eine lebhafte Phantasie dazu, diesen umständlichen
Marsch mit zweimaligem Elbübergange herauszulesen aus deu
schlichten Worten: transcuntes silvam metati sitnt castra idtra
oppidnm Gtiozdec. Und ist es glaublich, dafs, während "Wiprecht
auf dem Zuge gegen Meifsen an der Mulde steht, die widerwillig zu
Hilfe kommenden Böhmen mit einem weiten, beschwerlichen Bogen-
marsche in eine Stellung nördlich von Meifsen gerückt sein
sollten ■?
Die Feste Gvozdec bei Moiiseu. 7
Wieder heim in ihr Land^), während Lothar nunmehr
gegen das Westheer sich wendet und es in die Flucht
schlägt.
Auch diese Darstellung führt zu dem unumstölslichen
Ergebnis, dals Gvozdec im Südosten von Meilsen auf dem
Hnken Eibufer gelegen haben muis.
Nun findet sich freilich in der zuletzt angezogenen
Stelle ein xlusdruck, von dem es scheinen möchte, als
könnte er dieses Ergebnis doch in Frage stellen; es ist
oben nicht von dem castrum, sondern von dem opptdum.
Guozdec die Eede, also anscheinend von einer Stadt, und
eben diese Bezeichnung ist für die älteren Forscher so-
wohl, als auch namentlich für den jüngsten Untersucher
unseres Gegenstandes die Hauptveranlassung gewesen,
Guozdec als gleichbedeutend mit Grofsenhain anzusehen.
Allein dagegen ist mit aller Entschiedenheit geltend zu
machen, dals oiyptänm bei den lateinischen Chronisten
und Urkundenschreibern jener Zeit gar nicht die Stadt
bezeichnet — denn in diesem Sinne wie zugleich in der
Bedeutung Burg ist nrhs oder vlvitas in Gebrauch —
sondern lediglich die feste Burg mit ihrem Zubehör;
während castrum und castellum entsprechend dem slavi-
schen fjrad und im Wechsel mit hitrgirardus oder hunj-
■imrdiuni zumeist die kleinere umwallte oder verpallisadierte
Feste und bei der Erweiterung des Ganzen den eigent-
lichen festen Hauptbau bezeichnet, ist unter oppidmn,
auch mit dem Zusätze munitum, die grölsere Burg oder
die Feste in ihrem ganzen Umfange zu verstehen^). So
wird die Rudelsburg, die doch niemals Stadt gewesen
ist, teils als castrum, teils als oppidum Eutlcihisberg be-
zeichnet; in diesem Sinne wu'd sowohl von dem castrum
wie von dem oppidiou Donhi, d. i. Dohna, bei Cosmas
III, 39 geredet ; so wird das Dorf Plötzky bei Gommern
(Magdeburg) 1221 Plozclie oppidum genannt (Brückner,
Slav. Ansiedelungen in der Altmark S. 46); so findet
sich in einer Urkunde von 1197 (Brückner S. 15) tum.
castra qucim o^ipida: so spricht Helmold Chron. Slav.
I, 88 von der Ansiedelung der Holländer in urhihus et
') Vgl. V. Webers Archiv f. d. S. Gcsdi. 1II(18R5), 77 (Hingst),
125 (Flathe). Wenn Posse Cod. Sax. I. 1, 153 in der Botschaft der
Eühnien eine List erblickt, um Lothar aus seiner Stellung zu lo(;ken,
so vertriiiit sich das schlecht mit der Bezeichnung, welche der eigene
landsmännische Chronist ihnen beilegt: male ereduH.
^) Vgl. Waitz, Deutsche Verfassungsgeschichte VIII, 197.
8 Gustav Hey:
oijpiäis Sdavorum, und ebenda stellt er unterscheidend
nebeneinander civitafes et oppida. Und zum Beweise,
dals selbst urhs und civitas nicht immer einen gröfseren
Wohnort bezeichnen, sondern oft nur einen festen Platz,
mögen noch folgende Angaben dienen. Die mit dem Dorfe
Kabelitz. bei Jerichow (Magdeburg) verbundene Feste
Marienburg heißt 94G Marienhorch castrum, 1150 Marien-
hurg urhem quae et CoheUtse didtur, 1172 curdtem de
hir(fi)'ivardo Kaheli? quae et Marienhun/l- dicitur: Schlofs
und Dorf Döben bei Grimma heilst 1117 urhs Deuin
bei Hoffmann, Script, rer. Lusat. I, 25, Dorf Jahna bei
Ostrau urhs Ocma bei Widukind res g. Sax. III; die
urhes Birjni, Pauc, Liidxmici und Oezerisca bei Thietmar
Chr. III, 9 sowie VII, 37 hurfju-ardus Bklmi sind die
Dörfer Püchen, Pouch, Löbnitz und Tiefensee (slav.
Jezerisko) bei Würzen und Düben; und das Dorf
Choren bei Nossen, nicht die im ehemaligen Gau Chutizi
gelegene Stadt Kohren, ist die 983 genannte civitas
Corin in pago D(üaminzü. Von weiteren Belegen kann
füglich abgesehen werden, die Beispiele dürften genügen,
um darzutlmn, dals wir unter oppidum, wie gesagt, nichts
weiter als das ausgedehntere castrum, die wohlumschanzte,
aus Mauerwerk und Pallisaden hergestellte Burg mit
den Hütten der Burgmannen zu verstehen haben, wie
auch urhs und civitas das befestigte Dorf bezeichnen
können. Da also die Bezeichnung oppidum Guozdec nur
allein darauf hinweist, dals das bisherige castrum an
seinem neuen gesicherteren Platze seit dem Jahre 1088
eine stärkere Befestigung erhalten hat, und in keiner
Weise die Beziehung auf einen gröfseren Wohnort ver-
langt, am allerwenigsten auf das für alle jene geschicht-
lichen Vorgänge viel zu weit abseits liegende Grofsen-
hain, so kehren wir nach dieser notwendigen Abschwei-
fung wieder zu unserer Behauptung zurück, dafs castrum
und oppidum Guozdec unbedingt oberhalb Meifsens auf
dem linken Ufer der Elbe gesucht werden mufs.
Wenn man nun erwägt, dafs es in der seit alters
bedeutsam hervortretenden Landschaft zwischen Meifsen
und Dresden kaum eine Ortschaft giebt, die nicht in
frühen Urkunden erwähnt würde, sowie dafs unser Gvozdec
als alter sorbischer Grad eine wichtige Örtlichkeit ge-
wesen sein muls, so dürfte es doch wohl höchst auf-
fällig erscheinen, wenn dieses letzteren nur der böhmische
Chronist, und nicht auch unsere Urkunden Erwähnung
Die Feste Gvozdec bei Meifseu. 9
thäteii. Von vornlierein muls man annehmen, dals auch
in diesen Denkmälern des Altertums die alte Feste
irgendwie verborgen steckt, wenn nicht in der von dem
böhmischen Gewährsmanne überlieferten alttschechischen
Form, so doch in einer volkstümlichen Umgestaltung.
Um zu ermitteln, wie sich Gvoidec oder Hvo.nJcc im
deutschen Munde umwandeln konnte, ziehen wir die
andern sorbischen Namen desselben Stammes und haupt-
sächlich die böhmischen Ortsnamen zu Rate. Da bieten
sich einmal das schon oben genannte casteUnm Hwoznie
oder hurcivaräiis Ooznc und Oozc, d. i. Gvozdna (wie
Hvozdnu in Mähren und der Bach Gvozäna in Gradiska),
sodann olw. Hoznica für Petershain bei Kamenz, d. i.
Or Ol' (Inka, Hrozänicc, Namensformen also, bei denen das
inlautende v und d zur beciuemeren Aussprache weg-
gefallen sind. Auf tschechischem Boden finden wir zwei
Hi-os:d=^i\\(\, zwei i?ro,i7^'C==Bergwäldchen, ein Hvozdce
und zwei Hro.idnice, auch mit Wegfall von v und d gleich
dem erwähnten olw. Ortsnamen Hoimce genannt, =
Walddorf, endlich vier Hvozd'any = Waldsassen; von
diesen lautet nun aber Hvozdnice bei Königgrätz in der
volkstümlichen Form Wosuifz und Hvozd'amj bei Pilsen
Wosdiana, indem das anlautende h (= g) sowie d vor
der bequemeren Sprechweise haben weichen müssen.
Daraus folgt, dafs Gvozdec oder Hvozdec in der deut-
schen Aussprache auch zu Wo sitz wird, statt Hwositz.
Und weiter muls nun hiernach geschlossen werden, dafs
castrum Gvozdec im Südosten von Meiisen mit dem
alten burgwardus Wosice oder Woz in provincia
Nisanen, also in der Dresdner Eiblandschaft, welches
dreimal urkundlich genannt wird, identisch ist'*). Die
tschechische Endung ec entspricht der altslovenischen ici,
die zwei fast stumme Vokale enthält; kein Wunder also,
dafs die Urkunden sowohl Wosice als auch statt Wosec
oder Wosc kurzweg Woz bieten. Wosice verhält sich
") Woz und Guozdek (!) stellt wie die oben erwähnten Kocpke
und V. Heiuemannn auch v. Gersdorf im Cod. Sax. II. 1, 37 ver-
mutungsweise, oline Begründung zusammen und ninnnt als walir-
sclieiniiche Ortlichkcit die Gegend von Weistropp au. Die Gleicli-
setzung von A\'oz mit diesem Wcistiopp, welche sich bei Weite,
Gau und Archidiakonat Nisan S. 2.5 Jiudet, wird im folgenden Wider-
legung erfahren, auch die Beziehung auf W'eiisig bei Tharandt
(Böttiger-Flathe, Gesch. v Sachsen I. 72) mufs zurückgewiesen
werden, da letzteres das sorbische Vysoka ist lloheudorf.
10 Gustav Hey:
ZU Guozdec wie Womiiz zu Hvozänke. Wie die Er-
wähnung von Guozdec in die Jahre 1087, 1088. 1123
fällt, so gehören der gleichen Zeit auch Woz und ÄVosice
an, nämlich den Jahren 1071, 1091, 1140 (Cod. Sax. I, 1,
335. 355. IL 1, 36. 41. 50).
Man wende nicht ein, wie dies von selten Schuherths
geschehen, dals nicht wohl in buntem Wechsel so ver-
schieden lautende Namensformen für denselben Ort ge-
braucht sein könnten, 1071 Woz, 1087, 1088 Guozdec,
1091 Woskc, limGiiozäcc, 1140 Woz^""). Wenn einer-
seits von dem des Slavischen mächtigen böhmischen
Chronisten Cosmas in seinem Geschichtswerke in gleich-
mälsiger Weise die echte , gleichsam schriftmäfsige
Xamensform, andererseits von den des Slavischen niclit
kundigen deutschen Urkundenschreibern die landläufige,
volksmäfsige Form gebraucht wird, ist das denn nicht
völlig ordnungsgemäfs und begreiflich? Ferner, wenn
von den Urkuudenschreibern statt der genauen Namen
unsres und des oben mit erwähnten Burgwarts Gvozdec
und Gvozdna, oder Hvozdec und Hvozdna, ohne Kenntnis
der Schreibweise und Bedeutung einerseits AVosice und
AVoz, andrerseits Hwoznie, Gozne, Goze uns überliefert
werden, so haben wir darin die Unbehilflichkeit gegen-
^") Eigentüinliilierweise kommt Schuberth keiu Bedenken,
wenn er seinerseits Grofsenhain (wie etwa Koustantiuopel: Byzantion,
]|oraa nova, Constantinopolis, Stambul) einen besonderen Namen-
reicbtnm Ijeilegt, der bei Lichte besehen doch ein ganz bescheidener
ist und beilänflg hier beleuchtet werden möchte. Osek nämlich,
Avelches dreizehnmal auch in Böhmen vertreten ist, hat als die ur-
sprüngliche Bezeichnung' des alten Wendenortes zu gelten, = Wahl-
hau, Verhau, Verliack, auch eing'efriedigter, eingehegter Ort, wie
Oschatz, ursprünglich Ösec, das auch in Böhmen sich findet; und
gleichwie das entsprechende olw. Wosyk bei Bischofswerda deutsch
mit (Grofs-)Hähnchen übersetzt wurde, d. i. kleiner Hagen, so wurde
auch Osek nach dem Deutschwerden des Landes durch Hagen er-
setzt, Aveil diese Bezeichnung der alten am besten entsprach, im
Sinne von eingehegte]', geschützter Ort. Hagen aber verwandelte sich
bekanntlich, wie Magd zu Maid, so zu Hain, im Volksmunde zu
Hahn, woraus Hähnchen — Haiu(i)chen; damit ist aber der Stadt
keiu neuer Name gegeben worden. Dafs Urkundenschreiber ..statt
der deutschen Bezeichnung aiich ein paar Mal die lateinische Über-
setzung Indago = Gehege wählten, ohne dafs natürlich dieser Name
in Gebrauch war, ist zwar bedauerlich aber nicht ungewöhnlich;
mnfste doch Colin bei Meifsen auch die Latinisierung Colouia,
Hermsdorf Hermanni villa, Merseburg gar ein Martipolis sich ge-
fallen lassen. Mit Gvozdec aber, das keinen Hag, sondern den
offnen Bergwald bedeutet, ist Grofsenhain niemals bezeichnet
worden!
Die Feste Gvozdec bei Mei&en. 11
Über dem fremden Worte mit den weiclien Lauten hw
oder g\v und zd zu erkennen und die Mühe, welche es
dem Deutschen machte, den shxvischen Lauten völlig ge-
recht zu werden. Und das ist kein Wunder, macht sich
doch selbst der geborene Slave die Wörter jenes Stammes
mundgerechter und sagt der Oberlausitzer statt Hwüzd-
nica Höznica, der Niederlausitzer statt GAVözd Gözd
u. s. w. Wenn wie im Jahre 981 Hwoznie, über dessen
Herkunft von livozd gar kein Zweifel obwaltet, so auch
1071, 1091, 1140 etwas sorgfältiger, nur mit Beachtung des
liüchtigsten Konsonanten Hwosice und Hwoz geschrieben
worden wäre, so bedürfte es gar nicht erst der langen
Untersuchung und Auseinandersetzung, und es würde bei
einigem guten Willen ein jeder erkennen, welch ein
inniger Zusammenhang zwischen diesen Namen besteht.
Während nun Schuberth gegen Wosice sich einfach
ablehnend verhält, vermeint er eme neue starke Stütze
für seine x\nsicht in einer urkundlichen Angabe vom
Jahre 1045 (Cod. Dipl. Sax. I. 1, 307 f.) gefunden zu
haben, wo von Königshufen in villa Saitrojmi in hurcJi-
ivardo Guodezi die Rede ist. Er nimmt hier Schreib-
fehler an, verbessert Scuptropei in b. Guozdezi und deutet
dies als Skaup-tropp oder^.Skaupdorf, kurz Skaup bei
Guozdec-Grolsenhain. Die Änderung Gito^dezi hat ja un-
leugbar etwas Bestechendes, ist aber doch durchaus un-
gereclitfertigt. Svnptmpcl ist ein Unding; denn wenn
auch die Anhängung von -dorf glaublich wäre, so kann
doch unmöglich die erst am Ende des Mittelalters er-
scheinende niederdeutsche Form drof, druf, drop, drup,
trop, trup für Dorf (Förstemann, Die deutschen Orts-
namen S. 99; Arnold, Ansiedelungen und Wanderungen
deutscher Stämme S. 371), welche in den von Förstemaini,
Altdeutsches Namenbuch II, 1464 f. aufgeführten 851
alten, mit Dorf zusammengesetzten Namen nicht ein ein-
ziges Mal sich findet, noch dazu mit der unerklärlichen
Endung ei als Zusatz zu dem willkürlich hergestellten
Scup- angenommen werden. \\'eder ^der eine noch der
andere Name bedarf so gewaltsamer Änderungen, beide
sind richtig überliefert. BiirvJuvaydus Onodcii ist der
Burgwart Svhkenditz, bei Thietmar Sciidki, 1028 Choticci
(hier handelt es sich ebenfalls um Königshufen, Cod. Dipl.
Sax. I. 1, 290); auch der hiernach feenannte Gau zwischen
Saale und Mulde heilst aulser Scuntiia, Svlinli.ci, Sciidizl
u. s. w. mit auch sonst nachweisbarem Schwinden des
12 Gustav Hey:
anlautenden s ClmnÜzi, Chuoyitiza, Gunthizi , Clmflzi,
Clmfiz, Gwlki , teils mit, teils ohne den altslavisclien
Nasallaut. Scutropei aber lautet pol. Szczodrohy , olw.
Scedroby (Personenname „Freigebig") und ist, verwandelt
in Scedrohec, Sceroher'^^') , das heutige an Schkeuditz
grenzende Ält-Scherbitz. So wird denn also unsere Frage
durch jene von Schuber th so nachdrücklich hervorge-
hobene und geltend gemachte urkundliche Angabe von
1045 in keiner Weise berührt und beschränkt sich ledig-
lich auf Gvozdec — Wosice — Woz, deren Identität keinem
Unbefangenen nach den obigen Darlegungen mehr zweifel-
haft sein dürfte.
Die Bestimmung des Burgwartbezirkes Wosice oder
Gvozdec bietet keine wesentlichen Schwierigkeiten, da
in den erwähnten Urkunden nicht weniger als zehn zu-
gehörige Ortschaften namhaft gemacht werden, von denen
nur eine einzige der genaueren Feststellung sich vorder-
hand entzieht.
Die betreffende Urkunde von 1071 nennt 5 v/Uas in
provincici Nisanen in Inirfjuardo Woz sitas: Gozchndi,
Oicice , Orodice, Cinici, Ludermvice; die Urkunde von
1091 itnam (vilJam) in provincia Nisani in hurgivardo
Wosice quae vocatur Mocozice ; endlich die von 1140
Cozehude, Jazelice, Hermanni viUa, Bidsize, Nicradctvice
in provincia Nisanen in hurgivardo Woz. Von diesen
sind Gozebudi und Cozebude = Cossebaude, sorb.
Kosobudy ; Ludern wice, 1468 Luderwicz = L e u t e r i t z ,
ursprünglich Ljuderovici; Mocozice, 1288 Mobschitz,
1350Mepticz, 1468 Mopczicz, 1484 Mockschicz = Mob-
schatz, im Volke Mocksch, ursprünglich Mokosici;
Hermanni villa — Hermsdorf bei Kesselsdorf; Oicice
statt Obcice^"-) = Klein-Opitz bei Tharandt^, ursprüng-
lich obeice „Gemeindegut", wie Oppitzsch bei Strehla, ur-
kundlich Obtitz, Obscitz, Obschitz, nicht etwa = Ocker-
witz, welches zum Burgwart Bresnice gehörte, noch viel
weniger = Eutschütz südlich von Dresden (Cod. Dipl.
Sax. I. 1, 192), welches 1288 Odizschowe heilst; Grodice
ist nicht das zu weit westlich liegende Groitzsch an der
") Zum AVeg-fall des d vgl. Pauritz, Podegrodici ; Brösern,
Pfezdrei'i ; Kauscha, Cudeschowe; Moritz. Mordiz und die obengenann-
ten Namen aus gvozd.
^") Vgl. Hoysclie, Wald bei Frauenhain, 1197 Hobicwald
= tscli. obec, sorb. hobec ^ Gemeindebesitz, Gemeindebusch, mit
Aspirat.ion wie Hagenest ^ ogniste, Hubrigen = oborky.
Die Feste Grvozdec bei Meifsen. 13
Triebisch, sondern Roitzsch östlich von Wilsclruff,
sorbisch Grodec, tschechisch Hradec = kleine Schanze,
mit wohl erklärlichem Verluste des Anlautes, wie ihn
auch böhmische Ortsnamen von demselben Stammworte
zeigen, z. B. Hradiste oder Ratsch zweimal bei Leitmeritz
und Hradcany oder Ratschan bei Bunzlau und Bidschow ;
Cinici, später vielleicht Czunow, dürfte das eingegangene
Dorf Zschone sein, von dem noch die Zschoner Mühle
und der Zschoner Busch und Grund genannt sind, slavisch
wohl Cujnici, Cujnov, vom Namen Cujny = wachsam,
munter; Jazelice, in späterer Zeit vermutlich Gosliz,
dann, nach dem sehr ausgedehnten Gebrauche der Gleich-
machung ähnliche]^ Namen, wie Gohlis bei Weinböhla im
14. Jahrhundert Goluz genannt, ist Gohlis an der Elbe,
slavisch Jasllce, kleines Gehege (olw. jasla) gleich dem
nahen Ostra-Gehege; NicradeAvice ist = IJnkersdorf,
1393 Vnkersdorf, wenn man den Personennamen Vnukorad
zu Grunde legen darf = Enkelfroh, wie Zschadras von
Cadorad =^ Kinderfroh; wechseln doch auch bei dem
aus Personennamen Ratibor hervorgegangenen Rottewitz
die Formen Rothebariz und Rothiboresdorf. So bleibt
nur noch übrig und spottet jeden Nachweises der Ort
Bulsize, welcher nach dem Personennamen Bolesa oder
wie 2 Polzice in Böhmen nach einem Poleh benannt sein
kann oder auch mit polesice = Ort am Walde sich
erklärt '").
Diese Bestimmung der im Burgwart Wosice oder
Gvozdec belegenen Ortschaften läfst uns mit voller
Deutlichkeit die Ausdehnung dieses Bezirks er-
kennen. Die westliche Grenze bildet die „wilde Sau"
bis zu ihrer Einmündung in die Elbe bei Constappel, sie
fällt also hier zusammen mit der Grenze des Gaues
Nizane nach Daleminze zu; im Nordosten geht die Grenze
an der Elbe entlang, dann von Kemnitz ab südwestlich
durch den Zschoner Grund, über die Kesselsdorfer Höhe
bis vor Tliarandt, berührt sich also auf dieser Strecke
mit den Burgwartbezirken Bresnice oder Brielsnitz, d. i.
Birkicht, und Bvistrizi oder Nieder-Pesterwitz , d. i.
Weifseritzdorf (Cod. dipl. Sax. I. 1, 335. 331). Zu dem
^ä) Seltsamerweise finden sich zu Jazelice, Bnlsize nnd Nicrade-
wice vortrefflich entsprechende Ortschaften im Jahnathnl. niindich
tiaselitz bei Zschaitz, Piüsitz bei üstrau und Nickritz bei Riesa;
aber dies war ja Daleminziergebiet, während es sich hier nm Nisane
handelt.
14 Gustav Hey:
so umgrenzten Bezirke gehören noch von slavischen Ort-
schaften Weistropp, Stetzsch, Kemnitz, Merbitz, Prab-
schütz, Podemus, Schletta und Sachsdorf, mit alter Be-
nennung Wiztrop^^), Steiz, Kamenice, Merenvitz, Bratz-
zicken (Prawdziska), Podemuz, Slettow, Sachowe, so dafe
der Burgwart Gvozdec im ganzen an die 20 Dörfer um-
falst zu liaben scheint, schwerlich mehr, da die ganze
Westhälfte dieser Landschaft mit dichtem Walde be-
standen war, der über den Grenzbach die wilde Sau
hinüber zunächst bis nach der grofseu Triebisch und
Bobritzsch sich ausdehnte, dann weitliin nach Westen
sich fortsetzte und erst von den deutschen Kolonisten
Lichtung und Besiedlung erfuhr.
Es erübrigt noch, die Hauptfrage zu erledigen, zu
welcher sich der behandelte Gegenstand zuspitzt: an
welcher Stelle in dem Burg wartbezirke hat die Feste
Gvozdec oder Wosice gestanden? Nach den oben ge-
gebenen Ausführungen gewinnt es hohe Wahrscheinlich-
keit, dafs dieselbe gerade wie ihre Nachbarinnen Bresnice
und Misni und die fernerliegenden Zadili, Boruz, Grobe
und Sträle auf einem der Waldhügel an der Elbe einst
ihre Stätte gehabt hat, und zwar unmittelbar an der
Grenze des Gaues Nizane nach dem Gau Dalemince zu,
an dem nördlichen Ende des Burgwartbezirkes, oberhalb
Constappel ^''). Ziehen wir nun aber diesen Namen noch
^^) Damit es ersichtlich werde, dafs Weistropp nicht selbst mit
Woz, Wosice gleichgesetzt werden darf, werde die wahrscheinliche
Deutung hier augefügt, wonach dasselbe mit den urk. Formen
Wiztrop (1296), Wiztrob, Wystroph, AVizstroeph, Wistrop, Wystrop,
Wystrop, Weistrop, wenn nicht einfach als Personenname Vystrop,
so als tsch. Vsetrop, Plur. Vsetropy erscheint = Familie Thunicht-
gut, von asl. vist. tsch. vse all, stets, imd tropiti, stropiti etwas an-
stiften, übelthun. Ebenso entsprechen Wissirobi, Wisribben, d. i.
Wirsclileben in Anhalt und Wüstung Wischerup dem tsch. Vseruby
in Böhmen, Wischstauden bei Groitzsch Ysestudy Böhm., Weischlitz
im Vogt]., urk. Wisols, dem tsch. Vselisy u. s. w.
^■^) .Schul)erth l)ezeichuet als die von mir für Gvozdec ge-
haltene (Jrtlichkeit das Dörfchen Hartha auf dem linken Ufer der
wilden Sau, also auf daleminzischem Gebiete. Nun hatte ich zwar
im Anfange unseres Briefwechsels, ehe die Karte mir genauere Be-
lehrung verschaffte, namentlich wegen der gleichen Bedeutung von
gvozd und ahd. hart, auf diesen Ort hingewiesen, dann aber stets
nur auf die gegenüberliegende Höhe von Constappel. Es l)edeutet
also eine Entstellung meiner offen ihm dargelegten Ansicht, wenn
Schuberth trotzdem jenes daleminzische Hartha als Gvozdec von
mir bezeichnet werden läfst und eine selbstverständliche Zurück-
weisung daran knüpft. — Schuberths Einwurf, einen Burgwart
Die Feste Gvozdec bei Meifsen. 15
in den Rahmen unsrer Untersucliung , so steigert sich
die Wahrscheinlichkeit der Amiahme zur Gewilsheit.
Denn Constappel, urkundlich 13G0 Constoinl, 1495 Con-
stapel , auch Constapil, ein Name, dessen gewöhnliche
Deutung aus dem AV endischen sich durchaus nicht recht-
fertigen lälst, ist nichts andres als das aus comes stahuli
verderbte mittelalterliche coiiicsfahüis oder constahulus
(Du Gange, Gloss. 1883 II, 431), deutsch Konstabel, mit
der Nebenform Konstapel (Grimm, D. W. Y, 1742),
dessen ursprüngliche Bedeutung „oberster Beam.ter des
königlichen Marstalls*' sich so verallgemeinerte, dals
überhaupt ein Befehlshaber, Führer einer bewaffneten
Schar, Burghauptmann damit bezeichnet wurde. So
kommen wir zu dem Endergebnis, dem man ausreichende
Begründmig nicht absprechen wird : Die ehemalige
slavische Feste und der nachmalige deutsche BurgAvart
Guozdec- Wosice lag auf einem Hügel oberhalb
Constappel, dieses letztere war ursprünglich, zum con-
stapel genannt, die Wohnstätte des Konstabel, des Burg-
wartobersten, der den Befehl über die zur Bewachung
der Feste aufgebotene Kriegerschar führte. Eine sehr
willkommene Stütze findet das Ergebnis unsrer Unter-
suchung in einer von Herrn Pfarrer Schüttoff" in Con-
stappel erbetenen „und erhaltenen höchst dankenswerten
Beschreibung der Örtlichkeit. Hiernach muls der über
Constappel sich frei erhebende und Aveite Umschau ge-
wälu^ende Gohlberg als die Stätte der Grenzfeste Gvoz-
dec erscheinen. Am Westabhange dieses mächtigen Hügels
nach der wilden Sau hin befindet sich der sogenannte
„Erdfall" (dessen Deutung als Erdrutsch mein Herr
Gewährsmann als ausgeschlossen betrachtet, wälu'end er
die als Erd-vallum für wahrscheinlich hält), ein kleines
Halbhochplateau zwischen Eibthal, Saubach und Prinz-
bach, mit starken, von Menschenhand herrührenden Ein-
schnitten, die in doppelter Ileihe im Zickzack bis nacli
dem dort sehr hohen Saubachufer sich herabziehen. Auf
dem dazwischen liegenden Haume aber konnten be((uem
selbst mehrere tausend Mann, gegen den Feind durch
snclie man in der Mitto seines Bezirkes, wird schon dnrcli den Ilin-
Aveis anf den Nachbarbe/irk Brcsnice binfiillig; IJriefsnitz liegt
ebenfalls an der nöi-dlicben Spitze seines elienialiyen 15nrg\vart-
liezirkes. Dafs aber gerade die Grenze des Ganes Nizane gegen
Daleminee dnrcli eine Bnrg gesichert wurde, liegt in der Natnr der
Sache.
16 Gustav Hey: Die Feste Gvozdec bei Meifsen.
die voriiliegeiide Berghohe, die Zickzackgräben links mid
rechts und das hohe Bachufer im Grunde, also ringsum
geschlitzt, ihr festes Lager haben, während die Gohl-
bergkuppe als Auslug nach allen Seiten dienen konnte,
welchen Dienst sie nachweislich in neueren Kriegszeiten
mehrfach gethan hat. Da auf der Höhe sich uralte Wein-
bergsmauern finden, der Boden selbst aber kein Gestein,
sondern nur festen Lehm enthält, so darf vielleicht an-
genommen werden, dafs die Steine dieser Mauern von
den Trümmern der alten Burg herrühren. Auch für das
zweite Gvozdec, vielleicht das ältere, findet sich, wenn
es nicht auf dem Höllberge unmittelbar an der Elbe ge-
sucht werden darf, in der Nähe, südwestlich vom Gohl-
berge und von diesem .. durch den Prinzbach getrennt,
eine ziemlich geeignete Ortlichkeit, und zwar ein Wald-
hügel auf der Flur von Klein-Scliönberg, wo ebenfalls
altes Mauerwerk noch erhalten ist, das der Volksmund
auf ein ehemaliges Kloster zurückführt, obgleich dort
nie ein solches bestanden hat.
Wenn man nun den Gohlberg bei seiner vorzliglichen,
freien, wohlgesicherten und nach Daleminzien herüber-
drohenden Lage als Gvozdec erkennen und in dessen
Verbnidung mit dem Dorfe Constappel die einfachste
Erklärung für den Ausdruck „oppidum" finden darf, so
hat die Frage ihre Lösung gefunden, des Cosmas Be-
zeichnung castrum Ouozdec jjt'ope nrhem Missen erscheint
vollkommen gerechtfertigt, und die Gleichsetzung „Guozdec
und Guodezi =^ Grofsenhain" darf und muis in das Reich
der Fabel verwiesen werden.
II.
Die Pröpste des Kollegiatstifts St Petri
zu Bautzcu von 1221—1562.
Heniiaini Kiiolli«'.
Soviel auch über die Gründung- sowie über die fer-
nere Geseliichte des Kollegiatstifts 8t. Petri zu Bautzen
bereits geschrieben worden ist, so hat man doch noch
niemals auch nur den Versuch gemaclit, die Reihenfulge
der dasigen Pröpste urkundlich festzustellen. Es ist dies
allerdings um so scln\ieriger, da man bei dem IMangel
von Wahlprotokollen aus älterer Zeit, sich hierbei last
nur auf die gelegentliche Erwähnung ehizelner Bautzner
Pröpste in den Urkunden des Hochstifts Meiisen ange-
wiesen sieht, welchem dieselben stets als Kanoniker eben-
falls angehören mulsten. Daher haben auch uns die „Ur-
kunden des Hochstifts Meiisen" im Codex dipl. Saxon.
reg. IL Bd. 1 — 3 bei weitem das meiste Material fiir
unsere Arbeit geliefert; aulserdem haben wir natürlich
Köhlers Codex diplom. Lusat. sup. (bis zum Jahre l-]4())
und andere zahlreiche Litteratur, sowie die Urkunden
und Kopialbücher des Bautzner Domarcliivs benutzt.
Neben den Pröpsten haben wir auch die gleichzeitigen
Dekane und sonstigen Kanoniker von Bautzen verzeichnet
und deren persönliche Verhältnisse, soweit möglich, fest-
zustellen gesucht. Eine vollständige Geschichte des Dom-
stifts Bautzen zu schreiben, lag keineswegs in unserer
Absicht; wohl aber mulsten wir di(> wichtigsten, die Kirche
Nciifs Airhiv L S. (!. u. A. XI. 1. ■-'.
18 Hermann Knotlie:
ZU Bautzen, bezielieutlicli die kircliliclien Veiiiältnisse der
gesamten Oberlausitz betreffenden Vorkommnisse kurz
erwälmen, da bei denselben die Pröpste doch mehr oder
minder beteiligt waren.
Als Ende des 12. und Anfang des 13. Jahrhunderts
infolge der Einwanderung zahlreicher deutscher Kolonisten
hl der Oberlausitz nicht nur mehrere altslavisclie Ort-
schaften zu Städten umgewandelt wurden, sondern auch
eine grolse Menge ganz neuer, deutscher Dörfer entstand
und sich hierdurch die Zahl der Kirchen im Lande ganz
wesentlich vermehrte, beschlofs Bischof Bruno II. von
Meilsen, ein Kollegiatstift in der Landeshauptstadt Bautzen
zu gründen und hierdurch für das Kirchenwesen der ge-
samten Oberlausitz einen Mittelpunkt zu schaffen. Zu
diesem Zwecke soll er, wie die Chroniken berichten,
schon 1213 den Umbau und die Erweiterung^) der bisherigen
Bautzner Stadtkirche begonnen haben. Im Jahre 1221
konnte er dieselbe persönlich für ihre neue Bestimmung
weihen. Schon vorher aber scheint er für das neue
Stift wenigstens einzelne Kanoniker ernannt zu haben.
1218 wird ein „Lampert, Domherr zu Budissin" als Zeuge
erwähnt'^), und schon 1220 nahm König Wenzel von
Böhmen, als Landesherr, „die Bautzner Kirche mit allen
zu derselben gehörigen Personen und Gegenständen" in
seinen Schutz'^).
Zum ersten Propst hatte der Bischof ursprünglich
Theoderich, den Propst des Domstifts Meilsen, aus-
ersehen. Dieser aber nahm die neue Stellung entweder
gar nicht an oder verzichtete sofort wieder auf dieselbe.
Daher wird unter den bei der Einweihung der Kirche
anwesenden Zeugen kein Propst, sondern nur „Hermann,
Lampert, Bermann (nicht: Permerantius), Ulrich, Kaplan
des Bischofs", als Kanoniker zu Bautzen aufgezählt. Da
ernannte denn der Bischof zum Propste Nikolaus, jeden-
falls denselben, der 1215 als canonicus et archipres-
byter in Budesin, 1216 und 1218 aber als „Archidiakonus
^) Octodecim cohuiuiis et iina tnrri hoc opus consunnnatuni.
N. Laus. Mag. XXXIII (1857), 197.
2) Beyer, Alt-Zelle, S. 529.
=5) Cod. dipl. Lus. sup. S. 26. liielitiger bei F. P[nlionsky],
Statuten des Kollegiatstifts St. Petii zu Budissin (1858), S. 2.
Die Pröpste des Kollegiatstifts St. Petri zix Bautzen. 19
des Landes Budissin" bezeichnet wird'). Wir lassen es
dahingestellt, ob er 1215 schon „Kanonikus" von Bautzen
oder vielmehr, wie wir glauben möchten, von Meilsen ge-
wesen sei; jedenfalls aber war er der bisherige Pfarrer
der Stadt mit dem Range eines Erzpriesters, der zugleich
das Ai'chidiakonat des ganzen Landes zu verwalten ge-
habt hatte. Als mit den kirchlichen Verhältnissen nicht
nur der Stadt, sondern des Landes wohl vertraut, war
er gewils die geeignetste Persönlichkeit für das Amt
eines Bautzner Dompropstes, nmsomehr, da mit demselben
auch künftig das Archidiakonat verbunden sein sollte.
Allein die neuen Kanoniker wollten ihn nicht an-
nehmen. Sie verlangten , ebensogut wie die Kanoniker
des Kollegiatstifts Würzen, ihren Propst selbst wählen
zu dürfen; aufserdem begehrten sie für das neue Stift
noch einen Dekan, als Vertreter ihrer Interessen gegen-
über dem Propste, und anstatt der vom Bischof beab-
sichtigten siel)en Domherrenstellen deren elf, so dafs das
Kapitel aus zusammen dreizehn Geistlichen bestehen
sollte. Erst unter Vermittlung mehrerer Meilsner Dom-
herren wurde (1222 und 1226) vereinbart, dals die Bautzner
Kapitularen jenen Nikolaus als Propst annehmen, künftig
jedoch ihren Propst selbständig, aber stets nur aus der
Zahl der Meilsner Domherren, den Dekan dafür aus ihrer
eignen Mitte wählen sollten. Die beiden (damals) nächst-
höchsten Präbenden, die des Scholastikus und des Kustos,
sollte der Bischof vergeben, im allgemeinen aber ein Auf-
rücken aus den niederen in die höheren Stellen statt-
finden'^'). Die volle Zahl von elf Domherren stellen dürfte
übrigens weder damals noch später jemals erreicht worden
sein; 1489 wurde von dem reichen Georg Emmerich in
Görlitz erst ..die achte Thumerei zu Bautzen" gestiftet*').
— Aulser dem Propst Nikolaus, der stets unter den Dom-
herren von Meilsen aufgeführt wird, werden nun in den
ersten Jahren seines Bestehens folgende Mitglieder des
Bautzner Domstifts erwähnt: 1222 „Hermann Dekan,
Johannes Scholastikus, Lampert Kustos, Ulrich Kanonikus
zu Würzen" (doch wohl der schon 1221 genaimte); 1225
dagegen: „Hermann Dekan, Permaini, Berthold, Heinrich
•*) Schöttg'ou und Kreisig", Diplniiiataria 11, 173 (bis). Cod.
Lns.. Aiiliang- S. 52. Cod. dipl. «ax. reg. 11. 1, 81 n. !»0. J'.cvcr,
Alt-ZcUo. S. 529.
•') Cod. Lns. S. 29. 35. 3fi.
") Olierlaus. Urkiuid.-A'crzri,liii. iil, 168.
20 Hermann Knothe:
V. Ilburg und Uliicli, Kleriker des Meilsner Propsts," end-
lich 1226 „Hugo Dekan, Johann Scholastikus . Ulrich
V. Eigen, Heinrich v. Ilburg, [und noch ein] Ulrich".
Durch die Bestimmung, dafs der Propst zu Bautzen
(ebenso wie der zu Würzen und zu Grolsenhain) stets
zugleich Domherr von Meilsen sein mufste, wurde zwar
ein höheres Einkommen ihm gesichert, auch der Zweck
erreicht, das Tochterstift in engster Verbindung mit dem
Mutterstift zu erhalten; aber sie hatte auch zur Folge,
dafs er nicht nur sehr viel in Meilsen „residieren" mufste,
sondern auch in der Regel ein viel gröfseres Interesse
der dortigen als der Bautzner Kirche zuwendete. Die
meisten lielsen sich daher auch in der Domkirche zu
Meifsen begraben^). Während ihrer Abwesenheit von
Bautzen lielsen sich die Pröpste anfangs wohl durch den
jedesmaligen Dekan vertreten, bis sie (seit etAva lo77)
ständige „Officiale" zu Bautzen hielten.
Von der „Ausstattung" des neuen Kollegiatstifts, von
den ersten Erwerbungen teils aus eignen Mitteln, teils
infolge von Schenkungen, von der Beschaffung der Amts-
wohnungen für die einzelnen Kanoniker haben wir an
anderer Stelle gehandelt ''^). Hier gedenken wir nur die
persönlichen Verhältnisse der einzelnen Pröpste festzu-
stellen, sowie die wichtigsten Ereignisse kurz zu ver-
zeichnen, welche während der Amtierung eines jeden
sich zutrugen, und auf welche derselbe voraussichtlich
einen gröfseren oder geringeren Einflufs gehabt haben
dürfte.
Als solche Ereignisse haben wir unter dem ersten
Propste Nikolaus zu erwähnen die Stiftung .einer dem
heiligen Georg geweihten Kapelle auf dem Bautzner
Schlosse durch den Ad&l der Umgegend (1225, nicht 1221),
ferner die in ihren Grundzügen bis auf die frühesten Zeiten
des Bautzner Domstifts zurückzuführende Einteilung der
gesamten Oberlausitz in neun kirchliche Distrikte, von
denen der erste der der „Präpositur", der zweite der
des „Dekanats" war, die übrigen aber von den Erz-
priestern in den neu entstandenen Städten verwaltet
wurden-'). Endlich fallen in diese Zeit auch jene Streitig-
■') Die betreffenden Grabsteininschiifton sind zum grölsten Tfil
aligelnldet bei Ursinus, Geschiebte der Domkirdie zn Meifsen (1782)
und Ebert, Der Dom zn Meifsen (1835).
^) Vgl. diese Zeitschrift V. 89 flg.
'■') Lans. :\[agaz. XXXV (1859), Un. LVl (1880). 285.
''\
Die Prüpst(! des Kollegiatstifts St. Petri zu Bautzen. 21
keiten zwisclien dem Domstift Meilsen und dem Könige
von Böhmen über die genaue Abgrenzung der jedem von
beiden in der Oberlausitz gehörigen Ortschaften und
ganzen Gebiete, Streitigkeiten, welche bekanntlich die
Feststellung dieser Grenzen durch eine gemischte Kom-
mission (1228) und endlich die Abfassung der sogenannten
„Grenzurkuncle" von 1241 veranlalsten "■).
Wenn Avir auch nicht wissen, inwieweit bei alledem
Propst Nikolaus unmittelbar beteiligt gewesen sei, so
lauteten mehrere i)äpstliche Aufträge direkt auf seine
Person, obgleich sein Name dabei nicht genannt wird.
1232 befahl Papst Gregor IX. den Pröpsten von Bautzen
und von St. Afra in Meilsen, sowie dem Dekan von
Meilsen, darauf zu sehen, dals dem zurückgetretenen
Bischöfe Peregrin von Prag die ihm ausgesetzte Pension
auch richtig ausgezahlt werde. 1233 ernannte derselbe
Papst den Propst und den Dekan von Bautzen, sowie
den Propst von Riesa zu „Konservatoren" für das Kloster
Leubus mit der Ermächtigung, alle diejenigen, Avelche
sich gegen dasselbe vergangen, zur Verantwortung zu
ziehen. Und 1234 beauftragte der Papst abermals Propst
und Dekan von Bautzen, sowie den Dekan von Meilsen,
die Klagen der Cisterzienser im Gebiet des Bistums
Gnesen über Eaub und Unterdrückung, die sie zu er-
dulden hätten, zu untersuchen"). Namentlich erwähnt
wird Propst Nikolaus als Zeuge noch 1234 in einer auf
die Bernstadter Pflege, 1237 in einer auf die Domkirche
zu Meilsen, zuletzt 1239 in einer auf das Kloster Alt-
zelle bezüglichen Urkunde^-).
Als zweiter Propst von Bautzen erscheint, lediglich
als Zeuge in Urkunden des Bistums Meilsen, während
der Zeit von 1246—1254 Ulrich. Wir erfahren von
ihm nur, dals er 1244 noch Propst zu Zscheila (Grolsen-
hain) w^ar, und dals ihm 12G6 der damalige Bischof Albert
von Meilsen ein Jahresgedächtnis stiftete^'').
Während seiner Amtsführung wurde einst (1246) auf
päpstlichen Befehl über alle Länder des damaligen König
AVenzel von Böhmen und somit auch über das „Land
Budissin" das Interdikt verhängt infolge von Streitigkeiten
10) Cod. dipl. Sax. reg-. TT. 1. 07 n. 109.
") T:!)('U(his. IL 1, 100. ürüiihayi'ii, Sdilesische Kcyesteii
Autl.) I. Ni'. 420. 452.
1-) Cod. di])!. Sax. roi>-. IL 1, 106 Hg'. Beyer, Alt-Zello, S. 54L
i»j Cod. dipl. Sax. reg. IL 1. 115. 122. 133. 135. Beyer, S. 54H. 54&.
22 Henuami Kuotlie:
zwischen dem Könige und dem neuen ßiscliofc von
Olniütz. Nun hatten „die Geistliclien des Landes Budissiu
aus Furcht vor dem Könige auch während des Inter-
dikts" den Kirchendienst fortgesetzt und waren somit
selbst dem Interdikt verfallen. Als aber jener Streit
ausgeglichen worden war, verwendete sich der König
selbst bei Papst Innocenz IV., und so „befahl dieser [1247]
dem Bischöfe von Olmütz, jene Kleriker wieder zu dis-
pensieren"^^).
Nachfolger von Propst Ulrich war mhidestens in der
Zeit von 1255 — 1272 ein Siefried, den wir ebenfalls
nur aus den Urkunden des Bistums Meilsen kennen'"').
Auch er dürfte bei seiner amtlichen Wirksamkeit in der
Oberlausitz mit mancherlei Schwierigkeiten zu kämpfen
gehal)t haben. Seit 12(38 war die Oberlausitz von ihren
damaligen Landesherren, den Markgrafen von Branden-
burg aus dem Hause Askanien, in eine westliche und
eine östliche Hälfte, das „Land Budissiu" und das „Land
Görlitz", geteilt worden. Die markgräflichen Vögte in
ersterem, Ritter aus der Mark Brandenburg, hatten rück-
sichtslos das Interesse ihrer Herren geltend gemacht und
z. B. die Obergerichtsbarkeit auch auf den ausgedehnten
Gebieten des Bistums Meifsen innerhalb der 01)erlausitz
für sich in Anspruch genommen und ebenso der Er-
hebung von Abgaben an den Landesbischof von allem
neu urbar gemachten Grund und Boden („Neulandzehnt")
sich widersetzt. Infolgedessen war abermals, jetzt jeden-
falls durch den Meiisner Bischof, über die gesamte westliche
Landeshälfte das Interdikt verhängt worden. Da wurden
endlich die Streitfragen durch eine Kommission oberlau-
sitzischer und märkischer Ritter eingehend untersucht
und dahin entschieden, dafs den Markgrafen nur auf sechs
bischöflichen Dörfern die Obergerichte zuständig seien,
und dals auch von dem Neulande der Zehnt dem Bischöfe
in der That zukomme. In den von Bischof Withego und
Markgraf Johann persönlich hierüber in Bautzen aus-
getauschten Urkunden (vom 21. Januar 1272) findet sich
unter den Zeugen natürlich auch der Name des Propst
Siefried 1«).
^^) Erljeu, Keg-. boli. S. 549. l'alacky, Geschichte von J>ühmeii,
IL 1, 125 flg.
i'O Cod. (lipl. Sax. reg. II. 1. 148. 164; IL 4, 9; IL 7, 4.
Iß) Cod. dipl. Sax. reg. IL 1, 174flg. Cod. Lus. S. 99 u. An-
hang S. 78.
Die Pröpste des KoUegiatstifts St. Pi'tri zu Bautzen. 23
Ihm folgte Theodericli (Tylinaim, Tilmaiiu) v. Tiir-
gowe (1276—1299) aus einem alten meilsnischen Adels-
geschleclit, der erste, von welchem wir nun auch seineu
Familiennamen erfahren. Seit 1272 Avar er Scholastikus
des Domstifts Meilsen. Er muls ein sehr ansehnliches
persönliches Vermögen besessen haben; so erkaufte er
1281 mehrere Hufen zu Kaufbach bei Wilsdruif, 1282
12^/2 Hufen zu Sahlassan bei Strehla und 1288 abermals
11^2 Hufen in demselben Dorfe, 1285 32 Schillinge Zins
in verschiedenen Ortschaften. Von diesen Eenten stiftete
er „zu seinem Seelenheile" zwei ewige Vikarien an Al-
tären der Domkirche zu Meilsen. In seinem Testamente
aber setzte er Legate für nicht weniger als 14 Klöster
aus und vermachte Verwandten und Freunden seine
reichen geistlichen Gewänder, seine Ringe und Trink-
gefäfse, sowie seinen sonstigen kostbaren Hausrat.
Das Domstift Bautzen dagegen wurde nur mit einem
Buche (missale dominicale) bedacht ^"^j. Von seiner
Wirksamkeit in der Oberlausitz erfahren wir, dals er
1281 nebst dem Bautzner Kapitel für dasselbe 4 Hufen
zu Bischdorf erwarb, dals er (bis 1284) mit dem (früheren)
Landvogt Ulrich Schaff (Ovis) Streit gehabt, da dieser
von seinem Gute Königsteich in Niederkaina bei Bautzen
jahrelang den dem Domstift-e zukommenden ,, vollen Zehnt''
nicht entrichtet hatte, dafs (129;-)) die Rechte und Pflichten
eines Pfarrers an der neuerbauten Marienkirche zu Bautzen
festzustellen waren, und dafs er nebst seinem Kapitel
mit den Franziskanern zu Bautzen in sehr ernste Händel
geraten war, die sogar zu gegenseitigen Bannflüchen ge-
führt hatten, bis endlich (1295) ein Schiedsgericht die-
selben gütlich beilegte"^). — Von Bautzner Domherren
sind uns in dieser Zeit begegnet: 1281 Dekan Gottfried und
Scholastikus Heinrich, 1283 Dekan Theoderich, 1293
Dekan Petrus nebst den Kapitularen Heinko v. Kazow,
Otto Weils (Albus), Thiliko und Pfarrer Konrad.
Nach Theoderich v. Turgowe, der im Dom zu Meilsen
begraben liegt, finden wir in den Jahren 1305 — 1313 als
Propst von Bautzen Konrad v. S freie aus enier ur-
sprünglich meilsnischen, schon damals aber besonders in
der Niederlausitz begüterten Familie. Wir kennen ihn
nur aus Urkunden des Bistums Meifsen, in denen er,
") Cod. dipl. Sax. reg. IT. 1.257. Cod. Lus. Anhang S. 90.
'^) Cod. Lus. S. 105. 118. 120. 135. 137. 150.
24 Hermann Knothe :
meist als Zeuge, vorkommt. Später (1322) war er Senior
von Meilsen, 1325—1340 Propst von Würzen, 1342—49
Propst zu Meilsen, wo er auch begraben liegt.
Ihm war in Bautzen gefolgt Bernhard v. Leipa
(1314—1318), von dem wir nicht zu entscheiden wagen,
ob er ein Sprofs jenes altberühmten böhmischen Herren-
geschlechts war, das sich anfangs, als Inhaber der Herr-
schaft Zittau, „Herren v. Zittau", später nach der Herr-
schaft (Böhmisch-) Leipa „Herren v. Leipa" nannte.
Bischof Withego II. von Meilsen Ijezeichnet ihn als seineu
OnkeP'-'), was mindestens auf vornehme Abkunft deutet;
aber weder in den Stammljäumen der Familie v. Leipa
noch sonst in böhmischen Urkunden ist uns dieser Bern-
hard jemals vorgekommen. Domherr von Meilsen war
er bereits 1312. Als Propst von Bautzen erkaufte er
1314 für sein Stift von Bischof Withego dessen Bischofs-
zehnten „bei Bautzen" und 1314 für ebendasselbe vom
Ritter Hecelin v. Kunewalde das Dorf Schönbach (S. v.
Kunewalde), sowie Zhis in Kunewalde selbst. Aus eignen
Mitteln hatte er eine neue Präbende „der Marienkapelle
auf dem Schlosse Bautzen" gestiftet, welcher später (1327)
sein Freund, der Ritter Albert v. Nostitz auf PlielskoAvitz,
auch noch das ihm zustehende Patronatsrecht über die-
selbe schenkungsweise überwies"-'*). Auch unter seiner
Amtsführung scheint das Bautzner Domstift von den
markgräfliclien Beamten mancherlei Drangsal zu er-
dulden gehabt zu haben. 1318 befahl Markgraf AVolde-
niar seinem neuen Vogte, Cristan v. Gersdorff, die Kapi-
tularen und alle Güter derselben in treuen Schutz zu
nehmen und nicht zu gestatten, dais irgend jemand sie
durch Wort oder That zu belästigen sich unterstehe, viel-
mehr alle dem Stifte Zinspflichtigen zu pünktlicher Ab-
entrichtung bei strengen Strafen anzuhalten. Zugleich
verlieh er für die Güter des Domstifts, „damit sie nicht
gänzlich zu Grunde gerichtet würden (desolentur)", auf
sechs Jahre Befreiung von allen landesherilichen Ab-
gaben-^). Dafs Propst Bernhard auch bei der Bautzner
Bürgerschaft beliebt war, geht daraus hervor, dafs 1318
(G. Juli) der Rat „aus Gunst und auf Wunsch des ver-
storbenen Propstes Bernhard v. Leipa" eine von dem
i*») Cod. Lm. S. 267.
20) Ebeuflas. S. 206. 213. 264.
2») Ebendas. S. 225 Üy.
Die Pröpste des KoUegiatstifts St. Petri zu Bautzen. 25
Domkapitel aiifserlialb der Stadt erbaute Kurie vom Stadt-
recht und somit aucli von allen städtischen Abgaben be-
freite'--). 1317 hatte das Kapitel festgesetzt, dals,
wenn eine der „grölseren Präbenden" vakant würde, die
älteren Kanoniker, aber innerhalb der nächsten vier Tage,
sich dieselbe anstatt ihrer bisherigen wählen dürften,
während sie sonst an den dem Range nach nächsten
Domherrn falle ■-■^). — Als Dekane werden in dieser Zeit:
1314 Theodorich, 1317 Friedrich, in letzterem Jahre auch
Konrad als Kustos und Domherr Hermann erwähnt. —
Als neuer Propst erscheint 1319 — 1324 Reinhard
von (d. h. aus) Guben. Von seinen Personalverhältnissen
wissen wir nur, dals er schon 1299 Domherr zu Meifsen
war, und dals er als ein Onkel des früheren Bautzner Prop-
stes Theoderich v. Turgowe bezeichnet Avird. Ein Vetter
(patruus) von ihm, der nachmalige Meiisner Dekan Hein-
rich von Guben, stiftete ihm 132G und abermals 1352 (neben
seinen eignen Eltern) ein Jahresgedächtnis daselbst-^).
Er selber hatte für das Domstift Meifsen 1314 eine neue
Vikarie des Apostel Jakobus und des heiligen Georg er-
richtet, 1319 die Dörfer Rodewitz und Klessig „zu Er-
w^eiterung des Kultus" erworben und noch 1320 das Ein-
kommen zweier Vikarien durch Zinskäufe verl)essert.
Von seiner Thätigkeit an der Kirche zu Bautzen hal)en wir
keinerlei Spuren gefunden. Begraben ist er in Meilsen.
Ihm folgte als Propst Hermann von Freiberg
(1324—1342), der früher Pfarrer an der St. Nikolai-
kirche zu Freiberg gewesen war und bereits 1320 als
Meifsner Domherr genannt AA'ird. Unter seiner Amts-
führung hatte ein Bautzner Domherr, Nikolaus v. Kem-
nitz, wahrscheinlich ein Sprofs der Familie v. Gersdortf-"*)
aus dem Hause Kemnitz (SO. von Löbau), gemeinschaft-
lich mit „seinen Freunden" zwei neue Benefizien aus
eignen Mitteln gestiftet, welche Bischof Withego 1324
l)estätigte, und zu deren Dotation König Joliann von
Böhmen, als Landesherr, 18 Mark Rente auf Landgütern
zu erwerben erlaubte. "Wir wissen nicht, ob es noch
auiserdem ein neuer Altar war, welchen derselbe Nikolaus
V. Kemnitz mit 24 Talent Jahreszins gegründet hatte,
Ö
2") Copiale magnum pag. 35 im Doinarcliiv Bautzen.
2") Cod. Lus. S. 216.
2') Cod. dipl. Sax. reg. Jl. 1. 303. 2.Ö8. 320. 384. Märcker
Die Bnrgtirafen v. Meifsen, S. 182 Aniii.
-■') Kiiiitlie, Geschichte des üherhiusitzer Adels, S. l'JT.
26 Hermann Knotlie:
und für welchen er 1324 seine beiden „Onkel*', namens
Nikolaus und Johannes, präsentierte-*^). In denisellien
Jahre 1327 nahm das Bautzner Kapitel den Pfarrer Otto
von Jauernik als Domherrn auf und iil)ertrug ihm die ohen-
erwälmte Prähende der Marienkapelle auf dem Schlots,
welche dieser Otto noch aufgebessert hatte. Nach dessen
Tode erbat sich ein gewisser Hermann Schatz (Thesauri)
aus der Diöcese Baml)erg, Notar bei König Johann, diese
Präbende vom König, indem er denselben noch als den
Kollator dersel1)en betrachtete. Das Kapitel aber hatte
sie inzwischen schon dem Kanonikus Nikolaus Eberhard
überwiesen. In dem hierauf zwischen Eberhard und Her-
mami entstandenen Prozesse stellte sich sofort heraus,
dals das Patronatsrecht über jene Präbende nicht dem
König, sondern dem Domstift znstehe, und so ward die-
selbe 1339 dem Eberhard definitiv zugesprochen-'). Un-
mittelbar darauf begab sich letzterer auf die Universität
Bologna, um dort Rechtswissenschaft zu studieren. 1340
ward ,. dominus Nicolaus Eberhardi de Bndesin" bei der
,. deutschen Nation" daselbst inskribiert und 1344 zu einem
der „Prokuratoren'' (d. h. Rektoren) derselben erwählt-^).
— Von sonstigen Kanonikern zu Bautzen haben wir
während dieser Zeit noch den schon 1317 genannten
Dekan Friedrich und den Kustos Paulus (1327) vorge-
funden. Propst Hermann starb 1312 und liegt zu Meilsen
begraben.
Als neuer Propst erscheint in den Jahren 1343 bis
1358 Albert Knut, „Albert Knuts Sohn", aus altmeits-
nischem, ritterlichem Geschlecht, welcher 1337 ebenfalls
zu Bologna studiert hatte -^). In die Zeit seiner Amts-
führung fallen eine Reihe für die Kirche Bautzen nicht
unwichtiger Ereignisse. 1343 gründete der Kanonikus
Heydanus einen neuen (nicht näher bezeichneten) Altar
mit 8 Mark Einkünften. 1345 wurde ein umständlicher
Prozess zwischen dem Kapitel und dem Konvent der
Bautzner Franziskaner, die sich weigerten, von den Be-
gräbnisgebühren der in ihrer Kirche bestatteten Bürger
-«) Cod. Lus. S. 256. 258. 290.
2') Ebendas. S. 2fi7. 331. 337.
-*) E. Friedländer, Acta nationis Germanicae nniversitatis
Bonouensis (1887), S. 102. 107.
^^) Ebendas. S. 99 : All)ertus dictus Knnten de Myssena ejusdem
diocesis.
Die Pröpste des Kolleg-iatstifts St. l'etii zu Bautzen. 27
und Adeligen vom Lande den dritten Teil, als portio
caiionica, an den Pfarrer zu entiicliten, zu Gunsten des
letzteren entschieden. 1350 dotierte der Kustos Synion
die Leprosenkapelle vor der Stadt mit soviel Einkonunen,
dals daran ein l)esonderer Kaplan gehalten werden konnte.
1855 seliuf das gesamte Kapitel eine neue Präbende,
nämlich die Kantorei, imd wies derselben die Einkünfte
der Pfarrei Kunewalde und das Patronatsrecht über die
Kirche zu Beiersdorf (nicht Gersdorf) zu •■**). Endlich
Avurden l)ereits unter Propst Albert jene ersten ^Statuten
des Kollegiatstifts Bautzen ausgearbeitet, welche erst
unter dem folgenden Propste durch Bischof Konrad (1372)
l)estätigt wurden und nach diesem die „Konradischen'"
heifsen"''). Aus diesen Statuten lernen wir auch die
jS^amen der sämtlichen in der letzten Zeit von I*ropst
Alberts Amtsthätigkeit (es ist kein Jahr angegel)en) das
Bautzner Kapitel bildenden Domherren. Es sind aufser
dem Propst: Nikolaus Dekan, Theodor von Gijda, Nikolaus
doctor decretorum, Johannes Czobko, Heinrich von Bres-
lau, Bohuslav Pfarrer, Eulko von Bischofswerde, Johann
V. Caldenborn, Johann v. Kopperitz, Zacharias Luciä. '
Es dürfte der eljengenannte Dekan Nikolaus gewesen
sein, der 1359 von Papst Innocenz Vf. den Auftrag erhielt,
diejenigen Besitzungen des Domstifts Meilisen, welche
„unerlaubter Weise demselben entfremdet worden seien",
wieder in das Eigentum des Stifts zurückzubringen und
alle diejenigen, welche sich dem widersetzen würden,
., durch die kirchliche Zensur" endgültig dazu zu zwingen"-).
Der ebenfalls hier aufgeführte Pfarrer Bohuslav (Bo-
husius) aber war zum ständigen Exekutor des Magde-
l)urgor Konzils für das Bistum Meilisen ernannt und that
als solcher z. B. 1351 einen „Scheid" zwischen mehreren
Vikaren des Domstifts Meilsen und einzelnen Meilsner
Bürgern, welche ihnen Jahreszins zu zahlen hatten, ihn
aber nicht entrichteten. Er entschied zu Gunsten der
Vikare"'). Der ebenfalls genannte Johann v. C'alden-
30) Cod. Lus. S. 346. 347. Matricula ecdesiae l'.ud. 11. lol. XXV.
]Manuskri])t des Doinardiivs. Lil)ev fuudatioiiuiii pai.;-. 143, desgl.
Urkunden -Verzeichnis T. 62, Nr. 312.
''M Gedruckt: F. P|rili()usky], Statuten des Kolkgiat.stifts St.
Petri zu Budissin (1858), S. 5.
■■'''-) Cod. dipl, Sax. reg. IL 2, 18.
■") H.-St.-A. „Urkunden -Al)S(lirit'ten aus dem (Trofson Ardiiv
des Stifts Meifsen". I. Bd. 2. Abt. Nr. 297.
28 Herinauu Knothe:
1)0111, der 1340 noch Notar des Bischof Withego von
Meiisen nnd zugleich Pfarrer zu Belgern gewesen war^^),
wurde der erste Domherr Kantor zu Bautzen. Er stiftete
1367 nach dem Tode seines Freundes, des auch schon
erwähnten Theodor von Göda, demselben ein Jahresgedächt-
nis in der Bautzner Doinkirche und gründete darin 1383
einen neuen Altar ,,der Dornenkrone Christi". Zu diesem
Zweck erkaufte er unter anderem 5 Mark 18 Groschen
Jahreszins auf „13 Mann" im Dorfe Göda und aufserdem
noch ein zu Eii)e liegendes Bauergut daselbst. Seitdem
gehörte dieser Anteil von Göda dem Domstift, und der
jedesmalige Domherr Kantor hatte, als Gerichtsherr dar-
über, die Befugnis, dreimal im Jahre Gerichtstag da-
selbst zu halten, wobei er selbst oder sem Vertreter von
der kleinen Gemeinde in Speis und Trank freigehalten
werden mulste ■^•"'). — Bulko von Bischofswerde stammte
aus einer schon 1282 vorkommenden Bautzner Patrizier-
familie, deren Ahnherr einst aus Bischofswerde eingewan-
dert war'^*^).
Von 1362 bis 1367 erscheint All)ert Knut als Propst
zu Meiisen; er soll daneben auch die Propstei Bautzen
bis zu seinem Tode innegehabt haben. In diesem
Falle würde unter seine Amtsführung auch noch die
sogenannte Concordia Carolina von 1364, d. h. ein
von mehreren Bischöfen zwischen Kapitel und Rat zu
Bautzen vereinbarter und von Kaiser Karl IV. bestätigter
Vergleich fallen. Diesem zufolge sollte das Kapitel den
Schulmeister, der Rat al)er den Kiixhvater, jedoch „mit
Zustimmung des Kapitels" erwählen; die Opfer auf dem
Altare des Hospitals sollten dem Kapitel, die „auf dem
Kreuz" daselbst aber dem Altaristen oder den Kranken
gehören; das Glockenläuten sollte dem Kapitel, das Läuten
der grolsen Glocke aber dem Kirchvater zustehen u. s. w.""').
Auf Albert Knut, der in Meiisen begraben liegt, folgte
seit 1367 Konrad v. Wall hausen aus dem thüringischen
Geschlechte derer v. Kirchberg. Derselbe war eine Zeit
lang Kanzler des Markgrafen Friedrich des Strengen,
seit 1350 al)er Domherr zu Meiisen und seit 1357 Propst
3^) Schöttgen. Historie der Stiftsstadt Wiirzcu (1717). S. 154.
'■^'') \. Webers Archiv f. d. säclis. Geschichte V, 104: ..Geschichte
der Pfarrei Göda".
^'^) Vgl. über dieselbe ., Sonntags-Extrabeilage zu den Bautzner
Nachrichten". 1886. Xr. 3.'
»^) Urkunden-Verzeichnis I. 80, Nr. 395.
Die Pröpste des Kollegiatstifts St. Petri zu Bautzen. 29
ZU Hain gewesen. 1367 bestätigte er samt dem Dekan
Riilko und dem ganzen Kapitel zu Bautzen das von dem
Kantor Johann v. Caldenborn gestiftete Anniversar für
Theodor von Güda •'"*). Mit diesem Dekan Eulko hatte er
langwierige Streitigkeiten wegen der kirchlichen Juris-
diktion über die Laien in der Stadt Bautzen und auf den
einzelnen Stiftsdörfern, Avelche der Dekan für sich in An:=
Spruch nahm, Streitigkeiten, die erst 1373, nachdem Kon-
rad V. Wallhausen (1376) als Konrad II. den bischöflichen
Stuhl zu Meifsen bestiegen hatte, zur Entscheidung ge-
langten. El' starb 1375 und liegt ebenfalls im Dom zu
Meilsen begraben.
Von seinem Nachfolger, Theodor v. Capellendorf,
wissen wir nur, dais er in Urkunden des Hochstifts
Meilsen seit 1347 als Domherr zu Meilsen, 1371 (19. März)
als Propst zu Bautzen''''), seit 1380 aber als Archidia-
, konus der Niederlausitz bezeichnet wird. Er starb 1383
und liegt in Meifsen l)egraben.
Noch in demselben Jahre 1371 (13. Dezember) finden
wir bereits wieder einen neuen Propst von Bautzen,
Konrad Pruze, aus einem thüringischen Geschlecht,
dem lange Zeit das grolse Gut Treffurt gehih-te. Er
war 1347 „oberster Schreiber" Markgraf Friedrichs des
Strengen, seit 1353 Domherr zu Meilsen, 1358 Propst zu
Hain, 1362—1371 (25. März) Archidiakonus der Nieder-
lausitz gewesen und blieb nun Bautzner Propst von 1371
bis 1381. Unter ihm fand 1372'") die Bestätigung der
Statuten des Bautzner Kollegiatstifts, welche wir sclion
erwälmten, durch Bischof Konrad II. statt, Avobei als da-
malige Mitglieder des Kapitels Dekan Rulko [ von Bischofs-
werde], Heinrich Porsche [„Porschin"], Ramfold v. Po-
lenz, Johann v. Kopperitz, Johann Punzel [Ponczelinil
und der Kustos Heinrich von Biscliofsweide genannt
werden. Trotz dieser Statuten dauerten zwischen Propst
und Dekan die bereits angedeuteten Streitigkeiten wegen
der kiichliclien Jurisdiktion fort. Schon der Propst
Konrad v. Wallhausen hatte die Streitsache bis an die
})äpstliclie Kurie gebracht, wo sie noch anhängig A\ar.
Da bemühte er sicli jetzt, naclidem er Bischof von Meilsen
geworden war, sie selbst, gütlich beizulegen, um weitere
"**) Urkunde des Doniarchivs.
-") Cod. dii)l, Sax. reg. IL 2, 114.
•"*) F. P., Statuten des Kidley-intstitl.^^ etc. S.
30 Heniiani) Knotlie:
Prozefskosten zu vermeiden. Er berief zu diesem Zweck
die Parteieu, den Propst Konrad Pruze und den Dekan
Rulko, vor sich nach Altzelle. Hier liefs er sich zuerst
von beiden als Schiedsrichter anerkennen, und nun ent-
schied er am 27. März 1373 dahin, dai's jene Jurisdiktion
dem Propste, als Archidiakonus der Oberlausitz, von
jeher zuständig gewesen sei und noch zustehe. Auch über
einige andere minder wichtige Punkte traf er Entschei-
dung^^). 1377 bestätigte Propst Konrad die pfarr-
amtlichen Rechte und Einkünfte des Pfarrers Leuther
V. Hoendorf zu Göda, bei welcher Gelegenheit zum ersten-
male ein Official des Propstes erwähnt wird^-). Propst
Konrad stiftete von mehreren aus eigenen Mitteln er-
worbenen Zinsen in dem Dome von Meilsen eine solenne
Feier der Oktave des Apostel Johannes und des Bischof
Donatus, als der beiden Schutzheiligen der Meilsnischen
Kirche'-^).
Der (1372) unter den Bautzner Domherren erwähnte
Ramfold v. Polenz war (schon 1371) zugleich Domherr
von Meilsen und während der Sedisvakanz nach dem
Tode des Bischofs Nikolaus I. (1385) einer der Bistums-
administratoren. Er stiftete (1389) im Meilsner Dome
eine Feier des Tages Fabian und Sebastian ^^), soll erst
1403 gestorben sein und liegt in Meilsen begraben. —
1368 wurde dominus Hermannus de Budissin, canonicus
Budissinensis , den wir sonst nicht erwähnt gefunden
haben, auf der Universität zu Bologna inskribiert*'^).
Wir wissen weder, bis wann Konrad Pruze, noch
seit wann der auf ihn folgende Theoderich v. Goch
Propst von Bautzen gewesen isf"). Er stammte aus
einer Familie, von welcher im Laufe der Zeit viele Glieder
dem Meilsner Domstift als Geistliche angehört haben,
und dürfte doch wohl identisch sein mit dem „Theoderi-
cus de Goch", der 1367 auf der Universität Bologna als
Student der Rech.tswissenschaft inskribiert wurde*'). Er
'") Oriainalurkunde im Arcliiv des Meifsner Doinstit'ts (jetzt
als Depositum im Hanptstaatsarcliiv zu Dresden).
'2) G e r c k e n , Stolpeu, S. 5H9.
4«) Cod. dipl. Sax. reg. II. 2, 128.
4*) Ebemlas. 236.
•*•'■') Frie dl ander, Acta nationis Germanicae etc. S. 131.
^«) Machatschek, Gescliidite der Biscliöfe des Hochstifts
Meifsen. S. 335 sagt, Goch sei es schon 1382 gewesen, und nennt ihn
S. 27R „mag. medic." (?).
'') Fricdl ander a. a. 0., S. 129.
Die Pröpste des Kollegiatstifts St. Petri zu Bautzen. 3i
hatte später dem Erzbischof von Mainz, einem Bruder
der Meilsner Markgrafen Friedrich und AVilhelm, gewisse
uns nicht bekannte Dienste geleistet und erhielt deshalb
von letzteren 1377, als Scholastikus zu Meilsen, für das
zu seiner Präbende gehörige Dorf Pesterwitz Befreiung
von gewissen Verpflichtungen gegen die markgräflichen
Vögte. 1390 wird er als Dekan zu Naumburg und 1404,
zu derselben Zeit, wo er auch Propst von Bautzen war,
als „thesaurarius" des Domkapitels zu Naumburg be-
zeichnet"'-). Nach dem Tode des Meifsner Bischofs Niko-
laus I. (1393) hatte ihn das Kapitel zum Bischof erwählt,
und so wird er denn in der That in einer Urkunde w äh-
rend der Sedisvakanz unter den Zeugen als „electus"
aufgeführte^). Allein er erhielt, man weils nicht weshalb,
die päpstliche Bestätigung nicht, und so wurde statt seiner
Johann III. v. Kittlitz Bischof von Meilsen.
Als Propst von Bautzen haben wir Theoderich v. Goch
mit Sicherheit von 1393 bis 1405 gefunden. In ersterem
Jahre erliefs er samt seinem Kapitel (dem Dekan Hein-
rich [Porsche], Johann Punzel, Nikolaus Schiütze [Scul-
teti], Johann Stelcz, Pfarrer Albert v. Kopperitz, Hein-
rich Freiberg) ein Statut, betreffend die von den einzelnen
Domherren bewohnten Kapitelhäuser. Danach sollte nach
dem Tode oder dem AVegzuge eüies Domherrn dessen
Kurie zur Disposition des Kapitels stehen und von diesem
an einen andern Domherrn verkauft werden, w^obei den
älteren das Vorkaufsrecht vor den jüngeren zustehe"''*).
1394 bezeugte er, dals der Dekan Heinrich Porsche
(„Porschin") eine neue Vikarie mit 20 Mark Jahresein-
kommen für das Altar des heiligen Nikolaus letztwillig
zu stiften willens sei''^). Zuletzt ist er uns 1405 in einer
Meifsner Urkunde als Zeuge vorgekommen "'"-).
Wir wissen nicht, ob schon unter ihm oder noch
unter seinem Vorgänger 1391 eine Rechtsfrage von dem
Bischöfe Nikolaus I. von Meifsen dahin entschieden wurde,
dafs von den einer Kirche durch Testament ausgesetzten
Legaten in der Pegel die eine Hälfte der Kirche selbst,
die andere aber dem Pfarrer an derselben zustehe, und
dafs zumal auch die Vermächtnisse zu Gunsten des
*s) Cod. dipl. Sax. reg-. II. 2, 164. 251. 311.
''0) EbeiKlas. If. 2, 2.Ö4.
'■"') F. P., Statuten etc. S. 19.
•'■'1) Urkunde im Katsarchiv Bautzen.
S2) Cod. dipl. Sax. reg. IL 2, 325.
32 Hermann Knothe:
Kirclienbaues in Bautzen (pro fabrica ecclesiae Petri in
Biulissen) stets zwischen den dasigen Domherren und den
Kirchvätern zu teilen seien"''"'). — Der mehrfach erwähnte
Dekan Heinricli Porsche erkaufte 1399 von Benes von der
Dulje, dem damaligen Besitzer der Herrschaft Hoyers-
werde, dessen Hof auf dem Burglehn, den König Wenzel
dem Domstifte eignete ^'^). — Als 1407 der Bautzner
Bürger Hermann aus ühna (bei Kleinw^elka) die Kirche
des heiligen Nikolaus stiftete, werden als Zeugen von
Seiten des Kapitels aufgeführt Heinrich Preiberg Kantor
luid Johann lleichenbach Kanonikus'*'"').
In der Zeit von 1410—1416 erscheint als neuer
Propst zu Bautzen Johann v. Schleinitz, doctor de-
cretorum, der schon 1405 Scholastikus zu Meilsen war.
1410 bestätigte er (nebst dem Pfarrer Albert v. Koppe-
ritz und Walther v. Köckeritz), dals die Marienbiiiderschaft
zu Bautzen 17 Mark zu einem neuen Altar in der Dom-
kirche gestiftet habe, und erkaufte 1411 (nebst dem
Dekan Heinrich Pruze) von Bischof Rudolph von Meifsen
11 Schock Groschen Zins'"') auf der bischöflichen Stadt
Jockrim (Altstadt bei Stolpen). 1416 hatte er (nebst
dem Archidiakonus der Niederlausitz) im Auftrage des
Konzils zu Kostnitz zu untersuchen, ob ein im Jahre 1415
an nu^hreren zum Konzil reisenden (jreistlichen verübter
Stralsenraub, wegen dessen über die Parochie Göda das
Interdikt verhängt worden ^\'ar, wirklich auf dem Gebiete
oder von Parochianen derselben verübt worden sei. Er
konnte die Versicherung des Gödaer Pfarrers, Leuther
V. Hoendorf, bestätigen, dals dies keineswegs der Fall sei,
und hob daher zufolge der ihm erteilten Vollmacht das
Interdikt wieder auf'''). Johann v. Schleinitz erscheint
1417 bis 1421 als Propst von Meifsen, wo er auch be-
graben liegt.
Aulser den bereits erwähnten Kanonikern zu Bautzen
während seiner Amtsführung sind noch bekannt Johann
Tyle, der 1410 mit seinem Bruder, dem Dresdner Bürger
Kaspar Tyle, seinen Anteil an dem Dorfe Oberebersbach
bei Grolsenhain an das Domstift Meilsen verkaufte, und
■''■) Elienda^. II. 2, 252.
'■') Urkunde im D^maichiv.
■") Machatschek, Bischöfe, S. 352%.
^•") (iercken, Stolpen, S. 581.
■■') Cod. dipl. Sax. reg. II. 2,436. Vgl. v. Webers Archiv f. d.
Sachs, (leschichto V. 90.
Die Pröpste des KoUegiatstifts St. Petri zu Bautzen. 33
der Kustos Johann Gebese, der 1415 ein Legat von
10 Schock Groschen für die Armen in den beiden Hospi-
tälern zu Görlitz aussetzte''^).
Erst 1427 begegnen wir mit Sicherheit wieder einem
Propst von Bautzen, nämlich Theoderich v, Crucz-
berg (Kreuzberg), der schon 1410 Domherr zu Meilsen
und zwar Inhaber der Präbende der „Obedienz" war.
Wir wissen von ihm nur, dals er zur Zeit der Hussiten-
kriege, während deren auch Bautzen wiederholt (1429 und
1431) belagert wurde, das Amt der Propstei verwaltete.
Er dürfte sich wahrscheinlich sehr wenig in Bautzen auf-
gehalten haben. Von seiner amtlichen Thätigkeit wenig-
stens ist uns gar nichts bekannt geworden. Und mitten
in diesen Kriegsnöten sah sich die Stadt Bautzen auch
noch von dem Interdikt des Landesbischofs, Johanns IV.
(Hofmann) von Meilsen, betroffen. Die Stadt hatte näm-
nänüich seit 1401 auf königlichen Befehl 130 Schock
eigentlich an den König zu zahlende Jahresrente jetzt
an das Dom stift Meilsen zu entrichten. Dieser Verpliicli-
tung konnte sie nach der Belagerung und teilweisen Ein-
äscherung im Jahre 1429 augenblicklich nicht nachkom-
men ; das etwa aufzutreibende Geld mufste zum AVieder-
aufbau der zerstörten Häuser, zur Instandsetzung der
Stadtmauern und Wälle, sowie zur Anwerbung von Söld-
nern verwendet werden. Der Rat hatte daher den Bischof
um Aufschub der Zahlung gebeten. Allein derselbe
drängte und drohte mehr und mehr. In seiner Not hatte
sich der Rat endlich an Kaiser Siegmund gewendet und
dieser die Bitte um Stundung bei dem Bischöfe unterstützt.
Dennoch hatte letzterer die Stadt bannen, die Spendung
der Sakramente, ja sogar die (kirchliclu') Bestattung der
Gestorbenen verbieten „lassen" (wohl durch seinen Weih-
bischof). Da drückte auf neue Ivlage des liats unter
dem 1. September 1431 Kaiser Siegmund dem Bischöfe
sein entschiedenes Mitsfallen aus und „begehrte" von ihm,
den Bann aufzuheben und sich mit der Zahlung der Rente
zu gedulden"^'-'). Der weitei-e Verlauf dieser Angelegen-
heit ist nicht bekannt. Nach dem Kriege ward die Rente
natürlich wieder ausgezahlt. Das l'autzner D(»iiik;i|iilt'l
^•^) Cod. dipl. Sax. reg. H. 2, 362. Ui'kuihlcii-NCrz.'icliiii^ 1. 181
Nr. 938.
■•") Vi;-1. diese Zeits.lirift V. 309 Ih
Neues Arcliiv 1'. S (!. ii. A. \l. 1. •,'.
3
34 Herniaiin Kiintlie:
dürfte unter dem bischöflichen Banne ebenso sehr als
Rat und Bürgerschaft zu leiden gehabt haben ''^).
Auf Dietrich v. Cruczberg, der 1438 starb und im
Dom zu Meiisen begraben ist, folgte als Propst Lam-
pert V. Seehausen, schon 1421 Meilsner Kanonikus,
damals noch licentiatus, später aber doctor decretorum,
mindestens 1427—1432 Archidiakonus der Niederlausitz,
von 14;j2 aber bis zu seinem 1456 (13. Dezember) er-
folgten Tode Propst zu Bautzen. Als solcher bat er
1432 den Rat von Görlitz, seinem Offizial (Mauritius
von Schönau) ein gewisses Altarlehn in der dortigen Peters-
kirclie „für diesmal" zu verleihen*'^). Unter ihm wurde
ein abermaliger Streit zwischen dem Kapitel und den
Franziskanern zu Bautzen 1435 durch Bischof Johann IV.
dahin entschieden, dafs das Kloster das „kanonische
Viertel" an das Kapitel von allem und jedem abzugeben
habe, was dem Kloster, für welchen Zweck es immer
sei, von dort bestatteten Personen zugefallen sei*^-). Nach
dem Tode dieses Bischofs w^ar es Propst Lampert, der
1451 zu Meifsen den bisherigen Dekan des dasigen Ka-
pitels, Kaspar v. Schönberg, als neuerwählten Bischof
zu proklamieren hatte *'^). 1456 soll dieser Bischof Kaspar
einen Bierstreit zwischen Kapitel und Rat von Bautzen
entschieden haben *'^), über den uns Näheres nicht bekannt
ist. In demselben Jahre einigte sich Propst Lampert
mit seinem Kapitel (Dekan Georg v. Planitz [schon 1452],
Pfarrer Simon Jode [schon 1441], Kantor Balthasar
Dehr, Dr. Johannes Swofifheim und Petrus Pistorius) über
gewisse liturgische Statuten, nämlich über die an ein-
zelnen Marienfesten von den Domherren anzustimmenden
Gesänge *'•'''). Zu seinem Jahresgedächtnis in der Kirche
zu Meilsen hatte er eine neue Vikarie am Hieronymus-
altar in der Pürstenkapelle, zu dem in der Kirche zu
Bautzen aber 2 Schock Jahreszins gestiftet"*^). Er liegt
im Meifsner Dom begraben.
'^) Die von Grrofser (Merkwürdigkeiten etc. III, 30) aus dieser
Zeit aiifg'eflilirten Dekane „Ernestns 142H. Franciscns nionetariiis 1434,
Peti'us Culmen 1434'' sind uns wenigstens nirgend vorgekuninien.
<") Urkunden- Verzeichnis II, 32 1)-
02^ Laus. Mag-. LI (1872), 20.
«•') Cod. dipl. Sax. reg. IL 3, 90.
«') Laus. Mag. XXIV (1847), 279.
'-) F. P., Statuten etc. S. 19.
") Cod. Sax. IL 3. 121 n. 124
(>(i\
Die Pröpste des Kollegiatstifts St. Petri zu Bautzen. 35
Von 1457 — 1479 war Propst zu Bautzen Dietrich
V. Scliünberg-, ein Vetter des gleichnamigen und gleich-
zeitigen, von 1463— 1476 regierenden Bischofs von Meilsen;
doch kennt man nicht den Grad ihrer Verwandtschaft'"').
Als Domherr von Meifsen hatte er die Prähende in Castro.
Als 1457 Bischof Kaspar den Grundstein zu einer aher-
maligen Erweiterung- der Bautzner Domkirclie gegen
Süden zu legte *'^), dürfte gewils auch der neue Pi'opst
Dietrich assistiert haben. 1458 traf letzterer mit seinem
Kapitel (Dekan M. Job. Swoifheim doctor decretorum.
Kantor Balthasar Dehr, Petrus Pistoris, Job. Hahler
I Kaier?], Petrus von Dresden, Kaspar Komgler) neue
Bestimmungen über die bei dem Wechsel der PrälDenden
von den Kanonikern zu leistenden Zahlungen, Bestim-
mungen, welche 1465 und 1468 (Dekan Job. Pfoel, Senior
Job. Swoifheim, Petrus Pistoris, Job. Kaier, Pfarrer
Nikolaus Cro, Petrus Bartholomäi, M. Job. Gedaw) noch
vervollständigt wurden **''). Als 1463 nach dem Tode
Bischof Kaspars dessen Bruder, der bisherige Meifsner
Dompropst Dietrich v. Schünberg den bischöflichen Stuhl
bestiegen hatte, erhielt sein Vetter, der Bautzner Propst,
zugleich die Präbende eines Propstes zu Meifsen, was
Papst Pius VI. ausnahmsweise und unter der Bedingung
genehmigte, dals der neue Meilsnische Propst von dem
Einkommen seiner zwei Propsteien jährlich 100 tl. rb. an
den Bischof zu entrichten habe '"). Seitdem dürfte Propst
Dietrich nur selten noch in Bautzen sich aufgehalten haben.
1466 konfirmierte er die von dem Bautzner Bürger Hans
Nowagk gemachte Schenkung von 100 Schock zur Stif-
tung einer neuen Vikarie an der Marienkapelle vor der
Stadt '^); 1467 gelobte er mit dem Kapitel, das Seel-
gerät, das Bischof Caspar auch in Bautzen für sich be-
stellt hatte, zu begehen'-). 1477 legte Bischof Jobann V.
Zwistigkeiten zwischen Kapitel und Rat dahin bei, dals
zwar die geistlichen Herren, jeder für sich, fremdes Bier
(und Wein) beziehen, aber nicht für Geld in ihren AVoh-
"■'j Bernhard v. Sdiönliei'i;-, (icscliichte des Geschlechts
Schönberg 1. Bd. A1)t. A. S. 201 fly.
"«) (Jarpzow, Ehroiitenipel I. 247.
*■'«) F. P.. Statiiteu ete. S. 20. 26.
'") Cod. dipl. Sax. vog. II. 3, 148.
''*) Urkunde des Domarchivs.
'2) T^rkiindoii -Verzeiclmi^j TT. 102''
36 Hermann Knothe:
Illingen ausscliäuken dürften^-"'), was also bis dahin auch
in Bautzen geschehen war. Wir haben Dietrich v. Schön-
berg bis 1479 als Propst von Meilsen gefunden und dürfen
annehmen, dafs er bis zu seinem Tode auch die Prä[)0-
situr Bautzen werde beibehalten haben.
Wer dieselbe während der 80 er und 90er Jahre des
15. Jahrhunderts innegehabt hat, steht keineswegs fest.
Zufolge einer Urkunde vom 20. Dezember (Donnerstag
nach Luciae) 1487^^) erkaufte Paul Kiysche, „Kaplan
des Dompropstes von Bautzen, Johannes v. Schün-
berg" 20 Grosclien Zins zu Öppach, der nach seinem
Tode dem jedesmaligen Pfarrer dieses Dorfes zufallen
sollte. Man weils zur Zeit nicht sicher, wer dieser Jo-
hann V. Schönberg sei, vermutet aber, dafs er identisch
sein dürfte mit demjenigen, der seit 1483 Coadjutor seines
Bruders, Dietrich v. Schönberg, Bischofs von Naumburg,
seit 1492 aber dessen Nachfolger auf dem bischöflichen
Stuhle, nebenbei seit 1480 und noch 1489 auch Domherr zu
Meilsen war und erst 1517 starb '''j. Wir haben ihn als
Propst von Bautzen nur beim Jahre 1487 erwähnt ge-
funden; in jedem Falle muls er auf diese Pfründe lange
vor seinem Tode verzichtet haben. Offizial der Präpo-
situr _ war 1488 ein gewisser Vincentius'*^).
Übrigens bestanden damals zwischen dem Bautzner
Kapitel und dem Bischöfe Johann VI. (v. Salhausen)
langwierige Differenzen. Letzterer erzählt in dem Rechen-
schaftsbericht über seine Amtsverwaltung (1512), bei
seinem Regierungsantritt (1487) habe „die Geistlichkeit
in der Propstei und Dechanei zu Bautzen" und in all
den erzpriesterlichen Stühlen der Oberlausitz „durch
böser Leute, auch etlicher, die unserem Stifte anderes
schuldig waren, Verhetzung konspiriert" und sich gewei-
gert, dem Bischöfe das „zweijährige subsidium" zu geben,
habe vielmehr deshalb nach Rom appelliert, was dem
Bischof 1200 Dukaten Prozeiiskosten verursacht habe.
Erst 1502 wurde dieser Streit durch Schiedsrichter dahin
verglichen, dafs in der That jeder Benefiziatgeistliche des
Landes von jeder Mark (d. h. 48 Groschen) Einkommen
aus seinem Benefizium dem Bischöfe 4 l)öhmische Groschen
'3) Singul. Lusat. XV, 158.
■"j Urkunde des Doniardiivs Bautzen.
"') Bernhard \. Sc hönbcr g-. (Tesehühtc des (iescbleclits
V. Schönberg I. A. 231 flg.
'"'•) Urkuiidiii-Verzeiclinis IT, Ifil'--
Die Pröpste des Kollegiiitstifts St. Petri zu l]iuit/jii. 37
(also den 12. Teil) als suhsidiuiii biennale,, so oft ein
solches in der Diözese Meilsen ausgeschrieben werde, ent-
richten müsse").
Wie in anderen Ländern waren übrigens damals auch
in der Stadt Bautzen und wohl in der gesamten 01)er-
lausitz die Sitten der Geistlichen so anstölsig, ihr ge-
samtes Leben so zuchtlos, dals der Dekan Johann Pfoel
1494 ein sehr scharfes Mahnschreiben an sie erliefs'^).
Ln Jahre 1502 war Johann v. Wartenberg, Sohn
des damaligen Landvogts in der Oberlausitz, Siegmund
V. Wartenl)erg auf Tetschen, „Propst der Kollegiatkirche
St. Petri zu Bautzen", wie er sich in dem erwähnten
Schiedssprüche von diesem Jahre selbst bezeichnet. Er
war auch Propst zu Wyssegrad, Leitmeritz und (seit
1499) Propst des Prager Domkapitels und starb 1508
(Frind, Kirchengesch. v. Böhmen IV, 159).
Erst 1510 haben wir mit Sicherheit^'') wieder einen
neuen Propst vorgefunden, nämlich Nikolaus v. Hey-
nitz, beider Pechte Doktor, Domherrn Kustos zu Meilsen,
Domherrn zu Altenburg, Rat und Vizekanzler des Herzog
Georg von Sachsen. Nach dem Tode Bischof Johanns VI.
(1518) wäre er beinahe dessen Nachfolger geworden.
Von irgend welcher Wirksamkeit in der Oberlausitz ist
uns nichts bekannt geworden. Er starb 1526 und liegt
im Dom zu Meilsen begraben.
Je mehr auch die Pröpste von Bautzen, e1»enso wie
zu jener Zeit fast aller Orten die höheren kirchlichen
AVürdenträger, eine Menge von Pfründen und Ämtern
nebst deren Einkünften in ihrer Person zu vereinigen
suchten, desto seltener kamen sie natürlich persönlich
nach Bautzen und überlieisen die von der Propstei zu
erledigenden laufenden Geschäfte lediglich ihren dortigen
Offizialen*""). Als solche Geschäfte erweisen sich die
") (liTckrii. Stolpcn S. 686. Cutl. ilipl. Sax. rci^'. il. 7, 146.
'^) Urkunden -Verzrirliuis HF, 23i'- Käuffer, Aliril's 111. 101.
N. Script, rer. Lus. II. 436. Vy-l. den Biiof des Pfiu'i'ers l'.ock zu
Geibsdorf (1487) an den Dekan Hmiliard .,Thainmerus" {?). IM ü 1 1 v v.
Keformationsycscliiclite der Olicrlausitz S. 82 A.
■"') Kreisio'. Uciträüc ] 11. 11. :\i adiat silick. ( icschicliti' der
Bischöfe des Hoclistifts .Meilsen S. 625, iuhrt einen Widfgany v. Sclilci-
nitz an, der 1508 Propst in Bautzen gewesen sei. Der Cod. dipl.
Sax. re«'. kennt ilm nicht als solchen, sondern nur als Bruder des
Bischofs ■l(diann v. Sclilciuitz. g-esessen zu Ragewitz.
'•") Als derii-leichen ..Oflizialc der l'ropstci Bautzen" sind uns
vorg-ekommen: i;383 Christoph v. Betschitz, 1425 Mucenz Heller.
38 Hermann Knotlie:
Einweisung' der Geistlichen in ihre Stellen oder die Be-
stimmung derjenigen Pfarrer, welche die Installierung
vollziehen sollten, ferner die Entscheidung von Streitig-
keiten besonders zwischen Geistlichen und Laien, des-
gleichen die Einmahnung von Dezem und Zinsen selbst
unter Androhung der Exkommunikation. Die Leitung des
Kapitels dagegen und die Anordnung alles dessen, was
das kirchliche Leben unmittelbar betraf, war dem Dekan
überlassen, so dafs dessen Bedeutung für das ganze Land
schon damals eine weit grölsere war, als die des Propstes.
Nach dem Tode (1502) des schon erwähnten Johann
Pfoel erscheint 1505 als Dekan Dr. Christoph Pfoel, seit
1507 aber Dr. Kaspar Emmerich. Dieser war der dritte
Sohn des durch seinen Reichtum weitberühmten Görlitzer
Bürgers Georg Emmerich*'), der für ihn (1489) zu Bautzen
eine achte Präbende, die „des Speers und der Nägel Christi",
gestiftet hatte. Darum heilst Kaspar Emmerich schon
1502 bei seiner Inskription auf der Universität Bologna
„Kanonikus der Kirchen zu Bautzen und zu Glogau" *"-).
Er wurde 1503 Doktor in Bologna und 1504 einer der
„Prokuratoren". In Bautzen stieg er endlich, wenn auch
mit Verdrängung des vom Kapitel Erwählten, infolge
päpstlicher Verleihung bis zur Würde des Dekans empor.
Da seine Mutter in ihrem Testamente eine kirchliche
Stiftung gemacht hatte, welche er, damals bereits Dekan,
der Präbende des Kantors zu unieren Avünschte, so wil-
ligte der Görlitzer Rat (1516) nur unter der Bedingung
ein, dals künftig er, der Bat, nicht mehr das Kapitel,
das Präsentationsrecht zu der Kantorei haben sollte, was
endlich auch der Bischof genehmigte*''). Damals waren
Heinrich v. Kottwitz Senior, M. Andreas Beler Propst
1432 Mauririus von Sdir.iuui. 1461 :\I. .Tob. Gt-daw, 1465—1470 Kaspar
^larieiiam, 1474 .Tohaiin. 1488 A'iucciitius. 1493—1494 M. Andreas Eeler,
1494 Dr.Hicroiivmus Swuffheiin. töOO Dr. ('hiistoi)li Pfoel. 1502—1503
(ieori^- Fahri. 1.5Ö5— 1508M. Paul Kviehler. 1508 Christoph Rosenhavn.
1512—1517 Petrus Weippersdorf, 1531—1522 Simon Schellenbe'rg,
1538 Valentin Alljeiti. Mehrere der hier Genannten finden Avir später
im 1 besitz von Domherrenstellen. Von diesen Offizialen der Propstei
sind zu unterscheiden die Offiziale des Bischofs, welche von Stolpen
aus die Befehle oder Entscheidungen der hischöflichen Kanzlei in
die Oheilausitz gelangen liefsen.
-') Knothe, Geschichte des Oherlansitzer Adels S. 178.
■'-) Fi'iedländer, Acta nationis Germ. S. 361.
*•') N. Script, rcr. Lns. III. 410 flg. Urkunden- Verzeichnis III,
101 und 105.
Die Pröpste des Kollegiatstifts St. Petri zu Bautzen. 39
ZU Liegnitz, M. Paul Kucliler und Joluinn Zacliariä Dom-
herren. Endlich niufste Emmerich, dem man mancherlei
Unredlichkeit in Geldsachen nachsagte ^^), auf das De-
kanat verzichten und siedelte nach Freiberg über, wo
seine Schwester lebte.
Nach dem Tode des Nikolaus v. Heynitz wurde
Heinrich v. Bünau (1527—1550) zum Propst von
Bautzen erwählt und den 1. Juli 1527 von dem Bischöfe
als solcher investiert. Auch er dürfte sich nur selten in
Bautzen aufgehalten haben , mehr in Meiisen und in
Würzen, wo er 1548 Amtsverweser war^^^). So blieb die
Leitung der kirchlichen Angelegenheiten in der Ober-
lausitz abermals den Dekanen überlassen.
Nach Kaspar Ennnerich bekleidete dies Amt Dr. Georg
Wirth, sodann (1525) der bereits 70jährige bisherige
Senior, M. Paul Kuchler^"). Dieser huldigte innerlich völlig
den Anschauungen der Reformatoren. Durch einen Stu-
denten in Wittenberg liels er sich regelmälsig die neu-
erschienenen Schriften derselben zuschicken und predigte
als neuerwählter Dekan zu Bautzen selbst im reforma-
torischen Sinne, spendete sogar das Abendmahl unter bei-
derlei Gestalt. Freilich nötigte ihn alsbald der Wider-
spruch seiner Mitkanoniker, sowie der Tadel des Bischofs,
nicht nur sein reformatorisches Vorgehen zu bereuen,
sondern auch mehrere der bereits evangelischen Bürger-
schaft gemachte Zugeständnisse zurückzunehmen. —
Nach seinem Tode (1546) folgte Johann Cochlius und
1548 M. Hieronymus Ruperti, der auch Propst zu Würzen
war (gestorben 1559), ein eifriger Katholik.
Schon seit Anfang der 20 er Jahre des 16. Jahr-
hunderts war in allen oberlausitzischen Sechsstädten die
Bürgerschaft bestrebt, sich offen zu den Lehren der Re-
formation zu bekennen. In Bautzen'^") fügte man dem
noch die offene Verspottung des Papsttums hinzu. Bei
Gelegenheit der volkstümlichen Feier von Petri Ketten-
fest trugen 1522 Männer eine Stange mit Ablals- und
Butterbriefen herum, die sie spottweise zum Verkauf
**') Bit uiiiii'iii't (• 1 . Die kiiihlichfii Zusliiiidc iJaiitzeu^i im 16.
und 17. .lalirliuiidert (1889). S. 13A.
•'■') lliknndfii-\'crzci(lniis III, ISo^- Ood. dipl. Sax. reg. 11. :>.
385. 388.
8«) Laus. Mag. XLIX (1872), 27. XXXI 11 (1857). 20211-
'*■') Vgl. Bauiugävtel, Die kircliliclien Zustände IJautzens im
16. und 17. .Fahihundert. Programm, Bautzen 1889.
40 Hermann Knothe:
anboten, niid warfen .sie, da natürlich niemand kanten
wollte, endlich in das auf dem Markte angezündete Feuer.
Im nächsten Jahre wurde bei derselben Gelegenheit so-
gar eine papierne Papstfigur verbrannt. 1523 entliefs das
Kapitel (Senior v. Kottwitz, Kuchler, Christoph v. Haug-
witz), vielleicht um Geld zu sparen, alle die jüngeren
Vikare und machte dem Rate allerhand Zugeständ-
nisse betreffs der Schule und des evangelisch Predigens
selbst in der Domkirche. Diese Prediger des Rats nun
eiferten auf das Heftigste gegen das Papsttum, wurden
allerdings dafür alsbald von dem Kapitel wieder beseitigt.
1525 wurde sogar eine Bilderstürmerei in der Domkirche
in Szene gesetzt. Selbst von den Kapitularen aber neigten
sich mehrere dem Protestantismus zu. Von dem neu-
erwählten (1525) Dekan Kuchler erwähnten wir dies be-
reits. Der Domherr Christoph v. Haugwitz schrieb ein
Buch „Über das Wesen eines Thumherren" ganz im Luthe-
rischen Geiste, weshalb (1527) König Ferdinand I. von
Böhmen dem Domkapitel seinen „nicht kleinen Unge-
fallen" über diesen Zwiespalt in der Religion ausdrückte.
1527 fand zwischen den beiden evangelischen Predigern
an der Domkirche und dem Prediger des Franziskaner-
klosters eine öffentliche Disputation statt, „ob die Messe
ein Opfer sei"; die Bürgerschaft schrieb ihren Geistlichen
den entschiedenen Sieg zu. Seit der Dekan Kuchler,
wie erwähnt, die dem Rate bereits gemachten Zugeständ-
nisse wieder zurücknahm, trat zwischen Rat und Kapitel
eine immer gröliser werdende Entfremdung ein. Er gründete
(1541) eine eigene „evangelische Schule", aus Avelcher sich
das spätere Gymnasium entwickelte, entzog den Franzis-
kanern die bisher gezahlte Subvention von jährlich 24 Schock
und trug dadurch nicht wenig zu der endlichen Auflösung
des Klosterkonvents bei. Die meisten Mönche verlielsen
in Bautzen, wie anderswo, ihr Kloster und nahmen ent-
weder evangelische Pfarrstellen an oder traten in den
Laienstand. Je länger je mehr fehlte es im Lande an
katholischen Priestern, um die offen werdenden Stellen
neu zu besetzen. 1541 erlaubte der Bischof einem Geist-
lichen zu Löbau, der das Präsentationsrecht zu zwei
geistlichen Lehen daselbst besafs, dieselben „wegen Mangel
an Priestern" mit Geistlichen aus Bautzen, aus Glogau
oder sonst woher zu besetzen. Selbst König Ferdüiand
befahl 1537 dem Bautzner Kapitel, erledigte Präbenden
an taugliche und vor allem in der Stadt selbst „resi-
Die Pröpste des KoUegiatstifts St. Vaivi zu Bautzen. 41
dielende" Priester des ,,Iii- oder Auslands" zu vergeben.
Dafür war dem Rate und sämtlichen Seclisstädten in
dem Domstift, welches seit 1533 zu dem Landstande,
d. h. der liitterscliaft, gerechnet ward, ein neuer, nicht
unwichtiger Gegner in all den Prozessen, w^elche eben
damals die Städte mit dem Adel zu führen hatten, ent-
standen. Durch den „Pönfall" (1.547) verloren die Sechs-
städte all ihre Rechte, Privilegien, Güter, selbst ihre
Waffen und wurden vom König für seine ,, Kammergüter"
erklärt. Die Macht der Städte war hiermit auf lange
Zeit gebrochen; die Hoffnungen der Katholiken begannen
zu wachsen. Da drohte dem Domkapitel eine neue Ge-
fahr von Seiten des ersten „Landeshauptmanns'' der Ober-
lausitz, Dr. Ulrichs v. Nostitz. Sein Amt verpflichtete
ihn, allenthalben das Interesse des königlichen Fiskus
wahrzunehmen. Nun mulste er gewahren, wie die aller-
meisten Domherren, ja sogar aucli Vikare, sich gar nicht
mehr in Bautzen selbst aufhielten, den Kirchendienst da-
her gar nicht verrichteten „und doch davon leben wollten".
Obgleich selbst ein eifriger Katholik, legte er daher, in
Gemeinschaft mit dem Kanzler Georg Pritsche, 1549 zu
Gimsten des königlichen Fiskus Beschlag auf die Ein-
künfte des Kapitels und der einzelnen Präbenden, eine
Sperrung der geistlichen Revenuen, die erst 1551 infolge
der Bemühungen des Dekan Leisentritt durch den König
wieder aufgehoben Avurde^^).
Nach Heinrich v. Bünau ward (1550) Propst zu
Bautzen Hieronymus v. Kommerstadt auf Model-
witz, Dr. jur. etc., der 1.555. als er von dem ueuerwählten
Bischof Johann IX. v. Haugwitz nach Rom gesendet
wurde, um die päpstliche Bestätigung einzuholen, zugleich
als Dekan zu AVurzen bezeichnet wird^**). Dieser trat
1559, dem Beispiel vieler Kapitulare des Hochstifts
Meilsen folgend, offen zum Protestantismus und verhei-
rathete sich. Erst 1562 alier legte er die Würde eines
Bautzner Propstes .nieder, ^vorauf sein Nette, Julius
V. Kommerstadt, dieselbe erlangte.
AVie in dem gesamten Albertinischcn Sachsen schon
1539, nändich seit dem Regierungsantritt Heizog Hein-
richs des Fronnnen, die Reformation eingeführt worden
w^ar, so schien aucli in den ausgedehnten Gebieten des
*«) Laus. Mag. XXXIII (18Ö7), 204.
'•»j Cod. dipl. Sax. reg. II. 3, 388. 391.
42 Hermami Kuotlie:
Hoclistifts Meilsen der Katliolizismiis rascli seinem Ende
entgegengehen zu sollen, als 1555 daselbst Johann IX.
V. Hangwitz, der letzte Meifsu er Bischof, den bischöf-
lichen Stuhl bestieg. Um von Kurfürst August von Sachsen
die Zustimmung zu !:einer bevorstehenden AVahl zu er-
langen, hatte derselbe nämlich (25. April 1555) dem Kur-
fürsten die schriftliche Zusicherung gegeben, „die wahre
christliche Religion, wie die jetzo in diesen Landen ge-
halten wird, im ganzen Stift Meilsen, eigner Person, so-
viel ihm immer möglich, pflanzen, aniichten und dabei
bleiben" zu wollen'"^). Zugleich hatte er sich bereit er-
klärt, dem Kurfürsten zu besserer Abrundung von dessen
Gebiete das Amt Stolpen, zu welchem die sämtlichen in
der Oberlausitz gelegenen Ländereien des Bistums ge-
hörten, gegen das kurfürstliche Amt Mühlberg tausch-
Aveise zu übei'lassen. Beide Zusagen aber weigerte sich
der Bischof nach erfolgter und genehmigter Wahl zu er-
füllen. Erst die sogenannte Carlowitzische Fehde, in
welcher der kurfürstliche Stallmeister Hans v. Carlowitz
sich der beiden bischöflichen Städte Bischofswerde und
Stolpen zu bemächtigen suchte, um den Bischof zur Heraus-
gabe einer vermeintlich von seinem Vorgänger, dem Bischof
Nikolaus II. v. Carlowitz, hinterlassenen und dessen Erben
zukommenden Summe zu zwingen, nötigte Bischof Jo-
hann IX. (1559) in jenen Gebietstausch zu willigen, wo-
rauf sofort eine kurfürstliche Visitationskommission in all
den bisher bischöflich gewesenen Ortschaften auch der
Oberlausitz die Reformation einführte. Mit Ausnahme
der drei Frauenklöster Marienstern, Marienthal und Lauban
und einiger wenigen denselben unterthänigen Ortschaften
war dieses Land längst schon durchaus lutherisch ge-
worden. Selbst in der Domkirche zu Bautzen wurde für
die völlig evangelische Bürgerschaft der Stadt evangelisch
gepredigt und das Abendmahl nach Lutherischem Ritus
ausgeteilt. Der Propst des Domstifts war, wie erwähnt,
selbst zum Protestantismus übergetreten, und mehrere
der Kanoniker neigten sich wenigstens entschieden dem-
selben zu.
Dals das Domstift Bautzen dennoch dem Katholizis-
mus erhalten blieb, ja dals derselbe in dei' Oberlausitz
sogar neue, gesicherte Festigkeit erlangte, ist wesentlich
das Werk des nach dem Tode des M. Hieronymus Ruperti
90
) Vg-1. V. Webers Archiv f. d säclis. (lesdiichte V, 98A.
Die i'röpste des Kollegiatstifts St. l'etri zu Bautzen. 43
erwählten Dekans Johaon Leisen tritt'"). Derselbe
war 1520 (nach anderen 1526 oder 1527) zu Olmütz ge-
boren, hatte auf der Hochschule seiner Vaterstadt und
der zu Krakau studiert, war darauf Hofmeister der kaiser-
lichen Edelknaben zu Y/ien gewesen und um 1550 Priester
geworden. König Ferdinand I. hatte den talentvollen
jungen Geistlichen, der auch slavischer Sprachen mächtig
war, an die Domkapitel von Meilsen, Naumburg und Merse-
burg, sowie an das Domstift Bautzen zu Erlangung einer
Domherrenstelle empfohlen, und so wurde er denn 1549
an letzterem Stift zunächst Domherr und 1559 Dekan.
Hochgebildet und zugleich weltgewandt, als katholischer
Schriftsteller bereits bewälirt, der alten Kirche treu er-
geben, aber doch in richtiger Erkenntnis der in der Ober-
lausitz thatsächlich bestehenden Verhältnisse zugleich
tolerant gegen die Andersgläubigen, war er in der That
die geeignete Persönlichkeit, den Katholizismus in der
Oberlausitz,' soweit er noch bestand, zu erhalten und
demselben eine neue rechtliche Gestaltung zu verschaffen.
Als diese Persönlichkeit wurde er denn auch von all den
l)etreff'enden höchsten Behörden richtig erkannt und in
seinen Bestrebungen kräftigst unterstützt. Unter dem
28. Juni 1560 übersendete ihm zuerst' (wohl infolge von
Wiener Emfluls) der damals noch sich katholisch nennende
Bischof Johann IX. von Meilsen die Ernennung zu seinem
„Generalkommissar" in Ober- und Niederlausitz"'-). Die
Ernennung eines solchen Generalkommissars war durch-
aus nichts Neues oder auch nur Ungewöhnliches. Der
Bischof sagt in seinem Schreiben, er habe Leisentritt
dieselben Aufträge (mandata), Eechte und Machtvoll-
kommenheiten erteilt, „welche früher unsere General-
kommissare in Stolpen gehabt haben". Zuletzt (bis 1559)
hatte der Pfarrer Jakob Heinrich zu Stolpen, der zu-
gleich Domherr Kantor in Bautzen war, den Titel und
die Stellung eines Generalkonnnissars gehabt. Als Stolpen
kursächsisch geworden war, hatte er natürlich die Stadt
verlassen müssen und sich von da auf seine Kantorei in
Bautzen begeben'*''). Dem neuen Generalkommissar Leisen-
'") Über denselben vjil. Pelze 1. Al)liilduni;cn liölnuisclicr und
niährischei' Uelehitci' J \'. 28. Sdi iittii,eii. I »iidniiintisclic Naclilcsc \1.
306 tlo-. Laus. Mag-. XXX \'i (1860), 385.
«2) Gedruckt Laus. Mag. XXXIH (1857), 172. Macliatselu'k
S. 787.
••■■) J.aus. Mag-. XXXlll (1857), 171. 192.
44 Henuaiiii Kuotlie :
tritt war vom Bischof ausdrücklich das Hecht und die
volle Gewalt erteilt worden, „streitige Sachen nach Recht
und Billigkeit zu entscheiden und auch anderes zu voll-
ziehen, was in solchen Fällen zu geschehen habe", doch
unter der Bedingung, dals er den jedesmaligen Bischof
von Meifsen als loci Ordinarius anerkenne und in M'ich-
tigeren Angelegenheiten dessen Rat und Hilfe einhole.
So war denn hierdurch die kirchliche Jurisdiktion in den
beiden Lausitzen, wenn auch nur bedingungsweise, rechts-
kräftig dem damaligen Dekan zu Bautzen überwiesen.
Ein von dem Bischöfe (22. Juli) ihm überseudetes Amts-
siegel sollte diese neue Würde auch äufserlich bestätigt
erscheinen lassen. Als Kurfürst August von diesen Vor-
gängen Kunde erhielt, verlangte er (1561) vom Bischöfe
Rücknahme jener Vollmacht und Rückforderung des
Siegels, allein vergeblich.
Inzwischen hatte Kaiser Ferdinand I., als Landes-
herr der beiden Lausitzen, dem die Erhaltung des Ka-
tholizismus in diesen Ländern am Herzen lag, auch
seinerseits jene bischöfliche Vollmacht anerkannt, indem
er den Dekan Leisentritt zum administrator episcopatus
Misnensis in spiritualibus per utramque Lusatiam erklärte,
und der päpstliche Nuntius zu Wien, Melchior Bilia, hatte
ihn im Namen des apostolischen Stuhls als solchen be-
stätigt. Da aber das Generalkommissariat vom Bischöfe
dem Dekan Leisentritt nur persönlich übertragen war,
also ihm auch wieder abgenommen werden oder nach
seinem Tode von selbst erlöschen konnte, so befahl (1567)
der Nuntius dem Dekan in apostolischer Vollmacht und
l)ei Strafe der Exkommunikation, das Amt der Admini-
stratur ohne Vorwissen des päpstlichen Stuhls an niemand
abzutreten, und inkorporierte sogar (1570) dasselbe für
den Todesfall des jetzigen Dekans „der Kirche zu Bautzen
und dem gesamten katholischen Kapitel" derselben. Erst
hierdurch war diese Administratur für immer dem Bautzner
Kapitel gesichert. Es war dies um so Avichtiger, als
Bischof Johann IX. bei seiner eigenen Resignation auf
das Bistum (1581) in der That auch das früher von ihm
erteilte Generalkonmiissariat widerrieft). Allein dieser
Widerruf konnte jetzt rechtlich keine Bedeutung mehr
haben, denn jene Vollmacht war von ihm rechtskräftig zu
einer Zeit ausgestellt, wo er selbst noch katholischer
ö^) Ebendas. 179.
Die i'iöpste des Kollegiatstifts St. l'ctii zu Bautzen. 45
Bischof von Meifsen war; sie war darauf vom Landes-
lierrii und vom Papste anerkannt worden und konnte jetzt,
wo der Bischof selbst zum Protestantisnuis übertrat, nicht
mehr von demsell)en einseitig zurückgenommen werden.
Diese Rechte der „geistlichen Administratur" sind dem
Dekanat zu Bautzen auch nicht verkümmert worden, als
durch den Prager Frieden von 1635 die Landeshoheit
über die beiden Lausitzen an Kursachsen abgetreten
wurde. Vielmehr stellte sich, seit der kurfürstliche Hof
(161)6) selbst katholisch geworden war und die Zahl der
Katholiken in den sächsischen „Erblanden" wuchs, je
länger je mehr der Wunsch heraus, dals der Bautzner
Dekan, der ja bereits bischöfliche Rechte besals, dieselben
auch in diesen Erblanden ausüben möge. Zu diesem
Zwecke pflegt (seit 1752) der jedesmalige Dekan vom
Papste zum Bischof in partibus ernannt zu werden. Das
Königreich Sachsen hat also keinen Landesbischof; viel-
mehr übt der Bautzner Dekan die bischöflichen Rechte
in der sächsisch gebliel)enen Oberlausitz noch immer in
seiner Eigenschaft als „Administrator des Bisturas Meilsen",
in den sächsischen Erblanden dagegen als Bischof in i>ar-
tibus aus.
Hatte auch das Hochstift Meifsen seit 1581 als
solches zu bestehen aufgehört, indem die bisherige Landes-
hoheit vom letzten Bischof an Kursachsen abgetreten
worden war, so besteht doch das Meifsner Domkapitel
bis auf den heutigen Tag. OV)gleich sämtlich zum Pro-
testantismus ültergetreten, hatten die Kapitulare ihre Pi'ä-
benden behalten und deren Einkünfte fortbeziehen dürfen.
An Stelle der gestorbenen Mitglieder des Kapitels waren
neue ernannt worden. Zufolge päpstliclien Privilegiums
hatte schon 1476 der jedesmalige sächsische Landesherr
das Recht erlangt, zu den „oberen Präl)enden" zu prä-
sentieren; zu diesen gehörte nach ausdrücklicher Eiklärung
von Papst Sixtus IV. (1481) auch die Propstei IJaut/en.
Noch gegenwärtig ist daher stets einer der Meilsner
Domherren nominelli'r Propst von Bautzen, d. h. er be-
zieht als solcher gewisse Einkünfte, hat aber, als Pro-
testant, wedei- Sitz noch Stimme im Bautzner T)omkai)ite].
Wenn der König von Sachsen einen neuen Proi)st von
Bautzen ernannt hat und davon dem Kapitel Anzeige
macht, so protestiert dassell)e regelmäisig gegen diese
Ernennung, erklärt sich alier zuglcicli bereit, den Neu-
erwählten unter der Bedingung ciii/.nw eisen, dals er sich
46 H. Knntlie: Die Pröpste des Kollegiatstifts St. Petri etc.
vorlier diircli scliriftliclien Revers und mittels Bürgen ver-
pflichte, nie wieder den Propstsitz im Bantzner Kapitel-
saal einnehmen zu wollen. Darauf wird er denn unter
feststehenden Formalitäten von dem Dekan und den sämt-
lichen Kapitularen feierlich auf den Propstsitz geleitet,
als Propst investiert und bei dem folgenden Festmahl als
solcher beglückwünscht, darf aber nie wieder beans]nuchen,
irgend ein Recht des Propstes innerhalb des Bantzner
Dondvapitels auszuüben.
TU.
Die Bezieliuiigeu Philipp Melaiichtlioiis
zur Stadt Zwickau.
Ernst Falunii.
Nicht mit Unrecht hat man die Stadt Zwickau die
Burg der Reformation im südlichen Teile des ehemaligen
Kurfürstentums Sachsen genannt. Schon frühzeitig regte
sich hier ein lebhaftes Interesse für die grofse geistige
Bewegung, die von Wittenberg ausging, aber sie nahm
gerade hier bei der leicht erregbaren Bevölkerung, unter der
sich namentlich zahlreiche hussitische Elemente aus dem
benachbarten Böhmen befanden, von vornherein einen un-
gleich gewaltthätigeren Charakter an als anderwärts, und
es bedurfte der ganzen Kraft des von einsichtsvollen,
energischen Männern, wie Hermann Mühlpfort und Lau-
rentius Bärensprung, geleiteten Rats, um der von Thomas
Münzer, Niklas Storch und ihren Anhängern angestifteten
Unruhen Herr zu werden. Mit groiser Aufmerksamkeit
verfolgte man von AVittenberg aus den Gang der Ereig-
nisse in Zwickau; erachtete es doch Dr. Martin Luther
selbst für ratsam, durch ])ersönliches Einschreiten (28. April
bis 3. Mai 1522) die reformatorische Bewegung wieder
in ruhiges Fahrwasser zu leiten. Von dieser Zeit an
nahmen die Gelehrten von Wittenberg, Avie zahlreiche,
noch vorhandene Dokumente beweisen, an den Kirchen-
48 Ernst Fabian :
und Sclmlangelegenlieiten, die gerade in Zwickau damals
in ganz bedeutsamer Weise in den Vordergrund traten,
den regsten Anteil. Ganz besonders aber war es, nament-
lich nachdem Luther mit dem Zwickauer Rate wegen
Kompetenzstreitigkeiten betreffs der Ein- und Absetzung
der (leistlichen (1531) völlig zerfallen war, Philipp Me-
hinchthon, der den Zwickauer Verhältnissen nahe trat,
und es entwickelte sich seitdem ein lebhafter brieflicher
und persönlicher Verkehr zwischen ihm mid den Ver-
tretern der Stadt. AVann derselbe seinen Anfang ge-
nommen hat, lälst sich mit voller Bestimmtheit nicht fest-
stellen, aber aus dem regen Anteil, den Melanchthon
dem ihn selbst schwer beängstigenden Treiben der
„Zwickauer Propheten" widmete^), dürfen wir wohl den
Schluls ziehen, dals er der Entwickelung der Dinge in
Zwickau von den ersten Anfängen der Reformation an
seine volle Teilnahme geschenkt haben wird. Und dals
er auch mit Aufmerksamkeit die von dem Prediger Paul
Lindenau"-) in den letzten Jahren des dritten Jahr-
zehnts hervorgerufenen Unruhen verfolgte, dafür spricht
eni Schreiben") von ihm aus dem Jahre 15"-^8 an den
Stadtpfarrer Nikolaus Hausmann , worin er ihn über
die Angriffe seitens des heftigen Lindenau zu trösten
sucht. Ein lebhafterer offizieller Verkehr indessen zwischen
Melanchthon und dem liate entwickelte sich erst im fol-
genden Jahrzehnt. In der Hauptsache sind es natürlich
die Schul- und Kirchenangelegenheiten, die den Gegen-
stand desselben bildeten. Für den Rat handelt es sich
dabei teils um die Beaufsichtigung und wissenschaftliche
Leitung der in Wittenberg studierenden Zwickauer Rats-
stipendiaten, teils um die Besetzung von Schul- und
Kirchenstellen in Zwickau, teils auch um die Vermittelung
des mildgesinnten, allseitig verehrten Melanchthon bei
ärgerlichen, den Frieden der Kirche und Schule bedrohen-
den Streitigkeiten.
Die Stadt Zwickau war in der glücklichen Lage,
den studierenden Bürgerssöhnen ausgiebige Unterstütz-
ungen zu gewähren. Die Mehrzahl dieser jungen Leute
1) Vergl. darüber Kör^tlin, Luthers Leben I, 520ff. Bret-
scUneider, Corp. Ref. I, 533ff. II, 17. III, 12ff. 28ff. 195. IV, 918.
-; Vergl. über denselben Georg Müller, Paul Lindenau, der
erste evangelische Hofprediger in Dresden (Leipzig 1889).
'■^) Siehe Zeitschrift für kirchliche Wissenschaft und kirchliches
Leben 1884, S. '.3.
Die Beziehungen Melanchthons znv Stadt Zwickau. 49
studierte in Wittenberg, und der Rat schärfte von Zeit
zu Zeit den Eatsstipendiaten ein, „sich nicht aulser der
vniuersitet zu gehen , noch zu viel spacirn zu gehen,
sondern des studirens mitt gutthem fleis ti'eulich zu warten,
darurab ihnen auch die Stipendia gegeben würden"*).
Mit denjenigen Studenten, die sich der erhaltenen Stipen-
dien unwürdig bewiesen, machte der Rat kurzen Prozefs,
indem er ihnen ohne weiteres die verliehenen Unterstütz-
ungen wieder entzog ■'^). Auch wurde es seitens des Rats
als selbstverständlich erachtet, dals die Ratsstipendiaten
sich verpflichteten, nach Vollendung ihrer Studien „sich
zum Kirchen- und Schulendienste der Stadt gebrauchen
zu lassen", und es wurde sehr übel vermerkt, wenn ja
einmal einer von ihnen dieser Verpflichtung nicht ein-
gedenk blieb '^). Der Rat schickte die Stipendiengelder
an den Universitätsrektor, der sie dann gegen Quittung
^) Yei-o-l. Ratsprotokoll (R.-P.) von Michaelis 1546 l)is eben-
dahin 1547 [Beschlufs vom 29. September] Bl. 2^-
■') In der Ratssitzung vom 12. Februar 1536 Avird einem ge=
wissen Johann jitartin, „weil er nicht vleissig ist jun seinem studio
vnd sich vnehrlicher vnd vngebürlicher stücke gebrauchen thue", ein
Stipendium entzogen. Die gleiche Mafsregel wird in der Ratssitzung
vom 20. Oktober 1548 gegen einen gewissen Georg Funkel veifügt,
„weil er seinem Studio mit gebürlichem vleis nicht nachkommet vnd
sunsten auch leichtfertig ist". Das diesbezügliche Ratsschreiben an
Funkel ist noch erhalten im Konzeptbuch von 1548/49 Bl. 7^- Ebenso
wurde dem Mag. Georg Thormann alias Pylander (sein eigentlicher
Name lautete „Thurm") 1537 ein ihm für seine Studien in Welsch-
land zugesagtes Stipendium entzogen, weil er der Erwartmig des Rats
zuAvider statt nach Italien nach Dänemark gegangen war. R.-P.
1536—1537 BL 28 «i- 1537—1.538 Bl. 2-'-
") Als der Rektor der Schneeberger Schule, M. Christoph Walduf
(Baldauf), ein Zwickauer Bürgerssohn und ehemaliger Ratsstipendiat,
unterstützt vom Schneeberger Stadtrat Schwieiigkeiten nnichte, einem
Ruf seiner Vaterstadt zur Übernahme des Rektorats an Stelle des abge-
gangenen Plateanus Folge zu leisten, schrieb der Zwickauer Rat an
den von Schneeberg einen ziemlich erregten Brief, worin es u. a heifst:
„ vnd so er vns dann als vnser Stadtkindt vnd Stiitendi at
mitt mehrer Verpflichtung verwandt dann euch, so wollen
wir vns nicht versehen, das ir yn doran werdet hindern noch vrsach
sein, das er d e s allen gegen vns vergesse, wie wir imedann
das jn sein gewissen vnd veran twurttung stellen, der
Zuversicht, er werde sich, seiner Verpflichtung nach
ehrlich vnd vnverweifslich zu erzeigen wissen" u. s. w.
Als sich dann trotzdem die Unterhandlungen zerschlagen, heifst es
im R.-P. 10. Oktober 1547: ..Dieweil.er (nämlich Baldauf) so sehr
wil gefeiert sein, maclits jme nutze vnd bedenkt seine verjjflich-
tung nicht, so sol man nach Georgio Thiemen als auch einem
Stadtkinde trachten."
Neues Alclüv f. S. (i. u. A. M. 1. 'J. 4
50 Ernst Fabian:
an die Empfänger austeilte. Übrigens hielt der Rat streng
darauf, dafs die Eatsstipendiaten gleichzeitig mit den kur-
fürstlichen Stipendiaten examiniert würden, wofür dann
den Professoren, deren Teilnahme an der Prüfung ge-
wöhnlich durch Melanchthon erbeten wurde, eine kleine
„Verehrung" in der Höhe von etwa 3 Thalern oder
4 „Guldengroschen" gemacht wurde „zur ergetzung solcher
jrer mühe vnd fleisses"'). Niemand wuiste die Fürsorge
des Rats für die unter seiner Beihilfe studierende Jugend
mehr zu schätzen, als Melanchthon, der auch seinerseits
sich öfters aus eigenem Autrieb an den Rat wendete, um
irgend einem würdigen und bedürftigen Studenten ein
Stipendium zu verschaffen*^), wofür er dann auch ver-
sprach, die Studien der jungen Leute zu leiten und zu
überwachen^). Nichts lag ja gerade ihm, dem praeceptor
Germaniae, mehr am Herzen, als tüchtige Kräfte für
Staat, Kirche und Schule heranzubilden. Wie er nun für
das Wohl und Wehe der seiner Obhut unterstellten Stu-
denten während ihrer Studienzeit zu Wittenberg aufs
treulichste besorgt war, so zeigte sich seine wahrhaft
väterliche Gesinnung auch dann noch, wenn es galt, einem
jungen hoffnungsvollen Manne nach Vollendung seiner
Studien eine Stelle zu verschaffen^*^), und welch eine
aulserordentliche Geltung Melanchthons Wort gerade auch
in dieser Beziehung beim Zwickauer Rate hatte, dafür
liefsen sich zahlreiche Beispiele anfühi-en^O.
Bei dem rückhaltslosen Vertrauen, welches der Rat
allezeit Melanchthon entgegenbrachte, war es ganz selbst-
verständlich, dafs er ihn auch in allen Angelegenheiten,
') Vergi. z. B. RatsbescliMs vom 29. September 1546. R.-P.
Bl. 2 b. Immer ist es Melancbthon, an den sieb der ßat in solchen
Angelegenbeiten wendet. Vergl. u. a. R.-P. 1547/48 Bl. 82»-
8) Vergl. Beilage Nr. 2, 3, 4, 10, 13, 14.
0) Vergl. Beilage Nr. 2 u. 4.
^^) Siebe Beilage Nr. 1. Vergl. die Bittscbreiben Melaucbtbons
an den Kanzler Mordeisen für die beiden Zwickaner Bartbolomäus
Lasan und Dr. Nikol. Reinhold im Corp. Reff. IX, 168 flg., 652.
Weitere Empfehlungen junger Gelehrter aus Zwickau siebe ebendas.
II, 615 flg. 111, 923. Vergl. ferner 1, 865.
") Im R.-P. von 1547/1548 Bl. 67b heifst es, um nur eins von
den vielen Beispielen anzuführen, betreffs der Berufung des Mag.
Georg Thiem zum Rektoi- : „ So sol man nach Georgio Tbimen,
itzo Schulmeister zu Herzbergk (fälschlich statt : Zerbst) trachten
vnd denselben vociren, denn er von vielen gelehrten leuten guth zeugk-
nis bat vnd sonderlicli von Herrn Pbilippus Melanthon." Vergl.
aucb die Beilagen Nr. 4 u. 10.
Die Beziehungen Melanchthous znr Stadt Zwickau. 51
die die Schule betrafen, zu Eate zog. Einen Philipp
Melanchthon, der wie keiner vor ihm die Wichtigkeit
einer guten A'^olksbildung erkannt hatte, mulste es mit
ganz besonderer Freude erfüllen, dals Eat und Bürger-
schaft in der Unterstützung ihrer Schule wetteiferten.
Mit Stolz bezeichnete der Rat die Schule als der Stadt
„köstlichstes kleynot", mit Eifer wachte er darüber, dals
sie mit tüchtigen Lehrern besetzt wurde, die eine Uni-
versität besucht und sich den Grad eines Magisters oder
wenigstens eines Baccalaureus erworben haben muisten^"-).
Unter dem Eektorate des tüchtigen Petrus Plateanus,
eines Pädagogen von Gottes Gnaden, der in Wittenberg
zu den Fülsen Melanchthons gesessen hatte, erlangte die
Zwickauer Schule in den Jahren 1535—1546 ihr goldenes
Zeitalter. Freilich verleideten dem wackern Gelehrten
schon in den ersten Jahren seiner Thätigkeit in Zwickau
allerhand ärgerliche Streitigkeiten mit dem heiisspornigen
und rechthaberischen Stadtpfarrer M. Leonhard Bej^er
seine Stellung in einer Weise, dals er nahe daran war,
Zwickau Avieder zu verlassen. Nur dem Eingreifen der
Wittenberger Gelehrten, sowie den Bemühungen des Kui--
fürsten gelang es, die Streitigkeiten beizulegen und einen
dauernden Frieden zwischen den beiden Männern herzu-
stellen^-^). Ungestört konnte sich jetzt Plateanus seiner
pädagogischen Thätigkeit widmen, und Dank seiner un-
vergleichlichen Lehrmethode und seiner straften Dis-
ziplin^^) gewann die von ihm geleitete Schule nicht nur in
Sachsen, sondern in ganz Deutschland einen solchen Puf,
dals die Zahl der zum Teil den vornehmsten adligen Familien
angehörigen Schüler schon 1538 auf 500, 1 544 aber sogar
auf 800 stieg. Diese stetig steigende Schülerzahl legte
der Stadt natürlich nicht unerhebliche Opfer auf. Bei
der Versorgung der Scliule mit tüchtigen Lehrkräften
wurde die Stadt von dem allezeit hilfsbereiten Melanch-
■■-) Verg-l. meine Aliliandlung im Zwiikauer (iyiniiasialpro-
gramm vom .Talirf 1878: „M. Petrus Plateanus, Rektor der Zwickauer
Schule von 1535 bis 1.546", wosell)st auch austiilirlichere Mitteihumen
über die Kntwickelnng des Zwickauer Schulwesens in den ersten
Zeiten der Keforniation zu linden sind.
^•') Verg-l. ül)er diese, namentlich durch die Einmischung des
Stadtpfarrers in die Schulangelegenlicifen liervorgerufenen Streitig-
keiten meinen i'lateanus, S. 9—12.
") Die Schule erhielt deswegen den Spitznamen der „Zwickauer
Schleifmühle". S. m. Plateanus, S. 21.
4*
52 Ernst Fabian:
thon getreulich unterstützt^'^), wie er denn überhaupt keine
Gelegenheit vorübergehen liels, in Wort und Schrift, seiner
Zuneigung zur Stadt Zwickau, „die er alzeit besonder ge-
liebet", Ausdruck zu verleihen und namentlich ihrer auf
die Hebung des Schulwesens gerichteten Bestrebungen
die wärmste Anerkennung zu zollen ^*^). Die schweren
Drangsale des Sclnnalkaldischen Krieges, der das eifrig
kursächsisch gesinnte Zwickau mit besonderer Härte traf ^'),
brachten die blühende Schule in Verfall, zumal da der
Mann, auf dessen gewaltiger Persönlichkeit zu einem guten
Teile ihre Blüte berulit hatte, sich, oifenbar unzufrieden
mit der neuen Ordnung der Dinge, von Zwickau, der Stätte
seines Ruhms, wegwendete, um die Stellung eines Superinten-
denten in Aschersleben anzunehmend^). Als in der durch
die Kriegsdrangsale hart mitgenommenen Stadt Ruhe und
Ordnung wieder eingekehrt waren und der regelmäfsige
Geschäftsgang^^) wieder begonnen hatte, da wendete auch
der Rat sofort wieder dem Schulwesen seine ganze Auf-
merksamkeit zu. Die Hauptsorge war die, einen geeig-
neten Ersatz für den abgegangenen Rektor zu beschaffen,
und auch diesmal hielt man an dem althergebrachten
Grundsatz fest, w^omöglich nur einen Bürgerssohn in diese
Stellung zu berufen. Man richtete sein Augenmerk zu-
nächst auf den Schneeberger Rektor M Christophorus
Walduf (Baldauf), der bereits 1539—1543 als Tertius
i"^) Siehe R.-P. 1536/37 El. 22 a. 27 a, 1543/44 Bl. 39»', sowie das
Schreiben des Eats an den Kurfürsten aus dem Jahre 1544 in m.
Plateanus S. 32, Beil. H. Zu den Mitarbeitern des Phiteanus gehörte
u. a. auch eine Zeitlang der als Dramendichter bekannte Paul
Rebhiahn.
16) Yergl. die Stelle im testimouium, welches er 1548 als Dekan
der philosophischen Fakultät dem designierten Rektor Thiem aus-
stellte (Corp. Reff. VI, 806), wo es n. a. heifst: „Decus Irarum regio-
num diu fuit Cygiiea, et paene Massiliae similis in bis regionibus, quia
disciplina et mores majori severitate regit, quam pleraque alia oppida".
„Artium vero officiis vincit Cygnea omnia harum regionuin
oppida. Curat etiam pie doceri et regi Ecclesias et praecipue lite-
rarum scholam tueri et ornare semper solita est." In gleich rühmen-
der Weise äufsert er sich über Zwickau in seiner Vorrede zu Georg
Thiems Exempla syntaxeos. Viteberg 1548.
17) Vergl. darüber meine Abhandlung: „Die Stadt Zwickau
unter den Einwirkungen des Schmalkaldischen Kriegs" im 1. Hefte
der Mitteilungen desAltertumsvereins fürZwickau und Umgegend 1887.
^^) Er starb in dieser Stellung schon am 27. Januar 1551.
^^) Die erste Ratssitzung nach der Heimkehr der von Herzog-
Moritz am 31. Januar 1547 vertriebenen Bürgerschaft fand am
18, Juni desselben Jahres statt.
Die Beziehungen Melanchthons zur Stadt Zwickau. 53
au der Zwickauer Schule tliätig geweseu war, besclilols
aber zugleich für den Fall der Ablehnung Baldaufs aulscr
dem hochangesehenen Stadtphysikus Dr. Janus Corna-
rius-") noch Philipp Melanchthon und Caspar Cruciger
zu beauftragen, sich nach einem tüchtigen Rektor umzu-
sehen'-^). Da nun um diese Zeit der stellvertretende
Leiter der Scliule, M. Paul Dallwitzer, wahrscheinlich weil
er sich verletzt fühlte, dafs man bei der Neubesetzung des
Rektorats ihn vollständig beiseite setzte, seine Stellung
in Zwickau, ungeachtet aller Bemühungen--) des Rats,
ihn zu halten, verliefe, um das ihm übertragene Amt eines
Rektors oder „Schulmeisters" in Joachimsthal anzunehmen,
so kam die Stadt in nicht geringe Verlegenheit. Me-
lanchthon und Cruciger schlugen den berühmten Witten-
berger Gelehrten Johannes Marcellus Regius zum Rektor
vor, auf den auch Cornarius bereits vorher aufmerksam
gemacht hatte. Da jedoch Marcellus Regius mit Rück-
sicht darauf, dafs die Wiedereröffnung der Wittenberger
Universität in naher Aussicht stand, sich al)lehnend ver-
hielt, so wendete sich Melanchthon am 9. August 1547
an Caspar Peucer, seinen nachmaligen Schwiegersohn, um
ihm das Zwickauer Rektorat anzutragen--^): „Urbs Cygnea
quaerit virum doctuni, quem praeficiat suae scholae, et
cum Marcello ea de re egit. Verum is quoque exspectat
nostrae Trojae restitutionem. Tu si Cj'gneae esse voles,
de te ad Senatum scripturus essem, xcd doxsl jioi on
^xeh'o jTQay/ia nvx ^'an chsTritrjSeiov (fiXoffocfovvTi. Sed
delibera." Aber auch Peucer scheint aus den gleichen
Gründen wie Marcellus Regius das Anerbieten abgelehnt
zu haben. Der Rat besclilols^"*) nunmehr, mit dem Schnee-
-") Vergl. über diesen berühmten Gelehrten aufser den Notizen
in den Zwiekauer Chroniken von Wilhelm, Schmidt und Herzog nocli
G. F. Döhner: , .Kurze Notizen aus dem Leben einiger Gelehrten
Zwickaus", Zwickau 1817, sowie „Allgemeine Deutsche Biographie"
und „Jöchers Gelehrtenlexikon" s. v. Cornarius.
■-M Ratsbeschlul's vom 30. Juli 1547.
") R-P. 1546/47, Bl. 46'S 1. August 1547. Mgr. Paulus Dal-
witzscher: „Nachdem ihnie allhic guter willen liewieseii ist, auch
ferner liette gescheen können, weil er aber des Scliuhneisters Petri
Plateani abschied weis vnd das die Schule itzo nichtes vorsehen,
auch kein andrer Schulmeister vorhanden, so sal seines jelingen ab-
schieils vnd vnversehenen hinwegkweiidens ernstlich mit ihmc ge-
redt werden vml das der ]lat doran keinen gefallen trage" u. s. w.
23) CoriJ. Reft; VI, 267.
-*) R.-P. 1546/47, 11. August 1547: „Nachdem mitt dem Hern
Philippe Melanthonj vnd Doctorj Creutzinger verschinnen Landtags
54 Ernst Fabian:
berger Rektor Baldauf in ernstliche Unterhandlungen zu
treten. Da sich dieselben jedoch infolge der zu grofsen
Ansprüche Baldaufs zerschlugen, so richtete der Rat sein
Augenmerk auf den namentlich von Melanchthon Avarm
empfohlenen -'^) Georg Thiem, einen geborenen Zwickauer
und ehemaligen Ratsstipendiaten, der damals die Stelle
eines Schulmeisters in Zerbst bekleidete'-"). Da der Rat
von Zerbst Schwierigkeiten bezüglich der Entlassung
Thiems machte, so verwendete sich Melanchthon persön-
lich zu Gunsten Thiems und erreichte in der That da-
durch seine Entlassung aus Zerbst-'). Der in Aussicht
genommene Rektor Avar noch nicht im Besitze der Ma-
gisterwürde. Der Rat jedoch verlangte von ihm mit aller
Entschiedenheit-^), er müsse vor Übernahme seiner neuen
Stellung erst in Wittenberg promovieren, und wendete
sich in dieser Angelegenheit nicht nur direkt an Me-
Margarethe zu Leipzigk von wegen eines Schulmeisters geredt vnd
gebethen, nach einem zu trachten helifen, vnd sie Mgrm. Johannem
Marcellum Regiuni furge seh lagen, denen auch hieuor Doctor Janus
Cornarius furgeschlagen hat, aber man kan defs nicht gewifs sein,
weil die vniuersitet zu wittenbergk wider angericht wirdt, So sal
nach Mgro. Christophoro Walduff, Schulmeister vffm Schneberge, wie
znuorn beschlossen, getrachtet werden" (R.-P. Bl. 49 •')■
■-■') Siehe Beil. Nr. 4. R.-P. 1546/47, Bl. 67 1^ (Ratsbeschlufs vom
10. Oktober 1547).
26) Vergl. meinen Plateanus S. 25, Anm. 142.
2'') Diese Angelegenheiten sind von mir näher dargestellt worden
im 2. Hette der Mitteilungen des Zwickauer Altertumsvereins 1888
(..Die Wiederaufrichtung der Zwickauer Schule nachdem Schmalkal-
dischen Kriege").
-ä) Auf die Entschuldigung Thiems, dafs es ihm wegen der
Kürze der Zeit noch nicht möglich gewesen sei, die Magisterwürde
zu erwerben, schrei))t ihm der Rat am 7. Dezember 1547 u. a. : „Euer
jüngst gethane antwurt der promotion ballier, haben wir empfangen
vnd hören lesen, vnd oli derselben nicht wenig misfallens, dann wir
jhe dis nicht allein gemeiner Stadt, auch vns vnd vnserer
Schulen, sondern auch euch zu ehren vnd bestem bedacht
vnd furgenommen hal)en, wie jr denn wol wisset, das die
Schulmeister jhe vnd allewege Magistri gewesen seint.
Dorumb ir euch, solche antwurt zu schreiben, pillich enthalten sollen
vnd der Sachen mitt mehrem bedacht wargenommen haben vnd kan
euch die vermeinte angetzogene kurtze der zeit nicht releviren noch
entschuldigen, vilweniger das euch das examen im wege sein solle,
dann wir beim Herrn Philip po so vil erhalten vnd den fleis ange-
wandt, das es keine noth wirdt haben . Weil jr nuhn beim
Herrn Philip po wol l)ekannt, vnd er auch eure studia vnd gelegen-
heit innehat, so wissenn Avir Sdvil, das ers zu euerem besten wirdt
richten vnd an ime nichtes euwinden lassen, wie er vns denn zuge-
schrieben hat ." (Ratsarchiv.)
Die Beziehungen ]Melanclithons zur Stadt Zwickau. 55
lanchthon"-''^) mit der Bitte, sich Thiems anzunehmen,
sondern unterstützte den letzteren auch zum Zwecke der
Promotion mit GekP*^). Leider entsprach der neue Rektor
keineswegs den auf ihn gesetzten Erwartungen. Zwar
war er unleugbar ein vielseitig gebildeter Mann, der es
auch nicht an gutem Willen fehlen liels"^), aber für seine
verantwortungsvolle Stellung war er entschieden zu jung,
und da er sich weder bei Lehrern noch bei Schülern die
nötige Achtung zu verschaffen wuIste, so verfiel die Schul-
zucht in bedenklichem Mafse, und der Rat sah sich in-
folgedessen genötigt, Thiem schon nach l^o jähriger AVirk-
samkeit wieder zu entlassen"^-), xlbermals fafste der Rat
als neuen Leiter der Schule den Marcellus Regius ins
Auge, ohne indessen von ihm eine bestimmte Zusage zu
erhalten, weshalb der Rat sich persönlich an Melanch-
thon wendete^*"), um Aufklärung über die Willensmeinung
des Marcellus von ihm zu erhalten und zugleich ihn im
Falle einer ablehnenden Antwort zu bitten, sich bei
M. Esroni Rüdinger betreffs der Annahme des Rektorats
zu verwenden. Der Syndikus Dr. Niliolaus Reinhold aber
erhielt die Weisung, nach Wittenberg und Leipzig zu
gehen, um mit Hilfe der dortigen Gelehrten einen neuen
Rektor zu erlangen-^*).
Da auch diesmal die Unterhandlungen mit dem in
erster Linie in Aussicht genommenen Marcellus Regius
zu keinem Ziele führten, so gab Melanchthon, dem
Wunsche des Rats entsprechend, dem Syndikus bei seiner
Abreise nach Leipzig an den damals dort aufhältlichen
M. Esrom Rüdinger'^') von Bamberg, den Schwiegersohn
des berühmten Joachim Camerarius, ein Empfehlungs-
-") Vergl. Beil. Xr. 4 und das Schreiben des Rats an Melanchthon
betreffend die Promotion Tliieuis in den Mitteilungen des Zwickauer
Altertunisvereins II, 25, Nr. IX.
'"') Der Rat versprach ihm 20 Gulden zu geben. 11.- P. 1547
bis 1548 Bl. 3''flg.
") Besondere Aufmerksamkeit wendete er den Schulaufführungen
zu. Vergl. darübei' meinen Aufsatz in den Mitteilungen des Alter-
tumsvereins für Zwickau uiul Umgegend I, 88tlg., Anm. -2.
32) Vergl. die Klagen ül)er Tliiems Nachlässigkeit, sovv'ie die
ihm erteilten Waniuniien und A'crweisp. H.-P. 1548/l!i 151. 18i'. 36 1".
58^1 und lueiiieii Aufsatz im l. Heft der Mitteilungen des ZwickauiT
Altertumsvereins.
•'3) Siehe Beilage Nr. 12.
•") Ratsl)eschlui's vom Sonnabend nach Joiiannis Baptistae
(29. Juni) 1540. Siehe R.-P. 1548/49 Bl. 58''.
■'••) Er wirkte von 1547—1549 als Lehrer in Schulpforta.
56 Ernst Fabian:
schreiben ■^*^) mit. Eüdinger nahm die ihm angetragene
Stellung an, und die Stadt hatte seine Wahl nicht zu
bereuen. Der neue Rektor, ein Mann von ausgezeich-
neter Gelehrsamkeit und feinem pädagogischen Takte,
wii'kte"^') ganz im Geiste des Plateanus und brachte gar
bald die in Verfall geratene Schule zu neuer Blüte. Aufs
lebhafteste unterstützt wurde er in seinem Wirken durch
den Eat, der ungeachtet der schweren Opfer, die der
Schmalkaldische Krieg der Stadt auferlegt hatte, doch
unablässig für das Wohl der Schule und ihrer Angehörigen
tliätig Avar"''). Selbstverständlich brachten diesem regen
Eifer des Zwickauer Rats für die Ausbildung der Jugend
die Wittenberger und Leipziger Gelehrten die wärmste
Anerkennung entgegen. Deshalb folgten denn auch im
März 1550 Philipp Melanchthon, Joachim Camerarius
und Marcellus Regius willig der Einladung des Rats,
eine Schulvisitation in Zwickau abzuhalten •'^^. Bei dieser
="') Sielie (las Schreiben 3Ielanchtbons an Rüdinger vom 13. Juli
1549 im Corp. Reif. VII, 4.3.5 flg. Ein in dieser Angelegenheit an
den Zwickauer Rat gerichtetes Schreiben Melanchthons (siehe Corp.
Reff. VII, 461) ist verloren gegangen.
'^''j Er wurde am 28. Oktober in sein neues Amt eingewiesen,
wobei sein Schwiegervater Joachim Camerarius eine lateinische Rede
hielt. Siehe P. Schumanns handschriftl. Ann. III, Bl. 144-1. Vergl.
über ihn Herzog, Gleschichte des Zwickauer Gymnasiiaras (Zwickau
1869) S. 25. 77flg. Eine ausführlichere Biographie des verdienten
Schnlraanne.'^ in den ,, Dresdner gel. Anzeigen". .lalirg. 1790, Nr. 25—28.
o-j Vergl. in dieser Beziehung die Ratsbeschlüsse über die „Be-
soldung der Schnlendiener" und über die „Ratsstipendiaten". Siehe
meine Abhandlung in den Mitteilungen des Altertumsvereins für
Zwickau und Umgegend I, 89 flg.
■''■'} In einer Notiz des Ratsprotokolls aus jener Zeit wird anfser-
dem noch ein Mag. Casparus erwähnt, wahrscheinlich der Melanch-
thon besonders nahe stehende Caspar Peucer, der jedenfalls als Privat-
person die Reise nach Zwickau mitgemacht hatte. Vergl. Mit-
teilungen I, 91. In der „Recimung des Rats" von Michaelis 1549 bis
Michaelis 1550 S. 56 und im gleichzeitigen „Chammerbuch" S. 54
findet sich folgende Mitteilung: „Sonnabend nach Quasimodo (19. April),
IX guete fso: lij gr. haben die Herren theologen mit yrenn dienern
vnnd pferdenn vonn Wittemlterg vnnd Leiptzigk herauff, auch alhier
Mid wider hinal) vertzeret. Als sy vom Rath der Schule hall»enn an-
hero vermocht seint, nemlich Dominus philippus Melanthon, Dominus
Joachimus Camerarius vnnd Magister Marcellus. Von einem Mag.
Mussilius, von dem Hei'zog in seiner Zwickauer Chronik II, 280 und
in seiner Geschichte des Zwickauer Gymnasiums S. 26 nach dem
Vorgänge der alten Chronisten Wilhelm und Schmidt zu lierichten
Aveifs, findet sich in den Ratsakten keine Spur. Die Reise nach
Zwickau wird auch im Corp. Reff. VII, 556 u. 567 erwähnt. Die
Einladun«- dazu scheint schon 1549 erfolgt zu sein. Vergl. Corp.
Reff VIi; 484 Nr. 4607.
Die Beziehungen Melanchthons zur Stadt Zwickau. 57
Gelegenheit wurden auch die neuen Schulgesetze, sowie
die neue Schulordnung ^'') Rüdingers eingeführt, und die
Herren Visitatoren nahmen Gelegenheit, sich durch ])er-
sönliches*^) Examinieren von dem Bildungszustande der
Schüler zu überzeugen. Bei so treuer Fürsorge, wie sie
der Zwickauer Schule von allen Seiten zu teil wurde,
war es nicht zu verwundern, dals dieselbe nicht nur die
ihr durch Rüdingers Thätigkeit gewonnene hervorragende
Stellung behauptete, sondern auch später noch unter der
Leitung tüchtiger Rektoren, bei deren Auswahl der Rat
mit groiser Sorgfalt zuwege ging, sich eines zunehmen-
den Aufschwunges erfreute. Fehlen uns auch darüber,
dals Melanchthon später durch persönliches Eingreifen
seine Aufmerksamkeit für das Zwickauer Schulwesen be-
thätigt habe, die Nachrichten vollständig, so lälst sich
doch bei der Zuneigung, die er zur Stadt Zwickau hegte,
mit Bestimmtheit erwarten, dals er auch in seinen letzten
Lebensjahren sein lebhaftes Interesse für die Zwickauer
Schule nicht verloren haben wird^-).
Das gleiche Vertrauen, welches der Rat bei allen
wichtigen Schulangelegenheiten Melanchthon entgegen-
brachte, äuiserte sich dem treuen Freunde und Berater
gegenüber auch noch in anderen Beziehungen. Neben
den Angelegenheiten der Schule waren es selbstverständ-
lich die der Kirche, die in erster Linie seine xiufmerk-
samkeit auf sich zogen. Bald handelt es sich um eine
Besetzung von Kirchenämtern, bald um seine Vermitte-
lung in irgend einem ärgerlichen Streithaudel. Gerade
hierbei hatte der mildgesinnte, von allen verehrte Me-
lanchthon oft genug Gelegenheit, zum Frieden zu reden,
zumal da der Nachfolger Nikolaus Hausmanns, Zwickaus
erster Superattendent , M. Leonhard Beyer *='), infolge
'") Beide, lateinisch geschrieben, sind handschriftlich in der
Eatsschulbibliothek (UUU VI. S. lloiii--.).
^1) ,. Sonnabend nach Lätare (22. März l."i50) seyn allhie ein-
koramen Philipp Melanchthon, Joacliini Cainerarius vnd Georg Mussilius,
haben oxamcn in der Schule gehalten, viid hat Phil: den Knaben das
17. Cap. Job. «elesen-' berichtet Laur. Wilhelm in seiner l)cs( riptii»
urbis Cygneae S. 238 und nach ihm Tob. Schmidt in seiner Zwickauer
Chronik II, 3.58.
'-) Vergl. den Drief an Esrom Rüdinger vom .lahrc 1,").")3 im
Corp. Reff. VIII. 101.
'3) M. Leonh. Beyer aus Efslingen, ein ehemaliger Augustiner-
möuch, studierte in Wittenberg (vergl. Förstemann, Album Viteberg,
S. 51 1. 6. Name: 1.514 S. 5: Leonhardus Beyer, ordinis s. Augustini
58 Ernst Faljian:
seines rechthaberischen und herrischen Wesens eine
Reihe ärgerlichen Streitigkeiten hervorrief, die bei dem
damals üblichen Gebrauche der Geistlichen, alle sie
betreffenden Angelegenheiten, so wenig sie auch an und
für sich in das Gotteshaus gehören mochten, auf die
Kanzel zu bringen, gar wohl geeignet waren, den Frieden
der Gemeinde in empfindlicher Weise zu stören. Nach-
dem die oben erwähnten Milshelligkeiten Beyers mit dem
Rate und dem Rektor Plateanus durch die Bemühungen
Melanchthons und seiner Wittenberger Freunde bei-
gelegt worden waren, entspann sich ein neuer Streit
zwischen dem Stadtpfarrer und dem Prediger an der
Katharinenkirche, M. Christophorus Bring ^*). Letzterer
hatte die Verpflichtung, mit dem Stadtpfarrer abwechselnd
die Donnerstagpredigt früh in der Hauptkirche zu Sankt
Augustan. Dioec), «laiin Prediger in Guben, wo er auf Luthers
Anraten eine ehemalige Nonne, Gertrud v. Mylen, 1525 heiratete,
1532 in Wittenberg in Luthers nächster Umgebung, gegen Ende
dieses Jahres Pfarrer in Zwickau, wo er das Werk der Reformation
vollendete. 1549 wegen Nichtanerkennung des Leipziger Interims
auf landesherrlichen Befehl entlassen, wendete er sich nach Cottbus
und wurde zuletzt Superintendent in Küstrin, wo er 1552 starb.
Vergl. die zahlreichen Briefe Luthers au ihn bei de Wette -Seide-
mann. Eine Anzahl eigenhändiger Briefe Beyers besitzt auch das
Zw. Pv.-A. Siehe meinen Aufsatz im Zw. Wochenbl. Nr. 26 flg. 1885:
,, Urkundliche Beiträge zur Geschichte Zwickaus in der Zeit des
Schmalkaldischen Krieges". Weitere Nachrichten über diesen hervor-
ragenden Mitarbeiter am Weike der Reformation siehe auch bei
Hildebrand, Jubelprogramm 1830, S. 17flg. u. ders., Die Haupt-
kirche St. Maria zu Zwickau (1841) S. 97.
") M. Christophorus Ering hatte in seiner Vaterstadt Leipzig
studiert, wurde daselbst 1508 Baccalaureus und 1515 Magister, war
dann bis 1528 Mefspriester oder Prediger in Annaberg, von wo aus
er nach Joachimsthal in Böhmen berufen wurde. Im Sommersemester
1532 erscheint er unter den Immatrikulierten von AMttenberg
(S. Förstemann, Alb. Vit. S. 146). Unbestimmt ist es, zu welcher
Zeit er Hofmeister oder Präceptor bei dem jungen Herzog Moritz
von Sachsen war. Dieser seiner ehemaligen Stellung verdankte er
wohl auch die Vermittlerrolle, die ihm während der Belagerung
Zwickaus im Schmalkaldischen Kriege durch Rat und Bürgerschaft
übertragen wurde (s. m. Arb. in den Mitteil, des Zw. Altertumsvereins
I, 34 flg., 37 flg.). 1533 erscheint Ei'ing als Prediger an der Marien-
kirche zu Zwickau und 1540 wurde er Hauptprediger zu St. Katha-
linen. In dieser Stellung nun geriet er in den erwähnten Streit
mit dem Stadtpfarrer. 1553 wurde er selbst zum Stadtpfarrer und
Superintendenten gewählt, starb aber schon im folgenden .Tahre, tief-
betrauert von der gesamten Bürgerschaft. Vergl. ITildeb rand. Die
Haujitkirche St. Maiiä zu Zwickau S. 98. Ders. in der Jubiläums-
schrift zu Ehren des Superintendenten Lorenz 1830, S. 24flg.
Die Beziehuiigeii Mclauchthons zur Stadt Zwickau. 59
Marien zu halten, Aveigerte sich aber mit Rücksicht auf
seine angeblich zu scliwache Stimme, in dem großen,
weiten Gotteshause zu predigen. Die Angelegenheit kam
1545 bis an den Kurfürsten und wurde dann durch kui'-
fürstliche Kommissare zu Ungunsten Erings entschieden,
der denn auch erklärte, „er wolle sich fortan gegen dem
hern pastor gehorsamlich halten, auch ermelte predigt
helffen thun, do er gleich vffm predigstuele solde pleiben"^^).
Indessen scheint ihn der Rat, jedenfalls mit Rücksicht
darauf, dals Ering ein aufserordentlich beliebter Kanzler-
redner war, auf eigne Faust stillschweigend von jener
Verpflichtung entbunden zu haben ^'^). Bei einer neuen
Gehaltsregulierung der Geistlichen indessen kam die
Angelegenheit wiederum zur Sprache, und der Stadt-
pfarrer verlangte auf das Bestimmteste, Ering solle seiner
Verpflichtung nachkommen, wie er denn auch seinerseits
in der Katharinenkirche abwechselnd predigen wolle.
Ering aber blieb auch auf freundliches Zureden des Rates
entschieden bei seiner Weigerung, „er könte, wölte vnd
möchte es nicht thuen, es were ihm zu schwer seiner
rede halben". Damit man aber nicht denke, er thue es
aus Bequemlichkeit nicht, so wolle er zu St-. Moritz oder
St. Johannis predigen. Darauf aber ging der Pfarrer
nicht ein. Zur Verhütung grölseren Ärgernisses beschlols
hierauf der Rat, sich an Melanchthon und Bugenhagen
zu wenden und zu diesem Behufe den Syndikus Dr. Nikol.
Reinhold und den Stadtschreiber Wolf Baldauf nach
Wittenberg zu entsenden^'). Gelang es nun auch den
versöhnenden Worten der Wittenberger Herren ^^), diesen
Streit beizulegen, so drohten doch bald andere Verhält-
*'') li.-P. von 1547/1548, Hl. 22'' (Ratssitzuug am 28. De-
zember 1547).
'") In einem Briefe an Beyer schreibt Ering: „Ich bin vom
Rath für 2 iharon befrej^ett, das ich zu vnser frauen nicht predigen
sali von wegen meiner schieren spracli etc", und Beyer schreibt mit
bezug darauf an den Rat: .,So entscJiuUligt er (Ering) sich, das
ein erbar Radt jhn vor zweyen j hären liefreyet, das ei' zu vnser
fraAven nicht dürfft predigen, welchs, so es geschehen, uiclit Avenig
V)eschwerlich, wider die presentation jlineu gegen mii- zu schitzen,
welchs ich doch niclit lir)ft'e. das geschehen sey." (R.-A.)
") Die Verbiiiidhingen darül)er fanden statt in iler Ratssitzung
vom 31. Dezeml)er 1547, R.-]\ BI. 26Hg.
''') Siehe den Brief von Bugenhngen, Crmiger und .Melauchtlu»n
an Beyer und Ering vom 22. Januar 1548 im Corp. Reft'. VI, 792 flg.
luid den von Melanchthon an den Rat v(in demselben Tage ebenda 794.
60 Ernst Fabian:
nisse den i'rieden der Gemeinde aufs neue zu gefährden.
So oft auch Ering und Beyer mit einander in Streit ge-
legen hatten, in einem Punkte fühlten sie sich einig, im
Hasse gegen die neue albertinische Landesherrschaft ^•■) und
das in Aussicht stehende Interim, gegen dessen Annahme
sie aufs heftigste protestierten. Diese Haltung der
Zwickauer Geistlichkeit war es wohl in der Hauptsache,
was den Kurfürsten Moritz veranlaiste, im März 1548
an Melanchthon, Georgius Major, Caspar Cruciger, den
damaligen Rektor der Wittenberger Universität, und den
Leipziger Stadtpfarrer Dr. Johann Pfeffinger, die beordert
waren, sich nach Augsburg in der Angelegenheit des In-
terims zu begeben, die Weisung ergehen zu lassen °**), sich
auf einige Zeit nach Zwickau zu verfügen. Unterwegs
jedoch, in Altenburg, erhielt Melanchthon Befehl''^) sich
von seinen Begleitern zu trennen und sich nach dem
Kloster Altenzelle zu begeben, da der Kaiser seinem
Zorn gegen ihn unverhohlen Ausdruck gegeben hatte. Die
übrigen Gelehrten trafen am-Gründonnerstag, den 29. März,
in Zwickau ein und verweilten daselbst bis Sonnabend
nach Quasimodogeniti (14. April)''-). Ganz abgesehen
davon, dals sie selbst zum Teil zur Osterzeit in den beiden
Hauptkii'chen der Stadt predigten'^") und an der Ein-
weihung'^^) der neuen Schule im Grünhainer Hofe
sich beteiligten, wobei Cruciger eine lateinische Rede
hielt, darf man wohl mit Bestimmtheit annehmen, dals die
genannten Gelehrten auch die Gelegenheit benützt haben
werden, die kirchlichen Angelegenheiten Zwickaus einer
näheren Prüfung zu unterziehen und diebeiden angesehen-
sten Geistlichen, Beyer und Ering, zu einer mafsvollen
ii>) Yergl. darüber meine Abhandlung in den Mitteilungen des
Altertumsvereins für Zwickau und Umgegend I, 73%.
■''^) Siehe das Schreiben Melanchthons an Georg von Anhalt
vom 25. März 1547 im Corp. Retf. VI, 836: „propter aulicas
literas, f[uil)us et Pfefiingerus et alii et egoCygneam vocamur".
■''^) Siehe Melanchthons Schreiben an Joach. Camerarius vom
26. März im Corp, Reit. VI, 8.38: „Nunc distrahor a comitibus et
Cellam vocor". Vergl. ferner den an Cruciger gerichteten Brief vom
1. April im Corp. Reff'. VI, 636 flg.
"-) P. Schumanns handschriftl. Annal. III, Bl. 107b.
•''") Ebenda Bl. 107 '»flg. Major erhielt dafür, dafs er seine am
Ostersonntag in der Katharinenkirche gehaltene Predigt in Druck
geben liefs und dem Rate dedizierte, von letzterem eine „Verehrung"
von 8 (luldengro sehen laut Ratsbeschlufs vom 15. Juni 1549. R.-P.
Bl. 56='.
■'') 30. April laut P. Schumanns Bericht III, Bl. 108b.
Die Beziehungen Melanohthons zur Stadt Zwickau. 61
Haltung in der Frage des Interims zu ermahnen, damit
der Stadt, auf die Kurfürst Moritz ohnehin wegen ihrer
notorischen Anhänglichkeit an den alten Landesherrn ein
sehr wachsames Auge hatte, Unannehmlichkeiten ei'spart
würden. Ihre Bemühungen in dieser Beziehung waren frei-
lich ebenso erfolglos, wie die Malmworte des Rats. Nament-
lich Beyer, der mitdem Eate auch wegen verschiedenen An-
gelegenheiten rein materieller Natur zerfallen war, bereitete
dem letzteren durch seine malslose Heftigkeit schwere Ver-
legenheiten. AVeder die persönlichen Bemühungen einiger
ihm besonders nahe stehender angesehener Herren '''') von
Zwickau, noch ein eindringliches Schreiben (2. September
1548) der AVittenberger Gelehrten Bugenhagen, Georgius
Major, Rörer und Melanchthon, von denen der letztere
die Kopie jenes Schreibens"'") nebst einem eigenhändigen
Begleitbrief an den Rat abschickte, vermochten den hals-
starrigen Mann auf andere Bahnen zu bringen. In der
Erkenntnis, dals seine Stellung immer unhaltbarer werde,
erbat er endlich am 1. Dezember 1548 seinen Abscliied''^).
Die Wittenberger Gelehrten Bugenhagen, Major und
Melanchthon versuchten zwar durch ein Schreiben
Mag. Beyer zum Bleiben zu bewegen, ohne sich jedoch,
weil sie ihm, als starrem Lutheraner, wegen ihrer nach-
giebigen Haltung in Sachen des Interims verdächtig waren,
mit der Hoffnung zu schmeicheln, dals er auf ihren Wunsch
eingehen werde •''^). Von einem ernstlichen Versuche, den
bei einem grofsen Teile der Bürgerschaft äulserst be-
liebten Kanzelredner zu halten, wie dies früher bereits
mehrmals geschehen war, konnte diesmal um so weniger
die Rede sein, als schon am Anfange des Jahres 1549
zwei in sehr bestimmtem Tone gehaltene Schreiben"''')
des Kurfürsten Moritz an den Rat und an die Gemeinde
einliefen, worin bei allerhöchster Ungnade der Befehl er-
teilt wurde, Beyers Entlassungsgesuche keinerlei Hinder-
•''") Bei einer solchen Unterredung, die Bej'er mit dem an-
gesehenen Arzt und Ratsherrn Dr. Stcpliau Wild und dem Ratsherrn
Simon Braun im Beisein eines fremden Gelehrten hatte, überhäufte
er den Rat mit den gröbsten Schmähungen laut RatsprotokitU vom
1. Novemher lö48.
■''') Siehe die Beilagen Nr. 5 und 6.
■''") Das Abschiedsgesuch befindet sich im R.-A. III, 2. 14.
-'*) Siehe das Schreiben der genannten Gelehrten an den l\at
vom 8. Dezember 1548, Beilage Nr. 7.
■'^) Diese von Kuif. Moritz eigenhändig unterzeichneten Schrift-
stücke befinden sich im Zwickauer Katsarchiv (1\.-A ) 111, 2. 14.
62 Ernst Fabian:
nisse in den Weg zu legen *^^). Der Rat maclite hierauf
die Wittenberger Gelehrten in einem besonderen Schreiben
mit den letzten Vorgängen bekannt und bat sie zugleich,
der Stadt zu einem neuen Pfarrer zu verhelfen '^^), Mit
dem gleichen Gesuche wendete sich der Rat auch an den
Leipziger Stadtpfarrer Dr. Joh. Pfeffinger. Dieser em-
pfahl in einem besondern Schreiben '^^j an Bürgermeister
Hans Unruh, bei dem er während seiner letzten An-
wesenheit in Zwickau gewohnt hatte, aufs wärmste den
Mag. Georg Hala von Baireuth, auf den der Rat ohnedies
schon sein Augenmerk gerichtet hatte"-'). Dais der Rat
in einer so wichtigen Angelegenheit sich auch an seinen
bewährten Freund und Berater Philipp Melanchthon
wendete*'^), ist selbstverständlich. Letzterer scldug im
Einverständis mit seinen Wittenberger Kollegen und mit
Rücksicht auf die früheren Streitigkeiten zwischen dem
Stadtpfarrer und dem Prediger zu St. Katharinen vor,
die kirchlichen Yerhältnisse in Zwickau in der Weise zu
ordneU; dafs „nur ein einiger pastor were vnd die andern
alle als diaconi, vnd nicht, das zwo gleiche person, pastor
vnnd Prediger, nebeneinander regirten" **'*). Auch ging
sein Rat dahin, den Mag. Ering zum Stadtpfarrer und
an seine Stelle, „doch im titel vnnd standt eines Diaconi".
den M. Georg Hala zu berufen. Bei der bekannten Ge-
sinnung Erings aber gegenüber dem Interim und der
Haltung des Landesfürsten in dieser damals ganz Deutsch-
land bewegenden Frage konnte es der Rat unmöglich
wagen, auf diesen Vorschlag einzugehen und er beschlofs
deshalb, den sowohl von Leipzig als auch von Wittenberg
aus gleich warm empfohlenen Hala zu wählen. Ein in
dieser Angelegenheit an Pfeffinger gerichtetes Schreiben
'*) In dem an die Viertelsmeister und die Clemeinde gerichteten
Schreiben lieilst es u. a. : „Vndt begeren derhalben Euch hirmit
ernstlich befehlende, das jhr dem Rathe jn denie keine eyurehde ader
verhindernuge thuett Bey verhuettung vnserer ernsten straffe
vnd vngenade." Über Beyers Wegzug (1. März) vergl. meine Abb.
i. d. Mitteil. d. Altertumsver. f. Zw. u. U. I, 75.
"') Die Kopie dieses Schreibens im Zw. R.-A. III, 2. 15.
^) Original, datiert vom 6. Februar 1549, im Zw. R.-A. ITI, 2. 15.
"") Dies geht aus dem Anfange von Pfefüngers Brief hervor:
,,Ich habe von dem Hern Doctor, Euren Sindico, vernohmen, das
Ein Erbar radt nicht bösen Lust hette zu Mgro. Georgen Haien
zum pfarheru zu machen bey Euch'-.
"*) Siehe den Anfang von Melanchthons Brief vom 7. Februar
1549 (Beilage Nr. 8).
«■'*) Siehe Beilage Nr. 8.
Die Beziehungen Melanchthons zur Stadt Zwickau. 63
traf den Leipziger Stadtpfarrer iiiclit daheim, er war
noch in Geschäften in Merseburg. Dafür aber nahmen
Melanchthon, der sich damals zufällig zur Hochzeit seines
Freundes Meurer in Leipzig befand, sowie Joachim Came-
rarius von dem Inhalte des Schreibens Kenntnis, und'
Melanchthon antwortete sofort*''^), dafs Hala davon
benachrichtigt und gebeten werden solle, bis zu der in
Aussicht stehenden Ankunft des Zwickauer Stadtsyndikus
M. Nikolaus Eeinhold keine andere Wahl anzunehmen.
Hala wurde denn auch am 24. Februar 1549 zum Stadt-
pfarrer gewählt und trat, nachdem seine Bestätigung*")
durch den Kurfürsten Moritz am 14. März erfolgt war,
am 18. März seine neue Stellung an. Bei der Berufung
Halas scheint Melanchthon zum letztenmal Gelegenheit
gefunden zu haben, der Stadt auf kirchlichem Gebiete
einen Dienst zu erweisen.
Dafs der Rat die vielfachen Mühwaltungen Melanch-
thons wohl zu schätzen wulste und dem treuen Freunde
eine unbegrenzte Dankbarkeit bewahrte, das beweist, ab-
gesehen von den zahlreichen Dankesäulserungen in den
Briefen und den in den Ratsprotokollen zerstreuten No-
tizen, namentlich auch das Verhalten des Rates, als
Mßlanchthon , nachdem er schon auf der Reise nach
Regensburg am 17. März in Zmckau verweilt hatte '^^),
am 1. August auf der Heimreise von Regensburg aber-
mals in der alten Schwanenstadt Rast hielt. Am Montag
Vincula Petri (1. August) 1541 falste der Rat folgenden
Beschluls«''):
M. Philippus Melanchtlion.
Nachdem Magister Philippus Melanchtlion jnn vielen
Sachen Geraeyner Stadt gedient vnd forderlich gewesen, vnd
sonderlich vnsern Stadtkindern, so sich auffs Studium gen
Wittembergk begeben von jhme gefordert werden, auch ein
sonderlich aug autt' sie hat, Als ist beschlossen, jhm itzo, do
''") Siehe sein Schreiben an Bürgermeister und Rat vom 13. Fe-
bruar 1549 (Beilage Nr. 9).
f") Das Konfirmationsschreiben des Kurfürsten Moritz, datiert
Torgau, den 14. März, befindet sich im Zwickauor B.-A. XV, 3. 2.
^""i Er l)efand sich damals in Begleitung \o\\ Caspar Crnciger,
Dr. Pleukard und dem Kanzler Franz Burkliai'd, aus dem Herzog
(Chron. v. Zw. II, 255), die Notiz der alten ( -hronisten mil'svei'steliend,
einen M. Franz Kanzler macht. Melanchthon übernachtete beim
Bürgermeister Hans Unruh. Siehe Corp. Reff. IV. 829 und die
Note dazu. Peter Scluimanns haudschriftl. Ann. 111, Bl. 22''.
Wilhelm, Descript. Urbis Cycneae, S. 230.
"") R.-P. 1540/1541, Bl. 39'-.
64 Ernst Fabian:
er vom Reiclistag' komeu™), mit einem Beclier vngefehrlich
auff zwentzigk guldeugrosclien Averdt zu überreichen, wie dann
als heut geschehen.
Melanclithon war übrigens seit jener Zeit nnr noch
wenige Male persönlicli in Zwickau. Seiner (dritten) An-
wesenlieit gelegentlich der grofsen Schulvisitation 1550
ist bereits oben S. 56 gedacht Avorden. Seitdem war er
nur noch einmal in den Mauern Zwickaus. Am 15. Januar
1552 traf er daselbst von Leipzig, von wo er am 1 3. Ja-
nuar ^^) aufgebrochen war, in Begleitung zweier Leipziger
Prediger, Erasmus Sarcerius und Valentin Pacaeus'-), ein,
um von da weiter nach Trient zur Kirchenversammlung
zu reisen. Bekanntlich kam er aber nur bis Nürnberg,
von wo aus er, nachdem er vom 25. Januar bis ziemlich
gegen Mitte März vergeblich auf Weisungen des Kur-
fürsten gewartet hatte ^"), der drohenden Kriegsunruhen
wegen auf eigene Verantwortung die Rückreise in die
Heimat antrat.
War demnach Melanchthon persönlich auch nur
wenige Male in der alten Schwanenstadt, so hatte sich
doch, wie nicht nur die offiziellen Aktenstücke und Briefe,
sondern auch eine Anzahl noch vorhandener und zum
Teil erst neuerdings aufgefundener Privatbriefe '^) be-
''^) Darnach berichtigt sich also die Angabe Herzogs (Chronik
der Kreisstadt Zwickau IL 255), dafs Melanchthon auf der Hinreise
nach Regensburg den Becher bekommen habe. Des Rats „Rechnung"
von Mich. 1540—1541, S. 75 berichtet: „viij gutte fso. xxj gr. Cas-
parn Brew, Goldschmied, geben für einen silbern Becher, hat ge-
wogen xxix loth j qntl. Damit ist Mag. Philipp Melanchthon vom
Raclth von wegen der fnrderung, die er vnseru Burgerssohnen er-
zeiget, verehret worden." Herzog berichtet fälschlich a. a. 0.. der
Becher habe 9V.i Loth gewogen.
"'J Vergl. den Schlufs des Schreibens im Corp. Reff. VII, 914
(Nr. 5030).
'-) Nicht Pareus, wie Herzog in seiner Zwickauer Chron. IL 283
sagt. Vergl. Corp. Reff. VI, 910 (Nr. 5027).
'") Siehe sein Schreiben an den kurfürstlichen Rat Dr. Ulrich
Mordeisen vom 27. Februar im Corp. Reff. VII, 955 (Nr. 5064).
■'^l Vergl. die von Bucliwald in Luthardt's ,, Zeitschrift für kirch-
liche Wissenschaft und kirchliches Wesen", Jahrgang 1884, S. 50Üg.
veröffentlichten Schreiben, ferner das Schreiben an Bring, Corp.
Reff. X, 9, bezüglich dessen zu bemerken ist, dafs die Vermutung
des Herausgebers, Ering sei der Prediger gleichen Namens in Zwickau
gewesen, richtig ist. Der Brief, der neben Tröstungen wegen der
von Ering erlittenen Anfeindungen auch einen Glückwunsch zu seiner
Vei'heiratung enthält, ist in da"s Jahr 1553 zu setzen, Avie sich aus
dem Zwickauer Proklamationsbuch von 1522—1581 ergiebt, wo es im
Jahre 1553 auf Bl. 66 a unter Nr. 25 heilst:
Die Beziehungen Melanchthons zur Stadt Zwickau. 65
weisen, ein sehr herzliclies Verhältnis zwischen ßat und
Bürgerschaft einerseits und dem berühmten Reformator
andererseits herausgebildet. Unstreitig war von allen
Wittenberger Gelehrten, selbst Luther nicht ausgenommen,
kein einziger bei den Bürgern und Behörden der Stadt
Zwickau so wohl angeschrieben, als Philipp Melanch-
thon, und sicherlich ist das Hinscheiden des trefflichen
Mannes in Zwickau nicht minder tief empfunden worden als
im übrigen deutschen Vaterlande. Auch das Zwickauer
Totenbuch jener Zeit, welches die Namen der in Zwickau
in den Jahren 1502 — 1582 Gestorbenen enthält, gedenkt'-^)
des Hinscheidens Melanchthons und zwar mit folgenden
Worten :
„Freitag- nach Ostern den 19. Aprilis ist in got entschlafen
der vortref liehe vndt weit berümte man Dominus Philippus
Melanchthon, vndt Sontag quasimodo geniti mit groser
pompa, in einen zienern sarck begraben".
Die nachfolgenden Briefe, die mit Ausnahme von
JSTr. 4 und 8 noch unbekannt sein dürften, sind, soweit
es nicht anders angegeben ist, dem Zwickauer Ratsarchiv
entnommen.
Beilagen.
Nr. 1. (1533, November 22.)
Melanchthon an den Zwickauer Rat.
Nach dem Original im Ratsarchiv (fll. Alrae, 2. Schubk. Nr. 12).
Mein willige Dienst zu uor, Erbare Ersame Weise gunstige
herrn. Der hochgelart herr Doctor Leonhardus Naterus'"), mein
gunstiger frund. hatt mir zum offtermal erzelet, welche fruntliche
Mag. Christophorus Ering
Marga. vidua Ern Jobst Gopftartlis.
Weitere Privatbriefe Melanchthons an Bewohner Zwickaus, sielie im
Corp. Reff'. TI, 490 flg. IV, 96. 829 VI, 846. X, 4;<!.
'■'■') Fol. 147, b Nr. 13. Es verdient als ein ZeicJieu des in i^-e-
wissen Kreisen von Zwickau noch gegen Luther herrsehenden Urolls
erwähnt zu werden, dafs der Tod des grofsen Ecformatoi's in dem
genannten Totenbuche offenbar geflissentlich nicht erwähnt ^\■il•d,
während des Abscheidens von Männern wie ]\[elanclithon, Spalatiu,
Egranus und l'lateanus, die el)enfalls nielit in Zwickau starben, ganz
ausdrücklich und in zum Teil hervorragender Weise gedacht wird.
"®) L. Natter oder Nuther war geboren in Lauinyen, Rektor
der Zwickauer Schule von 1522 — 1529, studierte dann vom
Zwickauer Rate unterstützt in Wittenberg Medizin.
Neues Archiv f. S. Ci. u. A. XI. 1. 2. 6
Qß Ernst Fahiaii:
furdeniug ' ') E.W. yhm alle zeit erzeiget batt, viid mich ietzund
gebetten, yhm ein schritft an E. W. zu geben, welches ich derhalben
nit vngem gethan, damit E. W. seine Dankbarkeit gegen E. W. des
mehr merken vud erkennen möge, denn ich yhn jn allen Ewr statt
Sachen allezeit also befunden, das ehr eins Erbarn Radts Sachen
trewlich verantwort vnd seines Vermögens gefoddert. Derhalben bitt
ich gantz dienstlich, E. W. wolle yhr yhn auch lassen fruutlich be-
uohlen sein, jn ansehung solcher seiner DunkbaTkeit, vnd das ehr
am aller liebsten Ewr statt dienen wölt, diweil es gott also gefuget,
das ehr nu burger bey euch worden, vnd eins burgers tochter'''^) hatt,
mit der yhm gott gnediglich viel kinder geben. So habe ich auch
nit zweifei, ehr wurde jn allen Sachen trewe vnd allen vleis gegen
eim Erbarn Eadt vnd meniglicli erzeigen. Wo nu E. W. bedacht
weren, ein Doctorem medicum zu besolden, bitt ich dienstlich, E. W.
wolle hie mit gedachten herrn Doctorem Leonhardum fruntlich
bedeucken''"), vnd yhn auch sunst jn fruntlichem beuellich haben.
Das will ich jn Sonderheit vmb E. W. mit allem möglichen vleis zu
verdienen, allezeit bereit sein. Gott bewar E. W. gnediglich allezeit.
Dat. Witeberg Sonabents nach Elizabet anno 1533.
E. W.
williger
philippus Melantho.
Aufschrift : DEn Erbarn Ersamen vnd weisen Burgermeistern vnd
Eadt der Statt Zwika, meinen gunstigen herrn.
Nr. 2. (1534, Mai 24.)
Melanchthon an den Zivickauer Bat.
Nach dem Original ebenda.
Mein willige Dienst zuuor, Erbare Ersame weise gunstige
herrn. Ich dankh E. W. gantz dienstlich für mein person vnd für
georgen Thor man, von wegen der gunstigen hulff', so E.W.
abermals gedachtem georgio vft' mein vorbitt erzeiget. Ich hoff
auch, gott der Waisen vatter, werde solch E. W. wolthatt, so an den
armen burgerkindern geschihet, reichlich belohnen. So will ich auch
vleis ankeren, das georg dise E. AV. hulff wol anlege, damit ehr
mit der zeit E. W. vnd gemeiner statt auch dienen klieun, vud wo
mit ich E. W. oder Ewr statt dienen khann, binn ich jn warheit
''■') Man erteilte ihm bei seiner Entlassung vier JaJire lang ein
einfaches Stipendium und eine Extravergütung von 10 fl. Vcrgl.
überhaupt über Nather meine Abhandlung über Plateanns, 8. 3ftg.
''*) Nather loar, als er nach Wittenberg ging, bereits Familien-
vater; er hatte sich nach Aiistveis des noch vorhandenen Prokla-
mationsbuches, Bl. 3^, 1523 mit Anna, Wolf gang Bosenlöchers
Tochter, verlobt und nach Peter Schumanns handschriftlicher Chronik
Mitttvoch nach Corporis Christi (1. Juni) 1524 verheiratet.
™) Nather wurde in der That, freilich erst im November 1534,
zum Stadtphysikus erwählt, als der ursprünglich in Aussicht ge-
nommene Dr. Johann Sommerfeld mit der Annahme zögerte. Er
hat in dieser Stellung, soivie auch später (von 1535 an) als Bats-
herr sich um das Gemeimvesen %ind ganz besonders um die Schule
als Schiilinspckfor große Verdienste ertvorben.
Die Beziehungen Melanclithons znr Stadt Zwickau. 67
solchs mit holiestera vleis allezeit zu tliun willig vud bereit, wie ich
one rhum zu reden, weifs, das man Idfsanher ettlich mal hatt spuren
mögen, das ich Ewr statt zu dienen von hertzen geneigt biun. Gott
bewar E.W. gnediglich. Dat. Witeberg 'vff den heiigen pfingstag
1534.
E. W.
Avilliger
philippus Melantho.
Aufschrift wie Xr. 1.
Nr. 3. (154*, Augnst 13.)
Melanchthon an Kurfürst JoJiann Friedrich.
Is'acli dem Original in der Hamburger Stadthibliotliek (Cod. 101, Bl. Wflg.).
Gottes gnad durch seinen Eingebornen son Jhesum Christum,
vnseru heiland, zu uor. Durchlauchtister, hochgeborner, gnedigster
Churfurst vnd herr.
E. e. f. g. fugen wir jn vnterthenikeit zu wissen, das vnfs der
wirdig Magister Leonhart Beyer, pastor der kirchen zuZwika,
bericht, das yhm E. c. f. g. gnedige Vertröstung gethan, seiner sön einem
zum studio gnedige Imlff zu erzeigen, vnd yhnen an der Stipendien
eins, so E. c. f. g. für solche Jugent aus hohem christlichem bedenken
verordnen, anzunemen. Darwff wir gedachtes pastors von Zvvika
beide sone Paulum vnd Henricum zu examiuiren beuohlen, vnd
werden bericht, das sie bej'de gute Ingeuia haben vnd die grammatika
wol khonnen, das nu Zeit ist, sie fürt in dialectica vnd philosophia
neben christlicher lalir zu vnterweisen. Bitten derwegen jn vnter-
thenikeit, E. c. f. g. wollen yhr dise Jungen als eins armen priesters
kiuder. vnd der nu lang ti'ewlich vnd nutzlich gedienet, gnediglich
lassen beuohlen seyn vnd den Ein gnediglich zu einem stipcndio
annemen, wie sich E. c. f. g., den armen priester kindern, für andern
hulif zu thuu, gnediglich haben vornemen lassen. So zweifeln wir
nicht, vnser heiland christus werde dise vnd der gleichen Elemosynen
reichlich belohnen, Avie auch viel gottlicher gaben in diesen landen,
die wir erkennen, grofs achten vnd dafür gott danken sollen, vor
äugen sind; denn warlich wir sehen, wie gott spricht. Ehr AvoUe
seine kirchen tragen, wie die mutter yhr frucht jm leib traget, das
gott dise land vnd regiment also nach gnediglich bewaret, dem wir
danken vnd bitten von hertzen, der ewige gott vatter vnsers heilands
Jhesu Christi wolle E. c. f. g. alle Zeit bewaren vnd zu ylirem vnd
vieler Christen Seligkeit leiten.
Datum Witteberg 13 Augusti 1544.
Nr. 4. (1547, Novoüihor 18.)
Melanchthon an den Zivickuuer R((t^^).
Nacli dem Original im Ratsaroliiv (III. 2, 12).
Gottes gna<l durch seinen Eingebornen Son .Ihesum Christum,
vnseru heiland zu uor. Erbare, weise, furneme, gunstige herrii.
^) Dieser Brief ist ztvar bereits im Corp. lir/f. VT, 739/l(/.
abgedruckt, aber so iveniq dem Originale entsprechend, insbesondere
so lückenhaft, dass ein Wiederabdruck ivohl gerechtfertigt erscheint.
5*
68 Ernst Fabian:
Ewr Weisheit sebrifft habe ich empfangen, dariun E. "W. erstlich der
grossen betrubuis diser land gedenken, darinn vber andre grosse
schaden, auch die Zerrüttung der Studien, die durch gottes gnad
wol angericht gewesen, furgefallen. Darnach weiter schreiben E. W.
von dem wolgelarten Georgio Thymen. Wiewol man nu spricht,
Aveinen hilfft wenig, so ist doch gottes Avill, das wir vnsere grosse
AAamden fülen vnd beklagen, vnfs selb vnd andi'e damit zu bewegen,
vrsach zu betrachten, die gottes zorn erreget haben. Denn wir
müssen alle bekennen, das vnser forchtlofs weidleben dise straff ge-
sucht hatt, vnd zu besorgen, dises vngestümen wetter sey noch nit
gantz für vber; denn der himmel drawet selb schreklich mit der
newlich gewesen Eclipsi vnd andein zeichen.
Es Avill aber vnd wirt vnser heilaud Jhesus Christus, der Son
gottes. seine kirchen erhalden, der Eechte lehr liebet, vnd sind ge-
wifslich die feind rechter lehr nicht gottes kirche, sie nennen sich,
wie sie wollen, welchen trost wir wol behertzigen sollen, sollen auch
der halben der jugent studia vleissig widerumb anrichten, dazu der
allmechtige gott E. W. vnd vnfs allen gnediglich helffen wolle.
Vnd so viel Georgen Thymen gradum belanget, diweil wir
yhn alle kennen vnd wissen, das ehr zuchtig, gotforchtig, vnd wol
geleret ist, soll an vnfs der promotion halben kein mangel seyn. Es
werden auch, wie Avir hoffen, etlich ehrliche gesellen mehr vmb den
gradum ansuchen, darumb sich die promotion bifs in den leipsischen
markt verzihen möcht. Vnd so viel den kosten belanget, ist vnser
weifs auch zu uor gewesen, vnnutzen kosten in den promotion nicht
zu gestatten, wie vnser Statut aufstruklich lautet, das niemand
schuldig ist. Ein prandium anzurichten; wer es aber geben will, sol
solchs einzihen nach bedenken der facultet, vnd one das prandium
lauffen die andern sumptus nicht vber acht floreu.
So auch der Stadt Stipendiaten widerumb anher gesant werden,
wollen wir sie vleissig verhören, vnd yhnen yhre studia ordnen, vnd
daruff ein vffsehen haben.
Vnd nachdem ich mich zu E. W. alfs meinen gunstigen herrn
viel gutes versehe, vnd ich die lobliche Stadt Zwika allezeit be-
sonder geliebet, dorumb das sie nit Eine fawle Stat ist, sondern hatt
viel kunstlicher arbeiter, helt zimliche zucht, sorget für die armen,
vnd thut vleis zu erhaltung der Studien, vnd hatt viel gelarter menner
erzogen, so bitt ich gantz vleissig E. W. wolle mich Einer vorbitt
macht haben lassen, vnd bitt nemlich E. W. wollen dem jungen
Lasan das Stipendium, wie E. AV. wissen, gunstiglich volgen lassen,
denn der knab ist warlich zu tugeut geneigt vnd hatt seer wol studirt.
Wo dises nicht also were, wolt ich nit für ihn bitten, E. W. wollen
yhr yhnen vmb der tugent willen gunstiglich lassen beuohlen sein.
Gott bewar Euch alle vnd die Ewrn gnediglich. Dat. Witeberg
18 Nouembris, an welchem tag vor disem jar diser arme fleck ^i) erst-
lich berandt worden, den doch gott gnediglich bewahret, das ehr nit
gantz vertilget ist, dafür wir gott danken, vnd bitten noch, ehr wolle
^^) Nämlich Zwickmi. Diese Bemerkung Melanchthons bezieht
sich auf die Belagerung der Stadt durch den Herzog Moritz von
Sachsen ivährend des Sclunalkal diachen Krieges. Auf diesen letzteren
heziclien i^ich auch die Klagen am Anfange des Briefes.
Die Beziehungen Melanchthons zur Stadt Zwicliau. 69
die straffen guediglich lindern vud ylim Ein Kii'ch jn diser Stadt
vnd jn diesen landen erhalten, Amen.
Datum ut supra. Anno 1547.
E. W.
williger
philippus Melauthon.
Aufschrift : DEn Erbarn weisen vnd furnemen, herrn Birrgermeistern
vnd Radt, der Stadt Zwika, meinen gunstigen herrn.
Nr. 5. (1548, Septenil)er 3.)
Melanchthon an den Zivickauer Rat.
Nach dem Original ebenda.
Gottes gnad durch seinen Eingebornen Son Jhesum Christum
vnsern heiland vnd warhaff'tigen helffer zu uor. Erbare, weise, fur-
neme, gTinstige herrn. Aufs welchen vrsachen der herr pastor"^'-) alhie
sampt andern bewogen, an den Ernwirdigen herr Pastor zu Zwika
zu schreiben, das wirt E. W. aus eingelegter Copia^^) vernemen.
Diweil denn gedachter herr Pastor vnd die andern bedacht, das wir
dise erinnerung zu thun schuldig sind, vnd gut ist, das E. W. vnser
meinung hievon auch wissen, Jiaben wir E. W. den Briett' an den herrn
Pastor sampt der Copia zugeschikt vnd bitten, E. W. wolle dem herrn
Pastor vnser schrifft vberantworten. Vnd wiewol vns villeicht
solches vnser schreiben vbel gedeut werden mag, so ist es doch die
warheit vnd wirt von vns trewlich vnd zu fridlichem stand der
kirchen jn disen landen gemeint, den gott, der yhm Ein Ewige
Kirchen jm menschlichen geschlecht samlet, gnediglich erhalden
wolle. Der wolle auch Euch alle zu aller Zeit gnediglich bewaren
vnd seliglich regirn. Dat. Witeberg, 3 Septembris [1548].
E. Weisheit
williger
philippus Melanthon.
Aufschrift toie Nr. 4.
Notiz des Stadtschreibers Zorn unter der Adresse : D. philippus
Melanthon tröstet den Rath, des pfarhern alhie gethaner predigt
halben 1548 Sontags Oswaldj gescheen.
Nr. 6. (1548, Septoml^er 2.)
Die Wittenherger Gelehrten an den Zwickaiier Stadtpfarrer
M. Leonhard Beyer.
Nacli der Kopie ebenda.
Gottes gnad durch seineu eingebornen Son Jhesum Christum
vnsern Heiland zuvor. Ernwirdiger iier pastor, guter Freund. \\'ie-
wol wir euch nicht zugebiteu haben, so wisst ir doch, das Irundliche
erinnerung vnd wariumg, besonder zwischen den personen, so im
prediganpt sind, gewonlich vnd christlich ist. Derhalben wollet dise
vnser schriff't, die treulich vnd wol gemeint ist, von vnfs frundlich
vorstehen. Es gelanget an vnfs vom churfürstlichen liofe, das ilir
**2) Dr. Johannes Bugenhagen Pomeranus.
83) Folgt unter Nr. 6.
70 Ernst Fabian:
in öffentlichen predigten also redet, so die hohe oberkeit ettwas anders
in kircheu ordnen wolt, Das ein Rhadt oder andere, so in emptern
sindt, solichs nicht di;lden sollen. Nu habt ihr selb zubedencken, wie
diese wort mögen verstanden werden, auch zu welliger beschwerung
dises euch gereichen möge. Ob ir aber gleich ewre eigne fharlig-
keit hierin nit bedencken Wdlt, So bitten wir doch, ihr wollet ewr
vnd anderer kirchen hieiin schonen. Denn zu besorgen, dise vnd
dergleichen vrsacheu möchten die herrschaft des mehr zu verendrung
bewegen, vnd ist nit zweifei, mit christlicher gelindikeit vnd gedult
khonnen wir der kirchen vil fruchtbarer dinen. Zudem so wollet die
meiuiing an yhr selb bedencken, ob wol ein jeder in rechten sacken,
die ehr vorstehet, sein confessio als priuat person thun soll, so be-
triftt doch dieses das ampt oder Rhadtstand nichts, sondern das ampt
oder Rhadtstand soll der hohen oberkeit weichen vnd sich nit wider
sie setzen, vnd soll der amptmann viel mehr vom ampt abtredten,
so er seins gewisseus halben beschwerung hatt. Vnd weiten wir
von diesem artikel viel lieber mit euch selb reden, denn davon schreiben,
betten auch nebest, alfs Jhr bei vnfs gewesen, mit euch davon ge-
redt, so wir ettwas von diesen ewren predigen gewist betten.
Jhr wist selb, das nit allein leildicher fahrlichkeit halben sorg-
lich ist, von oberkeit zureden, sondern auch derhalbeu das seer leicht-
lich yrtliiimb ^^ld mifsverstandt darein gemenget wirt.
Vber das alles so ist leider nit vngewonlich, dafs viel von hohen
grofsen schweren Sachen ietzund an vielen orten heiftig reden, dar-
von sie doch nit zimlichen vorstand haben, vnd ist allerley daraus
zubesorgen.
Darumb bitten wir euch vmb gottes willen, ihr wollet christ-
liche Ihar in notigen artickeln, wie yhr durch gottes guad selb vor-
stehet, zu besserung vnd trost viler menschen sittiglich predigen,
vnd die disputirliche reden von der oberkeit nicht darein mengen,
auch sunst andere vnnotige reden von der oberkeit vnterlassen, vnd
wollet diese vnser schrifft, die treulich geraeint, frundlich von vnfs
vorstehen.
Gott bewar euch: Dat. Sontag den andern tag septembris.
Anno xlviij.
Johannes Bugenhagen Pomer. D.
Georgius JVIaior. D.
Georgius RoraJ'ius.
Philippus Melanthon*^).
Aufschrift: Dem ernwirdigen vnd wolgelarten Hern Magister
Leonart Beyer, pastor der kyrchen zu Zwicka, vnserni
gunstigen hern vnd guten freundt.
Nr. 7. (1548, Dezember 8.)
Bugenhagen, Maior und Melanchthon an den Zivickauer Rat.
Nach dem Original ebenda (HI. 2, 11).
Gottes gnad durch seinen eingebornen Sohn Jhesum Christum,
vnsern heiland vnd warhafftigen helffer zu uor. Erbare, weise, fur-
**) Eigenhändige Unterschrift der vier Gelehrten. Der Brief
selbst ist von einem Schreiber geschrieben und von Melanchthon
durchgesehen worden, wie sich aus einer Korrektur von seiner
Hand ergiebt.
Die Beziehungen ^^relanchtlions zur Stadt Zwickau. 71
neme, gunstige herrn. Wir khonneu wol achten, das E. W. ju diser
vnruwigeu zeit maucherley sorg vnd betrubnis haben, die Gott guedig-
lich lindern wolle. Es were auch ein zimliche linderuug anderer
last vnd elends, so wir zwischen vus seil) fruntliche eintrechtikeit
haben mochten. Haben derhalben mit grosser betrubnis gehört, das
der wirdig herr Pastor, vnser alter frund, ein solchen vnwillen zu
einem Erbarn Radt gefafst. Wiewol ehr nu erlewbnis gebeten vnd
wir selb besorgen, wenn manu gleich, wie ettlich mal zu vor ge-
schehen, versunung machet, das doch bald widerumb ein loch darein
reissen werde. So haben wir dennoch yhn nochmals zu bleiben vnd
jn seiner lieben kirchen frundliche eintrechtigkeit zu erhalden ge-
betten. Denn es ist gleichwol war, das verenderung der Seelsorger
itzund viel reden macht. Wo er aber so hart ist vnd sich noch-
mals vernemen lest, nicht zu bleiben, ist vnser bedenken, yhm frunt-
lich zu erlawben vnd ein zeitt zu bestimmen, nicht lenger zu predigen.
Wir haben vns auch nit zu vnterhandlungen erbieten wollen, denn
er mocht villeicht vns zu vnterhaudlern nit gern leiden wollen, wie-
wol wir yhm warlich alles gutes gönnen. So hoffen wir, wir dienen
jn der lahr vnd sunst auch trewlich vnd haben villeicht mehr an-
fechtung denn ehr. Wir wolden hertzlich gern, das die Kirchen
diser land in rüg, eintrechtikeit vnd rechter anruffung Gottes ewig-
lich blieben. Dazu der Almechtig Gott vatter vnsers heilands Jhesu
Christi seine gnad verleihen wolle; der wolle auch ewr Kirchen,
euch vnd die ewrn allezeit gnediglich bewaren.
Dat. Witeberg 8. Decembris Anno 1548.
Johannes Bugenhagen Pomer. D.
Georgius Major. D.
Philippus Melanthon*^).
Aufschrift ivie Nr. 4.
Nr. 8. (1549, Februar 7.)
MdancMhon an den Ztvickauer Bat.
Nach dem Original ebenda (III. 2, 12).
Gottes gnad durch seinen Eingeborneu Son Jhesum Christum,
vnnsem heiland vnnd warhafftigeu helffer zuvor. Erbare, weise, fur-
neme, gunstige herrn. E. W. schrifft, darinn E. W. begern, das Ich
einen ansehlichen mann, zur pfarregirung tuclitig, anzeigen wolle,
hab Ich empfangen vnd davon mit den andern lierren Doctorii vnter-
rede gehabt. Vnnd haben wir erstlich dises bedacht, das zu einig-
keit besser were, das in Zwika die kirchen person also geordnet
weren, das nur ein einiger pastor were, vnnd die andern alle als
Diaconj, vnnd nicht, das zwo gleiche person, pastor vnnd i)rediger,
nebeneinander regirten. Wo nu der Ernwirdig Magister Ering sich
wolte zu pastorn welen lassen, so bedencken wir, das Ihm das ampt
also im namen Gottes zu beuelhen sey.
Darnach an seine Stadt, doch im titel vnnd standt eines Diaconj,
zfügen wir an den wirdigen herrn Georgium Kala von Berreut,
der zu Leiptzik zu linden vnnd ist pastor gewesen zu weiblingen
^'^) Eiqenhänclige Unterschrift der drei Gelehrten, ivährend
der Brief selbst von der Hand eines offenbar sehr geiibteti Schreibers
licr rührt.
72 Ernst Fabian:
im laud Wirteberg, hatt in cliser vniuersitet studiit vnnd ist ein
ernster, ausehlicber mann vnnd wartet seines ampts, menget sich
nicht in andere regiruug.
Zeigen auch an den wirdigen Magistrum Andream Bog von
Eilenburg, der ietzund zu Northusen ist; ist wolgelart, ernst
vnd wartet seines beruffs.
Es sind auch beide, so zu Regens bürg gewesen Doctor
Nopus*''), vnnd Magister Nicolaus ehrliche gelarte nieuner, vnnd
Ich acht, M. Nicolaus liefs sich als einen Diacon annemen.
So aber der Ernwirdig Magister Ering das pfarrampt nicht
annemen wolt, so bleibet ehr prediger wie vor, vnnd ist zu bedenckeu,
ob Doctor Nopus, oder Doctor Erhardus Schnep'''), der zu
Tübingen abziehet, oder der vorgenanten einen zu weihen.
Aber ich wolt, man arbeitet vff den ersten weg, acht auch, es
solte bey dem herrn Magister Ering zuerhalden sein, besonder so
ein sittiger man an seine stat keme, vnnd ehr die autoritet vber alle
Personen haben wirt. So ist gelegenheit der zeit also, das wir alle
mit einander gedult haben müssen, vnnd müssen hellt'en flicken, wie
mann kann, das die kirchen in rechter lahr, vnnd rechten Gotts-
diensten, vnnd eintrechtig bleiben, Dazu vnnser heiland Jhesus
Christus seine gnad verleihen wolle. Der wolle auch diesen landen
gnedigen frid vnd selige regiment geben. Dat. Witeberg am
7. Eebruarij 1549,
Ewr weifsheit
williger
Philippus Melanthon**).
Aufschrift tvie Nr. 4.
Tsr. 9. (1549, Februar 13.)
Melanchthon an den Zwickauer Hat.
Nach dem Original ebenda (III. 2, 15).
Gottes gnad durch seinen Eingebornen Son Jhesum Christum,
vnsern heiland vnd warhafftigen helfter zu uor. Erbare, weise, fur-
neme, günstige herrn. E. W. scluiftt an den Ernwirdigen henn Doctor
Johann pfeffinger, belangend den herrn Georgen Hai a, haben
der achtbar vnd hochgelart herr Joachimus Camerarius vnd ich
gelesen. Denn gedachter herr Doctor pfeffinger ist ietzund zu
mersburg jn geschefften, vnd nach dem E. W. anzeigt, es werde
_^'') Hier onymus Nopus, ans Herzogen auracJi bei Erlangen ge-
bürtig, von 1519 — 1537 als Interpret der griechischen Dichter an
der Zwickauer Schuh thütig, ging dann als Rektor nach Schneeberg,
von ICO er 1543 nach Eriverbung der theologischen Doktorn-iirde
als Superintendent nach Regensburg zog. Er starb 1551.
*') Vergl. den Brief Melanchthons an Schnepf vom 9. Februar
1549 im Corp. Reff. VII, 334.
**) Dieser Brief ist von der Hand eines Kopisten geschrieben,
erst die Unterschrift von den Worten: „Eivr tveißheit" an ist von
Melanchthons eigener Hand. Der Brief ist zicar auch im Corp.
Reff. VII, 382flg. abgedruckt , aber mit solcher Willkürlichkeit
namentlich in der Orthographie, daß eine nochmalige Wiedergabe
tüohl ebenfalls gerechtfertigt erscheinen dürfte.
Die Bezieliung'en Melanehtlioiis zur Stiult Zwickau. 73
der achtbar viid hochgelart herr Doctor Nicolaus'"'^) anher vff den
neliesten Mittwoch abgefertiget, fugen wir E. W. zu wissen, das wir
achten, Doctor Johann"**) werde vor kunfftigen freytag niclit zu
haufs khomen. Darumb möge E. W. die schikung verzihen bis jii
nechst kunfftige wochen. Es soll aber gleich wol gedachtem herrn
Doctor pfeffinger geschriben [werden], mit herrn Georg en'^M, der
ietzund bey yhm zu M er s bürg ist, zu reden, das elir biss [vfr]**-)
Ewr schikung warten wolle, vnd mitler zeit nicht andi'e dienst au-
nemeu, Vnser heiland Jhesus Christus, der Son Gottes, wolle Ewch
gnediglich regü'u vnd bewareu. Dat. Leiptz 13. die Febr., an welchem
tag vor 1719 Jarn gott mit einer schonen victorieu seine kirch vnd
tempel zu Jerusalem erredt hatt vnd den stoltzen Nicanor"^) gestrafft,
welches band, damit ehr dem tempel gedrawet hatt, vor dem tempel
vffgehanget worden. Gott wolle gnediglich ietzund auch das arme
heufflin, darinn seine rechte lahr geprediget vnd geliebet wirt, be-
waren.
E. W.
Aufschrift wie Nr. 4.
williger
P h i 1 i p p u s M e 1 a n t h 0 n "*)
Nr. 10. (1549, Jimi 24.)
Der Zwickauer Hat an Melanchthon.
Nach der Abschrift des Copeibuches ebenda.
Vnser willige Dinste ziiuorn, hochgelarter vnd Achtbar gunstiger
Herr vnd furderer. Wir haben juugist ein furderangsschrifft Ma-
gistrum paulumAgricolam betreffende von E. A. empfangen vud
vorlesen vnnd weren woll gneigt, wie vor vnd allewege von vnfs
bescheheu, berurten Magistrum mit einem stipendio noch auff' ein
Jbar lang furderlich vnd behulfflich zu sein vnd dieser euerer vor-
schrifft jne geniesen zw lassenn, Wollen e. a. aber nicht pergen, das
wir solches itztmalfs von wegen vnser grosen erliedenen Brand vnd
ander scheden, auch furstehender grosen notwendigen gebenden vnd
andern! zu tliun nicht vermugen, wie den sonder zweyffell e. a. woll
vnd nach gelegenheit dieser zeitt zuerachten haben wirdett, Ynd vnfs
auffdismahl, furnemlich weill wir berurten Magister vorm alfs furderung
ertzeiget vnd das Stipendium vor seinem Magisterio auch zukommen
lassen, also das er bereithan das Stipendium vff's kunft'tige jhar hin-
wegk hat, entschuldiget nemen, Welchs wir E. A. auff' so gethanes
scbreyben haben beanttworten wollenVnnd seint derselben E. A. sonsten
zw dinen gantz willigk vnd gevlissen. Gebenn vnter vnsei'm kleinerm
Stadtsecret Montags am tag Joannis Baptiste Anno Dominj \v^ xlix.
Aufschrift: An Herrn Magister philippo Melanthonj.
*'•) Der Ztcickauer Stadtsyndilms D. Nikol. Reinhold.
'») Dr. Joh. Pfeffinger.
91) Georg Hala.
92) Von Melanchthon durchstrichen.
^^) Siehe 1. B. d. Maccab. c 7. 2. B. d. Maccab. c 15, v 33.
Vergl. den Schluß des lateinisch geschriebenen Briefes vom gleichen
Datum desselben Jahres im Corp. Reff. VII, 333.
9^) Der ganze Brief ist von Melanchthons eigener Hand ge-
schrieben.
74 Ernst Fabian:
Nr. 11. (1549, Juli 14.)
Mclanddhon an den Zivichaner Rat.
Nach dem Original ebenda (IIl. 2, 12j.
Gottes gnad durch seinen Eiugebornen Son Jhesuni Christum,
vnsern heiland vud warhafftigen helffer zu uor. Erbare, weise, fur-
neme, gunstige herrn. E. w. werden bericht werden von dem acht-
bani vnd hochgelarten herrn Doctor Nicoiao Rheinholt, was wir
beide mit Magistro Mareello, vnserm guten lieund, vnd ernach
vnter vns mit einander geredt haben, vnd wiewol gedachter Magister
Marcellus noch nit geschlossen, so will ich doch ferner vleissig
bey yhm anhalden; denn ehr durch gottes gnad zu disem werk seer
tüchtig sein wurde. Ich bitt auch gott, der ernstlich beuohlen hatt,
das man die jugent zu yhni bringen sali mitt lehr vnd guter
zncht, ehi' wolle selb gnad vnd gluck dazu verleihen vnd wolle alle-
zeit Euch alle vnd die Ewrn gnediglich regirn vnd bewaren. Dat.
Witeberg, 14. Julij Anno 1549.
Ewr Erbarkeit
williger
lihilippus Melanthon.
Avfschriff: DEn Erbaru weisen vnd furuemeu herrn Burgermeistern
vnd Eadt der loblichen Stadt Zwicka, meinen gunstigen herrn.
Nr. 12. (1549, Septemlber 6.)
Der Ztvickaner Rat an Melatichthon.
Kach der Abschrift des Copeibuchs ebenda.
Vnser willige Dinste zuuornn, hochgelarter vnd achtbar gunstiger
herr vnd förderer. Als wir nicht zweyifeln, e. a. werde nuhemalfs
von dem Achtbarn vnd wolgelarten heru Magistro Mareello ver-
stendiget vnd berichtet worden sein, ap er sich anhero zw vns be-
geben vnd zw einem Schulmeister gebraixchen lassen wolle, ader,
was sonsteu hirinnen sein gemuth vnd meynung sey. So gelanget
demnach an e. a. vnser jn vleifs gutlich bitt, wo deme also, wollet
vns dasselbige bey briftstzeygern hiemit vorstendigen. Do aber ge-
dachter Herr Magister sich gegen e. a. nicht entlich deshalbenn er-
clerett, bitthen wir auch gantz vleysigk, wollet vnbeschwertt sein,
vnd jne nachmalfs darumb von vnsertwegen anlangen lassen. Im
vhall aber do sich Magister Marcellus zw vnser schule nicht
dartzw konde vnd wolde gebrauchen lassenu, vnd e. a. hierin ein
abschleg'ige antwort begegnet, So biten wir, vns zuuormelden, ap
nicht Magister Esrom, des herrn Joachimj Camerarij zw
Leiptzigk eydman, dartzw ziiuormugen sein solte Vnd do e. a. weil
dartzw trösten an gemelten hern Camerario vnd M. Esrom zu schreyben,
vnd ein giither verfuger hiertzw sein, Domit wir vns weitter dar-
nach zui'ichten hotten, E. A. wolde sich jn deme vnser armen jugent
zum besten gutwilligk vnd vnbeschwert ertzeygenn. Solchs vmb E. A.
zuuordinen seint wir alletzeitt gantz willigk vnd gevlissen, biethen
hierauff ein schrifttliche antwort. Geben freytag nach Egidij 49.
Der Rath
z. Z.
Aufschrift : An Herrn Magistro philippo Mclanthonj zw Wittenberg.
Die Beziehungen Melanchthons zur Stadt Zwickau. 75
Nr. 13. (1550, September 10.)
Melanclithon an den Ztvickauer Bat.
Nach dem Original im R.-A. (III. 2, 2).
Gottes guad durch seinen Eingeborneu Son Jhesum Christum,
vusern heilaud vnd warhafftigen helffer zu uor. Erbare, weise, fur-
nerae, gunstige herrn. Wiewol die Regiment ietzund grosse last
tragen, die gott guediglich lindern avoII, so weifs ich doch, das E.
Erljarkeit deunocli die band nit abzihet von erhaltung der kircheu,
vnd der jugeut Studien, hoff auch der allmechtig gott werde gnedig-
lich die beswerungen lindern, so wir solcher Elemosynen nit ver-
gessen. Nu hatt mich zeiger diser Schrifft, Melchior Gebhart
von seines vaters vnvermogen bericht vud gebeten, yhm Zeugnis zu
geben vnd mitt yhm zu bitten, E. Erbarkeit wolle yhm gunstiglich
vud vmb Gottes willen mit Einem stipendio, das ietzund kunft'tig
ledig Avirt, hulff thun. Diweil denn gedachter Melchior Gebhart
mit gaben jngeuij wol geziret vnd zimliche fundamenta hatt jn
grammatica vnd dialectica, vnd zu seinem studio durch Gottes gnad
hoffnuug zu haben, (Denn ich habe yhn selb verhört) bitt ich dienst-
lich vnd vleissig neben yhm, E. Erbarkeit wolle yhm mit demsellügen
stipendio zum studio gunstige hulff thun, in betrachtung, das ge-
wifslich gott solch Elemosynen wol gefeilig sind, vnd das ehr do
gegen auch seine gaben, fiiden, gute Regirung vnd narung des
gnediger gehen will, wie E. Erbarkeit auis christlichem verstand
selb wissen. Vnser heiland Jhesus Christus, der Son gottes, wolle
Euch alle vnd die Ewrn guediglich bewaren vnd regirn.
Dat. Witeherg X. Septemb. 1550.
Ewr Erbarkeit
williger
philippus Melanthon.
Aufschrift ivic Nr. 11.
Nr. 14. (1554, März 20.)
Melanclithon an den Zivickaner Rat.
Nach dein Original ebenda.
Gottes gnad durch seinen Eingeborneu Son Jhesum Christum,
vusern heiland vnd warhafftigen helft'er zu uor. Erbare, weise, fur-
nerae, gunstige herrn. Ewr Erbarkeiten, alfs christliche verstendige
Regenten, wissen, das Gottliche weifsheit selb beides verkündigt hatt,
nemlich das in disem letzten swachen alder dei' weit grössere Zer-
rüttungen sein werden, denn zuuor gewesen sind, das aber gleichwol
der Son Gottes yhm gewifslicli für vnd für durclis Euangelium vnd
nicht anders Ein Ewige kircheu jm menschlichen goschlecht sanilcn
will, vnd will, das wir disen trost wissen vnd betrachten, vnd ju
diser Hofthung die grosse last, sorg vnd angst der Regirung neben
Einander tragen, vnd helffen chiistliche lehr ptiantzcn vud Krhalden.
Disen nöttigeu trost be<lenken oue zweifcl Ewr Erbarkeiten teglich.
Gott will auch seiner kircheu zu gut etliche Regiment erhalden.
Diweil denn E. Erbarkeiten aufs christlichem gemuet yhren aimen
Burgerkindern gern zum studio bulif tliun, vnd Georgius Malfs
Ein armer Waifs ist, den gott mit verstand wol geziret hatt, vnd
der gottforchtig vnd zuchtig ist, bitt ich neben yhm, Ewr Erbar-
keiten wollen vater sein vud yhm alfs Einem Waisen, da gute hoff-
76 Ernst Fabian: Die Beziehungen Melanchthous etc.
nung zu zuhaben, vaterliche hultt' thun mit Einem stipendio vft' ettlich
jar. Zeugnis seiner guten geschiklicheit habe ich hiemit Ein-
geschlossen vnd werden E. Erbarkeit [erkennen], das dise seine
schrifft wolgemacht ist, vnd ist Ein anzeig Eins guten jngenij. So
wissen Ewr Erbarkeit, das geschriben ist, Du solt des Waisen vater
sein, so wirt dich Gott mehr lieben, denn dich dein Eigen mutter
liebet. Dises ifs ja ein trostliche rede; denn wir alle wissen, was
väterliche und mutterliche lieb ist. Darumb in betrachtung diser
gnedigeu verheissung sollen wir uns besonder die Waisen lassen
beuohlen sein. Der allmechtig gott vater vnsers heilands Jhesu
Christi, der sich selb nennet der Waisen vatter, wolle Ewr Erbar-
keit vnd die Ewrn vnd die lobliche )Statt Zwika allezeit gnediglich
bewaren. Datum 20. Martij 1554.
Ewr Erbarkeit
wälliger
philii)pus Melauthou.
Aufschrift ivie Nr. 11.
lY.
Michael Bapst von Eoclilitz,
Pfarrer zu Moliorn,
ein populärer medizinischer Schriftsteller
des 16. Jahrhunderts.
Von
Eduard Schubert und Karl Sudlioff.
Einige Übersetzungen antiker Dramen und eigene
Komödiendichtung haben Michael Bapst in der deutschen
Litteraturgeschichte ein bescheidenes Plätzchen der Er-
wähnung verschafft. Eine etwas grölsere, wenngleich
bis heute keineswegs beneidenswerte Rolle spielt der
Mohorner Pfarrherr in der Geschichte der Arzneikunde.
Er wird von den medizinischen Historikern mit Spott
Übergossen; seine Schriften werden als das Absonder-
lichste, Abgeschmackteste, ja Blödsinnigste gekennzeich-
net, was die Litteratur dieser Disziplin aufzuweisen hat.
Und doch müssen sich diese Bücher bei ihrem Erscheinen
einer aulserordentlichen Beliebtheit erfreut haben, das
beweist schon die erhebliche Zahl von Auflagen, welche
dieselben erlebten. Unzweifelhaft kamen diese Schriften
einem Bedürfnisse ihrer Zeit entgegen und verdienen
mithin das Interesse des Kulturforschers.
Obendrein wird Bapst unter die Schar der Paracel-
sisten eingereiht. Julius Rosenbaum ^) charakterisiert die
Sparte der Jünger Hohenheims, unter welche Bapst zu
Ersch u. Grubevs Eiicyklopädie, Serie II, XI (1838), 284.
78 Eduard Scluibert und Karl Sudhoff:
zählen sein soll, folgenderniafsen : „Das Gold, welches sie
vergeblich in den Schmelztiegeln aufsuchten, lieferten die
Arkana weit sicherer als der Stein der Weisen in ihre
Taschen." — — Sollte wirklich der arme Landpfarrer,
welcher durch ein Knabenpensionat seine Einnahmen
aufzubessern suchte, durch den Handel mit geheimen
Arzneimitteln leichte Reichtümer erworben haben?! Das
schien uns durchaus nicht wahrscheinlich. —
Wir sind so ziemlich allen Schülern des grolsen
Arztes von Einsiedeln nachgegangen -j und auf diese
Weise auch zu Bapst von Rochlitz gekommen. Und
Avenn die Verlockung, uns mit diesem Manne eingehender
zu befassen, von vornherein auch nur gering gewesen ist,
so hat derselbe unser Interesse allmählicli doch insofern
gewonnen, als es uns geboten erschien, dem Vielverspotteteu
seine richtige Stelle nicht so sehr in der Arzneiwissen-
schaft, für die er nichts Nennenswertes geleistet hat, als
in der Kulturgeschichte des 16. Jahrhunderts anzuweisen.
Aus seinen Schriften, welche wir einer gründlichen Be-
arbeitung unterzogen haben, ist für den Kulturhistoriker
mehr zu lernen, als aus den Werken weit gelehrterer
ärztlicher Zeitscenossen.
Michael Bapst-^) wurde im Jahre 1540 (also ein
Jahr vor dem Tode Theophrasts von Hohenheim)
in Rochlitz geboren und am 24. August getauft; sein
Pathe war der Bürgermeister des Ortes Michael Peck"*).
'-) Vgl. unsere „Paracelsus -Forschungen" I. Heft. Frankfurt
am Main 1887. Vorwort.
'') So schreibt er seinen Namen am häufigsten. Daneben ge-
braucht er aber auch die Schreibung „Babst", namentlich im Akkusativ
„durch M. Babsten". — Auf den Titeln seiner Publikationen aus
den Jahren 1595 —97 nennt er sich „Mich. Bapst den Eltern" zum
Unterschied von seinem Sohne, dem Magister Michael Bapst, nach
dessen Tode (5. Juni 1596) der Vater diesen Zusatz wieder fallen
liefs. Zuerst kommt diese Bezeichnung vor unter der Vorrede zu
dem „Büchlein von den 7 Planeten" (Michaelis 1593). — In_ den
lateinischen Gedichten, welche der Zeitsitte gemäfs in den Schriften
häufig sich finden, nennen er und seine Söhne sich „Papa".
*) In der „Pimelotheca" (1599) S. 7 erzählt Bapst von der Hin-
richtung eines Verbrechers in Rochlitz ..und der Selction der Leiche
desselben „Anno 1540". Die fremden Ärzte , welche zur Sektion
sich einfanden, wohnten damals beim Bürgermeister .,]\Iichael Pecken,
der mich Michael Babsten dasselbige Jahr um Bartholomäi, aufs der
Tauffe gehaben." Vgl. auch die Vorrede zur Türkischen Chronika
(1593) S. .^./• : „Weil ich zu Rochlitz Anno 1540 geboren."
Michael Bapst von RochJitz. 79
Sein Grolsvater, Paul mit Namen, hatte sich, aus der
Heimat (den spanischen Niederlanden) vertrieben, in
Eochlitz niedergelassen. Sein Vater Mauritius sals im
Rate der Stadt und Avar mit Kindern reich gesegnet;
unter zwölf Geschwistern war unser Michael der siebente
Knabe'^). Er besuchte mit kurfürstlichem Stipendium die
Landesschule Pforta und die Universität Leipzig.*^) Dort
finden wir ihn im Jahre 1564. Er erzählt, er habe
„Dr. Leonhardus Lycius weiland Professor Physices zu
Leipzig anno 1564 in pub. lectione gehört, als er lib. de
anima lals '')." Als er der „hochlöblichen Vniuersität
zu Leipzig Depositor gewesen^)", bearbeitete er die Ko-
mödien des Terenz und übersetzte grölisere Abschnitte
derselben in deutschen Versen, eine Arbeit, die er viele
Jahre später im Druck verötfentlichte. — Er war von
kleiner Körpergestalt ^).
Im Jahre 1569 war Bapst einige Zeit „Baccalaureus
der Schulen" zu Rochlitz"'). Zwei Jahre später wurde
er zum Pfarrer in Mohorn ernannt, einem Dorfe in der
Nähe von Tharandt, wo er 32 Jahre bis zu seinem Tode
verblieb^^). Im gleichen Jahre, im Februar 1571, allem
Anscheine nach noch vor seiner Niederlassung, verheiratete
er sich mit Marie Steinmüller, der noch nicht zwanzig-
jährigen Tochter des Magisters Albertus Steinmüller ^^),
•^) Vgl. Sam. Gottl. Heine, Historische Beschreibung der alten
Stadt und Grafschaft Eochlitz (Leipzig 1719. 4"), wo sich S. 275
bis 281 eine Geschichte des Geschlechtes „Papst" findet, nach Mit-
teilungen,, „welche ein vornehmer Mann von diesem Geschlecht aus
Freyberg gütigst communiciret hat."
•*) In der Vorrede zu „Allegoria" (1586) schreibt B.: „Demnach
Augustus Hertzog zu Sachsen . . . seligster gedechtnis, aus ange-
borner mildigkeit, mich vnter den alumnis, der Pfortisclien Schnlen
vnd folgends vnter den Stipendiaten zu Leipzig etliche .Jahr ge-
halten, vnd mich also zum Studium befördert." Vgl. J O. Opel,
Valentin AVeigel (Leipzig 1864. 8") S. 9. Weigel war auch ein
solcher Stipendiat zur selben Zeit.
■') Pimelotheca S. 12 u. öfter.
^) Rytlim()logia..Tercntij (1590), S. A,^", Ai'zneikunst und Wunder-
buch (1590) S. Ll.,v(1604 S. ai6).
o\
i
Speciilum belli (1595) S. A^'' „von wegen meiner kleinen Statur."
'") Heine a. a. 0.; hierauf geht die Bemerkung im Arznei-
kunst und Wunderbuch (1590) S. Tt.,^' „weil ich damals des Orts
[Ptochlitz] ein Schuldiener war." (1604, S. 405.)
") Vorrede zum „GifftjageiKlin Kunst- und Hausbuch" (1591).
^'^) Vorrede zum [jeib- und Wundaizneibucli I. Teil (1596)
und in der Predigt über den Witwenstand (1602), S.A.,'-. Nach
Heine (a. a. 0. S. 278) war Steinmülbr Pastor zu Wechselburg-
und Bapsts erster Präzeptor.
80 Eduard Schubert und Karl Sudhoff:
welche ihm in 30j ähriger Ehe 11 Söhne und eine Tochter
schenkte ; der älteste Sohn , 1572 geboren , hiefs wie der
Vater Michael und starb mit 24 Jahren. Von andern
Söhnen nennt er PauF^), Samuel, Friedrich und Johannes.
Letzterer, der Sechstgeborene, starb 1602 am 26. August
in Leipzig an der Ruhr; es war dies der fünfte Verlust
eines Kindes, welcher die Eltern traf^^).
Zur Ernährung seiner grofsen Familie war der
schmale Pfarrgehalt nicht ausreichend. Also wohl um
seiner kleinen Einnahme aufzuhelfen, errichtete Bapst im
Jahre 1578 in seinem Hause eine Erziehungsanstalt,
worin er mit Hilfe seiner Söhne und „feiner gelarter
Praeceptores" ^^) Söhne vermögender Eltern unterrichtete,
z. B. aus dem Schönberg'schen Hause ^"^). Nicht wenig
thut er sich auf den herrlichen Erfolg seiner Pfarrschule
zugute und mit welch trefflichem Beispiel er in seinen
eigenen gelehrten Arbeiten diesen Jünglingen voranging.
Mehreren seiner früheren Zöglinge widmete er 1596 den
ersten Band seines Leib - und Wundarzneibuches und
am Ende desselben Jahres einigen seiner damaligen
Schüler den zweiten Band des nämlichen Werkes. Auch
die „Postilla" von 1603 ist „lieben Discipulis vnd Pflege
Söhnen" gewidmet. Für solche Widmungen wurden ja
damals nicht unerhebliche Geschenke bezahlt, während
die Verleger dem Autor nur selten ein Honorar gewähr-
ten. Bei den vielfachen Erwähnungen seines Pensionats
in den Vorreden scheint die Absicht der Reklame für
diese Anstalt nicht unwesentlich mitgewirkt zu haben.
Wie fleifsig Bapst neben allen diesen beruflichen Thätig-
keiten schriftstellerisch arbeitete, ergiebt sich daraus,
dals seit 1582 fast kein Jahr verging, in welchem nicht
ein oder mehrere zum Teil dickleibige Werke von ihm
erschienen wären.
Nach einem arbeitsamen Leben starb Bapst, 63 Jahre
13) Geboren 13. Dezember 1578 und am 4. Oktober 1588 ge-
storben. Über Krankheit und Tod dieses Söhnleins spricht B. aus-
führlich im Arznei - Kunst - und Wunderbuch 1590, S. 04>- (1604
S. 125).
1*) Vgl. Juniperetum 1605, S. 74.
i'') Die er „nicht ohne geringe Kosten" für seine Schule hielt-,
Vorrede zum Leib- und Wundarzneibuch 1. Teil. Vgl. auch die
Vorrede der „Postilla" von 1603.
*^) Viele andere Familien nennt Heine a. a. O.; nebenbei giebt
er eingehende Notizen über die Mohorner Pfarrschule.
3Iichael Bapst von Rochlitz. 81
alt, ZU Moliorn am 19. Apiil 1603 an einem Schlagfiuis").
Seine Gattin hatte er schon zwei Jahre vorher, am
16. August 1601, verloren. Ein Bruder Namens Paul
ül)erlebte ihn; derselbe war „Raths verwandter vnd Syn-
dicus der Stadt Leipzig". Ihm ist von dem Herausgeber
Tanck das letzte nachgelassene Werk ßapsts, das
„Juniperetunr', gewidmet.
Eben dieser Joachimus Tanckius, Professor der
Medizin in Leipzig, giebt in der Vorrede dieses posthumen
Werkes vom 1. Januar 1605 dem Michael Bapst das
Lob eines trefflichen Geistlichen von gesegneter Wirk-
samkeit, eines tüchtigen Lehrers im eigenen Seminar und
eines fleilsigen medizinischen Schriftstellers^^).
Wir gehen zu den Schriften Bapsts über, berück-
sichtigen dieselben im folgenden aber nur insoweit, als
sie medizinische und naturwissenschaftliche Gegenstände
behandeln.
Der Entstehungsmodus dieser Schriften ist ein sehr
einfacher. Bapst hat neben seinen seelsorgerischen und
pädagogischen Amtsgeschäften in den Mulsestunden fleifsig
gelesen und excerpiert. Seine Lektüre erstreckte sich
über sehr heterogene Gebiete. Was ihm besonders gefiel,
was in seinen Ideenkreis palste, was ihm praktisch ver-
wertbar erschien, wurde notiert und aus diesen Kollek-
taneen stellte er dann in bunter Ordnung seine Abhand-
lungen zusammen. Eigene geistige Arbeit hat er meist
nnr wenig hinzugethan, wenn auch einzelne eigene Be-
obachtungen, einzelne aus dem Munde des Volkes und dem
^') Nach Heine n, n. 0. S. 276, wo auch seine Grabschrift
in der Kirche zn Mohoi'n mitgeteilt wird.
^*) Die.se kleine liioyiaphische Skiz/c, welclie fast cinziy aut
den hie und da in Bapst.s Werken eingestreut g-efnndciien Lehens-
daten beruht, stimmt in aheni wesentlichen vollkommen mit dem
iiberein, was W. Seh er er in der Allgemeinen deutsclicn lÜog'raphie
(II, 44) in seinem Artikel über Bapst giebt. Die auf verschiedenen
Wegen gewonnenen llesultate dienen sidi also gegenseitig zur
Bestätigung. — Nach Schere is im Jahre 1875 erschienenen.. An-
gaben könnte es wunderlicher scheinen, dafs im l'>iogr. Lexikon der Ai'zte
T (Wien 1884), 28o die Notiz sidi tindct, „Bapsts Geburts- un<l
Todesdaten sind unbt'kannt", wenn man l)ei der Benutzung dieses
Werkes nicht schon daran gewölmt wäre, auch für deutsche
Autoren häufig nur französische Repertorien benutzt zu linden, wo
weit verläfslichere deutsche Quellen ohne Mühe erreichbar gewesen
wären. So findet man denn auch in den Nachträgen (1888, XL
446) Geburts- und Todesjalir iiacli neuerer französischer Quelle
nachgetragen.
Neues Archiv f. S. ü. u. A. XI. 1. i "
82 Eduard Schubert und Karl Sudhoff:
Verkehre mit andern „Gelehrten" geschöpfte praktische
Notizen und Rezepte gelegentlich mit unterlaufen. Es
finden sich nur wenige unter seinen hierher gehörigen
Schriften, welche in zusammenhängender Form geschrieben
sind und ein Thema mehr oder weniger vollkommen dis-
poniert abhandeln. Meist sind es, wie gesagt, lose anein-
ander gereihte Lesefrüchte ; der Faden des Zusammen-
hanges ist oft durch lange Strecken nicht aufzufinden.
Nur selten spricht er selber ein Urteil aus, wenn er auch
nacheinander sehr verschiedene Ansichten anderer vor-
trägt. Ab und zu sind wohl auch kurze belehrende
Exkurse eingestreut.
Diese Entstehungsart seiner Bücher gesteht er selber
ruhig zu. Fast auf allen Titeln finden sich Redewen-
dungen wie die folgenden: „Aus vieler Autoren Schriften
zusammengetragen vnd gelesen" — „Auls vieler Hoch-
gelerter Ertzte Bücher mit Fleils zusammengetragen
vnd beschrieben" — „Aus vielen der bewerten Alten vnd
Newen Leibs vnd Wunderzte Bücher mit fieis zu-
sammengebracht" — „mit fieis aus vielen berhümpten
Scribenten zusammengeschrieben" — „aus vieler hoch-
gelehrter Ertzte, vnd vornehmer Artisten Bücher zu-
sammengetragen" u. s. w. Allerdings fügt er daneben
meistens noch hinzu „vnd eigener erfahrung" oder „auch
Experientz" ^^*).
Seine Werke haben so ein recht buntes Aussehen,
aber sie machen auch auf Wissenschaftlichkeit keinen
Anspruch. Im Gegenteil: er will Bücher fürs Volk,
für die Ungelehrten schreiben, praktische Hand- und
Hausbücher, worin man sich in vielen Fällen Rats er-
holen könne. So sagt er auf dem Titel des „Gifftjagen-
den Kunst- und Hausbuches" ausdrücklich „allen vnd
jeden Hausvätern sehr nützlich" ; vor dem ersten Bande
seines „Leib- und Wundarzneibuches" heilst es „mit allem
fleifs, den gemeinen Haulsvätern zu nutz vnd heilsamen
Vnterricht , zusammengetragen", und vor dem dritten
Bande „mit fieis den gemeinen Haulsvätern zu nutz, vnd
heilsamen vnterricht", endlich auf dem Titel der „Pimo-
is*) j]ii^e dieser eigenen Beobachtung-en hat Job. Scbenek von
(Iraf enbergin seine „Observationum medicarum rariorvim Libri VlI"
aufgenommen (Ed. Lugd. 1643. Fol. p. 891); „Et ego Friburgi in
Misnia Virginem noui, ferinae omnis ex auitio genere, expertem. Midi.
Papa Enipiricus, Jatreio suo memorab. pag 16." Gemeint ist das
Arznei-Kun=;t und Wunderbuch von 1604.
Michael Bapst von Rochlitz. 83
lotheca": „allen Hausvätern, ..Wundartzten, Barbieren
vnd Badern" (also nicht für Arzte).
Er wollte durchaus populär schreiben und war sich
des l)unten, wunderlichen Eindrucks, den seine Rezept-
sammlungen hervorbringen mulsten, wohl bewufst. So
schreibt er denn:
„Bitte demütig- vnd fleifsig, der gathertzige Leser wolte
dieses mein vornehmen (welches maiore voluntate quam facul-
tate von mir an die Handt genommen, damit ich nicht allhie
auff dem Dorffe, dahin mich Gott gesetzet, als ein vorgeblicher
schatten, oder last der Erden angesehen vnd gefunden werde,)
freuudtlich von mir auff vnd annehmen, vnd es also verstehen,
das es anders nicht als trewhertzig, vnd so gut gemeinet, da-
mit den gemeinen Haufsvätern vnd Haufsmüttern dadurch ge-
dienet werde. Denn wenn ich's den gelarten wolte zu lesen
fürschreiben, wie offt gesagt, würde ich ebenso thörlicli handeln,
als derjenige, der ins Meer Wasser vnd in den Bohenierwalt
Holtz tragen wolte i^)." (Leib- und Wundarzneibuch, II. Teil,
Bl. 118 b)
„Will den Leser aber freuudtlich bitten, vr wolte mir
diese meine digressiones, deren ich gar viel liin vnd wieder
gebrauche, zu gute halten. Denn weil es ein. Wunderartzney-
buch intituliret worden, darff sich niemand wundern, das aucli
ein wunderliche dispositiou vnd Ordnung darinnen gehalten
wird." (ib. Teil 1, Bl. 107 b.)
Über die Art der Abfassung seiner Schriften sind
noch die folgenden Stellen von Interesse :
„Wann ich aber beyneben meinen Amptfsgeschefften allhie
auffm Dorff, dahin mich Gott verordnet, anders nichts inn die
Hand nehme, als das ich die vl)rigt' Zeit mit lesen vnd schreiben
zubringe. So hal)e ich auch dilsfals nichts bessers, als dieses
Buch, so gut mirs der Allniechtige GOtt durch embsige Auft'-
suchung vieler Scribenten Bücher in die Feder bescheret."
(Vorrede zum Arznei-Kunst- und Wunderbuch.)
Noch genauer schildert er in der „Pimelotheca"
(S. 1) seine verschiedenartigen Studien.
• ,,Hal) derwegen, sonder rhum zu melden die Zeit, wclclie
ich nach Verrichtung meiner predigten, vnd andern Arnjits-
geschefften vbrig gehabt mit lesen vnd betrachtnng der Chrono-
logorum vnd Medicorum schrifften vnd Bücher zugebracht, wie
solclie neben meinen Tlie(iloü:ischen Tractaten, die in Druck
verfertigten Chronicken vnd Ertzneybücher, bezeigen."
1») Diese Wendung kommt in allerlei Variationen vor, z. B.
..niclit für die gelarten, würde mii' es sonst gehen, wie einem, der
den Adler wolt fliegen, den Delphin schwimmen vnd den Hasen
lauften lernen" (ib. S. 57») oder „damit ich nicht angesehen werde,
als wolte ich den Atheniensern Nachteulen, oder den Tartessijs
Katzen zufüliren'' (S. Ho^) oder „ich mag vnd kan niclit in di'U
Lydischen Ans Pactolum oder den Iberisclien Tragum [!] (leltkörner
tragen" (S. 82'').
6*
84 Eduard Schubert und Karl Sudboff:
Auf seine theologischen Abhandlungen, sowie auch
auf seine „chronologischen" Schriften wollen wir au
(lieser Stelle nicht eingehen. Seine Übersetzungen und
Bearbeitungen antiker Dramen erwähnt Bapst hier nicht,
vielleicht weil er das nicht zu den eigentlich wissenschaft-
lichen Arbeiten rechnete. Dieselben mochten pädagogi-
schen Erwägungen oder Bedürfnissen seiner Schule ihre
Entstehung verdanken. Doch überlassen wir dies anderen
berufeneren Federn und wenden uns zur speziellen Be-
trachtung der medizinischen Schriften.
Wir lassen zunächst eine kurze Analj'se der einzel-
nen Werke -^) in clironologischer Ordnung hier folgen.
I. „Von dem newen Pestilentzischen Krampff,
oder reissenden Chyragrischen vnd Podagrischen
Kranckheit."'-^!)
Es dies die einzige zusammenhängende Arbeit Bapsts
über ein medizinisches Thema, Dieser erste Versuch
des Theologen auf ärztlichem Gebiete ist fast mehr eine
theologische Abhandlung zu nennen; denn das theologische
Beiwerk beansprucht den weitaus grölsten Raum. — Wir
finden hier die Schilderung einer damals „in diesen landen
fast vberall, beide in Stedten vnd in Dörffern" grassiren-
den, anscheinend epidemischen Krankheit, welche nach
Angabe des Verfassers noch nicht in einer Druckschrift
behandelt worden war. Eine eigentliche Diagnose der
fraglichen Krankheit ist nach der Schilderung des Laien
kaum möglich. Er sagt, „dais viel leute an liend vnd
Füssen erbermlich gelehmet, vnd an allen beide jnner-
lichen vnd eusserlichen gliedern dermassen geschwecht
vnd verderbet werden, das sie jhre vernunfft, Witz vnd
verstand verlieren", und dals die Krankheit „mit unseg-
lichen schmertzen die Hende vnd Füsse zusammen zeuchet
oder von einander strecket, wie dann der Krampff eigent-
lich ein anzihung, oder aufsbreitung der Neruen, Span,
Sen vnnd Flachfsadern, des gantzen Leibes, sonderlich
des Halses ist. " H a 1 1 e r ^'•^ ) vermutet, dals es sich um
eine Epidemie von Ergotismus spasmodicus handele, der
-") Eine ausführliche Bibliographie sämtlicher Schriften
Bapsts haben wir in dem Centralblatt für Bibliothekswesen,
Jahrg. 1889, S. 537—549 gegeben, auf welche wir hiermit verweisen.
-1) Freybergk o. J. (1583) 4*>.
22) Bibl. med. pract. II, 293.
Michael Bapst von Kochlitz. 85
ja 1596 und 97 epidemiscli auftrat, und verlegt das Buch
deshalb ms Jahr 1597. Jedoch nennt der Verfasser zwei-
mal 1583 als das Jahr des Auftretens der Krankheit und
der Niederschrift seines Buches; es ist wohl eher an
Meningitis cerebrospinalis epidemica (Genickstarre) als
an die Kriebelkrankheit zu denken.
Das Wichtigste sei nach Galenus die Erkenntnis
der Krankheitsursache, welche Bapst denn auch weit-
läufig behandelt Doch kommt dabei dem guten Theo-
logen, aber schlechten Anatomen ein grober Schnitzer in
die Feder. Er schreibt: „Wann auch den Patienten
böse schedliche Dämpff'e aus dem Magen, per neruum
opticura, welcher aus dem haupt herab in den Magen
gehet, aufzusteigen pflegen--^)." Dafs es hier ohne „Ver-
stopifung des Gehirns" und „Dünste" aus der „alten
vermoderten bösen Materie, welche sich in den Adern
vnd Neruen des Magens zu erhalten pfleget", nicht ab-
geht, ist selbstverständlich und echt galenisch. Die
„influentz des Gestirns" spielt natürlich eine grolse Rolle,
doch wird auch Witterung, Erdfeuchtigkeit, stehendes
Wasser, dichte Nebel, Verwesungsdünste und dergleichen
in Anspruch genommen. Doch damit nicht genug: auch
das „Epicurische leben" der Menschen wird als Krank-
heitsursache beschuldigt, und damit läuft Bapst ins
theologische Falunvasser ein. Der Zorn Gottes ist in
dieser Krankheit als Strafe über die Menschen gekommen.
Mit der Cura siehts dann flau aus. Gelobt wird zwar
Galen und heftig geeifert gegen die „Empirici, Ambubai,
Seplasiarii, Circumforanei Medici vnd wie die Praestigia-
tores vnd Zanbrecherischen Thyriackskramer vnd Blatte-
23) Laiirentms Fries, Spiegel der Artzney (Strafsburg 1532,
Folio), El. 74 'j) schreibt in dem Kapitel „von schwinde! vnnd vnib-
lanffen vor den Augen": „vrsach diser bresten ist ein vmbwendung
des hirns, so die geist der gesiclit gehindert werden, von etlicher
böser matery des hirns oder bösen dempffcn des magens inn das
haupt steigende, durch den neruum der vom haupt herabgeet in den
magen nenius obticus genant.'- Dei der grofsen Verbreitung dieses
„Spiegels-' durch viele Auflagen (seit 1518) haben wir hier wohl die
direkte (Quelle der Bapstschen medizinischen Weisheit und anatomi-
schen Unwissenheit vor uns. Vielleicht hat die Lektüre dieses mit
so viel Liebe zur Arzneikunde für Laien geschriebenen Buches
dem Theologen auch zuerst seine lebenslängliche Liebe zu unserer
Wissenschalt eingeflöfst. — Dafs Fries ein energischer Anhänger
des Galen und Avicenna war, sei nur nebenbei erwähnt. Nähere
Mitteilungen über Fries gaben wh in unseren „Paracelsus-Forsch-
ungen" II (Frankfurt a. M. 1889), 67— 7L
86 Eduard Schubert und Karl Sudhoff:
rones Meclici lieissen.. mögen", aber bis jetzt hätten auch
die V e r n ü n f t i g e n xirzte „keine gewisse Ertzney vnnd
Experiment" gegen diese Seuche finden können : „ob einer
gleich alle der Materialisten vnd Apotecker Simplicia et
composita Medicamenta miscirete, vnd dieselbigen einneme,
und verschlünge darzu des Galeni Therapeuticon , vnd
alle Paracelsische subtiliteten , so würde ihm doch nicht
besser werden." Trotzdem solle man sich nach einem
„wolgeübten verstendigen gelarten Artzt vmbsehen, vnd
nicht allen leichtfertigen jungen Rofsärtzten, vnd alten
zeuberischen weibern seinen leib vertrawen, dann solche
Störer verderben vnd sterben allzeit hundert menschen,
ehe sie einem helifen, indem sie jlire Cathartica mit vn-
bedacht starck genug, für die Giganten vnd Ditmarschen
Bawren . . präpariren vnd on allen bedacht . . verkauifen."
— Das Ganze geht schliefelich in eine rein pastornle
Ermahnung aus. Zur Heilung dieser für Sicherheit in
Sünden, Fluchen, Geiz, Fressen, Saufen, Hoffart, Ver-
stocktheit gesendeten Seuche muls man sich zu dem
himmlischen und höchsten medico niedicorum wenden,
aus seinem Kunstbuche, der Bibel, Genesung suchen,
Bulse thun u. s. w. Er empfiehlt zuletzt aber auch
Barmherzigkeit gegen die Kranken, was einigermaßen
bezeichnend für ihiT ist in seiner religiös stark ange-
hauchten Zeit. — So hält Bapst schon gleich anfangs
seine Wage ganz gerecht zwischen Galenismus, Para-
celsismus und Seelenhirtentum, fernab von aller Schwär-
merei und Mystik!
IL „Ein newes vnd nützlichs Ertzney, Kunst
vnd Wunderbuch," -^)
Nach einer langen Einleitung über allerhand sagen-
hafte menschliche Monstrositäten und monströse Völker-
schaften , aus unzähligen alten und mittelalterlichen
Autoren zusammengetragen, kommt Bapst zum eigent-
lichen Thema, der arzneilichen, tierarzneilichen und tech-
nischen Verwendung der verschiedenen Teile des mensch-
lichen Körpers, Menschenfleisch (mumia), Haare, Hirn-
schale, Knochen, Zähne, Ohrenschmalz, Stimme (Gesaug
und Kede, wobei auch allerlei Zaubersprüche, die bekannten
„Incantationes", vorkommen, die er jedoch vorsorglich
^) Mülhauseu 1590, 4 0; Leipzig 1592, 4»; Leipzig 1604,4".
Michael Bapst von Rochlitz. 87
verdammt, damit man ihn nicht zu einem solchen „zaube-
rischen Lügner" maclie "-''), Haut, SchAveils, Blut (speziell
Menstrualblut), Fi^auenmilch, Nabelschnur und Nachgeburt
(Avobei er auch emphatisch ein noch nicht veröfientlichtes
„Stück" anführt, „welchem die Erfahrung, ein krefitiges
gutes Zeugnis giebet" bei Fallsucht), Herz, Galle, Blasen-
und Gallensteine, Fett, Koth, Nägel, Schenkel, Füfse
u. s. w. Das Ganze ist aber keine zusammenhängende
Auseinandersetzung, sondern eine Re z ep t e n s am mlun g,
bei welcher nur einigermaisen die Ordnung nach diesen
Körperbestandteilen innegehalten wird. Im einzelnen
geht es aber bei der Aneinanderreihung bunt durch-
einander. So folgen sich in anmutigem Wechsel Mittel
für Nasenbluten und Menorrhagien, Zähmung von Leo-
parden, Verstopfung, Skorpionstich, Zahnweh, Hundsbils,
Spinnenstich, Erkennung der Fruchtbarkeit einer Frau,
Kupfer das Aussehen von Silber zu geben, sichtbare und
unsichtbare Schrift, Fischfang, Pferdekrankheiten, gegen
das Fürchten bei Nacht u. s. w. u. s. w. Meist sind die
Rezepte mit der Angabe des Autors versehen, aus wel-
chem sie genommen sind. Eingestreut sind Exkurse über
Chiromantie und Chirurgie gelegentlich der Menschen-
hand, über Pflege neugeborener Kinder, über die Bedeu-
tung des Menschenbluts in der Alchemie, welches wie
-^) Er tadelt oft diese „vnchristliche vnd Gottfslesterliche Segen",
z. B. „Dieses sind böse vnd vnchristliche Mittel, welche einem
Heiden nicht wolanstehen, will geschweigen . . einem Christen." —
„O jhr verblendten Leute, was macht jhr mit solchen superstitiosis
remedijs, man hat Gott lob andere Mittel." Er führe diese Sachen
an, ,, nicht das maus braucheu solle", ,, sondern allein, dal's der Leser
sehen soll, wie der Teuffei die Leute zu blenden pfleget". Ahnlich
spricht er sich auch in andern Scliriften aus, z. B. im .,Gifftjag.
Kunst vnd Hausbuch" S, 60, 131, 168, 204, 229, 247, 2.54, 256 (wo
er es ,,al»ergleubisches Nairenwerk-' vnd „Lappcrey" nennt) uud iin
Leib und Wundarzneibuch 11, 37. 139. 148. 166; III, 123 u. s. w.
Die Stellen aus Cornelius Agrippa von Nettes heim führt er
oft al)sichtlich unvollständig an und verdeutscht sie auch nicht, mit
Absicht, wie er hinzufügt. 'N'ielfach folgt er den (ledankcn Wey ers
uud schreibt z. B. „Dieses alles ist vnrecht , vnd eine blendung des
bösen Geists. Wer aber aufsfürlicheu bericht wissen vnd haben
wil, was von diesen vnd dergleichen abergleubisehen, oder aber auch
zauberischen Sachen zu halten soy, der lese die o. Bücher de prae-
stigiis Daemonum 1). .loan .Wi erij , den Zaubertenffel Ludouici
Milichij." — Den Hexcnverfolgungen war er alier wohl nicht ab-
geneigt; denn er führt im Leib und Wundarznoibuch {II, 166 f.) für
die „einfaltigen Richter" Gesetzesstellen an, worin die Zauberer etc. mit
dem Tode bedroht werden.
88 Eduard Schubert und Karl Sudhoff:
viele andere alchemistische Termini oft nicht wörtlich
zu nehmen sei, da darunter ein blutfarbiges Metallpräparat
verstanden werde ; dabei spricht er, als ob er selbst die
alchemistischen Kniffe wohl verstehe, und giebt sich
gleich darauf die Blöfse (wie noch öfter) von „Albachest"
(statt Alkahest) zu sprechen. — In der nach seinem
Tode veröffentlichten Ausgabe von 1604 sind Lesefrüchte
aus den .Tahren 1590 — 1603 allenthalben eingetragen,
ohne den Charakter des Buches irgend wesentlich zu
ändern"-'').
III. „Gifftjagendes Kunst vnnd Haulsbuch/' "")
Abermals eine bunte Sammlung aus den verschieden-
sten Schriftstellern. Von „eigener Erfahrung" ist kaum
etw'as zu finden. Beginnt mit dem Schlangenbifs (zuerst
die Schlange im Paradies) und arzneilicher Verwendung
der Schlangen, Spinnenstich, Querder i,Köder) an die
Angel, Löwen- und Wolfsbils, Füchse etc. zu fangen,
Wölfe zu vertreiben, Ranula, Skorpionstich, vielerlei über
Würmer, Tauben an den Schlag zu gewöhnen und dals
sie andere Tauben mitbringen. Bäume pfropfen, Früchte
konservieren. Pflanzen Spielarten zu erzielen, Fleisch kon-
servieren, Mücken etc. zu vertreiben, Zips der Gänse,
Durchfall der Hühner, Bienen im Stock halten, Fleder-
mäuse töten, Haare und Warzen vertreiben, AVundpflaster,
Motten, Mitesser, Läuse vertilgen, Vogel-, Fisch- und
Krebsfang, wobei sich die Kur des Carcinoms anschlielst
u. s. w. u. s. w. Unter den Tausenden von Rezepten
aller Art sind hie und da. dem Zeitgeschmack gemäfs,
als Lesefrüchte auch einige alchemistische und chemiatrische
Rezepte mit eingestreut -^).
-^) Die Zusätze siud vielfach alcheniistischer und iatrochemi-
scher Art, was auch auf dem Titel betdnt wird, „Darinnen neben
allerley Alcliyniistischen vnnd Jatrochj'mischen Wercken . . . Sampt
nützlichen Vnterricht wie man . . allerley Destillation , Gel Saltz
vnd künstliche Extract zur Artzuey, Alchymistischen vnd andern
Künsten dienstlichen praepariren vnd machen sol . . ."
") Leipzig 1591 und 1592. 40. (375 SS.)
-^j S. 12f. sagt er nach Besprecliung „magischer" Dinge: „Ich
für mein Person habe die Zeit meines Lebens viel gelesen, habe
auch lust gehabt, vnd noch, mich in allerley natürlichen Künsten zu
üben, zu solchen -Sachen aber habe ich niemals lust gehabt, dieselben
auch nicht gerne gelesen."
Michael Bapst von Roclüitz. 89
IV. „Wiinclerbarli ches Leib vnd Wund
Artzneybuch." I. Teil.-«*)
Diese Schrift wird in einem Lobgediclit (liinter dem
Vorwort) „Liber de Epilepsia" ^'enannt und es ist
denn auch trotz des bunten Allerleis der Rezepte viel
von der Fallsucht die Rede ; der Autor kehrt nach vielen
Abschweifungen immer wieder zu diesem Thema zurück.
Aufserdem wird viel von Augenleiden gehandelt. Es be-
ginnt mit allgemeinen Notizen über Epilepsie, Einteilung
nach Galen, Ansichten verschiedener Ärzte über die
Pathogenese; Eintrocknung der humores in den Hirn-
ventrikeln, Exkurs über die 4 humores, die AVirkungen
der Imagination, Epilepsie nach Kopfverletzungen, Pur-
gationen im Allgemeinen und Speziellen, Schädlichkeit
des Quecksilbers und dessen Austreibung aus dem Körper,
Wundergeschichten, Allerlei aus der „Rothwelsch Gram-
matika". Folgt eine Unzahl von Rezepten gegen den
epileptischen Anfall und andere Leiden, als Alopecia,
Fisteln, Krebs, Pestilenz u. s. w. Kosmetika; Mittel,
<la[s die Raupen das Kraut nicht fressen, Rofsarzneiliches,
Heilkräfte des Menschenkothes , Goldschmiedekünste
chemischer Art, — Rückkehr zur Epilepsie, aber sofort
wieder AbschAveifung zu Wundtränken und -salben, aber-
gläubische Kiu-en, Atel gegen Augenleiden, — Rückkehr
zur Epilepsie, nochmals Allgemeines über Purgationen,
Mittel zur Hebung der Geschlechtsfunktionen (Lieblings-
thema) , Stärkungsmittel , Haarfärbemittel (verwirft er,
Aveil gegen Gottes Willen), Folgen des Schrecks —
abermals Epilepsie, Heilung derselben durch Sigille, viele
Mittel gegen Unfruchtbarkeit, Erkennungsmittel der
Fruclitbarkeit einer Frau (gleichfalls beliebtes Thema)
u. s. w. , wiederum Heilmittel für Augenleiden . lange
Abhandlung über destillierte Wässer, Verzeichnis^ der
Pflanzen, welche von verschiedenen Autoren mit gleichen
Namen bezeichnet werden (22 Seiten), Tiere und Tierteile
als Mittel gegen Fallsucht, Kitt für Destillieröten. aurum
potabile, Augenmittel, komplizierte Rezepte für Ei»ilepsie,
äulsere Mittel gegen dieselbe; Fruchtbarkeitsmittel, Ader-
laliszeiten, sympathetische Kuren. — Man sieht, es ist
eine bunte Musterkarte; dei- Anfang des Buches ninnut
sich in unserer Inhaltsskizze leidlich geordnet aus, es
2s*
) Eifsleboii 1596. 4". (235 BU.)
90 Eduard Schubert und Karl Sudboff:
sind aber auch dies nur aneinandergereihte Äulserungen
verschiedener Schriftsteller, selbständige Ansichten wer-
den nicht vorgebracht. Bezeichnend ist es, dafs Bapst,
Avenn er ein Mittel für Epilepsie bespricht, dann gleich
den ganzen Chorus von anderen Leiden vorführt, bei
welchen dasselbe Mittel in verschiedenen Kompositionen
wirksam sein soll.
V. „Der ander Theil, des Wunderbarlichen,
Leib vnd Wundartzney buchs" ^'').
Handelt in drei Büchern vom Blute der leidenden
AVesen. 1. Vom Menschenblut. Purgation des Blutes
im Mai, Mittel gegen Blutspeien, Blutharnen, Hämorrhoiden,
Metrorrhagien, Emmenagoga; Heilungen und andere
Wirkungen durch Menstrualblut ; rote Ruhr, Hyphäma,
Aderlässe, Aderverletzungen, Blutstillungen, Melancholie,
Gurgelwässer, Ohrenleiden, Schlag, Schwindel, Veterinaria,
Gliederleiden ; Bruchsalben, Wundsalben und andere Arz-
neien aus Menschenblut; ökonomische und chymische An-
wendungen des Menschenblutes, Avelches oft nur ein
Pseudonym für gewisse Metallverbindungen sei; Exkurs
über die echten Alchymisten (Jatrochymiker), medizinische
und technische alchemistische Prozesse. — 2. Vom Vogel-
blut, dem Blut der Fische und anderer Wassertiere,
wilder und zahmer vierfülsiger Tiere, der Würmer und
des Ungeziefers, d. h. von der Verwendung des Blutes
dieser Tierarten. — 3. Blutegel zu Salben und Blutent-
ziehungen; Blutstein und seine Verwendung; Wirkung
des Drachenblutes (vom Drachenbaum). — Der Faden
ist auch in dieser Schrift ein loser; den Mitteln, welche
Blut enthalten, sind oft andere beigefügt, die damit nichts
zu thun haben""). Die Citate aus Anhängern der Jatro-
chemie sind hier etwas zahlreicher als früher; Bapst
scheint später solche Werke mehr gelesen zu haben.
Namentlich citiert er öfters Martin Rul and s Curationes
Empiricae und Beruh. Penots Tractatus varii de vera
praepaiatione et usu medicam.Chymicornra(Francof. 1594.8 ^).
Gerade diese beiden Schriften kommen aber auch den
2») Eifsleben 1597. 4 <>. (248 Bl.)
'^^'j Welche er manchmal recht gelungen motiviert, z. B. (Bl. 177)
beim Gemsenblut: „Weil der Schwindel gar gemein, vnd das Gemsen -
blut dagegen hie in diesen Landen gar seltzam ist, als will ich dem
Leser nachfolgende Stücke namhafftig machen, die er wieder den
Schwindel gebrauchen kan", und dann folgt eine ganze Litanei.
Michael Bapst von Rochlitz. 91
Bedürfnissen Bapsts aufs schönste entgegen; es sind ja
selbst Sammlungen einzelner Heihmgsfälle und Eezepte
und bieten ihm das Material aufs bequemste schon be-
arbeitet dar.
VI. „Des Wunderbarlichen Leib vnd AVund-
artzneybuchs, Dritte Theil"'^').
Eine Eezeptensammlung" wie die vorhergehenden
Schriften aulser M*. 1. Als Leitfaden dienen eine An-
zahl blutstillender Kräuter. Tormentill, Johanniskraut,
Prunella, Täschelkraut, Wegerich, Schaftheu, Wahvurzel,
Cypresse, Inula, Lagopus, Wasserlinse, Hundszunge,
Schafgarbe, Nympliäa, Klapperrose, Fingerkraut, Portulak,
AVeiderich, Sanguisorba, NatterAVurzel , Sideritis, Sinau,
Sonnenblume, Nessel, Eisenkraut. — Aulser der Blut-
stillung wird bei jedem Kraut auch die weitere Verwen-
dung desselben in allerhand Zusammenstellungeu vorge-
führt. Dazu werden häufig neben den Kräutermitteln
auch die chemischen Heilmittel der betreffenden Krank-
heiten angegeben.
VIL „Pimelotheca"^^-).
Handelt von der Verwendung der verschiedenen
Eettarten in fünf Teilen: 1. Menschenfett, 2. Vogel-
schmalz, 3. Fischthran, 4. Schmalz der unvernünftigen
vierfülsigen Tiere, Bestien und Würmer, 5. die chemischen
Oleitäten und neben diesen überhaupt die Erklärung
aller in den 4 andern Teilen vorkommenden chemischen
Manipulationen. Es ist auch wiedei- eine llezepten-
sammlung, dabei werden allerhand niedliche Jvenntnisse,
welche man zum Teil gar nicht hinter dem Verfasser
suchen sollte, namentlich aus dem Gebiete der Aphro-
disiaca vorgel)racht. Auch „Tluls aus einem Kometen"
gegen Erbgrind ist eine hübsche therapeutische Errungen-
schaft, die er aufgelesen. — Nach Anführung galenischer
Rezepte werden hier gleichfalls öfters die Verordnungen
der Jatrochemiker beigeljracht. Auch in den eisten vier
Teilen kommen Anweisungen über chemische J'rozesse
vor, z. B. die Darstellung des Spiritus vini (S. 119) u. a.
=") Eifslebeii 1597. 4". (217 Bl.)
32) Eilslebeu u. J. (X'orrede vom 24. AuH-wst 1599). 4". (581 SS.);
aucli 1H04 als „Ander Theil" des Arznei Kunst nnd Wuuderbuchs
erschienen.
92 Eduard Schubert und Karl Sudhoft':
Ueberhaupt ist es unverkennbar, dals Bapst in dieser
letzten, medizinischen Schrift, welche er noch selbst
herausgab, den Excerpten aus Vertretern der chemischen
Heilmethode mehr Platz einräumt als in den früheren
Werken. AVir haben hierin wohl einen Beweis dafür zu
erblicken, dafs Bapst einem gesteigerten Bedürfnis da-
maliger Zeit in dieser Weise entgegenkam^-^).
VIII. „Juniperetum oder Wacholder Garten.""'^)
Die letzte Arbeit Bapsts, im Jahre 1603 kiu'z vor
seinem Tode vollendet und 1605, von Joachim Tanck
„übersehen", zum Druck gegeben. Es lälst sich nun
nicht sagen, meviel der Herausgeber von seinem Eigenen
hinzugethan hat; denn Tanck hat auch eigene iatro-
chemische Schriften und viele Schriften anderer, nament-
lich alchemistischer und medizinisch- chemischer Autoren
edirt.
Das Buch handelt von den verschiedenen medizini-
schen und ökonomischen Verwendungen des Wachholders,
l)eginnend mit ganz einfachen Verordnungen und zu
immer komplizierteren aufsteigend. Alles, was Bapst von
Rezepten, welche Wachbolder enthalten, auffinden konnte,
hat er hier zusammengestellt, natürlich gänzlich ohne
Rücksicht darauf, ob der Juniperus in dem betreffenden
'^'^) Um einen kleinen Überblick über die Quellen Bapsts zu
geben, stellen wir die in der Pimelotheca citierten Autoren (wörtlich
wie er sie giebt) zusammen: Eealdus Columbus Cremonensis, Joh.
Bockelius, Jac. Theodovus, Jac. Sylvius, Theatr. Diabolorum, Hieron.
Cardanus, Joh. de Cuba, Plinius, Galeuus, Leonh. Lycius, Christoph
Wirsung, Conr. Gessner, Joh. de Rupecissa, Ursinus, Riul. Henslein,
Nicol. Praepositus, Albertus, Marsil. Ficinus, Beruh. Penotus, Petrus
Hispamis, Leouell. Faventinus, Levin. Lemnius, Ant. Guainerius,
]VIacer, Marcellus, Nie. Myrepsus, Joh. Gaurotus, Andr. Furnerius,
Hippocrates, M. Gratinari, Aretaeus, Sylvaticus, Alex. Benedictus,
Jatreion Wirtebergicuni, Aetius, Joh. Küfnerus, Wittichius, Alexius
Pedemontanus, Pvaim. Lullius, G. Bartisch, Egineta, C C. L. Medulla
destillatoria, Forestus, Kiranides,Oppianus, Elianus, Fallopia, Seranus,
Conr, Florerus, Rondeletius, Hans von Gerstdorff, Sextus Platonicus,
Mart. Rulandus, Mizaldus, Joh. Bapt. Porta, Ottho Brunfels, Pytha-
goras, (i. Pictoriiis, Yilliganus, Theophr. Paracelsus, Montauus, Hier.
Ruhens, Vesalius, Andr. Libavius , Dioscorides, Osw. Gebellkheven,
Hugo Gordonius, Rufflus, Gull. Adol. Scribonius, Phil. Ulstadius,
Gilbertus, Nie. Jacob. Paul Schneider von Eger, Joh. de Coleto,
Rhasis, Giraldus, Ant. Schneeberg, Matthiolus, Jacob Weckerus,
Cassianus, Andr. Glauven. Das sind 81 Autoren in dieser Schrift;
docli ist Bapsts ßelesenheit damit nicht zum dritten Teile erschöpft,
ä'j Eilsleben 1605. 4 ". (268 SS.)
Michael Bapst von Rochlitz. 93
Rezepte eine Avesentliclie Bedeutung hat oder nicht. Die
Krankheiten gehen bunt durcheinander; für dasselbe
Leiden kommen an ganz entfernten Stellen des Buches
verschiedene Medikationen vor; doch sind auch ganze
Reihen von Rezepten manchmal für dasselbe Leiden
hintereinander genannt (darunter dann auch manche ohne
Wachholderj. — Manchmal wird es selbst Bapst zu toll
bei den Verordnungen seiner Gewährsmänner, z. B. sagt
er nach Anführung der Verordnung des Grafen von
Hohen lohe, welcher gegen Krämpfe und Glieder-
sclnnerzen 5 Läuse und 8 Schafsläuse in Brot gewickelt
zu essen emfiehlt, „wer es lust zu gebrauchen hat, der
mag es thun, ich will mich dafür bedanckt haben." (Von
der psj'chischen Wirkung dieses noch heute unter dem
Volke üblichen Mittels hat er keine Ahnung!) — Öfters
streut er auch Exkurse ein, z. B. eine Auseinandersetzung
über die sechs Teile des menschlichen Darmes ■^'^). Am
Ende des Buches (S. 238 ff.) spricht er eingehender über
Eigentümlichkeiten in der Schreibweise alchemistischer
Schriftsteller, ihre Symbolisierungen und Allegorien, ab-
sichtliche Dunkelheit, ungewöhnliche termini, welche er
nach dem Synonvmen -Verzeichnis in der Pandora
(Basel 1.582 'und^ 1588, 8 o) erklärt. Er druckt die
T a b u 1 a .,s m a r a g d i n a ab und giebt eine schlechte
deutsche Übersetzung dazu. Zuletzt stellt er ein Ver-
zeichnis der hauptsächlichsten alchemistischen Schrift-
stellerzusammen, welche er denen als lesensw^ert empfiehlt,
welche sich mit diesem Wissensgebiet bekannt machen
wollen. Paracelsus steht n i c h t in diesem Ver-
zeichnis "'^).
Ob dies alles in Bapsts Garten gewachsen ist oder
ob Tanck etwas hinzugethan hat, läist sich nicht ent-
scheiden. Wenn aber Tanck, der Heilssporn unter den
Jatrochemikern, von dem Seinigen etwas hinzufügte, so
hat er jedenfalls gewulst, welche Verbi-eitung und wel-
chen Einfluls er mit dieser Bapstschen Schrift fiir seine
Anschauungen gewami.
"'■) S. 192 — 194; vgl. dazu Lanrentins Frios. Spiegel der
Arznei.
^) Trotzdem werden diese hier gegel)enen und auch sonst in
seinen Schriften vorkonmiciKhin Citate aus ahheniistisclien und
„spagirischen" Autoren manche dogmatisch befangene Geister dazu
verführt haben, ihn des ,,Parac(dsismus" zu l)cschuldigen.
94 Eduard Scliul)ert und Kaii Sudlioff:
Damit wäre die Reihe der medizinischen Schriften
Michael Bapsts erschöpft, wenigstens gelang es uns nicht,
weitere aufzufinden , auch finden wir nirgends andere
citiert. Das Büchlein von „der Sieben Planeten lauff"
berührt zwar stellenweise medizinisches Gebiet, ist aber
dennoch nicht hierher zu rechnen ^').
Das allgemeine Urteil über diese Schriften .kann
nicht schwer fallen. Wenn aber auch gelehrte Arzte
zu diesen Sammelbüchern greifen konnten-'''), so lälist
sich das damit erklären, dals es zu damaliger Zeit keine
anderen Werke gab, welche so reichhaltig waren in der
bequemen Zusammenstellung der heterogensten Heil-
methoden^®). Fleils im Zusammentragen des Materials
läfst sich Bapst nicht absprechen, das ist aber auch wohl
das Einzige, was man an ihm lobend hervorheben kann.
Bei all dem Unsinn, den er stellenweise vorbringt, wird
es ihm manchmal selber angst um das Urteil des Lesers.
So sagt er einmal**^), „weil ich des meisten theils in diesem
^'') Erschien in Leipzig 1594. 8 ". — Bapst wollte auch ein
„Rosetum oder Rosengarten" herausgeben (Juniperetutn S. 73) und
erwähnt einen schon geschriebenen ,,Tractat von der nutzliarkeit der
Butter" (Pimelotheca S. 51 und 306), der aber nicht gedruckt zu
sein scheint.
'''^) Wie Kurt Spre ngel angiebt. Wir halten dies nicht gerade
für unwahrscheinlich (denn man war am Ende des Iß. Jahrhunderts
nicht wählerisch in der Entnahme neuer Heilmittel, wie die Lektüre
der medizinischen Briefwechsel aus dieser Zeit jeden Aufmerksamen
lehren kann), trotzdem Sprengel die von ihm citierte Belegstelle
sehr mifsverstanden hat, wie wir unten sehen werden.
**") Bapsts Schriften haben aber auch Analoga in der medizi-
nischen Litteratur jener Zeit, vielleicht zum Teil durch sein Beispiel
hervorgerufen. Erwähnen wollen wir nur Friedrich Heibachs
„Olivetum, d. i. Kunstbuch darinnen gründlicher Bericht, wie mau
aus allen Erdgewächsen, metallen etc." Frkf 1605 und Joh. Georg
Agricolas „Cervi in medicina usus." Letztere Schrift wird von
W. Stricker im biographischen Lexikon der Ärzte (I, 93) fälsch-
lich einem Joh. Cleorg Albrecht zugeschrieben. Das Buch erschien
zuerst 1603 und betitelt sich : ., Cervi Excoriati Et Dissecti Li Medi-
cina Usus. Das ist: Kurtze Beschreibung, welcher gestalt defs zu
gewisser zeit gefangenen Hirschens fürnembste Glieder in der Artzney
zugebrauchen . . . Mit besonderem fleifs aus vieler Alten vnd anderer
fürnemer Medicorum Bücher, vnd durch erfahrung zusambgetragen
durch Johann em Georgium Agricolam. Med. Doctorem vnd
Physicum . . der Statt Amberg. Gedruckt zu Amberg durch
Michael Förster Anno MDCIII." 4". (12B11. + 120 SS. + 2 BlI.)
Es ist deutsch geschrieben (nicht lateinisch wie Kestner, med.
Gelehrtenlexikon, Jena 1740. 4". S. 14, angiebt) ebenso wie die Aus-
gabe von 1617.
^'>) Leib mid Wund Arzueibiich, 2. Teil, Bl. 171 '■ -172".
Michael Bapst von Kochlitz. 95
Buche aus andern Scribenten entlelniet habe, vncl nicht
soviel zeit vnd vormügen gehabt, alles znnersuchen, obs
recht oder vnrecht, könte es wol geschehen, das liie auch
etwas mit vnter gelauffen were. AVenn es derwegen der
Leser gewar ^Yerde, wolte er solches nicht mir, sondern
den Scribenten, von denen ichs abgeschrieben, zumessen,
vnd jlim dilsfals meinen fleils vnd wolgemeints Gemüte
gefallen lassen." Er will also die Schuld auf die ..Scri-
benten" abwälzen, als ob damit all die vielen aufgewärm-
ten Dummheiten beseitigt wären, die er wieder unter die
Leute brachte.
Nachdem wir Art und Inhalt der Bapstschen medi-
zinischen Schriften in ihren Hauptzügen kennen gelernt
haben, kommen wir zur Beantwortung der Frage: Mit
welchem Eechte wird Bapst zu den Paracel-
sisten gerechnet?
Die in der Geschichte der Arzneikunde herrschende
Ansicht über den Mohorner Pastor wird in den folgenden
Worten August Hirse hs vollkommen wiedergegeben:
„In der nebenher betriebenen Arzneikunst folgte er
Paracelsischen Grundsätzen; einer jener Schwärmer, die
ohne positive Kenntnis von tiefer Mj'stik befangen, mehr
zu den Betrogenen als Betrügern gezählt werden
müssen ^^)."
Ohne uns hier näher auf diese Charakteristik Bapsts
einzulassen, gestehen wir zwar gern zu, dafs ihm tiefere
„positive Kenntnisse" in der Medizin allerdings gänzlich
abgingen *-), müssen aber betonen, dals wir bei eingehen-
der Kenntnisnahme weder von „Befangensein in tiefer
Mystik", noch von „Schwärmerei" bei unserem geistlichen
Herrn in den medizinischen Schriften etwas entdecken
^') Allg. Deutsche Biographie II, 44 im Anschhifs an Wilhelm
Scherers oben erwähnte Biographie Bapsts.
*-) Wo waren diese damals zu finden aufser in der Anatomie,
mit der Bapst sich wenig" oder gar nicht befafst hat, und in der
Chemie, von welcher er allerdings einiges mit vorbringt, obgleich er
selbst in dieser neuen Wissenschaft niclit praktiscli mit dem
Destillierkolben etc. gearbeitet zu haben scheint Was er aus beiden
Disziplinen hervorbringt, ist blofse Bncligelehrsarakeit-, wo diese im
Irrtum war, irrt er unbefangen und skrupellos mit in seinen wohl-
gemeinten Referaten für das A'olk. \\'urde seine Zeit von anderer
vermeintlicher Wissenschaft betrogen, so wurde er es mit. \'ou
„Betrüger" ist an ihm nichts zu verspüren!
96 Eduard Schubert und Karl Sudhoff:
konnten *'^). Nüchterner hat wohl kaum jemals ein Viel-
schreiber seine Kollektaneen zu Büchern zusammenge-
leimt! — Ob Bapst je eigentlich die „Arzneikunst be-
trieben" hat, werden wir noch untersuchen. Doch prüfen
wir zunächst, ob es wirklich historisch richtig zu nennen
ist, wenn man ihm „Paracelsische Grundsätze" nach-
sagt! —
Wer hat unsern Autor zuerst zu den Anhängern
Hohe]iheims gerechnet? — Die bekannten Kompendien,
Bibliotheken etc. vor Halle r schweigen fast alle von
ihm. Einen Melchior Adam, Hermann Conring, van der
Linden, Borellius, Freher, Pope Blount, Reimmann, Le
Clerc, Stolle, Morhof, Kestner, Brucker, EI03' und viele
andere wird man vergebens um Rat fragen. Manche
dieser Autoren geben Verzeichnisse der Paracelsisten,
aber keiner führt Bapst darunter auf. Ch. G. Joe her s
Gelehrtenlexikon kennt allerdings unsern Pastor, aber
seine Paracelsusjüngerschaft erwähnt er nicht.
Die unsers Wissens früheste Liste der Para-
celsisten, welche vielfach später (z. B. von Reimmann
und Bruckerj benutzt wurde, aber heute vergessen ist,
giebt die im Anfang des 17. Jahrhunderts gescliriebene
„Elegia de vera antiqua philosophica Medicina" von
Ulrich Bollinger, welche sich mehreren lateinischen Aus-
gaben von Oswald Grolls Basilica chymica angehängt
findet (zuerst der Ausgabe von 1609 nach Linden renov.).
Unter der grolsen Zahl der hier erwähnten Anhänger
der Medizin Hohenheims — die allgemein bekannten und
viele sonst selten oder gar nicht genannte — wird Bapst
nicht angeführt. Das ist aber gewifs kein Versehen,
sondern Bollinger hat ihn offenbar noch nicht in diese
Schar gerechnet.
Die erste Erwähnung Bapsts von chemiatrischcr
Seite fanden wir in Johann Heinrich Frey tags „Cata-
logus testium veritatis Chimiatricae ^^)." Im ,.Epilogus"
^■'•) Auch in den theologischen Schriften hat er sich, soviel
wir sehen, von allen schwänuerischen Richtungen seiner Zeit fern-
gehalten. Er wanderte unbeirrt auf den Bahnen lutherischer Recht-
gläubigkeit. Er untersehriel) 1579 die „Konkordienforiuel", was
allerdings auch Valentin Weigel gethan hat, tr(jtz seiner tiefsin-
nigen „schwärmerischen" Philosophie. (Vgl. Opel a. a. 0., S. ö3 und
August Israel, M. Valentin Weigels Leben und Schriften. Zscho-
pau 1888, S. 18 ff.)
^1) s. 1. et a. 8^'. 62 BL, wahrscheinlich 1B36 in Quedlinburg
erschienen — Dies seltene Schriftchen enthält eine Aufzählung glück-
Michael Bapst vou Eochlitz. 97
dieser Schrift (pag Fg^' bis F^v) giebt der Autor eine
Liste lesenswerter Scliriftsteller: „Legat interea . . .
cui Veritas & Conscientia, salusque Publica potius ac
Lucrum turpissinium & male parta autoritas, maleque
educata Calumnia cordi est, Observation es aureolas
Cliymiatrorum, Quercetaui cum primis, Eenealmi,
Horstii. ..." Er führt dann zirka 190 Namen auf,
worunter mehrfach Wiederholungen sich finden. Als
56ter findet sich der Name Babstij. Es werden aber
auch Crato, Gesner, Faveutinus, Montagnana, Mesua,
Avicenna, Aristoteles, Hippocrates, Massa, Vigo, Manar-
des, Fernel, Pare, auch Barth neben seinem chemischen
Gegner Pitliopoeus (!!) darunter aufgeführt, welche man
doch nicht zu den Chemiatrikern rechnen kann. Die
Mehrzahl der von ihm Genannten sind aber doch Jatro-
chemiker, und man kann deshalb immerhin annehmen,
dals J. H. Freytag den Michael Bapst unter diesellten
einreihen wollte. Es hat dies ja auch insofern seine Be-
rechtigung, als Bapst wegen der Excerpte aus Paracel-
sisten und Jatrochemikern, welche sich bei ihm finden,
ganz wohl als Quelle für chemiatrische Belehrung em-
pfohlen werden konnte. (Am Ende seiner Liste sagt
Freytag freilich nur, dals die Schriften der Genannten
nicht „Rethoricä sterili, sed quotidianis successibus cele-
brium Practicorum monumenta" seien.) Wegen der
Anführung iatrochemischer Heilmethoden mögen auch die
Paracelsisten des 17. Jahrhunderts unseru Bapst zu den
Ihren gerechnet lialjen.
Schwerlich jedoch ist die Anführung Joh. Heinr.
Frey tags in seinem „Catalogus" für die späteren Histo-
riker malsgebend gewesen, welche Bapst alle — sofern
sie ihn überhaupt anführen — zu den Paracelsisten rech-
nen. AI brecht von Haller sagt schon (und wohl
zuerst!) „Paracelsicis hypothesilms addictus '"')" ; J. Fr.
Gmelin läist ihn „mannigfaltige paracelsische After-
weisheit auskramen"^"), und Kurt Sprengel rechnet
ihn gar unter die „Lehrer der Par acelsischen
lieber Heiluiigsfiille durch chemische Mittel, ähulicli den „Ex cura-
tiouibus Observationes" von Paul Renealmus (i'aris 1H06. 8").
Der Autor Johann Heinrich Frey tag (geb. 1596) ist ein Sohn
des Helmstedter Profes.sors und späteren Leibarztes Arnold Freytag
aus Emmerich am Niedei'rhein (i- 1605).
«) Bibl. med. pract. II, 292 (1777).
'"J Geschichte der Chemie I, 288 (.1797).
Neues Archiv f. S. (!. ii. A. XI. 1. 2. 7
98 Eduai-d Schubert und Karl Sudhoff:
Schule", in deren Wahl dieselbe nicht strenge ge-
wesen "*').
Den Spuren dieser drei Kor} phäen sind alle späteren
Historiker gefolgt. Auch Häser teilt dies Urteil in den
beiden ersten Auflagen seines Lehrbuchs. In der dritten
Auflage wird Bapst gar nicht mehr genannt, ob infolge
der Erkenntnis, dafs seine Einreihung unter die Paracel-
sisten unrichtig sei, das wagen wir ein wenig zu be-
zweifeln.
Der unbefangen urteilende medizinische Geschichts-
forscher kann nur demjenigen Autor den Namen eines
„Paracelsisten" zuerteilen, welcher sowohl in seinen
theoretischen Anschauungen über das Verhältnis des
Menschen zu seiner natürlichen Umgel)ung. namentlich
über die Bedingungen der Gesundheit und der Entsteh-
*■') Geschichte der Arzneikunde (3. Aufl.) III, 514 (1, Aufl.
1792 — i799). Sprengel sagt dort auch, wie oben schon erwähnt,
„und dennoch konnten gleichzeitige Hippokratische Aerzte wie Mona-
vius sich aus diesem Kimstbuch Raths erholen (Craton. epist. lib. 2,
p. 388)". Aber wie sollte sich denn Petrus Monavius, der schon
am 12. Mai 1588 (3T Jahre alt) starb , in dem Bapstschen Arznei
Kunst und Wunderbuch Eat geholt haben können, dessen erste Auf-
lage 1590 erschien!!'? Die Stelle, auf welche Sprengel verweist,
findet sich in einem Brief des Monavius an Laurentius Scholz vom
11. März 1583 und lautet: „Vidi nuper libellum Medici Galli
Christophori Landrini, Germanice conuersum per Hieremiam Martium
Medicum Augustanum: in quo plurima eu-op'.i-a remedia ex vilis-
simis rel)us, inprimis vero ab excrementis animalium petita, tradun-
tur; contra morbos grauissimos et periculosissimos. Statim emi
et auide percurri: ac quidem eum ipsum esse puto, quem te olim
apud D. Salomonen! Witebergae vidisse saepe, dicere memini. Ita
enim excrementorum vsum extollit, & fere ab his solis aduersus
praecipuos morbos remedia sumat. Nisi antea habes: non dultito
(juin illum pro te comparaturus sis. Chartas paucissimas habet, &
adjectus est ad librum secretorum Galirielis Fallopii, qui
inscribitur Kunstbuch". Man sieht sofort, welch böser Schnitzer
Sprengel hier in die Feder gekommen ist. Er verwechselt das von
Jeremias Martins ültersetzte „Kuustbuch" (Augsburg 1571 u. 1573)
des grofsen Anatomen Fallopia (,,secreti diversi e miracolosi",
Venedig 1563) mit dem Bapstschen ,, Arznei Kunst und Wunderl)uch".
Aber wenn damit auch die Behauptung der Benutzung Bapsts durch
gelehrte Arzte hinfällig wird, so ist dieser Brief, den wir leider
nicht wohl ausführlicher hier geben können, schon ein Beweis dafür,
woher sich so gepriesene Ärzte damals ihre Heilmittel holten und
welch seltsame Mittel roher Empiriker sie im geheimen an-
wendeten, während öffentlich über die „Empirie" Hohenheims
und seiner Anhänger Zeter geschrien wurde. Solche Beispiele gieVit
es in Menge.
Michael Bapst von Rofhlitz. 99
nng der Kraiiklieiteii mit Holieiilioini ül)erei]istiiiimt, als
auch den Tlioüphrastisclien Heilungspiiiizipien folgt, und
zwar ebensowohl in der Bereitung der Arzneien, wie in
deren Anwendung bei den verschiedenen Erkrankungen.
Wieweit entspricht denn aber nun unser Bapst diesen
Anforderungen? Was sagt zunächst er selber
über sein Verhältnis zu den Galenisten und
Paracelsisten?
Sehr häufig nennt er diese beiden Richtungen als
gleichwertig nebeneinander. So schon in seiner ersten
Schrül '^) :
„Es haben Avecler die Galenisten noch Theo phr as-
tist en bifs anher helften können ynd wird auch wol, da wir
nicht ernste bnfse tlnm, schwerlich die.se Senche können Curirt
werden, ob einer "leich alle der Materialisten vnd Apotecker
simplicia et composita niedicamenta verschlänge, dazu des Galeni
Therapeuticon, vnd alle Paracelsische subtilitäten, so Avüide jhni
doch nicht besser werden-'.
Öfters kehrt folgende Wendung wieder:
,,wenn eine Artzney aiich noch so bewert were vnd der Artzt
auch deiuGaleno oder Theophrasto paracelsi [!] zuuer-
gleichen, so )ichtet doch der Artzt wenig aufs, wenn der Patient
nicht das Vertrauen zu ihm hat ^•')".
Ein andermal schreibt Bapst:
„Und wenn also die Seuche (Epilepsie) angeboren ist,
vnd eine Erbseuche worden, so kann sie nicht Ciiriret werden,
wenn gleich alle Galenisten vnd Theophrast isten , jhre
kunst zusammen mengeten. vnd quintam essentiam daraus ex-
trahirten. Ja, wenn gleich Menecrates, wieder von todten auff-
erstände -^O)".
Den Galen citiert er in all seinen Schriften sehr
reichlich, ohne je einen Tadel gegen ihn auszusprechen.
Oftmals lobt er ihn sehr, z. ß. :
„so wissen auch die studiosi raedicinae, das der Hochberühmte
Man, vnd vortreffliche Medicus Galenus . . ''^Y'-.
Man vergleiche damit die heftigen Schmähungen der
Paracelsisten gegen diesen von Hohenheim so sehr ver-
o"--»*
dämmten Mann, der die Leuchte der medizinischen
Wissenschaft durch viele Jahrhunderte gewesen ist
'■*) „Vom Pestilentzischen Kanipff" S. C,^ ; fast ebenso sagt er
in der „Pimelotheca'' S. 4/5, also in der ersten und letzten medizini-
schen Schrift dasselbe Urteil.
»") Z. P>. Arznei Kunst und Wunderbuch V,\. D.,''; Leib und
Wundarzneibuch I. Bl. 27'' und 11. PI. 83"; .luniporetum S. 2üö.
•■•0) Leib und W'undar/.iieilincli L. I>I. 11''.
•'■•^) Arznei Ivunst und Wunderliuili lU. P.. 2''.
7*
100 Eduard Schubert und Karl Sudlioff:
Allerdings spricht Bapst auch von den „hochlöblichen
Chymischen Ertzten" und sagt auch „der hochgelehrte
vnd wolerfarne Med. D. Au. Ph. Theophrastus Para-
celsus^^)". Ebenso nennt er aber auch dessen erbitter-
sten Gegner Thomas Lieber (Erastus) und spricht oft
von den „rechten dogmatici Medici ''•'')".
Zur weiteren Orientierung über Paracelsus ver-
weist Bapst höchst naiv nebeneinander auf Peter Seve-
rinus, Günther von Andernach und Thomas
Erastus, (also auf den „besten Schüler" Hohenheims,
den gröfsten „Conciliator" und den hartnäckigsten Wider-
sacher) :
„\Ver aber zu wissen begehret, was von der Theophra-
stisten Medicin zu halten sey, der lese das Buch Petri Severini
Daui . . dessen Titel also lautet: Idea Medicinae Philosophicae
... Zu dem hat auch Guintherus Andernacus zwej' grofse
Volumina medica geschrieben, darinnen er denn im dialogo 2.
tomi prinii, eilff vrsachen setzet, warumb der Paracelsus von
der alten Art der Ertzney gewichen. Dagegen aber hat
Thomas Erastus D. vier grosse Bücher wieder jetzt gedachten
Philip. Paracel. vnd seine dogmata geschrieben^*)".
Würde es jemals einem Paracelsisten in den Sinn
gekommen sein, den Leser so ruhig auf Thomas Erast
als Belehrungsquelle über seinen Meister Paracelsus
zu verweisen? Bapst ist aber ein unbeteiligter Zuschauer,
der jedem seiner Leser je nach Lust und Neigung den
Weg zu weiterer Information zeigen — oder auch mit
Zitaten prunken will, deren Tragweite er selbst nicht
kennt.
Noch klarer wird seine Stellung zu den Parteien aus
folgender Stelle:
„demnach ich allhie . . in diesem Buche neben der allgemeinen
alten vnd wolfundirten Galenischen Curen, auch
hißweilen der Theophrastischen Experimente gedencke,
als wil ich hie auch dem Liebhaber der Theophrastischen künste
nachfolgendes wunderbarliches Wasser zur ergetzung bey-
leufftig mit anhero verzeichnen'")".
Es kommt ihm also entschieden nicht darauf an,
immer die Paracelsische Heilmethode hauptsächlich
voranzustellen oder gar einzig für wirksam und erfolg-
reich zu erklären. Genau genommen geht das gerade
Gegenteil aus dieser Stelle hervor: nur beiläufig will
■'^2) Giftjagendes Kunst und Hausbuch vS. 191.
s") Arznei Kunst und Wunderbuch, 1604, S. 160.
5*) Ebenda Bl. Qq^^ (1604, S. 379 f.).
''^) Leib und Wundarzneibuch III. Teil, Bl. 148».
Michael Bapst von Rochlitz. 101
er auch diese berücksiclitigen. Und diese Stelle steht
in der vorletzten von Bapst selbst herausgegebenen
Schrift!! — Er huldigt dem Motto: „Wer vieles bringt,
Avird jedem etwas liringen".
In der Pimelotheca heilst es endlich:
„dafs ich der Theophr astist en""') in diesem so ottte g-edencke,
geschieht deswegen nicht, dafs ich dadurch die (ialenisten
wil verachtet haben, inmafsen ich denn auch der (raleuisten
nicht derwegen so offte gedencke, das ich die Theophrastisten
darmitte wolte verworfen haben, ich lasse einem jeden
Theile seine meinung wie er sie zur Antwort ge-
drucket. . .■")".
Klarer kann er seine Unparteilichkeit nicht aus-
sprechen! — Wir denken diese Stellen genügen. Nir-
gends präzisiert er seine Stellung in anderem Sinne.
Es ist mithin klar, dafs Bapst selbst sich nicht für
einen Schüler oder Parteigänger des Paracel-
sus ausgiebt. Es bleibt ims also nur noch zu unter-
suchen, ob der Thatbestand in Bapsts Schriften mit seinen
eigenen Erklärimgen übereinstimmt, und da ist es zuerst
interessant zu untersuchen, wie weit denn wolil die
Kenntnis der Werke Hohenheims bei diesem seinem
angeblichen Jünger reicht. Gewiis hat der fleilsige
Bücherwurm eine stattliche Belesenheit in Hohenheims
Werken aufzuweisen!? — — Aber nein, es finden sich
nur Zitate aus folgenden fünf Schriften:
1. ,, Wunder Artzney vnd verborgene Geheinuiisse aller
Geheimnisse. Basel 1586". (Dies Werk, welches mit Paracelsus
in Wahrheit nicht das geringste zu thun hat, sondern sicli
seines Namens nur als Aushängeschild liedient, wird von Bapst
in allen seinen Eezeptsammlungen zitiert.) — 2. Die „13
Bücher Parag raphorum von Toxites herausgegeben".
(Wahrscheinlich nach der Baseler Ausgabe 1585, 8^, zitiert.
Im Gifftjagenden Kunst und Hausbuch [1591, S. 191 ff] wird
der Abschnitt ülier die Würmer hieraus abgedruckt, das Bucli
aller auch sonst genannt.) — 3. .,De natura rerum IX Bücher
herausgegeben von L. Bathodius'-, Stral'sburg 1584. (Bapst
zitiert diese Schrift anfangs [1590] nur unter dem Namen des
Herausgebers Batliodius, scheint also gar nicht bemerkt zu
haben, dafs das Buch von Paracelsus ist; später [1597] wird
das Buch dann abei- ancli unter dessen Namen ervviibnt.) —
4. Aus der Grofsen Wundarznei werden in der Pimelo-
theca zwei Stellen angeführt, aber ohne genaueres Zitat; Bapst
hat dieselben wahrscheinlich einem anderen Autor, der sie ei'-
'^") Zur Erklärung des Sinnes , welchen er der Bezeichnung
„Theophrastisten-' beilegt, sagt er einmal in der Pimelotheca
(S. 60) „also pflege ich in diesi'm liuche die Chy mistischen Ar-
tisten zu nennen".
*^) S. 86.
102 Eduard Scdnibert und Karl Sudlioff:
wähnt, eiituomineu. — 5. „Von offenen Schäden und Ge-
schwären'-, Strafsburg 1577. (Hieraus giebt Bapst mar in
seinem letzten Werke, dem Juniperetum, Auszüge, und zwar
an vielen Stellen; er hatte das Bucli gewifs unmittelbar vorher
gelesen und verwendet schnell seine neue Weisheit.)
Das ist alles ! Er spricht zwar auch von „Paracelsus
de Podagra", hat dies aber aus Pe not entnommen. Und
wenn er am Ende des Juniperetum noch mehrere andere
Namen Hohenheimscher Schriften nennt (z. B, Archidoxa,
Metamorphosis, de vexationibus), so geht aus diesen
Titelnennungen noch nicht hervor, dafs er die Schriften
gelesen hat, dieselben werden ja bei Penot und anderen
allenthalben angeführt. Nirgends findet sich eine Spur
davon, dals Bapst die in den Jahren 1589 — 91 erschienene
Hu s er sehe Sammelausgabe Hohenheimscher Werke
gekannt hat. — Wenn man demgegenüber bedenkt, dals
bis zum Jahre 1600 etwa 220 Ausgaben Paracelsischer
Schriften erschienen sind '*), so kann man die litterarische
Kenntnis Bapsts in bezug auf diese Schriften nur als
eine recht geringe bezeichnen.
Wie steht Bapst nun weiter zu den theoretischen
Anschauungen Hohenheims? Zu allgemeinen natur-
philosophischen Darlegungen findet er in seinen, nur prak-
tischen Zwecken dienenden Schriften keine Veranlassung,
wie er aber zu Theoprasts Ansichten über die Entsteh-
ung der einzelnen Krankheiten sich verhält, darüber giebt
der „über de Epilepsia" ■''■') eklatanten Aufschlul's. Da fin-
det man wohl die Ansichten des Galen und Aristoteles,
des Averrhoes und Avicenna, des Erastus und Eernel
samt vieler andern des Breiteren vorgetragen, aber von
den Lehren des Paracelsus üljer den „Caducus" findet
man auf den 450 Quartseiten dieser Schrift kein Wort.
Nur fünfmal wird sein Name in dem Buche genannt,
aber nie in bezug auf die Fallsucht, während z. B. Erastus,
Lemnius , Eernel , Mizaldus, Konrad Gesner sehr häufig,
gewifs jeder über fünfzigmal, genannt werden *"^).
^8) Mooks Bibliographie des Theophrastus Paracelsus (Würz-
burg 1876. 4'') kennt bis 1600 allerdings nur 169 Ausgaben. Seitdem
haben Avir diese Zahl l)is auf 223 Ausgaben vervollständigt, und diese
uns bekannte Zahl kann noch keinen Anspruch auf abscdute Voll-
ständigkeit machen.
■'") Der I. Teil des Leib und Wundarzneibuchs.
''") Es wäre überhaupt eiu Irrtum, zu meinen, dafs Paracelsus
von Bapst besonders häufig genannt wird. In dem giftjagenden
Michael Bapst von Rochlitz. 103
Des weiteren ist bekannt, clals Paracelsus sich mit
Vorliebe mit meteorologischen Fragen beschäftigt hat.
Beweis dafür ist sein „Buch Meteororum" und viele andere
meteorologische Ausarbeitungen im 8. Bande der Huser-
schen Quartausgabe, sowie vieles „Astronomische", „Astro-
logische" u. s. w. Es entspricht z. B. die eine seiner
vier Grundsäulen der Medizin, „die Astronomey", durch-
aus nicht dem, was wir heute Astronomie nennen, sondern
behandelt grolsenteils die meteorologischen Einflüsse auf
den Menschen. Bapst hat nun auch ein klemes meteo-
rologisches Werk geschrieben, den „Wetterspiegel" (Leip-
zig 1589. 8 ^. 64 Bl), folgt aber bei all seinen Erklä-
rungen der ' einsclilägigen Naturerschenuingen nirgends
den Anschauungen Hohenheims, der dieselben mit oft so
grolser Heftigkeit vorträgt und vertheidigt, wobei er
namentlich die Ansichten des Aristoteles (er dekoriert ihn
dabei meliifach mit dem Ehrentitel „Narristoteles") aufs
erbittertste entgegentritt. Nein, im Gegenteil, Bapst
folgt vollkominen der Meteorologie des Aristoteles und
erwähnt Hohenheims mit keiner Silbe.
Der eklatanteste Beweis dafür, dafs Bapst in theo-
retisch-medizinischen Dingen nicht mit Hohenheim über-
einstimmt, lälst sich wohl darin finden, dals der Herr
Pastor vielfach eingehend die alte Lehre von den „vier
Immores" vorträgt, während doch kein Punkt der alt
üljerkommenen ärztlichen Anschauungen so heftig von
Paracelsus bekämpft wird wie dieser.
Einmal polemisiert Bapst geradezu gegen eine Para-
celsische Behauptung, wenn er berichtet (Leib und Wund-
arzneibuch II, 164f: „Theophrastus vnd seine anhenger
geben für, wenn ein Magnet seine Vires, kraftt, vnd
eigenschafft verloren habe, so sol man jhn glüend machen,
vnd etzlich mahl in Oleo ferri aulsleschen, so wird er die-
selbigen so gewaltig wieder bekommen, dals er auch
einen Nagel aus der Wand wird herausser heben vnd
ziehen. Diesem wiederspricht Johan. Bapt. Porta ....
Gleicher g estalt ists auch falsch, das etzliche
Kunst nnd HaushucliP wird er iiiu' dreimal aii^efülirt , viermal im
2. Bande des Leib und Wundarzucibuclis und im Arznei Kunst und
Wunderbuch ebenfalls viermal. Allerdings werden nel)cnl)ei auch
einige Schüler Thcophrasts genannt, aber auch diese in hervorragen-
der Weise nur in der Pimelotheca. Häufig stellt er das therapeutische
Verfahren der „Thcophrastiston" dem der Galeuisten gegenüber uud
mag hierin manchem Altgläubigen zu weit gegangen sehi.
104 Eduard Schubert und Karl Sudhoff:
fürgebeii . . . Hadrianus hat auch jrrige meinung".
(Inwieweit Bapst hier wirklich Hoheiiheims Ansicht vor-
trägt, ist an dieser Stelle zu untersuchen nicht nötig,
das Factum der Polemik genügt).
Im „Prognosticon von des Türckischen Reiches Ab-
nemen" (1595) zitiert Bapst Stellen aus der bekannten
Lichtenbergerschen Prophezeiung, ohne dabei der Hohen-
heimschen Kritik und Verbesserung dieser Wahrsagungen
zu gedenken. Natürlich ist darauf kein grolses Gewicht
zu legen ; aber es ist doch immerhin von Interesse : ein
wahrer Jünger würde auch in so kleinen Zügen nichts
unterlassen, was zur Verherrlichung seines Lehrmeisters
dienen könnte.
An verschiedenen Stellen, wo sich Bapst über alche-
mistische Themata ausspricht, streift er ja wohl auch
theoretische chemische Ansichten Hohenheims, und zwar
ohne denselben etwas entgegenzuhalten. Aber dazumal
war jeder alchemistische Autor mehr oder weniger in
den allgemeinen Fragen im Einklang mit Theophrastus
der ja jn mehrfacher Hinsicht hier Neues geboten hat.
Bapsts Äulserungen über die dunkle oft metaphorische
Ausdrucksweise des Para celsus auf diesem Gebiete
sprechen zwar keinen Tadel darüber aus, suchen sogar
dies Verfahren als verständig und berechtigt darzustellen.
Aber darin spricht er auch nur andern „Chymisten" nach,
die alle an der Dunkelheit der Anweisungen und Rede-
wendungen nichts auszusetzen finden, auch wenn sie reine
Alchemisten sind, ohne gerade Anhänger der „spagiri-
schen" Medizin des Paracelsus zu sein. Viele tadeln
ja sogar Theophrast von Hohenheim, weil er — oder
wenigstens einige ihm wahrscheinlich untergeschobene
alchemistische Schriften — manches deutlicher bekannt
gemacht habe, als es im Interesse der alchemistischen
Geheiml)ündelei wünschenswert gewesen wäre. —
Da Hohenheim auch als Verfasser theologischer
Abhandlungen, ja als der Urheber einer theologisch-theo-
sophischen Schule gilt, so erwähnen wir hier nochmals,
dals Bapst mit dieser „paracelsisch-weigeliauischen" Rich-
tung nichts gemein hat*'^). Doch wenden wir uns zu
"') In „üeorgii Heiurici Groetzii, de Theologis Pseudomedicis
seu Nuin Theologo Artem Medicam exercere liceat? disquisitio.
Lipsiae MDCC". 4*'. (14 Bl. unpag.) wird Bapst nicht erwähnt; aber
Michael Bapst von Rochlitz. 105
der weiteren Frage: Wie verhält sich Bapst zur
Paracelsischen Praxis?
Hier ist zunächst zu untersuchen, oh Bapst überhaupt
selber medizinische Praxis getrieben hat. Dies wird ja
allgemein behauptet, wir glauben dem aber mit allem
Grund widersprechen zu müssen.
Falst man zunächst Stellen ins Auge, worin er sagt,
dals er neben seinen seelsorgerischen Amtsgeschäften
„anders nichts in die Hand nehme, als dals er die
vbrige zeit mit lesen vnd schreiben zubringe ^-)" oder
seine vielfach wiederkelu^endeu Bemerkungen „ich für
meine person habs nicht versucht '^•^)" und „ich setze es
lüerher, wie ichs gelesen habe, ol)S aber gewils also zu-
trifft, kau der Leser versuchen '''^j" — oder Äulserungen
wie die folgende: „Dieses, vnd so wol auch, was ich
sonsten bils weilen mehr aus anderer scribenten Bücher
anhero vorzeichnet habe, referire ich nur, wie ichs ge-
lesen hal)e, wils die jenigen, die es erstlichen fürgeben,
vnd auff die bahn gebracht, vorantworten lassen, vnd
mich derwegen mit niemands in einige disputation ein-
lassen, weil ich, wie gesagt, das jenige was hie in diesem
Buche aus andern entlehnet worden, nur wie es des orts,
da ichs gelesen, stehet, nur erzehle*''')" — oder wenn er
gelegentlich nach Empfehlung einer „köstlichen sterck
Latwerge" galenistischer Art fortfährt: „neben dieser
sterckung haben die Theophrastischen Ertzte, auch viel
auisbündiger vnd köstlicher sterckung vnd erquickung,
deren sie sich in grosser Schwachheit vnd mattigkeit, ge-
brauchen, wie solches jhre Bücher besagen •'®)", —
auf S. C,"" findet sich folgende cliarakteristische Stelle, welche uns
zeigt, wie leicht im 17. Jahrhundert ein Theologe, wenn er sich mit
medizinischen Dingen ahgal), in den Verdacht gerieth, ein Pai'acel-
sist zu sein. „Denique (Tlieologi Pseudomedici) & su spicionem
de se excitant, (luod Theophrasti Paracclsi, Val. Weigelii, Rosen-
cruzianorumqnc^ libros habeant in dcliciis, crehroque adhihoant in
(Konsilium. Hinc accidit, ut eiTonea qucque fidei dogmata imhibere
soleant . . . etc". Über Hohcnheims theologische Schriften siehe
„Paracelsus-Forschungen" II, 14H ff.
^2) Vorrede zum „Arznei, Kunst und Wunderljuche".
"•') z. B. Piraelotheca S. 92.
•^') il). S. 375.
«•■5) Leu) und Wundar/.nribuch IL Teil Bl. 166 •'.
««) Leib und Wuudarzueibuch IH. Teil. Bl. 17''.
106 Eduard Schubert und Karl Sudlioff:
SO liegt es nach allen diesen nncl vielen ähnlichen Äulser-
ungen nahe, den Schlnis zu ziehen, dals er selbst keine
praktische Arzneierfahrung- hatte.
Was Bapst als eigene „Experientz" und „Erfahrung"
vorbringt, sind aus dem Munde des Volkes aufgelesene
Heilverfahren und Eezepte, oder auch Beobachtungen,
die er auf seinen seelsorgerisclien Krankenbesuchen etc.
zu machen reiche Gelegenheit hatte (sei es in der Praxis
anderer Ärzte, sei es in der Kur anderer Volksheilkünst-
ler etc.). Endlich sind es nicht selten Erzählungen von
Begebenheiten verschiedenster Art, die er nach eigener
Anschauung oder meist nach Hörensagen berichtet. Aber
auch bei solchen Berichten ohne gedruckte Quelle hat er
dann noch die Vorsicht, hinzuzufügen: „dieses referire
ich allhie, wie ichs gehöret habe*'')".
Wir wollen natürlich nicht behaupten, dals Bapst
nicht gelegentlich auf seinen priesterlichen Gängen oder
sonstwie Leidenden Mitteilungen aus seinem „reichen
Wissensschatze" gemacht oder einmal einem alten frommen
AVeiblein einen guten Rat gegeben hätte ; denn das wäre
absurd. Wenn man aber behauptet, er habe „ärztliche
Praxis" getrieben, so ist das doch ganz was anderes!
Wenn man seine Schriften achtsam durchliest, so
muls man es geradezu erstaunlich finden, dals Bapst, der
tausend und abertausend Arzneiverordnungen aufzählt
und oft 10 und mehr Anweisungen zur Heilung desselben
Leidens giebt, niemals aus der Rolle fällt und erklärt,
dies und das ist gut, ich habe es selbst erprobt; einem
wirklichen Praktikanten der Heilkunde (und gerade
einem Laien) wäre eine solch ungeheure Objektivität
ganz unmöglich. Nirgends auf den über 3000 Seiten
seiner Arzneibücher fanden wir eine eigene Heilungs-
geschichte angeführt, aus welcher die Wirkung eines
empfohlenen Mittels hervorginge. Selbst von den oben
supponierten priesterlichen Gelegenheitskuren sagt er
kein Wort, hebt dafür aber so und so oft hervor, dafs
eine angeführte Kur „mit rath eines verstendigen Medici
auff den Patient gerichtet werden" müsse *'^) und warnt
immer und immer wieder vor den leichtfertigen Kuren
der Landfahrer, „denn es ist je vnter allen Künsten
<*') Leib und Wundarzneibuch II. Teil. Bl. 40 ='.
'") z. B. Pimelotheca S. 332.
Michael Bapst von Sochlitz. 107
keine, die mehr gefalir auff sich hat, als die Kunst der
Medicin «•')".
Einen Einblick in Bapsts angebliche Ausübung der
Arzneikunst gewährt auch folgender Erguls, Avelchen er
an die Aufzählung einiger Mittel gegen das Podagra
anfügt:
„Darbey wil iclis auff difsuiahl lassen wenden, vnd alle die mit
dem Zipiierlein belastig'et sein, freuudtlich gebeten haben, wenn
jhnen diese dinge, die nicht mein, sondern wie oben ge-
meldet, anderer Leut knnst vnd experiraent sein, nicht
helffen möchte, .... sie wollen mit meinem guten willen vor-
lieb nehmen, vnd es gewifs dafür halten, wenn ich war-
hafftig das Zipperlein vertreiben könte, wie sich
mancher vermessener Mensch zu nehmen pfleget, ich wolte in
wenig Wochen mehr als des Tantali vnd Pelopis talenta , vnd
grofs Reichthumb zu wege bringen . da ich also vnter des, mit
den Diuitijs Lysistrati, mus vorliel) nehmen, wie man bey den
lateinischen Sprichwortsweise zu reden pfleget "*')".
Endlich lielse sich noch sein Bericht über Krankheit und
Tod seines Sohnes Michael hier heranziehen, wobei er sagt:
,,AVenn er durch künst, vnd Vorsichtigkeit der Ertzte, vud
derselbigen angeordnete artzney vnd mittel, hette können erhalten
werden. So were er noch im leben, denn ich die vornemesten
Medicos, die ich habe erlangen können, difsfals Consulirt, vnd
alles was menschlich vnd müglich gewesen jlin zu retten, an
die band genomen "i)".
Er macht hier keinen Unterschied wegen der „Schule"
der Ärzte, welche er zu Rate zog, da ihn offenbar der
Gedanke an die Heilmethode wenig beschäftigte;
«") Leib und Wundarzneibuch IL Teil, Bl. 36 ^i und öfters. Be-
achtenswert ist auch folgende ähnliclies besagende Stelle: „Dieses
obseruiren die rechtschaffene Medici, weil sie nach der Lehr
des Galeni fleissige auffseher, Ministri vnd Diener der Natur sein,
die Ertzneystörer aber, welche illotis pedibus in die edle Knnst
hinnein lauff'en, bedenckens nicht vnd thnn offt grossen schaden",
(ib. Bl. 56'') und eine andere, wo er nach Hesprecliung des Ader-
lasses bei Augenleiden und dessen vorsichtiger .Anwendung hinzu-
setzt : „Ich für meine Person, damit ich die reclite Wahrheit bekenne,
were in solchen feilen tiraidior Pisandro" (ib. Bl. 99 1>). El)enso
dringend warnt er Unerfahrene vor chirurgischen Mafsnahmen, z. B.
ili. Bl. 191 '•.
'0) Leib und Wundarzneibuch IL Teil, Bl. 146 '>.
■'^) Pimelotheca S. 5. El)enso lierichtet er über den Tod des
Sohnes Johannes in Leipzig an der Dysenterie (.Tunipcretum S. 74) :
„vngeachtet, das die Herren Medici bey ,jhm niögliclicn fleiTs ange-
wendet, vnd alle Mittel an die Hand genommen, di(> nur menscblich
vnd müglich gewesen, damit hiebeuorn durch (iottes . . . hülffe gar
manchen Menschen gedieuet vnd gehollfeu worden . ."
108 Eduard Schubert und Karl Sudlioff;
noch weniger spricht er natürlich von eigenem thera-
peutischen Eingreifen.
Doch kurz und gut, wir haben durch unsere ein-
gehende Lektüre der Bapstschen Sammelbücher nicht
den Eindruck gewinnen können, dafs der Autor ärztliche
Praxis betrieben hat. Auch Joachim Tanck spricht nur
von Bapsts medizinischer Schrift st ellerei, nicht
Praxis'^). Und wenn es ja doch der Fall gewesen sein
sollte, dafs er praktisch die Arzneikunde betrieb, so kann
man aus dem Folgenden ersehen, dais er ganz gewils
nicht ausschlielslich nach Paracelsischen oder iatrochemi-
schen Heilungsgrundsätzen verfahren wäre.
Mehrfach kommt Bapst auf die Indikationen für die
Purgantien zu sprechen und erwähnt eine grofse An-
zahl von Meinungen verschiedener galenischer Autoren
über diesen Punkt, gedenkt aber der Ansichten Hohen-
heims darüber mit keinem Worte, obgleich hier gewils
Gelegenheit gewesen wäre, mit seiner Vorliebe für den
Arzt von Einsiedeln hervorzutreten ; denn Paracelsus hat
seine sehr von den alten und damals herrschenden ab-
weichenden Ansichten über die Abführkuren an vielen
Stellen seiner Schriften zum Ausdruck gebracht und
seine Schüler erwähnen mit Vorliebe auch diesen Punkt
der Lehren ihres Meisters. Für seine „Praxis" hätte der
quacksalbernde Pastor gewifs auch dies aufgestöbert.
Er hatte aber kein Literesse daran.
Ebenso verhält es sich mit der Epilepsie. Auch bei
dieser weitläufig von Bapst besprochenen Krankheit wird
der Heilmethode Hohenheims nicht gedacht und in einem
Verzeichnis derer, welche glücklicher Heilung sich rühmen
dürfen ^■^), nennt er mit grolsem Pomp z. B. Ambroise
Pare, Thomas Erast und andere. Seinen angeblichen
Lehrmeister Paracelsus, dem seine Jünger auch in dieser
Krankheit viel glückliche Kuren nachrühmen, erwähnt
Bapst aber nicht. Er hatte davon eben in den paar
Büchern mit Paracelsischen Titeln nichts gefunden, kannte
auch, als er seinen Tractat de Epilepsia schrieb (1596),
des Paracelsus anti-epileptisches Mittel nicht, das „Oleum
Vitrioli '^)". Die Epilepsie aber war stets das Eldorado
■^2) lu der Vorrede zum .Tuuiperetuiii.
"•^) Leib und Wundarzueibuch I. Teil, Bl. 71,
"■*) Er erwähnt dasselbe erst in der Pimelotheca (1599) mehr-
mals als ein Mittel der „Chymistischen Aerzte" gegen die Fallsucht.
Michael Bapst von Roclilitz. 109
der pfuschenden Geistlichen, zu denen sich Bapst also
nicht gesellte, seinen Studien nach zu urteilen.
Im „Juniperetum" zitiert Bapst eine groise Anzahl
von Mitteln gegen den Stein, ohne eins von Paracelsus
zu nennen ; und doch sind gerade die Stein- oder Tarta-
rischen '•^) Krankheiten eines der am meisten von Hohen-
heim kultivierten Gebiete der Medizin.
Wenn Bapst in demselben „Juniperetum" sagt'**):
„Für die Frantzosen vnd Scharbock ist nichts besser zu
gebrauchen, als das Holtz Lignum Guaiacum genandt . ."
so ist dies für jeden, der etwas von den Arbeiten Theo-
phrasts über die „Frantzosenkrankheit" weifs, ein Beweis,
dafs Bapst mit den Ansichten Hohenheims über diese von
demselben so hervorragend besprochene Krankheit recht
mangelhaft, jedenfalls nicht in der Weise eines unbeding-
ten Anhängers oder gar „Lehrers" und „Praktikanten"
des Paracelsismus bekannt war.
Wo Bapst im „Arznei Kunst und Wnnderbuch''
seitenlang über die „Mumia" handelt und allerlei Arznei-
formen, Wundtränke, Wundsalben etc. bespricht, welche
aus mumia, „d. i. Menschenfleisch" bereitet werden, er-
wähnt er Hohenheim mit nichten, während gerade dieser
das Wort „Mumia", wenn auch oft in einem ganz ande-
rem Sinne, so aulserordentlich häufig gebraucht. (Dies
findet wolü darin seine Erklärung, dafs Bapst dies
Wort bei Penotus nicht erwähnt fand, von dem er
seine Kenntnis Paracelsischer Wundbehandlung treulich
entlehnte, ohne für Aveiteres als blofser Abschreiber auf-
zukommen.)
Solche Beispiele lielsen sich aber ins Unendliche
häufen, die Anführungen und Anpreisungen g a 1 e n i s c h e r
oder von Gale nisten empfohlener Mittel sind ganz un-
geheuer überwiegend über die von Heilmitteln des Para-
celsus und seiner Anhänger. In seiner angeblichen
ärztlichen Praxis würde demnach Bapst jedenfalls einen
guten Galenisten abgegeben, nicht aber nach Paracel-
sischen Grundsätzen kuriert haben.
Einige Stellen kommen allerdings in den vielen dick-
leibigen Bänden vor, an welchen Bapst im einzelnen
■'^) Diese Begriffe decken sich zwur keineswegs vollkoiiiiuen,
aher für hier genügt es dies hervorzuheben; üher alles weitere ver-
weisen wir auf unsere ,.Paracelsus-Forsclunigen" IL 107—112.
'") S. 22!e.
110 Eduard Schubert und Karl Sudhoff:
Falle einem chemischen Mittel vor einem pflanz-
lichen den Vorzng giebt. Es sind jedoch nur wenige;
wir führen sie in folgendem alle an.
Aus der „Pimelotheca" S. 22: Bei „verstockter Milch iu
den Brüsten" schreibt er nach warmer Empfehlung anderer
Heilmittel: „Noch besser aber were es, wenn man in dieser
kranckheit das Aurum Diaphoreticum gebrauchet. Anhelosis enim
subvenit & spiritum facilitat &c." und gleich darauf „krefftiger
(als trenseschmalz) were die Blutstillung, wenn man Quintam
esseutiam, vel tincturam corallorum gebrauchete." Ähnlich
schreibt er ib. S. 24 bei Vergiftungen: „Oder, dafs noch besser
were. so köndte mau j. q. Auri diaphoretici einnemen, denn es
treibet alle gifftige materiam durch den schweis hinweg."
ib. S. 34 : Um „Vnkeuschheit zu erwecken", zur Erzeugung
von Kraft bei ,, nächtlichen Betthäudeln", sagt er nach An-
führung eines anderen Aphrodisiacums: „Ich für meine Person
hielte es für krefftiger, wenn einer vj. Gran de Essentia perla-
rum in Zimetründeu öhl, oder das aurum potabile einueme ■■')."
und endlich ib. S. 282 : „Ich für meine Person hielte mehr von
dem Auro Diaphoretico, oder von dem oleo philosophorum, wenn
mans dem Wassersüchtigen eingebe".
Aulser diesen fünf Stellen in der „Pimelotheca" findet
sich nur noch eine im „Leib und Wundarzneibuch" III. Teil,
Bl. 113 b:
„Etzliche nemen Alandwurtzel j. quintlein, Terrae sigillatae
ein halb loth, für Gifft ein. Ich für meine Person hielte diefs-
fals von dem AiU'o Diaphoretico viel mehr, denn das ist gewifs,
das jetztgedachtes Aurum diaphoreticum, alle vnd jede gifftige
materia durch den schweifs aus dem Menschlichen Cörper hin-
weg treibet , ist aufsl)ündig gut , in morbis acutis , als iu der
Pestilentz , Pleurisi oder Seitenstechen. Es kömpt auch zu
hülffe den Wassersüchtigen, denen die keinen Athem haben,
machts lufft, ist gut in dem quartan Feb. Wenn mans auff vor-
hergehende purgation gebrauchet, reseriret vnd eröffnet alle
vnd jede opilation. verstopffung uud verschleumung der Adern,
vnd ist sousten zu vielen dingen mehr gut. Dosis ä 5 s. vsque
ad ^ j. pro ratione morbi & personarum, cum conuenienti
liquore." Das ist also ungefähr dasselbe zusammen gesagt,
was in der Pimelotheca über das Aurum diaphoreticum" zer-
streut gutes berichtet wird. Es schiene demnach als wenn
unser Pastor am Ende seiner Laufbahn populär- medizinischer
Schriftstellerei eine besondere Vorliebe für dieses chemische
Arzneimittel (welches den Namen Aurum nur von der Gold-
farbe trägt) gewonnen habe.
■^■') Wir wollen hoffen, dafs er diese Mittel weder au sich, noch
au andern probierte, wenn er sie auch nach Sammlerart als heil-
kiäftig empfielilt. Zur „pflege der Ehelichen Wenk" erklärt er ein
andermal (Leib und Wundarzneibuch IL Teil. Bl. 200 b) nach Nennung
andrer Mittel: ..Ich hilts vou einem starcken Vater vnser, oder Gebet,
vnd wenn daneben die Instrumenta prolificae facultatis von jlin
selber fein richtig vnd tüchtig weren, viel mehr als von solcher
Lapperey".
Michael Bapst von Rochlitz. Hl
Um über die Bedeutung dieser Stelleu für unsere
Frage klar zu werden, müssen wir auf eine von Bapsts
Hauptquellen für medizinisch - chemische Citate zurück-
gehen, die er gerade hier nicht nennt "), auf Bernhard
Gr. Penot. Derselbe spricht in seinen ,.Tractatus varii
de Vera praeparatione et usu medicamentorum chvmicorum
nunc primum editi" Erancofurti, M.D.LXXXXIIII. 8".
zuerst S. 96 — 103 weitläufig und sehr lobend vom
..aurum diaphoreticum". Aber die Hauptstelle für Bapst
findet sich im „Tertius tractatus" dieser Schrift in dem
Abschnitte „Usus et dosis quorundam Medicamentorum
spagyrigorum". Dort heilst es Seite 71:
. . Anium diaphoreticum.
Omnem muteriara veueuatam e corpore propellit per siidorem
quem summopere mouere siue in morbis acutis vt in peste,
phiresi ex niaxime conducit. Hj'dropicis Anhelosis siThuenit &
spirituin facilitat. In febribus post purgationem vtilissime
propinatur praesertim quartanis. Obstructiones & opiLationes
venarum reserat, & ad plurima corporis mala eins vsus esse
poterit dosis ä ^ ß vsque ad =S j. ; pro ratione morbi & personarum,
cum conuenienti liquore".
Man sieht die obige Stelle im ,,Leib und AVund
Arzneibuch" ist einfach aus Penot übersetzt, aber keines-
wegs musterhaft. Und die drei Stellen aus der Pimelotheca
über das aur. diaphoret. beruhen gleichfalls auf diesem
Penotschen Artikel. Die Blutstillung mit „Quinta Essentia
vel tinctura corallorum" geht wohl auf Penots „Liquor
Corallorum" ib. S. 166 zurück. Es bliebe für Bapst nur
das Verdienst, die Anwendung der iatrochemischen Con-
fortativa '^), der , .Essentia perlarum" und des „aurmn
potabile", auch zur Hebung der geschlechtlichen Potenz
empfohlen zu liahen, worauf wir keinen besonderen Wert
legen können, sell)st wenn es nicht nur eine Lesefrucht
sein sollte.
■"*) Wie er es ja sonst meistens tlint und als seinen schrift-
stellerischen Grundsatz prokhnniert, z. B. ..Türkische Chronic;)^- S.\/ :
„Ich citire gerne den Ort, woher ich etv/as entlelme. damit icli
niclit angesehen -werde, als wolte ich micli fremder Arbeit thcilliall'tig
machen, wie es offt zu geschelien pfleget, dafs sich mancher mit frem-
der Arbeit schmücket . ." und ..Leib und Wnndarznciliuch" Teil 11.
Bl. 32 a: „Ich ernenne gerne den Autorem viid den ort, woher ich
etwas entlehne vnd borge, damit der Leser mit der zeit, wenn ich
lange gestorben, mir solches niclit darff fürwerlfcn, vnd Sprichwortes
weise sagen. Mazam ab alijs pistam i)iiisuit".
■^•') Z. B. Penot l. I-. S. 165. .,Perlae restiluunt vires amissas,
& Membra priucipalia confortanf' und sonst oft
112 Eduard Schubert uud Karl Sudlioff:
Die oben angegebenen sechs Stellen, deren geistigen
Vater wir eben nachgewiesen haben, sind die einzigen
von uns aufgefundenen, auf welche man die Behauptung
Michael Bapst von Rochlitz sei ein Paracelsist
in Theorie und Praxis gewesen, mit einigem Schein der
Berechtigung stützen könnte. Aber es ist auch dies nui*
ein Schein ! Nach allem andern genügen diese sechs Stellen
in so zahlreichen und voluminösen Sammelwerken durch-
aus nicht einmal dazu, Bapst eine volle Hinneigung zur
iatrochemischen Schule unterzulegen (und latrochemie ist
um 1600 keineswegs mehr gleichwertig mit Paracelsis-
mus zu nehmen). Solche Bevorzugung einzelner chemi-
scher Heilmittel ist auch bei „galenischen" und „hippo-
kratischen" Ärzten damaliger Zeit (schon seit Conrad
Gesners „Euonjmus-' 1552) keine Seltenheit mehr. Und
wie bald sollte nicht durch die Berufung Joh. Hart-
manns (1609) auf den ersten chemiatrischeu Lehrstuhl
in Marburg die Einführung der Chemie in die Arznei-
kunde auch äulserlich dokumentiert werden!
Bei Bapst sind diese wenigen Stellen nur Aus-
nahmen in seiner sonst allenthalben bewahrten absoluten
Unparteilichkeit im damals so heftigen Kampfe der
Parteien, welche nach dem Sj)richworte nur die Regel
bestätigen können. Penots Arzneiempfehlungen hatten ihm
bei der Lektüre oifenbar gewaltig imponiert.
Doch wir glauben auch entschieden nicht, dafs es
gerade diese sechs Stellen gewesen wären, welche der An-
nahme, Bapst sei ein Anhänger Theophrasts von Hohen-
heim, zu Veranlassung dienten. Gewifs sind dieselben
bis heute von nur wenigen Historikern beachtet worden,
vielleicht von keinem. Allein in den Zeiten als der
Kampf zwischen Galenismus und Paracelsismus noch in
voller Heftigkeit tobte, wurde es Bapst wohl von Anfang
an als ein grober Verstols von den Vertretern der alten
reinen Lehre angekreidet, dals er überhaupt auch iatro-
chemisch-paracelsische Heilmittel zitierte; damit wurde
er unter die Schar der vielgehaisten und vielgeschmähten
Paracelsisten geworfen, wie es wenige Jahre später
einem Daniel Senn er t in Wittenberg um nichts besser
erging, da er die chemischen Medikamente einzuführen
und durch die Schrift „de consensu ac dissensu Chymi-
corum cum Aristotelicis et Galenicis" (Wittebergae 1619
und öfters) eine Vereinigung der Dogmatiker und Para-
Michael Bapst von Rochlitz. 113
celsisten anzubahnen erstrebte, womit er der Stifter der
eigentlichen „C'hemiatrie'" im engeren Sinne wurde.
Andererseits wurde aber unserm Bapst wohl aus
denselben Gründen von den latrochemikern und Paracel-
sisten diese Aufnahme ihrer Ansichten und Mittel neben
den galenischen dankbar angerechnet und als Entgegen-
kommen gedeutet. Es mochte wohl diesen Sektierern
ebensoviel daran liegen, den bei Gelehrt und üngelehrt
vielgelesenen Autor auf ihre Seite zu setzen, als es
den Dogmatikern Befriedigung gewährte, den Unpartei-
ischen, der beiderlei Ansichten ruhig, als aufserhalb
des Kampfbereichs Stehender, neben einander referierte,
der bitter gehalsten Gegenpartei zuzuzählen und seine
Bücher so gleichsam auf den ,, Index librorum prohibitorum"
für die „rationales medici" zu setzen , blos weil er doch
oftenbar zur Verbreitung gegnerischer Ansichten, wenn
auch gerade nicht mit bewulster Absicht, beitrug.
Auf diese Weise ist wohl der Mythus von der
Paracelsus-Jüngerschaft unseres harmlosen Theologen zu
erklären.
Von dem Vorwurf, mit einer gewissen Parteilichkeit
gegen diesen wie gegen Paracelsus und seine Nachfolger
überhaupt, vorgegangen zu sein, lätst sich selbst Kurt
Sprengel nicht ganz freisprechen. Haller hatte ihm
wohl den Weg zu seinem wenig historischen Urteil über
Bapst angebahnt.
Wer dann, nachdem so anerkannte Autoritäten das
Urteil abgegeben hatten, mit dem Gedanken, dafs Bapst
ein Paracelsist sei, an dessen Schriften heranging, dem
konnte vielleicht schon die einfache Lektüre der Titel
seiner Schriften genügen, das Verdict zu bestätigen.
Namentlich der Titel des Arznei Kunst und Wunderbuchs
von 1590 (auf welchem sich „Alchymistische Künste"
genannt finden) und mehr noch der etwas veränderte
der Ausgabe von 1604 (also nach Bapsts Tode"*'), konnte
zu dieser einsieht verführen.
Und doch, wie jemand, der Bapst kennt, ihm Para-
celsismus andichten kann, wäre kaum für möglich zu
^) Vgl. Anm. 26. Aufserdeiii kommt udcIi das ...lunipiTu-
tum" hier in Frage, welches auf dem Titel zu lehren verheilst:
„wie man ans diesem edlen Geweehse. \\'asser. Extracten, Oelil vnd
Salien, dureh die Spagierische vnd Cliymistische Kunst bereiten soll."
Das könnte aber auch Joachim Tan ek hinzugesetzt haben. Andere
Titel enthalten keine N'ervveise auf Alchemie u. s. w.
Neues Archiv f. S. 0. ii. A. XI. 1. •.'. ö
114 Eduard Schubert, und Karl Sudhcff:
halten, wenn man dergleichen seichte Urteile in der Ge-
schichte der Medizin nicht allzusehr gewohnt wäre, und
diese edle Wissenschaft nicht mit Spott und Hohn bedeckt
infolgedessen unter den Fülsen der eigenen Jünger am
Boden liegen sähe.
Bapst von Rochlitz ist weder Galenist noch
Paracelsist, gehört keiner der damaligen medizinischen
Schulen an, ist überhaupt kein Mediziner, sondern ein
Laie, der für Laien bestimmte populäre Bücher
schrieb. Er hat auch nicht wie der Physikus zu
Donauwörth und der Rechten Licentiat Dr. jur. et med.
Georg am Wald (mit welchem Bapst gewöhnlich als
Abschaum deutscher Medizin zusammen genannt wird)
in marktschreierischer Weise Arzneimittel feil geboten
oder wie sein Amtsbruder Joh. Gramann (der eben-
falls „Paracelsische" Mittel ausbot) geradezu Partei für
Hohenheim ergriffen, sondern er fabrizierte aus seinen
in unermüdlicher Lektüre gesammelten Notizen Haus-
bücher, welche ebensowohl Rezepte zur Heilung von
Krankheiten der Mensclien und Hausthiere, als Anwei-
sungen für alle möglichen technischen und ökonomischen
Verrichtungen und Zufälle des täglichen Lebens ent-
halten. .. Dals er zu seinen Sammelwerken nicht nur die
alten Ärzte und Naturforscher samt ihren Nachfolgern
bis zu seiner eigenen Lebenszeit herab benutzte, sondern
auch die Schriften der neuen iatrochemischen Schule
seiner Tage, ist, gerade weil er populär schrieb, gewifs
nicht zu verwundern. Denn bei der grolsen Beliebtheit
und dem lebhaften Interesse, dessen sich dazumal alles,
was nach Alchemie schmeckte, bei der grofsen Masse
erfreute, bei der Begierde, mit welcher man nach Lektüre
über diese interessante scientia occulta damals haschte,
ist es nur zu natürlich, dals Bapst auch diese Wunder-
blume in seinen unermelslich grolsen Garten aufnahm,
dafs er auch namentlich auf dem Titel betonte, wie man
bei ihm auch ül)er alchemistische Dinge Belehrung finden
könne. Namentlich in den letzten Jahren seines Lebens
scheint er sich viel mit dem Lesen alchemistischer Bücher
beschäftigt zu haben und das spiegelt sich auch in
seinen letzten Schriften ab , namentlich im III. Teil des
Leib- und Wundarzneibuchs und in der Pimelotheca.
Doch kommt er niemals zu einer wirklichen Parteinahme
für die chemisch-medizinische Richtung.
Michael Bapst von Roclilitz. 115
AV'enn man gerecht sein will, muls man zugestehen,
dafs es im 16. Jahrhundert gewils keinen Mann gegeben
hat, dem dieses Kompilieren aus allen möglichen alten
und neuen Büchern mehr zuwider gewesen wäre, als
gerade dem Verächter der blolsen Buchgelehrsamkeit,
Theophrast von Hohen heim. Diese blindfleiMge
alexandrinische Encyklopädistenai t , welche überallher
zusammenstöberte und zusammenklaubte, war ihm in
tiefster Seele verhalst, ihm, der mit gröfster Entschieden-
heit auf eigene Naturbeobachtung und eigene ex-
perimentale Erfahrung drängte, ihm, der nicht im Dämmer
der Studierlampe hockte, sondern im „Lichte der
Natur" wandeln wollte — und wandelte, wie sonderbar
manches scheinbar seinen staunenden offenen Augen auch
erschien, wie z. B. das brausende Aufsteigen von Luft-
blasen, wenn er verdünnte Schwefelsäure mit einem
Metalle in Verbindung brachte, oder die Gewichtszunahme
des Zinns, wenn er es oxydierte, und zu beiden Vorgängen
sich eine Erklärung suchte, die nicht allzuweit von der
Wahrheit abwich. — —
Michael Bapst also will nicht der Verbreitung
einer Lehrmeinung dienen; dals er jedoch den Wünschen
seines Publikums gerecht wurde, das bezeugen die vielen
Auflagen und die Menge seiner umfangreichen Schriften.
Sie haben in vieler Hinsicht ein nicht geringes kultur-
geschichtliches Literesse; als Nachschlagebücher für
das, was an der Neige des 16. Jahrhunderts selbst ein
Gottesgelehrter lutherischer Observanz für wahr hielt,
sind sie wohl zu verwerten, ebenso als reiche Fundgrube
für die Volksmedizin seiner Tage, namentlich in
sächsischen Landen. Dagegen haben sie für die
Kenntnis Paracelsischer Lehren nicht den ge-
ringsten Wert.
Dals diese Schriften solch ein wunderliches Gepräge
haben, ist keineswegsihrem Verfasser allein zuzuschreiben.
So fabelhafte Sachen, wie er sie vorbringt, welche uns
als der „grölste Blödsinn" erscheinen, „der medizinisch
je geschrieben ist", wurden damals noch geglaubt und
finden sich zerstreut in den Werken auch aller bedeuten-
den Schriftsteller seiner Zeit, wie er diese ja auch in
Massen als Quellen anführt. Allerdings sehen sie für
uns in diesen Quellenschriften nicht so abschreckend
lächerlich aus, weil sie nur gelegentlich vorkunnnen,
unter (für uns!) vernünftigen Auseinandersetzungen ein-
8*
116 Eduard Schubert und Karl Sudhoff: Michael Bapst etc.
gestreut. Hier bei Bapst sind sie vielfach bunt aneinan-
dergereiht, und das schärft das barocke Aussehen dieser
wohlbeleibten Bände sehr. Daraus ihm einen so schweren
Vorwurf zu machen, ihm das so sehr zur Mifsachtung
anzurechnen, beweist einen entschiedenen Mangel an
historischer Kritik.
Wir glauben nicht zu irren, wenn wir es eben
diesem Mangel an historischer Kritik in jetzt überholten
Zeiten auch zuschreiben, dals Bapst zu den Paracelsisten
gerechnet wurde. Gerade das Wunderliche, „Blödsinnige",
Kunterbunte der Bapstschen Schriften wird mit die Ver-
anlassung (wenn nicht die hauptsächlichste!'?) gewesen
sein, ilm einen Paracelsisten zu nennen. Paracelsus selbst
schien den Historikern aus Subjektivismus ein ganz ver-
worrener Kopf, der alles toll durcheinander schrieb, und
der tolle Bapst sein tollerer Schüler, der die Eigenart
seines Lehrers zur Karrikatur verdeutlichte, verzerrte,
den man ihm als abschreckende Frucht seines Geistes
an die Seite stellte.
So kann uns „Bapst als Paracelsist" als Beleg
dienen für die ganze verflossene geschichtliche Auffassung
des grofsen Theophrast von Hohenheim, wenn es
eines solchen Beleges noch bedürfte.
V.
Zur Politik Saclisens iu der Zeit
vom westfälisclieu Frieden bis zum Tode
Johann Georg IL
Vou
Paul Hassel.
Seit dem Jahre 1882 ist eine Kommission des fran-
zösischen Ministeriums der Auswärtigen Angelegenheiten
mit Erfolg bemüht, die reichen Schätze des mit demselben
verbundenen Staatsarchivs Aveiteren Kreisen zugänglich
zu machen. Das Hauptwerk, welches sie ins Leben ge-
rufen hat, ist der Racueü des Instructions donnees aux
amhassadeurs et ministres en France depuis les traites
de Westfalie jusj/a'ü la revolution Frangaise. Es muls
freilich als ein f'Jbelstand bezeichnet werden, dals diese
Sammlung nicht die Berichte der Gesandten, sondern nur
die Instruktionen für dieselben enthält, denn so sehr
gerade die ministeriellen Erlasse geeignet sind, den Leser
in das Studium (h.'r französischen Politik einzuführen, so
liegt doch auf der Hand, dals in diesem beschränkten
Rahmen die Beziehungen Erankreichs zu den ülirigtMi
Staatsmächten nur in den äulsersten Umrissen zur An-
schauung gebracht werden können. Trotzdem wird Jeder,
der seine Eorschungen der Geschichte des 17. und 18.
118 Paul Hassel:
Jahrhunderts zuwendet, die mannigfaltigen Aufschlüsse,
welche diese Quelleusammlung darbietet, mit Dank ent-
gegennehmen und den Wunsch hegen, dafs der Vorgang
der französischen Eegierung bei anderen Staaten Nach-
ahmung finden möge.
In dem genannten Pariser Archive liegt nun auch
eine stattliche Reihe von Schriftstücken vor, die aus-
scliliefslich aus den politischen Verhandlungen mit Sach-
sen entstanden sind. Die Abteilung „Saxe'- umfalst den
Zeitraum vom 16. Jahrhundert bis zum Jahre 1815 und
besteht im ganzen aus einigen achtzig Bänden, von denen
elf auf die Jahre 1648 bis 1683 entfallen.
Diese letztgenannte Aktengruppe, über die wohl
noch niemals die Hand eines deutschen Forschers gekom-
men sein mag, hat neuerdings einem jungen französischen
Gelehrten, Bertrand Auerbach, den Hauptstofi' für eine
eingehende Studie über die Beziehungen Frankreichs zu
Sachsen in der Zeit von 1648 bis 1680 geliefert^). Der
Verfasser ist aufserdem mit Erfolg bemüht gewesen, seine
geschichtlichen Kenntnisse durch umfangreiche Studien in
dem Dresdner Hauptstaatsarchive zu erweitern und sich
mit der deutschen Litteratur vollkommen vertraut zu
machen : selbst die zahlreichen in Zeitschriften zerstreuten
Abhandlungen und Spezialuntersuchungen sind von ihm
gewissenhaft zu Kate gezogen worden.
Ist es schon an sich eine erfreuliche Erscheinung,
wenn ein ausländischer Forscher, von wirklich wissen-
schaftlichem Interesse angeregt, sich mit dem Studium
deutscher Geschichte befalst, so verdient die iVrbeit
Auerbachs noch in erhöhtem Mafse die Anerkennung der
Kritik um deswillen, weil sie mit eingehender Kenntnis
der Quellen eine vorurteilslose Auffassung der politischen
Dinge verbindet, wie sie französischen Gelehrten nicht
gerade häufig eigen zu sein pflegt.
Man Avird nicht gerade behaupten können, dals es
eine dankbare Episode deutscher Geschichte sei, die der
Verfasser sich zum Vorwurf gewählt hat. Allein bei
o^
näherer Betrachtung erweist sie sich doch durch die
^ö
historisch-politischen Betrachtungen, zu denen sie Anlals
^) La diplomatie francaise et la Cour de Saxe (1648 — 1680)
par Bertrand Auerbach, Docteur es lettres, Maitre de confereuces
ä la Faculte des Lettres de Naucv. Paris. Hachette et Cie. 1888.
XXIV, 491 pp. 80,
Zur Politik Sachsens 1648—1680. 119
giebt , als Iruchtbar und lehrreich genug, um ein allge-
meines Interesse anzuregen. Denn abgesehen davon, dals
es immer wieder der Mühe verlohnt, sich die Verhält-
nisse zu vergegenwärtigen, die den vorwaltenden Einfluls
der fremden Mächte in Deutschland seit der Mitte des
17. Jahrhunderts herbeiführten, so bringt der Verfasser
gar manche Vorgänge der sächsischen Geschichte zur
Sprache, die in der vaterländischen Geschichtsschreibung
bisher kamii eine Erwähnung, geschweige denn eine ab-
schlieisende Beurteilung gefunden haben.
Nach einer Einleitung, welche die wesentlichsten
Momente der territorialen Entwickelung Kursachsens seit
dem Anfang des 16. Jahrhunderts schildert, geht die
Darstellung zu den Verhandlungen des Friedenskongresses
von Osnabrück und Münster und der Neuordnung des
deutschen Reiches über. Namentlich bildet das Ver-
halten des Kuifürsten Johann Georg I. den Gegenstand
der Kritik des Verfassers, die denn freilich nicht zu
Gunsten des Km^fürsten ausfällt. Jeder, der den inneren
Zusammenhang der religiösen und politischen Motive des
grolsen Kampfes der dreilsig Jahre ins Auge faist, wird
sich zu der Ansicht hinneigen müssen, dals vornehmlich
in der ersten Epoche des Krieges, dem Zeitabschnitt
zwischen Ausbruch des böhmischen Aufstandes und dem
Prager Frieden vom 30. Mai 1635, der Gang der Er-
eignisse mehr als einmal günstige Aussichten für die Er-
höhung der Macht des Hauses Wettin eröli'nete. Aller-
dings hätte es dazu eines starken und entschlossenen
Willens bei dem Laiidesherrn, der Lossagung von der
seit Kurfürst i^ugust hergebrachten Unterordnung unter
die Interessen. Österreichs und des Bruches mit den
ebenso alten Überlieferungen altlutherisch-konfessioneller
Einseitigkeit bedurft. Als Vormacht des deutschen
Protestantismus, gleicli bereit, die aus dem lutherischen
Avie die aus dem reformierten Kirchen wesen hervorgegange-
nen Staatenbildungen zu schützen, hätte Sachsen die
Führerschaft in dem Kami)fe gegen die kaiserlich -ligui-
stische Partei übernehmen müssen, deren Programm von
Anfang an darauf gerichtet war, durch die Beseitigung
des Religionsfriedens die geschichtlichen und staatsrecht-
lichen Grundlagen der protestantischen Entwickelung zu
vernichten. Diese Aufgabe niclit erkannt zu haben, war
das erste Versäumnis der Politik Joliann Georgs.
Später, als nach der Schlacht bei Nördlingeu die katho-
120 Paul Hassel:
lische Eeaktion noch einmal siegreich ihr Haupt erhob,
hat dann sein xlusscheiden aus dem Bündnis mit Schweden
vornehmlich dazu beigetragen, dafs das Hauptgewicht in
den Entscheidungen des Krieges den auswärtigen Mäch-
ten anheimfiel.
Die Schwächung des Ansehens, welche der Kurstaat
sich selbst durch den Sonderfrieden mit dem Kaiser l)e-
reitete, hat m Verbindung mit den materiellen Verlusten,
von denen Kultur und Wohlstand des Landes betroffen
wurden, die weitere Folge gehabt, dals auch die Teil-
nahme Sachsens an den Friedensverhandlungen sich nur
in sehr engen Schranken bewegen konnte. Nicht mit
Unrecht weist Auerbach (S. 13) darauf hin, dals für die
französische Diplomatie ein Einverständnis mit dem
Dresdner Hofe in gewissem Sinne wohl hätte von Nutzen
sein können, als Gegengewicht gegen die Krone Schweden,
welche die evangelischen Beichsstände ganz und gar
unter ihre Führung genommen hatte und mit Hufe
dieser ansehnlichen, in sich geschlossenen Partei die Ein-
Avirkungen Frankreichs in manchen Fragen des Kongresses
zu überflügeln vermochte. Unzweifelhaft wäre es für die
schAvedische Diktatur in Osnabrück ein empfindlicher
Schlag gewesen, wenn Johann Georg sich entschlossen
hätte, das alte Anrecht seines Staates auf die Leitung
der evangelischen Körperschaft mit Nachdruck zur Gel-
tung zu bringen. Allein Kardinal Mazarin machte nicht
einmal den Versuch einer Annäherung an den Kurfürsten,
weil er überzeugt war, dals jede Bemühung, denselben
für em anderes Parteiinteresse als das des Kaisers zu
gewinnen, vergeblich sein würde. Johann Georg war
unter den Mitgliedern des Kurkollegs und den angesehe-
nen Fürsten des Reiches der einzige, der weder im Ge-
heimen noch öffentlich mit Frankreich unterhandelte, und
man muls ihm nachsagen , dafs er diesem Grundsatz bis
an sein Lebensende treu geblieben ist.
Ohnehin sah sich Frankreich zunächst durch innere
Wirren" verhindert, den Vorgängen in Deutschland seine
Aufmerksamkeit zuzuwenden. Es ist die Zeit der Fronde,
des letzten Kampfes zwischen Königtum und Vasallen,
aus dem die staatliche und nationale Einheit der franzö-
sischen Monarchie siegreich hervorgehen sollte. Weder
bei der Wahl Ferdinands IV. zum römischen König
(31. Mai 1653), noch auf dem Reichstage zu Regensburg
von 1653 auf 1654 vermochte die französische Diplomatie
Zur Politik Sachsens 1648—1680. 121
die Parteiungen unter den deutschen Fürsten zu ihrem
Vorteil zu benutzen. Anders aber gestalteten sich diese
Verhältnisse, als im Verlauf des . spanisch - französischen
Krieges die alte Eivalität zwischen Österreich undFrankreich
wieder zum Ausbruch gelangte. Trotz der Bestimnnmg
des Friedensinstrumentes von Münster, nach welcher
Österreich jeder ferneren Einmischung in den Kampf der
beiden Mächte feierlichst entsagt hatte, liels Kaiser
Ferdinand IIL nicht ab, den Widerstand der Spanier
sowohl in Italien als in den spanischen Niederlanden
zu unterstützen. Wiederholt waren die westlichen Kreise
des Reiches von den kriegerischen Ereignissen in den be-
nachbarten Grenzlanden in Mitleidenschaft gezogen worden.
ISTamentlich unter den rheinischen Fürsten regte sich eine
lel)hafte Milsstimmung über den Vertragsbruch des Kaisers.
An diesem Punkte setzte Mazarin seine Hebel an, indem
er durch diplomatische Unterhandlungen und reichlich ge-
währte Bestechungen die Oppositionspartei der deutschen
Fürsten hi seinen Bannkreis zu ziehen und ihre Führung
zu geAvinnen suchte. Es kam dem Kardinal zu statten,
dals seit dem Feldzug von 1654, durch die Befreiung
von Arras (25. August), zunäclist in den Niederlanden
und bald darauf durch die Verbindung mit dem Herzog
von Modena, Franz II. aus. dem Hause Este (Dezember
1654), auch in Italien das Übergewicht der W^affen sich
auf die Seite Ludwig XIV. neigte. Bei der Mangel-
haftigkeit der Wehrverfassung des deutschen Eeiches,
die für die Sicherheit der Grenzen nicht aufzukommen
vermochte, mulsten die Fürsten des westlichen Deutsch-
lands eifrig darauf bedacht sein, einen Stützpunkt für
ihre Vertheidigung auiserhalb der eigenen Machtsphärc
zu finden. Wie so oft in der vergangenen Zeit unserer
Geschichte führte ein natürlicher Zug der Interessen sie
dahin, sich dem Schutze des Stärkeren anzuvertrauen, in
diesem Falle Frankreichs, dessen Freunds^chaft ihnen die
sicherste Gewähr für den ruhigen Besitz ihrer Staaten
zu geben schien. Der leitende Gesichtspunkt der fran-
zösischen Politik aber war, mit Hilfe Schwedens, das ja
ebenfalls zu den Garanten des westfälischen Kiiedens
gehörte, und der deutschen Fürsten ein Schutz- und
Trutzbündnis gegen ()sterreicli zu stände zu bringen, dessen
Zweck es sein sollte, die Generalgarnut ie des Fricnlcns,
wie num sich ausdrückte, wenn nötig selbst mit CJewalt,
dem Kaiser gegenübei- aufreclitzuerhalten. Die nähei'en
122 Paul Hassel;
Beweise hierfür finden sicli in dem Werke eines neueren
französischen Forschers, A. Cheruel-), dessen Ausführungen
durch die Studien Auerbachs bestätigt und nach mehr
als einer Seite hin ergänzt werden.
Wie die französische Diplomatie damals bemüht war,
in allen Teilen Deutschlands Verbindungen anzuknüpfen,
so hat sie auch am kursächsischen Hofe ihre Netze auszu-
spannen gesuclit. Das vorliegende Buch belehrt uns, dals
Johann Georg JI. schon als Kurprinz mit Ludwig XIV.
und Mazarin in schriftlichem Verkehr stand. Die auch
sonst bekannte Thatsache, daliä der Erbe der sächsischen
Kurwürde sich mit dem politischen System seines Vaters
in Widerspruch befand, war am Hofe von St. Germain
nicht unbemerkt geblieben. Zur Vervollständigung der
Nachrichten, die Auerbach darüber beibringt, wollen wir
auf eine französische Relation vom Regensburger Reichs-
tage hinweisen, in welcher von der entschieden anti-
österreichischen Gesinnung des Kurprinzen die Rede ist^).
Unzufrieden mit der in dem väterlichen Testamente vom
20. Juli 1652 festgesetzten, vom Kaiser bestätigten Tei-
lung der sächsisch-thüringischen Lande, und wohl nicht
ganz frei von der Befürchtung, dals seine Souveränetäts-
rechte durch einen Zusatz zu der letztwilligen Verfügung
seines Vaters noch '\\^eitere Beschränkungen erfahren
könnten , zeigte sich Johann Georg der Jüngere sehr
geneigt, die bereitwilligst dargebotene „Protektion"
Frankreichs anzunehmen. Ein französischer Abgesandter,
Antoine de Lumbre, der im Juni 1655 bei dem Kurfürsten
von Brandenburg beglaubigt wurde , übermittelte dem
sächsischen Kurprinzen die beruhigende Versicherung,
dals der König ihm nötigenfalls zur Behauptung seines
ungeschmälerten Erbfolgerechts behilflich sein werde. In
einem Schreiben an Mazarin vom 1. November 1655
spricht der Prinz dafür seinen Dank aus (S. 42).
Während der Reichsdeputation, die zur Erledigung
aller noch ausstehenden Fragen der Reichsverfassung seit
dem 26. September 1655 in Frankfurt a. M. tagte,., ver-
schärfte sich der Konflikt zwischen Frankreich und Oster-
reich. Der Bevollmächtigte Ludwigs XIV., Gravelle,
-) A. Cheruel, Histoire de France sous le ministere de Ma-
zarin (3 voll, Paris 1882).
•^) Erdmannsdörffer, Urkunden und Aktenstücke zur Ge-
ßchichte des Grofseu Ktufürsteu (Berün 1872) VI, 243.
Ziu- Politik Saclisens 1648—1680. 123
Übergab den versammelten Reichsständen im August 1656
ein Memorial, welches den Klagen des Königs über die
fortgesetzten Friedensverletzungen des Kaisers den scliär-
sten Ausdruck verlieh. Der Kurfürst von Mainz nahm
die Beschwerdeschrift entgegen und stellte sie zur De-
batte. Diese politischen Kämpfe in Frankfurt, Avelche
die Behandlung der Verfassungsangelegenheiten allmählich
ganz in den Hintergrund drängten, warfen auf die letz-
ten Lebenstage des alten Johann Georg einen tiefen
Schatten. Er betrachtete es als eine Verletzung der
kaiserlichen Autorität, dafs die Reichsdeputation das
Verhalten des Kaisers einer Kritik unterwarf Aber der
Standpunkt, den er einnahm, war ein völlig vereinzelter.
Kurpfalz und die geistlichen Kurfürsten standen auf
Seiten Frankreichs ; Friedrich Wilhelm von Brandenburg,
der in dem schwedisch-polnischen Kriege die Partei des
Königs Karl Gustav von Schweden ergriffen hatte, war
im Februar 1656 ein Schutz- und Trutzbündnis mit
Ludwig XIV. eingegangen. Auch die ' Mehrheit der
fürstlichen Stände in der Reichsdeputation bewegte sich
in dem Fahrwasser der französischen Beeinflussung.
Es konnte nicht fehlen, dals diese Umtriebe auch auf
die inneren Angelegenheiten des Reiches ihre Rückwir-
kung ausübten. Als der jugendliche römische König
Ferdinand IV. am 9. Juli 1654 starb, arbeitete Mazarin
mit allen Kräften auf die Ausschlielsung des Hauses Habs-
burg bei der nächsten Königswahl hin, und soviel wenigstens
setzte er durch, dafs die Bemühungen Ferdinand III., die
Nachfolge im Reiche noch während seiner Lebenszeit
seinem zweiten Sohne , dem König Leopold von Ungarn
und Böhmen, zu sichern, vereitelt wurden. Bisher wufste
man nur von zwei Kandidaten, welche Frankreicli als
Gegner Leopolds in Vorschlag brachte, dem Kurfürsten
Ferdinand Maria von Bayern und dem Pfalzgrafen Philipp
Ludwig von Neuburg. Herrn Auerbach verdanken wir die
erste Nachricht darüber, dals das Kabinett von St.Germain
sein Augenmerk noch auf eine dritte Kandidatur riclitete,
die des Kurfürsten Johann Georg IL von Sachsen, wel--
eher am 8. Oktober 1656 seinem Vater in der Regierung
gefolgt war. In dem Pariser Archiv findet sich der Entwurf
einer Instruktion vom 12. November 1656 für den Gouverneur
von Bouillon, Grafen Vagnee, der den Auftrag erhielt, sich
nach Di'esdeu zu begeben, um die Gesinniiiigini des Kur-
fürsten in betreff der Kaiserwahl zu erfurschen, und
124 Paul Hassel:
wenn er bei demselben Gehör für die französisclien Pläne
fand, in der bestimmtesten Weise zu erklären, dals Lud-
wig* Xiy. keine Anstrengung sparen werde, um das
Kaisertum an Sachsen zu bringen : ü n' y a jmint cVeffort,
so lautet die Stelle, auquel Je Bot ne se portät pour
faire ptasser Vempire en sa maison, nämlich an das Haus
der Albertiner.
Freilich folgte dieser Verheilsung ein schwerwiegen-
der Vorbehalt: Johann Georg II. sollte sich verpflichten,
den Übertritt zur katholischen Kirche zu vollziehen
(S. 72). Die französischen Quellen lassen uns im Unge-
wissen darüber, weshalb die Sendung Vagnees unterblieb;
immerhin aber ist es bemerkenswert, dals die Gerüchte
über einen beabsichtigten Glaul^enswechsel des Kurfürsten,
die auch sonst, selbst in den sächsischen Landen, mannig-
fache Erörterungen hervorriefen, von der französischen
Regierung sogar zum Gegenstand einer politischen Kom-
bination erhoben wurden.
Allein Mazarin hatte sich in der Person Johann Georgs
getäuscht. Als das Kaisertum durch den Tod Ferdinand III.
am 2. April 1657 erledigt wurde, und die Notwendigkeit einer
Neuwahl nicht mehr zu umgehen war, zeigte sich sofort,
dals (3sterreich auf keine der Kurstimmen mit grölserer
Sicherheit zählen konnte, als auf die Saclisens. Die
Übernahme des Reichsvikariats in den sächsischen Ge-
bieten während des Interregnums gab der Stellung Jo-
hann Georgs IL noch eine erhöhte Bedeutung. Man kann
geradezu sagen, dals Kursachsen bei der Wahl Leopolds L
eine leitende Rolle gespielt habe. Es ist ein Hauptver-
dienst des vorliegenden Werkes, dieses wichtige Kapitel
sächsischer Geschichte, das bisher noch keine urkundliche
Darstellung gefunden hatte, mit Hilfe der Pariser und
Dresdner Archivalien in allen wesentlichen Punkten auf-
geklärt zu haben. Der gemessene Raum einer kritischen
Besprechung gestattet es nicht, den vielfach verschlungenen
Unterhandlungen, die der Wahl vorhergingen, auf Schritt
und Tritt zu folgen. Wir wollen nur ein Moment hervor-
- heben, das von grolsem Einfluls auf die Haltung der übrigen
Kurfürsten gewesen ist, — die Vereinbarung zwischen
Sachsen und Brandenburg, die in der Absicht eines ge-
meinsamen Vorgehens gegen die Agitationen der französisch
gesinnten Partei des Kurkollegimns getroffen wurde. Un-
mittelbar nach Eröffnung der Wahlverhandlungen, am 5. No-
vember 1657, hatte der Kurfürst von Mainz,imEinverständnis
Zur Politik Sachsens 1648—1680. 125
mit den französischen Gesandten, Herzog von Grammont
und Lionne, dem späteren Minister Ludwigs XIV., den
höchst verfänglichen Antrag gestellt, dals das Kurkolle-
gium den Versuch einer Friedensstiftung zwischen Spanien
und Frankreich machen solle, ehe ziu- Wahl eines neuen
ßeichsoberhauptes geschritten werde. Obwohl sich vor-
hersehen liels, dals hierdurch die Beendigung des Inter-
regnums auf unabsehbare Zeit hinausgeschoben wurde,
erhielt der Antrag die Majorität, da die rheinischen
Kurfürsten keinen sehnlicheren Wunsch hegten, als der
Gefahren des Krieges in den Niederlanden endlich über-
hoben zu werden. In persönlichen Besprechungen auf dem
Schlofs Lichtenburg bei Torgau vereinigten sich nun die
beiden Kurfürsten von Brandenburg und Sachsen dahin,
gegen das Vorgehen der Majorität ihr Veto einzulegen.
Irrtümlicherweise ist in sämtlichen sächsischen Geschichten,
seit Weilse, die Lichtenburger Zusammenkunft in den
Februar 1658 verlegt worden; sie fand, wie Auerbach
richtig bemerkt hat, in den ersten Tagen des De-
zember 1657 statt (S. 97). . Friedrich Wilhelm und Jo-
hann Georg II. kamen überein, den Kurfürsten von Mainz
in einem Gesamtschreiben zur sofortigen Erledigung des
Wahlgeschäftes, ohne Zwischenhandlung mit den fremden
Mächten, aufzufordern. Mit der Aufstellung des Lichten-
burger Programms trat die entscheidende Wendung des
Wahlkampfes von 1658 ein. Kurfürst Ferdinand Maria
von Bayern, der ein viel zu vorsichtiger Recliner war,
um sich auf das Wagnis der ihm dargebotenen Kaiser-
würde einzulassen, machte sogleich mit Sachsen und Bran-
denburg gemeinsame Sache, und unter den geistlichen
Wälllern wurde der Kurfürst von Trier , der wegen
seiner Diözesanrechte im Bistum Metz mit Frankreich
im Streite lag, durch einen Separatvertrag mit Österreich
für dieselbe Partei gewonnen. Nachdem sich so die
Mehrheit der Stimmen auf den König Leopold vereinigt
hatte, lenkten auch die andern Kurfürsten ein, — frei-
lich ohne ihre Verbindung mit Frankreich aufzugeben.
Man ergriff den Ausweg, der Wahlkapitulatioii eine Be-
stimmung einzuverleiben, welche dem künftigen Kaiser
jede Unterstützung der Feinde Ludwigs XIV. Aerbot.
Allerdings wurde dieser Klausel insofern der Charakter
der Gegenseitigkeit gewahrt, als Frankreich das Gleiche
in bezug auf die Feinde des Kaisers und des Reichs
versprach, allein es zeigte sich alsbald , dafs der Vorteil
126 Paul Hassel:
auch diesmal auf selten der Franzosen war. Wenige
Wochen nach der Wahl Leopolds I. (18. Juli) schlössen
die Kurfürsten von Mainz und Köln und eine Anzahl
deutscher Fürsten ein Schutz- und Trutzbündnis mit
Ludwig XIV. ab, die rheinische Allianz vom 18. August
1658, der auch Schweden für seine deutschen Besitzungen
beitrat. (S. 121.)
Es sind mehrfache Versuche gemacht worden, den
kursächsischen Staat in dieses Bündnis hineinzuziehen,
aber Johann Georg verhielt sich ablehnend, weil er wuiste,
dafs die Vereinigung der deutschen Fürsten mit den frem-
den Mächten am Kaiserhofe ungern gesehen wurde. Der
Verfasser sieht den Grund für das Zusammengehen Sachsens
mit Österreich in einem dynastischen Interesse , dem
Wunsch des Kurfürsten, seine Tochter Erdmuthe Sophie
mit dem jungen Kaiser Leopold I. zu vermählen (S. 110.
132). In diplomatischen Schriftstücken jener Zeit, nament-
lich auch in solchen, die von Wien ausgingen, wie die
Schlulsberichte der venezianischen Gesandten, tauchen
wiederholt Andeutungen über diesen Heiratsplan auf*), die
sich jedoch der Prüfung entziehen, da urkundliche Zeug-
nisse dafür bis jetzt nicht vorliegen. Deshalb wird man
auch die Vermutung des Verfassers, dals die Enttäusch-
ung, die Johann Georg in dieser Angelegenheit erfuhr,
ihn zu einem Wechsel seiner Politik veranlalst habe,
nur bedingungsweise annehmen können.
Eine fühlbare Entfremdung zwischen Österreich
und Sachsen trat erst im Jahre 1663 ein , infolge der
Erfurter Fehde. Nimmermehr hätten die sächsischen
Fürsten, denen das Erbschutzrecht über die Metropole
des heiligen ßonifazius zustand, geschehen lassen düifen,
dafs Kurmainz die fast ausschlielslich protestantische
Stadt durch eine beim Kaiser erwirkte Achtsvollstreckung
seiner Landeshoheit unterwarf. Wäre Johann Georg IL
rasch bei der Hand gewesen, hätte er die Stadt zu
ihrem Schutze mit einem Truppenkorps von einigen
hundert Mann besetzt, wie dies drei Jahre später Fried-
rich Wilhelm von Brandenburg mit Magdeburg machte,
so würde sich keine Hand gegen die Einverleibung Erfurts
') Am bestimmtesten in dem Bericht des Battista Nani vom
7. Janiiar 1659, wo von Johann Georg II. behauptet wird: a queste
nozze egli aspira cou grand' impatienza. Fontes lierum Austria-
Ciirum XXVII, 18.
Ziir Politik Sachsens 1648—1680. 127
in das säclisisclie Staatsgebiet geregt haben. Aber es
lag nicht in der Art des Kurfürsten, mit Einsetzung aller
Kraft auf ein bestimmtes Ziel loszugehen ; seine Politik
bestand in einem unsteten Lavieren zwischen den Parteien.
Anfangs bemühte er sich, den Kaiser von einer Intervention
zu Gunsten der Mainzischen Ansprüche zurückzuhalten;
als dann aber dennoch eine kaiserliche Kommission in
Erfurt erschien und den sächsischen Gesandten von
Werthern, der um eine Vermittelung bemüht war, in der
hoffärtigsten Weise von den Verhandlungen ausschlols,
wurde ihm die ganze Angelegenheit derart verleidet, dali-
s
er am 30. November 166b mit Mainz einen Vertrag
Schlots, durch den er die Stadt ihrem Schicksale preis-
gab (156).
Diese Beziehungen zu Mainz sind deshalb noch von
besonderer Wichtigkeit, weil sie die Brücke bildeten, die
Sachsen zu dem französischen Bündnis hinüberleitete.
In dem 1. Bande von Webers Archiv f. d. sächs. Gesch.
(1863) hat Karl Gustav Heibig nach den Materialien
des Hauptstaatsarchivs die diplomatischen Beziehungen
Johann Georg IL zu Frankreich auseinandergesetzt. Im
Vergleich zu dieser aktenmälsigen Darstellung gewinnt
die Behandlung desselben Themas in dem Auerbachschen
Buche durch die Benutzung der französischen Korre-
spondenzen und der gedruckten Litteratur neueren Datums
an Farbe und Leben. Die Anknüpfung und der Fortgang
der diplomatischen Unterhandhingen entfalten sich vor
den Augen des Lesers in vollständigerem Bilde; auch
treten die handelnden Personen deutlicher hervor. Un-
bekannt war bisher, dals die ersten Anträge über eine
Allianz mit Ludwig XIV. von dem kursächsischen Ober-
landbaumeister und Ingenieur Wolf Kaspar von Klengel,
dem der Freiherr ö Byrn in den Mitteil. d. Sächsischen
Altertumsvereins (1872) eine anziehende Lebensskizze
gewidmet hat, im Januar 1(554 nach Paris ülx'rbracht
wurden. Die Eröti'nungen Kiengels lassen keinen Zweifel
darüber, dals die finanziellen Verlegenheiten des kunst-
sinnigen und prachtliebenden Kurfürsten den Haui)tanstols
zu seiner Sendung gaben (S. 132). Trelflich geschildert
ist ferner (S. 160 ff.) die liöchst IVagwürdige Persüidich-
keit jenes Freiherrn Friedrich Ludwig von Ileiffenberg,
der schon bei der Verständigung mit Mainz den Ver-
mittler spielte und später, nachdem er für einige Zeit
in sächsische Dienste übei-nduniirn, die Fäden der Be-
128 Pa^il Hassel:
Ziehungen zu Frankreich in seiner Hand hielt: der echte
Typus der diplomatischen Industrieritter, welche die
Intrigueu der französischen Politik in Deutschland an
ihrem Schleppkleide mit sich zogen.
Allein so fesselnd diese Einzelheiten sind, das Ge-
samturteil, welches schon Heibig über die sächsisch-fran-
zösische Verbindung gefällt hat, wird durch die weiteren
Ausführungen des Verfassers in keinem wesentlichen
Momente umgestaltet. Der Schwerpunkt des am 13. April
1664 zu Regensburg abgeschlossenen Bündnisses lag da-
rin, dals Sachsen sich bereit erklärte, die Interessen
Ludwigs XIV. auf alle Weise, namentlich auch bei den
Beratungen der Reichsversammlungen , zu unterstützen
und dem König Truppeuwerbungen im Bereich des Kur-
staates zu gestatten. Dieselbe Bedingung nahmen auch
die Brüder Johann Georgs II. an, als sie durch die Trak-
tate von Zwickau, 17. September 1665 (S. 190), sich
dem Bündnis beigesellten. Wie verhielt sich dazu nun
aber die Gegenleistung Frankreichs? Aulser der Bewilli-
gung von Subsidien, deren Höhe nicht einmal festgesezt
wurde, enthielt der Vertrag nicht den geringsten greif-
baren Vorteil für das Haus der Albertiner. Zwar leistete
der König Gewähr für die Aufrechterhaltung des west-
fälischen Friedens und' der durch denselben dem sächsi-
schen Staate verbürgten Hechte, allein bei allen Fragen,
die mit dem Friedensinstrument nicht im Zusammenhange
standen, war es ganz in das Belieben des mächtigeren
Kontrahenten gestellt, ob und wie weit er den Interessen
des minder mächtigen Vorschub leisten wollte.
Man begreift vollkommen, dals der Anschluls an
Frankreich im Lande lebhafte Milsbilligung fand. Die
Regierung wurde daher genötigt, sich nach wie vor die
Wege zu anderen Verbindungen offen zu halten, selbst
auf die Gefahr hin, dadurch mit den französischen Ab-
machungen in Widerspruch zu geraten. Bereits im Juni
1664 sehen wir den Kurfürsten durch den Geheimen Rat
von Burkersrode in Wien den Vorschlag eines Fürsten-
bundes unterbreiten, der als Gegengewicht gegen die
rheinische Allianz dienen sollte (S. 169). Im Februar
1665 taucht derselbe Gedanke in etwas veränderter
Fassung auf (S. 184). Nebenher hatte man sehr bald
die Erfahrung zu machen, dals die französische Allianz
im Augenblick , wo man ihrer bedurft hätte , versagte.
Als im Juni 1666 zwischen Brandenburg und Pfalz-Neu-
Zm- Politik Sachsens 1648—1680. 129
burg ein Vergleich über die Teilung der jiilich-klevischen
Lande getroffen wurde, bewarb sich Johann Geoi'g um die
Intervention Frankreichs zui' Wahrung der sächsischen Erb-
rechte, aber seine Bemühungen l)lieben vergeblich (S. 217).
Eine Zeitlang schien es, als ob der Mangel poli-
tischer Erfolge auf anderem Gebiete Ersatz finden
sollte. Der berühmteste Finanzmann seiner Zeit, Colbert,
der es meisterhaft verstand, die ausländischen Verbin-
dungen der Monarchie für die Hebung der wirtschaft-
lichen Kräfte seines Vaterlandes zu verwerten, erkannte
sehr wohl die Vorteile, welche der französischen Industrie
aus der Zufuhr sächsischer Naturerzeugnisse und Roh-
produkte erwachsen konnten (S. 228). Der sächsische
Marmor z. B,, der in den westlichen Kulturlanden zu
groisem Ruhme gelangt war, seitdem die Holländer ihn
bei dem Bau des Amsterdamer Rathauses verwendet
hatten, fand auch am französischen Hof Beifall. Es
wurden ausführliche Verzeichnisse von IMineralien und
anderen Artikeln aufgestellt, deren Export man ins Auge
fafste: Zinn, Kupfer, Blei, Serpentin, Wolle, Hanf, Flachs.
Ein anderes Projekt war die Anfertigung von Geschützen
und von Materialien für die Erbauung französischer
Kriegsschiffe: Modelle solcher Schiffe, die in Sachsen zu-
sammengestellt Avaren, wurden dem König ül)ersandt,
der sich sehr anerkennend darüber aussprach. Als die
ersten Versuche der Fabrikation des Weilsblechs in einem
Hüttenwerke zu Beaumont nicht recht gelingen wollten,
bemühte sich Colbert um die Anwerbung von Bergleuten
aus dem Vogtlande; doch verdient bemerkt zu werden,
dafs die Arbeiter keine Neigung zur Auswanderung nach
Frankreich hatten, weil sie die schimpf liehe Nachrede
ihrer Standesgenossen fürchteten. Alle diese Pläne aber
gerieten ins Stocken, als der Angriff' Ludwig XIV. auf
die spanischen Niederlande die europäische Staatenwelt
von neuem in Unruhe versetzte.
Die leichtfertige Art, mit der Ludwig, gestützt auf
die höchst zweifelhaften Erbansprüche seiner Gemahlin,
den Devolutionskrieg anzettelte, war sehr darnach augc-
tlian, dem sächsischen Kabinott die Gefährlichkeit der
französischen Verbindung zu Gemüte zu führen. Wenn
man trotzdem einen Augenblick schwankte, so lag das
hauptsächlich darin, dals man sich zunächst vergewissoin
wollte, welche Aufnahme der Vorschlag des Königs, über
eine Teilung der künftigen Erl)schaft Spaniens bei (Jstcr-
Neucs Archiv f. S. (1. ii. \. \I. 1. 2. 9
130 I*aul Hassel:
reich finden würde. Man trug sich mit dem Plan, im
Fall einer Verständigung der beiden Mächte die Mitwir-
kung eines sächsischen Truppenkorps anzubieten und da-
für als Gegenpreis die Bestätigung der alten Ansprüche
auf Friesland aus den Zeiten der Herzöge Albrecht und
Georg zu verlangen (S. 246). Als dann aber die raschen
Siege der Franzosen, die Unterwerfung der Festungen
in Flandern , der Kriegspartei in Wien die Oberhand
verschafften, erwachte auch in dem Kurfürsten das Be-
wulstsein, dafs man der französischen Eroberungspolitik,
die das Gleichgewicht der festländischen Staaten zu. zer-
stören drohte, Einhalt thun müsse. Nach der Über-
wältigung der spanischen Niederlande, sagte Johann Georg
einmal zu dem französischen Gesandten Chassau, der seit Fe-
bruar 1667 in Dresden residierte, würde die holländische Re-
publik und dann das deutsche Reich von demselben Lose be-
troffen w^erden ; den Kurfürsten bliebe dann nichts übrig, als
Marschälle des Königs von Frankreich zu w^erden (S. 282).
Der Systemwechsel der sächsischen Politik führte
zunächst zu einer Annäherung an Brandenburg. In
den ersten Tagen des September 1667 trafen die beiden
Kurfürsten in dem Kloster Zinna zusammen und fafsten
dort den Beschluls, in Gemeinschaft mit anderen deut-
schen Fürsten eine „dritte Partie" im Reiche zu bil-
den, deren Aufgabe es sein sollte, durch eine Friedens-
vermittelung bei Spanien und Frankreich weiterem Un-
heil zu steuern. Aber man begnügte sich damit nicht.
Man falste die Möglichkeit eines Milserfolges der Inter-
vention ins Auge und behielt sich vor, zur Wahrung der
Integrität des Reiches , ein Bündnis zu errichten , dem
der Kaiser, Schweden, die Herzöge von Braunschweig
und andere Stände beitreten sollten: ein Gedanke, der
wenige Monate später durch die Triple -Allianz in noch
umfassenderer Weise verwirklicht wurde.
Der Verfasser teilt aus dem Pariser Archive den
französischen Text der Verabredungen von Zinna mit
(S. 286); aber er irrt in der x\ngabe, dals das deutsche
Original sich in den sächsischen Akten nicht vorfinde. Das-
Hauptstaatsarchiv besitzt die Konvention in der Ausferti-
gung der beiden Kurfürsten, in aller Form mit den eigen-
händigen Unterschriften und Siegeln derselben versehen'*).
'') Die Urkunde findet sich in der Aktengrnppe : Zusammen-
künfte, in der III, A1)tlieiluug des Hauptstaatsarchivs, III. 139, 10,
Nr. 38'', fol. 6.
Ziu- Politik Sachsens 1648—1680. ]3l
Immerhin ist es das Verdienst Anerhaclis, den Inlialt der
Konvention zuerst veröffentlicht zu haben, wie er denn
überhaupt in der Lage war, für die diplomatischen Unter-
handlungen, die sich an die Kriege Ijudwig XIV. an-
schlielsen, einen bei weitem umfangreicheren Quellenstoff
zu Rate zu ziehen, als sein Ijerühmter Landsmann
Mignet in dem viel benutzten Buche über die spanische
Erbfolge. Aulser den Depeschen Chassans, die in ununter-
brochener Reihenfolge die Verhältnisse des Dresdner
Hofes von IG67 bis 1674 schildern, gewährten die Berichte
der französischen Gesandten in Wien und Berlin, Gremon-
ville und Milet, eine Fülle von neuen Gesichtspunkten
über die Haltung der deutschen Mächte beim Beginn
jenes Zeitalters, dessen Name von den Kriegen Lud-
mgs XIV. entlehnt ist.
An die ausführliche Darstellung der Begegnung von
Zinna (S. 264—293) reihen sich die Verhandlungen des
Kongresses von Köln a. Rh., auf welchem die Gesandten
der deutschen Fürsten versammelt waren, um die beab-
sichtigte Friedensvermittelung in die Wege zu leiten
(S. 297—318). Der Kongreis entschied sich für eine
Gesandtschaft nach Paris, an der auch Sachsen durch
zwei Abgeordnete, den Geheimen Rat Nikol von Gersdorf
und den Hofmarschall von Kanne, beteiligt war. Die
Deputation fand, als sie am 13. Februar 1668 in der
französischen Hauptstadt eintraf (S. 311), die Sachlage
wesentlich verändert. Am 19. Januar 1668 hatten Öster-
reich und Frankrcüch den geheimen Vertrag über die
künftige Teilung der spanischen Herrschaft vereinbart,
der erst vor wenigen Jahrzehnten ans Tiiclit gekommen
ist, und in denselben Tagen einigten sich im Haag die
drei Mächte Holland, England und Schweden zu einer
bewaffneten Intervention, deren erster Eindruck mächtig
genug war, um den Erobonnigsplänen Frankreichs Schran-
ken zu setzen. Am 2. Mai w urde der Aachener Frieden
geschlossen.
Allein niemand glaubte an einen langen Bestand der
Triple-Allianz. Das Milstrauen der europäischen Staats-
mächte war einmal erweckt; auf allen Seiten beeile rte
man sich, Sicherheitsmafsregeln gegen einen neuen An-
griff Frankreichs zu treffen. Auch der sächsische Hof
blieb nicht untliätig. Am 30. November 1668 unteizeicli-
nete der Herzog .Johann Adolf von Holstein iin Auftr.ige
des Kurlürsten ein Verteidigungsbündnis mit Österreich,
132 Taul Hassel:
das die Franzosen als Echo des Dreibundes bezeiclmeten
(S. 333).
In der Tliat richteten sowohl Schweden als England
Aufforderungen zum Eintritt in den Dreibund an Johann
Georg. Die Verleihung des Hosenbandordens, den Che-
valier Huygens am 13. April 1669 dem Kurfürsten ül)er-
reichte, steht hiermit in Zusammenhang (S. 339). Als
dann durch die Überwältigung Lothringens, Juni 1670,
der Lehnsverband des alten Herzogtums mit dem Keiche
vollends zerrissen und den Franzosen eine neue Angrifis-
linie gegen den Oberrhein eröifnet wurde, erhob die
deutsche Publizistik, unter dem Vorgang von Leibnitz,
nicht umsonst ihre warnende Stimme: eine Anzahl von
deutschen Fürsten, darunter auch Kursachsen, verband
sich im Oktober 1671 zu emer Liga, deren Zweck die
Verteidigung des Reiches war (S. 358).
Aber noch einmal gelang es der französischen Diplo-
matie, die Koalition der Mächte zu sprengen. England und
Schweden standen auf der Seite Frankreichs, als Lud-
wig XIV. im Frühjahr 1672 den Eachekrieg gegen
Holland begann. In Wien schürte die Jesuitenpartei,
die soviel Unheil über die Regierung Leopold I. gebracht
hat, den Hals gegen die protestantische Haudelsrepublik :
der Kaiser schlols einen Neutralitätsvertrag, in welchem
freilich die Unverletzbarkeit der deutschen Grenzen zur
Bedingung gemacht war. Bei einem Besuch, den Joliann
Georg II. am 24. März 1672 in Potsdam abstattete,
suchte Friedrich AVilhelm von Brandenburg seinen Mit-
kurfürsten zu überzeugen, dals die Bundesgenossenschaft
mit Holland das einzige Mittel sei, um dem Übergewicht
Frankreichs vorzubeugen (S. 367). Johann Georg ver-
kannte die Gefahren, die dem europäischen Staatensj^stem
drohten, keineswegs, aber er hielt an der Meinung fest,
dals ohne die Teilnahme der grolsen Staatsmächte der
Kampf aussichtslos sei. Dagegen war er sehr geneigt,
die Politik Österreichs zu unterstützen, die, Avie bemerkt,
die Aufrechthaltung der Neutralität des Reichs nicht aus
dem Auge verlor. Am 28. August 1672 trafen beide
Staaten eine Übereinkunft, welche die Garantie des
westfälischen und des Aachener Friedens zum Gegen-
stand hatte (S. 372) und durch welche Sachsen sich
verpflichtete, ein Truppenkorps von 3000 Mann zur gegen-
seitigen Verteidigung auszurüsten. Das Vorrücken der
Armee Türennes gegen den Niederrhein bewies, dals
Ziu' Politik Sachsens 1648—1680. 133
Frankreicli nicht länger gewillt sei, auf die Neutralität
des Reiches Rücksicht zu nehmen. Während ein öster-
reichisches Heer von 24000 Mann unter Montecuculi sich
mit den Brandenhurgern im westfälischen Kreise ver-
einigte, Schlots Johann Georg mit dem Kaiser am
1. März 1673 (nicht am 8. März, wie S. 386 zu lesen
ist) einen zweiten A^ertrag, der die Mitwirkung Sachsens
in Aussicht stellte, falls bis Ende Mai nicht ein all-
seitiger Friedensschluls zu stände gekommen wäre.
Der Rheinfeldzug nahm, wie Ijekannt, einen sehr
unglücklichen Verlauf für die deutschen Verbündeten.
Von der llberlegenheit der Franzosen in seinen eigenen
Staaten bedroht, sah Brandenburg sich zu dem Separat-
frieden von Vossem gezwungen (6. Juni) : die Österreicher
traten den Rückzug an. xlber auch der Widerstand der
übrigen Mächte regte sich aufs neue. Spanien, Lothringen
und der Kaiser traten im August 1673 zu einem AVa.ffen-
bündnis zusammen. Ein wohlgerüstetes österreichisches
Heer versammelte sich bei Eger, wo am 20. August auch
Johann Georg erschien, um sein Kontingent den kaiser-
lichen Fahnen zuzuführen. Kaum nach Dresden zurück-
gekehrt, sah der Kurfürst sich von dem Wettstreit der
Gesandten Frankreichs und Schwedens umringt, die ihn
*o'
der Koalition abwendig machen wollten. Aber Johann
'o
Georg zeigte diesmal mehr Festigkeit als sonst: die
langatmigen Vorstellungen Ohassans fertigte er mit dem
Bescheide ab, dals er keines Lehrmeisters bedürfe:
..qu'ü navait pas bcsoin de pröceptenr" TS. 391).
Der Anteil der sächsischen Truppen an der Rhein-
kanipagne von 1674 ist so oft dargestellt worden, dals
wir hier nicht darauf zurückzukommen br^iuchen Nach-
dem die Sachsen am 15. März den Rhein überschritten,
und gleich in dem ersten Gefecht bei Maudach unweit
Frankenthal, am 24. März, Proben ilirer oft bewährten
Tapferkeit abgelegt hatten, sah Ludwig XIV. (ün, dals
die Position am Dresdner Hofe einstweilen aufgegeben
werden müsse. Am 14. Apiil wurde Chassan abl)erufen
(S. 3.57).
Die Gründe, die den Eifer Sachsens für den Reiclis-
krieg gleich nach den ersten Waftengängen erkalten
liefsen, sind schon von Heibig angedeutet worden. Dii;
Uneinigkeit in der obersten Heeresführung bereitete den
vereinigten Truppen trotz der Teilnahme Brandcnbui-gs
neue Niederlageu. Dazu kam die Gefalir eines feind-
134 I*aul Hassel:
liehen Aiigriffs, von dem Obersaclisen bedroht wurde,
seitdem im Dezember 1674 die schwedische Armee unter
dem Generalfeldherrn Wrangel aus Vorpommern in die
Mark Brandenburg eingerückt war. Die geheimen Ver-
handlungen zwischen Frankreich und Schweden, die zu
dieser Diversion führten, habe ich an anderer Stelle, hi
der „Festschrift zum zweihundertjährigen Gedenktage
der Schlacht von Fehrbellin" (Berlin 1875) eingehender
behandelt: der Grundgedanke der Intrigue war, durch
einen Gewaltstreich gegen Brandenburg den Kurfürsten
Friedrich Wilhelm zum Abfall von der Koalition zu be-
wegen. Aulserdera rechnete Ludwig XIV. darauf, dals
die Drangsale, welche die Mark durch die schwedische
Okkupation zu erdulden hatte, für die übrigen Fürsten
Norddeutschlands eine Warnung sein und ihnen vollends
alle Lust an der Fortsetzung des Reichskrieges benehmen
werde. Auf die Nachricht von dem Vorrücken der
Schweden entsandte Johann Georg IL am 7. Februar 1675
den Kammerherrn und Hofrat Friedrich von Kospoth
in das brandenburgische Hauptquartier, das in Schwein-
furt stand, und riet dem Kurfürsten zu einem Vergleich
mit Schweden (S. 419). Der hergebrachten Auffassung
folgend, sieht Auerbach hierin den Beweis der Eifersucht,
die man der wachsenden Macht Brandenburgs gegenüber am
Dresdner Hofe empfunden habe. Allein bei unparteiischer
Erwägung der Dinge wird das Urteil doch dahin aus-
fallen müssen, dals eine andere Haltung Sachsens im da-
maligen Augenblick kaum möglich war. Die eigene
Truppenmacht des Kurfürsten befand sich mit dem Kon-
tingent des obersächsischen Kreises in weit entlegenen
Winterquartieren: jede feindliche Demonstration würde
einen hoffnungslosen Kampf mit der überlegenen Kiiegs-
macht der Schweden zur Folge gehabt haben. Dies Avar
nicht nur die einstimmige Ansicht des obersächsischen
Kreises, der auf einer Versammlung in Leipzig am
5. März 1675 in aller Form dem Kurfürsten Johann Georg
die Vermittelung bei Schweden und Brandenburg übertrug,
sondern auch der Kaiser sprach sich für die diplomatische
Intervention Sachsens aus. Man wufi^te in Wien von der
Sendung Kospoths und billigte sie vollkommen, weil man
dort nichts sehnlicher wünschte, als den Ausbruch der
Feindseligkeiten zwischen beiden Mäcliten zu verhüten.
Der glänzende Sieg, den Friedrich Wilhelm am 18. Juni
1675 über die SchAveden erfocht, kam der Friedenspartei
Zur Politik Sachsens 1648-1680. 135
höchst unerwartet, denn niemand hatte geglaubt, dais der
Brandenburger mit seinen wenigen Tausend Mann dem
dreimal stärkeren Gegner werde standhalten können.
Unter dem Eindruck der gewonnenen Schlacht ermannte
sich der Reichstag von Regensburg am 18. Juli 1675 zu
einer Kriegserklärung gegen Karl XI. von Schweden.
Um so eifriger waren die Emissäre des Königs, welche
das Reich überschwemmten, darauf bedacht, die Verbin-
dung mit denjenigen Fürsten festzuhalten, welche sich
bereit zeigten, für die rasche Beendigung des Krieges
zu wirken. Als Johann Georg Ende August seinem
Bruder August, dem xldministrator von Magdeburg, einen
Besuch in Halle abstattete, stellte sich der Gouverneur
von Bremen, Esaias Pufendorf , mit einem Handschreiben
seines Souveräns ein und bat unter eindringlichen Vor-
stellungen um Fortsetzung der Friedensvermittelung bei
Brandenburg (S. 423). Johann Georg gerieth hierdurch
in eine eigentümliche Lage. Infolge des Reichsbeschlusses
hatte er sich, obwohl widerstrebend und erst auf wieder-
holte Aufforderungen Leopolds I., damit einverstanden er-
klärt, zwei seiner Regimenter, die Dragoner des Frei-
herrn von Maltzahn und die Musketiere des Freiherrn
von Degenfeld, 500 Reiter und 1000 Mann zu Fuls, zu dem
österreichischen Truppenkorps stofsen zu lassen, welches
unter dem General Cob mit dem Grolsen Kurfürsten in
dem Gebiete zwischen Oder und Weser gegen die Schweden
operieren sollte. Die Musterung dieser Truppen konnte
jedoch erst im September erfolgen, und aufserdem hatte
der Kurfürst, um den Schein einer direkten Beteiligung
an dem Kriege zu vermeiden, die Bedingung gestellt,
dals jene beiden Regimenter in Dienst und Sold des
Kaisers übergingen. Der Antrag Pufendorfs fand bei
Johann Georg günstige Aufnahme; aber unter den Mit-
gliedern des Geheimen Rates machte sich eine andere
Anschauung geltend. Der Vorsitzende dieser obersten Be-
hörde, Freiherr Heinrich von Friesen auf Rötha, der von
A nfang an ein Widersacher der Bündnisse mit den fremden
Mächten gewesen war, wies in einer Denkschrift darauf
hin, dals man zunächst die Ansicht des Kaisers einholen
müsse, ehe man sich auf die Vermittlerrolle einlasse. Sein
Ratschlag drang durch: am 24. September wurde Nikol
von Gersdorf nach Wien geschickt. Hier aber hatten
die militärischen und politischen Gesichtspunkte seit dem
Frühjahr einen Umschwung erfahren. Durch die glück-
136 Pfi^^l Hassel:
liehen Gefechte bei Salsbach, 27. Juli 1675, wo Tureniie
seinem Schicksale erlag' , und an der Konzer Brücke,
11. August, wo Marschall Crequi in die Gefangenschaft
des alten Lothringers fiel, waren die Siegeshoffnungen
der Verbündeten neu belebt worden. Leopold I. trug
Bedenken, den Separatverhandlnngen Sachsens freien
Spielraum zu gewähren; er betrachtete die Auseinander-
setzung zwischen Brandenburg und Schweden als eine
Frage, die nur in Verbindung mit den Festsetzungen des
allgemeinen Friedens, also vor dem Forum des künftigen
Kongresses, entschieden werden könne.
Ein Ereignis von rein lokaler Bedeutung, das in
dem grolsen Zusammenhang der kriegerischen Begeben-
heiten kaum bemerkt worden ist, bewirkte schlielslich,
dals das sächsische Kabinett, trotz des Bescheides aus
Wien, mit vollen Segeln auf die Begründung einer neu-
tralen Mittelpartei oder, wie man damals sagte, einer
„dritten Partei" im Reiche, lossteuerte. AVährend der
Winterruhe von 1675 auf 76 hatten brandenburgische
Truppen sich mehrere Grenzverletzungen in dem sächsi-
schen Territorium und im Erzstifte Magdeburg zu Schul-
den kommen lassen. Johann Georg sah hierin eine Ver-
gewaltigung seines Staates und seines Hauses. Von der
Albrechtsburg in Meifsen aus, wo er sich gerade aufhielt,
richtete er am 17. Januar 1676 ein eigenhändiges
Schreiben an den Geheimen Rat, in welchem er seinem
Unmut energischen Ausdruck gab und die Absicht an-
kündigte, ernste Maisregeln gegen derartige Verletzungen
der Reichsverfassung zu ergreifen. Schon seit längerer Zeit
stand man in lebhaftem Schriftwechsel mit dem Kurfürsten
Ferdinand Maria von Bayern, der dem Gedanken einer
Vereinigung der Mittelstaaten zur Aufrechterlialtung der
Neutralität in dem allgemeinen Kampf der europäischen
Mächte zuerst Ausdruck gegeben hatte. Bisher waren
die bayerischen Vorschläge, bei deren Übermittelung der
schwedische Gesandte Pufendorf den Unterhändler spielte,
sächsischerseits ziendich kühl aufgenommen worden ; jetzt
aber reifte der Entschluls, zu weiteren Abmachungen mit
Bayern zu schreiten.
Die unmittelbare Folge davon war, dals auf dem
Umwege über München die Beziehungen zwischen Sachsen
und Frankreich wieder angeknüpft wurden. Wie sich
denken läist, war Ludwig XIV. sehr geneigt, die selb-
ständigen Regungen der deutschen Mittelpartei zu unter-
Zur Politik Sachsens 1648-1680. 137
stützen, soweit sein Vorteil mit dem ihrigen Hand in
Hand ging (S. 425). Der Vertreter des Königs in Mün-
chen, de la Haye Vantelet "), war beauftragt, auf eine
Verständigung mit Bayern und Sachsen hinzuarbeiten,
bei der zu gleicher Zeit auch die Interessen Schwedens
mit berücksichtigt werden sollten. Die Berichte dieses
Gesandten haben Auerbach vorgelegen: sie gewähren
einen vollständigeren Einblick in die sächsisch-bayerischen
Verhandlungen, als ihn Heibig zu geben vermochte, der
nur die Quellen des Hauptstaatsarchivs, und auch diese
nur fragmentarisch, benutzt hat. Von besonderem Inter-
esse ist es, zu erfahren, dafs die Bedingungen über den
Abschluls ehies französischen Bündnisses mit Sachsen,
die Heibig (v. AVebers xlrchiv I, 304) mitteilt, der eigenen
Initiative Ludwig XIV. entstammen: sie wurden mit
einem Memoire vom 20. Februar 1677 dem baj^erischen
Agenten in Paris zur Weiterbeförderung übergeben (S.436).
Das Wesentliche der Forderungen war, dals Sachsen sich
verpflichten sollte, seine Truppen von den Heeren der
Feinde Frankreichs und Schwedens zurückzuziehen, die
strengste Neutralität zu beobachten und im Verein mit
Bayern für die Wiederherstellung des Friedens zu wirken.
Natürlich sah man ein, dals es zur Aufrechterhaltung
der Neutralität einer Heeresmacht bedürfe; für den
Unterhalt derselben wollte Frankreich mit seinen Hilfs-
geldern einstehen, sobald das Bündnis zwischen Bayern
und Sachsen zustande gekommen sein würde.
Wir übergehen die langwierigen, weit ausgesponnenen
Verhandlungen, die endlich am 1. Mai 1678 zur Verein-
barung der sächsisch-bayerischen Union führten (S. 444).
In dem Hauptvertrag vereinigten sich die beiden Staaten,
auf den Reichskonventen ihren Einflufs dahin geltend
zu machen, dafs fortan das deutsche Reich von allen
fremden Händeln eximiert bleibe. Sie wollten niemandem
Durchzug oder Einquartierung in ihren Gebieten gestatt(!n
und zum Zwecke der Behauptung ihrer Neutralität ein
Heer von 20000 Mann in Bereitschaft halten. Da im
übrigen die Allianz „zu keines Menschen Oflfension ge-
reichen sollte", wurde sowohl dem Kaiser als den benach-
barten Fürsten, namentlich denen in Ober- und Nieder-
") Eine Instruction iTii' ihn aus dem Februar 1675 bringt der
von Andre Lebon benmsi^eycbcin! YIl. Band des Recueil des in-
structious etc. (l'aris 1889) S. 41 Üg.
138 Paul Hassel:
Sachsen, der Beitritt zu dem Bündnis vorbehalten. Bis
hiei'her trug die Übereinkunft einen rein defensiven
Charakter; in den geheimen Artikeln dagegen, die in
einen Nebenvertrag verwiesen waren, treten doch noch
ganz andere Tendenzen hervor. Wenn trotz alles an-
gewandten Fleilses — so heilst es hier — die fried-
liche Beilegung des Krieges nicht zu erreichen sei, die
vorher einzuleitende Vermittelung ohne Erfolg bleiben
sollte, so seien die verbündeten Mächte gewillt, die
Waffen zu ergreifen, um die Widerstrebenden „zu einem
anständigen Frieden zu bringen".
Es versteht sich von selbst, dals ein Eingreifen in
die kriegerische Aktion, wie sie hier als Möglichkeit hin-
gestellt wurde, nur denkbar war unter der Voraussetzung
thatkräftiger Unterstützung von selten der fremden
Mächte. Johann Georg hatte bei dem Abschlufs mit
Bayern geradezu den Vorbehalt gemacht, dals er nicht
eher zur Ausrüstung seines Hilfskorps schreiten werde,
als bis er von Frankreich ein endgiltiges Versprechen
über die Subsidien erhalten habe. Hiermit hängt auf
das Engste zusammen, dals die Intervention der deutschen
Mittelstaaten jede Bedeutung verlieren mulste, sobald
die allgemeinen Verhältnisse Europas eine Wendung
nahmen, die ihre Mitwirkung entbehrlich machte. Und
dieser Fall trat ein, gerade in dem Augenblick, da die
Übereinkunft zwischen Sachsen und Bayern ins Reine
gebracht worden war. Unter Vermittelung Karl II. von
England liels die holländische Republik sich herbei, dem
französischen Kabinett mit Friedensanerbietungen zu nahen.
Ludwig XIV. ging darauf ein, in der festen Zuversicht,
dals sein dem Kongreis von Nymwegen gestelltes Ulti-
matum nicht nur bei den Gleneralstaaten Annahme finden,
sondern dals auch die übrigen Mitglieder der Koalition
sich beeilen würden, dem Beispiel Hollands zu folgen.
Nachdem die Dinge einmal so weit gediehen waren,
glaubte er des Beistandes der deutschen Fürsten ent-
raten zu können, zumal die bisherigen Erfahrungen ihn
hinreichend darüber belehrt hatten,., dals von dieser Seite
ein energisches Auftreten gegen Österreich nimmermehr
zu erwarten sei. Johann Georg hat sich darüber klar
und bündig ausgesprochen in einer eigenhändigen Nieder-
schrift, die er am 12. April 1678 in dem Schlosse Freuden-
stein bei Freiberg verfalste, und die man in der religiösen
Feierlichkeit, mit der sie die Gedanken des Kurfürsten
Zur Politik Sachsens 1648—1680. 139
vorträgt, wohl als sein politisches Glaiibensbekenntiiis
hezeiclmen darf. Er bekennt sich darin zn dem Eiit-
schluls, seine Staaten und die seiner Brüder vor jeder
Gewaltthat zu schützen; aber er erklärt ebenso bestimmt,
dals er als getreuer Kurfürst niemals dem Kaiser mit
offenem Widerstände entgegentreten werde (Auerbach
S. 442. Heibig I, 307). Alle Anzeichen sprechen dafür,
dals dem österreichischen Gesandten in Dresden, Otto
Abt zu Banz, von dieser fürstlichen Meinungsäulserung
Kenntnis gegeben wurde.
Unter diesen Umständen ist es sehr begreiflich, dals
der sächsische Bevollmächtigte, Geheimer Sekretär
Christoph Daniel Findekeller, der nach Paris abgefertigt
worden war, um in direkter Verhandlung mit dem fran-
zösischen Kabinett die Frage der Hilfsgelder zu erledigen,
unverrichteter Sache zurückkehrte (S. 447). In den Tagen,
in denen ihm seine Eekreditive ausgehändigt wurden,
12. September 1678, vereinbarte auch die spanische Re-
gierung den Frieden mit Ludwig XIV.
Es wäre zuviel gesagt, wenn man beliaupten wollte,
dals die Bestrebungen Sachsens und Bayerns, denen sich
liald noch andere Reichsstände , wie Kurpfalz und die
welüschen Fürsten, anschlössen, für den Beitritt Öster-
reichs zu den Traktaten von Nymwegen den Ausschlag
gegeben hätten. Aber ohne Eintluis auf die Entscheidung
des AViener Hofes blieben sie nicht. Das Drängen der
Friedenspartei bot dem Kaiser einen erwünschten Vor-
wand, sich aus dem Kriege mit Frankreich und Schweden
herauszuziehen, und den Hauptteil der moralischen Schuld
auf die Fürsten des Reiches zu Avälzen, die ihn gezwungen
hätten, seine bisherigen Bundesgenossen, Brandenburg und
Dänemark, im Stich zu lassen. Johann Georg hatte einen
anderen Ausgang der Dinge weder erwartet noch erstrebt.
Es war lediglich auf seine eigene Initiative zurückzu-
führen, dals im Januar 1679 der Geheime Rat Christian
von Kiengel in höchst vertraulicher Sendung an Leo])old I.
abgefertigt wurde, um den gleichzeitigen Abschluls des
Friedens mit Frankreich und Schweden dringend zu be-
fürworten : selbst den Geheimen Räten wurden die
Weisungen Kiengels erst bekannt, als dieser sich bereits
auf dem Wege nach Wien befand.
Es zeigte sich, dals ihre Ansicht von der ihres Ge-
bieters wesentlich verschieden war. Der sächsische Hof
kannte die Friedensforderungen Frankreichs, lange bevor
140 Paul Hassel:
die Annalime derselben durch Österreich erfolgte. Lud-
wig XIV. verlangte die Aufrechterhaltung des Status
quo, den der westfälische Friede geschaffen hatte, und
infolgedessen die Wiederherstellung der schwedischen
Macht in den ihr durch die Siege des Kurfürsten von
Brandenburg entrissenen Besitzungen zwischen Weser
und Oder. Der König war entschlossen, die Vollstreckung
des Friedens selbst in die Hand zu nehmen; deshalb
stellte er dem Kaiser das höchst gewaltthätige Ansinnen,
den französischen Truppen freien Pais durch das Reich
zu bewilligen, um diejenigen ßeichsstände, die sich wider-
setzen würden, zur Unterwerfung unter die Friedens-
gebote zu zwingen. Die Gefahr, welche in diesen For-
derungen lag, entging den sächsischen Räten nicht. Sie
betrachteten es geradezu als eine Sache des Gewissens,
„in schwerer Pflicht, Treue, Devotion und Lie1)e", dem
Kurfürsten vorzustellen, wie es in keinem Falle die Auf-
gabe seiner diplomatischen Vermittelung sein dürfe, den
Kaiser zu einem einseitigen Friedensschluls mit Frankreich
und SchAveden zu treiben, bevor nicht dui'ch eine von allen
Seiten anerkannte Übereinkunft auch der Konflikt der
Nordmächte durch einen friedlichen Vergleich seine Er-
ledigung gefunden habe. Kein Separatfriede, sondern
ein allgemeiner Friede, der jede weitere Exekution aus-
schlielst — das ist die Losung der beiden Denkschriften,
welche sie im Januar 1679 ihrem Herrn überreichten. Die
Räte sind weit entfernt davon, die Partei Brandenburgs
zu ergreifen ; die Entschädigungsansprüche Friedrich Wil-
helms, die sich bekanntlich auf die Abtretung Vorpommerns
und der Odermündungen mit Stettin erstreckten, werden
mit keinem Wort erwähnt; aber sie treten ebensowenig
für die unbedingte Restitution der Krone Schweden ein,
ihre Meinung ist vielmehr, dals jede der kriegführenden
Mächte sich zu einigen Zugeständnissen herbeilassen
müsse. Den Schlulspunkt ihrer Beweisführung bildet der
Satz , dals die bewaffnete Einmischung Frankreichs in
den Kampf der Nordmächte das grölste Unheil sei, von
dem das Reich betroffen werden könne. Denn was solle
daraus werden, „wenn ein auswärtiger siegreicher Poten-
tat das völlige arhitrium belli et pacis durch ganz Deutsch-
land überkomme und seinen Dominat von einem Ende
des Reiches bis an das andere, ja bis an die Ostsee stabi-
liere". Es deckt sich nicht ganz mit den politischen
Anschauungen des siebzehnten Jahrhunderts, wenn Auer-
Zur Politik Sachsens 1648—1680. 141
bach bei Besprechung- der Gutachten des Geheimen Kates
die sächsischen Staatsmänner als die Vertreter des
nationalen Gedankens hinstellt (dans les remontrances
des ministres se reflefaient les tendances du parti natio7ial)
(S. 456). In erster Linie war es ihnen um die Sicher-
heit des eigenen Staates zu thun, die ernstlich gefährdet
erschien, wenn durch die Verwirklichung der Pläne Lud-
wig XIV. der Schauplatz des Krieges nach Norddeutsch-
land verlegt wurde. Immerhin wird man anerkennen
müssen, dals die Eatschläge, die sie von ihrem partiku-
laren Standpunkt aus erteilten, mit den allgemeinen In-
teressen des Reiches vollkommen übereinstimmten. Die
freimütige Sprache der Räte blieb nicht ohne Eindruck
auf den Kurfürsten. Mit seiner Genehmigung wm-de für
den Gesandten in Wien eine veränderte Instruktion im
Sinne der vorgetragenen Bedenken ausgefertigt.
Aber schon Avar das Unvermeidliche geschehen. Am
5. Februar 1679 hatte der Kaiser seinen Separatfrieden
mit Frankreich und Tags darauf auch den mit Schweden
geschlossen. Die Lösung der europäischen Krisis ist all-
bekannt: durch das Einrücken französischer Truppen in
die Rhemisch -Westfälischen Lande sah sich der Kurfürst
von Brandenburg genötigt, die Waffen aus der Hand zu
legen und die Bedingungen des Kongresses anzunehmen.
Am spätesten unterwarf sich Dänemark. Bei den diplo-
matischen Auseinandersetzungen zwischen diesem Staat
und Schweden, aus denen der Friedensschluls von Lund
(26. September 1679) hervorging, leistete dem französi-
schen Unterhändler Feuquieres als sächsischer Bevoll-
mächtigter Nikol von Gersdorf ausdauernden Beistand
(S. 463).
Bis zum letzten Augenblick also blieb Johann
Georg IL seiner Vermittlungspolitik getreu; aber dals sein
Staat davon Vorteil gehabt habe, wird niemand behaupten
können. Dafür, dals Sachsen sich noch zuletzt den Dank
Frankreichs erwarb, verlor es bei seinem nächsten Nach-
bar, Brandenburg, viel von dem alten Vertrauen; während
es die Aufgabe einer einsichtsvollen Politik hätte sein
müssen, in Gemeinschaft mit der emporkommenden Mili-
tärmacht des brandenburgisch-preulsischen Staates wenig-
stens die norddeutsche Volksgrenze den Eingriffen der
fremden Mächte zu verschlielsen. Die Schonung, die man
damals den Schweden angedeihen liefs, hat sich in den
Kriegen Karls XII. gerade an Sachsen bitter gerächt !
142 Paul Hassel:
Für den Augenblick aber war das Schlimmste, dals
nach sechsjährigem Kampfe ein Frieden geschlossen
wurde, der das Gl-efühl der Unsicherheit nur verschärfte.
Die dominierende Stellung, die Frankreich sowohl durch
das Übergewicht der Waffen, als durch die Führung des
Kongresses errungen hatte, brachte den deutschen Fürsten
die Unzulänglichkeit ihrer Macht erst recht zum Bewulst-
sein. Von allen Seiten beeilte man sich, um das Bündnis
Ludwigs XIV. zu werben. Am 14. Juni 1679 erschien
als sächsischer Vertreter der Kannnerherr Hof- und
Justizrat Georg Dietrich von Wolframsdorf in Paris
(S. 472). Seine Absendung war von dem Kurfürsten
ohne Zuziehung der Räte verfügt worden, in dem Augen-
blick, wo die französische Armee zum Angriff auf die
brandenburgischen Gebiete am Rhein vorging. Johann
Georg glaubte das Zerwürfnis der beiden Mächte be-
nutzen zu düifen, um die alten niemals aufgegebenen
Ansprüche des Wettiner Hauses an die jülichsche Erb-
schaft bei Frankreich in Erinnerung zu brmgen. Auch
in der Angelegenheit des Erzbistums Magdeburg, dessen
Übergang an Brandenburg nach dem Absterben des
jetzigen Administrators der westfälische Friede bestimmt
hatte, bat der Kurfürst um die guten Dienste des Königs :
er hoffte noch immer mit Hilfe Frankreichs diesen Ver-
lust von seinem Hause abwenden zu können. Allein die
Aussöhnung Ludwig XIV. und Friedrich Wilhelms voll-
zog sich rascher, als die Gegner Brandenburgs gedacht
hatten, ja die Verhandlungen der sächsischen und braun-
schweigischen Gesandten in Paris, die dem Grofsen Kur-
fürsten nicht verborgen blieben, beschleunigten sogar den
Abschlufs des Traktates von St. Germain (29. Juni 1679).
Wolframsdorf sah sich wochenlang mit leeren Vertrö-
stungen hingehalten, und schlielslich mulste er erleben,
dals Brandenburg den übrigen deutschen Mächten in der
Gunst Ludwigs XIV. den Rang streitig machte. Die
schlimmen Erfahrungen, die Friedrich Wilhelm mit semen
bisherigen Bundesgenossen gemacht hatte, veranlagten
ihn wenige Monate nach dem Frieden von St. Germain
ein Schutz- und Trutzbündnis mit Ludwig XIV. ab-
zuschlielsen , in welchem er soweit auf das politische
System Frankreichs emging, dafs er sich verpflichtete,
bei der künftigen Wahl eines römischen Königs seine
Stimme dem König oder dem Dauphin zugeben. Dieser
geheime Vertrag vom 25. Oktober 1679 ist branden-
Zur Politik Sachsens 1648—1680. 143
burgischerseits bis in die neueste Zeit geheim gehalten
worden: die Memoiren des Marquis von Pomponne,
die im Jahre 18G7 erschienen, brachten die ersten Ent-
hüllungen darüber'). Einige Jahre vorher (1863) hatte
Heibig aus den Akten des Hauptstaatsarchivs die ersten
Nachrichten über das französisch-sächsische Bündnis vom
15. November 1679 veröflentlicht, welches genau dieselbe
Bestimmung in betreff der deutschen Königswahl enthielt.
Das Urteil, welches Heibig bei dieser Gelegenheit über
die Politik Johann Georgs II. fällt, würde etwas anders
gelautet haben, wenn ihm der Vorgang Brandenburgs
bekannt gewesen wäre. Die logische Verknüpfung der
Dinge ist, wie Auerbach richtig erkannt hat (S. 474),
offenbar darin zu suchen, dals Ludwig XIV. durch eine
geschickte Benutzung der sächsisch -brandenburgischen
Rivalität sowohl den einen wie den andern Staat in sein
Garn zu ziehen wufste. Jedenfalls eröffnete es eine
traurige Aussicht in die Zukunft Deutschlands, dals die
beiden Kurfürsten, die bei der Wahl Leopold I. durch
festes Zusammenhalten den Intriguen des Auslandes die
Spitze abgebrochen hatten, zwanzig Jahre später, von
widerstreitenden Interessen geleitet, zu einem Abkommen
die Hand boten, dessen Verwirklichung die Herrschaft
des Reiches vollends der fremden Willkür überliefert
haben würde.
Die xA.llianz vom 15. November 1679 hatte die Folge,
dafs noch einmal ein französischer Gesandter in Dresden
seine Residenz aufschlug. Allein dieser Diplomat, Rousseau
mit Namen, früher Agent in Hamburg, gewann sogleich die
Überzeugung, dals die Tage des französischen Einflusses
am sächsischen Hofe gezählt seien. Bei der Antritts-
Audienz am 26. April 1680 sah Rousseau in Johann
Georg einen körperlich gebrochenen Mann, der sich dem
Ziele seines Lebens näherte. Die Gesinnungen seines
Sohnes, des Kurprinzen, waren allgemein bekannt. Schon
in jugendlichen Jahren hatte sich Johann Georg, nach-
mals der Dritte dieses Namens, in dem Reichskrieg gegen
Frankreich durch Umsicht und Tapferkeit, hervorgethan,
bis der Wechsel der sächsischen Politik seine Rückbe-
rufung aus dem kaiserlichen Lager veranlalste. Der Prinz,
der mit Leib und Seele Soldat war, fühlte sich hierdurch
'') Den vollritändigeii Wortliiut j^ieht^v. Miirner. Xiubrixnilen-
burgs Staatsverträge (Berlin 1867), S. 704 flg.
144 Paul Hassel: Zur Politik Sachsens 1648-1680.
schwer getroffen, und es gelang ihm nicht immer, seine
Mifsstimmnng zu verbergen. Ludwig XIV. selbst gab
sich keiner Täuschung darüber hin, dals bei einem Thron-
wechsel an die Fortdauer des geheimen Vertrages nicht
zu denken sei. Nicht Einer von den sächsischen Räten
stand noch auf selten des französischen Bündnisses: mit
dem Tode Johann Georg II., am 1. September 1G80, zer-
fiel sein politisches System in sich selbst.
VI.
Zur Statistik der säclisisclien Städte
• im Jahre 1474.
Von
Hubort Ernüscli.
Am 3. September 1474 licliteten Kurfürst Ernst und
Herzog- Albrecht ein Rundschreiben an alle Städte ihrer
Lande ^), in welchem sie ein vor kurzem ergangenes Auf-
gebot-) zur Heeresfolge widerriefen, jedoch befahlen, dals
man sich in Bereitschaft halten mijchte. Sie verlangten
ferner Auskunft darüber, wie viel Reisige, Wagen, Fuls-
knechte und Büchsen die Städte diesmal zu stellen be-
absichtigt liätten. Endlich teilten sie mit, dals sie wie
alle anderen Reichsstände von Kaiser und Papst auf einen
Tag nach Nürnberg entboten und zugleich bei Verlust
ihrer Regalien angewiesen worden seien, Verzeichnisse
mitzubringen, aus denen zu ersehen sei, wie viel Ver-
mögen an Gütern und Leuten sie selbst und ihre geist-
lichen und weltlichen Unterthanen besälsen, damit auf
Grund dieser Angaben ein Anschlag wider die Türken
aufgestellt werden könnte. — Mit Rücksicht hierauf wurde
den Städten aufgegeben, binnen einem Monat den Landes-
herren durch eigene Botschaft schriftliclui Antwort auf
^) Gedruckt in I Inders Nützlicher Saiimilmii;- vcrscliicdeiici'
meist nnoedrucktcr Scliriftcii (Ti(M])zig' 1785) S. 517.
2) Wohl am 20. August 1474, vcrgl. v. Lan geiiii. Herzog
Alhrecht, S. 414 N. 1.
Heues Arcliiv f. S. (;. ii. A. Xl. 1. 2. 10
146 Hubert Erraisch:
folgende Fragen zu übermitteln: 1. wie viel Ansässige
in der Stadt wären? 2. was der Stadt an eigenen Dörfern
und ansässigen Leuten aufserlialb der Mauern gehörte,
wie viele von den letzteren Hufner oder Gärtner wären,
auch wie viel Hufen bearbeiteten oder wüsten Ackers
diese besäßen ? 3. was die Stadt an nutzbringenden Vor-
werken hätte und wie viel Überschufs diese abwürfen?
4, was die Pfarreien, Klöster und Altäre in der Stadt
und 5. was die einzelnen Bürger besäfsen?
Ahnliche Erlasse, deren Wortlaut mir nicht bekannt
ist, ergingen an die landesherrlichen Amtleute und an
die Vasallen.
Diese Eundschreiben, deren allgemeingeschichtlichen
Zusammenhang ich hier aufser Betracht "lasse, bedeuten
einen, soviel mir bekannt, ersten Versuch zur iiufätellung
einer Statistik Sachsens. War dieser Versuch zu-
nächst lediglich auf Ermittelung des im Lande vorhan-
denen Vermögens gerichtet, so mulste er doch auch zu
gewissen bevölkerungsstatistischen Ergebnissen führen.
Mit wie grolsen Schwierigkeiten die junge Wissen-
schaft der Wirtschaftsgeschichte bei allen statistischen
Erhebungen über mittelalterliche Zustände zu kämpfen
hat, wie dürftig und lückenhaft allenthalben das Material
bei dem so wenig ausgebildeten Zahlensinn unserer Vor-
fahren ist, kann als bekannt vorausgesetzt werden. Eben
darum dürfte ein Hinweis auf jene Rundschreiben von
1474 und die darauf eingelaufenen Antworten wohl am
Platze sein; Avenn wir auch nicht beabsichtigen, den ver-
schiedenen Einzelfragen nachzugehen, welche sich an diese
Schriftstücke knüpfen lielsen, so geben diese Zeilen doch
vielleicht zu einer eingehenderen Bearbeitung des Ma-
terials die Anregung.
Leider war das Kanzlei- und Registraturwesen am
Ende des 15. Jahrhunderts in Sachsen noch bei weitem
nicht so ausgebildet wie hundert Jahre später. Von den
Antworten auf jene Rundschreiben, die, wenn vollständig
erhalten, uns ein Gesamtbild des Landes geben würden,
wie es sich in dieser Zeit höchst selten finden dürfte,
sind bedauerlicherweise viele verloren gegangen. Erhalten
haben sich etwa 30 Berichte von Amtleuten und Vasallen
und 15 von Städten'^). Die ersteren. welche über die
^) Sie finden sich in zwei Aktenstücken des Hanptstaatsarchivs :
(A) Loc. 31913 Eine Samnüung Berichte die von einigen Vasallen
- Zur Statistik der sächsischen Städte. 147
Zahl der Grundstücke und die sonstigen Verhältnisse
vieler Dorfschaften in allen Teilen des Landes Auskunft
geben und wohl auch eine genauere Untersuchung ver-
dienten, übergehen wir hier*), um uns lediglich den Städten
zuzuwenden. In den von diesen eingesandten Berichten
aber interessieren uns in erster Linie die Angaben über
die Zahl der ansässigen Einwohner. Leider sind
dieselben nicht ganz gleichmälsig gemacht. Manchmal
ist die Zahl der zur Zeit unl)ebauten (wüsten) Haus-
grundstücke, die, wenn man sich einen Begriff vom Um-
fange der Stadt machen will, ebenfalls in Betracht zu
ziehen wären, mit angegeben, manchmal nicht. Völlig
unsicher sind die Angaben über die Vorstädter, die bald
in die Gesamtzahl einbegriffen sind, bald besonders be-
rechnet werden, ohne Zweifel stets unter Auslassung
derjenigen, die rechtlich nicht zur Stadt gehörten, sondern
Unterthanen geistlicher oder weltlicher Herren waren.
Ebenso blieben die sogenannten Freihöfe, d. h. diejenigen
innerstädtischen Grundstücke, deren Inhaber die Pflichten
und Rechte der Bürger nicht teilten, unberücksichtigt; es
waren dies teils landesherrliche oder von den Landes-
herren verliehene Höfe, teils gehörten sie der Geistlichkeit.
Letztere weigerte sich auf Grund eines Befehls des Bischofs
von Meifsen "') überall, Auskunft über ihren Besitz zu geben.
Immerhin genügen die Angaben, um einen ungefähren
Begriff von den Gröfsenverhältnissen der Städte, von
denen uns Berichte vorliegen, zu gel)en. Als die umfang-
reichste stellen wir
und Städten zu stellenden Mannschaften und Pferde betreffend 1474 ;
(B) Loc. 15155 Steuerbuch Nr. 288, fol. 124flg-.
*) Erhalten haben sich die Berichte der Amtleute zu Senften-
berg (demselben sind einige Berichte ansässiger Unterthanen bei-
gefügt), Oschatz, Badebcrg und Lauterstein und folgender Vasallen :
Bastian Berltistoiff, V'altzg v. Bernstein, Heinr. v. Czastewitz zu
Arnsdorf (Amt Leisnig). ^\'ert von Draschwitz. Nickel Drogiz,
Caspar Fribergei-. Peter Glitze, Ilse von Harrafs zu Lichtenwalde,
Casp. von Kokeritz, Heinrich und Hans von Lindenau zu Machern,
Seifard von Lutticli. Christoff von ^laltitz, Hans und Casi)ar .Mar-
sclialg, Hans v. Miltitz zu Pujsuitz, J5runc von der Pfordten, Fritzsche
v. Polentz, Ditterich v. Schönberg zu Zschochau, Heinr. und Nickel
V. Stentzsch sowie einige, deren Aussteller sich nicht ermitteln liefsen.
■') Der Pfarrer zu Mittweida erklärte dem dortigen Kate aus-
drücklich: „das der pristci-sclinfft duich den bifschoJf vorliotcn sei.
das sie keynn voite adir auiplhitlien ciucherley vorczcidinung gcl)in
adir tliun sollen und ab is gereit so gescheen were, soUeu sie die-
sclbige irc vorczeichnnng wedir bcissclicn." Aus dem Schreilicn des
10*
148 Hubert Enuiscli:
1. Freiberg*^) an die Spitze, obwohl diese Stadt
wenige Jahre voiiier durch eine gewaltige Feuersbrunst ')
schwer heimgesucht worden war und eben damals eine
Epidemie einen grofsen Teil ihrer Bewohner hingeraift
hatte ^), so dals sie an Einwohnerzahl sicher im Jahre 1474
von anderen Städten übertrolfen wurde. Aber dals sie
vor diesen Unfällen die grölste Stadt des Landes gewesen
— was sie bald nachher wieder wurde ^) — , ergiebt sich
aus der Zahl der Hausgrundstücke, die sich nach unserer
Quelle auf 579 belief; nicht weniger als 91 davon waren
freilich wüst und 118 Hausbesitzer waren verstorben, so
dafs nur 311 noch übrig waren. Hierzu kommen 37 an-
sässige Gärtner vor der Stadt neben 19 verstorbenen
Gärtnern und 3 wüsten Gärten, im ganzen also 59 Vor-
stadtgrundstücke. — Auf Freiberg folgen
2. Leipzig^") mit 519 ansässigen Bürgern, darunter
15 (wohl in den Vorstädten ansässige) Gärtner; sodann
3. Dresden") mit 427 ansässigen Leuten in der
Stadt. — abgesehen von 2ß Freihöfen, von denen 10 von
Edelleuten, 13 von Priestern und Klöstern besessen
wurden, endlich 3 von Beginen bewohnte Seel- und Regel-
häuser waren — und 29 ansässigen Gärtnern in den Vor-
städten; die übrigen (jedenfalls viel zahlreicheren) Bewohner
der Vorstädte sind als Zinsleute der Pfarrkirchen und
Altäre nicht in Ansatz gebracht.
Rats zu Oschatz ersieht mau, dals die dortigen Geistlichen durch
den Bischof auf den 4. Oktober nach Riesa heschieden waren, wohl
wegen der verlanüten Auskunft.
6) Bericht vcnn BO. September 1474: A fol. 17. Gedruckt Cod.
dipl. Sax. reg. II. 12. 286.
') 21. August 1471. Cod. dipl. a. a. O. 273.
*) Yergl. ebenda 286 : . . . wy merclicher beswerunge und ster-
l)ens halben iczt durch den almechtigen got obir uns verhangen alle
handwergis- mid ledige gesellen von uns gewichen, faste vil wirthe,
ettliche furlewte von iren pferden und ouch ettliche hewsere gancz
wüste vorstorben weren.
*•) Vergl. das Sprüchlein, das Herzog Georg oft im Munde ge-
führt haben soll: „Leipzig die beste, Ereiberg die gröfste, Chemnitz
die feste, Annaberg die liebste". Eatsarchiv Freiberg, Matricula
civium (Vorsatzblatt).
10) Bericht vom 20. Oktober 1474: A fol. 30. Gedruckt unten
S. 152. — Für das .Tahr 1466 berechnet Wustmann (Quellen zur Ge-
schichte Leipzigs I. 40) die Zahl der Bürger auf ca. 700.
") Bericht vom 2. Oktober 1474: B fol. 139. Gedruckt Cod.
dipl. Sax. reg. IL 5, 266. Vergl. 0. Richter, Yerfassung.sgeschichte
von Dresden 8. 187.
Zur Statistik der sächsischeu Städte. 149
4. In Chemnitz^-) gab es 329 und vor der Stadt
132 ansässig-e Leute, die letzteren „alles ganz arme Leute".
5. Oschatz^-') hatte 312 Ansässig-e; die Vorstädte
sind nicht mitgerechnet, da sie anderen Herren gehörten.
6. Dann folgt Grolsenhain") mit 238 Ansässigen
in der Stadt und 97 Männern in der Vorstadt. Gerade
hier wird besonders hervorgehoben, die Zahl der teils den
beiden Klöstern, teils der Pfarre, teils Privatpersonen
geliörigen Freihöfe sei so grols, „das wol by dem dritten
teile der stat nichts gibt noch tuth".
7. In Pegau^") betrug die Zahl der Ansässigen 210
neben 23 wüsten Hofstätten.
8. Mittweida^*^) hatte 220 Häuser und Besessene
innerhalb und aulserhalb der Stadt; darunter waren
56 Gärtner, Tagelöhner und arme Witwen.
9. Ro chli t z ") hatte 187 besessene Bürger und Witwen,
„gertener und huttener zusammen gerechnet", jedoch unter
Ausschluls der vor dem Schlosse gesessenen Unterthanen
der Landesherren und der Leute des Pfarrers vor der
Oberstadt.
10. Hierauf kommt Döbeln^^) mit 169 angesessenen
Mannen, dazu 23 wüsten Hofstätten, also 192 Hausgrund-
stücken iniierhalb und 18 angesessenen Gärtnern aulser-
halb der Stadt.
11. Delitzsch'") hatte 150 besessene Bürger;
12. Lommatzsch-'^) 83 besessene Mannen in der
Stadt, 38 Gärtner und Vorstädter „und Scheunen".
13. Senftenberg-^) schickte ein genaues Verzeich-
nis aller Einwohner ein mit Angaben" über die Besitz-
verhältnisse jedes einzelnen, der Höhe der zu zahlenden
Zinsen und des Geschosses. Es sind im ganzen 97 Pei--
sonen.
14. ßadeberg^-) zählte 74 besessene Mannen und
12) Bericht vom 4. Oktober 1474: B fol. 147. Gedruckt Cod.
dipl. 8ax. reg. IT. 6, 221.
'■') Bericht vom 30. Se])teiiihi^i- 1474: A fol. 19.
1^) Bericht o. 1).: A fol. 5.5.
'•^) Bericlit o. 1).: B fol. 173.
1«) Bericht vom 13. Oktober 1474: A f(.l. 24.
i'') Bericlit vom 24. OktulnM- 1474: A fol. 30.
1**) Bericht vom 12. Oktolici' 1474: A f(d. 26.
1») Bericht o. D.: B fol. 144.
20) Bericht vom 23. Oktober 1474: A fol. ,38.
21) Bericht vom 21. ()ktol)er 1474: A fol. 31.
22) Bericht vom 9. Oktober 1474: A fol. 25.
X50 Hubert Enniscli:
15. Groitzscli-=^j 46 „Erben" auf.
Ein Versucli, auf Grund dieser Angaben die Gesamt-
zahl der Einwohner zu finden, kann freilich nur überaus
unsichere Resultate ergeben. Für Dresden hat 0. Richter
ermittelt, dafs im Jahre 1454 im Durschnitt jedes Haus
der Innern Stadt von 7,2 Köpfen, jedes Vorstadthaus von
4 Köpfen bewohnt wurde-^). Nehmen wir an, das dieses
Verhältnis sich in den folgenden 20 Jahren nicht wesentlich
geändert habe, und berechnen wir so nach unserer Quelle die
Einwohnerzahl Dresdens von 1474, so kommen wir auf 5190,4.
während Richter die Einwohnerzahl für 1465 auf 3351,
für 1477 auf 3504, also um mehr als 300 Köpfe höher, an-
giebt. Was der Wahrheit am nächsten kommt, mufs
dahingestellt bleiben. Nehmen wir an, dafs die Bewohner-
schaft der einzelnen Häuser in den anderen Städten im
Durchschnitt ebenso stark gewesen ist wie in Dresden —
eine Annahme, die für die kleineren Orte schwerlich zu-
trifft — , so würde sich für Freiberg, wenn die sämt-
lichen Hausgrundstücke bewohnt gewesen wären, eine
Einwohnerzahl von etwa 4400 ergeben, wozu allerdings
die gerade hier ziemlich zahlreiche Geistlichkeit, die Be-
wohner des Schlosses und der Freihöfe hinzukommen
würden; immerhin dürfte die Stadt im Mittelalter kaum
jemals viel mehr als 5000 Einwohner gehabt haben. Ihr
zunächst käme Leipzig mit etwa 3760 Einwohnern ohne
Berücksichtigung der Freihöfe, des Schlosses und der
Geistlichkeit. Zwischen 3000 und 2000 Einwohner würden
sich für Chemnitz , Oschatz und Grofsenhain ergeben,
zwischen 2000 und 1000 für Pegau, Mittweida, Rochlitz,
Döbeln und Delitzsch, zwischen 1000 und 500 für Lom-
matsch, Senftenberg und Radeberg; noch unter 500 bliebe
Groitzsch zurück.
Obwohl wir wiederholen, dafs diese Berechnungen
überaus unsicher sind und die thatsächlichen Zahlen sich
wohl überall ein wenig höher stellen dürften, so ergiebt
sich doch so viel mit vollkommener Klarheit, dafs es am
Ende des Mittelalters in ganz Sachsen keine einzige be-
deutende — selbst im Sinne der damaligen Zeit bedeutende
— Stadt gegeben hat.
Auch die Vermögensverhältnisse der vStädte waren
offenbar sehr bescheiden, wenn man auch vielleicht nicht
-3) Bericht vom 29. Soptrmher 1474: B fol. 150.
24) Vorgl. diese Zeitscliriftll, 280 üg. 0. Kicliter, Verfassimgs-
gesclüclite Tou Dresden S. 189 flg.
Zur Statistik der sächsischen Städte. 151
allen Klagen in dieser Hinsiclit unbedingtes Vertrauen
schenken darf. Nur wenige Städte haben nennenswerten
Grundbesitz; ganz ohne Vermögen sind z. B. Chemnitz,
Rochlitz, Lommatzseh; Pegau hat eine Schuld von 13000
Gulden. Eine übersichtliche Zusammenstellung der Ein-
künfte der einzelnen Städte lälst sich jedoch auf Grinid
der Berichte nicht geben; wir übergehen daher diese An-
gaben, die doch vor der VerAvenduug auf Grund der
sonstigen lokalgeschichtlichen Quellen genau geprüft werden
mülsten.
Von Interesse sind die Berichte endlich deswegen,
weil sie uns einen Einl)lick in die Kriegsleistungen, zu
denen die Städte den Landesherren gegenüber verpflichtet
waren, gestatten. Dabei ist es auffallend, dals diese
Leistungen sich nicht allein nach ihrer Grölse gerichtet
zu haben scheinen ; ohne Frage wirkten hier andere Mo-
mente, alte Verpflichtungen und dergleichen mit. Viel-
leicht sind aber auch diese Angaben nicht sämtlich zu-
verlässig. Die Frage, mit wie viel Reisigen, Wagen,
Fulsknechten und Büchsen man die anbefohlene Heeres-
folge diesmal hätte leisten wollen, beantwortet Freiberg
nur unbestimmt: man habe die Hälfte der Stadt auf-
geboten, doch sei es mit Rücksicht auf die allgemeine
Krankheit zweifelhaft gewesen, wie viele schlieislich
hätten mitziehen können. Weitaus das höchste Kontingent
beabsichtigte Leipzig zu stellen: 350 Mann (Trabanten
und Wagenknechte zusammengerechnet), 30 Wagen und
3 Steinbüchsen; mit Reisigen dagegen, heilst es, pflege
die Stadt nicht zu dienen. Demnächst folgt Oschatz
mit 4 Reisigen, 120 Fulsknechten, 10 Rüstwagen, 1 Büchsen-
wagen und 1 Steinbüchse; dann Grofsenhain mit 80 Mann,
6 Wagen, 1 Speisewagen imd 1 Büchse; Chemnitz mit
4 Reisigen, 3 Steinbüchsen, 10 Wagen imd „soviel Tra-
banten und Fulsknechten als dazu gehören"; Dresden mit
3 Reisigen, 60 Fulsknechten, 2 Büchsen, 4 Wagen; Roch-
litz mit 3 Reisigen, 60 Fulsknechten, 1 Steinbüchse und
so viel Wagen als nötig; Mittweida mit 3 Reisigen,
60 Fulsknechten und 5 Wagen (jedoch keiner Büchse);
Döl^cln mit 2 Reisigen, 60 Fufsknechten, G Speise- und
Rüst wagen und 1 Steinbüchse; Pegau und Delitzsch
mit je 50 Trabanten, 5 Wagen und 1 Büchse; Rade-
berg mit 22 Fulsknechten und 2 Wagen; Lommatzseh
mit 20 Fulsknechten und 2 Wagen; endlich Groitzsch,
das einen „alten gesatzten Dienst" habe, nämlich einen
152 Hubert Erniisch:
„stete stehenden Rüstwagen mit 2 Pferden und 2 AVagen-
knecliten", und aulserdem 2 Fulsknechte habe stellen wollen.
Senftenberg schickte keinen Anschlag ein, weil es dem
Aufgebot des Amtmanns hatte Folge leisten müssen.
IJericht des Rates /u Leipzig an Kurfürst Ernst und Herzoj?
All)reclit. 1474, Okt. 20.
Duichluchtigenii liochyeboiueini fursten uiiiiil lieru. Unnser mider-
thenige geliorfsaine willige dinste sein uweni gnadeu alletzeit zcii-
voran bereit. (.Tiiedigen uimd lieben kern. Nachdem als uwre gnade
iu kcirtzer yrgangen zceit haben schreibenn lassen, das wir bie
unnser eygen botschafft uwern gnaden zcu erkennen geben solten,
wie starck wir zcu difseni mall nwern gnaden an reifsigen mit
Avagen, fufsknechten unnd Ijuchlsen haben volgen wollen, auch das
wir bie derselbenn unser liotschafft unnd sclirifft in eigentlicher
verczeichnung, A\ie vil besessener burger in uwrer gnaden stadt
Liptzk sind unnd was die stadt von eigen dorftern unnd besessen
hithen usserhalben der stadt undir ir habe, wie vil der huffener adir
gertencr darundir sintt, auch wie vil die huffen gearbeits adir wusts
ackers haben unnd was die stadt an nutzlichen forwergen habe unnd
was sie der ultir ir darlegen jerlichen gnissen möge, unnd desgleichen,
was die pfarren, closter adir altarieu adir burger insunderheit des in
der massen hatten , nach yrer eigentlicher underrichtnng, die sie uns
deihalben thuen solten, unnd unser erkundung uwern gnaden zu-
schicken solten etc., liaben wir mit solchem inhalt vornommen und
thuen uwern gnaden daruft' undertheniglich zcu wissen, das wir uff'
difsniall uff uwrer gnaden schrifft uwern gnaden mit vierdehalbhuiulert
mannen, alz nemlich mit drabanten und wagenknechten zcusampne
gerei hent, drissig wagen unnd mit dreien steinbuchfsen haben dynen
und volgen wollen. Wir püegen abir uwern gnaden mit leissigeu
nicht zcu dynen, sundo'u alleine mit so vil pferden. alz die heulit-
luthe der drabanten mit yren dynern, die mit den drabanten in die
l'utterung pflegen zcu reithen, allewege vor sich haben nuissen. So
sintt auch in der gemelten uwer gnaden stadt Liptzk nicht mehr
danne funfthundert und nuentzehen besessen burger, darunder danne
funftczelien besessen gertener sintt, die die stadt angeboren. Auch
hat die Stadt Liptzk ein dorff' mit namen Euderitz, darinne sint nuen
und drissig besessen menner, die haben an eckern und gerten
zcwenczig huft'en und di'ittehalb virtell landefs, unnd im doi'ffe zcu
Neitzsch acht besessen menner, die haben acht huff'en landifs. unnd
ein forwerg in Easschewitz mit drittehalber huff'en wusts artlandifs,
dovon die stadt bifsher gar ein geringen gnifs, sundern vilmehr un-
dirweilen domit zcugesatzt hat. Auch haben ein teils uwer gnaden
Imrger, die in uwer gnaden stadt besessen sein, usserhalben unnd
umbe die stadt viher und fiinff'tzig huffen artlandifs, die sie in die
Stadt ierlichen gebrauchen. So sintt auch sust insunderheit etzliche
burger, die etzliche guter usserhalben der stadt haben, die werdenu
sie uwer gnadenn amptmann, so yn derhal))en in sunderheit auch
geschreben ist wurden, ansagen und lieschreiben lassen. Sundern
Benedictus Moller hat zcwu kleine moUen unnd Baltizar Schultz
zcwey dorff nemlich Grottendorff', darinne hat er zcehen besessen
menner, die haben sechs luind viliertzig kolstocke, unnd Obirnuwen-
ilorff, doselbist hat er nuen besessen menner, die haben sibeudehalb
Zur Statistik der siiclisischen Städte. 153
liuffen artlandifs, als sie des uiins in suiulerlieit liabeu uuiuUrriclitct.
Auch, giiedigen und lieben heni, so haben wir darneben utf uwrer
gnaden schriit't unnd begerung die prelaten der closter unnd der pfar-
kirchen, auch die altaristen bie uns zcu Liptzk liesantt uiul haben
von yn nach Inhalt derselbenn uwerer gnaden schritft derhalben unns
unnd errichtung zcu- tliueu begertt; als haben sie unus genieynlich
alle darutf zcu antwort gelten, das yn in den dingen unnd sachen
ane yres bisschottes unnd vier obirsten prelaten in der geistlickeitt
iinnd provinciallu wissen unnd volbintt nichts zcu thuen fuget; so
yn aber von yrem bisschott'e, obirsten prelaten unnd provinciallu der-
halben etwas vorkundiget unnd das sie ein sollichs auch thuen sollen
zcu irkennen geben wurd, weiden sie sich alfsdanne nach aller
billickeit halden unnd gehdrsanilieh ertzeigen. l'nnd womit wir uwcm
gnaden unuderthenigen unnd gehoii'sameu dinst unnd willen beweil'scn
sollen, tliun wir mit gantzem vleis unnd willen alle zeit gehorfsam-
lich gerne. Geben zcu Lijttzk unndir uiniseriii secrett uff dornstag
noch Luce ewangeliste anno etc. Lxx quaito.
Der rath zcu Liptzk.
ö
VII.
Kleinere Mitteilimgen.
1. Orabsclirit't auf Herzog Albreclit zu Sacliseu.
Mit"-eteilt von Theodor Distel,
"o^
Das K. S. Hauptstaatsarchiv besitzt (III, 1 foh 4,
Nr. 1, Bl. 24) eine aus dem 17. JahrhiiiKlert stammende
Kopie einer wold fiülier entstandenen Grabsclirift auf
Herzog' Albreclit zu Sachsen (f zu Emden 12. September
1500, beigesetzt in der Fürstengi'uft zu Meilsen), deren
von Langenn') und Eberf-) nicht Erwähnung thun. Ich
teile dieselbe daher hier mit:
Epitaphium ilhistrissimi priiicipis Alberti ducis
S a X 0 n i a e.
Quantus erat dextra Pelides, Tullius ore,
Phyllirides hevbis, Phoehiis -Apollo lyra.
Carmiue Meonides, Ladas pede, lumine lynceus,
Vicibus Aleides, relligloue Nuiiia
Tantns ego in Ijello fueram; mihi tota snb arniis,
Suj) clypeo, galea, casside vita fnit.
Me puernra Mavors, et me Belloua virago
Omuia perdocuit mnnera militiae;
(renalis Pellaus victor Lybicusque fuerunt,
Roniulidaeque dnces, talis et ipse fui.
Dum vult supremo dnil certamine Haitis
Sors dare me pessuni. Snstulit ad superos.
Obiit anno salutis 1500 d. 12. Septbr., vixit annis 57 mense 1 diel). 12.
^) Die bei v. Langenn, Herzog Albrecht S. 283 sub 1 ange-
zogenen Schriften enthalten ein anderes Epitaphium: das zu Emden,
wo sein Herz liegt, zu lesende.
-) Ebert, Der Dom zu Meifscn (1835).
Kleinere Mitteilungen. 155
Darunter befindet sich die Übersetzung in deutschen
Versen, welche folgenden Wortlaut hat:
„So hoch Achilles Avar von Heldenthat gepriesen,
So klug als Cicero durcli Reden sich erwiesen;
So wohl Phylliridcs der Kräuter Krafft verstund,
So lieblich Phoebus selbst uf Saiten spielen kunt;
So als Homerus ist sehr augenehm zu lefsen,
So schnell als Ladas ist uff Füssen je gewesen.
So scharff ein. Luchs kann sehn, so stark Aleides heist,
So eifrig Numa sich in Gottesdienst erweist;
Davon ein Jeder wird der Ewigkeit geleicliet;
Den allen gleich hab ich durch Kriegen Ruhui erreichet.
In Helm, Casquet[te] und Schild, in Zügen stürmen und schlaclit.
Hab ich die ganze Zeit des Lebens zugebracht,
3Iars und Belloua hatt von Kind auf mich gelehret,
Was sich nach Kriegsmanier zu jeder Zeit gehöret;
Wie Alexander war und Scipio sieghafft.
Und was Rom Helden liatt, den war ich gleich an Kraftt.
Als in dem letzten Kampf der Tod sich zu mir dränge,
Der meines Ijeiltes Kraftt weit machen angst und bange,
Und dardurch meinen Geist zu stürzen war bedacht,
Hatt er, der Seelen nach, in Himel mich gebracht."
Liest man in einem Briefe des berühmten Kektoi-s
zu St. Afra, Georg Fabricius, an Hans Jenitz, Sekretär
des Kurfürsten August zu Sachsen, vom 17. Dezember 1556
(Orig. i. K. S. Hauptstaatsarchive, Akten cit. Bl. 102):
„Der epitaphia halben, fso zur Zellen uml Meissen seyn,
hab ich e. e. nehst geschrieben und fso yrs vor gut ansehet,
wil ich den vorneinsten personeu epitaphia machen, prosa und
carmine, ob man die selben unib frembder leute willen wult
lassen in steine hauen oder auf reinliche taftein schreiben,
werdet solchs den vorwalter wol wieder lierichten , was ich
thuen soll . . . .",
SO kann man wohl in jenem den Autor auch des mitge-
teilten Epitaphs vermuten.
2. Testierfäliigkeit vor erfülltem 14. Lebensjahre
(1554).
Mitgeteilt von Theodor Distel.
Das bürgerliche Gesetzbuch für das Königreich
Sachsen bestimmt in § 2067, dals eine Person, welche
das vierzehnte Lebensjahr nicht (>rffült hat, selbst mit
ihrem Vater oder Vormunde einen letzten Willen nicht
errichten kann. Ein letzter Wille soll eben den wirk-
lichen Willen des Erblassers enthalten. So war es auch
nach früherem Beeilte. Nachsichtiger verliielt sich jedoch
Kurfürst August zu der Sache. Unterm 10. Januar 1554
156 Kleinere Mitteilungen.
j-eskribierte er immlich an den Amtsverwalter und an den
Rat zn Altenbnrg- (K. S. Hauptstaatsarchiv: Knpial 265,
Bl. 31b), dals es genüge, wenn der Testator das vier-
zehnte Lebensjahr überhaupt nur angetreten
h a b e.
3. Ein Urneiifmul im 16. Jalirliundert.
Von Georg' Müller.
Bei dem regen Interesse, das namentlich seit den
letzten Jahrzehnten der xlusgrabung und Avissenschaft-
lichen Untersuchung von Urnenfeldern entgegengebracht
wird, dürfte folgender Hinweis auf einen vor mehr als
drei Jahrhunderten gemachten Fund auf Beachtung rech-
nen. Bei der Kirchenvisitation, die im Jahre 1529 unter
Luthers persönlicher Teilnahme in Torgau gehalten wurde,
geschah vor den kurfürstlichen Kommissaren eines Ge-
rüchtes Erwähnimg, in der Nähe von Sitzenrode seien
von Bauern nenn oder zehn Töpfe gefunden worden, „in
welchem solten junger kinder schedlein unnd beyn gewest
sein". Da die böse Fama dieselben mit dem in der Nähe
liegenden Nonnenkloster in Zusammenhang brachte, so
wurde der Sachverhalt näher festgestellt. Eine Eeihe
glaubwürdiger Zeugen sagten daraufhin folgendes aus:
Die topfe, als sie bericlitet, seint alter forme gewesen,
das dergleichen in Lxxx oder hnndert iahren nymands ge-
denckt oder gesehen. Dieweyl die ohgedachte Caplan (näm-
lich der Prediger von Sitzenrode und der Diakon von Torgau)
angezeigt, das die gebein, so in den topfeun gefunden, zum teil
grofs gewesen als erwachssner menschen beyn, heldet man
dafür, es sey hieuor etwo ein sepulcrum gewesen i).
4. Kurfürstin Magdalena Sibylle als Terfasserin des
Entwurfs zur Kleiderordnung von 1028.
Von Georg Müller.
Die Kurfürstin Magdalene Sibylle war eine treue
Lebensgefährtin ihres Gemahls Johann Georg I. während
der Drangsale des dreifsigj ährigen Krieges, wie sie auch
mit grolser Sorgfalt die Erziehung ihrer Kinder über-
wachte. Nicht selten streiften aber ihre Gedanken und
Wünsche über den Kreis ihrer Familie hinaus das Feld
^) K. Hauptstaatsarchiv. Loc. 10598. Registration der Visi-
tation etlicher Sächsischen und Meifsnischen Kreifs, Amt, Stedt,
Closter und Dorffer. 1529. Bl. 335.
Kleinere Mitteilungen. 157
der Politik^). Sie warnte den Kurfürsten vor Gefahren-),
die ihm von seinen ßäten zu drohen schienen, sie kriti-
sierte die politischen Malsreg'ehi -^j und trat wohl mit
eigenen Vorschlägen auf, getreu ihrem Grundsatze, dals
AVeiberrat nicht zu verachten sei^).
Ein Beispiel liegt uns in dem Entwürfe zu einer
Kleiderordnung vor, welche mit wenigen Abänderungen
nach Beratung durch die Stände im Jahre 1628 erlassen
wurde. Die Kurfürstin übersandte denselben ihrem Ge-
mahl und gab in der Einleitung als Veranlassung ihres
Vorschlages an, sie habe bei der Rückkehr von einer
Reise eine derartige Zunahme des Luxus im Bürgerstande
bemerkt, dals ihr ein Einschreiten dagegen als notwendig
erscheine. Sie fürchtete, wegen dieser „teuiflischen
Hotfardt" müsse des Himmels Zorn das ganze Land treffen
und mahnte daher zur Bulse.
Dieser Entwiuf ist aber noch von einer andern Seite
hei' von Interesse. Wie die Luxusordnungen neben reli-
giösen und sittlichen Motiven nicht zum geringsten Teile
praktischen Erwägungen entsprangen^), so hebt die Kur-
fürstin die Gefahr der Verarmung hervor, welche drohe,
wenn „das geldt dadurch aus dem Lande komme. Hadern
und Lumpen darkegen hereingebracht werden." Auch
folgender Gesichtspunkt dürfte von "Wichtigkeit sein.
Die Kleiderordnungen stellen die Bemühungen dar, die
in der Tracht, namentlich des schönen Geschlechts, hervor-
tretenden Standesunterschiede aufrecht zu erhalten'^). So
milsbilligt Magdalene Sibylle die Übergriffe der drei
Stände, des Adels, der Bürger und der Bauern, und
wendet sich namentlich scharf gegen „das Weibs-
volck von Bürgerstands-Personen, es wehren gleich der
Räthe unnd anderer Doctorn.... Bürgers weiber und
Töchter"'). Erinnern wir uns der gegnerischen Stellung
1) Tli. Flatlic. Gcschiclite des Kurstaates und Königreiclies
Sachsen (Gotha 1870) IL", 193. 135. 155.
2) Stichart, Gralerie der Sächsischen Fürstinnen (Leipzig- 1857)
S. 354.
") Ebenda, S. 351.
') Ebenda, S. 348. 351.
■'') L. Bartsch, Säclisische Kk'idcrordnun^ien aus der Zeit von
1450—1750 (Annaberg 1882) I, 4 flg.
'') K. La mp recht in Conrads Jahrbüchern für Nationalöko-
nomie inid Statistik N. F. IX (.Ima, 1884), 128.
'') Vgl. ihr Urteil ülicr den Luxus der licipzigcr Frauen: ..Das
Weibsvolck von Leipzig thut nichts denn mehr ilolTart und l'raelit
i58 Kleinere Mitteilungen.
der adligen Geschlechter zu den Doktorenfamilien ^), welche
mit dem Siege der ersteren endete, so erhalten diese Worte
der Kurfürstin eine erhöhte Bedeutung. Ähnliche An-
schauungen bilden den Hintergrund von Artikel 8'') und 17.
Der letztere erscheint nur in modifizierter Gestalt in
der unter dem 6. März an die wichtigsten Städte des
Landes, Dresden^**), Leipzig, Torgau, Freiberg, Meissen
und Wittenberg, erlassenen Verordnung, während im
übrigen der vorgesclüagene Text — mit Ausnahme ortho-
graphischer Abweichungen — wörtlich stehen blieb.
Die Kurfürstin verlangte zwar das Original wieder
zurück, übersandte aber dafür durch Georg Reichbrot
in die Geheime Kanzlei eine Abschrift"), welche dem
folgenden Abdrucke zu Grunde liegt.
Ich habe, nachdem wir au itzo Avieder von der Reise anhero
gelanget, mit höchster Vorwimderung gesehen, auch von andern
vorstanden, wie die zuuorhero altzusehr Übermächte teiifflische
Hofiardt seindt unserm Abwesen von hier, insonderheit iind aller-
meist bey denn Burgerstaudes -Personen uberhandt genommen,
dannenhero zubefahren, wan solchem nicht bei tzeiten vorgebanet,
gesteuert unnd ernstlich gewehret werde, das Gottes Zorn hier-
durch noch mehr verursachet, die vor Augen schwebenden unnd
albereith herrein dringenden schweren Straffen geheüffet, vor-
mehret, unnd entlichen wohl der Garaufs mit menniglichen, sowohl
den unschuldigen alfs schuldigen gemachet werden möchte. Dan
zu erbarmen, das unaugeseheu die sehr böse sorgliche unnd ge-
fährliche Zeitten, darinnen wier schweben, in welcher (darrait
Gottes gerechter Zorn gemildert, unnd die darauff antrabende
Straften abgewendet) ein Jeder billich im Sacke, unnd in der
Aschen gleich den Ninivitten Bufse thun selten, neben andern
uberhaufften schAveren und grofsenu Sunden, auch die gemellte
Hoffardt, alliier mehr alfs an keinen ordt in Teuzschlandt in
vollen schwänge gehet, unnd von menniglichen auch den Dienst-
in Kleidung herein nach Dresden bringen, damit hier unsere Dresdner
Schlappen vollends in ihrem halsstarrigen Sinne wea'en übermächtii^er
Hofl'art in Kleidun»- verstärkt werden". Flathe a. a. (). 11-. 213 A^ 2.
Über den Umfang der Fabrikation von Posamenten in Leipzig ent-
hält das K. Hauptstaatsarehiv (Loc 9365. Erstes Buch. Landtags-
sachen. 1628) folgende interessante Angabe: Heinrich von Rössel
des Älteren Erben in Leipzig hatten ein Privileg auf Anfertigung
goldener Posamenten. Im Jahre 1628 berichtet der ]\Iünzmeister,
diese Fabrik verbrauche wöchentlich 200 bis 30O Pfund fein Sillier
und beschäftige in ihrem Betriebe 150 Arbeiter.
"■j E. Veiise, Geschichte der Höfe des Hauses Sachsen II (Ham-
lAiri"- 1854), 156 flg., bs. 162.
") Vgl. unten Anm. 12.
'") Dresdner Ratsarchiv C. XVII. 8—10.
") Kgl. Hauptstaatsarchiv. Loc. 9365. Erstes Buch. Land-
tagssachen. Anno 1628. 151. 291—293.
Kleinere Mitteilnugen. 159
botten getrieben nniul oline eiiüiieu sclieu vorübet wirdt. .Man
(larff sich nicht vorwundern warumb die Leutte vorarnien UDiid
Gottes [Gnade] von nnfs weichet, dann die Hoffardt ist dorau
nicht wenig- schuklig. Das geldt kommet dardnrch aufs dem
Lande, Hadern und Lumpen werden darkegen hereingebracht.
Dan in Kleidung will es der 15auer dem Bürger, der Bürger dem
Adell unnd derselbige alfsdann dem Fürsten gleiclitlnin, unml
will sich alfso durchaus keiner seinem Stande (darein ihn Gott
gesetzt unnd verordnet) gemefs betzeigen. Alle naue Trachten
und Muster will unnd mufs man habenn, fürstliche Personen
können nichts vor sich behaltten, es wirdt alsobaldt von den ge-
ringern Standes hernach gemacht, welches ihnen doch keines
weges geziemet. Bin also verursachet worden, dem Churfürsten
zu Sachssenn pj). meinem herzlielisten Herrn unnd Gemahl dieses
mit wenigem, jedoch uff Ihrer Liebden vornünfttiges Gutachten
unnd Nachdencken zu erinnern, ob Ihre Liebden nicht vor rath-
samb hilttenn, das dem Weibesvolck von Büi-gerstandes-Personen.
es wehren gleich der Käthe unnd anderer Doctorn, desgleichen
der Secretarieu, Cauzleyvorwanten, Hoffdiener, wie nahmen haben
mögen, sowohl vornehme unnd gemeine Burgersweiber und Töchter
bey einer nahmhaftten geldtstraffe, unnd wo man sich daran nicht
kehret, bei einer höhern, nachvorzeichnete Sachen zu tragen ver-
botten würde.
1. Die engelischen Röcke mit den gantzen unnd zerschnittenen
Leibstücken unnd laugen Ermein, sie seindt mit Goldt, silbern
oder Seidenschnüren aufsgemachet und vorbrehraet.
2. Die Leiljstücke mit den kurtzen spanischen sowohl frantzö-
sischen Ermein unnd die breittenn Kragen auff den üöcken mit
Goldt, Silber oder seidenen Schnüren vorlirehmet.
3. Die Seiden-. Attlafsen-Röcke mit den gülden, silbern oder
bunten seidenen Bluhmen.
4. Alle güldene unnd silberne Eosementbortten oder schnurr,
desgleichen die gestückten Attlafsen-Bortten, die Kleider darmit
zu brehmen oder aufszumachcn.
5. Sammeteli Köcke, ingleichen lange Mäntel mit Pliscli, Felppe
oder andern Sammet gefüttert.
6. Alle geschobene Ermell und Kragen.
7. Die Hütte, sowohl Mützen mit Zobeln'-), oder andern köst-
lichen auffschlegen auff die naue Manier unnd dann die Maschken '")
vor den Angesichtern.
8. Die gekreuselten Haar unnd Haarbogen, die engelischen unnd
französischenn adelicben Auffsetze.
9. Die Wülste mit den Perlenschniiren umbwunden, die Perlen-
Kränze mit den geschlagenen Rosen, sowoll die mit goldtgewirckten
seidenen Knob : oder Senckelbender. wie auch die langen breitten
seidene Krausen unnd übci'schlagliender.
10. Die vorguldteu Bliibmenkränze von den Mägden iiniid Dienst-
bothen.
12) Das Exemi)lar im Dresdner Ratsarcbiv C. XVIL 10. Bl. 2
enthält dazu sechs Zeichnungen mit der Erklärung: Die Hiittt' und
Mützen verstehn mir die neuen Manieren, wie die vom Adel getragen,
wie hier angedeutet unnd von anderer arth.
^■') Über die Maskeraden als Lieldiaberei dir Kurfiirstm vgl.
Flntbe :i. a. O. TT-, 223.
IßQ Kleinere Mitteilungeu.
11. Alle Perlenketten, Etlelgesteinketten , Kleinodter, güldene
Eosen mit Steinen, Halfsbender, Armbender, Olirgehenge mit
Steinen, vmud in Summa alle dergleiclienn Saclienn von Edel-
gesteinen, es sey umb den Halfs, auft dem Xopff oder an den
Armen zu tragen, das soll ihnen genzlich verbotten sein.
12. Die eugelischen unnd französischen Rawatten, alle spanische
und engelisciie Krausen hangendt, ligendt oder auffstehendt, wie
sie nahmen habenn.
13. Engelische unnd französische Uberschlege, auch die doppelten
Uberschlege.
14. Allen Flohr, desgleichen die nefselgarne Spitzenn in gemein.
15. Die weifseu Schuch, gülden unnd silbern Schuch-Rosenn.
16. Die Federfechell, die JTedel'n auff den Mitten imnd in den
Haaren nicht zutragen.
17. Welches Doctors oder andern Burgers Weib sich auch
unterstehen würde, in die Kirchenn (wie bifsanhero von etzlichenu
geschehen) zu fahren, es wehren dan erhebliche Ursachenn, denen
sollen die Pferde auff der Gafsen aufsgespannet unnd in den Chur-
fürstlichen Stall getzogen werden.
Dieses nun unnd anders mehr lullte Ich davuor, könnte bey
einer namhaftten geldtstraffe ") verbotten unnd darüber ohne
einiges ansehn der Personen, sie wehren auch wer sie woltten,
fest gehalten, unnd, welche, wann sie zum andern mahl darin be-
tretten, doppelt gestraftet, auch ihnen darüber das verbottene
stuck durch die Büttel vom Halfse gerifsenn werden. Jedoch
wirdt dieses, wie vorgemelt, alles zu Ihrer Liebden fernerm gut-
achten anheimb gestellet.
5. Zur Chronik Dresdens und zu einem verschollenen
Manuskripte Anton Wecks.
Mitgeteilt von Theodor Distel.
Eine Lebensbeschreibung- des Dresdner Chronisten
Anton We ck giebt Gautsch in von Webers Archiv für die
Sächsische Geschichte (N. F. I, 349 flg.). Dort ist auch aus-
führlich über dessen Werk: „Der churfürstlichen säch-
szischen weitberuffenen Residentz und Haupt -Vestung
Dresden Beschreib- und VorsteUung" (Nürnberg, Johann
Hoffmann 1680) gehandelt. Ich trage hier folgendes dazu
nach. Unterm 7. Oktober 1679 übersandte Weck das
erste Exemplar der genannten Chronik an den Kur-
'') In der kurfürstlichen Verordnung werden Geldsti-afen von
100 l)is 300 Thaler bestimmt, für Schneidei' und Schuhmacher, die die
Kleider verfertigten 30 bis «0 Thaler, und schliefslich Ausstofsung
aus dem Handwerk. Der Rat wird zu sorgfältiger Aufsicht ver-
ptlichtet..uud Nachlässigkeit mit einer Strafe von 1000 Thalern be-
droht. Über die Weigerung des Rats und den dadiirch veranlafsten
Schriftwechsel vgl. die obengenannten Akten des Ratsarchivs.
Kleinere Mitteilungen. IGl
fürsten Johann Georg II. zu Sachsen^); vom folgenden
Tage — aus Colditz — datiert das mir im K. S. Haupt-
staatsarchive (III, 100 fol. 4 Nr. 4 Bl. 486) in die Hände
gekommene Konzept des kurfürstlichen Dankschreibens,
in welchem es u. a. heilst, dals W. nichts Lieberes und
Angenehmeres hätte überreichen lassen können. — Gleich-
zeitig geschieht darin einer Arbeit Wecks Erwähnung,
welche als Manuskript verschollen sein dürfte. Der Kur-
fürst schreibt nämlich, dals ihm sehr daran gelegen sei,
auch die Jahr »es chic hte über das Kurfürstentum
Sachsen, Thüringen, Meifsen u. s. w. vollendet zu
sehen. Zur Fertigstellung dieser „Jahrgeschichte" scheint
es jedoch nicht gekommen zu sein, da ihr Verfasser schon
vor Ablauf eines Jahres das Zeitliche segnete'-).
^) Drei Tage später schickte Weck ein zweites an den Rat der
Stadt Dresden, am 12. Oktober fin drittes an den gelelirten Herzog
Moiitz Wilhelm zu Sachsen-Zeitz (mit dem u. a. auch Leibnitz und
Thomasius in lebhaftem Briefwechsel standen, vergl. Distel i. d.
Sitzungsberichten der K. S. Gesellschaft der Wissenschaft 1879
S. 105 flg. und 1880 S. 188flg., sowie i. d. Zeitschrift für die gesamte
Strafrechtswi^senschaft X [1889), 440 Anm. 1). Die \\'i(lmuiig des
Werkes an den Kurfüi'sten datiert vom 29. Septembei', der Be-
fehl zur Drucklegung desselben vom 16. Januar 1679. (iautsch
a. a. 0. S 360.
'-) Zu Wecks sonstigen Manuskripten vergi. Gautsc h a. a. O.
S. 367flg.
Nenee Archiv f. S. fl. ii. A. XI. 1.
11
Litteratur.
Das Freiberger Stadtreclil. Herausgegeben vou Dr. Hubert
Eniiiscli, K. S. Ai'chivrat. Mit einer Tafel. Leipzig. Gicsecke n.
Devrient 1889. XCI, ,364 SS. 8«.
Unter vorstehendem Titel ist der Sonderausgabe des Freiberger
Bergrechtes nach kaum zweijähriger Frist die des Stadtrechtes von
derselben Hand nachgefolgt. Der berechtigte Wunsch des Heraus-
gebers, auch aiif dem Gebiete der sächsischen Rechtsgeschichte eine
Festgabe zum Wettiner - Jubiläum darzubringen, hat dazu geführt,
dafs diese Sonderausgabe schon vor dem Erscheinen des 3. Bandes
des Freiberger Ürkundenbuches. Jn dem das Stadtrecht planmäfsig
seinen Platz hnden sollte, der Öffentlichkeit übergeben worden ist.
Die deutschen Rechtshistoriker vor allem werden nicht darüber
grollen, dafs ihnen so diese nicht allein für Sachsen wichtige und
bedentsarae Quelle früher, als bisher zu erwarten stand, in neuer
handlicher Foi'm zugänglich geAvorden ist. Denn, wenn auch die
von ^Valch 1773 besorgte Ausgabe, der eine im 16. Jahrhundert ohne
behördlichen Auftrag entstandene gekürzte Fassung des Stadtrechtes
zu Grunde gelegt Avorden war, zwei Jahre später durch die gediegene
gemeinsame Arbeit des Freiberger Oberstadtschreibers .T. F. Klotzsch
und des Leipziger Professors A. F. Schott, bei der man auf die alte,
vielleicht noch dem ausgehenden 13. Jahrhundert angehörige Hand-
schrift zurückgriÄ, völlig in den Schatten gestellt wurde, so sind
doch nunmehr aucli seit dem Erscheinen der letzteren 114 Jahre
verflossen und haben sich seitdem gerade die Ansprüche, die an
solche \' eröff'entlichuni^en gestellt werden müssen, erheltlich geändert.
AVie hoch diese Forderungen nunmehr aber auch von Histurikeiii
wie von Juristen gespaimt sein mögen, die jetzt vorliegende Aus-
gabe von H. Ermisch dürfte dieselben nach jeder Richtung hin be-
friedigen.
Entgegen dem ül)lichen Gel)rauche einmal bei der Schilderung
eines Werkes am Ende desselben beginnend, möchte ich zunächst
hervorheben, dafs Ermisch dem zum Schlüsse angefügten Sach- und
AWjvtregister eine ganz hervorragende Sorgfalt gewidmet hat; dies
A'erzeichnis stellt nicht nur den reichen Schatz des Freiberger Stadt-
rechtes an sprachlich und technisch wichtigen Ausdrücken, den Chr. G.
Haltaus vor 130 Jahren scJion für sein so verdienstliches Glossarium
germanicum nutzbar zu machen verstand, in das rechte Licht, sondern
ermöglicht es dem Benutzer auch, sich schnell und sicher nach allen
Seiten hin in der umfänglichen und in ihren Teilen nicht allzu
systematisch geordneten Quelle zurechtzufinden. Von Verweisungen
auf die allgemeine Tjitteratur der deutschen Rechtsgeschichte ist
Litteratur. 163
hier in richtiger Selbstbeschräiikuiig' abgesebeu A\ordeii. JJageg'en hat
dieselbe, und wie es scheint, mit guter Sachkenntnis im ausgiebigsten
Umfange in den Bemerkungen zum Texte des Stadtrechtes Beiück-
sichtignng gefunden, ddch ist dabei, um allzu grofser räumlicher
Ausdehnung vorzulieugen, von der Beigabe ausfühi'licherer Ei'-
klärungen Abstand genommen worden; die Noten beschränken sich
vielmehr auf den einfachen Nachweis der Stellen, wo der betreffende
Gegenstand in anderen ilechtsquellen oder sonstigen theoretischen
Ausführungen behandelt wird. Wenn der Herausgeber diese wie die
kritischen Noten an den Schlufs der einzelnen Kapitel, statt jedes-
mal unter den Text jeder Seite gestellt hat. was für die Lektüre
und das Studium des Werkes nicht gerade bequem ist, so war dafür
lediglich der durcih technische Rücksichten l)egründete Wunsch der
Verlagshandlung mafsgebend. — In jenem reichen textkritischen
Apparate beruht nun im weiteren der besondere Wert der neuen
Ausgabe: während Klotzsch in der Meinung, dafs die um 130')
entstandene Handschiift des Ereiberger Batsarchives als die Ur-
quelle aller anderen Handschriften anzusehen sei. seine Ausgabe
ausschliefslich auf dieselbe aufbaute, hat Ermisch noch eine ganze
Anzahl'anderer handschriftlicher Überlieferungen herangezogen und für
die Herstellung eines guten und ver1)ürgten Textes nutzbar zu machen
gesucht. Sind diese weiteren Handschriften auch erheblich jünger als
jene früher allein benutzte — eine zweite Freiberger Handschrift
gehört z. B. ins .Jahr 14;i3, eine Berliner ins Jahre 1458, eine Göt-
tinger ins spätere If). Jahrhundert, während die von Haltaus und
Walch benutzten Codices, sowie vier, die Klotzsch nocli kannte,
aber als wertlos bezeichnete, jetzt trotz aller Mühe nicht mehr nach-
weisbar sind — . .so kann Ermisch doch mit Sicherheit nachweisen, dafs
sie sämtlich aus einer älteren Vorlage aligeschrieben sind, die unab-
hängig von dem ältesten Freiberger Kxemplar aus einer mit (lie.sem
gemeinsamen Mutterquelle geschöpft halten mufs; mancherlei Fehlei',
die bei dem Charakter des älteren Freiljerger Codex als Reinschrift
nach einem allmählich entstandenen Konzept überaus erklärlich sind,
lassen sich auf das Leicliteste aus den Lesarten der jüngeren Hand-
schriftengruppe l)cssern und berichtigen ; es ist das ein Verhältnis, welches
der Herausgeller mit der weiteren, recht glaultlichen Vermutung zu
erklären sucht, dafs die Quelle der jüngeren Handschriften ein nudir
zum praktischen Gebrauch bestimmter, im Dinghaus verwahrter und
hier bei den späteren Feuersbrünsten zu Grunde gegangenei' Codex
gewesen sein müsse, während die in schöner Minuskel gefertigte
ältere Fi-eiberger Handschrift als Prachtexemplar wohl stets sicli im
städtischen Archive Ijefunden habe und so bis auf die Gegenwart
liindurch gerettet worden sei. Aus diesem Materialc hat Ermisch
den Alldruck des eigentlichen Stadtrechtes noch um eine Anzahl von
Beilagen, die organisch mit dem letzteren zusammenhängen, be-
i'eichern können; so linden wii' am Schlüsse der Ausgalte noch den
Zolltarif dei' Stadt Freiberg von 133H, eine Ratswillküi' über die
Abhaltung der Gerichtstage und einz(dne Punkte des Rechtsverfalirens
aus der Zeit von 1344 bis 1350, die Innuiigsartikel dei' sieben wicli-
tiysten Zünfte, zum Teil noch dem 14., überwiegend dem 15. .lalir-
hundert angehörig, sowie spätere Bestimmungen über verliehene
(id(a- versetzte Falirhalie und einige Ratslieschlüsse über gerichtliche
Taxen.
Dem Texte geht selbstverständlich eine gründliclie und ge-
diegene Vorrede und Kinleituug vnraus; neben den Mitteilungen über
11*
1(34 Litter atiu'.
die Handscliriften und Ausgaben des StadtrechteSj soAvie über die
bei der 'l'oxtloitik eingehaltenen Griuidsätzc, die wir hier oben
zu skizzii'i'en versudit haben, enthält jene Einleitung' Aveitere
durchaus schätzbare Ausfühiungen über die Entstehungsgeschichte
des Stadtrechtes und dessen Schicksale bis auf unsere Tage. Nach
ersterer Seite hin sucht der Herausgelter zunächst die Frage nach
der Entstehungszeit des Freiberger Stadtrechtes und sodann die nach
dem Verhältnisse desselben zu anderen älteren und gleichzeitigen
vaterländischen Kechtsquellen zu beantworten. Die Auskunft, die
uns auf den ersten Teil dieser Frage wird, gründet sich aiif die Be-
obachtung, dafs sämtliche jüngere Handschriften einen König als
Landesherrn nennen, und in der älteren Freiberger Handschrift, da,
wo vom Markgrafen die Rede ist. jedesmal dies Wort auf einer
Rasur steht; es können daher für die Zeit der Niederschrift der Ur-
aufzeichnung nur die Jahre 129e)— 1307, Avährend welcher die Stadt
sich in königlichem Besitze befand, in Betracht kommen; durch eine
Freiberger Urkunde vom Juni 1305, in der eine Änderung eines
jedenfalls aufgezeichneten Rechtsgrundsatzes bezeugt Avird, gelingt
es ferner jenen Zeitraum noch um 2 Jahre zu kürzen; andererseits
erblickt Ermisch in einer. markgräflichen Urkunde vom 27. Mai 1294,
die in erster J^inie die Überlassung der landesherrlichen Gerichts-
bai'keit an den städtischen Rat verltürgt, die besondere Veranlassung zur
schriftlichen Feststellung des Stadtrechtes und findet hierin den
Grund, Aveshalb spätere Chronisten die Aufzeichnung desselben ohne
Aveiteres in jenes Jahr setzen. Alles jedoch, Avas aus früherer Zeit
von einem Stadtrechte berichtet wird, darf nach Ermischs Dar-
stellung mit Sicherheit nur auf eine mündliche Rechtsüberlieferung,
die sich an eine bei der Gründung der Stadt in den Jahren 1185 bis
1190 seitens des Landesherrn erfolgte BcAvidmung mit einem be-
stehenden Rechtssysteme anschliefst, nicht aber auf eine schrift-
liche Aufzeichnung der einschlägigen Rechtsgrundsätze bezogen
Averden. Dagegen ist es leider nicht möglich geworden, den Charakter
jener ältesten Grundlage des Stadtrechtes näher zu bestimmen.
Ennisch hat sich eine jedem Juristen Ehre machende Mühe gegeben,
alle Quellen, aus denen das Freiberger Recht getiofsen sein könnte,
zu verfolgen, doch kann kein anderes deutsches Rechtsbuch als
Hauptgrundlage desselben bezeichnet Averden, vielmehr finden sich,
ohne dafs eine unmittelbare J^enutzung nirtglich und erweislich
Aväre, Anklänge soAvohl an das Landrecht des Sachsenspiegels als
an das Rechtsltuch nach Distinktionen, bei welchem die mit dem
Goslarer Rechte übereinstimmenden Satzungen durch die Beziehungen
desFreiberger Bergbaues zum Harzer einen besonderen Hintergrund
besitzen dürften, Avie an das sächsische Weichbildsrecht und an die
Rechtslmcher der böhmischen Städte ; so sehr aber unter den letzteren
das Iglauer von besonderer Wichtigkeit für das Bergrecht in Frei-
berg war, läfst sich ein Gleiches vom Stadtrechte nicht naclnveisen,
vielmehr müssen die gemeinsamen Berührungspunkte darauf zurück-
gehen, dafs in Freiberg Avie in Böhmen fränkische oder flamländische
Einflüsse selltständig tliätig gCAvesen sind. Am schärfsten tritt an
den eigentümlichen Bestimmungen des Freiberger Rechts über die
ehelichen Güter- und Erbverliältnisse eine Mischung von ver-
schiedenartigen, anderAveit in Deutschland geltenden Grundsätzen
hervor un<l es raufs entschieden angenommen werden, dafs diese Ver-
einigung fi'emder Elemente liereits längere Zeit vor der Aufzeichnung
der Freiberger Rechtsüberlieferung stattgefunden habe.
Litter atnr. 165
Der Rt'dactor der Irtztcrcu hat lioi seiner Arlieit iiaclnveislirli
zumeist aus eigener Kenntnis geseliüpft und nur da, wo ihn letztere
in Stich liels, sich in Gestalt vcm Weistüniein Auskiiutt hei den
))erufenen Trägern der mündlichen Reehtsiiherlieferung im städtischen
Rate erbeten. Daher kommt es zum Teil, dafs die A-erschiedenen
Reclitsmaterien nicht immer liesonders folgerichtig aneinander gereiht
lind scharf auseinander gehalten sind, wie Ermisch 8. XXI— XXIA'
im einzelnen zeigt. Das mufs uns auch in Anbetracht der übrigen
Zeitverhältnisse nicht allzusehr Wunder nehmen und darf vor allem
nicht unser Ui'teil über die Befähigung und Leistung des Redaktoi's
nachteilig l)eeintlussen. Berichterstatter möchte im Gegenteil nach
Durchsicdit der neuen Ausgabe die Anlagen und die Thätigkeit des
Kompilators recht hoch anschlagen und daher eher auf die frühere
Annahme von Klotzsch zurückkommen, dafs jener dem geistlichen
.Stande angehört habe '. damit würde die von Ermisch S.XXI aufgestellte
Vermutung, dals der Autoi- unter den Ereiberger Stadtschreibern zu
suchen sei, durchaus vereinbar sein, denn um 1300 dürfte Avohl eher
ein Geistlicher als ein Laie das Stadtschreiberamt iune gehabt
haben. Weniger möchte ich einem Yogte oder einem Ratsmitgliede
jener Zeit die für eine solche Aufgabe erfoi'derlichen Kräfte zu-
trauen. Ereilich mufs bei den geringen Anhaltspunkten, die das Erei-
berger Rechtsbuch wie viele ähnliche Werke hinsichtlich der Person des
Verfassers bietet, eins wie das andere A'ermutung bleiben. — Wer
und was immer auch der Schöpfer des Werkes gewesen sein mag.
er geuiefst den Ruhm, dafs seine Schöpfung über 500 Jahre Bestand
und Ansehen behalten hat; erst 1832 ist das statutarische Recht der
Stadt Freiberg endgültig und vollständig durch die Einführung der
sächsischen Städteordnung beseitigt worden. Allerdings hat es die
letzten drei Jahrhunderte hindurch bereits nicht niehi' in seinem
vollen Umfange gegolten; eine Reihe wichtiger Bestimmungen wai'en
schon seit Anfang des 16. Jahrhunderts durchbrochen worden und in
Abgang gekommen. Die landesherrliche Macht war es, die damals
zuerst eine den Bestimmungen des Stadtrechtes entgegenlaufende
Änderung der Ratsverfassung durchsetzte und die bisher verpönte
Appellation an den Hof zur Geltung brachte ; bei den \'erhandlungcn
ülter diese Punkte kam herzoglichcTseits die Ansicht offen zum Aus-
druck, dafs die vorliegende Aufzeichnung des Stadtrechtes ül)erhau])t
nicht als glaubwürdige Ui'kunde anzusehen sei, eine Anschauung,
die vielleicht ebensosehr doi-ch die alle leitenden Kreise erfassende
römische Auffassung der Gesetzgebung und der Rechtsverhältnisse
herbeigeführt war. wie zu Gunsten einci- Verbreitung dersidben
wiederum gtdtend gemacht wurde. Zueilt ging Herzog Heiniich
gegen das in Ereiberg geltende eigentümliche X'erfahren gegen Ab-
wesende und gegen das „Verzählen", eine Eorm der Stadtver-
weisung. vor; ein weiterer Versuch, die gesamte städtische Gesetz-
gehung einer l'rüfung und Neuredaktion durch seine Beamten und
.luristcn zu untei'we.rfen, wurde zwar durch die hei'einbreclieiiden
kindiliihen W'in'cn vereittdt, dagegen ergal)en die 1.572 veröffent-
lichten Konstitutionen des Kurfürsten August, die in Zukunft als
allein gültiges Landesrecht angeselien werden sollten, eine Reihe von
(legensätzen zuni Ei'cilierger Krli- und ehelichen Güterrecht, und es
raufste über dies(ll)en zu einer nachhaltigen Auseinandersetzunu'
kommen. Nachdem man eine Zeitlang in Kreiberg die abweichenden
landesheriliclien Verordnungen als nicht bestellend lieti'achtet liatte, sali
man sich doch alsltald gezwungen, den Weg der. VerhaniUnngen zu
166 Litteratur.
lietreteu. al)er alle an den Hof gerichteten Bitten wurden infolge
des Eintiusses, den der üeheinirat Craco dort ülite, alischläglicli be-
scliieden und ein nach dem Sturze desselben erneuter Versuch zu
Gunsten der stadtrechtlichen Gesetzgebung hatte keinen anderen
Erfolg, als dafs die Gültigkeit der letzteren in verschiedenen Erli-
rechtsfragen bis zum Juli 1576 zugegeben, von da ab auf das Be-
stimmteste aufgehoben wurde. Diese vielfältigen Durchbiechungen
der alten Statuten waren es, die Ende des 17. Jahrhunderts den
Eat selbst veianlafsten, mit einer durchgreifenden Revision vorzu-
gehen, und in der That kam dank der unermüdlichen Thätigkeit des
damaligen Bürgermeisters Giaupitz ein Entwurf zu stände, der durch
eine Kommission des Rates sowie duich einheimische und auswärtige
Juristen geprüft, von der Bürgerschaft angenommen, trotz vielfältiger
Bemühungen iloch die kurfürstliche Bestätigung nie erhielt. Selbst-
verständlich kam es auch nicht zu einer Veröftentlichung dieser Be-
arlieitung durch den Druck ; dafs man eine solche beabsichtigt hatte,
beweist ein Teil der von Ermisch nachgewiesenen Handschriften.
Nicht ohne ein gewisses Bedauern und Mitgefühl kann man diesen
Nieder- und Untergang der pi'aktischen Geltung der altehrwürdigen
' städtischen Gesetzgebung sich vollziehen sehen: um so erfreulicher ist
es, dafs ihre Eigenschaft als historisches Denkmal duich Ermisch's
Ausgabe in so trefflicher Weise gewürdigt worflen ist.
Kiel. Wilhelm Seh um.
Die Landfrieden in Deutschland unter Ludwig dem Baiern von
Jakol» Solnvalni, Dr. phil. Göttingen. Vandenhoeck und Ruprecht.
1889. 170 SS. 8*».
Wie das gesamte politische Leben Deutschlands seit dem Liter-
regnnm sich mehr und mehr auf die Territorien zurückzog, so tritt
auch hinsichtlich der Landfiiedensgesetzgebung seit dem Ende des
13. Jaluhunderts die Reichsgewalt in den Hintergrund und ülterläfst
den Einzelfürsten die Sorge für den Kiieden ihrer Länder. Die voi'-
liegende tleifsig und gründlich gearbeitete Monographie hatte sich
mithin vorzugsweise mit teriitorialen Landfriedensltündnissen zu be-
schäftigen, und das ist es. was uns veranlafst, an dieser Stelle in
Kürze auf sie hinzuweisen. Denn auch die Wettiner haben an jenen
Bestrebungen teil genommen. Während noch das der Grenzscheide
des 13. und 14. Jahrhunderts angehörende Fi'eiberge)' Stadtrecht
die hohe Bedeutung des Reichslandfriedens, des „vride, den der
keiser geboten hat, die vursten gelobit haben, die lantherren ge-
sworn haben" (Cap. Xll. § 5) mehrfach hervortreten läfst, sehen
wir sowohl in den thüringischen als in den meifsnisch-osterländischen
Landen seit dem Anfange des 14. Jahrhunderts territoriale Land-
frieden in Kraft treten, deren Entwicklung, Verfassung und Wirk-
samkeit in der vorliegenden Schliff eingehend behandelt worden
(S. 94tlg.. 114iig.). In Thüringen kam es 1315 zu einen solchen
Landfrieden, über den wir mancherlei wissen; von besonderer Wich-
tigkeit aber ist das leider textlich nicht völlig korrekt über-
lieferte thüringische Landfriedensgesetz Friedrichs des Ernsthaften
vom 30. Ndvember 1338. Neben diesen thüringischem Landfrieden
Ijestand 1313 schon ein meifsnisch-osterländischer Landfriede, an
welchem die Bischöfe von Meifsen, Merseburg und Naumburg und
verschiedene Herren der Mark Meifsen, des Osterlandes u. s. w. teil-
nahmen; es war wohl lediglich eine Fortsetzung desselben, was der
Litteratur. j67
Rat zu Halle iu einer Uikiuule vum 31. Juli 1321 alti den „laudviidc
zu Misne und in deme Osterlande" bezeichnet und dem nach einer
Urkunde vom 14. Mai 1827 auch Herzog' Rudolf von Sachsen, zwei
Anhalter Fürsten, der Herzog von Mecklenliui'g, die Herren von
Barby und Regensteiu angehörten, so dafs sein Wirkungskreis also
erheblich nach Norden erweitert erscheint.
Dresden. Erniisch.
Die Einführung der Reformation in Dresden. Aus Anlafs der
Erinuerungsfeier im Jahre 1889 dargestellt von Franz Dibelius.
Dresden, Justus Naumann (L. Ungelenk). 1889. 89 SS. 8".
In der vorliegenden Festschrift knüpft der Verfasser au seine
frühereu Studien über das kirchliche Ijeben Dresdens am Ausgange
des Mittelalters an (Beit)'äge zur siichsischeu Kircheugeschichte.
Heft 2). Namentlich führt er im 1. Kapitel die bereits in dem ge-
nannten Aufsatze angedeutete Charakteristik Herzog Georg des
Bärtigen unter Benutzung der inzwischen erschienenen Litteratur
weiter. Wie in seinen früheren Arbeiten hat der Verfasser auch
diesmal dem an sich spröden Stoff durch Heranziehung wichtiger
einzelner Züge Leben abgewonnen. So sei aus dem 2. Kapitel,
welches die Regierung Herzog Heinrich des Frommen behandelt,
hervorgehoben die Besprechung des Katechismus Johann VIIL,
Bischofs von Meifsen: „Eine gemeine christliche Lehr iu Artikeln,
die einem jeden Christen zu wissen vonnöthen". Die Schrift sollte
„in einem bedeutenden Moment der sächsischen Geschichte den letzten
Versuch darstellen, mit List bei dem evangelisch gesinnten Herzog
Heinrich das zu erreichen, was man unter dei' Regieruug des anti-
lutherischen Georg vergeblich erstrebt hatte". Im 3. Kapitel, über-
schrieben: „Der Einzug der Reforraatiim in Dresden" bietet die
Frage nach der Stellung der Dresdner Bevfilkeruug zur Reformation
eine Reihe neuer Gesichtspunkte. Verfasser kommt zu dem Resul-
tate, dafs nicht etwa ein Befehl des Herzogs die Einführung der
neuen Lehre erzwungen hat, sondern die Reformation lediglich die
obrigkeitliche Anerkennung einer unabänderlichen Thatsache bedeutet.
Mit neun schwerwiegenden Gründen belegt der Verfasser seine An-
schauung. Wichtig ist folgende Stelle aus einem Briefe des Cochläus
über den Kanzler Pistoris, aus welcher hervorgeht, dafs auch an
Herzog Georgs Hofe sich Sympathien für Wittenberg regten: „Non
placet ei (Pistoris) quod contra Ijutberum pro ecclesia quaedam
ilefendere stndeo, vellet liberuni esse coniugium sacerdotibus, facereque
ait contia a])ostolum et ecclesiam eos (jui i)r(iliibeut nid)ere. Utranique
speciem et panis sul)stantiani in sacramento adproltare videtui'. Et
in summa videtur inultis Lutlieranis dogmatibus iiropensior quam
velit Clerus. Haec secreto." Das letzte Kapitel: Die I3ui'chführung
der Reformation in den Dresdner (Gemeinden fülii't bis zur He-
cnditiung <le]' zwijten Visitatinu und bietet nähci'e Angaben über Eiu-
riclitmig des kircliliclien Lebens, des Gottesdienstes und des Schul-
wesens.
Dresden. Georg Müller.
IMe kirchliclicu XiistiiiHle Hautzens im l(>. und 17. .lalirlninderl.
Nach urkundlichen Qu(dlen dargestellt von Friedrich Ih'rniiinn
Haiimgärtel. Rostocker Inauguraldissertatinu. Heigabe zuu! i'ro-
gramm der Realschule zu Bautzen. ]ft89. 64 SS. ^8".
168 " Litteratur.
Die Ge.scliiclite der alten Seclisstadt und Soilionhauptstadt
Bautzen gehört nicht zu den Get)ieten, welche sich bisher einer be-
sonders eifrigen Bearbeitung halten rühmen düifen. Dies zeigt sich
in auffallender Weise, wenn man in Bichters kürzlich erschienener
Litteratur der Landes- und Volkskunde des Königreichs Sachsen
den Umfang der über Bautzen erschienenen Schriften mit denen über
andere sächsische Städte, z. B. Zittau, vergleiclit. Um so dankbarer
ist die vorliegende Darstellung der kirclilichen Zustande Bautzens
im 16. und 17. Jah]'hunde]t zu begrüfsen. Eeiches archivalisches
Material stand dem Veifasser zur Verfügung. treftli(di ist ihm der
von dem Herausgeber dieser Zeitschrift gemachte Urkundenfund zu
statten gekommen. Die schönsten Stücke entstammen demselben.
Referent verweist auf eine Reihe fesselndei' Schilderungen, z. B.
über die ei-sten evangelischen Prediger. Paul Cosel und Michael
Arnold, wie die Veifolgung des Bautzner Schulmeisters, der ein
Pasquill über die Zerstörung des Grabes des Bischofs Benno von
Meifsea geschrieben odei' wenigstens verbreitet hatte. Der Mangel
an Raum war wohl der Grund, weshalb dei' \'erfasser. der die archi-
valischen Quellen so soi'gfältig ausgenutzt hat, die gedruckte Litte-
ratur nicht noch mehr herangezogen hat. So hätten Karl Schubarts
aus den Quellen gearbeiteten Beiträge ..Zur Geschichte des Gvm-
nasiums in Budissin (Bautzen) T. IL" (Budissin 18fi3. 1864) niniiche
Anknüpfung geboten. Auch wäre der Verweis auf die reformations-
geschichtlicheu Quellenschriften der Würdigung einzelner Persönlich-
keiten zu gute gekommen. Verwiesen sei nur auf Johann Langer
(S. 17), über den in Luthers Briefwechsel (De Wette III, 021)
näheres berichtet wird. Er war in Naumburg Prediger, aber vom
dortigen Bischof vertrieben, wurde er von Luther dem Kurfürsten
als Prediger nach Koburg empfohlen, wo er 1548 starb. Vergl. auch
über ihn Seckendorf, Historia Lutheranismi. Lipsiae 1694. Lib. III,
p. 70. Hönn, Sachsen-Koburgische Historia. I. 80. 20L Burkhardt.
Dr. Martin Lutheis Briefwechsel. S. 151. 166. — Zum Schlüsse sei
noch auf des Verfassers kürzlich erschienenen Aufsatz verwiesen
„Das Teiminierhaus der Augustiner in Bautzen" (Wöchentliche Bei-
lage zu den Bautzner Nachrichten 1889. Nr. 8.5. 36). der in An-
knüpfung an eine A)-beit von Knotbe eine Upisode aus der Bautzner
Klostergeschichte behandelt und auch einige Notizen zur Geschichte
des Franziskanerordens enthält.
Dresden. Georg Müller.
Mitteilmigeii aus dem Protokoll der Kirchen -Visitation im
sächsischen Knrhrelse vom .Jahre lo.'iS, von Dr. Hermann
Hering-, ord. Professor der Theologie. Wittenberg, 1889. n-Z SS.
gr. 8" [Osterprogramm der Kgl. vereinigten Uriedrichs-Universität
Halle-Wittenberg 1889].
Die Visitation von 1.0.55 hat für die sächsische Landeskirche
eine hervorragende Bedeutung, weil auf Grund derselben die General-
artikel entstanden sind, welche nicht nur in der Verwaltungs-
geschichte unserer engeren Heimat einen wichtigen Markstein bilden,
sondern auch aufserhalb derselben vielfach vorbildlich und mafsgebend
geworden sind. Um so dankenswerter ist die obengenannte A'er-
öffentlichung eines Bruchstückes der Visitations-Protokolle, welches
sich im Archive dei' theologischen Fakultät zu Halle Ijetlndet und
die vier Amter Schlichen, Liebeuwerda, Beizig und Gommern um-
Litteiatnr. 169
fafst. Es ist ein iiemT Beweis dafüi'. welcli wertvolle Schätze iincli
migelioben in den Visitations-Akteu lulien. In denselbeu ündeu sieh
über Pfarrer und Lehrer eine Reihe von Ans^abeu, w^elche zur säch-
sischen Gelehrtenyeschichte manchen Reitrat;- liefern. Deutlich tritt
das Bestreben hervor, die Geistlichen, welche ohne Universitätshililnni>-
ins Amt gekommen waren, durch solche von wissenschaftliche!' Tüch-
tigkeit zu ersetzen. Besondere Fürsorge wird der Heljung des
Jugendunterrichts zugewendet nnd in dieser Eichtung namentlich der
Katechismusnnterricht gefördert. Hervorzuheben ist ein Ansatz zum
Schulzwange in der Bestimmung, die zu Haseloff (S. 24) getroffen
wird, dafs unentschuldigtes Versäumen des Katechismusunterrichts
mit festgesetzten Strafen geahndet werden soll. Von Interesse ist
zu verfolgen, wie die Bestimmung der Generalartikel, dafs die Küster
ein Handwerk treiben dürfen, nur eine Konzession an thatsäclilich
schon bestehende Verhältnisse war. Auch zur Geschichte der Ver-
fassung der sächsisdien Lande skirclie tinden sich einzelne Bausteine.
Bezüglich der Ordination wird z. B. ein l'farrer erwähnt, der von
Doctor Justus Jonas geschickt, nach Löbnitz kam. „ohne die öffent-
lich Ordination, die dazumal noch nicht angeiicht war. als er etlicli
Jahr in I'atria Schulmeister und Stadtschreiber gewesen war" (S. ;il).
Welche Freiheit bezüglich der kirchlichen Einrichtungen herrschte,
geht aus der Thatsache hervor, dais in den drei Ämtern Go}nmern.
Plötzik und Elbenaw die meklenburgische Kirchenordnung seit 1553
eingeführt war (S. 28). Auch zur Statistik der Bevölkerung tindcii
sich zahlreiche Notizen; die kirchliche \'ersorgung der damals nocli
wendischen Bevölkerung der Dörfer um Barnth wird erwähnt (S. 10).
Referent schliefst mit dem Wunsche, dafs der Verfasser auch ferner
die Programme zur Herausgabe urkundlichen Materials benutzen
möge, wie die in denselben enthaltenen Veröffentlichungen .1. Köstlins
aus den Jlatrikeln der Universität AN'ittenberg eine klaffende Lücke
ausfüllen.
Dresden. Georg IM ü 1 1 e r.
(Juelleii zur (ioschiclito Leipzigs. Veröffentlichungen aus tlcui Archiv
und der Bibliothek der Stadt Leipzig. Herausgegel)en von (iustav
»'ustniann. Erste)- Band. Mit 6 Abliildungen. Gedruckt aut
Kosten der Stiftung für die Stadt Leipzig. Leipzig, Dunckei- u.
Humblot. 1889. XV, 493 SS. 8".
Mit diesem Bande führt sich ein neues Unternehmen ein. welches
nicht nur der Stadtgeschic hte reichesQudlenmateiial zugänglicli machen,
sondern anch den mehr und mehr gesunkenen Sinn füi- die städtische
Vergangenheit in Leipzig anregen soll. Diesen letzteren Gesichts-
punkt mufs man bei Beurtheilnng des Werkes im Auge behalten.
Der Herausgeber, der recht wohl wufste, dafs. wer vieles bringt,
wird manchem etwas bringen, vereinigte in diesem ersten Bande
sehr Verschiedenaitiges. Die gröfsere Hälfte desselben nehmen die
Auszüge aus J. S. Riemers Leipzigischcm .lahi'buche (1711 1771)
ein. l5iese Aufzeichnungen sind keine Tagebücher, sondern eine
aus den mannigfaltigsten Quellen zusammengetragene t'hronik.
Wer sich für den ..lokalen" Teil unserer Tagelilättei- interessiert,
wit-d bei Riemer für das 18. Jahrhundert reiche .Ausbeute tinden;
einen gröfseren Wert dürfte aber dieses .lahrbiuh kaum beansiiruchen.
Hieran schliefst sich ein kurzer Aufsatz des Heransgel)ers zur Ge-
schichte des Theaters in Leipzig Ififiö— 180o, in welchem uns auf
&
170 Litter atur.
Grund der ]\Iefsrechmmgeii ein Verzeichnis der seit 166?) in Leipzig
wälireml der Messe aufgetretenen Schauspieltruppen gegehen, sowie
ihre Thätiglceit geschildert wird. Zwei Beschreibungen Leipzigs
aus dem 16. Jahrlmndert von Ulrich Urol's (1587) und Wilhelm Dilich
(1594) leiten den Band ein. bieten aber kein hervorragendes Interesse.
Der Sclnverpuukt der Publikation liegt m. E. in den Leipziger
Steuerbüchern von 1466 — 1529. Und wenn der Herausgeber gerade
im Hinblick auf die Bestrebungen, welche die neuere Wirtschafts-
geschichte beherrschen, diesen Teil veröffentlicht hat, so wird ihm
der Dank von den Vertretern derselben auch nicht versagt werden.
Jedes der vier mitgeteilten Steuerbü(dier ist mit einei' längeren Ein-
leitung versehen, die wii' uns nur noch etwas ausfülirlicher gewünscht
hätten; durch Einordnung in Tabellen hat 0. Richter — vergl. diese
Zeitschrift Bd. II u. ^litteil. d. Ver. f. Gesch. <l. St. Meifsen Hft. 1
— diesen so spröden Stoff noch übersichtlicher gegliedert. Das
Harnischlnich von 1466 zeigt, Avelche Handwerke damals in Ijcipzig
zu Zünften (24) vereinigt waren; Tuchmacher, Bäckei', Fleischer,
Schneider sind am stärksten vertreten, Beutler, Nadler, Riemer da-
gegen am schwächsten. Das Türkensteuerbuch von 1481 verzeichnet
den Eingang iler von den Herzögen Ernst und Alltrecht ausgeschrie-
benen Vermögens-, Einkommen- i;nd Kopfsteuer. Eine Prüfung der
Landsteuerbücher von 1499, 1502, 1506 und des Türkensteuer-
buches von 1529, welche noch mitgeteilt werden, ergiebt be-
«leutende Scliwankungen in der Einwohnerzahl und dem Vermögens-
bestand. Z\\ischen 1499—1506 scheint ein Rückgang in den Erwerbs-
verhältnissen eingetreten zu sein; bei den Wohlhabenderen wird ein
bedeutender Abfall in ihrem Vermögen bemerkbar. Im "N'ergleich mit
Dresden und Meifsen zeigt Leipzig einen erheblich gröfseren Wohl-
stand; ein Vermögen von über 2000 tt. besassen in Dresden (1488) nur
eine Person (235011.), in Meifsen (1481) drei Personen (7800 fl.). in
Ijeipzig aber 39 Personen, und die 16 höchst Besteuerten hatten ein
CTesamtvermögen von 131900 fl. (pro Kopf 8231 fl.) und bezahlten
25 7o des Steuersolls.
Dresden. R o b e r t W u 1 1 k e - B i 1 1 e r.
l{eschreil)on(Ie Darstellung der älteren Hau- und Kunstdenkmäler
des Königreichs Sacliscn. Auf Kosten der Königlichen Staats-
regierung herausgegeben vom Königl. Sachs. Altertums -Verein.
9.— 11. Heft: Amtshauptmannschaften Auerbach, Oelsnitz, Plauen.
12. lieft: Amtsbaui)tmannschaft Zwickau. Bearbeitet von Dr. R.
Steclie. Dresden,' in Kommission bei C. C. Meinliold und Söhne.
1888. 1889. 16, 33, 89 SS. 149 SS. 8".
Dieselben Vorzüge, die schon zu wiederholten Malen dieser
Arbeit nachgerühmt wurden, zeichnen auch die neuen Lieferungen
aus. Die Anlage der Kirche zu Oelsnitz ist in ihrer Unregelmässig-
keit sehr beachtenswerth ; dann verdient <lie interessante geschnitzte
Truhe aus der Kirche zu Untertriebel hervorgeholten zu werden.
Das Altarbild aus Jöfsnitz, die merkwürdige Kirche zu Kürbitz, die
schöne Alabastei'skulptur aus der Kirche von Netzschkau. die Glas-
gemälde von Neumai-k und das Altarwerk der Lutherkirche zu Plauen
sind wertvolle Kunstdenkmäler und haben eine Bedeutung nicht
allein für die sächsische Kunstgeschichte. Besonders reich ist das
zwölfte Heft ausgestattet. Hauptsächlich nimmt das Interesse in
Anspruch die Besprechung der spätgotischen Marienkirche zuZwickau
Litteratur. 171
mit ihren lieryorragenden Kunstdenkinäleni. Sehr dankenswert h er-
scheint es. dals von Michael Wolgeinntlis Altarwerk gutgelungene
l)hotograpliisclie Reproductionen mitgeteilt werden. Zu S. 105 be-
merke ich, dafs der dritte Hexameter der auf die Sippe der h. Anna
bezüglichen Verse unvollständig ist. Der Vers ist zu ergänzen:
(Has) duxere (viri) Joseph, Alpheus, Zehedaeus etc. Auf S. 82 ist
die Inschrift: Im jare etc. durch ein A' ersehen des Druckers verun-
staltet worden, der die Anfangsbuchstaben der zweiten und dritten
Zeile vertauschte. S. 36 wird die Jahreszahl Z. 2 wühl lieber 1507
als 1502 zu lesen sein. Der Namen des h. Quirinus ist S. 68 in
einen S. Klerinus vielleicht bei einer Restaurierung verändert worden.
Die Beschreibung dei' Kunstwerke ist kurz aber immer zweckent-
sprechend und vollauf genügend; die Abbildungen sind meist wohl
gelungen und gut gewählt. So bieten auch diese Hefte der be-
schreibenden Darstellung wieder eine hoch anzuerkennende Bereiche-
rung imserer vaterländischen Kunstgeschichte und liewähren sich aufs
neue als eine vortreffliche Leistung, welche den übrigen in Deutschland
erscheinenden Monumentalstatistiken nur als Muster hingestellt werden
kann.
Prag. A. Schultz.
Übersicht
ül)er neuerdings erschienene Schriften und Aufsätze zur
sächsischen Geschichte und Altertumskunde.
Ärras, Faul. Bilder aus der sächsischen (ieschichte. Für Schule
und Haus zusaminenüestellt. Lei])ziü-. A'eit & Comp. 1889.
136 SS. 8«.
— Bündnis Friedlich des Sanftmütigen und Friedricli des Fried-
fertigen mit den Seclislanden und Städten der Übcrlausitz (1429):
Neues Lausitzisches Magazin. Bd. LXV. S. 290—292.
BauiHijärfeJ. Ein Bautzner Innungsbrief von 1408: ebenda S. 293
bis' 295.
— Das Terminierhaus j;ler Augustiner in JJautzen : Wöchentl. I'>ei-
lage zu den Bautzner Nachrichten. 1889. No. 35—36.
Becker, Joh. Kurfürst Johann von Sachsen und seine Beziehung» u
zu Luther. 1. Teil. 1520—1528. (Leipzig. Tnaug.-Diss.). Leipzig.
Gräfe. 1890. 82 SS. S".
Blanckmeister, Franz. Von Platten nach JohanngeorgenstaiU. Line
Exulantengeschichte aus der l)öhmisclien (iegeni'cfurmatiou.
Barmen, H. Klein. 40 SS. 8<*.
f Bücher. J Zehn Jahie in Kri(>g und Frioden 1866 bis 1876. X'oni
Verfasser der .lugend-Erinnerunücn eines alten Sachsen. Dresden,
Hackarath. 1889. VI, 146 SS. 8".
Distel; Th. Nachrichten über den Mag. Johann l'uUicarius. Su\k'Y-
intendenten zu Wcifsenfels, und seinen gleichnamigen Sohn (1569):
Zeitschrift für Kirciiengeschichte Bd. XI (1889). S. 167—169.
— Schreiben Lindenianiis an Kurfüi'st Auaust zu Sachsen. Fhuius
betretteml (1.567): ebenda S. 330— 332.
— Ein ^\'ort über den geschichtlichen W'vrt des sogeiiannten Sädi-
sischtüi Stauimbuchs:' Kunstclironik (Beiblatt zur Zeitschrift für
bildende Kunst). XXIV (1889). Sp. 676.
172 Litterat ur.
Distel, TIb. Nachricliton über zwei säclisische ..lUuniiiiisten", üaltliasiir
1111(1 Saluiutiu Iviiiast. im 16. Jalirliniidert : ebenda N. F. 1 (1890).
Sp. 157/58.
— Aus einem (iutacliten Karl Friedrich Seliinkels, betreffend den
Universitätsbau zu Leipzig (1831): Blätter für Architektur und
Kimsthaudwerk. 11 (1889). S. 25.
— Bittgesuch des Daiumwildes im Thieigarteu zu Stol})en au Kurfürst
Friedrich August II. zu Sachsen (1738): Weidmann. XX (1889).
S. 413. XXi (1890). S. 25.
— Meldung you dem Fange eines ülier 70 Jahre alten Reihers an
Kurfürst Friedrich August I. zu Sachsen (1723): ebenda. XXI
(1890). 8. 118.
— Kleinigkeiten aus dem K. Hauptstaatsarchiv in Dresden: Archiv
für (Jeschichte des Deutschen Buchliandels. XIII (1890). S. 252flg.
— Ein Falschmünzerei betrefftmdes Urtel (16. Jahihundert) : Blätter
für Müüzfreunde. 1889. Nr. 157. S. 1479.
— Befrachtung eines von Dresden nach Hamburg gehenden Schiffes
ri562): Schiff X (1889). S. 38J.
— Zwei griechische Distichen des — späteren — Königs doliann von
Sachsen; zum 12. Dezember: Wissenschaftliche Beilage der Leip-
ziger Zeitung. 1889. Nr. 148. S. 593.
Eitner, Hob. Der Di-esdner Kapellmeister Giovanni Battista Pinello:
Monatshefte für Musikgescbichte. XXI (1889). S. 175-178.
Ernst IL, Herzog von Sachsen-Coburß-Goiha. Aus meinem Leben
und aus meiner Zeit. Diitter Band. 1. — 6. Auflage. Berlin,
Hertz. 1889. 726 SS. 8'\
Fischer, P. Zittauer Concertleben vor 100 Jahren: Viert eljahrs-
schrift für Musikwissenschaft. Jahrg. V (1889]. S. 582-588.
Gebauer, H. Die Volkswirtschaft im Königreich Sachsen. Historisch,
geographisch uud statistisch dargestellt. Lieferung 1 — 4. Dresden,
Baensch. 1889, 1890. S. 1—256. 8"^.
— Die Spielwaarenindustrie des Erzgebirges: (TiMiieinverständliche
wissenschaftliche Aufsätze über das Erzgebirge (1. Jahresbericht
des Erzgebirger Zweigvereins Chemnitz 1889). 8. 50 — 73.
Geß, Fei. Buchhändler -Briefstyl 1580, Hans Börner in Leipzig
und Melchior Sachse in Erfurt: Archiv für Gescbichte des Deut-
schen Buchhandels. XIII (1890). S. 111-114.
— Spuren der Censur in Sachsen um das Jahi' 1500: ebenda S. 245 — 247.
— Prefspolizei auf der Leipziger Messe 1531 : ebenda S. 250.
Hähncl, C. L. Bei den Fahnen des XII. (königlich sächsischen)
Armeekorps. Aufzeichnungen eines Angehörigen des 107. Regi-
ments im Feldzuge 1870'71. München, Beck. 1890. VIII.
150 SS. mit 3 Plänen auf 1 Bl. 8».
Frhr. von Hausen, Clemens. Vasallen-Geschlechter der Markgrafen
zu INfeifsen, Landgi'afen zu Thüringen und Herzoge zu Sachsen
l)is zum Beginn des 17. .labrhunderts. Auf Grund des im König-
lichen Haupt - Staatsarchiv zu Dresden beündlichen Urkunden-
raaterials zusammengestellt: Vierteljalirsschrift für Heraldik,
Sphragistik und Genealogie. Jahrg. XVII (1889). S. 229-354.
Hofl'niaun. Justinus Töllners, pietistischer Pfarier zu Panitzsch.
Kirclilirhes Zeitbild aus dem Ende des 17. Jahrhunderts: Sachs.
Kirchen und Sehulbbitt. 1889. Nr. 18-21. Sp. 149-153, 157 bis
159, 165-170, 177-181.
Kade, 0. Zu Leonhard Lerchner: Monatshefte für Musikgeschichte.
Jahrg. XXI (1889). S. 186 f.
Litter atiir. 173
Kade, 0. Ein cliui fürstlich sächsischer Notendruck von 1628 : Wisseu-
schaftlichf P.cihigc der Leipziger Zeituni;-. 1890. Nr. 9. S. 33— 35.
Kade, Beinli. Der Dresdner Kapellmeister Johannes Baptista Pi-
nellus: ebenda S. 150—154.
KirchJwft', Albr. Material, Arbeit uml wirthschaftliche Resultate in
den Leipziger Buchdruekereien bis zum Jahre 16.n0: Zeitschrift für
Deutschhmds Buchdrucker. I. Jahrg. (1889). S. 35—37. 47—49.
84—86, 94—97. 106—108, 132—135, U5f., 175f., 187f, 195f.
— Die Sortiments- und Kleinbuchhändler Leipzigs Ins zum Jalire
1600: Archiv für Geschichte des Deutsclien Buchliandels. XIII
(1890). S. 1-96.
— Die Leipziger Büchermesse und der internationale Verkehr im
16. Jahrhuirdert: ebenda IS. 103—110.
— Ein spekulativer Buchhändler alter Zeit, Johann Franekt- in
Magdeburg: ebenda S. 115—176.
— Lesefruchte aus den Acten des städtischen Archivs zu Leipzig.
IV. Aus dem inneren Geschäftsleben des Buchhandels um 1600 :
ebenda S 177—203.
— Michael Härder von Zwickau: ebenda S. 251.
— Ernst Vögelins Schriftbestände: ebenda.
— Handel mit musikalis(!hen Instiumenten in Leipzig: ebenda S. 253
bis 257.
— Zur Geschichte der sächsischen Prefsverhältnisse in der kryptocal-
vinistischen Zeit: ebenda S. 257—259.
Koch, E. Ein Beitrag zur Klarlegung dei' Umstände, unter welchen
am 7. und 8. Juli 1455 der Raub der l^rinzen Ernst und Albrecht
von Sachsen auf dem Schlosse Altenburg erfolgte. (Festschrift
des Gymnasium Bernhardiuum zur Feier des Henflingschen Ge-
dächtnistages am 30. Januar 1890.) Meiningen. 1890. 19 SS. 4».
— Die Stiftung Kaspar Tryllers vom 29. September 1617 und der
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70 SS. und 12 Tafeln. 8".
Knothe, Herrn. Die Oberlausitz während der Jahre 1623 — 1631 von
der Pfandübergabe an Kursachen bis zum Beginn des Krieges
mit dem Kaiser: Neues Lausitzisches Magazin. Bd. LXV. S. 191
bis 261.
— Urkunden Brandenburger Markgrafen aus dem Klosterarchive von
Marienstern: ebenda S. 295—301.
Köhler. Die ehemaligen Zinnseifen im Erzgebirge: Glückauf I Organ
des Erzgebirgsvereins. Jahrg. IX (1889). Nr. 23. S. 9— Pi, isf.
— Ein erzgebirgisches Weihnaclitss])iel : ebenda Nr. 11 12. S. 107
bis 114.
Krebs, Kurt. Aus der Vergangenheit von Eutritzsch. Leipzig,
^ Roisberg. 1890. IV, 214 SS. 8".
Külz, Ed. Otto. Nachrichten über Hainiehen und nächste Umgebung
als Beiträge zu einer Ortschronik herausgegeben. Hainiehen,
Sell)Stverlag des Verfassers. 1889. 2 Bll. 344 SS. 8".
Kurze, F. Geschichte der sächsischen Pfalzgrafschaft bis zu iiuen;
Übergänge in ein Territorialfürstentum: Neue .Mitteilungen aus
dem Geb. histor.-anti(iuar. Forschungen. Bd. XVII. S. 275—338.
— Bisehof Thietmar von Merseburg und seine Clirnnik. (A. n. d. T.:
Neujahrsblätter. iKsrausgegeben von dei- liistoriscbeii Ktniiniission
der Provinz Sachsen. 14.) Halle, C. C. M. l'feffer (Komm.). 1890.
42 SS. 8".
1^74 Litteratur.
Laue, M. Berichte über Erscheinuugeu auf dem Gebiete der Ge-
schichte von Obersachsen. Tliüringen und Hessen in den Jahren
1886 und 1887: Jahresliorichte der Geschichtswissenscliaft im Auf-
trage der historischeu Gesellschaft zu Berlin hei'ausgegebeu von
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thal-Bote. 1889. No. 25-33, 38-44, 50—52, 55—61. 79, 80.
Lippert, Wohl. Des Ritterordens von Santiago Thätigkeit für das
heilige Land, Beitrag zur Geschichte der Kreuzzugsbestrebungen
des XIII. Jahrhunderts : Mittheilungen des Instituts lür öster-
reichische Geschichtsfoi'schung. Bd. X. S. 553—597. [Enthält An-
gaben über 1267 ilg. im Bi>tum ]Meifsen veranstaltete Sammlungen.]
Lungwitz, Herrn. Hieronymus Lotter als Rittergutsbesitzer in Geyer:
Beilage zum'Anuaberger Wochenblatt. 1889. Xo. 192.
— Geyer während des 30 jährigen Krieges: ebenda. 1890. No. 37.
Meyer, F. Herrn. Johann Gottlob Immanuel Breitkopf im Kanipfe
gegen Mifsbräuche in den Druckereien : Archiv für Geschichte
des Deiitschen Buchhandels. XIII (1890). S. 204—212.
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Litteratiu-. 175
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blühenden Adelsfamilien : v. d. Crone — v. KlüsterleinJ : Dresdener
Residenz-Kalender für 1888. (Dresden, Warnatz & Lehmann).
8.159—17« mit 6 Taf. Desgl. für 1889. S. 162-172 mit 6 Taf. 8".
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Eine Kirchenba ustudie. Gedenkblatt ihrer Erneueiung im Jahre
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sätze über das Erzgebirge (1. Jahrbuch des Erzgebirgs- Zweig-
vereins Chemnitz 1889). S. 38—49.
Alt-Meifsen in Bildern. Mit erklärendem Text von W. Loose. Meifsen,
Mosche. 1889. 12 SS., 47 Bll. gr. fol.
Aus den Meisterjahren Ziuzendorfs (1734—1740): Wissenschaftliche
Beilage der Leipziger Zeitung, 1889. No. 82, 91, 92. S. B30f.,
367 f., 370—372.
Eyn Gesang Buchleyn, welche man yetzund yun Kirchen gebrauchen
ist. [Das älteste Zwickauer G-esangbuch vom Jahre 1,525 im
Original-Nachdruck. Zwickau, Konegen. 1889. | 55 SS. V2^.
Mitteilungen des Vereins fnr Geschichte Dresdens. Neuntes Heft.
Dresden, Carl Tittmann (Komm). 1889. 107 SS. S".
Inhalt: Neubert, Zur Entstehung der Dresdner Vorstädte.
Pietsch, Beiträge zur Dresdner Häusergeschichte: A. Das Burg-
lelm. B. Der Taschenberg. Knothe, Das Augustinerkloster zu
Altdresden und seine Besitzungen in der Oberlausitz. Kade,
Eine Dresdner Familienchronik 1542—1597. G. Müller, Eine
Instruktion für die ^^erwaltung des Gemeinen Kastens in Alt-
dresden.
Mitteilungen des Altertumsvereins .zu Plauen i. V. 7. Jahresschrift
1888/89. Im Auftrage herausgegeben von Jul. Vogel. Plauen
i. V., Neupert (Komm.). 1889. 100 SS. 80.
Inhalt: v. R[aab], Das Amt Pausa Ende des 16. Jahrhunderts.
Frey tag, Beiträge zur Geschichte der Besitzer der Herrschaft
Auerbach. Vogel, Geschichte des Deutschen Ordenshauses zu
Plauen i.V. (Müller), Verzeichnis der evangelisch-lutherischen
Geistlichen in der Parochie Plauen. Neupert, Plauen im letzten
Viertel des 18. Jahrhunderts. Trauer, Aus der Glanzperiode
einer vogtländischen Stadt.
Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Meißen. Des
2. Bandes 3. Heft. Meifsen, Mosche (Komm.). 1889. S. 297
bis 420. 8».
Inhalt: Ackermann, Zur Geschichte des evangelischen Kirchen-
gesangs in Meifsen. Markus, Das Franciscaner kloster in Meifsen.
Loose, Die Reforraationsurkunden der Stadt Meifsen. Distel,
Ein nntergegangenes sächsisches Fürstenmonument in Tirol.
G. Müller, Ein Stundenplan des Franciscaneums. Fiat he,
Woldemar Gottlob Schmidt. Seel iger, Franz liebem aus Meifsen.
Zacharias, Frau von Stael über Meifsen.
VIII.
Die Gefaugeunahme des Laudgfafeu
Philipp von Hessen 1547.
Von
S. Ifsleil).
Der schmalkaldische Krieg ist im g-anzen wohl be-
kannt. Einzelne Punkte aber bediu'fen noch der Auf-
klärung, vor allem die Gefangennahme des Landgrafen
Philipp von Hessen, bei welcher der jugendliche Herzog
Moritz von Sachsen neben Kurfürst Joachim II. von
Brandenburg die Hauptrolle spielte. Beide Fürsten evan-
gelischen Glaubens^) wulste KarlV. auf seine Seite zu
ziehen, als er sich anschickte, den schmalkaldischen Bund
zu vernichten und dessen Oberhauptleute, Kurfürst Johann
Friedrich von Sachsen und Landgraf Philipp von Hessen,
als ungehorsame Fürsten des Reiches zu bestrafen.
Wohl ist zu beachten, dals des Kaisers Verein-
barungen mit Herzog Moritz nur gegen Johami Friedrich
und nicht auch gegen den Landgrafen gerichtet waren;
niemand stellte an ihn das Ansmnen, sich gegen den
ScliAviegervater gebrauchen zu lassen. Bereit, den Kur-
fürsten mit zum Falle zu bringen, gedachte er Philipp
von seinen Bundesgenossen abzutrennen und wenn irgend
möglich gänzlich zu retten. Zeigte Joachim von Branden-
^) Der Kaiser g'eAvaim aufsenlriu die Markgrafen Hans nn<l
Albrecht von Braiidcnhni-K' nnd die Herzöge Angnst von Sachsen
(Moritz' Bruder) und Erich II. von Braunst hweig-Caleuberg.
Neues Archiv f. S. (i. u. A. XI. ;i. -i. 1^
178 S. lisleib:
bürg mehr Neigung zur Vermittelung zwischen dem Kaiser
und beiden Bundesliauptleuten , so lag Moritz lediglich
daran, den Landgrafen vor verderblichem Unheil zu be-
wahren. Obgleich ihn die Verhältnisse nötigten, anfangs
auch für den ernestinischen Vetter Interesse zu zeigen,
so fand er doch immer Wege, mit dem Schwiegervater
besonders zu verhandeln.
Monatelang blieben alle Vermittelungsangebote und
Versöhnungsversuche nutzlos. Denn als Gefahr drohte,
waren Johann Friedrich und Philipp entschlossen, nicht
von einander zu lassen, sondern den Kaiser, welcher über
sie die Acht aussprach, zu stürzen und die evangelische
Religion, sowie die Freiheiten des Reiches zu erhalten.
Dabei rechneten sie nicht nur auf den alten Anhang
und den jungen Nachwuchs, sondern auch auf diejenigen
deutschen Fürsten, welche damals im Begriffe standen,
sich der evangelischen Lehre gänzlich zuzuwenden, z. B.
auf Kurpfalz und Kurköln. Sie zählten auf Dänemark
und England, selbst auf die bekannten Feinde des Hauses
Habsburg, auf Frankreich-) und die Türken.
Zur Zeit der Rüstung und des hoffnungsmutigen
Zuges nach Süddeutschland ahnte der Landgraf kaum,
dals Herzog Moritz bereits in Regensburg seinen Fuls in
das kaiserliche Lager gesetzt hatte. Mit ermutigenden
Mahnungen bestürmte er ihn, sich den Kämpfen für die
freie deutsche Nation und für das Evangelium zuzugesellen,
und mit gewissem Stolze sprach er die Hoffnung aus,
Moritz solle sein Spielsgeselle sein gegen die scheckigen
Reiter und die schwarzen spanischen Teufel; zuversicht-
lich erwartete er die Sendung einer stattlichen Reiterei.
Leider ging nicht alles so von statten, wie die Ver-
bündeten wünschten. Ein Zeitraum von vier Monaten
genügte, um ihre Operationen gegen den Kaiser im
Donaugebiete zu lähmen und unvermutete Enttäuschungen,
Verlegenheiten und Besorgnisse zu bereiten. Die Mängel
des schmalkaldischen Bundes, welcher seinem Ende ent-
^) Die wiclitigeii Verhanclluiig'en mit Frankreich befinden sich
in Weimar, Reg-. J. S. 163%.; S. 697 No. 6. Franz I. wollte den
Verbündeten 200,000 Kronen leihen. Philipp und Johann Friedlich
sollten 150,000, Herzog Ulrich von Württemberg 50,000 Kronen er-
halten. Als sich dann der Herzog dem Kaiser unterwarf, empfingen
die beiden anderen die ganze Summe, und jeder verpflichtete sich,
die ihm übermittelten 100.000 Kronen wieder zurückzuzahlen. Nach
dem unglücklichen Ausgang des schmalkaldischen Krieges baten beide
König Heinrich IL (Franz I. Nachfolger) um Erlassung der Schuld.
Die Gefangennahme des Landgrafen Philipp von Hessen. 179
gegenging, machten sich fühlbarer als zuvor; Mifsver-
ständnisse und Streitigkeiten traten unverhüllter als sonst
zu Tage ; die Opferwilligkeit der meisten Bundesmitglieder
erkaltete schneller als zu vermuten war, und die von den
verschiedensten Seiten erwarteten Unterstützungen blieben
aus. Überdies herrschte zwischen dem Kurfürsten und
dem Landgrafen hinsichtlicli der .Kriegspläne und der
einzuschlagenden Politik durchweg die verhängnisvollste
Meinungsverschiedenheit^). Das schwerste Geschick aber
war ohne Zweifel, dals Herzog Moritz plötzlich und fast
wider Erwarten im Bunde mit dem römischen König
Ferdinand als Gegner des Kurfürsten Johann Friedrich
auftrat.
Bis Anfang Oktober 1546 hatte sich Moritz die
Möglichkeit der Anlehnung an die Schmalkaldener für
den Fall ihres Waffensieges offen gehalten ; dann gab er
dem Drängen des Kaisers nach und schlofs mit König
Ferdinand in Prag einen Vertrag über die Vollziehung
der gegen Johann Friedrich ausgesprochenen Acht , also
über den Augriff auf Kursachsen und dessen Besetzung *).
Während er am 27. Oktober mit seinem Bruder August
einen Verwahrungs- und Fehdebrief an den Kurfürsten
ergehen liefis, bot er gleichzeitig dem Landgrafen
wie sonst seine Vermittelung zur Versöhnung mit dem
Kaiser an. Indessen milsbilligte Philipp das Vorgehen
gegen Johann Friedrich und wollte nur gegen das Zu-
geständnis eines Waffenstillstandes auch in Sachsen
Friedensverhandhmgen bewilligen. Mit scharfem Tadel
ermahnte er, Moritz solle von der Einnahme kursächsischen
Landes abstehen und König Ferdinand davon abhalten.
Als das nicht geschah, sondern der Herzog alle ernesti-
nischen Städte und Orte von Zwickau an bis auf das
wohlverwahrte Wittenberg unterwarf und sich nach der
^) Trotz aller abmaliiiendonA'orstellungen Philipps setzte .Tohanii
Friedrich unter anderem durch, dafs im gemeinsamen „öflentlichen
Ausschreiben" Karl V. der Titel des römischen Kaisers abgesprochen
wui"de. Am 2. Jaimar 1547 sclirieli dann der Tjandg-raf: „Das Aus-
schreiben wäre besser unterlassen worden, denn Streiche und Wunden
heilen, aber Worte und öchiiften werden nicht vergessen".
') Als Hauptnrheber des Scächsischcn Krieges sah man Georg
und Christof von Carlowitz, Otto von Dieskau, Andreas J'tlugu. a.
an. .bdianu Friedrich wünschte im Januar 1547, dafs die weltlichen
und g(dehrten Räte, wehdie den Vettei- in iliis Kriegsspiel geführt
hätten, an Leib und Gütern unuachsiclitlich gestraft würden. Erst
dann wollte er mit Äloritz zusammenkommen und sich vergleichen.
'12*
180 S. Ifsleib:
Erg-ebimg Halle's im Erzbistum Magdeburg festsetzte, da
wirkten diese Vorgänge auf den süddeutschen Kriegs-
schauplatz mächtig ein.
Angesichts der Thatsache, dals keine rasche Ent-
scheidung gegen den Kaiser durchzusetzen war, fafste
der Kurfürst von Sachsen den Entscliluls, heimzukehren,
sein Land zu schützen und den treulosen Vetter zu
züchtigen. Ein Versuch, durch Markgraf Hans von
Brandenburg - Küstrin Verhandlungen anzuknüpfen , zer-
schlug sich, weil Karl V. unbedingte Unterwerfung
auf Gnade und Ungnade forderte'). Zweifellos sahen
die Verbündeten ein, welch gefährliche Folgen ein Aus-
einandergehen haben werde; allein der Landgraf ver-
mochte Johann Friedrich auf die Dauer in Oberdeutsch-
land nicht zurückzuhalten, da er seine verlorenen Gebiete
und Städte allen Ernstes wieder zurückerobern wollte.
Am 23. November erfolgte der Aufbruch und die
Trennung der Waffengefährten. Der eine trat den Heim-
weg an, um sich zu rächen, der andere um sich und
seine Genossen zu retten. Die oberdeutschen Bundes-
stände wurden mit Vertröstungen abgefunden, in Wahr-
heit dem Schicksale preisgegeben. Dadurch gelang es
Karl V. Herr und Meister des Kriegsschauplatzes zu
werden. In vier Monaten unterwarfen sich ihm die süd-
deutschen Fürsten und Städte. Mit Recht ist man immer
der Ansicht gewesen, dals jene Diversion in Kursachsen
den oberländischen Krieg entschied, den Kaiser aus be-
denklicher Lage herausriß und zum Sieger über die
Schmalkaldener machte.
Verschieden gestaltete sich fortan das Schicksal
des Kurfürsten von Sachsen und des Landgrafen von
Hessen. Jener eroberte nicht nui" die von seinen Gegnern
besetzten Gebiete im ganzen wieder zurück, sondern be-
drängte auch den verhafsten Vetter im eignen Lande
heftig ; er liefe die böhmischen Kronlehen in der Lausitz
heimsuchen , fachte in Böhmen und den Nachbarländern
einen Aufruhr gegen König Ferdinand an und trat mit
den rebellischen Führern in engere Verbindung. Durch
den glücklichen Überfall von Rochlitz nahm er Markgraf
Albrecht von Brandenburg und Landgraf Christof von
Leuchtenburg gefangen. Zuletzt aber traf ihn der
^) Ranke, Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation
VI, 232.
Die Gefangennahme des Landgrafen Philipp von Hessen. 181
niederschmetternde Schlag bei Mühlberg, welcher über
seine Freiheit und Würde, über sein Haus und Land
entschied,
Landgraf Philipp geriet währenddem in die un-
seligste Stellung. Ein fast zaghaftes Schwanken be-
mächtigte sich des sonst kühnen und entschlossenen
Fürsten; er wurde ein bedauernswerter Zauderer. Mit
Johann Friedrich, welcher in Süddeutschland rasche
Tliaten gehemmt hatte, nun aber energisch handelte,
wechselte er wegen der früheren Haltung verbitterte,
vorwurfsvolle und beschuldigende Erörterungen. Un-
aufhörlich warnte er ihn vor gehässigen Schritten der
Rache und Vergeltung und mahnte zum Frieden mit dem
Vetter, dem König und dem Kaiser")- Die Verhandlungen,
welche er nach allen Seiten hin, besonders mit Moritz,
betrieb, warfen ihn in einen Zustand lauernder Unthätig-
keit und erlahmender Eatlosigkeit. Johann Friedrich
wurde im freien Felde geschlagen und gefangen; Philipp
dagegen fiel dem Kaiser in beklagenswerter Weise in
die Hände.
Wie es dazu kam, möge nun ausführlich mitgeteilt
werden').
Am Tage nach dem Abzüge aus dem süddeutschen
Feldlager, im Ritte über Stuttgart nach Hessen,
schrieb der Landgraf an seinen Schwiegersohn und
bat um eine Zusammenkunft in Naumburg an der
Saale. Darauf lud ihn Moritz, eben beschäftigt, zahl-
reiches Kriegsvolk in einem Winterlager unweit Witten-
berg zusammenzuziehen, von Jessen aus für den 21. De-
zember zur persönlichen Begegnung nach Leipzig ein^),
schickte freies Geleit") und zeigte an, dals der Graf von
Büren kaiserlichem Befehle zufolge gegen Hessen vor-
•*) Viele Briefe im Archive zu Weimar bezeugen dies. Vergl.
Rommel, Philijjp der Grofsraütige III, 139 flg.
■') Max Lenz l)enutzte das Marhurger Archiv für seine Ab-
handlung: Die Schlacht bei Mühlberg (Gotha 1879) und widmete
d(!n Verhandlungen zwischen Philipp und Jiloritz eine Anzahl Seiten
(S. 14 flg. ). Leider enthält gerade dieser Alischnitt manche Unrichtig-
keiten i;nd Irrtümer.
") Marl)urg, oberer Westsaal 385, Schmalkaldner Bund, Unter-
handlung d(^s Herzogs Moritz wegen eines Friedens mit dem Kaiser
und Korrespondenz Landgraf Pldlipps wegen des Krieges 1546/47.
Brief Philipps an Moritz, Cassel, 13. Dezember 1546 flg.
**) Über das Geleit, an welchem Philipp Anstofs nahm, vergl.
Rommel, Pliilii)p der Grofsmütige III, 181. Dort mnfs statt 2. De-
zember der 21. stehen.
182 S. irsleib:
rücken solle. Als diese Nachricht von anderer Seite
Bestätigung fand, trug Philipp Bedenken, sein be-
drohtes Land, in welchem er nicht einmal seines Adels
völlig sicher war, zu verlassen und sich in Leipzig ein-
zufinden. Doch kündigte er die Ankunft zweier Bäte an,
welche mit dem Herzog erwägen sollten, wie die beschwer-
lichen Kriegshändel wohl auf billige Weise beigelegt
werden möchten. Nicht ohne warnende Mahnung teilte
er mit, Johann Friedrich eile nach seinem Lande zurück.
Der Landgraf hatte die Absicht, zunächst die
zwischen den sächsischen Vettern herrschenden Streitig-
keiten rasch beizulegen und dann mit dem Kaiser üis-
gesamt zu verhandeln. Ein Entwurf, welcher die Aus-
söhnung mit Karl V. „auf billige und christliche Wege"
zum Ziele hatte, rechnete zugleich auf die Zustimmung
Johann Friedrichs. Moritz sollte, sobald die vetterlichen
Händel geschlichtet seien, füi^ sie beide eintreten. In-
dessen bedachte er auch den Fall, dals der Kaiser seine
Vorschläge gutheilse, der Kurfürst aber sie zurückweise ;
dann wollte er alles aufbieten, um diesen vom Kampfe
gegen den Schwiegersohn abzuhalten.
Als die beiden hessischen Bevollmächtigten, der
Marschall Hermann von Hundeishausen und der Vize-
kanzler Heiniich Lersner, am 17. Dezember in Leipzig
anlangten ^*^), war der Herzog nicht anwesend, sondern,
wie der Hauptmann Georg Pflug anzeigte, nach Prag
geritten, lun vom römischen Könige zu erfahren, worauf
„aller Handel gehen und stehen" solle. Nach drei Tagen
trafen sie in Torgau mit ihm zusammen und brachten am
21. Dezember im Beisein des Rates Christof von Carlo-
witz ihre Werbung an"). Fast Avider Erwarten aber
stiefsen sie gleich anfangs auf Widerstand. Der Herzog
trug Bedenken, auf die überbrachten Vorschläge des
Landgrafen hinsichtlich der zu eröffnenden Verhandlungen
einzugehen und teilte mit, dals es zufolge der in Prag
eingezogenen Erkundigungen ganz vergeblich sei, beim
Kaiser um einen Gesamtvertrag für die Verbündeten
1") Georg Voigt, Moritz von Sacliseu 1541—47 (Leipzig 1876),
setzt S. 233 u. 234 den Ritt nach Prag zu zeitig an.
^^) Dresden. 1) Loc. 9139. Acta, betreffend den Krieg zwischen
Kiu'fürst Johann Friedrich und Moritz 1546, BI. 14. Actum Torgau,
20. Dezember 1546-, der Anfang fehlt; 2) Loc. 9144, 1547, Fürgewesene
Kriegs- und Friedshandlung etc. El. 18. Marburg, Anmerkung 8,
Brief, Leipzig, 22. Dezember 1646.
Die Gefangennahme fies Landgrafen Philipp von Hessen. 183
nachzusuchen. Von gemeinsamen Verhandhmgen wolle
derselbe gar nicht reden hören; jeder solle einzeln kommen
und um Öühne anhalten^-). Ohne Rücksicht auf Johann
Friedricli wollte sich Moritz für den Landgrafen particular
verwenden. Als darauf die Gesandten die ernstlichsten
Vorstellungen erhoben, er solle doch den Kurfürsten von
der Verhandlung nicht ausschliefsen , da wurde er ganz
aufgebracht und verwies auf die Schmähungen und Be-
leidigungen, welche man sich vetterlicherseits in Worten
und Schriften gegen ihn erlaubt habe. Entrüstet klagte
er über die gehässigen und verleumderischen Kanzelreden
der Wittenberger, die besonders das gemeine Volk gegen
ihn aufhetzen sollten. Völlig abgeneigt zeigte er sich
dem zäh befürAvorteten Ausgleiche mit dem Stammes-
genossen. Ohne Wissen des Kaisers wollte er sich auf
nichts einlassen, mochte es nun die Person des Kurfürsten
oder sein Land betreffen. Kurz und schroff ersuchte er,
ihn mit dergleichen Anträgen zu verschonen; denn er
getraue sich nicht das Geringste zu erreichen, da des
Kaisers Ungnade gegen den Vetter^-') grols sei. Eine
Verhandlung, wie man sie wünschte, hielt er seinerseits
gar nicht für ehrlich. AVenn er allen erdenklichen Fleifs
anwende, meinte er, aber nichts erreiche, lade er nur den
Verdacht auf sich, als habe er die Sache nicht ernstlich
gemeint, überdies werde der Kaiser unAvillig, weil er
ihm streng befohlen habe, die Acht zu vollstrecken und
das Land Hans Friedrichs einzunehmen. Wie wolle es
sich geziemen, mit Bitten für den Geächteten an den Kaiser
heranzukommen ! Der Vetter habe viele Freunde, die Kur-
fürsten von der Pfalz und von Brandenburg, die Herzöge
von Jülich, Mecklenburg, Pommern u. a. Alle könnten ihm
besser dienen als er, die möchten mit dem Kaiser ver-
handeln. Mit Entschiedenheit lehnte er die nachgesuchte
Verwendung für Johann Friedricli wiederholt ab^').
^2) Dieses Verfahren schlug der Kaiser damals in SiUldeutscb-
land thatsächlich ein.
^*) Mit ^'o^liebe nannte er ihn „den dicken Vetter" oder ^den
Dicken" oder „Digkwambs".
'') Damals und später brachte Lcrsner das Gespräch oft auf
die Blutsverwandtschaft; aber das machte keinen Eindruck auf Moritz.
Nur für die Söhne des Vetters hatte er noch ein Herz , nicht für
ihn selbst. Wagte es Lersner, auf den gemeinsamen Glauben zu
verweisen, dann versetzte der Herzog: er bete denselben Gott an,
mit dem sich der Kurfürst rühme. A. von Druffcl, Briefe und
Akten etc. (München 1873) 1 No. 13, Januar 1547.
184 S. Ifsleih:
Ganz anderes Interesse zeigte er für den Land-
grafen, falls dieser in kaiserliche Gnade zu kommen
wünschte. In Person gedachte er zum Kaiser zu reiten
und alles aufzubieten, um den Schwiegervater aus seiner
gefahrvollen und milslichen Lage zu befreien. Philipp
sollte spüren, dals er an ihm einen Avilligen und getreuen
Vetter und Sohn habe. Freilich verhehlte er keineswegs
die Schwierigkeiten, auf welche er voraussichtlich stolsen
werde. Nur auf Umwegen und mit aller Vorsicht glaubte
er an den Kaiser kommen zu können. Hielt man König
Ferdinand für wohl unterrichtet, dann stand zu besorgen,
dafs Karl V. kaum noch Verhandlungen einräumen, viel-
mehr Demut und Ergebung auf Gnade und Ungnade
stracks erfordern werde. Jedoch sollte auf alle Fälle
alles versucht und die Aussöhnung treu und fleifsig be-
trieben werden. Wünschenswert erschien, dafs der Land-
graf sich in die Nähe der Pfalz, nach Gielsen oder
Rödelheim begebe, um unter Umständen sofort mit zum
Kaiser reiten und dessen Gnade erlangen zu können.
Trotz aller Bedenkliclikeiten hegte Moritz doch die
gröfste Hoffnung, da der Kaiser allem Anscheine nach
gegen Philipp nicht so feindlich gesinnt sei als gegen
den Kurfürsten, welcher geradezu als der Haupturheber
aller begangenen Injurien beschuldigt werde. Grofse
Eile schien geboten, weil der Graf von Büren bereits
gegen Hessen auf den Beinen sei und der Kaiser er-
fahrungsmäfeig das, was er einmal in die Hände be-
komme, so leicht nicht wieder loslasse.
Am Abende mufsten die hessischen Geschickten mit
den Räten Christof von Carlowitz und Dr. Komerstadt
nach gegebenen kurzen Andeutungen eine Anzahl Artikel
abfassen, auf Grund deren der Herzog, sobald die Zu-
stimmung des Landgrafen eingeholt worden sei, beim
Kaiser vorstellig werden wollte. Gemäfs derselben sollte
Karl V. ersucht werden, dafs er um des Herzogs Fürbitte
willen die gegen den Landgrafen etwa gefafste Ungnade
fallen lasse, weil derselbe sich künftig in allen Dingen
gehorsam erzeigen wolle, sofern er nur nicht der Religion
wegen wider sein Gewissen und Gottes Wort beschwert
werde. Er wolle den Kaiser als seine rechte Obrigkeit
anerkennen und ehren und als gehorsamer Fürst des
Reiches kaiserlichen Feinden und Widersachern nicht „an-
hängig" sem. Der Krieg sei weder gegen die Person,
noch gegen das Amt und die Hoheit des Kaisers, sondern
Die Gefaug'ennahrae rleg Landgrafen Plnli]ip von Hessen. 185
um der Religion willen unternommen worden, weil man
allgemein erfahren habe, sie solle mit Gewalt unterdrückt
werden. Der Landgraf zeige auch herzliche Neigung
zum friedlichen Religionsvergleiche entweder durch ein
Konzil in deutscher Nation oder durch Unterredungen
und Unterhandlungen. Die Bistümer und Kirchengüter
sollten allenthalben bestehen bleiben; die Klostergüter
aber wie bisher zu milden Zwecken für den Unterhalt
der Kirchendiener, der Universitäten, Schulen und Ho-
spitäler verwendet werden. Der Landgraf sei gewillt,
das gemäfs dem Reichsabschiede von Speier zu besetzende
Kammergericht mit zu unterhalten und gebührende Hilfe
gegen die Türken zu leisten. Auf Befehl des Kaisers
wolle er den gefangenen Herzog von Braunschweig und
dessen Sohn nach Vereinbarung eines billigen Vertrages
auf freien Fufs setzen und ihnen ihr Land wieder zu-
stellen ^''). Gegen Aufhebung der ausgesprochenen kaiser-
lichen Acht wolle er sich des schmalkaldischen Bundes
und der Bundeshauptmannschaft gänzlich entschlagen.
Als diese Artikel dem Herzog am andern Morgen
vorgelegt worden w^aren, lieft er den hessischen Bevoll-
mächtigten durch Dr. Komerstadt sein Einverständnis
kundgeben und versichern, dafs er sich der Sache des
Landgrafen wie seiner eignen annehmen wolle. Zur Eile
drängend, empfahl er sckleunige Verhandlung mit dem
gefangenen Herzog von Braunschweig. Man sollte auch
überlegen, was zu thun sei, wenn der Kaiser alle Artikel
oder einen Teil derselben abschlage, wenn er demütige
Unterwerfung fordere, oder offenes Geständnis über Ver-
einbarungen mit fremden Mächten verlange etc. Mehr-
fach kam Moritz darauf zurück, der Landgraf möge sich
nach Gielsen oder Rödelheim begeben und eine Post bis
an das kaiserliche Lager legen lassen. Wenn der Ritt
zum Kaiser ihm die Möglichkeit gewähre, dann wollte
er den Schwiegervater zuvor in Hessen aufsuchen. Zu-
versichtlich hoffte er Gnade zu erwerben, damit dann
einer dem andern hilfreiche Hand gegen jeden Feind
bieten könne.
Sobald die Beratungen und Verabredungen ihren
Abschlufs in Torgau erreicht hatten, ritten die hessischen
"^) Vergl. Ifsleil), Herzog Moritz von Sachsen und der
braunschweigische Handel 1545, in v. Webers Arcliiv für die säch-
sische Geschiclite. Neue Folge V, 97 flg.
186 S. Ifsleib:
Räte mit dem Herzog nach Leipzig und traten nach
schleuniger Abfertigung einer Eilpost ohne weiteren Auf-
enthalt den Heimweg an.
Gegen die überbrachten Artikel wufste der Land-
graf, insofern der Gesamtvertrag durchaus abgelehnt
werde, keine grolsen Ausstellungen zu erheben. Aber
an der Idee des Gesamtvertrages gerade suchte er un-
veränderlich festzuhalten. In die heftigsten Bedenklich-
keiten versetzte ihn die harte Zumutung, dals er seine
Sache fortan von der kurfürstlichen trennen sollte. Als
er Lcrsner von neuem mit Instruktionen an Moritz aus-
rüstete, schärfte er ihm auf das eindringlichste ein, er
solle den Kurfürsten wie ilm selbst immer im Auge
behalten. Habe man gar verwerfliche Pläne im Sinne,
dann sollte er rundweg erklären: seinem Herrn gebühre
es nicht, gegen den Kurfürsten oder gegen einen andern
Bundesgenossen in irgend welcher Weise zu handeln.
Am 2. Januar 1547 langte Lersner zum zweiten
Male in Leipzig an. Weil seine Reise weit mehr darauf
berechnet war, wieder allgemeine iiussöhnungs- und
Friedensverhandlungen zu betreiben, als die zustimmende
Erklärung des Landgrafen zu den Torgauer Artikeln
zu überbringen und Sonderverhandlung anzubahnen,
so lenkte er die Diskussionen immer wieder soAVohl auf
den Gesamtvertrag, als auch auf die Verständigung
Herzog Moritz' mit Johann Friedrich. Allein in diesen
Punkten fand er nicht das geringste Entgegenkommen.
Es stehe nicht in seiner Gewalt, versetzte Moritz, über
einen Gesamtvertrag zu verhandeln, und der Kaiser wolle
davon durchaus nichts wissen. Um einen Waifenstülstand
könne man auch nur den Kaiser und König angehen.
Unter allen Umständen wollte er die Sache des Land-
grafen von der des Kurfürsten getrennt wissen, und sollte
es „aufs äufserste kommen". Während er semer ge-
reizten und bitteren Stimmung gegen Johann Friedrich
rückhaltlos Luft machte, zeigte er wie früher die beste
Gesinnung gegen den Schwiegervater. Freilich konnte
er den in Aussicht gestellten schnellen Ritt zum Kaiser
nicht ausführen, weil der Kurfürst eben Halle ein-
genommen hatte und Anstalten traf gegen Leipzig zu
ziehen. Dr. Komerstadt aber, welcher hilfesuchend nach
Prag geschickt worden war, sollte in Erfahrung bringen,
was auf Grund der Erbietungen des Landgrafen beim
Kaiser wohl zu erreichen sei.
Die Gefangemiahme des Landgrafen Philiiip von Hessen. Ig7
In Leipzig lierrsclite damals grolse Aufregung, und
der Herzog war vollauf beschäftigt, soviel Kriegsvolk,
Munition und Proviant zusammenzubringen, als eine
längere Belagerung erforderte; doch als er am 5. Januar
die Stadt verliels, hegte er das Vertrauen, sie werde
sich halten ^*^).
Von Waldheim aus") zeigte er vier Tage später König
Ferdinand an: Wenn der Landgraf Gnade erlange, so
werde er sich dermalsen erzeigen, dais der Kaiser daran
Gefallen finde. Eindringlich führte er zu Gemüt, wieviel
daran gelegen sei, Philipp den Bundesgenossen zu ent-
ziehen. Dann würden die Anhänger Hans Friedrichs
verzagen und viele so erschrecken, dafs der Krieg dadurch
mehr als um die Hälfte niedergeschlagen werde. Eilig
sollte der König alles auf gute Wege zu bringen suchen.
In seiner umgehenden Antwort aus Prag^^) nahm
Ferdinand Bezug auf die im Dezember mit Moritz statt-
gehabte Unterredung und schrieb im Tone des Vorwurfes,
dals es völlig nutzlos sei, des Landgrafen wegen eine
bloise Anzeige an den Kaiser zu bringen. Mit dem An-
trage um Verhandlung müsse zugleich genau angegeben
werden, wozu sich Philipp seüiem Vergehen gemäls er-
biete. Es sei auch nötig zu wissen, auf welche Weise
der Vertrag verbürgt werden sollte. Da zu besorgen sei,
dafs der Kaiser den Geächteten kaum anders als auf
Gnade und Ungnade annehmen werde, so stelle er
anheim, ob er dies thun oder seine Aussöhnung anders
erreichen wolle. Sobald er wisse, dals der Landgraf auf
solche Bedingungen einzugehen gedenke, welche kaiser-
licher Hoheit und Ehre nicht zuwider, sondern annehmbar
seien, dann wolle er zufolge des herzoglichen Gesuches
die Sache an den Kaiser bringen und zu gutem Ende
befördern helfen.
Mit Dr. Komerstadt hatte der König eine längere
und teilweise heftige Unterredung. Ganz ungehalten
äulserte er sich über jenes Ansinnen, dafs er in all-
gemeinen Redensarten dem Kaiser mitteilen sollte, der
*") An demselben Tage befand sich Lersner auf der Ileinn-eise
in Weifsenfeis.
") Wien, Saxonica, .lanuar 1547, Briefe vom 9. und 12.;
Dresden, Loc 9141. 1. Sachsen contra Sachsen, Muritz und .Johann
Friedrichs Fehde 1547. Brief Dr. Komerstadts, Prag, 11. Jamiar;
2. Kriegstibunir etc., Brief Moritz' an riiilipp, Chemnitz, 17. Januar.
i") Brief vom 12. Januar.
188 S. Ifsleib:
Landgraf wolle sich demütigen. Entrüstet sagte er, der
Bruder müsse denken, es schreibe ein Thor. Nicht nur
voll Demut dürfe die Rede sein , sondern sie müsse sich
auch nach dem Vergehen richten. Der zugefügte Schaden
sei zu erstatten und sichere Bürgschaft dafür zu leisten,
dafs dergleichen nimmer wieder geschehen solle. Ohne
derartige Zugeständnisse möge der Herzog selbst an den
Kaiser schreiben; ihm gezieme es nicht, eine nur all-
gemein gehaltene Anzeige zu erstatten. Als Komerstadt
darauf ausführlich darlegte, Avelchen Vorteil die Be-
gnadigung des Landgrafen in der schweren Kriegszeit
gewähre, antwortete der König in milderem Tone und
ermunterte, eine Anzahl Artikel ungefähr also zu stellen:
Der Landgraf erbiete sich zu schuldiger und gebührender
Demut. Was er zuviel gethan habe , wolle er abbitten,
und weil er den zugefügten Schaden nicht ersetzen könne,
so sei er bereit, denselben abzudienen. Er wolle es mit
dem Kaiser halten, den früheren unterthänigen Ge-
horsam leisten und kein Bündnis gegen seine Obrigkeit
schliefsen etc. So oder anders und besser solle der
Herzog zu Wege gehen; klar müsse man aber wissen,
was man schreiben könne.
Ungesäumt setzte Moritz den Schwiegervater von
diesem Prager Ergebnis in Kenntnis und ersuchte ihn,
sich umgehend schlüssig zu machen. Geflissentlich hob
er hervor, wie ihm vom Könige und von anderen Per-
sonen zum Vorwurfe gemacht werde, dals er sich seiner
Sache so sehr annehme, trotzdem er dem Kurfürsten allen
möglichen Vorschub leiste und noch einen Teil seines
Kriegsvolkes unter ihm dienen lasse. Niemand wolle
sein Gesuch um Aussöhnung mit dem Kaiser für ernst-
lich gemeint halten, um solchen Argwohn zu beseitigen,
möge er seine Kriegsleute abfordern und sich so ver-
halten, dafs seine Begnadigung befürwortet werden könne.
Lidem er auf den Vertrag^''), welchen der Kaiser dem
Herzoge von Württemberg bewilligt hatte, verwies, trieb
er zur Eile und bat um schleunige Zusendung einer Ver-
trauensperson, mit der alles beraten und beschlossen
werden möge-**).
^») Vertrag vom 3. Januar 1547, Dresden, Loc. 9141, Kriegs-
übung etc. 1547"B1. 208 ; abgedruckt bei Hortleder, Vom deutschen
. Kriege etc. II, Buch III, Kap. .56 S. 523.
-0) Damals verweilte Kurfürst .Toacliim über 10 Tage in Dresden,
um Verhandlung sowohl zwischen Moritz und Johann Friedrich, als
Die Gefangennahme des Landgrafen Philipp von Hessen. 189
Als verschwiegenen nnd vertrauten Rat stattete der
Landgraf wiederum Heinrich Lersner mit Instruktionen,
Memorialen und Briefen aus, um diesmal zuerst mit dem
Kurfürsten zu verhandeln, dann mit dem Herzog zu be-
raten und zuletzt entweder zum König oder zum Kaiser
zu ziehen'-^).
Lersner traf Johann Friedrich am 27. Januar in
Rötha auf dem Marsche von Leipzig-"), welches er ver-
geblich belagert hatte, über Borna nach Altenburg, wo
er Winterquartier zu beziehen gedachte. Die kurfürst-
liche Antwort vom folgenden Tage schlols gewisse Ge-
neigtheit zur Aussöhnung mit dem Vetter nicht aus, er-
mutigte aber auch keineswegs zur eifrigen Vermittelung.
Als Lersner nicht zu sagen vermochte, ob er noch einmal
vom Herzog zu ihm zurückkehren könne, versetzte der
Kurfürst: nun, er versehe sich, bald so nahe an sie
heranzukommen, dals ihm der Ritt bequem sein werde.
Sonntag, den 30. Januar, in der Frühe traf Lersner
in Chemnitz ein und erlangte nach Überreichung seines
Kredenzbriefes sofort vom Herzog Moritz Gehör. Hin-
sichtlich der angestrebten Gesamtverhandlung aber waren
alle Bemühungen, Bitten und Vorstellungen wie zuvor
völlig fruchtlos. Der Herzog blieb dabei, es sei nicht
seine Sache, einen Gesamtvertrag zu bewilligen. Durch
Pflicht und Eid gebunden, könne er sich ohne kaiserliche
Zustimmung in keine Verhandlung einlassen. Kaiser
Karl habe ihn in den Krieg gebracht; auf seiner und
des Königs Seite gedenke er nun auch auszuharren. Be-
stimmt wisse er, dafs fünf Personen das Kurfürstentum
Sachsen vom Kaiser erbeten hätten. Sollte es aber je
in andere Hände geraten, dann sei es billig und recht,
wenn es in seine und nicht in fremde Hände komme.
Auch des Landgrafen Land werde von elf deutschen
auch zwischen dem Kaiser und den Eundesfürsten anzuknüpfen.
Johann Friedrich räumte Verliandhmg ein, nicht Moritz. Dieser
hielt sich in jenen Tagen in Chenmitz auf und war empört ül)er die
Härte, mit welcher der Vetter in seinem Lande hause; keine fremde
Nation, schrieb er, könne es ärger treiben. Der Bundesfürsten halber
wandte sich Joachim an König Ferdinand, jedoch ohne Erfolg.
-1) Marburg, Anm. 8. Dresden, Anm. 11, 2.
") Johann Friedlich lagerte am 10. Januar in Markkleeberg, am
19. in Knauthain, am 25. in Stötteritz. Weimar Reg. .1. II, fol. 697
No. 6. Berlin 39, 1, Johann Friedrich und Moritz von Sachsen
1541 — 49, 25. Januar, Johann Friedrich an Kurfürst .loachim.
G. Voigt S. 254 Üg.
190 S. Ifsleib:
Niederländern eifrig umworben; über die Zahl der Bitt-
steller sei er schier erschrocken. Und diese Nachrichten
habe er nicht aus den Fingern gesogen, sondern von einer
sehr glaubwürdigen Person erhalten. Man verbreite jetzt
das Gerücht, der Kaiser sei tot, allein bald werde er in
Sachsen erscheinen, und dann liege ihm nicht viel daran,
ein oder zwei Länder zu vergeben, denn er selbst sei
ein mächtiger Herr vieler Länder. — Der beginnende
Gottesdienst unterbrach die eifrige Diskussion.
Nach der Predigt erschien der Herzog mit Dr. Türk,
um die vertrauliche Unterhandlung zu Gunsten des Land-
grafen aufzunehmen. Lersner wurde gefragt, ob er Voll-
macht habe, in Sonderverhaudlung einzutreten. Als er
dies bejahte, erinnerte der Herzog an alle früheren Be-
sprechungen und an die königlichen Kundgebungen, legte
ihm Verschwiegenheit auf gegen jedermann ausgenommen
den Landgrafen, und begann an der Hand des württem-
bergischen Vertrages, unter Anwendung auf die Person
Philipps, alle Artikel der Eeihe nach durchzusprechen.
Besonders ausführlich behandelte er die Punkte über die
Zahlung einer Geldsumme, über Kriegsdienst und über
die Bürgschaft des Vertrages. Der Kaiser werde gewils
eine stattliche Summe Geld verlangen, meinte er, und
Kriegsdienst unweigerlich beanspruchen. Kaum möchte
ihm die Garantie des Vertrages von selten einiger Fürsten
und der hessischen Landstände genügen. Ohne Zweifel
werde er wohl noch die Übergabe etlicher Festungen,
sowie einen oder zwei Söhne als Geiseln fordern.
Auf Befehl des Herzogs arbeiteten dann Lersner
und Türk eine Reihe Artikel aus, ganz ähnlich den
württembergischen, um sie als Friedensvorschläge dem
Landgrafen zu übersenden und seine Entgegnung zu er-
warten. Philipp sollte vor dem Kaiser sich demütigen,
einen FuMall thun und um Verzeihung bitten, ihn als
rechtmälsige Obrigkeit anerkennen, allen Reichsverord-
nungen gehorsam und dankbar nachkommen und das
Kammergericht mit unterhalten. Dem Ächter Johann
Friedrich oder dessen Bundesverwandten sollte er in
keiner Weise und nirgends, wieder innerhalb noch aulser-
halb des Reiches , Beistand leisten , sondern zur Voll-
ziehung der Acht gegen ihn und seine Anhänger allent-
halben willfährig und behilflich sein. Nach Aufgebung
aller alten Bündnisse sollte er kein neues schlielsen, in
'welchöi^ fler Kaiser, der König und das Haus Österreich
Die Gefangemialime des Landgrafen Philipp von Hessen. 191
nicht ausdrücklicli ausgenommen werde. Er sollte in
kaiserlichen Dienst treten, den zugefügten Schaden er-
setzen helfen, alle seine Kriegsleute von Johann Friedrich
abfordern und dem Kaiser jederzeit „Pals und Öffnung"
in semem Lande gewähren. Wenn nicht mildere I^e-
dingungen erhandelt werden könnten, dann sollte der
Vertrag durch Übergabe etlicher Festungen, oder durch
Darbietung eines oder zweier Söhne als G-eiseln sicher-
gestellt und durch die Landstände ratifiziert werden.
Gegenüber solchen Zugeständnissen sollte der Kaiser die
ausgesprochene Acht aufheben und dem Landgrafen samt
seinen Lehnsleuten und Unterthanen verzeihen.
Lersner erhielt Auftrag, die Artikel unverzüglich
nach Hessen zu schicken '^-^j.
Li jenen Tagen, am 2. Februar, kam Graf Sigmund
von Lodron, seit einiger Zeit kaiserlicher Kriegsrat an
der Seite des Herzogs, von einer Sendung nach Prag
zurück und meldete, dals der König stattlich zum Zuge
nach Meilsen rüste und der Kaiser im Vorhaben stünde
zu kommen-^). Sobald Moritz mit ihm über den Land-
grafen geredet hatte, veranlalste er Lersner zu einer
eiligen Anzeige an seinen Herrn mit der vertraulichen
Ermahnung, die Verhandlungen ernstlich zu beschleunigen.
Linerhalb vierzehn Tagen sollte er sich um die Gnade
des Kaisers bemühen, ehe derselbe aus Oberdeutschland
daherziehe; sonst gewinne es das Ansehen, als geschehe
sein Gesuch nicht aus rechter unterthäniger und frei-
williger Demut, sondern aus Furcht vor dem drohenden
Kriegszuge; schwerlich werde dann noch Verhandlung
gestattet werden. Innerhalb der bezeichneten Frist möge
er ihm eme genügende Vollmacht übersenden, um bestinnnt
sagen zu können, zu diesem und jenem erbiete er sich.
Der Herzog werde nicht anders handeln, als ob es ihn
selbst angehe. Jede Verzögerung schade und beeinträch-
tige die Hoffnung auf einen milden Vertrag.
In Chiff'ern setzte Lersner dem I^andgrafen aus-
einander, dals man ihm äulsersten Falles zumuten werde,
gegen den Ächter Johann Friedrich Beistand zu leisten,
was er mit Ehren thun köinie, da der schmalkaldische
Bund Sonntag Invocavit (27. Februar) ende. Werde ihm
-^) Lersner Idiel) in der Nähe des Herzogs bis zur Sclilacht bei
Mühlberg.
-'j Marburg, Aiiiii. 8.
192 S. Ifsleib:
der Kaiser nach Abscblufs des Vertrages unter An-
drohung höchster Ungnade und schwerster Strafe be-
fehlen, gegen den Kurfüi'sten zu helfen, so wüi^den gewifs
selbst die Landstände zum Gehorsam raten, um nicht
abermals die kaiserliche Huld zu verlieren und das Land
dem Verderben auszusetzen, ohne den Geächteten retten
oder der höchsten Reichsgewalt erfolgreich Widerstand
leisten zu können. Willfährigkeit erwerbe Gnade und
gebe Gedeihen zu ^delem Guten. Weder auf Frankreich
möge er sich verlassen, noch auf die Türken.
Lersner mufste das Konzept dem Herzog vorlesen,
weil er sich überzeugen wollte, es sei alles richtig auf-
gezeiclmet worden. Andern Tages schrieb er selbst und
ermunterte inständig zur Eile, damit er mit König Fer-
dinand endgültig verhandeln und an den Kaiser schicken
könne. Obgleich man ihn als Unterhändler der Ver-
wandtschaft Avegen für verdächtig halte, so wolle er
doch alles zum Besten zu wenden suchen. Viel schade
das Gerücht, dals noch immer etliche der besten hessischen
Hauptleute mit Kriegsvolk bei Johann Friedrich seien.
In pemliche Verlegenheit geriet der Landgraf, als
er sich für die Artikel erklären, eine Vollmacht schicken
und den Kurfürsten im Stiche lassen sollte. Ungeachtet
aller Mahnungen unterliefe er nichts, um die alten Be-
ziehungen zu ihm aufrecht zu erhalten. Die Vollmacht,
die ihn band und freier Entschlielsungen beraubte, sobald
er sie aus der Hand gab, übersendete er nicht; ja, er
wollte den Brief, welcher sie forderte, gar nicht erhalten
haben. Unwillig klagte er über die Härte des Vertrages.
Etliche Artikel hielt er für so beschwerlich, dals er sie
Gottes, Ehren und ewigen Verderbens halber nicht an-
nehmen könne. Lieber wollte er alles erdulden, als Gott
und seine heilige Wahrheit wissentlich verleugnen. Seine
Ehi'e gedachte er wie sein Leben zu hüten und zu be-
wahren. Lieber wollte er tot sein, als künftig beschämt
schweigen, wenn er ehrenrührig beschuldigt werde. Ent-
rüstet warf er die Frage auf, was der Kaiser und alle
AVeit dazu sagen solle, wenn er ehrlos handle. Seines
Hauses und Landes CAviges Verderben zu verhüten, hielt
er für seine höchste Pflicht. Nicht wenig schimpflich
erschien ihm Fufsfall und demütige Bitte um Gnade;
denn nach seiner Überzeugung hatte er nichts anderes
begangen, als sich gegen einen beschlossenen feindlichen
Augriff zeitig zur Wehre gestellt. Als eine hohe For-
Die Gefangennahme des Landgrafen Philipp von Hessen. 193
clerung erachtete er die Freilassung Herzog Heinrichs
und seines Sohnes, da beide als Verächter kaiserlicher
Sequester in seine Hände geraten seien. Kaiserlicher
Dienst oder statt dessen Geldzahlung kam ihm ebenso
beschwerlich vor wie die Ratifikation des Vertrages durch
seine Landstände und die Bewilligung auch nur' eines
Sohnes als Geisel.
Jeder bindenden Erklärung ausweichend, eiferte er
tagelang gegen die übersendeten Vertragsartikel, bis er
sie schlielslich ungefähr folgendermalsen einschränkte:
Die Demütigung vor dem Kaiser sollte durch emige Eäte
sofort erfolgen. Sechs bis acht Wochen nach der Be-
gnadigung wollte er dann selbst einen Fufsfall thun und
um Verzeihung bitten-'^). Der Fulsfall sollte nur vor
dem Kaiser und seineu geheimsten Ratgebern, nicht vor
vielen Zeugen stattfinden. Er wollte die Wohlfahi't des
habsburgisch-burgundischen Hauses fördern helfen, alle
Reichsverordnungen halten, das Kammergericht nach dem
Reichsanschlag mit unterlialten und in allen weltlichen
Dingen gehorchen. Einen Artikel, ähnlich dem der Stadt
Augsburg, wollte auch er sich gefallen lassen, dafs der
Kaiser ihm und seinen Unterthanen gestatte, bei der Re-
ligion wie vor Beginn des Krieges zu bleiben. Gegen einen
schmalkaldischen Bundesgenossen aber wollte er während
dieses Krieges nicht zu Felde ziehen, weil es der Ehre
widerstreite, und weil der mit dem Kurfürsten vereinbarte
Vertrag daran hindere. Später gedachte er dem Kaiser
einen Reiterdienst zu leisten. Gänzlich ausgeschieden
wollte er den Artikel wissen, welcher freien Durchzug
durch Hessen und Übergabe einiger Festungen verlangte.
Erst nach erfolgter Annahme des Vertrages sollten seine
Lehnsleute und Unterthanen aus dem kurfürstlichen Dienste
abgefordert werden. Herzog Heinrich sollte vor seiner
Befreiung einen Vertrag bewilligen. Für alle Unter-
thanen beanspruchte er Verzeihung.
Den nächsten Schritt für den Landgrafen that Herzog
Moritz in Aulsig, als er mit König Ferdinand und Kur-
fürst Joachim von Brandenburg zusammenkam, um sich
vor allem mit beiden über die gegenseitig zu leistende
25) Da Herzog Ulrich von Württcinherg krank war, als sein
Vertrag mit dem Kaiser zum Abschlnls «elangte , so leisteten erst
seine liäte, dann er selbst den Fulsfall uud die Abbitte.
Neues Archiv S. S. O. u. A. XI. 3. 4. 13
194 S. Ifsleib:
Hilfe zu einigen-*^). Hinsiclitlich des Landgrafen wurden
die am 2. Februar in Chemnitz formulierten Vertrags-
artikel derartig ergänzt und abgeändert, dals sie nach
der Meinung des Königs an den Kaiser geschickt Averden
konnten. Wie zuvor blieb Anerkennung Karls V. als der
rechtniäfsigen Obrigkeit, Fufsfall und Abbitte, Gehorsam
gegen alle Reichsverordnungen, Unterstützung des Kammer-
gerichtes, Lossagung von allen Bündnissen und Ein-
schränkung der zukünftigen, Befreiung Herzog Heinrichs
und seines Sohnes, Abforderung der Unterthanen vom
Feinde, Garantie des Vertrages durch Einstellung eines
Sohnes als Geisel, durch Verschreibung der Landstände
und durch Bürgschaft dreier regierender Fürsten etc.
Auch wurde die Herausgabe aller Bundesurkunden und
Hilfe gegen die Türken beansprucht. Der fünfte Artikel
aber forderte vom Landgrafen völlige Aufgabe seiner
bisherigen Parteistellung. Wenn der Kaiser, hiefs es,
über kurz oder lang gegen irgend jemand ernstlich vor-
gehen werde, dann sollte er sich dessen nicht annehmen,
sondern seine rechtmälsige Obrigkeit in keiner Weise,
weder öffentlich noch heimlich, an ihrem Vorhaben hin-
dern. Erhalte er den Befehl, König Ferdinand und
Herzog Moritz gegen diejenigen zu unterstützen, welche
gesonnen seien, beide anzugreifen, weil sie sich gegen
den Kaiser gefällig, gehorsam und willfährig gezeigt
hätten, so sollte er ihnen unverweigerlich behilflich sein.
Man erlegte ihm auf, acht Fähnlein Knechte und 500
Reiter sechs Monate lang zu unterhalten, oder dafür
nach herkömmlicher Berechnung 138,000 tl. zu erlegen.
Dagegen sollte der Kaiser die Acht aufheben, die Un-
gnade fsilen lassen und den Landgrafen wieder in seinen
fürstlichen Stand mit Land und Leuten einsetzen.
König Ferdinand schickte diesen Vertragsentwurf
mit einem Begleitschreiben und einem Gesuche des Her-
zogs am 2L Februar nach Ulm an den Kaiser. In
seinem Briefe'-') meldete er unter anderem, dafs der
Landgraf nach der Aussage des Herzogs nicht zu be-
wegen sein werde, seine Festungen in kaiserliche Hände
"'■) Moritz war vom 17. bis 20. Februar in Aiifsig'. Joachim
bewilligte 400 Reiter und schlofs mit ihm am 20. einen Vertrag in
betreff des Erzbistums Magdeburg- - Halberstadt und der Stadt
Magdeburg. Vergl. Ifsleib, Magdeburg und ]\Ioritz von .SachseUj
in dieser Zeitschr. IV, 279.
") Bucholtz, Ferdinand I. IX, 410.
Die Gefangennahme des Landgi-afen Philipp von Hessen. 195
ZU stellen. Allen Überredungsversuchen gegenüber habe
er erklärt, ehe er solches thue, möge man ihn lieber tot-
schlagen wie einen tollen Hund. Eingedenk der häufigen
und schweren Vergehen Philipps sprach der König weder
für noch gegen seine Begnadigung. Erinnerte er einer-
seits daran, dals der Landgraf neben dem geächteten
Kurfürsten des Kaisers grölster Feind sei und dals der
Krieg beiden gelte, um sie zu vernichten und des Reiches
Ansehen zu erhalten, so betonte er andererseits den
großen Vorteil, welchen man habe, wenn zufolge eines
Vertrages Philipps Hilfe gegen Johann Eriedrich erlangt
werde. Herzog Moritz bat in seinem Gesuche den
Kaiser, vor allem des treuen und beständigen G-ehorsams
weiland Herzog Georgs von Sachsen eingedenk zu sein
und dessen Tochter und Enkel, die Gattin und Kinder
des Landgrafen, gnädig zu berücksichtigen. Lasse er
Gnade walten, dann werde er im ganzen Reiche um so
mehr^.Gehorsam finden.
Über die Verhandlungen in Aulsig sprach sich Moritz
am 2L Februar früh 7 Uhr in Dresden gegen Lersner
aus und Ijeteuerte wiederholt, dals er treu und ehrlich
gehandelt habe. Die Artikel seien an den Kaiser ge-
sendet worden; aber niemand wisse, ob sie so bleiben
oder xlbänderungen erleiden würden. Obgleich der König
dem Landgrafen noch geneigter erscheine, als er gedacht,
so habe er dennoch während der Beratungen mit ihm bis-
weilen „teuflischen Streit" gehabt und sei genötigt_ ge-
wesen, „grobe Säue" zurückzugeben. Am allermeisten
habe Ferdinand sich über die Schmähungen und das Aus-
schreiben der Verbündeten gegen den Kaiser ereifert
und ihnen diese Vergehen hoch angerechnet. Da der
Herzog versichern konnte, der Kaiser komme nach
Sachsen, so sollte der Landgraf den Vertrag möglichst
schnell annehmen, ehe das Kriegsrecht entscheide. Der
Religion wegen, mehite er, sei keine Gefahr vorhanden,
und freies Geleit werde in das kaiserliche Hoflager be-
willigt werden. Als Hauptsache erscheine Kriegsdienst
oder Geld , Überlassung eines .Sohnes als Geisel und
Garantie des Vertrages durch Übergabe der Festungen.
Jedenfalls werde die Hilfe, welche der fünfte Artikel
des Vertragsentwurfes auferlege, mehr für künftige Fälle,
als für den augenblicklichen Krieg in Betracht konniien.
Wiederholt wurden die Besprechungen über den
Vertrag an den folgenden Tagen fortgesetzt; man erwog
13*
196 S. Ifsleib:
und erörterte, Aviderlegte, befürchtete und hoffte. Fast
täglich eilten Briefe nach Hessen und landgräfliche
Schreiben kamen zurück, um Fragen aufzuwerfen, Aus-
stellungen zu erheben, dringende Wünsche darzulegen
oder lästige Bedingungen zurückzuweisen. Zugleich
wagte es Philii^p, auf die kurfürstliche Angelegenheit
unaufhörlich zurückzukommen. Und Lersner sollte un-
ausgesetzt au die nahe Blutsverwandtschaft, sowie an
die gleiche Eeligion der beiden sächsischen Häuser er-
innern, um zuletzt doch Eindruck hervorzurufen. Indessen
blieb diese Erwartung hoffnungslos'-^). Moritz äulserte:
Mit den Kindern habe er Mitleid, nicht mit Hans
Friedrich. Es wäre sicher und gewils, dals der Kaiser
von ihm nicht lassen würde. Er müsse herunter, müsse
von Land, Leuten und allen seinen Festungen, sollte
gleich Türk und Franzose daherziehen und der Kaiser
alle Königreiche und Länder daransetzen. Ernstlich
W'arnte er den Landgrafen, des Kurfürsten wegen seine
Sache auf die lauge Bank zu schieben, oder sich auf
seine Festungen oder auf fremde Potentaten zu ver-
lassen; überall sei der Kaiser mit seinen Anhängern im
Vorteile.
Am 2. März glückte dem Kurfürsten der keck aus-
geführte Überfall auf Rochlitz, wobei Markgraf Albrecht
und Landgraf Christof von Leuchtenburg gefangen ge-
nommen wurden ; allein dieses Unheil brachte Herzog Moritz
nicht davon ab, Philipp fort und fort zu schnellem Ent-
schlüsse anzuspornen. Ebensow^enig verlor er den Mut,
"^) Als Lersner die Zusammeuschickuug vertrauter Räte be-
antragte, wollte sich der Herzog oline den verbündeten König av;f
nichts einlassen. Es stehe nicht mehr in der Hand des einen oder
des andern, sagte er, dieses oder jenes zu bsAvilligeu und einem
andern zu gönnen. AVem Gott und der Kaiser das sächsische Land
gebe, der werde es behalten. Früher hätte man darüber verhandeln
können, ob den Kindern des Kurfürsten etwas gelassen werden möchte;
jetzt sei es zu spät. Der Kaiser belinde sich schon auf dem Zuge
nach Sachsen. Eine Zusammensendung von Räten sei nur noch ganz
geheim möglich, aber er habe kein Vertrauen. Der Kurfürst wolle
die herzoglichen Räte nur aushorchen. Überdies habe der Kaiser
ein hartes Herz gegen den ganzen kurfürstlichen Stamm, so dafs zu
besorgen sei , es werde , falls er selbst und sein Bruder August ohne
Erben sterben würden, dem Kurfürsten oder seinen Kindern nichts
von denmeifsnischen Ländern zu teil. — Der Landgraf beklagte überaus,
dafs der Kurfürst also verstofsen werden sollte. Es werde ihm nicht
in den Kopf zu bringen sein, schrieb er, wenn nur seinen Kindern
und nicht auch ihm Gnade widerfahren solle. Vergl. G. Voigt
S. 346 flg.
Die Gefangennahme des Landgrafen Philipp von Hessen. 197
König' Ferdinand von neuem zu ersuclien, sicli der Ver-
handlung gnädig- anzunehmen, damit der Landgraf endlich
darüber verständigt werde, was er zu gewärtigen habe;
denn Verzug sei in jeder Hinsicht höchst beschwerlich.
Der König möge sich die harte Kriegszeit zu Gemüte
führen und den Kaiser zur Annahme der in Aufsig ver-
abredeten Artikel bewegen. Unmöglich werde der Land-
graf dahin gebracht, einige Festungen zu übergeben-^).
Zufolge einer kaiserlichen Weisung liielt es der
König in seiner Erwiderung für ratsam, dals der Herzog
den Landgrafen, wie schon in Auisig besprochen worden
war, zu möglichst ansehnlichen Zugeständnissen bewege.
Je demütiger und williger sich Philipp erzeige, um so
leichter werde der Kaiser Gnade walten lassen.
Mit Widerstrel)en entschlofs sich der Landgraf end-
lich zur Al)fassung einer endgültigen Erklärung auf die
Aulsiger Vertragsartiker^**). Fulsfall und Aljbitte be-
willigte er; doch sollte die Abbitte keine ehrenrührigen
Worte enthalten und der Fulsfall nur vor wenigen Zeugen,
keinesfalls in Gegenwart semes aufsässigen Lehnsmannes,
des Grafen Reinhard von Sohns, stattfinden. Wenig
wandte er gegen die Artikel ein, welche Herzog Heinrich,
das Kammergericht, die Bündnisse u. a. betrafen. Auch
wollte er die Bundesurkunde der schmalkaldischen Ver-
einigung ausliefern. Unter keinen Umständen aber war
er gewillt, sich gegen den Kurfürsten und seine Anhänger
gebrauchen zu lassen, weil das dem Brauche ehrlicher
Kriegsleute zuwiderlaufe und unverantwortlich sei; über-
dies hindere eine dem Kurfürsten üliergebene Verschrei-
bung. Würde er etwas wider ihn unternehmen, dann
lege er Brief und Siegel dar und klage ihn an ; alsdann
wisse er sich nicht zu rechtfertigen. Philipp gab zu,
dals Moritz mit Ehren gegen Johann Friedrich ziehen
könne, er aber habe triftige Gründe, die geforderte Hilfe
abzuschlagen. Später wollte er sich mit dem König und
dem Herzog in ein Defensivbündnis unbedenklich ein-
lassen. Demnach sollte der obenerwähnte fünfte Artikel
nur für zukünftige Fälle Giltigkeit hab(_!n. Das verlangte
Kiiegsvolk schlug er ab, und unerschwinglich hoch er-
schien ihm der Anschlag von 13S,()liO 11. Äulsersten
Falles wollte er die Summe in drei Zielen entrichten,
^^) Brief aus Freilierg vom 7. März mit fünfmaligem cito.
30) Romme 1 111, 210, am 6. März.
198 S, Ifsleib:
nicht aber in Monatsraten, sonst könnte die Zahlung- als
Hilfe gegen den Kurfürsten gedeutet werden. Ein-
verstanden war er damit, dals der Vertrag von seinen
Landständen und drei regierenden Fürsten"'^) verbürgt
werde. Auch räumte er diesen Bürgen die Vollmacht
ein, ihn nötigenfalls mit Gewalt zur Haltung dieses Ver-
trages zu zmngen. Ein Sohn sollte dem kaiserlichen
oder lieber dem königlichen Hofe auf bestimmte Zeit als
Geisel übergeben werden. Aulser allgemeiner Amnestie
und Zurückgabe seines Landes verlangte er noch die bm-
dende Zusicherung, dals er mit seinen Unterthanen bei
der Religion wie vor Beginn des Krieges gelassen
werde '^'-).
In jenen Tagen •^•^) berief der Landgraf seine an-
gesehensten Landstände nach Kassel, um auch ihr Gut-
achten über die Vertragsartikel als über eine hochwichtige
Angelegenheit zu hören. Mächtig beeinflulst widerrieten
sie, irgend etwas einzugehen, was nicht vor Gott mit
Ehren und gutem Gewissen verantwortet oder nur mit
äufserstem Verderben des Landes geleistet werden könnte.
Gott, Religion und Ehre sollte der Landgraf stets vor
Augen haben und nur soweit in die kaiserlichen Reichs-
ordnungen einwilligen, als es die Freiheit des Glaubens
gestatte. Der freie Durchzug des Kaisers durch Hessen
wurde ebenso wie die Übergabe der Festungen verweigert.
Man stellte in Abrede, dals der Landgraf mit Ehren
gegen den Kurfürsten handeln könne. Einmütig erklärte
der vertraute Landesausschuls, ehe er einen ehrlosen und
verderblichen Vertrag annehme, möge er lieber mit ihnen
Leib und Gut daransetzen und glaubensstark erwarten,
was Gott scliicke.
Ermutigt durch den Rat seiner Getreuen schrieb
Philipp dem Herzog: Gern wolle er annehmbaren Be-
dingungen Folge leisten, keineswegs aber wie ein leicht-
sinniger Bube wider Ehre und Gewissen handeln. Würden
3*) Kurfürst Joachim, Herzog Moritz und Pliilipps anderer
Schwiegersohn, Pfalzgraf Wolfgang von Zweihrückeu, oder Kurfürst
Friedrich von der Pfalz wurden als Bürgen bezeichnet.
^^) Im vertraulichen Gespräche sollte Lersner dem Herzog an-
zeigen, dafs sich der Landgraf und der Kurfürst mit dem Könige
von Frankreich über ein Darlehen von 200,000 Kronen auf sechs
Monate verglichen hätten, unter der Bedingung, ihn in den Vertrag mit
dem Kaiser einzuschliefsen, damit er nicht wegen seines Wohlwollens
mit Krieg überzogen oder sonst beschwert werde etc.
"''■^) Marburg, Anm. 8; Brief Philipps an Lersner vom 9. März.
Die Gefangennaliino des Landgrafen riiilip]! von Hessen. 199
die Artikel so gestellt, dals er sie vor Gott mit Ehren
und ohne äulserstes Verderben seines Landes leisten
könne, dann möge er den Frieden wohl leiden, wenn
nicht, so gedenke er sich dernialsen zu Avehren, dalis man
ihn nicht leicht verjagen solle. Zuversichtlich hoftte er,
dals die „Schlappe von Rochlitz" die Gemüter umstimmen
und auch Friedensverhandlungen mit dem Kurfürsten zur
Folge haben werde.
Wie sollte sich Moritz demgegenüber verhalten?
Veranlalst durch ein Schreiben seines Rates Carlo-
witz aus Ulnr^^) und angespornt durch des Königs nach-
drückliche Ermahnung, begann er energisch zu treiben
und zu drängen. Alle vom Landgrafen vorgenommenen
Abänderungen und Abschwächungen der Aulsiger Artikel
schlug er „ganz und rund" ab. Kernig und hart sagte
er zu Lersner: Er wolle seinen Hals verwetten, man
möge ihn hängen oder ihm den Kopf abschlagen, er
könne und werde von alledem, was der Landgraf wünsche
und begehre, nichts durchsetzen, sondern weit eher den
ganzen Handel umstolsen. Vor allen Dingen verlange
der Kaiser Hilfe gegen Hans Friedrich und werde jedes
Gesuch um Herabsetzung der in den Artikeln enthaltenen
Forderungen verwerfen. Niemand wisse bis jetzt, ob er
überhaupt den vorgeschlagenen Vertrag annehme; es sei
zu befürchten, dals er die Bedingungen noch schärfe. Der
Landgraf möge Gott danken, wenn die Artikel unver-
ändert gelassen würden. Geringschätziger Dinge halber
solle er das begonnene gute Werk nicht vereiteln.
Würden dem Kurfürsten, für den man emsig verhandle,
^^) Christof von Carlowitz teilte am 1. März mit, dafs sich der
Landgraf liomühe, seine Sache beim Kaiser fast mehr durch andere
Fürsten (Pfalz und Bayern) als durch den Herzog durchzusetzen.
Der Kaiser scheine aber eher der Verwendung des Herzogs als der
Fürsprache anderer Personen Gehör gel)eu zu wollen. Viel sei
daran gelegen, dafs Moritz die Aussöhnung zu stände bringe; denn
dann müsse ihm der Landgraf stets dankbar sein, und ei' könne den
A'ertrag so stellen, dafs ihm alles mit zu tiute komme. Ewiges
Mifstrauen werde bestehen, v/enn andere das erreichen würden, was
der Herzog nicht erlangen könne. Deshalb sollte er mit Hilfe des
Königs durchsetzen, dafs der Kaiser nur seiner Verhandlung Kaum
gebe. Carlowitz stellte dem Herzog anbeiiii, sidi gegen den Laml-
grafen etwa vernehmen za lassen: Es sei ihm befiemdlicii zu erfahren,
dafe er hinter seinem Kücken, gleich als traue er ihm nicht, noch
andere Unterhandle)' suche. Wenn er zu anderen mehi' Vertrauen
habe, so wolle er gern aller Mühen ülterbolicn -;ein etc. Dresden,
Log. 9140 Handlungssachen etc. 1546/47 Bl. n8, vergl. 52 u. 79.
200 S. Ifsleib:
gleiche Yertragsbediugungen zugestanden, so würde er
sich nicht lange bedenken , sondern darauf eingehen und
ein besonderes Abkommen schlielsen. Gegen ihn müsse
sich der Landgraf erklären, denn er sei verloren. Un-
fehlbar werde das schwere Unwetter, welches sich be-
drohlich zusammenziehe, ihn treffen und vernichten. Un-
versöhnlich zürne ihm der Kaiser, und selbst der „Branden-
burger" werde gegen den „Dicken" mit zu Felde ziehen.
Einmal müsse er herunter, wiederholte er wie früher,
und sollte der Krieg dem Kaiser alle Königreiche und
Länder kosten. Die kaiserlichen Räte Graf Lodron und
Pirro Colonna^^'^) seien auch der Meinung, dals der Land-
graf gegen den Achter mit vorgehen müsse und es mit
Ehren thun könne; denn kein Bündnis, kein Vertrag,
keine Verschreibung gegen den Kaiser habe Gültigkeit;
stets sei der Gehorsam gegen des Reiches Oberhaupt
ausgenommen. Wahrscheinlich werde man gar nicht
darauf bestehen, dafs er 500 Reiter und acht Fähnlein
Knechte gegen den Ächter schicke ; aber er müsse das Ver-
sprechen geben, dem Kaiser dienen zu wollen.
Einer scharfen Beurteilung unterzog der Herzog das
Gutachten der landständischen Vertreter. Bitter fragte
er, ob die vielleicht glaubten, mit dem Kaiser wie mit
einem reichen Kaufmann oder Krämer handeln zu
können. So lasse er nicht mit sich markten, sondern
sage: „Das will ich also haben". Etwas müsse der
Landgraf thun, um dem Kaiser wie dem König glauben
zu machen, er sei gegen Hans Friedrich. Habe er
sich vorher gegen seine rechtmäfsige Obrigkeit binden
lassen, so möge er nun für sie eintreten. Dann würden
sie beide dem Kaiser dienen und mit Gottes Hilfe in
Zukunft noch grofse Dinge ausrichten. "Wenn sie für
einen Mann stünden und den Kaiser samt dem König
im Rücken hätten, dann möchten sie wohl jedem ge-
wachsen sein, der sie anzugreifen wage. Der Rehgion
halber sei nichts zu befürchten; seinem Ausschreiben
zufolge beabsichtige der Kaiser, sie nicht zu bekämpfen
oder zu unterdrücken.
Der Landgraf aber w^ollte weder zur kaiserlichen
Partei offen übertreten, noch Hilfe gegen Johann Fried-
^^) Colonna war wie Graf Lodi'on als Kriegsrat vom Kaiser an
König Ferdinand und Herzog Moritz geschickt worden. Voigt
S. 303 u. 338.
Die Gefangennahme des Landgrafen Philipp von Hessen. 201
ricli leisten. Moritz sollte verständige Leute seines eignen
Landausschusses oder deutsche Räte des Kaisers und
Königs in dieser Angelegenheit fragen. Alle würden
sagen, wenn er gegen den Kurfürsten ziehe, dann handle
er ehrlos. Darum könne er die begehrte Hilfe nicht zu-
gestehen. Sollte der Vertrag deshalb scheitern, dann
müsse er sich so lange wehren, als es Gott dem All-
mächtigen gefalle. So leicht gedenke er sich aber nicht
verjagen zu lassen. Habe man dem Herzog eingeredet,
der Kaiser lasse nicht mit sich handeln, so möge er den
der Stadt Strasburg bewilligten Vertrag^''') zur Hand
nehmen und erkennen, dals der Kaiser wohl mit sich
handeln lasse, dals er zusetze und ablasse und nicht auf
dem, was er zuerst verlange, unweigerlich bestehe mit
den Worten, also wolle ers haben. Wenn der Kauf-
mann Rehlinger, einst Bürgermeister von Augsburg, zu
gunsten Strasburgs habe handeln dürfen, so glaube er
bestimmt, dals der Kaiser dem Herzog zu Gefallen auch
ihm einen ehrenvollen Vertrag zugestehen werde-"). Vor
allem sollte Moritz die iirtikel, welche Hilfe, Geld und
Geiseln forderten, abändern lassen. Er beteuerte, dals
er zu keinem Menschen so viel Vertrauen als zu ihm
habe und wohl wisse, dals kein deutscher Fürst beim
Kaiser in so hohem Ansehen stehe wie er. Der Zeit-
umstände wegen bat er um schnelle und runde Antwort,
ob er auf Gnade rechnen könne oder nicht. Und wenn
man noch hundert Briefe schicke, so könne er nicht
anders handeln ; es komme, was da wolle, sein gutes Ge-
wissen spreche ihn vor Gott und der Welt frei. — Auf
Lersner häufte er bittere Vorwürfe, weil er nach seiner
Meinung zu vielen Dingen geschwiegen und nicht gleich
gehörig entgegnet habe. Ungesäumt sollte er heimkehren,
falls nichts Günstiges erreicht ^erde.
Wie uner([uicklich stieisen doch die entgegengesetzten
Bestrebungen aufeinander. Während der Landgraf einen
möglichst milden Vertrag zu erzwingen suchte, forderte
Moritz willige Gefügigkeit gegen den Kaiser und be-
dingungslose Annahme der Auisiger Artikel.
^'') A. Holländer, Strafsburü- im schmalkaldisdien Krieg
(Strafsbiu-g 1881) S. 67 flg.
•''') Dem Kurfürsten wünschte er gleichfalls ^'ertrai;■. (iern wollte
er acht Wochen im Thurm sitzen, wenn er lim dadurch mit dem
Kaiser aussöhnen könnte.
202 S. Ifsleib:
Als ein neuer, ungeduldig drängender Brief Philipps
am 23. März in Freiberg einlief, war der Herzog eben
nach Dresden geritten, um sich nochmals mit König
Ferdinand vor Ankunft des Kaisers zu besprechen ■''^).
Lersner eilte ihm nach und bat am anderen Morgen um
Gehör; doch wurde er zunächst an Komerstadt gewiesen,
welcher hoch und teuer versprach, den Vertrag mit be-
fördern helfen zu Avollen. Erst am 26. März abends
7 Uhr erlangte Lersner Zutritt zum Herzog. Nun
wiederholten sich die früheren Auftritte. Je inständiger
er für den Landgrafen bat, um so nachdrucksvoller be-
tonte Moritz, dafs er nichts ändern könne und vorläufig
nicht wisse , welche Entsclilielsungen der Kaiser gefafst
habe. Er wurde heftig, „ernst und bewegt". Durch
Komerstadts eifrige Unterstützung aber brachte ihn
Lersner nach langen Reden, Bitten und Vorstellungen
zu dem Entschluß, dafs er an den Kaiser schicken wolle,
um zu sehen, ob einige Artikel mit Gottes Hilfe ge-
mildert und die anderen unverändert zugestanden werden
möchten. Doch hütete er sich, irgend welche Hoffnung
zu nähren oder guten Erfolg zu versprechen. Mifsmutig
sprach er vielmehr die Besorgnis aus, dals dieser Schritt
ihn wiederum in Verdacht bringen werde. Lersner wurde
ermahnt, sich auf nichts zu verlassen. — Kaum waren
die Räte um 10 Uhr entlassen worden, da langte ein
Brief des Landgrafen vom 21. März an. Sofort kehrte
Lersner zurück und verlas das Schreiben. Abermals
redete der Herzog „ernst und bewegt" und beklagte die
eigenwillige und ungeduldige Art des Schwiegervaters.
Man werde es so nicht gut machen, sagte er, und den
ganzen Handel umstofsen. Man möge ihn verschonen
und andere Unterhändler suchen; er komme in Verdacht
und Ungnade. Dringend legte er Lersner ans Herz,
nach Hessen zu schreiben, dals er auf gar nichts ver-
trösten könne, man solle sich nicht auf ihn verlassen, er
rate ernstlich davon ab. Komerstadt solle zum Kaiser
eilen; aber wenn die Sache dadurch schlimmer werde,
dann wolle er nicht verantwortlich dafür sein. Ehe sich
des Herzogs Gemüt beruhigte, mufste Lersner über eine
Stunde lang den ernsten und harten Reden mutig und
^^) Der König war seit dem 1. März in Dresden. Moritz" Ge-
mahlin Agnes, Tochter Philipps, hatte sich öfter bei ihm für ihren
Vater verwendet. Druff el I No. 90.
Die Gefangennahme des Landgrafen Philipp von Hessen. 203
beharrlich ])egegnen. Dann erschien Komerstadt, las des
Landgrafen Brief und redete wohl dazu, so dafs Moritz
schlielslich sagte: Es könne nichts schaden, Komerstadt
solle zum Kaiser vorausreiten'^^). Wollte Gott, fügte er
hinzu, man erlange einen Vertrag nach dem Wunsche
des Landgrafen. Zuletzt wurde Lersner ermuntert, mit
nach Eger zu ziehen, wo man den Kaiser in wenig Tagen
erwartete.
Seit der günstigen Wendung in Süddeutschland
(November 1546) hielt Karl V. unentwegt daran fest,
den Landgrafen sowohl wie den Kurfürsten zu Boden
zu werfen oder aus dem Lande zu verjagen^''). Lii Fe-
bruar 1547 hatte er die Absicht, Philipp von Frankfurt
aus mit Hilfe des unzufriedenen hessischen Adels sowie
der Grafen von Nassau und der Wetterau zu überwältigen.
Dann änderte er den Plan. Die von Moritz betiiebene
Verhandlung wollte ei- nur dazu benutzen, um sich der
Person des Geächteten zu bemächtigen"). Statt die zu-
geschickten Aulsiger Artikel anzunehmen, beauftragte er
vielmehr den Bruder, König Ferdinand, alle Versöhnungs-
bemühungen hinzuhalten und die Bedingungen des Ver-
trages Schritt vor Schritt zu steigern^"-). Als dann am
21. März durch die Demütigung der Stadt Straisburg die
Unterwerfung Oberdeutschlands einen gewissen Abschlufs
erreicht hatte, zog er von Nördlingen über Nürnberg,
Weiden und Tirschenreut nach Eger, um sich mit Ferdi-
nand und Moritz zu vereinigen und ungesäumt gegen den
geächteten Kurfürsten zu ziehen.
In Eger, wo Karl V. vom Tode seines Rivalen,
Franz I. von Frankreich, benachrichtigt wurde, fanden
sowohl für Johann Friedrich als auch für Pliilipp Sühne-
versuche statt. Füi- jenen trat neben Herzog Wilhelm
von Kleve eine kurpfälzische und dänische Gesandtschaft
ein; für diesen verwendete sich Herzog Moritz. Allein
um alle Fürsprachen und Bittgesuche fernzuhalten, er-
^"j Am 28. März wurde für Komerstadt eine Instruktion an
den Kaiser ausgestellt. Dresden, Loc. 9144, Fürgewesene Kriegs-
und Fiidsliandlung etc. 1547. Bl. 183.
^") Karl Lanz, Korrespondenz des Kaisers Karl A'. 11,
529, 539, Briefe vom 2. und 19. Februar 1547.
*^) Wie der Landgraf sich einst des Schwiegersohnes bedient
hatte, um Herzog Heinrich von T^raunschweig einzufangen, so wollte
jetzt der Kaiser den Herzog dazu verwenden, um Philipp gefangen
zu nehmen.
'-) D ruf fei I No. 90.
204 S. Ifsleib:
teilte der Kaiser in jenen Tagen keine Audienzen; nur
der Bruder und die geheimsten Räte hatten Zutritt zu
ilini. Der Herzog von Kleve mulste unverrichteter Dinge
in die Heimat ziehen, und die Gesandten wurden vom
Könige im Namen des Kaisers kurz abgefertigt und
zurückgewiesen. Die dänische Botschaft erhielt Weisung,
auf der Heimreise nicht wieder zu Johann Friedrich zu
reiten. Begreiflicherweise rückte auch die Verhandlung
für den Landgrafen nicht von der Stelle.
Lersner^'^) war im sächsischen Gefolge „auf Gnade
und Ungnade" ohne Geleit mit nach Eger gezogen; aber
sein rastloser Eifer für seinen Herrn stiefs auf unerquick-
liche Hindernisse. Drei Tage lang fand er nirgends
Gehör; denn dringende Geschäfte nahmen jedermann in
Anspruch. Am Morgen des vierten Tages, am 8. April,
wartete er vor der Schlafkammer des Herzogs, bis sich
derselbe vom Lager erhoben hatte. Zwar wurde er dann
vorgelassen und konnte mehrere Briefe aus Hessen über-
reichen; allein Moritz gab den kurzen und eiligen Be-
scheid, der König habe ihn für diesen Morgen zu sich
beschieden, um mit ihm über den Vertrag zu reden.
Bisher bestehe man darauf, der Landgraf müsse zwei
Söhne als Geiseln geben und seine Festungen öffnen.
Tags darauf sprach der Vizekanzler den Herzog wieder
an, als er von der Schlaf kammer nach dem Wohnzimmer
schritt, und erhielt iiie Vertröstung, dals der König im
Laufe des Tages bestimmte Antwort geben wolle. Darauf
ersuchte Lersner die sächsischen Räte Carlowitz, Komer-
stadt und Türk, den Herzog dringend an die Verhand-
lung zu erinnern, wenn er zum Könige gehe, da jeder
Verzug besorgiich und beschwerlich sei.
Gegen Abend berichtete Komerstadt: Der Herzog
habe mit dem Könige wohl dreiviertel Stunden ein Langes
und Breites geredet und öfters harte Worte gewechselt,
so dals sich die Majestät dreimal milsmutig ins Fenster
gelegt habe. Auf die runde Erklärung seines Herrn, er
wolle und könne den Landgrafen nicht länger ohne Ant-
wort hinhalten, habe der König beruhigend entgegnet,
er wolle sehen, er wolle sehen; der Herzog möge auch
den jüngeren Granvella, Bischof von Arras, und den
Herzog von Alba ansprechen. Infolgedessen sei er ent-
*3) Dresden, Loc. 9138, Allerhand Sendschreiben, Relationes
etc. 1535 flg. Eger, am 9. April 1547, Lersner an Philipp.
Die Gefangennahme des Landgrafen Philipp von Hessen. 205
schlössen, Alba noch am Abende und am anderen Morgen
jenen aufzusuchen und um Verwendung fiir den Land-
grafen anzugehen. Christof von Carlowitz führte darauf
weiter aus, dafs sich alles noch an der Versicherung des
Vertrages stoise. Man wolle durchaus die hessischen
Festungen haben und mache beharrlich geltend, alle
anderen Garantien seien hinfällig und unzureichend, wenn
der Landgraf seine festen Plätze behalte. Der Herzog
habe die höchsten Anerbieten gemacht und unter anderem
zum Könige gesagt: Der Kaisers wegen habe er so
grofsen Schaden erlitten, wie kein anderer Fürst im
Eeiche; alles jedoch, was man dem Landgrafen erlasse,
solle man ihm anrechnen und so den zu ersetzenden
Schaden gegenseitig ausgleichen. Darauf wolle man sich
aber nicht einlassen ; kurzum, man verlange die Festungen.
Sofort versetzte Lersner: Dieser Artikel sei von allem
Anfange an und immer wieder abgeschlagen worden;
darum könne er gar nicht mehr in den Vertrag hinein-
gezogen werden. Der Landgraf werde die Festungen
nicht übergeben, sondern sich eher zerreilsen oder mit
den Haaren herausziehen lassen. Schon habe er sich zu
hohen und schweren Bedingungen herbeigelassen und
werde alle Zusagen treulich halten. Daher möge man
von den Festungen absehen und die zugestandenen
Garantien annehmen. Carlowitz und Komerstadt suchten
nun zu bedeuten, dals sich der Kaiser jedenfalls schon
mit der Übergabe zweier Festungen, vielleicht mit
Gleisen und Rödelheim, begnügen werde; Lersner aber
eiferte dagegen und bat inständig um ihre Unterstützung
gegen das kaiserliche Ansinnen.
Am 12. April früh morgens teilte Herzog Moritz in
seinem Gemache Lersner mit, dals er abends vorher
wieder bis um 10 Uhr den König hart angegangen und
ernstlich gefragt habe, ob er nicht um seinetwillen eine
aufklärende Antwort erhalten könne. Darauf sei erwidert
worden: „Ja, wohl noch mehr." Zuletzt habe der König
es übernommen, bald eine Erklärung beizubringen. Im
Laufe des Tages wolle er selbst den Kaiser im freien
Felde um eine gnädige Antwort angehen. Vermutlich
ziehe derselbe den roten Rock an. Wenn er den an-
habe, dann sei es Zeit zu bitten. Versprechen könne er
freilich nichts; doch hoife er das Beste. Indessen, acht
Tage später konnte der Herzog noch immer nicht mehr
anzeigen, als dals der König abermals mit dem Kaiser
206 S. Ifsleib:
geredet habe. Nun werde wolil, suchte er zu trösten,
der kaiserliche Bescheid nicht lange auf sich warten
lassen ; kein Baum falle auf den ersten Streich. Höchst
sorgenvoll und ratlos meldete Lersner nach Hessen, er
wisse nicht, wohinaus die Dinge wollten ; alles stehe beim
Kaiser und in Gottes Händen. Unablässig aber ermahne
der Herzog, der Landgraf möge ja nichts gegen das
kaiserliche Vorhaben wider den geächteten Kurfürsten
unternehmen.
In der That, nicht anders war es: Lersner ver-
handelte mit dem Herzoge, dieser mit dem König, der
König mit dem Kaiser; der Kaiser aber verfolgte un-
beirrt seine Pläne und hielt den Landgrafen erbarmungs-
los hin.
Schon war die Schlacht bei Mühlberg (am 24. April)
geschlagen und Johann Friedrich in Gefangenschaft ge-
raten, als Philipp heftig klagte^*), dafs es höchst un-
gelegen und nachteilig sei, so lange in völliger Ungewifs-
heit stillzusitzen, bis der Kaiser mit dem Kurfürsten
gänzlich hindurch sei. Alsdann werde man sagen : Dieses
und jenes und nichts anderes wolle man haben. Daher
müsse er schnelle Antwort dringend fordern ^'^j. Kaum
war darauf die Nachricht von der kurfürstlichen Nieder-
lage auf der Lochauer Heide zu ihm gedrungen, so wollte
er umgehend wissen, wie es um ihn stehe. In nichts
habe er sich eingelassen, versicherte er, was dem Ver-
trage hinderlich sein könne. Und alles, was er vor Gott
mit Ehi'en und ohne ewiges Verderben seines Hauses
leisten könne, wolle er thun. Keck möge der Herzog
dem Kaiser versprechen, dafs er alle Zusagen und Ver-
schreibungen sicher und gewils halten werde. In Eile
aber wünschte er zu wissen, wessen er sich vertrösten
könne, damit er sich weder in unnötige Kosten stecke,
noch in gewagte Pläne vertiefe. Falls er keine Gnade
finden sollte, so gedachte er sich mit Gottes Hilfe noch
ein ganzes Jahr lang zu wehren. Eben waren Ab-
^) Brief vom 25. April. Dresden, Loc. 9143 Landgrevische
hessische gepflogene Versumingshendel etc. 1547. Bl. 25 flg.
45) Yergl. Marburg, Anni. 8; abgedruckt bei Lenz, die Schlacht
bei Mühlberg S. 33. Auf Moritz" Veranlassung ritt Lersner vor Be-
ginn der Schlacht zum Kurfürsten. Während ihrer Unterhaltung
sagte dieser: Lersner, es macht Deinen Herrn all sein Handel irre;
Ihr werdet wohl sehen, wenn es ihnen gelingt, dafs sie mich erlegen,
wie es Deinem Herrn gehen wii'd ; sie (die Kaiserlichen) halten Euch
nur auf etc.
Die Gefangennahme des Landgrafen Philipp von Hessen. 207
geordnete der niederdeutsclien Städte und Vertraute der
Grafen von Mansfeld und Oldenburg in Kassel, um mit
ihm über Kriegspläne gegen den Kaiser zu beraten.
„Der Markt sollte den Kauf lehren."
Als im Feldlager vor AVittenberg die Verhandlungen
mit dem gefangenen Kurfürsten im Gange waren, liefs
sich endlich der Kaiser auch des Landgrafen halber ver-
nehmen. Noch entschiedener als einst an der Donau
forderte er jetzt Ergebung auf Gnade und Ungnade.
Nach dem raschen und glücklichen Siege über den ge-
ächteten Wettiuer wollte er den zweiten Gegner gleich-
falls in seiner Gewalt haben, wie den einen so den andern.
Wenn die über Johann Friedrich erkannte Todesstrafe
zunächst in ewiges Gefängnis abgeändert und schlielslich
in eine Haft verwandelt wurde, welche Aussicht auf
baldige Befreiung zu bieten schien*^), so geschah es haupt-
sächlich des Landgrafen wegen, um ihn heranzulocken und
nicht durch grausame Härte abzuschrecken und zu einem
Verzweiflungskampfe von unberechenbarem Ausgange zu
treiben ^^).
Da Herzog Moritz hoffte , mit Hilfe des Kurfürsten
von Brandenl)urg den Schwiegervater zur Ergebung zu
bringen, so schlug er eine Zusammenkunft vor, welche
der Kaiser billigte ^^). Und weil sofort der Fall in Rück-
sicht gezogen wurde, es möchte gelingen, den Landgrafen
zu überreden, gleich mit in das kaiserliche Kriegslager
zu ziehen, so baten die Fürsten den römischen König
als vorgesetzten Befehlshaber um sicheres Geleit. Das
aber wollte dieser wegen allerlei Bedenken, namentlich
wegen seiner nahe bevorstehenden Abreise nach Böhmen,
nicht ausstellen. Indessen nach erfolgter Unterredung
mit dem Kaiser gestattete er den Fürsten, ihrerseits den
Landgrafen zu geleiten. Darauf luden sie ihn am 10. Mai
nach Quedlinburg in der Richtung Magdeburg -Wittenberg
*") Die Wittenberger Kapitulation vom 19. Mai 1547 in Dresden,
Urkunden No. 11316". Man heachtc den Ausdruck „prison perpctuelle"
hei Ranke VT, 250, im Briefe des JUschofs von Arras an die Kö-
nigin Maria vom 20. Mai 1547.
■*■') In einem Kampfe gegen (h'n Lan<lgrafen war der Kaiser
auf sich sell)st angewiesen. König Fei'dinand mufste den böhmischen
Aufstand dämpfen, Moritz blieb von Hessen fern, und Kurfürst Jo-
achim war machtlos. Niederdeutschland aber war kampfbereit und
König Heinrich von Fi'ankreicb zni' Unterstützung geneigt.
*■') Berlin 39, 4. Landgraf Philipp von Hessen 1547. Vergl.
Ranke VI, 251.
208 S- IMeib:
ein und überschickten „mit besonderer Bewilligimg' kaiser-
licher und königlicher Majestät ein frei, sicher, ungefähr-
lich Geleit ab und zu". Elf Tage später forderten sie
ihn auf, wegen der veränderten Kriegslage nach Leipzig
zu kommen, und mit der Versicherung, dais allerhöchstem
Erbieten zufolge das kaiserliche Kriegsvolk seine Reise
nicht hindern werde, erneuerten sie ihr zugesendetes
Geleit*-').
Am 27. Mai fand die Begegnung der drei Fürsten
im Beisein vertrauter Ratgeber zu Leipzig statt'^^). Die
zweitägige Verhandlung begann mit einer Danksagung,
dafs der Landgraf erschienen sei. Dann legte der aus-
führliche Bericht über die vor Wittenberg aufgewendeten
Bemühungen zu gunsten des Vertrages dar, dafs der
Kaiser an zwei Bedingungen durchaus festhalte: an der
Ergebung auf Gnade und Ungnade und an der Über-
lieferung der Festungen samt Geschütz und Munition.
Nicht ohne Teilnahme gaben Kurfürst Joachim und
Herzog Moritz zu erkennen, wie hochbeschwerlich es sei,
sich dem Kaiser ergeben zu sollen, ohne vorher zu wissen,
welche Folgen es haben könne. Doch baten sie den Land-
grafen, ihnen anzuzeigen, ob er sich ergeben, einen Fufs-
fall thun, Abbitte leisten, einige Festungen schleifen und
dagegen die Nutzungen seines Landes behalten wolle.
Demgegenüber führte der Landgraf, höchst ver-
wundert über die grofse kaiserliche Ungnade, aus, dafs
er die jetzt gestellten Bedingungen nicht annehmen
könne. Ergebung auf Gnade und Ungnade sei nur dann
thunlicli, wenn sie so verstanden werde, dafs er einen
Fulsfall thun und Abbitte leisten solle, die er mit Ehren
verantworten könne. Die Übergabe der Festungen und
des Geschützes habe er durch Lersner allezeit abschlagen
lassen, und dabei gedenke er zu bleiben. Er sei auch
nicht geneigt, seine Festungen zu schleifen, sonst säfse
er da Avie ein Bauer auf dem Dorfe, müsse täglich Ge-
fahren besorgen und wäre in Zeiten eines Aufstandes
weder seines Leibes noch Lebens sicher. Längst habe
*") "Waftenstillstaud bewilligte der Kaiser nicht; doch erklärte
König Ferdinand, das Kriegsvolk solle einstweilen stillliegen und
nicht gegen den Landgrafen vorrücken.
'^') Marburg, oberer Westsaal 224, Korrespondenz Philipps mit
Räten, Lersner etc. Friedshandhmg zu Leipzig zwischen Moritz,
Joachim und Landgrafen vom 27. Mai 1547 an. — Man vermifst die
kaiserlichen Artikel.
Die Gefaiigeunalime des Laiulgiafeii Philiiip von Hessen. 209
er sich erboten, den Vertrag völlig sicher zu stellen, und
was er dem Kaiser zusage, werde er halten. Der Stadt
Stralsburg"'^) seien nicht so schwere Bedingungen wie
ihm auferlegt worden, und doch habe sie dasselbe ge-
raten und gethan wie er. Ohne Wissen seiner Land-
stände könne er die kaiserlichen Forderungen nicht be-
mlligen; man möge mildere Wege einschlagen.
Die Fürsten erwiderten: Der Kaiser sei fest ent-
schlossen, so ernstlich wie bisher fortzufahren und dem
Landgrafen mit aller Macht zuzusetzen, falls er sich
nicht füge. Beschwerlich allerdings erscheine Ergebung
auf Gnade und Ungnade, wenn man nicht wisse, wie
sie zu verstehen sei. AVürden sie aber darüber ver-
ständigt, dals sie „weder zum Schaden des Leibes, noch
zu Gefängnis, noch zu. Verlust von Land und Leuten
gedeutet" werden solle, dann möge er etliche Festungen
schleifen und das Geschütz übergeben. Die von ihm
angebotene Versicherung des Vertrages sei an sich wohl
stattlich genug; aber dem Kaiser genüge sie nicht, und
ihre eigene Bürgschaft habe man bisher abgeschlagen.
Es erschehie geraten, Gnade zu suchen und die Festungen
zu schleifen, die man ja wieder aufbauen könne, wenn
der kränkliche Kaiser bald sterben werde. Ein &iegs-
zug gegen Hessen sei für den Landgrafen verderblich
und schädige alle Mitbelehnten und Nachbarn. Schwer
könne er ihn mit seinem Gewissen verantworten. Der
Herzog von Jülich habe ebenfalls Festungen schleifen
müssen und dürfe keine wieder aufbauen''-). Gesetzt,
Hessen verliere alle festen Plätze, so seien sie doch
untereinander so befreundet, dals sie kraft der alten Erb-
einigung oder auf dem Wege des Rechtes jeden bösen
Nachl)ar zurückhalten könnten. Der Kaiser sei und
bleibe die ordentliche Obrigkeit. Leicht gewinne er An-
hänger, welche die xicht mit vollziehen helfen würden.
Mächtig gerüstet könne er den Krieg wohl aushalten.
Daher möge der Landgraf sich selbst samt Land und
Leuten in Acht nehmen. Das Evangelium solle nicht
unterdrückt werden. Der Religion halber habe der Kaiser
niemanden verpflichtet, nicht einmal den gefangenen
Herzog von Sachsen.
") Bis April 1547 hielt sich Philipps ältester Sohn Wilhelm in
Strafsburg auf. Ho Hau der S. 83.
«2) 1543. Vergl. Kanke IV, 212.
Neues Archiv f. S. G. u. A. XI, 3. 4. 14
210 S. Ifsleib:
Fafst man den Inhalt aller weiteren ausführlichen
Erörterungen kurz ins Auge, so ergiebt sich, dals am
ersten Verhandlungstage fast ausschliefslich die beiden
erwähnten Hauptpunkte besprochen wurden. Auf beiden
Seiten herrschte die Ansicht, dals eine Einigung darüber
auch eine rasche Verständigung über alle anderen herbei-
führen werde. So oft der Landgraf den Artikel über
die Ergebung auf Gnade und Ungnade berührte, um ihn
mit aller Klarheit festzustellen, so gaben oft die Fürsten
kund, dals er ihres Erachtens ihm weder zu Gefängnis,
noch zum Nachteil der Ehre, noch zu Verlust von Land
und Leuten gereiclien, sondern mit Fufsfall und Abbitte
der Ungnade abgethan sein solle. Als er dann hinsicht-
lich dieser Auslegung eine bindende Zusicherung be-
anspruchte, versetzten sie beruhigend: Würden sie ihrer
Deutung nicht sicher und gewils sein, dann wollten sie
ihm nicht zur Ergebung raten. Gäbe der Kaiser aber
eine bestimmte Zusage in ihrem Sinne, dann hätten sie
Grund zu glauben, er werde sie halten.
Schlielislich war der Landgraf gesonnen, die Ergebung
auf Gnade und Ungnade zu vollziehen, wenn die Fürsten
ihm durch Brief und Siegel die Garantie leisteten, dals
sie nur Fulsfall und Abbitte bedeuten, weder Leib, Ehre,
Land und Leute, noch irgend welche Güter gefährden,
sondern kaiserliche Gnade, Befreiung von der Acht und
Wiedereinsetzung in den ererbten fürstlichen Stand zur
Folge haben solle. Im kaiserlichen Hoflager wollte er
sich nur einen, höchstens zwei Tage aufhalten. Ein
Übriges glaubte er zu thun, wenn er die zwei Festungen,
Gielsen und Rödelheim, mit Geschütz und Munition ein
Jahr lang in kaiserliche Hände stelle, doch so, dafs der
Kaiser die Besatzung unterhalte oder die entstehenden
Unkosten von der im Vertrage verlangten Geldsumme
abrechne. Nach Darbietung der Festungen sollte dann
kein Sohn als Geisel gegeben werden. Entschieden
lehnte er die Herausgabe des Geschützes ab, welches
zur Landesverteidigung unumgänglich nötig sei. Der
freie^^ Durchzug durch Hessen wurde verweigert. Für
die Übereinkunft mit dem gefangenen Herzog Heinrich
verlangte er kaiserliche Ratifikation. Die Eeligion sollte
wie vor dem Kriege unangefochten bleiben''-^). Erst nach
^^) Der Kaiser sollte sich schriftlich Yerpflichteii , dafs er den
Vertrag halten wolle, Aiifserdeui verlangte Philipp einen Neben-
Die Gefangemialime des Laudgrafen Philipp von Hessen. 211
Al)scli]uls aller Yerlianclliingen imd nach erfolgter An-
nahme des Vertrages gedachte er mit den Fürsten zum
Kaiser zu reiten.
Am anderen Tage klagten Joachim und Moritz
darüber, dais Philipp die übergebenen kaiserlichen Artikel
zweimal geändert halje, und ernstlich milsbilligten sie das
Verfahren, weil es den ganzen Handel umstolsen werde.
Im zweiten Entwürfe, den er nun festzuhalten gedachte,
hatte er fast alle Forderungen wesentlich herabgedrückt und
gemildert •'"'*). Nur der Gnade des Kaisers wollte er sich
ergeben; das Wort Ungnade hatte er einfach ausgestrichen.
Zwar war er bereit, die schmalkaldische Bundesurkunde
herauszugeben, doch sollte sie ihm jederzeit gegen jeder-
mann zur Verfügung stehen. Statt 150,000 fl., wünschte
er nur die früher bewilligten 138,000 fl. innerhalb sechs
Monaten zu bezahlen. Drei regierende Fürsten und seine
Unterthanen sollten den Vertrag verbürgen und Vollmacht
haben, ihn zui' Ausführung desselben zu zwingen ; Geiseln
aber wollte er dann nicht stellen, und die Festungen
Gielsen und Rödelheim sollten dem Kaiser mit Geschütz
und Munition nur bis zur Vollziehung des Vertrages
übergeben werden etc. Standhaft verweigerte er die
Auslieferung des übrigen Geschützes.
Voller Bedenklichkeiten rieten die Fürsten dem
Landgrafen, von seinen Vorschlägen abzulassen und mit
ihnen über die kaiserlichen Artikel weiter zu verhandeln.
An der Ergebung auf Gnade und Ungnade, sagten sie,
müsse festgehalten werden. Und begnüge sich der Kaiser
nicht mit Gielsen und Rödelheim, dann sollte Philipp die
Festung Ziegenhain noch zugestehen. Wenn er das grobe
Geschütz seiner Festungen, wie Mauerbrecher und Kar-
taunen, gutwillig übergebe, dann würde ihm vielleicht
die Auslieferung des Feldgeschützes erlassen werden.
Darauf tadelte der Landgraf, dals man ihm mehr
abnötigen und zumuten wolle, als einem Herzog; denn
Ulrich von Württemberg habe keine Geschütze gegeben.
Überdies habe ihm Carlo witz gesagt ■^■^), wenn es um die
vertrag, dafs der Köiiii'- von Frankreich wegen des geliehenen Geldes
nicht bekiicgt werden sollte.
^'') Marburg, oberer Westsaal 5, Landgraf Philipp, die Ge-
fangenschaft betreffend, Verhandlungen mit Sachsen und Branden-
burg etc. Bl. 6, Leipzig, 28. Mai 1547.
■'■') Der herzogliche liat Christot' von Carlowitz war am 27. Mai
in Leipzig vorübergehend anwesend.
14*
212 ^- Ifeleib:
zwei grofsen Stücke''''') zu thun sei, dann solle er sein „Maul
nicht zur Tasche machen". Die Festung Ziegenhain könne
und wolle er nicht einräumen. Beruhe alles auf den
beiden Punkten, Geschütz und Festungen, so könne er
sich nicht schlüssig machen, sondern müsse seine Land-
stände zu Rate ziehen. Das Wort Ungnade habe er
weggelassen, weil er es für unnötig und bedenklich er-
achte; doch wolle er es so hoch nicht anfechten, wenn
er vergewissert werde, dals es so zu verstehen sei, wie
man wiederholt besprochen habe. Auf alle Fälle müsse
er über die Bedeutung der Worte „Gnade und Ungnade"
verständigt und durch Brief und Siegel gesichert werden.
Die Fürsten entgegneten : Gern wollten sie ihm einen
Vertrag wie den württembergischeu gönnen; allein der-
gleichen werde nicht mehr bewilligt. Des Geschützes
halber möge sich die Verhandlung nicht zerschlagen.
Schimpflich sei es in der That, dem Kaiser nur zwei
Stück Büchsen anzubieten ; auch dürfe es mit Ziegenhain
nicht allzuhoch genommen werden. Unnötig sei die Be-
fragung der Landstände, da der Landgraf Macht habe,
selbst zu entscheiden. Jedenfalls werde allen der Friede
lieber sein als der Krieg. Das Wort Ungnade müsse
bleiben; es stehe hauptsächlich um des herkömmlichen
Gebrauches willen und habe sonst keine Wirkung. Würde
man sie über den Sinn und die Deutung des Ausdruckes
„Gnade und Ungnade" nicht sicher und genügend ver-
ständigen, dann gebühre es ilmen nicht, ihn als ihren
Freund zu verfüliren. Könnten sie aber mit gutem
Grunde sagen, ziehe mit zum Kaiser auf Treu und
Glauben, dann bedürfe es keiner Sorge.
Nachdem der Landgraf nochmals seme Zuflucht zu
den Verträgen des Kaisers mit Württemberg, Stralsburg
und Augsburg genommen hatte, äulserte er dann: Auf
etliche Geschütze solle es nicht ankommen. Ziegenhain
aber werde er nicht übergeben, zumal Lersner vor kurzem
berichtet habe, der Kaiser werde sich mit Gielsen und
ßödelheim begnügen. Bei den Worten „Gnade und Un-
gnade" sollten sich die Fürsten „wohl vorsehen". Mit
Nachdruck wiederholte er diese Mahnung. Sie sollten
ihm auch die Gewifsheit verschaffen, dafs der Vertrag
^^) Meinte man Gescnütze des Franz von Sickingen von der
Ebernburg, vielleicht die Nachtigall und ein anderes? Vergl.
ßommel III, 232. Ranke II, 83.
Die Gefangennahme des Landgrafen Philipp von Hessen. 213
(laiiei-iul anerkannt und später nicht angefocliten werde.
Nie habe er vordem im Sinne gehabt, das zu thun, was
er jetzt bewilligt; nie habe er daran gedacht, sich auf
Gnade und Ungnade zu ergeben und irgend eine Festung
zu überliefern. Werde nuii das Bewilligte nicht ange-
nommen, dann müsse er sich bis zum äulsersten wehren.
Sterbe er früher als seine Zeit gekommen sei, dann leide
er um Gottes und der Wahrheit willen. Dem Kaiser
sollten sie alles ernstlich vorstellen und ihn daran
erinnern, was er einst für ihn gegen Frankreich und in
Sachen Jülichs gethan, und wie er sich seit dem Abzüge
von Giengen verhalten habe. Auf Lersner suchte er den
Verdacht zu wälzen, dals er die harten Bedingungen
schon früher gekannt, aber verschwiegen habe. Zuletzt
bat er, schnell zu handeln und ihn nicht aufzuhalten.
Die Fürsten versicherten, dals die Zeitumstände allein
sie genötigt hätten, so hart in ihn zu dringen; mit allen
Kräften aber wollten sie nun beim Kaiser für ihn ein-
treten. Lersner habe treu gehandelt. Bisher hätten sie
keinen Diener gesehen, welcher seines Herren Sache
fleilsiger betrieben habe als er. Sie selbst hätten geglaubt,
beim Kaiser mehr durchsetzen zu können ; allein zuletzt
hätten sie befunden, dals er nur zu den übergebenen
Artikeln zu bringen sei. Von den jetzigen Verhand-
lungen sollte er auf das genaueste in Kenntnis gesetzt
werden, und keine Mühe wollten sie sparen, um ihn
und seine, Räte zur Milde und Nachgiebigkeit zu be-
wegen. Über das Ergebnis sollte unverzüglich Bericht
erstattet werden, wenn der Landgraf bis zu ihrer Rück-
kehi" in Leipzig bleibe.
Kurz bevor man von einander schied, teilte Philipp
unerwartet mit: Weil er sehe, dafs man ihm durchaus
nicht glauben und trauen wolle, so habe er den Ent-
schluls gefalist, auf Verlangen seinen Kindern alle Herr-
schaften bis auf Kassel, Hofgeismar und einige Jagd-
gebiete so lange abzutreten, bis er sich mit dem Kaiser
eines anderen verglichen habe. Mit Moritz sprach er
auch über eine „Verehrung" bis zu 10,000 Kronen, welche
dem Bischof von Arras für erfolgreiche Verwendung beim
Kaiser angeboten werden sollte.
Kaum waren dann die Verhandlungen abgebrochen
und die beiden Fürsten auf dem Wege nach dem Feld-
lager vor Wittenberg, da sandte Philipp eilige Befehle
an seine Räte und Statthalter, um alle Festungen in volle
214 S. Ifsleib:
Kriegsbereitschaft zu setzen, die Vornehmsten der Land-
stände zu berufen, die gesamte wehrpflichtige Mannschaft
zusammenzufordern und die sächsischen Städte, sowie die
Führer des niederdeutschen Kriegsvolkes zu einem Ver-
teidigungsbündnis aufzumuntern ■^^).
Am anderen Morgen meklete er Moritz : Keinesfalls
könne er alle Kartaunen und grolsen Geschütze weg-
geben. Habe er kein Geschütz , dann thäten die Nach-
barn und die stolzen adligen Herren, was sie wollten.
Württemberg und die süddeutschen Städte hätten den
Krieg angefangen und kein Geschütz entrichtet, wie
komme er dazu! Ziegenhain wolle er nicht übergeben,
sonst sei er vor Untreue und Aufruhr seines Lebens
nicht sicher. Der Festungen und des Geschützes beraubt,
könne er seinen Freunden in der Not nicht helfen ; das
sei wohl zu beherzigen. Den Plan, seine Herrschaften
den Söhnen zu übergeben, hielt er nach reiflicher Über-
legung für ganz unthunlich, weil dadurch grolse Spaltung
in Hessen verursacht und der Blick der Söhne in bedenk-
licher Weise auf ihn gerichtet werde. Er wollte Herr
seines Landes sein Lebtag bleiben oder darüber sterben.
Moritz sollte die Sache ganz verschweigen und beim
Kaiser des Vorschlages gar nicht gedenken. Am meisten
lag ihm noch das Geschütz am Herzen. Verlange man
alle Geschütze, schrieb er, dann möge der Herzog schnell
zuverlässige Leute verordnen, welche ihn unverzüglich
heim geleiteten. Alles weitere müsse er dann Gott be-
fehlen. Erfolge aber die Annahme des Vertrages, dann
sollte schleunige Bezahlung und Abrüstung des Kriegs-
volkes stattfinden.
Mittlerweile wurden die Fürsten im Feldlager vor
Wittenberg vorstellig. Der Kaiser jedoch wies des
Landgrafen Vorschläge kurzer Hand zurück, forderte be-
dingungslose Ergebung auf Gnade und Ungnade und
bestand auf der Übergabe der Festungen und des Ge-
schützes. Joachim und Moritz wurden ersucht, die Ver-
handlungen abzubrechen. Damals will man deutlich zu
verstehen gegeben haben, man könne dem Landgrafen
nicht trauen und müsse ihn wenigstens bis zur Voll-
ziehung des Vertrages in der Gewalt haben ''^). Dagegen
") Rommel III, 232.
^^) Mau scheint die Wendung gebraucht zu haben, die Ergebung
solle dem Landgrafen weder zur Leibesstrafe noch zu ewiger Haft
(prison perpetuelle) gereichen. In jenen Tagen behandelte mau den
Die Gpfaiiffeimahme des Landgrafen Philipp von Hessen. 215
wurde geltend gemaclit, ein Fürst, welcher sich frei-
willig stelle, sei anders.. zu l^ehandeln als ein im Kampfe
gefangener. Dieser Äufserung begegnete man: Der
Landgraf weiche auch nur der Gewalt, da er jetzt von
der Wetterau und von Nassau her durch den Grafen
von Büren und durch die aus Sachsen vorrückende
Heeresmacht bedroht w-erde.
Sobald Moritz klar erkannte, dals der Kaiser von
seinen Forderungen nicht abzubringen sei, eilte er nach
Leipzig zurück und teilte am Pfingstdienstag (31. Mai)
dem Landgrafen mit, dals zunächst König Ferdinand um
seine Fürsprache angegangen worden sei. Dann habe der
Bischof von Arras die Sache an den Kaiser gebracht,
aber bald erwidert: Seine Majestät bleibe dabei, der
Landgraf müsse sich auf Gnade und Ungnade ergeben
und alle Festungen samt Geschütz in seine Hände stellen
ohne jede Bedingung. Nun suchte der Herzog auf den
Schwiegervater persönlich einzuwirken; indessen die pein-
liche Verhandlung zerschlug sich. Eben hörte Pliilipp
vom Siege des niederdeutschen Kriegsvolkes gegen Herzog
Erich von Braunschweig unweit Drakenburg; da schien
die alte Entschlossenheit zurückzukehren, er ritt davon.
Nachdem er in Weilsenfels übernachtet hatte, wandte
er sich frühmorgens brieflich an Kurfürst Joachim, be-
kannte offen, dals er sich emer solch kurzen kaiserlichen
Antwort nicht versehen habe, und bat ihn inständig, sich
nicht bewegen zu lassen, mit seinem Kriegsvolke gegen
ihn zu ziehen. Dann brach er auf, um die Heimreise fort-
zusetzen.
Im freien Felde kam er mit dem herzoglichen Rat
und Amtmann Christof von Ebeleben, welcher ihn ge-
leitete, in ein vertrauliches Gespräch über die Leipziger
Verhandlungen und über die seinem Lande nunmehr be-
vorstehende schwere Zeit. Da sagte er unter anderm:
Ernstlich habe er über alles nachgedacht und hätte gern
Frieden. Nichts wolle er unterlassen, wenn er seiner
Unterthanen Schaden und Verderben verhüten könne.
Auch mit den Nachbarn habe er Erbarmen, durch deren
Land der kaiserliche Kriegszug gehen Averde. Wenn er
nun Wülste und dessen fest versichert würde, dals er bei
der lieligion, desgleichen bei Land und Leuten bleiben,
gefangenen Kurfürsten so mild, daCs die Kcde ging, er wei'de bald
wieder frei sein. Damit täuschte man den Unglücklielien jedenfalls
des Landgrafen wegen.
216 S. Ifsleib:
auch eine Festung, Kassel oder Ziegenhain, behalten sollte,
dann wollte er die andern schleifen lassen, vorausgesetzt
jedoch, dals alle Unkosten von der im Vertrage gefor-
derten Geldsumme abgezogen würden. Zwar sei es
schimpflich, das Geschütz mit Munition auszuliefern ; ehe
er jedoch sein Land und seine ünterthanen zu Grunde
richten lasse, wolle er lieber das Geschütz herausgeben,
sofern er desselben nicht gänzlich beraubt werde. Auch
gedenke er sich auf Gnade und Ungnade dermafsen zu
ergeben, wie es in Leipzig besprochen worden sei. Wenn
die Fürsten also durch Brief und Siegel zusagten, die
Ergebung solle ihm weder zu Nachteil oder Schaden
an Leib, Ehre, Land und Leuten, noch zu Gefängnis ge-
reichen, dann sei er bereit, einen Fulsfall zu thun und
die Ungnade abzubitten. Herzog Heinrich sollte samt
seinem Sohne freigegeben werden, sobald der Kaiser die
zwischen ihnen erfolgte Vereinbarung bestätigt habe.
Alle andern Artikel möchten bleiben.
Ebeleben erbot sich darauf, in das kaiserliche Lager
zu reiten, die Fürsten anzugehen und zu versuchen, ob
er Gutes ausrichten könne. Der Landgraf willigte ein;
doch wollte er vorläufig unverpflichtet bleiben. Ebeleben
sollte gleichsam alles auf eigne Faust wagen und bis zum
6. oder 7. Juni nach Kassel schreiben, ob Hoifnung auf einen
günstigen Vertrag vorhanden sei. Inzwischen gedachte
er mit seinen Landständen alle schwierigen Punkte zu
beraten. Auf Philipps Wunsch wiederholte Ebeleben
das, was ihm vertraulich mitgeteilt und anbefohlen worden
war; dann trennten sich beide.
Der Landgraf zog nach Kassel und berichtete am
6. Juni'^^) an die Grafen von Mansfeld und Oldenbm^g,
an Heideck, Thumshirn und Planitz von der erfolglosen
Leipziger Verhandlung, sowie naher französischer Hilfe
und ersuchte sie, ihr Kriegsvolk bei einander zu behalten
und sich mit ihm über einen gemeinsamen Kriegsplan gegen
den Kaiser zu verständigen. Kaum war dies geschehen,
da nahte ein Eilbote aus dem Lager vor Wittenberg und
überbrachte euien Brief, in Avelchem Joachim und Moritz
den Landgrafen dringend baten, sich mit niemandem irgend-
wie einzulassen, bis er Ebeleben, welcher eiligst nachfolge,
gehört habe.
59) Romme 1 III, 239. Marburg 385, Schmalkalduer Bund
1646—1550.
Die Gefangennahme des LanrlgTafen Philipp Ton Hessen. 217
Als dieser von Weilseiitels aus im kaiserlichen Kriegs-
lager angekommen Avar und über die Unterredung mit
dem Landgrafen getreuen Bericht erstattet hatte, begaben
sich die beiden Fürsten sofort zum Bischof von Arras
und beantragten die Wiederaufnahme der abgebrochenen
Verhandlungen. Anfangs warf der kaiserliche Eat diese
Zumutung in erregter Weise Aveit von sich weg und wollte
den Antrag nicht für 200000 fi. an den Kaiser bringen,
xlls ihm jedoch Moritz eine stattliche „Verehrung" zu-
sagte, wurde er ruhiger und lieis sich zu dem gewünschten
Schritte bewegen*^*'}.
Die neue Verhandlung nahm die Tage vom 2. bis
4. Juni in Anspruch und ist durch gewisse verfängliche
Vertraulichkeit denkwürdig '•'). Leider vermochten die
Fürsten sich damals dem Kaiser nicht zu nähern, weil er
keine Audienz gewährte. Überaus fühlbar war für sie auch
die Abwesenheit König Ferdinands, mit dem sie stets
offene Rücksprache genommen hatten. Vielleicht hätte
seine Gegenwart den folgenschweren Konflikt vermieden,
der dann unheilvoll eintreten sollte.
Ln engen Kreise der Fürsten und des Bischofs,
welcher den Vizekanzler für die deutschen Reichsan-
gelegenheiten, Dr. Seid, zeitweilig hinzuzog, fanden die
Bespi-echungen und Festsetzungen statt. Man bediente
sich der deutschen, lateinischen und französischen Sprache.
Da die Fürsten nur der deutschen Sprache mächtig waren,
der Bischof dagegen der französischen und lateinischen,
so muiste Dr. Seid, w^elcher deutsch und lateinisch redete,
den Gedankenaustausch vermitteln'*-). An sich war dieser
Verkehr nicht ungewöhnlich; allein hier muls hervor-
gehoben werden, dals es für die Fürsten ein recht mifs-
licher Umstand war.
Vor allem ist zu betonen, dals Joachim und Moritz
gegen die neuen Zugeständnisse des Landgrafen eine
kaiserliche Deklaration über die Ergebung auf Gnade und
Ungnade beanspruchten. Ihr gestecktes Ziel war, durch-
'^) Vergl. Holländer, Strafsliurg im schmalkaldischen Kriege,
S. 80.
">) Am 2. Juni erscholl im kaiserlichen Krieg^;lager die Nach-
richt, Herzog Erich sei geschlagen. Gegen Abend nahte der Herzog
mit seinem Vetter Pliili])]), dem Solme des gefangenen Herzogs von
Braunschweig, und bestätigte die Niederlage. Wie, wenn der Land-
graf sich an die Spitze dieser glücklichen, niederdeutschen Bewegung
stellte?
**^) Dolmetscher scheint man möglichst ferngehalten zu haben.
218 S. Ifsleib:
zusetzen, dals die Ergebung dem Landgrafen weder zur
Leibesstrafe, noch „zu einiger Gefängnis", noch zum Ver-
luste von Land und Leuten gereichen, sondern nur Fuls-
fall und Abbitte bedeuten sollte. Freilich hiefs das nichts
anderes als Vernichtung des kaiserlichen Planes, Philipp
wenigstens bis zur Vollziehung des Vertrages in seine
Gewalt zu bringen. Ob das gelingen würde?
Während der geheimen Verhandlung sind Artikel in
allen drei erwähnten Sprachen, in der französischen, latei-
nischen und deutschen, abgefalst worden. Bedauerlicher-
weise kennen wir aber nur die französischen des Bischofs
von Arras. Das deutsche Exemplar der Fürsten hat sich
nirgends linden lassen •^•^). Das ist um so mehr zu be-
klagen, als die Möglichkeit, für diese Hauptstelle der
Abhandlung volle Klarheit zu gewinnen, nun ausge-
schlossen bleibt Eine empfindliche Lücke! Aus ver-
schiedenen Gründen mag die volle Wiedergabe der vor-
handenen französischen Punktation willkommen geheilsen
werden *^^).
Le Lantgrave de Hessen offre de noiiveau et oxütre ce que par
ci devant il a oifert tiu'il fera abattre tous ses fors, excepte nng a
savoir Cassel ou Ziee'enhaim.
•^3) Weder in Berlin noch Dresden, weder in Marburg noch
Wien war es anzutreffen. In Berlin und Dresden liegt im Rein-
konzept eine Instruktion der beiden Fürsten Moritz und Joachim für
die Räte Otto von Dieskau und Hans von Schlieben an König Fer-
dinand, datiert Halle, 2.3. Juni 1547. In derselben wird auf die ge-
heimen Artikel als Beilage verwiesen; allein sie fehlen und sind
jedenfalls für spätere Verhandlungen mit Hessen herausgenommen
worden.
<") Abgedruckt sind diese Artikel vom 2. Juni 1547 Ijei B u c h o 1 1 z,
Geschichte der Regierung Ferdinand des Ersten, Urkundenband IX,
42.3. In Wien liegen sie in Abschrift als Beilage eines Schreibens
Karl V. an König Ferdinand vom 15. Juni 1547, auf welches wir
zurückkommen •, Signatur P. A. 6. In deutscher Sprache lernte man
diese Artikel auf dem Reichstage 1547—1548, am 25. November 1547,
kennen, als der Kaiser sich ül)er das hessische Gesuch um Fürbitte
erklärte, Dresden, Loc. 9143, Landgräfliche hessische gepflogene
Versunnngshendel etc. Bl. 22. Die kaiserliche Antwort wurde dann
den Reichsständen zur Abschrift übermittelt. Daher linden sich die
Artikel in verschiedenen Archiven. Nicht unbeachtet darf die Ab-
schrift in Dresden, Loc. 9145, Hessische entledigung I, Bl. 162/63,
bleiben. Sie trägt folgendes Dorsat von Dr. Fachs: „Dieser Vor-
schlag soll im Feldlager vor Wittenberg beschehen sein, wie sich
die kaiserischen vernehmen haben lassen, und ist diese Copei zu
Augsburg, 18. Februar 1548, uns zugestellt worden abzuschreiben,"
Dr. Fachs war zwar nicht völlig, aber doch im allgemeinen gut über
die Verhandlungen vom 2. bis 4. Juni 1547 unterrichtet.
Die Gefangennahme des Landarafen Philipp von Hessen. 219
Item offre aussi delivrer a ladite Me. Imple. toute sa artillerie
et munition, suppliaut toutesfois quil phiise a Sad. Me. luv laisser
antant d'artillerie de camp ponr gaider le seul fort qii'il retiondra
qu'il se puisse defendre coutre ung mauvois voysin. (Jar de eudoni-
maigier ou envahir autres u'est son intentiou.
II se rendra aussi a S. M. en genade et ongeuade saus aucune
couditiou, toutesfois led. marquis et duc Maurice adjustent a cesluy
article, qu'il leur est necessaire davoir iutelligence avec Sad. M. qiie
feile condition ne toiirnera a paine corporelle ou perpetuel empri-
sonnemcnt dud. Lantgrave.
Semblablenieut quant ä ses pays et subjects qu'il ue sera plus
avant pugny ue tenu de faire que ce que les premiers articles con-
tiengneut, pourveu toutesfois que ce sera saus prejudice du bou droict
d'ung cbacun qui vouldra pretendre actiou et quereile contre luy en
quoy il sera tenu s'accorder par voye amiable, ou obeyr ä ce que
S. M. ou les commis d'icelle ou le jugement de la chambre Imperiale
(tel que Sad. Mje vouldra ordonner) prouuncera. Sans toutesfois
qiie de ce que dessus le Lantgrave n'en scaisse riens ains se rendra
librement et simplement, Et cecy se fait tant seulement affin que
lesd. princes puissent tant plus facilement conseiller et induyre
ledit Lantgrave.
Et en cas que S. M, ne se contentast de teile assecuration,
Icelle pourra penser quelque autre moyen de surete et la raettre le
plus avantageusemeut qu'il sera possible, et que lesdits princes la
puissent proposer aud. Lantgrave et sur icelle traicter avec luy, et
s'obliger eulx mesmes pour led. Lantgrave.
Ohne Zweifel fällt sofort der Schlnls des dritten
Abschnittes, und da wieder der Ausdruck „perpetuel
emprisonnement" , Avelcher nach damaliger Verdeutschung
„ewige Gefängnis" bedeuten würde, in die Augen. Dem-
nach wäre der Sinn, die Ergebung solle dem Landgrafen
weder zur Leibesstrafe noch zu ewigem Gefängnis ge-
reichen.
Karl V. gab im Briefe an seinen Bruder Ferdinand
vom 15. Juni an ^'■') : Die Fürsten hätten sich des Ausdrucks
jnison perpetneüe bedient und auch dessen Aufnahme in
dem Schriftstücke gestattet, auf Grund dessen ihm Vortrag
gehalten werden sollte. Der Bischof von Arras sprach im
Briefe an die kaiserliche Schwester, Königin Maria, am
20. Juni, ebenfalls von prison perpetuelle'''''). Der Aus-
druck kehrt dann wieder in zwei Briefen an die kaiser-
lichen Geschwister vom 21. imd 28. Juni'^^). Wenn die
Niederschrift der Artikel nun am 2. Juni erfolgte, so
tritt uns am 15. im kaiserlichen Briefe an den Bruder
zum ersten Male die Folgerung entgegen: prison perpe-
«5) Bucholtz IX, 427.
«8^ Lanz II, 585.
"') Lanz II, 587, D ruf fei I No. 106 S. 64.
220 S. IMeib:
tnelle, (1. i. ewige Haft, sei unstatthaft, „einige Haft" da-
gegen erlaubt.
Die Fürsten aber stellten die Zulässigkeit einer
solchen Deutung und Auslegung später stets hartnäckig
in Abrede. Als ob der Ausdruck prison perpchicUe,
während der geheimen Verhandlungen gar nicht gefallen
sei, behaupteten sie vom 20. Juni 1547 bis zu Moritz'
Kriegszug gegen den Kaiser 1552 •^^) : Nie hätten sie ver-
standen, dafs der Landgraf auch nur durch „einige Ge-
fängnis" besehwert werden solle; nie wäre von einem
solchen kaiserlichen Vorbehalt die Rede gewesen, Philipp
nach dem Fuisfalle und der Abbitte gefänglich einzuziehen;
vielmehr habe der Kaiser die gnädigste Erwähnung tlmn
lassen, die Ergebung solle „weder zur Leibesstrafe, noch
auch zu Gefängnis" gereichen. Indem sie nach einer
Erklärung dieser Meinungsverschiedenheit suchten, gaben
sie an, es möge wegen der Übersetzung in die fremden
Sprachen einer den andern milsverstanden haben; nie
aber hätten sie verstanden, dafs der Landgraf gefangen
genommen werden sollte. — Wie leicht wäre die Frage
zu lösen, wenn ein Exemplar ihrer deutschen Artikel vor-
handen wäre ! Gesetzt, die Fürsten hätten um des Kaisers
willen den Ausdruck prison perpetneUe in den franzö-
sischen Text aufnehmen lassen, so falsten sie die Worte
„weder Leibesstrafe noch ewige Gefängnis" doch nur so
auf, als sei irgend welche Haft ebensowenig zulässig
wie die Leibesstrafe. Wenn die kaiserliche Autfassung
nur ewige Haft ausschlols, so duldete die fürstliche
nicht einmal einige Haft. Erschien nach den franzö-
sischen Artikeln des Bischofs von Arras einiges Ge-
fängnis als erlaubt, so war es nach der Meinung der
Fürsten überhaupt nicht statthaft.
Was soll man nun dazu sagen? Liegt hier that-
sächlich ein Milsverständnis, ein Irrtum oder eine Täu-
schung, ein Betrug vor? Jedenfalls wird im folgenden
klar zutage treten, dafs der Kaiser und sein gewandter
Ratgeber genau wufsten, welchen Wortsinn sich die Fürsten
angeeignet hatten, und welche Erwartung sie hegten. Sie
hofften in der That, der Kaiser werde so grofsmütig sein,
wie sie durchaus wünschten und wollten.
ö^) über linndert Briefe und Schriftstücke in Berlin, Dresden
und Marburg beweisen dies.
Die CTefangemiahme des Lautlgrafeu Pliili])]) vou Hessen. 221
Kehren wir zu den französischen Artikehi zurück,
so ist weiter zu l)eachten, dais nach dem vierten Ab-
schnitt nur die beiden Fürsten von der kaiserlichen Er-
klärung über die Ergebung auf Gnade und Ungnade
Kenntnis haben sollten. Der Landgraf selbst sollte da-
von nichts wissen, sondern sich zufolge des Vertrages
„schlecht und frei" ergeben. Die Fürsten erhielten die
Deklaration auch nur aus dem Grunde, um desto unbe-
fangener zur Ergebung raten und den Landgrafen desto
leicliter zu diesem Schritte bringen zu können. Demnach
gab der Kaiser die geforderte Erklärung nicht Philipp,
sondern den beiden Fürsten ; nicht jenem, nur diesen ver-
pflichtete er sich. Dafür hatten beide die Aufgabe, die
bedingungslose Ergebung ins Werk zu setzen. Der Land-
graf war allein durch die Fürsten gedeckt; aber das
sollte er nicht wissen. Daraus folgte: Die beiden Ge-
währsmänner konnten sich erst dann auf die vertrauliche
Deklaration berufen, wenn nach der Ergebung auf Gnade
und Ungnade dem Landgrafen etwas Unstatthaftes wider-
fuhr. War es dann aber nicht zu spät? Niemandem
entgeht wohl, dais der Kaiser auf diese Weise die Fürsten
vom Landgrafen trennte, aber nichtsdestoweniger sie be-
nutzte, um ihn herbeizuschaffen. — Über diesen Punkt
des vierten Abschnittes besteht kein Zweifel. Nie haben
die Fürsten in Abrede gestellt, dais die kaiserliche De-
klaration für den Landgrafen ein Geheimnis bleiben sollte.
Wenn schliel'slich der fünfte Abschnitt ül)er die Asse-
kuration des Vertrages von selten der Fürsten in der
überlieferten Weise zugestanden wurde, dann hinderte
den Kaiser wenig, als höchste und sicherste Garantie für
die Ausführung des Vertrages den Landgrafen selbst zu
fordern und zurückzuhalten. Dann erdachte er nichts
neues, sondern hielt an seinem alten Plane fest, worauf
ihm zuletzt doch alles ankaui.
So glaubte Karl V. gangbare Wege zu besitzen, um
den Landgrafen einzufangen; die Fürsten dagegen meinten,
Philipp nicht nur vor Leibesstrafe, sondern auch vor Haft
und vor Verlust von Land und Leuten gesichert zu haben.
Gewils viel gewonnen im Verhältnis zum unglücklichen
Kurfürst Johann Friedrich!
Der Vertrag selbst*"'^) wurde vom Bischof von Arras
in Anwesenheit der Fürsten gemäfs der neuen landgräf-
00
) Rommel III, 248 flg.
222 S. Ifsleib:
liehen Zugeständnisse abgeändert. Aber der erste Artikel
lautete wie früher, dafs der Landgraf sich selbst und sein
Land der kaiserlichen Majestät auf Gnade und Ungnade
ergeben, in Person den Fulsfall tlmn und die Abbitte
leisten sollte. Dafür wurde Verzeihung in Aussicht ge-
stellt, für die er sich besonders dankbar zu erzeigen habe.
Von allen Bündnissen, besonders vom schmalkaldischen,
sollte er sich lossagen und alle Bundesbriefe ausliefern.
Die Strafsumme blieb auf der Höhe von 150000 fl. Ar-
tikel 13 forderte die Schleifung aller Festungen, aulser
Ziegenhain oder KasseP'') und Vereidigung aller Haupt-
und Kriegsleute dieser einen überlassenen Festung auf
unwandelbare Treue gegen den Kaiser. Weiter wurde
unverzögerte Auslieferung aller Geschütze mit Munition
bis auf etliche zur Verteidigung notwendige Feldstücke
beansprucht. Philipp sollte den gefangenen Herzog Hein-
rich von Braunschweig nebst Sohn frei lassen, sofort mit
zum Kaiser bringen und ihm sem Land wieder übergeben.
Zur gewissenhaften Vollziehung des Vertrages sollten sich
der Landgraf und seine Kinder durch eine Verschreibung,
der Adel und alle Unterthanen durch eine Eidesleistung
und die drei Fürsten Joachim, Moritz und Wolfgang von
Zweibrücken durch genügende Bürgschaft verpflichten.
Alle Garanten des Vertrages sollten Philipp, falls er
den bewilligten Artikeln nicht vollständig nachkommen
werde, mit Heereskraft oder mit Gewalt dazu zwingen,
oder ihn ergreifen und dem Kaiser ausliefern.
Am 4. Juni endete die Verhandlung, und der Ver-
trag konnte unverzüglich abgesendet werden. An dem-
selben Tage erfolgte die Übergabe des Kurfürstentums
Sachsen an Moi'itz und dessen Proklamation zum Kui-
fürsten im kaiserlichen Lager und in Wittenberg'^).
Für die beiden Kurfürsten — wir legen von nun an
auch Moritz diesen Titel bei — bestand die Haupt-
schwierigkeit darin, den Landgrafen zur Annahme des
Vertrages zu bewegen und vor den Kaiser zu bringen,
ohne ihm eine Anzeige von der kaiserlichen Erklärung
betreffs der Ergeliung zu erstatten, um die er schon in
Leipzig ^gebeten hatte, von der er aber nichts wissen
sollte. Überzeugt, alles thun zu müssen, entsclilossen sie
''^) Die Wahl wurde dem Kaiser aiiheimgestellt.
"') Wittenberg hatte dem Kaisei- am 23. Mai die Thore ge-
üffaet. Am 4. Juni verlief's die trostlose Familie Johann Friedrichs
die Stadt und siedelte nach AVeimar ülier.
Die Gefangemiahme des Landgrafen Philipp von Hessen. 223
sich ZU folgendem Schritte. In einem gemeinsamen Briefe
vom 4. Juni^-), in dem sie zunächst die Annahme des
Vertrages empfahlen und zur Ergebung anf Gnade und
Ungnade rieten, versprachen sie nicht nur dem Land-
grafen, dafs er nach seiner Einstellung „über die Artikel
weder an Leib noch Gut mit Gefängnis, Bestrickung oder
Schmälerung des Landes beschwert" werden sollte, son-
dern sie verpflichteten sich auch feierlichst, falls ihm eine
unerwartete Beschwerung begegnen würde, sich auf Er-
fordern seiner Kinder in Kassel persönlich einzustellen
und das zu erwarten, was ihm dem Vertrage zuwider
auferlegt werde. Hinsichtlich der Religion vertrösteten
sie mit einer Versicherung, wie sie ihnen und Markgrafen
Hans gegeben worden sei. Des Kaisers Gnade garan-
tierten sie nicht; aber sie zweifelten auch nicht daran,
dals Philipp sie durch die Ergebung erlangen werde. In-
ständig baten und ermahnten sie, den Vertrag anzunehmen,
auf Treu und Glauben zu kommen und Herzog Hein-
rich von Braunschweig samt Sohn mitzubringen. Vom
Kaiser sei nichts weiter zu erhalten, versicherten sie, er
„beruhe stracks auf dem Kommen und auf der Ergebung".
Wie früher, so stellten sie auch diesmal „mit besonderer
Bewilligung des Kaisers ein frei, ehrlich, sicher und un-
gefährlich Geleit zu und ab bis wieder in seinen Gewahr-
sam" aus.
Von dieser That wuiste weder der Kaiser noch der
Bischof von Anas. Die Kurfürsten handelten auf eigne
Verantwortung und gingen mit ihrem hohen Versprechen,
mit ihrer feierlichen Verpflichtung und mit der vollen
Einsetzung ihrer eigenen Person in der That sehr weit.
Auch enthüllten sie unerlaubt die vertrauliche kaiserliche
Erklärung wenigstens teilweise. Meinten sie wohl, je
mehr sie wagten, — denn von gewisser Besorgnis waren sie
nicht frei — desto sicherer würden sie jedes Ungemach
vom Landgrafen abwenden? Wie, wenn es dann anders
ausfiel! An einer warnenden Stinnne hat es nicht ge-
gefehlt ^•'^). AVie Dr. Fachs später bezeugte, sagte Christof
von Ebeleben offen zu den Kurfürsten: „Ihr Herren,
Ihr Herren, Ihr verpflichtet Euch viel, sehet, dafs Ihr
der Sachen gewifs seid!" Doch weshalb zaudern! Sie
^-) Roramel III, 236. Marburg 385, Aum. 8.
'3) Dresden, Loc. 10187, Eeichstagshändol ISijO'öl BI. 306;
Druffel 1 No. 474.
224 S. IMeib:
glaubten den Schritt notwendigerweise tlinn zu müssen,
um den Landgrafen zur Reise in das kaiserliche Lager
zu bewegen.
Noch am 4. Juni machte sich Ebeleben mit Vertrag,
Brief und Geleit auf den Weg nach Kassel. — Zwei Tage
später zog der Kaiser aus dem Lager vor Wittenberg
über Bitterfeld in der Richtung nach Halle vorwärts.
Gleichzeitig eilte Kurfürst Joachim in die Mark und
Moritz nach Torgau und Leipzig, um dringliche Geschäfte
zu erledigen.
Als Ebeleben am 6. Juni in Kassel angelangt war,
überreichte er sofort alle Schriften und berichtete über
das, Avas er gesehen, erlebt und besonders anvertraut er-
halten hatte. Vom Bischof von Arras wufste er zu er-
zählen, wie er zuletzt geäufsert habe, die Annahme der
Artikel werde die Handlung sicher zu Ende führen. Es
stehe zu hoifen, dals der Landgraf, w^enn er komme und
den Kaiser bitte, noch mehr erlangen werde. Der Re-
ligion wegen sei keine Sorge; doch weil ihrethalben der
lörieg nicht angefangen worden sei'^), so könne sie im
Vertrage auch nicht bedacht werden. Eine Nebenver-
sicherung aber solle der Landgraf empfangen. Der Kaiser
habe nicht die Absicht, irgend jemanden mit Gewalt von
der Religion zu dringen ; sondern er suche christliche Ver-
gleichung, oder Vereinigung durch ein Konzil. Könne man
sich dann über einen oder mehrere Punkte nicht verstän-
digen, so solle trotzdem kein Teil den andern feindlich be-
schweren, sondern in Ruhe lassen bis zur endgültigen Aus-
einandersetzung. Ferner wolle der Kaiser des Land-
grafen Vertrag mit Herzog Heinrich ratifizieren und ihm
den Herzog ohne getroffene Übereinkunft nicht abnötigen.
Weiter teilte Ebeleben mit, die Kurfü]'sten seien gesonnen,
dem Landgrafen entgegenzuziehen und mit ihm zum Kaiser
zu reiten, um dann alle schwebenden Fragen in wenigen
Tagen zum Abschluls zu bringen.
Nachdem Philipp mit seinen vertrauten Räten die
überbrachten Artikel geprüft hatte, entschlols er sich nach
Überwindung mancherlei Bedenken am 7. Juni^'^), den
Vertrag im ganzen zu bewilligen. Mit Recht glaubte er
gutes Vertrauen zu den Kurfürsten fassen zu können;
''*) Geflissentlich wurde dies bei jeder Gelegenlieit behauptet.
''■'') Rommel III, 240, Dresden, Loc. 9143, Landgreuische hes-
sische gepflogene Versunungshendel etc. 1547.
Die Gefangemiabiiie des Laiulgrafen Philipp von Hessen. 225
auch hegte er die Zuversicht, dals der Kaiser sich in
Ansehung- seiner Bereitwilligkeit hinsichtlich der Festungen,
des Geschützes und der Strafsumine '•') gnädig erzeigen
werde. Etliche Abänderungen und Zugeständnisse, welche
er noch für wünschenswert hielt, thaten der wesentlichen
Substanz des Vertrages, wie er selbst sagte, keinen Ab-
bruch, sondern berührten durchweg minderwichtige
Punkte'"). So sollten die Worte der Abbitte nialsvoll
gestellt, der im Vertrage zugestandene Sühnebrief") und
die >Tebenversclireibung l)etreffs der Religion durch das
kaiserliche Siegel bekräftigt und Herzog Heinrich nebst
Sohn'-') nicht mit ihm zusammen in das Hoflager ge-
bracht werden. Die Ratifikation von Seiten seiner Söhne
erschien ihm unnötig, da der älteste erst vierzehn, der
zweite kaum zehn, der dritte fünf Jahre alt sei. Ferner
ersuchte Philipp die beiden Kurfürsten, ihm eine oder
zwei Tagereisen entgegenzuziehen imd dafür zu sorgen,
dals er im ganzen nicht länger als fünf bis acht Tage
aufgehalten werde. Nach erfolgter Aussöhnung mit dem
Kaiser sollte ihm Verhandlung zu gunsten der See- und
sächsischen Städte vergönnt werden. Auf einem Beizettel
bat er die Kurfürsten, alles dahin zu richten, dalis ihnen
bei der bevorstehenden Begegnung „des Kaisers endlich
Gemüt" bekannt sei; denn vor dem gänzlichen Abschluls
des Vertrages zu ihm zu reiten, erscheine bedenklich.
Im kaiserlichen Hoflager sollte man ihn nicht länger als
zwei oder drei Tage zurückhalten.
In aller Frühe des 9. Juni''") traf Ebelel)en wieder
mit Kurfürst Moritz in Leipzig zusammen. Da Karl V.
aber bis dahin das nächste Ziel seines Zuges nicht er-
"'') Ebeleben erliielt Auftrag, um die Herabsetzung der Gold-
summe bis auf 100000 fl. anzuhalten. Denn von Frankreicli habe
Philipp nur 100 000 Kronen 3 Monate leihweise erhalten, und viel
sei schon für ]]ezahluug des Kriegsvolkes verausgabt worden.
") Alle Punkte wurden in einer Schrift zusammengefafst, Avelche
sich findet bei Korn mel III, 241, Berlin 39, 4, Landgraf Philip]) von
Hessen El. 19 flg., Dresden, Loc. 9143 Landgreuische hessische ge-
pflogene Versunungshendel etc. 1547 Bl. 12 flg.
■''*) Der Siihnebrit^f sollte Befreiung von der Acht und Wieder-
einsetzung in den früheren fürstlichen Rang enthalten.
™) Beide wollte er nach Salza (Suiza) schicken, von da sollten
sie abgeholt werden. Es erschien ihm ungelegen und bedenklich, mit
ihnen über Feld zu reisen.
80) Marburg, Anm. 50. Berlin 39, 4, Landgraf Phili].]) von
Hessen 1547, Bl. 46, 49. Reinschrift Bl. 94. Brief der kurfürstlichen
Räte an Kurfüi-st Joachim, Halle am 11. Jiuii.
Neues Archlr f. S. CJ. u. A. XI. .1. 1. 15
226 S. Ifsleib:
reicht hatte, so konnte vorläufig nichts geschehen. Tags
darauf erst wurde Halle für eine Keihe von Tagen Mittel-
punkt des Hof lagers. Nach einem feierlichen Einzüge in die
Stadt stieg der Kaiser „im neuen Bau", in der soge-
nannten Residenz an der Saale ab, während Herzog Alba
auf der Moritzburg Quartier nahm. Der gefangene Kur-
fürst Johann Friedrich und das gemeine Kriegsvolk blieben
vor den Thoren. Markgraf Albrecht und Landgraf Chri-
stoph von Leuchtenburg kamen von Gotha, der kurfürst-
lichen Haft entlassen. Von Leipzig aus ritt Moritz ein
und liefs für Kurfürst Joachim im goldenen Eing am
Markte Herberge nehmen ^^).
Als er am andern Morgen nach acht Uhr mit dem
Bischof von Arras^-) über die vom Landgrafen erbetene
Erklärung und gewünschte Abänderung etlicher Artikel
verhandelte, trafen zwei kurbrandenlnirgische Räte ein
und vertrösteten mit der baldigen Ankunft ihres Herrn.
Sofort machte er sie mit der Lage der Dinge bekannt
und räumte ihnen Teilnahme an den ferneren Beratungen
ein. Offen sprach er gegen sie aus, der Vei'trag Averde
zustande kommen. Im Laufe des Tages benachrichtigte
er dann den Landgrafen von der bisherigen unliebsamen
Verzögerung und stellte baldige Antwort von selten des
Kaisers in Aussicht. Zufolge der geäulserten Bedenklich-
keiten des Bischofs zeigte er au, dals vor der Demütigung
schwerlich irgendwelche Erleichterung hinsichtlich der
Festungen, der Geschütze und der Strafsumme zuge-
standen werden würde. Man habe gehofft, fuhr er fort,
dals er gleich mit Ebeleben eintreffen und dadurch alle
Schwierigkeiten und jeden Argwohn aus dem Wege räumen
werde. Nach solch beherzter Ankunft hätte man beim
Kaiser gewilis mehr erlangt, als jetzt zu erreichen sei.
Weil er noch fernbleibe, so hafte bei manchem ansehn-
liches Milstrauen. Es sei das beste, sich so schnell als
möglich zum Kaiser zu verfügen. Ein Beizettel ermahnte,
die 10000 Kronen für den Bischof von Arras mitzu-
bringen, in der Hoffnung, dals sie nach erfolgter Demut
etwas wirken würden. Nicht eher aber sollten sie über-
geben werden, als bis man sehe, was sie Gutes schaffen
möchten.
*i) AVo Moritz abstieg-, liefs sich nicht bestimmt ermitteln.
**2) Wiederholt ging er auch den Herzog von Alba an.
Die GefaDg'eiiiialiiiie des Landgrafen Philii)p von Hessen. 227
Der beliariiichen Beinüliiiiig' des Kurfürsten war es
zu danken, dais schon am folgenden Tage (12. Juni) die
Übergabe der vom Kaiser erbetenen Resolution erfolgte ^•^).
Olfenbar lag Karl V. selbst daran, durch Eile zu ver-
hüten, dals wankelmütige Leute den Landgrafen, den er
für sehr veränderlich und unbeständig hielt, nochmals un-
günstig beeinflussen möchten. Lidem er Philipps Wünsche
und Forderungen grölsenteils erfüllte, suchte er ihn durch
Nachgiebigkeit auf der betretenen Bahn des Vertrages
festzuhalten. Hinsichtlich der Festungen und des Ge-
schützes blieb es allerdings beim Wortlaute der Artikel;
aber die Zahlung der Strafsumme von 150000 fl. wurde
durch Anberaumung längerer Fristen erleichtert. Der
Religion wegen wurde diesell)e Versicherung zugesagt,
welche die beiden Kurfürsten erhalten hatten. Nach ge-
schehener Abbitte sollte ihm ein unterschriebener und be-
siegelter Sühnebrief, welcher die Befreiung von der Acht
bekundete, eingehändigt werden. Die erbetene Verhand-
lung mit den See- und sächsischen Städten wurde eingeräumt ;
doch sollte sie kaiserlicher Verordnung gemäls stattfinden.
Ferner liels der Bischof von Arras das Gesuch, den Land-
grafen nicht länger als einige Tage aufzuhalten, unbean-
standet; von ihm wurde auch das Geleit „weder iDestritten
noch angefochten".
Kurfürst Moritz und die kurbrandenburgischen Räte
schickten noch am 12. Juni den kaiserlichen Bescheid
durch Ebeleben an Philipp ab. Im beigelegten Briefe
beteuerten sie, neben Arras und Alba allen möglichen
Fleils angewendet zu haben; aber vorläufig sei die Sache
nicht weiter zu bringen. Zufolge des Geleites und der
Versicherung vom 4. Juni sollte der Landgraf sich sofort
erheben und den 17. Juni in Naumburg an der Saale an-
kommen, wo die beiden Kurfürsten mit ihm zusammen-
ti-eff'en wollten, um ihn in das kaiserliche Lager zu be-
gleiten. Weiter baten sie, dafür zu sorgen, dals Herzog
Heinrich samt Sohn rechtzeitig nach Suiza gebracht
würden.
Der Kaiser war entschlossen, in Halle zu bleiben,
bis sich der Landgraf eingestellt hal)e. Lieber wollte er
etliche Tage nutzlos verbringen als durch irgend welche
Kriegsbewegung den Ausgang des folgenschweren Er-
^^) Vergl. Dresden, Loc. 9144, Landgreffische Handhmg 1550/51
Bl. 198-, Cariowitz au Moritz, Angsburg Ül. Oktober 1550.
15*
228 S. Ifsleib:
eignisses stören. Doch sollte Philipp nicht denken, er
sei der Gefahr entwischt ^^).
Nicht ohne Berechnnng war wohl Sonntag den
12. Juni der gefangene Kurfürst Johann Friedrich Gast
des Herzogs von Alba auf der Moritzburg ^■^). Am fol-
genden Tage vollzog Herzog Ernst von ßraunschweig,
welcher in der Schlacht bei Mühl])erg mit dem Kurfürsten
in Gefangenschaft geraten war, Fufsfall und Abbitte^*').
Der Kaiser nahm ihn wieder zu Gnaden an und reichte
ihm die Hand zur Versöhnung. Selbstverständlich erfuhr
von allen diesen Vorgängen der Landgraf. Wie konnte
er da noch zaudern, sich der kaiserlichen „Milde und
Güte" anzuvertrauen!*')
Höchst beachtenswert sind an dieser Stelle die beiden
Briefe, welche in jenen Tagen der Kaiser und der König
austauschten. Am 15. Juni meldete Karl V.*^), der Land-
graf werde in zwei oder drei Tagen in Halle sein, wenn
er sich nicht wieder von der Verhandlung, welche die
Kurfürsten für ihn geführt hätten, zurückziehe. Aus-
drücklich sei man unter anderm übeieingekommen , er
solle sich ohne jede Bedingung auf Gnade und Ungnade
ergeben. Dabei hätten die Kurfürsten allerdings um die
Versicherung gebeten, dafs er Aveder an seiner Person,
noch an seinem Besitze, noch mit ewigem Gefängnis
(prison xjerpetuelle) bestraft werde. Des Ausdrucks per-
petuelle hätten sie sich bedient und demzufolge auch ein-
«*) Bucholtz IX, 426-, Laiiz II, 582, 584, Briefe vom 12.
lind 14. Juni.
^^) Weimar, Wechselschriften zwischen Johann Friedrich und
Söhnen 1547, 1—21. Brief, im Feldlager bei Halle am 18. .Juni.
Er ahnte gewifs nicht, dafs acht Tage später in denselben Räumen
Philipp gefangen genommen werde.
»«) Berlin 39, 4, Landgraf Philipp von Hessen 1547, Bl. 99.
^') In Halle redeten die einen, der Landgraf werde bald wieder
Genosse Johann Friedrichs sein und dessen Gefangenschaft teilen;
die anderen meinten, der Kaiser werde ihn zu Gnaden annehmen,
wenn er komme und um Verzeihung bitte. Bucholtz IX, 420 unten
und 421 oben, Brief des Bischofs von Hildesheim.
^^) Der Brief ist abgedruckt bei Bucholtz IX, 427; doch ent-
hält er einige Unrichtigkeiten. Nach dem Kopialbuch in Wien
heifst es:
„Le lantgrave se doibt trouver icy deans deux ou trois jours sil
ne se retire de ce que ledit Electeur de Saxen et celluy de Brandenburg
ont traicte pour luy, par lequel il est convenu expressement entre autres
choses,quil se rendra a genad et ungenad simplemment et sans condition,
conime verrez par l'article cy-joinct. vray est que les dits deux elec-
teurs ont demande asseurance que je ne le feroye chastier a sa per-
Die Gefangennahme des Landgrafen Philipp von Hessen. 229
gewilligt, dals derselbe in dem Zettel Aufualime tiiide,
Avelcher zur Berichterstattung an ilm (den Kaiser) über-
geben worden sei. Nun habe er sich zur Annahme des
Artikels herbeigelassen mit der Absicht, die er, wie der
König wisse, immer gehabt habe, den Landgrafen, wenn
irgend möglich, w^enigstens einige Zeit in seine Gewalt
zu bringen. Obgleich er selbst sein Vorhaben erwäge,
Philipp nach der Ergebung gefangen nehmen zu lassen,
worüber sich die Kurfürsten nicht beklagen könnten,
weil er ja der gegebenen Erklärung, die nur ewige Haft
ausschlielse, nicht zuwiderhandle, so wünsche er doch des
Königs Meinung über diesen Punkt, auch über die Dauer
und über die Art und Weise der Gefangenschaft zu
kennen. Lange Haft und strenge Überwachung hielt er
selbst für schwierig und gefährlich; denn dann könnten
die Kurfüi'sten mit Recht grollen, und der Landgraf möchte
in Verzweiflung geraten.
Eine recht bedenkliche Rolle fürwahr spielt in diesem
Briefe der Ausdruck perpetudle. Mochte es sich damit
nun verhalten, wie es wollte, der Kaiser wulste recht
wohl, dals die Kurfürsten eine Verhaftung Philipps nicht
erwarteten. Wie konnte er, fragt man erstaunt, ihrer-
sone ny en ses biens plus avant du contenu audit traicte ny aussi
par prison perpehielle, et comme ils ont use de ce terme pcrpctuelle
selonque aussi ils consentirent quil se meist au billet que sur ce ils
ont donne pour men faire relation, je me suis condescendu avec la
iiu que vous scavez jay toujours tenu de sil etoit possible le tenir
du moings pour quelque temps entre mes mains, me deliberant de
quand il se vieudra rendre le faire retenir prisonnier, dont les dits
electeurs ne se pourrout ressentir, puisque je ne contreviendray a
lasseurance que jay donne parlant de prison avec laddition de per-
petuelle, toutesfois sur cecy vouldroye-je bien avoir votre advis et
aussi scavoir le temps pour lequel il vous semblera je me deburoye
resouldre de le tenii- prisonnier, surquoy javoye pense sil seroit bien
de dire que ce tut pour jusques je puisse veoir quel cheniin les
affaires de la Germanie preiulront, car apres il seroit eu ma niain
de le delivrer precisemeut et ce (pendant) tut jusques au boult de
la diette ou jusques a nion retour en la Germanie, aussi desireroye-
je bien avoir votre advis sur la forme de la prison pour scavoir quelle
il vous semblei'oit eile dcbui'a estre, tenant rogard a ce que sa garde
le tenant en prison large, sera difficile et que usant de plus de rigeur
en son endroit lesdits electeurs pourroient prendre quehiue ressen-
timent et luy se mettre en desespoir que apres sortant de laditte
prison et moy estant alisent de la (Tcrnianie faire tout le pis ([uil pour-
roit, Selon le jugenient que Ion peult faire de sa bonuc vouluute, et
comme sa venue sera tost en cas quil se delibera de venir, vous
voyez, Mns, mon frere combien il importeroit de haster votre re-
sponcc.
230 S. Ifsleib:
seits irgend welche Beschwerden besorgen, wenn sie wirk-
lich „emige Gefangenschaft" zugestanden hatten! Warum
wollte er die Meinung des Bruders hören, wenn für ihn
das Recht der Gefangennahme aufser Zweifel stand?
König Ferdinand erkannte recht wohl die Bedenklich-
keit des kaiserlichen Entsclilusses und die Schwierigkeit
einer Meinungsäufserung. Da er infolge seiner Abwesenheit
keinen Einblick in die geheimen Abmachungen besals, so
konnte seine Antwort nicht vorsichtig genug erwogen
werden. In seinem Briefe '^^) bezweifelte er zunächst,
dals der Landgraf den Artikel der Ergebung bedüigungs-
los annehmen und sich freiwillig zur Haft stellen werde.
Dann riet er überhaupt von irgend einem Gewaltschritte
ab. Wenn die „Haft auf kurze Zeit", meinte er, nicht
gutwillig zu erlangen und deshalb ein neuer Bruch mit
Pliilipp zu befürchten sei, so möge der Kaiser sie ganz
faUen lassen und ihm schenken. Gute Kaution und an-
gemessene Garantie des Vertrages erschien ihm völlig
ausreichend und genügend, namentlich wenn die Bürgen
das Versprechen leisteten, dafür Sorge zu tragen, dals
sich Philipp auf Befehl beim Kaiser jederzeit einzufinden
habe. Allzeit gleiche er dann einem. Gefangenen und sei
aufser stände, etwas anzuzetteln. Überdies treibe man
ihn nicht zur Verzweiflung und gebe den beiden Kur-
fürsten keinen Grund zum Unwillen.
*") Leitmeritz, 17. Juni, B u c h o Itz IX, 428. Der Merliergehörige
Text lautet:
Jay aussi veu ce que me scripvez eu lendroit du lantgrave de
Hessen et ce que contient larticle de traicte joinct a voz letres. et
a la verite Mns. ce seroit tres bouue oeuvi-e qui le pourroit meuer
a soy y condescendre. Mais je tiens, quil nacceptera vouleutiers ledit
article. Principallement quant a tenir prison quelconcque et sil ne
se povoit obtenir et que plustost que a ceste occasion venu- en
rompture avec luy, me semble que V. M. luy doibt condonner la
prison, bienquil se tienne soubs bonne garde, jusques il ait accomply
le traictee. Quant aux articles du rasement des places fortes, deli-
vi'ance d'argent, artillerie et semblables et a la reste si pouiez
avoir bonne caution et sehurte de luy et que les fidejusseurs le
proiueissent, aussi quil fut tenu comparoir devers V. M. toutes les
fois quil seroit appelle, me semble ce seroit le plus convenable, car
par ce moyen seroit tousjours comme prisouier et le tiendi'oit plus
subject et craintiff de riens mouvoir et par ce ne se donneroit occa-
sion de sentiment aux princes electeurs, qui sen sont meslez et ne
mectroit ledit lantgrave en desepoir. Toutesfois je le remets a ce
quil vous plaira Mns. de ordonner pour le mieulx
Der Brief kam am 19. Juni, am Tage des Fufsfalls, in Halle
an. Zu vergleichen ist der Brief des Königs vom 14. .Juli, Bucholtz
IX, 433.
Die CTefaiigennahme des Landgrafen Philipp von Hessen. 231
Dem König kam es hauptsächlifli darauf an, dafs
Joachim und Moritz, auf deren Ergebenheit man künftig
angewiesen sei, nicht verletzt würden. Der Kaiser aber
wollte Philipp auf alle Fälle in seiner Gewalt haben.
Ungeachtet der Mahnungen des Bruders steuerte er auf
dieses Ziel los, selbst auf die Gefahr hin, die Kurfürsten
gründlich zu l)eleidigen. Welche Genugthuung für ihn,
wenn er den Landgrafen sowohl wie den vormaligen Kur-
fürsten Johann Friedrich, die beiden Gegner, welche ihm
viele Jahre hindurch so manchen Plan durchkreuzt hatten,
davonführen konnte !
Als am Morgen des 18. Juni Philipps Annäherung
gemeldet wurde, waren die beiden Kurfürsten — auch
Joachim hatte sich in Halle eingefunden — bereit, ihm ent-
gegenzureiten. Zuvor aber erschienen sie vor dem Kaiser
und baten ihn, zu geruhen, dals der Landgraf, welcher
auf Treu und Glauben komme, in Ansehung ihrer
treuen Bemühungen und der Wichtigkeit des ganzen
Handels nicht über die Kapitulation, wie sie allenthalben
besprochen worden sei, beschwert werde. Persönlich ver-
tröstete Karl V., Philipp solle gar nicht über die Artikel
des Vertrages gefährdet werden; es sei nicht seine Sitte,
jemanden wider die Abrede zu belasten. Beruhigt und
ermutigt eilten Joachim und Moritz, begleitet vom be-
gnadigten Herzog Ernst von Braunschweig, nach Naum-
bui'g und bewogen den Landgrafen, mit ihnen zu ziehen.
Zwischen den beiden Bürgen einherreitend, langte er nach
drei Uhr nachmittags mit stattlichem Gefolge in Halle
an und stieg in der Herberge seines Schwiegersohnes
ab. Eine Stunde später traf von Suiza aus der in Frei-
heit gesetzte Herzog von Braunschweig mit seinem Sohne
Karl Viktor ein. Der jüngere Sohn und Bruder Herzog
Philipp Magnus und der Vetter Herzog Erich von Kaien-
berg waren ihnen mit Gefolge entgegengeritten.
Sonntag, den 19. -Juni, nach der Predigt verhandelte
der Landgraf in Gegenwart der Kurfürsten und einer
Anzahl E,äte mit dem Bischof von Arras über die end-
gültige Fornmlierung des Vertrages. Als man den unter-
geschobenen Zusatz ''"j: „Und soll diese Kapitulation zur
Erklärung kaiserlicher iMajestät Willens stehen", ent-
"") Die Tragweite dieser Ivhiuscl leuchtet ein: sie sollte das
Vorhaben des Kaisers vertragsmäl'sig rechtfer<^igen. Philipp trat
dann in eine ähnliche Schlinge, wie sie den Kurfürsten gestellt
worden war.
232 S. Ifsleih:
deckte, wurde er sofort beanstandet und seine Streichung
beantragt. Aber erst die Kurfürsten setzten durch, dafs
die Klausel in der kaiserlichen Kanzlei ausgestrichen
wurde. Darauf erfolgte die Unterzeichnung und Besiege-
lung des Vertrages'*^). Alsdann verursachte die lleligions-
angelegenheit eine weitläufige Disputation^-'). Philipp
sollte sich im voraus den Beschlüssen des Konziles unter-
werfen; vergebens. Ehe er überhaupt einen bindenden
Schritt that, mufsten ihm die Kurfürsten feierlich ver-
sprechen, bei der augsburgischen Konfession zu bleiben'''').
Endlich verpflichtete er sich in derselben Weise, wie sie
es gethan hatten. Auch die Bürgschaft dei- Kurfürsten
und des Pfalzgrafen Wolfgang von Zweibrücken wurden
ausgestellt. Aus den vorhandenen, allerdings kurzen
schriftlichen Aufzeichnungen jenes Tages erhellt, dals
Philipp in Halle die Interessen seiner Person und der
Keligion so leidenschaftlich verfocht wie sonst, als sei er
etwa auf einem Reichstage, nicht im kaiserlichen Lager,
um sich auf Gnade und Ungnade zu ergeben. Man kann
sich denken, welchen Eindruck seine Haltung beim Kaiser
hei'vorrief.
Als man mittags nach der Herberge zur Tafel schritt'"),
beauftragten die Kurfürsten und der Landgraf unterwegs
den sächsischen Rat Dr. Fachs, in Begleitung eines kur-
brandenburgischen den Bischof von Arras aufzusuchen und
zu fragen, ob der Kaiser dem Landgrafen nach der Abbitte
die Hand geben werde. Da Fachs eines Brandenburgers
nicht gleich ansichtig wurde, so richtete er den Auftrag
allein aus, und der Bischof antwortete, er könne nicht wissen,
ob der Kaiser die Hand reichen wolle. Darauf begab sich
Fachs zu den Fürsten zurück, welche schon an der Tafel
safsen. Weil er glaubte, er dürfe in Gegenwart fremder
Gäste den Bescheid nicht laut sagen, so schrieb er ihn
^1) Die Kurfürsten und alle anwesenden Zeugen nahmen den
Pergamentbrief mit der durchstriehenen Klausel in Augenschein.
82) Rommel III, 253 flg.
"3) Fast unter den Augen des Bischofs schlols man gleichsam
ein neues religiöses Schutz- und Trutzhündnis.
_ »1) Dresden, Loc. 10187 Reichstagshändel 1550/51 Bl. 306, Ab-
schiift. Am Rande zu Anfang steht : An den Kurfürsten zu eignen
Händen. Vergi. Druffel I No. 474. Verfasser ist genötigt, hier
festzustellen, dafs No. 474 das gröfste der Versehen enthält, welche
sich überhaupt in dem wertvollen dreibändigen Werke von Druffeis
nachweisen lassen. Der Auszug der zweiten Hälfte des Schrift-
stückes ist fast durchweg unrichtig.
Die Gefaugeimahme des Landgrafen Philipp von Hessen. 233
auf einen Zettel und überreichte diesen einem der drei
Fürsten^''). Sehr begreiflich, dals die UngewiMieit über
die Handreiclmng nicht gleichgültig liefs. Was abei- thun?
Nachmittags 6 Uhr'"^) sollte der Fufsfall und die
Abbitte im großen Saale des „neuen Baues" stattiinden.
Zur bestimmten Stunde nahte der Kaiser'*'') und
setzte sich nieder unter dem aufgerichteten Baldachin
auf dem mit Goldstoff bedeckten Thron, vor welchem ein
grolser Teppich ausgebreitet lag. Zu beiden Seiten
nahmen die anwesenden Fürsten und die hohen Würden-
träger Aufstellung. Unter ihnen erblickte man den kaiser-
lichen Neffen Erzherzog Maximilian, die Herzöge von
Braunschweig und die Markgrafen von Brandenburg, die
Bischöfe von Naumburg und Hildesheim, den Herzog von
Alba, den Bischof von Arras und den Reichsvizekanzler
Dr. Seid. Zugegen waren aulserdem die päpstlichen, die
römisch königlichen, die dänischen, klevischen und soe-
städtischen Gesandtschaften und zahlreiche deutsche, spa-
nische und italienische Standesherren, Fast war der
Saal überfüllt, und drauisen vor der „Residenz" hatte sich
eine unübersehbare Menschenmenge neugierig zusammen-
gedrängt^'*).
Etwas verspätet erschien der Landgraf zwischen den
beiden Kurfürsten im schwarzsamtnen Überrocke, unter
welchem man zu Ehren des Kaisers die querübergehende
roie Feldbinde Österreichs erblickte. Voran schritt Herzog
Ernst von Braunschweig mit einem Teile des hessischen
Hofstaates, Avährend der andere nachfolgte. Auf dem
Estrich vor dem Teppich kniete Philipp nieder''-'). Neben
ihm knieend verlas dann sein Kanzler Gunterrode die Ab-
bitte, laut welcher er sich auf Gnade und Ungnade ergab
mit dem demütigen Gesuch, der Kaiser wolle verzeihen
und vergeben, die Acht aufheben, ihn in seinen früheren
fürstlichen Stand wiedereinsetzen , bei Land und Leuten
bleiben und allen Unterthanen Gnade angedeihen lassen.
^") Später wufstc er nicht mehr li'onau, welchem Fürsten er ihn
gah. Er glaubte; auch, er habe Moritz die Antwort heimlich gesagt
und den Zettel eint'm der beiden andern gegeben.
ö«) Berlin 39, 4. Landgraf Philipp von Hessen 1547 Bl. 104.
^'i Dresden, Loc. 9144, Warhafttige Beschreibung etc.
*''*) Lanz 11,585. üne asseniblee de peuple immesurable puur
voir le mystere que se i)assait.
"") Ehe er niederkniete, soll er noch einige Worte mit den Kur-
fürsten s'eredet und dabei gelächelt haben. Da habe der Kaiser
„sauer dreiugesehen'' .
234 S. Ifsleib:
Für sülclie Wohlthat versprach er zeitlebens erkenntlicli,
gehorsam, dienstwillig und dankbar zu sein^""). Darauf
verlas der Vizekanzler Seid die kaiserliche Antwort.
Nicht alle Anwesenden koiniten alle Worte verstehen;
die nächsten aber vernahmen deutlich: Der Kaiser sei
zufrieden, dals die Acht aufgehoben, die wegen der ver-
übten Rebellion wohl verdiente Lebensstrafe erlassen,
auch der Landgraf weder mit „ewiger Gefängnis", noch
mit Konfiskation oder Entsetzung von Gütern mehr als
die bewilligten Artikel zulielsen, beschwert werde.
Nun erwartete man allgemein, dals dem Knieenden
das Zeichen gegeben werde, sich zu erheben. Als der
Kaiser zögerte, stand Philipp ungeheilsen auf. Sonst
pflegte Karl V. die Hand zu reichen und den Versöhnten
mit gnädigen Worten anzureden. Wider Erwarten unter-
liefs er es diesmaP"^). Vielmelu' schritt Herzog Alba
auf den Landgrafen zu, erfalste seine Rechte und lud
ihn samt den beiden Kurfürsten und den Bischof von
Arras zum Abendessen ein. Man verliefs den Saal, be-
stieg die Rosse und ritt auf die nahe Moritzburg ^*''^).
Hier vollzog sich nun das bekannte und berüchtigte
Ereignis, die Gefangennahme Philipps ^"'^). Als man sich
nach der „ergötzlichen Mahlzeit" zum Spiele in den
Zimmern zerstreut hatte ^*'^), zeigte Herzog Alba den
beiden Kurfürsten an, kaiserlichem Befehle zufolge sollte
der Landgraf auf dem Schlosse bleiben. Ganz betroffen
über diese unerwartete Erklärung ])aten sie inständig,
ihn, den geladenen Gast, unangefochten mit in die Her-
100) Während der kurzen Pause zwischen Abbitte und Erwide-
rung soll Kurfürst Joachim den Kaiser gefragt haben, ob er dem
Landgrafen die Hand reichen werde. Da sei er ablehnend beschieden
und auf die l)evorsteheude Antwort verwiesen worden. Druffel I
No. 106, S. 64. Der Bischof von Arras versetzte am 20. Juni die
kurfürstliche Anfrage hinter die kaiserliche Antwort; Lanz II, 586.
"") Reichte der Kaiser die Hand zur Versöhnung, dann war
es kaum möglich, Philipp gefangen nehmen zu lassen.
1^2) Unterwegs sprach Philipp dem Bischof von Arras gegen-
über die Hoffnung aus, dafs ihm die Festungen unversehrt gelassen
würden.
103) Berlin 39. 4, Landgraf Philipp von Hessen 1547 Bl. 108 flg.
Zum Teil bei Ranke VI, 251 abgedruckt, aber nicht ganz fehlerlos.
Die vermifsten Beilagen befinden sich in Berlin. Dresden, Loc. 9143,
Landgreuische hessische gepflogene Versunungsheudel etc. 1547 Bl. 63,
74 flg. Druffel I No. 106, S. 64.
1**^) Philipp soll mit Magister Franz Kram Brett gespielt haben.
Vergl. L. Ct. Mögen, Historia captivitatis Philippi Magnanimi,
§ 153, S. 323.
Die Gefang-eiiiialune des Landgrafen Philipp von Hessen. 235
berge ziehen zu lassen. Aber schon war die That ge-
schehen; schon war Philipp von den übrigen getrennt,
in ein besonderes Gemach geführt und spanischer Wache
unterstellt. Nicht lange währte es, da drang das „Ge-
murmel" vom Schlosse in die Stadt hinab, der Landgraf
sei gefangen.
Als er sich nicht zu widersetzen vermochte, liels er
höchst entrüstet die Kurfürsten um Beistand anrufen
und vorwurfsvoll an fürstliche Treue und Glauben er-
innern. Empört über die verübte Gewaltthat, forderten
nun die um Vcrmittelung Angerufenen von Alba und dem
Bischof von Arras, die Befreiung des Verhafteten beim
Kaiser sofort zu beantragen, da solch Verfahren ganz
ungebührlich sei und allen Verhandlungen, auch der ver-
traulichen Verabredung, zuwiderlaufe. Die kaiserlichen
Räte machten geltend, es sei zu spät, sich an den Kaiser
zu wenden, und mit Fug und Recht sei die Verhaftung
vollzogen worden ; keinesfalls habe der Kaiser die Grenzen
des Vertrags überschritten. Das bestritten die Kur-
fürsten durchaus, und als die Räte sich auf den Wort-
laut der kaiserlichen Erklärung beriefen, wonach nur
prison, pvrpdueUe ausgeschlossen sei, versetzten sie un-
willig, dals sie keine Gelehrten seien, um über den Buch-
staben zu streiten und wie diese ihre Sache zu beweisen ;
allein sie hätten es anders verstanden und sich keines
Gefängnisses besorgt; man solle ihre Ehre bedenken.
Darauf suchte man zu erweisen, zu entgegnen, zu
behaupten und zu beteuern. Bis nach 2 Uhr nachts dauerte
der erhitzte Streit, ohne die Sache zu ändern; keine
Vorstellung, kein Erbieten half. Kurfürst Moritz wurde
äulserst heftig und wollte ehrenhalber den gefangenen
Schwiegervater nicht im Stiche lassen. Zwar liefs sich
Joachim bewegen, seine Herberge aufzusuchen, ihm aber
mulste man gestatten, die Nacht auf dem Schlosse zu
verl)ringen. So endete ein listiger kaiserlicher Gewalt-
streich das sogenannte Judasmaid ^''''^) !
In aller Frühe des 20. Juni schickte der Landgraf
zu den Kurfürsten und liefs auf das eindringlichste vor-
^^^) Dr. Fachs erklärte später: „Das weifs ich alter, dafs sich
unser keiner solcher Ciistodien versehen hat" ; Aiiiii. 94. Jjersncr
hatte vorher Moritz und dem Landgrafen rund heraus gesagt und
geschriel)en, er besorge, die Kaiserliclien würden sie nur aufhalten
und dann betrügen. Marburg, Anm. 8. Lenz, Die Schlacht bei
Mühlberg S. 33.
236 S. Ifsleib:
stellen, dais er zufolge ihres Briefes und Geleites nach
Halle gekommen sei, zufolge ihres Eates sich auf Gnade
und Ungnade ergeben, den Vertrag unterschrieben und
besiegelt und nach dem Fufsfalle und der Abbitte kaiser-
liche Verzeihung erhalten habe. Nun solle er bleiben,
bis alle Artikel des Vertrages erfüllt seien. Wie ein
Gefangener werde er von spanischen Schützen bewacht.
Keineswegs habe er sich dessen versehen, sonst wäre er
ferngeblieben. Da sie in verflossener Nacht nichts hätten
abhandeln können, so sollten sie nunmehr dem Kaiser
alles vorstellen, wie es sich mit dem Geleit und der Ver-
sicherung verhalte, und dann seine Befreiung eiligst durch-
setzen. Werde der Kaiser nicht willfahren, dann mülsten
sie sich laut ihrer Verpflichtung seinen Kindern in Kassel
zur Haft einstellen. Feierlichst erbiete er sich, alle Ar-
tikel, welche räch erledigt Averden könnten, unverzüglich
zu vollziehen. Auch in ihrem Namen sollten sie das
dem Kaiser versichern. Umgehend möge man ihn wieder
in seine Herberge ziehen lassen, ehe das Gerücht von
seiner Haft nach Hessen dringe und im ganzen Lande,
besonders beim geringen Manne, Unruhen anrichte. Seine
Gattin, welche neuer Nachkommenschaft entgegensehe,
möge man bedenken, damit solch Geschrei ihr keinen
Schaden zufüge. Schnell sollten die Kurfürsten durch-
setzen, dals er abgefertigt werde, um in der Heimat der
Kapitulation in allen Stücken möglichst bald naclikommen
zu können. Beide erinnerte er wiederholt daran, dafs er
auf Treu und Glauben in Halle sei.
Die Kurfürsten lielsen antworten: Sie wülsten sich
wohl aller Dinge zu erinnern, und herzlich leid thäte es
ihnen, dafs die Sache dahin geraten sei. Nichts Schlim-
meres hätte ihnen widerfahren können; es tlme ihnen so
wehe, als ob es ihnen selbst widerfahren. Inständig aber
baten sie, eine kleine AVeile Geduld zu haben. Allen
möglichen Fleils wollten sie aufbieten, um die harte Be-
schwerde abzuwenden. Und wäre nichts zu erreichen,
dann wülsten sie, was sie ihm zugeschrieben hätten; sie
seien fest entschlossen, ihrer Verpflichtung treu nach-
zukommen.
Zur selben Zeit wurde ein Bittgesuch an den Kaiser
entworfen, welches betonte, dafs beide Kurfürsten als
gehorsame Fürsten des Reiches den Landgrafen zur
Demut gebracht hätten, um dadurch die kaiserliche
Autorität und Ehre zu erhöhen. Soviel sie wülsten, habe
Die Gefaiigeimaliine des Laiulgrafeii Vhilii)]) von Hessen. 237
ihnen der Kaiser die gnädige Erwähnnng tliun lassen,
die Ergebung solle dem Landgrafen „weder durch Leibes-
strafe noch auch Gefängnis zu einigem Nachteil" ge-
reichen. Obgleich die kaiserlichen Räte die Verhand-
lungen zum teil in französischer, zum teil in lateinischer
und zuletzt auch in deutscher Sprache geführt hätten,
und sie selbst der Sprachen nicht gar kundig seien, so
hätten sie dennoch nicht den Eindruck gewonnen, als
solle die Ergebung zu „einiger Gefängnis" führen. Wie-
wohl es nicht ohne sei, dals der Kaiser die Erklärung
habe vertraulich thun lassen, um dieselbe, wie geschehen,
für sich zu behalten, so sei doch zu erachten, dals sie,
um den Landgrafen zu bewegen, auf Treu und Glauben
zu kommen, gleichwold für ihre Person hätten erwähnen
müssen, sie hätten des Kaisers angeborne Güte und
Milde allewege dermalsen erkannt, dals er „weder Leibes-
strafe noch Gefängnils" zu befürchten habe. Und diese
Zusicherung hätten sie durch Brief und Siegel zustellen
und übergeben müssen. Wie dem sei, gestern hätten sie
nun befunden, dafs der Kaiser den Landgrafen in Ver-
wahrung habe nehmen lassen. Gott wisse, dals ihnen
nichts Beschwerlicheros und Erschrecklicheres selbst an
ihrem eignen Leibe begegnen oder widerfahren könne
als dies. Gnädigst möge der Kaiser ilire seitherige Treue
und Dienstwilligkeit berücksichtigen; denn keinen per-
sönlichen Vorteil oder Nutzen hätten sie im Auge ge-
habt, sondern allein des Kaisers Ehre und Ansehen. In
Wahrheit hätten sie die Sache auch nicht anders als
gefahrlos aufgefalst. Vor ihrer Abreise seien sie noch
einmal selbst vor dem Kaiser erschienen, um sich zu er-
kundigen und zu bitten, dals sie nicht gefährdet werden
möchten, weil der Landgraf auf Treue und Glauben
komme. Und dessen seien sie allewege vertröstet worden.
Wenn trotzdem nun der Landgraf in Verwahrung ge-
nommen werden sollte, so sei leicht einzusehen, dals es
ihnen bei aller Welt zu böser Nachrede und Unglimpf
gereichen müsse. An ihren Kindern selbst und Nach-
kommen werde dieser Makel un vertilgbar haften. Auch
dem Kaiser werde es bei allen denen Nachteil bringen,
welche sich noch nicht ergeben hätten. Die kaiserliche
und ihre kurfürstliche Eeputation sei mehr zu bedenken
als der Landgraf.
Unterdessen ^***') hatte der Kaiser den Herzog Alba
lOG'
) Lanz II, 587-, D ruf fei I No. 106, S. 65.
Ö
238 S. Ifsleib:
und den Bischof von Arras zu sich befohlen, um über
die Vorgänge auf dem Schlosse zu hören und darnach
seine Entschlüsse zu fassen. Nach erfolgtem Bericht
hielt er es für ratsam, Stand zu halten; denn nachdem
man einmal so weit vorgeschritten sei, könne man nicht
wieder zurückweichen, ohne der Welt zu beweisen, man
habe Unrecht gethan. Der Landgraf sollte wenigstens
so lange verhaftet bleiben, bis die hessischen Festungen
geschleift, die Geschütze mit der Munition überliefert
und alle anderen schnell zu erledigenden Artikel aus-
geführt worden seien. Entlasse er die Truppen, meinte
der Kaiser, ehe der Landgraf Genüge gethan habe, dann
fehle jede sichere Garantie für die Vollziehung des Ver-
trages; denn die Kurfürsten besäfsen nicht die Macht,
den Landgrafen zur Genugthuung zu zwingen. Es wurde
beschlossen, Joachim und Moritz gegenüber das Recht
der Verhaftung festzustellen und ihre Behauptung zu
widerlegen, als habe der Kaiser w^ortbrüchig gehandelt.
Mit dieser Al>sicht kamen Alba, der Bischof von
Arras und Dr. Seid auf das Schlots und zeigten den an-
wesenden Kurfürsten an, dals der Kaiser über den
ganzen nächtlichen Vorgang höchst ungehalten sei, dals
er Moritz' Verbleiben für gewissen Trotz erachtet und
alles so verstanden und gedeutet habe, als wolle man
seine Ehre in Frage stellen, als habe er über die Ar-
tikel hinaus Ungebührliches gethan. Da er aber seine
Zusagen stets gehalten habe, so wolle er weder in Ver-
dacht noch Argwohn geraten, und jedermann möge wissen
und erfahren, was verhandelt worden sei. Auf Befehl
des Kaisers sollten sie mit ihnen reden und disputieren,
ob er dem Vertrage und der Deklaration gemäi's mit Fug
und Recht gehandelt habe oder nicht. Bevor dies nicht
festgestellt worden sei, werde er die Kurfürsten weder
vor sich lassen, noch irgend welche Bitte anhören. Auch
der Kaiser sei kein Gelehrter, und sie hätten seine Ab-
sicht wohl gekannt.
Die Kurfürsten lielsen erwidern: Sie seien fast er-
schrocken darüber, dals der Kaiser also bewegt und
aufgebracht worden sei. Nicht aus Trotz, sondern dem
Schwiegervater zum Tröste sei der Kurfürst von Sachsen
auf dem Schlosse geblieben; darum möge man ihn ent-
schuldigen. Mit dem Kaiser wollten sie sich m keine
Disputation einlassen ; denn er sei ihr Herr und ihre hohe
Obrigkeit. Aber während der letzten Verhandlung hätten
Die CTefaiigeniialime des Loiulgrafen ]'liilii)p von Hessen. 239
sie nie verstanden, dafs der I^andgraf an seinem Leibe
mit Gefängnis beschwert werden solle; nie wäre- von
einem kaiserlichen Vorbehalte die Rede gewesen , ihn
nach dem Fnisfalle und der Abbitte gefänglich einzuziehen,
zumal der Sühnebrief und anderes in Aussicht gestellt
worden sei. Wäre es anders, dann hätten sie geirrt
und bäten zu bedenken , dals sie sich weit und tief ein-
gelassen und verpflichtet hätten. Als gel)orene deutsche
Fürsten würden sie nicht zu bewegen gewesen sein, den
Landgrafen zur Ergebung zu bereden, Avenn sie gemerkt
hätten, er solle gefangen gehalten werden; dann würden
sie die Sache an ihren Ort gestellt haben.
Darauf wurde geantwortet: Am liebsten wünsche
der Kaiser ehie öffentliche Erklärung ausgehen zu lassen,
um frei von Argwohn und Verdacht zu sein. Wenn man
sich darauf einlassen wolle, so hätten sie Befehl, darüber
zu reden und zu erörtern. Der Kaiser gründe seine In-
tention sowohl auf den Vertrag, als auch auf die geheime
Deklaration, derzufolge „einige Haft" gestattet sei^'*^).
Vor allem wolle er der Vollziehung des Vertrages sicher
und gewifs sein. Die beste Garantie dafür biete aber
nur die Person des Landgrafen. Es stünde zu besorgen,
beim Kaiser werde gar nichts erreicht, man bitte denn
um kurze Haft.
Die Kurfürsten lielsen wiederholen, dals sie nicht
mit dem Kaiser disputieren wollten; doch lielsen sie
nochmals auseinandersetzen, wie 'sie den ganzen Handel
verstanden hätten. Ihrerseits liege das Versehen darin,
nicht beachtet zu haben, es sei Gefahr vor Gefängnis
vorhanden, weil der Landgraf die kaiserlichen Artikel
in Leipzig nicht angenommen und der Kaiser die land-
gräflichen gänzlich abgeschlagen habe, später aber
von keiner Haft die Hede gewesen sei. Infolgedessen
hätten sie den Landgrafen vertröstet, ihm ein freies Ge-
leit ausgestellt und sich selbst hart verpflichtet, falls ihm
etwas über die verabredeten Artikel begegnen Averde.
Um ihn zur Reise in das kaiserliche Hoflager zu be-
wegen, hätten sie nicht umgehen können, ihm anzeigen
zu lassen, dals er „weder Leibesstrafe noch einige Ge-
fängnis" zu befürchten hal)e. Darauf schlugen die Kur-
fürsten vor, der Kaiser möge den ältesten Sohn und drei
^^'l Er deute das Gefängnis non ad perpetuuni carcerera, sed
tantuni temporalem.
9z
240 «. Ifsleib:
vornehme Räte und Diener des Landgrafen als Geiseln
annehmen und ihn heimsenden, um dem Vertrage schnell
nachzukommen, weil eine Reihe Punkte nur durch ihn
als regierenden Fürsten rasch erledigt werden könnten;
sie selbst seien erbötig, ihre Person, ihre Länder und
Unterthanen für ihn einzusetzen.
Vor allen Dingen verlangten aber die kaiserlichen
Räte eine bestimmte Erklärung darüber, ob der Kaiser
mit Fug und Recht gehandelt habe. Wenn sich die
Fürsten, äulserten sie, zur Einstellung in Kassel ver-
pflichtet hätten, so könne der Kaiser, ohne dessen Ein-
willigung es gar nicht hätte geschehen dürfen, die Ver-
pflichtung wieder aufheben. Der Kaiser werde die Ein-
stellung nicht dulden, noch die eben gemachten Vorschläge
annehmen. Dem Landgrafen sei genug erlassen worden.
Indem die Kurfürsten daran festhielten, eine Dis-
putation mit dem Kaiser gebühre ihnen nicht, wichen
sie allmählich der Gewalt und gaben zuletzt die Er-
klärung, sie hielten dafür, dals der Kaiser sein Vor-
nehmen mit Fug und Recht gethan habe. Wenn anders
geredet werde, wollten sie ihn entschuldigen und ver-
antworten helfen. Liege ein Milsverständnis oder Ver-
sehen vor, dann solle es ihrerseits begangen sein. Die
Kaiserlichen erwiderten, es stehe zu hoffen, dals diese
Antwort dem Kaiser genügen und der Sache zum Glimpf
gereichen werde.
Als die Kurfürsten dann zu Vorschlägen drängten,
welche die Ausführung des Vertrages am besten garan-
tieren möchten, da erklärten die Räte: Der Landgraf habe
sich so hoch vergangen, dals er der gröfsten Strafe ver-
fallen werde, wenn er nicht jeden Artikel des Vertrages
pünktlich einhalte. Aber niemanden als ihn selbst ge-
denke der Kaiser verantwortlich zu machen. Darum sei
es das beste, er bleibe und hafte mit seiner Person so
lange, bis er den Hauptartikeln Genüge geleistet habe.
Indessen mit Zustimmung Philipps schlugen die Kur-
fürsten vor, der Kaiser solle den Landgrafen gegen Geiseln
freigeben, damit er selbst die Kapitulation rasch vollziehen
könne. Innerhalb zehn Tagen sollten die Geiseln, sein
ältester Sohn und drei seiner vornehmsten Räte oder Land-
stände, in Halle oder an einem anderen Orte eintreffen.
Bis zu ihrer Ankunft wolle der Landgraf drei Grafen oder
Herren und drei Räte oder Diener zurücklassen. Überdies
seien sie selbst erbötig, zu bleiben und vor Ankunft der
Die Gefangennahme des Landgrafen Philipp von Hessen. 241
Geiseln ans Hessen nicht von dannen zu ziehen. Stelle der
Kaiser noch höhere Forderungen, dann solle sich auch der
älteste Sohn Joachims einstellen. "Werde demungeachtet
der Kapitulation ungenügend Folge geleistet, so solle es
dem Kaiser freistehen, die Länder der Kurfürsten so lange
einzunehmen und zu besetzen, bis alle Bedingungen er-
füllt seien. Überdies wolle der Landgraf seinerseits durch
Eiil und Handschlag bekräftigen, dals er den Vertrag in
allen Punkten vollziehen und sich im Falle irgend welcher
Säumigkeit auf Befehl sofort zum Kaiser verfügen werde.
Abgeordnete des Kaisers und der Kurfürsten sollten ihn
nach Hessen begleiten, damit er in ihrer Gegenwart das
Kriegsvolk und alle Unterthanen vereidige, das Geschütz
mit Munition überliefere, innerhalb acht Tagen die Hälfte
der Strafsumme von 150,000 fl. aufbringe etc. Für alles
wollten die Kurfürsten mit Leib und Gut haften und sich
nach kaiserlichem Gefallen verpflichten und verschreiben.
Zwar wurden diese Vorschläge dem Kaiser unter-
breitet; allein bald berichteten Alba, Arras und Seid:
Kein Vorschlag sei angenommen worden; man halte sie
für zu gering. Während aller Verhandlungen habe der
Kaiser nach nichts so sehr getrachtet, als nach der vollen
Gewährleistung der Vertrages, damit der Landgraf auf
alle Fälle dazu gebracht werde, sämtlichen Verpflichtungen
nachzukommen. Seinethalben solle auch niemand irgend-
wie beschwert werden; er selbst möge haften. An-
gemessen erscheine, nur um Verkürzung der in Betracht
kommenden Haftzeit zu bitten. Die Kurfürsten möchten
mit dem Landgrafen darüber reden und seine Meinung hören.
Dienstag, den 21. Juni, frühmorgens liefs der Land-
graf die Kurfürsten abermals ermahnen, erinnern und
dringend ersuchen, sich seiner anzunehmen. Auf das
bitterste beklagte er, dafs man ihm trotz aller Erbieten
weder glauben noch trauen wolle und ihn wie einen Ge-
fangenen halte. Da stündlich, bei Tag und bei Nacht,
unbekannte wälsche Schützen in sein Zimmer und an
sein Bett kämen, so könne er weder ruhen noch schlafen
und müsse Krankheit, Verlust der Vernunft oder Tod
besorgen. Gar leicht sei es, ihn zu vergiften, zu er-
stechen oder heimlich hinwegzuf Uhren. Dann mülsten sie
vor Gott und der Welt Rede und Antwort stehen, weil
sie sich nicht besser vorgesehen, alles verschuldet und
ihn in solche Last und Not gebracht hätten, (ileicli
heute noch sollten sie ihm aus der harten Beschwerde
Neues Archiv f. S. (!. u. A. XI. 3. 4. 1 (j
242 'S. Ifsleib:
helfen ; sie seien es Gott und ihrer Ehre schuldig;. Auf
das ernstlichste sollten sie beim Kaiser anhalten und
keinen Undank scheuen. Werde die Sache verschleppt,
dann werde sein Weib erschrecken und Schaden nehmen;
Unwille und Unruhe werde in seinem Lande zum Aus-
bruche kommen. Sei es unmöglich, ihn zu befreien, dann
mülsten sie sich in Kassel einstellen. Er wolle geloben
und schwören, sich wieder beim Kaiser einzufinden, wenn
er den Artikeln nicht tapfer nachsetze. Auch sei er ge-
sonnen, in kaiserliche Dienste zu treten.
Die Kurfürsten lielsen ähnlich wie am Tage vorher
erwidern und inständig bitten, er solle kein Mifstrauen
haben. Der Vorfall thue ihnen treulich leid und versetze
sie in die gröfste Bekümmernis. Alles Erdenkliche wollten
sie für seine Befreiung thun, schlielslich auch als ehrliche
Kurfürsten ihrer Verschreibung und Verpflichtung treu
nachkommen.
In der vom Kaiser gewährten Audienz boten sie
alles auf, Philipps Freiheit durchzusetzen und dann, als
dies ganz vergeblich war, eine möglichst kurze Haft aus-
zuwirken. Flehentlich baten sie, ihre Person und Ehre
mehr als den Landgrafen zu berücksichtigen. Habe der
Kaiser je daran gedacht, sagten sie, ihnen in Ansehung
der eigenen und ihrer Vorfahren treuen Dienste irgend
eine Gnade zu gewähren, dann möge er ihren guten Ruf
und Namen unverletzt erhalten und sie nicht im „Un-
ruhme" stecken lassen. Nichts Schlimmeres könne ihnen
und ihren Kindern widerfahren, als wenn der Landgraf
in Verwahrung l)leibe. Niemand werde ihnen künftig
trauen oder glauben, so dais sie selbst dem Kaiser in
keiner Verhandlung mehr dienen könnten. Des Land-
grafen Kinder würden auch nicht unterlassen, sie nach
Kassel einzumahnen; dann müMen sie sich einstellen und
könnten die dem römischen Könige zugesagte Hilfe in
Böhmen nicht leisten. Ihren Ländern werde ihre Ab-
wesenheit in dieser unruhigen und sorgenvollen Zeit
höchst beschwerlich und gefährlich sein. Übe der Kaiser
Gnade, dann würden sich alle anderen, noch unversöhnten
Reichsstände um so eher ergeben und gehorsam erzeigen.
Dann werde im ganzen Reiche Ruhe und Friede her-
gestellt werden.
Kurz liels der Kaiser entgegnen: Er wolle sehen,
wie sich der Landgraf in die Kapitulation schicke. Ein-
gedenk der Bitten der Kurfürsten werde er nach Voll-
Die Gefangennahme des Landgrafen Philipp von Hessen. 243
zieliuiig- des Vertrages eine Antwort geben, mit der sie
zufrieden sein sollten.
Während der Weiterverliandlnng mit den kaiser-
lichen Ratgebern versuchten die Kurfürsten durchzusetzen,
dals der Landgraf unter Obhut Joachims in Halle ge-
lassen werde, bis Moritz die Erfüllung des Vertrages in
Hessen persönlich betrieben habe, oder dals er ihnen ge-
meinsam anvertraut, oder unter Albas Überbefehl ent-
weder in Heldrungen von Spaniern oder an einem anderen
Orte von deutschen Kriegsleuten überwacht werde. Aber
jederVorschlag wurde zurückgewiesen und alles kaiserlicher
Entscheidung vorbehalten. Es gelang auch nicht, die
Zeit der Haft festzusetzen; immer verwies man auf den
kaiserlichen Bescheid.
Mittwoch, den 22. Juni, bemühten sich die Kur-
fürsten, den Landgrafen zu bewegen, dals er dem kaiser-
lichen Hoflager gutwillig folge und so lange bleibe, als
eä für nötig erachtet werde. Dagegen sträubte er sich
mit allen Kräften. Nur der rohen Gewalt gedachte er
widerstrebend zu weichen. Er wünschte durchaus die
Zeit zu wissen, wie lange er etwa auszuhalten habe.
Als man ihn auf Grund der kaiserlichen Antwort mit
drei bis vier Wochen vertröstete, da wollte er sich in
diesen Zeitraum weder fügen noch schicken. Heftig hielt
er den Kurfürsten ihr Verschulden und ihre Verpflichtung
vor. Li nichts wollte er willigen, bevor sie nicht mit
Mund und Hand versichert hätten, bei ihm zu bleiben,
bis er freigelassen werde. Um ihn zu trösten, sagten
sie zu. Darauf liefs er in hastiger Eile eine Reihe Be-
fehle und Verordnungen an seine Söhne, Statthalter und
Räte, Beamten und Unterthanen ausfertigen, um den
Vertrag zu ratifizieren und zu beschwören, alle Festungen
bis auf Kassel und Ziegenhain zu schleifen, das Geschütz
mit der Munition auszuliefern, die Gefangenen freizugeben,
das Strafgeld zusammenzubringen, alle geforderten P)Undes-
urkunden zu übersenden etc. Mit der Einforderung der
Kurfürsten nach Kassel sollten die Söhne vorläufig bis
auf weiteren Befehl zurückhalten.
Am 23. Juni verliels der Kaiser Halle, um mit den
beiden gefangenen Gegnern, den ehemaligen Häuptern
des schmalkaldischen Bundes, nach Süddeutschland zu
ziehen. Die Berufung und Abhaltung eines Reichstages
erschien ihm jetzt wichtiger als die Bekämpfung der
noch trotzigen norddeutschen Städte.
16*
244 S. Il'sleib : Die Gefangenuahme des Landgrafen Philipp etc.
Sobald die Kurfürsten zwei vertraute Räte^^^) an
König Ferdinand mit einem ausführlichen Berichte ül)er die
Vorgänge in Halle und mit einem inständigen Gesuch
um gnädige Verwendung für den Landgrafen abgeschickt
hatten, folgten sie nach Naumburg und setzten ihre Be-
mühungen fort. Nichts lielsen sie unversucht ^'^■*), um
namentlich zu erforschen, wie lange der Kaiser den Ge-
fangenen wohl festzuhalten gedenke. Zuletzt gewannen
sie den Eindruck, Philipp werde in vier bis sechs Wochen
wieder heimkehren. Da derselbe aber bereits in der
Richtung Jena -Saalfeld"'') weiterbefördert worden war,
so konnten sie dies dem Ungeduldigen nicht persönlich
mitteilen, sondern mulsten ihm Räte nachsenden, um ihn
zu bitten und zu ermahnen, die kurze Zeit mit Geduld
zu ertragen. Sie selbst verweilten bis zum 25. Juni im
kaiserlichen Lager; dann sahen sie sich genötigt, ab-
zuziehen. Erzherzog Maximilian und die kaiserlichen
Räte deuteten zunächst vertraulich an, dafs der Kaiser
es ungern sehe , wenn sie noch weiter folgen und an-
halten würden. Alsdann gab man offener zu verstehen,
dem Kaiser mifsfalle ihr Verbleiben und Verhalten; ihr
grofser Eifer schade mehr, als er nütze. Alle versprachen
ihnen, von Zeit zu Zeit Fürbitte für den Landgrafen ein-
zulegen und ersuchten sie wohlmeinend, heimzukehren
und sich weder in Kassel einzustellen, noch dem kaiser-
lichen Hoflager allzuzeitig nachzureisen. Zuletzt durften
die Kurfürsten den Kaiser nochmals im freien Felde
ansprechen; darauf mulsten sie ihn verlassen und heim-
reiten.
108) Berlin 39, 4, Philipp von Hessen 1547 Bl. 146 flg. Dresden,
Loc. 9143, Landgreuische hessische gepflogene Versunungshendel etc.
1547 Bl. 111 und 92. Hier vermifst man die Beilage, welche die
geheimen Artikel in deutscher Spraclie enthalten hat.
10») Lanz II, 599. Vergl noch Anm. 108 in Berlin Bl. 124 flg.
in Dresden Bl. 92 flg.
i'O) Bei Naumburg kamen die beiden Gefangenen so nahe zu-
sammen, dafs sie sich kurze Zeit unterhalten konnten.
IX.
Zwei Unterrichtspläne
für die Herzöge Johann Friedrich IV.
und Johann zn Sachsen -Weimar.
Von
Georg MiUler.
Wenn die wettinisclien Fürsten des 16. Jalirhunderts
der Gründung und Erhaltung von Schulen in ihren Län-
dern hervorragendes Interesse entgegenbrachten, so
wandten sie innerhalb ihrer Familie der Erziehung der
Prinzen eine nicht geringere Sorgfalt zu^). Wie Kur-
fürst August in der albertinischen Linie, so wählte bei
den Ernestinern Kurfürst Johann Friedrich nicht nur
tüchtige Lehrer für seine Söhne aus, sondern überwachte
persönlich die sittliche und wissenschaftliche Bildung-).
In einem scharfen Schreiben tadelte er die Führung
Johann Friedrich des Mittleren, als er hörte, dafs dieser
beim Kartenspiel seine Genossen hintergangen, dabei
leichtfertige Reden geführt und geflucht, wie durch über-
mälsigen Weingenuis seiner Gesundheit geschadet habe.
Eingehend sprach er sich in einem Briefe über die Not-
wendigkeit der wissenschaftlichen Bildung, namentlich
1) Vere'l. C. Fietz, Prinzonnntcrricht des Ifi. und 17. .Talir-
Imnderts. Programm. (Dresden 1887) und meine Naebträgc! dazu
in dieser Zeitschrift VIII (1887), 170 f.
2) Vergl. A. Beck, Johann Friedrich der Mittlere, Herzog zu
Sachsen (Weimar 1858) I, 3 If.
246 Georg Müller:
die Wichtigkeit der Kenntnis des Lateins aus. „Der-
malen wissen wir euch nicht zu bergen", schrieb er an
seine Sühne ^), „dals wir auf vorigen Reichstagen und
sonderlich jetzo allhier befinden, dals wir viel Geld
darum geben wollten, dals wir die lateinische Sprache
können möchten ; denn sie sollte uns viel nützen und
dienen. Hätten wir auch in unserer Jugend das gewulst,
so wir jetzo erfahren, wir wollten die lateinische Sprache
zu lernen nicht unterlassen haben. Weil sich dann
nunmehr fortan zuträgt, dafs mehr fremde und auswärtige
Herren in das Deutschland zu kommen pflegen, denn
zuvor geschehen, welche aber die deutsche Sprache nicht
können, so ist unsere freund- und väterliche Ermahnung
und Bitte, ihr wollet allen möglichen Fleils ankehren und
nicht sparen, die lateinische Sprache nicht allein zu ler-
nen, sondern auch zu behalten, damit ihr dieselbige reden
möget; denn sie- euch mit der Zeit zu vielem nützen
und dienen wird." Dals der Fürst aber den deutschen
Stil nicht vernachlässigt wissen wollte, geht aus dem
Schlufssatze des genannten Briefes hervor: „Wann ihr
uns auch hinführo schreiben werdet, so schreibt uns nicht
allein lateinisch, sondern auch deutsch, damit wir sehen
mögen, wie ihr neben dem Lateinischen auch deutsch
schreibet."
Der Kurfürst durfte seine Bemühungen mit Erfolg
gekrönt sehen. Im Alter von 13 Jahren hielt sein
ältester Sohn, Johann Friedrich der Mittlere, auf dem
Schlosse zu Torgau eine lateinische Rede^), durch welche
er die Bewunderung der Zuhörer erntete'^). Eine deutsche
Übersetzung derselben befindet sich im hiesigen K. Haupt-
staatsarchive''). Sie dürfte, Avie eine spätere Rede, für
2) Ebenda S. 7 Anm.
*) Der Titel laiitet: „De Dignitate Legnm conservanda et de
Legibus Eegiii literarii lUustriura Priucipiira iunioriim Saxouiae
Duciim", gedruckt in J. Chr. Fischer, Eloquentia heroica sen
Serenissimorum Priiicipum iuniorum .Saxoniae .Toannis Friderici II
et Joaunis AN'ilhelnii fratrum dcclamationes (Jenae 1750), 32—61.
Eine Rede Melanchthons De Dignitate Legnm steht in Selectarum
Declamationum Philippi Melanthonis . . . toiniis prinms (Argentorati
1544) S. 265-275.
■') Vergl. Andr. Wilkii, Snada Gothana Latialis (Prankfurt
1657) S. 563.
6) Loc. 10039 Frembde Rathscbläge etc. Bl. 71 ff: Der durch-
lanchtenn hochgebornnenn fürsten nnnd Hernn , Hern Jolians Fri-
derichenn des andern und Hernn Johaus Wilhelmenn gebrüderun.
Zwei Untcnicht.spläne etc. 247
die Aveiblichen Glieder') der Familie ins Deutsche über-
tragen worden sein. Als Johann Friedlich mit seinem
jüngeren Bruder Johann die Universität AVittenberg be-
zogen hatte, erwarben sich die beiden Prinzen die An-
erkennung ihrer Lehrer durch mehrere Reden. Luther
selbst gab dieselben heraus mit einer Vorrede**), in
welcher er die Fortschritte der jetzt aufwachsenden
Jugend pries im Vergleich mit dem, was noch vor einem
Menschenalter geleistet worden sei, und heiTorhob, wie
diese Begeisterung für die Wissenschaft nicht nur den
Prinzen, sondern auch den fürstlichen Eltern zur Ehre
gereiche.
Kein Wunder, wenn diese Herzöge als Familien-
väter eine sorgfältige Erziehung ilu^en Kindern zu teil
werden lielsen. Freilich sollten dieselben infolge der
Stürme der Politik nicht in ungestörtem Frieden auf-
wachsen. Wurde Kurfürst Johann Friedrich der Mitt-
lere durch die langjährige Gefangenschaft in kaiser-
lichen Landen seinen Kindern entzogen, so war er doch
unermüdlich in Ermahnungen an die Prinzen, ihre geistige
Ausbildung mit Fleils zu betreiben^).
Daneben legten die mit der Erziehung derselben be-
trauten kursächsischen Räte^**) eine eingehende Fürsorge
für ihre Zöglinge an den Tag. Auf der Feste Coburg,
deren herrliche Umgebung noch jetzt jeden Besucher
entzückt, wuchsen die Prinzen Johann Casimir und Jo-
hann Ernst") auf. Zwei Edelknaben sollten ihre Ge-
Hertzogeiin zu Saclisenn etc. Reichs unnd Schulordmiug. Am Schlüsse
BI. 97 ii stehen die Woite: 28. Feluuaiii 1542 Torgae in arce haliita
ah illustrissimo principe D. Johanne Friderico secundo duce Saxo-
niae etc.
') Die Kurfürstin - Mutter Sil)yna hatte sich eine von Johann
Friedrich in Wittenherg gehaltene lateinische Rede übersetzen lassen.
Sie befindet sich im Archiv zu Weimar. Beck a. a. 0. 6. Anm. 15.
ä) Die Vorrede Luthers bei J. C. Fischer, Eloquentia licroica
S. 1—6. Schon 1541 hatte Luther den Prinzen seine Anerkemiung
über ihre Fortschritte ausaesprochen. Vergl. De Wette, Luthers
Briefe (Berlin 1828) V, 397.
") Vergl. die ausführlichen Angaben bei Beck a. a. O. II, 14. fi5.
'*') An ihrer Spitze stand Erich Volkmar Berlepsch, kurf. sächs.
Rat und Oberhauptmann in Thüringen. Loc. 10630. Coburgische
Hoffstatt. 1573.
") Vergl. .1. ü. Gottschalg, Geschichte des Herzogl. Fürsten-
hauses Sachsen -Weimar und Eisenach (Weifsenf eis und Leipzig
1797) S. 26.
248 Georg Müller:
nossen beim Studieren wie beim Spiel sein^-). Laut Be-
schluls der Räte auf dem Tage zu Altenburg wurde als
Lelirer M. Sebastian Leonliard gewählt, während dem
Statthalter, Graf Burkhard von Barliy, die Oberaufsicht
anvertraut wurde. Seine Instruktion lautete ^=^):
„ADfeiiglicli soUemi S. g. ir die furstlichenn biuder bevolhenn
sein lafsenn, iiniul gut aufsehenn und aiifachtung liabenn, das die-
selbigen nach gelegenheit ihres alters durch irenn präceptornn zu
dem gebet vnnd gottesfurcht, vleifsig gehaltenn, defs Catechirsmi
Lutheri uiinderwiefsenn , zur predig und anhöruug defs gottlichen
Avordts angemanet, auch darneben zum anfang was zu erlernnung
der freihen künst, unnd bevorab der lateinischen sprach dienlich, mit
inen teglich, jedoch also getrielienn, das auch darbey andere gebür-
liche übungenn, so zu glegner ergetzlichkeitt und geschicklichkeit
defs leibs auch annemmung guter sittenn dienlich, inen mit zu-
gelafsenu, und sie also inn dem allem zugleich zu gebürlicher zeit
versorget unnd versehen werdenu mögenn." Weitere eingehende Be-
stimmungen betreffen die Lebensweise bezüglich Speise, Trank und
Kleidung, sowie die Sorge für die Gesundheit.
Einen interessanten Einblick in das Leben und Treiben
der Prinzen gestattet ein vertraulicher Bericht, den der
Hofrat David von Uttenhofen^^) einige Monate später an
den Oberhauptmann Erich Volkmar von Berlepsch sendet.
Er deutet darin die Schwierigkeiten an^^), die den kur-
fürstlichen Beamten auf der Coburg gemacht würden
und meldet dann den befriedigenden Eindruck, den die
fürstlichen Zöglinge auf den Statthalter, den Grafen
Barby, gemacht haben :
Meine gnedige junge herrschafft sindt wol auff, unnd goth lob
und danck mit einem treuen, vleisigen praeceptore'"), so guther be-
scheidenheit gebraucht, zur nothdurftt vorsehenn, und tregt wolermelter
m. g. hJ'^) dessen gutes gefallen; viel und wolgedachten m. g. h. hat
das jungst herrlein ^S) ]y.^i^\ anfangs nicht ubell gefallen, nee ipsnm
fefellit iudicium, dann es ein frommes, tteuhes, aufrichtiges herrlein,
das sich zu allen guthen lenken lassen wird, quamvis principium sit
1'-) Loc. 10630. Coburgische Hoffstatt. 1573. Abth.: Hoff buch.
Nach Beck a. a, 0. II, 6.t nahmen später aufser 5 Fürsten und
Grafen 18 Edelknaben am Unterrichte teil.
13) Instruktion vom 12. Dezember 1572 im vorstehend genannten
Aktenstücke (letzte Abteilung).
'*) Ebenda, 3. Bericht vom Montag nach Misericordias Do-
mini 1573.
'■^) Es bewähre sich das von Berlepsch zitierte Sprüchwort:
einem andern den Dorn inn Fues zu stecken.
1«) 31. Sebastian Leonhardt, vergl. ülier ihn auch Beck a. a. 0.
14. 65 f. 93. 132.
i'') Gemeint ist der Statthalter Graf Barby.
i'') Herzog Johann Ernst, geb. 9. Juli 1566. Er war damals
noch nicht 7 Jahre alt. Vergl. Beck a. a. 0. II, 331.
Zwei Unterrichtspläne etc. 249
g-rave. Der Studien halben hab ich an beiden herrn ^») nicht mangell,
dann sie nach gelegeuheitt hierin thun, was sie sollen. Sed inve-
terati mali mores nos torquent. Doch spühret man ootldob teglich
besserung, nee ab uno cadit arbor ictu. Der Cammerjunker Quingen-
bergk-O) tuth seinen gephnrenden vleifs, stehet irer f. g. nicht iibel
an, so vorrichtet auch der Cammerknecht das seine, ut non videam,
quid ad bonam ac diligentem educatiunem principibus desit. Unnd
mach mir nicht zweiffei, efs werde der Allmechtige Goth guad unnd
wolfarth geben, domit ir f. g. iun gottes furcht zu fürstlichem!
tugenden unnd wanndell gesegnet aufferwachssenn und zunehmen
mugen, zu diesem allen efs an treuher sorg und vleifs allenthalben
nichts erwinden wird, etc.
Wenn so der kursäclisische Hof auf die Erziehung
der ernestinischen Prinzen einen grofsen Eiiifluls liatte,
so sollte dieser eine noch weitei-e Ausdehnung dadurch
erfahren, dals der jüngere Bruder Johann Friedrich des
Mittleren, Herzog Johann Wilhelm, am 2. März 1573 -i)
starb und die Verwaltung des Hofes und Landes neben
anderen Kurfürsten auch dem von Sachsen zufiel. Wohl
hatte Johann Wilhelm wegen der zahlreichen Gegensätze,
namentlich auf religiösem Gebiete'--), in seinem Testa-
mente vom 19. Februar 1573, Kurfürst August von der
Vormundschaft ausgeschlossen-"^), aber die" sofort nach
dem Ableben des Fürsten von Dresden nach Weimar
gesandte Kommission hatte in ihrer Audienz-^.), die
sie auf Befehl des Kurfürsten von der Witwe des Her-
zogs, Dorothee Susanne, erbat, von dieser die Erklärung
erhalten, dals sie sich und ihre Kinder in des Kurfürsten
^^) Mit dem in voriger Anmerkung genannten jüngsten Prinzen
wurde Johann Casimir erzogen, geb. 12. Juni 1564, damals noch
nicht ganz 9 Jahre alt. Zwei ältere Prinzen, Johann Friedrich IV.,
geb. 1559, und Friedrich, geb. 3. Februar 15fi3, waren bereits früher
gestorben. Beck a. a. 0. II, 331.
-Oj Georg von Qumgenberg, auch in dem oben, Anmeikung 11,
genannten Hof buche aufgeführt. Bei Beck ist er nicht genannt.
2') Vergl. Loc. 4394. Hertzog Johann AVilhelms zu Sachsen
tödtlichen abgang und was doruff erfolget belangend. Anno 1573.
Hauptstaatsarchiv in Dresden.
2-) Johann "^^'ilhelra war die Haui)tstütze der Flacianer. Vei'gl.
in dem eben genannten Aktenstücke 1^1. 10—13 den P.ericht Lukas
Tangeis an Dr. üeoig Crakau vom 2. Mäi-z 1573. Yergl. ebenda
Bl. 20 ff. den genaueren Bericht vom 9. Miirz 1573.
"2) Zu ^'ormündcrn waren bestellt: Ludwig. Pfalzgiaf bei Bhein
und Herzog von Bayern, der Oberpfalz in Bayern Stattlialter. Johann
Albrecht, Herzog zu Mecklenbiirg; in zweiter Linie Reinhart, Pfalz-
graf bei Rhein und Herzog in Bayern, Ulrich, Herzog zu Slecklen-
burg Ebenda Bl. 61.
-') Vergl. die Schilderung derselben in dem Üerichte der kur-
fürstlichen Räte vom 17. März 1573, ebenda Bl. üö If.
250 Georg- Müller:
Schutz befehle und sich seines Eates, Schutzes und
Trostes vorsehe. Sie hatte dann auch der fürstlichen
Regierung die bestimmte Erklärung abgegeben'-*^), dafs
ihr Herr und Gebieter „als der nechste Agnatus, der
jungen Fürsten allhier Legitimus Tutor sei""-').
Wie im allgemeinen das Testament Johann "Wilhelms
mannigfache Abänderungen erfuhr, so erlitten die letzt-
willigen Bestimmungen bezüglich der Erziehung seiner
Söhne mancherlei Beschränkungen, obgleich er die re-
ligiöse Erziehung, wie die wissenschaftliche Ausbildung
genau bis ins einzelnste vorgeschrieben hatte. Die Haupt-
stelle des Testaments sei hier angeführt-^):
So setzen, ordenen und wollen wir, das nnsern lieben söhnen
bis zur erlangung irer mündigen jähre chi-istliche und gelertte prae-
ceptores und vorstendige gottselige hott'meister sollen jederzeit zu-
geordnet und gehaltenn werdenn, die sie zu wahrer gottesfurcht und
zu allen christlichen fürstlichen tugenden und geberden uferziehen
sollen nach Inhalt unserer derwegen gestellten Instruktion, auch zum
Studiren vleissig anhaltten, darmit sie die lateinische spräche, histo-
rias und institutiones jui'is perfecte lernen, und sich derselbigen in
fürfallenden hendeln nutzlich gebrauchen mögen, auch gelehrtte und
vorstendige leutte in iren votis und consiliis desto besser vorstehen
mugen.
Es folgen eingehen-(le Bestimmungen über die Stellung
D. Caspar Melissanders-^), der den ältesten Prinzen bis-
her unterrichtet und sich des Herzogs volles Vertrauen
erworben hatte. Er sollte auch fernerhin des Schutzes
sowie der Dankbarkeit seiner Schüler sicher sein.
Eine eingehende Bestimmung betrifft noch die Er-
ziehung des jüngsten Prinzen Johann, der damals erst
in seinem dritten Lebensjahre stand =^^):
Ferner ordenen wir, dafs unser jüngster Sohn, Herzog Johans,
nach erlangttem achttem oder neunden jähre beraelttem D. Melissander
oder do ehr nicht mehr vorhanden, einem andern gottseligen prä-
ceptori zui- Institution und disciplin vortrauet und befohlen werden
2'^) Die Räte hatten Befehl, sehr bestimmte Erklärung abzu-
geben, hatten doch die fürstlich weimarischen ßäte dem Kurfürsten
keine offizielle Anzeige von dem Ableben des Herzogs zukommen
lassen. Erst nachträglich geschieht dieses in einem Schreiben vom
7. März datiert, dasselbe traf aber erst am 1 6. März in Dresden ein.
Vergl. in dem mehrfach genannten Aktenstücke 151. 38. 40.
"'') Ebenda Bl. 98. 108.
2ä) Ebenda BL 56 — 59. Über die religiöse Erziehung auch
Bl. 52.
"■') Vergl. über ihn Allgemeine Deutsche Biographie H, 626
s. V. Kaspar Bienemann.
'•^^) Er war geboren am 12. Mai 1570 und starlj am 31. Ok-
tober 1605.
Zwei Unterrichtspläne etc. 251
soll. Mittlerzeit aber soll er Ijej der frau mutter, unser l'reundlich
herzlieben gemahlin, gelassen und im lesen und sclireilien unterrichtet
und im Catechismo durch einen sondern paedagogum institniret und
gelehret werden.
Noch eine wichtige Bestimmung trifft der sorgsame
Vater, sie betrifft die Unterlassung der damaligen Ka-
valierfahrten. AVie vielfach davor gewarnt wurde, wie
z. B. Jacob Andrea von ihnen abriet, weil die Söhne,
an Leib und Seele geschädigt, nach der Heimat zurück-
kehrten, so wünscht auch Johann Wilhelm nicht, dals
seine Söhne dieser Sitte gemäfs fremde Höfe besuchen
sollten.
Ob uns nun wohl auch unvorl)orgen . dafs man junge Fürsten
an grofser Potentaten und Herren Höfe pfleget zuvorschicken, darmit
sie allerley guts sehen, hören und lernen, auch gnade und förderunge
erlangenn mugen,- und in kundschafft kommen und dardurch desto
geschickter zue der regierunge schreitten, so wüsten wir doch itziger
zeit keinen ort, sonderlichenn unrechter oder streittigenn religion
halben, welche itzo fast allenthalben ulierhandt genohmen, und die
hofzucht und ritterliche \ibunge in grofsen abgang kommen, dargegen
al)er sundtlich und ergerlicli leben eingefürtt, derhalben wir nicht
rathen können, unser lieben söhne einen, auch nach erlangtten mun-
digen Jahren an einigen fremden hof zu veischicken und ziehen zu
lassenu. Demnach ordenen tmd wollen wir, dafs unsere lieben söhne
sich in iren angeerbtten förstentumben und landenn erhaltenn und
pleiben , und mit solchen chiistlichen räthen und dienern täglich
umbgehen sollen, von welchen sie nicht allein alle gottseligkeit,
sonderlich alle fürstliche fugenden und geberde , geschicklickeit in
den handeln, auch zue zeitten ritterspiel hören, seilen, lernen und
üben mugen, Avelches alles mit l)esserer gelegenheit, auch wenigere
uncosten und gefahr geschehen kau und mag, als an frembder poten-
taten und herren hofe , allda man inen doch eigne hofmeistern und
dienern zu haltten nicht kan umbgang haben. Doch ire herren und
freunde und zuvorderst die kayserliche Majestät auf reichstagen,
krönungen und sonsten zu ersuchen , damit sie bei den leutten und
dann iren freunden in kundschafft kommen, und do in furnemcn
fiirstenhöfen die relligion rein und lautter sein wurde, soll hiemit
nicht gemeintt sein.
Der Ernst, mit welchem die Bestimmungen entworfen
waren , wurde auch von dem Kurfürsten und seinen Räten
geteilt. In den folgenden Verhandlungen bezeichnete man
mehrfach die „Erudition und Disciplin" der Prhizen als
etwas, „doran dem Hause zu Sachsen undt der ganzen
Landtschaft viel gelogen"'^'). Die Abweichinigen, welche
bezüglich des Testaments getroffen wurden, bezogen sich
zunächst auf die religiöse Parteistellung. Im Ein-
verständnis mit der Landschaft wurde der Einiiuls des
31
) Loc. 4394. Hertzog Johann Wilhelm etc. lil. 254 ff.
252 Georg Müller:
Flacianismus zurückgedrängt'^-). Damit fiel aiicli die
Persönlichkeit, welche Johann Wilhelm so warm als Er-
zieher seiner Söhne empfohlen hatte, Dr. Caspar Melis-
sander. An seine Stelle sollte zunächst M. Egidius
Salius kommen ■^■^); doch scheint seine Stellung zur kur-
fürstlichen Regierung nicht die wünschenswerte Sicher-
heit gewährt zu haben; man zog vor, ihn an der Uni-
versität Jena zu verwenden. Nach längeren Verhand-
lungen fiel die AVahl auf Balthasar Sartorius, Superinten-
denten zu Grimma, der mit der Superintendentur die
Oberaufsicht über den Unterricht der Prinzen übernehmen
sollte. Joachim Camerarius hatte die Wahl gebilligt,
weil Sartorius sich unter seiner Leitung mit Begeisterung
den klassischen Studien gewidmet und dann als Lehrer
in Schulpforta sich die nötige pädagogische Erfahrung
erworben hatte ■^^).
Neben ihm war seit Ende des Jahres 1574 Justus
Ludwig Brysomannus mit der Erziehung des älteren
Prinzen betraut. Er genols das Vertrauen des Kur-
fürsten in hervorragendem Grade. Eine Eeihe von Jahren
war er Rektor des Zwickauer Gymnasiums gewesen und
hatte sich in dieser Stellung durch eine Reihe wichtiger
organisatorischer Maferegeln um die Schule verdient
gemacht'^'). Als Lehrer des jüngeren Prinzen Johann
wird später Wolfgang Monner genannt "*'').
Längere Zeit erfahren wir nichts Näheres über die
Erziehung der Herzöge. Da wird eine längere Korre-
2^) Vergl. in dieser Richtung den hochinteressanten Bericht
Lukas Tangeis vom 2. März 1573, dem Todestage Herzog .Johann
Wilhelms. Der Verfasser wünscht: „Gott wolle den unnötigen Fla-
cianischen Wesöhen und Geschrei einstmalig ein Ende machen" und
schlägt eine völlige Austreibung sämtlicher Flacianer vor. Ahnlich
lautet das Gesuch der Landschaft vom 9. März. Beide Schreiben
im obengenannten Aktenstück Bl. 10 ff. und 20 ff.
^■') Er scheint Unterstützungen selten des Kurfürsten genossen
zu haben. Dieser bewilligt seine Wiederanstellung in .Jena, „damit
wir des Uncostes, so wir bishero jehrlich auf ihnen gewendet, ge-
übriget sein mögen". A. a. 0. Bl. 264.
31) Ebenda Bl. 277. Bericht der Eäte vom 14. April 1573.
Über die Verhandlung in Leipzig mit Camerarius und seinem
„schwehcr Doctor Salomuut" • (Heinrich Salnmth) vergl. ebenda
Bl. 383.
"■') E. Herzog, Geschichte des Zwickauer Gymnasiums
(Zwickau 1869), 26 f. E. Herzog, Chronik von Zwickau II,
314. 327.
3") Loc. 10639, Weimarische Visitation 1580. 81. 83.
Zwei Unterrichtspläiie etc. 253
sponrlenz durcli eine wirtschaftliche Frage veranlalst-^').
Auf Befehl der kurfürstlichen Räte waren nach Johann
Wilhelms Tode die Kleinodien und Wertsachen taxiert
und versiegelt worden, unter anderen auch ansehnliche
Vorräte von Seidenzeug. Als nun die Prinzen heran-
wuchsen, wünschte die sparsame Mutter das letztere
vom Untergang durch Motten und Moder gerettet und
ihre Söhne in die kostbaren Stoffe gekleidet zu sehen.
Sie schrieb daher an den Kurfürsten, der auf ihre Bitte
bereitwillig einging und die nötigen Anordnungen er-
liefs^'^). Das Verzeichnis der einzelnen Stücke gestattet
einen interessanten Einblick in die Moden der Zeit-^'*).
Scharfe Auseinandersetzungen über die Erziehung
der Prinzen brachte das Jahr 1580^'^). Als Jacob An-
drea die Visitation und den S^'uodus auch in dem herzog-
lichen Sachsen abhielt, wurde er wegen des Unterrichts
der jungen Herzöge befragt und um Unterstützung der
Absicht angegangen, für Friedrich Wilhelm besondere
Lektionen in den römischen Institutionen einzurichten
und dieselben dem Hofrat Vigilius Pintzker anzuvertrauen,
der zum Hofstaate der Herzogin gehörte und den Unter-
richt des Herzogs Johann leitete. Aber dieser Vorschlag
Stiels in Dresden auf gewichtige Bedenken. Wohl schien
Pintzker wissenschaftlich für dieses Amt nicht ungeeignet
— war er doch Professor an der Universität Jena und
später an der Juliusschule zu Helmstädt gewesen — ,
aber er gehörte zur Partei derer, welche der kurfürst-
lichen Regierung möglichsten Widerstand entgegensetzten.
Hatte man seine Verwendung bei der Erziehung Herzog
Johanns gestattet, so glaubte man seinem Bemühen nicht
ruhig zusehen zu dürfen, auch die Erziehung Johann
Friedrichs in seine Hand zu bekommen.
"") Hauptstaatsarcliiv in Dresden, Loc. 8040. Inventariuni weij-cn
von der Veiiassenscliaft llerzoi;- Johann AV'ilhelms zn Sachsen in
Beschhig genommener Kleidungsstücke und .Tnwelcn. 1577 — 151S1.
Loc. 10638. Derer von Herzog .lohann ^Mlhehn hinterlassenen
kleinodien und Kleider Besichtigung und Inventirung betr. 1.579.
*^) Schreiben vom 3. August 1579, im letztgenannten Akten-
stück.
"") Verzeichnet sind 15 Stücke Sammt, Taffet. Atlas: grau ge-
mostert, leljcrfarben gemostert, schwai'zer schliciit oder glatt, schwarzer
darauf unsers gnedigen f. und herrn und S. f. Ct. Gemaiill iiahnn ii ;
leberfarbener, aschcfarbner, kaniiasin, grün, rotli etc.
'^') Loe. 10639, Weimarische Visitation 1580. 81. 83.
254 Georg- Müller:
Ein lange verhaltener Groll des Kurfürsten gegen
Dorothee Susanne kam nun zum Ausbruch. Er gmg aus
dem Argwohn hervor, die Herzogin mache den Versuch,
die von dem Kurfürsten entlassenen Käte und Geistlichen
wieder an ihren Hof zu ziehen. Wie es scheint, auf
Andreas Vorschlag, waren ihr mehrfache Konzessionen
gemacht worden ^^). Jetzt sollte eine eingehende Unter-
suchung angestellt werden. Eine kurfürstliche Kom-
mission wurde abgeordnet. Einen Hauptpunkt ihrer In-
struktion bildet die Erziehung der Herzöge. Schon mehr-
fach hatten diese die Ungnade ihres Onkels fühlen
müssen. Sie hatten um die Erlaubnis gebeten, die
„Hirschbrunst" mitmachen zu dürfen, aber die Antwort
kam erst, als die Zeit bereits vorüber war. Die Her-
zogin bat für ihre Söhne um die Erlaubnis, zur bevor-
stehenden „Schweinhatz" nach Altenburg kommen zu
dürfen. In den Akten findet sich keine Antwort. Jetzt
wui^den die Leistungen der Herzöge einer eingehenden
Untersuchung unterworfen.
Die kurfürstlichen Räte fordern zunächst von dem
Lehrer Friedrich Wilhelms, Brysmannus, einen Bericht
über die Leistungen des Prinzen^-). In einem Schreiben
vom 25. Oktober 1580^") schildert der herzogliche Prä-
zeptor eingehend den Studiengang seines fürstlichen Zög-
lings und spricht sich anerkennend über die Fortschritte
aus, die derselbe während seines Aufenthalts in Jena
gemacht habe. Bereits um Pfingsten habe er mit der
Lektüre des Corpus iuris begonnen und jetzt das 10. Ka-
pitel des ersten Buches beendet. Zum Beweis der
Leistungen des Prinzen sendet er ein von diesem ge-
schriebenes Specimen ein, das sich aber nicht in den Akten
**^) Vergl. ebenda. Verschiedene Berichte der Räte an den
Kurfürsten vom Oktober 1580. Namentlich in der Instruktion für
die Räte vom 26. November 1580: Für die Erziehung des Herzogs
Johann waren 1000 Gulden ausgeworfen; diese würden nur dazu
verwendet, „damit nicht allein die Kirchendiener, sondern auch die
Politici, weiche von uns zuvore gleichergestalt darumb enturlaubt
worden", wieder angestellt würden.
■"-) Befehl des Kurfürsten an Brysmannus vom 13. Oktober 1580
im genannten Aktenstücke.
'*'') Ebenda. Hier finden sich auch verschiedene lateinische und
deutsche Gesuche des Brysmannus an den Kurfürsten, die Kurfürstin
und die Räte, in welchen er um Zulage zu seinem Gehalte bittet
und manche Nachrichten über sein Vermögen, seine Eannlie, sein
Verhältnis zum Kurfürsten etc. einüicht.
Zwei Unterrichtspläne etc. 255
findet ^^). Seit der vor kurzem vollzogenen Übersiedeluno-
nach Weimar habe sich aber bei dem Herzoge eine grolse
Unlust eingestellt; diese sei durch die höfische Umgebung
bestärkt worden, welche auf ihn einen ungünstigen Ein-
flufs ausübe.
Auf Grund dieses Berichtes wurde die Kommission
streng "'■^) angewiesen, den Thatbestand festzustellen, die
Übelstände zu beseitigen und auf eine strenge Erziehung
des Prinzen hinzuwirken. Namentlich sei berichtet
worden, dals derselbe mit Spielen, Ausreiten und Mülsig-
gehen viel Zeit verliere und dafs sein Hofmeister, Wil-
helm Münch, einen grolsen Teil der Schuld trage. Er
soll angewiesen werden, seinem Amte fleifsiger nach-
zugehen.
Über die Thätigkeit dieser Kommission liegt ein
eingehender Bericht vor^*'), aus welchem hervorgeht, dals
der Prinz den guten Willen bezeigte , sich den Anord-
nungen der kurfürstlichen Kommission zu fügen, „wie er
dann nach Gelegenheit seines Alters in conversatione
quotidiana ein mediocre specimen suorum profectuum in
studiis die Zeit unseres Anwesens ediret, auch von uns
vleilsig ad continuationem studiorum ermahnet worden".
Er hatte selbst um Begutachtung seines Stundenplanes
gebeten, der die Billigung der Kommission erfuhr. Auch
war sie damit einverstanden, dals der Prinz in die Re-
gierungsgeschäfte eingeweiht würde zur Bildung seines
Judiciums, das noch schwach sei. Brysmannus wurde
angCAviesen, den Unterricht in der früheren Weise fort-
zuführen, auch die Lektion der Institutionen zu behalten,
AVährend Pintzker und Ratzeberger angemesen wurde,
„anderer unbefohlener Sachen sich nicht anzumalsen".
Auch die Erziehung des jüngeren Herzogs, Johann, wurde
einer Prüfung unterworfen.
Besonders wichtig sind die Unterrichtspläne, die bei
der Visitation von den Lehrern den Räten übergeben
wurden und in den Akten enthalten sind"). Sie be-
") Dagegen liegt dem Bericht noch die mit eingeschickte
„Summa studiorum" l^ei, aus welcher hervorgeht, dafs auch Nicolaus
Sehiecker tVüher wegen der religiösen Erziehung des Prinzen um
K.at angegangen worden war.
■'•'•) Ebenda. Instruktion für die kurfürstlichen Räte, die m
Weimar visitieren sollen vom 2(i. Novemlicr 1580.
'»") Bericht vom 25. Dezember 1580 in dem mehrfach genannten
Aktenstück.
•»^) Ebenda.
256 Georg Müller:
aiispruclien um so gröfseres Interesse, als sie die ältesten
derartigen Dokumente darstellen, welche aus dem Prin-
zenunterriclit der Wettiner erhalten sind. Sie gelangen
daher im folgenden zum Abdruck.
Bemerkt sei noch, dals drei Jahre später von der
Erziehung des Herzogs Johann die Rede ist, als die
kurfürstlichen Räte den Vorschlag machen, ihn „ex ma-
terna educatione" zu nehmen und an einen anderen, viel-
leicht den kurfürstlichen, später den kaiserlichen Hof zu
schicken**). Ob dieser Plan von dem Kurfürsten ge-
billigt worden sei, geht aus den Akten des hiesigen
Hauptstaatsarchivs nicht hervor. Dagegen veranlalste
die Verheiratung Friedrich AVilhelms mit Sophia von
Württemberg und die dadurch bedingte finanzielle Aus-
einandersetzung mit seinem Bruder Johann eingehende
Verhandlungen der kurfürstlichen Räte*"), wie einen
Briefwechsel Dorothee Susannas mit dem Kurfürsten, in
welchem sie hervorhebt, wie sehr ihr der Friede inner-
halb der Familie am Herzen liege'").
Beide Prinzen sollten übrigens noch eine hervor-
ragende Bedeutung in der Geschichte des wettinischen
Hauses erlangen: Friedrich Wilhelm als Administrator
Kursachsens nach dem frühen Tode Christian I. , Johann
als Stammvater der Herzöge ernestinischer Linie •''^).
Beilagen.
No. 1.
Unterrichtsplan für Herzog Johann Friedrich IV. im Jahre 1580
von Justus Ludwig Brysmannus.
Hauptstaatsarchiv Dresden, Loc, 10G39. Weimarisclie Visitation 1580. 81. 83. Bl. 31—34.
Naclideme von einer woUöblichen Cliurfurstliclien Regierung
mir auferlegt, die Form vmid Curfs der Studien meines gnedigen
Fürsten und Herrn, so ich hinfuro zu halten l)eda(ht, schrifttlichen
zu übergeben, soll aus schuldigen gehorsam ich mich dessen nicht
wegern.
^*) Ebenda. Letzte Lage.
"*'-') Berichte vom 21. Juni, 1. .Tuli, 18. September, 19. Dezember
1583 in dem Aktenstücke: Loc. 10638. Hertzogk Friedrich Wil-
helms zu Sachssen etc. Rat belangend. 1583/85.
•''") Ebenda Brief vom 31. August 1583: dann wafs für unüber-
■windtlicher und unwiederpringlicher schadcnn unnd nachtcill diesem
thoill defs hauses Sachssen durch erfolgte brüderliche uneinigkeitt,
welche lose leuth, die ireu verdienten lohn darüber bekommeu, an-
Zwei Unterrichtspläne etc. 257
Unud uachdeiue itziger uucl kurtzveiiassener weile von Leuten
ich nidergesetzet, und meiner Institution nicht zum besten erwehuet
wii't, soll und mufs ich kurtzlich melden, das mein Preceptor-Ampt
nicht allein auff die Grammatic und Latein , wie mancher denekt
und schimpflich davon redet, gerichtet, sondern auf ein mehrers
siehet, und bifs anher gesehen , als , damit das jung fürstlich Gemüt
zu warer Gottseligkeit, so nicht inn euserlichen Schein, Worten, und
nnczeitigen Eiver stehet, sondern inn guten Gewissen, warer An-
rufung, Lieb, und Furcht Ires Gottes, welche Stuck mit denWercken,
allen Christlichen Tugenden, Lieh unnd Gutigkeit sollen und müssen
erwiesen werden.
Ferner, das neben den Studien, Erkeudtnis und Wissenheit der
Sprach vnd Kunst, soviel dero Hochgedachten M. G. F. u. H. hat
nu;gen vorgehalten werden, inn alle wege auf den Wandel, Sitten
und Leben gesehen worden, damit nach vorgeschriebener Lehr und
Exempeln der Tugende zu gleicher Nachfolge gangen , und das
Gegenspiel vermieden wurde.
Innsonder aber ist zu jeder Gelegenheit angetzogen und fest
eingebildet worden, was zu fürstlicher Tapferkeit, ßestandt vnd Ver-
standt, Moderation, Bescheidenheit, Liebe der Warheit, Auffrichtig-
keit, Lindigkeit und Sanfftmut, gute Anleitung geben.
Ist auch nicht vergessen worden zu erinnern : Herrn sindt
nicht dohin gesetzt, Alleine mussiggangs und der wollust zu pflegen,
wie leider wol leut unter Alten und Jungen gefunden werdeun, so
eines solchen beredet, auch andere bereden, sondern das sie Gottes
Stathalter, und göttlicher Empter Pfleger sein sollen, und schwere
Rechnung darumb zu thun haben.
üund alldieweil einen kunflttigen Regeuten nichts nötiger, dau
Richtigkeit des Judicii, unter Leuten vnd Hendeln Unterschiedt zu
halten,
Als ist mein vornenie Arbeit gewesen, zu berurter Richtigkeit
.Judicierens und Urtheilens das Fürstlich Gemüt nach meinem besten
Verstandt zu füren, damit inn allen furfallenden Sachen, Reden,
Anbrengen , nichts aus Zu- oder Abneigung , aus ungewissen Ver-
dacht, auf zweifelhafttigen Bericht, judicieret, gesprochen, gelobet
oder gescholten werde, sondern auf vorhergehende gnugsame
Erkundigung und satten eingenomeneu ungezweifelten Bericht
alles ruhe.
Hierumb warnunge geschehen, für Klaifern, Schmeichlern,
Ohrenblesern , Calumnianten , bösen Geselschaften und dergleichen
schedlichen Gesten, als für ein gifft sich zu hüten.
Wie vnd waser gestalt inn Reden, Geberden, Deutungen und
anderen zu faren, was allenthalben zu meiden, soll vnd magk hie
nicht erczelet werden. Hab aber im vorigen .Jar ein wol lange
schrifft oder Buch an M. G. F. v. Herrn gehen lassen''"), darinne
bedes itztberurte stuck ausfurlich liegrift'en, auch daraus zu ersehen,
was der scopus und Ziel meiner Institution gewesen , als die nicht
gestiftet, begegnet, solches haben wir selbstcnn mitt schmertzenn er-
f hären. In einem späteren Schreiben vom 15. Dezember 1683 regte
sie die Frage an, ob nun ihr Sohn die Regierungsgeschäfte in seinem
Namen vollziehen solle.
'*') Beck, a. a. 0. II, 33L
^2) Es ist mir nicht f/clungen^ dasselbe im hiesigen K. Haupt-
stantsarchive ausfindig zu machen.
Neues Archiv f. S. (i. u. A. XI. ;}. 4. 17
258 Georg Müller:
auff einen geferbten Schein , schedliche Judulgeutz , oder Captation
wanckelhaö'tiger Gunst gerichtet, sondern auf Gottes Wort, hoch-
verstendiger Leut Bedenken, und auf die Erfarung, ernstlicher
trewer Wolmeinung, gegründet.
Und ob ich wol, wil nicht sagen-, gemelter Schrifft halben,
sondern das ich erwehnter Form bestendigk nachgangen, nicht Jeder-
man zu gefallen , hab reden vnd thun können , tröste ich mich doch
meines Gewissens , und unpartheiliches Urtheils, derer, so mir etwas
neher beigewohnet, oder berurte Schriift lesen möchten; Den ich
jederzeit, Gott lob, vnd sonder unczimlichen Rhum zu schreiben,
mir vorgesetzt, inn meiner Institution dermasen zu vorfaren , damit
ich Gott zu gefallen thete, und Hochgedachter M. G. F. u. Herr
inn Zukunfft, nach bestetigten Alter, und erlangten bestendigen Ju-
dicio, ein gnedigs Gefallen daran haben, und ich also aus diesen
meinen sorgklichen, und derzeit Gelegenheit nach beschwerlichen
Diensten, reine Hend und ein gut Gewissen bringen möchte, als der
ich mich getröste , das zur Zeit an Tag und ans Licht komen werde,
was ein Jeder geleret, und vorgewandt, und was er drinne gesucht
und gemeinet.
Solches hab ich meiner hohen notdurfft nach erinnern müssen,
wil nu gar kurtz vermelden, welcher gestalt ich hinfuro, do es Gott
unnd meiner gnedigsten Obrigkeit gefellig, meine Institution zu er-
strecken gesinnet.
Betreffend die Religion und Übung göttliches Worts, welche
weder zu dieser Zeit, noch die gautze Frist des Lebens bei christ-
licher Herrschafft, laut göttliches ausdrucklichen Befehls, sol und
mag übergangen werden; dieweil desfals von dem Ehrwirdigen und
Hochgelarten Herrn Doctor .Tacobo •"'*'), welchen ich achten mufs, des-
fals Befehl haben, Ziel und Mas gestellet, das man aus teglicher
Lection der Biblien, vom Herrn Doctor Luca Osiandro mit gelerten
unnd kurtzen Commentarien zugerichtet"), erwehnte Übung halten
solle, als las ich mir solches auch nicht missfallen.
Die Übung der lateinischen Sprach , so M. G. F. u. Herrn
hochnötigk, stehet inn vielen und steten Schreiben und Lection der
besten römischen Scribenten, darumb auch hinfuro teglich zum
wenigsten ein Stund mit lateinischen Schreiben, auch Lection der
Officiorum Ciceronis („welcher der best unter allenn"), ein par
Stund inn der Wochen zugebracht werden solten. Den dieses Buch
nicht allein der Sprach halben, sondern wegen der ausbundigen
Lehren, von gewaltigen Regenten wirdig geachtet worden, das man
es nicht allein lese, sondern auswendig lernen solle.
Es sindt auch M. G. F. u. H. die Oommentarij C. Julii
Csesaris der Historien und Sprach halben ein Zeit her gelesen
worden. Dieweil dan derselb Man vom Cicerone selbs an Zierde
der Lateinischen sprach allen Römern vorgezogen wirt, und die
^*) Gemeint ist Dr. Jacobus Andrea, s. oben S. 353 /Ig. Er war
übrigens der Schivager L. Oslanders.
^) Gemeint ist L. Osianders Biblia latina, ad fontes hebr.
textus emendata, cum brevi et perspicua cxpositione illustrata.
Tübingen 1573 ff., ein für die Alumnen der württembergischen
Kloster schulen geschriebenes Buch, von dem die Zeitgenossen
meinten, seit der Apostelzeit sei kein nützlicheres Buch herausge-
kommen. Herzog- Plitt, Eeal-Encgklopädie für prot. Theol. und
Kirche (3. Aufl.) XI, 130.
Zwei Unterrichtspläne etc. 259
Kriege, so er mit dem Schwert siegbafft gefüret, mit der Fedder
schön und herrlich selbs beschrieheu, achtet ich nicht für unnötigk,
solche Lection anch mit eiuzutheilen, wan es an Zeit nicht mangeln
wurde.
Das Buch Herrn Cuuradi Heresbachii'^''), des Durchlauchten
vnd Hochgeborneu Fürsten uiind Herrn, Herrn Wilhelm Hertzogen
zu Jülich etc., weilandt gewesenen Preceptorn, dieweil es nicht allein
die erste Zucht und Unterweisung Junger Herrschaift herrlich lie-
schreibet, (weite Gott, das solches bei allen hohes Standes Personen
gelesen, und was darinn geleret, wircklich vollzogen wurde,) sondern
auch die ersten Tyrocinia zukünftiger Regierung inn sich fasset,
mag one Nachteil nicht dohinden Ideiben.
Die Dialectica, darinnen der Weg gezeiget wirt, ordentlich zu
leren und zu lernen, Recht und Unrecht zu unterscheiden, falschen
und ungegründeten Einfm'ungen mit Behendigkeit zu begegnen, soll,
geliebts Gott, inn wenig Wochen zum End gebracht und widerholet,
auch nachmals gar kurtzer Bericht einer ordentlichen rhetorischen
Oration gezeiget werden.
Die Institutiones Juris Ciuilis, so wir bifs anher über den
xiiij Titel, wegen nechst angedeuter Uisach''")- nicht bringen mugen,
werden auch, woferne die Hindernifs eingestellet , iren Fortgang
haben. Inn dero Anfang ich zwar M. G. F. u. Herrn etwas schreilten
lassen von Ankunift und vermehrten Weitleuftigkeit des Römischen
Rechten, und wie durch Schaffung Keisers Justini an i aus un-
tzeligen Büchern das Corpus Juris, so man noch hat, zusamen ge-
zogen, auch etwas von den Zeiten ermeltes Keisers, und Zustandt
des römischen Reichs, welches dazumal von denn Barliarischen Völ-
ckern jemmerlich zurissen, durch seine treffliche zween Kriegs-
obristeu, Bellisarium vnd Narseu, wider aufgerichtet, denen nach-
mals für die höchste Wolthat, schrecklicher Undanck worden etc.
Hierzu dan Ursach geben der Eingang beredeter Institutionum und
die prechtigen Titel, so dazumal wider Gewonheit der alten Römer
uberheufet worden, welches mir numebr von etlichen zu grosem
Verweis gezogen wirt. So hab Ich doch, alsbalt wir zum Anfang
der Titulorum griffen, nichts ferners schreiben lasen, sondern den
blosen Text, und desselben verstendtlicbe Meinung nach Vermugen
erkleret, allein das icli I>edacht, wie auch anfengklich geschehen,
woferne mir solche Lection nicht abgenomen ■"'''), eines jeden Titels
Partitionera Dialecticam inn einen kurtzen Schematismum oder Figur
zu fassen''^), damit dieselbe Ijalt imm gesiebt sei, und dem gedeclit-
nis mit desto weniger Muhe eingel)ildet werde. Ist auch bifsweilen
aus beigesetzten Glossen etwas mit angezogen worden.
55) Vergl. Konrad Heresbach, Alhj. Deutsche Biographic
VI, 103—105. Das Buch führt den Titel: De educandis erudien-
disque principimi libcris.
•''<') Es war die IJbersiedching des Prinzen nach Weimar und
gelockerte Disziplin, vergl. o. S. 256.
■'■'■') Der Unterricht wird ihm ausdrücklich bestätigt , s. oben
S. 255.
'■'*) Diese Schcmatisiernng v;ar ein damals hdufiii vorkom-
mendes pädagogisches Hilfsmittel. So schrieb Johann kivius der
Jüngere eine schematische Übersicht zu Ciceronianischen Schriften,
Vergl. meinen Artikel .Tohaun Rivius (Sohl) in der Allg. Deutschen
Biographic Band 20.
260 Georg Müller:
Das ich aber vielhocbgedachteu M. G. Herrn iiiii das gautz
Corpus Juris, oder dasselb iuu die lustitutiones füren solte, ist
meines Vermugens, auch M. G. H. Gelegenheit und Captus nicht.
So ist kundt und oifeubar, das der Imperator selbs in Institutionibus
solchen Process mit klaren Worten an den Anfahenden verwirfet,
achtete derwegen mehr die notdm-fft sein, die sorge so wegen der
vielgedachten Institution vorleuffet, auf das gantz Corpus der Stu-
dien, und Gubernation des fürstlichen jungen Gemütes anzuwenden,
welches mit grosen Fromen jederzeit hett geschehen mugen,
Endtlich, das jungst Meldung geschehen, wie auch die ßudi-
menta Grsecpe Linguae sampt den griechischen Evangelien, vnnd
etlichen Opusculis Isocratis und Plutarchi von fürstlichen Weseu,
etlichen jungen Herrn und edlen Knaben, so dieser Dinge einen
Anfang mit sich bracht, gelesen, unnd M. g. Fürst F. u. Herr zu
denselben , doch mit Willen , soviel mir wissentlich , auch getzogen
worden, hat mich auch dieses hierzu bewegt, das in einer Instruc-
tion, so von unser gnedigen Fürstin vnd Frawen^^) etwan inu meiner
Ankunfft mir zugestellet, namhaiftig gesetzt, Sein F. G. Grteca
Lingua zu unterweisen, mit klarer Vermeidung, das S. F. G. für
acht Jaren von D. Melissander '^o) den Anfang solcher Sprach all-
bereit soll gelernet haben.
Soviel hab ich auf empfangenen Befehl, die Studia vielhoch-
gedachts M. g. F. u. H. belangende, berichten sollen. Gemessene
Zeit vnd stunden, wie obbemelte Lectiones einzuteilen, haben nicht
mugen gesetzt werden, Die weil sein Fürstlich Gnad numehr, Gott
lob inn die Rathstuben zur Audientz^^) mit gezogen werden soll,
wirt demenach die Zeit und Gelegenheit solches zeigen. Stelle difs
mein Bedenken zu wolobgemelter Regierung"'^), befodderst aber zu
Churfurstlicher Durchlauchtigkeit zu Sachsen etc. meines Gnedigsten
Herrn, gnedigster Erkendtuis und Verbesserung, Dero Churfurstlichen
Gnaden gnedigsten Willen unterthenigst inn allen Dingen mich
unterwerfende, ungezweifelter unterthenigster Zuvorsicht, do Ihre
Churfurstliche Gnaden beihabenden Beruf und Ampt mich ferner zu
wissen, und Jemand beizuordnen bedacht*'^), Ihre C. F. G. werden
die Person gnedigst anordenen , so aus christlichen friedliebenden
Hertzen mit mir- zu bawen unnd bessern, einen guten eintrechtigen
Willen haben werde.
•'") Sophia Dorothea. Die Instruktion ist im Dresdner Archiv
nicht vorhanden.
^) Er war als Mitglied einer kaiserlichen Gesandschaft in
Griechenland geivesen. Vergl. Allg. Deutsche Biographie 2, s.
V. Bienemann, Caspar.
^1) Über den Vorschlag Friedrich Wilhelm zur Bildung seines
„Judiciums" in die Begierungsgeschäfte einzuführen, vergl. oben
S. 255.
**2) Gemeint sind die von Kurfürst August eingesetzten Bäte.
ö^) Davon wird, wie es scheint, abgesehen, obgleich für die
Institutionen ein junger Jurist, L. Caspar Schelhammer, der in
Leipzig studiert und promoviert hat, noch ledig und zu dem Amte
lüohlgeschickt ist, vorgeschlagen worden ivar. Loc. 10639, Wei-
marische Visitation. 1580. 81. 83. Berichte der Bäte an den
■Kurfürsten vom 13. Oktober 1580.
Zwei Unterrichtspläue etc. 261
No. 2.
Unterrichtsplan für Herzog Johann ans dem Jahre 1580.
Überreicht von WoJfgang Monner.
Hauptstaatsarchiv Dresden, Loc. 10G39. Weimarische Visitation. 1580. 1581. 83. (Gegen
Ende des Aktenstückes.)
Wie und weleliergestalt der Durchlauchtige uniid Hochgeborne
fürst unud Herr, Herr Johaiis, Herzogk zu Sachfsenn, Lanntgraf
inu Doriugemi uiuid Marggraf zu Meifsen bifs anhero , sonderlich
aber itzo im studio unud iuu der Lere teglich unterwiesemi worden
iiiiud noch:
Erstlichen uund vor allen Dingen pflegt der Herre zu den ver-
ordenten Betstunden als früe umb achte, unnd abents ein virtel nach
siebenn vor dem Disch stehent, mit gefaltenen Hennden, den Mor-
genn- unud Abentsegen unnd die fünf Hauptstucke des heiligenn
Catechismi, sambt einem Stuck der Auslegunge, wie sie inn ermeltem
Catechismo Lutheri begriffen, ordentlich zu betenn, auch also balde
darauf zweeue deutsche Psalmenn unnd zwei Spruchlinn aus der hei-
ligenn Schrifft nebenn seinem »Sj-mbolo auswendig zu recitiren, unnd
zum Beschlufs durch die gantze wochenn das negste Latein, so er
den Tag zuvor gelernet, aufzusagen, unnd darnebenn ein kurtzes
Proverbium (deren bei 200 inu einem kleinen Handbuechlinn auf-
gezeichnet) als: manus manum lavat, Propria laus sordet, sambt
einer Regell aus dem (!) Syntax teglich zu wiederholenn.
Weiter werden mit dem jungen Herrn des Montags unnd
Dinstags frue nach volnbrachtem Gebete bifs auf 9 Uhr etliche
lateinische Wörter expetieret (wohl repetieret gemeint), unnd ihme
aufswendig zu recitiren uferleget, damit er solche, weil deren eine
zimbliche Anzal, über die 2000, durch stetige Ubunge bin frischem
gedechtnus desto befser behaltenu möge. Vonn 9 hora bifs auf halbe
zehenn Averden aus Anordnunge des Herrn Doctoris Jacobi Andreae
die Institutiones iuris Justiniani textualiter unnd grammatice ercleret,
unnd die Declinationes, Coniugationes unnd Syntaxis daraus repetirt.
Folgendes bifs auf zehenn die Quaestiones de primis rudimentis
Grammaticae ex Philip. Melant: in Electoratu Saxoniae gelesenn,
unnd darnebenn ein neues, sonderbares Latein der Frau Mutter auf-
zusagenn, ihme furgeschrieben.
Nach Mittage auf bemelte zweene Tage, Montags unnd Dinstags,
von ein Uhr bifs uf halbe zwei schreibet der Herr lateinisch, fol-
gendes bifs auf zwei werdenn dem Herren die Institutiones Juris
noch weiter, unnd was inn den Früestunden vorblieben, grammatice
ausgeleget. Von zweien bifs uf drei Uhr wird ein lateinisches
Spruchlein ex Proverbiis Salomonis exponirt, unnd darnebenn die
Grammatica daraus geubet, auch das Spruchlein Salomonis sambt
dem Latein auswendigk gelernet.
Mittwachs (sie !) nach volnl)rachtem Gebet unnd Wiederholunge
des Tjateins , proverbii unnd Regulac Syntaxis bifs auf 9 Uhr pflegt
der Herr ab(>rmals etliche lateinische Wörter aus dem Lateinbuch,
so .«sonderbar dartzu gemacht, memoriter zu recitiren, darnach die
fünf Hauptstuck des Catechismi blofs, unnd ein Stück mit sambt der
Auslegunge secundum ordinem Catechismi lateinisch zu exponiren;
folgendes bifs auf zehen deutsch zu lesen , unnd das neue liatein zu
lernen.
262 Georg Müller: Zwei Uuterrichtspläne etc.
Nachmittage des Mittwochs mufs der Herr den deutschenn
Catechismum samht der Aufslegmige defselbigeu unnd Haufstafel,
auch das kleine Corpus Doctrinae Matthei Judicis durch unud durch
auswendig aufsagenn, darnach abermals ein neues Latein lenienn.
Donnerstags unnd Freitags frue nach volnbrachtem Gebet uund
andern Stuckenn , wie oben vermeldet , werden etliche Latein , item
Declinationes unud Coniugationes repetirt, hernach venu dem Herren
eine oder zwo Zeilen aus deutscher Sprache inn die lateinische trans-
ferirt, folgendes inn Proverbiis Salomonis gelesenn, unnd das neue
Latein gelernet.
Nach Mittage auf bemelte zween Tage, Donnerstags unnd Frei-
tags vonn ein Uhr bifs auf zwei thut der Herr nichts dann deutsch
schreibenn. Folgendes wird ihme ein Senteuzlin aus dem Catone
exponirt, die Declinationes, Oonjugationes unnd Syntaxis auch zum
vleifsigsten mit ihme daraus geubet, enntlich das Latein vor-
geschrieheun unnd gelernet.
Sonnabents frue nach volnbrachtem Gebet, werdenn erstlich die
Latein, so der Herr die ganntze Wochen über gelernet, repetiret,
darnach die fünf Hauptstuck des lateinischen Catechismi memoriter
aufgesagt, sambt einem Stucke mit der Auslegunge, folgendefs bifs
auf zehenn, das Evangelium des folgenden unnd kuntt'tigen Sontags
deutsch unnd lateinisch gelesenn.
Nachmittage des Sonnabents wird jederzeit der deutsche Ca-
techismus sambt der Auslegunge unnd Haufstafel unnd dem kleinen
Corpore doctrinae, gleich wie am Mittwochen zu gescheenn pfleget,
vonn dem Herrn auswendig recitirt, folgendes das Latein gelernet.
Den Sontagk frue recitiret der Herr nach gehaltener Predigt
unnd volnbrachtem Gebet die kurtze Summam des Evangelii, so man
uf iedenn Sontagk pflegt zu verlesenn, unnd in der Kirchenn zu han-
delnn, sambt einem lateinischen und deutschen Spruchlein daraus,
unnd wiederholet dasselbe nochmals durch die ganntze Wocheun,
zum Beschlufs des Abents- und Morgentsgebetes , damit er solches
alles fein fertig auswenndig sagenn könne.
Über diese Erzehlungen Herzogen Johans Studien unnd Lek-
tionsubungenn , wirdet ihme auch teglichenn durch den Hoef-
Organisten, zu Ubunge der Music von halbeg zwölfen bifs umb ein
Uhr das Lautennschlahen gelernet, unnd umb drei nach vollendeten
Studiis hat er seine Leibsubiinge im Fechtenn, wie er dann in allen
Wehren das Fechten zimblichermassen geubet. Von vir Uhren über
bifs umb halbe wegen fünf hat er wiederumb seine Musicubunge auf
der Lauten, unnd solche Ubunge geschieht auch teglichen die gantze
Wochenn.
X.
Die Dresdner Malerinnimg.
Von
Karl Berlin^.
Ein glücklicher Zufall hat vor einiger Zeit ein Akten-
stück ans Tageslicht gefördert, welches unter den sämt-
lichen am Ausgang des 16. Jahrhunderts zu Dresden
bestehenden Innungsordnungen auch die ältesten Ai^tikel
der vereinigten Maler, Bildhauer und Bildschnitzer ent-
hält. Diese letzteren, auf die mich seiner Zeit Eats-
archivar Dr. Eichter aufmerksam machte, haben die
Veranlassung zu der nachfolgenden kleinen Studie ge-
geben.
Aus dem genannten Aktenstück^) geht hervor, dals
in Dresden die Künstler im Jahre 1574 zum erstenmale
zur Bildung einer gemeinsamen Innung geschritten sind.
Dals dies aber gerade zu jener Zeit, in der Nachblüte
der Renaissance geschah, wirkt auf den ersten Blick
befremdend, denn in den Folgen der Renaissance, was
doch das Nächstliegendste wäre, sind sicherlich die
Gründe hierfür nicht zu suchen. Vielmehr hätte diese
neue Geistesrichtung, die wie ein erfrischender Wind-
hauch über die Länder dahinfuhr, der die alten bindenden
Schranken nicht Stand zu halten vermochten, diese neue
Kunstperiode, welche die Individualität des Künstlers
dem Kunstwerke gegenüber besonders betonte, nur das
Gegenteil bewirken können. Hätte die Renaissance die
*) Es befindet sich jetzt im Ratsarchiv zn Dresden, C. XXIV
2741», Bl. 267 ff.
264 K.arl Berling:
Auflösung bestehender Künstlerinnungen herbeigeführt
und die im Zunftzwang Beengten zu freien Künstlern
umgeschaffen, so würde eine derartige Handlung nur
ihrem eigensten Wesen entsprochen haben.
Der Umstand nun, dals in Dresden das Entgegen-
gesetzte stattgefunden hat, liegt wohl im wesentlichen
darin begründet, dafs sich die Künstler jener Zeit nicht
mehr auf der Höhe der Renaissance befanden, sondern
bereits den von Lucas Kranach angebahnten abschüssigen
AVeg, der dem gänzlichen Verfalle entgegenführen mulste,
beschritten hatten. Kein Wunder also, wenn dieselben
ihr geringeres künstlerisches Können instinktiv fühlten
— ich schreibe: instinktiv, denn bewulst waren sie
sich dessen sicher nicht, ausgesprochen hätte es jeden-
falls keiner von ihnen geduldet — an übertriebener Be-
scheidenheit litten die Künstler jener Zeit keineswegs.
Hierzu kam aber noch ein zweiter Grund und zwar
einer, der aktenmälsig als solcher bezeugt wird. Die
Innungen hatten zu der Zeit, von der hier die Eede ist,
jeglichen politischen Charakter verloren und waren zu
reinen Prohibitiv- Genossenschaften herabgesunken. Sie
bezweckten damals weiter nichts, als die einheimischen
Handwerker vor den fremden, vor den Störern, Pfuschern
und Bönhasen, wie sie jene Zeit nannte, zu schützen.
Dieser Grund nun, sich das eigene Verdienst nicht durch
auswärtige Künstler schmälern zu lassen, oder — um
es kurz zu sagen — der reine Brotneid war es, der in
zweiter Linie die Aufrichtung der Dresdner Maler- und
Bildhauerinnung in dem genannten Jahre bewirkte. Es
waren nun freilich damals in Dresden auch eine statt-
liche Anzahl von fremden Künstlern thätig, welche durch
die Kurfürsten Moritz und August für die vielen Bauten,
die sie aufführen lieisen, herangezogen waren. Der
„welsche Graf" Rochus Quii'inus von Linar-) mufste den
alten wackeren Baumeister und Bürgermeister der Stadt
Leipzig, Hieronymus Lotter, in der Bauleitung der
Augustusburg ersetzen, die aus der italienischen Schweiz
gebürtigen Gebrüder Benedict und Gabriel de Thola und
der Italiener Francesco Ricchini hatten den neuangelegten
Flügel des Dresdner Schlosses aufsen und innen bemalt,
2) Wenn auch nicht eigentlich Künstler, sondern Ingenieiu' und
Artillerist, so verdient er doch hier an erster Stelle erwähnt zu
werden, weil gerade seine Verdrängung des einheimischen Archi-
tekten viel böses Blut gemacht hat.
Die Dresdner Maleriunung. 265
und endlich — um nur einige liier herauszugreifen —
war am 3. Januar 1573, also ein Jahi^ vor Autrichtung
der Innungsordnung, Hans Schröer aus Lüttich als kur-
sächsischer Hofmaler bestallt worden.
Das war natürlich für die einheimischen Künstler
Grund genug, sich gegen den wachsenden fremden Ein-
flufs auf jede Weise zu schützen, und dies umsomehr,
da sie mit wenig Ausnahmen gegen jenen nicht recht
aufzukommen vermochten. Zu diesen Ausnahmen gehörten
nun aber vor allem jene beiden Künstler, welche der
Innung die ersten Jahre ihres Bestehens hindurch als
Älteste vorgestanden haben, das sind der Hofmaler
Heinrich Göding der Ältere =^) und der Bildhauer und
Bürgermeister der Stadt Dresden Hans Walther ^).
Auiser diesen beiden waren noch folgende Künstler
bei der Gründung der Innung beteiligt:
„Mahl er: Balthasar Voigt, Friederich Bergt, Caspar
Berger, Hanls Frischheim, Unkel Schneider, Cristoff
Hendeler, Burckhardt Schreyer, Clement Müller,
Christoff Walther der Jung/ Bildthawer vnd
Schnitzer: Cristoff Walther der Eid., Andreas
Waltter, Ambrosius Waltter, Halle Küttener" •^).
Am 15. Dezember 1574 hatte der Rat der Stadt
Dresden den genannten Künstlern auf ihr Ansuchen hin
eine aus 11 Artikeln bestehende Innungsordnung bestätigt.
Hiernach war die Leitung aller Innungsangelegenheiten
in die Hände zweier Ältesten gelegt, die alle zwei Jahre
am Tage des heiligen Lucas, des alten Patrones der
Maler, und zwar der eine aus dem Kreise der Maler,
der andere aus dem der Bildhauer gewählt wurden. Sie
also hatten den Vorsitz in den Versammlungen zu führen,
auf Ordnung zu halten, zu strafen, wenn es nötig wurde
und überhaupt mit peinlicher Sorgfalt das Innehalten der
Zunftgesetze zu überwachen.
Es kann hier natürlich nicht meine Aufgabe sein,
an der Hand der einzelnen Paragraphen diese Ordnung
^) Über ihn habe icli ausführlicli berichtet in dieser Zeit-
schrift VIll, 2<)() ü'.
*) Von seinen Arbeiten wird besonders der Altar der alten
Kreuzkirche gerühmt, der sich jetzt in der Annenkirclie behndet.
'') Es sind dies die Namen aller z. Z. in Dresden sich ^be-
findenden Meister, wenigstens wird dies in einer späteren Ein-
gabe der Innung behauptet. ITauptstaatsarchiv. Act. Köder und
Wehme, Loc. 8747 Bl. 19.
266 Karl Berling:
weitläuftig" zu kommentieren, nmsomehr, da sich dieselbe
im gTolsen ganzen in dem gleichen Rahmen hält, in dem
sich die der übrigen Handwerker zu damaliger Zeit be-
wegte. Nur die Art, wie die künstlerische Ausbildung
innerhalb der Innung gehandhabt wurde, vermag wohl
allgemeines Interesse zu erwecken, weshalb ich auch nur
hierauf ein wenig näher eingehe.
Ein Junge von 13, 14 Jahren, der Lust und Ge-
schicklichkeit zum Malen oder Bildhauen gezeigt hatte,
oder von seinen Eltern oder Vormunde aus irgend emera
anderen Grunde für diesen Beruf bestimmt worden war,
wurde zuerst der Innung vorgestellt, mutste hier seine
eheliche Geburt von ehrlichen Eltern (ehrlich im Sinne
der damaligen Zünfte) nachweisen, einen Thaler in die
Lade legen und sich mit „20 silbern Schock" verbürgen,
die Kunst, der er sich nunmehr widmen wollte, „zuuer-
folgen vnd auszulernen". Diese letztere Bestimmung
Avar aufgenommen worden, um das häufig vorkommende
Ausderlehrelaufen der Jungen zu verhüten, und in ge-
wisser Weise waren die Meister wohl berechtigt, hierfür
einen Schadenersatz zu verlangen.
Waren nun die Vorbedingungen alle zur Zufrieden-
heit erfüllt, so konnte sich der Junge den Meister, bei
dem er in die Lehre treten wollte, selbst wählen. Zu
diesem mufste er dann in die Wohnung ziehen und hier
je nach seinem Alter 5, 6 oder 7 Jahre verbleiben. Die
Söhne von Innungsmeistern, die hier wie überall be-
deutende Erleichterungen genossen, brauchten nur 5 Jahre
zu lernen und waren von der Erlegung des Thalers und
der Verbürgung befreit.
Der Meister seinerseits war verpflichtet, den Lehr-
jungen treulich in der Kunst zu unterweisen, ihn auch
mit Kost, Trank und Lager so zu unterhalten, dals er
sich mit Billigkeit nicht beklagen könne. Damit nun
der Meister auch Zeit habe, sich genügend mit seinem
Lehrjungen zu beschäftigen, war bestimmt, dals er stets
nur einen solchen in seiner Werkstatt aufnehmen dürfe.
Erst wenn dieser über die ersten Anfänge hinaus war,
d. h. nach zwei Jahren, war es ihm gestattet, noch emen
zweiten anzunehmen.
Hatte nun der Lehrling seine vollen Jahre richtig
ausgelernt, so wui^de ihm dies von seinem Meister und
der Innung schriftlich bescheinigt, ihm also ein Lehrbrief
ausgestellt. Doch auch dies ging nach der damals üb-
Die Dresdner Malerinnuug. 267
liehen Weise wieder nicht ab, ohne flafs der nunmehrige
Geselle einen Tlialer in die Lade, den „Eltesten und den
Meistern, so zu diesem Akt erfordert werden, ein ziemb-
liches Essen von drei Gerichten und einen zweiten Thaler
zum Trinken" geben mulste. Damit aber der Geselle
bei einer derartigen Gelegenheit nicht iil)ermäisig ge-
schröpft würde, Avar folgender Passus hinzugefügt worden:
„Do die vorsammlung etwas mehr an Essen oder Trincken
haben wollen, des sollen sie auf Iren Unkosten allsbalde
erlegen vnd nicht aufs der Lade nemen vnd den Lehr-
dienern oder Jungen (Avohl richtiger, den nunmehrigen
Gesellen) über das, was obstehet, nicht beschweren".
Nunmehr mulste der junge Geselle seine mindestens
auf drei Jahre berechnete Wanderschaft antreten. Er
sollte sich in der A¥elt umsehen, andere Menschen, andere
Künstler und Kunstwerke, andere Techniken kennen
lernen. Gewils eine aulserordentlich wichtige und lobens-
werte Forderung, wenn nur nicht gerade sie durch dm
Bestimmung abgeschwächt worden wäre, dals man anstatt
drei Jahre in der Fremde herumzuwandern auch 30 Thaler
in die Lade zahlen könne. Diese Klausel beweist aber
wieder einmal deutlich, dals es denen, welche die Innungs-
ordnung aufgesetzt haben, weniger auf die Sache selbst,
als auf den Schutz vor fremder Konkurrenz ankam.
Nach der Wanderschaft konnte der Geselle allmählich
daran denken, sich das Meisterrecht zu erwerben. Das,
was sich in der Dresdner Ordnung hierauf bezieht, lasse
ich im Wortlaut folgen:
„Welcher alliier Meister werden will, der soll auf's
wenigste drey Jar nach seinen Lehrjahren gewandert,
sich etwas versuchet, vnd ZAvey Jar alhier bey den
Meistern für einen gesellen gearbeitet haben"). So er
aber soviel gelerndt, das er durch seine Meisterstuck
bestehen köndt vnd er nicht gewandert hat, auch nicht
wandern wolt, sol er dreilsigk Thaler vor die drey Jar
Inn die Lade geben. Do er aber bey einem Meister so
lange nicht gefördert werden köndte, mag er bey einem
andern einsprechen vnd arbeit suchen, damit er die Zeit
erfülle. Alfsdann mag er sich auf den tagk des Evan-
gelist Lucae bey der vorsamblung angeljen darauf seinen
geburts vnd Lehrbrief vorlegen. Wenn dieselben richtig
befunden, soll man Ime, wie unterschiedtlich auf's Mahlen
•*) Die sog. Mut- oder Sitz jähre.
268 Karl Berling:
vucl Bildtliawen geordnet, das Meisterstück Inn eines
Meisters hauls, Jedoch ohne defs Meister Unterricht, be-
furderung vnd fui'schub, das hiemit gänzlich verholten
sein vnd gestrafft werden soll, Inn einem halben Jare
aufs best vnd künstlichs vorfertigen und machen lassen."
"Was nun die Meisterstücke selbst anlangt, so waren
hierbei natürlich diejenigen der Maler von denen der
Bildhauer getrennt, eine weitere Spezialisierung fand
indessen nicht statt. Hierdurch unterscheidet sich aber
die Dresdner Ordnung — und nicht gerade zu ihrem
Vorteile — von anderen, z. B. von der Nürnberger Ord-
nung, denn letztere bestimmte für den Maler, dafs er
„aufs fleifsigste ein Stück mache , es sei von Figuren,
Bildern, Landschaften oder worinnen einer am meisten
geübt ist oder worinnen er sich am besten für einen
Meister zu bestehen getraut" '). Hier war also voll-
kommen freie Wahl des zu malenden Gegenstandes ge-
lassen. Die Dresdner Ordnung bestimmte indessen:
„Der Mahler Meisterstuck sol sein. Voun Ölfarben zwo Tafeln.
Ein Jede zwo Ellen hoch vnd anderthalb Ein breit.
Auf die Erste.
Die Vbertretung unserer Ersten Eltern Adam vnd Ewa mit
einer Landtschafft vnd Mancherley Thieren.
Auf die andere.
Die geburth Christi mit einem rechten perspectivischen gebende,
aufs der rechten Architectur gezogen mit einem Leistlein oder Car-
nis darumb von pronirtera golde verguldet, Alles beydes von Oel-
farben, aufs freyem Sinne, sondere einige Kupferstiche oder Kunst-
stücke.
Zum dritten.
Ein gut Laubwergk, graw Inn graw oder zu was färben einer
Lust hat von Oel oder Wasserfarben*).
Meisterstück der Bildenhawer vnd Schnitzer.
Erstlich.
Ein Crucifix anderthalb Ellen hoch, das es frey vnd ledig stehe.
Aufs Stein oder Holz.
Zum andern.
Die Historia vonn der Aufsfurung zur Creuzigung vnsers lieben
Herrn Jesu Christi mit einem gedrenge sambt einem gepewdt vnd
Landschafft von Holz oder Stein, ein eile hoch vnd zwo eilen breit.
') Zeitschrift für Kunst und Gewerbe (1878) S. 217.
*) Die aus dem Jahre 1577 stammende Leipziger Malerordnung
schreibt die gleichen Meisterstücke vor. G. Wustmann, Beitrag zur
Geschichte der Malerei in Leipzig S. 68.
Die Dresdner Malerimumg. 269
Zum dritten.
Einen Vorlauberten corinthischen friei<eu durchsichtig gehawen
oder geschnitzt, 2 eilen langk.
Zum vierten.
Ein Muster zu einem Epitaphium samht dem Bildtwergk nach
Corrintischer Aith vnnd neher Austheilung auf ein pappier gerissen
einer eilen hoch."
Waren diese verschiedenen Arbeiten von der aus
einigen Meistern und Abgeordneten des Rates bestehen-
den Prüfungskommission gebilligt worden, so wurde, der
Verfertiger der Innung als Meister vorgestellt und von
derselben als solcher bestätigt. Nachdem sich dann noch
der jmige Meister das Bürgerrecht der Stadt erworben
hatte, durfte er endlich eine eigene Werkstatt aufthun
und nunmehr selbständig die erlernte Kunst betreiben.
„Da aber Jemand", so heifst es in dem 4. Artikel weiter,
„alhier zu Drefsden vnd Inn andern Eines Erbarn Eaths gebieten
zu Meistern sich vnterstunde, eher denn er obgemelter Ordentlicher
weise zu einem Meister bestettigt worden, der sol zehen gülden halb
einem Erbarn E,ath vnd die andere Helote der vorsamblung beyder
Kunstler zur straf verfallen sein. Und sol der M eiste rschatft ab-
stehen.
Viel weniger sol dem Jenigen, der diese beyde Künste beyder
des Mahlenfs vnd Bildenhawens nicht Redtlich erlernt noch Meister-
recht alhier gewonnen, heimbliche Pfuscherey, den andern Meistern
zu schaden gestattet werden. Sondern Jederzeit auf ansuchen der
gerichte zu gefanguufs gebracht vnd willkhürlich gestrafft werden.
Wenn auch fremder Conterfector alhier arbeiten wollen, sollen
sie nicht gelitten werden, sie weren denn künstlicher denn die
Meister alhier, welches von Einem Erbarn Eath nelien andern Künst-
lern soll erkendt werden."
Dies letztere war nun zwar eine Einschränkung, die
man zu Gunsten einiger auswärtiger, am kurfürstlichen
Hofe beschäftigter Maler wohl hatte machen müssen, die
aber durch ihren Wortlaut so dehnbar ist, dals damit der
eigentliche Zweck, den die Aufrichtung der Ininmg ge-
habt hatte, kaum getroffen werden konnte.
Die Spitze der Iimungsordnung richtete sich also —
wie oben bereits betont — gegen den Andrang der
fremden Künstler, aber nicht diese, sondern vielmehr
zwei einheimische Maler, Zacharias Wehme und Cyriacus
Eöder-'), waren es, welche sich zuerst derselben wider-
setzten, die aber gerade dadurch, dals sie freie Künstler
sein imd sich als solche dem Zunftzwange nicht unter-
ordnen wollten, uns für sich einnehmen.
") Über das Leben und die Kunsttliätigkeit lieider siehe Anhang.
270 Karl Berliiig-.
Vom Jahre 1585 an waren Welime und Röder wieder-
holt aufgefordert worden, sich der Meisterprüfung zu
unterziehen, aber, obwohl man ihnen hierbei Erleich-
terungen zugestehen wollte^"'), wuIsten sie doch immer
wieder den Termin von einem Jahi- zum andern zu ver-
schieben , bis sie endlich im Jahre 1593 erklärten , sie
hielten sich überhaupt nicht für verpflichtet, der Innung
beizutreten. Da rils denn auch den zünftigen Künstlern
endlich die Geduld ! Was sie auf gütlichem Wege nicht
hatten erreichen können, suchten sie nunmehr zu er-
zwingen.
Der Rat der Stadt Dresden , der durch die Be-
stätigung der Innungsordnung gewissermalsen für richtige
Handhabung derselben die Verpflichtung übernommen
hatte, mulste jetzt in die Schranken treten. Er forderte
denn auch aufs eindringlichste die beiden widerspenstigen
Maler auf, sich endlich der Meisterprüfung zu unter-
ziehen. Diese wandten sich aber an den Kuradministrator,
Herzog Friedrich Wilhelm, der damals für Christian II.
die Regierung leitete, und baten, sie vor diesem un-
berechtigten Zwange zu schützen. Nachdem dann auf
Wunsch des Kuradministrators der Rat einen allerdings
vergeblichen Versuch gemacht hatte, beide Parteien zu
versöhnen, sandten letztere noch einmal weitläuftige An-
klage bez. Verteidigungsschriften ein").
Die Hauptfrage, ob die Malerei in Dresden zünftig
sei oder nicht, wird hierbei freilich für und wider, weit-
läufig, mit dem ganzen gelehrten Wortschwall der da-
maligen Zeit behandelt, die eigentliche Streitsache spitzte
sich indessen auf eine andere Frage zu.
Da Wehme und Röder zu den verschiedensten Malen
schriftlich und mündlich der Innung ihre Bereitwilligkeit
zum Beitritt erklärt hatten, war es das Einfachste, von
jeder prinzipiellen Frage abzusehen und sie bei ihrem
Worte zu fassen. Das war natürlich für die beiden ein
heikler Punkt! Die Zusagen, die teilweise schriftlich
gegeben waren, konnten sie nicht ableugnen. So ver-
suchten sie es denn, sich auf irgend eine Weise heraus-
zureden, Sie hätten nämlich, so glauben sie sich recht-
fertigen zu können, damals, als diese Zusagen gemacht
^'*) Es sollte ihnen gestattet sein, die Meisterstücke in ihren
eigenen Werkstätten anzufertigen.
") Der grölste Teil der hierauf bezüglichen Schriften ist im
Hauptstaatsarchiv, Act. Eöder und Wehme, Loc. 8747 enthalten.
Die Dresdner Maleriimung. 271
wurden, uocli nicht gewulst, wie es eigentlich um die
Innung bestellt sei. Jetzt indessen, wo man sie über
die wahren Verhältnisse aufgeklärt hätte, hielten sie sich
als Künstler für zu gut, einer Gemeinschaft beizutreten,
in der die grölsten Ungehörigkeiten vorgekommen seien.
Als solche werfen sie nun der Innung vor:
1. Dals die Künstler dieselbe nur aus dem unlauteren
Grunde aufgerichtet hätten, damit keine fremden Maler
und Bildhauer am kurfürstlichen Hofe Beschäftigung
fänden, die zünftigen Meister vielmehr allen Verdienst
allein hätten, ein Grund, den ich auch bereits oben als
einen solchen bezeichnet habe. Hiergegen verteidigen
sich nun die Innungsmeister mit folgenden Worten: (Sie
haben nicht ihren eigenen Nutzen allein gesucht)
„Sondern ist notorium Stadt vnd Landtkundtbar, das auch damals
die welschen Mahler, so hier wohnhaft, sich drein begeben vnd sie
für billich erkant damit Ordnung gehalten vnd nicht ein ieder klecker
vnd marmorirer sich für einen Mahler ausgehen, besudeln mahlen
heifsen, dadurch alier die Edle Kunst zu sumpff vnd in veracht ge-
bracht wurde, Die dardurch allein erhalten wurdet, Wan man die
von redlichen Meistern vnd nicht von Pfuschern lernet, die bey red-
lichen Meistern vbt, gebrauchet vnd das er sie recht kau von einer
ehrlichen erfarnen Zunft Zum Bleister gemacht vnd von denen das
Zeugnifs erlanget."
2. ist, so l)ehaupten Wehme und Röder, die Dresd-
ner Ordnung gar nicht von der hohen Obrigkeit „con-
firnüert" worden. Der Rat hatte zwar, wie ich bereits
erwähnte, diese Ordnung anerkannt, eine kurfürstliche
Bestätigung war aber nicht zu erlangen gewesen oder
nicht für nötig befunden worden^"-). Die Zünftler meinen
nun, in dieser Angelegenheit ist die hohe Obrigkeit der
Eat der Stadt, während die Angeklagten nur den Kur-
fürsten selbst als solche anerkennen wollen. Diese Rechts-
frage hier zu entscheiden, kann natürlich nicht meine
Sache sein. Jedenfalls war es für die Innung, besonders
bei der geringen Macht, welche damals die städtische
Verwaltung besals, äulserst ungünstig, dals ihr die kur-
fürstliche Bestätigung fehlte. Mmu hatte ja, als höchster
Instanz, dem Kuradministrator die Entscheidung anheim-
le) Beides wird behauptet. Wehme und Köder schreiben: „Vnd
da es gleich einsinals bey Churf. Augusto hochl. ged. von den Mali-
lern gesuchet Es ihnen dennoch von höchst ged. .). Churf. U. ab-
geschlagen Vnd ein solcher besclieidt gegeben worden, defsen sich
die Mahler ))is dahoro noch nicht Kumen vnd verlauten lafsen durffen".
Die Kläger bestreiten dies.
272 Karl Berling:
geben müssen, der aber hatte, durch keine früheren Ver-
pflichtungen gebunden, vollkommene Freiheit, nach eige-
nem Gutdünken zu entscheiden;
3. endlich — um nur die wesentlichsten Punkte
hier herauszuheben — hätten die Kläger selbst die
eigenen Gesetze nicht immer strenge gehalten. Erstlich
liätten die Begründer der Innung niemals die geforderten
Meisterstücke angefertigt, dann sei es aber später mehr-
fach vorgekommen, dals Leute, die Meisterstücke zu
machen überhaupt gar nicht im stände gewesen wären,
doch, nachdem sie 5 bis 6 fl. oder auch nur eine geringe
Mahlzeit bezahlt hätten, als Meister aufgenommen seien.
Auf diese Weise wären auch wohl „Maurer und andere
schlechte Kerll" in die Innung gekommen, und man könne
nicht von ihnen verlangen, sich mit diesen in die gleiche
Reihe zu stellen.
Der Kuradministrator entschied nunmelu' die Haupt-
frage zu gunsten der Angeklagten. Er überwies zwar
die Angelegenheit noch einmal an den Eat, indessen nur,
damit dieser Wehme und Köder vernehme, wie es sich
mit ihren gemachten Zusagen verhalte. Dabei erklärte
er aber ausdrücklich, dals seines Er achtens nach
das Malen und Conterfeyen eine freie Kunst
und kein Handwerk sei, und deshalb die An-
geklagten nicht gezwungen werden könnten, in
die Dresdner Innung einzutreten.
Durch diesen kurfürstlichen Entscheid kam aber
natürlich der Rat in die gröfste Verlegenheit, denn nun-
mehr zeigte es sich, dals er mit Bestätigung der Innung
eine Verpflichtung übernommen hatte, der er nicht ge-
wachsen war. Unschlüssig, was er thun sollte, suchte
er die Sache in die Länge zu ziehen. Das lielsen sich
aber die beiden Angeklagten, die durch den für sie
günstigen Bescheid des Kuradministrators Mut bekommen
hatten, nicht gefallen, sondern wandten sich mit ihrer
Angelegenheit an das Hofgericht zu Wittenberg, dem
sie die sämtlichen Anklage- und Verteidigungsschriften
einsandten.
Leider ist uns das in Wittenberg gefällte Urteil
selbst nicht mehr erhalten, dals dasselbe aber in einem
Wehme und Röder günstigen Sinne ausgefallen sein mufs,
geht aus einem vom 4. Juli 159-4 datierten, an den Kur-
administrator gerichteten Briefe hervor. In demselben
baten die beiden Maler, sie bei diesem Urteil (das sie in
Die Dresdner Maleriiiimng. 273
Abschrift beigelegt hatten) zu schützen, die zünftigen
Maler abzuweisen und zu veranlassen, dals sie ihnen die
gehabten Unkosten ersetzen.
Für die Zunft der Künstler zu Dresden bedeutete
nun dieser Ausfall der Angelegenheit mehr als eine ein-
malige Niederlage, er entschied vielmehr über ihre ganze
Existenz. Denn da der Rat nicht die Macht, der Kur-
administrator aus prinzipiellen Gründen nicht die Absicht
hatte, ihre Gesetze zu beschützen, ein Z^Yang also nicht
mehr ausgeübt werden konnte, so verlor die Innung mehr
und mehr an Geltung und geriet bald — wenigstens für
eine Zeit lang — in Vergessenheit. Erst im Jahre 1620
wurde dieselbe wieder lebensfähig, und zwar dadurch,
daft der Kurfürst Johann Georg I. auf Ansuchen der
Maler Andreas und Heinrich (der Jüngere) Göding^"),
Geoi'g Dürr, Hans Schmidt und Zacharias Wagner den
Dresdner Malern eine neue Innungsordnung bestätigtet^).
Den Malern allein! Denn diese hatten sich von den
Bildhauern getrennt. Letztere suchten auch nach 1626
(genau lälst sich das Jahr nicht angeben) die Bestätigung
ihrer Innung zu erlangen ^•^).
Im grolsen ganzen stimmen nun die Artikel von 1620
mit denen von 1574 überein. Die geringen Unterschiede
aber, die zwischen beiden obwalten, haben lediglich ihren
Grund in dem allmählich stärker werdenden Betonen
dessen, was die eigentliche Veranlassung zur xlufrichtung
der Innung gegeben hatte. So wurden in der neuen
Ordnung nicht mehr allein den Söhnen von Malern, son-
dern auch denen von eingeborenen Dresdnern Erleich-
terungen zugestanden. Dieselben brauchten weniger Jahre
zu lernen, zu wandern, zu muten und auch zu bezahlen.
Überdies wurde eine Beschränkung anderer Handwerker
dadurch erreicht, dafs man dem alten Artikel 5, der von
1^) Sölme Heinrich Göding" dos Älteren.
") Katsarchiv C. XXIV, 215 r. Aul'ser den genannten 5 Avaren,
wie aus einer uns (ebenda) erhaltenen schriftlichen Vorladung vor
den Rat (den 9. März 1620) hervorgeht, noch folgende Maler iu
Dresden: Daniel Brettschueider der Ältere, Peter de Brück, Jere-
mias Voigt, Hans Enderler, Hans Vfer, Egidien Löbenich, Hans
Panitz, Gorg Schmidt, Hans Schwarz, Jonas Schneeweifs, Christian
Spindelnieyer („kan Leibesschwadilirit luilben nicht erscheinen"),
Christof Boyen, Hans Boyen , Micliael Stunn, Georg Schmidt, Paul
Conrad, Christof Herman, Abraham von Dohlen, Balthasar Böhm,
Heinricli Pesclieln.
^■') Hauptstaatsarchiv, Allerhand A'ortragen Loc. 7333 Bl. 300.
Neues Archiv f. S. (!. u. A. XI. 3. i. 18
274 Karl Berliiig:
der gegenseitigen Konknrrenz handelte, folgenden Wort-
laut hinzufügte:
„Demnach auch biefsanhero die Tischler, Maurer vnd Ziegel-
decker sich unterstanden, Tisch, Bencke, Kasten, Schrencke, Fenster-
Rahmen, Thieren, Fenster Lähden, E^-serne Gütter, Stacket vnd der-
gleichen mit Ühlfarben vnd sonsten anzustreichen, Ja wohl gantze
Häuser aus- vnd inwendig Zudingen, durch patroniren gantze Stuben
vnd Gemächer von allerlej' färben zu mahlen, auch wohl biesweiln
daran zuuorgulden. Solches alles aber nicht zu ihrem Handwergk
gehörigk. So sollen Sie sich hinführo alles defsen vnd in Summa
was der Mahlerkunst gemes vnd Zugehörigk gentzlichen enthaltten
vnd ihnen solches bey Stralf Zehen gülden — verboten sein" ^").
Natürlich ging die Einführung dieser Mafsregel nicht
völlig glatt von statten. Mehrfach mulsten die Maler
über andere Handwerker Klage führen, bis endlich die
Tischler vor dem Eat erklären, dals sie in Zukunft nur
firnissen, die Maurer, dafs sie nur Stemfarbe auf die
Tünche bringen wollen ^').
Dals sich aber auch jetzt noch in Malerkreisen ver-
einzelt Gegner der Innung fanden, dafür möge als Be-
weis der Umstand dienen, dafs 1623 der Maler Hans
Christoff Koller angeklagt wurde, er habe beim Trünke
einem anderen Maler (Daniel Bretschneider) gegenüber
geäulsert, er für seine Person huste auf die Maler-
Innimg, deren Mitglieder alle „Schmierer und Schmal-
gerer" wären ^'^).
Nunmehr scheint aber die Innung, in ruhiges Fahr-
wasser geleitet, unter kurfürstlichem Schutz friedlich
dahingegleitet zu sein; wenigstens macht ein gänzliches
Fehlen von das G-egenteil beweisenden Aktenstücken
diese Annahme wahrscheinlich.
Leider ist es mir nicht möglich gewesen, nach-
zuweisen, wie lange die Dresdner Malerinnung bestanden
habe ; nur soviel steht fest , wie ich zum Schlüsse noch
hinzufügen möchte, dais es im Jahre 1752 noch in Dresden
zünftige Maler gegeben hat, denn dies 'geht aus einem
aus dem genannten Jahre datierten Aktenstücke^^) und
zwar dem jüngsten, das ich über diese Angelegenheit
gefunden habe, hervor.
lö) Dresdner Ratsarchiv C. XXIV, 215 >• Bl. 18i'f..
1') Ebenda C. XXIV, 215 s Bl. 2 ff.
18) Ebenda Bl. 6.
lö) Ebenda Bl. 23 ff.
Anhang.
Zacliarias Welime'-'^) wurde um das Jahr 1558
als Solin des kursäclisischen Hoftisclilers und Büclisen-
macliers Hans Welime zu Dresden geboren. Als sein
Vater im Jahre 1571 gestorben war und seine Familie
in dürftigen Verhältnissen zurückgelassen hatte, bat sein
Vormund den Kurfürsten August, ihn, der schon früh
Lust und Anlage zum Malen gezeigt hatte, zu dem Hof-
maler Heinrich Göding dem Älteren in die Lehre zu
geben. Da aber Göding zu damaliger Zeit in seiner
Werkstatt keinen Platz hatte, so schickte der Kurfürst
den jungen Wehme nach Wittenberg, damit ihn Lukas
Cranach der Jüngere zu einem tüchtigen Maler heran-
bilde ■-\).
Zehn volle Jahre istAVehme bei Cranach geblieben,
dann aber, also im Jahre 1581, ohne, wie üblich, in an-
deren AVerkstätten gearbeitet zu haben (es wird ihm
dies später zum Vorwurf gemacht), nach Dresden zurück-
gekehrt und in den kurfürstlichen Dienst getreten. Frei-
lich erhielt er hier nicht sogleich eine rechtmälsige Be-
stallung. Dazu Avar der Kurfürst zu vorsichtig; er
mufste erst Gelegenheit gefunden haben, die Leistungen
des Malers kennen und schätzen zu lernen, ehe er ihn
dauernd an sich fesselte. So erhielt denn Wehme in
dieser ersten Zeit seiner selbständigen Thätigkeit auf
Widerruf wöchentlich einen Gulden Kostgeld ausbezahlt--).
ein Provisorium zwar, das indessen aulserordentlich lange
gedauert hat. Denn AVelime hat mit seiner Bestallung
recht viel Unglück gehabt. AVir sind hierüber durch
zwei an seine Beschützerin, die Kurfürstin Sophie, die
Mutter Christian IL, gerichtete, vom September 1592--')
20
) Über ihn siehe ai;cli: A. Andiesen, Der Deutsche Peintre
Graveui- III, 334 ff., Chr. S (•hiuharflt in Naumanns Archiv für
zeichnende Künste I, 101 ff. und Th. Distel in Kunstdironik 1884,
Sp. 197ff. Das meiste ist dem im Hauptstaatsarclüv lictindlicliou
Act. Köder und Welime Loc. 8747 entnommen, die üliriuen Quellen
sind an Ort und Stelle annegehen.
21) Hauptstaatsarchiv Kop. 3ß7 Bl. 29 und Kop. 414 Bl. 60.
22) Ebenda Kop. 4Wi B1.277I'.
23) Ebenda Chr. Sachs. Diener Bestallung 1571—1600, Loc. 4519
Bl. 12 ff.
18*
276 ^ail Berling:
und vom Februar 1593-^) datierte Bittschriften g'enauer
unterrichtet. AVehme bat nämlich den Kurfürsten August,
nachdem er ein paar Jalire gewissermalsen auf Probe
gearbeitet hatte, ihm eine reclitmäfsige Anstellung, die
natürlich mit einer bedeutenden Gehaltserhöhung ver-
bunden war, zu verschaifen. Der Kurfürst zeigte sich
hierzu auch nicht gerade abgeneigt, nur wollte er ein
schriftliclies Gesuch von selten des Malers in Händen
haben. Als dieser aber ein solches Gesuch einreichte,
war jener bereits auf Moritzburg von der Krankheit be-
fallen, der er bald erliegen sollte.
Unter Christian I. ist es dem Künstler nicht viel
besser ergangen. Erst blieb es in seiner Angelegenheit
beim Alten, und als er sich dann besonders durch seine
Malereien am Stallhofe, wo er mit mehreren anderen
Malern tliätig war-'^), die Zufriedenheit seines Herrn er-
worben zu haben glaubte, starb dieser wiederum. Es
scheint ihm aber auch auf die erwähnten Bittschriften
hin noch nicht gleich sein Wunsch in ErfüUung gegangen
zu sein; wenigstens wird er in den von mir durch-
gesehenen Akten-*^) erst vom Jahre 1605 an regelmälsig-')
als „Hofmaler" erwähnt-^). 1605 — das wäre also nach
24 jähriger Thätigkeit und zwar — kurz vor seinem Tode.
Denn Zacharias Wehme ist in der Nacht vom 5. zum
6, Januar des Jahres 1606 zu Dresden plötzlich ge-
storben-";. Erwähnen will ich noch, dals der Künstler
seit 1599 mit Dorothea, einer Tochter des Zeugmeisters
Paul Buchner, verheiratet war'^°), einer Ehe, der ein
Sohn, Christian mit Namen, entsprols. Letzterer ist,
wie sein Vater, auf kurfürstliche Kosten als Maler er-
zogen worden"^); näheres über ihn ist indessen nicht
bekannt.
2-t) Ebenda Kop. 587 Bl. 125 ff.
25) Ebenda Chr. Sachs. Diener Bestallung 1591—1600, Loc. 4519
Bl. 12ff.
-") Sein Anstellungsdekret war vorläufig nicht aufzufinden.
2') Dafs Wehme schon einmal vereinzelt im September 1587
Hofmaler genannt worden ist und zwar bei dem Befehl, ihm zu
seiner Hochzeit ein gemein Ehrenkleid zu geben, scheint mir, da die
erwähnten Gesuche um Bestallung später gestellt sind, von keiner
Bedeutung. Xop. 534 Bl. 267.
28) Hauptstaatsarchiv Kamms. 1605 I. Teil, Loc. 7317 Bl. 214 ft".
29) Ebenda Kgl. etc. Schreiben 1602 ff., Loc. 11408 Bl. 164.
30) Ebenda Briefe, Künstler betr. 1604 — 1756, Loc. 8575
Bl. 43 und 79.
31) Ebenda Kamms. 1607 1. Teil, Loc. '318 Bl. 234.
Die Drestluer Malerimrang. 277
Was nun die künstlerische Tliätig-keit des Zacliarias
Welime anlangt, so wird uns berichtet, dals er in der
ersten Zeit nach seiner Rückkehr aus Wittenberg für
den Kurfürsten Mappen , „Bibeln und andre Bücher
illuminieren" mufste. Eine Probe von diesen immerhin
recht bescheMenen Arbeiten vermag das jetzt im Besitze
der Königl. Öffentlichen Bibliothek'^-) befindliche „Türken-
buch" zu geben, das er im Jahre 1.581 nach einem dem
kaiserl. Kriegspräsidenten Freiherrn David Ungnad ge-
hörigen Originale kopiert hat, und welches zeigt, dals
der Verfertiger bei einer allerdings hin und wieder walu'-
zunehmenden Unbeholfenheit mit groisem Fleifse und pein-
licher Sorgfalt verfahren ist''-^).
In dies Gebiet gehört auch die Thätigkeit, welche
ein aus dem Jahre 1594 datiertes Aktenstück von ihm
erwähnt, demzufolge Wehme nämlich 118 f. 18 g. erhalten
hat „von den Wappen auf 12 Trometter fanen und
2 hertrumelfahnen zu mallen" ^^).
Ferner hat der Maler im Jahre 1591 das grofse
kursächsische Wappen , von 2 Löwen als Wappenhaltern
getragen, in Wasserfarben hergestellt, ein treffliches
Werk, das sich jetzt im letzten Saale des Dresdner
Kupferstichkabinetts befindet ^•^).
Auch Wandmalereien hat er verschiedentlich aus-
geführt. Seiner Thätigkeit am Stallhofe ist oben bereits
Erwähnung gethan. Dann leitete er die Malerarbeiten
am Schlosse^ zu Colditz'-*^) und war mit Göding und
Michael Treutting zusammen bei der Erneuerung der
Malereien am Dresdner Sclüosse thätig-''). Erwähnen
will ich auch, dafs er im Jahre 1591 einmal mit Göding
in Konkurrenz arbeitete. Es handelte sich hierbei um
eine Farbenskizze, nach der das Dresdner Moritzmonu-
32) Mansc. .J2a.
33) AiTsfiihilieher behandelt von Th. Distel a. a. 0.
3*) Hanptstaatsarchiv Kamms. 1594 Teil IV, Loc. 7301 Bl. 346.
Gleichzeitig- möae liier erwähnt sein, dafs sich Wehme im Besitze
eines farbigen Wappenbuches l)efunden hat, das der Kurfürst 1592
geleg-entlich der Jienovieruiig- der NVappcn am Torgaucr Schlosse
von ihm entliehen hat. (F. A. Kopial in Kamms. 1592 Bl. 5761'.)
3^) 132 cm breit, 49 cm hoch.
30) Hauptstaatsarchiv Kop. 600 Bl. 182 1' (1600).
3') Band VIII dieser Zeitschrift S. 335, in Anmerkung 146 die
Quellenangabe. Aufserdem Kop. 600 Bl. .50'", Kop. 608 Bl. 4 1 . Aller-
hand etc. 1604/5, Loc. 7333 Bl. 248.
278 -Karl Berling:
ment erneuert werden sollte •^^). Welime gewann und
erhielt die Ausführung übertragen — freilich nicht gerade
zu seinem eigenen Vorteile. Da nämlich schon nach zwei
Jahren die Farben abblätterten, wurde ihm von seinen
Gegnern zu den verschiedensten Malen die kurze Dauer
seines Werkes vorgeworfen und als Beweis dafür an-
gesehen, dals er nicht genug Erfahrungen gesammelt habe,
um dauerhafte Farben mischen zu können.
Die Akten melden ferner, dals auch eine Anzahl
von Jagdstücken, Szenen aus der biblischen Geschichte
und Landschaften seiner Hand entstammen, und es lälst
sich wohl annehmen, dals er sich mit denselben auf der
Höhe der damaligen Kunst, was ja freilich nicht gerade
allzuviel sagen will, gehalten habe. Auf einem Gebiete
kann er indessen sicher den besten seiner Zeit gleich-
gestellt werden, wenn er nicht sogar hierin in Dresden
alle Zeitgenossen überragte, das ist die Porträtmalerei.
Wie grols die Anzahl der von ihm gefertigten Porträte
gewesen ist, dafür möge als Beweis der Umstand dienen,
dafs im Jahre 1608 von seinen Erben der Kunstkammer
grofse und kleine, fertige und unfertige Porträte, zusammen
nicht weniger als 54 Stück, übergeben worden sind-^'').
38) Th. Distel in der Zeitschrift für Museologie etc. 1883
S. 123 und in dieser Zeitschrift VIII, 327 f.
"») Hauptstaatsarchiv, Einnahme etc. 1608, Loc. 7207 Bl. Iff.
„Einnahme an Contrafecten und Gemeiden, so von Zacharias Wehmeus
geweseneu Hoffmahlers Erben übergeben vnd in die Kuust-Cammer
gesetzt worden. Anno 1608.
1 Contrafect Churfürst Christiani defs Andern Zu Sachfsen
& Lehensgröfse inn einem rotten mit gokle gestickteun Kleide, so
nicht aufsgemachtt, vff einem Blindrahmen: Lit. A.
1 Contrafectisch Brnstbildt Churfürst Christiani 2 iuu einem
Kürifs vund rotenn feldtzeichen vnaufsgemacht: B.
1 dgl. in einem roten Kleide, schwarzen Mantell mit silbern
Schnüren vnaufsgemachtt: C.
1 dgl. in cinn roten Kleide mitt blauenn Schnüren: I).
4 Brustbilder in Kürifsenn mit gelbenn Feldtzeichen ohne ge-
siebt: E.
7 Contrafect Churfürst Christiani des andern Gemahls frawen
Hedwig, geliorn aufsm Königlichem Stam Zu Dennemark, so auch
vnaufsgemacht: F.
2 Kleine vnaufsgemachte fürstliche Contrafect : G.
1 Contrafectisch Angesicht Hertzog Virichs aufs Holstein: H.
1 Contrafect Friedrich Wilhelms Hertzogen vnnd der Chur
Sachfsenn Administratorn Lehensgröfse inn einem Kürifs vnndt Leib-
farbenn feldtzeichenn vffn Blindrahmeu: I.
1 Cont]-afectisch Brustl)ildt freivlein Hedwig geborn aufsm
Königlichen Stamm Dennemark in Rahmen eingefast: K.
Die Dresdner Maleriunmig. 279
2 Coutrafect Marggraff Joliaii Georgens Cliurfürstens Zu
Brandeiiljurgk vnd S. Chnrf. gn. Gemahls, Brustbilder inn einer zu-
sammen gelegtenn Tatteil: L.
3 Coutrafect Churfürst Augusti eines Lebensgröfse, die andern
Zwey Brustbilder vnaufsgemachtt: M.
1 Tuch darautt' Churfürst Augusti vnnd seines gemahls Coutra-
fect lebendigk vnnd todt: N.
3 Coutf. Curfürst Augusti Gemahls eines Lebensgi'öfse , vnnd
die andern zwey Brustbilder vnaulsgemachtt: O.
2 Contf. Marggrafeu Johann Georgen Churfürstens Zu Brandeu-
burgk, grofs vnnd klein inn einem schwarzem Sammteun Pelze mit
güldenenn Schnüren vnnd (Quasten vnaufsgemachtt: P.
4 Contraf. Churfürst Christiani defs Erstn lebendig vnnd todt
vnaufsgemachtt: Q.
2 Tücher, darautt' die Churfstl. Sachs. Wittwe, Frau Sophia
gebr. Marggrättn Zu Brandbg. vnaufsgemachtt: R.
1 Grofs zugericht Tuch, darautt Churfürst Christian I. zu
Sachfsen vnd S. Churf. gn. gemahls, Lebensgröfse bezeichnt mit: S.
2 Kleine Contf. Chrf. Augusti Darunter das eine nicht aufs-
gemacht: T.
5 Kleine Contf. Chrf Christ. I. lebendig u. todt: V.
1 Contf. des Königs inn Frankreich lebensgröfse: X.
1 Contf. d. Königs in Dennemark: Y.
3 Contf. Hertzog Christiani des Andern zu Sachlseu, 3 Contf.
Hertzog Augusti zu Sachfsen, 1 Contf. defs Hern Administratoris der
Chiu- Sachfs. & Gemahls, sindt signirt mit : Z.
1 Grofs gemeide wie der Herr Christus vonn Creutze ge-
nommen: No. 4.
1 Klein eingefast Tättlein wie Maria den gecreutzigten Herrn
Christum inn den Schofs liegen hatt: No. 6...
4 Gemahlete Kleine Hirschlein von Öhlfarben: No. 10.
27 Allerley Contrafectische Vogell, todt vnd lebendigk, so mit
truckenenn farbenn autt' alt Pappier gemalet sein: No. 11."
ebd. Blatt 19 ö'. „1 Eingefaste Tatt'ell, darautt die Historia wie
Judith bey Nachtein Betulien eingelassenn, als die dem Holoferno den
Kopf abgehauen gemahlet : No. IL
1 Einfst. Tatt'ell darautt' die Historia defs Herrn Christi, Avie
er am Ölberg gebetet, gemahlet: No. IIL
6 grofse Tuche, darautt allerley Landschaffte vnd Jagtenn gc-
mahlet von Wasserfarbenn : No. Vit.
1 Tuch, darautt' die Biblische Histoi-ia von Ühlfarlienn: No. IX.
1 Contf. Hertzoge Friedrich Wilhelms der Chur Sachfsen ge-
wesen Administratoris Lebensgröfse in einem Kürifs vnd Leibfarbeu
feldtzeichen vffm Bliiulrahmcn mitt Lit. : I.
I Diese obige gezeichnete stück hatt die Churfürstin Zu SachfseiTj
_Meine gnedigste Frau Anno lfi08 u. 1610 «ibholen lassen. _J
2 Eingefaste Gemeide eines die Historia Avie Daniel inn die
Lewengrube geAvortt'en worden. Das ander vonn Weidewergk mit den
falgkenn: No._y.
9 Vonn Öhlfarljenn gemalte Landschaften darunter eines autt"
Pergament gemalett worden: No. VIII. _
Diese 11 Stück sind autt' Cliurf. bcfehl Lmlwig Willi. Mosern
Cammersecretaris den 6 May Anno 1608. gefolget wordenn.
1 Conterf. hatt die Churfürstin Zu Saclifsen Meine gnedigste
Frau am Pfingsten 1610 bekommen signirt mit lit: A."
280 Karl Beiiing:
Ein vortreffliches Beispiel dieser Tliätigkeit Welimes
ist das Bildnis des Kuradministrators Herzog Friedrich
AVilhelm von 1597, das sich im Koselturm auf der Feste
Stolpen befindet '^°); das bekannteste und wohl auch das
gelungenste bewahrt die Dresdner,_Galerie, in die es vor
etwa 4 Jahren aus der Königl. Öffentlichen Bibliothek
überführt worden ist*^). Dies letztere stellt lebensgrols,
in Halbfigur den Kurfürsten August in dem letzten Jahre
seines Lebens dar und muls als ein mit Sicherheit und
Geschmack gemaltes Kunstwerk bezeichnet werden^^).
Über Cyriacus Röder flielsen die Quellen bei
weitem spärlicher. Wir erfahren aus den Akten, dafs
er bei einem Meister Nikolaus in Leipzig in der Lehre
gewesen ist. Mit diesem Maler muls Nikolaus de
Perre^-^), der im Jahre 1569 von Antwerpen nach Leipzig
gekommen war^*), gemeint sein, eine Ansicht, die noch
mehr an Wahrscheinlichkeit gewinnt, wenn man bedenkt,
dals de Perre uns besonders als „Contrefactor" genannt
wird, und auch das Gebiet der Malerei, auf dem wir
Eöder fast ausschliefslich tliätig finden und dessen er
sich selber rühmt, eben das Porträtieren ist.
Nachdem sich Eöder eine Zeitlang in Meifsen auf-
gehalten hatte, ist er nach Dresden gekommen, und zwar
hat ihm hierzu sein späterer Gegner, der Bildhauer Hans
Walther, der ihm auch „daz Weib gefreyet", verholfen.
1585 wird seiner zum erstenmale in Dresden Erwähnung
gethan. Aller Wahrscheinlichkeit nach hat Eöder auch
mit Welime zusammen am neuen Stall gearbeitet', wozu
beide sich Freiberger und Stolpner Maler zur Hülfe
holten.
Das einzige, wenigstens bis jetzt mit Sicherheit dem
Eöder nachweisbare Werk ist indessen ein Porträt und
zwar das des Kurfürsten August in Lebensgröfse, gleichfalls
wie das obenerwähnte aus dem Todesjahre 1586 datiert.
^'') R. Steche, Bau- und Kunstdeiikmäler des Königreichs
Sachsen I, 86.
■*') K. Wo er mann, Katalog der Königl. Greniäldegalerie
Dresden (1887) S. 621.
^2) A. Andres en nennt a. a. 0. noch ein drittes Porträt von
1601, den Kurfürsten Christian I. darstellend, das sich jetzt im
Lutherhaus zu Wittenberg befindet, und führt aufserdem noch zwei
Holzschnitte von Wehmes Hand auf.
42) Th. Distel in der Kunstchrouik 1885 Sp. 431.
**) Gr. Wustmann, Beitrag zur Geschichte der Malerei in
Leipzig, S. 56.
Die Dresdner Maleriiinung. 281
Dies Bild, das sich zwischen zwei Fenstern des
ersten Saales im historischeu Museum zu Dresden be-
findet, ist eine tüchtige, charakteristisch aufgefafste Ar-
beit, wenn sie auch, was den Kirnst wert anlangt, hinter
der Wehmes zurückstehen mufs.
Beide Künstler waren also vorzugsweise Porträt-
maler, und dals sie hierin etwas Tüchtiges geleistet haben,
mufs ihnen selbst von ihren Gegnern — wenn auch
natürlich mit gewissen Einschränkungen — zugestanden
werden, die einmal in dem hier in der Hauptsache zu
Grunde gelegten Aktenstücke wie folgt schreiben:
„Das sie beide sich defs conterfecten Rühmen hatt
seinen wegk, die rechten maliler aber achten das freye
mahlen hoher so von freyer faust geschieht, wie auch an
ihm selbst vnd in der Wahrheit ist Als conterfecten, doch
gehent es beides zusammen".
XL
Kiirsächsische Kirclienpolitik im dreifsig-
jälirigeu Kriege.
(1619 — 1622.)
Von
Ludwig- Scliwal)e.
Nur selten mag ein Staatswesen so unmittelbar nach-
einander zu gleich grundsätzlichem Wechsel des politischen
Sj^stems verurteilt gewesen sein, wie Kursachsen während
des dreifsigj ährigen Krieges. Zuerst steht es als gehor-
samer Heichsstand im Bund mit der katholischen Liga
dem Kaiser beim Kampfe gegen das calvinische König-
tum in Böhmen und die protestantische Union zur Seite.
Dann verbindet es sich gegen eben diesen Kaiser und
dieselbe Liga mit einem auswärtigen Fürsten und rettet
so sich selbst und seine Glaubensgenossen vor dem Unter-
gange, dem es sich und sie durch seine vorige Haltung
nahe gebracht. Zum Schluls fällt es in die zuerst ein-
geschlagene ßichtung zurück und vereitelt durch diese
Schwenkung einen durchgreifenden Sieg der soeben noch
auch von ihm verfochtenen Interessen.
So der Staat. Wie stand es mit der Kirche? Beide
hatten in Sachsen bis zum Ausbruche des grolsen Krieges
in einer Politik des regungslosen Beharrens unbedingt
zusammengewirkt und sich aufs Innigste durchdrungen.
Konnte dies auch jetzt noch der Fall sein, wo der eine
von beiden Teilen, der Staat, in einen wahren Wirbel
wechselnder Positionen hineingerissen wurde? Die reli-
Ludwig Schwabe: Kiu'sächsische Kirchenpolitik. 283
giöse Überzeugung scheint schon an sich der feste Punkt
zu sein, der im Getriebe des öffentlichen Meinungs-
wechsels unverrückbar seinen Platz behauptet; wie viel-
mehr war das von dem kurstaatlichen Luthertum zu er-
warten, welches gerade in der Unbeweglichkeit des kodi-
fizierten Lehrsystems sein eigenstes Daseinsrecht er-
kannte. Wie war es nun: waren es doch vielleicht die
kii'chlich-religiösen Prinzipien, welche auch die politische
Stellungnahme Sachsens bestimmten? oder, wenn dies
nicht der Fall war, traten sie zu der Haltung des welt-
lichen Staatswesens in Gegensatz? oder schlieMich,
hätten sie sich dem Wechsel des politischen Systems an-
zubequemen und sich ihm entsprechend zu wandeln ge-
wulst? Die Absicht der folgenden Blätter ist, ohne das
geschichtliche Detail erschöpfen zu wollen, eine Übersicht
über diejenigen Daten und Gesichtspunkte zu geben,
welche zu Beurteilung dieser Verhältnisse dienlich sein
dürften: in diesem Heft zunächst für die ersten Jahre
des grolsen Krieges.
Wie sehi^ man auch in Sachsen den Anschlufs an den
Kaiser als eine lediglich politische Malsnahme angesehen
haben Avollte, unverkennbar war doch, dals er zugleich
für die kirchlichen Verhältnisse von den erheblichsten
Folgen sein würde. Zwar, dals die zu erhoffende Be-
siegung der Böhmen zugleich eine entschiedene Nieder-
lage des deutschen Calvinismus bedeuten niulste, war
im Sinne des kursächsischen Kirchentums, Avie es damals
war, nichts weniger als beklagenswert: wir werden
sehen, dals es sich darüber nicht im Unklaren war,
welcher von beiden Teufeln der schlimmere sei, der cal-
vinische oder der papistische. Aber man mulste sich
doch sagen, dafs jene voraussichtliche AVendung zugleich
in der bedenklichsten Weise auch auf die Stellung des
eigenen Bekenntnisses zurückwirken mulste. Der neue
Verbündete, Ferdinand von Österreich, Avar in Hinsicht
seines kirchlichen Standpunktes sattsam bekannt: seine
katholisch -reaktionäre Haltung auf den Reichsversamm-
lungen mulste den evangelischen Ständen des Beichs in
nur allzulebendiger Erinnerung sein; die Gegenreformation
in seinen Erblanden hatte den gesamten deutschen Pro-
testantismus mit erl)itterter Entrüstung oi'fiillt. Es war
wahrhaftig nicht zu erwarten, dals dieser halbspanisclie
284 Ludwig Schwabe:
Jesiiitenschüler, in dem die düsteren und verlialsten Ten-
denzen des Tridentiniims verkörpert und verdichtet
schienen, den lutherischen und utraquistischen Glaubens-
genossen in den umstrittenen Gebieten dieselbe Duldung
zu teil werden liels, welche ihnen das pfälzische Regiment,
sei es nun freiwillig oder notgedrungen , eingeräumt hatte.
Und dann, ja, der calvinische Nebenbuhler würde fallen:
aber beraubte man sich nicht damit zugleich des treuesten
und rührigsten Bundesgenossen im Kampfe gegen die
katholische Gegnerin? Wie würde sich das Gleich-
gewicht der Bekenntnisse wieder herstellen lassen, welches
bis dahin den Frieden doch einzig und allein erhalten
hatte? Die ganze Reichspolitik hatte bislang in dem
Gegensatz der Konfessionen das treibende und bestim-
mende Moment gefunden; es war recht unwahrscheinlich,
dals dieses Verhältnis mit einem Schlage aus der Welt
geschafft sein würde. Oder sollten sich der glaubenseifrige
Habsburger und die ligistischen Ultras, zur unbestrittenen
Übermacht gelangt, durch die Dankesverpllichtungen
gegen das ihnen bisher verbündete Luthertum in ihrem
Siegeslauf aufhalten lassen? Es war doch allzu un-
politisch, auf den guten Willen der Überwinder zu rech-
nen in einem Streitfall, der seiner Natur nach mit der
Unerbittlichkeit des religiösen Prinzipienkampfes aus-
gefochten werden mulste.
Worauf sich die Aktionspolitik des siegreich ge-
wordenen Katholizismus werfen würde, falls man ihr
nicht Einhalt gebot, war unschwer vorauszusehen. Das
ganze Gewirr kirchenpolitischer Streitfragen, welches
seit dem Augsburger Religionsfrieden das deutsche Reichs-
wesen erfüllte, hatte im wesentlichen doch nur das eine
grolse Objekt: den der alten Kirche entzogenen, reichs-
unmittelbaren oder mittelbaren territorialen Besitz. Nichts
wäre falscher, als in dem Kampf um diese gewifs äufser-
lichen Dinge nur den Widerstreit materieller Interessen
erblicken zu wollen. Gewifs, der kirchliche Besitz und
die mit ihm verknüpften reichsständischen Gerechtsame
stellten nur die äulsere politische, nicht die innere reli-
giöse Macht der Bekenntnisse dar; wie anders aber
sollte sich die Auseinandersetzung mit dem Katholizismus
vollziehen, als in dem Ringen der politischen Kräfte?
Innerhalb des eigenen Bekenntniskreises mochten die
Lutheraner Immerhin hoffen, etwa auftauchende Diffe-
renzen mit den Waffen des Geistes ausfechten zu können ;
Kiu-säclisische Kirchenpolitik. 285
zwischen ihnen und den Calvinisten durfte diese Art des
Ausgleichs sanguinischen FriedenslVeunden wenigstens
nicht unmöglich erscheinen. Allein das Verhältnis der
alten Kirche zu den Lehrbilduugen der neuen Zeit schloss
die Möglichkeit eines solchen Verständnisses aus. Zwi-
schen Ja und Nein giebt es keinen Ausgleich rationeller
Natur: was entscheiden mulste, war die politische Tag-
leistung oder das Schwert. War es also sicherlich der
Staat, und nur der Staat, der in diesem Falle die Sache
auch der Kirche zu führen hatte, so waren es doch ebenso
gewils die Interessen der Kirche, welche seine Hand-
lungen bestimmen mulsten.
So sehr man nun in Sachsen gerade den christlich-
konfessionellen Charakter auch des politischen Gemein-
wesens zu betonen liebte, auf dem eben bezeichneten
Felde hatte er sich bis dahin nur wenig, oder eigentlich
gar nicht bewährt. Mit Ausnahme der nur allzu kurzen
Episode Grell war die sächsische ßeichspolitik, in Sonder-
heit soweit sie sich auf den protestantisierten Kirchen-
besitz bezog, seit dem Regierungsantritte des Kurfürsten
August ein einziger grolser Rückzug vor dem Andrängen
der katholisch -reaktionären Gegenreformation gewesen.
Gleichwohl stand man noch viel zu tief in den kon-
fessionellen Gegensätzen, aus welchen ja auch der Kur-
staat, so wie er sich entwickelt hatte, hervorgewachsen
war, als dals man so ganz von ihnen unberührt hätte
bleiben können. Dazu sorgten die ungestümen Forde-
rungen der jesuitischen Litteratur auf der einen Seite
und die Warnungsrufe der entschiedenen Unionspolitiker
auf der andern zur Genüge dafür, dals man das Interesse
der gemeinen protestantischen Sache nicht vollständig
aus den Augen verlor. Als die kurfürstliche Politik
daher. Schritt vor Schritt vor der altkirchlichen Reaktion
zurückweichend, schlielslich in den Jahren 1619 und 1G20
bis zum Bunde mit ihren vornehmsten Vertretern gelangt
war, erwachte allerdings das Bedenken, ob man dem
gegnerischen Prinzip in dem nunmehr wahrscheinliclien
Falle seines Siegs keine allzu lockenden Aussichten in
Hinsicht auf den greisen Streitpunkt der Bekenntnisse
■ — eben den kirchlichen Besitz — erölfnen Avürde. Nichts
ist von höherem Belang für die Beurteilung unserer da-
maligen Politik, als Avie gerade dieses Bedenken in der
diplomatischen iiktion seinen Ausdruck fand. Zugestanden,
es gab Gründe, welche für eine Stellungnahme an der
286 Ludwig Schwabe:
Seite der Maximilian und Ferdinand zu sprechen schienen ;
die Frage war nur, inwieweit eine solche Stellung-nahme
ohne Schädigung des religiösen Prinzips möglicli war,
durch welches doch auch die politische Existenz des Kur-
staats zum guten Teile getragen ward.
Im Dezember 1619 befand sich der treueste Bundes-
genosse der kursächsischen Politik, Landgraf Ludwig
von Hessen-Darmstadt, in Dresden, um über die gemein-
sam den böhmischen Unruhen gegenüber zu ergreifenden
Malsregeln Rats zu pflegen. Man fand si(-h bald beider-
seits in dem Gedanken einig, dafs Kaiser und Liga
gegen die aufständischen Böhmen zu unterstützen seien:
zugleich falste man jedoch auch die religiös -kirchliche
Seite der Sache sehr lebhaft ins Auge. Die kursäch-
sischen Staatsmänner meinten, man dürfe die Verbindung
nicht eingehen, bevor man nicht von den katholischen
Ständen ein bmdendes und verbrieftes Versprechen er-
langt, den etwaigen Sieg nicht zu Wiedererlangung des
säkularisierten Kirchenguts ausnutzen zu wollen. Die
sehr berechtigte Ansicht wurde laut, nicht um „der
Unirten Klösterlein" sei es den Ligisten zu thun: wo-
nach sie strebten, sei die Restitution der hohen Stifter,
namentlich im niedersächsischen Kreis. Man glaubte
nicht einmal der Neutralität der jetzigen Inhaber dieser
reichen Territorien gewils zu sein, wenn man ihnen nicht
eine unbedingte Sicherstellung in Hinsicht ihrer Besitz-
rechte verschaffen würde. So wurde denn die baldige
Zusammenberufung eines Konvents aller Verbündeten in
Aussicht genommen, der in erster Linie nach dieser
Richtung hin die wünschenswerten Garantien beschaffen
sollte: Landgraf Ludwig übernahm es, die ligistischen
Stände zum Besuch desselben einzuladen.
Die letzteren nun waren sich schon vorher darüber
im Klaren gewesen, dafs ohne Zugeständnisse in betreff
der geistlichen Güter die so wertvolle Unterstützung
Kursachsens für den böhmischen Feldzug nicht zu ge-
winnen sein würde. Als sie vor den mit Sachsen zu
treffenden Abmachungen in Würzburg (Februar 1620)
zusammentraten, um über die Haltung, die man auf dem
Konvent einnehmen solle, zu beraten, erklärte sich das
Haupt der Liga, Maximilian von Bayern, bereit, die pro-
testantischen Stifter durch ein feierliches Versprechen
nicht nur vor gewaltsamer Rückforderung, sondern auch
für alle Zeiten vor rechtlicher Inanspruchnahme (durch
Kursächsische Kircheupolitik. 287
Kammergerichts- oder Reichshofratsprozesse) siclierstellen
zu wollen. Mit ersterem waren auch die anwesenden
geistlichen Stände zufrieden, das letztere schien ihnen
zu viel. Sie meinten, es sei genug-, wenn man die recht-
liche Inanspruchnahme für eine bestimmte Anzahl von
Jahren sistieren würde ^). Der Unterschied von der
bayrischen iluffassung war doch wohl nur ein ideeller:
thatsächlich lief beides auf dasselbe hinaus.
Im März 1620 fanden sich die künftigen Verbündeten
— von ligistischer Seite Bayern, Kurmainz und Kurköln,
von lutherischer Kursachsen und Hessen -Darmstadt —
in Mühlhausen zu dem geplanten Konvente zusammen.
Wer hätte nun nicht erwarten sollen, dafs jene von den
Katholiken selbst für unumgänglich gehaltenen Zugeständ-
nisse das Mindeste geAvesen wären, was die beiden evan-
gelischen Stände erlangen würden? Aber bekanntlich
haben sie nicht einmal das erreicht. Wir unterziehen
ihr Verhalten bei dieser Angelegenheit einer etwas ge-
naueren Betrachtung, als es bisher geschehen ist'^).
Die, wie erwähnt, wichtigste Frage, welche den
Mühlhausener Konvent zu beschäftigen hatte: wie man
die ober- und niedersächsischen Inhaber geistlicher Terri-
torien über die Bedenken hinsichtlich des ungestörten
Besitzes ihrer Stifter versichern könne, wurde schon in
der ersten Session von Kurköln angeregt: in der zweiten,
am 17. März, legte Sachsen seine Stellung in der Sache
dar. Es verbreitete sich zunächst über die langjährigen
Wünsche der protestantischen Administratoren, die sich
seines Erachtens im wesentlichen auf vier Punkte er-
streckten: Erteilung der Regalien, Sitz- und Stimm-
berechtigung auf den Reichsversammlungen, Teilnahme
an den Kammergerichtsvisitationen, Ausstellung kaiser-
licher Indulte und Protektorien. Die kurfürstliche
Politik war nun von allem Anfang an weit entfernt, und
äulserte sich auch schon bei der zweiten Umfrage nach
^) Aretin, Bayerns ausw. Verh. seit dem Anfang des 16. Jahr-
hunderts, Urkunden No. 16. Gindely , Gesch. d. 30jiihr. Kriegs II,
419 f. Tupetz, Der Streit um die Geistlichen Güter und das
Restitutionsedikt. 1883, 29.
-) Quellen: Die zwei verworfenen Entwürfe und die end-
gültige Fassung der Mühlhausener „Assekuration", und das kur-
sächsische Protokoll üher die Verhandlungen, alle im Dresdner Ar-
chiv III, 67^', 216, 33. Aufserdem das Darmstädter Protokoll bei
H ä b e r 1 i n - S e n k e n b e r g , Neuere Teutscüe lieichsgeschichte XXIV,
486 ff.
288 Ludwig Schwabe:
dieser Riclitung liin ganz ausdrücklich, die angefülirten
Forderungen auch ihrerseits sich anzueignen -^j. Viel-
mehr erklärte der sächsische Vertreter, Präsident von
Schönberg, sogleich, der Kurfürst müsse sie selbst zum
grölsten Teile als dem ßeligionsfrieden zuwiderlaufend
betrachten. Allein, wie sie nun lange Jahre daher ein
Gegenstand des Streits zwischen den Ständen beider
Konfessionen gewesen, so hätte ihre dauernde und kon-
sequente Nichtbewilligung unter den Inhabern der pro-
testantischen Hochstifter das dringende Mißtrauen er-
zeugt: man wolle sie mit Gewalt aus ihrem Besitze ver-
drängen. Die Herren Katholischen mülsten selbst ein-
sehen, wie groliä die Gefahr sei, wenn die niedersäch-
sischen Stände hierdurch dem Kaiser entfremdet oder
gar den linierten in die Arme getrieben würden, die es
ihrerseits an nichts mangeln lielsen, jenes Milstrauen
wach zu erhalten und anzufachen. Es ginge nicht
anders, wolle man die Administratoren auf der Seite
des Kaisers erhalten, müsse man ihnen hinsichtlich der
erwähnten Punkte in etwas zu Willen sein.
In etwas, das hiefs also: teilweise. Inwieweit man
ihnen nach Meinung Schönbergs entgegenkommen solle,
und inwieweit nicht, welche ihrer Forderungen man also
für im Religionsfrieden begründet fand und welche ihm
zuwiderlaufend, darüber giebt ein kursächsischer Entwurf
der „Assekuration" Aufschluls, mittels welcher man nach
Beschluls des Konvents katholischerseits das Versprechen
einer Sicherstellung der protestantischen Stifter beur-
kunden sollte. Hierin war im Namen der ligistischen
Stände nichts weiter versprochen, als dals man die Ad-
ministratoren jetzt und für alle Zeiten nicht mit Gewalt
— „de facto", wie man sich euphemistisch auszudrücken
beliebte — aus ihren Stiftern verdrängen wolle ; für Er-
langung kaiserlicher Indulte in betreff ihrer Lehen und
Regalien sollte ihnen die Förderung der katholischen
Stände zugesichert sein. Vergleicht man dies mit den
von Kursachsen selbst angeführten vier Hauptanliegen
der niedersächsischen Possessoren, so erkennt man un-
schwer, dals von ihnen allen nur das letzte aufrecht er-
halten war: die drei ersten also befand Kursachsen
selbst als dem Religionsfrieden ungemäfs. Nun waren
^) Anders Gindely 11,426 und wohl diesem folgend die sonst
vortreffliche Arbeit von Tu^ietz 29.
Kursachsische Kircheiipolitik. 289
diese drei ersten aber gerade diejenigen Gravamina, in
welchen der Widei'stand gegen die verbalsten Bestim-
mungen des geistlichen Vorbehalts seine geschichtliche
Ausprägung und schliefsliche Zuspitzung erhalten hatte.
Es ist bekannt, wie die Beseitigung jener Klausel des
Religionsfriedens, welche bei Abfassung des Augsbm^ger
Gesetzes von den Protestanten zwar zugelassen, hinsicht-
lich ihrer Verbindlichkeit aber von allem Anfang an be-
stritten wurde, von dem deutschen Protestantismus ent-
schiedener Richtung in sechzigjährigem mühsalsvollen
Kampfe erstrebt worden war. Kursachseu hatte sich
bis dahm zu einem offenen Anschlulis an diese Be-
strebungen zwar nicht aufzuschwingen vermocht, aber die
Rechtskräftigkeit des Vorbehalts doch auch niemals aus-
drücklich zugestehen wollen. Gerade jetzt, wo es eine
politisch so vorteilhafte Stellung einnahm, wich es auch
in diesem Punkte, und erkannte den Vorbehalt wenn in-
direkt, so doch ausdrücklich als einen Bestandteil des
Religionsfriedens an, den es in seiner Gesamtheit un-
verbrüchlich zu halten versprach. Wenn es damit selbst-
verständlich die Rückgabe der Stifter keineswegs in Aus-
sicht stellte, so zog es doch mit dieser seiner Erklärung
den Administratoren den Rechtsboden unter den Fülsen
weg. Ihre Eortexistenz war von nun an im Simie des
sächsischen Kabinetts auf ein Versprechen der Liga-
fürsten und auf kaiserliche Gnadenbewilligung gestellt.
Hiermit hatte der kirchenpolitische Eifer des kurstaat-
lichen Protestantismus seinen Nullpunkt erreicht; es schien
kaum möglich, dals man noch einen weiteren Schritt
zurückweichen könne.
Und dennoch — sollte man es glauben ? — es wurde
möglich gemacht. Der besprochene kursächsische Ent-
wurf war die Antwort auf eine ligistische Fassung der-
selben Assekuration gewesen, welche schon vorher im
Namen der anderen von Kurmainz festgestellt \\ürden
war. Wie ganz anders hatten darin die Altgläubigen
die Ansprüche ihrer konfessionellen Politik zu vertreten
gewusst! Schon der Form nach erschien hier die Asse-
kuration als ehi zeitweiliges, durch die bedrängte Lage
gerechtfertigtes Zugeständnis. Auch versprach man den
Administratoren nur Sicherung vor gewaltsamem Über-
fall; die Belangung auf dem Rechtswege war ausdrück-
lich vorbehalten. Und an die weitgehendsten Beding-
ungen hatte man diese kümmerlichen, fast beleidigenden
Neues Archiv l. S. (I. ii. A. XI. .1. 1. 19
290 Ludwig Schwabe :
Zugeständnisse geknüpft: dem Kaiser sollen die nieder-
sächsischen Stände für immer und gegen jedermann ver-
pflichtet sein ; auf die reichsständische Sessions- und
Stimmberechtigung ist ein für allemal zu verzichten; die
Rechtsbeständigkeit des geistlichen Vorbehalts soll aus-
drücklich anerkannt und von diesem Anerkenntnis die
Bewilligung der Assekuration abhängig gemacht werden.
Ein wenig war dies doch auch den Kursachsen zu viel;
sie setzten, wie gesagt, dieser Fassung der Assekuration
jenen Entwurf entgegen, den wir oben erörterten. Un-
günstig für die protestantischen Interessen wie er Avar,
hätten sie nun wenigstens auf ihm beharren sollen. Aber
die Räte nahmen es mit diesen Dingen nicht so genau:
die Beratungen mit den Ligisten wurden ohne besonderen
Zeitaufwand in den freundschaftlichsten und verbind-
lichsten Formen ohne Assistenz der regierenden Herren
geführt. Die Abfassung des Religionsfriedens hatte
seiner Zeit fast dreivierteljährige Beratungen erfordert,
so gründlich hatte man es genommen: diese seine erste
authentische Interpretation von wirklich politischem Be-
lang war in wenigen Stunden beendet. So kam es denn,
man möchte sagen unversehens, dass die Assekuration
in ihrer sclilielslichen Vollendung dem katholischen
Entwürfe um vieles näher stand, als der sächsischen
Fassung. Vor, allem lautete sie nur auf Sicherung vor
gewaltsamem Überfall; der Rechtsweg gegen die Ad-
ministratoren, den der kursächsische Entwurf den Katho-
liken wenigstens nur stillschweigend offen gelassen, war
in der Urkunde selbst mit klaren Worten vorbehalten.
Die Forderung, dais die niedersächsischen Stände sich
zu dem geistlichen Vorbehalt ausdrücklich bekennen
sollten, hatten die Ligisten zwar fallen gelassen, dagegen
hatten sie die Erklärung eingefügt, dals von ihnen selbst
die Assekuration nur unbeschadet eben des Vorbehalts
erlassen worden sei. Ferner war die Unterstützung der
habsburgischen Politik wenigstens für den Fall aus-
bedungen, dals der Kaiser „wider die Reichssatzungen"
angegriffen werden sollte — eine dehnbare Bestimmung!
Und schlielslich hatte man die kursächsische Bestimmung
über die Protektorien und Indulte in einer Weise zur
vollständigen Inhaltslosigkeit umkorrigiert, wie sie den
jesuitischen Geist des Zeitalters nicht besser bezeichnen
könnte: die Katholiken sollten nunmehr die Administra-
toren bei ihrer Erlangung nicht mehr zu unterstützen
Eursäclisische Kirchenpolitik. 29l
verbunden sein , sondern sie nur nicht hindern dürfen ;
auch sollte sich dieses Versprechen nur auf Schutzbriefe
beziehen, die dem Inhalt der Assekuration gemäls sein
würden. Mit anderen Worten: der Kaiser sollte, soviel
an den Ligisten lag, im einzelnen Falle bewilligen dürfen,
was diese selbst schon fürs Allgemeine zugestanden
hatten! —
Dieser Art waren also die Garantien, auf Grund
deren der Kurstaat den Bund mit der Liga vor dem
eigenen Gewissen verantworten zu können glaubte. Es
war sehr begreiflich, dafs auch König Ferdinand die
Assekuration „den geistlichen und weltlichen Rechten
und den Reichskonstitutionibus gemälis" befand; er setzte
sich mit Bayern in Vernehmen, um mit diesem und den
geistlichen Häuptern der Liga gemeinsam die etwa ge-
forderten Indulte und Protektorien im Sinne der Asse-
kuration abzufassen.
Natürlich hatte er sich ebenfalls bemühen müssen,
ehe es ihm gelungen war, den Beistand Kursachsens zu
gewinnen, dessen Gewissensbedenken hinsichtlich der
Religionsfrage auch seinerseits zu beschwichtigen. In
bezug auf ihn war die Notwendigkeit einer ausreichenden
Versicherung ja noch um ein Bedeutendes dringender,
da seine Politik, wie schon anfangs erwähnt, nicht nur im
Reiche, sondern auch in seinen eigenen Landen mit den
Interessen des Luthertums in mannigfachster Weise kol-
lidieren mulste. Leider sind wir nun über die mit ihm
gepflogenen Verhandlungen nicht in gleich vollständiger
Weise unterrichtet, wie über die Abmachungen mit den
Ligafürsten; die Akten des Dresdner Archivs lassen uns
an entscheidenden Stellen im Stich, und was bislang
anderswoher beigebracht worden ist, hat die Lücken
keineswegs auszufüllen vermocht. Gleichwohl dürfte das
wichtigste auch jetzt schon feststehen. Man muis wohl
annehmen, dals die Versprechungen, welche Graf Dohna
im Auftrage des Kaisers dem Kurfürsten Johann Georg
vor der Mühlhausener Versannnlung (9. JNlärz) über-
brachte, und die man bisher anoIiI mit Recht allgemein
als mit den endgültigen Abmachungen zwischen beiden
gleichlautend angesehen hat — dals diese Versprechungen
auch hinsichtlich der kirchlichen Punkte keine wesent-
liche Minderung oder Erweiterung erfuhren: ersteres
war kaum möglich, dals das letztere stattgefunden habe,
wird durch den späteren Verlauf der Dinge in keiner
19*
292 Ludwig ScliAvabe :
Weise nahe gelegt. Wie dem aucli sei, jedenfalls waren
die Zusagen Ferdinands, wie sie Dohna überbrachte,
nicht im mindesten von bindenderer Natur wie die eben
erörterte Assekuration seiner ligistisclien Verbündeten.
In Ansehung der Reichspolitik versprach er nur, „den
Religionsfrieden in seinem rechten Verstände immerfort
erhalten" zu wollen; allein man wufste ja nur zu gut,
wie er ihn verstand, und dals man ihn überhaupt, inhalts-
los wie er war, in jeder beliebigen Weise verstehen
konnte. Wenn er aber hinsichtlich der böhmischen
Lutheraner und ütraquisten die durch den Majestäts-
brief zugesagte Glaubensfreiheit nur dann fortbestehen
lassen wollte, „falls sich die Lande zur Gebühr nochmals
weisen lassen würden'', so wäre es doch geradezu absurd ge-
wesen, wenn man hiermit einen Schutz für das lutherische
Bekenntnis nach der Niederwerfung des Aufstands erlangt
zu haben glaubte. Es war ein recht plumper Kniff und
eine handgreifliche Mentalreservation : Sachsen verlangte
die Sicherstellung für seine Glaubensgenossen als Preis
für seine Teilnahme an der Bekämpfung der Rebellion,
der Kaiser bewilligte sie für den Fall, dals diese Be-
kämpfung überflüssig würde! Indessen, Avie gesagt, es
liegt kein Grund vor anzunehmen, dalis man von Dresden
aus auf eine präzisere Fassung der kaiserlichen Garan-
tien gedrungen hätte.
Und doch hätte man noch einmal Gelegenheit ge-
habt, das Luthertum wenigstens in Böhmen und den in-
korporierten Landen sicherzustellen: als es sich um Aus-
stellung der kaiserlichen „Commission" handelte, kraft
deren der Kurfürst an der Exekution gegen die auf-
ständischen Lande teilnehmen sollte*). Bei ihrer ersten
Fassung (d. d. 22. April 1620), nach welcher dem Kur-
fürsten die Besetzung Schlesiens und der Lausitzen über-
*) Über die Ausstellung der Kommissioneu vergl. Gindely
II, 437 ff. und Knothe, Der Anteil der Oberlausitz an den Anfängen
des SOjähr. Kriegs, S. 49 f., welcher letztere freilic-h die kirchliche Seite
der Sache nicht ins Auge fafst. — Wir erwähnen bei dieser t^re-
legenheit, dafs das von Knothe a. a. 0. S. 52 auszugsweise mit-
geteilte Gutachten nicht dem kui'sächsischen Geheimen Rat, sondern
der Sachsen -koburgischeu Kanzlei entstammt. Auch sein Inhalt ist
nicht entsprechend wiedergegeben: es empfiehlt nicht „vertrauliche
Beratung zwischen den katholischen und protestantischen Fürsten",
sondern Vereinigung nur der evangelischen Stände. Einen solchen
Vorschlag hätte das kursächsische Kabinett niemals gemacht, am
Aveuigsten im Sommer 1620.
Kursächsische Kirchenpolitik. 293
tragen ward, war eine jede Erwähnnng des Majestäts-
briefs und eines Versprechens, ihn nicht Aviderrufen zu
wollen, vermieden. Man eni])fand dies in Dresden, poli-
tische und militärische Bedenken kamen hinzu : der Kur-
fürst ersuchte den Kaiser, eine andere Vollmacht aus-
zustellen. Ferdinand kam diesem Wunsche nach und
übersandte eine zweite Kommission (d. d. 6. Juni 1620),
welche zwar den nicht religiösen Forderungen Johann
Georgs gerecht wurde: allein des Majestätsbriefs ge-
dachte auch diese neue Fassung nicht. Dafür entschlofs
sich der Kaiser nach Befragung mit seinen geistlichen
Beratern durch einen gleichzeitig abgehenden Privatbrief
die konfessionellen Bedenken seines evangelischen Alliierten
niederzuschlagen; es war ein Schriftstück, welches an
nichtssagender Gewundenheit seinesgleichen suchte'^).
Im wesentlichen lief sein Inhalt darauf hinaus, dals der
Habsburger „teutsch, kaiserlich und aufrichtig" ver-
sicherte, durch die Weglassung jener kirchlichen Zusagen
in der neuen Kommission solle der Gültigkeit seiner
früheren Versprechungen kein Abbruch geschehen. Was
es aber mit diesen früheren Versprechungen auf sich
hatte — es mufsten doch wohl die durch Dohna im
März überbrachten gemeint sein — haben wir soeben
^) Vergl. Clindely 11,439, der das Schreiben wohl nach einer
Abschrift aus der Collectio Camerariana in München mitteilt. Da
seine Angaben mit den nnsrigen nicht übereinstimmen, sei es er-
laubt die einschlägige Stellt! aus dem im Dresdner Archiv befind-
liclicn Original mitzuteilen: ,.Allss liab Ich in erwegmig, mit wafs für
unpillichcn, ungleichen Auflagen meine llebcUeu und ir Anhang mir
und dem gemaineu wesen in allen occasioneu nachzustehen pflegen,
hiemit Eur L. Teutsch, aufrichtig, freundlieh und gnedig verstendigen
AVöllen, dafs ob wohl in dem an dieselbe abgangene Executions ('om-
mission , betreffend unsei' Künigreich Behaimb und ctzliche Ineor-
porierte Länder, Ich mich gegen den Jenigen, die sich zum ge-
pürenden üehorsamb widerumb ergeben werden, der Privilegien
halltei-, allain in genere ercläit, und allso defs Mayestet Briefs oder
der Religion aintzige Meldungen nicht geschehenn: so ist doch sol-
ches allain dahin angesehen, damit Meinen und E. L. Feinden nicht
ferner Ui'sach gegeben werde, Ire C'alvinische, Bluetdürstigc, gefähr-
liche Anschleg unter disem Scliein und Deckhmanttel defs Mayestet-
briefs zu Veränderung aller Bolicey, ja defs Keliüionfrieden selljst,
widerumb auf die Bahn zu pringen. Ich vergwisse aber Eur L.
hiemit Kaiserlieh, Teutscii und Aufiiebtig, dafs nichts desto weniger
all dasjenige, so von 3[ir Eur L. versprochen und dem Beligion-
friden im lieich, darauf das übei'ige alles gerichtet, gemäfs. ilarunter
verstanden, imd demselbigenn würrklieh nachkommen wenlen solle.
Dabey auch die alte Hussiten in ilehaim veniiiig der Eltern \'er-
gleichungen mit ausgeschlossen scia sollen."
294 Ludwig Schwalje :
gesehen. Es war klar, und konnte auch den Dresdner
Staatsmännern unmöglich entgehen, dals sich der Kaiser-
hof hinsichtlich der kirchlichen Fragen mit ausgesprochener
Absichtlichkeit in ein Halbdunkel hüllte, welches die
letzten Ziele seiner Politik durch lügnerische Vorbehalte
und Zweideutigkeiten verschleiern sollte. Dies in Ver-
bindung mit der entschieden katholischen Haltung der
zu Mühlhausen verhandelnden Ligisten mulste auch der
ärgsten Vertrauensseligkeit über die Richtung die Augen
öffnen, in welcher sich der streitlustige Katholizismus
nach Niederwerfung der böhmischen Eebellion zu be-
wegen gedachte.
Wenn sich Sachsen gleichwohl an dieser Nieder-
werfung beteiligte, so ist es ja wahr: es wurde zunächst
durch politische Gründe bestimmt. Auch die Loyalitäts-
empfindungen mag man immerhin mit in Anschlag bringen,
die man dem leider selbst gewählten Kaiser gegenüber
zu hegen wenigstens behauptete. Dazu wissen wir jetzt,
dals die schneidigste Waffe in den Verhandlungen mit
den Ligisten, die freie Verfügung über das eigene Schwert,
schon aus der Hand gegeben war, noch ehe jene ihren
Anfang genommen: bevor noch Kurfürst Johann Georg
in Mühlhausen eingetroffen war, hatten jene oben-
erwähnten Besprechungen mit dem kaiserlichen Ge-
sandten, Grafen Dohna, stattgehabt, in welchen der
Kurfürst gegen Gewährung des pfandschaftlichen Be-
sitzes der Lausitzen und der Abfindung mit einem
deutschen Reichsterritorium (Johann Georg hatte es auf
das Gebiet des calvinischeu, in den böhmischen Aufstand
so tief verAvickelten Fürsten von Anhalt abgesehen) dem
Kaiser und der Liga seine Waffenbrüderschaft gegen das
evangelische Böhmen zugesagt hatte*'). Auch wenn er
dazu willens war, er wäre in Mühlhausen gar nicht mehr in
der Lage gewesen, mit Verweigerung seiner Unterstützung
zu drohen. Dafs man aber katholischerseits einzig und
allein, um den niedersächsischen Kreis zu gewinnen, nun-
•5] Wir verdanken diese Kenntnis der Sache Gindelys Stu-
dien im Arcliiv von Simancas, vergl. Gesch. d. 30j. Kriegs II, 423.
Allerdings ist ihm auch die Verantwortung für die Richtigkeit seiner
Angahen zu üherlassen. — Müller, Fünf Bücher vom Böhmischen
Kriege, 368 und ihm folgend Opel, Der nicdersäclisisch- dänische
Krieg I, 81, lassen den Grafen Dohna an dem Mühlhausener Tage
teilnehmen; damit wird natürlich die ganze politische Situation in
ein irriges Licht gesetzt.
Kiirsächsische Kircheupolitik. 295
mehr noch den ein Jahrhundert lang behaupteten Eechts-
standpunkt fallen lassen sollte, war nicht zu erwarten.
Kurköln äulserte, wolle man in den Zugeständnissen an
die Protestanten wpiter jjehen als bis zu einer Sicherung
vor gewaltsamem Überfall außerhalb Rechtens, so würde
das commodum, soviel auch sonst an diesem Kreise ge-
legen, dem nicht gleich wägen, was dagegen bewilligt
würde; demgemäls tiel die Entscheidung.
Allein, dies alles in Eechnung gezogen, der für das
Verhalten Kursachsens im Innersten bestimmende Beweg-
grund ist damit noch immer nicht gegeben: er liegt auf
dem Gebiet, über welches kein Aktenstück und keine
Chronik Auskunft giebt. Wir bemerkten, Staat und
Kirche hatten sich in Sachsen üi einer Weise zusammen-
gefunden, dals man sie ohne Übertreibung als ein Ein-
ziges bezeichnen durfte. Ursprünglich war es der Staat
gewesen, der die autonom entwickelte Kirche in seine
Bahnen gezwungen; dann hatte wiederum die Kirche
den eigene AVege suchenden Staat in den alten Geleisen
festgehalten. Wirkung und Gegenwirkung hatten das
eine Lebensgesetz für beide erzeugt: ihm folgend, wähl-
ten sie auch jetzt ihre Stellung.
Hier, in dem Ländergebiet, das unser Kurfürst be-
herrschte, hatte vor einem Jahrhundert die kirchliche
Reformbewegung ihren Ursprung gefunden. Allem, was
deutsch war, hatte ein Sohn des thüringisch-sächsischen
Bodens den Stempel seines Geistes aufgedrückt; es
schien, als ob das Staatswesen, das nach seinem Sinne
umgebildet war, den Mittelpunkt für die Zukunft der
Nation bilden müsse. Da hatte es sich im Getriebe
der dynastischen Verwicklungen gefügt, dafs man das
religiöse Grundprinzip zu einem Objekt der diploma-
tischen Geschäfte herabgemindert hatte: es ward eine
Zeitlang verleugnet, ja aufgegeben, um Vorteile zu
erlangen, wie sie aufscrhalb der Linie lagen, die wenig-
stens die Politik des Kurhauses bis dahin inne gehalten.
Und nun konnte es wohl nicht anders sein, wollte man
sie behaupten, so mulste man auf die Dauer den Ideen
entsagen, welchen man mit ihrer Erlangung untreu ge-
worden. So kam es, dals Sachsen die Anwartschaft auf
eine grolse Zukunft aus den Händen gab und, wie es zu
geschehen pflegt, die be(iueme Gegenwart mit dem Hecht
296 Ludwig Schwabe :
des Bestellenden zu stützen suchte. Nichts war fortan
diesem Staat und dieser Kirche feindlicher als die gäh-
rende Kraft der fortschreitenden Idee, die sie doch selbst
ins Leben gerufen : um sich selbst zu sichern , erkannten
sie ein für allemal alles an, was bestand, und fanden es
herrlich, so wie es bestand. Hinter den Lehrsätzen der
Augustana und des Konkordienbuchs fand man sich mit
allen auserwählten Lutheranern so sicher geborgen, wie
hinter festen Mauern: warum sollte man ihre dauerbare
ünveränderlichkeit in Frage stellen, indem man sie nach
aufsen zu verrücken suchte? Allem, was darauf abzielte,
stand Kursachsen milstrauisch, ja feindlich gegenüber.
Dagegen glaubte es in der altgegründeten Orthodoxie
des Katholizismus ein verwandtes Moment des Beharr-
lichen zu erblicken; die Erkenntnis, dals auch Reaktion
soviel wie Bewegung bedeutet, nur nach rückwärts, ging
den sächsischen Staatsmännern erst in den bitteren Er-
fahrungen der Folgezeit auf. Damals nahmen sie sich
noch der Existenzberechtigung der alten Kirche mit einer
Wärme an, welche die Reformatoren, oder wenigstens
Luther, in nicht geringes Erstaunen versetzt haben würde.
Dafs man sie, die in Böhmen seit uralten Zeiten be-
standen, von dort zu verdrängen suche, wurde geradezu
— und ich bin überzeugt, mit voller Aufrichtigkeit —
als ein Grund für die Parteinahme gegen die Rebellen
angeführt"). Als man die Jesuiten im Jahre 1619 aus
Böhmen auswies, befand man diese Mafsregel in Sachsen
nicht nur für inopportun; man hielt sie vor allem für
ungesetzlich. Und das Gesetz, dem sie zuwiderlief,
natürlich war es der „hochbeteuerte und hochverpönte
Religionsfriede, dieses löbliche Band". Li ihm, dem
ideenlosesten aller weltgeschichtlichen Verträge, wurde
die Weisheit toleranter Staatskunst nun ein für allemal
erschöpff befunden. Es gab keinen Schmeichel- und
Ehrennamen, der die unbegrenzte Ehrfurcht vor dieser
Magna Charta des lutherischen Epigonentums hinreichend
hätte ausdrücken können: er und die Augsburger Kon-
fession, beide wurden mit derselben Bezeichnung geehrt,
es waren die „Augäpfel" des gemeinen Wesens. Die
Konfession mochte sehen, wie sie sich in dieser Gesell-
schaft befinden würde. Und wie das Grundgesetz des
paritätischen Reichs, so wurde das Reich selbst be-
') Vergl. die Äiifserung Scliönbergs bei Müller a. a. 0. S. 346.
Kiirsächsische Kircheiipolitik. 297
trachtet: als das Ideal aller Staatsformen. Verwesend
und dem Tode geweiht war es in Wirklichkeit schon
damals; von diesem Standpunkt aus wurde es für un-
sterblich erklärt. Es gehörte zu den Glaubenssätzen
des orthodoxen Luthertums, dals das heilige römische
Keich, wie es seit 1555 konstituiert war, die wahre vierte
Monarchie Danielis sei, welche bis zum Ende der Zeiten
bestellen würde '^).
Wie erbittert war man doch, dafs man daran zu
rühren wage: dafs man, um Schönbergs Worte zu ge-
brauchen, „an die dismembratio einer so herrlichen struc-
turae denken könne, als sie bishero in diesem Reiche be-
funden". Es war die jähe Aufwallung eines Schläfrigen,
der zu seinem Ärger im Schlummer gestört Avird: die
unbequemen Wecker, gegen die sie sich richtete, waren
die Politiker der Union und die Calvinisten. In der
That, unüberbrückbar mufste der Gegensatz werden, in
welchen der Kurstaat durch diese seine Haltung zu den
letzteren geriet. Sie hatten ja die Prinzipien auf-
genommen, die jener von sich geworfen, mit geringeren
Kräften zwar, aber erhöhtem Enthusiasmus. Nichts
falscher, als wenn man den Gegensatz der reformierten
Konfessionen auf den dogmatischen Eifer reclithaberischer
Theologen zurückführen will; die Dogmen sind Neben-
sache: es war ein prinzipielles Verhältnis, wie es im
Grunde noch heute besteht. Nicht in den Punkten, in
denen die Calvinisten von den Lutheranern abwichen, in
der Lehre vom Abendmahl oder der Praedestination, son-
dern in der Thatsache, dals sie von ihnen abwichen,
darin liegt die Grölse des Gegensatzes. Jene wünschten
die Ideen durch die Autorität der Kirche und des Staats
beherrscht, diese fanden in der Idee selbst die höchste
Autorität auch innerhalb der Kirche und des Staats.
Dem Charakter des Zeitalters entsprechend waren diese
Anschauungen gezwungen, lokale Färl)ung anzinielimen ;
sie äuiserten sich beinahe minder auf dem Gebiet der
Lehre, als auf dem der allgemeinen Politik. Die Cal-
vinisten waren die Träger der protestantischen Proi)a-
ganda. Als echte Ideologen protestierten sie gegen das
Lebensrecht anders gearteter Überzeugung; sie erkann-
ten, dals auch diese auf die Vernichtung der Gegnerin
8) Vergl. z. B. (Höe), Deutliclir uikI «ründliclie Aufstuhning
di-eyer hochnötiger Frageu, S. 57.
298 Ludwig Schwabe :
ausgehen miifs. Den bestehenden Rechtszustand, der die
vornehmste Gewalt in die Hände der alten Kirche gab,
erklärten sie für unerträglich : es sei albern und lächer-
lich, an seiner Aufrechterhaltung zu arbeiten: sein Unter-
gang sei in den Sternen beschlossen^). So hielten sie
die dogmatischen Symbola für verbesserungsfähig, die
Reichsverfassung für überlebt, den Religionsfrieden für
ein Unglück. Hier wie dort verschmolz sich Religion
und Politik bis zur Unzertrennlichkeit, System stand
wider System, und man sollte das Bestimmende dieses
prinzipiellen Gegensatzes nicht deswegen leugnen, weil
er mit dynastischen und persönlichen Verhältnissen ver-
quickt worden ist.
Natürlich hatte sich das streng lutherische Staats-
kirchentum in Sachsen, ebenso wie das calvinische in
der Pfalz, nicht ohne die schwersten inneren Kämpfe zu
der Reinheit herausgearbeitet, in welcher es uns in den
Zeiten entgegentritt, von denen wir handeln. Mit blu-
tigem und finsterem Ernst hatte sich in Staat und Kirche
die Auseinandersetzung der Prinzipien vollzogen. Hoch-
sinnige und entschlossene Geister warfen sicli dem Gange
der Dinge entgegen, sie wurden in gewaltsamen Reak-
tionen überwältigt und fanden als Verschwörer und Ka-
tilinarier ein Ende, über dessen nächste Ursachen zum
Teil heute noch geschichtliches Dunkel liegt. So wurden
fremdartige Elemente ausgestofsen , verwandte heran-
gezogen: mit Anfang des 17. Jahrhunderts war dem
äulseren Anschein nach kein falscher Tropfen mehr im
Blute des kursächsischen Lutherturas. Für jede ihrer
Lehrmeinungen wird künftighin der Kirche die Staats-
gewalt autoritäre Geltung erzwingen; es giebt keine
Mafsnahme des Staats, welche nicht aus dem Geiste der
Kirche heraus ihre theoretisch -religiöse Rechtfertigung
finden wird.
Freilich, wenn wir von dem Geiste der Kirche
sprechen, so ist selbstverständlich nicht die Meinung aller
einzelnen gemeint. Eine Selbständigkeit der einzebien
Meinung — wir konstatieren eine einzige Ausnahme, auf
welche wir zurückzukommen haben — fand in der kur-
sächsischen Kirche überhaupt nicht Raum. Wie sie
vielmehr von dem einzelnen Pfarramt bis hinauf zum
*') Londorp, III, 686, 699. Vergi. z. B. auch Höe, Gründ-
liche und abgenötigte Antwort, 146 flg.
Kursächsisclie Kirehenpolitik. 299
Oberkonsistoriiim streng bureaiikratisch gegliedert war,
so wurde sie auch nacli Lehre und Kultus durchweg
von oben regiert: in diesen ihren oberen Regionen ist
nach dem Geiste zu forschen, der auch ihre Allgemeinheit
beseelt. Nun ist es ja wahr, sie fand ihre oberste Spitze
in dem Kurfürsten selbst, in dessen Person die politischen
und religiösen Interessen zusammenflielsen und sich aus-
gleichen sollten : allein bei der gutmütigen und ver-
trauensvollen Nachgiebigkeit Johann Georgs I. war es
leider nicht möglich, dals er auch der Ausfluls für die
Grundsätze geworden wäre, nach welchen sie zu leiten
war. Diese fanden vielmehr ihren Ursprung in der
nächst niederen Instanz, in der geistlichen Behörde, die
ihn persönlich l)eriet: dem Oberkonsistorium. Man weils,
wie sich hier ein weltlicher adeliger Präsident und der
kurfürstliche Oberhofprediger in die obersten Befugnisse
zu teilen hatten; ihnen war ein geistlicher und zwei
weltliche Beisitzer zugeordnet. Wie hätte jedoch der
geistliche Mechanismus dieser Landeskirche eine kol-
legiale Behandlung der Geschäfte vertragen! Es lag in
der Natur der Sache, dals die ausschlaggebende Macht
einem Einzelnen zufiel: aller Wahrscheinlichkeit nach
wird es der Oberhofprediger sein, der auf das Staats-
oberhaupt als dessen Gewissensrat den direktesten per-
sönlichen Einfluls übt.
Während des dreilsigj ährigen Kriegs wurde dieses
vielleicht einflulsreichste Amt im damaligen Sachsen von
Matthias Höe bekleidet — eine vielumstrittene Person!
Die einen haben seine Einwirkungen auf die Ent-
schliefsungen seines Herrn aufs schärfste betont, die
andern sie auf ein geringstes zurückzuführen, beinahe zu
bestreiten gesucht : wenn es uns vergönnt ist, die hier
begonnenen Studien bis zum Ende des grolsen Krieges
fortzuführen, hoffen wir darzuthun, dafis seine Macht und
sein Einflufs kaum hocli genug angeschlagen werden
kann. Er war der persönliche Träger und die klassische
Verkörperung des Systems, weiches wir oben zu schil-
dern suchten: es ist nicht zu umgehen, dals wir seine
Stellung und Persönlichkeit des nähern ins Auge fassen^").
10) Vergl. über Höe den Brecher sehen Artikel in der Allg;.
Deutschen BiogTaphic, avo sich auch di(! ciiischlän-ige Littoratur /u-
saiinneng'estellt findet. Die wertvollsten uml vollstiindiijsteii Kaeh-
riehten liat iioeli immer Cileicli , Aiuiales Eeclesiastiei II. 1 ff. Eine
erschöpfende JJiogiiiphic Höes müfste vor allem seine Streitschriften
300 Ludwig Schwabe :
Matthias Höe von Höenegg war im Jahre 1580 als
Sohn eines Wiener hochgestellten adeligen Juristen ge-
hören. Ein ursprünglich schwächliches Kind, gehörte er
zu denjenigen Menschen, bei denen sich ein starker,
anderweit gehemmter Thätigkeitstrieb auf die geistigen
Gebiete wirft, deren sie sich von auiisen bemächtigen,
ohne innerlich auf ihnen heimisch zu werden. Späterhin
zu einer nur allzukräftigen Konstitution gelangt, benutzte
er die Erwerbnisse seiner mit den Universitätsjahren ein
für allemal abgeschlossenen Studienzeit zu den äufser-
lichsten Zwecken: und in dem Sinne hat er mit den ihm
anvertrauten Pfunden reichlich gewuchert. Diesem Sohn
aus gutem Hause waren die Voiieile seiner Geburt,
deren er sich mit Wohlgefälligkeit rühmte, zugleich mit
den Gewissensnöten fürstlicher Damen und hoher Herren
die bequeme Leiter zu einer wahrhaft erstaunlich einflulis-
reichen Stellung geworden. Was hat er doch für eine
Karriere gemacht! Mit 12 Jahren war er schon Licen-
tiat der Theologie, als junger Mensch von 22 Jahren
wurde er zum Hofprediger Kurfürst Christians II. be-
rufen; schon als Knabe von 16 Jahren hat er seine erste
Streitschrift in Druck gegeben. Es war kein Wunder,
wenn er sich selbst ' als ein auserwähltes Rüstzeug zu
betrachten begann ^^). Freilich wuIste er sich auf der
mit seinem ersten Hofpredigertum erreichten Höhe vor-
läufig nicht zu behaupten. In Zwistigkeiten mit seinen
Amtsbrüdern geraten, mulste er zunächst von Dresden
weichen : er übernahm von da ab die Superintendentur
in Plauen, von wo er wieder nach Prag als oberster
Leiter der dortigen lutherischen Gemeinden ging, ohne
deswegen doch aus kursächsischer Bestallung auszutreten.
Endlich im Januar 1613, in seinem 33. Lebensjahre, er-
öffnete ihm der Tod des ersten kursächsischen Hof-
uncl die ziiiu Teil noch g'auz uiig-enutzten Ä rchivalien des sächsischen
Staatsarchivs heranziehen. Sein handscliriftlicher Nachlafs liegt auf
der Universitätsbibliothek zn Gröttingen.
") Vergl. „Ernste Antwort auf das lästerhaittige Sendschreiben
von Herrn Jacob von Grünthal etc.", Bl. 53: „Im 21, Jahre meines
Alters bin ich zum hohen gradu der Licentiae in der Theologischen
Facultät zugelassen und folgendes Jahrs von Churfürst Christiane
dem Andern zu Ihrer Churf. Durchl. Hofprediger im 22. Jahr meines
Alters bestellet und beruften worden. Ob nun dieses alles zu ge-
schehen möglich gewesen were, wann Gott nicht für andern mich
mit einem iürnehmen Ingenio begäbet bette, das lasse ich zu ver-
stendiger Leute Nachdencken gestellet sein."
Kursäclisisclie Kirclienpolitik. 301
Predigers Paul Jenisch die Stellung, die er von da ab
bis zu seinem Tode, 32 Jahre lang bekleidet hat: das
Oberhofpredigeramt bei Kurfürst Johann Georg I.
Auch hier ist es ihm jedoch keineswegs sogleich
gelungen, die gebietende Stellung einzunehmen, die er
später besafs. Die kursächsischen Hofprediger, es gab
deren drei, waren bis auf ihn im wesentlichen nach
Rang und Machtbereich gleich gewesen, der erste bis
dato nur primus inter pares. Für Höe bildete der ihm
zuerst zugeteilte Titel des Oberhofpredigers zugleich die
Handhabe, auch eine thatsäcliliche und amtliche Über-
ordnung über seine Kollegen und namentlich den zweiten
Hofprediger — damals war es Daniel Hänichen — zu
prätendieren und schlielslich auch zu erlangen. Nach
aulsen fielen zunächst die Streitfragen über das Cere-
moniell des Rangverhältnisses ins Auge; das Entschei-
dende war, dals Höe auch den anderen Hofpredigern
gegenüber das in bezug auf sie bisher nicht bestehende
Recht der Zensur für die geistlichen Beisitzer des Ober-
konsistoriums, deren erster er ja war, in Anspruch nahm.
Hänichen, ein älterer, etwas kränklicher und cholerischer
Herr, im Kanzel- und Federkriege gegen Papst, Teufel
und Calvinismus ergraut, war nicht der Mann, der ohne
weiteres gewichen wäre. So galt es denn einen fünf
Jahre lang währenden, heifsen Kampf, ehe es Höe ge-
lang, den hartnäckigen Amtsbruder zu bezwingen. Ganz
Dresden wurde bei der geistlichen Fehde in Mitleiden-
schaft gezogen. Von den fürstlichen Personen und den
Mitgliedern des Geheimen Rats ging die Parteinahme
für Höe oder Hänichen bis herab auf die Küster und
geistlichen Diener. Die verfeindeten Herren grülsten
sich nicht, sprachen nicht mit einander, kam dieser im
Predigtstuhle neben jenen zu sitzen, so rückte der eine
einen Sessel weiter, um die Berührung mit dem ver-
halsten andern zu vermeiden. Einst hatten die Dresdner
das Schauspiel, dals sie die beiden geistlichen Ober-
häupter des Landes zur Augenweide für das Pii1)likum
von der Annenkirche bis zur Kreuzkirche im lautesten
und heftigsten AVortkampfe hinschreiten sahen: dürfen
wir Höe Glauben schenken, so rief Hänichen schlielslich
im höchsten Zorn: „Pfui, du falsches Herz, dals dich
der Teufel!", er begleitete diese AVorte mit einer leider
nicht milszuverstolienden Gebärde des äulsersten Ab-
scheues. Höe wurde klagbar und trug auf Entfernung
302 Ludwig Schwabe :
Häniclieiis an. Nach einer kurzen Versöhnung, die unter
des Kurfürsten persönlicher Vermittekmg zu stände ge-
kommen, brach die alte Fehde, von Höe geschickt wieder
angefacht, aufs neue aus, und Hänichen mul'ste diesmal
(1G18) weichen: er nahm eine Vokation nach Prag an,
wo er noch vor Jahresfrist starb. An seine Stelle wurde
Martin Schlegel berufen, der Stammvater der berühmten
Dichter- und Gelehi'tenfamilie ; er sowohl, wie der frühere
dritte Hofprediger Dr. Christophorus Laurentius hielten
sich weislich in bescheidener Unterordnung unter den
rücksichtslosen, berechnenden und überlegenen Höe.
Dieser aber gebot von jetzt ab unumschränkt über das
Gewissen seines Herrn und die kirchliche Haltung des
Kurstaates : er hielt sich zugleich für den ersten Kirchen-
fürsten und das oberste Haupt des deutschen Luther-
tums^-).
Als solcher hielt er es nur für angemessen, wenn
auch der äulsere Glanz seiner Stellung seinem Range
entsprach. Wie er der erste war, der den Titel Ober-
hofprediger führte, so schmückte ihn sehr bald die Würde
eines kaiserlichen Pfalzgrafen: er fühlte sich mit Stolz
als einen Hochgraduierten. So liebte er es auch, seiner
persönlichen Erscheinung einen angemessenen Glanz zu
verleihen: die samtenen, aufgeschürzten Hosen und sei-
denen Strümpfe, die goldenen Ketten und Schuhrosen
Höe's bilden ein beliebtes Streitobjekt in der theologisch-
politischen Pubhzistik des dreifsigj ährigen Krieges. Als
ein höchster Beamter von Rang und Adel lebte und
webte er in der Geselligkeit der grolsen Welt: es that
ihm besonders wohl, wenn er mit den hohen Würden-
trägern der alten Kirche wie mit seinesgleichen ver-
kehrte. Dafs er seinen kurfürstlichen Herrn und die
Mitglieder des Hofes an seiner Tafel sah, war nichts
Seltenes ; er versäumte es bei keinem seiner zehn Kinder,
soweit sie während seines Oberhofpredigeramts geboren
wurden, eine Reihe fürstlicher Personen zu Pathen zu
bitten. So hat er denn auch, wie sich ein späterer Hof-
prediger ausdrückt, der sein Leben beschrieb, ein gar
schönes Vermögen erlangt und Gottes Segen aller Orten
12) Dresdner Archiv III, 90, 20g, 86. Ich behalte mir für
späterhin vor, das Wichtigste aus diesem interessanten Aktenstück
mitzuteilen. Gleich I, 668 f. und Käufer, Reihenfolge der evan-
gelischen Hofprediger in Dresden S. 26, berühren den Streit der Hof-
prediger nur flüchtig.
Kursächsisclie Kirchenpolitik. 303
reichlicli spüren können. Dieser eingewanderte Öster-
reicher, der sicher als ein Mittelloser nach Sachsen kam,
endete in einem Kreis adeliger Schwiegersöhne, als Erh-
herr auf Lungwitz, Gönsdorf und Ober- und Nieder-
Rochwitz: und das alles in einer Zeit, wo das Land
verarmte und seinen Kollegen selbst ihr Gehalt gesperrt
war. Es war kein Wunder, wenn man sich über die
Quellen dieses Reichtums Gedanken machte ; der Vorwurf
ist nie verstummt, dais der Oberhofprediger in aus-
giebigster Weise der Bestechung durch seine politischen
Verbindungen zugänglich gewesen sei. Wir haben auf
diese Dinge zurückzukommen: Thatsache ist jedenfalls,
dafe er die kaiserlichen und anderweitigen „Begnadungen"
mit überströmender Dankbarkeit entgegengenommen,
ebenso dals der französische Gesandte ihm eben nach
dieser Richtung hin in nicht mifszuverstehender Weise
Anerbietungen machen durfte als Preis für etwaige gute
Dienste im Sinne der antihabsburgischen Politik seines
Kardinals ^■^).
Lidessen, Höe wäre wahrscheinlich die von ihm ein-
geschlagenen Bahnen gewandelt auch ohne jene äuliseren
Vorteile, die er gleichwohl nicht von sich wies: es Avar
ganz die Richtung, auf die ihn Anlage und Lebensgang
hingeführt. In dem Lehrsystem des Konkordienbuchs
glaubte er nun einmal den bequemen Schlüssel gefunden,
mittels dessen sich alles und jedes Rätsel dieser Erde
mit Leichtigkeit lösen liels. So emsig und vollständig
hatte er es sich angeeignet: welch lästerliche Anmutung,
auch nur ein Titelchen davon aufgeben zu sollen. Wie
leicht und sicher entschied der allezeit Redefertige von
diesem festen Grunde aus die Fragen, welche die Welt
bewegten! Andere mochten sich hüten, das leichtgefügte,
gesprochene Wort durch Vei'ötfentlichung in dem Gesichts-
kreis der Urteiler festzubannen: was Höe sprach, konnte
auch gedruckt werden, und wenn ü-gend möglich, wurde
es auch gedruckt. Die Zahl seiner theologischen und er-
baulichen Veröifentlichungen geht in die Hunderle; sind sie
grölseren Umfangs, so versäumt er selten die Kürze der
Zeit rühmend hervorzuheben, in der sie entstanden sind.
13) Vergl. (ileich II, 204f. Geldgeschoiike erwähnt Höe seihst
prahlerisch ineliimuls, siehe vor aUeni seinen Brief an den Wittcn-
berg-er Professor .Meisner. Thohick. (icist der lutlifrischcii Tlieol.
Wittenhergs S. 37. Vergl. auch Gründliche und abgeuötiyte Ant-
wort, S. 59 flg.
304 Ludwig Schwabe :
Deun von dieser seiner unfehlbaren Sicherheit ist er
selbst tief durchdrungen. Die Eitelkeit ist ja wohl die
Erbkrankheit litterarischer Männer; aber so massiv Avie
bei Höe dürfte sie selbst unter ihnen nur selten zu finden
sein. „Ich kann Gott nicht genugsam danken", schreibt
er in einer seiner Streitschriften, „für die hohen grofsen
Gaben, die seine heilige Allmacht mir verliehen". Er
meinte demnach, es müsse doch wohl seinen guten Grund
haben, wenn ihn der Herr an so hohe Kirchenstellen be-
rufen. So fühlte er sich als den Hohenpriester — den
„Höepriester" nennen ihn die zeitgenössischen Pam-
plilete — , der das Arcanum des deutschen Luthertums
zu verwalten habe. Wehe, wer daran zu rühren wagte;
er hatte zugleich die Person des Heiligen berührt, und
dann wurde ein litterarisches Gericht vollzogen in einer
Form der Polemik, deren Unflätigkeit wohl niemals über-
boten worden ist. „Die Köpfe sind so grindig und un-
sauber", lautet die anmutige Rechtfertigung, „man braucht
eine scharfe Lauge". Es sollte die leidenschafterzeugte
Sprache Martin Luthers sein, die er nachzuahmen
trachtete: aber in diesem Munde atmete sie nur kalt-
herzige Brutalität.
Jede Staatshandlung seines Herrn salbte er mit dem
immerflüssigen Öl seiner kanzelrednerischen Saada: bald
ist es eine Landtags-, bald eine Kreistags-, bald eine
Türkenpredigt; bei Erneuerung der Erbeinungsverträge
erschallt eine Naumburgische Friedens- und Freudenpost.
Den lausitzisch -böhmischen Feldzug begleitete er von
Anfang bis Ende in jedem seiner Stadien mit seinen
rednerischen Leistungen; es ist selbstverständlich, dafs
eine jede auch im Druck erschien. So haben wir eine
Christliche Predigt als wegen ritterlicher Eroberung von
Budissin, eine Budissinische Huldigungs- und eine Budis-
sinische Abzugspredigt, eine Danksagungspredigt bei
Wiederkunft in Dresden, eine Freudenpredigt über den
schlesischen Akkord, eine schlesische Jaurische Hul-
digungs- und eine Lausitzische Huldig- und Landtags-
predigt, und wie hier so hielt er es früher und später.
Aber das Wichtige ist, dals sich seine Teilnahme an den
politischen Händeln eben, wie erwähnt, nicht auf diese
ihre geistliche Weihegebung beschränkte. Im einzelnen
Falle ist sein Einflufs auf die Entschlielsungen der Re-
gierung als ein persönlichstes Moment wenigstens nicht
immer nachzuweisen; dals er im allgemeinen und beson-
Kursächsisclie Kirchenpolitik. 305
ders auch in den gegenwärtig- von uns behandelten Jahren
thatsächlich vorhanden und oft aussclilaggebend war,
beweisen die Bemühungen auswärtiger Mächte um seine
Gunst am besten und steht aulser aller Frage. Die
evangelischen Gegner Sachsens sahen überhaupt in ihm
den Urheber der unprotestantischen Haltung^ Johann
Georgs: der ganze leidenschaftliche Zorn der Überwun-
denen entlad sich auf Höes verhafstes Haupt. Und er
selbst lehnt diese Vorwürfe keineswegs von sich ab: er
zieht selbst die Grenze, die seines Erachtens für die
EinJlulsnahme des ersten geistlichen Beraters des Kur-
fürsten geboten ist. Zwar, dafs er an den Sitzungen
des Geheimen Rats bei den Beratungen über Krieg oder
Frieden teilgenommen, wie ihm eine Streitschrift vor-
wirft, kann er der Wahrheit gemäfs bestreiten ; aber dals
er dem Kurfürsten zu seiner Haltung geraten, und mit
Erfolg geraten, mündlich sowohl wie schriftlich, findet
er nicht mehr als billig und amtsgemäfs. Steht denn
nicht geschrieben: gehorchet euren Lehrern, und folget
ihnen; denn sie wachen über eure Seelen? Frug nicht
. auch König Joram den Propheten Elisa, ob er streiten
solle gegen Mesa, der Moabiter König? Und David
selbst, beim Kampf gegen die Amalekiter, holte er sich
nicht Bats bei Abiatlian, dem Priester, Ahimelechs Sohn
1. Sam. 30?
Mesa, das ist Friedrich V. von der Pfalz ; die Moabiter
und Amalekiter, das sind die Böhmen und Calvinisten.
Höe hatte von jeher dem unbedingten Anschluis an
Österreich, dem er entstammte, das Wort geredet. Als
Erzherzog Ferdinand zum Kaiser gewählt war, hatte er
diesem erl)ittertsten Gegner des Lutliertums in einem
Schreiben voll überflielsender Verehrung Glück gewünscht.
Die überaus schmeichelhafte Antwort beweist, wie hohen
Wert man schon damals auf die Freundschaft des kur-
fürstlichen Gewissensrats legte. Es verdient sehr her-
vorgehoben zu werden, was eigentümlicherweise bisher
vollständig übersehen worden ist, dafs das Privilegium,
in welchem Kaiser Ferdinand den Oberhofprediger zum
kaiserlichen Comes palatinus mit dem Recht der Ver-
erbung dieser Würde auf einen seiner Söhne ernennt,
vom 25. Februar 1620 datiert^'). Der folgende Tag, der
") Böttiger- Fiat he 11, 138 und wohl nach ihm Brecher,
S. 544 setzen die Ernennung aus mir unbekannten Gründen Novrmher
Neues Archiv f. S. C. n. A. XI. ;!. 1. 20
306 Ludwig .Schwabe:
26. Februar, ist das Datum des Kreditivs für den Grafen
Hannibal von Dohna, der durch die oben erwähnten Ver-
sprechungen das sächsische Kabinett für den Bund mit
der Liga gewinnen sollte : es ist gar kein Zweifel, Dohna
war auch der Überbringer des kaiserlichen Gnaden-
beweises für Höe. Wenn er nur Belohnung für schon
geleistete Dienste sein sollte, so kam er merkwürdig
ä propos : so harmlos wird wohl niemand sein , und Höes
Darstellung beipflichten, der die Verleihung des Palati-
nats nur als Ausdruck der kaiserlichen Erkenntlichkeit
für sein Gratulationsschreiben aufgefalst zu sehen wünschte.
In Wien wuIste man späterhin von einem Promemoria,
in welchem er seinem Herrn die Gründe entwickelt hatte,
nach welchen dieser gewissenshalber auf Seiten des
Kaisers zu treten gezwungen sei. Er begleitete den
Kurfürsten nach Mühlhausen auf den Fürstentag; in
welchem Sinne dort die Entscheidung fiel, haben wir
oben gesehen. Wie wohl hatte sich Höe im Verkehr
mit den Erzbischöfen und iliren vornehmen Räten ge-
fühlt! Als man zurückreiste, richtete er ein Schreiben
an den Kaiser, um sich für das Palatinat zu bedanken.
So feurig, wie in ihm, hatte sich seine kaiserliche Ge-
sinnung noch niemals geäulsert: „Davon lasse ich mich
nicht bringen Gnad oder Ungnad, Freund oder Feind,
Silber oder Gold, Menschen oder Engel, ja überall nichts,
weder Hohe noch Niedrige, und glaube festiglich, Der
Ew. Kais. Majestät die Kaiserliche und Königliche Krone
selber ordentlich aufs Haupt gesetzt, Der werde auch
Ew. Kais. Majestät dabei mächtig und gewaltig schützen
und handhaben, alle Ew. Kais. Majestät muth willige Feinde
auf die Backen schlagen, ihre Zähne zerschmettern, sie
zurücke kehren und kläglich zu Schanden werden lassen,
Amen, das gebe der Gott aller Götter und der König
aller Könige, Amen." Was er nur thun und leisten
könne, „so kais. Majestät in itzigem zustand zu gefallen
und nutz gereiche", versprach er nimmermehr und zu
keiner Zeit zu unterlassen.
Wir bemerkten jedoch schon, diese persönlichen Be-
ziehungen mögen Höe in seinem Verhalten bestärkt
1621. Auch Gindely II, 418 ist sich über das Datum unklar. Das
Privilegium findet sich abgedruckt in Höes Streitschrift „Gründ-
liche Ableinung 50 Calvinischer Erz- imd Hauptlügen", welche schon
im November 1620 verfafst worden ist.
Kiirsäclisisclie Kirchenpolitik. 307
halben, dazu bestimmt haben sie ihn nicht. Viehnehr be-
wegte er sich auch jetzt nur in der Richtung, welche
die kurstaatliche Politik schon längst und die auch er
schon von Jugend auf eingeschlagen, wie sie denn seinem
Wesen so ganz entsprach. Schon seiner Abkunft nach
war er ja zu einer Stellungnahme vorherbestimmt, die
enie höfliche gegenseitige Anerkennung zwischen Luther-
tum und Katholizismus in sich schlols: er hat sich sein
lebenlang nur ausnahmsweise und durch die dringendste
Veranlassung bestimmt zu einer Polemik gegen diese
andere anerkannte geistliche Grolsmacht bewogen ge-
funden ; auch dann liels er den Anstand des diplomatischen
Verkehrs nur selten aulser acht. Dagegen war der
schonungslose und giftige Streit mit den Calvinisten sein
eigentliches Lebenselement : nach dieser Seite entlud sich
die ganze Galle seines übelwollenden Wesens. Innerlich
gleichgültig, wie er den religiösen Dingen im Grunde
gegenüberstand, fühlte er einen instinktiven Widerwillen
gegen diese Fanatiker der Idee; ihre warmherzige, oft
ungeordnete Begeisterung war seiner frostigen, schema-
tisierten Frömmigkeit unbequem. Jene vorher erwähnte
Erstlingsschrift, die er mit 16 Jahren verfalste, war
gegen den Calvinismus gerichtet; seine akademischen
Redeübungen bewegten sich, soweit sie theologischer
Natur waren, im wesentlichen um denselben Gegenstand;
seit er im Amte war, verging kein Jahr, ohne dals er
auf der Kanzel oder dem litterarischen Markte einen
polemischen Streifzug gegen den calvinischen Greuel
unternahm. Auch den böhmisch - ligistischen Feldzug
unterstützte er selbstverständlich nach dieser Seite hhi
mit seiner streitfertigen Feder: ihre Erzeugnisse be-
zeichnen uns deutlich den prinzipiellen Standpunkt der
von ihm beeinflulsten und so sehr gebilligten Politik.
Ehe wir jedoch zum Schluls einen Blick auf diese
seine litterarische Thätigkeit A\erfen, sei es erlaubt, auf
einen Gegenstand zurückzukommen, der oben nur tlüchtig
gestreift werden konnte.
Wir sprachen von einer Ausnahme, in welcher sich
die freie Meinungsäulserung innerlialb des kurstaatlichen
Kü'chentums ihr Existenzrecht gewahrt habe: selbstver-
20*
308 Ludwig Schwabe:
ständlich waren die theologischen Fakultäten der Landes-
universitäten Wittenberg und Leipzig gemeint. Nicht
zwar, dais sie von der Botmälsigkeit der kirchlichen
Obergewalten rechtlich eximiert gewesen wären, aber
kraft ihrer weltgeschichtlichen Tradition und durch-
drungen von der Würde der Wissenschaft behaupteten
sie eine gewisse Sonderstellung, welche denn auch von
den anderen Autoritäten wennschon mit Widerwillen,
respektiert worden ist. Gerade jetzt fanden sie, oder
wenigstens eine von ihnen, Wittenberg, Gelegenheit, sie
zur Geltung zu bringen. Herzog Johann Ernst von
Weimar, späterhin bekannt als Parteigänger der böh-
mischen Rebellion, hatte sich wegen der geplanten Auf-
lehnung gegen den Kaiser in seinem Gewissen beunruhigt
gefühlt: er wandte sich an seine Jenenser Theologen mit
dem dringenden Verlangen, ihm aus der Schrift und
Doktor Luthers Büchern bündige und baldige Auskunft
zu geben, ob es. in gegenwärtigem Falle recht sei oder
nicht, gegen König Ferdinand, der doch immerhin die
von Gott eingesetzte Obrigkeit darstelle, die Waffen zu
erheben. Die Jenenser fühlten sich allein so schweren
und wichtigen Sachen nicht gewachsen: sie meinten, es
sei am besten, sich bei den angesehenen Theologen der
alten Lutheruniversität Rats zu erholen. So eilten sie
denn in den unwirtlichen Wintertagen des Januar 1620
von Jena nach Wittenberg, und gingen die dortigen Kol-
legen in der fraglichen Sache um ein Gutachten an,
welches diese ihnen denn auch, wennschon mit begreif-
lichem Zögern, schlielslich erteilten. Es war der Form
nach, welche sich in etwas weithergeholten Distinktionen
bewegte , nicht recht glücklich ausgefallen : sein Inhalt
atmete den Mut protestantischer Überzeugung. Die Pro-
fessoren erkannten an, es sei hart, gegen die gottgeord-
nete Obrigkeit aufstehen zu sollen ; allein, wo es sich um
die höchsten Güter handle, könne dieses Bedenken nicht
mehr in die Wagschale fallen, das sei auch Luthers
Meinung nicht gewesen: sie rieten zum Losschlagen für
die Böhmen und gegen den Kaiser. Als das Gutachten
schon nach Weimar abgegangen war, schickten sie eine
Abschrift desselben, nebst einem schon früher verfalsten
Schreiben ähnlichen Inhalts, welches für den Kurfürsten
bestimmt war und welches sie aus mir unbekannten
Gründen bis dahin zurückbehalten hatten, an den Ge-
heimen Rat. In Dresden rüstete man sich gerade für
Kursächsische Kircheniiolitik. 309
den Miililliauseiier Tag, als der Schritt der Wittenbeiger
Theologen bekannt wurde. Man war sehr ungehalten;
die Antwort des Geheimen Rats glich einem Verweise:
künftig solle die Fakultät minder übereilt handeln, sich
vorher besser informieren, die Verordnung des Kurfürsten
abwarten. Man liels durchblicken, wie unangenehm die
Sache dadurch würde, dafs das Gutachten nicht geheim
bleiben, sondern, wie man allen Grund habe anzunehmen,
in Druck gehen würde. Das letztere war denn auch
wirklich der Fall, und die Fakultät mufste nun freilich
einsehen, dais sie der inzwischen kundbar gewordenen
Politik ihrer Regierung direkt entgegengearbeitet hatte.
Aus dieser Einsicht heraus mag es denn auch entschuld-
bar erscheinen, wenn sie ihrem vorherigen Standpunkt in
etwas untreu wurde: sie erbot sich selbst gegen den
Geheimen Rat , nunmehr auch ihrerseits das Gutachten
in Druck zu geben, jedoch mit einer Aufschrift und einer
Vorrede versehen, nach welcher es sich nur ganz im
allgemeinen auf den Fall beziehen sollte, dals der Kaiser
einen Stand lutherischer Konfession angriffe, womit
seine AnA\'endbarkeit auf die gegenwärtige Lage aller-
dings hinfällig geworden wäre. Allein diese Interpreta-
tion widersprach dem Sinn, in welchem das Gutachten
ursprünglich abgefalst war und der auch jetzt noch
keinem Leser desselben entgehen konnte, so offenbar,
dals auch mit einer so redigierten Veröffentlichung dem
sächsischen Kabinett in der von allen Seiten bearbeiteten
öffentliclien Meinung nur ein sehr zweifelhafter Dienst
erwiesen war. So fand es denn Höe für besser, dafs in
der Wittenberger Publikation, die ihm der Kurfürst zur
Begutachtung vorgelegt hatte, der wiederholte Abdruck
des Bedenkens vermieden würde; dagegen entwarf er
selbst eine teils kürzende, teils erweiternde Umarbeitung
der von den Professoren verfalsten Vorrede, welche sich
unter seinen Händen, wie nicht anders zu erwarten, zu
einem vollständigen Widerruf dessen gestaltete, was in
dem Gutachten stand: dieses Höesche Elaborat sollte
alsdann als Erklärung der Fakultät im Druck erscheinen.
Mit diesem Manöver ist er jedoch nicht durchgedrungen.
Der Kurfürst übersandte die Vorschläge Höes der Fa-
kultät, welche die Kürzungen der Vorrede zwar accep-
tierte, die Zusätze aber vcrwaif, den Wiederabdruck des
Bedenkens nicht unterliels und also schlielslich ihrer ge-
druckten Erklärung eine Form verlieh, welche noch viel
310 Ludwig Schwabe:
minder den Absichten der Höeschen Zensnr entspi'acli
wie die zuerst vorgeschlagene.
Es zeigte sich sehr bald, dals die Fakultät trotz
allem ihre Meinung in der Sache selbst nicht im min-
desten geändert hatte. Sei es nun, dals man wirklich in
der Zustimmung der Universitätstheologen eine Be-
ruhigung des konfessionellen Gewissens zu finden hoifte,
sei es, dafs man sich mit einem günstigen Gutachten
derselben vor der öffentlichen Meinung zu decken ge-
dachte, genug, Anfang Mai 1620, als man schon im Be-
griffe war, die längst festgeplante Politik in Handlungen
umzusetzen , wandte sich die kurfürstliche Regierung an
die theologischen Fakultäten Leipzig und Wittenberg,
um nun auch ihrerseits ein theologisches Bedenken wegen
der bevorstehenden Unterstützung der kaiserlichen Politik
zu extrahieren. Die Frageformel, welche ihnen vorgelegt
wurde und die offenbar Höe entworfen hatte, war so ab-
gefafst, dals sich die Professoren, auch wenn es ihnen
nicht anderweit bekannt gewesen wäre, darüber nicht
zweifelhaft sein konnten, in welcher Weise man die Ant-
w^ort wünschte. Gleichwohl wagten es wenigstens die
AVittenberger, ihren Standpunkt zu behaupten. Leider
gestattet der Raum nicht, ihre Antwort ausführlich
wiederzugeben. Im wesentlichen lief sie darauf hinaus,
dafs man den Kaiser nur dann unterstützen könne, wenn
erstens seine Sache eine zweifellos gerechte sei, w^enn
man sich zweitens vor dem Bündnisschluls einer unbe-
dingt gewissen Garantie hinsichtlich des lutherischen
Bekenntnisses versichert habe und wenn es endlich durch-
aus ausgeschlossen sei, dafs der etwaige Sieg Ferdinands
der römischen Kirche zu gute kommen würde. Das Gut-
achten gab deutlich zu erkennen, dals es keine dieser
Bedingungen für erfüllt halten könne. Zudem machte
es das Bündnis von einer vorhergehenden Verständigung
mit allen lutherischen Mächten, auch des Auslandes, ab-
hängig: ein Vorschlag, wie er direkter der Haltung des
kurfürstlichen Kabinetts nicht entgegengestellt Averden
konnte. Hinsichtlich der Geheimhaltung war man jetzt
vorsichtiger wie vordem: kein Abschreiber bekam das
Schriftstück in die Hände, einer von den Professoren
verfertigte selbst die für den Kurfürsten bestimmte
Kopie. Der scholastische Formalismus, welcher bei dem
Bedenken für Johann Ernst stört, war diesmal ver-
mieden. Kurz, klar und bündig zeigt das Gutachten
Kursäclisisclie Kirchenpolitik. 311
die vSprache von Männern, welche in der Stunde der
(ietalir ohne Menschenfurcht ihrem Gewissen folgen.
Man soll es den wackern Gelehrten nie vergessen^"').
Nicht auf der gleichen Hölie hielt sich die Leipziger
Theologenfakultät. Schon auf der Reise nach Mühl-
hausen (Februar 1620) hatte Höe bei ihr vorgesprochen,
ihre Meinung hinsichtlich der grolsen Tagesfrage zu er-
forschen und sie zu bearbeiten versucht. Schon damals
hatten sich die Leipziger Theologen willfährig erwiesen,
und es entsprach nur ihrer früheren Haltung, wenn sie
sich jetzt den kurfürstlichen Wünschen gegenüber viel
entgegenkommender verhielten wie ihre Kollegen in
Wittenberg. Sie hatten bereits in ihrer Antwort an
Höe mit melancholischer Gleichgültigkeit bemerkt: da
man die Frage also beschaffen und gefafst befinde, dals
daraus leichtlich zu spüren, in quam partem sich der
Ausschlag geben würde, so hätten auch sie nach Gestalt
der Sachen keine Ursach, davor, dahin der Verfasser der
Frage inkliniere, zu dissuadieren. Sie bezogen sich auf
diese ihre frühere Auskunft und rieten also von dem
Bündnis nicht ab. Gleichwohl bewies das offenbare
Widerstreben, mit dem auch sie diese Erklärung ab-
gaben, wie Avenig wohl ihnen bei der Sache war: es war
offenbar, einer lebhaften Unterstützung durfte sich die
Politik des Landes von selten seiner gelehrten Körper-
schaften nicht gewärtigen.
So war es denn Höe allein, auf welchem die Auf-
gabe ruhen blieb, die Maisnahmen seines Herrn publi-
zistisch und theologisch -zu rechtfertigen: man muls zu-
gestehen, er hat sich dieser Aufgabe nicht ohne Geschick
und mit wahrhaft erstaunlicher Arbeitskraft zu entledigen
gewulst. Zunächst besorgte er wohl eigens die Geschäfte,
welche man den Fakultäten zugedacht hatte, wenn er
eine Denkschrift in offiziellem Auftrage zum Druck be-
förderte, die die Haltung des Kabinetts vor dem Kichter-
stuhle der öffentlichen Meinung und der Theologie ver-
teidigen sollte. Es war der Traktat „Deuthche und
gründliche Aufsführung dreyer jetzo hoch nötiger und
ganz wichtiger Fragen", wolclier im Herbst 1020 er-
schien, ohne Autornamen und Angabe des Druckorts.
^^) Was Müller a a. O. S. :no f. vorbriiiii:t, istiiiir absolut un-
verständlich; er kann die einschl.äj^iyen Akten unniöt;:lich bis zu
Ende gelesen haben.
312 Ludwig Schwabe:
Mit mannigfachen Analogien aus der heiligen und Pro-
fangeschichte, unter vielen Verbeugungen vor der alten
katholischen Kirche und noch öfteren giftigen Ausfällen
gegen den calvinistischen Höllengeist wurden hier die
drei Möglichkeiten abgehandelt : ob man dem Kaiser bei-
stehen, die Böhmen unterstützen oder neutral bleiben
solle. Höe hatte die Schrift während des lausitzischen
Feldzugs verfafet, bei welchem er den Kurfürsten be-
gleitete. Sie wurde Anfang Oktober 1620 von Bautzen
aus vor ihrer Drucklegung zur Begutachtung und Kor-
rektur dem Oberkonsistorium zugesandt, dem zu diesem
Zwecke die beiden anderen Hofprediger zugeordnet waren.
Hier ist es nun merkwürdig, dals sich damals noch in
diesem Kreise eine Gegenströmung gegen Höe bemerk-
lich machte. Nicht zwar, dals man die Tendenz der Ab-
handlung milsbilligte, das war natürlich ausgeschlossen.
Auch lobte man den Fleils des Verfassers: für die Eile,
in welcher die Denkschrift verfalst wäre, sei sie so übel
nicht. Allein schon theologischerseits wurden eine Eeihe
von Ausstellungen gemacht. Dazu fand man die ganze
Disposition für verfehlt; die schroffen Ausfälle gegen die
Calvinisten wünschte man gemildert, die Betonung des
Gegensatzes gegen die alte Kirche verschärft; die Gut-
achter hätten es überhaupt lieber gesehen, wenn die
Schrift von einem Politilais abgefalst worden wäre. In-
dessen, sie mulsten sehr bald bitter empfinden, dafs gegen
den Einfiuls des Oberhofpredigers nicht mehr aufzukommen
war. Höe entwarf selbst das in des Kurfürsten Namen
an das Oberkonsistorium zu erlassende Antwortschreiben ;
es war sehr herrisch abgefalst : man fände die Einwürfe
der Herren für unerheblich; sie möchten die Drucklegung
der Schrift bewirken, so wie sie der Oberhofprediger ver-
falst, und für ihre Versendung in die Kanzleien des Kur-
staats Sorge tragen.
Diese offizielle Schriftstell er ei war nun aber nur der
geringste Teil von Höes publizistischer Thätigkeit. Mir
sind allein für die kurze Zeit des böhmischen Krieges
sieben umfänglichere Streitschriften bekannt, die er teils
in eigner Sache, teils im allgemeinen Interesse des von
ihm verfochtenen Standpunktes veröffentlicht hat^''). Da-
*") Aiifser den im Text genannten Streitschriften führe ich an:
Calvinistarnm vera, viva et genuina descriptio contra Lud. Crocium.
Lips. 1620. Erklärung auf "die von den Calvinisten ausgesprengte
Delineation, mit angehefftem gründlichen Bericht, ob Herr Dr. Höe
Kiirsächsische Kirflieiipulitik. 313
lieben kommen die schon erN\älinten gedrnckten Predigten
in betracht, deren eine oder andere er ihrer beson-
deren Veranlassung: nach mit einer Vorrede versah,
welche sich in gleicher Linie bewegte wie seine übrigen
Schriften.
Wenn ich diese von Höe geschaöene oder veranlalste
Ijitteratnr überschaue, wie sie uns aus den Jahren 16"20
und 1(521 vorliegt, so bin ich nicht zweifelhaft, die unter
ihnen für die Beurteilung jener Zeiten wichtigste Schrift
ist die von ihm besorgte, mit einem Nachwort versehene
uud durchgehends gebilligte Neuauflage des Traktats
seines Vorvorgängers Polykarpus Leyser: ,,0b, wie uud
warum man lieber mit den Papisten (jemeinschaft halten
solle, denn mit den Calvinisten". Nicht zwar, dals sie
besonders viel des interessanten Details enthalte, wie es
uns die übrigen Flugschriften so vielfach bieten : aber
einmal stellt sich uns in ihr, da sie schon vor 18 Jahren
verfafst und jetzt, wie erwähnt, nur neuaufgelegt war,
am deutlichsten der traditionelle Standpunkt der kur-
sächsischen Kirchenpolitik dar, und dann legt sie die
innersten Regungen dieses Luthertums mit einer Offen-
heit blols, wie man sie anderswo schwerlich finden dürfte.
Die erste Frage, welche der Titel aufwirft — ob? —
wird selbstverständlich bejaht. Die zweite — wie? —
beantwortet Leyser kurz dahin: politisch aber nicht dog-
matisch. Die Erörterung der dritten — warum? — bildet
den Hauptinhalt der Streitschrift. Hier führt der Ver-
fasser zunächst die Lehre im allgemeinen an, in betreff
deren die Lutherischen dem Katholizismus näher stünden
als dem Calvinismus: er begründet dies summarisch mit
den bekannten Hauptdifferenzen zwischen den beiden
reformierten Bekenntnissen. Den anderen Grund, bei
dem er mit besonderer Vorliebe verweilt, entnimmt er
den Weissagungen der Offenbarung Johannis über den
orientalischen und occidentalischen Antichrist, welche
beide am Ende der Zeiten, wenn das vierte Tier mit den
eisernen Zähnen und den vier Hörnern regieren wiid. auf-
kommen und die christliche Kirche betrüben sollen. Der
orientalische Antichrist ist natürlich der Mohammed, der
liishcr die Calvinisten, oder sie ihn eingetrieben. Leipziii' 1620.
Gründliclie Ablciiiuiiy l'uiit't'zii;- statliclicr aurscrlcsencr und in alle
Ewigkeit nnerweilsliilier Calvinisclier Ertz- und Hauptlügcii. Leip-
zig 1H21. — Höes damaliger Verleger war Abraham Lanilicrg.
314 Ludwig Schwabe:
„in seinem teuflischen Alcoran alle Ketzereien neben dem
Jüdenthumb und anderm Aberglauben zu einem Klumpen
zusammengeschmelzt". Als den occidentalischen , sollte
man nun meinen, würde Leyser den Kalvinismus be-
zeichnen, den er ja vorher selbst dogmatisch verwerf-
licher als die alte Kirche befunden: doch nein, das ist
ihm aus theologischen und anderen Gründen unmöglich,
der occidentalische Antichrist muls doch die römische
Kirche sein. Aber, steht nicht in Danielis und Jo-
hannis AVeissagungen , dals dieser Antichrist bis zu den
letzten Zeiten regieren wird? Ist daher Hoffnung vor-
handen, ihn aus dem römischen Reiche auszutreiben ?
Gilt es nicht vielmehr, mit ihm Frieden zu halten, bis
Christus selbst dereinst mit Erscheinung seiner Zukunft
ihm gar ein Ende machen wird? Also erscheint dem
prophetischen Hofprediger der „Eeligions- und Profan-
frieden" als ein "Werk der Vorsehung, ohne Zweifel vom
heiligen Geist in der Oifenbarung Johannis vorausver-
kündet: es ist teuflische Vermessenheit, ihm entgegen-
zuhandeln. Dies aber thun die Calvinisten, deren Be-
kenntnis aulserdem „von dem orientalischen, antichristi-
schen, mohametischen Sauerteig" durchsäuert ist, welches
sie zuguterletzt auch noch den Anhängern der unge-
änderten Augsburgischen Konfession aufdrängen möchten.
„Demnach ist es nicht wider Gott, auch sonst nicht un-
recht, wenn sich die Lutherischen in politischen Sachen
zu Erhaltung des heiligen römischen Reichs friedlich mit
den Papisten begehen, und sich entgegen, so viel mög-
lich, der Calvinisten entschlagen. Denn dieses nunmehr
offenbar und unleugbar ist, wenn sich die Papisten zu
uns halten, dafs sie es nur des äufserlichen Friedens
halber thun. Wenn aber die Calvinisten sich bei uns
zugeschmiegen , so ist es ihnen darum zu thun , dafs sie
uns ihren heillosen Glauben gerne anhengen und den-
selben in unsere Kirchen einschieben wollten." —
Wir lassen dahingestellt, inwieweit es dem Verfasser
mit seinen ersten Argumenten Ernst gewesen ist: in
den letzten Worten war die wahre Gesinnung dieses
entarteten Luthertums mit seiner ganzen halserfüllten
Angst vor der Macht des freien Gedankens zum klas-
sischen Ausdruck gebracht. Höe setzte durch das vor-
erwähnte Nachwort sein Placet darunter, und führte im
folgenden Jahre die in der kleinen Schrift angeschlagenen
Gedanken durch eine eigene Streitschrift weiter aus, in
Kursäcbsische Kirchenpulitik. 315
welclier er die VeiAvandtscliaft des Calvinisiims und Mo-
hammedanismus in nicht weniger als 62 Punkten zu er-
weisen suchte ^^).
Selbstverständlich konnte es nicht fehlen, dalis auch
Höes Verhalten speziell in der böhmischen Angelegenheit
sehr bald zum Gegenstand heftigster Angriffe gemaclit
wurde. Schon vor dem Ausbruch des Kampfes hatte er
einen harten Strauls zu bestehen, der folgende eigen-
tümliche Ursache hatte. Höe war in Sachen der böh-
mischen Königswahl, wie er sich selber rühmte, von
allen Seiten eifrig umworben: während in Böhmen selbst
die Entsclieidung zwischen dem sächsischen Kurfürsten
und dem Pfalzgrafen schwankte, befand sich der streng
lutherische Graf Joachim Andreas Schlick in Dresden,
der Johann Georg im Namen eines Teils der bölmiischen
Stände zur Annahme der Königskrone bewegen sollte.
Es war unumgänglich, dafs er sich auch mit dem einflufs-
reichen Oberhofprediger in Vernehmen setzte. Höes Eitel-
keit hatte sich in dieser Stellung, die ihm eine fast
europäische Rolle zuwies, überaus geschmeichelt gefühlt ;
um so empfindlicher Avar sie verletzt, als er sich durch
den Ausfall der Prager Wahl mit einem Male auf die
Seite gestellt fühlte. Im ersten Zorn schrieb er an
Schlick jenen vielberufenen Brief, in welchem er sein
Wehe über die edeln Länder rief, welche nunmehr dem
hochschädlichen, gotteslästerlichen und hochverdammlichen
Calvinismus in den Rachen gesteckt werden sollten, und
den Grafen aufforderte, durch eine Realdemonstration
seinen Eifer wider den orientalischen Antichrist an den
Tag zu legen. Realdemonstration — ein vielumstrittenes
Wort! Im Grunde sollte es doch wohl heilsen, wie es
denn auch von den Gegnern sofort ausgelegt wurde, dals
sich der Graf und alle wahren Lutheraner in Böhmen
dem neuen Regiment entgegenstellen sollten. Höe suchte
in Abrede zu stellen, dals es so gemeint sei; allein er
fand um so weniger Glauben, als er es ja auch in seinem
■'') „Au<j;'eiisclu'iiilklic Prob, wie die Calviuistcii in Neun uml
Neuntzig runcteu mit den Arrianeni und Türeken iibeieinstiniinen".
Leipzig 1621. — Man suclic liier kcini' tlieobigiscben AustiilirunL;i'n
mit dem Ansprucli auf wissensebattlicln'n Uebalt Die HeweislTihrnng
ist beispielsweise folgender liestalt obscbon die türkiscbe Lclii'e
abscbeulich ist, finden sieb docb Leute, die sie annebmen. Dies ist
bei den Calvinisten aucb der Fall. Ergo stimmen sie in diesem
Punkte überein.
316 ■ Ludwig Schwabe:
Briefe nicht an Andeutungen hatte fehlen lassen, wo die
Lutheraner Anschluls suchen sollten. „Ew. Gnaden haben
das papistische Joch nicht leiden können, fürwahr das
calvinische ist noch viel unerträglicher, Ew. Gnaden
wollen es mir glauben." Der Graf, welcher Höes Mah-
nung nicht nachkam, sondern seinem Vaterland die Treue
wahrte, behielt das Schreiben keineswegs für sich; es
ging in Prag von Hand zu Hand, wurde im Direktorium
verlesen, ins Czechische und Lateinische übersetzt, und
schlielslich mit einem „wohlmeinenden Missiv an Herrn
Dr. Höe'n" versehen in Druck gegeben (1. Oktober 1619).
Das letztere Missiv widerlegt die Aufstellungen des vor-
gedruckten Schreibens in scharfer, oft geistreicher Weise,
und dürfte überhaupt zu den besten Erzeugnissen der
Streitschriftenlitteratur dieses Zeitalters zu rechnen sein.
Es wurde in Prag, Hanau, Brieg und Amberg gedruckt
und erlangte eine ungeheure Verbreitung. Höe rüstete
sich sofort zur Gegenwehr. Er stellte die notwendigen
Materialien einem seiner Partisanen, Johannes Mylius,
zur Verfügung, welcher in seinem Auftrage eine „kurze
Widerlegung des ehrenrührigen Pasquills und der un-
menschlichen Lästerschrift des untreuen Calvinischen
Tockmäusers" zu verfassen hatte: er selbst setzte der
Streitschrift eine ausführliche Vorrede voran ^^). Auch
dieser Schrift wird man die Anerkennung litterarischer
Geschicklichkeit nicht versagen können: auf der Höhe
des Angreifers steht sie freilich bei weitem nicht.
Noch viel schärfer mulste naturgemäfs der litte-
rarische Waffengang sein, den der Oberhofprediger nach
der Niederwerfung der Böhmen gegen die Erbitterung
der Überwundenen zu bestehen hatte. Wir heben aus
dem Kreis der hier in Betracht kommenden Schriften
nur die eine, bekanntere heraus, welche unter dem
Pseudonymen Titel eines „Sendschreibens des Jacob
von Grünthal an den Kurfürsten von Sachsen" erschien.
Man hätte nie darüber in Zweifel sein sollen, dals Grün-
thal, der eifrige Parteigänger der kursächsisch - habs-
burgischen Bündnispolitik, unmöglich der Verfasser dieser
^^) Es mufs erwähnt werden, dafs die gleichzeitige Fhigschriften-
litteratur Höe selbst für den Verfasser auch der Mylius'schen Streit-
schrift hielt. Ich sehe vorläufig keinen Grund, dieser Annahme bei-
zustimmen.
Ki;rsächsische Kirchenpolitik. 317
genau das Gegenteil empfehlenden Streitschrift sein
konnte. Sie ist von patriotischer Empfindung getragen:
der unbekannte Verfasser rät dem Kurfürsten mit flam-
menden Worten zu einer nationalen und protestantischen
Politik. Freilich, mit den Fehlern, die er nach des
Autors Meinung begangen, geht er scharf ins Gericht:
er legt ihm alle die schweren Schicksale zur Last,
welche er über das Vaterland hereinbrechen sieht:
„quidquid delirant reges plecinntnr AcJiIvi". Vor allem
richtet sich das Schriftchen gegen Höe: es schildert ihn
als einen hochmütigen und leeren Geist, im Grunde un-
wissend, der S. Petri Schlüssel und S. Pauli Schwert
zugleich gebrauche, den einen Fufs in der Kirche, den
andern auf dem Rathaus habe. Wenn es dem Kurfürsten
auch nicht empfahl, wie Höe glauben machen will, ihn
hinzurichten, so rät es doch, ihn seines Amts zu ent-
heben oder wenigstens von allen weltlichen Geschäften
fern zu halten. Höe schrieb eine erbitterte Entgegnung
(1. Januar 1621)^^): diese sowohl wie die Pseudonyme
Schrift erschienen in deutscher und lateinischer Sprache.
Sie sind wohl das Stärkste, was von beiden Seiten
während jener Jahre in Druck gelangte.
Alle diese litterarischen Händel, welche die poli-
tischen Dinge unter den Gesichtspunkt des religiösen
Prinzipienkampfes stellten, regten die öffentliche Mei-
nung in ihren Tiefen auf. Man frug sich, wohin das
noch führen solle: im Jahre 1622 lieis der Kölner Weih-
bischof Petrus Outsemius seine „Saxonia Catholica" er-
scheinen, ein Buch, welches die gutkatholische Gesinnung
der alten Sachsenherzoge in dithyrambischem Tjatein
feierte, und zum Schluls dem Kurfürsten den Rat er-
teilte, nun auch seinerseits nach so vielen dem römischen
Kaiser erwiesenen Diensten den letzten Schritt zu thun
und zu dem Bekenntnis seiner Vorfahren zurückzukehren.
Seine Schrift setzte eine ganze Anzahl sächsischer Federn
zu geharnischter Gegenwehr in Bewegung. Höe hat
sich meines Wissens an dieser Polemik nur (hiicli eine
^") Ernste und abffedrtinyone Antwort auff das Lästoi'haft'tigc
Sendschreiben, welches an den Durchl. Clmrfürsten zu Sachsen von
Herrn Jacob von Grünthal i;cthan worden sein soll. Tieipzig 1621.
318 Ludwig- Schwabe:
Zuschrift beteiligt, welche der „Saxonia Evaiigelica" des
Leipziger Professors Höpflfner vorgedruckt wurde. Da-
gegen unterhielt er für seine Person anfangs wenigstens
in den verbindlichsten Formen einen brieflichen Ge-
dankenaustausch mit dem Weihbischof selbst"**), der sein
Opus dem lutherischen Oberhofprediger zu geneigter
Billigung und wohlwollender Aufnahme zugesandt hatte.
"") Velitatio epistolaris mter Petrum Cutseraium etc. et Mat-
thiam Hoe. Wittenberg 1623.
XII.
Matthias Oders grofses Kartenwerk über
Kursachsen aus der Zeit um 1600.
Von
Alfred Kirchlioff.
Die im verflossenen Jahre stattgehabte Feier des
800jährigen ßegierungs- Jubiläums des Hauses Wettin
hat patriotische Veranlassung geboten, ein Kartenbild
des sächsischen Kurstaates der Vergessenheit zu ent-
reilsen, welches in der Geschichte der Kartierung Deutsch-
lands überhaupt eine bahnbrechende Bedeutung für sich
in Anspruch nehmen darf.
Professor Sophus Rüge entdeckte die verstaubten
Konvolute dieser grofsartigen Aufnahme des kursäch-
sischen Landes — der allerersten, welche auf wii^klicher
Vermessung beruht — im Königlichen Hauptstaatsarchiv
zu Dresden und berichtete hierüber bereits in seiner Ab-
handlung „Geschichte der sächsischen Kartographie im
16. Jahrhundert" (Kettlers Zeitschrift für Wissensch.
Geographie, 2. Jahrgang. Lahr 1881). Inzwischen war
das grolse, jedenfalls vom Freiberger Markscheider Mat-
tliias Öder herrührende Landesgemälde, welches einst
50 Quadratmeter Papierfläche deckte, aber frühzeitig in
einzelne Teile zerschnitten und so schlielslich in schlechter
Rollung in den Winkel geschoben worden, sauber auf Lein-
wand gezogen und, in 100 gleichmälsige Einzelsektionen ge-
schieden, jetzt erst zum Gebrauch handlich gemacht. Frei-
lich dieses Original entzog sich der Herausgabe ; messen doch
320 Alfred Kirchhoff:
jene 100 Sektionen je 76 cm Breite bei 52 cm Höhe! Das-
selbe wird wohl für immer ein alleiniger, der Verviel-
fältigung nicht zu unterziehender Schatz des säclisischen
Staatsarchivs bleiben, eine kartliche Darstellung des ge-
samten sächsischen Kurstaats in ungefähr viermal greise-
rem Malsstab, als ihn die Oberreitsche Generalstabs-
karte darbietet, ausgeschlossen nur der Südwesten des
Gebietes, zu dessen Kartierung (Jder nicht mehr kam.
Glücklicherweise ist indessen schon im ersten Drittel
des 17. Jahrhunderts (durch den kursächsischen Karto-
graphen Zimmermann, wie Sophus Rüge wahrscheinlich
gemacht hat) eine auf ein Viertel des Längenmalsstabes,
also ein Sechzehntel der Fläche verkleinerte Kopie des
Öderschen Originals mit grofser Sorgfalt hergestellt
worden, von welcher nur leider schon ehemals ein wich-
tiges Blatt, die Erzgebirgsgegend zwischen Freiberg und
Annaberg darstellend, verloren gegangen ist.
Nach dieser verkleinerten Nachbildung' nun, die also
immer noch den splendiden Malsstab der Oberreitschen
Karte einhält^), ist uns in geschickter Zusammenlegung
zu 17 stattlichen Blättern ein..„Öderus redivivus" be-
scheert worden, soweit als die Üdersche Aufnahme das
Gebiet des heutigen Königreichs Sachsen begreift oder
doch nicht weit darüber hinausgeht, nämlich von der
böhmischen Grenze und Löbau-Bautzen bis über Leipzig
hinaus, so dafs gerade noch die Saale oberhalb Merse-
burg erreicht wird. Die Westsektionen Leipzig, Markran-
städt stehen abgesondert, desgleichen ganz für sich (aus
schon angeführtem Grunde) Sektion Jöhstadt auf dem
Erzgebirge, südöstlich von Annaberg. Aber von der
Freiberger Mulde ab ostwärts verfolgen wir in zusammen-
schliefsenden Sektionen fast das ganze Sachsenland un-
serer Tage bis zu seiner Nord- und Ostgrenze.
Das in solcher Form erneuerte Werk bildet einen
Atlas von 83 cm Blattbreite bei 60 cm Höhe und führt
den Titel: Die erste Landesvermessung des Kur-
staates Sachsen, auf Befehl des Kurfürsten
Christian L ausgeführt von Matthias Oder (1586
bis 1607), herausgegeben von der Direktion des König-
■') So stimmt z. B. die Entfernung Stadt Königstein nach Gott-
leuha-Mündung- auf der Zimaiermannsciien Kopie fast genau mit dem
Oberreitschen Mafsstab 1:57600 zusammen; anderwärts scheint der
Mafsstab, soweit man naclizukommen vermag, ein etwas gröfserer
zu sein.
Matthias Oders Kartenwerk. 321
liehen Hauptstaatsarcliivs, bearbeitet von Professor Dr.
Soplius Rüge (Verlag von Stengel und Markert in Dresden,
1889). Die Verlagsliandhing hat die Kartenblätter in
Farbendruck vorzüglich hergestellt, und zwar mit Auf-
di'uck der im Oderschen Original gewählten Farben für
gewisse Besitzverhältnisse des Landadels, die kurfürst-
lichen Waldungen u. ä. Im übrigen haben wir im wesent-
lichen die besagte Zimmermannsche Kopie vor uns; jedoch
hat der Bearbeiter des vorliegenden Atlas dafür gesorgt,
dals einige an ihrem Westrand noch unfertig gebliebene
Sektionen nach dem Oderschen Original vervollständigt
und alle in der Kopie (durch sichtlich häufigen Gebrauch)
undeutlich gewordenen Stellen nach der nämlichen Ur-
sprungsvorlage gebessert wurden. Wir verdanken also
Professor Rüge nicht allein die Wiederauffindung des
wertvollen Werkes, an welchem der wackere Annaberger
„Mathes Öder, Bürger und Markscheider in Freiberg"
mehr denn 20 Jahre hindurch so erfolgreich gearbeitet
hat, sondern auch dessen zweckentsprechende Herrichtung
behufs praktischer Verwendung für die Geschichte und
Landeskunde.
Indem wir betreffs der Frage nach dem Zustande-
kommen der Oderschen „Landtafel" oder „General-Mappe"
des sächsischen Kurstaates auf die lichtvolle Einleitung
verweisen, welche der Bearbeiter dem Atlas voran-
geschickt hat, beschränken wii' uns hier allein auf einige
Bemerkungen über die der Forschung in diesem getreuen
Karten-Faksimile sich eröffnende Fülle von Anregungen
und quellenmälsigem Thatsachenstoff.
Schon unter Kurfürst August, Christians Vorgänger,
war Sachsen außerordentlich thätig in der Heimats-
kartographie, zumal jener Fürst selbst . diesem Gegen-
stande das grölste Interesse widmete, ja selbstschaffender
Kartograph und Landesvermesser war. Drei grolse, aller-
dings nur auf den Rang von Übersichtskarten Anspruch
erhebende „Landmappen" von Kursachsen rühren aus
der Regierungszeit des für seines Volkes Wohl so viel-
fältig fördersamen „Vater August" her: die des Marien-
berger Pfarrherrn Johann Criginger, die des Görlitzer
Mathematikers Scultetus und diejenige, welche Hiob
Magdeburg, Lehrer an der Fürstenschule zu Meifsen, in
ziemlicher GröIse (4 Fuls hoch, etwas über 5 Fuls breit)
in des Kurfüi^sten eigenem Auftrage 1584".. entworfen
hatte. Hiob Magdeburg, wie unser Matthias Öder Anna-
Neues Ariliiv f. S. U. u. A. XI. 3. 4. 21
322 Alfie.l Kirchhoff':
berger von Geburt, ist letzterem jedenfalls persönlich
bekannt gewesen, da er sein nicht immer auf Rosen-
pfaden irdischen Grlückes sich bewegendes Leben 1595 in
JFreiberg auch beschlols. Die letztgenannte Karte ist ein
Kleinod der Königlichen Bibliothek in Dresden, sie wirkt,
wie Soplius ßuge versichert, „mit den grünen Wäldern,
braunen Gebirgen und Felsen, blauen Gewässern und
roten Dächern der Gebäude in Städten und Dörfern wie
ein Gemälde aus der Vogelperspektive, einzelne Berge
glaubt man sogar an ihrer landschaftlichen Gestalt zu
erkennen".
Sonach klingt die Nachricht durchaus wahrscheinlich,
dals Hiob Magdeburg das kursächsische Land behufs
seiner Kartierung (an welcher er sich übrigens schon in
einer 1562 erschienenen kleineren Holzschnittkarte ver-
sucht hatte) schauend und messend durchwandert habe.
Und eben dieser Umstand ist es, der ihn zum eigentlichen
Vorläufer seines Landsmannes Matthias Öder macht.
Der Hauptvorzug der Öderschen Landtafel
des Kurstaates besteht darin, dals sie durchweg
auf Originalforschung an Ort und Stelle sich
gründet. Noch Criginger erklärte selbst, er habe seine
Karte „daheim ohn alles wandern vnd besichtigen
zusammen bracht". Die mit solcher Studierstubenarbeit
notwendig verbundenen Fehler der Kartierung blieben
denn auch dem Kurfürsten August keineswegs verborgen,
und er äulserte sich über dieselben rückhaltlos. Er trieb
selbst auf seinen Reisen Wegeaufnahmeu als Grundlage
für die Gesamtaufnahme der durchreisten Gegenden,
indem er au einem Rade seines Reisewagens ein Instru-
ment anbringen liefs, welches ähnlich wie ein Pedometer
die Radumdrehungen registrierte, folglich durch Multipli-
kation dieser Summenzahl mit der genau bekannten Länge
des Radumfangs ohne weiteres das Längenmals des zu-
rückgelegten Weges ergab; aulserdem galt es natürlich
die Richtung des Weges kennen zu lernen, und dazu be-
diente er sich eines Kompasses, der noch halbe Grade
mit Sicherheit abzulesen gestattete.
Offenbar waren es die auf solche Weise erzielten
gründlichen Verbesserungen des Kartenbildes der be-
reisten Landschaften, was dem edelsinnigen Fürsten den
groisartigen Plan eingab., seinen ganzen Kurstaat oder
doch zunächst einzelne Ämter auf exakter Vermessungs-
unterlage mappieren zu lassen. Wahrscheinlich dürfen
Matthias Oders Kartenwerk. 323
wir nämlich Kurfürst August als den geistigen Urheber
der erst unter seinem Nachfolger von Matthias Öder
grüfstenteils verwii'klichten Idee der genauen Gesamt-
kartierung Kursachsens ansehen. Dals ihm in solcher
Beziehung grolse Vermessungspläne vorschwebten, geht
daraus hervor, dafs er den schon vorher mit Landes-
vermessungen von ihm beauftragten Leipziger Professor
Johann Hnmelius 1560 auf zwei Jahre zu seinem „Hof-
diener" zum Zweck fernerer Mappierungsarbeiten annahm,
demselben sogar ein Gemach im Dresdener Schlosse ein-
räumen liels, um stets Augenzeuge von dem Fortgang
des Unternehmens sein zu können. Nach Humelius' schon
am 4. Juli 1562 erfolgtem Tode führte, wie aus den kur-
fürstlichen Kopialbüchern hervorgeht, der Markscheider
Georg Öder (vielleicht Matthias' Bruder) die Messungen
in einigen Ämtern mit Meisschnur und Boussole wirklich
aus. Obwohl wir die fernere Entwickelung .dieser Vor-
nahmen im einzelnen nicht kennen (Georg Oders Name
begegnet aktenmälsig zuletzt 1570), so sind wir doch
dessen ganz sicher : der aus dem Sommer 1586 datierende
Befehl Kurfürst Christians an „Mathes Odern Mark-
scheidern", „ein mappe vnsers ganzen landesvmkreiss"
herzustellen, ist in unmittelbarem Anschluls an jene vor-
gängigeu Vermessungen ausgeführt worden und zwar
mit Zuhilfenahme nur von Quadranten, Kompals
und Mefsschnur.
Es war mithin eine echt markscheiderische Auf-
nahme, keine geodätische. Nii'gends finden wir auf der
Öderschen Karte eine Spur von astronomischen Ermitte-
lungen der geographischen Länge und Breite, nirgends
die Eintragung von Meridianen oder Parallelkreisen.
Trotzdem zeigt sich uns das Landesbild, soweit das sorg-
fältige Handhabung jener einfachsten Mefsgeräte zuliels,
von überraschender Treue. Und darin liegt sein grolser
Vorzug vor der allerersten messenden Landesaufnahme,
deren sich ein deutscher Staat rühmen kann: vor dem
unvergessen gebliebenen Kartenwerk, welches zu München
1568 unter dem Titel „XXIIII Bairische Landtaflen"
erschienen war und von der Hand Philipp Apians (des
Sohnes des grofsen Leisniger Kosmographen Peter Apian
oder Bienewitz) Ober- und Niederbayern, die Oberpfalz
nebst dem Lande Salzburg darstellte.
Obwohl auch dieser vorangegangenen bayrischen
Landesaufnahme sicher einige genauere Ortsbestimmungen
21*
324 Alfred Kirchhoff:
zum Anhalt gedient haben, so bemerkt man doch sofort
schon an dem flüchtig eingetragenen Verlauf der Ge-
wässer, dafs hier durchaus nicht mit der fleilsigen Aus-
dauer unserer beiden Freiberger Markscheider gearbeitet
worden ist mittelst Winkelpeilung, Entfernungsmessung,
darauf sorglicher Eintragung des Gemessenen auf das
Papier nach Zirkelabsteckung und Malsstabanlegung.
Die Exaktheit heutiger Kartierung, wie sie etwa
seitens des Generalstabs an der Hand gründlichster geo-
dätischer Forschung ausgeführt wird, dürfen wir selbst-
verständlich von Oders Werke nicht erwarten. Kleinere
Versehen in der Richtung und in den wechselseitigen Orts-
abständen begegnet man gar nicht selten, indessen wie
weit kam man doch mit Schnur und Winkelmafs
hinaus über die Zeit, in welcher noch kurz zuvor Petrus
Apianus Oschatz, Freiberg und Chemnitz als unter
gleicher Länge liegend angegeben hatte!
Oders Karte ist nicht nach der später ganz allge-
meingültig gewordenen, noch heute geübten Weise orien-
tiert, dals der obere Rand die Nordseite bedeutet, dafs
überhaupt die vier Seiten des Kartenvierecks den vier
Himmelsgegenden entsprechen, wie das z. B. durchaus
nach der uns geläufigen Art der Fall ist bei Scultetus'
„Misniae et Lusatiae tabula" von 1568. Vielmehr liegt
bei Öder der Nordrand unten, folglich ist der obere
Kartenrand der südliche , der zur Linken der östliche,
der zui^ Rechten der westliche, und das alles ist mils-
w ei send zu verstehen, d. h. gemäls der derzeitigen Rich-
tung der Magnetnadel im Kompals. Hierdurch erhält
Oders km^sächsische Landtafel eine von ihrem Urheber
gewils nicht geahnte Bedeutung für die Lehre vom Erd-
magnetismus: sie lälst uns in dem unablässigen A\^andel-
gang isogonischer Linien über die Erdoberfläche den Ver-
lauf derselben im kursächsischen Lande für die Wende
des 16. und 17. Jahrhunderts annäherungsweise bestimmen.
Ungefähr zieht der östliche und westliche Rand der
17 Sektionen des vorliegenden Atlas, folglich gewils
auch . der des Öderschen Origmals statt von Nord gen
Süd von Nordnordost nach Südsüdwest. Genauer
diese Richtung nach Winkelgraden zu bestimmen, fällt
nicht ganz leicht, weil solche Bemühung behindert wird
durch die nicht völlig gleichartige Richtungsabweichung
der einzelnen Sektionsränder und ihrer Parallelen vom
Verlauf der geographischen Meridiane als Folge nicht
Matthias Oders Kartenwerk. 325
ideal vollkommener Peilungen der Winkel. Stützen wir
uns auf ein sichtlich besonders sorgsam aufgenommenes
Stück der Karte, dasjenige um Dresden (Blatt 9 des vor-
liegenden Atlas), so kommt uns die einem Spinngewel)e
älmelnde Eintragung zu statten, welche sich als Zeugnis
vorgenommener Winkelmessung über die Dresdner Heide
hinweglagert. Diese Einzeichnungen treffen wir aus-
nahmslos nur m Waldrevieren an; sie teilen stets das
Gesichtsfeld in 8 Winkel (von also 45*^) mittelst 8 Linien,
die „Flügel" heilsen. Meistens entsprechen die Flügel
den Kartenrändern in der Weise, dals je zwei, die in
eine Gerade fallen, mit dem einen, bez. dem anderen
Kartenrandpaar gleichlaufen. Bei der über die Dresdener
Heide gelegten Flügelstrahlenfigur ist dies eben (wenn
auch nicht haarscharf) der Fall, und Flügel 3 mit Flügel 7
weist als fast genaue Parallele zum rechten und linken
Kartenrand gerade auf die Ortschaften Loschwitz und
Langebrück am südlichen, bezüglich nördlichen Saume
des AValdes. Fiel nun, wie wir demnach annehmen
müssen, die Stellung der Deklinationsnadel wirklich in
diese Richtung Loschwitz-Langebrück, so besals Dresden
zur Zeit der Öderschen Kartierung seiner Umgebung
eine Mifsweisung von beiläufig 14 ^ Ost, oder, mit anderen
Worten, die Nordspitze der Magnetnadel wich um diesen
Winkelwert vom geographischen Meridian gen Osten ab.
Das würde ziemlich gut stimmen mit der (wahrscheinlich
für Görlitz gemeinten) Deklinationsangabe auf der erst-
genannten Scultetus'schen Karte von Meilsen und der
Lausitz, wonach S. Rüge die Mifsweisung auf 12 — 13"
schätzte. Kontrollmessungen auf Oders Karte lieferten
allerdings nicht durchweg das nämliche Ergebnis. Wäre
z. B. die wechselseitige Lage von. Dresdens Eibbrücke
und Blase witz naturgetreu von Öder verzeichnet, so
mülste man eine viel geringere magnetische Deklination
hieraus ableiten, ähnlich bei Beurteilung des Lagenverhält-
nisses von Roiswein und Döbeln auf Blatt 12. Umgekehrt
mülste man aus der Richtung der Linie Triebisch-Mündung
nach Dorf Zehren auf der Sektion Meifsen (13) auf eine
Mifsweisung von rmid 20 '* schliefisen. In der Nähe der aus-
gezeichnet korrekt abgebildeten Eibschlinge um den Lilien-
stein auf Blatt 4 messend, erhält man jedoch Avieder sowohl
durch die Linie Stadt Königstein-Hohnstein als durch die
Richtung des Eibstroms bei Schandau und Wendische-
fähre einen Deklinationswhikel von 14 — 15".
326 Altred Küxlihott :
Nur im Vorbeigehen sei darauf liiiigewieseii, dais die
Königliche Bibliothek zu Dresden einen für die Lehre
vom Erdmagnetismus noch ungehobenen Schatz birgt in
den „Sechzehn Stück Kleine Land-Täfflein der Churfürstl.
Sachs, und angrentzenden Länder von Churfürst Augusto
aufgetragen", sowie in zwei kleinen handschriftlichen
Büchlein (Msc. Dresd. K. 449, 450), welche Kurfürst
August zu seinem Handgebrauche auf semen der Landes-
aufnahme gewidmeten Beisen entworfen hatte. Darin
sollen sich nach einer Angabe in Buges eingangs er-
wähnter Abhandlung (S. 93) 34 „Kompalsörtungen" d. h.
Kompalspeilungen befinden, u. a. die Kompalsörtung
„59 grad zwischen Abent vnnd Mitternacht" für die
Wegrichtung Dresden nach Hayn (Grofsenhain). Letz-
teres ergäbe die sehr grol'se Milsweisung von .29 " Ost,
also reichlich doppelt so viel wie zur Zeit der Öderschen
Aufnahme. Freilich muls stets eine möglichst genaue
Jahresangabe solchen „(Jrtungen" beigefügt werden, um
sie recht verwertbar zu machen, weil sich die Isogonen
gar zu beträchtlich von Jahr zu Jahr verschieben.
Zweifellos hatte ganz Kursachsen unter Kurfürst August
stärkere Ostmifsweisung als unter der nachfolgenden Be-
gierung, denn die Agone, d. h. die Linie des Zusammen-
falls von Deklinationsnadel-Bichtung und geographischem
Meridian, näherte sich damals von Westen her ununter-
brochen Deutschland und erreichte den thüringischen West-
flügel der kursächsischen Lande (nach Ausweis der Mark-
scheiderpläne der Grubenwerke von Clausthal) um das
Jahr 1660, worauf zunehmende, dann (wie noch heute)
abnehmende Westmifsweisung folgte.
Kaum angedeutet finden wir bei Öder den Ober-
flächenbau des Landes. Dazu fehlte jener Zeit noch die
Symbolsprache der Karte. Ein einziges Mal ist von dem
Maise der Bodenerhebung eine Andeutung geschehen,
nämlich beim grolsen Winterberg, aber auch da nur mit
der mehr denn lakonischen Aufschrift „ser hoch". Blols
durch Schrofilieit der Gehänge auffallende Erhebungs-
formen bezeichnete Öder mit einer ihm eigenen Signatur,
Avelche wie Baumschlagmanier oder mitunter auch wie
arabische Schnirkelschrift sich ausnimmt. ISTaturgemäls
l)emerken wir so vor allem die Steilwände der Erosions-
thäler der Sächsischen Schweiz hervorgehoben; jedoch
findet man dieselbe Signatur auch auf Blatt 6 an der
böhmischen Erzo-ebirg-sgrenze unweit Hermsdorf gebraucht
Matthias Oders Kartenwerk. 327
für „die förder Loclistein". Steilfelsen, die als Laiid-
schaftsmarken aus ihrer Umgebung hervorragen, sind sogar
bisweilen mit ihren ungefähren Umrilsformen wieder-
gegeben, so vor allen der Lilienstein, demnächst der
Quillstein bei der Feste Königsteiu, minder deutlich elb-
aufwärts die Kaiserkrone und der Zirkelstein. Südöst-
lich vom Grofsen Winterberg stehen mitten im Wald die
Worte „Ein Brück vber eine Kluft", das mufs das Pre-
bischthor bedeuten.
Ganz ausgezeichnet getreu ist das Netz der Ge-
wässer ausgefiihrt. Während man sich sonst (z. B. noch
in den „Bairischen Landtaflen" Apians) regelmäßig an
die Weisung der Chorographie des alten Joachim Ehäticus
von Feldkirch, eines Schülers des Copernicus, hielt, dals
es zu einer guten Landesaufnahme genüge, die gegen-
seitige Lage der Ortschaften und ihre Entfernung von
einander zu ermitteln, worauf dann die fließenden Ge-
wässer in ziemlich willkürlichen Linien an den ihnen zu-
ständigen Städten und Dörfern vprübergeführt wurden,
dürfen wii' vielleicht Matthias Öder (wenigstens für
Deutschland) als den Vater einer naturwahren Abschil-
derung aller Bach- und Flulsläufe von ihrer Quelle ab
durch all ihre Windungen bis zur Mündung hin rühmen.
Seine Karte gewinnt deshalb für hydrographische Studien
einen gar nicht hoch genug anzuschlagenden Wert. Das
gilt namentlich für solche Flulsläufe, w^elche inzwischen
durch Wasserbaukorrektion zu gunsten des Menschen eine
ganz andere Physiognomie empfangen haben. So sehen
wir auf den beiden Schlufsblättern unseres Atlas das ge-
krösehafte Gewirr von Anastomosen zwischen Pleilse und
Elster, dann den einst viel verwickeiteren Zusammen-
hang des nördlicheren Elster -Mündungsarmes mit dem
südlicheren, der Luppe, noch in alter Natürlichkeit.
Schon ehe die Elster an Leipzig vorbeiflielst , hülst sie
zufolge der merkwürdigen Darstellung des Wassergeflechts
auf Blatt 16 nach Aufnahme des Ridelbachs, welcher
selbst nur als linke Abzweigung der Pleilse auftritt, ihren
Namen ein und wird „Luppa"; ja, da auch nach der
hierauf folgenden Gabelung der rechtsseitige, zuletzt das
ganze übrige Pleilsenwasser aufnehmende Arm der Luppe-
Elster bis unterwärts des Posenthals Pleilse genannt
wird, so verschwindet der Elstername bei Leipzig auf
unserer Karte gänzlich; erst gegen die Saale hin heilst
der nördliche Mündungsarm doch wieder Elster. Sehr
328 Alfred Kiiclilioff:
verdienstlich ist ferner die genaue, offenbar gleichfalls
hinsichtlich der Umrifsgestalt getreue Darstellung der
Seespiegel bis herab auf die kleinsten Weiher, Flolsteiche
und „Pfützen". Durch das für ihre Hervorhebung ge-
wählte Lichtblau glänzen diese stehenden Gewässer dem
Beschauer recht malerisch entgegen ; man überzeugt sich
alsbald, wieviel seenreicher damals diese Lande waren!
Die Karte bietet gerade durch die Sorgfalt ihrer hydro-
graphischen Angaben eine sehr wichtige Urkunde für die
Naturgeschichte der mitteldeutschen Gewässer; für die
physische Landeskunde liegt hierin sogar wohl ihre Haupt-
bedeutung.
Nicht zu unterschätzen ist üidessen auch ihr Wert
für die Entwickelung der Namenformen. Die ungezählten
Hunderte von Namen, welche über die Karte ausgestreut
sind, scheinen wesentlich dem Volksmunde abgelauscht
zu sein; auch in dieser Beziehung also erscheint Oders
Karte originell. Freilich mufs man die sächsische Sprech-
weise, das sächsische Ohr des Freiberger Markscheiders
dabei in Erwägung ziehen. Media und Tenuis werden
]]iclit immer streng von einander gehalten; „Günther"
wird wohl auch einmal „Günder" geschrieben, die „Bleuse"
(für „Pleifse") erinnert in ihrem Konsonantismus an die
noch gegenwärtig an ihren Ufern übliche Aussprache, in
ihrem „eu" aber nur an das böse Gewissen des Sachsen,
dals das gehörte „ei" vielleicht ein schriftdeutsches „eu"
sei. Eine Menge der Öderschen Namen für Berge, Ort-
schaften, Bäche und Schluchten, Holzungen und Flurteile
reizen dazu an, in Urkunden ihnen weiter nachzuforschen
oder an Ort und Stelle ihr Fortleben, ihre derzeitige
volkstümliche Lautform zu ermitteln. Mancher Name
wird wohl vom Sturm der Zeit verweht sein, so der
Ausdruck „Gallitzstein"-), wie damals die am linken
Eibufer aufragende Kaiserkrone bei Schöna genannt
wurde. Giebt es noch den Namen Natzschka für den
Gebirgsbach, der bei dem Dorfe Brandau in die Flöhe
sich ergielst? Der Name würde allein schon genügen,
die Irrlehre (wenn das noch nötig wäre) zu widerlegen,
dafs man keinen slavischen Wortformen am Erzgebirgs-
kamme begegnete. Das lautgerecht bewahrte „Lilgenstein",
") Leider ist der Name nicht ganz deutlich auf Blatt 4 zu
lesen; man könnte auch Gailitzstein lesen. Ein Waldfleck südwest-
lich neben Schöna ist jedoch mit „üallischaw" (Gallischau, vielleicht
aus Gallitzsch-Aue entstanden) bezeichnet.
Mattliias Oders Kartenwerk. 329
noch nicht zur siniüos poetisierenden Anähnlichung „Lilicii-
steiii" verderbt, gemahnt an die Bedeutung Gilgenstein,
Ilgenstein, Fels des Nimrodheiligen Sankt Ägidius. „Pirn"
steht. noch da anstatt der thörichten Latinisierung „Pirna".
Oders eigene Sprechweise klingt uns aus so mancheni
in mundartlicher Phonetik geschriebenen Wort als die
obersächsische entgegen mit süddeutschen, vielmehr wohl
erzgebu%ischen Eigentümlichkeiten. Für Pech- Ofen lesen
wir regelmäfsig „bech ofen", für Mühle „mul", „mül"
oder „mil", in der Verkleinerungsform „mulichen" oder
„milichen". Sonst dient „le" oder „1" gewöhnlich zur
Verkleinerung („stedel", „stedl" für Städtchen, „dörfel",
„heusl"). Berg wird jedenfalls wegen der härteren Aus-
sprache des auslautenden g wie Werk mit gk geschrieben,
„neu" fast stets „nau" („naw"); das Wort See wurde
Avohl zweisilbig gesprochen, denn Öder schreibt jedesmal
„sehe", entweder „der sehe" oder „das sehe", z. B. „das
egelsehe" bei Pirna (zumeist heifsen übrigens die stehen-
den Gewässer nur Teiche). „Bach" wird immer als Femini-
num gebraucht. Echt norddeutsch ist (wie noch gegenwärtig
in Sachsen) der Ausdruck Heide für Wald, namentlich für
Nadelwald; ein paarmal heilst eine Waldung „dieHarta".
Zum Schluls noch einige Worte über die stattliche
Ausbeute, welche unsere Karte dem Kultur- und Ge-
schichtsforscher darbietet. Vor allem gewährt sie ja ein
x\bbild des Kulturantlitzes der Landschaft. Wir schauen
die zahlreichen Siedelungen auf den ausgeführteren Sek-
tionen in ihrer genauen Anlage, die Städte mitunter halb
in Vogelschau, halb als Stadtplan, die Dörfer in langen
Häuschenzeilen die schlnchtigen Thäler hinanziehen oder
zum Eundling geschlossen ; auch einsam gelegene Schlösser,
Vorwerke, Einzelhöfe, Forsthäuser sind genau eingetragen.
Hie und da ist eine eingegangene Dorfschaft, eine
„Wüstung" verzeichnet; namentlich aber lassen sich an
der Hand dieser Karte, da sie noch vor Ausbruch des
30jährigen Krieges hergestellt wurde, diejenigen Ort-
schaften durch Vergleich mit späteren Karten leicht und
sicher nachweisen, w^elche durch jenen heillosen Krieg
zu Wüstungen wurden. Die Richtstätte des Galgens
ist vielfach neben der Ortschaft zu sehen, bei Leipzig
das Schieishaus so wenig vergessen wie bei Bischofs-
werda die Vogelstange; mehinials stehen „Hegesäulen"
an der Flurgrenze, auf der Höhe des Erzgebirges laufen
Wildzäune längs der Grenze gegen Böhmen, in der Nähe
330 Alfred Kirclihoö':
sind Salzlecken und Brunnen für das Hochwild, ein
„Bärenfang-" oder „Bärenstall" erinnert an das dereinstige
gröfste Eaubtier des Gebirges, viel häufiger trifft man
in Namensspuren auf den Wolf: Kupferhammer, Schmelz-
hütten und Wasseranspannungen zur Flölserei im Gebirge
deuten die Erz- und Holzgewinnung daselbst an. Un-
geheuere Waldungen dehnen sich vom Gebirge bis in die
Niederung; im freien Felde sieht man oft vereinzelte
Schäfereien, dann und wann Ziegeleien, am allerzahl-
reichsten jedoch sind Mühlwerke verzeichnet, in der Ebene
Windmühlen, sonst durchweg Wassermühlen ; wir erfahren
oft ganz genau, wie viel Gänge sie zählen, fast stets ob es
Öl-, Walk-, Brett- oder Lohmühlen sind, ob man auf ihnen
Mehl mahlt oder ob sie als Stampfwerke dienen für die
Papierfabrikation, deren grolse Ausdehnung schon für das
damalige Sachsen hier recht augenfällig entgegentritt.
Am weitaus eingehendsten hat Öder die Wälder-
verbreitung berücksichtigt. Denn zuvörderst hatte diese
Landesaufnahme einen fiskalischen Zweck, und ins-
besondere die Jagdgerechtigkeit sollte nach festen Gren-
zen bestimmt werden. Ein kurfürstlicher Jägermeister,
Paul Grobel, war es, der den Auftrag zur Herstellung
der „Mappe des ganzen Landesumkreises" in Kurfürst
Christians Namen an Matthias Öder überbrachte, denn
dieser Auftrag ging ganz unzweideutig darauf aus, der
kundige Markscheider solle, wie des Kurfürsten eigene
Worte lauteten, die Karte „verfertigen, wieferne sich
itzunder Vnsere Jagten erstrecken, vnd darein
alle Vnsere Holtzer sambt den vmbliegenden
Stedten, Dorffern vnd wässern bringen". Die
Hauptsache waren also die kurfürstlichen Wälder, und
zwar als Jagdreviere. Aufserdem aber hielt es Öder
doch auch ersichtlich für seine Aufgabe, die Wald- und
Jagdbezirke nicht kurfürstlichen Besitzes, die gericht-
liche Zubehör möglichst aller Ortschaften, ihre Zuweisung
zu den verschiedenen Ämtern, das Lehns- und Heer-
gefolgschaftswesen ganz im einzelnen festzustellen und
auf seine Karte die bezüglichen Vermerke einzutragen.
Das hat er denn mit gröfstem Eifer ausgeführt, so dafs
sein Kartenwerk einem staatsrechtlich -administrativen
Archive ähnelt, in welchem die Einzeldata nicht auf
Papier und Pergament, sondern auf den lebendigen Erd-
boden in Lapidarschrift dahin geschrieben sind, wohin sie
eben zielen. Gleichmälsig allerdings ist nicht verfahren ;
Matthiiis Oders Kai'teuwerk. 331
blols stellenweise z. B. findet man willkommene Einzel-
angaben über die Häuserzalil der Dörfer, die Anzahl der
„Mannschaft". Weit gleichmälsiger werden wir nnter-
richtet über die Gerichtsverhältnisse, geschieden in Ober-
imd Erb- oder Untergericht, wonach man Gerichtssprengel-
karten zeichnen könnte, die freilich mittelalterliche Bunt-
heit zur Schau tragen würden; stand doch die Gerichts-
hegung bisweilen an demselben Orte ganz verschiedenen
Obrigkeiten zu. So lesen wir beim Dorfe Gödau (west-
lich von Bautzen) auf Blatt 5 die Notiz: „Darin hat
M. G. H. [also der Kurfürst] 26 Mann, Peter von Hau-
bitz 4 Mann, das Capittel Budissien 12 Mann". Auf dem-
selben Blatt ist das Dörfchen Mohorn mit seinen 11 Höfen
der „besessenen" (angesessenen) Bauern abgebildet in zwei
Häuserzeilen, von denen aber nur die eine in die gelbe
Flächenfarbe des Schönbergischen Besitzes einbezogen ist,
was allem Anschein nach den etwas fragwürdigen Karto-
graphenschlich bedeutet, das daneben beschriebene recht-
liche Mischverhältnis zu veranschaulichen: „In Dorif
Mohorn sind 11 besessener Mann, hat Vnser Gnedigster
Herr die volge nach reise Steuer, Die ober vnd erbgericht
aber bemelten von Schönbergk zus[tendigj".
Eine nähere Untersuchung verdient das offenbar
auf Besitzverhältnisse bezugnehmende, nur bestimmten
Arealen daher zu teil gewordene Flächenkolorit in Gelb,
Braun und Ziegelrot (auf Blatt 9 auch einmal in Grün)
neben rosarot umränderten Flächen. Letztere scheinen
überall kurfürstliche Forsten zu bezeichnen; man ver-
gleiche auf Blatt 5 das kleine, rosa umgrenzte und mit fast
verlöschter Baum- d. h. Waldsignatur versehene Viereck
(X), ihm dicht zur Seite gen Ost liegt der Riedenberg, der
aber vom Braun des Hausbesitzes der Haugwitz (auch
„Haubitz") überzogen ist mit der daraufgeschriebenen Er-
klärung : „hat M. G. H. haubitzen die lagt eingereumet".
Die erwähnten Flächenfarben dürfen nicht immer
als Farbensymbole für dieselben Adelsfamilien oder
sonstigen Körperschaften betrachtet werden. Das Gelb,
welches, wie eben erwähnt, die Gerichtshegung in Mohorn
als dem Herrn von Schönberg gehörig bezeichnet, deutet
gleich daneben den Umfang des Besitztums von Bischofs-
werda an umliegenden Dörfern, Gehölzen und Vorwerken
an ; das sonst auf derselben Sektion überwiegend für den
Besitzstand der Haugwitz (Haubitz) verwendete Bi-aun
bedeutet am linken Bande u. a. den Besitz Georgs von
332 Alfred Kirclilioff :
Starstedel, so dafs das dicht angrenzende (auf Blatt 2
übergreifende) wiederum Haugwitzsche Besitztum, nur
behufs besserer Abhebung, nun gelb. .koloriert wurde.
Weil, wie wii^ sahen, Matthias Öder als sein Haupt-
ziel die Aufnahme der Forsten, insbesondere der landes-
herrlichen , vor Augen hatte , so findet man in seiner
„Landmappe" den besten Anhalt zum EntAVurf einer
Wälderkarte des damaligen Kursachsen. Ohne selbst
schon genügend übersichtlich zu sein (namentlich da die
Gebiete, welche mit Mächenfarben überzogen sind, be-
waldete und nicht bewaldete Striche enthalten), bietet
dieselbe mindestens für die Flächenausdehnung der Wal-
dung alles irgend Wünschenswerte; nicht selten giebt
sie auch die Art des Waldbestandes mit kurzen Worten
an: „dün fichten holz", „eidel dünne Birckn", „klein
Fichticht"; von einem Waldfleck hoch oben am Kamm
des Erzgebirges ostwärts von der oben genannten Bran-
dauer Natzschka heifst es: „ist des meisten theils buchen".
In den rosageränderten Flächen, die ich durchweg für
kurfürstliche Forsten halte (in denen auch allein die be-
sagten Sternfiguren der „8 Flügel" als Zeichen genauer
Vermessung vorkommen), erreicht übrigens gleichfalls die
Wegeangabe ihren Höhepunkt. Anderwärts finden wir
selbst von wichtigen Heerstralsen bei Öder nur gelegent-
lich einen Strichvermerk, so für die Kommotauer Strafse
über das Gebirge nach Böhmen, für ein Stückchen der
Strafse von Leipzig nach Halle. Aber in den Jagd-
revieren seines Fürsten trug Öder das ganze Wegenetz,
wohl herab bis auf schmale Pürschpfade ein; da zeichnete
er das Steinkreuz auf die Wegkreuzung, hob jede Wald-
wiese, so klein sie sein mochte, mit sattem Grün hervor.
Nicht so reichhaltig, wie man wohl wünschen möchte,
ist Oders Karte in Hinsicht auf den Landbau; allein
über Weinbau finden sich Ortsangaben, doch auch sie
geben wohl kein volles Abbild der Verbreitung des Wein-
baues im damaligen Kursachsen. Indessen gewähren sie
immerhin einen Einblick in die noch um 1600 gegen heute
weitere Ausdehnung der Weingärten nach der nördlichen
Ebene hin. Wir sehen noch Weinberge an der Pulsnitz
in der Gegend von Königsbrück und Krakau, abwärts
von Meifsen am rechten und linken Eibufer über Röderau
bei Eiesa hinaus nach Strehla, ebenso am rechten Saal-
ufer unweit von Keuschberg.
Litteratur.
Deutsche (ilescliieLte im Zeitalter der Gegenreformation und
des dreil'sigjährigen Krieges (1555—1648). Von Moriz Ritter.
1. Band: 1555—1586. Stuttgart, Cotta 1889. XV und «46 SS.
gr. 8».
Der Zeitraum, welchen der vorliegende erste Band von Ritters
deutscher Geschichte umfafst, entspricht ziemlich genau der Regie-
rungsdauer des Kurfürsten August von Sachsen. Der grofse Ein-
flufs desselben auf die damalige politische und religiöse Entwickelung
Deutschlands bedingt naturgemäfs, dafs auch Ritter dem Kurfürsten
seine Aufmerksamkeit gewidmet hat. In den meisten bisherigen
Werken, namentlich den theologischen, erscheint er in einem un-
günstigen Lichte-, man wiift ihm Maugel an Mut und Thatkraft,
ein zu geringes religiöses Interesse vor und stellt ihn seinen pfäl-
zischen Kollegen gegenüber, welche ein wärmeres Herz für ihre
Religion gehabt und die allgemein protestantische Sache mit aller
Energie verfochten hätten. Unserer Ansicht nach kann nicht scharf
genug betont werden, wie verschieden die politischen Verhältnisse
Sachsens und der Pfalz waren. Ein Blick auf eine historische Karte
genügt, um zu zeigen, dafs Sachsen ein geschlossenes Land, Pfalz
dagegen in mehrere Teile gespalten und von geistlichen Besitzungen
durchsetzt war. Daher bestand die Aufgabe des sächsischen Kur-
fürsten nach 1555 wesentlich in der Erhaltung des Religionsfriedens,
während die Pfälzer mit den Geistlichen in fortwährenden Konflikten
standen, zum Eintritt in die benachbarten Kapitel eingeladen und
durch die Nähe Frankreichs und der Niederlande viel mehr in die
dortigen Kämpfe hineingezogen wurden. Ritter steht als Katholik
diesem inneren Gegensatze der beiden protestantischen Häupter kühler
und ruhiger gegenüber und spricht den von uns skizzierten Interessen-
Unterschied, wenn auch nicht mit solcher Schärfe, aus.
Aufser der gedruckten Litteratur hat Ritter aus dem Dresdner
Archiv — ich spreche hier nur von diesem, weil es sich in den vor-
liegenden Zeilen allein um eine Kritik der Darstellung Augusts
handelt — die Reichstagsakten, sowie einige Konvolute niederlän-
dische Akten und Briefwechsel zwischen Maximilian und August
ausgebeutet. Die Benutzung der Reichstagsakten beschränkt sich
indessen auf die Gesandtschaftsberichte und Instruktionen; die Pro-
tokolle der Sitzungen des Kurfürstenrats bleiben unberücksichtigt.
Auch würden sich bei zukünftigen Detailarbeiten noch mancherlei
wertvolle Ergänzungen aus dem zersplitterten Material in den Hand-
schreiben, Religionssachen, Kriegssachen, Kopialien u. s. w. ge-
winnen lassen.
334 Litteratur.
Die Ritter eigentümliche Art der Darstellung tritt in seiner
„Deutschen Greschichte" noch schärfer hervor als in seinen früheren
Arbeiten. Er giebt unter Vermeidung alles unnötigen Details nui-
Gesichtspunkte, wie er selbst sagt, schreibt er „in hellen und grofsen
Umrissen, frei von störender Mannigfaltigkeit". Wir erhalten auf
diese Weise mehr als einen Auszug aus den bisher veröffentlichten
und von Ritter neu eingesehenen Akten; das Buch ist eine wirk-
liche geistige Verarbeitung der Epoche und enthält die eigenen, von
den bisherigen Urteilen vielfach sehr abweichenden Ansichten des
Verfassers. Derselbe wirkt daher stets anregend, wenn auch einige
seiner Aufstellungen später teilweise korrigiert werden dürften
Von den vielen Fragen, welche neu beleuchtet sind, nenne ich
die Reichstage, die Grrumbachscheu Händel, die Konkordienformel,
den Kölnischen Krieg.
Der Reichstag von 1555 wird nur kurz gestreift. Ritter fafst
auf wenigen Seiten die Ergebnisse seines früheren Aufsatzes über
den Religionsfrieden zusammen. Ich gehe auf das wichtige Er-
eignis nicht ein, weil ich das in einer kiü-zlich veröffentlichten Arbeit
gethan habe. Nur eins möchte ich hervorheben. Als die Absicht
Ottheinrichs wird eine Ordnung hingestellt ..nach welcher die evan-
gelische Religionsübung hoch und niedrig im gesamten Reiche frei-
stehen, das Recht katholischer Religionsübung dagegen auf die
Unterthanen katholischer Reichsstände, so lange die letzteren noch
dem Strom protestantischer Propaganda widerständen, eingeschränkt
werden sollte". Ich halte im Gegensatz zu Schwabe an der Ansicht
fest, dafs Otth'einrich wirklich in seinem Gutachten dies gefordert
hat. Aber mii- scheint Ritter zu weit zu gehen, sofort auch den
übrigen protestantischen Fürsten ähnliche Wünsche zuzuschreiben.
Weder August noch Kurfürst Friedrich von der Pfalz, noch ii-gend
ein anderer hat eine solche Ungleichheit gefordert; ja, die Befehle,
welche dieselben erteilt, die Anträge, welche sie durch ihre Gesandten
haben stellen lassen, stehen sogar der Annahme, dafs den anderen
protestantischen Fürsten solche Ordnung „vorgeschwebt" hätte, im
Wege ^).
Über die beiden folgenden Reichstage habe ich mich gleichfalls
früher schon ausgesprochen. Ich vermisse bei Ritter die Vorberei-
tungen zum Reichstag von Regensbui'g und den Widerstand des
sächsischen Kurfürsten gegen die Bitte um Freistellung. Nament-
lich die Zusammenkunft Ferdinands und Augusts zu Leitmeritz und
deren Verständigung über die Reichstagsberatung ist nicht un-
wichtig; sie bildet das Gegenstück zu Ottheinrichs Obstruktions-
plänen, sie machte die letzteren von vornherein hinfällig.
Zu den gelungensten Partieen in Ritters Werke rechne ich
den Reichstag von 1566. Die Beurteilung desselben ist ganz neu
und wie ich glaube, nicht anzufechten. Zwar die Legende, dafs der
Pfälzer durch seine Glaubenstreue und sein mutiges Auftreten auf
August einen unwiderstehlichen Eindrack gemacht und so Friedrichs
Ausschlufs aus dem Religionsfrieden verhindert hätte, war schon
früher beseitigt worden; zwar hat bereits Bezold auf die Bedeutung
^) Ich habe in meinem Buche „Zur Geschichte der deutschen
Protestanten" die Rittersche Ansiebt im wesentlichen wiederholt,
kann dieselbe aber nach genauem Studium der einschlägigen Akten
nicht mehr aufrechterhalten.
Litteratur. 335
der Abreise AiTgusts hingewiesen. Aber Kitter bat znni ei'sten Male
betont, dafs der Angriff sehr „wenig ernsthaft aussah". Und wenn
man bedenkt, dafs imter den knrpfälzischen Räten die Meinung ver-
breitet war, das ganze Verhalten des Kaisers habe nur den tak-
tischen Zweck die Türkenhilfe durchzuliringen -) — dann darf man
die Bedeutung des Anschlags nicht überschätzen. Interessant ist
aitch, wie er vorsichtig August mit den Gegnern Friedrichs sich auf
giften Fufs stellt, wie er aber trotzdem von vornherein mit festem
Plane in die Beratungen des Reichstags eintritt, wie er nach seiner
Abreise verfährt. Meisterhaft endlich ist die Verquickung der ver-
schiedenen damaligen Tagesfragen geschildert.
Dem Reichstage von 1566 ist in Bezug auf die Vielseitigkeit
der daselbst behandelten Fragen der von 1576 an die Seite zu stellen,
obwohl demselben bisher nicht die gleiche Aufmerksamkeit zu Teil
geworden ist. Der polnische Thronstreit, die Differenzen zwischen
Lübeck und Schweden, der niederländische Aufstand, die Türken-
hilfe, die Religionssache gehörten alle zu den Geschäften des Reichs-
tags. Auffallend erscheint die Zurückhaltung Friedrichs III. JSicht
mehr eine allgemeine Freistellung, sondern nur eine Bestätigung der
Ferdinandischen Deklaration und die Aufhebung des geistlichen Vor-
behalts wurde von ihm gefordert und als condicio sine quo non für
jede Tüi'kenhilfe hüigestellt. Die Sachsen drangen mit ihrem Wunsche,
die Frage unberührt zu lassen, nicht durch; mit Ausnahme der Neu-
bui'ger schlofs sich ihnen niemand an, sondern bestanden alle min-
destens auf der Bestätigung der Deklaration. Als jedoch die Katho-
liken drohten bei Erfüllung der protestantischen Forderungen den
Reichstag zu verlassen, sagten sich die Kursachsen förmlich von
ihren Glaubensgenossen los. So wurde schliefslich eine Türkenhilfe
von 60 Römermonaten bewilligt.
Der letzte Reichstag während der Regierung Augusts war der
zu Augsburg 1582. Die Verhältnisse lagen insofern anders als
vor sechs Jahren, weil in der Pfalz an Stelle des glaubeuseifrigen
Friedrich sein schwacher Sohn Ludwig und im Reiche an Stelle des
nachgiebigen Maximilian IL der von Selbstgefühl und von der Be-
deutung seiner Würde sehr erfüllte Rudolf IL getreten war. Der
Streit um die Bestimmungen des Religionsfriedens und nament-
lich die Rechtsverbindlichkeit des geistlichen Vorbehalts erfüllt
fast die ganzen Beratungen und kehrt in mehrfacher Gestalt
wieder. Zwar hatte August so bestimmt als möglich die erneute
Erörterung der Differenzen verboten, aber die Aachener Händel, die
Kölner Sache und die Zulassung des Administrators von Magdeburg
spielten teilweise zu Augsburg. In Aachen waren nach und nach
Evangelische in den Rat eingedrungen; zuletzt hatte der Kaiser
durch ein Mandat verfügt, dafs nur noch Katholiken Ratsmitglieder
werden dürften. Da man sich jedoch in Aachen nicht fügte, kam
es zum heftigsten Zwiste: die Protestanten wandten ein, dafs die
Entscheidung über die Zulässigkeit der einen oder anderen Religion
-; Im folgenden Jahre teilt der Kurfürst dem Landgrafen
Wilhelm mit, dafs die kaiserlichen Räte gegen die pfälzischen ge-
äufsert hatten, „das sie solchs nicht von sich selbst, sondern auf
anderer leuthc, deren Ihre Mat. des damals furgewesenen turken-
zugs halben, nicht entrathen können, urgiren und anlialten gctlian",
Vergl. Wilhelm am August H7, Juni 2, Mainz (111 G7'i fol. JiöO
No. "4 Bl. 210 ff.). Ganz ähnlich Kluckhohn II, 29.
336 Litteratur.
allein dem Rate zustehe; der Herzog von Jülich verneinte, dafs
ohne seine Zustimmung religiöse Änderungen in der Stadt beschlossen
werden dürften. Augiist suchte auch hier einen Mittelweg einzu-
schlagen und soAvohl den Kaiser als die Reichsstädte zu befriedigen.
Aber die protestantischen Fürsten einigten sich mit letzteren und
brachten dadurch dem Kaiser eine Schlappe bei; derselbe stand von
Strafmafsregelu ab und willigte in gütliche Ausgleichsversuche durch
die Kurfm-sten von Trier und Sachsen. Dagegen erlitten die Evan-
gelischeu in der Magdeburger Frage eine Niederlage: der protestan-
tische Administrator von Magdeburg, welcher sich seine Zulassung
zum Reichsrat erzwingen wollte, wurde von Sachsen nur so lau unter-
stützt, dafs er abreiste. Wir lassen dahingestellt, inwieweit die
Rivalität zwischen den beiden Kurhäusern um das Erzstift hierbei
mitgespielt hat.
Wir müssen noch zwei Pimkte erwähnen, welche mit den Reichs-
tagsberatungen in engster Beziehung stehen und für die Politik
Augusts von Wichtigkeit waren, die Freistellung und den Vorsitz
in den protestantischen Separatversammlungen. Es ist Ritters Ver-
dienst, jene Frage zuerst — in v. Webers „Archiv für sächsische Ge-
schichte" neue Folge Band 3 — beleuchtet und in seinem jetzigen Bliche
weiter ausgeführt zu haben; die Freistellung bedeutete für die Pfälzer
das Recht jedes Standes oder Unterthanen zum AnschluTs an die Kon-
fession, für die anderen die Aufhebung des geistlichen Vorbehaltes,
Dagegen scheint mir Ritters Ansicht bezüglich des Vorsitzes in den
protestantischen Separatversammluugeu nicht zutreffend. Auf S. 503
wirft er August Unberechenbarkeit vor, weil er das Präsidium ein-
mal beansprucht, das andere Mal den Pfälzera überlassen habe. Doch
hat sich das, so viel ich aus den Akten ersehe, durchaus nach den
Rangverhältnissen gerichtet. Der Reichstag von 1555 kann nicht in
Betracht kommen, weil Kurpfalz damals noch nicht offiziell evan-
gelisch war. Auf dem Wormser Religionsgespräch von 1557 war
August Assessor und hatte infolgedessen Graf Eberstein den Vorrang
vor den Pfälzern und Brandenburgern. Auf den Reichstagen nach
1555 aber haben stets die Pfälzer präsidiert als die Vertreter des
vornehmsten evangelischen Kurfürsten; eine Ausnahme bildet der
Reichstag von 1566, auf welchem Friedrich IIL gewissermafsen An-
geklagter Avar und daher nicht gleichzeitig Vorsitzender sein konnte.
Endlich hebe ich von Einzelheiten noch die Grumbachschen
Händel ..hervor. Ritters Darstellung giebt zum ersten Male einen
klaren Überblick über diese viel behandelten Dinge erhalten. Die
Arbeiten von Beck und Koch sind Plaidoyers für die Unschuld
ihrer Klienten und das dickleibige vierbändige Buch von Ortloff ist
so schwerfällig und unübersichtlich, dafs eine besondere Bearbeitung
dazu gehören wird, seine Resultate zum Gemeingnit der wissenschaft-
lichen Welt zu machen. Ritter dagegen vermeidet alles unnütze
Beiwerk und hebt auf wenigen Blättern die für die deutsche Ge-
schichte wichtigen Gesichtspunkte heraus.
Man wird namentlich über den Stiu'z der Kryptocalvinisten
über die Beziehung Augusts zu den Hugenottenkriegeu xmd zum
niederländischen Aufstand mit der Zeit noch vieles aus dem Dresdner
Aktenmaterial den Ritterschen Resultaten hinzufügen. Aber ich
glaube, dafs das Bild, welches wir von den Anschauungen des Kur-
fürsten zu entwerfen haben, in den Umrissen nunmehr feststeht.
Man mufs sich eben wie gesagt die Lage des Kurfürsten und seines
Landes vergegenwärtigen. Nach 1555 war Augusts ganzes Streben
Litteratur. 337
darauf gerichtet, den Frieden anfrecht zu erhalten, im übrigen aber die
Kluft der religiösen Gegensätze möglichst zu überbrücken, deshalb liebte
er die kirchlichen Diskussionen auf dem Reichstage nicht und hafste
die Aspirationen der Pfälzer, deshalb bemühte er sich um gute Be-
ziehungen zu den benachbarten Katholiken, deshalb weigerte er sich,
politische Fragen nach kirchlichen Gesichtspunkten zu behandeln
und die Bewilligung der Türkenhilfe u. s. w. von religiösen Kon-
zessionen abhängig zu machen. Durch Vermeiden aller Differenzen
wollte er den Frieden erhalten, durch allmähliche Einschläferung der
kirchlichen Frage denselben sichern. Vor allem hatten religiöse
Fragen, welche Sachsen nicht berührten, für August nur ein sehr
untergeordnetes Interesse. Über die Zweckmäfsigkeit einer solchen
Politik wird sich jeder Historiker* je nach Standpunkt und Über-
zeugung sein Urteil bilden. Es ist richtig, dafs durch Sachsen die
Entwickelung des Protestantismus gehemmt, es ist ebenso richtig,
dafs durch Sachsen der Zusammenstofs zwischen Katholiken und
Evangelischen um Jahrzehnte verzögert und nach 1555 in Deutsch-
land der Friede im Grofsen und Ganzen 60 Jahre gewahrt worden
ist. Es sei jedoch gestattet, der Ritterschen Darstellung noch eins
hinzuzufügen: in der hessischen wie pfälzischen und württember-
gischen Politik spielt die Ahnung eines erneuten Ausbruchs der
religiösen Streitigkeiten eine grofse Rolle ; deshalb mahnen alle zum
Zusammenschlufs der konfessionistischen Stände, damit nicht einer
nach dem andern „gefressen" werde. Dergleichen Befürchtungen
lagen August ferner ; man kann als Schlüssel zum Verständnis seiner
religiösen Politik den Ausspruch bezeichnen, den er 1566 gethan
hat: „wir befurchten uns vom pabstumb (welchs Got lob bei der
ganzen weit dermafsen an tag geben, das es in sich selbst feit und
zu boden gehet) weniger Schadens und nachtheils als von der Un-
einigkeit, Spaltung und gehessigem gezenk derjenigen, so sich des
evangelii und der A. C. rühmen." (Kluckhohn I, 612.)
■ Wir wünschen dem Unternehmen gedeihlichen Fortgang vmd
hoffen, dafs es den Zweck erreiche, den jedes derartige Werk ver-
folgen mufs: Anregung zu weiteren Studien.
Dresden. Gustav Wolf.
Urkundliche Beiträge zur Praxis des Yolksschiilunterrichts im
18. Jahrliundert. A^on Johann Griistav Stephan. Nossen 1889.
40 SS. 8*>. (Bericht über das Königliche Seminar zu Nossen. 1889.)
Zur Geschichte des sächsischen Volksschulwesens sind in den
letzten Jahren manche AvertvoUe Beiträge geliefert worden. Erinnert
sei in erster Linie an Pohles Geschichte des Seminarwesens, die auch
in dieser Zeitschrift (IX, 176 ff.) besprochen worden ist. Das vor-
liegende Schriftchen, welches den Zustand der Leipziger Winkel-
schulen im vorigen Jahrhunderte behandelt, bietet ebenfalls recht
dankenswertes Material. Dasselbe ist fast durchweg dem Leipziger
Ratsarchive entnommen. Besonders reichen Ertrag lieferte die Be-
nutzung der Berichte der Geistlichen, welche vom Rate mit der Auf-
sicht über die Winkelschulen betraut waren. Erwähnung würde
u. a. noch des Katecheten und Predigers an der Peterskirche,
M. Adam Bernd, eingehender Bericht vom 27. Mai 1727 verdient
haben, welcher sich in den Akten der Leipziger Peterskirdie l)e-
findet (Vergl. Mangner, Mag. Adam Bernd, in den Schriften des
Vereins für die Geschichte Leipzigs. 2. Sammlung. Leipzig 1878.
Neues Archiv f. S. (',. u. A. XI 3. 4. 22
338 Litteraüir.
S. 42, 49). In überaus anschaulicher Weise werden von dem um
die Hebung der ihm unterstellten Schulen eifrig bemühten Geistlichen
die Mängel der Winkelschulen _, wie die Bemühmigen der vom Rate
verordneten Inspektoren geschildert. Erwähnt sei als Beispiel die
Stelle über die Lehrbücher: „Wir Prediger, die wir Schulen be-
suchen, sind ehedefsen eines worden, den Fraeceptores die Instruction
zu geben, dafs sie dahin trachten sollen, dafs 6. 7. oder 10. Kinder
von gleichen profectibus, so lesen lernen, einerley Bücher haben und
in solchen aufsagen, so dafs, wenn ein Kind aufhöret, das andere
fortfahret; welches nicht mir macht, dafs die Kinder eher lesen
lernen, sondern auch eine Gelegenheit ist, dafs die grofsen in einem
Jahre die Bibel mehr als einmal diirchlesen köimen. Allein da
geben viele Eltern ihren Kindern etwan eine alte Postille, oder ein
Gebet-Buch, und schicken sie mit in die Schule, und begehren, dafs
das Kind in demselben soll aufsagen." An einigen Beispielen zeigt
Bernd in seinem Berichte, wie es langsam vorwärts geht und giebt
Belege zii dem, was Verfasser S. 31 ff. in dem dritten Teile seiner
Abhandlung über die persönlichen Verhältnisse der Lehrer mitteilt.
Die ersten beiden Teile besprechen die Entstehung und den Unter-
richtsbetrieb in den "Winkelschulen. Namentlich bezüglich des letz-
teren bringt er eine Fülle einzelner Züge bei. Es wäre sehr wünschens-
wert, dafs die Schulverhältnisse der einzelnen Städte in derselben
Weise behandelt würden, damit dann nach Veröffentlichung des ur-
kundlichen Materials die zusammenfassende Darstellung der Ent-
stehung des sächsischen Volksschulwesens ermöglicht würde.
Dresden. Georg Müller.
Beiträge zur sächsischen Kireheiigeschichte. Herausgegeben im
Auftrage der Gesellschaft für sächsische Kirchengeschichte von
Franz Dibeliiis und Theodor Brieger. Fünftes Heft (Jahi-esheft
für 1889). Leipzig, Barth. 1890. 168 SS. 8°.
Das vorliegende fünfte Heft der schnell auch aufserhall) Sachsens
anerkannten Zeitschrift hat insofern eine erhöhte Bedeutung, als auf
demselben zum ersten Male als Mitherausgeber der Professor der
Kirchengeschichte an der Universität Leipzig, D. Theodor Brieger,
erscheint, welcher an des um die Zeitschrift hochverdienten, dem
Vereine durch den Tod entrissenen Geheimen Kircheurats D. Lechler
Stelle getreten ist. Wie derselbe in seinen Arbeiten wertvolle Studien
zur sächsischen Kirchengeschichte geboten hat, so veröffentlicht er in
dem vorliegenden Hefte (S. 155—166) eine bei Eröffnung einer Vor-
lesung gehaltene Ansprache: ,,Über die Aufgabe einer sächsischen Refor-
mationsgeschichte". Verfasser bestimmt das Gebiet in scharfsinniger
Weise (S. 158 flg.), weist auf die Lückenhaftigkeit der bisherigen
Arbeiten unter warmer Anerkennung der Verdienste Karl August
Seidemanns hin und giebt die Zielpunkte der Forschung an. Mögen
namentlich die am Schlüsse gegebenen Fingerzeige rechte Beachtung
linden. Ein Beispiel dafür, wie augebracht des Verfassers Mah-
nung ist, die verschiedensten, auch kleinsten Archive nach Doku-
menten zu durchsuchen, ist die Studie des Oberpfarrers Dr. Wetzel
(S. 1 — 21): ,,Die Einführung der Reformation in Bischofswerda im
Jahre 1559". Bekanntlich ist das Städtchen im Laufe der Jahr-
hunderte diirch eine Reihe von Bränden schwer heimgesucht worden,
welche das Rats- und Pfarrarchiv völlig vernichtet haben. Ein ein-
ziger Quartband hat sich in dem letzteren erhalten und namentlich
in diesem eine Abschrift des Visitationsrezesses , welchen die Visi-
Litteratiu". 339
tatoren bei Übernahme der Stadt dvircb den Kurfürsten im Jahre 1559
mit dem E,ate abschlössen und an den Kurfürsten sandten. Beinahe
ausschliefslich auf Clrund dieses Dokuments hat Verfasser ein Bild
der reformatorischen Vorgänge in Bischofswerda entworfen. Freilich
über die wichtige Frage, ob das Instrument von der kurfürstlichen
Regierung bestätigt wurde, hat er trotz der eifrigsten Nachforschungen
kein bestimmtes Resultat beibringen können. Es bleibt so die in
neuerer Zeit viel ventilierte, in den verschiedensten Instanzen er-
örterte Frage immer noch otfeu. Ihre Beantwortung erregt um so
mehr Interesse, als sie nicht ohne praktische Konsequenzen ist. So
hängt damit der Anspruch der Stadt Bischofswerda auf eine Superin-
tendentur eng zusammen. — Von den übi'igen Arbeiten, bezüglich deren
sich Referent mit Rücksicht auf den zur Verfügung stehenden Raum
kurz fassen mufs, gehören der Reformationsgeschichte an die Mit-
teilungen Buchwalds: ,,Aus Luthers Randbemerkimgen zu den
Sentenzen des Petrus Lombardus und zu den Predigten Johann
Taulers" (S. 67 — 90). Je mangelhafter wir über Luthers theologische
Entwickelung, namentlich in den ersten Jahren seiner Universitäts-
thätigkeit unterrichtet sind, um so freudiger ist jeder neue Fund in
dieser Richtung zu begrüfsen. Buchwald hat einen solchen in der
Zwickauer Ratsschulbibliothek gemacht und giebt als Probe die
Bemerkungen Luthers zu Petrus Lombardus Sentenzen Buch I,
Distinkt. I— XVII und zu Taulers 45. Predigt über Luc. 5, Iflg-,
während die Publikation des Ganzen in der Weimarer Lutherausgabe
erfolgen soll. Paul Drews in seinem auf der Generalversammlung
des Vereins für Reformationsgeschichte in Görlitz im Jahre 1889 ge-
haltenen Vortrage über die ,, Böhmischen Brüderexulanten im Meifs-
nischen, in der Oberlausitz und Schlesien", behandelt ein Gebiet, das
wegen seiner Bedeutung für die religiöse und kulturgeschichtliche
Bewegung Sachsens von grofser Wichtigkeit ist und noch reichen
Stoff zu monographischer Forschung bietet. Mit Dresdens Kirchen-
geschichte beschäftigen sich zwei Arbeiten; während F. Blanck-
meister ,, Dresdens kirchengeschichtliche Bedeutung" in schöner,
pointierter Sprache und kräftigen, gutgewählten Zügen im Zusammen-
hange mit dem Gange der Kirchengeschichte überhaupt schildert,
versucht der unterzeichnete Referent ,,das Franziskanerkloster in
Dresden" in seiner historischen Entwickelung auf Grund des überaus
dürftigen urkundlichen Materials zu zeichnen. — Vorausgeschickt
sind dem Hefte die neuen Satzungen der Gesellschaft, welche bezüg-
lich der finanziellen Seite, wie der Erwerbung und Vertreibung des
Vereinsheftes wesentliche Veränderungen aufweisen Möge sich dei'
Verein und die Zeitschrift in der neuen Form einer günstigen Ent-
wickelung zu erfreuen hal)en.
Dresden. Georg Müller.
Übersicht
über neuerdings erschienene Schriften nnd Aufsätze zur
sächsischen Geschichte und Altertumskunde.
Beck und Buchioald. Ein Stück Geschichte der Zwickauer Raths-
schulbibliothek und die neuesten Lutherfunde in derselben : Wissen-
schaftliche Beilage der Leipziger Zeitung. 1890. No. 93. S. 369 f.
22*
340 Litteratur.
Brasch, Mor, Greschichte der Universität Leipzig. (A. u. d. T.:
Auf deutsclien Hochschulen. II.) München, Verl. der Akad.
Monatshefte. 1890. 68 SS. 8«.
Bräuer, Julius Alfred. Mitteilungen aus der Ortskirchengeschichte
von Hinterhennsdorf und Saupsdorf üher die Zeit von 1668 bis
1890. Zusammengestellt zur 2u0 jährigen Jubelfeier der Erbauung
der Kirche Hinterhermsdorfs. (Hinterhermsdorf 1890.) .58 SS. 8".
Buchwald. Die Bildnifssammlung der Zwickauer ßathsschulbiblio-
thek in ihrer Beziehung zu sächsischen Persönlichkeiten : Wissen-
schaftliche Beilage zur Leipziger Zeitung. 1890. No. 110. S. 439f,
fColditz, Hugo.J JEundert Jahre Geschichte der Arnoldischen Buch-
handlung zu Dresden von 1790 bis 1890. Als Handschrift ge-
druckt. Dresden 1890. 2 BU. 88 SS. 80.
V. Corvin, 0. Maria Aurora Gräfin von Königsmark und ihre Be-
ziehungen zu August dem Starken, Kurlürsten von Sachsen.
2. Aufl. Rudolstadt, A. Bock. (1890.) 164 SS. S**.
Distel, Th. Strafrechtsgeschichtliche Findlinge: Zeitschrift für die
gesammte Strafrechtswissenschaft. Bd. X (1890). S. 431—445.
— Ein Schreiben der Wittwe Bugenhagens : Zeitschrift für Kirchen-
geschiehte. Bd. XI (1890). S. 483f.
— Architekturbuch Stephan und Andreas Bretschneiders zu Dres-
den (1580): Blätter für Architektur und Kunsthandwerk. Jahr-
gang III (1890). S. 23.
— Nachrichten über die Maler Balthasar und Joh. Gottfried Böhme:
ebenda S. 11.
— Beiträge zu einer 1594 geplanten Notenpublikation (Paul Köhler,
Jakob Reynart u. A. betreffend): Monatshefte für Musikgeschichte.
Jahrgang XXn (1890). S. 83.
— Ein kursächsicher Hofmusikus [Hirnschretl] als Totschläger:
ebenda S. 20 f.
— (David Schubert und die Orgel in der katholischen Hofkii'che zu
Dresden): ebenda S. 48 f.
— Ein Schreiben des Kamraerkomponisten Naumann an den Kur-
fürsten zu Sachsen (1769): ebenda S. 19 f.
Dittmann, O. Die Getreidepreise in der Stadt Leipzig im XVII.,
XVIII. und XIX. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Geschichte der
Preisbewegung: Mittheilungen des statistischen Amtes der Stadt
Leipzig. Heft XXL Leipzig, Duncker u. Humblot. 1889.
41 SS. (und 3 Tabellen). 4».
Dreher^ F. Die Flaschenmacher oder Klempner in Eibenstock
im Erzgebirge: Wissenschaftliche Beilage der Leipziger Zeitung
1890. No. Ü5. S. 457—460.
Dreßler, K. G. Chronik der Parochie Ottendorf sowie der Dörfer
Lausa, Hermsdorf, Grünberg und Cunnersdorf. Nach sicheren
Quellen bearbeitet unter Mitwirkung von Const. Angermann.
Meifsen, Selbstverl. d. Verf. 1890. VIII, 178 SS. 8».
Enders, Ludw. Luther und Emser. Ihre Streitschriften aus dem
Jahre 1521. Bd. I. (A u. d. T.: Neudrucke deutscher Litteratur-
werke des XVI. und XVII. Jahrhunderts No. 83 und 84: Flug-
schriften aus der Reformationszeit. VIII.) Halle a./S., Niemeyer.
1889. VIII, 152 SS. 80.
Fischer, Hugo. Einführung und Entwickelung der Dampfschifffahrt
auf der Elbe im Königreiche Sachsen (Sonderabdruck aus dem
„Civilingenieur". Bd. XXXVI. 1890. Heft 4). 40 Sp. und
4 Tafeln. 4».
Litteratur. 341
Freytag, E. B. Zur Litteratur der Landeskunden des Königreichs
Sachsen: Praxis der Erziehnngsschule, Bd. 4. Heft 2. (1890).
S. 69-80.
— Kronprinz Albert in der deutschen Dichtung: Leipziger Zeitung.
1890. No. 91. (Erste Beilage.)
Gurlitt, Cornelius. Kunst und Künstler am Vorabend der Refor-
mation (A. u. d. T. : Schriften des Vereins für Beformations-
geschichte Jahrgang VII. Stück 4.) Halle, Niemej^er (Komm.).
1890. 155 SS. 80.
— Vom K. Schlosse in Dresden : Blätter für Architektur und Kuust-
handwerk. Jahrgang III (1890). S. 22. 26.
— Die Dresdner Ausstellung alter Zinnarbeiten : Kunstgewerbeblatt
N. F. Jahrgang T (1890). S. 29—32.
Frhr. v.Hmisen, Clemens. Vasallen - Geschlechter der Markgrafen
zu Meifseu, Landgrafen zu Thüringen und Herzoge zu Sachsen
bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts (Forts.) : Vierteljahrsschrift
für Wappen-, Siegel- und Familienkunde. Jahrgang XVIII (1890).
S. 101—211. 367—464.
— Das Königlich Sächsische Wappen in seiner historischen Eut-
wickeluug.' Deutsches Adelsblatt. VIII (1890). No. 23—26. 28 flg.
S. 385-387. 404—406. 423-425. 441—444. 477—479. 491-493.
Hiller, Robert. Die Stadt Pausa und ihre nächste Umgebung. Im
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Plane der Stadt, einer Karte der Umgebung und drei Ansichten
in Lichtdruck. Pausa (Plauen, A. Kell, Komm.). 1890. 415 SS. 8'>.
Jäger, Cl. A. Chronik A'on Moliorn mit Grund. Grund, Verlag des
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Israel, A. M. Valentin Weigels Leben und Schriften, nach den
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kgl. Schullehrerseminar zu Zschopau. Zschopau 1890. II, 167 SS. 8^.
Kaäe, Reinh. Sperontes, Singende Muse an der Pleifse 1736:
Wissenschaftliche Beilage der Leipziger Zeitung. 1890. No. 106.
S. 421—423.
— Christian Günther in Leipzig: Grenzboten. 1890. No. 28,
S. 66—74.
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Knothe, Herrn. Zur Geschichte des Münzwesens in der Oberlausitz.
Blätter für Münzfreunde. Jahrgang XXVI (1890). No. 163f.
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Kreyenberg, Gotth. Ernst der Fromme. Ein Lebens- und Kultur-
bild aus dem 17. Jahrhundert. Frankfurt a. M., Diesterwcg.
1890. V, 110 SS. 8^.
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Über Berg und Thal. Jahrgang XII (1889). No. 5-7. 11.
S. 331. 338—341. 350f. 381—384.
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342 Litteratur.
Mohr, F. Vorgeschichtliche Überreste iin sächsischen Vogtlande : Fest-
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Jöfsnitz, Strafsberg und Oberlosa 1570 — 1800: Vierteljahrsschrift
für Wappen-, Siegel- und Familienkunde. Jahrgang XVIII (1890).
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StaatsregieruDg herausgegeben vom Königl. Sachs. Alterthums-
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und ßochlitz. Dresden, C. C. Meinhold & Söhne (Komm.). 1889.
1890. 148. SS. 47 und 135 SS. 8».
Voigt, Geo. Über den Ramismus an der Universität Leipzig: Sitz-
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Waddington, A. La France et les Protestants allemands sous
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Zabel, H. Chronik von Zöblitz, neu herausgegeben und mit Bildern
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Litteratur. 343
Beiträge zur sächsischen Kirchengeschichte. Herausgegeben im
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Franz Dibelius und Theodor Brieger. Fünftes Heft (Jahresheft
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Inhalt: Wetzel, Die Einführung der Reformation in Bischofs-
werda im Jahre 1659. Drews, Böhmische Brüderexulanten im
Meifsnischen , in der Oberlausitz und in Schlesien. Bl ande-
rn ei st er, Dresdens kirchengeschichtliche Bedeutung. Buch-
wald. Aus Luthers Randbemerkungen zu den Sentenzen des
Petrus Lombardus und zu den Predigten Johann Taulers... G.
Müller, Das Franciskanerkloster in Dresden. Brieger, Über
die Aufgabe einer sächsischen Reformationsgeschichte. Miszellen.
Mitteihmgen der Deutschen Gesellschaft zur Erforschung vater-
ländischer Sprache und Altertümer in Leipzig. Achter Band.
3. Heft. Mit einer Landkarte und zwölf in den Text oedruckten
Abbildungen. Leipzig (K. W. Hiersemann). 1890. 192 SS. 8°.
Inhalt: Merkel, Zur (Teschichte des Besitzstandes des Hauses
Wettin. Lobe, Gräfin Bertha von Groitzsch oder von Morungen.
V. Süfsmilch gen Hörn ig, Burgen im Erzgebirge (mit sechs
Grundrissen). Kirchhoff, Das älteste Leipziger Zeitungsweseii.
Kroker, Schaustellungen auf den Leipziger Messen im 16., 17.
und 18. Jahrhundert. Meyer, Der Index librorum prohibitorum
Mitteilungen vom Freiberger Altertumsverei^i mit Bildern aus
Freibergs Verqanqenlieit. Herausgeo-eben von Heinrich Gerlach
26. Heft. 1889. Freiberg i. S. 1890.^ 112 SS. 8«.
Inhalt: Knebel, Handwerksbräuche früherer Jahrhunderte.
Kade, Zu Freibergs Geschlechtera. Gerlach, Bilder aus Frei-
bergs Vergangenheit No. 9 und 10. Wohlfarth, Betrachtungen
über die uralte Wasserleitung von der bewaldeten Höhe südwest-
lich von Freiberg zum Schutze der Stadt durch Festungsteiche
Knebel, Heydenreich, Gerlach, Distel, Pfotenhauer,
Kleinere Mitteilungen. Ger lach, Freiberger Fundchronik.
Ger lach, Freiberger Gedenkbuch. Ger lach. Heimatliche Lit-
teratur 1888/89 von Freiberg und Umgegend.
Eegister.
Aachener Friede 131.
Adalbert, Erzbisch, von Mainz 5 f.
Agricola, Joh. Georg 94.
— Paul 73.
Agrippa, Corn., von Nettesheim
87.
Alba, Herzog von 204 f. 226 f.
Alberti, Val, Ofticial zu Bautzen
38.
Albrecht, Herz, von Sachsen 145.
152. 154.
— Markgraf von Brandenburg
177. 196. 226.
Alt-Scherbitz bei Schkeuditz 12.
Altzelle 155.
Andernach, Günther von 100.
Andrea, Jacob 251. 253 f. 258.
261.
Apianus, Peter 323 f.
— Philipp 323.
August, Kurfürst von Sachsen
42. 44. 155. 177. 179. 249 ff.
275 f. 279 f. 321 ff. 326. 333 ff.
— Herzog von Sachsen, Admini -
strator von Magdeburg 135.
Aussig 193. 195.
Baldauf, Chrph. s. Walduff.
— Wolf, Stadtschreiber zu Zwi-
ckau 59.
Bapst, Mich., von Rochlitz, Pfarrer
zu Mohorn 77 ff.
Bärensprung, Laurent. 47.
Bartholomäi , Petr. , Domherr zu
Bautzen 35.
Bautzen, CoUegiatstift 17 ff.
— Franciskanerkloster 23. 26. 34.
40.
— Marienkirche 23.
— Nicolaikirche 32.
Bayern s. Ferdinand Maria, Lud-
wig, Maximilian, Beinhart.
Beaumont 129.
Beiersdorf (Oberlansitz) 27.
Beler, Andr., Ofiic. zu Bautzen,
dann Propst zu Liegnitz 38.
Beigern 28.
Beneda 4 f.
Benno, Bischof von Meifsen 4.
Berbistorff, Bastian 147.
Berger , Casp. , Maler in Dresden
265.
Bergt, Friedr., Maler in Dresden
265.
V. Berlepsch, Erich Volkmar 247 f.
V. Bernstein, Waltzig 147.
V. Betschitz , Chrph. , Official zu
Bautzen 37.
Beyer, Leonhard, Superintendent
in Zwickau 51. 57 ff. 67.
V. Bigen, Ulrich, Domherr zu
Bautzen 20.
Bilia, Melch., päpstlicher Nuntius
in Wien 44.
Bischdorf bei Löbau 23.
Bischofswerde 42.
— Heinrich von, Gustos zu
Bautzen 29
— Rulko von, Decan zu Bautzen
27 ff.
Bog, Andr., von Eilenbui'g, Mag.,
zu Nordhausen 72.
Böhm, Balth., Maler 273.
Böhmen s. Johann, Wenzel,
Wladislav, Wratislav.
■ Bohuslav , Pfarrer und Domherr
zu Bautzen 27.
Bollinger, Ulr. 96.
Bologna 26. 30. 38.
Boyen,Chrph. und Haus,Maler 273.
Register.
345
Brandenburg s. Albreclit , Friedi'ich
Wilhelm, Hans, Joachim, Jo-
hann, Johann Georg, Wolde-
mar.
Brannschweig 130 s. a. Erich,
Ernst, Heinrich, Karl Viktor,
Philipp Magnus.
Brecislaus, Sohn des Königs
AVratislav von Böhmen 4.
Brettschneider, Dan., Maler in
Dresden 273 f.
Brew, Casp. , Goldschmied in
Zwickau 64.
de Brück, Petrus. Maler 273.
Bruno II., Bischof von Meifsen 18.
Brysomannus, Justus Ludw. 252.
254 ft".
Buchner, Paul, Zeugmeister 276.
— Dorothea s. Wehme.
Bugenhagen, Joh. , Dr. 59. 61.
69 ff.
Bulsize, Ort im Burgwart Woz 13.
V. Bünau , Heinrich, Propst zu
Bautzen 39.
V. Büren, Graf 181. 184. 215.
V. Burkersrode, Geh. Rath 128.
Burkhard, Franz, Kanzler 63.
V. Caldenborn, Joh , Domherr zu
Bautzen 27. 29.
Camerarius, Joachim 55 f. 63. 72.
74. 252.
V. Capellendorf, Theodor, Propst
zu Bautzen 29.
V. Carlowitz, Christof 179. 182.
184. 199. 204 f. 211.
— Georg 179.
— Hans, kurf. Stallmeister 42.
— s. Nicolaus.
Caspar (v. Schönberg), Bisch, von
Meifsen 147.
Chassan, franz. Gesandter 130 f.
133.
Chemnitz 149 ff.
Christian L, Kurfürst von Saghsen
276. 279 f. 320 f. 323. 330.
— II. , Kurfürst von Sachsen
278 f. 300.
Christof, Landgraf von Leuchten-
berg 180. 196. 226.
Cob , österr. General 135.
Coburg 247.
Cochlius, Joh., Decan zu Bautzen
39.
Colbert 129.
Colditz 277.
Colonna, Pirro, kaiserl. Kriegs-
rat 200.
Conrad, Paul, Maler 273.
Constappel bei Coswig 14 ff.
Cornarius , Janus , Dr. , Stadt-
physicus in Zwickau 53 f.
Cossebaude (Gozebudi) 12.
Coswig 3. 5.
Cranach, Lucas, d. J. 275.
Criginger, Joh., Pfarrer z. Marien-
berg 321 f.
Cro, NicoL, Pfarrer und Dom
herr zu Bautzen 35.
CroU, Oswald 96.
Crottendorf bei Leipzig 152.
Cruciger, Casp. 53. 59 f.
V. Oruczberg, Theod., Propst zu
Bautzen 33.
V. Czastewitz, Heinr. , zu Arns-
dorf 147.
Dallwitzer, Pa., Mag. in Zwickau
53.
Dänemark 178. 203 f.
Dehr, Balth., Kantor zu Bautzen
34 f.
Delitzsch 149 ff.
V. Dieskau, Otto 179. 218.
Dietrich (v. Schönberg), BLschof
von Meifsen 35.
Döbeln 149 ff.
V. Dohlen , Abraham , Maler 273.
V. Dohna, Hannibal, Graf 291 ff".
Dorothee Susanne, Gem. d. Herz.
Joh. Wilhelm 250. 253 f. 256.
Drakenburg 215.
V. Drasch witz, Wert 147.
Dresden 148. 150 f. 158. 160 f.
— Maleriunung 263 ff.
— Moritzmonument 277 f.
— Schloss 277.
— Petrus von , Domherr zu
Bautzen 35.
Di'ogiz, Nickel 147.
V. d. Dube, Benes 32.
Dürr, Zachar., Maler in Dresden
273.
V. Ebeleben, Christof, herzogl.
Rat 215 f. 223 ff.
Eberhard, Nicol. , Domherr zu
Bautzen 26.
Ekbert, Mai'kgraf von Meifsen 4.
Eger 203 f.
346
Register.
Emineiicli, Caspar, Decan zu
Bautzen 38 f.
— Georg, in Görlitz 19. 38.
Enderler, Hans, Maler 273.
England 1:^1 f 178. s. a. Karl.
Erastus (Lieber), Thomas 100.
102. 108.
Erdmuthe Sophie, Tochter Kur-
fürst Joh. Georgs II. 126.
Erfurt 126 f.
Erich II. , Herzog von Braun-
schweig - Calenberg 177. 215.
217. 231.
Ering, Chrph., Mag.. Prediger in
Zwickau .58 ff. 7l'f.
Ernst, Kurfürst von Sachsen 145.
1Ö2.
— Herzog von Braunschweig 228.
231. 233,
Eutritzsch (Euderitz) 1.52.
Fabri, Georg, Official zu Bautzen
38.
Fabricius, Georg, Rektor zu S.
Afra 155.
Fachs, Dr., kursächs. Rat 232.
235
Fehrbellin, Schlacht 134.
Ferdinand I., Kaiser 40. 43f. 179f.
184. 187 ff.
— II., Kaiser 283 ff.
— III, Kaiser 121 ff.
— IV., röm. König 120. 123.
Ferdinand Maria, Kurfürst von
Bayern 123. 125. 136 f.
Feuquieres, französ. Bevollmäch-
tigter 141.
Findekeller, Chrph. Dan., Geh.
Sekretär 139.
Frankfurt a. M. , Reichsdeputa-
tionstag 122 f.
Frankreich 120 ff. s. Franz, Lud-
wig.
Franz I , König von Frankreich
178. 198. 203.
— II. (Este), Herzog von Mo-
dena 121.
Freiberg 25. 148. 150 f. 158.
Stadtrecht 162 ff
— Heinr. , Domherr zu Bautzen
31 f.
— Hermann von, Propst zu
Bautzen 25.
Freytag, Joh. Heinr. 96 f.
Friberger, Casp. 147.
Friedrich (d. Strenge), Markgraf
von Meifsen 28 f.
— IL, Kurfürst v, d. Pfalz 198.
— V., Kurfürst v. d. Pfalz 305.
Friedrich Wilhelm, Hei'zog von
Sachsen -Weimar , Administr.
270 ff. 278 ff
Kurf. v. Brandenburg 123ff.
Fries, Laurentius 85.
V. Friesen, Heinr. Frhr., Geheimer-
Rats-Direktor 135.
Frischheim, Ha., Maler in Dres-
den 265.
Pritsche, Georg, Kanzler 41.
Galenus 85. 99 f. 107 ff.
Gebese, Joh., Gustos zu Bautzen
33.
Gebhart, Melch. 75.
Gedaw, Joh., Domherr z. Bautzen
35. 38.
Georg, Herzog zu Sachsen 148.
St. Germain, Friede 142.
V. Gersdorff', Cristan, Vogt der
Oberlausitz 24.
— Mkol., Geh. Rat 131. 135.
141.
Giefsen 205. 210 ff
Glitze, Pe. 147.
Gnesen, Bistum 21.
V. Goch, Theoderich, Propst zu
Bautzen 30 f.
Göda 28. 32.
— Theodor von, Domherr zu
Bautzen 27 ff.
Göding, Andr. 273.
— Heinrich d. Ä. 265. 273. 275.
277.
d. J. 273.
Gohlberg, der, bei Constappel 15 f.
Gohlis a. E. 13.
Görlitz 33 f. 38.
Gramann, Joh. 114.
V. Grammont, Herzog, franz. Ge-
sandter 125.
Granvella, Bischof von Arras
204 f. 213. 215. 217 ff.
Gravelle, franz. Bevollmächtigter
122.
Gregor IX., Papst 21.
Gremonville, franz. Gesandter in
Wien 131
Grobel, Paul, kurfürstl. Jäger-
meister 330.
Groitzsch 150 f.
Register.
347
Grofsenhain (Ossek) 3. 5 ff. 10.
149 ff.
V. Grüutlial, Jacob 316.
Guben, Reinhart von, Propst in
Bautzen 25.
Gunterrode, hess. Kanzler 233.
Gvozdec Iff.
Hahler (Kaier?), Job., Domherr
zu Bautzen 35.
Hala, Georg-, Mag., von Baireutb
62 f. 71 ff.
Halle 226 ff'.
Hänichen, Daniel, Hofprediger
301 f.
Hans, Markgraf von Brandenburg
177. 180.
V. Harras, Ilse, zu Lichtenwalde
147.
Hartha bei Coswig 14.
V. Haugwitz , Chrph. , Domherr
zu Bautzen 40.
Hausmann, Nicol. , Stadtpfarrer
zu Zwickau 48.
de la Haye Vantelet, franz. Ge-
sandter in München 137.
Hedwig, Gem. Kurf. Christian II.
von Sachsen 278. ■
V. Heideck, Haus 216.
Heinrich, Herzog von Braun-
schweig - Wolfenbüttel 185.
193 f 216. 222 ff.
— n. , König von Frankreich
178. 207. 211. 225.
— IV., Kaiser B.
— V., Kaiser 5 f.
Heinrich, Jacob, Pfarrer zu Stol-
pen u. Domherr zu Bautzen 43.
Heller, Vincenz, Üflicial zu
Bautzen 37.
Heresbach, Conrad 259.
Herman, Chrph., Maler 273.
Hermsdorf bei Kesselsdorf 12.
Hessen s. Philipp.
Hessen -Darmstadt s. Ludwig.
v. Heynitz, Nicol, Propst in
Bautzen 37.
Hoe V. Hoenegg, Matth., Ober-
hofprediger 299 ff.
V. Hoendorf, Leiither, Pfarrer zu
Göda 30. 32.
V. Hohenheim, Theoph. Parac. 77f.
92 f. 95 ff".
Holland 1311 138.
Holstein s. Johann Adolf, Ulrich.
Humelius, Joh., Professor in Leip-
zig 323.
V. Hundeishausen, Herrn. 182.
Huygens, Chevalier 132.
Jauernik, Otto von, Pfarrer, Dom-
herr zu Bautzen 26.
Jena 252 308.
Jenitz, Hans, Sekretär des Kur-
fürst August 15.5.
Jessen 181.
V. Ilburg, Heinr. , Domherr zu
Bautzen 20.
Innocenz IV., Papst 22.
— VI., Papst 27.
Interim 60 tt\
Joachim IL, Kurfürst von Bran-
denburg 177. 188. 193 f. 198.
200. 207 ff
Jockrim (Altstadt bei Stolpen) 32.
Jode, Sim, Pfarrer zu Bautzen 34.
Johann, Herzog zu Sachsen-
Weimar 250 ff.
— Markgraf von Braudenbvirg 22.
— König von Böhmen 25.
— III. (v. Kittlitz), Bischof von
Meifsen 31.
— IV. (Hofmann), Bischof von
Meifsen 33 f.
— V. (v. Weifsenbach) , Bischof
von Meifsen 35.
— VI. (V. Salhausen), Bischof
von Meifsen 36.
— VII. (v. Schleinitz), Bischof
von Meifsen 37.
— IX. (v. Haugwitz), Bischof
von Meifsen 41 ff".
— Official zu Bautzen 38.
Johann Adolf, Herzog von Hol-
stein 131.
Johann Albrecht, Herzog von
Mecklenburg 249.
Johann Casimir, Herzog von
Sachsen (Coburg) 247 ff.
Johann Ernst, Herzog v. Sachsen
(Eisenach) 247 ff 308 f.
Johann Friedrich (d. Grofsm.),
Kurfürst von Sachsen 67. 177ff.
245.
d. Mittl. 245 ff
— — IV., Herzog von Sachsen-
Weimar 250 ff.
Johann Georg I. , Kurfürst von
Sachsen 119 ff. 156 ff 273.
291 ff
348
Register.
Johann Georg- II., Kurfürst von
Sachsen 122 ff. 161.
III., Ki;rfürst von Sachsen
143 f.
Kurfürst von Brandenburg
279.
Johann Philipp, Kurfürst von
Mainz 123 ff.
Johann Wilhelm, Herzog von
Sachsen 249 ff'.
V. Kanne, Hofmarschall 131.
Karl lY., Kaiser 28.
— V., Kaiser 177 ff.
— IL, König von England 138.
— XI., König von Schweden 135.
Karl Gustav, König von Schwe-
den 123.
Karl Viktor, Herzog zu Braun-
schweig 231.
Kassel 216. 218. 222.
Kaufbach bei Wilsdruff 23.
V. Kazow, Heinko, Domherr zu
Bautzen 23.
V. Kemnitz , Nicol. , Domherr zu
Bautzen 25.
Klein-Opitz bei Tharandt 12.
V. Kiengel, Christian, Geh. Rat
139.
— Wolf Kaspar 127.
Klessig bei Nossen 25.
Kleve s. AVilhelm.
Knut, Albert, Propst zu Bautzen
26ft\
V. Köckeritz, Casp. 147.
— Walther 32.
Koller, Hans Christof, Maler 274.
Köln a. Rh. 131.
V. Komerstadt, Hieron., Dr., sächs.
Rat 41. 184 ff'. 202 ff
— Julius 41.
Komgler, Kasp. , Domherr zu
Bautzen 85.
Konrad, Markgraf von Meifsen 5 f.
— II. (v. Wallhausen), Bischof
von Meifsen 27 ff'.
Konzer Brücke, Gefecht 136.
V. Kopperitz, Albert, Pfarrer und
Domherr zu Bautzen 31 f.
— Joh., Domherr zu Bautzen 27.
29.
V. Kospoth, Friedr. , Kammerherr
und Hofrat 134.
V. Kottwitz, Heinr., Domherr zu
Bautzen 38. 40.
Krysche, Paul, Kaplan der Dom-
propstei zu Bautzen 36.
Kuchler, Paul, Decan zu Bautzen
38 ff'.
Kunewalde bei Löbau 27.
— Hecelin von 24.
Küttener, Halle, Bildhauer zu
Dresden 26.5.
Kyleb (Culba, Colba?), Wüstung
in der Gegend von Leipzig 4.
Laurentius. Chrph., Hofprediger
302.
Lauterstein, Amt 147.
Leibnitz 132.
V. Leipa, Beruhard, Propst zu
Bautzen 24.
Leipzig 148. 150 ff 158. 181 f.
186 f. 189. 208. 310 f.
— Univ. 79. 308.
Leisentritt, Johann, Decan zu
Bautzen 41. 43.
Leonhard, Sebast , Mag. 248.
Leopold L, Kaiser 123 ff.
Lersner, Heinr., hess. Vizekanzler
182 f. 186. 189 ff.
Leubus, Kloster 21.
Leuchtenberg s. Christof.
Leuteritz bei Dresden 12.
Leyser, Polykarp 313.
Lichtenbiu-g bei Torgau 125.
V. Linar, Rochus Quirinus 264.
V. Lindenau, Hans luid Heinrich,
zu Machern 147.
Lindenau, Paul, Prediger in
Zwickau 48.
Lionne franz. Gesandter 125.
Löbau 40.
Löbenich, Egidius, Maler 273.
V. Lodron, Sgnid. Graf, kaiserl.
Kriegsrat 191. 200.
Lommatzsch 149 ff.
Lothar, Herzog von Sachsen 5 f.
Lothringen 133.
Lotter, Hieron. 264.
Ludwig XIV., König von Frank-
reich 121 ff:
— Landgraf von Hessen -Darm-
stadt 286.
— Pfalzgraf bei Rhein, Herzog
in Bayern 249.
— Erzbischof von Mainz (Sohn
Herzog Friedr. v. Sachsen) 31.
de Lumbre, Antoine, franz. Ge-
sandter 122.
Register.
349
Lund, Frieden 141.
Luther, Martin 47 f. 247.
V. Lntticb, Seifard 147.
Lycius, Dr. Leonh., Professor in
Leipzig 79.
Magdaleue Sibylle , Kurfürstin
von Sachsen 156 ff.
Magdeburg, Hiob 321 f.
Mähren s. Otto.
Mainz s. Adalbert, Job. Philipp,
Ludwig.
Major, Georg 60 f. 70 f.
Malfs, Georg 75.
V. Maltitz, Christof 147.
V. Mansfeld, Graf 207. 216.
Marienam, Kasp., Official zu
Bautzen 38.
Marschalg, Casp und Hans 147.
Maudach, Gefecht bei 133.
Maximilian, Herzog von Bayern
28« ff.
— Erzherzog v. Österreich 244.
Mazarin, Kardinal 120 ff".
Mecklenburg s. Johann Albrecht,
Ulrich.
Meifsen Iff. 158. Domstift 18 ff.
— Markgrafen s. Ekbert, Fried-
rich, Koni'ad, Wiprecht.
— Bischöfe s. Benno, Bruno,
Caspar, Dietrich, Konrad,
Mcolaus, Rudolf, Withego.
Melanchthon, Phil. 48 ff.
Melissander, Dr. Casp. 250. 252.
260.
Milet , franz. Gesandter in Berlin
131.
v. Miltitz, Hans, zu Pulsnitz 147.
Mittweida 147. 149 ff
Mobschatz bei Cossebaude 12.
Modena s. Franz.
Mohorn bei Tharandt 79 ff.
Monavius, Petras 98.
Monner, Wolfgang 252. 261.
Moritz, Kurfürst von Sachsen
58. 60 f. 63. 177 ff'.
Moser, Ludw. Wilh. , Kammer-
sekretär 279.
Mühlberg, Schlacht bei 181. 206.
Mühlhausen 287 ff
Mühlpfort, Herm. 47.
Müller, Clement, Maler in Dres-
den 265.
Münch, Wilhelm, Hofmeister 255.
Mussilius, Georg, Mag. 56 f.
Mylius, Joh. 316.
Natter, Leonh., Stadtphysicus,
Rector in Zwickau 65 f.
Naumburg 31.
Neutzsch bei Leipzig (Neitzsch)
152.
Niederkaina bei Bautzen 23.
Niederlande (span.) 129f.
Nikolaus I , Bischof von Meifsen
30 f.
— IL, Bischof von Meifsen 42.
— Propst zu Bautzen 18 ff.
Nizane, Gau 5. 9. 12.
Nopus, Hieron. 72.
V. Nostitz , Albert , auf Pliefsko-
witz 24.
— Ulrich, Landeshauptmann der
Oberlausitz 41.
Nowagk, Hans, Bürger zu Bautzen
35.
Nym wegen, Frieden von 138 f.
Oberebersbach bei Grofsenhain 32.
Öder, Georg, 323.
— Matthias 319 ff.
Oldenburg, Graf von 207. 216.
Olmütz, Bischof v. 22.
Oppach (Oberlausitz) 36.
Oschatz 147 ff.
Oslander, Lucas 258.
Österreich 119 ff
Otto, Herzog von Mähren 5.
Otto , Abt zu Banz , Österreich.
Gesandter in Dresden 139.
Pacaeus, Valentin, Prediger in
Leipzig 64.
Panitz, Hans, Maler 273.
Peck, Mich., Bürgermeister zu
Rochlitz 78.
Pegau 149 ff
Penot, Bernh. 90. 102. 109. Ulf.
Peregrin, Bischof von Prag 21.
de Perre, Nicol. Maler in Leip-
zig 280.
Peschel, Heinr., Maler 273.
Pesterwitz 31.
Peucer, Casp. 53. 56.
Pfalz s. Friedrich, Ludwig, Rein-
hart.
Pfalz-Neuburg s. Philipp Ludwig.
Pfalz-Zweibrücken s. NVolfgang.
Pfeffinger, .loh., Dr., Stadtpiarrer
zu Leipzig 60. 62 f. 72 f.
350
Kegister.
Pflug, Andr. 179.
— Georg, Hauptmann 182.
Pfoel, Christ., ( )fficial,(lannDecan
zu Bautzen 38.
— Job., Decan zu Bautzen 35.
37 f.
V. d. Pfordten, Brune 147,
Pforta, Lande.sscliule 79.
Philipp, Landgraf von Hessen
177 ff.
Philipp Ludwig, Pfalzgraf von
Neuburg 123. 128.
Philipp Magnus, Herzog von
Braunschweig 217. 231.
Pintzker, Vigilius, Hofrat 253.
255.
Pistorius, Petrus, Domherr zu
Bautzen 34 f.
Pius VI. Papst 35.
V. d. Planitz, Georg, Decan zu
Bautzen 34.
Plateanus, Petrus, Rektor in
Zwickau 51 ft". 58.
V. Polentz, Fritzsche 147.
— Ramfold, Domherr zu Bautzen
29 f.
Porsche, Heinrich, Decan zu
Bautzen 29. 31 f.
Prag s. Peregrin.
Pruze, Heinr., Decan zu Bautzen
32.
— Konr., Propst zu Bautzen 29f.
Pufendorf, Esaias, schwed.Gouver-
neur von Bremen 135 f.
Punzel (Ponczelini), Joh., Domherr
zu Bautzen 29. 31.
V. Quingenberg, Georg 249.
Radeberg 147. 149 tf.
Raschwitz bei Leipzig 152.
Ratzeberger 255.
Regius, Joh. Marcellus 53 ff. 74.
Reichbrot, Georg 158.
Reichenbach, Job., Domherr zu
Bautzen 32.
V. Reiffenberg , Friedr. Ludw.,
Freiherr 127.
Reinhart, Pfalzgraf bei Rhein und
Herzog in Bayern 249.
Reinbold, Micol. , Syndicus zu
Zwickau 55. 59. 63. 73 f.
Ricchini, Francesco 264.
Riesa, Propst daselbst 21.
Itochlitz 78 ff. 149 ff: 180. 196. 199.
Rödelheim bei Frankfurt a. M.
205. 210 ff
Rüder, Cyriacus, Maler 269 ff.
280 f.
Rodewitz bei Bautzen 25.
Roitzsch bei Wilsdruff 13.
Rörer (Rorarius), Georg 61. 70.
Rosenhayn, Chrph., Official zu
Bautzen 38.
V. Rössel, Heinr., zu Leipzig 158.
Rousseau, franz. Gesandter in
Dresden 143.
Rüdinger, Esrora, Mag. 55 ff. 74.
Rudolf, Bischof von Meifsen 32.
Ruland, IMartin 90.
Rupert! , Hieron. , Decan zu
Bautzen 39.
Sachsen s. Albrecht, August,
Christian, Erdmuthe Sophie,
Ernst , Friedr. Wilh. , Georg,
Hedwig, Johann, Job Casimir,
Joh. Ernst, Joh. Friedrich,
Joh. Georg, Joh. Wilhelm,
Lothar, Moritz, Sophia.
Sahlassan bei Strebla 23.
Salius, Egidius, M. 252.
Sarcerius, Erasm., in Leipzig 64.
Sartorius, Balth., Superintendent
in Grimma 2.52.
Safsbach, Gefecht bei 136.
Schaff, Ulr., Landvogt der Ober-
lausitz 23.
Schatz (Thesauri), Herrn., Notar
des Königs Johann v. Böhmen
26.
Schelhammer, Casp. 260.
Schellenberg, Simon, Official zu
Bautzen 38.
Schkeuditz (Scudici, Chotiza) llf.
Schlegel, Martin, Hofprediger 302.
V. Schleinitz , Johann , Propst zu ^
Baiitzen 32 (s. a. Johann).
— Wolf, Propst zu Bautzen 37.
V. Schlichen, Hans 218.
Schlick, Joachim Andreas Graf
315f.
Schmidt, Georg und Hans , Maler
in Dresden 273.
Schneeweis, Jonas, Maler 273.
Schneider, Unkel, Maler in Dres-
den 265.
Schnepf, Erhard, Dr. 72.
V. Schönau, Mauritius, Official
der Propstei zu Bautzen 34. 38.
Register,
351
Schönbach bei Cunewalde 24.
V. Schönberg, Casp., Präsident des
Geh. Ratscollegium 288.
— Dietrich, Propst zu Bautzen
35 f.
— — Bischof von Naumburg 36,
Bischof von Meifsen 35,
zu Zschochau 147.
Schreyer, Burckhardt, Maler 265.
Schröer, Hans, aus Lüttich, kur-
sächs. Hofmaler 265,
Schwarz, Hans, Maler 273,
Schweden 120f. 123. 126. 130 ff,
s. a, Karl, Karl Gustav.
Scultetus, Mathem. in Görlitz 321.
Seid, Dr., Reichsvicekanzler 217.
233 f. 238. 241.
Severinus, Peter 100.
V. Seehausen, Lampert, Propst zu
Bautzen 34.
Seuftenberg 147. 149. 1.50. 152.
Siefried, Propst zu Bautzen 22.
Sigismund, Kaiser 33.
Sitzenrode 156.
Sixtus IV., Papst 45,
Skaup b, Grofsenhain(Scutropei?)
V. Solms, Reinhard Graf 197.
Sophia, Gem. Kurfürst Christian I.
von Sachsen 275. 279.
— Gem. Herzog Friedrich Wil-
helm IV. V. Sachsen-Weimar
256.
Spanien 125. 129 ff.
Spindelmeyer, Chrn., M:aler 273.
Steinmüller, Mag. Albertus 79.
V, Stentzsch. Heinr. u. Nickel
147.
Stolpen 42 f.
V. Strele, Konrad, Propst zu
Bautzen 28 f.
Sturm, Mich., Maler 273.
Suiza 225. 227.
Swofflieim, Hieron., Ofhcial zu
Bautzen 38.
— Dr. Job., Domherr z, Bautzen
38.
Tauck, Joach., Professor in Leip-
zig 81. 92f. 108. 113,
Tangel, Lucas, 252.
Theoderich, Dompropst zu Meifsen
18.
Thiem, Georg, Rektor in Zwickau
45 ff', 68 f.
de Thola, Benedict und Gabriel
264,
Thormann, Georg 66,
V. Thumshirn 216.
Titibuzien If.
Torgau 156, 158.
— Theoderich von, Propst zu
Bautzen 23, 25.
Ti-eutting, Mich., Maler 277.
Trier, Kurfürst 125.
Türk, Dr., sächs, Rat 190. 204.
Türken 178.
Tyle, Casp. 32.
— Job., Domherr zu Bautzen 32,
Ufer, Haus, Maler 273.
Ulrich, Herzog von Holstein 278.
— Herzog von Mecklenburg 249.
— Herzog von Württemberg 1 78.
188. 193. 211.
— Propst zu Bautzen 21.
Unkersdorf 13.
Unruh, Haus, Bürgermeister zu
Zwickau 62 f.
V. Uttenhofen, David, Hofrat 248.
Vagnee, Graf, Gouverneur von
Bouillon 123 f.
Vincentius, Official zu Bautzen
36, 38,
Voigt, Balth., Maler 265.
— Jerem., Maler 273,
Vossem, Frieden von 133,
Wagner, Zachar., Maler in Dres-
den 273.
am Wald, Georg 114.
Walduff (Baldaixf), Chrph., Rektor
in Schneeberg 49. 52 ff.
V, Wallhausen s. Konrad.
Walther, Ambrosius, Bildhauer
265.
— Andreas, Bildhauer 265.
— Chrph. d. Ä. und d. J., ]5ild-
hauer und Maler 265.
— Ha,, Bildhauer in Dresden
265, 280.
V. Wartenberg, Job., Propst zu
Bautzen 37.
— Siegm , Landvogt der Ober-
lausitz 37.
Weck, Anton 160 f.
Wehme, Christian 276.
— Dorothea (geb. Büchner) 276.
— Zacharias, J\laler 269 ff'. 275 ff.
352
Eegister.
Weippersdorf, Petr. , Official zu
Bautzen 38.
Weistropp 14.
Wenzel, König von Böhmen 18.
21 f. 32.
v.Werthern, sächs. Gesandter 127.
Westfälischer Friede 119 ff.
Wilhelm. Herzog von Kleve 203 f.
Wirth, Georg, Decan zu Bautzen
39.
Wiprecht von Groitzsch 5 f.
Withego I., Bischof v. Meifsen 22.
— II. , Bischof V. Meifsen 24 f 28.
Wittenberg 47 ff. 158. 247. 308 ft\
Wladislaw, Herzogvon Böhmen 5.
Woldemar, Markgraf v. Branden-
burg 24.
Wolfgang, Pfalzgraf von Zwei-
brücken 198. 232.
V. Wolframsdorf, Georg Dietr.,
Kamnierherr, Hof- u. Justiz-
rath 142.
Wosice, Woz, Burgwart Off.
Wrangel, schwed. General 134.
Wratislav, König von Böhmen 3 f.
Württemberg s. Ulrich.
Zachariae ,
Bautzen
Ziegenhain
Joh. , Domherr in
39.
in Hessen 211 f. 214.
216. 218. 222.
Zimmermann, sächs. Kartograph
320 f.
Zinna, Kloster 130 f
Zschone, Wüstung 13.
Zweinaundorf bei Leipzig (Obir-
nuwendorf) 152.
Zwickau 47 ff. 128.
Buchdruckerei der Verlagshandluug.
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