Skip to main content

Full text of "Neues Archiv für sächsische Geschichte und Alterthumskunde"

See other formats


Neues  Archiv 

für 


Sächsische  Geschichte 


und 


Altertumskunde. 


Herausgegeben 


vou 

Dr.  Hubert  Ermisch, 

K.  Archivrat. 


Elfter   Band. 


Dresden  1890. 
Wilhelm  Baensch  Verlagshandlung. 


THt  GETTY  CENTER 
LiBSARY 


Inhalt. 


Seite 


I.  Die  Feste  Gvozdec  bei  Meifsen.     Von  Ober- 
lehrer Dr.  Gustav  Hej^  in  Döbeln    ....       1 

II.  Die  Pröpste  des  Kollegiatstifts  St.  Petri  zu 
Bautzen  von  1221—1562.  Von  Prof.  Dr.  Her- 
mann Knotlie  in  Dresden 17 

III.  Die  Beziehungen  Philipp  Melanchthons  zur 
Stadt  Zwickau.  Von  Oberlehrer  Dr.  Ernst 
Fabian  in  Zwickau 47 

IV.  Michael  Bapst  von  Rochlitz,  Pfarrer  zu  Mo- 
horn,  ein  populärer  medizinischer  Schrift- 
steller des  16.  Jahrhunderts.  Von  Dr.  med. 
Eduard  Schubert  in  Frankfurt  a.  M.  und  Dr. 
med.  Karl  Sudhoff  in  Hochdahl  bei  Düsseldorf    77 

V.  Zur  Politik  Sachsens  in  der  Zeit  vom  west- 
fälischen Frieden  bis  zum  Tode  Johann 
Georg  II.  Vom  Direktor  des  Hauptstaats- 
archivs Geh.  Regierungsrat  Dr.  Paul  Hassel 

in  Dresden 117 

VI.  Zur  Statistik  der  sächsischen  Städte  im  Jahre 

1474.     Vom  Herausgeber 145 

VII.  Kleinere  Mitteilungen 154 

1.  Eine  Grabschrift  auf  Herzog  Albrecht  von 
Sachsen.  Von  Archivrat  Dr.  Theodor  "Distel  in 
Dresden.  S.  154.  —  2.  Testierfähigkeit  vor  erfüll- 
tem 14.  Lebensjahre  (1554).     Von  demselben.  S.  155. 

—  3.  Ein  Urnenfund  im  16.  Jalirhundert.  Von 
Oberlehrer  Dr.  Georg  Müller  zu  Dresden.     S.  15H. 

—  4.  Kurfürstin  Magdalena  Sybille  als  Verfasserin 
des  Entwurfs  zur-  Kleiderordniuig  von  1628.  Von 
demselben.  S.  156.  —  5.  Zur  Chronik  Dresdens 
und  zu  einem  verschollenen  Manuskripte  Anton 
Wecks.    Von  Archivrat  Dr.  Theodor  Distel.   S.  160. 

Litteratur 162 

VIII.  Die  Gefangennahme  des  Landgrafen  Philipp 
von  Hessen  1547.  Von  Oberlehrer  Dr.  S.  Ils- 
leib  in  Leipzig 177 

IX.  Zwei  Unterrichtspläne  für  die  Herzöge  Johann 
Friedrich  IV.  und  Johann  zu  Sachsen- Weimar. 
Von  Professor  Dr.  Georg  Müller  zu  Dresden  245 


IV  Inhalt. 

Seite 

X.  Die    Dresdner   Malerinnung.     Von   Dr.  Karl 
Berling  in  Dresden 263 

XI.  Kursächsische  Kirchenpolitik  im  dreifsig- 
jährigen  Kriege  (1619 — 1622).  Von  Archiv- 
sekretär Dr.  Ludwig  Schwabe  in  Dresden     .  282 

XII.  Matthias    Oders    grolses    Kartenwerk    über 
Kursachsen  aus  der  Zeit  um  1600.    Von  Prof. 

Dr.  Alfred  Kirclihoff  in  Halle 319 

Litteratur 333 


Besprochene  Schriften. 


Auerbach,  La  diplomatie  fran^aise  (Hassel) 117 

Baumgärtel,  Die  kirchlichen  Zustände  Bautzens  (G.  Müller)  167 
Beiträge  zur  sächsischen  Kirchengeschichte  V  (G.  Müller)  .  .  338 
Dibelius,  Die  Einführung  der  Reformation  in  Dresden  (G.  Müller)  167 

Ermisch,  Das  Freiberger  Stadtrecht  (Schum) 163 

Hering,  Mitteilungen  aus  dem  Protokoll  der  Kirchen- Visitation 

im  sächsischen  Kurkreise  (G.  Müller) 168 

Ritter,  Deutsche  Geschichte  im  Zeitalter   der  Gegenreformation 

(Wolf) 333 

Rüge,   Die   erste   Landesvermessung    Sachsens    ausgeführt   von 

Matth.  Oeder  (A.  Kirchhoff) ' 319 

Schwalm,  Die  Landfrieden  in  Deutschland  (Erraisch)    ....  166 
Steche,  Beschreibende  Darstellung  der  älteren  Bau-  und  Kunst- 
denkmäler des  Königreichs  Sachsen.  Heft9—11(A.  Schultz)  170 
Stefan,  Urkundliche  Beiträge  zur  Praxis  des  Volksschulunterrichts 

(G.  Müller) 337 

Wustmann,  Quellen  zur  Geschichte  Leipzigs  I  (R.  Wuttke-Biller)  169 


Die  Feste  Gvozdec  bei  Meifsen. 

Von 

Gustav  Hey. 


Unter  die  Hunderte  von  verschwundenen  Ortschaften 
unseres  Sachsenhmdes,  Avelchen  der  eine  oder  andere  der 
vielen  auf  unserem  Heimatsboden  ausgefochteneu  Kriege 
den  Untergang'  gebracht  hat,  und  die  wir  heute  als 
Wüstungen  oder  wüste  Marken  bezeichnen,  sind  auch 
solche  Örtlichkeiten  zu  rechnen ,  die  einstmals  als  feste, 
umwallte  Plätze,  slavisch  grad,  deutsch  Burgwart, 
lat.  hurgiuardus,  castrum  oder  castellum,  in  Zeiten  der 
Kriegsnot  zu  Schutz  und  Trutz  gedient  haben,  zum  Teil 
ohne  sonst  ständig  bewohnt  zu  sein,  und  von  denen  mehr- 
fach ebenfalls  nichts  als  der  Name  übrig  geblieben  ist. 
Ja  infolge  der  in  diesem  Falle  leicht  erklärlichen  gründ- 
lichen Zerstörung  ist  es  öfters  mit  Schwierigkeiten  ver- 
bunden, die  Stätte,  an  welcher  ein  solcher  Name  haftete, 
genauer  zu  ermitteln.  So  ist  unter  andern  zu  nennen 
castellum  Hivoznie  in  pago  Dalminze  oder  hiircwardus 
Gozne,  Goze  (981.  1214.  1222),  in  welchem  man  eine  ehe- 
malige Feste  auf  dem  Treppenberge  bei  Sachsenburg  an 
der  Zschopau  vermutet,  burcirardus  Trebista  oder  Ti^ehiste 
mit  einem  Dorfe  Rocina  (100(3.  1071)  im  Milzenergau, 
ferner  hurgirardus  Titihutzien  oder  Titihuzie,  welclies 
von  Thietmar  (Clu'on.  VIII)  in  Verbindung  mit  Rochlitz 


Neues  Archiv  f.  S.  U.  u.  A.     XL  1.  'i. 


2  Gustav  Hey: 

erwähnt  und  einer  näheren  Angabe  vom  Jahre  1090 
gemäfs  auf  den  Burgberg  bei  Lastau  bezogen  wird^). 

Eine  besondere  Bedeutung  für  die  Gegend  von  Meilsen 
besals  eine  alte  Feste,  welche  in  einiger  Nähe  von  der 
Stadt  lag  und  in  des  Cosmas  von  Prag  Chronica  Boe- 
morum  (Mon.  Germ.  SS.  IX)  an  drei  Stellen  zur  Er- 
wähnung kommt,  das  verschollene  Gvozdec  (spr.  Gwos- 
dez),  über  dessen  Örtlichkeit  bisher  nur  ganz  unsichere 
Vermutungen  aufgestellt  worden  sind;  die  nachfolgende 
Darlegung  soll  die  noch  offene  Frage  zu  einem  hoffent- 
lich befriedigenden  Abschluls  bringen. 

Es  ist  zunächst  erforderlich  und,  wie  sich  zeigen  wird, 
von  entscheidender  Wichtigkeit,  den  Namen  selbst  genau 
festzustellen.  Derselbe  lautet  bei  Cosmas  an  den  drei 
Stellen  Ouozäec,  wofür  von  verschiedenen  Gelehrten,  wie 
V.  Gersdorf,  Preusker,  Posse  u.  s.  w.,  ganz  irrtümlicher 
AVeise  Guozdek  gesetzt  worden  ist;  denn  nicht  Kehllaut 
ist  der  auslautende  Konsonant  des  Namens,  sondern  dem 
slavischen  Brauche  gemäls  Zahnlaut.  Das  beweisen  ein- 
mal verschiedene  andere  bei  dem  böhmischen  Chronisten 
erwähnte  slavische  Namen,  bei  denen  c  entschieden  nur 
als  z  zu  fassen  ist,  wie  Satec  (auch  Satz)  =  tschech. 
Zatec,  Saaz,  Gradec  =  tsch.  Hradec,  Camenec  =  tscli. 
Kamenec,  Olomuc  =  tsch.  Oloniouc,  01m ütz  u.  s.  w., 
während  auslautendes  k  wirklich  mit  diesem  Buchstaben 
bezeichnet  wird,  wie  Vecek,  Wececk,  Tiirkk,  Zlaunik, 
(Slavmk,)  Detrissek  (Detrüek,  kleiner  DietrichJ  u.  a. 
zeigen;  sodann  entspricht  Ouozdec  genau  dem  sechsmal 
in  Galizien  sich  findenden  Owozdicc  und  dem  böhmischen 
Hvo.idcc-)  bei  Beraun  und  bei  Budweis,  wobei  indes  nicht 
unerwähnt  bleiben  soll,  dafs  allerdings  auch  ein  urkund- 
liches Givozdek  in  Schlesien   sich   findet.     Das  sorbische 


^)  Kreysig-,  Beiträge  zur  sächsischen  Geschichte  VI,  36  und 
Hingst,  Mitteilungen  des  Königl.  Sächsischen  Altertumsveieins 
XXIII,  24  haben  in  dem  Teitzig- Walde  hei  Colditz  die  Stätte  des 
alten  Titibutzien  zu  finden  vermeint;  indes  haben  die  beiden  Namen 
keine  Gemeinschaft  miteinander.  Der  Teitzig  heifst  1265  Tjjzk  und 
entspricht  dem  Ortsnamen  Tisch  in  Böhmen,  d.  i.  der  Ideine  Lärcheu- 
wald,  Eihenwald,  während  Titihutzie  wahrscheinlich  einen  Personen- 
namen Tetihud  (vgl.  Tctislav,  Tctimiü)  in  der  Adjektivform  darstellt, 
Avie  Muzelhuze  oder  Meuselwitz  von  Myslihnd,  Meldahudzie  polu. 
von  Mcldahnd. 

-)  Im  Tschechischen  und  im  AVendischen  der  Oberlausitz  ist  h 
der  Vertreter  des  älteren  im  Altslovenischen,  Polnischen,  Nieder- 
wendischen  erhalteneu  "•. 


Die  Feste  Gvozdec  bei  Meifsen.  3 

Ovozdec,  wie  wir  nun  besser  als  Guozdec  schreil)en,  pol- 
nische Givo.idicc  und  tschechische  Hvozdcc  erklärt  sich 
als  tschechisches  Maskulinum  livozdec,  altslovenisch  gvoz- 
dki,  polnisch  gvozdiec  =  Wäldchen,  kleiner  Bergwald, 
Diminutiv  vom  altslovenischen  gvocdr,  neusl.  gozd,  tschech. 
Jwozd,  dichter  Wald,  Bergforst,   Waldberg. 

Da  unser  Ovozdec  zweimal  als  castrum  prope  urhem 
Missen,  einmal  als  oppidum  bezeichnet  und  zugleich  von 
einer  Verlegung  der  ursprünglichen  Feste  an  einen  andern 
Ort  berichtet  wird,  ohne  dals  eine  noch  genauere  Orts- 
angabe hinzugefügt  würde,  so  beziehen  Ursinus  (1778) 
und  Preusker  (Vaterländische  Vorzeit  III,  18)  die  zwei- 
fache Örtlichkeit  auf  die  hohe  Eifer  beim  Götterfelsen 
südlich  von  Meilsen  und  den  Keilbusch  nördlich  von  der 
Stadt,  Leuber  und  Posse  auf  Coswig"),  Schöttgen  (1745) 
auf  Grofsenhain,  das  alte  slavische  Osek,  die  letzteren 
offenbar  verführt  durch  die  Klangähnlichkeit  zwischen  dem 
fälschlich  angenommenen  Guozdek  und  den  genannten 
zwei  slavischen  Namen.  Neuerdings  hat  Schöttgens  An- 
sicht Wiederaufnahme  und  Verteidigung  durch  G.  Schuberth 
in  dem  Schriftchen  „Gvozdec  =  Grolsenhain"  (1889)  ge- 
funden^). 

Um  die  wahre  Lage  der  alten  Feste  vorerst  wenig- 
stens annähernd  zu  ermitteln,  bedarf  es  einer  genauen 
Verfolgung  dessen,  was  uns  Cosmas  davon  erzählt.  Im 
zweiten  Buche  seiner  böhmischen  Chronik  unter  dem 
Jahre  1087  berichtet  derselbe:  Rex  (Boemiae)  Wratislaus, 
colledo  exercitu,  intrat  Zrhiam  (=  Sorabiam,  Misniam), 
quam  olim  Imperator  Heinriciis  in  2->erpetuum  sihi  liahen- 
dam  tradiderat  Et  dum  quoddam  castrum  nomine 
Guozdec  prope  urhem  Missen  reaedificat,  cdiis  insistenti- 


■•)  Codex  dipl.  Saxoniae  regiae  I.  1,  105,  Anm.  132  meint  Posse, 
dals  Guozdec  offenbar  eine  GegeuAvehi"  zu  Meifsen,  dementsprecheiid 
auf  das  jenseitige  Eibufer  zu  verlegen  sei,  wobei  ihm  ein  Versehen 
im  Gebrauche  von  links  und  rechts  unterläuft,  gerade  wie  S.  192,  II. 
2.  Absatz  zwischen  Osten  und  Westen,  oberhall)  und  unterhalb. 

')  Diese  Arbeit  gründet  sich  hauptsächlich  auf  eine  lange 
zwischen  dem  Verfasser  und  mir  geführte  briefliche  Auseinander- 
setzung. Nachträglich  erst  .ist  mir  bekannt  geworden,  dafs  hin.sicht- 
lich  der  vielumstrittenen  Örtlichkeit  von  Gvozdec  durch  Koepke  in 
seinei'  Ausgabe  des  Cosmas  (1847)  und  durch  von  Heinemann,  Albrecht 
der  Bär  (18H4)  die  Ansicht,  welche  im  folgenden  vertreten  wei'den  soll, 
teihveise  bereits  g(dtend  gemacht  worden  ist,   doch  ohne  tiefer  ein- 


gehende ]3egründung. 


1* 


4  Gustav  Hey: 

his  operi  mittit  duas  scaras  ex  dectis  militlhus  cum  filio 
suo  Brecülao  nltum  ire  olim  sibi  iUatae  imuriae^). 

Mit  dieser  Stelle  ist  zu  verbinden,  was  zu  dem 
folgenden  Jahre  1088  von  Cosmas  erzählt  wird:  Contigit, 
ut  iterwm  rex  Wratislaus  Zrhiam  cttm  suo  exercitn  in- 
traret,  quo  praedictum  castrnm  Guozdec  in  aUum  firmiorem. 
locum  trcmsfcrret  Hiernach  wird  die  in  der  Nähe  von 
Meifsen  gelegene  Feste  Gvozdec,  Avelche  unter  die  nach 
dem  Bericht  des  Lambert  von  Hersfeld  zum  Jahre  1076 
durch  den  Markgrafen  Ekbert  von  Meilsen  zerstörten 
Burgen  gehört,  durch  den  mit  Sorabien  belehnten  Wrati- 
slaw,  welcher  von  Böhmen  her  durch  den  Miriquidi-Wald 
in  das  Sorbenland,  und  zwar  den  Gau  Nizane,  also  in 
die  Dresdner  Eiblandschaft  einrückt,  wieder  aufgebaut, 
aber  nach  neuerlicher  Zerstörung  bei  einem  zweiten 
Zuge  an  eine  gesichertere,  der  ursprünglichen  immer  noch 
nahe  Stelle  verlegt.  Wie  wäre  die  Beibehaltung  des 
Namens  „kleiner  Bergwald,  Wäldchen"  zu  rechtfertigen, 
wenn  eine  Verlegung  in  eine  entferntere  Gegend  statt- 
gefunden hätte?  Bei  diesem  zweiten  Zuge  nimmt  Wrati- 
slaw,  wie  er  schon  mit  dem  ersten  enie'  That  der  Rache 
verbunden  hatte,  die  Gelegenheit  wahr,  einen  edeln  und 
tapfern  böhmischen  Kriegsmann  Beneda  unschädlich  zu 
machen,  der  vor  ihm  hatte  flüchten  müssen  und  jetzt 
nach  Verlauf  von  zwei  Jahren  bei  Bischof  Benno  in 
Meilsen  sich  aufhielt,  um  durch  dessen  Vermittelung  die 
Gunst  seines  Herrn  wieder  zu  erlangen.  Der  König,  der 
des  Beneda  Aufenthalt  erfahren  hatte,  entbietet  denselben 
zu  sich,  und  da  der  Arglose  alsbald  vor  ihm  in  Gvozdec 


'0  Es  sei  nämlich,  so  wird  weiter  erzählt,  kurze  Zeit  vorher 
hei  Gelegenheit  der  Rückkehr  von  des  Kaisers  Hofe  dem  ehen  zum 
Könige  erholjenen  Wratislaw  widerfahren,  dafs  er  in  einem  ansehn- 
lichen Dorfe  Kyleh  ühernachtend  plötzlich  überfallen  und  ein  Teil 
seiner  Begleiter  von  den  Bauern  erschlagen  wurde.  Jetzt  hätten 
nun  die  zur  Rache  ausgesandten  zwei  Scharen  nach  zweitägigem 
angestrengtem  Marsche  (festinantes  die  et  noctu  terüa  Ince  summa 
dilncnlo)  Kyleb  erreicht,  angegriffen  und  ohne  alle  Schonung  ge- 
plündert und  niedergebrannt  und  dann  mit  der  Beute  sich  Avieder 
unversehrt  auf  den  Heimweg  gemacht.  Unter  diesem  Kyleb  ist 
möglicherweise  die  jetzige  Wüstung  Culba  oder  Colba  westlich  von 
Leipzig  bei  Priestäblich  zu  verstehen,  die  von  der  Meifsner  Gegend 
aus  genau  in  der  angegebenen  Zeit  zu  erreichen  ist;  freilich  steht 
dieser  Bestimmung,  wie  Schuberth  bemerkt,  die  spätere  auf  jenen 
Vorgang  bezügliche  Angabe  des  Cosmas  in  partibus  Saxoniae  an- 
scheinend entgegen. 


Die  Feste  Gvozdec  bei  Meifsen.  5 

ersclieintj  wird  er  nach  tapferer  Gegenwehr  überwältigt, 
erschlagen  nnd  noch  im  Tode  gemifshandelt. 

Da  nnn  hei  diesen  zwei  Heerzügen  weder  eine  Be- 
rührung Meilsens,  noch  auch,  und  dieser  Umstand  ist 
von  Wichtigkeit ,  eine  Überschreitung  der  Elbe  erwähnt 
wird,  die  Nähe  von  Meifsen  aber  aus  mehrfachen  An- 
gaben —  der  ausdrücklichen  Bezeichnung  propc.  urheni 
Missen,  der  zweimaligen  von  Meilsen  aus  erfolgten  Zer- 
störung der  Feste,  dem  raschen  Erscheinen  des  Beneda 
von  Meilsen  her  —  aufs  bestimmteste  dargethan  ist,  so 
mufs  man  schon  hiernach  zu  der  Annahme  kommen,  dals 
Gvozdec  oberhalb  Meilsens,  nach  Dresden  zu,  auf  einer  der 
Höhen  des  linken  Eibufers  gestanden  habe,  und  dals  weder 
an  Coswig  oder  den  Keilbusch,  noch  gar  an  Groisenhain- 
Ossek  zu  denken  ist,  welches  letztere  als  Stadt  von  der  durch 
Schuberth  angenommenen  Bedeutung  des  Zusatzes  j^'^W'^ 
urheni  Missen  nicht  bedurft  hätte  und  sich  auch  nicht  wohl 
als   in  der  Nähe  von  Meilsen  gelegen  bezeichnen  lälst. 

Die  dritte  ErAvähnung  unserer  Feste  fällt  in  das 
Jahr  1123,  in  die  Zeit,  avo  entgegen  den  Absichten  des 
Kaisers  Heinrich  V.  Herzog  Lothar  von  Sachsen  nach 
dem  Tode  Heinrichs  des  Jüngeren  von  Eilenburg  dessen 
Verwandten,  den  Grafen  Konrad  von  Wettin,  an  Stelle 
des  Grafen  Wiprecht  von  Groitzsch  in  den  Besitz  der 
Mark  Meilsen  bringt.  Zur  Wiedereinsetzung  des  von 
Lothar  vertriebenen  Wiprecht  werden  vom  Kaiser  die 
Herzöge  Wladislaw  von  Böhmen  und  Otto  von  Mähren 
mit  Heeresmacht  im  Sorbenlande  zu  erschehien  aufge- 
fordert. Hisäem  diehns,  heilst  es  bei  Cosmas  im  3,  Buche 
(ebenso  bei  Annalista  Saxo),  dux  WadisJaus  et  Otto, 
sicut praeceperat  eis  imperator,  tarn  Boemiae  quam  Mora- 
riae  coadunato  exercitu,  transeuntes  silvam,  metati  simt 
casfra  idtra  opindnm  Giiozdec,  ex  adverso  pracdidi  ducis 
(Lothar).  Praesul  autem  Mucjimtinus  ("Erzbischof  Adalbert 
von  Mainz)  et  comes  Vigbertus  circa  (citra)  finvium  Mul- 
tava  stahant  gravi  cum  multitudine  armata.  Saxones 
autem  posiii  (!)  castra  in  medio  dirimehant  cos  nee  sinc- 
hant  insimul  coire  adrersarios  suos.  Also  die  beiden 
Slavenfürsten  rücken  mit  vereinter  Heeresmacht  auf  dem 
gewöhnlichen  Heerwege  über  den  Miriquidi  in  den  Gau 
Nizane  ein,  nördlich  über  Gvozdec  hinaus  **)  und  schlagen 


")   Seiner  vorgefafsten  Meinung-  zuliebe  läfst  Schubertli  das 
Heer,   nachdem  es  in  die  Dresdner  Landschaft  eingerückt  ist,  dort, 


6  Gustav  Hey: 

in  dessen  Nähe  den  Sachsen  gegenüber  ihr  Lager,  indem 
sie  die  Feste  als  Stützpunkt  und  etwaigen  Rückzugs- 
platz  hinter  sich  haben,  während  Wiprecht  im  Bunde 
mit  Adalbert  an  der  Mulde,  wahrscheinlich  in  der  Gegend 
von  Nossen,  seine  Stellung  nahm.  Die  Verbindung  aber 
mit  dem  Eibheere  vereitelte  Lothar  in  geschickter  Weise, 
indem  er  von  Norden  her  —  von  Meifsen,  avo  er  Konrad 
als  Markgrafen  eingesetzt  hatte  —  sein  Heer  nach 
Süden  zwischen  beide  Gegner  schob.  Für  Lothar  ge- 
staltete sich  die  Sache  noch  günstiger,  da  die  Böhmen 
und  Mälu'en,  denen  das  kaiserliche  Aufgebot  sehr  unge- 
legen gekommen  war,  überhaupt  gar  keine  Lust  bezeigten, 
in  einen  ernsten  Kampf  sich  einzulassen.  Denn  nach 
des  Cosmas.  Bericht  lassen  sie  dem  Sachsenherzog  sagen: 
nicht  aus  Übermut  hätten  sie  die  Waifen  ergriffen,  son- 
dern lediglich  auf  des  Kaisers  Befehl  zur  Unterstützung 
Wiprechts  und  Adalberts,  Da  diese  nun  nicht  zur  Stelle 
wären,  so  möchten  die  Sachsen  etwas  aus  ihrer  Stellung 
zurückweichen,  damit  sie  selbst  sagen  könnten,  die  Feinde 
seien  gewichen,  sie  aber  hätten  das  Feld  behauptet  und 
die  Verbündeten  am  verabredeten  Orte  erwartet.  Darauf- 
hin wurde  es  Lothar  leicht,  durch  Vorspiegelungen  in 
seiner  Erwidermig  die  Unlust  der  Slaven  zum  Unmut 
und  zum  Milstrauen  gegen  den  Kaiser  zu  steigern  und 
sie  zum  Abzüge  zu  bewegen.  His  auditis,  sagt  Cosmas, 
male  credidi  verbis  dolo  compositis  Boemi  depopulata 
regione  quae  est  circa  urhem  Missen  reversi  sunt  ad 
propria.  Nur  um  den  Schein  zu  wahren  und  alter  Sitte 
getreu,  brandschatzen  sie  die  Gegend  südlich  von  Meilsen 
(sie  waren  ja  idtra  Guozdec)  und  kehren,  ohne  dals  es 
zu  eigentlichen  ernsten  Feindseligkeiten  gekommen  wäre, 


wahrscheiiilicli  in  Aukuüpfuug'  au  das  fabelhafte  Stammwort  von 
Dresden,  trasi  Fähre,  über  die  Elbe  setzen,  anf  dem  rechten  Ufer 
an  Meifsen  vorüber  weit  nordwärts  nach  Grofsenhain  ziehen  nnd  mm 
ultra  (ivozdec- Grofsenhain  den  Weg  westwärts  einschlagen,  einen 
zweiten  Elbüliergang-  bei  Merschwitz  ausführen  und  in  der  Eiesaer 
Gegend  —  ultra  Gvozdec !  —  dem  Feinde  gegenüber  das  Lager  schlagen. 
Jedenfalls  gehört  eine  lebhafte  Phantasie  dazu,  diesen  umständlichen 
Marsch  mit  zweimaligem  Elbübergange  herauszulesen  aus  deu 
schlichten  Worten:  transcuntes  silvam  metati  sitnt  castra  idtra 
oppidnm  Gtiozdec.  Und  ist  es  glaublich,  dafs,  während  "Wiprecht 
auf  dem  Zuge  gegen  Meifsen  an  der  Mulde  steht,  die  widerwillig  zu 
Hilfe  kommenden  Böhmen  mit  einem  weiten,  beschwerlichen  Bogen- 
marsche  in  eine  Stellung  nördlich  von  Meifsen  gerückt  sein 
sollten  ■? 


Die  Feste  Gvozdec  bei  Moiiseu.  7 

Wieder  heim  in  ihr  Land^),  während  Lothar  nunmehr 
gegen  das  Westheer  sich  wendet  und  es  in  die  Flucht 
schlägt. 

Auch  diese  Darstellung  führt  zu  dem  unumstölslichen 
Ergebnis,  dals  Gvozdec  im  Südosten  von  Meilsen  auf  dem 
Hnken  Eibufer  gelegen  haben  muis. 

Nun  findet  sich  freilich  in  der  zuletzt  angezogenen 
Stelle  ein  xlusdruck,  von  dem  es  scheinen  möchte,  als 
könnte  er  dieses  Ergebnis  doch  in  Frage  stellen;  es  ist 
oben  nicht  von  dem  castrum,  sondern  von  dem  opptdum. 
Guozdec  die  Eede,  also  anscheinend  von  einer  Stadt,  und 
eben  diese  Bezeichnung  ist  für  die  älteren  Forscher  so- 
wohl, als  auch  namentlich  für  den  jüngsten  Untersucher 
unseres  Gegenstandes  die  Hauptveranlassung  gewesen, 
Guozdec  als  gleichbedeutend  mit  Grofsenhain  anzusehen. 
Allein  dagegen  ist  mit  aller  Entschiedenheit  geltend  zu 
machen,  dals  oiyptänm  bei  den  lateinischen  Chronisten 
und  Urkundenschreibern  jener  Zeit  gar  nicht  die  Stadt 
bezeichnet  —  denn  in  diesem  Sinne  wie  zugleich  in  der 
Bedeutung  Burg  ist  nrhs  oder  vlvitas  in  Gebrauch  — 
sondern  lediglich  die  feste  Burg  mit  ihrem  Zubehör; 
während  castrum  und  castellum  entsprechend  dem  slavi- 
schen  fjrad  und  im  Wechsel  mit  hitrgirardus  oder  hunj- 
■imrdiuni  zumeist  die  kleinere  umwallte  oder  verpallisadierte 
Feste  und  bei  der  Erweiterung  des  Ganzen  den  eigent- 
lichen festen  Hauptbau  bezeichnet,  ist  unter  oppidmn, 
auch  mit  dem  Zusätze  munitum,  die  grölsere  Burg  oder 
die  Feste  in  ihrem  ganzen  Umfange  zu  verstehen^).  So 
wird  die  Rudelsburg,  die  doch  niemals  Stadt  gewesen 
ist,  teils  als  castrum,  teils  als  oppidum  Eutlcihisberg  be- 
zeichnet; in  diesem  Sinne  wu'd  sowohl  von  dem  castrum 
wie  von  dem  oppidiou  Donhi,  d.  i.  Dohna,  bei  Cosmas 
III,  39  geredet ;  so  wird  das  Dorf  Plötzky  bei  Gommern 
(Magdeburg)  1221  Plozclie  oppidum  genannt  (Brückner, 
Slav.  Ansiedelungen  in  der  Altmark  S.  46);  so  findet 
sich  in  einer  Urkunde  von  1197  (Brückner  S.  15)  tum. 
castra  qucim  o^ipida:  so  spricht  Helmold  Chron.  Slav. 
I,  88   von  der  Ansiedelung  der  Holländer  in  urhihus  et 


')  Vgl.  V.  Webers  Archiv  f.  d.  S.  Gcsdi.  1II(18R5),  77  (Hingst), 
125  (Flathe).  Wenn  Posse  Cod.  Sax.  I.  1,  153  in  der  Botschaft  der 
Eühnien  eine  List  erblickt,  um  Lothar  aus  seiner  Stellung  zu  lo(;ken, 
so  vertriiiit  sich  das  schlecht  mit  der  Bezeichnung,  welche  der  eigene 
landsmännische  Chronist  ihnen  beilegt:  male  ereduH. 

^)  Vgl.  Waitz,  Deutsche  Verfassungsgeschichte  VIII,  197. 


8  Gustav  Hey: 

oijpiäis  Sdavorum,  und  ebenda  stellt  er  unterscheidend 
nebeneinander  civitafes  et  oppida.  Und  zum  Beweise, 
dals  selbst  urhs  und  civitas  nicht  immer  einen  gröfseren 
Wohnort  bezeichnen,  sondern  oft  nur  einen  festen  Platz, 
mögen  noch  folgende  Angaben  dienen.  Die  mit  dem  Dorfe 
Kabelitz.  bei  Jerichow  (Magdeburg)  verbundene  Feste 
Marienburg  heißt  94G  Marienhorch  castrum,  1150  Marien- 
hurg  urhem  quae  et  CoheUtse  didtur,  1172  curdtem  de 
hir(fi)'ivardo  Kaheli?  quae  et  Marienhun/l-  dicitur:  Schlofs 
und  Dorf  Döben  bei  Grimma  heilst  1117  urhs  Deuin 
bei  Hoffmann,  Script,  rer.  Lusat.  I,  25,  Dorf  Jahna  bei 
Ostrau  urhs  Ocma  bei  Widukind  res  g.  Sax.  III;  die 
urhes  Birjni,  Pauc,  Liidxmici  und  Oezerisca  bei  Thietmar 
Chr.  III,  9  sowie  VII,  37  hurfju-ardus  Bklmi  sind  die 
Dörfer  Püchen,  Pouch,  Löbnitz  und  Tiefensee  (slav. 
Jezerisko)  bei  Würzen  und  Düben;  und  das  Dorf 
Choren  bei  Nossen,  nicht  die  im  ehemaligen  Gau  Chutizi 
gelegene  Stadt  Kohren,  ist  die  983  genannte  civitas 
Corin  in  pago  D(üaminzü.  Von  weiteren  Belegen  kann 
füglich  abgesehen  werden,  die  Beispiele  dürften  genügen, 
um  darzutlmn,  dals  wir  unter  oppidum,  wie  gesagt,  nichts 
weiter  als  das  ausgedehntere  castrum,  die  wohlumschanzte, 
aus  Mauerwerk  und  Pallisaden  hergestellte  Burg  mit 
den  Hütten  der  Burgmannen  zu  verstehen  haben,  wie 
auch  urhs  und  civitas  das  befestigte  Dorf  bezeichnen 
können.  Da  also  die  Bezeichnung  oppidum  Guozdec  nur 
allein  darauf  hinweist,  dals  das  bisherige  castrum  an 
seinem  neuen  gesicherteren  Platze  seit  dem  Jahre  1088 
eine  stärkere  Befestigung  erhalten  hat,  und  in  keiner 
Weise  die  Beziehung  auf  einen  gröfseren  Wohnort  ver- 
langt, am  allerwenigsten  auf  das  für  alle  jene  geschicht- 
lichen Vorgänge  viel  zu  weit  abseits  liegende  Grofsen- 
hain,  so  kehren  wir  nach  dieser  notwendigen  Abschwei- 
fung wieder  zu  unserer  Behauptung  zurück,  dafs  castrum 
und  oppidum  Guozdec  unbedingt  oberhalb  Meifsens  auf 
dem  linken  Ufer  der  Elbe  gesucht  werden  mufs. 

Wenn  man  nun  erwägt,  dafs  es  in  der  seit  alters 
bedeutsam  hervortretenden  Landschaft  zwischen  Meifsen 
und  Dresden  kaum  eine  Ortschaft  giebt,  die  nicht  in 
frühen  Urkunden  erwähnt  würde,  sowie  dafs  unser  Gvozdec 
als  alter  sorbischer  Grad  eine  wichtige  Örtlichkeit  ge- 
wesen sein  muls,  so  dürfte  es  doch  wohl  höchst  auf- 
fällig erscheinen,  wenn  dieses  letzteren  nur  der  böhmische 
Chronist,  und  nicht  auch  unsere  Urkunden  Erwähnung 


Die  Feste  Gvozdec  bei  Meifseu.  9 

thäteii.  Von  vornlierein  muls  man  annehmen,  dals  auch 
in  diesen  Denkmälern  des  Altertums  die  alte  Feste 
irgendwie  verborgen  steckt,  wenn  nicht  in  der  von  dem 
böhmischen  Gewährsmanne  überlieferten  alttschechischen 
Form,  so  doch  in  einer  volkstümlichen  Umgestaltung. 
Um  zu  ermitteln,  wie  sich  Gvoidec  oder  Hvo.nJcc  im 
deutschen  Munde  umwandeln  konnte,  ziehen  wir  die 
andern  sorbischen  Namen  desselben  Stammes  und  haupt- 
sächlich die  böhmischen  Ortsnamen  zu  Rate.  Da  bieten 
sich  einmal  das  schon  oben  genannte  casteUnm  Hwoznie 
oder  hurcivaräiis  Ooznc  und  Oozc,  d.  i.  Gvozdna  (wie 
Hvozdnu  in  Mähren  und  der  Bach  Gvozäna  in  Gradiska), 
sodann  olw.  Hoznica  für  Petershain  bei  Kamenz,  d.  i. 
Or Ol' (Inka,  Hrozänicc,  Namensformen  also,  bei  denen  das 
inlautende  v  und  d  zur  beciuemeren  Aussprache  weg- 
gefallen sind.  Auf  tschechischem  Boden  finden  wir  zwei 
Hi-os:d=^i\\(\,  zwei  i?ro,i7^'C==Bergwäldchen,  ein  Hvozdce 
und  zwei  Hro.idnice,  auch  mit  Wegfall  von  v  und  d  gleich 
dem  erwähnten  olw.  Ortsnamen  Hoimce  genannt,  = 
Walddorf,  endlich  vier  Hvozd'any  =  Waldsassen;  von 
diesen  lautet  nun  aber  Hvozdnice  bei  Königgrätz  in  der 
volkstümlichen  Form  Wosuifz  und  Hvozd'amj  bei  Pilsen 
Wosdiana,  indem  das  anlautende  h  (=  g)  sowie  d  vor 
der  bequemeren  Sprechweise  haben  weichen  müssen. 
Daraus  folgt,  dafs  Gvozdec  oder  Hvozdec  in  der  deut- 
schen Aussprache  auch  zu  Wo  sitz  wird,  statt  Hwositz. 
Und  weiter  muls  nun  hiernach  geschlossen  werden,  dafs 
castrum  Gvozdec  im  Südosten  von  Meiisen  mit  dem 
alten  burgwardus  Wosice  oder  Woz  in  provincia 
Nisanen,  also  in  der  Dresdner  Eiblandschaft,  welches 
dreimal  urkundlich  genannt  wird,  identisch  ist'*).  Die 
tschechische  Endung  ec  entspricht  der  altslovenischen  ici, 
die  zwei  fast  stumme  Vokale  enthält;  kein  Wunder  also, 
dafs  die  Urkunden  sowohl  Wosice  als  auch  statt  Wosec 
oder   Wosc   kurzweg   Woz   bieten.     Wosice   verhält   sich 


")  Woz  und  Guozdek  (!)  stellt  wie  die  oben  erwähnten  Kocpke 
und  V.  Heiuemannn  auch  v.  Gersdorf  im  Cod.  Sax.  II.  1,  37  ver- 
mutungsweise, oline  Begründung  zusammen  und  ninnnt  als  walir- 
sclieiniiche  Ortlichkcit  die  Gegend  von  Weistropp  au.  Die  Gleicli- 
setzung  von  A\'oz  mit  diesem  Wcistiopp,  welche  sich  bei  Weite, 
Gau  und  Archidiakonat  Nisan  S.  2.5  Jiudet,  wird  im  folgenden  Wider- 
legung erfahren,  auch  die  Beziehung  auf  W'eiisig  bei  Tharandt 
(Böttiger-Flathe,  Gesch.  v  Sachsen  I.  72)  mufs  zurückgewiesen 
werden,  da  letzteres  das  sorbische  Vysoka  ist        lloheudorf. 


10  Gustav  Hey: 

ZU  Guozdec  wie  Womiiz  zu  Hvozänke.  Wie  die  Er- 
wähnung von  Guozdec  in  die  Jahre  1087,  1088.  1123 
fällt,  so  gehören  der  gleichen  Zeit  auch  Woz  und  ÄVosice 
an,  nämlich  den  Jahren  1071,  1091,  1140  (Cod.  Sax.  I,  1, 
335.  355.    IL  1,  36.  41.  50). 

Man  wende  nicht  ein,  wie  dies  von  selten  Schuherths 
geschehen,  dals  nicht  wohl  in  buntem  Wechsel  so  ver- 
schieden lautende  Namensformen  für  denselben  Ort  ge- 
braucht sein  könnten,  1071  Woz,  1087,  1088  Guozdec, 
1091  Woskc,  limGiiozäcc,  1140  Woz^"").  Wenn  einer- 
seits von  dem  des  Slavischen  mächtigen  böhmischen 
Chronisten  Cosmas  in  seinem  Geschichtswerke  in  gleich- 
mälsiger  Weise  die  echte ,  gleichsam  schriftmäfsige 
Xamensform,  andererseits  von  den  des  Slavischen  niclit 
kundigen  deutschen  Urkundenschreibern  die  landläufige, 
volksmäfsige  Form  gebraucht  wird,  ist  das  denn  nicht 
völlig  ordnungsgemäfs  und  begreiflich?  Ferner,  wenn 
von  den  Urkuudenschreibern  statt  der  genauen  Namen 
unsres  und  des  oben  mit  erwähnten  Burgwarts  Gvozdec 
und  Gvozdna,  oder  Hvozdec  und  Hvozdna,  ohne  Kenntnis 
der  Schreibweise  und  Bedeutung  einerseits  AVosice  und 
AVoz,  andrerseits  Hwoznie,  Gozne,  Goze  uns  überliefert 
werden,  so  haben   wir  darin  die  Unbehilflichkeit  gegen- 


^")  Eigentüinliilierweise  kommt  Schuberth  keiu  Bedenken, 
wenn  er  seinerseits  Grofsenhain  (wie  etwa  Koustantiuopel:  Byzantion, 
]|oraa  nova,  Constantinopolis,  Stambul)  einen  besonderen  Namen- 
reicbtnm  Ijeilegt,  der  bei  Lichte  besehen  doch  ein  ganz  bescheidener 
ist  und  beilänflg  hier  beleuchtet  werden  möchte.  Osek  nämlich, 
Avelches  dreizehnmal  auch  in  Böhmen  vertreten  ist,  hat  als  die  ur- 
sprüngliche Bezeichnung'  des  alten  Wendenortes  zu  gelten,  =  Wahl- 
hau, Verhau,  Verliack,  auch  eing'efriedigter,  eingehegter  Ort,  wie 
Oschatz,  ursprünglich  Ösec,  das  auch  in  Böhmen  sich  findet;  und 
gleichwie  das  entsprechende  olw.  Wosyk  bei  Bischofswerda  deutsch 
mit  (Grofs-)Hähnchen  übersetzt  wurde,  d.  i.  kleiner  Hagen,  so  wurde 
auch  Osek  nach  dem  Deutschwerden  des  Landes  durch  Hagen  er- 
setzt, Aveil  diese  Bezeichnung  der  alten  am  besten  entsprach,  im 
Sinne  von  eingehegte]',  geschützter  Ort.  Hagen  aber  verwandelte  sich 
bekanntlich,  wie  Magd  zu  Maid,  so  zu  Hain,  im  Volksmunde  zu 
Hahn,  woraus  Hähnchen  —  Haiu(i)chen;  damit  ist  aber  der  Stadt 
keiu  neuer  Name  gegeben  worden.  Dafs  Urkundenschreiber  ..statt 
der  deutschen  Bezeichnung  aiich  ein  paar  Mal  die  lateinische  Über- 
setzung Indago  =  Gehege  wählten,  ohne  dafs  natürlich  dieser  Name 
in  Gebrauch  war,  ist  zwar  bedauerlich  aber  nicht  ungewöhnlich; 
mnfste  doch  Colin  bei  Meifsen  auch  die  Latinisierung  Colouia, 
Hermsdorf  Hermanni  villa,  Merseburg  gar  ein  Martipolis  sich  ge- 
fallen lassen.  Mit  Gvozdec  aber,  das  keinen  Hag,  sondern  den 
offnen  Bergwald  bedeutet,  ist  Grofsenhain  niemals  bezeichnet 
worden! 


Die  Feste  Gvozdec  bei  Mei&en.  11 

Über    dem   fremden  Worte   mit  den  weiclien  Lauten  hw 
oder  g\v  und  zd  zu  erkennen   und  die  Mühe,    welche  es 
dem  Deutschen  machte,  den  shxvischen  Lauten  völlig  ge- 
recht zu  werden.     Und  das  ist  kein  Wunder,  macht  sich 
doch  selbst  der  geborene  Slave  die  Wörter  jenes  Stammes 
mundgerechter  und  sagt  der  Oberlausitzer  statt  Hwüzd- 
nica    Höznica,    der    Niederlausitzer    statt  GAVözd  Gözd 
u.  s.  w.     Wenn  wie  im  Jahre  981  Hwoznie,  über  dessen 
Herkunft  von  livozd  gar  kein  Zweifel  obwaltet,  so  auch 
1071,  1091,  1140  etwas  sorgfältiger,  nur  mit  Beachtung  des 
liüchtigsten  Konsonanten  Hwosice  und  Hwoz  geschrieben 
worden  wäre,    so  bedürfte  es  gar  nicht  erst  der  langen 
Untersuchung  und  Auseinandersetzung,  und  es  würde  bei 
einigem   guten    Willen    ein   jeder    erkennen,    welch    ein 
inniger  Zusammenhang   zwischen   diesen  Namen  besteht. 
Während  nun  Schuberth  gegen  Wosice  sich  einfach 
ablehnend  verhält,    vermeint   er  eme  neue  starke  Stütze 
für    seine    x\nsicht   in    einer    urkundlichen  Angabe   vom 
Jahre    1045   (Cod.  Dipl.  Sax.  I.  1,  307  f.)    gefunden    zu 
haben,  wo  von  Königshufen  in  villa  Saitrojmi  in  hurcJi- 
ivardo  Guodezi   die  Rede    ist.    Er  nimmt  hier  Schreib- 
fehler an,  verbessert  Scuptropei  in  b.  Guozdezi  und  deutet 
dies    als  Skaup-tropp   oder^.Skaupdorf,   kurz  Skaup   bei 
Guozdec-Grolsenhain.    Die  Änderung  Gito^dezi  hat  ja  un- 
leugbar etwas  Bestechendes,  ist  aber  doch  durchaus  un- 
gereclitfertigt.     Svnptmpcl   ist  ein  Unding;   denn    wenn 
auch  die  Anhängung  von  -dorf  glaublich  wäre,   so  kann 
doch   unmöglich  die   erst  am  Ende   des  Mittelalters   er- 
scheinende niederdeutsche  Form  drof,    druf,   drop,  drup, 
trop,   trup   für  Dorf    (Förstemann,  Die  deutschen  Orts- 
namen S.  99;   Arnold,  Ansiedelungen  und  Wanderungen 
deutscher  Stämme  S.  371),  welche  in  den  von  Förstemaini, 
Altdeutsches   Namenbuch   II,    1464  f.    aufgeführten    851 
alten,  mit  Dorf  zusammengesetzten  Namen  nicht  ein  ein- 
ziges Mal  sich  findet,   noch  dazu  mit  der  unerklärlichen 
Endung   ei   als  Zusatz   zu   dem  willkürlich  hergestellten 
Scup-   angenommen   werden.      \\'eder  ^der  eine  noch  der 
andere  Name   bedarf  so  gewaltsamer  Änderungen,  beide 
sind    richtig    überliefert.     BiirvJuvaydus  Onodcii   ist   der 
Burgwart  Svhkenditz,  bei  Thietmar  Sciidki,  1028  Choticci 
(hier  handelt  es  sich  ebenfalls  um  Königshufen,  Cod.  Dipl. 
Sax.  I.  1,  290);  auch  der  hiernach  feenannte  Gau  zwischen 
Saale  und  Mulde  heilst  aulser  Scuntiia,  Svlinli.ci,  Sciidizl 
u.  s.  w.   mit  auch  sonst   nachweisbarem  Schwinden   des 


12  Gustav  Hey: 

anlautenden  s  ClmnÜzi,  Chuoyitiza,  Gunthizi ,  Clmflzi, 
Clmfiz,  Gwlki ,  teils  mit,  teils  ohne  den  altslavisclien 
Nasallaut.  Scutropei  aber  lautet  pol.  Szczodrohy ,  olw. 
Scedroby  (Personenname  „Freigebig")  und  ist,  verwandelt 
in  Scedrohec,  Sceroher'^^') ,  das  heutige  an  Schkeuditz 
grenzende  Ält-Scherbitz.  So  wird  denn  also  unsere  Frage 
durch  jene  von  Schuber th  so  nachdrücklich  hervorge- 
hobene und  geltend  gemachte  urkundliche  Angabe  von 
1045  in  keiner  Weise  berührt  und  beschränkt  sich  ledig- 
lich auf  Gvozdec — Wosice — Woz,  deren  Identität  keinem 
Unbefangenen  nach  den  obigen  Darlegungen  mehr  zweifel- 
haft sein  dürfte. 

Die  Bestimmung  des  Burgwartbezirkes  Wosice  oder 
Gvozdec  bietet  keine  wesentlichen  Schwierigkeiten,  da 
in  den  erwähnten  Urkunden  nicht  weniger  als  zehn  zu- 
gehörige Ortschaften  namhaft  gemacht  werden,  von  denen 
nur  eine  einzige  der  genaueren  Feststellung  sich  vorder- 
hand entzieht. 

Die  betreffende  Urkunde  von  1071  nennt  5  v/Uas  in 
provincici  Nisanen  in  Inirfjuardo  Woz  sitas:  Gozchndi, 
Oicice ,  Orodice,  Cinici,  Ludermvice;  die  Urkunde  von 
1091  itnam  (vilJam)  in  provincia  Nisani  in  hurgivardo 
Wosice  quae  vocatur  Mocozice ;  endlich  die  von  1140 
Cozehude,  Jazelice,  Hermanni  viUa,  Bidsize,  Nicradctvice 
in  provincia  Nisanen  in  hurgivardo  Woz.  Von  diesen 
sind  Gozebudi  und  Cozebude  =  Cossebaude,  sorb. 
Kosobudy ;  Ludern wice,  1468  Luderwicz  =  L  e  u  t  e  r  i  t  z , 
ursprünglich  Ljuderovici;  Mocozice,  1288  Mobschitz, 
1350Mepticz,  1468  Mopczicz,  1484  Mockschicz  =  Mob- 
schatz, im  Volke  Mocksch,  ursprünglich  Mokosici; 
Hermanni  villa  —  Hermsdorf  bei  Kesselsdorf;  Oicice 
statt  Obcice^"-)  =  Klein-Opitz  bei  Tharandt^,  ursprüng- 
lich obeice  „Gemeindegut",  wie  Oppitzsch  bei  Strehla,  ur- 
kundlich Obtitz,  Obscitz,  Obschitz,  nicht  etwa  =  Ocker- 
witz, welches  zum  Burgwart  Bresnice  gehörte,  noch  viel 
weniger  =  Eutschütz  südlich  von  Dresden  (Cod.  Dipl. 
Sax.  I.  1,  192),  welches  1288  Odizschowe  heilst;  Grodice 
ist  nicht  das  zu  weit  westlich  liegende  Groitzsch  an  der 


")  Zum  AVeg-fall  des  d  vgl.  Pauritz,  Podegrodici ;  Brösern, 
Pfezdrei'i ;  Kauscha,  Cudeschowe;  Moritz.  Mordiz  und  die  obengenann- 
ten Namen  aus  gvozd. 

^")  Vgl.  Hoysclie,  Wald  bei  Frauenhain,  1197  Hobicwald 
=  tscli.  obec,  sorb.  hobec  ^  Gemeindebesitz,  Gemeindebusch,  mit 
Aspirat.ion  wie  Hagenest  ^  ogniste,  Hubrigen  =  oborky. 


Die  Feste  Grvozdec  bei  Meifsen.  13 

Triebisch,  sondern  Roitzsch  östlich  von  Wilsclruff, 
sorbisch  Grodec,  tschechisch  Hradec  =  kleine  Schanze, 
mit  wohl  erklärlichem  Verluste  des  Anlautes,  wie  ihn 
auch  böhmische  Ortsnamen  von  demselben  Stammworte 
zeigen,  z.  B.  Hradiste  oder  Ratsch  zweimal  bei  Leitmeritz 
und  Hradcany  oder  Ratschan  bei  Bunzlau  und  Bidschow  ; 
Cinici,  später  vielleicht  Czunow,  dürfte  das  eingegangene 
Dorf  Zschone  sein,  von  dem  noch  die  Zschoner  Mühle 
und  der  Zschoner  Busch  und  Grund  genannt  sind,  slavisch 
wohl  Cujnici,  Cujnov,  vom  Namen  Cujny  =  wachsam, 
munter;  Jazelice,  in  späterer  Zeit  vermutlich  Gosliz, 
dann,  nach  dem  sehr  ausgedehnten  Gebrauche  der  Gleich- 
machung ähnliche]^  Namen,  wie  Gohlis  bei  Weinböhla  im 
14.  Jahrhundert  Goluz  genannt,  ist  Gohlis  an  der  Elbe, 
slavisch  Jasllce,  kleines  Gehege  (olw.  jasla)  gleich  dem 
nahen  Ostra-Gehege;  NicradeAvice  ist  =  IJnkersdorf, 
1393  Vnkersdorf,  wenn  man  den  Personennamen  Vnukorad 
zu  Grunde  legen  darf  =  Enkelfroh,  wie  Zschadras  von 
Cadorad  =^  Kinderfroh;  wechseln  doch  auch  bei  dem 
aus  Personennamen  Ratibor  hervorgegangenen  Rottewitz 
die  Formen  Rothebariz  und  Rothiboresdorf.  So  bleibt 
nur  noch  übrig  und  spottet  jeden  Nachweises  der  Ort 
Bulsize,  welcher  nach  dem  Personennamen  Bolesa  oder 
wie  2  Polzice  in  Böhmen  nach  einem  Poleh  benannt  sein 
kann  oder  auch  mit  polesice  =  Ort  am  Walde  sich 
erklärt '"). 

Diese  Bestimmung  der  im  Burgwart  Wosice  oder 
Gvozdec  belegenen  Ortschaften  läfst  uns  mit  voller 
Deutlichkeit  die  Ausdehnung  dieses  Bezirks  er- 
kennen. Die  westliche  Grenze  bildet  die  „wilde  Sau" 
bis  zu  ihrer  Einmündung  in  die  Elbe  bei  Constappel,  sie 
fällt  also  hier  zusammen  mit  der  Grenze  des  Gaues 
Nizane  nach  Daleminze  zu;  im  Nordosten  geht  die  Grenze 
an  der  Elbe  entlang,  dann  von  Kemnitz  ab  südwestlich 
durch  den  Zschoner  Grund,  über  die  Kesselsdorfer  Höhe 
bis  vor  Tliarandt,  berührt  sich  also  auf  dieser  Strecke 
mit  den  Burgwartbezirken  Bresnice  oder  Brielsnitz,  d.  i. 
Birkicht,  und  Bvistrizi  oder  Nieder-Pesterwitz ,  d.  i. 
Weifseritzdorf  (Cod.  dipl.  Sax.  I.  1,  335.  331).    Zu  dem 


^ä)  Seltsamerweise  finden  sich  zu  Jazelice,  Bnlsize  nnd  Nicrade- 
wice  vortrefflich  entsprechende  Ortschaften  im  Jahnathnl.  niindich 
tiaselitz  bei  Zschaitz,  Piüsitz  bei  üstrau  und  Nickritz  bei  Riesa; 
aber  dies  war  ja  Daleminziergebiet,  während  es  sich  hier  nm  Nisane 
handelt. 


14  Gustav  Hey: 

so  umgrenzten  Bezirke  gehören  noch  von  slavischen  Ort- 
schaften Weistropp,  Stetzsch,  Kemnitz,  Merbitz,  Prab- 
schütz,  Podemus,  Schletta  und  Sachsdorf,  mit  alter  Be- 
nennung Wiztrop^^),  Steiz,  Kamenice,  Merenvitz,  Bratz- 
zicken  (Prawdziska),  Podemuz,  Slettow,  Sachowe,  so  dafe 
der  Burgwart  Gvozdec  im  ganzen  an  die  20  Dörfer  um- 
falst  zu  liaben  scheint,  schwerlich  mehr,  da  die  ganze 
Westhälfte  dieser  Landschaft  mit  dichtem  Walde  be- 
standen war,  der  über  den  Grenzbach  die  wilde  Sau 
hinüber  zunächst  bis  nach  der  grofseu  Triebisch  und 
Bobritzsch  sich  ausdehnte,  dann  weitliin  nach  Westen 
sich  fortsetzte  und  erst  von  den  deutschen  Kolonisten 
Lichtung  und  Besiedlung  erfuhr. 

Es  erübrigt  noch,  die  Hauptfrage  zu  erledigen,  zu 
welcher  sich  der  behandelte  Gegenstand  zuspitzt:  an 
welcher  Stelle  in  dem  Burg  wartbezirke  hat  die  Feste 
Gvozdec  oder  Wosice  gestanden?  Nach  den  oben  ge- 
gebenen Ausführungen  gewinnt  es  hohe  Wahrscheinlich- 
keit, dafs  dieselbe  gerade  wie  ihre  Nachbarinnen  Bresnice 
und  Misni  und  die  fernerliegenden  Zadili,  Boruz,  Grobe 
und  Sträle  auf  einem  der  Waldhügel  an  der  Elbe  einst 
ihre  Stätte  gehabt  hat,  und  zwar  unmittelbar  an  der 
Grenze  des  Gaues  Nizane  nach  dem  Gau  Dalemince  zu, 
an  dem  nördlichen  Ende  des  Burgwartbezirkes,  oberhalb 
Constappel  ^'').    Ziehen  wir  nun  aber  diesen  Namen  noch 


^^)  Damit  es  ersichtlich  werde,  dafs  Weistropp  nicht  selbst  mit 
Woz,  Wosice  gleichgesetzt  werden  darf,  werde  die  wahrscheinliche 
Deutung  hier  augefügt,  wonach  dasselbe  mit  den  urk.  Formen 
Wiztrop  (1296),  Wiztrob,  Wystroph,  AVizstroeph,  Wistrop,  Wystrop, 
Wystrop,  Weistrop,  wenn  nicht  einfach  als  Personenname  Vystrop, 
so  als  tsch.  Vsetrop,  Plur.  Vsetropy  erscheint  =  Familie  Thunicht- 
gut,  von  asl.  vist.  tsch.  vse  all,  stets,  imd  tropiti,  stropiti  etwas  an- 
stiften, übelthun.  Ebenso  entsprechen  Wissirobi,  Wisribben,  d.  i. 
Wirsclileben  in  Anhalt  und  Wüstung  Wischerup  dem  tsch.  Vseruby 
in  Böhmen,  Wischstauden  bei  Groitzsch  Ysestudy  Böhm.,  Weischlitz 
im  Vogt].,  urk.  Wisols,  dem  tsch.  Vselisy  u.  s.  w. 

^■^)  .Schul)erth  l)ezeichuet  als  die  von  mir  für  Gvozdec  ge- 
haltene (Jrtlichkeit  das  Dörfchen  Hartha  auf  dem  linken  Ufer  der 
wilden  Sau,  also  auf  daleminzischem  Gebiete.  Nun  hatte  ich  zwar 
im  Anfange  unseres  Briefwechsels,  ehe  die  Karte  mir  genauere  Be- 
lehrung verschaffte,  namentlich  wegen  der  gleichen  Bedeutung  von 
gvozd  und  ahd.  hart,  auf  diesen  Ort  hingewiesen,  dann  aber  stets 
nur  auf  die  gegenüberliegende  Höhe  von  Constappel.  Es  l)edeutet 
also  eine  Entstellung  meiner  offen  ihm  dargelegten  Ansicht,  wenn 
Schuberth  trotzdem  jenes  daleminzische  Hartha  als  Gvozdec  von 
mir  bezeichnet  werden  läfst  und  eine  selbstverständliche  Zurück- 
weisung daran  knüpft.    —    Schuberths  Einwurf,   einen  Burgwart 


Die  Feste  Gvozdec  bei  Meifsen.  15 

in  den  Rahmen  unsrer  Untersucliung ,  so  steigert  sich 
die  Wahrscheinlichkeit  der  Amiahme  zur  Gewilsheit. 
Denn  Constappel,  urkundlich  13G0  Constoinl,  1495  Con- 
stapel ,  auch  Constapil,  ein  Name,  dessen  gewöhnliche 
Deutung  aus  dem  AV  endischen  sich  durchaus  nicht  recht- 
fertigen lälst,  ist  nichts  andres  als  das  aus  comes  stahuli 
verderbte  mittelalterliche  coiiicsfahüis  oder  constahulus 
(Du  Gange,  Gloss.  1883  II,  431),  deutsch  Konstabel,  mit 
der  Nebenform  Konstapel  (Grimm,  D.  W.  Y,  1742), 
dessen  ursprüngliche  Bedeutung  „oberster  Beam.ter  des 
königlichen  Marstalls*'  sich  so  verallgemeinerte,  dals 
überhaupt  ein  Befehlshaber,  Führer  einer  bewaffneten 
Schar,  Burghauptmann  damit  bezeichnet  wurde.  So 
kommen  wir  zu  dem  Endergebnis,  dem  man  ausreichende 
Begründmig  nicht  absprechen  wird :  Die  ehemalige 
slavische  Feste  und  der  nachmalige  deutsche  BurgAvart 
Guozdec- Wosice  lag  auf  einem  Hügel  oberhalb 
Constappel,  dieses  letztere  war  ursprünglich,  zum  con- 
stapel  genannt,  die  Wohnstätte  des  Konstabel,  des  Burg- 
wartobersten, der  den  Befehl  über  die  zur  Bewachung 
der  Feste  aufgebotene  Kriegerschar  führte.  Eine  sehr 
willkommene  Stütze  findet  das  Ergebnis  unsrer  Unter- 
suchung in  einer  von  Herrn  Pfarrer  Schüttoff"  in  Con- 
stappel erbetenen  „und  erhaltenen  höchst  dankenswerten 
Beschreibung  der  Örtlichkeit.  Hiernach  muls  der  über 
Constappel  sich  frei  erhebende  und  Aveite  Umschau  ge- 
wälu^ende  Gohlberg  als  die  Stätte  der  Grenzfeste  Gvoz- 
dec erscheinen.  Am  Westabhange  dieses  mächtigen  Hügels 
nach  der  wilden  Sau  hin  befindet  sich  der  sogenannte 
„Erdfall"  (dessen  Deutung  als  Erdrutsch  mein  Herr 
Gewährsmann  als  ausgeschlossen  betrachtet,  wälu'end  er 
die  als  Erd-vallum  für  wahrscheinlich  hält),  ein  kleines 
Halbhochplateau  zwischen  Eibthal,  Saubach  und  Prinz- 
bach, mit  starken,  von  Menschenhand  herrührenden  Ein- 
schnitten, die  in  doppelter  Ileihe  im  Zickzack  bis  nacli 
dem  dort  sehr  hohen  Saubachufer  sich  herabziehen.  Auf 
dem  dazwischen  liegenden  Haume  aber  konnten  be((uem 
selbst  mehrere  tausend  Mann,   gegen   den  Feind  durch 


snclie  man  in  der  Mitto  seines  Bezirkes,  wird  schon  dnrcli  den  Ilin- 
Aveis  anf  den  Nachbarbe/irk  Brcsnice  binfiillig;  IJriefsnitz  liegt 
ebenfalls  an  der  nöi-dlicben  Spitze  seines  elienialiyen  15nrg\vart- 
liezirkes.  Dafs  aber  gerade  die  Grenze  des  Ganes  Nizane  gegen 
Daleminee  dnrcli  eine  Bnrg  gesichert  wurde,  liegt  in  der  Natnr  der 
Sache. 


16  Gustav  Hey:  Die  Feste  Gvozdec  bei  Meifsen. 

die  voriiliegeiide  Berghohe,  die  Zickzackgräben  links  mid 
rechts  und  das  hohe  Bachufer  im  Grunde,  also  ringsum 
geschlitzt,  ihr  festes  Lager  haben,  während  die  Gohl- 
bergkuppe  als  Auslug  nach  allen  Seiten  dienen  konnte, 
welchen  Dienst  sie  nachweislich  in  neueren  Kriegszeiten 
mehrfach  gethan  hat.  Da  auf  der  Höhe  sich  uralte  Wein- 
bergsmauern finden,  der  Boden  selbst  aber  kein  Gestein, 
sondern  nur  festen  Lehm  enthält,  so  darf  vielleicht  an- 
genommen werden,  dafs  die  Steine  dieser  Mauern  von 
den  Trümmern  der  alten  Burg  herrühren.  Auch  für  das 
zweite  Gvozdec,  vielleicht  das  ältere,  findet  sich,  wenn 
es  nicht  auf  dem  Höllberge  unmittelbar  an  der  Elbe  ge- 
sucht werden  darf,  in  der  Nähe,  südwestlich  vom  Gohl- 
berge  und  von  diesem ..  durch  den  Prinzbach  getrennt, 
eine  ziemlich  geeignete  Ortlichkeit,  und  zwar  ein  Wald- 
hügel auf  der  Flur  von  Klein-Scliönberg,  wo  ebenfalls 
altes  Mauerwerk  noch  erhalten  ist,  das  der  Volksmund 
auf  ein  ehemaliges  Kloster  zurückführt,  obgleich  dort 
nie  ein  solches  bestanden  hat. 

Wenn  man  nun  den  Gohlberg  bei  seiner  vorzliglichen, 
freien,  wohlgesicherten  und  nach  Daleminzien  herüber- 
drohenden  Lage  als  Gvozdec  erkennen  und  in  dessen 
Verbnidung  mit  dem  Dorfe  Constappel  die  einfachste 
Erklärung  für  den  Ausdruck  „oppidum"  finden  darf,  so 
hat  die  Frage  ihre  Lösung  gefunden,  des  Cosmas  Be- 
zeichnung castrum  Ouozdec  jjt'ope  nrhem  Missen  erscheint 
vollkommen  gerechtfertigt,  und  die  Gleichsetzung  „Guozdec 
und  Guodezi  =^  Grofsenhain"  darf  und  muis  in  das  Reich 
der  Fabel  verwiesen  werden. 


II. 


Die  Pröpste  des  Kollegiatstifts  St  Petri 
zu  Bautzcu  von  1221—1562. 


Heniiaini  Kiiolli«'. 


Soviel  auch  über  die  Gründung-  sowie  über  die  fer- 
nere Geseliichte  des  Kollegiatstifts  8t.  Petri  zu  Bautzen 
bereits  geschrieben  worden  ist,  so  hat  man  doch  noch 
niemals  auch  nur  den  Versuch  gemaclit,  die  Reihenfulge 
der  dasigen  Pröpste  urkundlich  festzustellen.  Es  ist  dies 
allerdings  um  so  scln\ieriger,  da  man  bei  dem  IMangel 
von  Wahlprotokollen  aus  älterer  Zeit,  sich  hierbei  last 
nur  auf  die  gelegentliche  Erwähnung  ehizelner  Bautzner 
Pröpste  in  den  Urkunden  des  Hochstifts  Meiisen  ange- 
wiesen sieht,  welchem  dieselben  stets  als  Kanoniker  eben- 
falls angehören  mulsten.  Daher  haben  auch  uns  die  „Ur- 
kunden des  Hochstifts  Meiisen"  im  Codex  dipl.  Saxon. 
reg.  IL  Bd.  1 — 3  bei  weitem  das  meiste  Material  fiir 
unsere  Arbeit  geliefert;  aulserdem  haben  wir  natürlich 
Köhlers  Codex  diplom.  Lusat.  sup.  (bis  zum  Jahre  l-]4()) 
und  andere  zahlreiche  Litteratur,  sowie  die  Urkunden 
und  Kopialbücher  des  Bautzner  Domarcliivs  benutzt. 
Neben  den  Pröpsten  haben  wir  auch  die  gleichzeitigen 
Dekane  und  sonstigen  Kanoniker  von  Bautzen  verzeichnet 
und  deren  persönliche  Verhältnisse,  soweit  möglich,  fest- 
zustellen gesucht.  Eine  vollständige  Geschichte  des  Dom- 
stifts Bautzen  zu  schreiben,  lag  keineswegs  in  unserer 
Absicht;  wohl  aber  mulsten  wir  di(>  wichtigsten,  die  Kirche 


Nciifs  Airhiv   L   S.  (!.  u.   A.     XI.    1.   ■-'. 


18  Hermann  Knotlie: 

ZU  Bautzen,  bezielieutlicli  die  kircliliclien  Veiiiältnisse  der 
gesamten  Oberlausitz  betreffenden  Vorkommnisse  kurz 
erwälmen,  da  bei  denselben  die  Pröpste  doch  mehr  oder 
minder  beteiligt  waren. 


Als  Ende  des  12.  und  Anfang  des  13.  Jahrhunderts 
infolge  der  Einwanderung  zahlreicher  deutscher  Kolonisten 
hl  der  Oberlausitz  nicht  nur  mehrere  altslavisclie  Ort- 
schaften zu  Städten  umgewandelt  wurden,  sondern  auch 
eine  grolse  Menge  ganz  neuer,  deutscher  Dörfer  entstand 
und  sich  hierdurch  die  Zahl  der  Kirchen  im  Lande  ganz 
wesentlich  vermehrte,  beschlofs  Bischof  Bruno  II.  von 
Meilsen,  ein  Kollegiatstift  in  der  Landeshauptstadt  Bautzen 
zu  gründen  und  hierdurch  für  das  Kirchenwesen  der  ge- 
samten Oberlausitz  einen  Mittelpunkt  zu  schaffen.  Zu 
diesem  Zwecke  soll  er,  wie  die  Chroniken  berichten, 
schon  1213  den  Umbau  und  die  Erweiterung^)  der  bisherigen 
Bautzner  Stadtkirche  begonnen  haben.  Im  Jahre  1221 
konnte  er  dieselbe  persönlich  für  ihre  neue  Bestimmung 
weihen.  Schon  vorher  aber  scheint  er  für  das  neue 
Stift  wenigstens  einzelne  Kanoniker  ernannt  zu  haben. 
1218  wird  ein  „Lampert,  Domherr  zu  Budissin"  als  Zeuge 
erwähnt'^),  und  schon  1220  nahm  König  Wenzel  von 
Böhmen,  als  Landesherr,  „die  Bautzner  Kirche  mit  allen 
zu  derselben  gehörigen  Personen  und  Gegenständen"  in 
seinen  Schutz'^). 

Zum  ersten  Propst  hatte  der  Bischof  ursprünglich 
Theoderich,  den  Propst  des  Domstifts  Meilsen,  aus- 
ersehen. Dieser  aber  nahm  die  neue  Stellung  entweder 
gar  nicht  an  oder  verzichtete  sofort  wieder  auf  dieselbe. 
Daher  wird  unter  den  bei  der  Einweihung  der  Kirche 
anwesenden  Zeugen  kein  Propst,  sondern  nur  „Hermann, 
Lampert,  Bermann  (nicht:  Permerantius),  Ulrich,  Kaplan 
des  Bischofs",  als  Kanoniker  zu  Bautzen  aufgezählt.  Da 
ernannte  denn  der  Bischof  zum  Propste  Nikolaus,  jeden- 
falls denselben,  der  1215  als  canonicus  et  archipres- 
byter  in  Budesin,  1216  und  1218  aber  als  „Archidiakonus 


^)  Octodecim  cohuiuiis  et  iina  tnrri  hoc  opus  consunnnatuni. 
N.  Laus.  Mag.  XXXIII  (1857),  197. 

2)  Beyer,  Alt-Zelle,  S.  529. 

=5)  Cod.  dipl.  Lus.  sup.  S.  26.  liielitiger  bei  F.  P[nlionsky], 
Statuten  des  Kollegiatstifts  St.  Petii  zu  Budissin  (1858),  S.  2. 


Die  Pröpste  des  Kollegiatstifts  St.  Petri  zix  Bautzen.        19 

des  Landes  Budissin"  bezeichnet  wird').  Wir  lassen  es 
dahingestellt,  ob  er  1215  schon  „Kanonikus"  von  Bautzen 
oder  vielmehr,  wie  wir  glauben  möchten,  von  Meilsen  ge- 
wesen sei;  jedenfalls  aber  war  er  der  bisherige  Pfarrer 
der  Stadt  mit  dem  Range  eines  Erzpriesters,  der  zugleich 
das  Ai'chidiakonat  des  ganzen  Landes  zu  verwalten  ge- 
habt hatte.  Als  mit  den  kirchlichen  Verhältnissen  nicht 
nur  der  Stadt,  sondern  des  Landes  wohl  vertraut,  war 
er  gewils  die  geeignetste  Persönlichkeit  für  das  Amt 
eines  Bautzner  Dompropstes,  nmsomehr,  da  mit  demselben 
auch  künftig  das  Archidiakonat  verbunden  sein  sollte. 

Allein  die  neuen  Kanoniker  wollten  ihn  nicht  an- 
nehmen. Sie  verlangten ,  ebensogut  wie  die  Kanoniker 
des  Kollegiatstifts  Würzen,  ihren  Propst  selbst  wählen 
zu  dürfen;  aufserdem  begehrten  sie  für  das  neue  Stift 
noch  einen  Dekan,  als  Vertreter  ihrer  Interessen  gegen- 
über dem  Propste,  und  anstatt  der  vom  Bischof  beab- 
sichtigten siel)en  Domherrenstellen  deren  elf,  so  dafs  das 
Kapitel  aus  zusammen  dreizehn  Geistlichen  bestehen 
sollte.  Erst  unter  Vermittlung  mehrerer  Meilsner  Dom- 
herren wurde  (1222  und  1226)  vereinbart,  dals  die  Bautzner 
Kapitularen  jenen  Nikolaus  als  Propst  annehmen,  künftig 
jedoch  ihren  Propst  selbständig,  aber  stets  nur  aus  der 
Zahl  der  Meilsner  Domherren,  den  Dekan  dafür  aus  ihrer 
eignen  Mitte  wählen  sollten.  Die  beiden  (damals)  nächst- 
höchsten Präbenden,  die  des  Scholastikus  und  des  Kustos, 
sollte  der  Bischof  vergeben,  im  allgemeinen  aber  ein  Auf- 
rücken aus  den  niederen  in  die  höheren  Stellen  statt- 
finden'^'). Die  volle  Zahl  von  elf  Domherren  stellen  dürfte 
übrigens  weder  damals  noch  später  jemals  erreicht  worden 
sein;  1489  wurde  von  dem  reichen  Georg  Emmerich  in 
Görlitz  erst  ..die  achte  Thumerei  zu  Bautzen"  gestiftet*'). 
—  Aulser  dem  Propst  Nikolaus,  der  stets  unter  den  Dom- 
herren von  Meilsen  aufgeführt  wird,  werden  nun  in  den 
ersten  Jahren  seines  Bestehens  folgende  Mitglieder  des 
Bautzner  Domstifts  erwähnt:  1222  „Hermann  Dekan, 
Johannes  Scholastikus,  Lampert  Kustos,  Ulrich  Kanonikus 
zu  Würzen"  (doch  wohl  der  schon  1221  genaimte);  1225 
dagegen:  „Hermann  Dekan,  Permaini,  Berthold,  Heinrich 


•*)  Schöttg'ou  und  Kreisig",  Diplniiiataria  11,  173  (bis).  Cod. 
Lns..  Aiiliang-  S.  52.  Cod.  dipl.  «ax.  reg.  11.  1,  81  n.  !»0.  J'.cvcr, 
Alt-ZcUo.  S.  529. 

•')  Cod.  Lns.  S.  29.  35.  3fi. 

")  Olierlaus.  Urkiuid.-A'crzri,liii.  iil,  168. 


20  Hermann  Knothe: 

V.  Ilburg  und  Uliicli,  Kleriker  des  Meilsner  Propsts,"  end- 
lich 1226  „Hugo  Dekan,  Johann  Scholastikus .  Ulrich 
V.  Eigen,  Heinrich  v.  Ilburg,  [und  noch  ein]  Ulrich". 

Durch  die  Bestimmung,  dafs  der  Propst  zu  Bautzen 
(ebenso  wie  der  zu  Würzen  und  zu  Grolsenhain)  stets 
zugleich  Domherr  von  Meilsen  sein  mufste,  wurde  zwar 
ein  höheres  Einkommen  ihm  gesichert,  auch  der  Zweck 
erreicht,  das  Tochterstift  in  engster  Verbindung  mit  dem 
Mutterstift  zu  erhalten;  aber  sie  hatte  auch  zur  Folge, 
dafs  er  nicht  nur  sehr  viel  in  Meilsen  „residieren"  mufste, 
sondern  auch  in  der  Regel  ein  viel  gröfseres  Interesse 
der  dortigen  als  der  Bautzner  Kirche  zuwendete.  Die 
meisten  lielsen  sich  daher  auch  in  der  Domkirche  zu 
Meifsen  begraben^).  Während  ihrer  Abwesenheit  von 
Bautzen  lielsen  sich  die  Pröpste  anfangs  wohl  durch  den 
jedesmaligen  Dekan  vertreten,  bis  sie  (seit  etAva  lo77) 
ständige  „Officiale"  zu  Bautzen  hielten. 

Von  der  „Ausstattung"  des  neuen  Kollegiatstifts,  von 
den  ersten  Erwerbungen  teils  aus  eignen  Mitteln,  teils 
infolge  von  Schenkungen,  von  der  Beschaffung  der  Amts- 
wohnungen für  die  einzelnen  Kanoniker  haben  wir  an 
anderer  Stelle  gehandelt ''^).  Hier  gedenken  wir  nur  die 
persönlichen  Verhältnisse  der  einzelnen  Pröpste  festzu- 
stellen, sowie  die  wichtigsten  Ereignisse  kurz  zu  ver- 
zeichnen, welche  während  der  Amtierung  eines  jeden 
sich  zutrugen,  und  auf  welche  derselbe  voraussichtlich 
einen  gröfseren  oder  geringeren  Einflufs  gehabt  haben 
dürfte. 

Als  solche  Ereignisse  haben  wir  unter  dem  ersten 
Propste  Nikolaus  zu  erwähnen  die  Stiftung  .einer  dem 
heiligen  Georg  geweihten  Kapelle  auf  dem  Bautzner 
Schlosse  durch  den  Ad&l  der  Umgegend  (1225,  nicht  1221), 
ferner  die  in  ihren  Grundzügen  bis  auf  die  frühesten  Zeiten 
des  Bautzner  Domstifts  zurückzuführende  Einteilung  der 
gesamten  Oberlausitz  in  neun  kirchliche  Distrikte,  von 
denen  der  erste  der  der  „Präpositur",  der  zweite  der 
des  „Dekanats"  war,  die  übrigen  aber  von  den  Erz- 
priestern in  den  neu  entstandenen  Städten  verwaltet 
wurden-').    Endlich  fallen  in  diese  Zeit  auch  jene  Streitig- 


■')  Die  betreffenden  Grabsteininschiifton  sind  zum  grölsten  Tfil 
aligelnldet  bei  Ursinus,  Geschiebte  der  Domkirdie  zn  Meifsen  (1782) 
und  Ebert,  Der  Dom  zn  Meifsen  (1835). 

^)  Vgl.  diese  Zeitschrift  V.  89  flg. 

'■')  Lans.  :\[agaz.  XXXV  (1859),  Un.  LVl   (1880).  285. 


''\ 


Die  Prüpst(!  des  Kollegiatstifts  St.  Petri  zu  Bautzen.        21 

keiten  zwisclien  dem  Domstift  Meilsen  und  dem  Könige 
von  Böhmen  über  die  genaue  Abgrenzung  der  jedem  von 
beiden  in  der  Oberlausitz  gehörigen  Ortschaften  und 
ganzen  Gebiete,  Streitigkeiten,  welche  bekanntlich  die 
Feststellung  dieser  Grenzen  durch  eine  gemischte  Kom- 
mission (1228)  und  endlich  die  Abfassung  der  sogenannten 
„Grenzurkuncle"  von  1241  veranlalsten  "■). 

Wenn  Avir  auch  nicht  wissen,  inwieweit  bei  alledem 
Propst  Nikolaus  unmittelbar  beteiligt  gewesen  sei,  so 
lauteten  mehrere  i)äpstliche  Aufträge  direkt  auf  seine 
Person,  obgleich  sein  Name  dabei  nicht  genannt  wird. 
1232  befahl  Papst  Gregor  IX.  den  Pröpsten  von  Bautzen 
und  von  St.  Afra  in  Meilsen,  sowie  dem  Dekan  von 
Meilsen,  darauf  zu  sehen,  dals  dem  zurückgetretenen 
Bischöfe  Peregrin  von  Prag  die  ihm  ausgesetzte  Pension 
auch  richtig  ausgezahlt  werde.  1233  ernannte  derselbe 
Papst  den  Propst  und  den  Dekan  von  Bautzen,  sowie 
den  Propst  von  Riesa  zu  „Konservatoren"  für  das  Kloster 
Leubus  mit  der  Ermächtigung,  alle  diejenigen,  Avelche 
sich  gegen  dasselbe  vergangen,  zur  Verantwortung  zu 
ziehen.  Und  1234  beauftragte  der  Papst  abermals  Propst 
und  Dekan  von  Bautzen,  sowie  den  Dekan  von  Meilsen, 
die  Klagen  der  Cisterzienser  im  Gebiet  des  Bistums 
Gnesen  über  Eaub  und  Unterdrückung,  die  sie  zu  er- 
dulden hätten,  zu  untersuchen").  Namentlich  erwähnt 
wird  Propst  Nikolaus  als  Zeuge  noch  1234  in  einer  auf 
die  Bernstadter  Pflege,  1237  in  einer  auf  die  Domkirche 
zu  Meilsen,  zuletzt  1239  in  einer  auf  das  Kloster  Alt- 
zelle bezüglichen  Urkunde^-). 

Als  zweiter  Propst  von  Bautzen  erscheint,  lediglich 
als  Zeuge  in  Urkunden  des  Bistums  Meilsen,  während 
der  Zeit  von  1246—1254  Ulrich.  Wir  erfahren  von 
ihm  nur,  dals  er  1244  noch  Propst  zu  Zscheila  (Grolsen- 
hain)  w^ar,  und  dals  ihm  12G6  der  damalige  Bischof  Albert 
von  Meilsen  ein  Jahresgedächtnis  stiftete^''). 

Während  seiner  Amtsführung  wurde  einst  (1246)  auf 
päpstlichen  Befehl  über  alle  Länder  des  damaligen  König 
AVenzel  von  Böhmen  und  somit  auch  über  das  „Land 
Budissin"  das  Interdikt  verhängt  infolge  von  Streitigkeiten 


10)  Cod.  dipl.  Sax.  reg-.  TT.  1.  07  n.  109. 

")  T:!)('U(his.    IL    1,    100.     ürüiihayi'ii,    Sdilesische  Kcyesteii 
Autl.)  I.  Ni'.  420.  452. 

1-)  Cod.  di])!.  Sax.  roi>-.  IL  1,  106 Hg'.     Beyer,  Alt-Zello,  S.  54L 
i»j  Cod.  dipl.  Sax.  reg.  IL  1.  115.  122. 133. 135.  Beyer,  S.  54H.  54&. 


22  Henuami  Kuotlie: 

zwischen  dem  Könige  und  dem  neuen  ßiscliofc  von 
Olniütz.  Nun  hatten  „die  Geistliclien  des  Landes  Budissiu 
aus  Furcht  vor  dem  Könige  auch  während  des  Inter- 
dikts" den  Kirchendienst  fortgesetzt  und  waren  somit 
selbst  dem  Interdikt  verfallen.  Als  aber  jener  Streit 
ausgeglichen  worden  war,  verwendete  sich  der  König 
selbst  bei  Papst  Innocenz  IV.,  und  so  „befahl  dieser  [1247] 
dem  Bischöfe  von  Olmütz,  jene  Kleriker  wieder  zu  dis- 
pensieren"^^). 

Nachfolger  von  Propst  Ulrich  war  mhidestens  in  der 
Zeit  von  1255 — 1272  ein  Siefried,  den  wir  ebenfalls 
nur  aus  den  Urkunden  des  Bistums  Meilsen  kennen'"'). 
Auch  er  dürfte  bei  seiner  amtlichen  Wirksamkeit  in  der 
Oberlausitz  mit  mancherlei  Schwierigkeiten  zu  kämpfen 
gehal)t  haben.  Seit  12(38  war  die  Oberlausitz  von  ihren 
damaligen  Landesherren,  den  Markgrafen  von  Branden- 
burg aus  dem  Hause  Askanien,  in  eine  westliche  und 
eine  östliche  Hälfte,  das  „Land  Budissiu"  und  das  „Land 
Görlitz",  geteilt  worden.  Die  markgräflichen  Vögte  in 
ersterem,  Ritter  aus  der  Mark  Brandenburg,  hatten  rück- 
sichtslos das  Interesse  ihrer  Herren  geltend  gemacht  und 
z.  B.  die  Obergerichtsbarkeit  auch  auf  den  ausgedehnten 
Gebieten  des  Bistums  Meifsen  innerhalb  der  01)erlausitz 
für  sich  in  Anspruch  genommen  und  ebenso  der  Er- 
hebung von  Abgaben  an  den  Landesbischof  von  allem 
neu  urbar  gemachten  Grund  und  Boden  („Neulandzehnt") 
sich  widersetzt.  Infolgedessen  war  abermals,  jetzt  jeden- 
falls durch  den  Meiisner  Bischof,  über  die  gesamte  westliche 
Landeshälfte  das  Interdikt  verhängt  worden.  Da  wurden 
endlich  die  Streitfragen  durch  eine  Kommission  oberlau- 
sitzischer  und  märkischer  Ritter  eingehend  untersucht 
und  dahin  entschieden,  dafs  den  Markgrafen  nur  auf  sechs 
bischöflichen  Dörfern  die  Obergerichte  zuständig  seien, 
und  dals  auch  von  dem  Neulande  der  Zehnt  dem  Bischöfe 
in  der  That  zukomme.  In  den  von  Bischof  Withego  und 
Markgraf  Johann  persönlich  hierüber  in  Bautzen  aus- 
getauschten Urkunden  (vom  21.  Januar  1272)  findet  sich 
unter  den  Zeugen  natürlich  auch  der  Name  des  Propst 
Siefried  1«). 


^^)  Erljeu,  Keg-.  boli.  S.  549.  l'alacky,  Geschichte  von  J>ühmeii, 
IL  1,  125  flg. 

i'O  Cod.  (lipl.  Sax.  reg.  II.  1.  148.  164;  IL  4,  9;  IL  7,  4. 

Iß)  Cod.  dipl.  Sax.  reg.  IL  1,  174flg.  Cod.  Lus.  S.  99  u.  An- 
hang S.  78. 


Die  Pröpste  des  KoUegiatstifts  St.  Pi'tri  zu  Bautzen.        23 

Ihm  folgte  Theodericli  (Tylinaim,  Tilmaiiu)  v.  Tiir- 
gowe  (1276—1299)  aus  einem  alten  meilsnischen  Adels- 
geschleclit,  der  erste,  von  welchem  wir  nun  auch  seineu 
Familiennamen  erfahren.  Seit  1272  Avar  er  Scholastikus 
des  Domstifts  Meilsen.  Er  muls  ein  sehr  ansehnliches 
persönliches  Vermögen  besessen  haben;  so  erkaufte  er 
1281  mehrere  Hufen  zu  Kaufbach  bei  Wilsdruif,  1282 
12^/2  Hufen  zu  Sahlassan  bei  Strehla  und  1288  abermals 
11^2  Hufen  in  demselben  Dorfe,  1285  32  Schillinge  Zins 
in  verschiedenen  Ortschaften.  Von  diesen  Eenten  stiftete 
er  „zu  seinem  Seelenheile"  zwei  ewige  Vikarien  an  Al- 
tären der  Domkirche  zu  Meilsen.  In  seinem  Testamente 
aber  setzte  er  Legate  für  nicht  weniger  als  14  Klöster 
aus  und  vermachte  Verwandten  und  Freunden  seine 
reichen  geistlichen  Gewänder,  seine  Ringe  und  Trink- 
gefäfse,  sowie  seinen  sonstigen  kostbaren  Hausrat. 
Das  Domstift  Bautzen  dagegen  wurde  nur  mit  einem 
Buche  (missale  dominicale)  bedacht  ^"^j.  Von  seiner 
Wirksamkeit  in  der  Oberlausitz  erfahren  wir,  dals  er 
1281  nebst  dem  Bautzner  Kapitel  für  dasselbe  4  Hufen 
zu  Bischdorf  erwarb,  dals  er  (bis  1284)  mit  dem  (früheren) 
Landvogt  Ulrich  Schaff  (Ovis)  Streit  gehabt,  da  dieser 
von  seinem  Gute  Königsteich  in  Niederkaina  bei  Bautzen 
jahrelang  den  dem  Domstift-e  zukommenden  ,, vollen  Zehnt'' 
nicht  entrichtet  hatte,  dafs  (129;-))  die  Rechte  und  Pflichten 
eines  Pfarrers  an  der  neuerbauten  Marienkirche  zu  Bautzen 
festzustellen  waren,  und  dafs  er  nebst  seinem  Kapitel 
mit  den  Franziskanern  zu  Bautzen  in  sehr  ernste  Händel 
geraten  war,  die  sogar  zu  gegenseitigen  Bannflüchen  ge- 
führt hatten,  bis  endlich  (1295)  ein  Schiedsgericht  die- 
selben gütlich  beilegte"^).  —  Von  Bautzner  Domherren 
sind  uns  in  dieser  Zeit  begegnet:  1281  Dekan  Gottfried  und 
Scholastikus  Heinrich,  1283  Dekan  Theoderich,  1293 
Dekan  Petrus  nebst  den  Kapitularen  Heinko  v.  Kazow, 
Otto  Weils  (Albus),  Thiliko  und  Pfarrer  Konrad. 

Nach  Theoderich  v.  Turgowe,  der  im  Dom  zu  Meilsen 
begraben  liegt,  finden  wir  in  den  Jahren  1305 — 1313  als 
Propst  von  Bautzen  Konrad  v.  S freie  aus  enier  ur- 
sprünglich meilsnischen,  schon  damals  aber  besonders  in 
der  Niederlausitz  begüterten  Familie.  Wir  kennen  ihn 
nur   aus   Urkunden   des  Bistums  Meifsen,   in    denen    er, 


")  Cod.  dipl.  Sax.  reg.  IT.  1.257.     Cod.  Lus.  Anhang  S.  90. 
'^)  Cod.  Lus.  S.  105.  118.  120.  135.  137.  150. 


24  Hermann  Knothe : 

meist  als  Zeuge,  vorkommt.  Später  (1322)  war  er  Senior 
von  Meilsen,  1325—1340  Propst  von  Würzen,  1342—49 
Propst  zu  Meilsen,  wo  er  auch  begraben  liegt. 

Ihm  war  in  Bautzen  gefolgt  Bernhard  v.  Leipa 
(1314—1318),  von  dem  wir  nicht  zu  entscheiden  wagen, 
ob  er  ein  Sprofs  jenes  altberühmten  böhmischen  Herren- 
geschlechts war,  das  sich  anfangs,  als  Inhaber  der  Herr- 
schaft Zittau,  „Herren  v.  Zittau",  später  nach  der  Herr- 
schaft (Böhmisch-)  Leipa  „Herren  v.  Leipa"  nannte. 
Bischof  Withego  II.  von  Meilsen  Ijezeichnet  ihn  als  seineu 
OnkeP'-'),  was  mindestens  auf  vornehme  Abkunft  deutet; 
aber  weder  in  den  Stammljäumen  der  Familie  v.  Leipa 
noch  sonst  in  böhmischen  Urkunden  ist  uns  dieser  Bern- 
hard jemals  vorgekommen.  Domherr  von  Meilsen  war 
er  bereits  1312.  Als  Propst  von  Bautzen  erkaufte  er 
1314  für  sein  Stift  von  Bischof  Withego  dessen  Bischofs- 
zehnten „bei  Bautzen"  und  1314  für  ebendasselbe  vom 
Ritter  Hecelin  v.  Kunewalde  das  Dorf  Schönbach  (S.  v. 
Kunewalde),  sowie  Zhis  in  Kunewalde  selbst.  Aus  eignen 
Mitteln  hatte  er  eine  neue  Präbende  „der  Marienkapelle 
auf  dem  Schlosse  Bautzen"  gestiftet,  welcher  später  (1327) 
sein  Freund,  der  Ritter  Albert  v.  Nostitz  auf  PlielskoAvitz, 
auch  noch  das  ihm  zustehende  Patronatsrecht  über  die- 
selbe schenkungsweise  überwies"-'*).  Auch  unter  seiner 
Amtsführung  scheint  das  Bautzner  Domstift  von  den 
markgräfliclien  Beamten  mancherlei  Drangsal  zu  er- 
dulden gehabt  zu  haben.  1318  befahl  Markgraf  AVolde- 
niar  seinem  neuen  Vogte,  Cristan  v.  Gersdorff,  die  Kapi- 
tularen  und  alle  Güter  derselben  in  treuen  Schutz  zu 
nehmen  und  nicht  zu  gestatten,  dais  irgend  jemand  sie 
durch  Wort  oder  That  zu  belästigen  sich  unterstehe,  viel- 
mehr alle  dem  Stifte  Zinspflichtigen  zu  pünktlicher  Ab- 
entrichtung  bei  strengen  Strafen  anzuhalten.  Zugleich 
verlieh  er  für  die  Güter  des  Domstifts,  „damit  sie  nicht 
gänzlich  zu  Grunde  gerichtet  würden  (desolentur)",  auf 
sechs  Jahre  Befreiung  von  allen  landesherilichen  Ab- 
gaben-^). Dafs  Propst  Bernhard  auch  bei  der  Bautzner 
Bürgerschaft  beliebt  war,  geht  daraus  hervor,  dafs  1318 
(G.  Juli)  der  Rat  „aus  Gunst  und  auf  Wunsch  des  ver- 
storbenen Propstes  Bernhard  v.  Leipa"    eine   von   dem 


i*»)  Cod.  Lm.  S.  267. 

20)  Ebeuflas.  S.  206.  213.  264. 

2»)  Ebendas.  S.  225  Üy. 


Die  Pröpste  des  KoUegiatstifts  St.  Petri  zu  Bautzen.        25 

Domkapitel  aiifserlialb  der  Stadt  erbaute  Kurie  vom  Stadt- 
recht und  somit  aucli  von  allen  städtischen  Abgaben  be- 
freite'--). 1317  hatte  das  Kapitel  festgesetzt,  dals, 
wenn  eine  der  „grölseren  Präbenden"  vakant  würde,  die 
älteren  Kanoniker,  aber  innerhalb  der  nächsten  vier  Tage, 
sich  dieselbe  anstatt  ihrer  bisherigen  wählen  dürften, 
während  sie  sonst  an  den  dem  Range  nach  nächsten 
Domherrn  falle ■-■^).  —  Als  Dekane  werden  in  dieser  Zeit: 
1314  Theodorich,  1317  Friedrich,  in  letzterem  Jahre  auch 
Konrad  als  Kustos  und  Domherr  Hermann  erwähnt.  — 

Als  neuer  Propst  erscheint  1319 — 1324  Reinhard 
von  (d.  h.  aus)  Guben.  Von  seinen  Personalverhältnissen 
wissen  wir  nur,  dals  er  schon  1299  Domherr  zu  Meifsen 
war,  und  dals  er  als  ein  Onkel  des  früheren  Bautzner  Prop- 
stes Theoderich  v.  Turgowe  bezeichnet  Avird.  Ein  Vetter 
(patruus)  von  ihm,  der  nachmalige  Meiisner  Dekan  Hein- 
rich von  Guben,  stiftete  ihm  132G  und  abermals  1352  (neben 
seinen  eignen  Eltern)  ein  Jahresgedächtnis  daselbst-^). 
Er  selber  hatte  für  das  Domstift  Meifsen  1314  eine  neue 
Vikarie  des  Apostel  Jakobus  und  des  heiligen  Georg  er- 
richtet, 1319  die  Dörfer  Rodewitz  und  Klessig  „zu  Er- 
w^eiterung  des  Kultus"  erworben  und  noch  1320  das  Ein- 
kommen zweier  Vikarien  durch  Zinskäufe  verl)essert. 
Von  seiner  Thätigkeit  an  der  Kirche  zu  Bautzen  hal)en  wir 
keinerlei  Spuren  gefunden.     Begraben  ist  er  in  Meilsen. 

Ihm  folgte  als  Propst  Hermann  von  Freiberg 
(1324—1342),  der  früher  Pfarrer  an  der  St.  Nikolai- 
kirche zu  Freiberg  gewesen  war  und  bereits  1320  als 
Meifsner  Domherr  genannt  AA'ird.  Unter  seiner  Amts- 
führung hatte  ein  Bautzner  Domherr,  Nikolaus  v.  Kem- 
nitz,  wahrscheinlich  ein  Sprofs  der  Familie  v.  Gersdortf-"*) 
aus  dem  Hause  Kemnitz  (SO.  von  Löbau),  gemeinschaft- 
lich mit  „seinen  Freunden"  zwei  neue  Benefizien  aus 
eignen  Mitteln  gestiftet,  welche  Bischof  Withego  1324 
l)estätigte,  und  zu  deren  Dotation  König  Joliann  von 
Böhmen,  als  Landesherr,  18  Mark  Rente  auf  Landgütern 
zu  erwerben  erlaubte.  "Wir  wissen  nicht,  ob  es  noch 
auiserdem  ein  neuer  Altar  war,  welchen  derselbe  Nikolaus 
V.  Kemnitz  mit  24  Talent  Jahreszins  gegründet  hatte, 


Ö 


2")  Copiale  magnum  pag.  35  im  Doinarcliiv  Bautzen. 
2")  Cod.  Lus.  S.  216. 

2')  Cod.   dipl.   Sax.   reg.    Jl.  1.  303.  2.Ö8.  320.  384.     Märcker 
Die  Bnrgtirafen  v.  Meifsen,  S.  182  Aniii. 

-■')  Kiiiitlie,  Geschichte  des  üherhiusitzer  Adels,  S.  l'JT. 


26  Hermann  Knotlie: 

und  für  welchen  er  1324  seine  beiden  „Onkel*',  namens 
Nikolaus  und  Johannes,  präsentierte-*^).  In  denisellien 
Jahre  1327  nahm  das  Bautzner  Kapitel  den  Pfarrer  Otto 
von  Jauernik  als  Domherrn  auf  und  iil)ertrug  ihm  die  ohen- 
erwälmte  Prähende  der  Marienkapelle  auf  dem  Schlots, 
welche  dieser  Otto  noch  aufgebessert  hatte.  Nach  dessen 
Tode  erbat  sich  ein  gewisser  Hermann  Schatz  (Thesauri) 
aus  der  Diöcese  Baml)erg,  Notar  bei  König  Johann,  diese 
Präbende  vom  König,  indem  er  denselben  noch  als  den 
Kollator  dersel1)en  betrachtete.  Das  Kapitel  aber  hatte 
sie  inzwischen  schon  dem  Kanonikus  Nikolaus  Eberhard 
überwiesen.  In  dem  hierauf  zwischen  Eberhard  und  Her- 
mami entstandenen  Prozesse  stellte  sich  sofort  heraus, 
dals  das  Patronatsrecht  über  jene  Präbende  nicht  dem 
König,  sondern  dem  Domstift  znstehe,  und  so  ward  die- 
selbe 1339  dem  Eberhard  definitiv  zugesprochen-').  Un- 
mittelbar darauf  begab  sich  letzterer  auf  die  Universität 
Bologna,  um  dort  Rechtswissenschaft  zu  studieren.  1340 
ward  ,. dominus  Nicolaus  Eberhardi  de  Bndesin"  bei  der 
,. deutschen  Nation"  daselbst  inskribiert  und  1344  zu  einem 
der  „Prokuratoren''  (d.  h.  Rektoren)  derselben  erwählt-^). 
—  Von  sonstigen  Kanonikern  zu  Bautzen  haben  wir 
während  dieser  Zeit  noch  den  schon  1317  genannten 
Dekan  Friedrich  und  den  Kustos  Paulus  (1327)  vorge- 
funden. Propst  Hermann  starb  1312  und  liegt  zu  Meilsen 
begraben. 

Als  neuer  Propst  erscheint  in  den  Jahren  1343  bis 
1358  Albert  Knut,  „Albert  Knuts  Sohn",  aus  altmeits- 
nischem,  ritterlichem  Geschlecht,  welcher  1337  ebenfalls 
zu  Bologna  studiert  hatte -^).  In  die  Zeit  seiner  Amts- 
führung fallen  eine  Reihe  für  die  Kirche  Bautzen  nicht 
unwichtiger  Ereignisse.  1343  gründete  der  Kanonikus 
Heydanus  einen  neuen  (nicht  näher  bezeichneten)  Altar 
mit  8  Mark  Einkünften.  1345  wurde  ein  umständlicher 
Prozess  zwischen  dem  Kapitel  und  dem  Konvent  der 
Bautzner  Franziskaner,  die  sich  weigerten,  von  den  Be- 
gräbnisgebühren der  in  ihrer  Kirche  bestatteten  Bürger 


-«)  Cod.  Lus.  S.  256.  258.  290. 

2')  Ebendas.  S.  2fi7.  331.  337. 

-*)  E.  Friedländer,  Acta  nationis  Germanicae  nniversitatis 
Bonouensis  (1887),  S.  102.  107. 

^^)  Ebendas.  S.  99 :  All)ertus  dictus  Knnten  de  Myssena  ejusdem 
diocesis. 


Die  Pröpste  des  Kolleg-iatstifts  St.  l'etii  zu  Bautzen.        27 

und  Adeligen  vom  Lande  den  dritten  Teil,  als  portio 
caiionica,  an  den  Pfarrer  zu  entiicliten,  zu  Gunsten  des 
letzteren  entschieden.  1350  dotierte  der  Kustos  Synion 
die  Leprosenkapelle  vor  der  Stadt  mit  soviel  Einkonunen, 
dals  daran  ein  l)esonderer  Kaplan  gehalten  werden  konnte. 
1855  seliuf  das  gesamte  Kapitel  eine  neue  Präbende, 
nämlich  die  Kantorei,  imd  wies  derselben  die  Einkünfte 
der  Pfarrei  Kunewalde  und  das  Patronatsrecht  über  die 
Kirche  zu  Beiersdorf  (nicht  Gersdorf)  zu •■**).  Endlich 
Avurden  l)ereits  unter  Propst  Albert  jene  ersten  ^Statuten 
des  Kollegiatstifts  Bautzen  ausgearbeitet,  welche  erst 
unter  dem  folgenden  Propste  durch  Bischof  Konrad  (1372) 
l)estätigt  wurden  und  nach  diesem  die  „Konradischen'" 
heifsen"'').  Aus  diesen  Statuten  lernen  wir  auch  die 
jS^amen  der  sämtlichen  in  der  letzten  Zeit  von  I*ropst 
Alberts  Amtsthätigkeit  (es  ist  kein  Jahr  angegel)en)  das 
Bautzner  Kapitel  bildenden  Domherren.  Es  sind  aufser 
dem  Propst:  Nikolaus  Dekan,  Theodor  von  Gijda,  Nikolaus 
doctor  decretorum,  Johannes  Czobko,  Heinrich  von  Bres- 
lau, Bohuslav  Pfarrer,  Eulko  von  Bischofswerde,  Johann 
V.  Caldenborn,  Johann  v.  Kopperitz,  Zacharias  Luciä. ' 

Es  dürfte  der  eljengenannte  Dekan  Nikolaus  gewesen 
sein,  der  1359  von  Papst  Innocenz  Vf.  den  Auftrag  erhielt, 
diejenigen  Besitzungen  des  Domstifts  Meilisen,  welche 
„unerlaubter  Weise  demselben  entfremdet  worden  seien", 
wieder  in  das  Eigentum  des  Stifts  zurückzubringen  und 
alle  diejenigen,  welche  sich  dem  widersetzen  würden, 
., durch  die  kirchliche  Zensur"  endgültig  dazu  zu  zwingen"-). 
Der  ebenfalls  hier  aufgeführte  Pfarrer  Bohuslav  (Bo- 
husius)  aber  war  zum  ständigen  Exekutor  des  Magde- 
l)urgor  Konzils  für  das  Bistum  Meilisen  ernannt  und  that 
als  solcher  z.  B.  1351  einen  „Scheid"  zwischen  mehreren 
Vikaren  des  Domstifts  Meilsen  und  einzelnen  Meilsner 
Bürgern,  welche  ihnen  Jahreszins  zu  zahlen  hatten,  ihn 
aber  nicht  entrichteten.  Er  entschied  zu  Gunsten  der 
Vikare"').     Der    ebenfalls    genannte   Johann  v.  C'alden- 


30)  Cod.  Lus.  S.  346.  347.  Matricula  ecdesiae  l'.ud.  11.  lol.  XXV. 
]Manuskri])t  des  Doinardiivs.  Lil)ev  fuudatioiiuiii  pai.;-.  143,  desgl. 
Urkunden -Verzeichnis  T.  62,  Nr.  312. 

''M  Gedruckt:  F.  P|rili()usky],  Statuten  des  Kolkgiat.stifts  St. 
Petri  zu  Budissin  (1858),  S.  5. 

■■'''-)  Cod.  dipl,  Sax.  reg.  IL  2,  18. 

■")  H.-St.-A.  „Urkunden -Al)S(lirit'ten  aus  dem  (Trofson  Ardiiv 
des  Stifts  Meifsen".    I.  Bd.  2.  Abt.  Nr.  297. 


28  Herinauu  Knothe: 

1)0111,  der  1340  noch  Notar  des  Bischof  Withego  von 
Meiisen  nnd  zugleich  Pfarrer  zu  Belgern  gewesen  war^^), 
wurde  der  erste  Domherr  Kantor  zu  Bautzen.  Er  stiftete 
1367  nach  dem  Tode  seines  Freundes,  des  auch  schon 
erwähnten  Theodor  von  Göda,  demselben  ein  Jahresgedächt- 
nis in  der  Bautzner  Doinkirche  und  gründete  darin  1383 
einen  neuen  Altar  ,,der  Dornenkrone  Christi".  Zu  diesem 
Zweck  erkaufte  er  unter  anderem  5  Mark  18  Groschen 
Jahreszins  auf  „13  Mann"  im  Dorfe  Göda  und  aufserdem 
noch  ein  zu  Eii)e  liegendes  Bauergut  daselbst.  Seitdem 
gehörte  dieser  Anteil  von  Göda  dem  Domstift,  und  der 
jedesmalige  Domherr  Kantor  hatte,  als  Gerichtsherr  dar- 
über, die  Befugnis,  dreimal  im  Jahre  Gerichtstag  da- 
selbst zu  halten,  wobei  er  selbst  oder  sem  Vertreter  von 
der  kleinen  Gemeinde  in  Speis  und  Trank  freigehalten 
werden  mulste  ■^•"').  —  Bulko  von  Bischofswerde  stammte 
aus  einer  schon  1282  vorkommenden  Bautzner  Patrizier- 
familie,  deren  Ahnherr  einst  aus  Bischofswerde  eingewan- 
dert war'^*^). 

Von  1362  bis  1367  erscheint  All)ert  Knut  als  Propst 
zu  Meiisen;  er  soll  daneben  auch  die  Propstei  Bautzen 
bis  zu  seinem  Tode  innegehabt  haben.  In  diesem 
Falle  würde  unter  seine  Amtsführung  auch  noch  die 
sogenannte  Concordia  Carolina  von  1364,  d.  h.  ein 
von  mehreren  Bischöfen  zwischen  Kapitel  und  Rat  zu 
Bautzen  vereinbarter  und  von  Kaiser  Karl  IV.  bestätigter 
Vergleich  fallen.  Diesem  zufolge  sollte  das  Kapitel  den 
Schulmeister,  der  Rat  al)er  den  Kiixhvater,  jedoch  „mit 
Zustimmung  des  Kapitels"  erwählen;  die  Opfer  auf  dem 
Altare  des  Hospitals  sollten  dem  Kapitel,  die  „auf  dem 
Kreuz"  daselbst  aber  dem  Altaristen  oder  den  Kranken 
gehören;  das  Glockenläuten  sollte  dem  Kapitel,  das  Läuten 
der  grolsen  Glocke  aber  dem  Kirchvater  zustehen  u.  s.  w.""'). 

Auf  Albert  Knut,  der  in  Meiisen  begraben  liegt,  folgte 
seit  1367  Konrad  v.  Wall  hausen  aus  dem  thüringischen 
Geschlechte  derer  v.  Kirchberg.  Derselbe  war  eine  Zeit 
lang  Kanzler  des  Markgrafen  Friedrich  des  Strengen, 
seit  1350  al)er  Domherr  zu  Meiisen  und  seit  1357  Propst 


3^)  Schöttgen.  Historie  der  Stiftsstadt  Wiirzcu  (1717).  S.  154. 

'■^'')  \.  Webers  Archiv  f.  d.  säclis.  Geschichte  V,  104:  ..Geschichte 
der  Pfarrei  Göda". 

^'^)  Vgl.  über  dieselbe  .,  Sonntags-Extrabeilage  zu  den  Bautzner 
Nachrichten".     1886.  Xr.  3.' 

»^)  Urkunden-Verzeichnis  I.  80,  Nr.  395. 


Die  Pröpste  des  Kollegiatstifts  St.  Petri  zu  Bautzen.        29 

ZU  Hain  gewesen.  1367  bestätigte  er  samt  dem  Dekan 
Riilko  und  dem  ganzen  Kapitel  zu  Bautzen  das  von  dem 
Kantor  Johann  v.  Caldenborn  gestiftete  Anniversar  für 
Theodor  von  Güda  •'"*).  Mit  diesem  Dekan  Eulko  hatte  er 
langwierige  Streitigkeiten  wegen  der  kirchlichen  Juris- 
diktion über  die  Laien  in  der  Stadt  Bautzen  und  auf  den 
einzelnen  Stiftsdörfern,  Avelche  der  Dekan  für  sich  in  An:= 
Spruch  nahm,  Streitigkeiten,  die  erst  1373,  nachdem  Kon- 
rad V.  Wallhausen  (1376)  als  Konrad  II.  den  bischöflichen 
Stuhl  zu  Meifsen  bestiegen  hatte,  zur  Entscheidung  ge- 
langten. El'  starb  1375  und  liegt  ebenfalls  im  Dom  zu 
Meilsen  begraben. 

Von  seinem  Nachfolger,  Theodor  v.  Capellendorf, 
wissen  wir  nur,  dais  er  in  Urkunden  des  Hochstifts 
Meilsen  seit  1347  als  Domherr  zu  Meilsen,  1371  (19.  März) 
als  Propst  zu  Bautzen''''),  seit  1380  aber  als  Archidia- 
,  konus  der  Niederlausitz  bezeichnet  wird.  Er  starb  1383 
und  liegt  in  Meifsen  l)egraben. 

Noch  in  demselben  Jahre  1371  (13.  Dezember)  finden 
wir  bereits  wieder  einen  neuen  Propst  von  Bautzen, 
Konrad  Pruze,  aus  einem  thüringischen  Geschlecht, 
dem  lange  Zeit  das  grolse  Gut  Treffurt  gehih-te.  Er 
war  1347  „oberster  Schreiber"  Markgraf  Friedrichs  des 
Strengen,  seit  1353  Domherr  zu  Meilsen,  1358  Propst  zu 
Hain,  1362—1371  (25.  März)  Archidiakonus  der  Nieder- 
lausitz gewesen  und  blieb  nun  Bautzner  Propst  von  1371 
bis  1381.  Unter  ihm  fand  1372'")  die  Bestätigung  der 
Statuten  des  Bautzner  Kollegiatstifts,  welche  wir  sclion 
erwälmten,  durch  Bischof  Konrad  II.  statt,  Avobei  als  da- 
malige Mitglieder  des  Kapitels  Dekan  Rulko  [  von  Bischofs- 
werde],  Heinrich  Porsche  [„Porschin"],  Ramfold  v.  Po- 
lenz,  Johann  v.  Kopperitz,  Johann  Punzel  [Ponczelinil 
und  der  Kustos  Heinrich  von  Biscliofsweide  genannt 
werden.  Trotz  dieser  Statuten  dauerten  zwischen  Propst 
und  Dekan  die  bereits  angedeuteten  Streitigkeiten  wegen 
der  kiichliclien  Jurisdiktion  fort.  Schon  der  Propst 
Konrad  v.  Wallhausen  hatte  die  Streitsache  bis  an  die 
})äpstliclie  Kurie  gebracht,  wo  sie  noch  anhängig  A\ar. 
Da  bemühte  er  sicli  jetzt,  naclidem  er  Bischof  von  Meilsen 
geworden  war,  sie  selbst,  gütlich  beizulegen,   um  weitere 


"**)  Urkunde  des  Doniarchivs. 

-")  Cod.  dii)l,  Sax.  reg.  IL  2,  114. 

•"*)  F.  P.,  Statuten  des  Kidley-intstitl.^^  etc.  S. 


30  Heniiani)  Knotlie: 

Prozefskosten  zu  vermeiden.  Er  berief  zu  diesem  Zweck 
die  Parteieu,  den  Propst  Konrad  Pruze  und  den  Dekan 
Rulko,  vor  sich  nach  Altzelle.  Hier  liefs  er  sich  zuerst 
von  beiden  als  Schiedsrichter  anerkennen,  und  nun  ent- 
schied er  am  27.  März  1373  dahin,  dai's  jene  Jurisdiktion 
dem  Propste,  als  Archidiakonus  der  Oberlausitz,  von 
jeher  zuständig  gewesen  sei  und  noch  zustehe.  Auch  über 
einige  andere  minder  wichtige  Punkte  traf  er  Entschei- 
dung^^). 1377  bestätigte  Propst  Konrad  die  pfarr- 
amtlichen Rechte  und  Einkünfte  des  Pfarrers  Leuther 
V.  Hoendorf  zu  Göda,  bei  welcher  Gelegenheit  zum  ersten- 
male  ein  Official  des  Propstes  erwähnt  wird^-).  Propst 
Konrad  stiftete  von  mehreren  aus  eigenen  Mitteln  er- 
worbenen Zinsen  in  dem  Dome  von  Meilsen  eine  solenne 
Feier  der  Oktave  des  Apostel  Johannes  und  des  Bischof 
Donatus,  als  der  beiden  Schutzheiligen  der  Meilsnischen 
Kirche'-^). 

Der  (1372)  unter  den  Bautzner  Domherren  erwähnte 
Ramfold  v.  Polenz  war  (schon  1371)  zugleich  Domherr 
von  Meilsen  und  während  der  Sedisvakanz  nach  dem 
Tode  des  Bischofs  Nikolaus  I.  (1385)  einer  der  Bistums- 
administratoren. Er  stiftete  (1389)  im  Meilsner  Dome 
eine  Feier  des  Tages  Fabian  und  Sebastian ^^),  soll  erst 
1403  gestorben  sein  und  liegt  in  Meilsen  begraben.  — 
1368  wurde  dominus  Hermannus  de  Budissin,  canonicus 
Budissinensis ,  den  wir  sonst  nicht  erwähnt  gefunden 
haben,  auf  der  Universität  zu  Bologna  inskribiert*'^). 

Wir  wissen  weder,  bis  wann  Konrad  Pruze,  noch 
seit  wann  der  auf  ihn  folgende  Theoderich  v.  Goch 
Propst  von  Bautzen  gewesen  isf").  Er  stammte  aus 
einer  Familie,  von  welcher  im  Laufe  der  Zeit  viele  Glieder 
dem  Meilsner  Domstift  als  Geistliche  angehört  haben, 
und  dürfte  doch  wohl  identisch  sein  mit  dem  „Theoderi- 
cus  de  Goch",  der  1367  auf  der  Universität  Bologna  als 
Student  der  Rech.tswissenschaft  inskribiert  wurde*').    Er 


'")  Oriainalurkunde  im  Arcliiv  des  Meifsner  Doinstit'ts  (jetzt 
als  Depositum  im  Hanptstaatsarcliiv  zu  Dresden). 

'2)  G  e  r  c  k  e  n ,  Stolpeu,  S.  5H9. 

4«)  Cod.  dipl.  Sax.  reg.  II.  2,  128. 

4*)  Ebemlas.  236. 

•*•'■')  Frie dl  ander,  Acta  nationis  Germanicae  etc.  S.  131. 

^«)  Machatschek,  Gescliidite  der  Biscliöfe  des  Hochstifts 
Meifsen.  S.  335  sagt,  Goch  sei  es  schon  1382  gewesen,  und  nennt  ihn 
S.  27R  „mag.  medic."  (?). 

'')  Fricdl  ander  a.  a.  0.,  S.  129. 


Die  Pröpste  des  Kollegiatstifts  St.  Petri  zu  Bautzen.        3i 

hatte  später  dem  Erzbischof  von  Mainz,  einem  Bruder 
der  Meilsner  Markgrafen  Friedrich  und  AVilhelm,  gewisse 
uns  nicht  bekannte  Dienste  geleistet  und  erhielt  deshalb 
von  letzteren  1377,  als  Scholastikus  zu  Meilsen,  für  das 
zu  seiner  Präbende  gehörige  Dorf  Pesterwitz  Befreiung 
von  gewissen  Verpflichtungen  gegen  die  markgräflichen 
Vögte.  1390  wird  er  als  Dekan  zu  Naumburg  und  1404, 
zu  derselben  Zeit,  wo  er  auch  Propst  von  Bautzen  war, 
als  „thesaurarius"  des  Domkapitels  zu  Naumburg  be- 
zeichnet"'-). Nach  dem  Tode  des  Meifsner  Bischofs  Niko- 
laus I.  (1393)  hatte  ihn  das  Kapitel  zum  Bischof  erwählt, 
und  so  wird  er  denn  in  der  That  in  einer  Urkunde  w  äh- 
rend  der  Sedisvakanz  unter  den  Zeugen  als  „electus" 
aufgeführte^).  Allein  er  erhielt,  man  weils  nicht  weshalb, 
die  päpstliche  Bestätigung  nicht,  und  so  wurde  statt  seiner 
Johann  III.  v.  Kittlitz  Bischof  von  Meilsen. 

Als  Propst  von  Bautzen  haben  wir  Theoderich  v.  Goch 
mit  Sicherheit  von  1393  bis  1405  gefunden.  In  ersterem 
Jahre  erliefs  er  samt  seinem  Kapitel  (dem  Dekan  Hein- 
rich [Porsche],  Johann  Punzel,  Nikolaus  Schiütze  [Scul- 
teti],  Johann  Stelcz,  Pfarrer  Albert  v.  Kopperitz,  Hein- 
rich Freiberg)  ein  Statut,  betreffend  die  von  den  einzelnen 
Domherren  bewohnten  Kapitelhäuser.  Danach  sollte  nach 
dem  Tode  oder  dem  AVegzuge  eüies  Domherrn  dessen 
Kurie  zur  Disposition  des  Kapitels  stehen  und  von  diesem 
an  einen  andern  Domherrn  verkauft  werden,  w^obei  den 
älteren  das  Vorkaufsrecht  vor  den  jüngeren  zustehe"''*). 
1394  bezeugte  er,  dals  der  Dekan  Heinrich  Porsche 
(„Porschin")  eine  neue  Vikarie  mit  20  Mark  Jahresein- 
kommen für  das  Altar  des  heiligen  Nikolaus  letztwillig 
zu  stiften  willens  sei''^).  Zuletzt  ist  er  uns  1405  in  einer 
Meifsner  Urkunde  als  Zeuge  vorgekommen "'"-). 

Wir  wissen  nicht,  ob  schon  unter  ihm  oder  noch 
unter  seinem  Vorgänger  1391  eine  Rechtsfrage  von  dem 
Bischöfe  Nikolaus  I.  von  Meifsen  dahin  entschieden  wurde, 
dafs  von  den  einer  Kirche  durch  Testament  ausgesetzten 
Legaten  in  der  Pegel  die  eine  Hälfte  der  Kirche  selbst, 
die  andere  aber  dem  Pfarrer  an  derselben  zustehe,  und 
dafs    zumal    auch    die    Vermächtnisse    zu    Gunsten    des 


*s)  Cod.  dipl.  Sax.  reg-.  II.  2,  164.  251.  311. 

''0)  EbeiKlas.  If.  2,  2.Ö4. 

'■"')  F.  P.,  Statuten  etc.  S.  19. 

•'■'1)  Urkunde  im  Katsarchiv  Bautzen. 

S2)  Cod.  dipl.  Sax.  reg.  IL  2,  325. 


32  Hermann  Knothe: 

Kirclienbaues  in  Bautzen  (pro  fabrica  ecclesiae  Petri  in 
Biulissen)  stets  zwischen  den  dasigen  Domherren  und  den 
Kirchvätern  zu  teilen  seien"''"').  —  Der  mehrfach  erwähnte 
Dekan  Heinricli  Porsche  erkaufte  1399  von  Benes  von  der 
Dulje,  dem  damaligen  Besitzer  der  Herrschaft  Hoyers- 
werde,  dessen  Hof  auf  dem  Burglehn,  den  König  Wenzel 
dem  Domstifte  eignete  ^'^).  —  Als  1407  der  Bautzner 
Bürger  Hermann  aus  ühna  (bei  Kleinw^elka)  die  Kirche 
des  heiligen  Nikolaus  stiftete,  werden  als  Zeugen  von 
Seiten  des  Kapitels  aufgeführt  Heinrich  Preiberg  Kantor 
luid  Johann  lleichenbach  Kanonikus'*'"'). 

In  der  Zeit  von  1410—1416  erscheint  als  neuer 
Propst  zu  Bautzen  Johann  v.  Schleinitz,  doctor  de- 
cretorum,  der  schon  1405  Scholastikus  zu  Meilsen  war. 
1410  bestätigte  er  (nebst  dem  Pfarrer  Albert  v.  Koppe- 
ritz und  Walther  v.  Köckeritz),  dals  die  Marienbiiiderschaft 
zu  Bautzen  17  Mark  zu  einem  neuen  Altar  in  der  Dom- 
kirche gestiftet  habe,  und  erkaufte  1411  (nebst  dem 
Dekan  Heinrich  Pruze)  von  Bischof  Rudolph  von  Meifsen 
11  Schock  Groschen  Zins'"')  auf  der  bischöflichen  Stadt 
Jockrim  (Altstadt  bei  Stolpen).  1416  hatte  er  (nebst 
dem  Archidiakonus  der  Niederlausitz)  im  Auftrage  des 
Konzils  zu  Kostnitz  zu  untersuchen,  ob  ein  im  Jahre  1415 
an  nu^hreren  zum  Konzil  reisenden  (jreistlichen  verübter 
Stralsenraub,  wegen  dessen  über  die  Parochie  Göda  das 
Interdikt  verhängt  worden  ^\'ar,  wirklich  auf  dem  Gebiete 
oder  von  Parochianen  derselben  verübt  worden  sei.  Er 
konnte  die  Versicherung  des  Gödaer  Pfarrers,  Leuther 
V.  Hoendorf,  bestätigen,  dals  dies  keineswegs  der  Fall  sei, 
und  hob  daher  zufolge  der  ihm  erteilten  Vollmacht  das 
Interdikt  wieder  auf''').  Johann  v.  Schleinitz  erscheint 
1417  bis  1421  als  Propst  von  Meifsen,  wo  er  auch  be- 
graben liegt. 

Aulser  den  bereits  erwähnten  Kanonikern  zu  Bautzen 
während  seiner  Amtsführung  sind  noch  bekannt  Johann 
Tyle,  der  1410  mit  seinem  Bruder,  dem  Dresdner  Bürger 
Kaspar  Tyle,  seinen  Anteil  an  dem  Dorfe  Oberebersbach 
bei  Grolsenhain  an  das  Domstift  Meilsen  verkaufte,   und 


■''■)  Elienda^.  II.  2,  252. 
'■')  Urkunde  im  D^maichiv. 
■")  Machatschek,  Bischöfe,  S.  352%. 
^•")  (iercken,  Stolpen,  S.  581. 

■■')  Cod.  dipl.  Sax.  reg.  II.  2,436.    Vgl.  v.  Webers  Archiv  f.  d. 
Sachs,  (leschichto  V.  90. 


Die  Pröpste  des  KoUegiatstifts  St.  Petri  zu  Bautzen.        33 

der  Kustos  Johann  Gebese,  der  1415  ein  Legat  von 
10  Schock  Groschen  für  die  Armen  in  den  beiden  Hospi- 
tälern zu  Görlitz  aussetzte''^). 

Erst  1427  begegnen  wir  mit  Sicherheit  wieder  einem 
Propst  von  Bautzen,  nämlich  Theoderich  v,  Crucz- 
berg  (Kreuzberg),  der  schon  1410  Domherr  zu  Meilsen 
und  zwar  Inhaber  der  Präbende  der  „Obedienz"  war. 
Wir  wissen  von  ihm  nur,  dals  er  zur  Zeit  der  Hussiten- 
kriege, während  deren  auch  Bautzen  wiederholt  (1429  und 
1431)  belagert  wurde,  das  Amt  der  Propstei  verwaltete. 
Er  dürfte  sich  wahrscheinlich  sehr  wenig  in  Bautzen  auf- 
gehalten haben.  Von  seiner  amtlichen  Thätigkeit  wenig- 
stens ist  uns  gar  nichts  bekannt  geworden.  Und  mitten 
in  diesen  Kriegsnöten  sah  sich  die  Stadt  Bautzen  auch 
noch  von  dem  Interdikt  des  Landesbischofs,  Johanns  IV. 
(Hofmann)  von  Meilsen,  betroffen.  Die  Stadt  hatte  näm- 
nänüich  seit  1401  auf  königlichen  Befehl  130  Schock 
eigentlich  an  den  König  zu  zahlende  Jahresrente  jetzt 
an  das  Dom stift  Meilsen  zu  entrichten.  Dieser  Verpliicli- 
tung  konnte  sie  nach  der  Belagerung  und  teilweisen  Ein- 
äscherung im  Jahre  1429  augenblicklich  nicht  nachkom- 
men ;  das  etwa  aufzutreibende  Geld  mufste  zum  AVieder- 
aufbau  der  zerstörten  Häuser,  zur  Instandsetzung  der 
Stadtmauern  und  Wälle,  sowie  zur  Anwerbung  von  Söld- 
nern verwendet  werden.  Der  Rat  hatte  daher  den  Bischof 
um  Aufschub  der  Zahlung  gebeten.  Allein  derselbe 
drängte  und  drohte  mehr  und  mehr.  In  seiner  Not  hatte 
sich  der  Rat  endlich  an  Kaiser  Siegmund  gewendet  und 
dieser  die  Bitte  um  Stundung  bei  dem  Bischöfe  unterstützt. 
Dennoch  hatte  letzterer  die  Stadt  bannen,  die  Spendung 
der  Sakramente,  ja  sogar  die  (kirchliclu')  Bestattung  der 
Gestorbenen  verbieten  „lassen"  (wohl  durch  seinen  Weih- 
bischof). Da  drückte  auf  neue  Ivlage  des  liats  unter 
dem  1.  September  1431  Kaiser  Siegmund  dem  Bischöfe 
sein  entschiedenes  Mitsfallen  aus  und  „begehrte"  von  ihm, 
den  Bann  aufzuheben  und  sich  mit  der  Zahlung  der  Rente 
zu  gedulden"^'-').  Der  weitei-e  Verlauf  dieser  Angelegen- 
heit ist  nicht  bekannt.  Nach  dem  Kriege  ward  die  Rente 
natürlich  wieder   ausgezahlt.     Das   l'autzner  D(»iiik;i|iilt'l 


^•^)  Cod.  dipl.  Sax.  reg.  H.  2,  362.    Ui'kuihlcii-NCrz.'icliiii^  1.  181 
Nr.  938. 


■•")  Vi;-1.  diese  Zeits.lirift   V.  309 Ih 

Neues  Arcliiv   1'.  S    (!.  ii.   A.    \l.   1.  •,'. 


3 


34  Herniaiin  Kiintlie: 

dürfte   unter   dem   bischöflichen  Banne   ebenso   sehr   als 
Rat  und  Bürgerschaft  zu  leiden  gehabt  haben ''^). 

Auf  Dietrich  v.  Cruczberg,  der  1438  starb  und  im 
Dom  zu  Meiisen  begraben  ist,  folgte  als  Propst  Lam- 
pert  V.  Seehausen,  schon  1421  Meilsner  Kanonikus, 
damals  noch  licentiatus,  später  aber  doctor  decretorum, 
mindestens  1427—1432  Archidiakonus  der  Niederlausitz, 
von  14;j2  aber  bis  zu  seinem  1456  (13.  Dezember)  er- 
folgten Tode  Propst  zu  Bautzen.  Als  solcher  bat  er 
1432  den  Rat  von  Görlitz,  seinem  Offizial  (Mauritius 
von  Schönau)  ein  gewisses  Altarlehn  in  der  dortigen  Peters- 
kirclie  „für  diesmal"  zu  verleihen*'^).  Unter  ihm  wurde 
ein  abermaliger  Streit  zwischen  dem  Kapitel  und  den 
Franziskanern  zu  Bautzen  1435  durch  Bischof  Johann  IV. 
dahin  entschieden,  dafs  das  Kloster  das  „kanonische 
Viertel"  an  das  Kapitel  von  allem  und  jedem  abzugeben 
habe,  was  dem  Kloster,  für  welchen  Zweck  es  immer 
sei,  von  dort  bestatteten  Personen  zugefallen  sei*^-).  Nach 
dem  Tode  dieses  Bischofs  w^ar  es  Propst  Lampert,  der 
1451  zu  Meifsen  den  bisherigen  Dekan  des  dasigen  Ka- 
pitels, Kaspar  v.  Schönberg,  als  neuerwählten  Bischof 
zu  proklamieren  hatte  *'^).  1456  soll  dieser  Bischof  Kaspar 
einen  Bierstreit  zwischen  Kapitel  und  Rat  von  Bautzen 
entschieden  haben *'^),  über  den  uns  Näheres  nicht  bekannt 
ist.  In  demselben  Jahre  einigte  sich  Propst  Lampert 
mit  seinem  Kapitel  (Dekan  Georg  v.  Planitz  [schon  1452], 
Pfarrer  Simon  Jode  [schon  1441],  Kantor  Balthasar 
Dehr,  Dr.  Johannes  Swofifheim  und  Petrus  Pistorius)  über 
gewisse  liturgische  Statuten,  nämlich  über  die  an  ein- 
zelnen Marienfesten  von  den  Domherren  anzustimmenden 
Gesänge  *'•''').  Zu  seinem  Jahresgedächtnis  in  der  Kirche 
zu  Meilsen  hatte  er  eine  neue  Vikarie  am  Hieronymus- 
altar  in  der  Pürstenkapelle,  zu  dem  in  der  Kirche  zu 
Bautzen  aber  2  Schock  Jahreszins  gestiftet"*^).  Er  liegt 
im  Meifsner  Dom  begraben. 


'^)  Die  von  Grrofser  (Merkwürdigkeiten  etc.  III,  30)  aus  dieser 
Zeit  aiifg'eflilirten  Dekane  „Ernestns  142H.  Franciscns  nionetariiis  1434, 
Peti'us  Culmen  1434''  sind  uns  wenigstens  nirgend  vorgekuninien. 

<")  Urkunden- Verzeichnis  II,  32 1)- 

02^  Laus.  Mag-.  LI  (1872),  20. 

«•')  Cod.  dipl.  Sax.  reg.  IL  3,  90. 

«')  Laus.  Mag.  XXIV  (1847),  279. 

'-)  F.  P.,  Statuten  etc.  S.  19. 
")  Cod.  Sax.  IL  3.  121  n.  124 


(>(i\ 


Die  Pröpste  des  Kollegiatstifts  St.  Petri  zu  Bautzen.        35 

Von  1457 — 1479  war  Propst  zu  Bautzen  Dietrich 
V.  Scliünberg-,  ein  Vetter  des  gleichnamigen  und  gleich- 
zeitigen, von  1463— 1476  regierenden  Bischofs  von  Meilsen; 
doch  kennt  man  nicht  den  Grad  ihrer  Verwandtschaft'"'). 
Als  Domherr  von  Meifsen  hatte  er  die  Prähende  in  Castro. 
Als  1457  Bischof  Kaspar  den  Grundstein  zu  einer  aher- 
maligen  Erweiterung-  der  Bautzner  Domkirclie  gegen 
Süden  zu  legte *'^),  dürfte  gewils  auch  der  neue  Pi'opst 
Dietrich  assistiert  haben.  1458  traf  letzterer  mit  seinem 
Kapitel  (Dekan  M.  Job.  Swoifheim  doctor  decretorum. 
Kantor  Balthasar  Dehr,  Petrus  Pistoris,  Job.  Hahler 
I Kaier?],  Petrus  von  Dresden,  Kaspar  Komgler)  neue 
Bestimmungen  über  die  bei  dem  Wechsel  der  PrälDenden 
von  den  Kanonikern  zu  leistenden  Zahlungen,  Bestim- 
mungen, welche  1465  und  1468  (Dekan  Job.  Pfoel,  Senior 
Job.  Swoifheim,  Petrus  Pistoris,  Job.  Kaier,  Pfarrer 
Nikolaus  Cro,  Petrus  Bartholomäi,  M.  Job.  Gedaw)  noch 
vervollständigt  wurden **'').  Als  1463  nach  dem  Tode 
Bischof  Kaspars  dessen  Bruder,  der  bisherige  Meifsner 
Dompropst  Dietrich  v.  Schünberg  den  bischöflichen  Stuhl 
bestiegen  hatte,  erhielt  sein  Vetter,  der  Bautzner  Propst, 
zugleich  die  Präbende  eines  Propstes  zu  Meifsen,  was 
Papst  Pius  VI.  ausnahmsweise  und  unter  der  Bedingung 
genehmigte,  dals  der  neue  Meilsnische  Propst  von  dem 
Einkommen  seiner  zwei  Propsteien  jährlich  100  tl.  rb.  an 
den  Bischof  zu  entrichten  habe '").  Seitdem  dürfte  Propst 
Dietrich  nur  selten  noch  in  Bautzen  sich  aufgehalten  haben. 
1466  konfirmierte  er  die  von  dem  Bautzner  Bürger  Hans 
Nowagk  gemachte  Schenkung  von  100  Schock  zur  Stif- 
tung einer  neuen  Vikarie  an  der  Marienkapelle  vor  der 
Stadt '^);  1467  gelobte  er  mit  dem  Kapitel,  das  Seel- 
gerät, das  Bischof  Caspar  auch  in  Bautzen  für  sich  be- 
stellt hatte,  zu  begehen'-).  1477  legte  Bischof  Jobann  V. 
Zwistigkeiten  zwischen  Kapitel  und  Rat  dahin  bei,  dals 
zwar  die  geistlichen  Herren,  jeder  für  sich,  fremdes  Bier 
(und  Wein)  beziehen,  aber  nicht  für  Geld  in  ihren  AVoh- 


"■'j  Bernhard    v.    Sdiönliei'i;-,     (icscliichte    des   Geschlechts 
Schönberg  1.  Bd.  A1)t.  A.  S.  201  fly. 
"«)  (Jarpzow,  Ehroiitenipel  I.  247. 
*■'«)  F.  P..  Statiiteu  ete.  S.  20.  26. 
'")  Cod.  dipl.  Sax.  vog.  II.  3,  148. 
''*)  Urkunde  des  Domarchivs. 
'2)  T^rkiindoii -Verzeiclmi^j  TT.  102'' 


36  Hermann  Knothe: 

Illingen  ausscliäuken  dürften^-"'),  was  also  bis  dahin  auch 
in  Bautzen  geschehen  war.  Wir  haben  Dietrich  v.  Schön- 
berg bis  1479  als  Propst  von  Meilsen  gefunden  und  dürfen 
annehmen,  dafs  er  bis  zu  seinem  Tode  auch  die  Prä[)0- 
situr  Bautzen  werde  beibehalten  haben. 

Wer  dieselbe  während  der  80  er  und  90er  Jahre  des 
15.  Jahrhunderts  innegehabt  hat,  steht  keineswegs  fest. 
Zufolge  einer  Urkunde  vom  20.  Dezember  (Donnerstag 
nach  Luciae)  1487^^)  erkaufte  Paul  Kiysche,  „Kaplan 
des  Dompropstes  von  Bautzen,  Johannes  v.  Schün- 
berg"  20  Grosclien  Zins  zu  Öppach,  der  nach  seinem 
Tode  dem  jedesmaligen  Pfarrer  dieses  Dorfes  zufallen 
sollte.  Man  weils  zur  Zeit  nicht  sicher,  wer  dieser  Jo- 
hann V.  Schönberg  sei,  vermutet  aber,  dafs  er  identisch 
sein  dürfte  mit  demjenigen,  der  seit  1483  Coadjutor  seines 
Bruders,  Dietrich  v.  Schönberg,  Bischofs  von  Naumburg, 
seit  1492  aber  dessen  Nachfolger  auf  dem  bischöflichen 
Stuhle,  nebenbei  seit  1480  und  noch  1489  auch  Domherr  zu 
Meilsen  war  und  erst  1517  starb '''j.  Wir  haben  ihn  als 
Propst  von  Bautzen  nur  beim  Jahre  1487  erwähnt  ge- 
funden; in  jedem  Falle  muls  er  auf  diese  Pfründe  lange 
vor  seinem  Tode  verzichtet  haben.  Offizial  der  Präpo- 
situr _  war  1488  ein  gewisser  Vincentius'*^). 

Übrigens  bestanden  damals  zwischen  dem  Bautzner 
Kapitel  und  dem  Bischöfe  Johann  VI.  (v.  Salhausen) 
langwierige  Differenzen.  Letzterer  erzählt  in  dem  Rechen- 
schaftsbericht über  seine  Amtsverwaltung  (1512),  bei 
seinem  Regierungsantritt  (1487)  habe  „die  Geistlichkeit 
in  der  Propstei  und  Dechanei  zu  Bautzen"  und  in  all 
den  erzpriesterlichen  Stühlen  der  Oberlausitz  „durch 
böser  Leute,  auch  etlicher,  die  unserem  Stifte  anderes 
schuldig  waren,  Verhetzung  konspiriert"  und  sich  gewei- 
gert, dem  Bischöfe  das  „zweijährige  subsidium"  zu  geben, 
habe  vielmehr  deshalb  nach  Rom  appelliert,  was  dem 
Bischof  1200  Dukaten  Prozeiiskosten  verursacht  habe. 
Erst  1502  wurde  dieser  Streit  durch  Schiedsrichter  dahin 
verglichen,  dafs  in  der  That  jeder  Benefiziatgeistliche  des 
Landes  von  jeder  Mark  (d.  h.  48  Groschen)  Einkommen 
aus  seinem  Benefizium  dem  Bischöfe  4  l)öhmische  Groschen 


'3)  Singul.  Lusat.  XV,  158. 
■"j  Urkunde  des  Doniardiivs  Bautzen. 

"')  Bernhard    \.    Sc  hönbcr  g-.    (Tesehühtc    des    (iescbleclits 
V.  Schönberg  I.  A.  231  flg. 

'"'•)  Urkuiidiii-Verzeiclinis  IT,  Ifil'-- 


Die  Pröpste  des  Kollegiiitstifts  St.  Petri  zu  l]iuit/jii.         37 

(also  den  12.  Teil)  als  suhsidiuiii  biennale,,  so  oft  ein 
solches  in  der  Diözese  Meilsen  ausgeschrieben  werde,  ent- 
richten müsse"). 

Wie  in  anderen  Ländern  waren  übrigens  damals  auch 
in  der  Stadt  Bautzen  und  wohl  in  der  gesamten  01)er- 
lausitz  die  Sitten  der  Geistlichen  so  anstölsig,  ihr  ge- 
samtes Leben  so  zuchtlos,  dals  der  Dekan  Johann  Pfoel 
1494  ein  sehr  scharfes  Mahnschreiben  an  sie  erliefs'^). 

Ln  Jahre  1502  war  Johann  v.  Wartenberg,  Sohn 
des  damaligen  Landvogts  in  der  Oberlausitz,  Siegmund 
V.  Wartenl)erg  auf  Tetschen,  „Propst  der  Kollegiatkirche 
St.  Petri  zu  Bautzen",  wie  er  sich  in  dem  erwähnten 
Schiedssprüche  von  diesem  Jahre  selbst  bezeichnet.  Er 
war  auch  Propst  zu  Wyssegrad,  Leitmeritz  und  (seit 
1499)  Propst  des  Prager  Domkapitels  und  starb  1508 
(Frind,  Kirchengesch.  v.  Böhmen  IV,  159). 

Erst  1510  haben  wir  mit  Sicherheit^'')  wieder  einen 
neuen  Propst  vorgefunden,  nämlich  Nikolaus  v.  Hey- 
nitz,  beider  Pechte  Doktor,  Domherrn  Kustos  zu  Meilsen, 
Domherrn  zu  Altenburg,  Rat  und  Vizekanzler  des  Herzog 
Georg  von  Sachsen.  Nach  dem  Tode  Bischof  Johanns  VI. 
(1518)  wäre  er  beinahe  dessen  Nachfolger  geworden. 
Von  irgend  welcher  Wirksamkeit  in  der  Oberlausitz  ist 
uns  nichts  bekannt  geworden.  Er  starb  1526  und  liegt 
im  Dom  zu  Meilsen  begraben. 

Je  mehr  auch  die  Pröpste  von  Bautzen,  e1»enso  wie 
zu  jener  Zeit  fast  aller  Orten  die  höheren  kirchlichen 
AVürdenträger,  eine  Menge  von  Pfründen  und  Ämtern 
nebst  deren  Einkünften  in  ihrer  Person  zu  vereinigen 
suchten,  desto  seltener  kamen  sie  natürlich  persönlich 
nach  Bautzen  und  überlieisen  die  von  der  Propstei  zu 
erledigenden  laufenden  Geschäfte  lediglich  ihren  dortigen 
Offizialen*"").      Als    solche  Geschäfte    erweisen    sich    die 


")  (liTckrii.   Stolpcn  S.  686.     Cutl.  ilipl.  Sax.  rci^'.  il.  7,  146. 

'^)  Urkunden -Verzrirliuis  HF,  23i'-  Käuffer,  Aliril's  111.  101. 
N.  Script,  rer.  Lus.  II.  436.  Vy-l.  den  Biiof  des  Pfiu'i'ers  l'.ock  zu 
Geibsdorf  (1487)  an  den  Dekan  Hmiliard  .,Thainmerus"  {?).  IM  ü  1 1  v  v. 
Keformationsycscliiclite  der  Olicrlausitz  S.  82  A. 

■"')  Kreisio'.  Uciträüc  ]  11.  11.  :\i  adiat  silick.  ( icschicliti' der 
Bischöfe  des  Hoclistifts  .Meilsen  S.  625,  iuhrt  einen  Widfgany  v.  Sclilci- 
nitz  an,  der  1508  Propst  in  Bautzen  gewesen  sei.  Der  Cod.  dipl. 
Sax.  re«'.  kennt  ilm  nicht  als  solchen,  sondern  nur  als  Bruder  des 
Bischofs  ■l(diann  v.  Sclilciuitz.  g-esessen  zu  Ragewitz. 

'•")  Als  derii-leichen  ..Oflizialc  der  l'ropstci  Bautzen"  sind  uns 
vorg-ekommen:    i;383    Christoph  v.   Betschitz,    1425    Mucenz    Heller. 


38  Hermann  Knotlie: 


Einweisung'  der  Geistlichen  in  ihre  Stellen  oder  die  Be- 
stimmung derjenigen  Pfarrer,  welche  die  Installierung 
vollziehen  sollten,  ferner  die  Entscheidung  von  Streitig- 
keiten besonders  zwischen  Geistlichen  und  Laien,  des- 
gleichen die  Einmahnung  von  Dezem  und  Zinsen  selbst 
unter  Androhung  der  Exkommunikation.  Die  Leitung  des 
Kapitels  dagegen  und  die  Anordnung  alles  dessen,  was 
das  kirchliche  Leben  unmittelbar  betraf,  war  dem  Dekan 
überlassen,  so  dafs  dessen  Bedeutung  für  das  ganze  Land 
schon  damals  eine  weit  grölsere  war,  als  die  des  Propstes. 
Nach  dem  Tode  (1502)  des  schon  erwähnten  Johann 
Pfoel  erscheint  1505  als  Dekan  Dr.  Christoph  Pfoel,  seit 
1507  aber  Dr.  Kaspar  Emmerich.  Dieser  war  der  dritte 
Sohn  des  durch  seinen  Reichtum  weitberühmten  Görlitzer 
Bürgers  Georg  Emmerich*'),  der  für  ihn  (1489)  zu  Bautzen 
eine  achte  Präbende,  die  „des  Speers  und  der  Nägel  Christi", 
gestiftet  hatte.  Darum  heilst  Kaspar  Emmerich  schon 
1502  bei  seiner  Inskription  auf  der  Universität  Bologna 
„Kanonikus  der  Kirchen  zu  Bautzen  und  zu  Glogau"  *"-). 
Er  wurde  1503  Doktor  in  Bologna  und  1504  einer  der 
„Prokuratoren".  In  Bautzen  stieg  er  endlich,  wenn  auch 
mit  Verdrängung  des  vom  Kapitel  Erwählten,  infolge 
päpstlicher  Verleihung  bis  zur  Würde  des  Dekans  empor. 
Da  seine  Mutter  in  ihrem  Testamente  eine  kirchliche 
Stiftung  gemacht  hatte,  welche  er,  damals  bereits  Dekan, 
der  Präbende  des  Kantors  zu  unieren  Avünschte,  so  wil- 
ligte der  Görlitzer  Rat  (1516)  nur  unter  der  Bedingung 
ein,  dals  künftig  er,  der  Bat,  nicht  mehr  das  Kapitel, 
das  Präsentationsrecht  zu  der  Kantorei  haben  sollte,  was 
endlich  auch  der  Bischof  genehmigte*'').  Damals  waren 
Heinrich  v.  Kottwitz   Senior,   M.  Andreas  Beler  Propst 


1432  Mauririus  von  Sdir.iuui.  1461  :\I.  .Tob.  Gt-daw,  1465—1470  Kaspar 
^larieiiam,  1474  .Tohaiin.  1488  A'iucciitius.  1493—1494  M.  Andreas Eeler, 
1494  Dr.Hicroiivmus  Swuffheiin.  töOO  Dr.  ('hiistoi)li  Pfoel.  1502—1503 
(ieori^-  Fahri.  1.5Ö5— 1508M.  Paul  Kviehler.  1508  Christoph  Rosenhavn. 
1512—1517  Petrus  Weippersdorf,  1531—1522  Simon  Schellenbe'rg, 
1538  Valentin  Alljeiti.  Mehrere  der  hier  Genannten  finden  Avir  später 
im  1  besitz  von  Domherrenstellen.  Von  diesen  Offizialen  der  Propstei 
sind  zu  unterscheiden  die  Offiziale  des  Bischofs,  welche  von  Stolpen 
aus  die  Befehle  oder  Entscheidungen  der  hischöflichen  Kanzlei  in 
die  Oheilausitz  gelangen  liefsen. 

-')  Knothe,  Geschichte  des  Oherlansitzer  Adels  S.  178. 

■'-)  Fi'iedländer,  Acta  nationis  Germ.  S.  361. 

*•')  N.  Script,  rcr.  Lns.  III.  410  flg.  Urkunden- Verzeichnis  III, 
101  und  105. 


Die  Pröpste  des  Kollegiatstifts  St.  Petri  zu  Bautzen.         39 

ZU  Liegnitz,  M.  Paul  Kucliler  und  Joluinn  Zacliariä  Dom- 
herren. Endlich  niufste  Emmerich,  dem  man  mancherlei 
Unredlichkeit  in  Geldsachen  nachsagte  ^^),  auf  das  De- 
kanat verzichten  und  siedelte  nach  Freiberg  über,  wo 
seine  Schwester  lebte. 

Nach  dem  Tode  des  Nikolaus  v.  Heynitz  wurde 
Heinrich  v.  Bünau  (1527—1550)  zum  Propst  von 
Bautzen  erwählt  und  den  1.  Juli  1527  von  dem  Bischöfe 
als  solcher  investiert.  Auch  er  dürfte  sich  nur  selten  in 
Bautzen  aufgehalten  haben ,  mehr  in  Meiisen  und  in 
Würzen,  wo  er  1548  Amtsverweser  war^^^).  So  blieb  die 
Leitung  der  kirchlichen  Angelegenheiten  in  der  Ober- 
lausitz abermals  den  Dekanen  überlassen. 

Nach  Kaspar  Ennnerich  bekleidete  dies  Amt  Dr.  Georg 
Wirth,  sodann  (1525)  der  bereits  70jährige  bisherige 
Senior,  M.  Paul  Kuchler^").  Dieser  huldigte  innerlich  völlig 
den  Anschauungen  der  Reformatoren.  Durch  einen  Stu- 
denten in  Wittenberg  liels  er  sich  regelmälsig  die  neu- 
erschienenen Schriften  derselben  zuschicken  und  predigte 
als  neuerwählter  Dekan  zu  Bautzen  selbst  im  reforma- 
torischen Sinne,  spendete  sogar  das  Abendmahl  unter  bei- 
derlei Gestalt.  Freilich  nötigte  ihn  alsbald  der  Wider- 
spruch seiner  Mitkanoniker,  sowie  der  Tadel  des  Bischofs, 
nicht  nur  sein  reformatorisches  Vorgehen  zu  bereuen, 
sondern  auch  mehrere  der  bereits  evangelischen  Bürger- 
schaft gemachte  Zugeständnisse  zurückzunehmen.  — 
Nach  seinem  Tode  (1546)  folgte  Johann  Cochlius  und 
1548  M.  Hieronymus  Ruperti,  der  auch  Propst  zu  Würzen 
war  (gestorben  1559),  ein  eifriger  Katholik. 

Schon  seit  Anfang  der  20  er  Jahre  des  16.  Jahr- 
hunderts war  in  allen  oberlausitzischen  Sechsstädten  die 
Bürgerschaft  bestrebt,  sich  offen  zu  den  Lehren  der  Re- 
formation zu  bekennen.  In  Bautzen'^")  fügte  man  dem 
noch  die  offene  Verspottung  des  Papsttums  hinzu.  Bei 
Gelegenheit  der  volkstümlichen  Feier  von  Petri  Ketten- 
fest trugen  1522  Männer  eine  Stange  mit  Ablals-  und 
Butterbriefen    herum,   die   sie   spottweise    zum  Verkauf 


**')  Bit  uiiiii'iii't  (•  1 .  Die  kiiihlichfii  Zusliiiidc  iJaiitzeu^i  im  16. 
und  17.  .lalirliuiidert  (1889).  S.  13A. 

•'■')  lliknndfii-\'crzci(lniis  III,  ISo^-  Ood.  dipl.  Sax.  reg.  11.  :>. 
385.  388. 

8«)  Laus.  Mag.  XLIX  (1872),  27.     XXXI 11  (1857).  20211- 

'*■')  Vgl.  Bauiugävtel,  Die  kircliliclien  Zustände  IJautzens  im 
16.  und  17.  .Fahihundert.     Programm,  Bautzen  1889. 


40  Hermann  Knothe: 

anboten,  niid  warfen  .sie,  da  natürlich  niemand  kanten 
wollte,  endlich  in  das  auf  dem  Markte  angezündete  Feuer. 
Im  nächsten  Jahre  wurde  bei  derselben  Gelegenheit  so- 
gar eine  papierne  Papstfigur  verbrannt.  1523  entliefs  das 
Kapitel  (Senior  v.  Kottwitz,  Kuchler,  Christoph  v.  Haug- 
witz),  vielleicht  um  Geld  zu  sparen,  alle  die  jüngeren 
Vikare  und  machte  dem  Rate  allerhand  Zugeständ- 
nisse betreffs  der  Schule  und  des  evangelisch  Predigens 
selbst  in  der  Domkirche.  Diese  Prediger  des  Rats  nun 
eiferten  auf  das  Heftigste  gegen  das  Papsttum,  wurden 
allerdings  dafür  alsbald  von  dem  Kapitel  wieder  beseitigt. 
1525  wurde  sogar  eine  Bilderstürmerei  in  der  Domkirche 
in  Szene  gesetzt.  Selbst  von  den  Kapitularen  aber  neigten 
sich  mehrere  dem  Protestantismus  zu.  Von  dem  neu- 
erwählten (1525)  Dekan  Kuchler  erwähnten  wir  dies  be- 
reits. Der  Domherr  Christoph  v.  Haugwitz  schrieb  ein 
Buch  „Über  das  Wesen  eines  Thumherren"  ganz  im  Luthe- 
rischen Geiste,  weshalb  (1527)  König  Ferdinand  I.  von 
Böhmen  dem  Domkapitel  seinen  „nicht  kleinen  Unge- 
fallen" über  diesen  Zwiespalt  in  der  Religion  ausdrückte. 
1527  fand  zwischen  den  beiden  evangelischen  Predigern 
an  der  Domkirche  und  dem  Prediger  des  Franziskaner- 
klosters eine  öffentliche  Disputation  statt,  „ob  die  Messe 
ein  Opfer  sei";  die  Bürgerschaft  schrieb  ihren  Geistlichen 
den  entschiedenen  Sieg  zu.  Seit  der  Dekan  Kuchler, 
wie  erwähnt,  die  dem  Rate  bereits  gemachten  Zugeständ- 
nisse wieder  zurücknahm,  trat  zwischen  Rat  und  Kapitel 
eine  immer  gröliser  werdende  Entfremdung  ein.  Er  gründete 
(1541)  eine  eigene  „evangelische  Schule",  aus  Avelcher  sich 
das  spätere  Gymnasium  entwickelte,  entzog  den  Franzis- 
kanern die  bisher  gezahlte  Subvention  von  jährlich  24  Schock 
und  trug  dadurch  nicht  wenig  zu  der  endlichen  Auflösung 
des  Klosterkonvents  bei.  Die  meisten  Mönche  verlielsen 
in  Bautzen,  wie  anderswo,  ihr  Kloster  und  nahmen  ent- 
weder evangelische  Pfarrstellen  an  oder  traten  in  den 
Laienstand.  Je  länger  je  mehr  fehlte  es  im  Lande  an 
katholischen  Priestern,  um  die  offen  werdenden  Stellen 
neu  zu  besetzen.  1541  erlaubte  der  Bischof  einem  Geist- 
lichen zu  Löbau,  der  das  Präsentationsrecht  zu  zwei 
geistlichen  Lehen  daselbst  besafs,  dieselben  „wegen  Mangel 
an  Priestern"  mit  Geistlichen  aus  Bautzen,  aus  Glogau 
oder  sonst  woher  zu  besetzen.  Selbst  König  Ferdüiand 
befahl  1537  dem  Bautzner  Kapitel,  erledigte  Präbenden 
an  taugliche  und  vor  allem  in  der  Stadt  selbst   „resi- 


Die  Pröpste  des  KoUegiatstifts  St.  Vaivi  zu  Bautzen.        41 


dielende"  Priester  des  ,,Iii-  oder  Auslands"  zu  vergeben. 
Dafür  war  dem  Rate  und  sämtlichen  Seclisstädten  in 
dem  Domstift,  welches  seit  1533  zu  dem  Landstande, 
d.  h.  der  liitterscliaft,  gerechnet  ward,  ein  neuer,  nicht 
unwichtiger  Gegner  in  all  den  Prozessen,  w^elche  eben 
damals  die  Städte  mit  dem  Adel  zu  führen  hatten,  ent- 
standen. Durch  den  „Pönfall"  (1.547)  verloren  die  Sechs- 
städte all  ihre  Rechte,  Privilegien,  Güter,  selbst  ihre 
Waffen  und  wurden  vom  König  für  seine  ,, Kammergüter" 
erklärt.  Die  Macht  der  Städte  war  hiermit  auf  lange 
Zeit  gebrochen;  die  Hoffnungen  der  Katholiken  begannen 
zu  wachsen.  Da  drohte  dem  Domkapitel  eine  neue  Ge- 
fahr von  Seiten  des  ersten  „Landeshauptmanns''  der  Ober- 
lausitz, Dr.  Ulrichs  v.  Nostitz.  Sein  Amt  verpflichtete 
ihn,  allenthalben  das  Interesse  des  königlichen  Fiskus 
wahrzunehmen.  Nun  mulste  er  gewahren,  wie  die  aller- 
meisten Domherren,  ja  sogar  aucli  Vikare,  sich  gar  nicht 
mehr  in  Bautzen  selbst  aufhielten,  den  Kirchendienst  da- 
her gar  nicht  verrichteten  „und  doch  davon  leben  wollten". 
Obgleich  selbst  ein  eifriger  Katholik,  legte  er  daher,  in 
Gemeinschaft  mit  dem  Kanzler  Georg  Pritsche,  1549  zu 
Gimsten  des  königlichen  Fiskus  Beschlag  auf  die  Ein- 
künfte des  Kapitels  und  der  einzelnen  Präbenden,  eine 
Sperrung  der  geistlichen  Revenuen,  die  erst  1551  infolge 
der  Bemühungen  des  Dekan  Leisentritt  durch  den  König 
wieder  aufgehoben  Avurde^^). 

Nach  Heinrich  v.  Bünau  ward  (1550)  Propst  zu 
Bautzen  Hieronymus  v.  Kommerstadt  auf  Model- 
witz, Dr.  jur.  etc.,  der  1.555.  als  er  von  dem  ueuerwählten 
Bischof  Johann  IX.  v.  Haugwitz  nach  Rom  gesendet 
wurde,  um  die  päpstliche  Bestätigung  einzuholen,  zugleich 
als  Dekan  zu  AVurzen  bezeichnet  wird^**).  Dieser  trat 
1559,  dem  Beispiel  vieler  Kapitulare  des  Hochstifts 
Meilsen  folgend,  offen  zum  Protestantismus  und  verhei- 
rathete  sich.  Erst  1562  alier  legte  er  die  Würde  eines 
Bautzner  Propstes  .nieder,  ^vorauf  sein  Nette,  Julius 
V.  Kommerstadt,  dieselbe  erlangte. 

AVie  in  dem  gesamten  Albertinischcn  Sachsen  schon 
1539,  nändich  seit  dem  Regierungsantritt  Heizog  Hein- 
richs des  Fronnnen,  die  Reformation  eingeführt  worden 
w^ar,  so   schien   aucli   in   den  ausgedehnten  Gebieten  des 


*«)  Laus.  Mag.  XXXIII  (18Ö7),  204. 
'•»j  Cod.  dipl.  Sax.  reg.  II.  3,  388.  391. 


42  Hermami  Kuotlie: 

Hoclistifts  Meilsen  der  Katliolizismiis  rascli  seinem  Ende 
entgegengehen  zu  sollen,  als  1555  daselbst  Johann  IX. 
V.  Hangwitz,  der  letzte  Meifsu er  Bischof,  den  bischöf- 
lichen Stuhl  bestieg.  Um  von  Kurfürst  August  von  Sachsen 
die  Zustimmung  zu  !:einer  bevorstehenden  AVahl  zu  er- 
langen, hatte  derselbe  nämlich  (25.  April  1555)  dem  Kur- 
fürsten die  schriftliche  Zusicherung  gegeben,  „die  wahre 
christliche  Religion,  wie  die  jetzo  in  diesen  Landen  ge- 
halten wird,  im  ganzen  Stift  Meilsen,  eigner  Person,  so- 
viel ihm  immer  möglich,  pflanzen,  aniichten  und  dabei 
bleiben"  zu  wollen'"^).  Zugleich  hatte  er  sich  bereit  er- 
klärt, dem  Kurfürsten  zu  besserer  Abrundung  von  dessen 
Gebiete  das  Amt  Stolpen,  zu  welchem  die  sämtlichen  in 
der  Oberlausitz  gelegenen  Ländereien  des  Bistums  ge- 
hörten, gegen  das  kurfürstliche  Amt  Mühlberg  tausch- 
Aveise  zu  übei'lassen.  Beide  Zusagen  aber  weigerte  sich 
der  Bischof  nach  erfolgter  und  genehmigter  Wahl  zu  er- 
füllen. Erst  die  sogenannte  Carlowitzische  Fehde,  in 
welcher  der  kurfürstliche  Stallmeister  Hans  v.  Carlowitz 
sich  der  beiden  bischöflichen  Städte  Bischofswerde  und 
Stolpen  zu  bemächtigen  suchte,  um  den  Bischof  zur  Heraus- 
gabe einer  vermeintlich  von  seinem  Vorgänger,  dem  Bischof 
Nikolaus  II.  v.  Carlowitz,  hinterlassenen  und  dessen  Erben 
zukommenden  Summe  zu  zwingen,  nötigte  Bischof  Jo- 
hann IX.  (1559)  in  jenen  Gebietstausch  zu  willigen,  wo- 
rauf sofort  eine  kurfürstliche  Visitationskommission  in  all 
den  bisher  bischöflich  gewesenen  Ortschaften  auch  der 
Oberlausitz  die  Reformation  einführte.  Mit  Ausnahme 
der  drei  Frauenklöster  Marienstern,  Marienthal  und  Lauban 
und  einiger  wenigen  denselben  unterthänigen  Ortschaften 
war  dieses  Land  längst  schon  durchaus  lutherisch  ge- 
worden. Selbst  in  der  Domkirche  zu  Bautzen  wurde  für 
die  völlig  evangelische  Bürgerschaft  der  Stadt  evangelisch 
gepredigt  und  das  Abendmahl  nach  Lutherischem  Ritus 
ausgeteilt.  Der  Propst  des  Domstifts  war,  wie  erwähnt, 
selbst  zum  Protestantismus  übergetreten,  und  mehrere 
der  Kanoniker  neigten  sich  wenigstens  entschieden  dem- 
selben zu. 

Dals  das  Domstift  Bautzen  dennoch  dem  Katholizis- 
mus erhalten  blieb,  ja  dals  derselbe  in  dei'  Oberlausitz 
sogar  neue,  gesicherte  Festigkeit  erlangte,  ist  wesentlich 
das  Werk  des  nach  dem  Tode  des  M.  Hieronymus  Ruperti 


90 


)  Vg-1.  V.  Webers  Archiv  f.  d  säclis.  (lesdiichte  V,  98A. 


Die  i'röpste  des  Kollegiatstifts  St.  l'etri  zu  Bautzen.        43 

erwählten  Dekans  Johaon  Leisen  tritt'").  Derselbe 
war  1520  (nach  anderen  1526  oder  1527)  zu  Olmütz  ge- 
boren, hatte  auf  der  Hochschule  seiner  Vaterstadt  und 
der  zu  Krakau  studiert,  war  darauf  Hofmeister  der  kaiser- 
lichen Edelknaben  zu  Y/ien  gewesen  und  um  1550  Priester 
geworden.  König  Ferdinand  I.  hatte  den  talentvollen 
jungen  Geistlichen,  der  auch  slavischer  Sprachen  mächtig 
war,  an  die  Domkapitel  von  Meilsen,  Naumburg  und  Merse- 
burg, sowie  an  das  Domstift  Bautzen  zu  Erlangung  einer 
Domherrenstelle  empfohlen,  und  so  wurde  er  denn  1549 
an  letzterem  Stift  zunächst  Domherr  und  1559  Dekan. 
Hochgebildet  und  zugleich  weltgewandt,  als  katholischer 
Schriftsteller  bereits  bewälirt,  der  alten  Kirche  treu  er- 
geben, aber  doch  in  richtiger  Erkenntnis  der  in  der  Ober- 
lausitz thatsächlich  bestehenden  Verhältnisse  zugleich 
tolerant  gegen  die  Andersgläubigen,  war  er  in  der  That 
die  geeignete  Persönlichkeit,  den  Katholizismus  in  der 
Oberlausitz,'  soweit  er  noch  bestand,  zu  erhalten  und 
demselben  eine  neue  rechtliche  Gestaltung  zu  verschaffen. 
Als  diese  Persönlichkeit  wurde  er  denn  auch  von  all  den 
l)etreff'enden  höchsten  Behörden  richtig  erkannt  und  in 
seinen  Bestrebungen  kräftigst  unterstützt.  Unter  dem 
28.  Juni  1560  übersendete  ihm  zuerst'  (wohl  infolge  von 
Wiener  Emfluls)  der  damals  noch  sich  katholisch  nennende 
Bischof  Johann  IX.  von  Meilsen  die  Ernennung  zu  seinem 
„Generalkommissar"  in  Ober-  und  Niederlausitz"'-).  Die 
Ernennung  eines  solchen  Generalkommissars  war  durch- 
aus nichts  Neues  oder  auch  nur  Ungewöhnliches.  Der 
Bischof  sagt  in  seinem  Schreiben,  er  habe  Leisentritt 
dieselben  Aufträge  (mandata),  Eechte  und  Machtvoll- 
kommenheiten erteilt,  „welche  früher  unsere  General- 
kommissare in  Stolpen  gehabt  haben".  Zuletzt  (bis  1559) 
hatte  der  Pfarrer  Jakob  Heinrich  zu  Stolpen,  der  zu- 
gleich Domherr  Kantor  in  Bautzen  war,  den  Titel  und 
die  Stellung  eines  Generalkonnnissars  gehabt.  Als  Stolpen 
kursächsisch  geworden  war,  hatte  er  natürlich  die  Stadt 
verlassen  müssen  und  sich  von  da  auf  seine  Kantorei  in 
Bautzen  begeben'*'').  Dem  neuen  Generalkommissar  Leisen- 


'")  Über  denselben  vjil.  Pelze  1.  Al)liilduni;cn  liölnuisclicr  und 
niährischei' Uelehitci'  J  \'.  28.  Sdi  iittii,eii.  I  »iidniiintisclic  Naclilcsc  \1. 
306 tlo-.     Laus.  Mag-.  XXX \'i  (1860),  385. 

«2)  Gedruckt  Laus.  Mag.  XXXIH  (1857),  172.  Macliatselu'k 
S.  787. 

••■■)  J.aus.  Mag-.  XXXlll  (1857),  171.  192. 


44  Henuaiiii  Kuotlie : 

tritt  war  vom  Bischof  ausdrücklich  das  Hecht  und  die 
volle  Gewalt  erteilt  worden,  „streitige  Sachen  nach  Recht 
und  Billigkeit  zu  entscheiden  und  auch  anderes  zu  voll- 
ziehen, was  in  solchen  Fällen  zu  geschehen  habe",  doch 
unter  der  Bedingung,  dals  er  den  jedesmaligen  Bischof 
von  Meifsen  als  loci  Ordinarius  anerkenne  und  in  M'ich- 
tigeren  Angelegenheiten  dessen  Rat  und  Hilfe  einhole. 
So  war  denn  hierdurch  die  kirchliche  Jurisdiktion  in  den 
beiden  Lausitzen,  wenn  auch  nur  bedingungsweise,  rechts- 
kräftig dem  damaligen  Dekan  zu  Bautzen  überwiesen. 
Ein  von  dem  Bischöfe  (22.  Juli)  ihm  überseudetes  Amts- 
siegel sollte  diese  neue  Würde  auch  äufserlich  bestätigt 
erscheinen  lassen.  Als  Kurfürst  August  von  diesen  Vor- 
gängen Kunde  erhielt,  verlangte  er  (1561)  vom  Bischöfe 
Rücknahme  jener  Vollmacht  und  Rückforderung  des 
Siegels,  allein  vergeblich. 

Inzwischen  hatte  Kaiser  Ferdinand  I.,  als  Landes- 
herr der  beiden  Lausitzen,  dem  die  Erhaltung  des  Ka- 
tholizismus in  diesen  Ländern  am  Herzen  lag,  auch 
seinerseits  jene  bischöfliche  Vollmacht  anerkannt,  indem 
er  den  Dekan  Leisentritt  zum  administrator  episcopatus 
Misnensis  in  spiritualibus  per  utramque  Lusatiam  erklärte, 
und  der  päpstliche  Nuntius  zu  Wien,  Melchior  Bilia,  hatte 
ihn  im  Namen  des  apostolischen  Stuhls  als  solchen  be- 
stätigt. Da  aber  das  Generalkommissariat  vom  Bischöfe 
dem  Dekan  Leisentritt  nur  persönlich  übertragen  war, 
also  ihm  auch  wieder  abgenommen  werden  oder  nach 
seinem  Tode  von  selbst  erlöschen  konnte,  so  befahl  (1567) 
der  Nuntius  dem  Dekan  in  apostolischer  Vollmacht  und 
l)ei  Strafe  der  Exkommunikation,  das  Amt  der  Admini- 
stratur  ohne  Vorwissen  des  päpstlichen  Stuhls  an  niemand 
abzutreten,  und  inkorporierte  sogar  (1570)  dasselbe  für 
den  Todesfall  des  jetzigen  Dekans  „der  Kirche  zu  Bautzen 
und  dem  gesamten  katholischen  Kapitel"  derselben.  Erst 
hierdurch  war  diese  Administratur  für  immer  dem  Bautzner 
Kapitel  gesichert.  Es  war  dies  um  so  Avichtiger,  als 
Bischof  Johann  IX.  bei  seiner  eigenen  Resignation  auf 
das  Bistum  (1581)  in  der  That  auch  das  früher  von  ihm 
erteilte  Generalkonmiissariat  widerrieft).  Allein  dieser 
Widerruf  konnte  jetzt  rechtlich  keine  Bedeutung  mehr 
haben,  denn  jene  Vollmacht  war  von  ihm  rechtskräftig  zu 
einer  Zeit   ausgestellt,    wo   er  selbst  noch   katholischer 


ö^)  Ebendas.  179. 


Die  i'iöpste  des  Kollegiatstifts  St.   l'ctii  zu  Bautzen.         45 

Bischof  von  Meifsen  war;  sie  war  darauf  vom  Landes- 
lierrii  und  vom  Papste  anerkannt  worden  und  konnte  jetzt, 
wo  der  Bischof  selbst  zum  Protestantisnuis  übertrat,  nicht 
mehr  von  demsell)en  einseitig  zurückgenommen  werden. 
Diese  Rechte  der  „geistlichen  Administratur"  sind  dem 
Dekanat  zu  Bautzen  auch  nicht  verkümmert  worden,  als 
durch  den  Prager  Frieden  von  1635  die  Landeshoheit 
über  die  beiden  Lausitzen  an  Kursachsen  abgetreten 
wurde.  Vielmehr  stellte  sich,  seit  der  kurfürstliche  Hof 
(161)6)  selbst  katholisch  geworden  war  und  die  Zahl  der 
Katholiken  in  den  sächsischen  „Erblanden"  wuchs,  je 
länger  je  mehr  der  Wunsch  heraus,  dals  der  Bautzner 
Dekan,  der  ja  bereits  bischöfliche  Rechte  besals,  dieselben 
auch  in  diesen  Erblanden  ausüben  möge.  Zu  diesem 
Zwecke  pflegt  (seit  1752)  der  jedesmalige  Dekan  vom 
Papste  zum  Bischof  in  partibus  ernannt  zu  werden.  Das 
Königreich  Sachsen  hat  also  keinen  Landesbischof;  viel- 
mehr übt  der  Bautzner  Dekan  die  bischöflichen  Rechte 
in  der  sächsisch  gebliel)enen  Oberlausitz  noch  immer  in 
seiner  Eigenschaft  als  „Administrator  des  Bisturas  Meilsen", 
in  den  sächsischen  Erblanden  dagegen  als  Bischof  in  i>ar- 
tibus  aus. 

Hatte  auch  das  Hochstift  Meifsen  seit  1581  als 
solches  zu  bestehen  aufgehört,  indem  die  bisherige  Landes- 
hoheit vom  letzten  Bischof  an  Kursachsen  abgetreten 
worden  war,  so  besteht  doch  das  Meifsner  Domkapitel 
bis  auf  den  heutigen  Tag.  OV)gleich  sämtlich  zum  Pro- 
testantismus ültergetreten,  hatten  die  Kapitulare  ihre  Pi'ä- 
benden  behalten  und  deren  Einkünfte  fortbeziehen  dürfen. 
An  Stelle  der  gestorbenen  Mitglieder  des  Kapitels  waren 
neue  ernannt  worden.  Zufolge  päpstliclien  Privilegiums 
hatte  schon  1476  der  jedesmalige  sächsische  Landesherr 
das  Recht  erlangt,  zu  den  „oberen  Präl)enden"  zu  prä- 
sentieren; zu  diesen  gehörte  nach  ausdrücklicher  Eiklärung 
von  Papst  Sixtus  IV.  (1481)  auch  die  Propstei  IJaut/en. 
Noch  gegenwärtig  ist  daher  stets  einer  der  Meilsner 
Domherren  nominelli'r  Propst  von  Bautzen,  d.  h.  er  be- 
zieht als  solcher  gewisse  Einkünfte,  hat  aber,  als  Pro- 
testant, wedei-  Sitz  noch  Stimme  im  Bautzner  T)omkai)ite]. 
Wenn  der  König  von  Sachsen  einen  neuen  Proi)st  von 
Bautzen  ernannt  hat  und  davon  dem  Kapitel  Anzeige 
macht,  so  protestiert  dassell)e  regelmäisig  gegen  diese 
Ernennung,  erklärt  sich  alier  zuglcicli  bereit,  den  Neu- 
erwählten  unter  der  Bedingung  ciii/.nw  eisen,  dals  er  sich 


46     H.  Knntlie:  Die  Pröpste  des  Kollegiatstifts  St.  Petri  etc. 

vorlier  diircli  scliriftliclien  Revers  und  mittels  Bürgen  ver- 
pflichte, nie  wieder  den  Propstsitz  im  Bantzner  Kapitel- 
saal einnehmen  zu  wollen.  Darauf  wird  er  denn  unter 
feststehenden  Formalitäten  von  dem  Dekan  und  den  sämt- 
lichen Kapitularen  feierlich  auf  den  Propstsitz  geleitet, 
als  Propst  investiert  und  bei  dem  folgenden  Festmahl  als 
solcher  beglückwünscht,  darf  aber  nie  wieder  beans]nuchen, 
irgend  ein  Recht  des  Propstes  innerhalb  des  Bantzner 
Dondvapitels  auszuüben. 


TU. 


Die  Bezieliuiigeu  Philipp  Melaiichtlioiis 
zur  Stadt  Zwickau. 


Ernst  Falunii. 


Nicht  mit  Unrecht  hat  man  die  Stadt  Zwickau  die 
Burg  der  Reformation  im  südlichen  Teile  des  ehemaligen 
Kurfürstentums  Sachsen  genannt.  Schon  frühzeitig  regte 
sich  hier  ein  lebhaftes  Interesse  für  die  grofse  geistige 
Bewegung,  die  von  Wittenberg  ausging,  aber  sie  nahm 
gerade  hier  bei  der  leicht  erregbaren  Bevölkerung,  unter  der 
sich  namentlich  zahlreiche  hussitische  Elemente  aus  dem 
benachbarten  Böhmen  befanden,  von  vornherein  einen  un- 
gleich gewaltthätigeren  Charakter  an  als  anderwärts,  und 
es  bedurfte  der  ganzen  Kraft  des  von  einsichtsvollen, 
energischen  Männern,  wie  Hermann  Mühlpfort  und  Lau- 
rentius  Bärensprung,  geleiteten  Rats,  um  der  von  Thomas 
Münzer,  Niklas  Storch  und  ihren  Anhängern  angestifteten 
Unruhen  Herr  zu  werden.  Mit  groiser  Aufmerksamkeit 
verfolgte  man  von  AVittenberg  aus  den  Gang  der  Ereig- 


nisse in  Zwickau;  erachtete  es  doch  Dr.  Martin  Luther 
selbst  für  ratsam,  durch  ])ersönliches  Einschreiten  (28.  April 
bis  3.  Mai  1522)  die  reformatorische  Bewegung  wieder 
in  ruhiges  Fahrwasser  zu  leiten.  Von  dieser  Zeit  an 
nahmen  die  Gelehrten  von  Wittenberg,  Avie  zahlreiche, 
noch  vorhandene  Dokumente  beweisen,   an  den   Kirchen- 


48  Ernst  Fabian : 

und  Sclmlangelegenlieiten,  die  gerade  in  Zwickau  damals 
in  ganz  bedeutsamer  Weise  in  den  Vordergrund  traten, 
den  regsten  Anteil.  Ganz  besonders  aber  war  es,  nament- 
lich nachdem  Luther  mit  dem  Zwickauer  Rate  wegen 
Kompetenzstreitigkeiten  betreffs  der  Ein-  und  Absetzung 
der  (leistlichen  (1531)  völlig  zerfallen  war,  Philipp  Me- 
hinchthon,  der  den  Zwickauer  Verhältnissen  nahe  trat, 
und  es  entwickelte  sich  seitdem  ein  lebhafter  brieflicher 
und  persönlicher  Verkehr  zwischen  ihm  mid  den  Ver- 
tretern der  Stadt.  AVann  derselbe  seinen  Anfang  ge- 
nommen hat,  lälst  sich  mit  voller  Bestimmtheit  nicht  fest- 
stellen, aber  aus  dem  regen  Anteil,  den  Melanchthon 
dem  ihn  selbst  schwer  beängstigenden  Treiben  der 
„Zwickauer  Propheten"  widmete^),  dürfen  wir  wohl  den 
Schluls  ziehen,  dals  er  der  Entwickelung  der  Dinge  in 
Zwickau  von  den  ersten  Anfängen  der  Reformation  an 
seine  volle  Teilnahme  geschenkt  haben  wird.  Und  dals 
er  auch  mit  Aufmerksamkeit  die  von  dem  Prediger  Paul 
Lindenau"-)  in  den  letzten  Jahren  des  dritten  Jahr- 
zehnts hervorgerufenen  Unruhen  verfolgte,  dafür  spricht 
eni  Schreiben")  von  ihm  aus  dem  Jahre  15"-^8  an  den 
Stadtpfarrer  Nikolaus  Hausmann ,  worin  er  ihn  über 
die  Angriffe  seitens  des  heftigen  Lindenau  zu  trösten 
sucht.  Ein  lebhafterer  offizieller  Verkehr  indessen  zwischen 
Melanchthon  und  dem  liate  entwickelte  sich  erst  im  fol- 
genden Jahrzehnt.  In  der  Hauptsache  sind  es  natürlich 
die  Schul-  und  Kirchenangelegenheiten,  die  den  Gegen- 
stand desselben  bildeten.  Für  den  Rat  handelt  es  sich 
dabei  teils  um  die  Beaufsichtigung  und  wissenschaftliche 
Leitung  der  in  Wittenberg  studierenden  Zwickauer  Rats- 
stipendiaten, teils  um  die  Besetzung  von  Schul-  und 
Kirchenstellen  in  Zwickau,  teils  auch  um  die  Vermittelung 
des  mildgesinnten,  allseitig  verehrten  Melanchthon  bei 
ärgerlichen,  den  Frieden  der  Kirche  und  Schule  bedrohen- 
den Streitigkeiten. 

Die  Stadt  Zwickau  war  in  der  glücklichen  Lage, 
den  studierenden  Bürgerssöhnen  ausgiebige  Unterstütz- 
ungen zu  gewähren.     Die  Mehrzahl  dieser  jungen  Leute 


1)  Vergl.  darüber  Kör^tlin,  Luthers  Leben  I,  520ff.  Bret- 
scUneider,  Corp.  Ref.  I,  533ff.  II,  17.  III,   12ff.  28ff.  195.  IV,  918. 

-;  Vergl.  über  denselben  Georg  Müller,  Paul  Lindenau,  der 
erste  evangelische  Hofprediger  in  Dresden  (Leipzig  1889). 

'■^)  Siehe  Zeitschrift  für  kirchliche  Wissenschaft  und  kirchliches 
Leben  1884,  S.  '.3. 


Die  Beziehungen  Melanchthons  znv  Stadt  Zwickau.  49 

studierte  in  Wittenberg,  und  der  Rat  schärfte  von  Zeit 
zu  Zeit  den  Eatsstipendiaten  ein,  „sich  nicht  aulser  der 
vniuersitet  zu  gehen ,  noch  zu  viel  spacirn  zu  gehen, 
sondern  des  studirens  mitt  gutthem  fleis  ti'eulich  zu  warten, 
darurab  ihnen  auch  die  Stipendia  gegeben  würden"*). 
Mit  denjenigen  Studenten,  die  sich  der  erhaltenen  Stipen- 
dien unwürdig  bewiesen,  machte  der  Rat  kurzen  Prozefs, 
indem  er  ihnen  ohne  weiteres  die  verliehenen  Unterstütz- 
ungen wieder  entzog  ■'^).  Auch  wurde  es  seitens  des  Rats 
als  selbstverständlich  erachtet,  dals  die  Ratsstipendiaten 
sich  verpflichteten,  nach  Vollendung  ihrer  Studien  „sich 
zum  Kirchen-  und  Schulendienste  der  Stadt  gebrauchen 
zu  lassen",  und  es  wurde  sehr  übel  vermerkt,  wenn  ja 
einmal  einer  von  ihnen  dieser  Verpflichtung  nicht  ein- 
gedenk blieb '^).  Der  Rat  schickte  die  Stipendiengelder 
an  den  Universitätsrektor,   der  sie  dann  gegen  Quittung 


^)  Yei-o-l.  Ratsprotokoll  (R.-P.)  von  Michaelis  1546  l)is  eben- 
dahin 1547  [Beschlufs  vom  29.  September]  Bl.  2^- 

■')  In  der  Ratssitzung  vom  12.  Februar  1536  Avird  einem  ge= 
wissen  Johann  jitartin,  „weil  er  nicht  vleissig  ist  jun  seinem  studio 
vnd  sich  vnehrlicher  vnd  vngebürlicher  stücke  gebrauchen  thue",  ein 
Stipendium  entzogen.  Die  gleiche  Mafsregel  wird  in  der  Ratssitzung 
vom  20.  Oktober  1548  gegen  einen  gewissen  Georg  Funkel  veifügt, 
„weil  er  seinem  Studio  mit  gebürlichem  vleis  nicht  nachkommet  vnd 
sunsten  auch  leichtfertig  ist".  Das  diesbezügliche  Ratsschreiben  an 
Funkel  ist  noch  erhalten  im  Konzeptbuch  von  1548/49  Bl.  7^-  Ebenso 
wurde  dem  Mag.  Georg  Thormann  alias  Pylander  (sein  eigentlicher 
Name  lautete  „Thurm")  1537  ein  ihm  für  seine  Studien  in  Welsch- 
land zugesagtes  Stipendium  entzogen,  weil  er  der  Erwartmig  des  Rats 
zuAvider  statt  nach  Italien  nach  Dänemark  gegangen  war.  R.-P. 
1536—1537  BL  28  «i-     1537—1.538  Bl.  2-'- 

")  Als  der  Rektor  der  Schneeberger  Schule,  M.  Christoph  Walduf 
(Baldauf),  ein  Zwickauer  Bürgerssohn  und  ehemaliger  Ratsstipendiat, 
unterstützt  vom  Schneeberger  Stadtrat  Schwieiigkeiten  nnichte,  einem 
Ruf  seiner  Vaterstadt  zur  Übernahme  des  Rektorats  an  Stelle  des  abge- 
gangenen Plateanus  Folge  zu  leisten,  schrieb  der  Zwickauer  Rat  an 
den  von  Schneeberg  einen  ziemlich  erregten  Brief,  worin  es  u.  a  heifst: 

„ vnd  so  er  vns  dann  als  vnser  Stadtkindt  vnd  Stiitendi  at 

mitt  mehrer  Verpflichtung  verwandt  dann  euch,  so  wollen 
wir  vns  nicht  versehen,  das  ir  yn  doran  werdet  hindern  noch  vrsach 
sein,  das  er  d e  s  allen  gegen  vns  vergesse,  wie  wir  imedann 
das  jn  sein  gewissen  vnd  veran twurttung  stellen,  der 
Zuversicht,  er  werde  sich,  seiner  Verpflichtung  nach 
ehrlich  vnd  vnverweifslich  zu  erzeigen  wissen"  u.  s.  w. 
Als  sich  dann  trotzdem  die  Unterhandlungen  zerschlagen,  heifst  es 
im  R.-P.  10.  Oktober  1547:  ..Dieweil.er  (nämlich  Baldauf)  so  sehr 
wil  gefeiert  sein,   maclits  jme  nutze  vnd  bedenkt  seine  verjjflich- 

tung  nicht,  so  sol  man  nach  Georgio  Thiemen als  auch  einem 

Stadtkinde  trachten." 

Neues  Alclüv  f.  S.  (i.  u.  A.    M.  1.  'J.  4 


50  Ernst  Fabian: 

an  die  Empfänger  austeilte.  Übrigens  hielt  der  Rat  streng 
darauf,  dafs  die  Eatsstipendiaten  gleichzeitig  mit  den  kur- 
fürstlichen Stipendiaten  examiniert  würden,  wofür  dann 
den  Professoren,  deren  Teilnahme  an  der  Prüfung  ge- 
wöhnlich durch  Melanchthon  erbeten  wurde,  eine  kleine 
„Verehrung"  in  der  Höhe  von  etwa  3  Thalern  oder 
4  „Guldengroschen"  gemacht  wurde  „zur  ergetzung  solcher 
jrer  mühe  vnd  fleisses"').  Niemand  wuiste  die  Fürsorge 
des  Rats  für  die  unter  seiner  Beihilfe  studierende  Jugend 
mehr  zu  schätzen,  als  Melanchthon,  der  auch  seinerseits 
sich  öfters  aus  eigenem  Autrieb  an  den  Rat  wendete,  um 
irgend  einem  würdigen  und  bedürftigen  Studenten  ein 
Stipendium  zu  verschaffen*^),  wofür  er  dann  auch  ver- 
sprach, die  Studien  der  jungen  Leute  zu  leiten  und  zu 
überwachen^).  Nichts  lag  ja  gerade  ihm,  dem  praeceptor 
Germaniae,  mehr  am  Herzen,  als  tüchtige  Kräfte  für 
Staat,  Kirche  und  Schule  heranzubilden.  Wie  er  nun  für 
das  Wohl  und  Wehe  der  seiner  Obhut  unterstellten  Stu- 
denten während  ihrer  Studienzeit  zu  Wittenberg  aufs 
treulichste  besorgt  war,  so  zeigte  sich  seine  wahrhaft 
väterliche  Gesinnung  auch  dann  noch,  wenn  es  galt,  einem 
jungen  hoffnungsvollen  Manne  nach  Vollendung  seiner 
Studien  eine  Stelle  zu  verschaffen^*^),  und  welch  eine 
aulserordentliche  Geltung  Melanchthons  Wort  gerade  auch 
in  dieser  Beziehung  beim  Zwickauer  Rate  hatte,  dafür 
liefsen  sich  zahlreiche  Beispiele  anfühi-en^O. 

Bei  dem  rückhaltslosen  Vertrauen,  welches  der  Rat 
allezeit  Melanchthon  entgegenbrachte,  war  es  ganz  selbst- 
verständlich, dafs  er  ihn  auch  in  allen  Angelegenheiten, 


')  Vergi.  z.  B.  RatsbescliMs  vom  29.  September  1546.  R.-P. 
Bl.  2  b.  Immer  ist  es  Melancbthon,  an  den  sieb  der  ßat  in  solchen 
Angelegenbeiten  wendet.     Vergl.  u.  a.  R.-P.  1547/48  Bl.  82»- 

8)  Vergl.  Beilage  Nr.  2,  3,  4,  10,  13,  14. 

0)  Vergl.  Beilage  Nr.  2  u.  4. 

^^)  Siebe  Beilage  Nr.  1.  Vergl.  die  Bittscbreiben  Melaucbtbons 
an  den  Kanzler  Mordeisen  für  die  beiden  Zwickaner  Bartbolomäus 
Lasan  und  Dr.  Nikol.  Reinhold  im  Corp.  Reff.  IX,  168 flg.,  652. 
Weitere  Empfehlungen  junger  Gelehrter  aus  Zwickau  siebe  ebendas. 
II,  615 flg.  111,  923.     Vergl.  ferner  1,  865. 

")  Im  R.-P.  von  1547/1548  Bl.  67b  heifst  es,  um  nur  eins  von 
den  vielen  Beispielen  anzuführen,    betreffs    der  Berufung  des  Mag. 

Georg  Thiem  zum  Rektoi- :  „ So  sol  man  nach  Georgio  Tbimen, 

itzo  Schulmeister  zu  Herzbergk  (fälschlich  statt :  Zerbst) trachten 

vnd  denselben  vociren,  denn  er  von  vielen  gelehrten  leuten  guth  zeugk- 
nis  bat  vnd  sonderlicli  von  Herrn  Pbilippus  Melanthon."  Vergl. 
aucb  die  Beilagen  Nr.  4  u.  10. 


Die  Beziehungen  Melanchthous  znr  Stadt  Zwickau.  51 

die  die  Schule  betrafen,  zu  Eate  zog.  Einen  Philipp 
Melanchthon,  der  wie  keiner  vor  ihm  die  Wichtigkeit 
einer  guten  A'^olksbildung  erkannt  hatte,  mulste  es  mit 
ganz  besonderer  Freude  erfüllen,  dals  Eat  und  Bürger- 
schaft in  der  Unterstützung  ihrer  Schule  wetteiferten. 
Mit  Stolz  bezeichnete  der  Rat  die  Schule  als  der  Stadt 
„köstlichstes  kleynot",  mit  Eifer  wachte  er  darüber,  dals 
sie  mit  tüchtigen  Lehrern  besetzt  wurde,  die  eine  Uni- 
versität besucht  und  sich  den  Grad  eines  Magisters  oder 
wenigstens  eines  Baccalaureus  erworben  haben  muisten^"-). 
Unter  dem  Eektorate  des  tüchtigen  Petrus  Plateanus, 
eines  Pädagogen  von  Gottes  Gnaden,  der  in  Wittenberg 
zu  den  Fülsen  Melanchthons  gesessen  hatte,  erlangte  die 
Zwickauer  Schule  in  den  Jahren  1535—1546  ihr  goldenes 
Zeitalter.  Freilich  verleideten  dem  wackern  Gelehrten 
schon  in  den  ersten  Jahren  seiner  Thätigkeit  in  Zwickau 
allerhand  ärgerliche  Streitigkeiten  mit  dem  heiisspornigen 
und  rechthaberischen  Stadtpfarrer  M.  Leonhard  Bej^er 
seine  Stellung  in  einer  Weise,  dals  er  nahe  daran  war, 
Zwickau  Avieder  zu  verlassen.  Nur  dem  Eingreifen  der 
Wittenberger  Gelehrten,  sowie  den  Bemühungen  des  Kui-- 
fürsten  gelang  es,  die  Streitigkeiten  beizulegen  und  einen 
dauernden  Frieden  zwischen  den  beiden  Männern  herzu- 
stellen^-^). Ungestört  konnte  sich  jetzt  Plateanus  seiner 
pädagogischen  Thätigkeit  widmen,  und  Dank  seiner  un- 
vergleichlichen Lehrmethode  und  seiner  straften  Dis- 
ziplin^^) gewann  die  von  ihm  geleitete  Schule  nicht  nur  in 
Sachsen,  sondern  in  ganz  Deutschland  einen  solchen  Puf, 
dals  die  Zahl  der  zum  Teil  den  vornehmsten  adligen  Familien 
angehörigen  Schüler  schon  1538  auf  500,  1 544  aber  sogar 
auf  800  stieg.  Diese  stetig  steigende  Schülerzahl  legte 
der  Stadt  natürlich  nicht  unerhebliche  Opfer  auf.  Bei 
der  Versorgung  der  Scliule  mit  tüchtigen  Lehrkräften 
wurde  die  Stadt  von  dem  allezeit  hilfsbereiten  Melanch- 


■■-)  Verg-l.  meine  Aliliandlung  im  Zwiikauer  (iyiniiasialpro- 
gramm  vom  .Talirf  1878:  „M.  Petrus  Plateanus,  Rektor  der  Zwickauer 
Schule  von  1535  bis  1.546",  wosell)st  auch  austiilirlichere  Mitteihumen 
über  die  Kntwickelnng  des  Zwickauer  Schulwesens  in  den  ersten 
Zeiten  der  Keforniation  zu  linden  sind. 

^•')  Verg-l.  ül)er  diese,  namentlich  durch  die  Einmischung  des 
Stadtpfarrers  in  die  Schulangelegenlicifen  liervorgerufenen  Streitig- 
keiten meinen   i'lateanus,  S.  9—12. 

")  Die  Schule  erhielt  deswegen  den  Spitznamen  der  „Zwickauer 
Schleifmühle".   S.  m.  Plateanus,  S.  21. 

4* 


52  Ernst  Fabian: 

thon  getreulich  unterstützt^'^),  wie  er  denn  überhaupt  keine 
Gelegenheit  vorübergehen  liels,  in  Wort  und  Schrift,  seiner 
Zuneigung  zur  Stadt  Zwickau,  „die  er  alzeit  besonder  ge- 
liebet", Ausdruck  zu  verleihen  und  namentlich  ihrer  auf 
die  Hebung  des  Schulwesens  gerichteten  Bestrebungen 
die  wärmste  Anerkennung  zu  zollen  ^*^).  Die  schweren 
Drangsale  des  Sclnnalkaldischen  Krieges,  der  das  eifrig 
kursächsisch  gesinnte  Zwickau  mit  besonderer  Härte  traf  ^'), 
brachten  die  blühende  Schule  in  Verfall,  zumal  da  der 
Mann,  auf  dessen  gewaltiger  Persönlichkeit  zu  einem  guten 
Teile  ihre  Blüte  berulit  hatte,  sich,  oifenbar  unzufrieden 
mit  der  neuen  Ordnung  der  Dinge,  von  Zwickau,  der  Stätte 
seines  Ruhms,  wegwendete,  um  die  Stellung  eines  Superinten- 
denten in  Aschersleben  anzunehmend^).  Als  in  der  durch 
die  Kriegsdrangsale  hart  mitgenommenen  Stadt  Ruhe  und 
Ordnung  wieder  eingekehrt  waren  und  der  regelmäfsige 
Geschäftsgang^^)  wieder  begonnen  hatte,  da  wendete  auch 
der  Rat  sofort  wieder  dem  Schulwesen  seine  ganze  Auf- 
merksamkeit zu.  Die  Hauptsorge  war  die,  einen  geeig- 
neten Ersatz  für  den  abgegangenen  Rektor  zu  beschaffen, 
und  auch  diesmal  hielt  man  an  dem  althergebrachten 
Grundsatz  fest,  w^omöglich  nur  einen  Bürgerssohn  in  diese 
Stellung  zu  berufen.  Man  richtete  sein  Augenmerk  zu- 
nächst auf  den  Schneeberger  Rektor  M  Christophorus 
Walduf   (Baldauf),  der  bereits  1539—1543  als    Tertius 


i"^)  Siehe  R.-P.  1536/37  El.  22  a.  27  a,  1543/44  Bl.  39»',  sowie  das 
Schreiben  des  Eats  an  den  Kurfürsten  aus  dem  Jahre  1544  in  m. 
Plateanus  S.  32,  Beil.  H.  Zu  den  Mitarbeitern  des  Phiteanus  gehörte 
u.  a.  auch  eine  Zeitlang  der  als  Dramendichter  bekannte  Paul 
Rebhiahn. 

16)  Yergl.  die  Stelle  im  testimouium,  welches  er  1548  als  Dekan 
der  philosophischen  Fakultät  dem  designierten  Rektor  Thiem  aus- 
stellte (Corp.  Reff.  VI,  806),  wo  es  n.  a.  heifst:  „Decus  Irarum  regio- 
num  diu  fuit  Cygiiea,  et  paene  Massiliae  similis  in  bis  regionibus,  quia 
disciplina  et  mores  majori  severitate  regit,  quam  pleraque  alia  oppida". 

„Artium  vero  officiis  vincit  Cygnea  omnia  harum  regionuin 

oppida.  Curat  etiam  pie  doceri  et  regi  Ecclesias  et  praecipue  lite- 
rarum  scholam  tueri  et  ornare  semper  solita  est."  In  gleich  rühmen- 
der Weise  äufsert  er  sich  über  Zwickau  in  seiner  Vorrede  zu  Georg 
Thiems  Exempla  syntaxeos.     Viteberg  1548. 

17)  Vergl.  darüber  meine  Abhandlung:  „Die  Stadt  Zwickau 
unter  den  Einwirkungen  des  Schmalkaldischen  Kriegs"  im  1.  Hefte 
der  Mitteilungen  desAltertumsvereins  fürZwickau  und  Umgegend  1887. 

^^)  Er  starb  in  dieser  Stellung  schon  am  27.  Januar  1551. 

^^)  Die  erste  Ratssitzung  nach  der  Heimkehr  der  von  Herzog- 
Moritz  am  31.  Januar  1547  vertriebenen  Bürgerschaft  fand  am 
18,  Juni  desselben  Jahres  statt. 


Die  Beziehungen  Melanchthons  zur  Stadt  Zwickau.  53 

au  der  Zwickauer  Schule  tliätig  geweseu  war,  besclilols 
aber  zugleich  für  den  Fall  der  Ablehnung  Baldaufs  aulscr 
dem  hochangesehenen  Stadtphysikus  Dr.  Janus  Corna- 
rius-")  noch  Philipp  Melanchthon  und  Caspar  Cruciger 
zu  beauftragen,  sich  nach  einem  tüchtigen  Rektor  umzu- 
sehen'-^). Da  nun  um  diese  Zeit  der  stellvertretende 
Leiter  der  Scliule,  M.  Paul  Dallwitzer,  wahrscheinlich  weil 
er  sich  verletzt  fühlte,  dafs  man  bei  der  Neubesetzung  des 
Rektorats  ihn  vollständig  beiseite  setzte,  seine  Stellung 
in  Zwickau,  ungeachtet  aller  Bemühungen--)  des  Rats, 
ihn  zu  halten,  verliefe,  um  das  ihm  übertragene  Amt  eines 
Rektors  oder  „Schulmeisters"  in  Joachimsthal  anzunehmen, 
so  kam  die  Stadt  in  nicht  geringe  Verlegenheit.  Me- 
lanchthon und  Cruciger  schlugen  den  berühmten  Witten- 
berger Gelehrten  Johannes  Marcellus  Regius  zum  Rektor 
vor,  auf  den  auch  Cornarius  bereits  vorher  aufmerksam 
gemacht  hatte.  Da  jedoch  Marcellus  Regius  mit  Rück- 
sicht darauf,  dafs  die  Wiedereröffnung  der  Wittenberger 
Universität  in  naher  Aussicht  stand,  sich  al)lehnend  ver- 
hielt, so  wendete  sich  Melanchthon  am  9.  August  1547 
an  Caspar  Peucer,  seinen  nachmaligen  Schwiegersohn,  um 
ihm  das  Zwickauer  Rektorat  anzutragen--^):  „Urbs  Cygnea 
quaerit  virum  doctuni,  quem  praeficiat  suae  scholae,  et 
cum  Marcello  ea  de  re  egit.  Verum  is  quoque  exspectat 
nostrae  Trojae  restitutionem.  Tu  si  Cj'gneae  esse  voles, 
de  te  ad  Senatum  scripturus  essem,  xcd  doxsl  jioi  on 
^xeh'o  jTQay/ia  nvx  ^'an  chsTritrjSeiov  (fiXoffocfovvTi.  Sed 
delibera."  Aber  auch  Peucer  scheint  aus  den  gleichen 
Gründen  wie  Marcellus  Regius  das  Anerbieten  abgelehnt 
zu  haben.    Der  Rat  besclilols^"*)  nunmehr,  mit  dem  Schnee- 


-")  Vergl.  über  diesen  berühmten  Gelehrten  aufser  den  Notizen 
in  den  Zwiekauer  Chroniken  von  Wilhelm,  Schmidt  und  Herzog  nocli 
G.  F.  Döhner:  , .Kurze  Notizen  aus  dem  Leben  einiger  Gelehrten 
Zwickaus",  Zwickau  1817,  sowie  „Allgemeine  Deutsche  Biographie" 
und  „Jöchers  Gelehrtenlexikon"  s.  v.  Cornarius. 

■-M  Ratsbeschlul's  vom  30.  Juli  1547. 

")  R-P.  1546/47,  Bl.  46'S  1.  August  1547.  Mgr.  Paulus  Dal- 
witzscher:  „Nachdem  ihnie  allhic  guter  willen  liewieseii  ist,  auch 
ferner  liette  gescheen  können,  weil  er  aber  des  Scliuhneisters  Petri 
Plateani  abschied  weis  vnd  das  die  Schule  itzo  nichtes  vorsehen, 
auch  kein  andrer  Schulmeister  vorhanden,  so  sal  seines  jelingen  ab- 
schieils  vnd  vnversehenen  hinwegkweiidens  ernstlich  mit  ihmc  ge- 
redt werden  vml  das  der  ]lat  doran  keinen  gefallen  trage"  u.  s.  w. 

23)  CoriJ.  Reft;  VI,  267. 

-*)  R.-P.  1546/47,  11.  August  1547:  „Nachdem  mitt  dem  Hern 
Philippe  Melanthonj  vnd  Doctorj  Creutzinger  verschinnen  Landtags 


54  Ernst  Fabian: 

berger  Rektor  Baldauf  in  ernstliche  Unterhandlungen  zu 
treten.  Da  sich  dieselben  jedoch  infolge  der  zu  grofsen 
Ansprüche  Baldaufs  zerschlugen,  so  richtete  der  Rat  sein 
Augenmerk  auf  den  namentlich  von  Melanchthon  Avarm 
empfohlenen  -'^)  Georg  Thiem,  einen  geborenen  Zwickauer 
und  ehemaligen  Ratsstipendiaten,  der  damals  die  Stelle 
eines  Schulmeisters  in  Zerbst  bekleidete'-").  Da  der  Rat 
von  Zerbst  Schwierigkeiten  bezüglich  der  Entlassung 
Thiems  machte,  so  verwendete  sich  Melanchthon  persön- 
lich zu  Gunsten  Thiems  und  erreichte  in  der  That  da- 
durch seine  Entlassung  aus  Zerbst-').  Der  in  Aussicht 
genommene  Rektor  Avar  noch  nicht  im  Besitze  der  Ma- 
gisterwürde. Der  Rat  jedoch  verlangte  von  ihm  mit  aller 
Entschiedenheit-^),  er  müsse  vor  Übernahme  seiner  neuen 
Stellung  erst  in  Wittenberg  promovieren,  und  wendete 
sich   in   dieser  Angelegenheit   nicht   nur   direkt   an  Me- 


Margarethe  zu  Leipzigk  von  wegen  eines  Schulmeisters  geredt  vnd 
gebethen,  nach  einem  zu  trachten  helifen,  vnd  sie  Mgrm.  Johannem 
Marcellum  Regiuni  furge  seh  lagen,  denen  auch  hieuor  Doctor  Janus 
Cornarius  furgeschlagen  hat,  aber  man  kan  defs  nicht  gewifs  sein, 
weil  die  vniuersitet  zu  wittenbergk  wider  angericht  wirdt,  So  sal 
nach  Mgro.  Christophoro  Walduff,  Schulmeister  vffm  Schneberge,  wie 
znuorn  beschlossen,  getrachtet  werden"  (R.-P.  Bl.  49  •')■ 

■-■')  Siehe  Beil.  Nr.  4.  R.-P.  1546/47,  Bl.  67 1^  (Ratsbeschlufs  vom 
10.  Oktober  1547). 

26)  Vergl.  meinen  Plateanus  S.  25,  Anm.  142. 

2'')  Diese  Angelegenheiten  sind  von  mir  näher  dargestellt  worden 
im  2.  Hette  der  Mitteilungen  des  Zwickauer  Altertumsvereins  1888 
(..Die  Wiederaufrichtung  der  Zwickauer  Schule  nachdem  Schmalkal- 
dischen  Kriege"). 

-ä)  Auf  die  Entschuldigung  Thiems,  dafs  es  ihm  wegen  der 
Kürze  der  Zeit  noch  nicht  möglich  gewesen  sei,  die  Magisterwürde 
zu  erwerben,  schrei))t  ihm  der  Rat  am  7.  Dezember  1547  u.  a. :  „Euer 
jüngst  gethane  antwurt  der  promotion  ballier,  haben  wir  empfangen 
vnd  hören  lesen,  vnd  oli  derselben  nicht  wenig  misfallens,  dann  wir 
jhe  dis  nicht  allein  gemeiner  Stadt,  auch  vns  vnd  vnserer 
Schulen,  sondern  auch  euch  zu  ehren  vnd  bestem  bedacht 
vnd  furgenommen  hal)en,  wie  jr  denn  wol  wisset,  das  die 
Schulmeister  jhe  vnd  allewege  Magistri  gewesen  seint. 
Dorumb  ir  euch,  solche  antwurt  zu  schreiben,  pillich  enthalten  sollen 
vnd  der  Sachen  mitt  mehrem  bedacht  wargenommen  haben  vnd  kan 
euch  die  vermeinte  angetzogene  kurtze  der  zeit  nicht  releviren  noch 
entschuldigen,  vilweniger  das  euch  das  examen  im  wege  sein  solle, 
dann  wir  beim  Herrn  Philip po  so  vil  erhalten  vnd  den  fleis  ange- 
wandt, das  es  keine  noth  wirdt  haben .   Weil  jr  nuhn  beim 

Herrn  Philip  po  wol  l)ekannt,  vnd  er  auch  eure  studia  vnd  gelegen- 
heit  innehat,  so  wissenn  Avir  Sdvil,  das  ers  zu  euerem  besten  wirdt 
richten  vnd  an  ime  nichtes  euwinden  lassen,  wie  er  vns  denn  zuge- 
schrieben hat ."     (Ratsarchiv.) 


Die  Beziehungen  ]Melanclithons  zur  Stadt  Zwickau.  55 

lanchthon"-''^)  mit  der  Bitte,  sich  Thiems  anzunehmen, 
sondern  unterstützte  den  letzteren  auch  zum  Zwecke  der 
Promotion  mit  GekP*^).  Leider  entsprach  der  neue  Rektor 
keineswegs  den  auf  ihn  gesetzten  Erwartungen.  Zwar 
war  er  unleugbar  ein  vielseitig  gebildeter  Mann,  der  es 
auch  nicht  an  gutem  Willen  fehlen  liels"^),  aber  für  seine 
verantwortungsvolle  Stellung  war  er  entschieden  zu  jung, 
und  da  er  sich  weder  bei  Lehrern  noch  bei  Schülern  die 
nötige  Achtung  zu  verschaffen  wuIste,  so  verfiel  die  Schul- 
zucht in  bedenklichem  Mafse,  und  der  Rat  sah  sich  in- 
folgedessen genötigt,  Thiem  schon  nach  l^o  jähriger  AVirk- 
samkeit  wieder  zu  entlassen"^-),  xlbermals  fafste  der  Rat 
als  neuen  Leiter  der  Schule  den  Marcellus  Regius  ins 
Auge,  ohne  indessen  von  ihm  eine  bestimmte  Zusage  zu 
erhalten,  weshalb  der  Rat  sich  persönlich  an  Melanch- 
thon  wendete^*"),  um  Aufklärung  über  die  Willensmeinung 
des  Marcellus  von  ihm  zu  erhalten  und  zugleich  ihn  im 
Falle  einer  ablehnenden  Antwort  zu  bitten,  sich  bei 
M.  Esroni  Rüdinger  betreffs  der  Annahme  des  Rektorats 
zu  verwenden.  Der  Syndikus  Dr.  Niliolaus  Reinhold  aber 
erhielt  die  Weisung,  nach  Wittenberg  und  Leipzig  zu 
gehen,  um  mit  Hilfe  der  dortigen  Gelehrten  einen  neuen 
Rektor  zu  erlangen-^*). 

Da  auch  diesmal  die  Unterhandlungen  mit  dem  in 
erster  Linie  in  Aussicht  genommenen  Marcellus  Regius 
zu  keinem  Ziele  führten,  so  gab  Melanchthon,  dem 
Wunsche  des  Rats  entsprechend,  dem  Syndikus  bei  seiner 
Abreise  nach  Leipzig  an  den  damals  dort  aufhältlichen 
M.  Esrom  Rüdinger'^')  von  Bamberg,  den  Schwiegersohn 
des   berühmten  Joachim   Camerarius,    ein   Empfehlungs- 


-")  Vergl.  Beil.  Xr.  4  und  das  Schreiben  des  Rats  an  Melanchthon 
betreffend  die  Promotion  Tliieuis  in  den  Mitteilungen  des  Zwickauer 
Altertunisvereins  II,  25,  Nr.  IX. 

'"')  Der  Rat  versprach  ihm  20  Gulden  zu  geben.  11.- P.  1547 
bis  1548  Bl.  3''flg. 

")  Besondere  Aufmerksamkeit  wendete  er  den  Schulaufführungen 
zu.  Vergl.  darübei'  meinen  Aufsatz  in  den  Mitteilungen  des  Alter- 
tumsvereins für  Zwickau  uiul  Umgegend  I,  88tlg.,  Anm.  -2. 

32)  Vergl.  die  Klagen  ül)er  Tliiems  Nachlässigkeit,  sovv'ie  die 
ihm  erteilten  Waniuniien  und  A'crweisp.  H.-P.  1548/l!i  151.  18i'.  36 1". 
58^1  und  lueiiieii  Aufsatz  im  l.  Heft  der  Mitteilungen  des  ZwickauiT 
Altertumsvereins. 

•'3)  Siehe  Beilage  Nr.  12. 

•")  Ratsl)eschlui's  vom  Sonnabend  nach  Joiiannis  Baptistae 
(29.  Juni)  1540.     Siehe  R.-P.  1548/49  Bl.  58''. 

■'••)  Er  wirkte  von  1547—1549  als  Lehrer  in  Schulpforta. 


56  Ernst  Fabian: 

schreiben  ■^*^)  mit.  Eüdinger  nahm  die  ihm  angetragene 
Stellung  an,  und  die  Stadt  hatte  seine  Wahl  nicht  zu 
bereuen.  Der  neue  Rektor,  ein  Mann  von  ausgezeich- 
neter Gelehrsamkeit  und  feinem  pädagogischen  Takte, 
wii'kte"^')  ganz  im  Geiste  des  Plateanus  und  brachte  gar 
bald  die  in  Verfall  geratene  Schule  zu  neuer  Blüte.  Aufs 
lebhafteste  unterstützt  wurde  er  in  seinem  Wirken  durch 
den  Eat,  der  ungeachtet  der  schweren  Opfer,  die  der 
Schmalkaldische  Krieg  der  Stadt  auferlegt  hatte,  doch 
unablässig  für  das  Wohl  der  Schule  und  ihrer  Angehörigen 
tliätig  Avar"'').  Selbstverständlich  brachten  diesem  regen 
Eifer  des  Zwickauer  Rats  für  die  Ausbildung  der  Jugend 
die  Wittenberger  und  Leipziger  Gelehrten  die  wärmste 
Anerkennung  entgegen.  Deshalb  folgten  denn  auch  im 
März  1550  Philipp  Melanchthon,  Joachim  Camerarius 
und  Marcellus  Regius  willig  der  Einladung  des  Rats, 
eine  Schulvisitation  in  Zwickau  abzuhalten •'^^.   Bei  dieser 


="')  Sielie  (las  Schreiben  3Ielanchtbons  an  Rüdinger  vom  13.  Juli 
1549  im  Corp.  Reif.  VII,  4.3.5  flg.  Ein  in  dieser  Angelegenheit  an 
den  Zwickauer  Rat  gerichtetes  Schreiben  Melanchthons  (siehe  Corp. 
Reff.  VII,  461)  ist  verloren  gegangen. 

'^''j  Er  wurde  am  28.  Oktober  in  sein  neues  Amt  eingewiesen, 
wobei  sein  Schwiegervater  Joachim  Camerarius  eine  lateinische  Rede 
hielt.  Siehe  P.  Schumanns  handschriftl.  Ann.  III,  Bl.  144-1.  Vergl. 
über  ihn  Herzog,  Gleschichte  des  Zwickauer  Gymnasiiaras  (Zwickau 
1869)  S.  25.  77flg.  Eine  ausführlichere  Biographie  des  verdienten 
Schnlraanne.'^  in  den  ,, Dresdner  gel.  Anzeigen".  .lalirg.  1790,  Nr.  25—28. 

o-j  Vergl.  in  dieser  Beziehung  die  Ratsbeschlüsse  über  die  „Be- 
soldung der  Schnlendiener"  und  über  die  „Ratsstipendiaten".  Siehe 
meine  Abhandlung  in  den  Mitteilungen  des  Altertumsvereins  für 
Zwickau  und  Umgegend  I,  89 flg. 

■''■'}  In  einer  Notiz  des  Ratsprotokolls  aus  jener  Zeit  wird  anfser- 
dem  noch  ein  Mag.  Casparus  erwähnt,  wahrscheinlich  der  Melanch- 
thon besonders  nahe  stehende  Caspar  Peucer,  der  jedenfalls  als  Privat- 
person die  Reise  nach  Zwickau  mitgemacht  hatte.  Vergl.  Mit- 
teilungen I,  91.  In  der  „Recimung  des  Rats"  von  Michaelis  1549  bis 
Michaelis  1550  S.  56  und  im  gleichzeitigen  „Chammerbuch"  S.  54 
findet  sich  folgende  Mitteilung:  „Sonnabend  nach  Quasimodo  (19.  April), 
IX  guete  fso:  lij  gr.  haben  die  Herren  theologen  mit  yrenn  dienern 
vnnd  pferdenn  vonn  Wittemlterg  vnnd  Leiptzigk  herauff,  auch  alhier 
Mid  wider  hinal)  vertzeret.  Als  sy  vom  Rath  der  Schule  hall»enn  an- 
hero  vermocht  seint,  nemlich  Dominus  philippus  Melanthon,  Dominus 
Joachimus  Camerarius  vnnd  Magister  Marcellus.  Von  einem  Mag. 
Mussilius,  von  dem  Hei'zog  in  seiner  Zwickauer  Chronik  II,  280  und 
in  seiner  Geschichte  des  Zwickauer  Gymnasiums  S.  26  nach  dem 
Vorgänge  der  alten  Chronisten  Wilhelm  und  Schmidt  zu  lierichten 
Aveifs,  findet  sich  in  den  Ratsakten  keine  Spur.  Die  Reise  nach 
Zwickau  wird  auch  im  Corp.  Reff.  VII,  556  u.  567  erwähnt.  Die 
Einladun«-  dazu  scheint  schon  1549  erfolgt  zu  sein.  Vergl.  Corp. 
Reff  VIi;  484  Nr.  4607. 


Die  Beziehungen  Melanchthons  zur  Stadt  Zwickau.  57 

Gelegenheit  wurden  auch  die  neuen  Schulgesetze,  sowie 
die  neue  Schulordnung ^'')  Rüdingers  eingeführt,  und  die 
Herren  Visitatoren  nahmen  Gelegenheit,  sich  durch  ])er- 
sönliches*^)  Examinieren  von  dem  Bildungszustande  der 
Schüler  zu  überzeugen.  Bei  so  treuer  Fürsorge,  wie  sie 
der  Zwickauer  Schule  von  allen  Seiten  zu  teil  wurde, 
war  es  nicht  zu  verwundern,  dals  dieselbe  nicht  nur  die 
ihr  durch  Rüdingers  Thätigkeit  gewonnene  hervorragende 
Stellung  behauptete,  sondern  auch  später  noch  unter  der 
Leitung  tüchtiger  Rektoren,  bei  deren  Auswahl  der  Rat 
mit  groiser  Sorgfalt  zuwege  ging,  sich  eines  zunehmen- 
den Aufschwunges  erfreute.  Fehlen  uns  auch  darüber, 
dals  Melanchthon  später  durch  persönliches  Eingreifen 
seine  Aufmerksamkeit  für  das  Zwickauer  Schulwesen  be- 
thätigt  habe,  die  Nachrichten  vollständig,  so  lälst  sich 
doch  bei  der  Zuneigung,  die  er  zur  Stadt  Zwickau  hegte, 
mit  Bestimmtheit  erwarten,  dals  er  auch  in  seinen  letzten 
Lebensjahren  sein  lebhaftes  Interesse  für  die  Zwickauer 
Schule  nicht  verloren  haben  wird^-). 

Das  gleiche  Vertrauen,  welches  der  Rat  bei  allen 
wichtigen  Schulangelegenheiten  Melanchthon  entgegen- 
brachte, äuiserte  sich  dem  treuen  Freunde  und  Berater 
gegenüber  auch  noch  in  anderen  Beziehungen.  Neben 
den  Angelegenheiten  der  Schule  waren  es  selbstverständ- 
lich die  der  Kirche,  die  in  erster  Linie  seine  xiufmerk- 
samkeit  auf  sich  zogen.  Bald  handelt  es  sich  um  eine 
Besetzung  von  Kirchenämtern,  bald  um  seine  Vermitte- 
lung  in  irgend  einem  ärgerlichen  Streithaudel.  Gerade 
hierbei  hatte  der  mildgesinnte,  von  allen  verehrte  Me- 
lanchthon oft  genug  Gelegenheit,  zum  Frieden  zu  reden, 
zumal  da  der  Nachfolger  Nikolaus  Hausmanns,  Zwickaus 
erster    Superattendent ,    M.  Leonhard  Beyer  *='),    infolge 


'")  Beide,  lateinisch  geschrieben,  sind  handschriftlich  in  der 
Eatsschulbibliothek  (UUU  VI.  S.  lloiii--.). 

^1)  ,. Sonnabend  nach  Lätare  (22.  März  l."i50)  seyn  allhie  ein- 
koramen  Philipp  Melanchthon,  Joacliini  Cainerarius  vnd  Georg  Mussilius, 
haben  oxamcn  in  der  Schule  gehalten,  viid  hat  Phil:  den  Knaben  das 
17.  Cap.  Job.  «elesen-'  berichtet  Laur.  Wilhelm  in  seiner  l)cs(  riptii» 
urbis  Cygneae  S.  238  und  nach  ihm  Tob.  Schmidt  in  seiner  Zwickauer 
Chronik  II,  3.58. 

'-)  Vergl.  den  Drief  an  Esrom  Rüdinger  vom  .lahrc  1,").")3  im 
Corp.  Reff.  VIII.  101. 

'3)  M.  Leonh.  Beyer  aus  Efslingen,  ein  ehemaliger  Augustiner- 
möuch,  studierte  in  Wittenberg  (vergl.  Förstemann,  Album  Viteberg, 
S.  51  1.  6.  Name:  1.514  S.  5:  Leonhardus  Beyer,  ordinis  s.  Augustini 


58  Ernst  Faljian: 

seines  rechthaberischen  und  herrischen  Wesens  eine 
Reihe  ärgerlichen  Streitigkeiten  hervorrief,  die  bei  dem 
damals  üblichen  Gebrauche  der  Geistlichen,  alle  sie 
betreffenden  Angelegenheiten,  so  wenig  sie  auch  an  und 
für  sich  in  das  Gotteshaus  gehören  mochten,  auf  die 
Kanzel  zu  bringen,  gar  wohl  geeignet  waren,  den  Frieden 
der  Gemeinde  in  empfindlicher  Weise  zu  stören.  Nach- 
dem die  oben  erwähnten  Milshelligkeiten  Beyers  mit  dem 
Rate  und  dem  Rektor  Plateanus  durch  die  Bemühungen 
Melanchthons  und  seiner  Wittenberger  Freunde  bei- 
gelegt worden  waren,  entspann  sich  ein  neuer  Streit 
zwischen  dem  Stadtpfarrer  und  dem  Prediger  an  der 
Katharinenkirche,  M.  Christophorus  Bring  ^*).  Letzterer 
hatte  die  Verpflichtung,  mit  dem  Stadtpfarrer  abwechselnd 
die  Donnerstagpredigt  früh  in  der  Hauptkirche  zu  Sankt 


Augustan.  Dioec),  «laiin  Prediger  in  Guben,  wo  er  auf  Luthers 
Anraten  eine  ehemalige  Nonne,  Gertrud  v.  Mylen,  1525  heiratete, 
1532  in  Wittenberg  in  Luthers  nächster  Umgebung,  gegen  Ende 
dieses  Jahres  Pfarrer  in  Zwickau,  wo  er  das  Werk  der  Reformation 
vollendete.  1549  wegen  Nichtanerkennung  des  Leipziger  Interims 
auf  landesherrlichen  Befehl  entlassen,  wendete  er  sich  nach  Cottbus 
und  wurde  zuletzt  Superintendent  in  Küstrin,  wo  er  1552  starb. 
Vergl.  die  zahlreichen  Briefe  Luthers  au  ihn  bei  de  Wette -Seide- 
mann. Eine  Anzahl  eigenhändiger  Briefe  Beyers  besitzt  auch  das 
Zw.  Pv.-A.  Siehe  meinen  Aufsatz  im  Zw.  Wochenbl.  Nr.  26 flg.  1885: 
,, Urkundliche  Beiträge  zur  Geschichte  Zwickaus  in  der  Zeit  des 
Schmalkaldischen  Krieges".  Weitere  Nachrichten  über  diesen  hervor- 
ragenden Mitarbeiter  am  Weike  der  Reformation  siehe  auch  bei 
Hildebrand,  Jubelprogramm  1830,  S.  17flg.  u.  ders.,  Die  Haupt- 
kirche St.  Maria  zu  Zwickau  (1841)  S.  97. 

")  M.  Christophorus  Ering  hatte  in  seiner  Vaterstadt  Leipzig 
studiert,  wurde  daselbst  1508  Baccalaureus  und  1515  Magister,  war 
dann  bis  1528  Mefspriester  oder  Prediger  in  Annaberg,  von  wo  aus 
er  nach  Joachimsthal  in  Böhmen  berufen  wurde.  Im  Sommersemester 
1532  erscheint  er  unter  den  Immatrikulierten  von  AMttenberg 
(S.  Förstemann,  Alb.  Vit.  S.  146).  Unbestimmt  ist  es,  zu  welcher 
Zeit  er  Hofmeister  oder  Präceptor  bei  dem  jungen  Herzog  Moritz 
von  Sachsen  war.  Dieser  seiner  ehemaligen  Stellung  verdankte  er 
wohl  auch  die  Vermittlerrolle,  die  ihm  während  der  Belagerung 
Zwickaus  im  Schmalkaldischen  Kriege  durch  Rat  und  Bürgerschaft 
übertragen  wurde  (s.  m.  Arb.  in  den  Mitteil,  des  Zw.  Altertumsvereins 
I,  34  flg.,  37  flg.).  1533  erscheint  Ei'ing  als  Prediger  an  der  Marien- 
kirche zu  Zwickau  und  1540  wurde  er  Hauptprediger  zu  St.  Katha- 
linen.  In  dieser  Stellung  nun  geriet  er  in  den  erwähnten  Streit 
mit  dem  Stadtpfarrer.  1553  wurde  er  selbst  zum  Stadtpfarrer  und 
Superintendenten  gewählt,  starb  aber  schon  im  folgenden  .Tahre,  tief- 
betrauert von  der  gesamten  Bürgerschaft.  Vergl.  ITildeb  rand.  Die 
Haujitkirche  St.  Maiiä  zu  Zwickau  S.  98.  Ders.  in  der  Jubiläums- 
schrift zu  Ehren  des  Superintendenten  Lorenz  1830,  S.  24flg. 


Die  Beziehuiigeii  Mclauchthons  zur  Stadt  Zwickau.  59 

Marien  zu  halten,  Aveigerte  sich  aber  mit  Rücksicht  auf 
seine  angeblich  zu  scliwache  Stimme,  in  dem  großen, 
weiten  Gotteshause  zu  predigen.  Die  Angelegenheit  kam 
1545  bis  an  den  Kurfürsten  und  wurde  dann  durch  kui'- 
fürstliche  Kommissare  zu  Ungunsten  Erings  entschieden, 
der  denn  auch  erklärte,  „er  wolle  sich  fortan  gegen  dem 
hern  pastor  gehorsamlich  halten,  auch  ermelte  predigt 
helffen  thun,  do  er  gleich  vffm  predigstuele  solde  pleiben"^^). 
Indessen  scheint  ihn  der  Rat,  jedenfalls  mit  Rücksicht 
darauf,  dals  Ering  ein  aufserordentlich  beliebter  Kanzler- 
redner war,  auf  eigne  Faust  stillschweigend  von  jener 
Verpflichtung  entbunden  zu  haben  ^'^).  Bei  einer  neuen 
Gehaltsregulierung  der  Geistlichen  indessen  kam  die 
Angelegenheit  wiederum  zur  Sprache,  und  der  Stadt- 
pfarrer verlangte  auf  das  Bestimmteste,  Ering  solle  seiner 
Verpflichtung  nachkommen,  wie  er  denn  auch  seinerseits 
in  der  Katharinenkirche  abwechselnd  predigen  wolle. 
Ering  aber  blieb  auch  auf  freundliches  Zureden  des  Rates 
entschieden  bei  seiner  Weigerung,  „er  könte,  wölte  vnd 
möchte  es  nicht  thuen,  es  were  ihm  zu  schwer  seiner 
rede  halben".  Damit  man  aber  nicht  denke,  er  thue  es 
aus  Bequemlichkeit  nicht,  so  wolle  er  zu  St-.  Moritz  oder 
St.  Johannis  predigen.  Darauf  aber  ging  der  Pfarrer 
nicht  ein.  Zur  Verhütung  grölseren  Ärgernisses  beschlols 
hierauf  der  Rat,  sich  an  Melanchthon  und  Bugenhagen 
zu  wenden  und  zu  diesem  Behufe  den  Syndikus  Dr.  Nikol. 
Reinhold  und  den  Stadtschreiber  Wolf  Baldauf  nach 
Wittenberg  zu  entsenden^').  Gelang  es  nun  auch  den 
versöhnenden  Worten  der  Wittenberger  Herren  ^^),  diesen 
Streit  beizulegen,  so  drohten  doch  bald  andere  Verhält- 


*'')  li.-P.  von  1547/1548,  Hl.  22''  (Ratssitzuug  am  28.  De- 
zember 1547). 

'")  In  einem  Briefe  an  Beyer  schreibt  Ering:  „Ich  bin  vom 
Rath  für  2  iharon  befrej^ett,  das  ich  zu  vnser  frauen  nicht  predigen 
sali  von  wegen  meiner  schieren  spracli  etc",  und  Beyer  schreibt  mit 
bezug  darauf  an  den  Rat:  .,So  entscJiuUligt  er  (Ering)  sich,  das 
ein  erbar  Radt  jhn  vor  zweyen  j hären  liefreyet,  das  ei'  zu  vnser 
fraAven  nicht  dürfft  predigen,  welchs,  so  es  geschehen,  uiclit  Avenig 
V)eschwerlich,  wider  die  presentation  jlineu  gegen  mii-  zu  schitzen, 
welchs  ich  doch  niclit  lir)ft'e.  das  geschehen  sey."    (R.-A.) 

")  Die  Verbiiiidhingen  darül)er  fanden  statt  in  iler  Ratssitzung 
vom  31.  Dezeml)er  1547,  R.-]\  BI.  26Hg. 

''')  Siehe  den  Brief  von  Bugenhngen,  Crmiger  und  .Melauchtlu»n 
an  Beyer  und  Ering  vom  22.  Januar  1548  im  Corp.  Reft'.  VI,  792  flg. 
luid  den  von  Melanchthon  an  den  Rat  v(in  demselben  Tage  ebenda  794. 


60  Ernst  Fabian: 

nisse  den  i'rieden  der  Gemeinde  aufs  neue  zu  gefährden. 
So  oft  auch  Ering  und  Beyer  mit  einander  in  Streit  ge- 
legen hatten,  in  einem  Punkte  fühlten  sie  sich  einig,  im 
Hasse  gegen  die  neue  albertinische  Landesherrschaft ^•■)  und 
das  in  Aussicht  stehende  Interim,  gegen  dessen  Annahme 
sie  aufs  heftigste  protestierten.  Diese  Haltung  der 
Zwickauer  Geistlichkeit  war  es  wohl  in  der  Hauptsache, 
was  den  Kurfürsten  Moritz  veranlaiste,  im  März  1548 
an  Melanchthon,  Georgius  Major,  Caspar  Cruciger,  den 
damaligen  Rektor  der  Wittenberger  Universität,  und  den 
Leipziger  Stadtpfarrer  Dr.  Johann  Pfeffinger,  die  beordert 
waren,  sich  nach  Augsburg  in  der  Angelegenheit  des  In- 
terims zu  begeben,  die  Weisung  ergehen  zu  lassen  °**),  sich 
auf  einige  Zeit  nach  Zwickau  zu  verfügen.  Unterwegs 
jedoch,  in  Altenburg,  erhielt  Melanchthon  Befehl''^)  sich 
von  seinen  Begleitern  zu  trennen  und  sich  nach  dem 
Kloster  Altenzelle  zu  begeben,  da  der  Kaiser  seinem 
Zorn  gegen  ihn  unverhohlen  Ausdruck  gegeben  hatte.  Die 
übrigen  Gelehrten  trafen  am-Gründonnerstag,  den  29.  März, 
in  Zwickau  ein  und  verweilten  daselbst  bis  Sonnabend 
nach  Quasimodogeniti  (14.  April)''-).  Ganz  abgesehen 
davon,  dals  sie  selbst  zum  Teil  zur  Osterzeit  in  den  beiden 
Hauptkii'chen  der  Stadt  predigten'^")  und  an  der  Ein- 
weihung'^^) der  neuen  Schule  im  Grünhainer  Hofe 
sich  beteiligten,  wobei  Cruciger  eine  lateinische  Rede 
hielt,  darf  man  wohl  mit  Bestimmtheit  annehmen,  dals  die 
genannten  Gelehrten  auch  die  Gelegenheit  benützt  haben 
werden,  die  kirchlichen  Angelegenheiten  Zwickaus  einer 
näheren  Prüfung  zu  unterziehen  und  diebeiden  angesehen- 
sten Geistlichen,   Beyer  und  Ering,    zu  einer  mafsvollen 


ii>)  Yergl.  darüber  meine  Abhandlung  in  den  Mitteilungen  des 
Altertumsvereins  für  Zwickau  und  Umgegend  I,  73%. 

■''^)  Siehe    das    Schreiben  Melanchthons    an   Georg   von  Anhalt 

vom  25.  März   1547   im  Corp.  Retf.  VI,  836: „propter  aulicas 

literas,  f[uil)us  et  Pfefiingerus  et  alii  et  egoCygneam  vocamur". 

■''^)  Siehe  Melanchthons  Schreiben  an  Joach.  Camerarius  vom 
26.  März  im  Corp,  Reit.  VI,  8.38:  „Nunc  distrahor  a  comitibus  et 
Cellam  vocor".  Vergl.  ferner  den  an  Cruciger  gerichteten  Brief  vom 
1.  April  im  Corp.  Reff'.  VI,  636  flg. 

"-)  P.  Schumanns  handschriftl.  Annal.  III,  Bl.  107b. 

•''")  Ebenda  Bl.  107 '»flg.  Major  erhielt  dafür,  dafs  er  seine  am 
Ostersonntag  in  der  Katharinenkirche  gehaltene  Predigt  in  Druck 
geben  liefs  und  dem  Rate  dedizierte,  von  letzterem  eine  „Verehrung" 
von  8  (luldengro sehen  laut  Ratsbeschlufs  vom  15.  Juni  1549.  R.-P. 
Bl.  56='. 

■'')  30.  April  laut  P.  Schumanns  Bericht  III,  Bl.  108b. 


Die  Beziehungen  Melanohthons  zur  Stadt  Zwickau.  61 

Haltung  in  der  Frage  des  Interims  zu  ermahnen,  damit 
der  Stadt,  auf  die  Kurfürst  Moritz  ohnehin  wegen  ihrer 
notorischen  Anhänglichkeit  an  den  alten  Landesherrn  ein 
sehr  wachsames  Auge  hatte,  Unannehmlichkeiten  ei'spart 
würden.  Ihre  Bemühungen  in  dieser  Beziehung  waren  frei- 
lich ebenso  erfolglos,  wie  die  Malmworte  des  Rats.  Nament- 
lich Beyer,  der  mitdem  Eate  auch  wegen  verschiedenen  An- 
gelegenheiten rein  materieller  Natur  zerfallen  war,  bereitete 
dem  letzteren  durch  seine  malslose  Heftigkeit  schwere  Ver- 
legenheiten. AVeder  die  persönlichen  Bemühungen  einiger 
ihm  besonders  nahe  stehender  angesehener  Herren '''')  von 
Zwickau,  noch  ein  eindringliches  Schreiben  (2.  September 
1548)  der  AVittenberger  Gelehrten  Bugenhagen,  Georgius 
Major,  Rörer  und  Melanchthon,  von  denen  der  letztere 
die  Kopie  jenes  Schreibens"'")  nebst  einem  eigenhändigen 
Begleitbrief  an  den  Rat  abschickte,  vermochten  den  hals- 
starrigen Mann  auf  andere  Bahnen  zu  bringen.  In  der 
Erkenntnis,  dals  seine  Stellung  immer  unhaltbarer  werde, 
erbat  er  endlich  am  1.  Dezember  1548  seinen  Abscliied''^). 
Die  Wittenberger  Gelehrten  Bugenhagen,  Major  und 
Melanchthon  versuchten  zwar  durch  ein  Schreiben 
Mag.  Beyer  zum  Bleiben  zu  bewegen,  ohne  sich  jedoch, 
weil  sie  ihm,  als  starrem  Lutheraner,  wegen  ihrer  nach- 
giebigen Haltung  in  Sachen  des  Interims  verdächtig  waren, 
mit  der  Hoffnung  zu  schmeicheln,  dals  er  auf  ihren  Wunsch 
eingehen  werde •''^).  Von  einem  ernstlichen  Versuche,  den 
bei  einem  grofsen  Teile  der  Bürgerschaft  äulserst  be- 
liebten Kanzelredner  zu  halten,  wie  dies  früher  bereits 
mehrmals  geschehen  war,  konnte  diesmal  um  so  weniger 
die  Rede  sein,  als  schon  am  Anfange  des  Jahres  1549 
zwei  in  sehr  bestimmtem  Tone  gehaltene  Schreiben"''') 
des  Kurfürsten  Moritz  an  den  Rat  und  an  die  Gemeinde 
einliefen,  worin  bei  allerhöchster  Ungnade  der  Befehl  er- 
teilt wurde,  Beyers  Entlassungsgesuche  keinerlei  Hinder- 


•''")  Bei  einer  solchen  Unterredung,  die  Bej'er  mit  dem  an- 
gesehenen Arzt  und  Ratsherrn  Dr.  Stcpliau  Wild  und  dem  Ratsherrn 
Simon  Braun  im  Beisein  eines  fremden  Gelehrten  hatte,  überhäufte 
er  den  Rat  mit  den  gröbsten  Schmähungen  laut  RatsprotokitU  vom 
1.  Novemher  lö48. 

■''')  Siehe  die  Beilagen  Nr.  5  und  6. 

■''")  Das  Abschiedsgesuch  befindet  sich  im  R.-A.  III,  2.  14. 

-'*)  Siehe  das  Schreiben  der  genannten  Gelehrten  an  den  l\at 
vom  8.  Dezember  1548,  Beilage  Nr.  7. 

■'^)  Diese  von  Kuif.  Moritz  eigenhändig  unterzeichneten  Schrift- 
stücke befinden  sich  im  Zwickauer  Katsarchiv  (1\.-A  )  111,  2.  14. 


62  Ernst  Fabian: 

nisse  in  den  Weg  zu  legen  *^^).  Der  Rat  maclite  hierauf 
die  Wittenberger  Gelehrten  in  einem  besonderen  Schreiben 
mit  den  letzten  Vorgängen  bekannt  und  bat  sie  zugleich, 
der  Stadt  zu  einem  neuen  Pfarrer  zu  verhelfen '^^),  Mit 
dem  gleichen  Gesuche  wendete  sich  der  Rat  auch  an  den 
Leipziger  Stadtpfarrer  Dr.  Joh.  Pfeffinger.  Dieser  em- 
pfahl in  einem  besondern  Schreiben '^^j  an  Bürgermeister 
Hans  Unruh,  bei  dem  er  während  seiner  letzten  An- 
wesenheit in  Zwickau  gewohnt  hatte,  aufs  wärmste  den 
Mag.  Georg  Hala  von  Baireuth,  auf  den  der  Rat  ohnedies 
schon  sein  Augenmerk  gerichtet  hatte"-').  Dais  der  Rat 
in  einer  so  wichtigen  Angelegenheit  sich  auch  an  seinen 
bewährten  Freund  und  Berater  Philipp  Melanchthon 
wendete*'^),  ist  selbstverständlich.  Letzterer  scldug  im 
Einverständis  mit  seinen  Wittenberger  Kollegen  und  mit 
Rücksicht  auf  die  früheren  Streitigkeiten  zwischen  dem 
Stadtpfarrer  und  dem  Prediger  zu  St.  Katharinen  vor, 
die  kirchlichen  Yerhältnisse  in  Zwickau  in  der  Weise  zu 
ordneU;  dafs  „nur  ein  einiger  pastor  were  vnd  die  andern 
alle  als  diaconi,  vnd  nicht,  das  zwo  gleiche  person,  pastor 
vnnd  Prediger,  nebeneinander  regirten"  **'*).  Auch  ging 
sein  Rat  dahin,  den  Mag.  Ering  zum  Stadtpfarrer  und 
an  seine  Stelle,  „doch  im  titel  vnnd  standt  eines  Diaconi". 
den  M.  Georg  Hala  zu  berufen.  Bei  der  bekannten  Ge- 
sinnung Erings  aber  gegenüber  dem  Interim  und  der 
Haltung  des  Landesfürsten  in  dieser  damals  ganz  Deutsch- 
land bewegenden  Frage  konnte  es  der  Rat  unmöglich 
wagen,  auf  diesen  Vorschlag  einzugehen  und  er  beschlofs 
deshalb,  den  sowohl  von  Leipzig  als  auch  von  Wittenberg 
aus  gleich  warm  empfohlenen  Hala  zu  wählen.  Ein  in 
dieser  Angelegenheit  an  Pfeffinger  gerichtetes  Schreiben 


'*)  In  dem  an  die  Viertelsmeister  und  die  Clemeinde  gerichteten 
Schreiben  lieilst  es  u.  a. :  „Vndt  begeren  derhalben  Euch  hirmit 
ernstlich  befehlende,  das  jhr  dem  Rathe  jn  denie  keine  eyurehde  ader 

verhindernuge   thuett Bey  verhuettung  vnserer  ernsten  straffe 

vnd  vngenade."  Über  Beyers  Wegzug  (1.  März)  vergl.  meine  Abb. 
i.  d.  Mitteil.  d.  Altertumsver.  f.  Zw.  u.  U.  I,  75. 

"')  Die  Kopie  dieses  Schreibens  im  Zw.  R.-A.  III,  2.  15. 

^)  Original,  datiert  vom  6.  Februar  1549,  im  Zw.  R.-A.  ITI,  2. 15. 

"")  Dies  geht  aus  dem  Anfange  von  Pfefüngers  Brief  hervor: 
,,Ich  habe  von  dem  Hern  Doctor,  Euren  Sindico,  vernohmen,  das 
Ein  Erbar  radt  nicht  bösen  Lust  hette  zu  Mgro.  Georgen  Haien 
zum  pfarheru  zu  machen  bey  Euch'-. 

"*)  Siehe  den  Anfang  von  Melanchthons  Brief  vom  7.  Februar 
1549  (Beilage  Nr.  8). 

«■'*)  Siehe  Beilage  Nr.  8. 


Die  Beziehungen  Melanchthons  zur  Stadt  Zwickau.  63 

traf  den  Leipziger  Stadtpfarrer  iiiclit  daheim,  er  war 
noch  in  Geschäften  in  Merseburg.  Dafür  aber  nahmen 
Melanchthon,  der  sich  damals  zufällig  zur  Hochzeit  seines 
Freundes  Meurer  in  Leipzig  befand,  sowie  Joachim  Came- 
rarius  von  dem  Inhalte  des  Schreibens  Kenntnis,  und' 
Melanchthon  antwortete  sofort*''^),  dafs  Hala  davon 
benachrichtigt  und  gebeten  werden  solle,  bis  zu  der  in 
Aussicht  stehenden  Ankunft  des  Zwickauer  Stadtsyndikus 
M.  Nikolaus  Eeinhold  keine  andere  Wahl  anzunehmen. 
Hala  wurde  denn  auch  am  24.  Februar  1549  zum  Stadt- 
pfarrer gewählt  und  trat,  nachdem  seine  Bestätigung*") 
durch  den  Kurfürsten  Moritz  am  14.  März  erfolgt  war, 
am  18.  März  seine  neue  Stellung  an.  Bei  der  Berufung 
Halas  scheint  Melanchthon  zum  letztenmal  Gelegenheit 
gefunden  zu  haben,  der  Stadt  auf  kirchlichem  Gebiete 
einen  Dienst  zu  erweisen. 

Dafs  der  Rat  die  vielfachen  Mühwaltungen  Melanch- 
thons wohl  zu  schätzen  wulste  und  dem  treuen  Freunde 
eine  unbegrenzte  Dankbarkeit  bewahrte,  das  beweist,  ab- 
gesehen von  den  zahlreichen  Dankesäulserungen  in  den 
Briefen  und  den  in  den  Ratsprotokollen  zerstreuten  No- 
tizen, namentlich  auch  das  Verhalten  des  Rates,  als 
Mßlanchthon ,  nachdem  er  schon  auf  der  Reise  nach 
Regensburg  am  17.  März  in  Zmckau  verweilt  hatte '^^), 
am  1.  August  auf  der  Heimreise  von  Regensburg  aber- 
mals in  der  alten  Schwanenstadt  Rast  hielt.  Am  Montag 
Vincula  Petri  (1.  August)  1541    falste  der  Rat  folgenden 

Beschluls«''): 

M.  Philippus  Melanchtlion. 
Nachdem  Magister  Philippus  Melanchtlion  jnn  vielen 
Sachen  Geraeyner  Stadt  gedient  vnd  forderlich  gewesen,  vnd 
sonderlich  vnsern  Stadtkindern,  so  sich  auffs  Studium  gen 
Wittembergk  begeben  von  jhme  gefordert  werden,  auch  ein 
sonderlich  aug  autt'  sie  hat,   Als  ist  beschlossen,  jhm  itzo,   do 


''")  Siehe  sein  Schreiben  an  Bürgermeister  und  Rat  vom  13.  Fe- 
bruar 1549  (Beilage  Nr.  9). 

f")  Das  Konfirmationsschreiben  des  Kurfürsten  Moritz,  datiert 
Torgau,  den  14.  März,  befindet  sich   im  Zwickauor  B.-A.  XV,  3.  2. 

^""i  Er  l)efand  sich  damals  in  Begleitung  \o\\  Caspar  Crnciger, 
Dr.  Pleukard  und  dem  Kanzler  Franz  Burkliai'd,  aus  dem  Herzog 
(Chron.  v.  Zw.  II,  255),  die  Notiz  der  alten  ( -hronisten  mil'svei'steliend, 
einen  M.  Franz  Kanzler  macht.  Melanchthon  übernachtete  beim 
Bürgermeister  Hans  Unruh.  Siehe  Corp.  Reff.  IV.  829  und  die 
Note  dazu.  Peter  Scluimanns  haudschriftl.  Ann.  111,  Bl.  22''. 
Wilhelm,  Descript.  Urbis  Cycneae,  S.  230. 

"")  R.-P.  1540/1541,  Bl.  39'-. 


64  Ernst  Fabian: 

er  vom  Reiclistag'  komeu™),  mit  einem  Beclier  vngefehrlich 
auff  zwentzigk  guldeugrosclien  Averdt  zu  überreichen,  wie  dann 
als  heut  geschehen. 

Melanclithon  war  übrigens  seit  jener  Zeit  nnr  noch 
wenige  Male  persönlicli  in  Zwickau.  Seiner  (dritten)  An- 
wesenlieit  gelegentlich  der  grofsen  Schulvisitation  1550 
ist  bereits  oben  S.  56  gedacht  Avorden.  Seitdem  war  er 
nur  noch  einmal  in  den  Mauern  Zwickaus.  Am  15.  Januar 
1552  traf  er  daselbst  von  Leipzig,  von  wo  er  am  1 3.  Ja- 
nuar ^^)  aufgebrochen  war,  in  Begleitung  zweier  Leipziger 
Prediger,  Erasmus  Sarcerius  und  Valentin  Pacaeus'-),  ein, 
um  von  da  weiter  nach  Trient  zur  Kirchenversammlung 
zu  reisen.  Bekanntlich  kam  er  aber  nur  bis  Nürnberg, 
von  wo  aus  er,  nachdem  er  vom  25.  Januar  bis  ziemlich 
gegen  Mitte  März  vergeblich  auf  Weisungen  des  Kur- 
fürsten gewartet  hatte  ^"),  der  drohenden  Kriegsunruhen 
wegen  auf  eigene  Verantwortung  die  Rückreise  in  die 
Heimat  antrat. 

War  demnach  Melanchthon  persönlich  auch  nur 
wenige  Male  in  der  alten  Schwanenstadt,  so  hatte  sich 
doch,  wie  nicht  nur  die  offiziellen  Aktenstücke  und  Briefe, 
sondern  auch  eine  Anzahl  noch  vorhandener  und  zum 
Teil   erst    neuerdings    aufgefundener   Privatbriefe '^)  be- 


''^)  Darnach  berichtigt  sich  also  die  Angabe  Herzogs  (Chronik 
der  Kreisstadt  Zwickau  IL  255),  dafs  Melanchthon  auf  der  Hinreise 
nach  Regensburg  den  Becher  bekommen  habe.  Des  Rats  „Rechnung" 
von  Mich.  1540—1541,  S.  75  berichtet:  „viij  gutte  fso.  xxj  gr.  Cas- 
parn  Brew,  Goldschmied,  geben  für  einen  silbern  Becher,  hat  ge- 
wogen xxix  loth  j  qntl.  Damit  ist  Mag.  Philipp  Melanchthon  vom 
Raclth  von  wegen  der  fnrderung,  die  er  vnseru  Burgerssohnen  er- 
zeiget, verehret  worden."  Herzog  berichtet  fälschlich  a.  a.  0..  der 
Becher  habe  9V.i  Loth  gewogen. 

"'J  Vergl.  den  Schlufs  des  Schreibens  im  Corp.  Reff.  VII,  914 
(Nr.  5030). 

'-)  Nicht  Pareus,  wie  Herzog  in  seiner  Zwickauer  Chron.  IL  283 
sagt.     Vergl.  Corp.  Reff.  VI,  910  (Nr.  5027). 

'")  Siehe  sein  Schreiben  an  den  kurfürstlichen  Rat  Dr.  Ulrich 
Mordeisen  vom  27.  Februar  im  Corp.  Reff.  VII,  955  (Nr.  5064). 

■'^l  Vergl.  die  von  Bucliwald  in  Luthardt's  ,, Zeitschrift  für  kirch- 
liche Wissenschaft  und  kirchliches  Wesen",  Jahrgang  1884,  S.  50Üg. 
veröffentlichten  Schreiben,  ferner  das  Schreiben  an  Bring,  Corp. 
Reff.  X,  9,  bezüglich  dessen  zu  bemerken  ist,  dafs  die  Vermutung 
des  Herausgebers,  Ering  sei  der  Prediger  gleichen  Namens  in  Zwickau 
gewesen,  richtig  ist.  Der  Brief,  der  neben  Tröstungen  wegen  der 
von  Ering  erlittenen  Anfeindungen  auch  einen  Glückwunsch  zu  seiner 
Vei'heiratung  enthält,  ist  in  da"s  Jahr  1553  zu  setzen,  Avie  sich  aus 
dem  Zwickauer  Proklamationsbuch  von  1522—1581  ergiebt,  wo  es  im 
Jahre  1553  auf  Bl.  66 a  unter  Nr.  25  heilst: 


Die  Beziehungen  Melanchthons  zur  Stadt  Zwickau.  65 

weisen,  ein  sehr  herzliclies  Verhältnis  zwischen  ßat  und 
Bürgerschaft  einerseits  und  dem  berühmten  Reformator 
andererseits  herausgebildet.  Unstreitig  war  von  allen 
Wittenberger  Gelehrten,  selbst  Luther  nicht  ausgenommen, 
kein  einziger  bei  den  Bürgern  und  Behörden  der  Stadt 
Zwickau  so  wohl  angeschrieben,  als  Philipp  Melanch- 
thon,  und  sicherlich  ist  das  Hinscheiden  des  trefflichen 
Mannes  in  Zwickau  nicht  minder  tief  empfunden  worden  als 
im  übrigen  deutschen  Vaterlande.  Auch  das  Zwickauer 
Totenbuch  jener  Zeit,  welches  die  Namen  der  in  Zwickau 
in  den  Jahren  1502 — 1582  Gestorbenen  enthält,  gedenkt'-^) 
des  Hinscheidens  Melanchthons  und  zwar  mit  folgenden 
Worten : 

„Freitag-  nach  Ostern  den  19.  Aprilis  ist  in  got  entschlafen 
der  vortref liehe  vndt  weit  berümte  man  Dominus  Philippus 
Melanchthon,  vndt  Sontag  quasimodo  geniti  mit  groser 
pompa,  in  einen  zienern  sarck  begraben". 


Die  nachfolgenden  Briefe,  die  mit  Ausnahme  von 
JSTr.  4  und  8  noch  unbekannt  sein  dürften,  sind,  soweit 
es  nicht  anders  angegeben  ist,  dem  Zwickauer  Ratsarchiv 
entnommen. 


Beilagen. 

Nr.  1.    (1533,  November  22.) 

Melanchthon  an  den  Zwickauer  Rat. 

Nach  dem  Original  im  Ratsarchiv  (fll.  Alrae,  2.  Schubk.  Nr.  12). 

Mein  willige  Dienst  zu  uor,  Erbare  Ersame  Weise  gunstige 
herrn.  Der  hochgelart  herr  Doctor  Leonhardus  Naterus'"),  mein 
gunstiger  frund.    hatt   mir  zum  offtermal    erzelet,  welche   fruntliche 


Mag.  Christophorus  Ering 
Marga.  vidua  Ern  Jobst  Gopftartlis. 
Weitere  Privatbriefe  Melanchthons  an  Bewohner  Zwickaus,  sielie  im 
Corp.  Reff'.  TI,  490 flg.  IV,  96.  829    VI,  846.  X,  4;<!. 

'■'■')  Fol.  147,  b  Nr.  13.  Es  verdient  als  ein  ZeicJieu  des  in  i^-e- 
wissen  Kreisen  von  Zwickau  noch  gegen  Luther  herrsehenden  Urolls 
erwähnt  zu  werden,  dafs  der  Tod  des  grofsen  Ecformatoi's  in  dem 
genannten  Totenbuche  offenbar  geflissentlich  nicht  erwähnt  ^\■il•d, 
während  des  Abscheidens  von  Männern  wie  ]\[elanclithon,  Spalatiu, 
Egranus  und  l'lateanus,  die  el)enfalls  nielit  in  Zwickau  starben,  ganz 
ausdrücklich  und  in  zum  Teil  hervorragender  Weise  gedacht  wird. 
"®)  L.  Natter  oder  Nuther  war  geboren  in  Lauinyen,  Rektor 
der  Zwickauer  Schule  von  1522  — 1529,  studierte  dann  vom 
Zwickauer  Rate  unterstützt  in  Wittenberg  Medizin. 

Neues  Archiv  f.  S.  Ci.  u.  A.     XI.  1.  2.  6 


Qß  Ernst  Fahiaii: 

furdeniug ' ')  E.W.  yhm  alle  zeit  erzeiget  batt,  viid  mich  ietzund 
gebetten,  yhm  ein  schritft  an  E.  W.  zu  geben,  welches  ich  derhalben 
nit  vngem  gethan,  damit  E.  W.  seine  Dankbarkeit  gegen  E.  W.  des 
mehr  merken  vud  erkennen  möge,  denn  ich  yhn  jn  allen  Ewr  statt 
Sachen  allezeit  also  befunden,  das  ehr  eins  Erbarn  Radts  Sachen 
trewlich  verantwort  vnd  seines  Vermögens  gefoddert.  Derhalben  bitt 
ich  gantz  dienstlich,  E.  W.  wolle  yhr  yhn  auch  lassen  fruutlich  be- 
uohlen  sein,  jn  ansehung  solcher  seiner  DunkbaTkeit,  vnd  das  ehr 
am  aller  liebsten  Ewr  statt  dienen  wölt,  diweil  es  gott  also  gefuget, 
das  ehr  nu  burger  bey  euch  worden,  vnd  eins  burgers  tochter'''^)  hatt, 
mit  der  yhm  gott  gnediglich  viel  kinder  geben.  So  habe  ich  auch 
nit  zweifei,  ehr  wurde  jn  allen  Sachen  trewe  vnd  allen  vleis  gegen 
eim  Erbarn  Eadt  vnd  meniglicli  erzeigen.  Wo  nu  E.  W.  bedacht 
weren,  ein  Doctorem  medicum  zu  besolden,  bitt  ich  dienstlich,  E.  W. 
wolle  hie  mit  gedachten  herrn  Doctorem  Leonhardum  fruntlich 
bedeucken''"),  vnd  yhn  auch  sunst  jn  fruntlichem  beuellich  haben. 
Das  will  ich  jn  Sonderheit  vmb  E.  W.  mit  allem  möglichen  vleis  zu 
verdienen,  allezeit  bereit  sein.  Gott  bewar  E.  W.  gnediglich  allezeit. 
Dat.  Witeberg  Sonabents  nach  Elizabet  anno  1533. 

E.  W. 

williger 

philippus  Melantho. 

Aufschrift :   DEn  Erbarn  Ersamen  vnd  weisen  Burgermeistern  vnd 
Eadt  der  Statt  Zwika,  meinen  gunstigen  herrn. 


Nr.  2.    (1534,  Mai  24.) 

Melanchthon  an  den  Zivickauer  Bat. 

Nach  dem  Original  ebenda. 

Mein  willige  Dienst  zuuor,  Erbare  Ersame  weise  gunstige 
herrn.  Ich  dankh  E.  W.  gantz  dienstlich  für  mein  person  vnd  für 
georgen  Thor  man,  von  wegen  der  gunstigen  hulff',  so  E.W. 
abermals  gedachtem  georgio  vft'  mein  vorbitt  erzeiget.  Ich  hoff 
auch,  gott  der  Waisen  vatter,  werde  solch  E.  W.  wolthatt,  so  an  den 
armen  burgerkindern  geschihet,  reichlich  belohnen.  So  will  ich  auch 
vleis  ankeren,  das  georg  dise  E.  AV.  hulff  wol  anlege,  damit  ehr 
mit  der  zeit  E.  W.  vnd  gemeiner  statt  auch  dienen  klieun,  vud  wo 
mit  ich  E.  W.  oder  Ewr   statt  dienen   khann,    binn   ich   jn   warheit 


''■')  Man  erteilte  ihm  bei  seiner  Entlassung  vier  JaJire  lang  ein 
einfaches  Stipendium  und  eine  Extravergütung  von  10  fl.  Vcrgl. 
überhaupt  über  Nather  meine  Abhandlung  über  Plateanns,  8.  3ftg. 

''*)  Nather  loar,  als  er  nach  Wittenberg  ging,  bereits  Familien- 
vater;  er  hatte  sich  nach  Aiistveis  des  noch  vorhandenen  Prokla- 
mationsbuches, Bl.  3^,  1523  mit  Anna,  Wolf  gang  Bosenlöchers 
Tochter,  verlobt  und  nach  Peter  Schumanns  handschriftlicher  Chronik 
Mitttvoch  nach  Corporis  Christi  (1.  Juni)  1524  verheiratet. 

™)  Nather  wurde  in  der  That,  freilich  erst  im  November  1534, 
zum  Stadtphysikus  erwählt,  als  der  ursprünglich  in  Aussicht  ge- 
nommene Dr.  Johann  Sommerfeld  mit  der  Annahme  zögerte.  Er 
hat  in  dieser  Stellung,  soivie  auch  später  (von  1535  an)  als  Bats- 
herr  sich  um  das  Gemeimvesen  %ind  ganz  besonders  um  die  Schule 
als  Schiilinspckfor  große   Verdienste  ertvorben. 


Die  Beziehungen  Melanclithons  znr  Stadt  Zwickau.  67 

solchs  mit  holiestera  vleis  allezeit  zu  tliun  willig  vud  bereit,  wie  ich 
one  rhum  zu  reden,  weifs,  das  man  Idfsanher  ettlich  mal  hatt  spuren 
mögen,  das  ich  Ewr  statt  zu  dienen  von  hertzen  geneigt  biun.  Gott 
bewar  E.W.  gnediglich.  Dat.  Witeberg  'vff  den  heiigen  pfingstag 
1534. 

E.  W. 

Avilliger 

philippus  Melantho. 
Aufschrift  wie  Xr.  1. 

Nr.  3.    (154*,  Augnst  13.) 

Melanchthon  an  Kurfürst  JoJiann  Friedrich. 

Is'acli  dem  Original  in  der  Hamburger  Stadthibliotliek  (Cod.  101,  Bl.  Wflg.). 

Gottes  gnad  durch  seinen  Eingebornen  son  Jhesum  Christum, 
vnseru  heiland,  zu  uor.  Durchlauchtister,  hochgeborner,  gnedigster 
Churfurst  vnd  herr. 

E.  e.  f.  g.  fugen  wir  jn  vnterthenikeit  zu  wissen,  das  vnfs  der 
wirdig  Magister  Leonhart  Beyer,  pastor  der  kirchen  zuZwika, 
bericht,  das  yhm  E.  c.  f.  g.  gnedige  Vertröstung  gethan,  seiner  sön  einem 
zum  studio  gnedige  Imlff  zu  erzeigen,  vnd  yhnen  an  der  Stipendien 
eins,  so  E.  c.  f.  g.  für  solche  Jugent  aus  hohem  christlichem  bedenken 
verordnen,  anzunemen.  Darwff  wir  gedachtes  pastors  von  Zvvika 
beide  sone  Paulum  vnd  Henricum  zu  examiuiren  beuohlen,  vnd 
werden  bericht,  das  sie  bej'de  gute  Ingeuia  haben  vnd  die  grammatika 
wol  khonnen,  das  nu  Zeit  ist,  sie  fürt  in  dialectica  vnd  philosophia 
neben  christlicher  lalir  zu  vnterweisen.  Bitten  derwegen  jn  vnter- 
thenikeit, E.  c.  f.  g.  wollen  yhr  dise  Jungen  als  eins  armen  priesters 
kiuder.  vnd  der  nu  lang  ti'ewlich  vnd  nutzlich  gedienet,  gnediglich 
lassen  beuohlen  seyn  vnd  den  Ein  gnediglich  zu  einem  stipcndio 
annemen,  wie  sich  E.  c.  f.  g.,  den  armen  priester  kindern,  für  andern 
hulif  zu  thuu,  gnediglich  haben  vornemen  lassen.  So  zweifeln  wir 
nicht,  vnser  heiland  christus  werde  dise  vnd  der  gleichen  Elemosynen 
reichlich  belohnen,  Avie  auch  viel  gottlicher  gaben  in  diesen  landen, 
die  wir  erkennen,  grofs  achten  vnd  dafür  gott  danken  sollen,  vor 
äugen  sind;  denn  warlich  wir  sehen,  wie  gott  spricht.  Ehr  AvoUe 
seine  kirchen  tragen,  wie  die  mutter  yhr  frucht  jm  leib  traget,  das 
gott  dise  land  vnd  regiment  also  nach  gnediglich  bewaret,  dem  wir 
danken  vnd  bitten  von  hertzen,  der  ewige  gott  vatter  vnsers  heilands 
Jhesu  Christi  wolle  E.  c.  f.  g.  alle  Zeit  bewaren  vnd  zu  ylirem  vnd 
vieler  Christen  Seligkeit  leiten. 

Datum  Witteberg  13  Augusti  1544. 


Nr.  4.   (1547,  Novoüihor  18.) 

Melanchthon  an  den  Zivickuuer  R((t^^). 

Nacli  dem  Original  im  Ratsaroliiv  (III.  2,  12). 

Gottes   gna<l   durch  seinen  Eingebornen  Son  .Ihesum  Christum, 
vnseru   heiland   zu   uor.     Erbare,    weise,    furneme,   gunstige   herrii. 


^)  Dieser  Brief  ist  ztvar  bereits  im  Corp.  lir/f.  VT,  739/l(/. 
abgedruckt,  aber  so  iveniq  dem  Originale  entsprechend,  insbesondere 
so  lückenhaft,  dass  ein  Wiederabdruck  ivohl  gerechtfertigt  erscheint. 

5* 


68  Ernst  Fabian: 

Ewr  Weisheit  sebrifft  habe  ich  empfangen,  dariun  E.  "W.  erstlich  der 
grossen  betrubuis  diser  land  gedenken,  darinn  vber  andre  grosse 
schaden,  auch  die  Zerrüttung  der  Studien,  die  durch  gottes  gnad 
wol  angericht  gewesen,  furgefallen.  Darnach  weiter  schreiben  E.  W. 
von  dem  wolgelarten  Georgio  Thymen.  Wiewol  man  nu  spricht, 
Aveinen  hilfft  wenig,  so  ist  doch  gottes  Avill,  das  wir  vnsere  grosse 
AAamden  fülen  vnd  beklagen,  vnfs  selb  vnd  andi'e  damit  zu  bewegen, 
vrsach  zu  betrachten,  die  gottes  zorn  erreget  haben.  Denn  wir 
müssen  alle  bekennen,  das  vnser  forchtlofs  weidleben  dise  straff  ge- 
sucht hatt,  vnd  zu  besorgen,  dises  vngestümen  wetter  sey  noch  nit 
gantz  für  vber;  denn  der  himmel  drawet  selb  schreklich  mit  der 
newlich  gewesen  Eclipsi  vnd  andein  zeichen. 

Es  Avill  aber  vnd  wirt  vnser  heilaud  Jhesus  Christus,  der  Son 
gottes.  seine  kirchen  erhalden,  der  Eechte  lehr  liebet,  vnd  sind  ge- 
wifslich  die  feind  rechter  lehr  nicht  gottes  kirche,  sie  nennen  sich, 
wie  sie  wollen,  welchen  trost  wir  wol  behertzigen  sollen,  sollen  auch 
der  halben  der  jugent  studia  vleissig  widerumb  anrichten,  dazu  der 
allmechtige  gott  E.  W.  vnd  vnfs  allen  gnediglich  helffen  wolle. 

Vnd  so  viel  Georgen  Thymen  gradum  belanget,  diweil  wir 
yhn  alle  kennen  vnd  wissen,  das  ehr  zuchtig,  gotforchtig,  vnd  wol 
geleret  ist,  soll  an  vnfs  der  promotion  halben  kein  mangel  seyn.  Es 
werden  auch,  wie  Avir  hoffen,  etlich  ehrliche  gesellen  mehr  vmb  den 
gradum  ansuchen,  darumb  sich  die  promotion  bifs  in  den  leipsischen 
markt  verzihen  möcht.  Vnd  so  viel  den  kosten  belanget,  ist  vnser 
weifs  auch  zu  uor  gewesen,  vnnutzen  kosten  in  den  promotion  nicht 
zu  gestatten,  wie  vnser  Statut  aufstruklich  lautet,  das  niemand 
schuldig  ist.  Ein  prandium  anzurichten;  wer  es  aber  geben  will,  sol 
solchs  einzihen  nach  bedenken  der  facultet,  vnd  one  das  prandium 
lauffen  die  andern  sumptus  nicht  vber  acht  floreu. 

So  auch  der  Stadt  Stipendiaten  widerumb  anher  gesant  werden, 
wollen  wir  sie  vleissig  verhören,  vnd  yhnen  yhre  studia  ordnen,  vnd 
daruff  ein  vffsehen  haben. 

Vnd  nachdem  ich  mich  zu  E.  W.  alfs  meinen  gunstigen  herrn 
viel  gutes  versehe,  vnd  ich  die  lobliche  Stadt  Zwika  allezeit  be- 
sonder geliebet,  dorumb  das  sie  nit  Eine  fawle  Stat  ist,  sondern  hatt 
viel  kunstlicher  arbeiter,  helt  zimliche  zucht,  sorget  für  die  armen, 
vnd  thut  vleis  zu  erhaltung  der  Studien,  vnd  hatt  viel  gelarter  menner 
erzogen,  so  bitt  ich  gantz  vleissig  E.  W.  wolle  mich  Einer  vorbitt 
macht  haben  lassen,  vnd  bitt  nemlich  E.  W.  wollen  dem  jungen 
Lasan  das  Stipendium,  wie  E.  AV.  wissen,  gunstiglich  volgen  lassen, 
denn  der  knab  ist  warlich  zu  tugeut  geneigt  vnd  hatt  seer  wol  studirt. 
Wo  dises  nicht  also  were,  wolt  ich  nit  für  ihn  bitten,  E.  W.  wollen 
yhr  yhnen  vmb  der  tugent  willen  gunstiglich  lassen  beuohlen  sein. 
Gott  bewar  Euch  alle  vnd  die  Ewrn  gnediglich.  Dat.  Witeberg 
18  Nouembris,  an  welchem  tag  vor  disem  jar  diser  arme  fleck  ^i)  erst- 
lich berandt  worden,  den  doch  gott  gnediglich  bewahret,  das  ehr  nit 
gantz  vertilget  ist,  dafür  wir  gott  danken,  vnd  bitten  noch,  ehr  wolle 


^^)  Nämlich  Zwickmi.  Diese  Bemerkung  Melanchthons  bezieht 
sich  auf  die  Belagerung  der  Stadt  durch  den  Herzog  Moritz  von 
Sachsen  ivährend  des  Sclunalkal diachen  Krieges.  Auf  diesen  letzteren 
heziclien  i^ich  auch  die  Klagen  am  Anfange  des  Briefes. 


Die  Beziehungen  Melanchthons  zur  Stadt  Zwicliau.  69 

die  straffen  guediglich   lindern    vud   ylim  Ein  Kii'ch  jn   diser  Stadt 
vnd  jn  diesen  landen  erhalten,  Amen. 

Datum  ut  supra.    Anno  1547. 
E.  W. 

williger 

philippus  Melauthon. 

Aufschrift :  DEn  Erbarn  weisen  vnd  furnemen,  herrn  Birrgermeistern 
vnd  Radt,  der  Stadt  Zwika,  meinen  gunstigen  herrn. 


Nr.  5.  (1548,  Septenil)er  3.) 

Melanchthon  an  den  Zivickauer  Rat. 

Nach  dem  Original  ebenda. 

Gottes  gnad  durch  seinen  Eingebornen  Son  Jhesum  Christum 
vnsern  heiland  vnd  warhaff'tigen  helffer  zu  uor.  Erbare,  weise,  fur- 
neme,  gTinstige  herrn.  Aufs  welchen  vrsachen  der  herr  pastor"^'-)  alhie 
sampt  andern  bewogen,  an  den  Ernwirdigen  herr  Pastor  zu  Zwika 
zu  schreiben,  das  wirt  E.  W.  aus  eingelegter  Copia^^)  vernemen. 
Diweil  denn  gedachter  herr  Pastor  vnd  die  andern  bedacht,  das  wir 
dise  erinnerung  zu  thun  schuldig  sind,  vnd  gut  ist,  das  E.  W.  vnser 
meinung  hievon  auch  wissen,  Jiaben  wir  E.  W.  den  Briett'  an  den  herrn 
Pastor  sampt  der  Copia  zugeschikt  vnd  bitten,  E.  W.  wolle  dem  herrn 
Pastor  vnser  schrifft  vberantworten.  Vnd  wiewol  vns  villeicht 
solches  vnser  schreiben  vbel  gedeut  werden  mag,  so  ist  es  doch  die 
warheit  vnd  wirt  von  vns  trewlich  vnd  zu  fridlichem  stand  der 
kirchen  jn  disen  landen  gemeint,  den  gott,  der  yhm  Ein  Ewige 
Kirchen  jm  menschlichen  geschlecht  samlet,  gnediglich  erhalden 
wolle.  Der  wolle  auch  Euch  alle  zu  aller  Zeit  gnediglich  bewaren 
vnd  seliglich  regirn.    Dat.  Witeberg,  3  Septembris  [1548]. 

E.  Weisheit 

williger 

philippus  Melanthon. 
Aufschrift  toie  Nr.  4. 

Notiz  des  Stadtschreibers  Zorn  unter  der  Adresse :  D.  philippus 
Melanthon  tröstet  den  Rath,  des  pfarhern  alhie  gethaner  predigt 
halben  1548  Sontags  Oswaldj  gescheen. 


Nr.  6.    (1548,  Septoml^er  2.) 

Die  Wittenherger  Gelehrten  an  den  Zwickaiier  Stadtpfarrer 
M.  Leonhard  Beyer. 

Nacli  der  Kopie  ebenda. 

Gottes  gnad  durch  seineu  eingebornen  Son  Jhesum  Christum 
vnsern  Heiland  zuvor.  Ernwirdiger  iier  pastor,  guter  Freund.  \\'ie- 
wol  wir  euch  nicht  zugebiteu  haben,  so  wisst  ir  doch,  das  Irundliche 
erinnerung  vnd  wariumg,  besonder  zwischen  den  personen,  so  im 
prediganpt  sind,  gewonlich  vnd  christlich  ist.  Derhalben  wollet  dise 
vnser  schriff't,  die  treulich  vnd  wol  gemeint  ist,  von  vnfs  frundlich 
vorstehen.    Es  gelanget   an  vnfs  vom   churfürstlichen   liofe,  das  ilir 


**2)  Dr.  Johannes  Bugenhagen  Pomeranus. 
83)  Folgt  unter  Nr.  6. 


70  Ernst  Fabian: 

in  öffentlichen  predigten  also  redet,  so  die  hohe  oberkeit  ettwas  anders 
in  kircheu  ordnen  wolt,  Das  ein  Rhadt  oder  andere,  so  in  emptern 
sindt,  solichs  nicht  di;lden  sollen.  Nu  habt  ihr  selb  zubedencken,  wie 
diese  wort  mögen  verstanden  werden,  auch  zu  welliger  beschwerung 
dises  euch  gereichen  möge.  Ob  ir  aber  gleich  ewre  eigne  fharlig- 
keit  hierin  nit  bedencken  Wdlt,  So  bitten  wir  doch,  ihr  wollet  ewr 
vnd  anderer  kirchen  hieiin  schonen.  Denn  zu  besorgen,  dise  vnd 
dergleichen  vrsacheu  möchten  die  herrschaft  des  mehr  zu  verendrung 
bewegen,  vnd  ist  nit  zweifei,  mit  christlicher  gelindikeit  vnd  gedult 
khonnen  wir  der  kirchen  vil  fruchtbarer  dinen.  Zudem  so  wollet  die 
meiuiing  an  yhr  selb  bedencken,  ob  wol  ein  jeder  in  rechten  sacken, 
die  ehr  vorstehet,  sein  confessio  als  priuat  person  thun  soll,  so  be- 
triftt  doch  dieses  das  ampt  oder  Rhadtstand  nichts,  sondern  das  ampt 
oder  Rhadtstand  soll  der  hohen  oberkeit  weichen  vnd  sich  nit  wider 
sie  setzen,  vnd  soll  der  amptmann  viel  mehr  vom  ampt  abtredten, 
so  er  seins  gewisseus  halben  beschwerung  hatt.  Vnd  weiten  wir 
von  diesem  artikel  viel  lieber  mit  euch  selb  reden,  denn  davon  schreiben, 
betten  auch  nebest,  alfs  Jhr  bei  vnfs  gewesen,  mit  euch  davon  ge- 
redt, so  wir  ettwas  von  diesen  ewren  predigen  gewist  betten. 

Jhr  wist  selb,  das  nit  allein  leildicher  fahrlichkeit  halben  sorg- 
lich ist,  von  oberkeit  zureden,  sondern  auch  derhalbeu  das  seer  leicht- 
lich  yrtliiimb  ^^ld  mifsverstandt  darein  gemenget  wirt. 

Vber  das  alles  so  ist  leider  nit  vngewonlich,  dafs  viel  von  hohen 
grofsen  schweren  Sachen  ietzund  an  vielen  orten  heiftig  reden,  dar- 
von  sie  doch  nit  zimlichen  vorstand  haben,  vnd  ist  allerley  daraus 
zubesorgen. 

Darumb  bitten  wir  euch  vmb  gottes  willen,  ihr  wollet  christ- 
liche Ihar  in  notigen  artickeln,  wie  yhr  durch  gottes  guad  selb  vor- 
stehet, zu  besserung  vnd  trost  viler  menschen  sittiglich  predigen, 
vnd  die  disputirliche  reden  von  der  oberkeit  nicht  darein  mengen, 
auch  sunst  andere  vnnotige  reden  von  der  oberkeit  vnterlassen,  vnd 
wollet  diese  vnser  schrifft,  die  treulich  geraeint,  frundlich  von  vnfs 
vorstehen. 

Gott  bewar  euch:  Dat.  Sontag  den  andern  tag  septembris. 
Anno  xlviij. 

Johannes  Bugenhagen  Pomer.  D. 

Georgius  JVIaior.  D. 

Georgius  RoraJ'ius. 

Philippus  Melanthon*^). 

Aufschrift:  Dem  ernwirdigen  vnd  wolgelarten  Hern  Magister 
Leonart  Beyer,  pastor  der  kyrchen  zu  Zwicka,  vnserni 
gunstigen  hern  vnd  guten  freundt. 


Nr.  7.    (1548,  Dezember  8.) 

Bugenhagen,  Maior  und  Melanchthon  an  den  Zivickauer  Rat. 

Nach  dem  Original  ebenda  (HI.  2,  11). 

Gottes  gnad  durch  seinen  eingebornen  Sohn  Jhesum  Christum, 
vnsern  heiland  vnd  warhafftigen  helffer  zu  uor.     Erbare,  weise,  fur- 


**)  Eigenhändige  Unterschrift  der  vier  Gelehrten.  Der  Brief 
selbst  ist  von  einem  Schreiber  geschrieben  und  von  Melanchthon 
durchgesehen  worden,  wie  sich  aus  einer  Korrektur  von  seiner 
Hand  ergiebt. 


Die  Beziehungen  ^^relanchtlions  zur  Stadt  Zwickau.  71 

neme,  gunstige  herrn.  Wir  khonneu  wol  achten,  das  E.  W.  ju  diser 
vnruwigeu  zeit  maucherley  sorg  vnd  betrubnis  haben,  die  Gott  guedig- 
lich  lindern  wolle.  Es  were  auch  ein  zimliche  linderuug  anderer 
last  vnd  elends,  so  wir  zwischen  vus  seil)  fruntliche  eintrechtikeit 
haben  mochten.  Haben  derhalben  mit  grosser  betrubnis  gehört,  das 
der  wirdig  herr  Pastor,  vnser  alter  frund,  ein  solchen  vnwillen  zu 
einem  Erbarn  Radt  gefafst.  Wiewol  ehr  nu  erlewbnis  gebeten  vnd 
wir  selb  besorgen,  wenn  manu  gleich,  wie  ettlich  mal  zu  vor  ge- 
schehen, versunung  machet,  das  doch  bald  widerumb  ein  loch  darein 
reissen  werde.  So  haben  wir  dennoch  yhn  nochmals  zu  bleiben  vnd 
jn  seiner  lieben  kirchen  frundliche  eintrechtigkeit  zu  erhalden  ge- 
betten.  Denn  es  ist  gleichwol  war,  das  verenderung  der  Seelsorger 
itzund  viel  reden  macht.  Wo  er  aber  so  hart  ist  vnd  sich  noch- 
mals vernemen  lest,  nicht  zu  bleiben,  ist  vnser  bedenken,  yhm  frunt- 
lich  zu  erlawben  vnd  ein  zeitt  zu  bestimmen,  nicht  lenger  zu  predigen. 
Wir  haben  vns  auch  nit  zu  vnterhandlungen  erbieten  wollen,  denn 
er  mocht  villeicht  vns  zu  vnterhaudlern  nit  gern  leiden  wollen,  wie- 
wol wir  yhm  warlich  alles  gutes  gönnen.  So  hoffen  wir,  wir  dienen 
jn  der  lahr  vnd  sunst  auch  trewlich  vnd  haben  villeicht  mehr  an- 
fechtung  denn  ehr.  Wir  wolden  hertzlich  gern,  das  die  Kirchen 
diser  land  in  rüg,  eintrechtikeit  vnd  rechter  anruffung  Gottes  ewig- 
lich blieben.  Dazu  der  Almechtig  Gott  vatter  vnsers  heilands  Jhesu 
Christi  seine  gnad  verleihen  wolle;  der  wolle  auch  ewr  Kirchen, 
euch  vnd  die  ewrn  allezeit  gnediglich  bewaren. 
Dat.  Witeberg  8.  Decembris  Anno  1548. 

Johannes  Bugenhagen  Pomer.  D. 
Georgius  Major.  D. 
Philippus  Melanthon*^). 
Aufschrift  ivie  Nr.  4. 

Nr.  8.   (1549,  Februar  7.) 

MdancMhon  an  den  Ztvickauer  Bat. 

Nach  dem  Original  ebenda  (III.  2,  12). 

Gottes  gnad  durch  seinen  Eingeborneu  Son  Jhesum  Christum, 
vnnsem  heiland  vnnd  warhafftigeu  helffer  zuvor.  Erbare,  weise,  fur- 
neme,  gunstige  herrn.  E.  W.  schrifft,  darinn  E.  W.  begern,  das  Ich 
einen  ansehlichen  mann,  zur  pfarregirung  tuclitig,  anzeigen  wolle, 
hab  Ich  empfangen  vnd  davon  mit  den  andern  lierren  Doctorii  vnter- 
rede  gehabt.  Vnnd  haben  wir  erstlich  dises  bedacht,  das  zu  einig- 
keit  besser  were,  das  in  Zwika  die  kirchen  person  also  geordnet 
weren,  das  nur  ein  einiger  pastor  were,  vnnd  die  andern  alle  als 
Diaconj,  vnnd  nicht,  das  zwo  gleiche  person,  pastor  vnnd  i)rediger, 
nebeneinander  regirten.  Wo  nu  der  Ernwirdig  Magister  Ering  sich 
wolte  zu  pastorn  welen  lassen,  so  bedencken  wir,  das  Ihm  das  ampt 
also  im  namen  Gottes  zu  beuelhen  sey. 

Darnach  an  seine  Stadt,  doch  im  titel  vnnd  standt  eines  Diaconj, 
zfügen  wir  an  den  wirdigen  herrn  Georgium  Kala  von  Berreut, 
der  zu  Leiptzik  zu  linden  vnnd  ist  pastor  gewesen  zu  weiblingen 


^'^)  Eiqenhänclige  Unterschrift  der  drei  Gelehrten,  ivährend 
der  Brief  selbst  von  der  Hand  eines  offenbar  sehr  geiibteti  Schreibers 
licr  rührt. 


72  Ernst  Fabian: 

im  laud  Wirteberg,  hatt  in  cliser  vniuersitet  studiit  vnnd  ist  ein 
ernster,  ausehlicber  mann  vnnd  wartet  seines  ampts,  menget  sich 
nicht  in  andere  regiruug. 

Zeigen  auch  an  den  wirdigen  Magistrum  Andream  Bog  von 
Eilenburg,  der  ietzund  zu  Northusen  ist;  ist  wolgelart,  ernst 
vnd  wartet  seines  beruffs. 

Es  sind  auch  beide,  so  zu  Regens  bürg  gewesen  Doctor 
Nopus*''),  vnnd  Magister  Nicolaus  ehrliche  gelarte  nieuner,  vnnd 
Ich  acht,  M.  Nicolaus  liefs  sich  als  einen  Diacon  annemen. 

So  aber  der  Ernwirdig  Magister  Ering  das  pfarrampt  nicht 
annemen  wolt,  so  bleibet  ehr  prediger  wie  vor,  vnnd  ist  zu  bedenckeu, 
ob  Doctor  Nopus,  oder  Doctor  Erhardus  Schnep'''),  der  zu 
Tübingen  abziehet,  oder  der  vorgenanten  einen  zu  weihen. 

Aber  ich  wolt,  man  arbeitet  vff  den  ersten  weg,  acht  auch,  es 
solte  bey  dem  herrn  Magister  Ering  zuerhalden  sein,  besonder  so 
ein  sittiger  man  an  seine  stat  keme,  vnnd  ehr  die  autoritet  vber  alle 
Personen  haben  wirt.  So  ist  gelegenheit  der  zeit  also,  das  wir  alle 
mit  einander  gedult  haben  müssen,  vnnd  müssen  hellt'en  flicken,  wie 
mann  kann,  das  die  kirchen  in  rechter  lahr,  vnnd  rechten  Gotts- 
diensten, vnnd  eintrechtig  bleiben,  Dazu  vnnser  heiland  Jhesus 
Christus  seine  gnad  verleihen  wolle.  Der  wolle  auch  diesen  landen 
gnedigen  frid  vnd  selige  regiment  geben.  Dat.  Witeberg  am 
7.  Eebruarij  1549, 

Ewr  weifsheit 

williger 

Philippus  Melanthon**). 
Aufschrift  tvie  Nr.  4. 


Tsr.  9.    (1549,  Februar  13.) 

Melanchthon  an  den  Zwickauer  Hat. 

Nach  dem  Original  ebenda  (III.  2,  15). 

Gottes  gnad  durch  seinen  Eingebornen  Son  Jhesum  Christum, 
vnsern  heiland  vnd  warhafftigen  helfter  zu  uor.  Erbare,  weise,  fur- 
neme,  günstige  herrn.  E.  W.  scluiftt  an  den  Ernwirdigen  henn  Doctor 
Johann  pfeffinger,  belangend  den  herrn  Georgen  Hai a,  haben 
der  achtbar  vnd  hochgelart  herr  Joachimus  Camerarius  vnd  ich 
gelesen.  Denn  gedachter  herr  Doctor  pfeffinger  ist  ietzund  zu 
mersburg  jn  geschefften,   vnd   nach  dem  E.  W.  anzeigt,    es  werde 


_^'')  Hier  onymus  Nopus,  ans  Herzogen  auracJi  bei  Erlangen  ge- 
bürtig, von  1519 — 1537  als  Interpret  der  griechischen  Dichter  an 
der  Zwickauer  Schuh  thütig,  ging  dann  als  Rektor  nach  Schneeberg, 
von  ICO  er  1543  nach  Eriverbung  der  theologischen  Doktorn-iirde 
als  Superintendent  nach  Regensburg  zog.    Er  starb  1551. 

*')  Vergl.  den  Brief  Melanchthons  an  Schnepf  vom  9.  Februar 
1549  im  Corp.  Reff.  VII,  334. 

**)  Dieser  Brief  ist  von  der  Hand  eines  Kopisten  geschrieben, 
erst  die  Unterschrift  von  den  Worten:  „Eivr  tveißheit"  an  ist  von 
Melanchthons  eigener  Hand.  Der  Brief  ist  zicar  auch  im  Corp. 
Reff.  VII,  382flg.  abgedruckt ,  aber  mit  solcher  Willkürlichkeit 
namentlich  in  der  Orthographie,  daß  eine  nochmalige  Wiedergabe 
tüohl  ebenfalls  gerechtfertigt  erscheinen  dürfte. 


Die  Bezieliung'en  Melanehtlioiis  zur  Stiult  Zwickau.  73 

der  achtbar  viid  hochgelart  herr  Doctor  Nicolaus'"'^)  anher  vff  den 
neliesten  Mittwoch  abgefertiget,  fugen  wir  E.  W.  zu  wissen,  das  wir 
achten,  Doctor  Johann"**)  werde  vor  kunfftigen  freytag  niclit  zu 
haufs  khomen.  Darumb  möge  E.  W.  die  schikung  verzihen  bis  jii 
nechst  kunfftige  wochen.  Es  soll  aber  gleich  wol  gedachtem  herrn 
Doctor  pfeffinger  geschriben  [werden],  mit  herrn  Georg en'^M,  der 
ietzund  bey  yhm  zu  M er s bürg  ist,  zu  reden,  das  elir  biss  [vfr]**-) 
Ewr  schikung  warten  wolle,  vnd  mitler  zeit  nicht  andi'e  dienst  au- 
nemeu,  Vnser  heiland  Jhesus  Christus,  der  Son  Gottes,  wolle  Ewch 
gnediglich  regü'u  vnd  bewareu.  Dat.  Leiptz  13.  die  Febr.,  an  welchem 
tag  vor  1719  Jarn  gott  mit  einer  schonen  victorieu  seine  kirch  vnd 
tempel  zu  Jerusalem  erredt  hatt  vnd  den  stoltzen  Nicanor"^)  gestrafft, 
welches  band,  damit  ehr  dem  tempel  gedrawet  hatt,  vor  dem  tempel 
vffgehanget  worden.  Gott  wolle  gnediglich  ietzund  auch  das  arme 
heufflin,  darinn  seine  rechte  lahr  geprediget  vnd  geliebet  wirt,  be- 
waren. 

E.  W. 

Aufschrift  wie  Nr.  4. 


williger 


P  h  i  1  i  p  p  u  s  M  e  1  a  n  t  h  0  n  "*) 


Nr.  10.    (1549,  Jimi  24.) 

Der  Zwickauer  Hat  an  Melanchthon. 

Nach  der  Abschrift  des  Copeibuches  ebenda. 

Vnser  willige  Dinste  ziiuorn,  hochgelarter  vnd  Achtbar  gunstiger 
Herr  vnd  furderer.  Wir  haben  juugist  ein  furderangsschrifft  Ma- 
gistrum paulumAgricolam  betreffende  von  E.  A.  empfangen  vud 
vorlesen  vnnd  weren  woll  gneigt,  wie  vor  vnd  allewege  von  vnfs 
bescheheu,  berurten  Magistrum  mit  einem  stipendio  noch  auff'  ein 
Jbar  lang  furderlich  vnd  behulfflich  zu  sein  vnd  dieser  euerer  vor- 
schrifft  jne  geniesen  zw  lassenn,  Wollen  e.  a.  aber  nicht  pergen,  das 
wir  solches  itztmalfs  von  wegen  vnser  grosen  erliedenen  Brand  vnd 
ander  scheden,  auch  furstehender  grosen  notwendigen  gebenden  vnd 
andern!  zu  tliun  nicht  vermugen,  wie  den  sonder  zweyffell  e.  a.  woll 
vnd  nach  gelegenheit  dieser  zeitt  zuerachten  haben  wirdett,  Ynd  vnfs 
auffdismahl,  furnemlich  weill  wir  berurten  Magister  vorm alfs  furderung 
ertzeiget  vnd  das  Stipendium  vor  seinem  Magisterio  auch  zukommen 
lassen,  also  das  er  bereithan  das  Stipendium  vff's  kunft'tige  jhar  hin- 
wegk  hat,  entschuldiget  nemen,  Welchs  wir  E.  A.  auff'  so  gethanes 
scbreyben  haben  beanttworten  wollenVnnd  seint  derselben  E.  A.  sonsten 
zw  dinen  gantz  willigk  vnd  gevlissen.  Gebenn  vnter  vnsei'm  kleinerm 
Stadtsecret  Montags  am  tag  Joannis  Baptiste  Anno  Dominj  \v^  xlix. 

Aufschrift:  An  Herrn  Magister  philippo  Melanthonj. 


*'•)  Der  Ztcickauer  Stadtsyndilms  D.  Nikol.  Reinhold. 
'»)  Dr.  Joh.  Pfeffinger. 

91)  Georg  Hala. 

92)  Von  Melanchthon  durchstrichen. 

^^)  Siehe  1.  B.  d.  Maccab.  c  7.  2.  B.  d.  Maccab.  c  15,  v  33. 
Vergl.  den  Schluß  des  lateinisch  geschriebenen  Briefes  vom  gleichen 
Datum  desselben  Jahres  im  Corp.  Reff.  VII,  333. 

9^)  Der  ganze  Brief  ist  von  Melanchthons  eigener  Hand  ge- 
schrieben. 


74  Ernst  Fabian: 

Nr.  11.    (1549,  Juli  14.) 

Mclanddhon  an  den  Zivichaner  Rat. 

Nach  dem  Original  ebenda  (IIl.  2,  12j. 

Gottes  gnad  durch  seinen  Eiugebornen  Son  Jhesuni  Christum, 
vnsern  heiland  vud  warhafftigen  helffer  zu  uor.  Erbare,  weise,  fur- 
neme,  gunstige  herrn.  E.  w.  werden  bericht  werden  von  dem  acht- 
bani  vnd  hochgelarten  herrn  Doctor  Nicoiao  Rheinholt,  was  wir 
beide  mit  Magistro  Mareello,  vnserm  guten  lieund,  vnd  ernach 
vnter  vns  mit  einander  geredt  haben,  vnd  wiewol  gedachter  Magister 
Marcellus  noch  nit  geschlossen,  so  will  ich  doch  ferner  vleissig 
bey  yhm  anhalden;  denn  ehr  durch  gottes  gnad  zu  disem  werk  seer 
tüchtig  sein  wurde.  Ich  bitt  auch  gott,  der  ernstlich  beuohlen  hatt, 
das  man  die  jugent  zu  yhni  bringen  sali  mitt  lehr  vnd  guter 
zncht,  ehi'  wolle  selb  gnad  vnd  gluck  dazu  verleihen  vnd  wolle  alle- 
zeit Euch  alle  vnd  die  Ewrn  gnediglich  regirn  vnd  bewaren.     Dat. 

Witeberg,  14.  Julij  Anno  1549. 

Ewr  Erbarkeit 

williger 

lihilippus  Melanthon. 

Avfschriff:   DEn  Erbaru  weisen  vnd  furuemeu  herrn  Burgermeistern 
vnd  Eadt  der  loblichen  Stadt  Zwicka,  meinen  gunstigen  herrn. 


Nr.  12.   (1549,  Septemlber  6.) 

Der  Ztvickaner  Rat  an  Melatichthon. 

Kach  der  Abschrift  des  Copeibuchs  ebenda. 

Vnser  willige  Dinste  zuuornn,  hochgelarter  vnd  achtbar  gunstiger 
herr  vnd  förderer.  Als  wir  nicht  zweyifeln,  e.  a.  werde  nuhemalfs 
von  dem  Achtbarn  vnd  wolgelarten  heru  Magistro  Mareello  ver- 
stendiget  vnd  berichtet  worden  sein,  ap  er  sich  anhero  zw  vns  be- 
geben vnd  zw  einem  Schulmeister  gebraixchen  lassen  wolle,  ader, 
was  sonsteu  hirinnen  sein  gemuth  vnd  meynung  sey.  So  gelanget 
demnach  an  e.  a.  vnser  jn  vleifs  gutlich  bitt,  wo  deme  also,  wollet 
vns  dasselbige  bey  briftstzeygern  hiemit  vorstendigen.  Do  aber  ge- 
dachter Herr  Magister  sich  gegen  e.  a.  nicht  entlich  deshalbenn  er- 
clerett,  bitthen  wir  auch  gantz  vleysigk,  wollet  vnbeschwertt  sein, 
vnd  jne  nachmalfs  darumb  von  vnsertwegen  anlangen  lassen.  Im 
vhall  aber  do  sich  Magister  Marcellus  zw  vnser  schule  nicht 
dartzw  konde  vnd  wolde  gebrauchen  lassenu,  vnd  e.  a.  hierin  ein 
abschleg'ige  antwort  begegnet,  So  biten  wir,  vns  zuuormelden,  ap 
nicht  Magister  Esrom,  des  herrn  Joachimj  Camerarij  zw 
Leiptzigk  eydman,  dartzw  ziiuormugen  sein  solte  Vnd  do  e.  a.  weil 
dartzw  trösten  an  gemelten  hern  Camerario  vnd  M.  Esrom  zu  schreyben, 
vnd  ein  giither  verfuger  hiertzw  sein,  Domit  wir  vns  weitter  dar- 
nach zui'ichten  hotten,  E.  A.  wolde  sich  jn  deme  vnser  armen  jugent 
zum  besten  gutwilligk  vnd  vnbeschwert  ertzeygenn.  Solchs  vmb  E.  A. 
zuuordinen  seint  wir  alletzeitt  gantz  willigk  vnd  gevlissen,  biethen 
hierauff   ein   schrifttliche    antwort.     Geben   freytag   nach  Egidij  49. 

Der  Rath 
z.  Z. 
Aufschrift :   An  Herrn  Magistro  philippo  Mclanthonj  zw  Wittenberg. 


Die  Beziehungen  Melanchthons  zur  Stadt  Zwickau.  75 

Nr.  13.  (1550,  September  10.) 

Melanclithon   an   den  Ztvickauer  Bat. 

Nach  dem  Original  im  R.-A.  (III.  2,  2). 

Gottes  guad  durch  seinen  Eingeborneu  Son  Jhesum  Christum, 
vusern  heilaud  vnd  warhafftigen  helffer  zu  uor.  Erbare,  weise,  fur- 
nerae,  gunstige  herrn.  Wiewol  die  Regiment  ietzund  grosse  last 
tragen,  die  gott  guediglich  lindern  avoII,  so  weifs  ich  doch,  das  E. 
Erljarkeit  deunocli  die  band  nit  abzihet  von  erhaltung  der  kircheu, 
vnd  der  jugeut  Studien,  hoff  auch  der  allmechtig  gott  werde  gnedig- 
lich  die  beswerungen  lindern,  so  wir  solcher  Elemosynen  nit  ver- 
gessen. Nu  hatt  mich  zeiger  diser  Schrifft,  Melchior  Gebhart 
von  seines  vaters  vnvermogen  bericht  vud  gebeten,  yhm  Zeugnis  zu 
geben  vnd  mitt  yhm  zu  bitten,  E.  Erbarkeit  wolle  yhm  gunstiglich 
vud  vmb  Gottes  willen  mit  Einem  stipendio,  das  ietzund  kunft'tig 
ledig  Avirt,  hulff  thun.  Diweil  denn  gedachter  Melchior  Gebhart 
mit  gaben  jngeuij  wol  geziret  vnd  zimliche  fundamenta  hatt  jn 
grammatica  vnd  dialectica,  vnd  zu  seinem  studio  durch  Gottes  gnad 
hoffnuug  zu  haben,  (Denn  ich  habe  yhn  selb  verhört)  bitt  ich  dienst- 
lich vnd  vleissig  neben  yhm,  E.  Erbarkeit  wolle  yhm  mit  demsellügen 
stipendio  zum  studio  gunstige  hulff  thun,  in  betrachtung,  das  ge- 
wifslich  gott  solch  Elemosynen  wol  gefeilig  sind,  vnd  das  ehr  do 
gegen  auch  seine  gaben,  fiiden,  gute  Regirung  vnd  narung  des 
gnediger  gehen  will,  wie  E.  Erbarkeit  auis  christlichem  verstand 
selb  wissen.  Vnser  heiland  Jhesus  Christus,  der  Son  gottes,  wolle 
Euch  alle  vnd  die  Ewrn  guediglich  bewaren  vnd  regirn. 

Dat.  Witeherg  X.  Septemb.  1550. 

Ewr  Erbarkeit 

williger 

philippus  Melanthon. 
Aufschrift  ivic  Nr.  11. 


Nr.  14.   (1554,  März  20.) 

Melanclithon  an  den  Zivickaner  Rat. 

Nach  dein  Original  ebenda. 

Gottes  gnad  durch  seinen  Eingeborneu  Son  Jhesum  Christum, 
vusern  heiland  vnd  warhafftigen  helft'er  zu  uor.  Erbare,  weise,  fur- 
nerae,  gunstige  herrn.  Ewr  Erbarkeiten,  alfs  christliche  verstendige 
Regenten,  wissen,  das  Gottliche  weifsheit  selb  beides  verkündigt  hatt, 
nemlich  das  in  disem  letzten  swachen  alder  dei'  weit  grössere  Zer- 
rüttungen sein  werden,  denn  zuuor  gewesen  sind,  das  aber  gleichwol 
der  Son  Gottes  yhm  gewifslicli  für  vnd  für  durclis  Euangelium  vnd 
nicht  anders  Ein  Ewige  kircheu  jm  menschlichen  goschlecht  sanilcn 
will,  vnd  will,  das  wir  disen  trost  wissen  vnd  betrachten,  vnd  ju 
diser  Hofthung  die  grosse  last,  sorg  vnd  angst  der  Regirung  neben 
Einander  tragen,  vnd  helffen  chiistliche  lehr  ptiantzcn  vud  Krhalden. 
Disen  nöttigeu  trost  be<lenken  oue  zweifcl  Ewr  Erbarkeiten  teglich. 
Gott  will  auch  seiner  kircheu  zu  gut  etliche  Regiment  erhalden. 
Diweil  denn  E.  Erbarkeiten  aufs  christlichem  gemuet  yhren  aimen 
Burgerkindern  gern  zum  studio  bulif  tliun,  vnd  Georgius  Malfs 
Ein  armer  Waifs  ist,  den  gott  mit  verstand  wol  geziret  hatt,  vnd 
der  gottforchtig  vnd  zuchtig  ist,  bitt  ich  neben  yhm,  Ewr  Erbar- 
keiten wollen  vater  sein  vud  yhm  alfs  Einem  Waisen,  da  gute  hoff- 


76  Ernst  Fabian:  Die  Beziehungen  Melanchthous  etc. 

nung  zu  zuhaben,  vaterliche  hultt'  thun  mit  Einem  stipendio  vft'  ettlich 
jar.  Zeugnis  seiner  guten  geschiklicheit  habe  ich  hiemit  Ein- 
geschlossen vnd  werden  E.  Erbarkeit  [erkennen],  das  dise  seine 
schrifft  wolgemacht  ist,  vnd  ist  Ein  anzeig  Eins  guten  jngenij.  So 
wissen  Ewr  Erbarkeit,  das  geschriben  ist,  Du  solt  des  Waisen  vater 
sein,  so  wirt  dich  Gott  mehr  lieben,  denn  dich  dein  Eigen  mutter 
liebet.  Dises  ifs  ja  ein  trostliche  rede;  denn  wir  alle  wissen,  was 
väterliche  und  mutterliche  lieb  ist.  Darumb  in  betrachtung  diser 
gnedigeu  verheissung  sollen  wir  uns  besonder  die  Waisen  lassen 
beuohlen  sein.  Der  allmechtig  gott  vater  vnsers  heilands  Jhesu 
Christi,  der  sich  selb  nennet  der  Waisen  vatter,  wolle  Ewr  Erbar- 
keit vnd  die  Ewrn  vnd  die  lobliche  )Statt  Zwika  allezeit  gnediglich 
bewaren.    Datum  20.  Martij  1554. 

Ewr  Erbarkeit 

wälliger 

philii)pus  Melauthou. 
Aufschrift  ivie  Nr.  11. 


lY. 

Michael  Bapst  von  Eoclilitz, 

Pfarrer  zu  Moliorn, 

ein  populärer  medizinischer  Schriftsteller 
des  16.  Jahrhunderts. 

Von 

Eduard  Schubert  und  Karl  Sudlioff. 


Einige  Übersetzungen  antiker  Dramen  und  eigene 
Komödiendichtung  haben  Michael  Bapst  in  der  deutschen 
Litteraturgeschichte  ein  bescheidenes  Plätzchen  der  Er- 
wähnung verschafft.  Eine  etwas  grölsere,  wenngleich 
bis  heute  keineswegs  beneidenswerte  Rolle  spielt  der 
Mohorner  Pfarrherr  in  der  Geschichte  der  Arzneikunde. 
Er  wird  von  den  medizinischen  Historikern  mit  Spott 
Übergossen;  seine  Schriften  werden  als  das  Absonder- 
lichste, Abgeschmackteste,  ja  Blödsinnigste  gekennzeich- 
net, was  die  Litteratur  dieser  Disziplin  aufzuweisen  hat. 
Und  doch  müssen  sich  diese  Bücher  bei  ihrem  Erscheinen 
einer  aulserordentlichen  Beliebtheit  erfreut  haben,  das 
beweist  schon  die  erhebliche  Zahl  von  Auflagen,  welche 
dieselben  erlebten.  Unzweifelhaft  kamen  diese  Schriften 
einem  Bedürfnisse  ihrer  Zeit  entgegen  und  verdienen 
mithin  das  Interesse  des  Kulturforschers. 

Obendrein  wird  Bapst  unter  die  Schar  der  Paracel- 
sisten  eingereiht.  Julius  Rosenbaum ^)  charakterisiert  die 
Sparte  der  Jünger  Hohenheims,  unter  welche  Bapst  zu 


Ersch  u.  Grubevs  Eiicyklopädie,   Serie  II,  XI  (1838),  284. 


78  Eduard  Scluibert  und  Karl  Sudhoff: 

zählen  sein  soll,  folgenderniafsen :  „Das  Gold,  welches  sie 
vergeblich  in  den  Schmelztiegeln  aufsuchten,  lieferten  die 
Arkana  weit  sicherer  als  der  Stein  der  Weisen  in  ihre 
Taschen."  —  —  Sollte  wirklich  der  arme  Landpfarrer, 
welcher  durch  ein  Knabenpensionat  seine  Einnahmen 
aufzubessern  suchte,  durch  den  Handel  mit  geheimen 
Arzneimitteln  leichte  Reichtümer  erworben  haben?!  Das 
schien  uns  durchaus  nicht  wahrscheinlich.  — 

Wir  sind  so  ziemlich  allen  Schülern  des  grolsen 
Arztes  von  Einsiedeln  nachgegangen -j  und  auf  diese 
Weise  auch  zu  Bapst  von  Rochlitz  gekommen.  Und 
Avenn  die  Verlockung,  uns  mit  diesem  Manne  eingehender 
zu  befassen,  von  vornherein  auch  nur  gering  gewesen  ist, 
so  hat  derselbe  unser  Interesse  allmählicli  doch  insofern 
gewonnen,  als  es  uns  geboten  erschien,  dem  Vielverspotteteu 
seine  richtige  Stelle  nicht  so  sehr  in  der  Arzneiwissen- 
schaft, für  die  er  nichts  Nennenswertes  geleistet  hat,  als 
in  der  Kulturgeschichte  des  16.  Jahrhunderts  anzuweisen. 
Aus  seinen  Schriften,  welche  wir  einer  gründlichen  Be- 
arbeitung unterzogen  haben,  ist  für  den  Kulturhistoriker 
mehr  zu  lernen,  als  aus  den  Werken  weit  gelehrterer 
ärztlicher  Zeitscenossen. 


Michael  Bapst-^)  wurde  im  Jahre  1540  (also  ein 
Jahr  vor  dem  Tode  Theophrasts  von  Hohenheim) 
in  Rochlitz  geboren  und  am  24.  August  getauft;  sein 
Pathe  war  der  Bürgermeister  des  Ortes  Michael  Peck"*). 

'-)  Vgl.  unsere  „Paracelsus -Forschungen"  I.  Heft.  Frankfurt 
am  Main  1887.     Vorwort. 

'')  So  schreibt  er  seinen  Namen  am  häufigsten.  Daneben  ge- 
braucht er  aber  auch  die  Schreibung  „Babst",  namentlich  im  Akkusativ 
„durch  M.  Babsten".  —  Auf  den  Titeln  seiner  Publikationen  aus 
den  Jahren  1595 —97  nennt  er  sich  „Mich.  Bapst  den  Eltern"  zum 
Unterschied  von  seinem  Sohne,  dem  Magister  Michael  Bapst,  nach 
dessen  Tode  (5.  Juni  1596)  der  Vater  diesen  Zusatz  wieder  fallen 
liefs.  Zuerst  kommt  diese  Bezeichnung  vor  unter  der  Vorrede  zu 
dem  „Büchlein  von  den  7  Planeten"  (Michaelis  1593).  —  In_  den 
lateinischen  Gedichten,  welche  der  Zeitsitte  gemäfs  in  den  Schriften 
häufig  sich  finden,  nennen  er  und  seine  Söhne  sich  „Papa". 

*)  In  der  „Pimelotheca"  (1599)  S.  7  erzählt  Bapst  von  der  Hin- 
richtung eines  Verbrechers  in  Rochlitz  ..und  der  Selction  der  Leiche 
desselben  „Anno  1540".  Die  fremden  Ärzte ,  welche  zur  Sektion 
sich  einfanden,  wohnten  damals  beim  Bürgermeister  .,]\Iichael  Pecken, 
der  mich  Michael  Babsten  dasselbige  Jahr  um  Bartholomäi,  aufs  der 
Tauffe  gehaben."  Vgl.  auch  die  Vorrede  zur  Türkischen  Chronika 
(1593)  S.  .^./• :  „Weil  ich  zu  Rochlitz  Anno  1540  geboren." 


Michael  Bapst  von  RochJitz.  79 

Sein  Grolsvater,  Paul  mit  Namen,  hatte  sich,  aus  der 
Heimat  (den  spanischen  Niederlanden)  vertrieben,  in 
Eochlitz  niedergelassen.  Sein  Vater  Mauritius  sals  im 
Rate  der  Stadt  und  Avar  mit  Kindern  reich  gesegnet; 
unter  zwölf  Geschwistern  war  unser  Michael  der  siebente 
Knabe'^).  Er  besuchte  mit  kurfürstlichem  Stipendium  die 
Landesschule  Pforta  und  die  Universität  Leipzig.*^)  Dort 
finden  wir  ihn  im  Jahre  1564.  Er  erzählt,  er  habe 
„Dr.  Leonhardus  Lycius  weiland  Professor  Physices  zu 
Leipzig  anno  1564  in  pub.  lectione  gehört,  als  er  lib.  de 
anima  lals  '')."  Als  er  der  „hochlöblichen  Vniuersität 
zu  Leipzig  Depositor  gewesen^)",  bearbeitete  er  die  Ko- 
mödien des  Terenz  und  übersetzte  grölisere  Abschnitte 
derselben  in  deutschen  Versen,  eine  Arbeit,  die  er  viele 
Jahre  später  im  Druck  verötfentlichte.  —  Er  war  von 
kleiner  Körpergestalt  ^). 

Im  Jahre  1569  war  Bapst  einige  Zeit  „Baccalaureus 
der  Schulen"  zu  Rochlitz"').  Zwei  Jahre  später  wurde 
er  zum  Pfarrer  in  Mohorn  ernannt,  einem  Dorfe  in  der 
Nähe  von  Tharandt,  wo  er  32  Jahre  bis  zu  seinem  Tode 
verblieb^^).  Im  gleichen  Jahre,  im  Februar  1571,  allem 
Anscheine  nach  noch  vor  seiner  Niederlassung,  verheiratete 
er  sich  mit  Marie  Steinmüller,  der  noch  nicht  zwanzig- 
jährigen Tochter  des  Magisters  Albertus  Steinmüller  ^^), 

•^)  Vgl.  Sam.  Gottl.  Heine,  Historische  Beschreibung  der  alten 
Stadt  und  Grafschaft  Eochlitz  (Leipzig  1719.  4"),  wo  sich  S.  275 
bis  281  eine  Geschichte  des  Geschlechtes  „Papst"  findet,  nach  Mit- 
teilungen,, „welche  ein  vornehmer  Mann  von  diesem  Geschlecht  aus 
Freyberg  gütigst  communiciret  hat." 

•*)  In  der  Vorrede  zu  „Allegoria"  (1586)  schreibt  B.:  „Demnach 
Augustus  Hertzog  zu  Sachsen  .  .  .  seligster  gedechtnis,  aus  ange- 
borner  mildigkeit,  mich  vnter  den  alumnis,  der  Pfortisclien  Schnlen 
vnd  folgends  vnter  den  Stipendiaten  zu  Leipzig  etliche  .Jahr  ge- 
halten, vnd  mich  also  zum  Studium  befördert."  Vgl.  J  O.  Opel, 
Valentin  AVeigel  (Leipzig  1864.  8")  S.  9.  Weigel  war  auch  ein 
solcher  Stipendiat  zur  selben  Zeit. 

■')  Pimelotheca  S.  12  u.  öfter. 

^)  Rytlim()logia..Tercntij  (1590),  S.  A,^",  Ai'zneikunst  und  Wunder- 
buch (1590)  S.  Ll.,v(1604  S.  ai6). 


o\ 


i 


Speciilum  belli  (1595)  S.  A^''  „von  wegen  meiner  kleinen  Statur." 
'")  Heine  a.  a.  0.;    hierauf   geht  die   Bemerkung  im  Arznei- 
kunst  und  Wunderbuch  (1590)  S.  Tt.,^'    „weil    ich   damals    des    Orts 
[Ptochlitz]  ein  Schuldiener  war."     (1604,  S.  405.) 

")  Vorrede    zum  „GifftjageiKlin  Kunst-  und  Hausbuch"  (1591). 

^'^)   Vorrede    zum     [jeib-    und   Wundaizneibucli    I.  Teil  (1596) 

und   in  der  Predigt    über    den    Witwenstand  (1602),    S.A.,'-.     Nach 

Heine   (a.  a.  0.  S.  278)   war    Steinmülbr  Pastor    zu    Wechselburg- 

und  Bapsts  erster  Präzeptor. 


80  Eduard  Schubert  und  Karl  Sudhoff: 

welche  ihm  in  30j ähriger  Ehe  11  Söhne  und  eine  Tochter 
schenkte ;  der  älteste  Sohn ,  1572  geboren ,  hiefs  wie  der 
Vater  Michael  und  starb  mit  24  Jahren.  Von  andern 
Söhnen  nennt  er  PauF^),  Samuel,  Friedrich  und  Johannes. 
Letzterer,  der  Sechstgeborene,  starb  1602  am  26.  August 
in  Leipzig  an  der  Ruhr;  es  war  dies  der  fünfte  Verlust 
eines  Kindes,  welcher  die  Eltern  traf^^). 

Zur  Ernährung  seiner  grofsen  Familie  war  der 
schmale  Pfarrgehalt  nicht  ausreichend.  Also  wohl  um 
seiner  kleinen  Einnahme  aufzuhelfen,  errichtete  Bapst  im 
Jahre  1578  in  seinem  Hause  eine  Erziehungsanstalt, 
worin  er  mit  Hilfe  seiner  Söhne  und  „feiner  gelarter 
Praeceptores"  ^^)  Söhne  vermögender  Eltern  unterrichtete, 
z.  B.  aus  dem  Schönberg'schen  Hause  ^"^).  Nicht  wenig 
thut  er  sich  auf  den  herrlichen  Erfolg  seiner  Pfarrschule 
zugute  und  mit  welch  trefflichem  Beispiel  er  in  seinen 
eigenen  gelehrten  Arbeiten  diesen  Jünglingen  voranging. 
Mehreren  seiner  früheren  Zöglinge  widmete  er  1596  den 
ersten  Band  seines  Leib  -  und  Wundarzneibuches  und 
am  Ende  desselben  Jahres  einigen  seiner  damaligen 
Schüler  den  zweiten  Band  des  nämlichen  Werkes.  Auch 
die  „Postilla"  von  1603  ist  „lieben  Discipulis  vnd  Pflege 
Söhnen"  gewidmet.  Für  solche  Widmungen  wurden  ja 
damals  nicht  unerhebliche  Geschenke  bezahlt,  während 
die  Verleger  dem  Autor  nur  selten  ein  Honorar  gewähr- 
ten. Bei  den  vielfachen  Erwähnungen  seines  Pensionats 
in  den  Vorreden  scheint  die  Absicht  der  Reklame  für 
diese  Anstalt  nicht  unwesentlich  mitgewirkt  zu  haben. 
Wie  fleifsig  Bapst  neben  allen  diesen  beruflichen  Thätig- 
keiten  schriftstellerisch  arbeitete,  ergiebt  sich  daraus, 
dals  seit  1582  fast  kein  Jahr  verging,  in  welchem  nicht 
ein  oder  mehrere  zum  Teil  dickleibige  Werke  von  ihm 
erschienen  wären. 

Nach  einem  arbeitsamen  Leben  starb  Bapst,  63  Jahre 


13)  Geboren  13.  Dezember  1578  und  am  4.  Oktober  1588  ge- 
storben. Über  Krankheit  und  Tod  dieses  Söhnleins  spricht  B.  aus- 
führlich im  Arznei  -  Kunst  -  und  Wunderbuch  1590,  S.  04>-  (1604 
S.  125). 

1*)  Vgl.  Juniperetum  1605,  S.  74. 

i'')  Die  er  „nicht  ohne  geringe  Kosten"  für  seine  Schule  hielt-, 
Vorrede  zum  Leib-  und  Wundarzneibuch  1.  Teil.  Vgl.  auch  die 
Vorrede  der  „Postilla"  von  1603. 

*^)  Viele  andere  Familien  nennt  Heine  a.  a.  O.;  nebenbei  giebt 
er  eingehende  Notizen  über  die  Mohorner  Pfarrschule. 


3Iichael  Bapst  von  Rochlitz.  81 

alt,  ZU  Moliorn  am  19.  Apiil  1603  an  einem  Schlagfiuis"). 
Seine  Gattin  hatte  er  schon  zwei  Jahre  vorher,  am 
16.  August  1601,  verloren.  Ein  Bruder  Namens  Paul 
ül)erlebte  ihn;  derselbe  war  „Raths verwandter  vnd  Syn- 
dicus  der  Stadt  Leipzig".  Ihm  ist  von  dem  Herausgeber 
Tanck  das  letzte  nachgelassene  Werk  ßapsts,  das 
„Juniperetunr',  gewidmet. 

Eben  dieser  Joachimus  Tanckius,  Professor  der 
Medizin  in  Leipzig,  giebt  in  der  Vorrede  dieses  posthumen 
Werkes  vom  1.  Januar  1605  dem  Michael  Bapst  das 
Lob  eines  trefflichen  Geistlichen  von  gesegneter  Wirk- 
samkeit, eines  tüchtigen  Lehrers  im  eigenen  Seminar  und 
eines  fleilsigen  medizinischen  Schriftstellers^^). 


Wir  gehen  zu  den  Schriften  Bapsts  über,  berück- 
sichtigen dieselben  im  folgenden  aber  nur  insoweit,  als 
sie  medizinische  und  naturwissenschaftliche  Gegenstände 
behandeln. 

Der  Entstehungsmodus  dieser  Schriften  ist  ein  sehr 
einfacher.  Bapst  hat  neben  seinen  seelsorgerischen  und 
pädagogischen  Amtsgeschäften  in  den  Mulsestunden  fleifsig 
gelesen  und  excerpiert.  Seine  Lektüre  erstreckte  sich 
über  sehr  heterogene  Gebiete.  Was  ihm  besonders  gefiel, 
was  in  seinen  Ideenkreis  palste,  was  ihm  praktisch  ver- 
wertbar erschien,  wurde  notiert  und  aus  diesen  Kollek- 
taneen  stellte  er  dann  in  bunter  Ordnung  seine  Abhand- 
lungen zusammen.  Eigene  geistige  Arbeit  hat  er  meist 
nnr  wenig  hinzugethan,  wenn  auch  einzelne  eigene  Be- 
obachtungen, einzelne  aus  dem  Munde  des  Volkes  und  dem 


^')  Nach  Heine  n,  n.  0.  S.  276,  wo  auch  seine  Grabschrift 
in  der  Kirche  zn  Mohoi'n  mitgeteilt  wird. 

^*)  Die.se  kleine  liioyiaphische  Skiz/c,  welclie  fast  cinziy  aut 
den  hie  und  da  in  Bapst.s  Werken  eingestreut  g-efnndciien  Lehens- 
daten beruht,  stimmt  in  aheni  wesentlichen  vollkommen  mit  dem 
iiberein,  was  W.  Seh  er  er  in  der  Allgemeinen  deutsclicn  lÜog'raphie 
(II,  44)  in  seinem  Artikel  über  Bapst  giebt.  Die  auf  verschiedenen 
Wegen  gewonnenen  llesultate  dienen  sidi  also  gegenseitig  zur 
Bestätigung.  —  Nach  Schere  is  im  Jahre  1875  erschienenen..  An- 
gaben könnte  es  wunderlicher  scheinen,  dafs  im  l'>iogr.  Lexikon  der  Ai'zte 
T  (Wien  1884),  28o  die  Notiz  sidi  tindct,  „Bapsts  Geburts-  un<l 
Todesdaten  sind  unbt'kannt",  wenn  man  l)ei  der  Benutzung  dieses 
Werkes  nicht  schon  daran  gewölmt  wäre,  auch  für  deutsche 
Autoren  häufig  nur  französische  Repertorien  benutzt  zu  linden,  wo 
weit  verläfslichere  deutsche  Quellen  ohne  Mühe  erreichbar  gewesen 
wären.  So  findet  man  denn  auch  in  den  Nachträgen  (1888,  XL 
446)  Geburts-  und  Todesjalir  iiacli  neuerer  französischer  Quelle 
nachgetragen. 

Neues  Archiv  f.  S.  ü.  u.  A.     XI.  1.  i  " 


82  Eduard  Schubert  und  Karl  Sudhoff: 

Verkehre  mit  andern  „Gelehrten"  geschöpfte  praktische 
Notizen  und  Rezepte  gelegentlich  mit  unterlaufen.  Es 
finden  sich  nur  wenige  unter  seinen  hierher  gehörigen 
Schriften,  welche  in  zusammenhängender  Form  geschrieben 
sind  und  ein  Thema  mehr  oder  weniger  vollkommen  dis- 
poniert abhandeln.  Meist  sind  es,  wie  gesagt,  lose  anein- 
ander gereihte  Lesefrüchte ;  der  Faden  des  Zusammen- 
hanges ist  oft  durch  lange  Strecken  nicht  aufzufinden. 
Nur  selten  spricht  er  selber  ein  Urteil  aus,  wenn  er  auch 
nacheinander  sehr  verschiedene  Ansichten  anderer  vor- 
trägt. Ab  und  zu  sind  wohl  auch  kurze  belehrende 
Exkurse  eingestreut. 

Diese  Entstehungsart  seiner  Bücher  gesteht  er  selber 
ruhig  zu.  Fast  auf  allen  Titeln  finden  sich  Redewen- 
dungen wie  die  folgenden:  „Aus  vieler  Autoren  Schriften 
zusammengetragen  vnd  gelesen"  —  „Auls  vieler  Hoch- 
gelerter  Ertzte  Bücher  mit  Fleils  zusammengetragen 
vnd  beschrieben"  —  „Aus  vielen  der  bewerten  Alten  vnd 
Newen  Leibs  vnd  Wunderzte  Bücher  mit  fieis  zu- 
sammengebracht" —  „mit  fieis  aus  vielen  berhümpten 
Scribenten  zusammengeschrieben"  —  „aus  vieler  hoch- 
gelehrter Ertzte,  vnd  vornehmer  Artisten  Bücher  zu- 
sammengetragen" u.  s.  w.  Allerdings  fügt  er  daneben 
meistens  noch  hinzu  „vnd  eigener  erfahrung"  oder  „auch 
Experientz"  ^^*). 

Seine  Werke  haben  so  ein  recht  buntes  Aussehen, 
aber  sie  machen  auch  auf  Wissenschaftlichkeit  keinen 
Anspruch.  Im  Gegenteil:  er  will  Bücher  fürs  Volk, 
für  die  Ungelehrten  schreiben,  praktische  Hand-  und 
Hausbücher,  worin  man  sich  in  vielen  Fällen  Rats  er- 
holen könne.  So  sagt  er  auf  dem  Titel  des  „Gifftjagen- 
den  Kunst-  und  Hausbuches"  ausdrücklich  „allen  vnd 
jeden  Hausvätern  sehr  nützlich" ;  vor  dem  ersten  Bande 
seines  „Leib-  und  Wundarzneibuches"  heilst  es  „mit  allem 
fleifs,  den  gemeinen  Haulsvätern  zu  nutz  vnd  heilsamen 
Vnterricht ,  zusammengetragen",  und  vor  dem  dritten 
Bande  „mit  fieis  den  gemeinen  Haulsvätern  zu  nutz,  vnd 
heilsamen   vnterricht",  endlich  auf  dem  Titel  der  „Pimo- 


is*)  j]ii^e  dieser  eigenen  Beobachtung-en  hat  Job.  Scbenek  von 
(Iraf  enbergin  seine  „Observationum  medicarum rariorvim  Libri  VlI" 
aufgenommen  (Ed.  Lugd.  1643.  Fol.  p.  891);  „Et  ego  Friburgi  in 
Misnia  Virginem  noui,  ferinae  omnis  ex  auitio  genere,  expertem.  Midi. 
Papa  Enipiricus,  Jatreio  suo  memorab.  pag  16."  Gemeint  ist  das 
Arznei-Kun=;t  und  Wunderbuch  von  1604. 


Michael  Bapst  von  Rochlitz.  83 

lotheca":    „allen   Hausvätern,  ..Wundartzten,    Barbieren 
vnd  Badern"  (also  nicht  für  Arzte). 

Er  wollte  durchaus  populär  schreiben  und  war  sich 
des  l)unten,  wunderlichen  Eindrucks,  den  seine  Rezept- 
sammlungen hervorbringen  mulsten,  wohl  bewufst.  So 
schreibt  er  denn: 

„Bitte  demütig-  vnd  fleifsig,  der  gathertzige  Leser  wolte 
dieses  mein  vornehmen  (welches  maiore  voluntate  quam  facul- 
tate  von  mir  an  die  Handt  genommen,  damit  ich  nicht  allhie 
auff  dem  Dorffe,  dahin  mich  Gott  gesetzet,  als  ein  vorgeblicher 
schatten,  oder  last  der  Erden  angesehen  vnd  gefunden  werde,) 
freuudtlich  von  mir  auff  vnd  annehmen,  vnd  es  also  verstehen, 
das  es  anders  nicht  als  trewhertzig,  vnd  so  gut  gemeinet,  da- 
mit den  gemeinen  Haufsvätern  vnd  Haufsmüttern  dadurch  ge- 
dienet werde.  Denn  wenn  ich's  den  gelarten  wolte  zu  lesen 
fürschreiben,  wie  offt  gesagt,  würde  ich  ebenso  thörlicli  handeln, 
als  derjenige,  der  ins  Meer  Wasser  vnd  in  den  Bohenierwalt 
Holtz  tragen  wolte  i^)."  (Leib-  und  Wundarzneibuch,  II.  Teil, 
Bl.  118  b) 

„Will  den  Leser  aber  freuudtlich  bitten,  vr  wolte  mir 
diese  meine  digressiones,  deren  ich  gar  viel  liin  vnd  wieder 
gebrauche,  zu  gute  halten.  Denn  weil  es  ein.  Wunderartzney- 
buch  intituliret  worden,  darff  sich  niemand  wundern,  das  aucli 
ein  wunderliche  dispositiou  vnd  Ordnung  darinnen  gehalten 
wird."     (ib.  Teil  1,  Bl.  107 b.) 

Über  die  Art  der  Abfassung  seiner  Schriften  sind 
noch  die  folgenden  Stellen  von  Interesse  : 

„Wann  ich  aber  beyneben  meinen  Amptfsgeschefften  allhie 
auffm  Dorff,  dahin  mich  Gott  verordnet,  anders  nichts  inn  die 
Hand  nehme,  als  das  ich  die  vl)rigt'  Zeit  mit  lesen  vnd  schreiben 
zubringe.  So  hal)e  ich  auch  dilsfals  nichts  bessers,  als  dieses 
Buch,  so  gut  mirs  der  Allniechtige  GOtt  durch  embsige  Auft'- 
suchung  vieler  Scribenten  Bücher  in  die  Feder  bescheret." 
(Vorrede  zum  Arznei-Kunst-  und  Wunderbuch.) 

Noch  genauer  schildert  er  in  der  „Pimelotheca" 
(S.  1)  seine  verschiedenartigen  Studien. 

•  ,,Hal)  derwegen,  sonder  rhum  zu  melden  die  Zeit,  wclclie 
ich  nach  Verrichtung  meiner  predigten,  vnd  andern  Arnjits- 
geschefften  vbrig  gehabt  mit  lesen  vnd  betrachtnng  der  Chrono- 
logorum  vnd  Medicorum  schrifften  vnd  Bücher  zugebracht,  wie 
solclie  neben  meinen  Tlie(iloü:ischen  Tractaten,  die  in  Druck 
verfertigten  Chronicken  vnd  Ertzneybücher,  bezeigen." 


1»)  Diese  Wendung  kommt  in  allerlei  Variationen  vor,  z.  B. 
..niclit  für  die  gelarten,  würde  mii'  es  sonst  gehen,  wie  einem,  der 
den  Adler  wolt  fliegen,  den  Delphin  schwimmen  vnd  den  Hasen 
lauften  lernen"  (ib.  S.  57»)  oder  „damit  ich  nicht  angesehen  werde, 
als  wolte  ich  den  Atheniensern  Nachteulen,  oder  den  Tartessijs 
Katzen  zufüliren''  (S.  Ho^)  oder  „ich  mag  vnd  kan  niclit  in  di'U 
Lydischen  Ans  Pactolum  oder  den  Iberisclien  Tragum  [!]  (leltkörner 
tragen"  (S.  82''). 

6* 


84  Eduard  Schubert  und  Karl  Sudboff: 

Auf  seine  theologischen  Abhandlungen,  sowie  auch 
auf  seine  „chronologischen"  Schriften  wollen  wir  au 
(lieser  Stelle  nicht  eingehen.  Seine  Übersetzungen  und 
Bearbeitungen  antiker  Dramen  erwähnt  Bapst  hier  nicht, 
vielleicht  weil  er  das  nicht  zu  den  eigentlich  wissenschaft- 
lichen Arbeiten  rechnete.  Dieselben  mochten  pädagogi- 
schen Erwägungen  oder  Bedürfnissen  seiner  Schule  ihre 
Entstehung  verdanken.  Doch  überlassen  wir  dies  anderen 
berufeneren  Federn  und  wenden  uns  zur  speziellen  Be- 
trachtung der  medizinischen  Schriften. 


Wir  lassen  zunächst  eine  kurze  Analj'se  der  einzel- 
nen Werke  -^)  in  clironologischer  Ordnung  hier  folgen. 

I.  „Von  dem  newen  Pestilentzischen  Krampff, 
oder  reissenden  Chyragrischen  vnd  Podagrischen 

Kranckheit."'-^!) 

Es  dies  die  einzige  zusammenhängende  Arbeit  Bapsts 
über  ein  medizinisches  Thema,  Dieser  erste  Versuch 
des  Theologen  auf  ärztlichem  Gebiete  ist  fast  mehr  eine 
theologische  Abhandlung  zu  nennen;  denn  das  theologische 
Beiwerk  beansprucht  den  weitaus  grölsten  Raum.  —  Wir 
finden  hier  die  Schilderung  einer  damals  „in  diesen  landen 
fast  vberall,  beide  in  Stedten  vnd  in  Dörffern"  grassiren- 
den,  anscheinend  epidemischen  Krankheit,  welche  nach 
Angabe  des  Verfassers  noch  nicht  in  einer  Druckschrift 
behandelt  worden  war.  Eine  eigentliche  Diagnose  der 
fraglichen  Krankheit  ist  nach  der  Schilderung  des  Laien 
kaum  möglich.  Er  sagt,  „dais  viel  leute  an  liend  vnd 
Füssen  erbermlich  gelehmet,  vnd  an  allen  beide  jnner- 
lichen  vnd  eusserlichen  gliedern  dermassen  geschwecht 
vnd  verderbet  werden,  das  sie  jhre  vernunfft,  Witz  vnd 
verstand  verlieren",  und  dals  die  Krankheit  „mit  unseg- 
lichen  schmertzen  die  Hende  vnd  Füsse  zusammen  zeuchet 
oder  von  einander  strecket,  wie  dann  der  Krampff  eigent- 
lich ein  anzihung,  oder  aufsbreitung  der  Neruen,  Span, 
Sen  vnnd  Flachfsadern,  des  gantzen  Leibes,  sonderlich 
des  Halses  ist. "  H  a  1 1  e  r  ^'•^ )  vermutet,  dals  es  sich  um 
eine  Epidemie  von  Ergotismus  spasmodicus  handele,   der 

-")  Eine  ausführliche  Bibliographie  sämtlicher  Schriften 
Bapsts  haben  wir  in  dem  Centralblatt  für  Bibliothekswesen, 
Jahrg.  1889,  S.  537—549  gegeben,  auf  welche  wir  hiermit  verweisen. 

-1)  Freybergk  o.  J.  (1583)  4*>. 

22)  Bibl.  med.  pract.  II,   293. 


Michael  Bapst  von  Kochlitz.  85 

ja  1596  und  97  epidemiscli  auftrat,  und  verlegt  das  Buch 
deshalb  ms  Jahr  1597.  Jedoch  nennt  der  Verfasser  zwei- 
mal 1583  als  das  Jahr  des  Auftretens  der  Krankheit  und 
der  Niederschrift  seines  Buches;  es  ist  wohl  eher  an 
Meningitis  cerebrospinalis  epidemica  (Genickstarre)  als 
an  die  Kriebelkrankheit  zu  denken. 

Das  Wichtigste  sei  nach  Galenus  die  Erkenntnis 
der  Krankheitsursache,  welche  Bapst  denn  auch  weit- 
läufig behandelt  Doch  kommt  dabei  dem  guten  Theo- 
logen, aber  schlechten  Anatomen  ein  grober  Schnitzer  in 
die  Feder.  Er  schreibt:  „Wann  auch  den  Patienten 
böse  schedliche  Dämpff'e  aus  dem  Magen,  per  neruum 
opticura,  welcher  aus  dem  haupt  herab  in  den  Magen 
gehet,  aufzusteigen  pflegen--^)."  Dafs  es  hier  ohne  „Ver- 
stopifung  des  Gehirns"  und  „Dünste"  aus  der  „alten 
vermoderten  bösen  Materie,  welche  sich  in  den  Adern 
vnd  Neruen  des  Magens  zu  erhalten  pfleget",  nicht  ab- 
geht, ist  selbstverständlich  und  echt  galenisch.  Die 
„influentz  des  Gestirns"  spielt  natürlich  eine  grolse  Rolle, 
doch  wird  auch  Witterung,  Erdfeuchtigkeit,  stehendes 
Wasser,  dichte  Nebel,  Verwesungsdünste  und  dergleichen 
in  Anspruch  genommen.  Doch  damit  nicht  genug:  auch 
das  „Epicurische  leben"  der  Menschen  wird  als  Krank- 
heitsursache beschuldigt,  und  damit  läuft  Bapst  ins 
theologische  Falunvasser  ein.  Der  Zorn  Gottes  ist  in 
dieser  Krankheit  als  Strafe  über  die  Menschen  gekommen. 
Mit  der  Cura  siehts  dann  flau  aus.  Gelobt  wird  zwar 
Galen  und  heftig  geeifert  gegen  die  „Empirici,  Ambubai, 
Seplasiarii,  Circumforanei  Medici  vnd  wie  die  Praestigia- 
tores  vnd  Zanbrecherischen  Thyriackskramer  vnd  Blatte- 


23)  Laiirentms  Fries,  Spiegel  der  Artzney  (Strafsburg  1532, 
Folio),  El.  74 'j)  schreibt  in  dem  Kapitel  „von  schwinde!  vnnd  vnib- 
lanffen  vor  den  Augen":  „vrsach  diser  bresten  ist  ein  vmbwendung 
des  hirns,  so  die  geist  der  gesiclit  gehindert  werden,  von  etlicher 
böser  matery  des  hirns  oder  bösen  dempffcn  des  magens  inn  das 
haupt  steigende,  durch  den  neruum  der  vom  haupt  herabgeet  in  den 
magen  nenius  obticus  genant.'-  Dei  der  grofsen  Verbreitung  dieses 
„Spiegels-'  durch  viele  Auflagen  (seit  1518)  haben  wir  hier  wohl  die 
direkte  (Quelle  der  Bapstschen  medizinischen  Weisheit  und  anatomi- 
schen Unwissenheit  vor  uns.  Vielleicht  hat  die  Lektüre  dieses  mit 
so  viel  Liebe  zur  Arzneikunde  für  Laien  geschriebenen  Buches 
dem  Theologen  auch  zuerst  seine  lebenslängliche  Liebe  zu  unserer 
Wissenschalt  eingeflöfst.  —  Dafs  Fries  ein  energischer  Anhänger 
des  Galen  und  Avicenna  war,  sei  nur  nebenbei  erwähnt.  Nähere 
Mitteilungen  über  Fries  gaben  wh  in  unseren  „Paracelsus-Forsch- 
ungen"  II  (Frankfurt  a.  M.  1889),  67— 7L 


86  Eduard  Schubert  und  Karl  Sudhoff: 

rones  Meclici  lieissen.. mögen",  aber  bis  jetzt  hätten  auch 
die  V  e  r  n  ü  n  f  t  i  g  e  n  xirzte  „keine  gewisse  Ertzney  vnnd 
Experiment"  gegen  diese  Seuche  finden  können :  „ob  einer 
gleich  alle  der  Materialisten  vnd  Apotecker  Simplicia  et 
composita  Medicamenta  miscirete,  vnd  dieselbigen  einneme, 
und  verschlünge  darzu  des  Galeni  Therapeuticon ,  vnd 
alle  Paracelsische  subtiliteten ,  so  würde  ihm  doch  nicht 
besser  werden."  Trotzdem  solle  man  sich  nach  einem 
„wolgeübten  verstendigen  gelarten  Artzt  vmbsehen,  vnd 
nicht  allen  leichtfertigen  jungen  Rofsärtzten,  vnd  alten 
zeuberischen  weibern  seinen  leib  vertrawen,  dann  solche 
Störer  verderben  vnd  sterben  allzeit  hundert  menschen, 
ehe  sie  einem  helifen,  indem  sie  jlire  Cathartica  mit  vn- 
bedacht  starck  genug,  für  die  Giganten  vnd  Ditmarschen 
Bawren  . .  präpariren  vnd  on  allen  bedacht . .  verkauifen." 
—  Das  Ganze  geht  schliefelich  in  eine  rein  pastornle 
Ermahnung  aus.  Zur  Heilung  dieser  für  Sicherheit  in 
Sünden,  Fluchen,  Geiz,  Fressen,  Saufen,  Hoffart,  Ver- 
stocktheit gesendeten  Seuche  muls  man  sich  zu  dem 
himmlischen  und  höchsten  medico  niedicorum  wenden, 
aus  seinem  Kunstbuche,  der  Bibel,  Genesung  suchen, 
Bulse  thun  u.  s.  w.  Er  empfiehlt  zuletzt  aber  auch 
Barmherzigkeit  gegen  die  Kranken,  was  einigermaßen 
bezeichnend  für  ihiT  ist  in  seiner  religiös  stark  ange- 
hauchten Zeit.  —  So  hält  Bapst  schon  gleich  anfangs 
seine  Wage  ganz  gerecht  zwischen  Galenismus,  Para- 
celsismus  und  Seelenhirtentum,  fernab  von  aller  Schwär- 
merei und  Mystik! 

IL  „Ein  newes   vnd  nützlichs  Ertzney,  Kunst 
vnd  Wunderbuch," -^) 

Nach  einer  langen  Einleitung  über  allerhand  sagen- 
hafte menschliche  Monstrositäten  und  monströse  Völker- 
schaften ,  aus  unzähligen  alten  und  mittelalterlichen 
Autoren  zusammengetragen,  kommt  Bapst  zum  eigent- 
lichen Thema,  der  arzneilichen,  tierarzneilichen  und  tech- 
nischen Verwendung  der  verschiedenen  Teile  des  mensch- 
lichen Körpers,  Menschenfleisch  (mumia),  Haare,  Hirn- 
schale, Knochen,  Zähne,  Ohrenschmalz,  Stimme  (Gesaug 
und  Kede,  wobei  auch  allerlei  Zaubersprüche,  die  bekannten 
„Incantationes",  vorkommen,    die   er  jedoch   vorsorglich 


^)  Mülhauseu  1590,  4  0;  Leipzig  1592,  4»;  Leipzig  1604,4". 


Michael  Bapst  von  Rochlitz.  87 

verdammt,  damit  man  ihn  nicht  zu  einem  solchen  „zaube- 
rischen Lügner"  maclie "-''),  Haut,  SchAveils,  Blut  (speziell 
Menstrualblut),  Fi^auenmilch,  Nabelschnur  und  Nachgeburt 
(Avobei  er  auch  emphatisch  ein  noch  nicht  veröfientlichtes 
„Stück"  anführt,  „welchem  die  Erfahrung,  ein  krefitiges 
gutes  Zeugnis  giebet"  bei  Fallsucht),  Herz,  Galle,  Blasen- 
und  Gallensteine,  Fett,  Koth,  Nägel,  Schenkel,  Füfse 
u.  s.  w.  Das  Ganze  ist  aber  keine  zusammenhängende 
Auseinandersetzung,  sondern  eine  Re z  ep t e n  s am mlun g, 
bei  welcher  nur  einigermaisen  die  Ordnung  nach  diesen 
Körperbestandteilen  innegehalten  wird.  Im  einzelnen 
geht  es  aber  bei  der  Aneinanderreihung  bunt  durch- 
einander. So  folgen  sich  in  anmutigem  Wechsel  Mittel 
für  Nasenbluten  und  Menorrhagien,  Zähmung  von  Leo- 
parden, Verstopfung,  Skorpionstich,  Zahnweh,  Hundsbils, 
Spinnenstich,  Erkennung  der  Fruchtbarkeit  einer  Frau, 
Kupfer  das  Aussehen  von  Silber  zu  geben,  sichtbare  und 
unsichtbare  Schrift,  Fischfang,  Pferdekrankheiten,  gegen 
das  Fürchten  bei  Nacht  u.  s.  w.  u.  s.  w.  Meist  sind  die 
Rezepte  mit  der  Angabe  des  Autors  versehen,  aus  wel- 
chem sie  genommen  sind.  Eingestreut  sind  Exkurse  über 
Chiromantie  und  Chirurgie  gelegentlich  der  Menschen- 
hand, über  Pflege  neugeborener  Kinder,  über  die  Bedeu- 
tung des  Menschenbluts   in   der  Alchemie,   welches  wie 


-^)  Er  tadelt  oft  diese  „vnchristliche  vnd  Gottfslesterliche  Segen", 
z.  B.  „Dieses  sind  böse  vnd  vnchristliche  Mittel,  welche  einem 
Heiden  nicht  wolanstehen,  will  geschweigen  .  .  einem  Christen."  — 
„O  jhr  verblendten  Leute,  was  macht  jhr  mit  solchen  superstitiosis 
remedijs,  man  hat  Gott  lob  andere  Mittel."  Er  führe  diese  Sachen 
an,  ,, nicht  das  maus  braucheu  solle",  ,, sondern  allein,  dal's  der  Leser 
sehen  soll,  wie  der  Teuffei  die  Leute  zu  blenden  pfleget".  Ahnlich 
spricht  er  sich  auch  in  andern  Scliriften  aus,  z.  B.  im  .,Gifftjag. 
Kunst  vnd  Hausbuch"  S,  60,  131,  168,  204,  229,  247,  2.54,  256  (wo 
er  es  ,,al»ergleubisches  Nairenwerk-'  vnd  „Lappcrey"  nennt)  uud  iin 
Leib  und  Wundarzneibuch  11,  37.  139.  148.  166;  III,  123  u.  s.  w. 
Die  Stellen  aus  Cornelius  Agrippa  von  Nettes  heim  führt  er 
oft  al)sichtlich  unvollständig  an  und  verdeutscht  sie  auch  nicht,  mit 
Absicht,  wie  er  hinzufügt.  'N'ielfach  folgt  er  den  (ledankcn  Wey  ers 
uud  schreibt  z.  B.  „Dieses  alles  ist  vnrecht ,  vnd  eine  blendung  des 
bösen  Geists.  Wer  aber  aufsfürlicheu  bericht  wissen  vnd  haben 
wil,  was  von  diesen  vnd  dergleichen  abergleubisehen,  oder  aber  auch 
zauberischen  Sachen  zu  halten  soy,  der  lese  die  o.  Bücher  de  prae- 
stigiis  Daemonum  1).  .loan  .Wi  erij ,  den  Zaubertenffel  Ludouici 
Milichij."  —  Den  Hexcnverfolgungen  war  er  alier  wohl  nicht  ab- 
geneigt; denn  er  führt  im  Leib  und  Wundarznoibuch  {II,  166  f.)  für 
die  „einfaltigen  Richter"  Gesetzesstellen  an,  worin  die  Zauberer  etc.  mit 
dem  Tode  bedroht  werden. 


88  Eduard  Schubert  und  Karl  Sudhoff: 

viele  andere  alchemistische  Termini  oft  nicht  wörtlich 
zu  nehmen  sei,  da  darunter  ein  blutfarbiges  Metallpräparat 
verstanden  werde ;  dabei  spricht  er,  als  ob  er  selbst  die 
alchemistischen  Kniffe  wohl  verstehe,  und  giebt  sich 
gleich  darauf  die  Blöfse  (wie  noch  öfter)  von  „Albachest" 
(statt  Alkahest)  zu  sprechen.  —  In  der  nach  seinem 
Tode  veröffentlichten  Ausgabe  von  1604  sind  Lesefrüchte 
aus  den  .Tahren  1590 — 1603  allenthalben  eingetragen, 
ohne  den  Charakter  des  Buches  irgend  wesentlich  zu 
ändern"-''). 

III.  „Gifftjagendes  Kunst  vnnd  Haulsbuch/' "") 

Abermals  eine  bunte  Sammlung  aus  den  verschieden- 
sten Schriftstellern.  Von  „eigener  Erfahrung"  ist  kaum 
etw'as  zu  finden.  Beginnt  mit  dem  Schlangenbifs  (zuerst 
die  Schlange  im  Paradies)  und  arzneilicher  Verwendung 
der  Schlangen,  Spinnenstich,  Querder  i,Köder)  an  die 
Angel,  Löwen-  und  Wolfsbils,  Füchse  etc.  zu  fangen, 
Wölfe  zu  vertreiben,  Ranula,  Skorpionstich,  vielerlei  über 
Würmer,  Tauben  an  den  Schlag  zu  gewöhnen  und  dals 
sie  andere  Tauben  mitbringen.  Bäume  pfropfen,  Früchte 
konservieren.  Pflanzen  Spielarten  zu  erzielen,  Fleisch  kon- 
servieren, Mücken  etc.  zu  vertreiben,  Zips  der  Gänse, 
Durchfall  der  Hühner,  Bienen  im  Stock  halten,  Fleder- 
mäuse töten,  Haare  und  Warzen  vertreiben,  AVundpflaster, 
Motten,  Mitesser,  Läuse  vertilgen,  Vogel-,  Fisch-  und 
Krebsfang,  wobei  sich  die  Kur  des  Carcinoms  anschlielst 
u.  s.  w.  u.  s.  w.  Unter  den  Tausenden  von  Rezepten 
aller  Art  sind  hie  und  da.  dem  Zeitgeschmack  gemäfs, 
als  Lesefrüchte  auch  einige  alchemistische  und  chemiatrische 
Rezepte  mit  eingestreut  -^). 


-^)  Die  Zusätze  siud  vielfach  alcheniistischer  und  iatrochemi- 
scher  Art,  was  auch  auf  dem  Titel  betdnt  wird,  „Darinnen  neben 
allerley  Alcliyniistischen  vnnd  Jatrochj'mischen  Wercken  .  .  .  Sampt 
nützlichen  Vnterricht  wie  man  .  .  allerley  Destillation ,  Gel  Saltz 
vnd  künstliche  Extract  zur  Artzuey,  Alchymistischen  vnd  andern 
Künsten  dienstlichen  praepariren  vnd  machen  sol  .  .  ." 

")  Leipzig  1591  und  1592.  40.  (375  SS.) 

-^j  S.  12f.  sagt  er  nach  Besprecliung  „magischer"  Dinge:  „Ich 
für  mein  Person  habe  die  Zeit  meines  Lebens  viel  gelesen,  habe 
auch  lust  gehabt,  vnd  noch,  mich  in  allerley  natürlichen  Künsten  zu 
üben,  zu  solchen  -Sachen  aber  habe  ich  niemals  lust  gehabt,  dieselben 
auch  nicht  gerne  gelesen." 


Michael  Bapst  von  Roclüitz.  89 

IV.  „Wiinclerbarli  ches  Leib  vnd  Wund 
Artzneybuch."     I.  Teil.-«*) 

Diese  Schrift  wird  in  einem  Lobgediclit  (liinter  dem 
Vorwort)  „Liber  de  Epilepsia"  ^'enannt  und  es  ist 
denn  auch  trotz  des  bunten  Allerleis  der  Rezepte  viel 
von  der  Fallsucht  die  Rede ;  der  Autor  kehrt  nach  vielen 
Abschweifungen  immer  wieder  zu  diesem  Thema  zurück. 
Aufserdem  wird  viel  von  Augenleiden  gehandelt.  Es  be- 
ginnt mit  allgemeinen  Notizen  über  Epilepsie,  Einteilung 
nach  Galen,  Ansichten  verschiedener  Ärzte  über  die 
Pathogenese;  Eintrocknung  der  humores  in  den  Hirn- 
ventrikeln, Exkurs  über  die  4  humores,  die  AVirkungen 
der  Imagination,  Epilepsie  nach  Kopfverletzungen,  Pur- 
gationen  im  Allgemeinen  und  Speziellen,  Schädlichkeit 
des  Quecksilbers  und  dessen  Austreibung  aus  dem  Körper, 
Wundergeschichten,  Allerlei  aus  der  „Rothwelsch  Gram- 
matika".  Folgt  eine  Unzahl  von  Rezepten  gegen  den 
epileptischen  Anfall  und  andere  Leiden,  als  Alopecia, 
Fisteln,  Krebs,  Pestilenz  u.  s.  w.  Kosmetika;  Mittel, 
<la[s  die  Raupen  das  Kraut  nicht  fressen,  Rofsarzneiliches, 
Heilkräfte  des  Menschenkothes ,  Goldschmiedekünste 
chemischer  Art,  —  Rückkehr  zur  Epilepsie,  aber  sofort 
wieder  AbschAveifung  zu  Wundtränken  und  -salben,  aber- 
gläubische Kiu-en,  Atel  gegen  Augenleiden,  —  Rückkehr 
zur  Epilepsie,  nochmals  Allgemeines  über  Purgationen, 
Mittel  zur  Hebung  der  Geschlechtsfunktionen  (Lieblings- 
thema) ,  Stärkungsmittel ,  Haarfärbemittel  (verwirft  er, 
Aveil  gegen  Gottes  Willen),  Folgen  des  Schrecks  — 
abermals  Epilepsie,  Heilung  derselben  durch  Sigille,  viele 
Mittel  gegen  Unfruchtbarkeit,  Erkennungsmittel  der 
Fruclitbarkeit  einer  Frau  (gleichfalls  beliebtes  Thema) 
u.  s.  w. ,  wiederum  Heilmittel  für  Augenleiden .  lange 
Abhandlung  über  destillierte  Wässer,  Verzeichnis^  der 
Pflanzen,  welche  von  verschiedenen  Autoren  mit  gleichen 
Namen  bezeichnet  werden  (22  Seiten),  Tiere  und  Tierteile 
als  Mittel  gegen  Fallsucht,  Kitt  für  Destillieröten.  aurum 
potabile,  Augenmittel,  komplizierte  Rezepte  für  Ei»ilepsie, 
äulsere  Mittel  gegen  dieselbe;  Fruchtbarkeitsmittel,  Ader- 
laliszeiten,  sympathetische  Kuren.  —  Man  sieht,  es  ist 
eine  bunte  Musterkarte;  dei-  Anfang  des  Buches  ninnut 
sich   in    unserer  Inhaltsskizze    leidlich  geordnet  aus,    es 


2s* 


)  Eifsleboii  1596.     4".  (235  BU.) 


90  Eduard  Schubert  und  Karl  Sudboff: 

sind  aber  auch  dies  nur  aneinandergereihte  Äulserungen 
verschiedener  Schriftsteller,  selbständige  Ansichten  wer- 
den nicht  vorgebracht.  Bezeichnend  ist  es,  dafs  Bapst, 
Avenn  er  ein  Mittel  für  Epilepsie  bespricht,  dann  gleich 
den  ganzen  Chorus  von  anderen  Leiden  vorführt,  bei 
welchen  dasselbe  Mittel  in  verschiedenen  Kompositionen 
wirksam  sein  soll. 

V.  „Der  ander  Theil,  des  Wunderbarlichen, 
Leib  vnd  Wundartzney  buchs"  ^''). 

Handelt  in  drei  Büchern  vom  Blute  der  leidenden 
AVesen.  1.  Vom  Menschenblut.  Purgation  des  Blutes 
im  Mai,  Mittel  gegen  Blutspeien,  Blutharnen,  Hämorrhoiden, 
Metrorrhagien,  Emmenagoga;  Heilungen  und  andere 
Wirkungen  durch  Menstrualblut ;  rote  Ruhr,  Hyphäma, 
Aderlässe,  Aderverletzungen,  Blutstillungen,  Melancholie, 
Gurgelwässer,  Ohrenleiden,  Schlag,  Schwindel,  Veterinaria, 
Gliederleiden ;  Bruchsalben,  Wundsalben  und  andere  Arz- 
neien aus  Menschenblut;  ökonomische  und  chymische  An- 
wendungen des  Menschenblutes,  Avelches  oft  nur  ein 
Pseudonym  für  gewisse  Metallverbindungen  sei;  Exkurs 
über  die  echten  Alchymisten  (Jatrochymiker),  medizinische 
und  technische  alchemistische  Prozesse.  —  2.  Vom  Vogel- 
blut, dem  Blut  der  Fische  und  anderer  Wassertiere, 
wilder  und  zahmer  vierfülsiger  Tiere,  der  Würmer  und 
des  Ungeziefers,  d.  h.  von  der  Verwendung  des  Blutes 
dieser  Tierarten.  —  3.  Blutegel  zu  Salben  und  Blutent- 
ziehungen; Blutstein  und  seine  Verwendung;  Wirkung 
des  Drachenblutes  (vom  Drachenbaum).  —  Der  Faden 
ist  auch  in  dieser  Schrift  ein  loser;  den  Mitteln,  welche 
Blut  enthalten,  sind  oft  andere  beigefügt,  die  damit  nichts 
zu  thun  haben"").  Die  Citate  aus  Anhängern  der  Jatro- 
chemie  sind  hier  etwas  zahlreicher  als  früher;  Bapst 
scheint  später  solche  Werke  mehr  gelesen  zu  haben. 
Namentlich  citiert  er  öfters  Martin  Rul and s  Curationes 
Empiricae  und  Beruh.  Penots  Tractatus  varii  de  vera 
praepaiatione  et  usu  medicam.Chymicornra(Francof.  1594.8  ^). 
Gerade   diese   beiden  Schriften   kommen  aber  auch  den 


2»)  Eifsleben  1597.    4  <>.  (248  Bl.) 

'^^'j  Welche  er  manchmal  recht  gelungen  motiviert,  z.  B.  (Bl.  177) 
beim  Gemsenblut:  „Weil  der  Schwindel  gar  gemein,  vnd  das  Gemsen - 
blut  dagegen  hie  in  diesen  Landen  gar  seltzam  ist,  als  will  ich  dem 
Leser  nachfolgende  Stücke  namhafftig  machen,  die  er  wieder  den 
Schwindel  gebrauchen  kan",  und  dann  folgt  eine  ganze  Litanei. 


Michael  Bapst  von  Rochlitz.  91 

Bedürfnissen  Bapsts  aufs  schönste  entgegen;  es  sind  ja 
selbst  Sammlungen  einzelner  Heihmgsfälle  und  Eezepte 
und  bieten  ihm  das  Material  aufs  bequemste  schon  be- 
arbeitet dar. 

VI.  „Des  Wunderbarlichen  Leib  vnd  AVund- 
artzneybuchs,  Dritte  Theil"'^'). 

Eine  Eezeptensammlung"  wie  die  vorhergehenden 
Schriften  aulser  M*.  1.  Als  Leitfaden  dienen  eine  An- 
zahl blutstillender  Kräuter.  Tormentill,  Johanniskraut, 
Prunella,  Täschelkraut,  Wegerich,  Schaftheu,  Wahvurzel, 
Cypresse,  Inula,  Lagopus,  Wasserlinse,  Hundszunge, 
Schafgarbe,  Nympliäa,  Klapperrose,  Fingerkraut,  Portulak, 
AVeiderich,  Sanguisorba,  NatterAVurzel ,  Sideritis,  Sinau, 
Sonnenblume,  Nessel,  Eisenkraut.  —  Aulser  der  Blut- 
stillung wird  bei  jedem  Kraut  auch  die  weitere  Verwen- 
dung desselben  in  allerhand  Zusammenstellungeu  vorge- 
führt. Dazu  werden  häufig  neben  den  Kräutermitteln 
auch  die  chemischen  Heilmittel  der  betreffenden  Krank- 
heiten angegeben. 

VIL  „Pimelotheca"^^-). 

Handelt  von  der  Verwendung  der  verschiedenen 
Eettarten  in  fünf  Teilen:  1.  Menschenfett,  2.  Vogel- 
schmalz, 3.  Fischthran,  4.  Schmalz  der  unvernünftigen 
vierfülsigen  Tiere,  Bestien  und  Würmer,  5.  die  chemischen 
Oleitäten  und  neben  diesen  überhaupt  die  Erklärung 
aller  in  den  4  andern  Teilen  vorkommenden  chemischen 
Manipulationen.  Es  ist  auch  wiedei-  eine  llezepten- 
sammlung,  dabei  werden  allerhand  niedliche  Jvenntnisse, 
welche  man  zum  Teil  gar  nicht  hinter  dem  Verfasser 
suchen  sollte,  namentlich  aus  dem  Gebiete  der  Aphro- 
disiaca  vorgel)racht.  Auch  „Tluls  aus  einem  Kometen" 
gegen  Erbgrind  ist  eine  hübsche  therapeutische  Errungen- 
schaft, die  er  aufgelesen.  —  Nach  Anführung  galenischer 
Rezepte  werden  hier  gleichfalls  öfters  die  Verordnungen 
der  Jatrochemiker  beigeljracht.  Auch  in  den  eisten  vier 
Teilen  kommen  Anweisungen  über  chemische  J'rozesse 
vor,  z.  B.  die  Darstellung  des  Spiritus  vini  (S.  119)  u.  a. 


=")  Eifslebeii  1597.  4".    (217  Bl.) 

32)  Eilslebeu  u.  J.  (X'orrede  vom  24.  AuH-wst  1599).  4".  (581  SS.); 
aucli  1H04  als  „Ander  Theil"  des  Arznei  Kunst  nnd  Wuuderbuchs 
erschienen. 


92  Eduard  Schubert  und  Karl  Sudhoft': 

Ueberhaupt  ist  es  unverkennbar,  dals  Bapst  in  dieser 
letzten,  medizinischen  Schrift,  welche  er  noch  selbst 
herausgab,  den  Excerpten  aus  Vertretern  der  chemischen 
Heilmethode  mehr  Platz  einräumt  als  in  den  früheren 
Werken.  AVir  haben  hierin  wohl  einen  Beweis  dafür  zu 
erblicken,  dafs  Bapst  einem  gesteigerten  Bedürfnis  da- 
maliger Zeit  in  dieser  Weise  entgegenkam^-^). 

VIII.    „Juniperetum   oder  Wacholder  Garten.""'^) 

Die  letzte  Arbeit  Bapsts,  im  Jahre  1603  kiu'z  vor 
seinem  Tode  vollendet  und  1605,  von  Joachim  Tanck 
„übersehen",  zum  Druck  gegeben.  Es  lälst  sich  nun 
nicht  sagen,  meviel  der  Herausgeber  von  seinem  Eigenen 
hinzugethan  hat;  denn  Tanck  hat  auch  eigene  iatro- 
chemische  Schriften  und  viele  Schriften  anderer,  nament- 
lich alchemistischer  und  medizinisch- chemischer  Autoren 
edirt. 

Das  Buch  handelt  von  den  verschiedenen  medizini- 
schen und  ökonomischen  Verwendungen  des  Wachholders, 
l)eginnend  mit  ganz  einfachen  Verordnungen  und  zu 
immer  komplizierteren  aufsteigend.  Alles,  was  Bapst  von 
Rezepten,  welche  Wachbolder  enthalten,  auffinden  konnte, 
hat  er  hier  zusammengestellt,  natürlich  gänzlich  ohne 
Rücksicht  darauf,  ob  der  Juniperus  in  dem  betreffenden 


'^'^)  Um  einen  kleinen  Überblick  über  die  Quellen  Bapsts  zu 
geben,  stellen  wir  die  in  der  Pimelotheca  citierten  Autoren  (wörtlich 
wie  er  sie  giebt)  zusammen:  Eealdus  Columbus  Cremonensis,  Joh. 
Bockelius,  Jac.  Theodovus,  Jac.  Sylvius,  Theatr.  Diabolorum,  Hieron. 
Cardanus,  Joh.  de  Cuba,  Plinius,  Galeuus,  Leonh.  Lycius,  Christoph 
Wirsung,  Conr.  Gessner,  Joh.  de  Rupecissa,  Ursinus,  Riul.  Henslein, 
Nicol.  Praepositus,  Albertus,  Marsil.  Ficinus,  Beruh.  Penotus,  Petrus 
Hispamis,  Leouell.  Faventinus,  Levin.  Lemnius,  Ant.  Guainerius, 
]VIacer,  Marcellus,  Nie.  Myrepsus,  Joh.  Gaurotus,  Andr.  Furnerius, 
Hippocrates,  M.  Gratinari,  Aretaeus,  Sylvaticus,  Alex.  Benedictus, 
Jatreion  Wirtebergicuni,  Aetius,  Joh.  Küfnerus,  Wittichius,  Alexius 
Pedemontanus,  Pvaim.  Lullius,  G.  Bartisch,  Egineta,  C  C.  L.  Medulla 
destillatoria,  Forestus,  Kiranides,Oppianus,  Elianus,  Fallopia,  Seranus, 
Conr,  Florerus,  Rondeletius,  Hans  von  Gerstdorff,  Sextus  Platonicus, 
Mart.  Rulandus,  Mizaldus,  Joh.  Bapt.  Porta,  Ottho  Brunfels,  Pytha- 
goras,  (i.  Pictoriiis,  Yilliganus,  Theophr.  Paracelsus,  Montauus,  Hier. 
Ruhens,  Vesalius,  Andr.  Libavius ,  Dioscorides,  Osw.  Gebellkheven, 
Hugo  Gordonius,  Rufflus,  Gull.  Adol.  Scribonius,  Phil.  Ulstadius, 
Gilbertus,  Nie.  Jacob.  Paul  Schneider  von  Eger,  Joh.  de  Coleto, 
Rhasis,  Giraldus,  Ant.  Schneeberg,  Matthiolus,  Jacob  Weckerus, 
Cassianus,  Andr.  Glauven.  Das  sind  81  Autoren  in  dieser  Schrift; 
docli  ist  Bapsts  ßelesenheit  damit  nicht  zum  dritten  Teile  erschöpft, 
ä'j  Eilsleben  1605.  4  ".  (268  SS.) 


Michael  Bapst  von  Rochlitz.  93 


Rezepte  eine  Avesentliclie  Bedeutung  hat  oder  nicht.  Die 
Krankheiten  gehen  bunt  durcheinander;  für  dasselbe 
Leiden  kommen  an  ganz  entfernten  Stellen  des  Buches 
verschiedene  Medikationen  vor;  doch  sind  auch  ganze 
Reihen  von  Rezepten  manchmal  für  dasselbe  Leiden 
hintereinander  genannt  (darunter  dann  auch  manche  ohne 
Wachholderj.  —  Manchmal  wird  es  selbst  Bapst  zu  toll 
bei  den  Verordnungen  seiner  Gewährsmänner,  z.  B.  sagt 
er  nach  Anführung  der  Verordnung  des  Grafen  von 
Hohen  lohe,  welcher  gegen  Krämpfe  und  Glieder- 
sclnnerzen  5  Läuse  und  8  Schafsläuse  in  Brot  gewickelt 
zu  essen  emfiehlt,  „wer  es  lust  zu  gebrauchen  hat,  der 
mag  es  thun,  ich  will  mich  dafür  bedanckt  haben."  (Von 
der  psj'chischen  Wirkung  dieses  noch  heute  unter  dem 
Volke  üblichen  Mittels  hat  er  keine  Ahnung!)  —  Öfters 
streut  er  auch  Exkurse  ein,  z.  B.  eine  Auseinandersetzung 
über  die  sechs  Teile  des  menschlichen  Darmes  ■^'^).  Am 
Ende  des  Buches  (S.  238  ff.)  spricht  er  eingehender  über 
Eigentümlichkeiten  in  der  Schreibweise  alchemistischer 
Schriftsteller,  ihre  Symbolisierungen  und  Allegorien,  ab- 
sichtliche Dunkelheit,  ungewöhnliche  termini,  welche  er 
nach  dem  Synonvmen -Verzeichnis  in  der  Pandora 
(Basel  1.582 'und^  1588,  8  o)  erklärt.  Er  druckt  die 
T  a  b  u  1  a  .,s  m  a  r  a g  d  i  n  a  ab  und  giebt  eine  schlechte 
deutsche  Übersetzung  dazu.  Zuletzt  stellt  er  ein  Ver- 
zeichnis der  hauptsächlichsten  alchemistischen  Schrift- 
stellerzusammen, welche  er  denen  als  lesensw^ert  empfiehlt, 
welche  sich  mit  diesem  Wissensgebiet  bekannt  machen 
wollen.  Paracelsus  steht  n  i  c  h  t  in  diesem  Ver- 
zeichnis "'^). 

Ob  dies  alles  in  Bapsts  Garten  gewachsen  ist  oder 
ob  Tanck  etwas  hinzugethan  hat,  läist  sich  nicht  ent- 
scheiden. Wenn  aber  Tanck,  der  Heilssporn  unter  den 
Jatrochemikern,  von  dem  Seinigen  etwas  hinzufügte,  so 
hat  er  jedenfalls  gewulst,  welche  Verbi-eitung  und  wel- 
chen Einfluls  er  mit  dieser  Bapstschen  Schrift  fiir  seine 
Anschauungen  gewami. 


"'■)  S.  192 — 194;  vgl.  dazu  Lanrentins  Frios.  Spiegel  der 
Arznei. 

^)  Trotzdem  werden  diese  hier  gegel)enen  und  auch  sonst  in 
seinen  Schriften  vorkonmiciKhin  Citate  aus  ahheniistisclien  und 
„spagirischen"  Autoren  manche  dogmatisch  befangene  Geister  dazu 
verführt  haben,  ihn  des  ,,Parac(dsismus"  zu  l)cschuldigen. 


94  Eduard  Scliul)ert  und  Kaii  Sudlioff: 

Damit  wäre  die  Reihe  der  medizinischen  Schriften 
Michael  Bapsts  erschöpft,  wenigstens  gelang  es  uns  nicht, 
weitere  aufzufinden ,  auch  finden  wir  nirgends  andere 
citiert.  Das  Büchlein  von  „der  Sieben  Planeten  lauff" 
berührt  zwar  stellenweise  medizinisches  Gebiet,  ist  aber 
dennoch  nicht  hierher  zu  rechnen  ^'). 

Das  allgemeine  Urteil  über  diese  Schriften  .kann 
nicht  schwer  fallen.  Wenn  aber  auch  gelehrte  Arzte 
zu  diesen  Sammelbüchern  greifen  konnten-'''),  so  lälist 
sich  das  damit  erklären,  dals  es  zu  damaliger  Zeit  keine 
anderen  Werke  gab,  welche  so  reichhaltig  waren  in  der 
bequemen  Zusammenstellung  der  heterogensten  Heil- 
methoden^®). Fleils  im  Zusammentragen  des  Materials 
läfst  sich  Bapst  nicht  absprechen,  das  ist  aber  auch  wohl 
das  Einzige,  was  man  an  ihm  lobend  hervorheben  kann. 
Bei  all  dem  Unsinn,  den  er  stellenweise  vorbringt,  wird 
es  ihm  manchmal  selber  angst  um  das  Urteil  des  Lesers. 
So  sagt  er  einmal**^),  „weil  ich  des  meisten  theils  in  diesem 


^'')  Erschien  in  Leipzig  1594.  8 ".  —  Bapst  wollte  auch  ein 
„Rosetum  oder  Rosengarten"  herausgeben  (Juniperetutn  S.  73)  und 
erwähnt  einen  schon  geschriebenen  ,,Tractat  von  der  nutzliarkeit  der 
Butter"  (Pimelotheca  S.  51  und  306),  der  aber  nicht  gedruckt  zu 
sein  scheint. 

'''^)  Wie  Kurt  Spre  ngel  angiebt.  Wir  halten  dies  nicht  gerade 
für  unwahrscheinlich  (denn  man  war  am  Ende  des  Iß.  Jahrhunderts 
nicht  wählerisch  in  der  Entnahme  neuer  Heilmittel,  wie  die  Lektüre 
der  medizinischen  Briefwechsel  aus  dieser  Zeit  jeden  Aufmerksamen 
lehren  kann),  trotzdem  Sprengel  die  von  ihm  citierte  Belegstelle 
sehr  mifsverstanden  hat,  wie  wir  unten  sehen  werden. 

**")  Bapsts  Schriften  haben  aber  auch  Analoga  in  der  medizi- 
nischen Litteratur  jener  Zeit,  vielleicht  zum  Teil  durch  sein  Beispiel 
hervorgerufen.  Erwähnen  wollen  wir  nur  Friedrich  Heibachs 
„Olivetum,  d.  i.  Kunstbuch  darinnen  gründlicher  Bericht,  wie  mau 
aus  allen  Erdgewächsen,  metallen  etc."  Frkf  1605  und  Joh.  Georg 
Agricolas  „Cervi  in  medicina  usus."  Letztere  Schrift  wird  von 
W.  Stricker  im  biographischen  Lexikon  der  Ärzte  (I,  93)  fälsch- 
lich einem  Joh.  Cleorg  Albrecht  zugeschrieben.  Das  Buch  erschien 
zuerst  1603  und  betitelt  sich :  ., Cervi  Excoriati  Et  Dissecti  Li  Medi- 
cina Usus.  Das  ist:  Kurtze  Beschreibung,  welcher  gestalt  defs  zu 
gewisser  zeit  gefangenen  Hirschens  fürnembste  Glieder  in  der  Artzney 
zugebrauchen  .  .  .  Mit  besonderem  fleifs  aus  vieler  Alten  vnd  anderer 
fürnemer  Medicorum  Bücher,  vnd  durch  erfahrung  zusambgetragen 
durch  Johann em  Georgium  Agricolam.  Med.  Doctorem  vnd 
Physicum  .  .  der  Statt  Amberg.  Gedruckt  zu  Amberg  durch 
Michael  Förster  Anno  MDCIII."  4".  (12B11.  +  120  SS.  +  2  BlI.) 
Es  ist  deutsch  geschrieben  (nicht  lateinisch  wie  Kestner,  med. 
Gelehrtenlexikon,  Jena  1740.  4".  S.  14,  angiebt)  ebenso  wie  die  Aus- 
gabe von  1617. 

^'>)  Leib  mid  Wund  Arzueibiich,  2.  Teil,  Bl.  171  '■  -172". 


Michael  Bapst  von  Kochlitz.  95 

Buche  aus  andern  Scribenten  entlelniet  habe,  vncl  nicht 
soviel  zeit  vnd  vormügen  gehabt,  alles  znnersuchen,  obs 
recht  oder  vnrecht,  könte  es  wol  geschehen,  das  liie  auch 
etwas  mit  vnter  gelauffen  were.  AVenn  es  derwegen  der 
Leser  gewar  ^Yerde,  wolte  er  solches  nicht  mir,  sondern 
den  Scribenten,  von  denen  ichs  abgeschrieben,  zumessen, 
vnd  jlim  dilsfals  meinen  fleils  vnd  wolgemeints  Gemüte 
gefallen  lassen."  Er  will  also  die  Schuld  auf  die  ..Scri- 
benten" abwälzen,  als  ob  damit  all  die  vielen  aufgewärm- 
ten Dummheiten  beseitigt  wären,  die  er  wieder  unter  die 
Leute  brachte. 


Nachdem  wir  Art  und  Inhalt  der  Bapstschen  medi- 
zinischen Schriften  in  ihren  Hauptzügen  kennen  gelernt 
haben,  kommen  wir  zur  Beantwortung  der  Frage:  Mit 
welchem  Eechte  wird  Bapst  zu  den  Paracel- 
sisten  gerechnet? 

Die  in  der  Geschichte  der  Arzneikunde  herrschende 
Ansicht  über  den  Mohorner  Pastor  wird  in  den  folgenden 
Worten  August  Hirse hs  vollkommen  wiedergegeben: 
„In  der  nebenher  betriebenen  Arzneikunst  folgte  er 
Paracelsischen  Grundsätzen;  einer  jener  Schwärmer,  die 
ohne  positive  Kenntnis  von  tiefer  Mj'stik  befangen,  mehr 
zu  den  Betrogenen  als  Betrügern  gezählt  werden 
müssen  ^^)." 

Ohne  uns  hier  näher  auf  diese  Charakteristik  Bapsts 
einzulassen,  gestehen  wir  zwar  gern  zu,  dafs  ihm  tiefere 
„positive  Kenntnisse"  in  der  Medizin  allerdings  gänzlich 
abgingen  *-),  müssen  aber  betonen,  dals  wir  bei  eingehen- 
der Kenntnisnahme  weder  von  „Befangensein  in  tiefer 
Mystik",  noch  von  „Schwärmerei"  bei  unserem  geistlichen 
Herrn  in  den  medizinischen  Schriften    etwas  entdecken 


^')  Allg.  Deutsche  Biographie  II,  44  im  Anschhifs  an  Wilhelm 
Scherers  oben  erwähnte  Biographie  Bapsts. 

*-)  Wo  waren  diese  damals  zu  finden  aufser  in  der  Anatomie, 
mit  der  Bapst  sich  wenig"  oder  gar  nicht  befafst  hat,  und  in  der 
Chemie,  von  welcher  er  allerdings  einiges  mit  vorbringt,  obgleich  er 
selbst  in  dieser  neuen  Wissenschaft  niclit  praktiscli  mit  dem 
Destillierkolben  etc.  gearbeitet  zu  haben  scheint  Was  er  aus  beiden 
Disziplinen  hervorbringt,  ist  blofse  Bncligelehrsarakeit-,  wo  diese  im 
Irrtum  war,  irrt  er  unbefangen  und  skrupellos  mit  in  seinen  wohl- 
gemeinten Referaten  für  das  A'olk.  \\'urde  seine  Zeit  von  anderer 
vermeintlicher  Wissenschaft  betrogen,  so  wurde  er  es  mit.  \'ou 
„Betrüger"  ist  an  ihm  nichts  zu  verspüren! 


96  Eduard  Schubert  und  Karl  Sudhoff: 

konnten  *'^).  Nüchterner  hat  wohl  kaum  jemals  ein  Viel- 
schreiber seine  Kollektaneen  zu  Büchern  zusammenge- 
leimt! —  Ob  Bapst  je  eigentlich  die  „Arzneikunst  be- 
trieben" hat,  werden  wir  noch  untersuchen.  Doch  prüfen 
wir  zunächst,  ob  es  wirklich  historisch  richtig  zu  nennen 
ist,  wenn  man  ihm  „Paracelsische  Grundsätze"  nach- 
sagt! — 

Wer  hat  unsern  Autor  zuerst  zu  den  Anhängern 
Hohe]iheims  gerechnet?  —  Die  bekannten  Kompendien, 
Bibliotheken  etc.  vor  Halle r  schweigen  fast  alle  von 
ihm.  Einen  Melchior  Adam,  Hermann  Conring,  van  der 
Linden,  Borellius,  Freher,  Pope  Blount,  Reimmann,  Le 
Clerc,  Stolle,  Morhof,  Kestner,  Brucker,  EI03'  und  viele 
andere  wird  man  vergebens  um  Rat  fragen.  Manche 
dieser  Autoren  geben  Verzeichnisse  der  Paracelsisten, 
aber  keiner  führt  Bapst  darunter  auf.  Ch.  G.  Joe  her  s 
Gelehrtenlexikon  kennt  allerdings  unsern  Pastor,  aber 
seine  Paracelsusjüngerschaft  erwähnt  er  nicht. 

Die  unsers  Wissens  früheste  Liste  der  Para- 
celsisten, welche  vielfach  später  (z.  B.  von  Reimmann 
und  Bruckerj  benutzt  wurde,  aber  heute  vergessen  ist, 
giebt  die  im  Anfang  des  17.  Jahrhunderts  gescliriebene 
„Elegia  de  vera  antiqua  philosophica  Medicina"  von 
Ulrich  Bollinger,  welche  sich  mehreren  lateinischen  Aus- 
gaben von  Oswald  Grolls  Basilica  chymica  angehängt 
findet  (zuerst  der  Ausgabe  von  1609  nach  Linden  renov.). 
Unter  der  grolsen  Zahl  der  hier  erwähnten  Anhänger 
der  Medizin  Hohenheims  —  die  allgemein  bekannten  und 
viele  sonst  selten  oder  gar  nicht  genannte  —  wird  Bapst 
nicht  angeführt.  Das  ist  aber  gewifs  kein  Versehen, 
sondern  Bollinger  hat  ihn  offenbar  noch  nicht  in  diese 
Schar  gerechnet. 

Die  erste  Erwähnung  Bapsts  von  chemiatrischcr 
Seite  fanden  wir  in  Johann  Heinrich  Frey  tags  „Cata- 
logus  testium  veritatis  Chimiatricae  ^^)."     Im  ,.Epilogus" 


^■'•)  Auch  in  den  theologischen  Schriften  hat  er  sich,  soviel 
wir  sehen,  von  allen  schwänuerischen  Richtungen  seiner  Zeit  fern- 
gehalten. Er  wanderte  unbeirrt  auf  den  Bahnen  lutherischer  Recht- 
gläubigkeit. Er  untersehriel)  1579  die  „Konkordienforiuel",  was 
allerdings  auch  Valentin  Weigel  gethan  hat,  tr(jtz  seiner  tiefsin- 
nigen „schwärmerischen"  Philosophie.  (Vgl.  Opel  a.  a.  0.,  S.  ö3  und 
August  Israel,  M.  Valentin  Weigels  Leben  und  Schriften.  Zscho- 
pau  1888,  S.  18  ff.) 

^1)  s.  1.  et  a.  8^'.  62  BL,  wahrscheinlich  1B36  in  Quedlinburg 
erschienen   —  Dies  seltene  Schriftchen  enthält  eine  Aufzählung  glück- 


Michael  Bapst  vou  Eochlitz.  97 

dieser  Schrift  (pag  Fg^'  bis  F^v)  giebt  der  Autor  eine 
Liste  lesenswerter  Scliriftsteller:  „Legat  interea  .  .  . 
cui  Veritas  &  Conscientia,  salusque  Publica  potius  ac 
Lucrum  turpissinium  &  male  parta  autoritas,  maleque 
educata  Calumnia  cordi  est,  Observation  es  aureolas 
Cliymiatrorum,  Quercetaui  cum  primis,  Eenealmi, 
Horstii.  ..."  Er  führt  dann  zirka  190  Namen  auf, 
worunter  mehrfach  Wiederholungen  sich  finden.  Als 
56ter  findet  sich  der  Name  Babstij.  Es  werden  aber 
auch  Crato,  Gesner,  Faveutinus,  Montagnana,  Mesua, 
Avicenna,  Aristoteles,  Hippocrates,  Massa,  Vigo,  Manar- 
des,  Fernel,  Pare,  auch  Barth  neben  seinem  chemischen 
Gegner  Pitliopoeus  (!!)  darunter  aufgeführt,  welche  man 
doch  nicht  zu  den  Chemiatrikern  rechnen  kann.  Die 
Mehrzahl  der  von  ihm  Genannten  sind  aber  doch  Jatro- 
chemiker,  und  man  kann  deshalb  immerhin  annehmen, 
dals  J.  H.  Freytag  den  Michael  Bapst  unter  diesellten 
einreihen  wollte.  Es  hat  dies  ja  auch  insofern  seine  Be- 
rechtigung, als  Bapst  wegen  der  Excerpte  aus  Paracel- 
sisten  und  Jatrochemikern,  welche  sich  bei  ihm  finden, 
ganz  wohl  als  Quelle  für  chemiatrische  Belehrung  em- 
pfohlen werden  konnte.  (Am  Ende  seiner  Liste  sagt 
Freytag  freilich  nur,  dals  die  Schriften  der  Genannten 
nicht  „Rethoricä  sterili,  sed  quotidianis  successibus  cele- 
brium  Practicorum  monumenta"  seien.)  Wegen  der 
Anführung  iatrochemischer  Heilmethoden  mögen  auch  die 
Paracelsisten  des  17.  Jahrhunderts  unseru  Bapst  zu  den 
Ihren  gerechnet  lialjen. 

Schwerlich  jedoch  ist  die  Anführung  Joh.  Heinr. 
Frey  tags  in  seinem  „Catalogus"  für  die  späteren  Histo- 
riker malsgebend  gewesen,  welche  Bapst  alle  —  sofern 
sie  ihn  überhaupt  anführen  —  zu  den  Paracelsisten  rech- 
nen. AI  brecht  von  Haller  sagt  schon  (und  wohl 
zuerst!)  „Paracelsicis  hypothesilms  addictus '"')"  ;  J.  Fr. 
Gmelin  läist  ihn  „mannigfaltige  paracelsische  After- 
weisheit auskramen"^"),  und  Kurt  Sprengel  rechnet 
ihn    gar    unter    die    „Lehrer    der    Par acelsischen 


lieber  Heiluiigsfiille  durch  chemische  Mittel,  ähulicli  den  „Ex  cura- 
tiouibus  Observationes"  von  Paul  Renealmus  (i'aris  1H06.  8"). 
Der  Autor  Johann  Heinrich  Frey  tag  (geb.  1596)  ist  ein  Sohn 
des  Helmstedter  Profes.sors  und  späteren  Leibarztes  Arnold  Freytag 
aus  Emmerich  am  Niedei'rhein  (i-  1605). 

«)  Bibl.  med.  pract.     II,  292  (1777). 

'"J  Geschichte  der  Chemie  I,  288  (.1797). 

Neues  Archiv  f.  S.  (!.  ii.   A.    XI.  1.  2.  7 


98  Eduai-d  Schubert  und  Karl  Sudhoff: 

Schule",    in   deren   Wahl   dieselbe    nicht   strenge   ge- 
wesen "*'). 

Den  Spuren  dieser  drei  Kor}  phäen  sind  alle  späteren 
Historiker  gefolgt.  Auch  Häser  teilt  dies  Urteil  in  den 
beiden  ersten  Auflagen  seines  Lehrbuchs.  In  der  dritten 
Auflage  wird  Bapst  gar  nicht  mehr  genannt,  ob  infolge 
der  Erkenntnis,  dafs  seine  Einreihung  unter  die  Paracel- 
sisten  unrichtig  sei,  das  wagen  wir  ein  wenig  zu  be- 
zweifeln. 


Der  unbefangen  urteilende  medizinische  Geschichts- 
forscher kann  nur  demjenigen  Autor  den  Namen  eines 
„Paracelsisten"  zuerteilen,  welcher  sowohl  in  seinen 
theoretischen  Anschauungen  über  das  Verhältnis  des 
Menschen  zu  seiner  natürlichen  Umgel)ung.  namentlich 
über  die  Bedingungen  der  Gesundheit  und  der  Entsteh- 


*■')  Geschichte  der  Arzneikunde  (3.  Aufl.)  III,  514  (1,  Aufl. 
1792 — i799).  Sprengel  sagt  dort  auch,  wie  oben  schon  erwähnt, 
„und  dennoch  konnten  gleichzeitige  Hippokratische  Aerzte  wie  Mona- 
vius  sich  aus  diesem  Kimstbuch  Raths  erholen  (Craton.  epist.  lib.  2, 
p.  388)".  Aber  wie  sollte  sich  denn  Petrus  Monavius,  der  schon 
am  12.  Mai  1588  (3T  Jahre  alt)  starb ,  in  dem  Bapstschen  Arznei 
Kunst  und  Wunderbuch  Eat  geholt  haben  können,  dessen  erste  Auf- 
lage 1590  erschien!!'?  Die  Stelle,  auf  welche  Sprengel  verweist, 
findet  sich  in  einem  Brief  des  Monavius  an  Laurentius  Scholz  vom 
11.  März  1583  und  lautet:  „Vidi  nuper  libellum  Medici  Galli 
Christophori  Landrini,  Germanice  conuersum  per  Hieremiam  Martium 
Medicum  Augustanum:  in  quo  plurima  eu-op'.i-a  remedia  ex  vilis- 
simis  rel)us,  inprimis  vero  ab  excrementis  animalium  petita,  tradun- 
tur;  contra  morbos  grauissimos  et  periculosissimos.  Statim  emi 
et  auide  percurri:  ac  quidem  eum  ipsum  esse  puto,  quem  te  olim 
apud  D.  Salomonen!  Witebergae  vidisse  saepe,  dicere  memini.  Ita 
enim  excrementorum  vsum  extollit,  &  fere  ab  his  solis  aduersus 
praecipuos  morbos  remedia  sumat.  Nisi  antea  habes:  non  dultito 
(juin  illum  pro  te  comparaturus  sis.  Chartas  paucissimas  habet,  & 
adjectus  est  ad  librum  secretorum  Galirielis  Fallopii,  qui 
inscribitur  Kunstbuch".  Man  sieht  sofort,  welch  böser  Schnitzer 
Sprengel  hier  in  die  Feder  gekommen  ist.  Er  verwechselt  das  von 
Jeremias  Martins  ültersetzte  „Kuustbuch"  (Augsburg  1571  u.  1573) 
des  grofsen  Anatomen  Fallopia  (,,secreti  diversi  e  miracolosi", 
Venedig  1563)  mit  dem  Bapstschen  ,, Arznei  Kunst  und  Wunderl)uch". 
Aber  wenn  damit  auch  die  Behauptung  der  Benutzung  Bapsts  durch 
gelehrte  Arzte  hinfällig  wird,  so  ist  dieser  Brief,  den  wir  leider 
nicht  wohl  ausführlicher  hier  geben  können,  schon  ein  Beweis  dafür, 
woher  sich  so  gepriesene  Ärzte  damals  ihre  Heilmittel  holten  und 
welch  seltsame  Mittel  roher  Empiriker  sie  im  geheimen  an- 
wendeten, während  öffentlich  über  die  „Empirie"  Hohenheims 
und  seiner  Anhänger  Zeter  geschrien  wurde.  Solche  Beispiele  gieVit 
es  in  Menge. 


Michael  Bapst  von  Rofhlitz.  99 

nng  der  Kraiiklieiteii  mit  Holieiilioini   ül)erei]istiiiimt,  als 

auch  den  Tlioüphrastisclien  Heilungspiiiizipien  folgt,  und 

zwar  ebensowohl  in  der  Bereitung  der  Arzneien,   wie  in 

deren  Anwendung  bei  den  verschiedenen  Erkrankungen. 

Wieweit   entspricht    denn    aber   nun   unser  Bapst  diesen 

Anforderungen?      Was     sagt    zunächst     er     selber 

über    sein    Verhältnis    zu     den    Galenisten    und 

Paracelsisten? 

Sehr   häufig   nennt   er   diese  beiden  Richtungen  als 

gleichwertig  nebeneinander.     So    schon   in    seiner   ersten 

Schrül  '^) : 

„Es  haben  Avecler  die  Galenisten  noch  Theo  phr as- 
tist en  bifs  anher  helften  können  ynd  wird  auch  wol,  da  wir 
nicht  ernste  bnfse  tlnm,  schwerlich  die.se  Senche  können  Curirt 
werden,  ob  einer  "leich  alle  der  Materialisten  vnd  Apotecker 
simplicia  et  composita  niedicamenta  verschlänge,  dazu  des  Galeni 
Therapeuticon,  vnd  alle  Paracelsische  subtilitäten,  so  Avüide  jhni 
doch  nicht  besser  werden-'. 

Öfters  kehrt  folgende  Wendung  wieder: 

,,wenn  eine  Artzney  aiich  noch  so  bewert  were  vnd  der  Artzt 
auch  deiuGaleno  oder  Theophrasto  paracelsi  [!]  zuuer- 
gleichen,  so  )ichtet  doch  der  Artzt  wenig  aufs,  wenn  der  Patient 
nicht  das  Vertrauen  zu  ihm  hat  ^•')". 

Ein  andermal  schreibt  Bapst: 

„Und  wenn  also  die  Seuche  (Epilepsie)  angeboren  ist, 
vnd  eine  Erbseuche  worden,  so  kann  sie  nicht  Ciiriret  werden, 
wenn  gleich  alle  Galenisten  vnd  Theophrast  isten  ,  jhre 
kunst  zusammen  mengeten.  vnd  quintam  essentiam  daraus  ex- 
trahirten.  Ja,  wenn  gleich  Menecrates,  wieder  von  todten  auff- 
erstände  -^O)". 

Den  Galen   citiert  er  in   all   seinen  Schriften  sehr 

reichlich,    ohne   je  einen  Tadel  gegen  ihn  auszusprechen. 

Oftmals  lobt  er  ihn  sehr,  z.  ß. : 

„so  wissen  auch  die  studiosi  raedicinae,  das  der  Hochberühmte 
Man,  vnd  vortreffliche  Medicus  Galenus  .  .  ''^Y'-. 

Man  vergleiche  damit  die  heftigen  Schmähungen  der 
Paracelsisten  gegen   diesen  von  Hohenheim   so  sehr  ver- 


o"--»* 


dämmten    Mann,     der    die    Leuchte    der    medizinischen 


Wissenschaft    durch    viele    Jahrhunderte    gewesen    ist 


'■*)  „Vom  Pestilentzischen  Kanipff"  S.  C,^  ;  fast  ebenso  sagt  er 
in  der  „Pimelotheca''  S.  4/5,  also  in  der  ersten  und  letzten  medizini- 
schen Schrift  dasselbe  Urteil. 

»")  Z.  P>.  Arznei  Kunst  und  Wunderbuch  V,\.  D.,'';  Leib  und 
Wundarzneibuch   I.   Bl.  27''    und  11.  PI.  83";  .luniporetum  S.  2üö. 

•■•0)  Leib  und  W'undar/.iieilincli   L.   I>I.   11''. 

•'■•^)  Arznei  Ivunst  und  Wunderliuili    lU.  P..  2''. 

7* 


100  Eduard  Schubert  und  Karl  Sudlioff: 

Allerdings  spricht  Bapst  auch  von  den  „hochlöblichen 
Chymischen  Ertzten"  und  sagt  auch  „der  hochgelehrte 
vnd  wolerfarne  Med.  D.  Au.  Ph.  Theophrastus  Para- 
celsus^^)".  Ebenso  nennt  er  aber  auch  dessen  erbitter- 
sten Gegner  Thomas  Lieber  (Erastus)  und  spricht  oft 
von  den  „rechten  dogmatici  Medici ''•'')". 

Zur  weiteren  Orientierung  über  Paracelsus  ver- 
weist Bapst  höchst  naiv  nebeneinander  auf  Peter  Seve- 
rinus,  Günther  von  Andernach  und  Thomas 
Erastus,  (also  auf  den  „besten  Schüler"  Hohenheims, 
den  gröfsten  „Conciliator"  und  den  hartnäckigsten  Wider- 
sacher) : 

„\Ver  aber  zu  wissen  begehret,  was  von  der  Theophra- 
stisten  Medicin  zu  halten  sey,  der  lese  das  Buch  Petri  Severini 
Daui  .  .  dessen  Titel  also  lautet:  Idea  Medicinae  Philosophicae 
...  Zu  dem  hat  auch  Guintherus  Andernacus  zwej'  grofse 
Volumina  medica  geschrieben,  darinnen  er  denn  im  dialogo  2. 
tomi  prinii,  eilff  vrsachen  setzet,  warumb  der  Paracelsus  von 
der  alten  Art  der  Ertzney  gewichen.  Dagegen  aber  hat 
Thomas  Erastus  D.  vier  grosse  Bücher  wieder  jetzt  gedachten 
Philip.  Paracel.  vnd  seine  dogmata  geschrieben^*)". 

Würde  es  jemals  einem  Paracelsisten  in  den  Sinn 
gekommen  sein,  den  Leser  so  ruhig  auf  Thomas  Erast 
als  Belehrungsquelle  über  seinen  Meister  Paracelsus 
zu  verweisen?  Bapst  ist  aber  ein  unbeteiligter  Zuschauer, 
der  jedem  seiner  Leser  je  nach  Lust  und  Neigung  den 
Weg  zu  weiterer  Information  zeigen  —  oder  auch  mit 
Zitaten  prunken  will,  deren  Tragweite  er  selbst  nicht 
kennt. 

Noch  klarer  wird  seine  Stellung  zu  den  Parteien  aus 

folgender  Stelle: 

„demnach  ich  allhie  .  .  in  diesem  Buche  neben  der  allgemeinen 
alten    vnd    wolfundirten    Galenischen    Curen,     auch 

hißweilen  der  Theophrastischen  Experimente  gedencke, 
als  wil  ich  hie  auch  dem  Liebhaber  der  Theophrastischen  künste 
nachfolgendes  wunderbarliches  Wasser  zur  ergetzung  bey- 
leufftig  mit  anhero  verzeichnen'")". 

Es  kommt  ihm  also  entschieden  nicht  darauf  an, 
immer  die  Paracelsische  Heilmethode  hauptsächlich 
voranzustellen  oder  gar  einzig  für  wirksam  und  erfolg- 
reich zu  erklären.  Genau  genommen  geht  das  gerade 
Gegenteil  aus  dieser  Stelle  hervor:    nur  beiläufig  will 


■'^2)  Giftjagendes  Kunst  und  Hausbuch  vS.  191. 
s")  Arznei  Kunst  und  Wunderbuch,  1604,  S.  160. 
5*)  Ebenda  Bl.  Qq^^  (1604,  S.  379  f.). 
''^)  Leib  und  Wundarzneibuch  III.  Teil,  Bl.  148». 


Michael  Bapst  von  Rochlitz.  101 

er  auch  diese  berücksiclitigen.  Und  diese  Stelle  steht 
in  der  vorletzten  von  Bapst  selbst  herausgegebenen 
Schrift!!  —  Er  huldigt  dem  Motto:  „Wer  vieles  bringt, 
Avird  jedem  etwas  liringen". 

In  der  Pimelotheca  heilst  es  endlich: 
„dafs  ich  der  Theophr astist en""')  in  diesem  so  ottte  g-edencke, 
geschieht  deswegen  nicht,  dafs  ich  dadurch  die  (ialenisten 
wil  verachtet  haben,  inmafsen  ich  denn  auch  der  (raleuisten 
nicht  derwegen  so  offte  gedencke,  das  ich  die  Theophrastisten 
darmitte  wolte  verworfen  haben,  ich  lasse  einem  jeden 
Theile  seine  meinung  wie  er  sie  zur  Antwort  ge- 
drucket. .  .■")". 

Klarer  kann  er  seine  Unparteilichkeit  nicht  aus- 
sprechen! —  Wir  denken  diese  Stellen  genügen.  Nir- 
gends präzisiert  er  seine  Stellung  in  anderem  Sinne. 
Es  ist  mithin  klar,  dafs  Bapst  selbst  sich  nicht  für 
einen  Schüler  oder  Parteigänger  des  Paracel- 
sus  ausgiebt.  Es  bleibt  ims  also  nur  noch  zu  unter- 
suchen, ob  der  Thatbestand  in  Bapsts  Schriften  mit  seinen 
eigenen  Erklärimgen  übereinstimmt,  und  da  ist  es  zuerst 
interessant  zu  untersuchen,  wie  weit  denn  wolil  die 
Kenntnis  der  Werke  Hohenheims  bei  diesem  seinem 
angeblichen  Jünger  reicht.  Gewiis  hat  der  fleilsige 
Bücherwurm  eine  stattliche  Belesenheit  in  Hohenheims 
Werken  aufzuweisen!?  —  —  Aber  nein,  es  finden  sich 
nur  Zitate  aus  folgenden  fünf  Schriften: 

1.  ,, Wunder  Artzney  vnd  verborgene  Geheinuiisse  aller 
Geheimnisse.  Basel  1586".  (Dies  Werk,  welches  mit  Paracelsus 
in  Wahrheit  nicht  das  geringste  zu  thun  hat,  sondern  sicli 
seines  Namens  nur  als  Aushängeschild  liedient,  wird  von  Bapst 
in  allen  seinen  Eezeptsammlungen  zitiert.)  —  2.  Die  „13 
Bücher  Parag  raphorum  von  Toxites  herausgegeben". 
(Wahrscheinlich  nach  der  Baseler  Ausgabe  1585,  8^,  zitiert. 
Im  Gifftjagenden  Kunst  und  Hausbuch  [1591,  S.  191  ff]  wird 
der  Abschnitt  ülier  die  Würmer  hieraus  abgedruckt,  das  Bucli 
aller  auch  sonst  genannt.)  —  3.  .,De  natura  rerum  IX  Bücher 
herausgegeben  von  L.  Bathodius'-,  Stral'sburg  1584.  (Bapst 
zitiert  diese  Schrift  anfangs  [1590]  nur  unter  dem  Namen  des 
Herausgebers  Batliodius,  scheint  also  gar  nicht  bemerkt  zu 
haben,  dafs  das  Buch  von  Paracelsus  ist;  später  [1597]  wird 
das  Buch  dann  abei-  ancli  unter  dessen  Namen  ervviibnt.)  — 
4.  Aus  der  Grofsen  Wundarznei  werden  in  der  Pimelo- 
theca zwei  Stellen  angeführt,  aber  ohne  genaueres  Zitat;  Bapst 
hat  dieselben  wahrscheinlich  einem  anderen  Autor,  der  sie  ei'- 


'^")  Zur  Erklärung  des  Sinnes ,  welchen  er  der  Bezeichnung 
„Theophrastisten-'  beilegt,  sagt  er  einmal  in  der  Pimelotheca 
(S.  60)  „also  pflege  ich  in  diesi'm  liuche  die  Chy mistischen  Ar- 
tisten zu  nennen". 

*^)  S.  86. 


102  Eduard  Scdnibert  und  Karl  Sudlioff: 

wähnt,  eiituomineu.  —  5.  „Von  offenen  Schäden  und  Ge- 
schwären'-,  Strafsburg  1577.  (Hieraus  giebt  Bapst  mar  in 
seinem  letzten  Werke,  dem  Juniperetum,  Auszüge,  und  zwar 
an  vielen  Stellen;  er  hatte  das  Bucli  gewifs  unmittelbar  vorher 
gelesen  und  verwendet  schnell  seine  neue  Weisheit.) 

Das  ist  alles !  Er  spricht  zwar  auch  von  „Paracelsus 
de  Podagra",  hat  dies  aber  aus  Pe not  entnommen.  Und 
wenn  er  am  Ende  des  Juniperetum  noch  mehrere  andere 
Namen  Hohenheimscher  Schriften  nennt  (z.  B,  Archidoxa, 
Metamorphosis,  de  vexationibus),  so  geht  aus  diesen 
Titelnennungen  noch  nicht  hervor,  dafs  er  die  Schriften 
gelesen  hat,  dieselben  werden  ja  bei  Penot  und  anderen 
allenthalben  angeführt.  Nirgends  findet  sich  eine  Spur 
davon,  dals  Bapst  die  in  den  Jahren  1589 — 91  erschienene 
Hu  s  er  sehe  Sammelausgabe  Hohenheimscher  Werke 
gekannt  hat.  —  Wenn  man  demgegenüber  bedenkt,  dals 
bis  zum  Jahre  1600  etwa  220  Ausgaben  Paracelsischer 
Schriften  erschienen  sind  '*),  so  kann  man  die  litterarische 
Kenntnis  Bapsts  in  bezug  auf  diese  Schriften  nur  als 
eine  recht  geringe  bezeichnen. 


Wie  steht  Bapst  nun  weiter  zu  den  theoretischen 
Anschauungen  Hohenheims?  Zu  allgemeinen  natur- 
philosophischen Darlegungen  findet  er  in  seinen,  nur  prak- 
tischen Zwecken  dienenden  Schriften  keine  Veranlassung, 
wie  er  aber  zu  Theoprasts  Ansichten  über  die  Entsteh- 
ung der  einzelnen  Krankheiten  sich  verhält,  darüber  giebt 
der  „über  de  Epilepsia"  ■''■')  eklatanten  Aufschlul's.  Da  fin- 
det man  wohl  die  Ansichten  des  Galen  und  Aristoteles, 
des  Averrhoes  und  Avicenna,  des  Erastus  und  Eernel 
samt  vieler  andern  des  Breiteren  vorgetragen,  aber  von 
den  Lehren  des  Paracelsus  üljer  den  „Caducus"  findet 
man  auf  den  450  Quartseiten  dieser  Schrift  kein  Wort. 
Nur  fünfmal  wird  sein  Name  in  dem  Buche  genannt, 
aber  nie  in  bezug  auf  die  Fallsucht,  während  z.  B.  Erastus, 
Lemnius ,  Eernel ,  Mizaldus,  Konrad  Gesner  sehr  häufig, 
gewifs  jeder  über  fünfzigmal,  genannt  werden  *"^). 


^8)  Mooks  Bibliographie  des  Theophrastus  Paracelsus  (Würz- 
burg 1876.  4'')  kennt  bis  1600  allerdings  nur  169  Ausgaben.  Seitdem 
haben  Avir  diese  Zahl  l)is  auf  223  Ausgaben  vervollständigt,  und  diese 
uns  bekannte  Zahl  kann  noch  keinen  Anspruch  auf  abscdute  Voll- 
ständigkeit machen. 

■'")  Der  I.  Teil  des  Leib  und  Wundarzneibuchs. 

''")  Es  wäre  überhaupt  eiu  Irrtum,  zu  meinen,  dafs  Paracelsus 
von  Bapst    besonders    häufig    genannt   wird.    In   dem  giftjagenden 


Michael  Bapst  von  Rochlitz.  103 

Des  weiteren  ist  bekannt,  clals  Paracelsus  sich  mit 
Vorliebe  mit  meteorologischen  Fragen  beschäftigt  hat. 
Beweis  dafür  ist  sein  „Buch  Meteororum"  und  viele  andere 
meteorologische  Ausarbeitungen  im  8.  Bande  der  Huser- 
schen  Quartausgabe,  sowie  vieles  „Astronomische",  „Astro- 
logische" u.  s.  w.  Es  entspricht  z.  B.  die  eine  seiner 
vier  Grundsäulen  der  Medizin,  „die  Astronomey",  durch- 
aus nicht  dem,  was  wir  heute  Astronomie  nennen,  sondern 
behandelt  grolsenteils  die  meteorologischen  Einflüsse  auf 
den  Menschen.  Bapst  hat  nun  auch  ein  klemes  meteo- 
rologisches Werk  geschrieben,  den  „Wetterspiegel"  (Leip- 
zig 1589.  8  ^.  64  Bl),  folgt  aber  bei  all  seinen  Erklä- 
rungen der  '  einsclilägigen  Naturerschenuingen  nirgends 
den  Anschauungen  Hohenheims,  der  dieselben  mit  oft  so 
grolser  Heftigkeit  vorträgt  und  vertheidigt,  wobei  er 
namentlich  die  Ansichten  des  Aristoteles  (er  dekoriert  ihn 
dabei  meliifach  mit  dem  Ehrentitel  „Narristoteles")  aufs 
erbittertste  entgegentritt.  Nein,  im  Gegenteil,  Bapst 
folgt  vollkominen  der  Meteorologie  des  Aristoteles  und 
erwähnt  Hohenheims  mit  keiner  Silbe. 

Der  eklatanteste  Beweis  dafür,  dafs  Bapst  in  theo- 
retisch-medizinischen Dingen  nicht  mit  Hohenheim  über- 
einstimmt, lälst  sich  wohl  darin  finden,  dals  der  Herr 
Pastor  vielfach  eingehend  die  alte  Lehre  von  den  „vier 
Immores"  vorträgt,  während  doch  kein  Punkt  der  alt 
üljerkommenen  ärztlichen  Anschauungen  so  heftig  von 
Paracelsus  bekämpft  wird  wie  dieser. 

Einmal  polemisiert  Bapst  geradezu  gegen  eine  Para- 
celsische  Behauptung,  wenn  er  berichtet  (Leib  und  Wund- 
arzneibuch II,  164f:  „Theophrastus  vnd  seine  anhenger 
geben  für,  wenn  ein  Magnet  seine  Vires,  kraftt,  vnd 
eigenschafft  verloren  habe,  so  sol  man  jhn  glüend  machen, 
vnd  etzlich  mahl  in  Oleo  ferri  aulsleschen,  so  wird  er  die- 
selbigen  so  gewaltig  wieder  bekommen,  dals  er  auch 
einen  Nagel  aus  der  Wand  wird  herausser  heben  vnd 
ziehen.  Diesem  wiederspricht  Johan.  Bapt.  Porta  .... 
Gleicher   g estalt    ists   auch  falsch,    das   etzliche 


Kunst  nnd  HaushucliP  wird  er  iiiu'  dreimal  aii^efülirt ,  viermal  im 
2.  Bande  des  Leib  und  Wundarzucibuclis  und  im  Arznei  Kunst  und 
Wunderbuch  ebenfalls  viermal.  Allerdings  werden  nel)cnl)ei  auch 
einige  Schüler  Thcophrasts  genannt,  aber  auch  diese  in  hervorragen- 
der Weise  nur  in  der  Pimelotheca.  Häufig  stellt  er  das  therapeutische 
Verfahren  der  „Thcophrastiston"  dem  der  Galeuisten  gegenüber  uud 
mag  hierin  manchem  Altgläubigen  zu  weit  gegangen  sehi. 


104  Eduard  Schubert  und  Karl  Sudhoff: 

fürgebeii  .  .  .  Hadrianus  hat  auch  jrrige  meinung". 
(Inwieweit  Bapst  hier  wirklich  Hoheiiheims  Ansicht  vor- 
trägt, ist  an  dieser  Stelle  zu  untersuchen  nicht  nötig, 
das  Factum  der  Polemik  genügt). 

Im  „Prognosticon  von  des  Türckischen  Reiches  Ab- 
nemen"  (1595)  zitiert  Bapst  Stellen  aus  der  bekannten 
Lichtenbergerschen  Prophezeiung,  ohne  dabei  der  Hohen- 
heimschen  Kritik  und  Verbesserung  dieser  Wahrsagungen 
zu  gedenken.  Natürlich  ist  darauf  kein  grolses  Gewicht 
zu  legen ;  aber  es  ist  doch  immerhin  von  Interesse :  ein 
wahrer  Jünger  würde  auch  in  so  kleinen  Zügen  nichts 
unterlassen,  was  zur  Verherrlichung  seines  Lehrmeisters 
dienen  könnte. 

An  verschiedenen  Stellen,  wo  sich  Bapst  über  alche- 
mistische  Themata  ausspricht,  streift  er  ja  wohl  auch 
theoretische  chemische  Ansichten  Hohenheims,  und  zwar 
ohne  denselben  etwas  entgegenzuhalten.  Aber  dazumal 
war  jeder  alchemistische  Autor  mehr  oder  weniger  in 
den  allgemeinen  Fragen  im  Einklang  mit  Theophrastus 
der  ja  jn  mehrfacher  Hinsicht  hier  Neues  geboten  hat. 
Bapsts  Äulserungen  über  die  dunkle  oft  metaphorische 
Ausdrucksweise  des  Para  celsus  auf  diesem  Gebiete 
sprechen  zwar  keinen  Tadel  darüber  aus,  suchen  sogar 
dies  Verfahren  als  verständig  und  berechtigt  darzustellen. 
Aber  darin  spricht  er  auch  nur  andern  „Chymisten"  nach, 
die  alle  an  der  Dunkelheit  der  Anweisungen  und  Rede- 
wendungen nichts  auszusetzen  finden,  auch  wenn  sie  reine 
Alchemisten  sind,  ohne  gerade  Anhänger  der  „spagiri- 
schen"  Medizin  des  Paracelsus  zu  sein.  Viele  tadeln 
ja  sogar  Theophrast  von  Hohenheim,  weil  er  —  oder 
wenigstens  einige  ihm  wahrscheinlich  untergeschobene 
alchemistische  Schriften  —  manches  deutlicher  bekannt 
gemacht  habe,  als  es  im  Interesse  der  alchemistischen 
Geheiml)ündelei  wünschenswert  gewesen  wäre.  — 

Da  Hohenheim  auch  als  Verfasser  theologischer 
Abhandlungen,  ja  als  der  Urheber  einer  theologisch-theo- 
sophischen  Schule  gilt,  so  erwähnen  wir  hier  nochmals, 
dals  Bapst  mit  dieser  „paracelsisch-weigeliauischen"  Rich- 
tung  nichts   gemein   hat*'^).    Doch   wenden  wir  uns  zu 


"')  In  „üeorgii  Heiurici  Groetzii,  de  Theologis  Pseudomedicis 
seu  Nuin  Theologo  Artem  Medicam  exercere  liceat?  disquisitio. 
Lipsiae  MDCC".  4*'.  (14  Bl.  unpag.)  wird  Bapst  nicht  erwähnt;  aber 


Michael  Bapst  von  Rochlitz.  105 

der  weiteren  Frage:     Wie   verhält    sich  Bapst    zur 
Paracelsischen  Praxis? 


Hier  ist  zunächst  zu  untersuchen,  oh  Bapst  überhaupt 
selber  medizinische  Praxis  getrieben  hat.  Dies  wird  ja 
allgemein  behauptet,  wir  glauben  dem  aber  mit  allem 
Grund  widersprechen  zu  müssen. 

Falst  man  zunächst  Stellen  ins  Auge,  worin  er  sagt, 
dals  er  neben  seinen  seelsorgerischen  Amtsgeschäften 
„anders  nichts  in  die  Hand  nehme,  als  dals  er  die 
vbrige  zeit  mit  lesen  vnd  schreiben  zubringe  ^-)"  oder 
seine  vielfach  wiederkelu^endeu  Bemerkungen  „ich  für 
meine  person  habs  nicht  versucht '^•^)"  und  „ich  setze  es 
lüerher,  wie  ichs  gelesen  habe,  ol)S  aber  gewils  also  zu- 
trifft, kau  der  Leser  versuchen  '''^j"  —  oder  Äulserungen 
wie  die  folgende:  „Dieses,  vnd  so  wol  auch,  was  ich 
sonsten  bils weilen  mehr  aus  anderer  scribenten  Bücher 
anhero  vorzeichnet  habe,  referire  ich  nur,  wie  ichs  ge- 
lesen hal)e,  wils  die  jenigen,  die  es  erstlichen  fürgeben, 
vnd  auff  die  bahn  gebracht,  vorantworten  lassen,  vnd 
mich  derwegen  mit  niemands  in  einige  disputation  ein- 
lassen, weil  ich,  wie  gesagt,  das  jenige  was  hie  in  diesem 
Buche  aus  andern  entlehnet  worden,  nur  wie  es  des  orts, 
da  ichs  gelesen,  stehet,  nur  erzehle*''')"  —  oder  wenn  er 
gelegentlich  nach  Empfehlung  einer  „köstlichen  sterck 
Latwerge"  galenistischer  Art  fortfährt:  „neben  dieser 
sterckung  haben  die  Theophrastischen  Ertzte,  auch  viel 
auisbündiger  vnd  köstlicher  sterckung  vnd  erquickung, 
deren  sie  sich  in  grosser  Schwachheit  vnd  mattigkeit,  ge- 
brauchen, wie  solches  jhre  Bücher  besagen  •'®)",  — 


auf  S.  C,""  findet  sich  folgende  cliarakteristische  Stelle,  welche  uns 
zeigt,  wie  leicht  im  17.  Jahrhundert  ein  Theologe,  wenn  er  sich  mit 
medizinischen  Dingen  ahgal),  in  den  Verdacht  gerieth,  ein  Pai'acel- 
sist  zu  sein.  „Denique  (Tlieologi  Pseudomedici)  &  su  spicionem 
de  se  excitant,  (luod  Theophrasti  Paracclsi,  Val.  Weigelii,  Rosen- 
cruzianorumqnc^  libros  habeant  in  dcliciis,  crehroque  adhihoant  in 
(Konsilium.  Hinc  accidit,  ut  eiTonea  qucque  fidei  dogmata  imhibere 
soleant  .  .  .  etc".  Über  Hohcnheims  theologische  Schriften  siehe 
„Paracelsus-Forschungen"  II,  14H  ff. 

^2)  Vorrede  zum  „Arznei,  Kunst  und  Wunderljuche". 

"•')  z.  B.  Piraelotheca  S.  92. 

•^')  il).  S.  375. 

«•■5)  Leu)  und  Wundar/.nribuch  IL  Teil  Bl.  166  •'. 

««)  Leib  und  Wuudarzueibuch  IH.  Teil.  Bl.  17''. 


106  Eduard  Schubert  und  Karl  Sudlioff: 

SO  liegt  es  nach  allen  diesen  nncl  vielen  ähnlichen  Äulser- 
ungen  nahe,  den  Schlnis  zu  ziehen,  dals  er  selbst  keine 
praktische  Arzneierfahrung-  hatte. 

Was  Bapst  als  eigene  „Experientz"  und  „Erfahrung" 
vorbringt,  sind  aus  dem  Munde  des  Volkes  aufgelesene 
Heilverfahren  und  Eezepte,  oder  auch  Beobachtungen, 
die  er  auf  seinen  seelsorgerisclien  Krankenbesuchen  etc. 
zu  machen  reiche  Gelegenheit  hatte  (sei  es  in  der  Praxis 
anderer  Ärzte,  sei  es  in  der  Kur  anderer  Volksheilkünst- 
ler etc.).  Endlich  sind  es  nicht  selten  Erzählungen  von 
Begebenheiten  verschiedenster  Art,  die  er  nach  eigener 
Anschauung  oder  meist  nach  Hörensagen  berichtet.  Aber 
auch  bei  solchen  Berichten  ohne  gedruckte  Quelle  hat  er 
dann  noch  die  Vorsicht,  hinzuzufügen:  „dieses  referire 
ich  allhie,  wie  ichs  gehöret  habe*'')". 

Wir  wollen  natürlich  nicht  behaupten,  dals  Bapst 
nicht  gelegentlich  auf  seinen  priesterlichen  Gängen  oder 
sonstwie  Leidenden  Mitteilungen  aus  seinem  „reichen 
Wissensschatze"  gemacht  oder  einmal  einem  alten  frommen 
AVeiblein  einen  guten  Rat  gegeben  hätte ;  denn  das  wäre 
absurd.  Wenn  man  aber  behauptet,  er  habe  „ärztliche 
Praxis"  getrieben,  so  ist  das  doch  ganz  was  anderes! 

Wenn  man  seine  Schriften  achtsam  durchliest,  so 
muls  man  es  geradezu  erstaunlich  finden,  dals  Bapst,  der 
tausend  und  abertausend  Arzneiverordnungen  aufzählt 
und  oft  10  und  mehr  Anweisungen  zur  Heilung  desselben 
Leidens  giebt,  niemals  aus  der  Rolle  fällt  und  erklärt, 
dies  und  das  ist  gut,  ich  habe  es  selbst  erprobt;  einem 
wirklichen  Praktikanten  der  Heilkunde  (und  gerade 
einem  Laien)  wäre  eine  solch  ungeheure  Objektivität 
ganz  unmöglich.  Nirgends  auf  den  über  3000  Seiten 
seiner  Arzneibücher  fanden  wir  eine  eigene  Heilungs- 
geschichte angeführt,  aus  welcher  die  Wirkung  eines 
empfohlenen  Mittels  hervorginge.  Selbst  von  den  oben 
supponierten  priesterlichen  Gelegenheitskuren  sagt  er 
kein  Wort,  hebt  dafür  aber  so  und  so  oft  hervor,  dafs 
eine  angeführte  Kur  „mit  rath  eines  verstendigen  Medici 
auff  den  Patient  gerichtet  werden"  müsse  *'^)  und  warnt 
immer  und  immer  wieder  vor  den  leichtfertigen  Kuren 
der  Landfahrer,    „denn   es   ist  je    vnter    allen    Künsten 


<*')  Leib  und  Wundarzneibuch  II.  Teil.  Bl.  40  ='. 
'")  z.  B.  Pimelotheca  S.  332. 


Michael  Bapst  von  Sochlitz.  107 

keine,   die  mehr  gefalir  auff  sich  hat,  als  die  Kunst  der 
Medicin  «•')". 

Einen  Einblick  in  Bapsts   angebliche  Ausübung  der 

Arzneikunst  gewährt  auch  folgender  Erguls,  Avelchen  er 

an    die  Aufzählung    einiger   Mittel    gegen    das   Podagra 

anfügt: 

„Darbey  wil  iclis  auff  difsuiahl  lassen  wenden,  vnd  alle  die  mit 
dem  Zipiierlein  belastig'et  sein,  freuudtlich  gebeten  haben,  wenn 
jhnen  diese  dinge,  die  nicht  mein,  sondern  wie  oben  ge- 
meldet, anderer  Leut  knnst  vnd  experiraent  sein,  nicht 
helffen  möchte,  ....  sie  wollen  mit  meinem  guten  willen  vor- 
lieb nehmen,  vnd  es  gewifs  dafür  halten,  wenn  ich  war- 
hafftig  das  Zipperlein  vertreiben  könte,  wie  sich 
mancher  vermessener  Mensch  zu  nehmen  pfleget,  ich  wolte  in 
wenig  Wochen  mehr  als  des  Tantali  vnd  Pelopis  talenta ,  vnd 
grofs  Reichthumb  zu  wege  bringen .  da  ich  also  vnter  des,  mit 
den  Diuitijs  Lysistrati,  mus  vorliel)  nehmen,  wie  man  bey  den 
lateinischen  Sprichwortsweise  zu  reden  pfleget  "*')". 

Endlich  lielse  sich  noch  sein  Bericht  über  Krankheit  und 

Tod  seines  Sohnes  Michael  hier  heranziehen,  wobei  er  sagt: 

,,AVenn  er  durch  künst,  vnd  Vorsichtigkeit  der  Ertzte,  vud 
derselbigen  angeordnete  artzney  vnd  mittel,  hette  können  erhalten 
werden.  So  were  er  noch  im  leben,  denn  ich  die  vornemesten 
Medicos,  die  ich  habe  erlangen  können,  difsfals  Consulirt,  vnd 
alles  was  menschlich  vnd  müglich  gewesen  jlin  zu  retten,  an 
die  band  genomen  "i)". 

Er  macht  hier  keinen  Unterschied  wegen  der  „Schule" 
der  Ärzte,  welche  er  zu  Rate  zog,  da  ihn  offenbar  der 
Gedanke    an    die    Heilmethode     wenig    beschäftigte; 


«")  Leib  und  Wundarzneibuch  IL  Teil,  Bl.  36  ^i  und  öfters.  Be- 
achtenswert ist  auch  folgende  ähnliclies  besagende  Stelle:  „Dieses 
obseruiren  die  rechtschaffene  Medici,  weil  sie  nach  der  Lehr 
des  Galeni  fleissige  auffseher,  Ministri  vnd  Diener  der  Natur  sein, 
die  Ertzneystörer  aber,  welche  illotis  pedibus  in  die  edle  Knnst 
hinnein  lauff'en,  bedenckens  nicht  vnd  thnn  offt  grossen  schaden", 
(ib.  Bl.  56'')  und  eine  andere,  wo  er  nach  Hesprecliung  des  Ader- 
lasses bei  Augenleiden  und  dessen  vorsichtiger  .Anwendung  hinzu- 
setzt :  „Ich  für  meine  Person,  damit  ich  die  reclite  Wahrheit  bekenne, 
were  in  solchen  feilen  tiraidior  Pisandro"  (ib.  Bl.  99 1>).  El)enso 
dringend  warnt  er  Unerfahrene  vor  chirurgischen  Mafsnahmen,  z.  B. 
ili.  Bl.  191  '•. 

'0)  Leib  und  Wundarzneibuch  IL  Teil,  Bl.  146 '>. 

■'^)  Pimelotheca  S.  5.  El)enso  lierichtet  er  über  den  Tod  des 
Sohnes  Johannes  in  Leipzig  an  der  Dysenterie  (.Tunipcretum  S.  74) : 
„vngeachtet,  das  die  Herren  Medici  bey  ,jhm  niögliclicn  fleiTs  ange- 
wendet, vnd  alle  Mittel  an  die  Hand  genommen,  di(>  nur  menscblich 
vnd  müglich  gewesen,  damit  hiebeuorn  durch  (iottes  .  .  .  hülffe  gar 
manchen  Menschen  gedieuet  vnd  gehollfeu  worden  .  ." 


108  Eduard  Schubert  und  Karl  Sudlioff; 

noch   weniger    spricht  er  natürlich  von  eigenem  thera- 
peutischen Eingreifen. 

Doch  kurz  und  gut,  wir  haben  durch  unsere  ein- 
gehende Lektüre  der  Bapstschen  Sammelbücher  nicht 
den  Eindruck  gewinnen  können,  dafs  der  Autor  ärztliche 
Praxis  betrieben  hat.  Auch  Joachim  Tanck  spricht  nur 
von  Bapsts  medizinischer  Schrift  st  ellerei,  nicht 
Praxis'^).  Und  wenn  es  ja  doch  der  Fall  gewesen  sein 
sollte,  dafs  er  praktisch  die  Arzneikunde  betrieb,  so  kann 
man  aus  dem  Folgenden  ersehen,  dais  er  ganz  gewils 
nicht  ausschlielslich  nach  Paracelsischen  oder  iatrochemi- 
schen  Heilungsgrundsätzen  verfahren  wäre. 


Mehrfach  kommt  Bapst  auf  die  Indikationen  für  die 
Purgantien  zu  sprechen  und  erwähnt  eine  grofse  An- 
zahl von  Meinungen  verschiedener  galenischer  Autoren 
über  diesen  Punkt,  gedenkt  aber  der  Ansichten  Hohen- 
heims  darüber  mit  keinem  Worte,  obgleich  hier  gewils 
Gelegenheit  gewesen  wäre,  mit  seiner  Vorliebe  für  den 
Arzt  von  Einsiedeln  hervorzutreten ;  denn  Paracelsus  hat 
seine  sehr  von  den  alten  und  damals  herrschenden  ab- 
weichenden Ansichten  über  die  Abführkuren  an  vielen 
Stellen  seiner  Schriften  zum  Ausdruck  gebracht  und 
seine  Schüler  erwähnen  mit  Vorliebe  auch  diesen  Punkt 
der  Lehren  ihres  Meisters.  Für  seine  „Praxis"  hätte  der 
quacksalbernde  Pastor  gewifs  auch  dies  aufgestöbert. 
Er  hatte  aber  kein  Literesse  daran. 

Ebenso  verhält  es  sich  mit  der  Epilepsie.  Auch  bei 
dieser  weitläufig  von  Bapst  besprochenen  Krankheit  wird 
der  Heilmethode  Hohenheims  nicht  gedacht  und  in  einem 
Verzeichnis  derer,  welche  glücklicher  Heilung  sich  rühmen 
dürfen  ^■^),  nennt  er  mit  grolsem  Pomp  z.  B.  Ambroise 
Pare,  Thomas  Erast  und  andere.  Seinen  angeblichen 
Lehrmeister  Paracelsus,  dem  seine  Jünger  auch  in  dieser 
Krankheit  viel  glückliche  Kuren  nachrühmen,  erwähnt 
Bapst  aber  nicht.  Er  hatte  davon  eben  in  den  paar 
Büchern  mit  Paracelsischen  Titeln  nichts  gefunden,  kannte 
auch,  als  er  seinen  Tractat  de  Epilepsia  schrieb  (1596), 
des  Paracelsus  anti-epileptisches  Mittel  nicht,  das  „Oleum 
Vitrioli '^)".     Die  Epilepsie  aber  war  stets  das  Eldorado 

■^2)  lu  der  Vorrede  zum  .Tuuiperetuiii. 
"•^)  Leib  und  Wundarzueibuch  I.  Teil,  Bl.  71, 
"■*)  Er    erwähnt   dasselbe  erst  in  der  Pimelotheca  (1599)  mehr- 
mals als  ein  Mittel  der  „Chymistischen  Aerzte"  gegen  die  Fallsucht. 


Michael  Bapst  von  Roclilitz.  109 

der   pfuschenden  Geistlichen,    zu   denen  sich  Bapst  also 
nicht  gesellte,  seinen  Studien  nach  zu  urteilen. 

Im  „Juniperetum"  zitiert  Bapst  eine  groise  Anzahl 
von  Mitteln  gegen  den  Stein,  ohne  eins  von  Paracelsus 
zu  nennen ;  und  doch  sind  gerade  die  Stein-  oder  Tarta- 
rischen  '•^)  Krankheiten  eines  der  am  meisten  von  Hohen- 
heim  kultivierten  Gebiete  der  Medizin. 

Wenn  Bapst  in  demselben  „Juniperetum"  sagt'**): 
„Für  die  Frantzosen  vnd  Scharbock  ist  nichts  besser  zu 
gebrauchen,  als  das  Holtz  Lignum  Guaiacum  genandt . ." 
so  ist  dies  für  jeden,  der  etwas  von  den  Arbeiten  Theo- 
phrasts  über  die  „Frantzosenkrankheit"  weifs,  ein  Beweis, 
dafs  Bapst  mit  den  Ansichten  Hohenheims  über  diese  von 
demselben  so  hervorragend  besprochene  Krankheit  recht 
mangelhaft,  jedenfalls  nicht  in  der  Weise  eines  unbeding- 
ten Anhängers  oder  gar  „Lehrers"  und  „Praktikanten" 
des  Paracelsismus  bekannt  war. 

Wo  Bapst  im  „Arznei  Kunst  und  Wnnderbuch'' 
seitenlang  über  die  „Mumia"  handelt  und  allerlei  Arznei- 
formen, Wundtränke,  Wundsalben  etc.  bespricht,  welche 
aus  mumia,  „d.  i.  Menschenfleisch"  bereitet  werden,  er- 
wähnt er  Hohenheim  mit  nichten,  während  gerade  dieser 
das  Wort  „Mumia",  wenn  auch  oft  in  einem  ganz  ande- 
rem Sinne,  so  aulserordentlich  häufig  gebraucht.  (Dies 
findet  wolü  darin  seine  Erklärung,  dafs  Bapst  dies 
Wort  bei  Penotus  nicht  erwähnt  fand,  von  dem  er 
seine  Kenntnis  Paracelsischer  Wundbehandlung  treulich 
entlehnte,  ohne  für  Aveiteres  als  blofser  Abschreiber  auf- 
zukommen.) 

Solche  Beispiele  lielsen  sich  aber  ins  Unendliche 
häufen,  die  Anführungen  und  Anpreisungen  g  a  1  e  n  i  s  c  h  e  r 
oder  von  Gale nisten  empfohlener  Mittel  sind  ganz  un- 
geheuer überwiegend  über  die  von  Heilmitteln  des  Para- 
celsus und  seiner  Anhänger.  In  seiner  angeblichen 
ärztlichen  Praxis  würde  demnach  Bapst  jedenfalls  einen 
guten  Galenisten  abgegeben,  nicht  aber  nach  Paracel- 
sischen  Grundsätzen  kuriert  haben. 

Einige  Stellen  kommen  allerdings  in  den  vielen  dick- 
leibigen Bänden  vor,    an  welchen  Bapst  im   einzelnen 


■'^)  Diese  Begriffe  decken  sich  zwur  keineswegs  vollkoiiiiuen, 
aher  für  hier  genügt  es  dies  hervorzuheben;  üher  alles  weitere  ver- 
weisen wir  auf  unsere  ,.Paracelsus-Forsclunigen"  IL  107—112. 

'")  S.  22!e. 


110  Eduard  Schubert  und  Karl  Sudhoff: 

Falle  einem  chemischen  Mittel  vor  einem  pflanz- 
lichen den  Vorzng  giebt.  Es  sind  jedoch  nur  wenige; 
wir  führen  sie  in  folgendem  alle  an. 

Aus  der  „Pimelotheca"  S.  22:  Bei  „verstockter  Milch  iu 
den  Brüsten"  schreibt  er  nach  warmer  Empfehlung  anderer 
Heilmittel:  „Noch  besser  aber  were  es,  wenn  man  in  dieser 
kranckheit  das  Aurum  Diaphoreticum  gebrauchet.  Anhelosis  enim 
subvenit  &  spiritum  facilitat  &c."  und  gleich  darauf  „krefftiger 
(als  trenseschmalz)  were  die  Blutstillung,  wenn  man  Quintam 
esseutiam,  vel  tincturam  corallorum  gebrauchete."  Ähnlich 
schreibt  er  ib.  S.  24  bei  Vergiftungen:  „Oder,  dafs  noch  besser 
were.  so  köndte  mau  j.  q.  Auri  diaphoretici  einnemen,  denn  es 
treibet  alle  gifftige  materiam  durch  den  schweis  hinweg." 
ib.  S.  34 :  Um  „Vnkeuschheit  zu  erwecken",  zur  Erzeugung 
von  Kraft  bei  ,, nächtlichen  Betthäudeln",  sagt  er  nach  An- 
führung eines  anderen  Aphrodisiacums:  „Ich  für  meine  Person 
hielte  es  für  krefftiger,  wenn  einer  vj.  Gran  de  Essentia  perla- 
rum  in  Zimetründeu  öhl,  oder  das  aurum  potabile  einueme  ■■')." 
und  endlich  ib.  S.  282 :  „Ich  für  meine  Person  hielte  mehr  von 
dem  Auro  Diaphoretico,  oder  von  dem  oleo  philosophorum,  wenn 
mans  dem  Wassersüchtigen  eingebe". 

Aulser  diesen  fünf  Stellen  in  der  „Pimelotheca"  findet 
sich  nur  noch  eine  im  „Leib  und  Wundarzneibuch"  III.  Teil, 
Bl.  113  b: 

„Etzliche  nemen  Alandwurtzel  j.  quintlein,  Terrae  sigillatae 
ein  halb  loth,  für  Gifft  ein.  Ich  für  meine  Person  hielte  diefs- 
fals  von  dem  AiU'o  Diaphoretico  viel  mehr,  denn  das  ist  gewifs, 
das  jetztgedachtes  Aurum  diaphoreticum,  alle  vnd  jede  gifftige 
materia  durch  den  schweifs  aus  dem  Menschlichen  Cörper  hin- 
weg treibet ,  ist  aufsl)ündig  gut ,  in  morbis  acutis ,  als  iu  der 
Pestilentz ,  Pleurisi  oder  Seitenstechen.  Es  kömpt  auch  zu 
hülffe  den  Wassersüchtigen,  denen  die  keinen  Athem  haben, 
machts  lufft,  ist  gut  in  dem  quartan  Feb.  Wenn  mans  auff  vor- 
hergehende purgation  gebrauchet,  reseriret  vnd  eröffnet  alle 
vnd  jede  opilation.  verstopffung  uud  verschleumung  der  Adern, 
vnd  ist  sousten  zu  vielen  dingen  mehr  gut.  Dosis  ä  5  s.  vsque 
ad  ^  j.  pro  ratione  morbi  &  personarum,  cum  conuenienti 
liquore."  Das  ist  also  ungefähr  dasselbe  zusammen  gesagt, 
was  in  der  Pimelotheca  über  das  Aurum  diaphoreticum"  zer- 
streut gutes  berichtet  wird.  Es  schiene  demnach  als  wenn 
unser  Pastor  am  Ende  seiner  Laufbahn  populär- medizinischer 
Schriftstellerei  eine  besondere  Vorliebe  für  dieses  chemische 
Arzneimittel  (welches  den  Namen  Aurum  nur  von  der  Gold- 
farbe trägt)  gewonnen  habe. 


■^■')  Wir  wollen  hoffen,  dafs  er  diese  Mittel  weder  au  sich,  noch 
au  andern  probierte,  wenn  er  sie  auch  nach  Sammlerart  als  heil- 
kiäftig  empfielilt.  Zur  „pflege  der  Ehelichen  Wenk"  erklärt  er  ein 
andermal  (Leib  und  Wundarzneibuch  IL  Teil.  Bl.  200  b)  nach  Nennung 
andrer  Mittel:  ..Ich  hilts  vou  einem  starcken  Vater  vnser,  oder  Gebet, 
vnd  wenn  daneben  die  Instrumenta  prolificae  facultatis  von  jlin 
selber  fein  richtig  vnd  tüchtig  weren,  viel  mehr  als  von  solcher 
Lapperey". 


Michael  Bapst  von  Rochlitz.  Hl 


Um  über  die  Bedeutung  dieser  Stelleu  für  unsere 
Frage  klar  zu  werden,  müssen  wir  auf  eine  von  Bapsts 
Hauptquellen  für  medizinisch  -  chemische  Citate  zurück- 
gehen, die  er  gerade  hier  nicht  nennt "),  auf  Bernhard 
Gr.  Penot.  Derselbe  spricht  in  seinen  ,.Tractatus  varii 
de  Vera  praeparatione  et  usu  medicamentorum  chvmicorum 
nunc  primum  editi"  Erancofurti,  M.D.LXXXXIIII.  8". 
zuerst  S.  96 — 103  weitläufig  und  sehr  lobend  vom 
..aurum  diaphoreticum".  Aber  die  Hauptstelle  für  Bapst 
findet  sich  im  „Tertius  tractatus"  dieser  Schrift  in  dem 
Abschnitte  „Usus  et  dosis  quorundam  Medicamentorum 
spagyrigorum".    Dort  heilst  es  Seite  71: 

. . Anium  diaphoreticum. 
Omnem  muteriara  veueuatam  e  corpore  propellit  per  siidorem 
quem  summopere  mouere  siue  in  morbis  acutis  vt  in  peste, 
phiresi  ex  niaxime  conducit.  Hj'dropicis  Anhelosis  siThuenit  & 
spirituin  facilitat.  In  febribus  post  purgationem  vtilissime 
propinatur  praesertim  quartanis.  Obstructiones  &  opiLationes 
venarum  reserat,  &  ad  plurima  corporis  mala  eins  vsus  esse 
poterit  dosis  ä  ^  ß  vsque  ad  =S  j. ;  pro  ratione  morbi  &  personarum, 
cum  conuenienti  liquore". 

Man  sieht  die  obige  Stelle  im  ,,Leib  und  AVund 
Arzneibuch"  ist  einfach  aus  Penot  übersetzt,  aber  keines- 
wegs musterhaft.  Und  die  drei  Stellen  aus  der  Pimelotheca 
über  das  aur.  diaphoret.  beruhen  gleichfalls  auf  diesem 
Penotschen  Artikel.  Die  Blutstillung  mit  „Quinta  Essentia 
vel  tinctura  corallorum"  geht  wohl  auf  Penots  „Liquor 
Corallorum"  ib.  S.  166  zurück.  Es  bliebe  für  Bapst  nur 
das  Verdienst,  die  Anwendung  der  iatrochemischen  Con- 
fortativa '^),  der  , .Essentia  perlarum"  und  des  „aurmn 
potabile",  auch  zur  Hebung  der  geschlechtlichen  Potenz 
empfohlen  zu  liahen,  worauf  wir  keinen  besonderen  Wert 
legen  können,  sell)st  wenn  es  nicht  nur  eine  Lesefrucht 
sein  sollte. 


■"*)  Wie  er  es  ja  sonst  meistens  tlint  und  als  seinen  schrift- 
stellerischen Grundsatz  prokhnniert,  z.  B.  ..Türkische  Chronic;)^-  S.\/  : 
„Ich  citire  gerne  den  Ort,  woher  ich  etv/as  entlelme.  damit  icli 
niclit  angesehen  -werde,  als  wolte  ich  micli  fremder  Arbeit  thcilliall'tig 
machen,  wie  es  offt  zu  geschelien  pfleget,  dafs  sich  mancher  mit  frem- 
der Arbeit  schmücket .  ."  und  ..Leib  und  Wnndarznciliuch"  Teil  11. 
Bl.  32  a:  „Ich  ernenne  gerne  den  Autorem  viid  den  ort,  woher  ich 
etwas  entlehne  vnd  borge,  damit  der  Leser  mit  der  zeit,  wenn  ich 
lange  gestorben,  mir  solches  niclit  darff  fürwerlfcn,  vnd  Sprichwortes 
weise  sagen.  Mazam  ab  alijs  pistam  i)iiisuit". 

■^•')  Z.  B.  Penot  l.  I-.  S.  165.  .,Perlae  restiluunt  vires  amissas, 
&  Membra  priucipalia  confortanf'  und  sonst  oft 


112  Eduard  Schubert  uud  Karl  Sudlioff: 

Die  oben  angegebenen  sechs  Stellen,  deren  geistigen 
Vater  wir  eben  nachgewiesen  haben,  sind  die  einzigen 
von  uns  aufgefundenen,  auf  welche  man  die  Behauptung 
Michael  Bapst  von  Rochlitz  sei  ein  Paracelsist 
in  Theorie  und  Praxis  gewesen,  mit  einigem  Schein  der 
Berechtigung  stützen  könnte.  Aber  es  ist  auch  dies  nui* 
ein  Schein !  Nach  allem  andern  genügen  diese  sechs  Stellen 
in  so  zahlreichen  und  voluminösen  Sammelwerken  durch- 
aus nicht  einmal  dazu,  Bapst  eine  volle  Hinneigung  zur 
iatrochemischen  Schule  unterzulegen  (und  latrochemie  ist 
um  1600  keineswegs  mehr  gleichwertig  mit  Paracelsis- 
mus  zu  nehmen).  Solche  Bevorzugung  einzelner  chemi- 
scher Heilmittel  ist  auch  bei  „galenischen"  und  „hippo- 
kratischen"  Ärzten  damaliger  Zeit  (schon  seit  Conrad 
Gesners  „Euonjmus-'  1552)  keine  Seltenheit  mehr.  Und 
wie  bald  sollte  nicht  durch  die  Berufung  Joh.  Hart- 
manns  (1609)  auf  den  ersten  chemiatrischeu  Lehrstuhl 
in  Marburg  die  Einführung  der  Chemie  in  die  Arznei- 
kunde auch  äulserlich  dokumentiert  werden! 

Bei  Bapst  sind  diese  wenigen  Stellen  nur  Aus- 
nahmen in  seiner  sonst  allenthalben  bewahrten  absoluten 
Unparteilichkeit  im  damals  so  heftigen  Kampfe  der 
Parteien,  welche  nach  dem  Sj)richworte  nur  die  Regel 
bestätigen  können.  Penots  Arzneiempfehlungen  hatten  ihm 
bei  der  Lektüre  oifenbar  gewaltig  imponiert. 

Doch  wir  glauben  auch  entschieden  nicht,  dafs  es 
gerade  diese  sechs  Stellen  gewesen  wären,  welche  der  An- 
nahme, Bapst  sei  ein  Anhänger  Theophrasts  von  Hohen- 
heim,  zu  Veranlassung  dienten.  Gewifs  sind  dieselben 
bis  heute  von  nur  wenigen  Historikern  beachtet  worden, 
vielleicht  von  keinem.  Allein  in  den  Zeiten  als  der 
Kampf  zwischen  Galenismus  und  Paracelsismus  noch  in 
voller  Heftigkeit  tobte,  wurde  es  Bapst  wohl  von  Anfang 
an  als  ein  grober  Verstols  von  den  Vertretern  der  alten 
reinen  Lehre  angekreidet,  dals  er  überhaupt  auch  iatro- 
chemisch-paracelsische  Heilmittel  zitierte;  damit  wurde 
er  unter  die  Schar  der  vielgehaisten  und  vielgeschmähten 
Paracelsisten  geworfen,  wie  es  wenige  Jahre  später 
einem  Daniel  Senn  er  t  in  Wittenberg  um  nichts  besser 
erging,  da  er  die  chemischen  Medikamente  einzuführen 
und  durch  die  Schrift  „de  consensu  ac  dissensu  Chymi- 
corum  cum  Aristotelicis  et  Galenicis"  (Wittebergae  1619 
und  öfters)    eine  Vereinigung  der  Dogmatiker  und  Para- 


Michael  Bapst  von  Rochlitz.  113 

celsisten  anzubahnen  erstrebte,  womit  er  der  Stifter  der 
eigentlichen  „C'hemiatrie'"  im  engeren  Sinne  wurde. 

Andererseits  wurde  aber  unserm  Bapst  wohl  aus 
denselben  Gründen  von  den  latrochemikern  und  Paracel- 
sisten  diese  Aufnahme  ihrer  Ansichten  und  Mittel  neben 
den  galenischen  dankbar  angerechnet  und  als  Entgegen- 
kommen gedeutet.  Es  mochte  wohl  diesen  Sektierern 
ebensoviel  daran  liegen,  den  bei  Gelehrt  und  üngelehrt 
vielgelesenen  Autor  auf  ihre  Seite  zu  setzen,  als  es 
den  Dogmatikern  Befriedigung  gewährte,  den  Unpartei- 
ischen, der  beiderlei  Ansichten  ruhig,  als  aufserhalb 
des  Kampfbereichs  Stehender,  neben  einander  referierte, 
der  bitter  gehalsten  Gegenpartei  zuzuzählen  und  seine 
Bücher  so  gleichsam  auf  den  ,, Index  librorum  prohibitorum" 
für  die  „rationales  medici"  zu  setzen ,  blos  weil  er  doch 
oftenbar  zur  Verbreitung  gegnerischer  Ansichten,  wenn 
auch  gerade  nicht  mit  bewulster  Absicht,  beitrug. 

Auf  diese  Weise  ist  wohl  der  Mythus  von  der 
Paracelsus-Jüngerschaft  unseres  harmlosen  Theologen  zu 
erklären. 

Von  dem  Vorwurf,  mit  einer  gewissen  Parteilichkeit 
gegen  diesen  wie  gegen  Paracelsus  und  seine  Nachfolger 
überhaupt,  vorgegangen  zu  sein,  lätst  sich  selbst  Kurt 
Sprengel  nicht  ganz  freisprechen.  Haller  hatte  ihm 
wohl  den  Weg  zu  seinem  wenig  historischen  Urteil  über 
Bapst  angebahnt. 

Wer  dann,  nachdem  so  anerkannte  Autoritäten  das 
Urteil  abgegeben  hatten,  mit  dem  Gedanken,  dafs  Bapst 
ein  Paracelsist  sei,  an  dessen  Schriften  heranging,  dem 
konnte  vielleicht  schon  die  einfache  Lektüre  der  Titel 
seiner  Schriften  genügen,  das  Verdict  zu  bestätigen. 
Namentlich  der  Titel  des  Arznei  Kunst  und  Wunderbuchs 
von  1590  (auf  welchem  sich  „Alchymistische  Künste" 
genannt  finden)  und  mehr  noch  der  etwas  veränderte 
der  Ausgabe  von  1604  (also  nach  Bapsts  Tode"*'),  konnte 
zu  dieser  einsieht  verführen. 

Und  doch,  wie  jemand,  der  Bapst  kennt,  ihm  Para- 
celsismus    andichten    kann,    wäre    kaum   für   möglich  zu 


^)  Vgl.  Anm.  26.  Aufserdeiii  kommt  udcIi  das  ...lunipiTu- 
tum"  hier  in  Frage,  welches  auf  dem  Titel  zu  lehren  verheilst: 
„wie  man  ans  diesem  edlen  Geweehse.  \\'asser.  Extracten,  Oelil  vnd 
Salien,  dureh  die  Spagierische  vnd  Cliymistische  Kunst  bereiten  soll." 
Das  könnte  aber  auch  Joachim  Tan ek  hinzugesetzt  haben.  Andere 
Titel  enthalten  keine  N'ervveise  auf  Alchemie  u.  s.  w. 

Neues  Archiv  f.  S.  0.  ii.  A.    XI.   1.  •.'.  ö 


114  Eduard  Schubert,  und  Karl   Sudhcff: 

halten,  wenn  man  dergleichen  seichte  Urteile  in  der  Ge- 
schichte der  Medizin  nicht  allzusehr  gewohnt  wäre,  und 
diese  edle  Wissenschaft  nicht  mit  Spott  und  Hohn  bedeckt 
infolgedessen  unter  den  Fülsen  der  eigenen  Jünger  am 
Boden  liegen  sähe. 

Bapst  von  Rochlitz  ist  weder  Galenist  noch 
Paracelsist,  gehört  keiner  der  damaligen  medizinischen 
Schulen  an,  ist  überhaupt  kein  Mediziner,  sondern  ein 
Laie,  der  für  Laien  bestimmte  populäre  Bücher 
schrieb.  Er  hat  auch  nicht  wie  der  Physikus  zu 
Donauwörth  und  der  Rechten  Licentiat  Dr.  jur.  et  med. 
Georg  am  Wald  (mit  welchem  Bapst  gewöhnlich  als 
Abschaum  deutscher  Medizin  zusammen  genannt  wird) 
in  marktschreierischer  Weise  Arzneimittel  feil  geboten 
oder  wie  sein  Amtsbruder  Joh.  Gramann  (der  eben- 
falls „Paracelsische"  Mittel  ausbot)  geradezu  Partei  für 
Hohenheim  ergriffen,  sondern  er  fabrizierte  aus  seinen 
in  unermüdlicher  Lektüre  gesammelten  Notizen  Haus- 
bücher, welche  ebensowohl  Rezepte  zur  Heilung  von 
Krankheiten  der  Mensclien  und  Hausthiere,  als  Anwei- 
sungen für  alle  möglichen  technischen  und  ökonomischen 
Verrichtungen  und  Zufälle  des  täglichen  Lebens  ent- 
halten. ..  Dals  er  zu  seinen  Sammelwerken  nicht  nur  die 
alten  Ärzte  und  Naturforscher  samt  ihren  Nachfolgern 
bis  zu  seiner  eigenen  Lebenszeit  herab  benutzte,  sondern 
auch  die  Schriften  der  neuen  iatrochemischen  Schule 
seiner  Tage,  ist,  gerade  weil  er  populär  schrieb,  gewifs 
nicht  zu  verwundern.  Denn  bei  der  grolsen  Beliebtheit 
und  dem  lebhaften  Interesse,  dessen  sich  dazumal  alles, 
was  nach  Alchemie  schmeckte,  bei  der  grofsen  Masse 
erfreute,  bei  der  Begierde,  mit  welcher  man  nach  Lektüre 
über  diese  interessante  scientia  occulta  damals  haschte, 
ist  es  nur  zu  natürlich,  dals  Bapst  auch  diese  Wunder- 
blume in  seinen  unermelslich  grolsen  Garten  aufnahm, 
dafs  er  auch  namentlich  auf  dem  Titel  betonte,  wie  man 
bei  ihm  auch  ül)er  alchemistische  Dinge  Belehrung  finden 
könne.  Namentlich  in  den  letzten  Jahren  seines  Lebens 
scheint  er  sich  viel  mit  dem  Lesen  alchemistischer  Bücher 
beschäftigt  zu  haben  und  das  spiegelt  sich  auch  in 
seinen  letzten  Schriften  ab ,  namentlich  im  III.  Teil  des 
Leib-  und  Wundarzneibuchs  und  in  der  Pimelotheca. 
Doch  kommt  er  niemals  zu  einer  wirklichen  Parteinahme 
für  die  chemisch-medizinische  Richtung. 


Michael  Bapst  von  Roclilitz.  115 

AV'enn  man  gerecht  sein  will,  muls  man  zugestehen, 
dafs  es  im  16.  Jahrhundert  gewils  keinen  Mann  gegeben 
hat,  dem  dieses  Kompilieren  aus  allen  möglichen  alten 
und  neuen  Büchern  mehr  zuwider  gewesen  wäre,  als 
gerade  dem  Verächter  der  blolsen  Buchgelehrsamkeit, 
Theophrast  von  Hohen  heim.  Diese  blindfleiMge 
alexandrinische  Encyklopädistenai  t ,  welche  überallher 
zusammenstöberte  und  zusammenklaubte,  war  ihm  in 
tiefster  Seele  verhalst,  ihm,  der  mit  gröfster  Entschieden- 
heit auf  eigene  Naturbeobachtung  und  eigene  ex- 
perimentale  Erfahrung  drängte,  ihm,  der  nicht  im  Dämmer 
der  Studierlampe  hockte,  sondern  im  „Lichte  der 
Natur"  wandeln  wollte  —  und  wandelte,  wie  sonderbar 
manches  scheinbar  seinen  staunenden  offenen  Augen  auch 
erschien,  wie  z.  B.  das  brausende  Aufsteigen  von  Luft- 
blasen, wenn  er  verdünnte  Schwefelsäure  mit  einem 
Metalle  in  Verbindung  brachte,  oder  die  Gewichtszunahme 
des  Zinns,  wenn  er  es  oxydierte,  und  zu  beiden  Vorgängen 
sich  eine  Erklärung  suchte,  die  nicht  allzuweit  von  der 
Wahrheit  abwich.  —  — 

Michael  Bapst  also  will  nicht  der  Verbreitung 
einer  Lehrmeinung  dienen;  dals  er  jedoch  den  Wünschen 
seines  Publikums  gerecht  wurde,  das  bezeugen  die  vielen 
Auflagen  und  die  Menge  seiner  umfangreichen  Schriften. 
Sie  haben  in  vieler  Hinsicht  ein  nicht  geringes  kultur- 
geschichtliches Literesse;  als  Nachschlagebücher  für 
das,  was  an  der  Neige  des  16.  Jahrhunderts  selbst  ein 
Gottesgelehrter  lutherischer  Observanz  für  wahr  hielt, 
sind  sie  wohl  zu  verwerten,  ebenso  als  reiche  Fundgrube 
für  die  Volksmedizin  seiner  Tage,  namentlich  in 
sächsischen  Landen.  Dagegen  haben  sie  für  die 
Kenntnis  Paracelsischer  Lehren  nicht  den  ge- 
ringsten Wert. 

Dals  diese  Schriften  solch  ein  wunderliches  Gepräge 
haben,  ist keineswegsihrem Verfasser  allein  zuzuschreiben. 
So  fabelhafte  Sachen,  wie  er  sie  vorbringt,  welche  uns 
als  der  „grölste  Blödsinn"  erscheinen,  „der  medizinisch 
je  geschrieben  ist",  wurden  damals  noch  geglaubt  und 
finden  sich  zerstreut  in  den  Werken  auch  aller  bedeuten- 
den Schriftsteller  seiner  Zeit,  wie  er  diese  ja  auch  in 
Massen  als  Quellen  anführt.  Allerdings  sehen  sie  für 
uns  in  diesen  Quellenschriften  nicht  so  abschreckend 
lächerlich  aus,  weil  sie  nur  gelegentlich  vorkunnnen, 
unter  (für  uns!)  vernünftigen  Auseinandersetzungen   ein- 

8* 


116      Eduard  Schubert  und  Karl  Sudhoff:  Michael  Bapst  etc. 

gestreut.  Hier  bei  Bapst  sind  sie  vielfach  bunt  aneinan- 
dergereiht, und  das  schärft  das  barocke  Aussehen  dieser 
wohlbeleibten  Bände  sehr.  Daraus  ihm  einen  so  schweren 
Vorwurf  zu  machen,  ihm  das  so  sehr  zur  Mifsachtung 
anzurechnen,  beweist  einen  entschiedenen  Mangel  an 
historischer  Kritik. 

Wir  glauben  nicht  zu  irren,  wenn  wir  es  eben 
diesem  Mangel  an  historischer  Kritik  in  jetzt  überholten 
Zeiten  auch  zuschreiben,  dals  Bapst  zu  den  Paracelsisten 
gerechnet  wurde.  Gerade  das  Wunderliche,  „Blödsinnige", 
Kunterbunte  der  Bapstschen  Schriften  wird  mit  die  Ver- 
anlassung (wenn  nicht  die  hauptsächlichste!'?)  gewesen 
sein,  ilm  einen  Paracelsisten  zu  nennen.  Paracelsus  selbst 
schien  den  Historikern  aus  Subjektivismus  ein  ganz  ver- 
worrener Kopf,  der  alles  toll  durcheinander  schrieb,  und 
der  tolle  Bapst  sein  tollerer  Schüler,  der  die  Eigenart 
seines  Lehrers  zur  Karrikatur  verdeutlichte,  verzerrte, 
den  man  ihm  als  abschreckende  Frucht  seines  Geistes 
an  die  Seite  stellte. 

So  kann  uns  „Bapst  als  Paracelsist"  als  Beleg 
dienen  für  die  ganze  verflossene  geschichtliche  Auffassung 
des  grofsen  Theophrast  von  Hohenheim,  wenn  es 
eines  solchen  Beleges  noch  bedürfte. 


V. 

Zur  Politik  Saclisens  iu  der  Zeit 

vom  westfälisclieu  Frieden  bis  zum  Tode 

Johann  Georg  IL 

Vou 

Paul  Hassel. 


Seit  dem  Jahre  1882  ist  eine  Kommission  des  fran- 
zösischen Ministeriums  der  Auswärtigen  Angelegenheiten 
mit  Erfolg  bemüht,  die  reichen  Schätze  des  mit  demselben 
verbundenen  Staatsarchivs  Aveiteren  Kreisen  zugänglich 
zu  machen.  Das  Hauptwerk,  welches  sie  ins  Leben  ge- 
rufen hat,  ist  der  Racueü  des  Instructions  donnees  aux 
amhassadeurs  et  ministres  en  France  depuis  les  traites 
de  Westfalie  jusj/a'ü  la  revolution  Frangaise.  Es  muls 
freilich  als  ein  f'Jbelstand  bezeichnet  werden,  dals  diese 
Sammlung  nicht  die  Berichte  der  Gesandten,  sondern  nur 
die  Instruktionen  für  dieselben  enthält,  denn  so  sehr 
gerade  die  ministeriellen  Erlasse  geeignet  sind,  den  Leser 
in  das  Studium  (h.'r  französischen  Politik  einzuführen,  so 
liegt  doch  auf  der  Hand,  dals  in  diesem  beschränkten 
Rahmen  die  Beziehungen  Erankreichs  zu  den  ülirigtMi 
Staatsmächten  nur  in  den  äulsersten  Umrissen  zur  An- 
schauung gebracht  werden  können.  Trotzdem  wird  Jeder, 
der    seine  Eorschungen    der  Geschichte   des   17.  und  18. 


118  Paul  Hassel: 

Jahrhunderts  zuwendet,  die  mannigfaltigen  Aufschlüsse, 
welche  diese  Quelleusammlung  darbietet,  mit  Dank  ent- 
gegennehmen und  den  Wunsch  hegen,  dafs  der  Vorgang 
der  französischen  Eegierung  bei  anderen  Staaten  Nach- 
ahmung finden  möge. 

In  dem  genannten  Pariser  Archive  liegt  nun  auch 
eine  stattliche  Reihe  von  Schriftstücken  vor,  die  aus- 
scliliefslich  aus  den  politischen  Verhandlungen  mit  Sach- 
sen entstanden  sind.  Die  Abteilung  „Saxe'-  umfalst  den 
Zeitraum  vom  16.  Jahrhundert  bis  zum  Jahre  1815  und 
besteht  im  ganzen  aus  einigen  achtzig  Bänden,  von  denen 
elf  auf  die  Jahre  1648  bis  1683  entfallen. 

Diese  letztgenannte  Aktengruppe,  über  die  wohl 
noch  niemals  die  Hand  eines  deutschen  Forschers  gekom- 
men sein  mag,  hat  neuerdings  einem  jungen  französischen 
Gelehrten,  Bertrand  Auerbach,  den  Hauptstofi'  für  eine 
eingehende  Studie  über  die  Beziehungen  Frankreichs  zu 
Sachsen  in  der  Zeit  von  1648  bis  1680  geliefert^).  Der 
Verfasser  ist  aufserdem  mit  Erfolg  bemüht  gewesen,  seine 
geschichtlichen  Kenntnisse  durch  umfangreiche  Studien  in 
dem  Dresdner  Hauptstaatsarchive  zu  erweitern  und  sich 
mit  der  deutschen  Litteratur  vollkommen  vertraut  zu 
machen :  selbst  die  zahlreichen  in  Zeitschriften  zerstreuten 
Abhandlungen  und  Spezialuntersuchungen  sind  von  ihm 
gewissenhaft  zu  Kate  gezogen  worden. 

Ist  es  schon  an  sich  eine  erfreuliche  Erscheinung, 
wenn  ein  ausländischer  Forscher,  von  wirklich  wissen- 
schaftlichem Interesse  angeregt,  sich  mit  dem  Studium 
deutscher  Geschichte  befalst,  so  verdient  die  iVrbeit 
Auerbachs  noch  in  erhöhtem  Mafse  die  Anerkennung  der 
Kritik  um  deswillen,  weil  sie  mit  eingehender  Kenntnis 
der  Quellen  eine  vorurteilslose  Auffassung  der  politischen 
Dinge  verbindet,  wie  sie  französischen  Gelehrten  nicht 
gerade  häufig  eigen  zu  sein  pflegt. 

Man  Avird  nicht  gerade  behaupten  können,  dals  es 
eine  dankbare  Episode  deutscher  Geschichte  sei,  die  der 
Verfasser    sich    zum   Vorwurf  gewählt   hat.     Allein    bei 


o^ 


näherer   Betrachtung    erweist   sie    sich    doch    durch    die 


^ö 


historisch-politischen  Betrachtungen,  zu  denen  sie  Anlals 


^)  La    diplomatie   francaise    et  la  Cour  de  Saxe  (1648  —  1680) 

par  Bertrand  Auerbach,    Docteur   es  lettres,    Maitre  de  confereuces 

ä  la  Faculte  des  Lettres  de  Naucv.  Paris.  Hachette  et  Cie.    1888. 
XXIV,  491  pp.    80, 


Zur  Politik  Sachsens  1648—1680.  119 

giebt ,  als  Iruchtbar  und  lehrreich  genug,  um  ein  allge- 
meines Interesse  anzuregen.  Denn  abgesehen  davon,  dals 
es  immer  wieder  der  Mühe  verlohnt,  sich  die  Verhält- 
nisse zu  vergegenwärtigen,  die  den  vorwaltenden  Einfluls 
der  fremden  Mächte  in  Deutschland  seit  der  Mitte  des 
17.  Jahrhunderts  herbeiführten,  so  bringt  der  Verfasser 
gar  manche  Vorgänge  der  sächsischen  Geschichte  zur 
Sprache,  die  in  der  vaterländischen  Geschichtsschreibung 
bisher  kamii  eine  Erwähnung,  geschweige  denn  eine  ab- 
schlieisende  Beurteilung  gefunden  haben. 

Nach  einer  Einleitung,  welche  die  wesentlichsten 
Momente  der  territorialen  Entwickelung  Kursachsens  seit 
dem  Anfang  des  16.  Jahrhunderts  schildert,  geht  die 
Darstellung  zu  den  Verhandlungen  des  Friedenskongresses 
von  Osnabrück  und  Münster  und  der  Neuordnung  des 
deutschen  Reiches  über.  Namentlich  bildet  das  Ver- 
halten des  Kuifürsten  Johann  Georg  I.  den  Gegenstand 
der  Kritik  des  Verfassers,  die  denn  freilich  nicht  zu 
Gunsten  des  Km^fürsten  ausfällt.  Jeder,  der  den  inneren 
Zusammenhang  der  religiösen  und  politischen  Motive  des 
grolsen  Kampfes  der  dreilsig  Jahre  ins  Auge  faist,  wird 
sich  zu  der  Ansicht  hinneigen  müssen,  dals  vornehmlich 
in  der  ersten  Epoche  des  Krieges,  dem  Zeitabschnitt 
zwischen  Ausbruch  des  böhmischen  Aufstandes  und  dem 
Prager  Frieden  vom  30.  Mai  1635,  der  Gang  der  Er- 
eignisse mehr  als  einmal  günstige  Aussichten  für  die  Er- 
höhung der  Macht  des  Hauses  Wettin  eröli'nete.  Aller- 
dings hätte  es  dazu  eines  starken  und  entschlossenen 
Willens  bei  dem  Laiidesherrn,  der  Lossagung  von  der 
seit  Kurfürst  i^ugust  hergebrachten  Unterordnung  unter 
die  Interessen.  Österreichs  und  des  Bruches  mit  den 
ebenso  alten  Überlieferungen  altlutherisch-konfessioneller 
Einseitigkeit  bedurft.  Als  Vormacht  des  deutschen 
Protestantismus,  gleicli  bereit,  die  aus  dem  lutherischen 
Avie  die  aus  dem  reformierten  Kirchen  wesen  hervorgegange- 
nen Staatenbildungen  zu  schützen,  hätte  Sachsen  die 
Führerschaft  in  dem  Kami)fe  gegen  die  kaiserlich -ligui- 
stische  Partei  übernehmen  müssen,  deren  Programm  von 
Anfang  an  darauf  gerichtet  war,  durch  die  Beseitigung 
des  Religionsfriedens  die  geschichtlichen  und  staatsrecht- 
lichen Grundlagen  der  protestantischen  Entwickelung  zu 
vernichten.  Diese  Aufgabe  niclit  erkannt  zu  haben,  war 
das  erste  Versäumnis  der  Politik  Joliann  Georgs. 
Später,  als  nach  der  Schlacht  bei  Nördlingeu  die  katho- 


120  Paul  Hassel: 

lische  Eeaktion  noch  einmal  siegreich  ihr  Haupt  erhob, 
hat  dann  sein  xlusscheiden  aus  dem  Bündnis  mit  Schweden 
vornehmlich  dazu  beigetragen,  dafs  das  Hauptgewicht  in 
den  Entscheidungen  des  Krieges  den  auswärtigen  Mäch- 
ten anheimfiel. 

Die  Schwächung  des  Ansehens,  welche  der  Kurstaat 
sich  selbst  durch  den  Sonderfrieden  mit  dem  Kaiser  l)e- 
reitete,  hat  m  Verbindung  mit  den  materiellen  Verlusten, 
von  denen  Kultur  und  Wohlstand  des  Landes  betroffen 
wurden,  die  weitere  Folge  gehabt,  dals  auch  die  Teil- 
nahme Sachsens  an  den  Friedensverhandlungen  sich  nur 
in  sehr  engen  Schranken  bewegen  konnte.  Nicht  mit 
Unrecht  weist  Auerbach  (S.  13)  darauf  hin,  dals  für  die 
französische  Diplomatie  ein  Einverständnis  mit  dem 
Dresdner  Hofe  in  gewissem  Sinne  wohl  hätte  von  Nutzen 
sein  können,  als  Gegengewicht  gegen  die  Krone  Schweden, 
welche  die  evangelischen  Beichsstände  ganz  und  gar 
unter  ihre  Führung  genommen  hatte  und  mit  Hufe 
dieser  ansehnlichen,  in  sich  geschlossenen  Partei  die  Ein- 
Avirkungen  Frankreichs  in  manchen  Fragen  des  Kongresses 
zu  überflügeln  vermochte.  Unzweifelhaft  wäre  es  für  die 
schAvedische  Diktatur  in  Osnabrück  ein  empfindlicher 
Schlag  gewesen,  wenn  Johann  Georg  sich  entschlossen 
hätte,  das  alte  Anrecht  seines  Staates  auf  die  Leitung 
der  evangelischen  Körperschaft  mit  Nachdruck  zur  Gel- 
tung zu  bringen.  Allein  Kardinal  Mazarin  machte  nicht 
einmal  den  Versuch  einer  Annäherung  an  den  Kurfürsten, 
weil  er  überzeugt  war,  dals  jede  Bemühung,  denselben 
für  em  anderes  Parteiinteresse  als  das  des  Kaisers  zu 
gewinnen,  vergeblich  sein  würde.  Johann  Georg  war 
unter  den  Mitgliedern  des  Kurkollegs  und  den  angesehe- 
nen Fürsten  des  Reiches  der  einzige,  der  weder  im  Ge- 
heimen noch  öffentlich  mit  Frankreich  unterhandelte,  und 
man  muls  ihm  nachsagen ,  dafs  er  diesem  Grundsatz  bis 
an  sein  Lebensende  treu  geblieben  ist. 

Ohnehin  sah  sich  Frankreich  zunächst  durch  innere 
Wirren"  verhindert,  den  Vorgängen  in  Deutschland  seine 
Aufmerksamkeit  zuzuwenden.  Es  ist  die  Zeit  der  Fronde, 
des  letzten  Kampfes  zwischen  Königtum  und  Vasallen, 
aus  dem  die  staatliche  und  nationale  Einheit  der  franzö- 
sischen Monarchie  siegreich  hervorgehen  sollte.  Weder 
bei  der  Wahl  Ferdinands  IV.  zum  römischen  König 
(31.  Mai  1653),  noch  auf  dem  Reichstage  zu  Regensburg 
von  1653  auf  1654  vermochte  die  französische  Diplomatie 


Zur  Politik  Sachsens  1648—1680.  121 

die  Parteiungen  unter  den  deutschen  Fürsten  zu  ihrem 
Vorteil  zu  benutzen.  Anders  aber  gestalteten  sich  diese 
Verhältnisse,  als  im  Verlauf  des .  spanisch  -  französischen 
Krieges  die  alte  Eivalität  zwischen  Österreich undFrankreich 
wieder  zum  Ausbruch  gelangte.  Trotz  der  Bestimnnmg 
des  Friedensinstrumentes  von  Münster,  nach  welcher 
Österreich  jeder  ferneren  Einmischung  in  den  Kampf  der 
beiden  Mächte  feierlichst  entsagt  hatte,  liels  Kaiser 
Ferdinand  IIL  nicht  ab,  den  Widerstand  der  Spanier 
sowohl  in  Italien  als  in  den  spanischen  Niederlanden 
zu  unterstützen.  Wiederholt  waren  die  westlichen  Kreise 
des  Reiches  von  den  kriegerischen  Ereignissen  in  den  be- 
nachbarten Grenzlanden  in  Mitleidenschaft  gezogen  worden. 
ISTamentlich  unter  den  rheinischen  Fürsten  regte  sich  eine 
lel)hafte  Milsstimmung  über  den  Vertragsbruch  des  Kaisers. 
An  diesem  Punkte  setzte  Mazarin  seine  Hebel  an,  indem 
er  durch  diplomatische  Unterhandlungen  und  reichlich  ge- 
währte Bestechungen  die  Oppositionspartei  der  deutschen 
Fürsten  hi  seinen  Bannkreis  zu  ziehen  und  ihre  Führung 
zu  geAvinnen  suchte.  Es  kam  dem  Kardinal  zu  statten, 
dals  seit  dem  Feldzug  von  1654,  durch  die  Befreiung 
von  Arras  (25.  August),  zunäclist  in  den  Niederlanden 
und  bald  darauf  durch  die  Verbindung  mit  dem  Herzog 
von  Modena,  Franz  II.  aus. dem  Hause  Este  (Dezember 
1654),  auch  in  Italien  das  Übergewicht  der  W^affen  sich 
auf  die  Seite  Ludwig  XIV.  neigte.  Bei  der  Mangel- 
haftigkeit der  Wehrverfassung  des  deutschen  Eeiches, 
die  für  die  Sicherheit  der  Grenzen  nicht  aufzukommen 
vermochte,  mulsten  die  Fürsten  des  westlichen  Deutsch- 
lands eifrig  darauf  bedacht  sein,  einen  Stützpunkt  für 
ihre  Vertheidigung  auiserhalb  der  eigenen  Machtsphärc 
zu  finden.  Wie  so  oft  in  der  vergangenen  Zeit  unserer 
Geschichte  führte  ein  natürlicher  Zug  der  Interessen  sie 
dahin,  sich  dem  Schutze  des  Stärkeren  anzuvertrauen,  in 
diesem  Falle  Frankreichs,  dessen  Freunds^chaft  ihnen  die 
sicherste  Gewähr  für  den  ruhigen  Besitz  ihrer  Staaten 
zu  geben  schien.  Der  leitende  Gesichtspunkt  der  fran- 
zösischen Politik  aber  war,  mit  Hilfe  Schwedens,  das  ja 
ebenfalls  zu  den  Garanten  des  westfälischen  Kiiedens 
gehörte,  und  der  deutschen  Fürsten  ein  Schutz-  und 
Trutzbündnis  gegen  ()sterreicli  zu  stände  zu  bringen,  dessen 
Zweck  es  sein  sollte,  die  Generalgarnut ie  des  Fricnlcns, 
wie  num  sich  ausdrückte,  wenn  nötig  selbst  mit  CJewalt, 
dem  Kaiser  gegenübei-  aufreclitzuerhalten.     Die  nähei'en 


122  Paul  Hassel; 

Beweise  hierfür  finden  sicli  in  dem  Werke  eines  neueren 
französischen  Forschers,  A.  Cheruel-),  dessen  Ausführungen 
durch  die  Studien  Auerbachs  bestätigt  und  nach  mehr 
als  einer  Seite  hin  ergänzt  werden. 

Wie  die  französische  Diplomatie  damals  bemüht  war, 
in  allen  Teilen  Deutschlands  Verbindungen  anzuknüpfen, 
so  hat  sie  auch  am  kursächsischen  Hofe  ihre  Netze  auszu- 
spannen gesuclit.  Das  vorliegende  Buch  belehrt  uns,  dals 
Johann  Georg  JI.  schon  als  Kurprinz  mit  Ludwig  XIV. 
und  Mazarin  in  schriftlichem  Verkehr  stand.  Die  auch 
sonst  bekannte  Thatsache,  daliä  der  Erbe  der  sächsischen 
Kurwürde  sich  mit  dem  politischen  System  seines  Vaters 
in  Widerspruch  befand,  war  am  Hofe  von  St.  Germain 
nicht  unbemerkt  geblieben.  Zur  Vervollständigung  der 
Nachrichten,  die  Auerbach  darüber  beibringt,  wollen  wir 
auf  eine  französische  Relation  vom  Regensburger  Reichs- 
tage hinweisen,  in  welcher  von  der  entschieden  anti- 
österreichischen Gesinnung  des  Kurprinzen  die  Rede  ist^). 
Unzufrieden  mit  der  in  dem  väterlichen  Testamente  vom 
20.  Juli  1652  festgesetzten,  vom  Kaiser  bestätigten  Tei- 
lung der  sächsisch-thüringischen  Lande,  und  wohl  nicht 
ganz  frei  von  der  Befürchtung,  dals  seine  Souveränetäts- 
rechte  durch  einen  Zusatz  zu  der  letztwilligen  Verfügung 
seines  Vaters  noch  '\\^eitere  Beschränkungen  erfahren 
könnten ,  zeigte  sich  Johann  Georg  der  Jüngere  sehr 
geneigt,  die  bereitwilligst  dargebotene  „Protektion" 
Frankreichs  anzunehmen.  Ein  französischer  Abgesandter, 
Antoine  de  Lumbre,  der  im  Juni  1655  bei  dem  Kurfürsten 
von  Brandenburg  beglaubigt  wurde ,  übermittelte  dem 
sächsischen  Kurprinzen  die  beruhigende  Versicherung, 
dals  der  König  ihm  nötigenfalls  zur  Behauptung  seines 
ungeschmälerten  Erbfolgerechts  behilflich  sein  werde.  In 
einem  Schreiben  an  Mazarin  vom  1.  November  1655 
spricht  der  Prinz  dafür  seinen  Dank  aus  (S.  42). 

Während  der  Reichsdeputation,  die  zur  Erledigung 
aller  noch  ausstehenden  Fragen  der  Reichsverfassung  seit 
dem  26.  September  1655  in  Frankfurt  a.  M.  tagte,.,  ver- 
schärfte sich  der  Konflikt  zwischen  Frankreich  und  Oster- 
reich.    Der   Bevollmächtigte  Ludwigs    XIV.,    Gravelle, 


-)  A.  Cheruel,  Histoire  de  France  sous  le  ministere  de  Ma- 
zarin (3  voll,  Paris  1882). 

•^)  Erdmannsdörffer,  Urkunden  und  Aktenstücke  zur  Ge- 
ßchichte  des  Grofseu  Ktufürsteu  (Berün  1872)  VI,  243. 


Ziu-  Politik  Saclisens  1648—1680.  123 

Übergab  den  versammelten  Reichsständen  im  August  1656 
ein  Memorial,  welches  den  Klagen  des  Königs  über  die 
fortgesetzten  Friedensverletzungen  des  Kaisers  den  scliär- 
sten  Ausdruck  verlieh.  Der  Kurfürst  von  Mainz  nahm 
die  Beschwerdeschrift  entgegen  und  stellte  sie  zur  De- 
batte. Diese  politischen  Kämpfe  in  Frankfurt,  Avelche 
die  Behandlung  der  Verfassungsangelegenheiten  allmählich 
ganz  in  den  Hintergrund  drängten,  warfen  auf  die  letz- 
ten Lebenstage  des  alten  Johann  Georg  einen  tiefen 
Schatten.  Er  betrachtete  es  als  eine  Verletzung  der 
kaiserlichen  Autorität,  dafs  die  Reichsdeputation  das 
Verhalten  des  Kaisers  einer  Kritik  unterwarf  Aber  der 
Standpunkt,  den  er  einnahm,  war  ein  völlig  vereinzelter. 
Kurpfalz  und  die  geistlichen  Kurfürsten  standen  auf 
Seiten  Frankreichs ;  Friedrich  Wilhelm  von  Brandenburg, 
der  in  dem  schwedisch-polnischen  Kriege  die  Partei  des 
Königs  Karl  Gustav  von  Schweden  ergriffen  hatte,  war 
im  Februar  1656  ein  Schutz-  und  Trutzbündnis  mit 
Ludwig  XIV.  eingegangen.  Auch  die  '  Mehrheit  der 
fürstlichen  Stände  in  der  Reichsdeputation  bewegte  sich 
in  dem  Fahrwasser  der  französischen  Beeinflussung. 

Es  konnte  nicht  fehlen,  dals  diese  Umtriebe  auch  auf 
die  inneren  Angelegenheiten  des  Reiches  ihre  Rückwir- 
kung ausübten.  Als  der  jugendliche  römische  König 
Ferdinand  IV.  am  9.  Juli  1654  starb,  arbeitete  Mazarin 
mit  allen  Kräften  auf  die  Ausschlielsung  des  Hauses  Habs- 
burg bei  der  nächsten  Königswahl  hin,  und  soviel  wenigstens 
setzte  er  durch,  dafs  die  Bemühungen  Ferdinand  III.,  die 
Nachfolge  im  Reiche  noch  während  seiner  Lebenszeit 
seinem  zweiten  Sohne ,  dem  König  Leopold  von  Ungarn 
und  Böhmen,  zu  sichern,  vereitelt  wurden.  Bisher  wufste 
man  nur  von  zwei  Kandidaten,  welche  Frankreicli  als 
Gegner  Leopolds  in  Vorschlag  brachte,  dem  Kurfürsten 
Ferdinand  Maria  von  Bayern  und  dem  Pfalzgrafen  Philipp 
Ludwig  von  Neuburg.  Herrn  Auerbach  verdanken  wir  die 
erste  Nachricht  darüber,  dals  das  Kabinett  von  St.Germain 
sein  Augenmerk  noch  auf  eine  dritte  Kandidatur  riclitete, 
die  des  Kurfürsten  Johann  Georg  IL  von  Sachsen,  wel-- 
eher  am  8.  Oktober  1656  seinem  Vater  in  der  Regierung 
gefolgt  war.  In  dem  Pariser  Archiv  findet  sich  der  Entwurf 
einer  Instruktion  vom  12.  November  1656  für  den  Gouverneur 
von  Bouillon,  Grafen  Vagnee,  der  den  Auftrag  erhielt,  sich 
nach  Di'esdeu  zu  begeben,  um  die  Gesinniiiigini  des  Kur- 
fürsten   in   betreff   der    Kaiserwahl    zu    erfurschen,    und 


124  Paul  Hassel: 

wenn  er  bei  demselben  Gehör  für  die  französisclien  Pläne 
fand,  in  der  bestimmtesten  Weise  zu  erklären,  dals  Lud- 
wig* Xiy.  keine  Anstrengung  sparen  werde,  um  das 
Kaisertum  an  Sachsen  zu  bringen  :  ü  n' y  a  jmint  cVeffort, 
so  lautet  die  Stelle,  auquel  Je  Bot  ne  se  portät  pour 
faire  ptasser  Vempire  en  sa  maison,  nämlich  an  das  Haus 
der  Albertiner. 

Freilich  folgte  dieser  Verheilsung  ein  schwerwiegen- 
der Vorbehalt:  Johann  Georg  II.  sollte  sich  verpflichten, 
den  Übertritt  zur  katholischen  Kirche  zu  vollziehen 
(S.  72).  Die  französischen  Quellen  lassen  uns  im  Unge- 
wissen darüber,  weshalb  die  Sendung  Vagnees  unterblieb; 
immerhin  aber  ist  es  bemerkenswert,  dals  die  Gerüchte 
über  einen  beabsichtigten  Glaul^enswechsel  des  Kurfürsten, 
die  auch  sonst,  selbst  in  den  sächsischen  Landen,  mannig- 
fache Erörterungen  hervorriefen,  von  der  französischen 
Regierung  sogar  zum  Gegenstand  einer  politischen  Kom- 
bination erhoben  wurden. 

Allein  Mazarin  hatte  sich  in  der  Person  Johann  Georgs 
getäuscht.  Als  das  Kaisertum  durch  den  Tod  Ferdinand  III. 
am  2.  April  1657  erledigt  wurde,  und  die  Notwendigkeit  einer 
Neuwahl  nicht  mehr  zu  umgehen  war,  zeigte  sich  sofort, 
dals  (3sterreich  auf  keine  der  Kurstimmen  mit  grölserer 
Sicherheit  zählen  konnte,  als  auf  die  Saclisens.  Die 
Übernahme  des  Reichsvikariats  in  den  sächsischen  Ge- 
bieten während  des  Interregnums  gab  der  Stellung  Jo- 
hann Georgs  IL  noch  eine  erhöhte  Bedeutung.  Man  kann 
geradezu  sagen,  dals  Kursachsen  bei  der  Wahl  Leopolds  L 
eine  leitende  Rolle  gespielt  habe.  Es  ist  ein  Hauptver- 
dienst des  vorliegenden  Werkes,  dieses  wichtige  Kapitel 
sächsischer  Geschichte,  das  bisher  noch  keine  urkundliche 
Darstellung  gefunden  hatte,  mit  Hilfe  der  Pariser  und 
Dresdner  Archivalien  in  allen  wesentlichen  Punkten  auf- 
geklärt zu  haben.  Der  gemessene  Raum  einer  kritischen 
Besprechung  gestattet  es  nicht,  den  vielfach  verschlungenen 
Unterhandlungen,  die  der  Wahl  vorhergingen,  auf  Schritt 
und  Tritt  zu  folgen.  Wir  wollen  nur  ein  Moment  hervor- 
-  heben,  das  von  grolsem  Einfluls  auf  die  Haltung  der  übrigen 
Kurfürsten  gewesen  ist,  —  die  Vereinbarung  zwischen 
Sachsen  und  Brandenburg,  die  in  der  Absicht  eines  ge- 
meinsamen Vorgehens  gegen  die  Agitationen  der  französisch 
gesinnten  Partei  des  Kurkollegimns  getroffen  wurde.  Un- 
mittelbar nach  Eröffnung  der  Wahlverhandlungen,  am  5.  No- 
vember 1657,  hatte  der  Kurfürst  von  Mainz,imEinverständnis 


Zur  Politik  Sachsens  1648—1680.  125 

mit  den  französischen  Gesandten,  Herzog  von  Grammont 
und  Lionne,  dem  späteren  Minister  Ludwigs  XIV.,  den 
höchst  verfänglichen  Antrag  gestellt,  dals  das  Kurkolle- 
gium den  Versuch  einer  Friedensstiftung  zwischen  Spanien 
und  Frankreich  machen  solle,  ehe  ziu-  Wahl  eines  neuen 
ßeichsoberhauptes  geschritten  werde.  Obwohl  sich  vor- 
hersehen liels,  dals  hierdurch  die  Beendigung  des  Inter- 
regnums auf  unabsehbare  Zeit  hinausgeschoben  wurde, 
erhielt  der  Antrag  die  Majorität,  da  die  rheinischen 
Kurfürsten  keinen  sehnlicheren  Wunsch  hegten,  als  der 
Gefahren  des  Krieges  in  den  Niederlanden  endlich  über- 
hoben zu  werden.  In  persönlichen  Besprechungen  auf  dem 
Schlofs  Lichtenburg  bei  Torgau  vereinigten  sich  nun  die 
beiden  Kurfürsten  von  Brandenburg  und  Sachsen  dahin, 
gegen  das  Vorgehen  der  Majorität  ihr  Veto  einzulegen. 
Irrtümlicherweise  ist  in  sämtlichen  sächsischen  Geschichten, 
seit  Weilse,  die  Lichtenburger  Zusammenkunft  in  den 
Februar  1658  verlegt  worden;  sie  fand,  wie  Auerbach 
richtig  bemerkt  hat,  in  den  ersten  Tagen  des  De- 
zember 1657  statt  (S.  97).  .  Friedrich  Wilhelm  und  Jo- 
hann Georg  II.  kamen  überein,  den  Kurfürsten  von  Mainz 
in  einem  Gesamtschreiben  zur  sofortigen  Erledigung  des 
Wahlgeschäftes,  ohne  Zwischenhandlung  mit  den  fremden 
Mächten,  aufzufordern.  Mit  der  Aufstellung  des  Lichten- 
burger Programms  trat  die  entscheidende  Wendung  des 
Wahlkampfes  von  1658  ein.  Kurfürst  Ferdinand  Maria 
von  Bayern,  der  ein  viel  zu  vorsichtiger  Recliner  war, 
um  sich  auf  das  Wagnis  der  ihm  dargebotenen  Kaiser- 
würde einzulassen,  machte  sogleich  mit  Sachsen  und  Bran- 
denburg gemeinsame  Sache,  und  unter  den  geistlichen 
Wälllern  wurde  der  Kurfürst  von  Trier ,  der  wegen 
seiner  Diözesanrechte  im  Bistum  Metz  mit  Frankreich 
im  Streite  lag,  durch  einen  Separatvertrag  mit  Österreich 
für  dieselbe  Partei  gewonnen.  Nachdem  sich  so  die 
Mehrheit  der  Stimmen  auf  den  König  Leopold  vereinigt 
hatte,  lenkten  auch  die  andern  Kurfürsten  ein,  —  frei- 
lich ohne  ihre  Verbindung  mit  Frankreich  aufzugeben. 
Man  ergriff  den  Ausweg,  der  Wahlkapitulatioii  eine  Be- 
stimmung einzuverleiben,  welche  dem  künftigen  Kaiser 
jede  Unterstützung  der  Feinde  Ludwigs  XIV.  Aerbot. 
Allerdings  wurde  dieser  Klausel  insofern  der  Charakter 
der  Gegenseitigkeit  gewahrt,  als  Frankreich  das  Gleiche 
in  bezug  auf  die  Feinde  des  Kaisers  und  des  Reichs 
versprach,  allein  es  zeigte  sich  alsbald ,  dafs  der  Vorteil 


126  Paul  Hassel: 

auch  diesmal  auf  selten  der  Franzosen  war.  Wenige 
Wochen  nach  der  Wahl  Leopolds  I.  (18.  Juli)  schlössen 
die  Kurfürsten  von  Mainz  und  Köln  und  eine  Anzahl 
deutscher  Fürsten  ein  Schutz-  und  Trutzbündnis  mit 
Ludwig  XIV.  ab,  die  rheinische  Allianz  vom  18.  August 
1658,  der  auch  Schweden  für  seine  deutschen  Besitzungen 
beitrat.     (S.  121.) 

Es  sind  mehrfache  Versuche  gemacht  worden,  den 
kursächsischen  Staat  in  dieses  Bündnis  hineinzuziehen, 
aber  Johann  Georg  verhielt  sich  ablehnend,  weil  er  wuiste, 
dafs  die  Vereinigung  der  deutschen  Fürsten  mit  den  frem- 
den Mächten  am  Kaiserhofe  ungern  gesehen  wurde.  Der 
Verfasser  sieht  den  Grund  für  das  Zusammengehen  Sachsens 
mit  Österreich  in  einem  dynastischen  Interesse ,  dem 
Wunsch  des  Kurfürsten,  seine  Tochter  Erdmuthe  Sophie 
mit  dem  jungen  Kaiser  Leopold  I.  zu  vermählen  (S.  110. 
132).  In  diplomatischen  Schriftstücken  jener  Zeit,  nament- 
lich auch  in  solchen,  die  von  Wien  ausgingen,  wie  die 
Schlulsberichte  der  venezianischen  Gesandten,  tauchen 
wiederholt  Andeutungen  über  diesen  Heiratsplan  auf*),  die 
sich  jedoch  der  Prüfung  entziehen,  da  urkundliche  Zeug- 
nisse dafür  bis  jetzt  nicht  vorliegen.  Deshalb  wird  man 
auch  die  Vermutung  des  Verfassers,  dals  die  Enttäusch- 
ung, die  Johann  Georg  in  dieser  Angelegenheit  erfuhr, 
ihn  zu  einem  Wechsel  seiner  Politik  veranlalst  habe, 
nur  bedingungsweise  annehmen  können. 

Eine  fühlbare  Entfremdung  zwischen  Österreich 
und  Sachsen  trat  erst  im  Jahre  1663  ein ,  infolge  der 
Erfurter  Fehde.  Nimmermehr  hätten  die  sächsischen 
Fürsten,  denen  das  Erbschutzrecht  über  die  Metropole 
des  heiligen  ßonifazius  zustand,  geschehen  lassen  düifen, 
dafs  Kurmainz  die  fast  ausschlielslich  protestantische 
Stadt  durch  eine  beim  Kaiser  erwirkte  Achtsvollstreckung 
seiner  Landeshoheit  unterwarf.  Wäre  Johann  Georg  IL 
rasch  bei  der  Hand  gewesen,  hätte  er  die  Stadt  zu 
ihrem  Schutze  mit  einem  Truppenkorps  von  einigen 
hundert  Mann  besetzt,  wie  dies  drei  Jahre  später  Fried- 
rich Wilhelm  von  Brandenburg  mit  Magdeburg  machte, 
so  würde  sich  keine  Hand  gegen  die  Einverleibung  Erfurts 


')  Am  bestimmtesten  in  dem  Bericht  des  Battista  Nani  vom 
7.  Janiiar  1659,  wo  von  Johann  Georg  II.  behauptet  wird:  a  queste 
nozze  egli  aspira  cou  grand'  impatienza.  Fontes  lierum  Austria- 
Ciirum  XXVII,  18. 


Ziir  Politik  Sachsens  1648—1680.  127 

in  das  säclisisclie  Staatsgebiet  geregt  haben.  Aber  es 
lag  nicht  in  der  Art  des  Kurfürsten,  mit  Einsetzung  aller 
Kraft  auf  ein  bestimmtes  Ziel  loszugehen ;  seine  Politik 
bestand  in  einem  unsteten  Lavieren  zwischen  den  Parteien. 
Anfangs  bemühte  er  sich,  den  Kaiser  von  einer  Intervention 
zu  Gunsten  der  Mainzischen  Ansprüche  zurückzuhalten; 
als  dann  aber  dennoch  eine  kaiserliche  Kommission  in 
Erfurt  erschien  und  den  sächsischen  Gesandten  von 
Werthern,  der  um  eine  Vermittelung  bemüht  war,  in  der 
hoffärtigsten  Weise  von  den  Verhandlungen  ausschlols, 
wurde  ihm  die  ganze  Angelegenheit  derart  verleidet,  dali- 


s 


er  am  30.  November  166b  mit  Mainz  einen  Vertrag 
Schlots,  durch  den  er  die  Stadt  ihrem  Schicksale  preis- 
gab (156). 

Diese  Beziehungen  zu  Mainz  sind  deshalb  noch  von 
besonderer  Wichtigkeit,  weil  sie  die  Brücke  bildeten,  die 
Sachsen  zu  dem  französischen  Bündnis  hinüberleitete. 
In  dem  1.  Bande  von  Webers  Archiv  f.  d.  sächs.  Gesch. 
(1863)  hat  Karl  Gustav  Heibig  nach  den  Materialien 
des  Hauptstaatsarchivs  die  diplomatischen  Beziehungen 
Johann  Georg  IL  zu  Frankreich  auseinandergesetzt.  Im 
Vergleich  zu  dieser  aktenmälsigen  Darstellung  gewinnt 
die  Behandlung  desselben  Themas  in  dem  Auerbachschen 
Buche  durch  die  Benutzung  der  französischen  Korre- 
spondenzen und  der  gedruckten  Litteratur  neueren  Datums 
an  Farbe  und  Leben.  Die  Anknüpfung  und  der  Fortgang 
der  diplomatischen  Unterhandhingen  entfalten  sich  vor 
den  Augen  des  Lesers  in  vollständigerem  Bilde;  auch 
treten  die  handelnden  Personen  deutlicher  hervor.  Un- 
bekannt war  bisher,  dals  die  ersten  Anträge  über  eine 
Allianz  mit  Ludwig  XIV.  von  dem  kursächsischen  Ober- 
landbaumeister und  Ingenieur  Wolf  Kaspar  von  Klengel, 
dem  der  Freiherr  ö  Byrn  in  den  Mitteil.  d.  Sächsischen 
Altertumsvereins  (1872)  eine  anziehende  Lebensskizze 
gewidmet  hat,  im  Januar  1(554  nach  Paris  ülx'rbracht 
wurden.  Die  Eröti'nungen  Kiengels  lassen  keinen  Zweifel 
darüber,  dals  die  finanziellen  Verlegenheiten  des  kunst- 
sinnigen und  prachtliebenden  Kurfürsten  den  Haui)tanstols 
zu  seiner  Sendung  gaben  (S.  132).  Trelflich  geschildert 
ist  ferner  (S.  160  ff.)  die  liöchst  IVagwürdige  Persüidich- 
keit  jenes  Freiherrn  Friedrich  Ludwig  von  Ileiffenberg, 
der  schon  bei  der  Verständigung  mit  Mainz  den  Ver- 
mittler spielte  und  später,  nachdem  er  für  einige  Zeit 
in   sächsische  Dienste  übei-nduniirn,    die   Fäden    der   Be- 


128  Pa^il  Hassel: 

Ziehungen  zu  Frankreich  in  seiner  Hand  hielt:  der  echte 
Typus  der  diplomatischen  Industrieritter,  welche  die 
Intrigueu  der  französischen  Politik  in  Deutschland  an 
ihrem  Schleppkleide  mit  sich  zogen. 

Allein  so  fesselnd  diese  Einzelheiten  sind,  das  Ge- 
samturteil, welches  schon  Heibig  über  die  sächsisch-fran- 
zösische Verbindung  gefällt  hat,  wird  durch  die  weiteren 
Ausführungen  des  Verfassers  in  keinem  wesentlichen 
Momente  umgestaltet.  Der  Schwerpunkt  des  am  13.  April 
1664  zu  Regensburg  abgeschlossenen  Bündnisses  lag  da- 
rin, dals  Sachsen  sich  bereit  erklärte,  die  Interessen 
Ludwigs  XIV.  auf  alle  Weise,  namentlich  auch  bei  den 
Beratungen  der  Reichsversammlungen ,  zu  unterstützen 
und  dem  König  Truppeuwerbungen  im  Bereich  des  Kur- 
staates zu  gestatten.  Dieselbe  Bedingung  nahmen  auch 
die  Brüder  Johann  Georgs  II.  an,  als  sie  durch  die  Trak- 
tate von  Zwickau,  17.  September  1665  (S.  190),  sich 
dem  Bündnis  beigesellten.  Wie  verhielt  sich  dazu  nun 
aber  die  Gegenleistung  Frankreichs?  Aulser  der  Bewilli- 
gung von  Subsidien,  deren  Höhe  nicht  einmal  festgesezt 
wurde,  enthielt  der  Vertrag  nicht  den  geringsten  greif- 
baren Vorteil  für  das  Haus  der  Albertiner.  Zwar  leistete 
der  König  Gewähr  für  die  Aufrechterhaltung  des  west- 
fälischen Friedens  und'  der  durch  denselben  dem  sächsi- 
schen Staate  verbürgten  Hechte,  allein  bei  allen  Fragen, 
die  mit  dem  Friedensinstrument  nicht  im  Zusammenhange 
standen,  war  es  ganz  in  das  Belieben  des  mächtigeren 
Kontrahenten  gestellt,  ob  und  wie  weit  er  den  Interessen 
des  minder  mächtigen  Vorschub  leisten  wollte. 

Man  begreift  vollkommen,  dals  der  Anschluls  an 
Frankreich  im  Lande  lebhafte  Milsbilligung  fand.  Die 
Regierung  wurde  daher  genötigt,  sich  nach  wie  vor  die 
Wege  zu  anderen  Verbindungen  offen  zu  halten,  selbst 
auf  die  Gefahr  hin,  dadurch  mit  den  französischen  Ab- 
machungen in  Widerspruch  zu  geraten.     Bereits  im  Juni 

1664  sehen  wir  den  Kurfürsten  durch  den  Geheimen  Rat 
von  Burkersrode  in  Wien  den  Vorschlag  eines  Fürsten- 
bundes unterbreiten,  der  als  Gegengewicht  gegen  die 
rheinische  Allianz    dienen  sollte   (S.  169).      Im   Februar 

1665  taucht  derselbe  Gedanke  in  etwas  veränderter 
Fassung  auf  (S.  184).  Nebenher  hatte  man  sehr  bald 
die  Erfahrung  zu  machen,  dals  die  französische  Allianz 
im  Augenblick ,  wo  man  ihrer  bedurft  hätte ,  versagte. 
Als  im  Juni  1666  zwischen  Brandenburg  und  Pfalz-Neu- 


Zm-  Politik  Sachsens  1648—1680.  129 

burg  ein  Vergleich  über  die  Teilung  der  jiilich-klevischen 
Lande  getroffen  wurde,  bewarb  sich  Johann  Geoi'g  um  die 
Intervention  Frankreichs  zui' Wahrung  der  sächsischen  Erb- 
rechte, aber  seine  Bemühungen  l)lieben  vergeblich  (S.  217). 

Eine  Zeitlang  schien  es,  als  ob  der  Mangel  poli- 
tischer Erfolge  auf  anderem  Gebiete  Ersatz  finden 
sollte.  Der  berühmteste  Finanzmann  seiner  Zeit,  Colbert, 
der  es  meisterhaft  verstand,  die  ausländischen  Verbin- 
dungen der  Monarchie  für  die  Hebung  der  wirtschaft- 
lichen Kräfte  seines  Vaterlandes  zu  verwerten,  erkannte 
sehr  wohl  die  Vorteile,  welche  der  französischen  Industrie 
aus  der  Zufuhr  sächsischer  Naturerzeugnisse  und  Roh- 
produkte erwachsen  konnten  (S.  228).  Der  sächsische 
Marmor  z.  B,,  der  in  den  westlichen  Kulturlanden  zu 
groisem  Ruhme  gelangt  war,  seitdem  die  Holländer  ihn 
bei  dem  Bau  des  Amsterdamer  Rathauses  verwendet 
hatten,  fand  auch  am  französischen  Hof  Beifall.  Es 
wurden  ausführliche  Verzeichnisse  von  IMineralien  und 
anderen  Artikeln  aufgestellt,  deren  Export  man  ins  Auge 
fafste:  Zinn,  Kupfer,  Blei,  Serpentin,  Wolle,  Hanf,  Flachs. 
Ein  anderes  Projekt  war  die  Anfertigung  von  Geschützen 
und  von  Materialien  für  die  Erbauung  französischer 
Kriegsschiffe:  Modelle  solcher  Schiffe,  die  in  Sachsen  zu- 
sammengestellt Avaren,  wurden  dem  König  ül)ersandt, 
der  sich  sehr  anerkennend  darüber  aussprach.  Als  die 
ersten  Versuche  der  Fabrikation  des  Weilsblechs  in  einem 
Hüttenwerke  zu  Beaumont  nicht  recht  gelingen  wollten, 
bemühte  sich  Colbert  um  die  Anwerbung  von  Bergleuten 
aus  dem  Vogtlande;  doch  verdient  bemerkt  zu  werden, 
dafs  die  Arbeiter  keine  Neigung  zur  Auswanderung  nach 
Frankreich  hatten,  weil  sie  die  schimpf  liehe  Nachrede 
ihrer  Standesgenossen  fürchteten.  Alle  diese  Pläne  aber 
gerieten  ins  Stocken,  als  der  Angriff'  Ludwig  XIV.  auf 
die  spanischen  Niederlande  die  europäische  Staatenwelt 
von  neuem  in  Unruhe  versetzte. 

Die  leichtfertige  Art,  mit  der  Ludwig,  gestützt  auf 
die  höchst  zweifelhaften  Erbansprüche  seiner  Gemahlin, 
den  Devolutionskrieg  anzettelte,  war  sehr  darnach  augc- 
tlian,  dem  sächsischen  Kabinott  die  Gefährlichkeit  der 
französischen  Verbindung  zu  Gemüte  zu  führen.  Wenn 
man  trotzdem  einen  Augenblick  schwankte,  so  lag  das 
hauptsächlich  darin,  dals  man  sich  zunächst  vergewissoin 
wollte,  welche  Aufnahme  der  Vorschlag  des  Königs,  über 
eine  Teilung  der  künftigen  Erl)schaft  Spaniens  bei  (Jstcr- 

Neucs  Archiv  f.  S.  (1.  ii.    \.    \I.  1.  2.  9 


130  I*aul  Hassel: 

reich  finden  würde.  Man  trug  sich  mit  dem  Plan,  im 
Fall  einer  Verständigung  der  beiden  Mächte  die  Mitwir- 
kung eines  sächsischen  Truppenkorps  anzubieten  und  da- 
für als  Gegenpreis  die  Bestätigung  der  alten  Ansprüche 
auf  Friesland  aus  den  Zeiten  der  Herzöge  Albrecht  und 
Georg  zu  verlangen  (S.  246).  Als  dann  aber  die  raschen 
Siege  der  Franzosen,  die  Unterwerfung  der  Festungen 
in  Flandern ,  der  Kriegspartei  in  Wien  die  Oberhand 
verschafften,  erwachte  auch  in  dem  Kurfürsten  das  Be- 
wulstsein,  dafs  man  der  französischen  Eroberungspolitik, 
die  das  Gleichgewicht  der  festländischen  Staaten  zu.  zer- 
stören drohte,  Einhalt  thun  müsse.  Nach  der  Über- 
wältigung der  spanischen  Niederlande,  sagte  Johann  Georg 
einmal  zu  dem  französischen  Gesandten  Chassau,  der  seit  Fe- 
bruar 1667  in  Dresden  residierte,  würde  die  holländische  Re- 
publik und  dann  das  deutsche  Reich  von  demselben  Lose  be- 
troffen w^erden ;  den  Kurfürsten  bliebe  dann  nichts  übrig,  als 
Marschälle  des  Königs  von  Frankreich  zu  w^erden  (S.  282). 

Der  Systemwechsel  der  sächsischen  Politik  führte 
zunächst  zu  einer  Annäherung  an  Brandenburg.  In 
den  ersten  Tagen  des  September  1667  trafen  die  beiden 
Kurfürsten  in  dem  Kloster  Zinna  zusammen  und  fafsten 
dort  den  Beschluls,  in  Gemeinschaft  mit  anderen  deut- 
schen Fürsten  eine  „dritte  Partie"  im  Reiche  zu  bil- 
den, deren  Aufgabe  es  sein  sollte,  durch  eine  Friedens- 
vermittelung bei  Spanien  und  Frankreich  weiterem  Un- 
heil zu  steuern.  Aber  man  begnügte  sich  damit  nicht. 
Man  falste  die  Möglichkeit  eines  Milserfolges  der  Inter- 
vention ins  Auge  und  behielt  sich  vor,  zur  Wahrung  der 
Integrität  des  Reiches ,  ein  Bündnis  zu  errichten ,  dem 
der  Kaiser,  Schweden,  die  Herzöge  von  Braunschweig 
und  andere  Stände  beitreten  sollten:  ein  Gedanke,  der 
wenige  Monate  später  durch  die  Triple -Allianz  in  noch 
umfassenderer  Weise  verwirklicht  wurde. 

Der  Verfasser  teilt  aus  dem  Pariser  Archive  den 
französischen  Text  der  Verabredungen  von  Zinna  mit 
(S.  286);  aber  er  irrt  in  der  x\ngabe,  dals  das  deutsche 
Original  sich  in  den  sächsischen  Akten  nicht  vorfinde.  Das- 
Hauptstaatsarchiv  besitzt  die  Konvention  in  der  Ausferti- 
gung der  beiden  Kurfürsten,  in  aller  Form  mit  den  eigen- 
händigen Unterschriften  und  Siegeln  derselben  versehen'*). 

'')  Die  Urkunde  findet  sich  in  der  Aktengrnppe :  Zusammen- 
künfte, in  der  III,  A1)tlieiluug  des  Hauptstaatsarchivs,  III.  139,  10, 
Nr.  38'',  fol.  6. 


Ziu-  Politik  Sachsens  1648—1680.  ]3l 

Immerhin  ist  es  das  Verdienst  Anerhaclis,  den  Inlialt  der 
Konvention  zuerst  veröffentlicht  zu  haben,  wie  er  denn 
überhaupt  in  der  Lage  war,  für  die  diplomatischen  Unter- 
handlungen, die  sich  an  die  Kriege  Ijudwig  XIV.  an- 
schlielsen,  einen  bei  weitem  umfangreicheren  Quellenstoff 
zu  Rate  zu  ziehen,  als  sein  Ijerühmter  Landsmann 
Mignet  in  dem  viel  benutzten  Buche  über  die  spanische 
Erbfolge.  Aulser  den  Depeschen  Chassans,  die  in  ununter- 
brochener Reihenfolge  die  Verhältnisse  des  Dresdner 
Hofes  von  IG67  bis  1674  schildern,  gewährten  die  Berichte 
der  französischen  Gesandten  in  Wien  und  Berlin,  Gremon- 
ville  und  Milet,  eine  Fülle  von  neuen  Gesichtspunkten 
über  die  Haltung  der  deutschen  Mächte  beim  Beginn 
jenes  Zeitalters,  dessen  Name  von  den  Kriegen  Lud- 
mgs XIV.  entlehnt  ist. 

An  die  ausführliche  Darstellung  der  Begegnung  von 
Zinna  (S.  264—293)  reihen  sich  die  Verhandlungen  des 
Kongresses  von  Köln  a.  Rh.,  auf  welchem  die  Gesandten 
der  deutschen  Fürsten  versammelt  waren,  um  die  beab- 
sichtigte Friedensvermittelung  in  die  Wege  zu  leiten 
(S.  297—318).  Der  Kongreis  entschied  sich  für  eine 
Gesandtschaft  nach  Paris,  an  der  auch  Sachsen  durch 
zwei  Abgeordnete,  den  Geheimen  Rat  Nikol  von  Gersdorf 
und  den  Hofmarschall  von  Kanne,  beteiligt  war.  Die 
Deputation  fand,  als  sie  am  13.  Februar  1668  in  der 
französischen  Hauptstadt  eintraf  (S.  311),  die  Sachlage 
wesentlich  verändert.  Am  19.  Januar  1668  hatten  Öster- 
reich und  Frankrcüch  den  geheimen  Vertrag  über  die 
künftige  Teilung  der  spanischen  Herrschaft  vereinbart, 
der  erst  vor  wenigen  Jahrzehnten  ans  Tiiclit  gekommen 
ist,  und  in  denselben  Tagen  einigten  sich  im  Haag  die 
drei  Mächte  Holland,  England  und  Schweden  zu  einer 
bewaffneten  Intervention,  deren  erster  Eindruck  mächtig 
genug  war,  um  den  Erobonnigsplänen  Frankreichs  Schran- 
ken zu  setzen.  Am  2.  Mai  w  urde  der  Aachener  Frieden 
geschlossen. 

Allein  niemand  glaubte  an  einen  langen  Bestand  der 
Triple-Allianz.  Das  Milstrauen  der  europäischen  Staats- 
mächte war  einmal  erweckt;  auf  allen  Seiten  beeile rte 
man  sich,  Sicherheitsmafsregeln  gegen  einen  neuen  An- 
griff Frankreichs  zu  treffen.  Auch  der  sächsische  Hof 
blieb  nicht  untliätig.  Am  30.  November  1668  unteizeicli- 
nete  der  Herzog  .Johann  Adolf  von  Holstein  iin  Auftr.ige 
des  Kurlürsten  ein  Verteidigungsbündnis   mit  Österreich, 


132  Taul  Hassel: 

das  die  Franzosen  als  Echo  des  Dreibundes  bezeiclmeten 
(S.  333). 

In  der  Tliat  richteten  sowohl  Schweden  als  England 
Aufforderungen  zum  Eintritt  in  den  Dreibund  an  Johann 
Georg.  Die  Verleihung  des  Hosenbandordens,  den  Che- 
valier Huygens  am  13.  April  1669  dem  Kurfürsten  ül)er- 
reichte,  steht  hiermit  in  Zusammenhang  (S.  339).  Als 
dann  durch  die  Überwältigung  Lothringens,  Juni  1670, 
der  Lehnsverband  des  alten  Herzogtums  mit  dem  Keiche 
vollends  zerrissen  und  den  Franzosen  eine  neue  Angrifis- 
linie  gegen  den  Oberrhein  eröifnet  wurde,  erhob  die 
deutsche  Publizistik,  unter  dem  Vorgang  von  Leibnitz, 
nicht  umsonst  ihre  warnende  Stimme:  eine  Anzahl  von 
deutschen  Fürsten,  darunter  auch  Kursachsen,  verband 
sich  im  Oktober  1671  zu  emer  Liga,  deren  Zweck  die 
Verteidigung  des  Reiches  war  (S.  358). 

Aber  noch  einmal  gelang  es  der  französischen  Diplo- 
matie, die  Koalition  der  Mächte  zu  sprengen.  England  und 
Schweden  standen  auf  der  Seite  Frankreichs,  als  Lud- 
wig XIV.  im  Frühjahr  1672  den  Eachekrieg  gegen 
Holland  begann.  In  Wien  schürte  die  Jesuitenpartei, 
die  soviel  Unheil  über  die  Regierung  Leopold  I.  gebracht 
hat,  den  Hals  gegen  die  protestantische  Haudelsrepublik : 
der  Kaiser  schlols  einen  Neutralitätsvertrag,  in  welchem 
freilich  die  Unverletzbarkeit  der  deutschen  Grenzen  zur 
Bedingung  gemacht  war.  Bei  einem  Besuch,  den  Joliann 
Georg  II.  am  24.  März  1672  in  Potsdam  abstattete, 
suchte  Friedrich  AVilhelm  von  Brandenburg  seinen  Mit- 
kurfürsten zu  überzeugen,  dals  die  Bundesgenossenschaft 
mit  Holland  das  einzige  Mittel  sei,  um  dem  Übergewicht 
Frankreichs  vorzubeugen  (S.  367).  Johann  Georg  ver- 
kannte die  Gefahren,  die  dem  europäischen  Staatensj^stem 
drohten,  keineswegs,  aber  er  hielt  an  der  Meinung  fest, 
dals  ohne  die  Teilnahme  der  grolsen  Staatsmächte  der 
Kampf  aussichtslos  sei.  Dagegen  war  er  sehr  geneigt, 
die  Politik  Österreichs  zu  unterstützen,  die,  Avie  bemerkt, 
die  Aufrechthaltung  der  Neutralität  des  Reichs  nicht  aus 
dem  Auge  verlor.  Am  28.  August  1672  trafen  beide 
Staaten  eine  Übereinkunft,  welche  die  Garantie  des 
westfälischen  und  des  Aachener  Friedens  zum  Gegen- 
stand hatte  (S.  372)  und  durch  welche  Sachsen  sich 
verpflichtete,  ein  Truppenkorps  von  3000  Mann  zur  gegen- 
seitigen Verteidigung  auszurüsten.  Das  Vorrücken  der 
Armee    Türennes    gegen    den    Niederrhein   bewies,    dals 


Ziu'  Politik  Sachsens  1648—1680.  133 

Frankreicli  nicht  länger  gewillt  sei,  auf  die  Neutralität 
des  Reiches  Rücksicht  zu  nehmen.  Während  ein  öster- 
reichisches Heer  von  24000  Mann  unter  Montecuculi  sich 
mit  den  Brandenhurgern  im  westfälischen  Kreise  ver- 
einigte, Schlots  Johann  Georg  mit  dem  Kaiser  am 
1.  März  1673  (nicht  am  8.  März,  wie  S.  386  zu  lesen 
ist)  einen  zweiten  A^ertrag,  der  die  Mitwirkung  Sachsens 
in  Aussicht  stellte,  falls  bis  Ende  Mai  nicht  ein  all- 
seitiger Friedensschluls  zu  stände  gekommen  wäre. 

Der  Rheinfeldzug  nahm,  wie  Ijekannt,  einen  sehr 
unglücklichen  Verlauf  für  die  deutschen  Verbündeten. 
Von  der  llberlegenheit  der  Franzosen  in  seinen  eigenen 
Staaten  bedroht,  sah  Brandenburg  sich  zu  dem  Separat- 
frieden von  Vossem  gezwungen  (6.  Juni) :  die  Österreicher 
traten  den  Rückzug  an.  xlber  auch  der  Widerstand  der 
übrigen  Mächte  regte  sich  aufs  neue.  Spanien,  Lothringen 
und  der  Kaiser  traten  im  August  1673  zu  einem  AVa.ffen- 
bündnis  zusammen.  Ein  wohlgerüstetes  österreichisches 
Heer  versammelte  sich  bei  Eger,  wo  am  20.  August  auch 
Johann  Georg  erschien,  um  sein  Kontingent  den  kaiser- 
lichen Fahnen  zuzuführen.  Kaum  nach  Dresden  zurück- 
gekehrt, sah  der  Kurfürst  sich  von  dem  Wettstreit  der 
Gesandten  Frankreichs  und  Schwedens  umringt,    die  ihn 


*o' 


der  Koalition   abwendig   machen    wollten.    Aber  Johann 


'o 


Georg  zeigte  diesmal  mehr  Festigkeit  als  sonst:  die 
langatmigen  Vorstellungen  Ohassans  fertigte  er  mit  dem 
Bescheide  ab,  dals  er  keines  Lehrmeisters  bedürfe: 
..qu'ü  navait  pas  bcsoin  de  pröceptenr"  TS.  391). 

Der  Anteil  der  sächsischen  Truppen  an  der  Rhein- 
kanipagne  von  1674  ist  so  oft  dargestellt  worden,  dals 
wir  hier  nicht  darauf  zurückzukommen  br^iuchen  Nach- 
dem die  Sachsen  am  15.  März  den  Rhein  überschritten, 
und  gleich  in  dem  ersten  Gefecht  bei  Maudach  unweit 
Frankenthal,  am  24.  März,  Proben  ilirer  oft  bewährten 
Tapferkeit  abgelegt  hatten,  sah  Ludwig  XIV.  (ün,  dals 
die  Position  am  Dresdner  Hofe  einstweilen  aufgegeben 
werden  müsse.  Am  14.  Apiil  wurde  Chassan  abl)erufen 
(S.  3.57). 

Die  Gründe,  die  den  Eifer  Sachsens  für  den  Reiclis- 
krieg  gleich  nach  den  ersten  Waftengängen  erkalten 
liefsen,  sind  schon  von  Heibig  angedeutet  worden.  Dii; 
Uneinigkeit  in  der  obersten  Heeresführung  bereitete  den 
vereinigten  Truppen  trotz  der  Teilnahme  Brandcnbui-gs 
neue  Niederlageu.    Dazu   kam   die  Gefalir   eines   feind- 


134  I*aul  Hassel: 

liehen  Aiigriffs,  von  dem  Obersaclisen  bedroht  wurde, 
seitdem  im  Dezember  1674  die  schwedische  Armee  unter 
dem  Generalfeldherrn  Wrangel  aus  Vorpommern  in  die 
Mark  Brandenburg  eingerückt  war.  Die  geheimen  Ver- 
handlungen zwischen  Frankreich  und  Schweden,  die  zu 
dieser  Diversion  führten,  habe  ich  an  anderer  Stelle,  hi 
der  „Festschrift  zum  zweihundertjährigen  Gedenktage 
der  Schlacht  von  Fehrbellin"  (Berlin  1875)  eingehender 
behandelt:  der  Grundgedanke  der  Intrigue  war,  durch 
einen  Gewaltstreich  gegen  Brandenburg  den  Kurfürsten 
Friedrich  Wilhelm  zum  Abfall  von  der  Koalition  zu  be- 
wegen. Aulserdera  rechnete  Ludwig  XIV.  darauf,  dals 
die  Drangsale,  welche  die  Mark  durch  die  schwedische 
Okkupation  zu  erdulden  hatte,  für  die  übrigen  Fürsten 
Norddeutschlands  eine  Warnung  sein  und  ihnen  vollends 
alle  Lust  an  der  Fortsetzung  des  Reichskrieges  benehmen 
werde.  Auf  die  Nachricht  von  dem  Vorrücken  der 
Schweden  entsandte  Johann  Georg  IL  am  7.  Februar  1675 
den  Kammerherrn  und  Hofrat  Friedrich  von  Kospoth 
in  das  brandenburgische  Hauptquartier,  das  in  Schwein- 
furt stand,  und  riet  dem  Kurfürsten  zu  einem  Vergleich 
mit  Schweden  (S.  419).  Der  hergebrachten  Auffassung 
folgend,  sieht  Auerbach  hierin  den  Beweis  der  Eifersucht, 
die  man  der  wachsenden  Macht  Brandenburgs  gegenüber  am 
Dresdner  Hofe  empfunden  habe.  Allein  bei  unparteiischer 
Erwägung  der  Dinge  wird  das  Urteil  doch  dahin  aus- 
fallen müssen,  dals  eine  andere  Haltung  Sachsens  im  da- 
maligen Augenblick  kaum  möglich  war.  Die  eigene 
Truppenmacht  des  Kurfürsten  befand  sich  mit  dem  Kon- 
tingent des  obersächsischen  Kreises  in  weit  entlegenen 
Winterquartieren:  jede  feindliche  Demonstration  würde 
einen  hoffnungslosen  Kampf  mit  der  überlegenen  Kiiegs- 
macht  der  Schweden  zur  Folge  gehabt  haben.  Dies  Avar 
nicht  nur  die  einstimmige  Ansicht  des  obersächsischen 
Kreises,  der  auf  einer  Versammlung  in  Leipzig  am 
5.  März  1675  in  aller  Form  dem  Kurfürsten  Johann  Georg 
die  Vermittelung  bei  Schweden  und  Brandenburg  übertrug, 
sondern  auch  der  Kaiser  sprach  sich  für  die  diplomatische 
Intervention  Sachsens  aus.  Man  wufi^te  in  Wien  von  der 
Sendung  Kospoths  und  billigte  sie  vollkommen,  weil  man 
dort  nichts  sehnlicher  wünschte,  als  den  Ausbruch  der 
Feindseligkeiten  zwischen  beiden  Mäcliten  zu  verhüten. 
Der  glänzende  Sieg,  den  Friedrich  Wilhelm  am  18.  Juni 
1675  über  die  SchAveden  erfocht,  kam  der  Friedenspartei 


Zur  Politik  Sachsens  1648-1680.  135 

höchst  unerwartet,  denn  niemand  hatte  geglaubt,  dais  der 
Brandenburger    mit    seinen  wenigen  Tausend  Mann  dem 
dreimal    stärkeren    Gegner  werde    standhalten   können. 
Unter  dem  Eindruck  der  gewonnenen  Schlacht  ermannte 
sich  der  Reichstag  von  Regensburg  am  18.  Juli  1675  zu 
einer    Kriegserklärung   gegen   Karl  XI.   von  Schweden. 
Um  so  eifriger  waren  die  Emissäre  des  Königs,   welche 
das  Reich  überschwemmten,  darauf  bedacht,  die  Verbin- 
dung  mit   denjenigen  Fürsten  festzuhalten,   welche   sich 
bereit   zeigten,   für   die  rasche  Beendigung  des  Krieges 
zu    wirken.    Als    Johann  Georg    Ende    August    seinem 
Bruder  August,  dem  xldministrator  von  Magdeburg,  einen 
Besuch  in  Halle  abstattete,   stellte  sich  der  Gouverneur 
von  Bremen,  Esaias  Pufendorf ,  mit  einem  Handschreiben 
seines  Souveräns   ein  und  bat  unter  eindringlichen  Vor- 
stellungen um  Fortsetzung  der  Friedensvermittelung  bei 
Brandenburg  (S.  423).     Johann  Georg  gerieth  hierdurch 
in  eine  eigentümliche  Lage.    Infolge  des  Reichsbeschlusses 
hatte  er  sich,  obwohl  widerstrebend  und  erst  auf  wieder- 
holte Aufforderungen  Leopolds  I.,  damit  einverstanden  er- 
klärt,   zwei   seiner  Regimenter,   die  Dragoner  des  Frei- 
herrn  von   Maltzahn   und   die   Musketiere   des  Freiherrn 
von  Degenfeld,  500  Reiter  und  1000  Mann  zu  Fuls,  zu  dem 
österreichischen  Truppenkorps  stofsen  zu  lassen,  welches 
unter  dem  General  Cob  mit  dem  Grolsen  Kurfürsten  in 
dem  Gebiete  zwischen  Oder  und  Weser  gegen  die  Schweden 
operieren  sollte.     Die  Musterung   dieser  Truppen  konnte 
jedoch  erst  im  September  erfolgen,    und  aufserdem  hatte 
der  Kurfürst,   um  den  Schein  einer  direkten  Beteiligung 
an    dem  Kriege    zu   vermeiden,    die  Bedingung    gestellt, 
dals   jene    beiden  Regimenter  in   Dienst   und   Sold   des 
Kaisers    übergingen.     Der   Antrag  Pufendorfs    fand   bei 
Johann  Georg   günstige  Aufnahme;   aber  unter  den  Mit- 
gliedern   des  Geheimen  Rates   machte    sich   eine    andere 
Anschauung  geltend.    Der  Vorsitzende  dieser  obersten  Be- 
hörde, Freiherr  Heinrich  von  Friesen  auf  Rötha,  der  von 
A  nfang  an  ein  Widersacher  der  Bündnisse  mit  den  fremden 
Mächten  gewesen  war,  wies  in  einer  Denkschrift  darauf 
hin,  dals  man  zunächst  die  Ansicht  des  Kaisers  einholen 
müsse,  ehe  man  sich  auf  die  Vermittlerrolle  einlasse.  Sein 
Ratschlag  drang  durch:    am  24.  September  wurde  Nikol 
von  Gersdorf   nach  Wien    geschickt.     Hier   aber   hatten 
die  militärischen  und  politischen  Gesichtspunkte  seit  dem 
Frühjahr  einen  Umschwung  erfahren.    Durch   die  glück- 


136  Pfi^^l  Hassel: 

liehen  Gefechte  bei  Salsbach,  27.  Juli  1675,  wo  Tureniie 
seinem  Schicksale  erlag' ,  und  an  der  Konzer  Brücke, 
11.  August,  wo  Marschall  Crequi  in  die  Gefangenschaft 
des  alten  Lothringers  fiel,  waren  die  Siegeshoffnungen 
der  Verbündeten  neu  belebt  worden.  Leopold  I.  trug 
Bedenken,  den  Separatverhandlnngen  Sachsens  freien 
Spielraum  zu  gewähren;  er  betrachtete  die  Auseinander- 
setzung zwischen  Brandenburg  und  Schweden  als  eine 
Frage,  die  nur  in  Verbindung  mit  den  Festsetzungen  des 
allgemeinen  Friedens,  also  vor  dem  Forum  des  künftigen 
Kongresses,  entschieden  werden  könne. 

Ein  Ereignis  von  rein  lokaler  Bedeutung,  das  in 
dem  grolsen  Zusammenhang  der  kriegerischen  Begeben- 
heiten kaum  bemerkt  worden  ist,  bewirkte  schlielslich, 
dals  das  sächsische  Kabinett,  trotz  des  Bescheides  aus 
Wien,  mit  vollen  Segeln  auf  die  Begründung  einer  neu- 
tralen Mittelpartei  oder,  wie  man  damals  sagte,  einer 
„dritten  Partei"  im  Reiche,  lossteuerte.  AVährend  der 
Winterruhe  von  1675  auf  76  hatten  brandenburgische 
Truppen  sich  mehrere  Grenzverletzungen  in  dem  sächsi- 
schen Territorium  und  im  Erzstifte  Magdeburg  zu  Schul- 
den kommen  lassen.  Johann  Georg  sah  hierin  eine  Ver- 
gewaltigung seines  Staates  und  seines  Hauses.  Von  der 
Albrechtsburg  in  Meifsen  aus,  wo  er  sich  gerade  aufhielt, 
richtete  er  am  17.  Januar  1676  ein  eigenhändiges 
Schreiben  an  den  Geheimen  Rat,  in  welchem  er  seinem 
Unmut  energischen  Ausdruck  gab  und  die  Absicht  an- 
kündigte, ernste  Maisregeln  gegen  derartige  Verletzungen 
der  Reichsverfassung  zu  ergreifen.  Schon  seit  längerer  Zeit 
stand  man  in  lebhaftem  Schriftwechsel  mit  dem  Kurfürsten 
Ferdinand  Maria  von  Bayern,  der  dem  Gedanken  einer 
Vereinigung  der  Mittelstaaten  zur  Aufrechterlialtung  der 
Neutralität  in  dem  allgemeinen  Kampf  der  europäischen 
Mächte  zuerst  Ausdruck  gegeben  hatte.  Bisher  waren 
die  bayerischen  Vorschläge,  bei  deren  Übermittelung  der 
schwedische  Gesandte  Pufendorf  den  Unterhändler  spielte, 
sächsischerseits  ziendich  kühl  aufgenommen  worden ;  jetzt 
aber  reifte  der  Entschluls,  zu  weiteren  Abmachungen  mit 
Bayern  zu  schreiten. 

Die  unmittelbare  Folge  davon  war,  dals  auf  dem 
Umwege  über  München  die  Beziehungen  zwischen  Sachsen 
und  Frankreich  wieder  angeknüpft  wurden.  Wie  sich 
denken  läist,  war  Ludwig  XIV.  sehr  geneigt,  die  selb- 
ständigen Regungen  der  deutschen  Mittelpartei  zu  unter- 


Zur  Politik  Sachsens  1648-1680.  137 

stützen,  soweit  sein  Vorteil  mit  dem  ihrigen  Hand  in 
Hand  ging  (S.  425).  Der  Vertreter  des  Königs  in  Mün- 
chen, de  la  Haye  Vantelet "),  war  beauftragt,  auf  eine 
Verständigung  mit  Bayern  und  Sachsen  hinzuarbeiten, 
bei  der  zu  gleicher  Zeit  auch  die  Interessen  Schwedens 
mit  berücksichtigt  werden  sollten.  Die  Berichte  dieses 
Gesandten  haben  Auerbach  vorgelegen:  sie  gewähren 
einen  vollständigeren  Einblick  in  die  sächsisch-bayerischen 
Verhandlungen,  als  ihn  Heibig  zu  geben  vermochte,  der 
nur  die  Quellen  des  Hauptstaatsarchivs,  und  auch  diese 
nur  fragmentarisch,  benutzt  hat.  Von  besonderem  Inter- 
esse ist  es,  zu  erfahren,  dafs  die  Bedingungen  über  den 
Abschluls  ehies  französischen  Bündnisses  mit  Sachsen, 
die  Heibig  (v.  AVebers  xlrchiv  I,  304)  mitteilt,  der  eigenen 
Initiative  Ludwig  XIV.  entstammen:  sie  wurden  mit 
einem  Memoire  vom  20.  Februar  1677  dem  baj^erischen 
Agenten  in  Paris  zur  Weiterbeförderung  übergeben  (S.436). 
Das  Wesentliche  der  Forderungen  war,  dals  Sachsen  sich 
verpflichten  sollte,  seine  Truppen  von  den  Heeren  der 
Feinde  Frankreichs  und  Schwedens  zurückzuziehen,  die 
strengste  Neutralität  zu  beobachten  und  im  Verein  mit 
Bayern  für  die  Wiederherstellung  des  Friedens  zu  wirken. 
Natürlich  sah  man  ein,  dals  es  zur  Aufrechterhaltung 
der  Neutralität  einer  Heeresmacht  bedürfe;  für  den 
Unterhalt  derselben  wollte  Frankreich  mit  seinen  Hilfs- 
geldern einstehen,  sobald  das  Bündnis  zwischen  Bayern 
und  Sachsen  zustande  gekommen  sein  würde. 

Wir  übergehen  die  langwierigen,  weit  ausgesponnenen 
Verhandlungen,  die  endlich  am  1.  Mai  1678  zur  Verein- 
barung der  sächsisch-bayerischen  Union  führten  (S.  444). 
In  dem  Hauptvertrag  vereinigten  sich  die  beiden  Staaten, 
auf  den  Reichskonventen  ihren  Einflufs  dahin  geltend 
zu  machen,  dafs  fortan  das  deutsche  Reich  von  allen 
fremden  Händeln  eximiert  bleibe.  Sie  wollten  niemandem 
Durchzug  oder  Einquartierung  in  ihren  Gebieten  gestatt(!n 
und  zum  Zwecke  der  Behauptung  ihrer  Neutralität  ein 
Heer  von  20000  Mann  in  Bereitschaft  halten.  Da  im 
übrigen  die  Allianz  „zu  keines  Menschen  Oflfension  ge- 
reichen sollte",  wurde  sowohl  dem  Kaiser  als  den  benach- 
barten Fürsten,  namentlich  denen  in  Ober-  und  Nieder- 


")  Eine  Instruction  iTii'  ihn  aus  dem  Februar  1675  bringt  der 
von  Andre  Lebon  benmsi^eycbcin!  YIl.  Band  des  Recueil  des  in- 
structious  etc.  (l'aris  1889)  S.  41  Üg. 


138  Paul  Hassel: 

Sachsen,  der  Beitritt  zu  dem  Bündnis  vorbehalten.  Bis 
hiei'her  trug  die  Übereinkunft  einen  rein  defensiven 
Charakter;  in  den  geheimen  Artikeln  dagegen,  die  in 
einen  Nebenvertrag  verwiesen  waren,  treten  doch  noch 
ganz  andere  Tendenzen  hervor.  Wenn  trotz  alles  an- 
gewandten Fleilses  —  so  heilst  es  hier  —  die  fried- 
liche Beilegung  des  Krieges  nicht  zu  erreichen  sei,  die 
vorher  einzuleitende  Vermittelung  ohne  Erfolg  bleiben 
sollte,  so  seien  die  verbündeten  Mächte  gewillt,  die 
Waffen  zu  ergreifen,  um  die  Widerstrebenden  „zu  einem 
anständigen  Frieden  zu  bringen". 

Es  versteht  sich  von  selbst,  dals  ein  Eingreifen  in 
die  kriegerische  Aktion,  wie  sie  hier  als  Möglichkeit  hin- 
gestellt wurde,  nur  denkbar  war  unter  der  Voraussetzung 
thatkräftiger  Unterstützung  von  selten  der  fremden 
Mächte.  Johann  Georg  hatte  bei  dem  Abschlufs  mit 
Bayern  geradezu  den  Vorbehalt  gemacht,  dals  er  nicht 
eher  zur  Ausrüstung  seines  Hilfskorps  schreiten  werde, 
als  bis  er  von  Frankreich  ein  endgiltiges  Versprechen 
über  die  Subsidien  erhalten  habe.  Hiermit  hängt  auf 
das  Engste  zusammen,  dals  die  Intervention  der  deutschen 
Mittelstaaten  jede  Bedeutung  verlieren  mulste,  sobald 
die  allgemeinen  Verhältnisse  Europas  eine  Wendung 
nahmen,  die  ihre  Mitwirkung  entbehrlich  machte.  Und 
dieser  Fall  trat  ein,  gerade  in  dem  Augenblick,  da  die 
Übereinkunft  zwischen  Sachsen  und  Bayern  ins  Reine 
gebracht  worden  war.  Unter  Vermittelung  Karl  II.  von 
England  liels  die  holländische  Republik  sich  herbei,  dem 
französischen  Kabinett  mit  Friedensanerbietungen  zu  nahen. 
Ludwig  XIV.  ging  darauf  ein,  in  der  festen  Zuversicht, 
dals  sein  dem  Kongreis  von  Nymwegen  gestelltes  Ulti- 
matum nicht  nur  bei  den  Gleneralstaaten  Annahme  finden, 
sondern  dals  auch  die  übrigen  Mitglieder  der  Koalition 
sich  beeilen  würden,  dem  Beispiel  Hollands  zu  folgen. 
Nachdem  die  Dinge  einmal  so  weit  gediehen  waren, 
glaubte  er  des  Beistandes  der  deutschen  Fürsten  ent- 
raten  zu  können,  zumal  die  bisherigen  Erfahrungen  ihn 
hinreichend  darüber  belehrt  hatten,.,  dals  von  dieser  Seite 
ein  energisches  Auftreten  gegen  Österreich  nimmermehr 
zu  erwarten  sei.  Johann  Georg  hat  sich  darüber  klar 
und  bündig  ausgesprochen  in  einer  eigenhändigen  Nieder- 
schrift, die  er  am  12.  April  1678  in  dem  Schlosse  Freuden- 
stein bei  Freiberg  verfalste,  und  die  man  in  der  religiösen 
Feierlichkeit,  mit  der  sie  die  Gedanken  des  Kurfürsten 


Zur  Politik  Sachsens  1648—1680.  139 

vorträgt,  wohl  als  sein  politisches  Glaiibensbekenntiiis 
hezeiclmen  darf.  Er  bekennt  sich  darin  zn  dem  Eiit- 
schluls,  seine  Staaten  und  die  seiner  Brüder  vor  jeder 
Gewaltthat  zu  schützen;  aber  er  erklärt  ebenso  bestimmt, 
dals  er  als  getreuer  Kurfürst  niemals  dem  Kaiser  mit 
offenem  Widerstände  entgegentreten  werde  (Auerbach 
S.  442.  Heibig  I,  307).  Alle  Anzeichen  sprechen  dafür, 
dals  dem  österreichischen  Gesandten  in  Dresden,  Otto 
Abt  zu  Banz,  von  dieser  fürstlichen  Meinungsäulserung 
Kenntnis  gegeben  wurde. 

Unter  diesen  Umständen  ist  es  sehr  begreiflich,  dals 
der  sächsische  Bevollmächtigte,  Geheimer  Sekretär 
Christoph  Daniel  Findekeller,  der  nach  Paris  abgefertigt 
worden  war,  um  in  direkter  Verhandlung  mit  dem  fran- 
zösischen Kabinett  die  Frage  der  Hilfsgelder  zu  erledigen, 
unverrichteter  Sache  zurückkehrte  (S.  447).  In  den  Tagen, 
in  denen  ihm  seine  Eekreditive  ausgehändigt  wurden, 
12.  September  1678,  vereinbarte  auch  die  spanische  Re- 
gierung den  Frieden  mit  Ludwig  XIV. 

Es  wäre  zuviel  gesagt,  wenn  man  beliaupten  wollte, 
dals  die  Bestrebungen  Sachsens  und  Bayerns,  denen  sich 
liald  noch  andere  Reichsstände ,  wie  Kurpfalz  und  die 
welüschen  Fürsten,  anschlössen,  für  den  Beitritt  Öster- 
reichs zu  den  Traktaten  von  Nymwegen  den  Ausschlag 
gegeben  hätten.  Aber  ohne  Eintluis  auf  die  Entscheidung 
des  AViener  Hofes  blieben  sie  nicht.  Das  Drängen  der 
Friedenspartei  bot  dem  Kaiser  einen  erwünschten  Vor- 
wand, sich  aus  dem  Kriege  mit  Frankreich  und  Schweden 
herauszuziehen,  und  den  Hauptteil  der  moralischen  Schuld 
auf  die  Fürsten  des  Reiches  zu  Avälzen,  die  ihn  gezwungen 
hätten,  seine  bisherigen  Bundesgenossen,  Brandenburg  und 
Dänemark,  im  Stich  zu  lassen.  Johann  Georg  hatte  einen 
anderen  Ausgang  der  Dinge  weder  erwartet  noch  erstrebt. 
Es  war  lediglich  auf  seine  eigene  Initiative  zurückzu- 
führen, dals  im  Januar  1679  der  Geheime  Rat  Christian 
von  Kiengel  in  höchst  vertraulicher  Sendung  an  Leo])old  I. 
abgefertigt  wurde,  um  den  gleichzeitigen  Abschluls  des 
Friedens  mit  Frankreich  und  Schweden  dringend  zu  be- 
fürworten :  selbst  den  Geheimen  Räten  wurden  die 
Weisungen  Kiengels  erst  bekannt,  als  dieser  sich  bereits 
auf  dem  Wege  nach  Wien  befand. 

Es  zeigte  sich,  dals  ihre  Ansicht  von  der  ihres  Ge- 
bieters wesentlich  verschieden  war.  Der  sächsische  Hof 
kannte  die  Friedensforderungen  Frankreichs,  lange  bevor 


140  Paul  Hassel: 

die  Annalime  derselben  durch  Österreich  erfolgte.  Lud- 
wig XIV.  verlangte  die  Aufrechterhaltung  des  Status 
quo,  den  der  westfälische  Friede  geschaffen  hatte,  und 
infolgedessen  die  Wiederherstellung  der  schwedischen 
Macht  in  den  ihr  durch  die  Siege  des  Kurfürsten  von 
Brandenburg  entrissenen  Besitzungen  zwischen  Weser 
und  Oder.  Der  König  war  entschlossen,  die  Vollstreckung 
des  Friedens  selbst  in  die  Hand  zu  nehmen;  deshalb 
stellte  er  dem  Kaiser  das  höchst  gewaltthätige  Ansinnen, 
den  französischen  Truppen  freien  Pais  durch  das  Reich 
zu  bewilligen,  um  diejenigen  ßeichsstände,  die  sich  wider- 
setzen würden,  zur  Unterwerfung  unter  die  Friedens- 
gebote zu  zwingen.  Die  Gefahr,  welche  in  diesen  For- 
derungen lag,  entging  den  sächsischen  Räten  nicht.  Sie 
betrachteten  es  geradezu  als  eine  Sache  des  Gewissens, 
„in  schwerer  Pflicht,  Treue,  Devotion  und  Lie1)e",  dem 
Kurfürsten  vorzustellen,  wie  es  in  keinem  Falle  die  Auf- 
gabe seiner  diplomatischen  Vermittelung  sein  dürfe,  den 
Kaiser  zu  einem  einseitigen  Friedensschluls  mit  Frankreich 
und  SchAveden  zu  treiben,  bevor  nicht  dui'ch  eine  von  allen 
Seiten  anerkannte  Übereinkunft  auch  der  Konflikt  der 
Nordmächte  durch  einen  friedlichen  Vergleich  seine  Er- 
ledigung gefunden  habe.  Kein  Separatfriede,  sondern 
ein  allgemeiner  Friede,  der  jede  weitere  Exekution  aus- 
schlielst  —  das  ist  die  Losung  der  beiden  Denkschriften, 
welche  sie  im  Januar  1679  ihrem  Herrn  überreichten.  Die 
Räte  sind  weit  entfernt  davon,  die  Partei  Brandenburgs 
zu  ergreifen ;  die  Entschädigungsansprüche  Friedrich  Wil- 
helms, die  sich  bekanntlich  auf  die  Abtretung  Vorpommerns 
und  der  Odermündungen  mit  Stettin  erstreckten,  werden 
mit  keinem  Wort  erwähnt;  aber  sie  treten  ebensowenig 
für  die  unbedingte  Restitution  der  Krone  Schweden  ein, 
ihre  Meinung  ist  vielmehr,  dals  jede  der  kriegführenden 
Mächte  sich  zu  einigen  Zugeständnissen  herbeilassen 
müsse.  Den  Schlulspunkt  ihrer  Beweisführung  bildet  der 
Satz ,  dals  die  bewaffnete  Einmischung  Frankreichs  in 
den  Kampf  der  Nordmächte  das  grölste  Unheil  sei,  von 
dem  das  Reich  betroffen  werden  könne.  Denn  was  solle 
daraus  werden,  „wenn  ein  auswärtiger  siegreicher  Poten- 
tat das  völlige  arhitrium  belli  et  pacis  durch  ganz  Deutsch- 
land überkomme  und  seinen  Dominat  von  einem  Ende 
des  Reiches  bis  an  das  andere,  ja  bis  an  die  Ostsee  stabi- 
liere".  Es  deckt  sich  nicht  ganz  mit  den  politischen 
Anschauungen  des  siebzehnten  Jahrhunderts,  wenn  Auer- 


Zur  Politik  Sachsens  1648—1680.  141 

bach  bei  Besprechung-  der  Gutachten  des  Geheimen  Kates 
die  sächsischen  Staatsmänner  als  die  Vertreter  des 
nationalen  Gedankens  hinstellt  (dans  les  remontrances 
des  ministres  se  reflefaient  les  tendances  du  parti  natio7ial) 
(S.  456).  In  erster  Linie  war  es  ihnen  um  die  Sicher- 
heit des  eigenen  Staates  zu  thun,  die  ernstlich  gefährdet 
erschien,  wenn  durch  die  Verwirklichung  der  Pläne  Lud- 
wig XIV.  der  Schauplatz  des  Krieges  nach  Norddeutsch- 
land verlegt  wurde.  Immerhin  wird  man  anerkennen 
müssen,  dals  die  Eatschläge,  die  sie  von  ihrem  partiku- 
laren Standpunkt  aus  erteilten,  mit  den  allgemeinen  In- 
teressen des  Reiches  vollkommen  übereinstimmten.  Die 
freimütige  Sprache  der  Räte  blieb  nicht  ohne  Eindruck 
auf  den  Kurfürsten.  Mit  seiner  Genehmigung  wm-de  für 
den  Gesandten  in  Wien  eine  veränderte  Instruktion  im 
Sinne  der  vorgetragenen  Bedenken  ausgefertigt. 

Aber  schon  Avar  das  Unvermeidliche  geschehen.  Am 
5.  Februar  1679  hatte  der  Kaiser  seinen  Separatfrieden 
mit  Frankreich  und  Tags  darauf  auch  den  mit  Schweden 
geschlossen.  Die  Lösung  der  europäischen  Krisis  ist  all- 
bekannt: durch  das  Einrücken  französischer  Truppen  in 
die  Rhemisch -Westfälischen  Lande  sah  sich  der  Kurfürst 
von  Brandenburg  genötigt,  die  Waffen  aus  der  Hand  zu 
legen  und  die  Bedingungen  des  Kongresses  anzunehmen. 
Am  spätesten  unterwarf  sich  Dänemark.  Bei  den  diplo- 
matischen Auseinandersetzungen  zwischen  diesem  Staat 
und  Schweden,  aus  denen  der  Friedensschluls  von  Lund 
(26.  September  1679)  hervorging,  leistete  dem  französi- 
schen Unterhändler  Feuquieres  als  sächsischer  Bevoll- 
mächtigter Nikol  von  Gersdorf  ausdauernden  Beistand 
(S.  463). 

Bis  zum  letzten  Augenblick  also  blieb  Johann 
Georg  IL  seiner  Vermittlungspolitik  getreu;  aber  dals  sein 
Staat  davon  Vorteil  gehabt  habe,  wird  niemand  behaupten 
können.  Dafür,  dals  Sachsen  sich  noch  zuletzt  den  Dank 
Frankreichs  erwarb,  verlor  es  bei  seinem  nächsten  Nach- 
bar, Brandenburg,  viel  von  dem  alten  Vertrauen;  während 
es  die  Aufgabe  einer  einsichtsvollen  Politik  hätte  sein 
müssen,  in  Gemeinschaft  mit  der  emporkommenden  Mili- 
tärmacht des  brandenburgisch-preulsischen  Staates  wenig- 
stens die  norddeutsche  Volksgrenze  den  Eingriffen  der 
fremden  Mächte  zu  verschlielsen.  Die  Schonung,  die  man 
damals  den  Schweden  angedeihen  liefs,  hat  sich  in  den 
Kriegen  Karls  XII.  gerade   an  Sachsen   bitter  gerächt  ! 


142  Paul  Hassel: 

Für  den  Augenblick  aber  war  das  Schlimmste,  dals 
nach  sechsjährigem  Kampfe  ein  Frieden  geschlossen 
wurde,  der  das  Gl-efühl  der  Unsicherheit  nur  verschärfte. 
Die  dominierende  Stellung,  die  Frankreich  sowohl  durch 
das  Übergewicht  der  Waffen,  als  durch  die  Führung  des 
Kongresses  errungen  hatte,  brachte  den  deutschen  Fürsten 
die  Unzulänglichkeit  ihrer  Macht  erst  recht  zum  Bewulst- 
sein.  Von  allen  Seiten  beeilte  man  sich,  um  das  Bündnis 
Ludwigs  XIV.  zu  werben.  Am  14.  Juni  1679  erschien 
als  sächsischer  Vertreter  der  Kannnerherr  Hof-  und 
Justizrat  Georg  Dietrich  von  Wolframsdorf  in  Paris 
(S.  472).  Seine  Absendung  war  von  dem  Kurfürsten 
ohne  Zuziehung  der  Räte  verfügt  worden,  in  dem  Augen- 
blick, wo  die  französische  Armee  zum  Angriff  auf  die 
brandenburgischen  Gebiete  am  Rhein  vorging.  Johann 
Georg  glaubte  das  Zerwürfnis  der  beiden  Mächte  be- 
nutzen zu  düifen,  um  die  alten  niemals  aufgegebenen 
Ansprüche  des  Wettiner  Hauses  an  die  jülichsche  Erb- 
schaft bei  Frankreich  in  Erinnerung  zu  brmgen.  Auch 
in  der  Angelegenheit  des  Erzbistums  Magdeburg,  dessen 
Übergang  an  Brandenburg  nach  dem  Absterben  des 
jetzigen  Administrators  der  westfälische  Friede  bestimmt 
hatte,  bat  der  Kurfürst  um  die  guten  Dienste  des  Königs : 
er  hoffte  noch  immer  mit  Hilfe  Frankreichs  diesen  Ver- 
lust von  seinem  Hause  abwenden  zu  können.  Allein  die 
Aussöhnung  Ludwig  XIV.  und  Friedrich  Wilhelms  voll- 
zog sich  rascher,  als  die  Gegner  Brandenburgs  gedacht 
hatten,  ja  die  Verhandlungen  der  sächsischen  und  braun- 
schweigischen  Gesandten  in  Paris,  die  dem  Grofsen  Kur- 
fürsten nicht  verborgen  blieben,  beschleunigten  sogar  den 
Abschlufs  des  Traktates  von  St.  Germain  (29.  Juni  1679). 
Wolframsdorf  sah  sich  wochenlang  mit  leeren  Vertrö- 
stungen hingehalten,  und  schlielslich  mulste  er  erleben, 
dals  Brandenburg  den  übrigen  deutschen  Mächten  in  der 
Gunst  Ludwigs  XIV.  den  Rang  streitig  machte.  Die 
schlimmen  Erfahrungen,  die  Friedrich  Wilhelm  mit  semen 
bisherigen  Bundesgenossen  gemacht  hatte,  veranlagten 
ihn  wenige  Monate  nach  dem  Frieden  von  St.  Germain 
ein  Schutz-  und  Trutzbündnis  mit  Ludwig  XIV.  ab- 
zuschlielsen ,  in  welchem  er  soweit  auf  das  politische 
System  Frankreichs  emging,  dafs  er  sich  verpflichtete, 
bei  der  künftigen  Wahl  eines  römischen  Königs  seine 
Stimme  dem  König  oder  dem  Dauphin  zugeben.  Dieser 
geheime   Vertrag    vom    25.  Oktober    1679   ist    branden- 


Zur   Politik  Sachsens  1648—1680.  143 

burgischerseits  bis  in  die  neueste  Zeit  geheim  gehalten 
worden:  die  Memoiren  des  Marquis  von  Pomponne, 
die  im  Jahre  18G7  erschienen,  brachten  die  ersten  Ent- 
hüllungen darüber').  Einige  Jahre  vorher  (1863)  hatte 
Heibig  aus  den  Akten  des  Hauptstaatsarchivs  die  ersten 
Nachrichten  über  das  französisch-sächsische  Bündnis  vom 
15.  November  1679  veröflentlicht,  welches  genau  dieselbe 
Bestimmung  in  betreff  der  deutschen  Königswahl  enthielt. 
Das  Urteil,  welches  Heibig  bei  dieser  Gelegenheit  über 
die  Politik  Johann  Georgs  II.  fällt,  würde  etwas  anders 
gelautet  haben,  wenn  ihm  der  Vorgang  Brandenburgs 
bekannt  gewesen  wäre.  Die  logische  Verknüpfung  der 
Dinge  ist,  wie  Auerbach  richtig  erkannt  hat  (S.  474), 
offenbar  darin  zu  suchen,  dals  Ludwig  XIV.  durch  eine 
geschickte  Benutzung  der  sächsisch -brandenburgischen 
Rivalität  sowohl  den  einen  wie  den  andern  Staat  in  sein 
Garn  zu  ziehen  wufste.  Jedenfalls  eröffnete  es  eine 
traurige  Aussicht  in  die  Zukunft  Deutschlands,  dals  die 
beiden  Kurfürsten,  die  bei  der  Wahl  Leopold  I.  durch 
festes  Zusammenhalten  den  Intriguen  des  Auslandes  die 
Spitze  abgebrochen  hatten,  zwanzig  Jahre  später,  von 
widerstreitenden  Interessen  geleitet,  zu  einem  Abkommen 
die  Hand  boten,  dessen  Verwirklichung  die  Herrschaft 
des  Reiches  vollends  der  fremden  Willkür  überliefert 
haben  würde. 

Die  xA.llianz  vom  15.  November  1679  hatte  die  Folge, 
dafs  noch  einmal  ein  französischer  Gesandter  in  Dresden 
seine  Residenz  aufschlug.  Allein  dieser  Diplomat,  Rousseau 
mit  Namen,  früher  Agent  in  Hamburg,  gewann  sogleich  die 
Überzeugung,  dals  die  Tage  des  französischen  Einflusses 
am  sächsischen  Hofe  gezählt  seien.  Bei  der  Antritts- 
Audienz  am  26.  April  1680  sah  Rousseau  in  Johann 
Georg  einen  körperlich  gebrochenen  Mann,  der  sich  dem 
Ziele  seines  Lebens  näherte.  Die  Gesinnungen  seines 
Sohnes,  des  Kurprinzen,  waren  allgemein  bekannt.  Schon 
in  jugendlichen  Jahren  hatte  sich  Johann  Georg,  nach- 
mals der  Dritte  dieses  Namens,  in  dem  Reichskrieg  gegen 
Frankreich  durch  Umsicht  und  Tapferkeit,  hervorgethan, 
bis  der  Wechsel  der  sächsischen  Politik  seine  Rückbe- 
rufung aus  dem  kaiserlichen  Lager  veranlalste.  Der  Prinz, 
der  mit  Leib  und  Seele  Soldat  war,  fühlte  sich  hierdurch 


'')  Den  vollritändigeii  Wortliiut  j^ieht^v.  Miirner.  Xiubrixnilen- 
burgs  Staatsverträge  (Berlin  1867),  S.  704 flg. 


144  Paul  Hassel:  Zur  Politik  Sachsens  1648-1680. 

schwer  getroffen,  und  es  gelang  ihm  nicht  immer,  seine 
Mifsstimmnng  zu  verbergen.  Ludwig  XIV.  selbst  gab 
sich  keiner  Täuschung  darüber  hin,  dals  bei  einem  Thron- 
wechsel an  die  Fortdauer  des  geheimen  Vertrages  nicht 
zu  denken  sei.  Nicht  Einer  von  den  sächsischen  Räten 
stand  noch  auf  selten  des  französischen  Bündnisses:  mit 
dem  Tode  Johann  Georg  II.,  am  1.  September  1G80,  zer- 
fiel sein  politisches  System  in  sich  selbst. 


VI. 

Zur  Statistik  der  säclisisclien  Städte 
•    im  Jahre  1474. 

Von 
Hubort  Ernüscli. 


Am  3.  September  1474  licliteten  Kurfürst  Ernst  und 
Herzog-  Albrecht  ein  Rundschreiben  an  alle  Städte  ihrer 
Lande ^),  in  welchem  sie  ein  vor  kurzem  ergangenes  Auf- 
gebot-) zur  Heeresfolge  widerriefen,  jedoch  befahlen,  dals 
man  sich  in  Bereitschaft  halten  mijchte.  Sie  verlangten 
ferner  Auskunft  darüber,  wie  viel  Reisige,  Wagen,  Fuls- 
knechte  und  Büchsen  die  Städte  diesmal  zu  stellen  be- 
absichtigt liätten.  Endlich  teilten  sie  mit,  dals  sie  wie 
alle  anderen  Reichsstände  von  Kaiser  und  Papst  auf  einen 
Tag  nach  Nürnberg  entboten  und  zugleich  bei  Verlust 
ihrer  Regalien  angewiesen  worden  seien,  Verzeichnisse 
mitzubringen,  aus  denen  zu  ersehen  sei,  wie  viel  Ver- 
mögen an  Gütern  und  Leuten  sie  selbst  und  ihre  geist- 
lichen und  weltlichen  Unterthanen  besälsen,  damit  auf 
Grund  dieser  Angaben  ein  Anschlag  wider  die  Türken 
aufgestellt  werden  könnte.  —  Mit  Rücksicht  hierauf  wurde 
den  Städten  aufgegeben,  binnen  einem  Monat  den  Landes- 
herren  durch  eigene  Botschaft   schriftliclui  Antwort    auf 


^)  Gedruckt  in  I Inders  Nützlicher  Saiimilmii;-  vcrscliicdeiici' 
meist  nnoedrucktcr  Scliriftcii  (Ti(M])zig'  1785)  S.  517. 

2)  Wohl  am  20.  August  1474,  vcrgl.  v.  Lan  geiiii.  Herzog 
Alhrecht,  S.  414  N.  1. 

Heues  Arcliiv  f.  S.  (;.  ii.  A.     Xl.  1.  2.  10 


146  Hubert  Erraisch: 

folgende  Fragen  zu  übermitteln:  1.  wie  viel  Ansässige 
in  der  Stadt  wären?  2.  was  der  Stadt  an  eigenen  Dörfern 
und  ansässigen  Leuten  aufserlialb  der  Mauern  gehörte, 
wie  viele  von  den  letzteren  Hufner  oder  Gärtner  wären, 
auch  wie  viel  Hufen  bearbeiteten  oder  wüsten  Ackers 
diese  besäßen ?  3.  was  die  Stadt  an  nutzbringenden  Vor- 
werken hätte  und  wie  viel  Überschufs  diese  abwürfen? 
4,  was  die  Pfarreien,  Klöster  und  Altäre  in  der  Stadt 
und  5.  was  die  einzelnen  Bürger  besäfsen? 

Ahnliche  Erlasse,  deren  Wortlaut  mir  nicht  bekannt 
ist,  ergingen  an  die  landesherrlichen  Amtleute  und  an 
die  Vasallen. 

Diese  Eundschreiben,  deren  allgemeingeschichtlichen 
Zusammenhang  ich  hier  aufser  Betracht  "lasse,  bedeuten 
einen,  soviel  mir  bekannt,  ersten  Versuch  zur  iiufätellung 
einer  Statistik  Sachsens.  War  dieser  Versuch  zu- 
nächst lediglich  auf  Ermittelung  des  im  Lande  vorhan- 
denen Vermögens  gerichtet,  so  mulste  er  doch  auch  zu 
gewissen  bevölkerungsstatistischen  Ergebnissen  führen. 

Mit  wie  grolsen  Schwierigkeiten  die  junge  Wissen- 
schaft der  Wirtschaftsgeschichte  bei  allen  statistischen 
Erhebungen  über  mittelalterliche  Zustände  zu  kämpfen 
hat,  wie  dürftig  und  lückenhaft  allenthalben  das  Material 
bei  dem  so  wenig  ausgebildeten  Zahlensinn  unserer  Vor- 
fahren ist,  kann  als  bekannt  vorausgesetzt  werden.  Eben 
darum  dürfte  ein  Hinweis  auf  jene  Rundschreiben  von 
1474  und  die  darauf  eingelaufenen  Antworten  wohl  am 
Platze  sein;  Avenn  wir  auch  nicht  beabsichtigen,  den  ver- 
schiedenen Einzelfragen  nachzugehen,  welche  sich  an  diese 
Schriftstücke  knüpfen  lielsen,  so  geben  diese  Zeilen  doch 
vielleicht  zu  einer  eingehenderen  Bearbeitung  des  Ma- 
terials die  Anregung. 

Leider  war  das  Kanzlei-  und  Registraturwesen  am 
Ende  des  15.  Jahrhunderts  in  Sachsen  noch  bei  weitem 
nicht  so  ausgebildet  wie  hundert  Jahre  später.  Von  den 
Antworten  auf  jene  Rundschreiben,  die,  wenn  vollständig 
erhalten,  uns  ein  Gesamtbild  des  Landes  geben  würden, 
wie  es  sich  in  dieser  Zeit  höchst  selten  finden  dürfte, 
sind  bedauerlicherweise  viele  verloren  gegangen.  Erhalten 
haben  sich  etwa  30  Berichte  von  Amtleuten  und  Vasallen 
und  15  von  Städten'^).    Die  ersteren.   welche   über   die 


^)  Sie  finden  sich  in  zwei  Aktenstücken  des  Hanptstaatsarchivs  : 
(A)  Loc.  31913  Eine  Samnüung  Berichte   die   von  einigen  Vasallen 


-     Zur  Statistik  der  sächsischen  Städte.  147 

Zahl  der  Grundstücke  und  die  sonstigen  Verhältnisse 
vieler  Dorfschaften  in  allen  Teilen  des  Landes  Auskunft 
geben  und  wohl  auch  eine  genauere  Untersuchung  ver- 
dienten, übergehen  wir  hier*),  um  uns  lediglich  den  Städten 
zuzuwenden.  In  den  von  diesen  eingesandten  Berichten 
aber  interessieren  uns  in  erster  Linie  die  Angaben  über 
die  Zahl  der  ansässigen  Einwohner.  Leider  sind 
dieselben  nicht  ganz  gleichmälsig  gemacht.  Manchmal 
ist  die  Zahl  der  zur  Zeit  unl)ebauten  (wüsten)  Haus- 
grundstücke, die,  wenn  man  sich  einen  Begriff  vom  Um- 
fange der  Stadt  machen  will,  ebenfalls  in  Betracht  zu 
ziehen  wären,  mit  angegeben,  manchmal  nicht.  Völlig 
unsicher  sind  die  Angaben  über  die  Vorstädter,  die  bald 
in  die  Gesamtzahl  einbegriffen  sind,  bald  besonders  be- 
rechnet werden,  ohne  Zweifel  stets  unter  Auslassung 
derjenigen,  die  rechtlich  nicht  zur  Stadt  gehörten,  sondern 
Unterthanen  geistlicher  oder  weltlicher  Herren  waren. 
Ebenso  blieben  die  sogenannten  Freihöfe,  d.  h.  diejenigen 
innerstädtischen  Grundstücke,  deren  Inhaber  die  Pflichten 
und  Rechte  der  Bürger  nicht  teilten,  unberücksichtigt;  es 
waren  dies  teils  landesherrliche  oder  von  den  Landes- 
herren verliehene  Höfe,  teils  gehörten  sie  der  Geistlichkeit. 
Letztere  weigerte  sich  auf  Grund  eines  Befehls  des  Bischofs 
von  Meifsen "')  überall,  Auskunft  über  ihren  Besitz  zu  geben. 
Immerhin  genügen  die  Angaben,  um  einen  ungefähren 
Begriff  von  den  Gröfsenverhältnissen  der  Städte,  von 
denen  uns  Berichte  vorliegen,  zu  gel)en.  Als  die  umfang- 
reichste stellen  wir 


und  Städten  zu  stellenden  Mannschaften  und  Pferde  betreffend  1474 ; 
(B)  Loc.  15155  Steuerbuch  Nr.  288,  fol.  124flg-. 

*)  Erhalten  haben  sich  die  Berichte  der  Amtleute  zu  Senften- 
berg  (demselben  sind  einige  Berichte  ansässiger  Unterthanen  bei- 
gefügt), Oschatz,  Badebcrg  und  Lauterstein  und  folgender  Vasallen : 
Bastian  Berltistoiff,  V'altzg  v.  Bernstein,  Heinr.  v.  Czastewitz  zu 
Arnsdorf  (Amt  Leisnig).  ^\'ert  von  Draschwitz.  Nickel  Drogiz, 
Caspar  Fribergei-.  Peter  Glitze,  Ilse  von  Harrafs  zu  Lichtenwalde, 
Casp.  von  Kokeritz,  Heinrich  und  Hans  von  Lindenau  zu  Machern, 
Seifard  von  Lutticli.  Christoff  von  ^laltitz,  Hans  und  Casi)ar  .Mar- 
sclialg,  Hans  v.  Miltitz  zu  Pujsuitz,  J5runc  von  der  Pfordten,  Fritzsche 
v.  Polentz,  Ditterich  v.  Schönberg  zu  Zschochau,  Heinr.  und  Nickel 
V.  Stentzsch  sowie  einige,  deren  Aussteller  sich  nicht  ermitteln  liefsen. 

■')  Der  Pfarrer  zu  Mittweida  erklärte  dem  dortigen  Kate  aus- 
drücklich: „das  der  pristci-sclinfft  duich  den  bifschoJf  vorliotcn  sei. 
das  sie  keynn  voite  adir  auiplhitlien  ciucherley  vorczcidinung  gcl)in 
adir  tliun  sollen  und  ab  is  gereit  so  gescheen  were,  soUeu  sie  die- 
sclbige  irc  vorczeichnnng  wedir  bcissclicn."     Aus  dem  Schreilicn  des 

10* 


148  Hubert  Enuiscli: 

1.  Freiberg*^)  an  die  Spitze,  obwohl  diese  Stadt 
wenige  Jahre  voiiier  durch  eine  gewaltige  Feuersbrunst ') 
schwer  heimgesucht  worden  war  und  eben  damals  eine 
Epidemie  einen  grofsen  Teil  ihrer  Bewohner  hingeraift 
hatte ^),  so  dals  sie  an  Einwohnerzahl  sicher  im  Jahre  1474 
von  anderen  Städten  übertrolfen  wurde.  Aber  dals  sie 
vor  diesen  Unfällen  die  grölste  Stadt  des  Landes  gewesen 
—  was  sie  bald  nachher  wieder  wurde  ^)  — ,  ergiebt  sich 
aus  der  Zahl  der  Hausgrundstücke,  die  sich  nach  unserer 
Quelle  auf  579  belief;  nicht  weniger  als  91  davon  waren 
freilich  wüst  und  118  Hausbesitzer  waren  verstorben,  so 
dafs  nur  311  noch  übrig  waren.  Hierzu  kommen  37  an- 
sässige Gärtner  vor  der  Stadt  neben  19  verstorbenen 
Gärtnern  und  3  wüsten  Gärten,  im  ganzen  also  59  Vor- 
stadtgrundstücke. —  Auf  Freiberg  folgen 

2.  Leipzig^")  mit  519  ansässigen  Bürgern,  darunter 
15   (wohl  in  den  Vorstädten  ansässige)  Gärtner;   sodann 

3.  Dresden")  mit  427  ansässigen  Leuten  in  der 
Stadt.  —  abgesehen  von  2ß  Freihöfen,  von  denen  10  von 
Edelleuten,  13  von  Priestern  und  Klöstern  besessen 
wurden,  endlich  3  von  Beginen  bewohnte  Seel-  und  Regel- 
häuser waren  —  und  29  ansässigen  Gärtnern  in  den  Vor- 
städten; die  übrigen  (jedenfalls  viel  zahlreicheren)  Bewohner 
der  Vorstädte  sind  als  Zinsleute  der  Pfarrkirchen  und 
Altäre  nicht  in  Ansatz  gebracht. 


Rats  zu  Oschatz  ersieht  mau,  dals  die  dortigen  Geistlichen  durch 
den  Bischof  auf  den  4.  Oktober  nach  Riesa  heschieden  waren,  wohl 
wegen  der  verlanüten  Auskunft. 

6)  Bericht  vcnn  BO.  September  1474:  A  fol.  17.  Gedruckt  Cod. 
dipl.  Sax.  reg.  II.  12.  286. 

')  21.  August  1471.     Cod.  dipl.  a.  a.  O.  273. 

*)  Yergl.  ebenda  286 :  .  .  .  wy  merclicher  beswerunge  und  ster- 
l)ens  halben  iczt  durch  den  almechtigen  got  obir  uns  verhangen  alle 
handwergis-  mid  ledige  gesellen  von  uns  gewichen,  faste  vil  wirthe, 
ettliche  furlewte  von  iren  pferden  und  ouch  ettliche  hewsere  gancz 
wüste  vorstorben  weren. 

*•)  Vergl.  das  Sprüchlein,  das  Herzog  Georg  oft  im  Munde  ge- 
führt haben  soll:  „Leipzig  die  beste,  Ereiberg  die  gröfste,  Chemnitz 
die  feste,  Annaberg  die  liebste".  Eatsarchiv  Freiberg,  Matricula 
civium  (Vorsatzblatt). 

10)  Bericht  vom  20.  Oktober  1474:  A  fol.  30.  Gedruckt  unten 
S.  152.  —  Für  das  .Tahr  1466  berechnet  Wustmann  (Quellen  zur  Ge- 
schichte Leipzigs  I.  40)  die  Zahl  der  Bürger  auf  ca.  700. 

")  Bericht  vom  2.  Oktober  1474:  B  fol.  139.  Gedruckt  Cod. 
dipl.  Sax.  reg.  IL  5,  266.  Vergl.  0.  Richter,  Yerfassung.sgeschichte 
von  Dresden  8.  187. 


Zur  Statistik  der  sächsischeu  Städte.  149 

4.  In  Chemnitz^-)  gab  es  329  und  vor  der  Stadt 
132  ansässig-e  Leute,  die  letzteren  „alles  ganz  arme  Leute". 

5.  Oschatz^-')  hatte  312  Ansässig-e;  die  Vorstädte 
sind  nicht  mitgerechnet,  da  sie  anderen  Herren  gehörten. 

6.  Dann  folgt  Grolsenhain")  mit  238  Ansässigen 
in  der  Stadt  und  97  Männern  in  der  Vorstadt.  Gerade 
hier  wird  besonders  hervorgehoben,  die  Zahl  der  teils  den 
beiden  Klöstern,  teils  der  Pfarre,  teils  Privatpersonen 
geliörigen  Freihöfe  sei  so  grols,  „das  wol  by  dem  dritten 
teile  der  stat  nichts  gibt  noch  tuth". 

7.  In  Pegau^")  betrug  die  Zahl  der  Ansässigen  210 
neben  23  wüsten  Hofstätten. 

8.  Mittweida^*^)  hatte  220  Häuser  und  Besessene 
innerhalb  und  aulserhalb  der  Stadt;  darunter  waren 
56  Gärtner,  Tagelöhner  und  arme  Witwen. 

9.  Ro  chli  t  z  ")  hatte  187  besessene  Bürger  und  Witwen, 
„gertener  und  huttener  zusammen  gerechnet",  jedoch  unter 
Ausschluls  der  vor  dem  Schlosse  gesessenen  Unterthanen 
der  Landesherren  und  der  Leute  des  Pfarrers  vor  der 
Oberstadt. 

10.  Hierauf  kommt  Döbeln^^)  mit  169  angesessenen 
Mannen,  dazu  23  wüsten  Hofstätten,  also  192  Hausgrund- 
stücken iniierhalb  und  18  angesessenen  Gärtnern  aulser- 
halb  der  Stadt. 

11.  Delitzsch'")  hatte  150  besessene  Bürger; 

12.  Lommatzsch-'^)  83  besessene  Mannen  in  der 
Stadt,  38  Gärtner  und  Vorstädter  „und  Scheunen". 

13.  Senftenberg-^)  schickte  ein  genaues  Verzeich- 
nis aller  Einwohner  ein  mit  Angaben"  über  die  Besitz- 
verhältnisse jedes  einzelnen,  der  Höhe  der  zu  zahlenden 
Zinsen  und  des  Geschosses.  Es  sind  im  ganzen  97  Pei-- 
sonen. 

14.  ßadeberg^-)   zählte  74  besessene  Mannen    und 


12)  Bericht  vom  4.  Oktober  1474:    B  fol.  147.     Gedruckt  Cod. 
dipl.  8ax.  reg.  IT.  6,  221. 

'■')  Bericht  vom  30.  Se])teiiihi^i-  1474:    A  fol.  19. 

1^)  Bericht  o.  1).:  A  fol.  5.5. 

'•^)  Bericlit  o.  1).:    B  fol.  173. 

1«)  Bericht  vom  13.  Oktober  1474:    A  f(.l.  24. 

i'')  Bericlit  vom  24.  OktulnM-  1474:    A  fol.  30. 

1**)  Bericht  vom   12.  Oktolici'  1474:    A  f(d.  26. 

1»)  Bericht  o.  D.:    B  fol.  144. 

20)  Bericht  vom  23.  Oktober  1474:    A  fol.  ,38. 

21)  Bericht  vom  21.  ()ktol)er  1474:    A  fol.  31. 

22)  Bericht  vom  9.  Oktober  1474:    A  fol.  25. 


X50  Hubert  Enniscli: 

15.  Groitzscli-=^j  46  „Erben"  auf. 

Ein  Versucli,  auf  Grund  dieser  Angaben  die  Gesamt- 
zahl der  Einwohner  zu  finden,  kann  freilich  nur  überaus 
unsichere  Resultate  ergeben.  Für  Dresden  hat  0.  Richter 
ermittelt,  dafs  im  Jahre  1454  im  Durschnitt  jedes  Haus 
der  Innern  Stadt  von  7,2  Köpfen,  jedes  Vorstadthaus  von 
4  Köpfen  bewohnt  wurde-^).  Nehmen  wir  an,  das  dieses 
Verhältnis  sich  in  den  folgenden  20  Jahren  nicht  wesentlich 
geändert  habe,  und  berechnen  wir  so  nach  unserer  Quelle  die 
Einwohnerzahl  Dresdens  von  1474,  so  kommen  wir  auf  5190,4. 
während  Richter  die  Einwohnerzahl  für  1465  auf  3351, 
für  1477  auf  3504,  also  um  mehr  als  300  Köpfe  höher,  an- 
giebt.  Was  der  Wahrheit  am  nächsten  kommt,  mufs 
dahingestellt  bleiben.  Nehmen  wir  an,  dafs  die  Bewohner- 
schaft der  einzelnen  Häuser  in  den  anderen  Städten  im 
Durchschnitt  ebenso  stark  gewesen  ist  wie  in  Dresden  — 
eine  Annahme,  die  für  die  kleineren  Orte  schwerlich  zu- 
trifft — ,  so  würde  sich  für  Freiberg,  wenn  die  sämt- 
lichen Hausgrundstücke  bewohnt  gewesen  wären,  eine 
Einwohnerzahl  von  etwa  4400  ergeben,  wozu  allerdings 
die  gerade  hier  ziemlich  zahlreiche  Geistlichkeit,  die  Be- 
wohner des  Schlosses  und  der  Freihöfe  hinzukommen 
würden;  immerhin  dürfte  die  Stadt  im  Mittelalter  kaum 
jemals  viel  mehr  als  5000  Einwohner  gehabt  haben.  Ihr 
zunächst  käme  Leipzig  mit  etwa  3760  Einwohnern  ohne 
Berücksichtigung  der  Freihöfe,  des  Schlosses  und  der 
Geistlichkeit.  Zwischen  3000  und  2000  Einwohner  würden 
sich  für  Chemnitz ,  Oschatz  und  Grofsenhain  ergeben, 
zwischen  2000  und  1000  für  Pegau,  Mittweida,  Rochlitz, 
Döbeln  und  Delitzsch,  zwischen  1000  und  500  für  Lom- 
matsch,  Senftenberg  und  Radeberg;  noch  unter  500  bliebe 
Groitzsch  zurück. 

Obwohl  wir  wiederholen,  dafs  diese  Berechnungen 
überaus  unsicher  sind  und  die  thatsächlichen  Zahlen  sich 
wohl  überall  ein  wenig  höher  stellen  dürften,  so  ergiebt 
sich  doch  so  viel  mit  vollkommener  Klarheit,  dafs  es  am 
Ende  des  Mittelalters  in  ganz  Sachsen  keine  einzige  be- 
deutende —  selbst  im  Sinne  der  damaligen  Zeit  bedeutende 
—  Stadt  gegeben  hat. 

Auch  die  Vermögensverhältnisse  der  vStädte  waren 
offenbar  sehr  bescheiden,  wenn  man  auch  vielleicht  nicht 


-3)  Bericht  vom  29.  Soptrmher  1474:    B  fol.  150. 
24)  Vorgl.  diese  Zeitscliriftll,  280  üg.  0.  Kicliter,  Verfassimgs- 
gesclüclite  Tou  Dresden  S.  189  flg. 


Zur  Statistik  der  sächsischen  Städte.  151 

allen  Klagen  in  dieser  Hinsiclit  unbedingtes  Vertrauen 
schenken  darf.  Nur  wenige  Städte  haben  nennenswerten 
Grundbesitz;  ganz  ohne  Vermögen  sind  z.  B.  Chemnitz, 
Rochlitz,  Lommatzseh;  Pegau  hat  eine  Schuld  von  13000 
Gulden.  Eine  übersichtliche  Zusammenstellung  der  Ein- 
künfte der  einzelnen  Städte  lälst  sich  jedoch  auf  Grinid 
der  Berichte  nicht  geben;  wir  übergehen  daher  diese  An- 
gaben, die  doch  vor  der  VerAvenduug  auf  Grund  der 
sonstigen  lokalgeschichtlichen  Quellen  genau  geprüft  werden 
mülsten. 

Von  Interesse  sind  die  Berichte  endlich  deswegen, 
weil  sie  uns  einen  Einl)lick  in  die  Kriegsleistungen,  zu 
denen  die  Städte  den  Landesherren  gegenüber  verpflichtet 
waren,  gestatten.  Dabei  ist  es  auffallend,  dals  diese 
Leistungen  sich  nicht  allein  nach  ihrer  Grölse  gerichtet 
zu  haben  scheinen ;  ohne  Frage  wirkten  hier  andere  Mo- 
mente, alte  Verpflichtungen  und  dergleichen  mit.  Viel- 
leicht sind  aber  auch  diese  Angaben  nicht  sämtlich  zu- 
verlässig. Die  Frage,  mit  wie  viel  Reisigen,  Wagen, 
Fulsknechten  und  Büchsen  man  die  anbefohlene  Heeres- 
folge diesmal  hätte  leisten  wollen,  beantwortet  Freiberg 
nur  unbestimmt:  man  habe  die  Hälfte  der  Stadt  auf- 
geboten, doch  sei  es  mit  Rücksicht  auf  die  allgemeine 
Krankheit  zweifelhaft  gewesen,  wie  viele  schlieislich 
hätten  mitziehen  können.  Weitaus  das  höchste  Kontingent 
beabsichtigte  Leipzig  zu  stellen:  350  Mann  (Trabanten 
und  Wagenknechte  zusammengerechnet),   30  Wagen  und 

3  Steinbüchsen;  mit  Reisigen  dagegen,  heilst  es,  pflege 
die  Stadt  nicht  zu  dienen.  Demnächst  folgt  Oschatz 
mit  4  Reisigen,  120  Fulsknechten,  10  Rüstwagen,  1  Büchsen- 
wagen und  1  Steinbüchse;  dann  Grofsenhain  mit  80 Mann, 
6  Wagen,  1  Speisewagen  imd  1  Büchse;  Chemnitz  mit 

4  Reisigen,  3  Steinbüchsen,  10  Wagen  imd  „soviel  Tra- 
banten und  Fulsknechten  als  dazu  gehören";  Dresden  mit 
3  Reisigen,  60  Fulsknechten,  2  Büchsen,  4  Wagen;  Roch- 
litz mit  3  Reisigen,  60  Fulsknechten,  1  Steinbüchse  und 
so  viel  Wagen  als  nötig;  Mittweida  mit  3  Reisigen, 
60  Fulsknechten  und  5  Wagen  (jedoch  keiner  Büchse); 
Döl^cln  mit  2  Reisigen,  60  Fufsknechten,  G  Speise-  und 
Rüst wagen  und  1  Steinbüchse;  Pegau  und  Delitzsch 
mit  je  50  Trabanten,  5  Wagen  und  1  Büchse;  Rade- 
berg  mit  22  Fulsknechten  und  2  Wagen;  Lommatzseh 
mit  20  Fulsknechten  und  2  Wagen;  endlich  Groitzsch, 
das  einen  „alten  gesatzten  Dienst"   habe,  nämlich  einen 


152  Hubert  Erniisch: 

„stete  stehenden  Rüstwagen  mit  2  Pferden  und  2  AVagen- 
knecliten",  und  aulserdem  2  Fulsknechte  habe  stellen  wollen. 
Senftenberg  schickte  keinen  Anschlag  ein,  weil  es  dem 
Aufgebot  des  Amtmanns  hatte  Folge  leisten  müssen. 

IJericht   des  Rates   /u  Leipzig  an   Kurfürst  Ernst   und  Herzoj? 
All)reclit.    1474,  Okt.  20. 

Duichluchtigenii  liochyeboiueini  fursten  uiiiiil  lieru.  Unnser  mider- 
thenige  geliorfsaine  willige  dinste  sein  uweni  gnadeu  alletzeit  zcii- 
voran  bereit.  (.Tiiedigen  uimd  lieben  kern.  Nachdem  als  uwre  gnade 
iu  kcirtzer  yrgangen  zceit  haben  schreibenn  lassen,  das  wir  bie 
unnser  eygen  botschafft  uwern  gnaden  zcu  erkennen  geben  solten, 
wie  starck  wir  zcu  difseni  mall  nwern  gnaden  an  reifsigen  mit 
Avagen,  fufsknechten  unnd  Ijuchlsen  haben  volgen  wollen,  auch  das 
wir  bie  derselbenn  unser  liotschafft  unnd  sclirifft  in  eigentlicher 
verczeichnung,  A\ie  vil  besessener  burger  in  uwrer  gnaden  stadt 
Liptzk  sind  unnd  was  die  stadt  von  eigen  dorftern  unnd  besessen 
hithen  usserhalben  der  stadt  undir  ir  habe,  wie  vil  der  huffener  adir 
gertencr  darundir  sintt,  auch  wie  vil  die  huffen  gearbeits  adir  wusts 
ackers  haben  unnd  was  die  stadt  an  nutzlichen  forwergen  habe  unnd 
was  sie  der  ultir  ir  darlegen  jerlichen  gnissen  möge,  unnd  desgleichen, 
was  die  pfarren,  closter  adir  altarieu  adir  burger  insunderheit  des  in 
der  massen  hatten ,  nach  yrer  eigentlicher  underrichtnng,  die  sie  uns 
deihalben  thuen  solten,  unnd  unser  erkundung  uwern  gnaden  zu- 
schicken solten  etc.,  liaben  wir  mit  solchem  inhalt  vornommen  und 
thuen  uwern  gnaden  daruft'  undertheniglich  zcu  wissen,  das  wir  uff' 
difsniall  uff  uwrer  gnaden  schrifft  uwern  gnaden  mit  vierdehalbhuiulert 
mannen,  alz  nemlich  mit  drabanten  und  wagenknechten  zcusampne 
gerei  hent,  drissig  wagen  unnd  mit  dreien  steinbuchfsen  haben  dynen 
und  volgen  wollen.  Wir  püegen  abir  uwern  gnaden  mit  leissigeu 
nicht  zcu  dynen,  sundo'u  alleine  mit  so  vil  pferden.  alz  die  heulit- 
luthe  der  drabanten  mit  yren  dynern,  die  mit  den  drabanten  in  die 
l'utterung  pflegen  zcu  reithen,  allewege  vor  sich  haben  nuissen.  So 
sintt  auch  in  der  gemelten  uwer  gnaden  stadt  Liptzk  nicht  mehr 
danne  funfthundert  und  nuentzehen  besessen  burger,  darunder  danne 
funftczelien  besessen  gertener  sintt,  die  die  stadt  angeboren.  Auch 
hat  die  Stadt  Liptzk  ein  dorff'  mit  namen  Euderitz,  darinne  sint  nuen 
und  drissig  besessen  menner,  die  haben  an  eckern  und  gerten 
zcwenczig  huft'en  und  di'ittehalb  virtell  landefs,  unnd  im  doi'ffe  zcu 
Neitzsch  acht  besessen  menner,  die  haben  acht  huff'en  landifs.  unnd 
ein  forwerg  in  Easschewitz  mit  drittehalber  huff'en  wusts  artlandifs, 
dovon  die  stadt  bifsher  gar  ein  geringen  gnifs,  sundern  vilmehr  un- 
dirweilen  domit  zcugesatzt  hat.  Auch  haben  ein  teils  uwer  gnaden 
Imrger,  die  in  uwer  gnaden  stadt  besessen  sein,  usserhalben  unnd 
umbe  die  stadt  viher  und  fiinff'tzig  huffen  artlandifs,  die  sie  in  die 
Stadt  ierlichen  gebrauchen.  So  sintt  auch  sust  insunderheit  etzliche 
burger,  die  etzliche  guter  usserhalben  der  stadt  haben,  die  werdenu 
sie  uwer  gnadenn  amptmann,  so  yn  derhal))en  in  sunderheit  auch 
geschreben  ist  wurden,  ansagen  und  lieschreiben  lassen.  Sundern 
Benedictus  Moller  hat  zcwu  kleine  moUen  unnd  Baltizar  Schultz 
zcwey  dorff  nemlich  Grottendorff',  darinne  hat  er  zcehen  besessen 
menner,  die  haben  sechs  luind  viliertzig  kolstocke,  unnd  Obirnuwen- 
ilorff,  doselbist  hat  er  nuen  besessen  menner,   die  haben   sibeudehalb 


Zur  Statistik  der  siiclisischen  Städte.  153 

liuffen  artlandifs,  als  sie  des  uiins  in  suiulerlieit  liabeu  uuiuUrriclitct. 
Auch,  giiedigen  und  lieben  heni,  so  haben  wir  darneben  utf  uwrer 
gnaden  schriit't  unnd  begerung  die  prelaten  der  closter  unnd  der  pfar- 
kirchen,  auch  die  altaristen  bie  uns  zcu  Liptzk  liesantt  uiul  haben 
von  yn  nach  Inhalt  derselbenn  uwerer  gnaden  schritft  derhalben  unns 
unnd errichtung  zcu- tliueu  begertt;  als  haben  sie  unus  genieynlich 
alle  darutf  zcu  antwort  gelten,  das  yn  in  den  dingen  unnd  sachen 
ane  yres  bisschottes  unnd  vier  obirsten  prelaten  in  der  geistlickeitt 
iinnd  provinciallu  wissen  unnd  volbintt  nichts  zcu  thuen  fuget;  so 
yn  aber  von  yrem  bisschott'e,  obirsten  prelaten  unnd  provinciallu  der- 
halben etwas  vorkundiget  unnd  das  sie  ein  sollichs  auch  thuen  sollen 
zcu  irkennen  geben  wurd,  weiden  sie  sich  alfsdanne  nach  aller 
billickeit  halden  unnd  gehdrsanilieh  ertzeigen.  l'nnd  womit  wir  uwcm 
gnaden  unuderthenigen  unnd  gehoii'sameu  dinst  unnd  willen  beweil'scn 
sollen,  tliun  wir  mit  gantzem  vleis  unnd  willen  alle  zeit  gehorfsam- 
lich  gerne.  Geben  zcu  Lijttzk  unndir  uiniseriii  secrett  uff  dornstag 
noch  Luce  ewangeliste  anno  etc.  Lxx  quaito. 

Der  rath  zcu  Liptzk. 


ö 


VII. 

Kleinere  Mitteilimgen. 

1.     Orabsclirit't  auf  Herzog  Albreclit  zu  Sacliseu. 

Mit"-eteilt  von  Theodor  Distel, 


"o^ 


Das  K.  S.  Hauptstaatsarchiv  besitzt  (III,  1  foh  4, 
Nr.  1,  Bl.  24)  eine  aus  dem  17.  JahrhiiiKlert  stammende 
Kopie  einer  wold  fiülier  entstandenen  Grabsclirift  auf 
Herzog'  Albreclit  zu  Sachsen  (f  zu  Emden  12.  September 
1500,  beigesetzt  in  der  Fürstengi'uft  zu  Meilsen),  deren 
von  Langenn')  und  Eberf-)  nicht  Erwähnung  thun.  Ich 
teile  dieselbe  daher  hier  mit: 

Epitaphium  ilhistrissimi  priiicipis  Alberti  ducis 

S  a  X  0  n  i  a  e. 

Quantus  erat  dextra  Pelides,  Tullius  ore, 

Phyllirides  hevbis,  Phoehiis -Apollo  lyra. 
Carmiue  Meonides,  Ladas  pede,  lumine  lynceus, 

Vicibus  Aleides,  relligloue  Nuiiia 
Tantns  ego  in  Ijello  fueram;  mihi  tota  snb  arniis, 

Suj)  clypeo,  galea,  casside  vita  fnit. 
Me  puernra  Mavors,  et  me  Belloua  virago 

Omuia  perdocuit  mnnera  militiae; 
(renalis  Pellaus  victor  Lybicusque  fuerunt, 

Roniulidaeque  dnces,  talis  et  ipse  fui. 
Dum  vult  supremo  dnil  certamine  Haitis 

Sors  dare  me  pessuni.    Snstulit  ad  superos. 
Obiit  anno  salutis  1500  d.  12.  Septbr.,  vixit  annis  57  mense  1  diel).  12. 


^)  Die  bei  v.  Langenn,  Herzog  Albrecht  S.  283  sub  1  ange- 
zogenen Schriften  enthalten  ein  anderes  Epitaphium:  das  zu  Emden, 
wo  sein  Herz  liegt,  zu  lesende. 

-)  Ebert,  Der  Dom  zu  Meifscn  (1835). 


Kleinere  Mitteilungen.  155 

Darunter  befindet  sich  die  Übersetzung  in  deutschen 
Versen,  welche  folgenden  Wortlaut  hat: 

„So  hoch  Achilles  Avar  von  Heldenthat  gepriesen, 

So  klug  als  Cicero  durcli  Reden  sich  erwiesen; 

So  wohl  Phylliridcs  der  Kräuter  Krafft  verstund, 

So  lieblich  Phoebus  selbst  uf  Saiten  spielen  kunt; 

So  als  Homerus  ist  sehr  augenehm  zu  lefsen, 

So  schnell  als  Ladas  ist  uff  Füssen  je  gewesen. 

So  scharff  ein. Luchs  kann  sehn,  so  stark  Aleides  heist, 

So  eifrig  Numa  sich  in  Gottesdienst  erweist; 

Davon  ein  Jeder  wird  der  Ewigkeit  geleicliet; 

Den  allen  gleich  hab  ich  durch  Kriegen  Ruhui  erreichet. 

In  Helm,  Casquet[te]  und  Schild,  in  Zügen  stürmen  und  schlaclit. 

Hab  ich  die  ganze  Zeit  des  Lebens  zugebracht, 

3Iars  und  Belloua  hatt  von  Kind  auf  mich  gelehret, 

Was  sich  nach  Kriegsmanier  zu  jeder  Zeit  gehöret; 

Wie  Alexander  war  und  Scipio  sieghafft. 

Und  was  Rom  Helden  liatt,  den  war  ich  gleich  an  Kraftt. 

Als  in  dem  letzten  Kampf  der  Tod  sich  zu  mir  dränge, 

Der  meines  Ijeiltes  Kraftt  weit  machen  angst  und  bange, 

Und  dardurch  meinen  Geist  zu  stürzen  war  bedacht, 

Hatt  er,  der  Seelen  nach,  in  Himel  mich  gebracht." 

Liest  man  in   einem  Briefe  des  berühmten  Kektoi-s 

zu  St.  Afra,  Georg  Fabricius,  an  Hans  Jenitz,  Sekretär 

des  Kurfürsten  August  zu  Sachsen,  vom  17.  Dezember  1556 

(Orig.  i.  K.  S.  Hauptstaatsarchive,  Akten  cit.  Bl.  102): 

„Der  epitaphia  halben,  fso  zur  Zellen  uml  Meissen  seyn, 
hab  ich  e.  e.  nehst  geschrieben  und  fso  yrs  vor  gut  ansehet, 
wil  ich  den  vorneinsten  personeu  epitaphia  machen,  prosa  und 
carmine,  ob  man  die  selben  unib  frembder  leute  willen  wult 
lassen  in  steine  hauen  oder  auf  reinliche  taftein  schreiben, 
werdet  solchs  den  vorwalter  wol  wieder  lierichten ,  was  ich 
thuen  soll  .  .  .  .", 

SO  kann  man  wohl  in  jenem  den  Autor  auch  des  mitge- 
teilten Epitaphs  vermuten. 

2.    Testierfäliigkeit    vor    erfülltem    14.    Lebensjahre 

(1554). 

Mitgeteilt  von  Theodor  Distel. 

Das  bürgerliche  Gesetzbuch  für  das  Königreich 
Sachsen  bestimmt  in  §  2067,  dals  eine  Person,  welche 
das  vierzehnte  Lebensjahr  nicht  (>rffült  hat,  selbst  mit 
ihrem  Vater  oder  Vormunde  einen  letzten  Willen  nicht 
errichten  kann.  Ein  letzter  Wille  soll  eben  den  wirk- 
lichen Willen  des  Erblassers  enthalten.  So  war  es  auch 
nach  früherem  Beeilte.  Nachsichtiger  verliielt  sich  jedoch 
Kurfürst  August  zu  der  Sache.   Unterm  10.  Januar  1554 


156  Kleinere  Mitteilungen. 

j-eskribierte  er  immlich  an  den  Amtsverwalter  und  an  den 
Rat  zn  Altenbnrg-  (K.  S.  Hauptstaatsarchiv:  Knpial  265, 
Bl.  31b),  dals  es  genüge,  wenn  der  Testator  das  vier- 
zehnte Lebensjahr  überhaupt  nur  angetreten 
h  a  b  e. 

3.  Ein  Urneiifmul  im  16.  Jalirliundert. 

Von  Georg'  Müller. 

Bei  dem  regen  Interesse,  das  namentlich  seit  den 
letzten  Jahrzehnten  der  xlusgrabung  und  Avissenschaft- 
lichen  Untersuchung  von  Urnenfeldern  entgegengebracht 
wird,  dürfte  folgender  Hinweis  auf  einen  vor  mehr  als 
drei  Jahrhunderten  gemachten  Fund  auf  Beachtung  rech- 
nen. Bei  der  Kirchenvisitation,  die  im  Jahre  1529  unter 
Luthers  persönlicher  Teilnahme  in  Torgau  gehalten  wurde, 
geschah  vor  den  kurfürstlichen  Kommissaren  eines  Ge- 
rüchtes Erwähnimg,  in  der  Nähe  von  Sitzenrode  seien 
von  Bauern  nenn  oder  zehn  Töpfe  gefunden  worden,  „in 
welchem  solten  junger  kinder  schedlein  unnd  beyn  gewest 
sein".  Da  die  böse  Fama  dieselben  mit  dem  in  der  Nähe 
liegenden  Nonnenkloster  in  Zusammenhang  brachte,  so 
wurde  der  Sachverhalt  näher  festgestellt.  Eine  Eeihe 
glaubwürdiger  Zeugen   sagten  daraufhin   folgendes   aus: 

Die  topfe,  als  sie  bericlitet,  seint  alter  forme  gewesen, 
das  dergleichen  in  Lxxx  oder  hnndert  iahren  nymands  ge- 
denckt  oder  gesehen.  Dieweyl  die  ohgedachte  Caplan  (näm- 
lich der  Prediger  von  Sitzenrode  und  der  Diakon  von  Torgau) 
angezeigt,  das  die  gebein,  so  in  den  topfeun  gefunden,  zum  teil 
grofs  gewesen  als  erwachssner  menschen  beyn,  heldet  man 
dafür,  es  sey  hieuor  etwo  ein  sepulcrum  gewesen  i). 

4.  Kurfürstin  Magdalena  Sibylle  als  Terfasserin  des 
Entwurfs  zur  Kleiderordnung  von  1028. 

Von  Georg  Müller. 

Die  Kurfürstin  Magdalene  Sibylle  war  eine  treue 
Lebensgefährtin  ihres  Gemahls  Johann  Georg  I.  während 
der  Drangsale  des  dreifsigj ährigen  Krieges,  wie  sie  auch 
mit  grolser  Sorgfalt  die  Erziehung  ihrer  Kinder  über- 
wachte. Nicht  selten  streiften  aber  ihre  Gedanken  und 
Wünsche  über  den  Kreis  ihrer  Familie  hinaus  das  Feld 


^)  K.  Hauptstaatsarchiv.  Loc.  10598.  Registration  der  Visi- 
tation etlicher  Sächsischen  und  Meifsnischen  Kreifs,  Amt,  Stedt, 
Closter  und  Dorffer.     1529.    Bl.  335. 


Kleinere  Mitteilungen.  157 

der  Politik^).  Sie  warnte  den  Kurfürsten  vor  Gefahren-), 
die  ihm  von  seinen  ßäten  zu  drohen  schienen,  sie  kriti- 
sierte die  politischen  Malsreg'ehi -^j  und  trat  wohl  mit 
eigenen  Vorschlägen  auf,  getreu  ihrem  Grundsatze,  dals 
AVeiberrat  nicht  zu  verachten  sei^). 

Ein  Beispiel  liegt  uns  in  dem  Entwürfe  zu  einer 
Kleiderordnung  vor,  welche  mit  wenigen  Abänderungen 
nach  Beratung  durch  die  Stände  im  Jahre  1628  erlassen 
wurde.  Die  Kurfürstin  übersandte  denselben  ihrem  Ge- 
mahl und  gab  in  der  Einleitung  als  Veranlassung  ihres 
Vorschlages  an,  sie  habe  bei  der  Rückkehr  von  einer 
Reise  eine  derartige  Zunahme  des  Luxus  im  Bürgerstande 
bemerkt,  dals  ihr  ein  Einschreiten  dagegen  als  notwendig 
erscheine.  Sie  fürchtete,  wegen  dieser  „teuiflischen 
Hotfardt"  müsse  des  Himmels  Zorn  das  ganze  Land  treffen 
und  mahnte  daher  zur  Bulse. 

Dieser  Entwiuf  ist  aber  noch  von  einer  andern  Seite 
hei'  von  Interesse.  Wie  die  Luxusordnungen  neben  reli- 
giösen und  sittlichen  Motiven  nicht  zum  geringsten  Teile 
praktischen  Erwägungen  entsprangen^),  so  hebt  die  Kur- 
fürstin die  Gefahr  der  Verarmung  hervor,  welche  drohe, 
wenn  „das  geldt  dadurch  aus  dem  Lande  komme.  Hadern 
und  Lumpen  darkegen  hereingebracht  werden."  Auch 
folgender  Gesichtspunkt  dürfte  von  "Wichtigkeit  sein. 
Die  Kleiderordnungen  stellen  die  Bemühungen  dar,  die 
in  der  Tracht,  namentlich  des  schönen  Geschlechts,  hervor- 
tretenden Standesunterschiede  aufrecht  zu  erhalten'^).  So 
milsbilligt  Magdalene  Sibylle  die  Übergriffe  der  drei 
Stände,  des  Adels,  der  Bürger  und  der  Bauern,  und 
wendet  sich  namentlich  scharf  gegen  „das  Weibs- 
volck  von  Bürgerstands-Personen,  es  wehren  gleich  der 
Räthe  unnd  anderer  Doctorn....  Bürgers weiber  und 
Töchter"').     Erinnern  wir  uns  der  gegnerischen  Stellung 


1)  Tli.  Flatlic.  Gcschiclite  des  Kurstaates  und  Königreiclies 
Sachsen  (Gotha  1870)  IL",  193.  135.  155. 

2)  Stichart,  Gralerie  der  Sächsischen  Fürstinnen  (Leipzig- 1857) 
S.  354. 

")  Ebenda,  S.  351. 

')  Ebenda,  S.  348.  351. 

■'')  L.  Bartsch,  Säclisische  Kk'idcrordnun^ien  aus  der  Zeit  von 
1450—1750  (Annaberg  1882)  I,  4  flg. 

'')  K.  La mp recht  in  Conrads  Jahrbüchern  für  Nationalöko- 
nomie inid  Statistik  N.  F.  IX  (.Ima,  1884),  128. 

'')  Vgl.  ihr  Urteil  ülicr  den  Luxus  der  licipzigcr  Frauen:  ..Das 
Weibsvolck   von  Leipzig   thut  nichts  denn  mehr  ilolTart  und  l'raelit 


i58  Kleinere  Mitteilungen. 

der  adligen  Geschlechter  zu  den  Doktorenfamilien ^),  welche 
mit  dem  Siege  der  ersteren  endete,  so  erhalten  diese  Worte 
der  Kurfürstin  eine  erhöhte  Bedeutung.  Ähnliche  An- 
schauungen bilden  den  Hintergrund  von  Artikel  8'')  und  17. 
Der  letztere  erscheint  nur  in  modifizierter  Gestalt  in 
der  unter  dem  6.  März  an  die  wichtigsten  Städte  des 
Landes,  Dresden^**),  Leipzig,  Torgau,  Freiberg,  Meissen 
und  Wittenberg,  erlassenen  Verordnung,  während  im 
übrigen  der  vorgesclüagene  Text  —  mit  Ausnahme  ortho- 
graphischer Abweichungen  —  wörtlich  stehen  blieb. 

Die  Kurfürstin  verlangte  zwar  das  Original  wieder 
zurück,  übersandte  aber  dafür  durch  Georg  Reichbrot 
in  die  Geheime  Kanzlei  eine  Abschrift"),  welche  dem 
folgenden  Abdrucke  zu  Grunde  liegt. 

Ich  habe,  nachdem  wir  au  itzo  Avieder  von  der  Reise  anhero 
gelanget,  mit  höchster  Vorwimderung  gesehen,  auch  von  andern 
vorstanden,  wie  die  zuuorhero  altzusehr  Übermächte  teiifflische 
Hofiardt  seindt  unserm  Abwesen  von  hier,  insonderheit  iind  aller- 
meist bey  denn  Burgerstaudes -Personen  uberhandt  genommen, 
dannenhero  zubefahren,  wan  solchem  nicht  bei  tzeiten  vorgebanet, 
gesteuert  unnd  ernstlich  gewehret  werde,  das  Gottes  Zorn  hier- 
durch noch  mehr  verursachet,  die  vor  Augen  schwebenden  unnd 
albereith  herrein  dringenden  schweren  Straffen  geheüffet,  vor- 
mehret, unnd  entlichen  wohl  der  Garaufs  mit  menniglichen,  sowohl 
den  unschuldigen  alfs  schuldigen  gemachet  werden  möchte.  Dan 
zu  erbarmen,  das  unaugeseheu  die  sehr  böse  sorgliche  unnd  ge- 
fährliche Zeitten,  darinnen  wier  schweben,  in  welcher  (darrait 
Gottes  gerechter  Zorn  gemildert,  unnd  die  darauff  antrabende 
Straften  abgewendet)  ein  Jeder  billich  im  Sacke,  unnd  in  der 
Aschen  gleich  den  Ninivitten  Bufse  thun  selten,  neben  andern 
uberhaufften  schAveren  und  grofsenu  Sunden,  auch  die  gemellte 
Hoffardt,  alliier  mehr  alfs  an  keinen  ordt  in  Teuzschlandt  in 
vollen  schwänge  gehet,  unnd  von  menniglichen  auch  den  Dienst- 


in Kleidung  herein  nach  Dresden  bringen,  damit  hier  unsere  Dresdner 
Schlappen  vollends  in  ihrem  halsstarrigen  Sinne  wea'en  übermächtii^er 
Hofl'art  in  Kleidun»-  verstärkt  werden".  Flathe  a.  a.  ().  11-.  213  A^  2. 
Über  den  Umfang  der  Fabrikation  von  Posamenten  in  Leipzig  ent- 
hält das  K.  Hauptstaatsarehiv  (Loc  9365.  Erstes  Buch.  Landtags- 
sachen. 1628)  folgende  interessante  Angabe:  Heinrich  von  Rössel 
des  Älteren  Erben  in  Leipzig  hatten  ein  Privileg  auf  Anfertigung 
goldener  Posamenten.  Im  Jahre  1628  berichtet  der  ]\Iünzmeister, 
diese  Fabrik  verbrauche  wöchentlich  200  bis  30O  Pfund  fein  Sillier 
und  beschäftige  in  ihrem  Betriebe  150  Arbeiter. 

"■j  E.  Veiise,  Geschichte  der  Höfe  des  Hauses  Sachsen  II  (Ham- 
lAiri"-  1854),  156  flg.,  bs.  162. 

")  Vgl.  unten  Anm.   12. 

'")  Dresdner  Ratsarchiv  C.  XVII.  8—10. 

")  Kgl.  Hauptstaatsarchiv.  Loc.  9365.  Erstes  Buch.  Land- 
tagssachen.    Anno  1628.     151.  291—293. 


Kleinere  Mitteilnugen.  159 

botten  getrieben  nniul  oline  eiiüiieu  sclieu  vorübet  wirdt.  .Man 
(larff  sich  nicht  vorwundern  warumb  die  Leutte  vorarnien  UDiid 
Gottes  [Gnade]  von  nnfs  weichet,  dann  die  Hoffardt  ist  dorau 
nicht  wenig-  schuklig.  Das  geldt  kommet  dardnrch  aufs  dem 
Lande,  Hadern  und  Lumpen  werden  darkegen  hereingebracht. 
Dan  in  Kleidung  will  es  der  15auer  dem  Bürger,  der  Bürger  dem 
Adell  unnd  derselbige  alfsdann  dem  Fürsten  gleiclitlnin,  unml 
will  sich  alfso  durchaus  keiner  seinem  Stande  (darein  ihn  Gott 
gesetzt  unnd  verordnet)  gemefs  betzeigen.  Alle  naue  Trachten 
und  Muster  will  unnd  mufs  man  habenn,  fürstliche  Personen 
können  nichts  vor  sich  behaltten,  es  wirdt  alsobaldt  von  den  ge- 
ringern Standes  hernach  gemacht,  welches  ihnen  doch  keines 
weges  geziemet.  Bin  also  verursachet  worden,  dem  Churfürsten 
zu  Sachssenn  pj).  meinem  herzlielisten  Herrn  unnd  Gemahl  dieses 
mit  wenigem,  jedoch  uff  Ihrer  Liebden  vornünfttiges  Gutachten 
unnd  Nachdencken  zu  erinnern,  ob  Ihre  Liebden  nicht  vor  rath- 
samb  hilttenn,  das  dem  Weibesvolck  von  Büi-gerstandes-Personen. 
es  wehren  gleich  der  Käthe  unnd  anderer  Doctorn,  desgleichen 
der  Secretarieu,  Cauzleyvorwanten,  Hoffdiener,  wie  nahmen  haben 
mögen,  sowohl  vornehme  unnd  gemeine  Burgersweiber  und  Töchter 
bey  einer  nahmhaftten  geldtstraffe,  unnd  wo  man  sich  daran  nicht 
kehret,  bei  einer  höhern,  nachvorzeichnete  Sachen  zu  tragen  ver- 
botten  würde. 

1.  Die  engelischen  Röcke  mit  den  gantzen  unnd  zerschnittenen 
Leibstücken  unnd  laugen  Ermein,  sie  seindt  mit  Goldt,  silbern 
oder  Seidenschnüren  aufsgemachet  und  vorbrehraet. 

2.  Die  Leiljstücke  mit  den  kurtzen  spanischen  sowohl  frantzö- 
sischen  Ermein  unnd  die  breittenn  Kragen  auff  den  üöcken  mit 
Goldt,  Silber  oder  seidenen  Schnüren  vorlirehmet. 

3.  Die  Seiden-.  Attlafsen-Röcke  mit  den  gülden,  silbern  oder 
bunten  seidenen  Bluhmen. 

4.  Alle  güldene  unnd  silberne  Eosementbortten  oder  schnurr, 
desgleichen  die  gestückten  Attlafsen-Bortten,  die  Kleider  darmit 
zu  brehmen  oder  aufszumachcn. 

5.  Sammeteli  Köcke,  ingleichen  lange  Mäntel  mit  Pliscli,  Felppe 
oder  andern  Sammet  gefüttert. 

6.  Alle  geschobene  Ermell  und  Kragen. 

7.  Die  Hütte,  sowohl  Mützen  mit  Zobeln'-),  oder  andern  köst- 
lichen auffschlegen  auff  die  naue  Manier  unnd  dann  die  Maschken '") 
vor  den  Angesichtern. 

8.  Die  gekreuselten  Haar  unnd  Haarbogen,  die  engelischen  unnd 
französischenn  adelicben  Auffsetze. 

9.  Die  Wülste  mit  den  Perlenschniiren  umbwunden,  die  Perlen- 
Kränze  mit  den  geschlagenen  Rosen,  sowoll  die  mit  goldtgewirckten 
seidenen  Knob :  oder  Senckelbender.  wie  auch  die  langen  breitten 
seidene  Krausen  unnd  übci'schlagliender. 

10.  Die  vorguldteu  Bliibmenkränze  von  den  Mägden  iiniid  Dienst- 
bothen. 


12)  Das  Exemi)lar  im  Dresdner  Ratsarcbiv  C.  XVIL  10.  Bl.  2 
enthält  dazu  sechs  Zeichnungen  mit  der  Erklärung:  Die  Hiittt'  und 
Mützen  verstehn  mir  die  neuen  Manieren,  wie  die  vom  Adel  getragen, 
wie  hier  angedeutet  unnd  von  anderer  arth. 

^■')  Über  die  Maskeraden  als  Lieldiaberei  dir  Kurfiirstm  vgl. 
Flntbe  :i.  a.  O.   TT-,  223. 


IßQ  Kleinere  Mitteilungeu. 

11.  Alle  Perlenketten,  Etlelgesteinketten ,  Kleinodter,  güldene 
Eosen  mit  Steinen,  Halfsbender,  Armbender,  Olirgehenge  mit 
Steinen,  vmud  in  Summa  alle  dergleiclienn  Saclienn  von  Edel- 
gesteinen,  es  sey  umb  den  Halfs,  auft  dem  Xopff  oder  an  den 
Armen  zu  tragen,  das  soll  ihnen  genzlich  verbotten  sein. 

12.  Die  eugelischen  unnd  französischen  Rawatten,  alle  spanische 
und  engelisciie  Krausen  hangendt,  ligendt  oder  auffstehendt,  wie 
sie  nahmen  habenn. 

13.  Engelische  unnd  französische  Uberschlege,  auch  die  doppelten 
Uberschlege. 

14.  Allen  Flohr,  desgleichen  die  nefselgarne  Spitzenn  in  gemein. 

15.  Die   weifseu  Schuch,    gülden    unnd    silbern  Schuch-Rosenn. 

16.  Die  Federfechell,  die  JTedel'n  auff  den  Mitten  imnd  in  den 
Haaren  nicht  zutragen. 

17.  Welches  Doctors  oder  andern  Burgers  Weib  sich  auch 
unterstehen  würde,  in  die  Kirchenn  (wie  bifsanhero  von  etzlichenu 
geschehen)  zu  fahren,  es  wehren  dan  erhebliche  Ursachenn,  denen 
sollen  die  Pferde  auff  der  Gafsen  aufsgespannet  unnd  in  den  Chur- 
fürstlichen  Stall  getzogen  werden. 

Dieses  nun  unnd  anders  mehr  lullte  Ich  davuor,  könnte  bey 
einer  namhaftten  geldtstraffe ")  verbotten  unnd  darüber  ohne 
einiges  ansehn  der  Personen,  sie  wehren  auch  wer  sie  woltten, 
fest  gehalten,  unnd,  welche,  wann  sie  zum  andern  mahl  darin  be- 
tretten, doppelt  gestraftet,  auch  ihnen  darüber  das  verbottene 
stuck  durch  die  Büttel  vom  Halfse  gerifsenn  werden.  Jedoch 
wirdt  dieses,  wie  vorgemelt,  alles  zu  Ihrer  Liebden  fernerm  gut- 
achten  anheimb  gestellet. 

5.  Zur  Chronik  Dresdens  und  zu  einem  verschollenen 
Manuskripte  Anton  Wecks. 

Mitgeteilt    von    Theodor    Distel. 

Eine  Lebensbeschreibung-  des  Dresdner  Chronisten 
Anton  We  ck  giebt  Gautsch  in  von  Webers  Archiv  für  die 
Sächsische  Geschichte  (N.  F.  I,  349 flg.).  Dort  ist  auch  aus- 
führlich über  dessen  Werk:  „Der  churfürstlichen  säch- 
szischen weitberuffenen  Residentz  und  Haupt -Vestung 
Dresden  Beschreib-  und  VorsteUung"  (Nürnberg,  Johann 
Hoffmann  1680)  gehandelt.  Ich  trage  hier  folgendes  dazu 
nach.  Unterm  7.  Oktober  1679  übersandte  Weck  das 
erste   Exemplar  der    genannten  Chronik    an   den   Kur- 


'')  In  der  kurfürstlichen  Verordnung  werden  Geldsti-afen  von 
100  l)is  300  Thaler  bestimmt,  für  Schneidei'  und  Schuhmacher,  die  die 
Kleider  verfertigten  30  bis  «0  Thaler,  und  schliefslich  Ausstofsung 
aus  dem  Handwerk.  Der  Rat  wird  zu  sorgfältiger  Aufsicht  ver- 
ptlichtet..uud  Nachlässigkeit  mit  einer  Strafe  von  1000  Thalern  be- 
droht. Über  die  Weigerung  des  Rats  und  den  dadiirch  veranlafsten 
Schriftwechsel  vgl.  die  obengenannten  Akten  des  Ratsarchivs. 


Kleinere  Mitteilungen.  IGl 

fürsten  Johann  Georg  II.  zu  Sachsen^);  vom  folgenden 
Tage  —  aus  Colditz  —  datiert  das  mir  im  K.  S.  Haupt- 
staatsarchive (III,  100  fol.  4  Nr.  4  Bl.  486)  in  die  Hände 
gekommene  Konzept  des  kurfürstlichen  Dankschreibens, 
in  welchem  es  u.  a.  heilst,  dals  W.  nichts  Lieberes  und 
Angenehmeres  hätte  überreichen  lassen  können.  —  Gleich- 
zeitig geschieht  darin  einer  Arbeit  Wecks  Erwähnung, 
welche  als  Manuskript  verschollen  sein  dürfte.  Der  Kur- 
fürst schreibt  nämlich,  dals  ihm  sehr  daran  gelegen  sei, 
auch  die  Jahr  »es  chic  hte  über  das  Kurfürstentum 
Sachsen,  Thüringen,  Meifsen  u.  s.  w.  vollendet  zu 
sehen.  Zur  Fertigstellung  dieser  „Jahrgeschichte"  scheint 
es  jedoch  nicht  gekommen  zu  sein,  da  ihr  Verfasser  schon 
vor  Ablauf  eines  Jahres  das  Zeitliche  segnete'-). 


^)  Drei  Tage  später  schickte  Weck  ein  zweites  an  den  Rat  der 
Stadt  Dresden,  am  12.  Oktober  fin  drittes  an  den  gelelirten  Herzog 
Moiitz  Wilhelm  zu  Sachsen-Zeitz  (mit  dem  u.  a.  auch  Leibnitz  und 
Thomasius  in  lebhaftem  Briefwechsel  standen,  vergl.  Distel  i.  d. 
Sitzungsberichten  der  K.  S.  Gesellschaft  der  Wissenschaft  1879 
S.  105 flg.  und  1880  S.  188flg.,  sowie  i.  d.  Zeitschrift  für  die  gesamte 
Strafrechtswi^senschaft  X  [1889),  440  Anm.  1).  Die  \\'i(lmuiig  des 
Werkes  an  den  Kurfüi'sten  datiert  vom  29.  Septembei',  der  Be- 
fehl zur  Drucklegung  desselben  vom  16.  Januar  1679.  (iautsch 
a.  a.  0.  S   360. 

'-)  Zu  Wecks  sonstigen  Manuskripten  vergi.  Gautsc h  a.  a.  O. 
S.  367flg. 


Nenee  Archiv  f.  S.  fl.  ii.  A.     XI.  1. 


11 


Litteratur. 


Das  Freiberger  Stadtreclil.  Herausgegeben  vou  Dr.  Hubert 
Eniiiscli,  K.  S.  Ai'chivrat.  Mit  einer  Tafel.  Leipzig.  Gicsecke  n. 
Devrient      1889.     XCI,  ,364  SS.     8«. 

Unter  vorstehendem  Titel  ist  der  Sonderausgabe  des  Freiberger 
Bergrechtes  nach  kaum  zweijähriger  Frist  die  des  Stadtrechtes  von 
derselben  Hand  nachgefolgt.  Der  berechtigte  Wunsch  des  Heraus- 
gebers, auch  aiif  dem  Gebiete  der  sächsischen  Rechtsgeschichte  eine 
Festgabe  zum  Wettiner  -  Jubiläum  darzubringen,  hat  dazu  geführt, 
dafs  diese  Sonderausgabe  schon  vor  dem  Erscheinen  des  3.  Bandes 
des  Freiberger  Ürkundenbuches.  Jn  dem  das  Stadtrecht  planmäfsig 
seinen  Platz  hnden  sollte,  der  Öffentlichkeit  übergeben  worden  ist. 
Die  deutschen  Rechtshistoriker  vor  allem  werden  nicht  darüber 
grollen,  dafs  ihnen  so  diese  nicht  allein  für  Sachsen  wichtige  und 
bedentsarae  Quelle  früher,  als  bisher  zu  erwarten  stand,  in  neuer 
handlicher  Foi'm  zugänglich  geAvorden  ist.  Denn,  wenn  auch  die 
von  ^Valch  1773  besorgte  Ausgabe,  der  eine  im  16.  Jahrhundert  ohne 
behördlichen  Auftrag  entstandene  gekürzte  Fassung  des  Stadtrechtes 
zu  Grunde  gelegt  Avorden  war,  zwei  Jahre  später  durch  die  gediegene 
gemeinsame  Arbeit  des  Freiberger  Oberstadtschreibers  .T.  F.  Klotzsch 
und  des  Leipziger  Professors  A.  F.  Schott,  bei  der  man  auf  die  alte, 
vielleicht  noch  dem  ausgehenden  13.  Jahrhundert  angehörige  Hand- 
schrift zurückgriÄ,  völlig  in  den  Schatten  gestellt  wurde,  so  sind 
doch  nunmehr  aucli  seit  dem  Erscheinen  der  letzteren  114  Jahre 
verflossen  und  haben  sich  seitdem  gerade  die  Ansprüche,  die  an 
solche  \' eröff'entlichuni^en  gestellt  werden  müssen,  erheltlich  geändert. 
AVie  hoch  diese  Forderungen  nunmehr  aber  auch  von  Histurikeiii 
wie  von  Juristen  gespaimt  sein  mögen,  die  jetzt  vorliegende  Aus- 
gabe von  H.  Ermisch  dürfte  dieselben  nach  jeder  Richtung  hin  be- 
friedigen. 

Entgegen  dem  ül)lichen  Gel)rauche  einmal  bei  der  Schilderung 
eines  Werkes  am  Ende  desselben  beginnend,  möchte  ich  zunächst 
hervorheben,  dafs  Ermisch  dem  zum  Schlüsse  angefügten  Sach-  und 
AWjvtregister  eine  ganz  hervorragende  Sorgfalt  gewidmet  hat;  dies 
A'erzeichnis  stellt  nicht  nur  den  reichen  Schatz  des  Freiberger  Stadt- 
rechtes an  sprachlich  und  technisch  wichtigen  Ausdrücken,  den  Chr.  G. 
Haltaus  vor  130  Jahren  scJion  für  sein  so  verdienstliches  Glossarium 
germanicum  nutzbar  zu  machen  verstand,  in  das  rechte  Licht,  sondern 
ermöglicht  es  dem  Benutzer  auch,  sich  schnell  und  sicher  nach  allen 
Seiten  hin  in  der  umfänglichen  und  in  ihren  Teilen  nicht  allzu 
systematisch  geordneten  Quelle  zurechtzufinden.  Von  Verweisungen 
auf   die    allgemeine    Tjitteratur    der  deutschen    Rechtsgeschichte    ist 


Litteratur.  163 

hier  in  richtiger  Selbstbeschräiikuiig'  abgesebeu  A\ordeii.  JJageg'en  hat 
dieselbe,  und  wie  es  scheint,  mit  guter  Sachkenntnis  im  ausgiebigsten 
Umfange  in  den  Bemerkungen  zum  Texte  des  Stadtrechtes  Beiück- 
sichtignng  gefunden,  ddch  ist  dabei,  um  allzu  grofser  räumlicher 
Ausdehnung  vorzulieugen,  von  der  Beigabe  ausfühi'licherer  Ei'- 
klärungen  Abstand  genommen  worden;  die  Noten  beschränken  sich 
vielmehr  auf  den  einfachen  Nachweis  der  Stellen,  wo  der  betreffende 
Gegenstand  in  anderen  ilechtsquellen  oder  sonstigen  theoretischen 
Ausführungen  behandelt  wird.  Wenn  der  Herausgeber  diese  wie  die 
kritischen  Noten  an  den  Schlufs  der  einzelnen  Kapitel,  statt  jedes- 
mal unter  den  Text  jeder  Seite  gestellt  hat.  was  für  die  Lektüre 
und  das  Studium  des  Werkes  nicht  gerade  bequem  ist,  so  war  dafür 
lediglich  der  durcih  technische  Rücksichten  l)egründete  Wunsch  der 
Verlagshandlung  mafsgebend.  —  In  jenem  reichen  textkritischen 
Apparate  beruht  nun  im  weiteren  der  besondere  Wert  der  neuen 
Ausgabe:  während  Klotzsch  in  der  Meinung,  dafs  die  um  130') 
entstandene  Handschiift  des  Ereiberger  Batsarchives  als  die  Ur- 
quelle aller  anderen  Handschriften  anzusehen  sei.  seine  Ausgabe 
ausschliefslich  auf  dieselbe  aufbaute,  hat  Ermisch  noch  eine  ganze 
Anzahl'anderer  handschriftlicher  Überlieferungen  herangezogen  und  für 
die  Herstellung  eines  guten  und  ver1)ürgten  Textes  nutzbar  zu  machen 
gesucht.  Sind  diese  weiteren  Handschriften  auch  erheblich  jünger  als 
jene  früher  allein  benutzte  —  eine  zweite  Freiberger  Handschrift 
gehört  z.  B.  ins  .Jahr  14;i3,  eine  Berliner  ins  Jahre  1458,  eine  Göt- 
tinger ins  spätere  If).  Jahrhundert,  während  die  von  Haltaus  und 
Walch  benutzten  Codices,  sowie  vier,  die  Klotzsch  nocli  kannte, 
aber  als  wertlos  bezeichnete,  jetzt  trotz  aller  Mühe  nicht  mehr  nach- 
weisbar sind  — .  .so  kann  Ermisch  doch  mit  Sicherheit  nachweisen,  dafs 
sie  sämtlich  aus  einer  älteren  Vorlage  aligeschrieben  sind,  die  unab- 
hängig von  dem  ältesten  Freiberger  Kxemplar  aus  einer  mit  (lie.sem 
gemeinsamen  Mutterquelle  geschöpft  halten  mufs;  mancherlei  Fehlei', 
die  bei  dem  Charakter  des  älteren  Freiljerger  Codex  als  Reinschrift 
nach  einem  allmählich  entstandenen  Konzept  überaus  erklärlich  sind, 
lassen  sich  auf  das  Leicliteste  aus  den  Lesarten  der  jüngeren  Hand- 
schriftengruppe l)cssern  und  berichtigen ;  es  ist  das  ein  Verhältnis,  welches 
der  Herausgeller  mit  der  weiteren,  recht  glaultlichen  Vermutung  zu 
erklären  sucht,  dafs  die  Quelle  der  jüngeren  Handschriften  ein  nudir 
zum  praktischen  Gebrauch  bestimmter,  im  Dinghaus  verwahrter  und 
hier  bei  den  späteren  Feuersbrünsten  zu  Grunde  gegangenei'  Codex 
gewesen  sein  müsse,  während  die  in  schöner  Minuskel  gefertigte 
ältere  Fi-eiberger  Handschrift  als  Prachtexemplar  wohl  stets  sicli  im 
städtischen  Archive  Ijefunden  habe  und  so  bis  auf  die  Gegenwart 
liindurch  gerettet  worden  sei.  Aus  diesem  Materialc  hat  Ermisch 
den  Alldruck  des  eigentlichen  Stadtrechtes  noch  um  eine  Anzahl  von 
Beilagen,  die  organisch  mit  dem  letzteren  zusammenhängen,  be- 
i'eichern  können;  so  linden  wii'  am  Schlüsse  der  Ausgalte  noch  den 
Zolltarif  dei'  Stadt  Freiberg  von  133H,  eine  Ratswillküi'  über  die 
Abhaltung  der  Gerichtstage  und  einz(dne  Punkte  des  Rechtsverfalirens 
aus  der  Zeit  von  1344  bis  1350,  die  Innuiigsartikel  dei'  sieben  wicli- 
tiysten  Zünfte,  zum  Teil  noch  dem  14.,  überwiegend  dem  15.  .lalir- 
hundert  angehörig,  sowie  spätere  Bestimmungen  über  verliehene 
(id(a-  versetzte  Falirhalie  und  einige  Ratslieschlüsse  über  gerichtliche 
Taxen. 

Dem   Texte    geht    selbstverständlich    eine    gründliclie    und    ge- 
diegene Vorrede  und  Kinleituug  vnraus;  neben  den  Mitteilungen  über 

11* 


1(34  Litter  atiu'. 

die  Handscliriften  und  Ausgaben  des  StadtrechteSj  soAvie  über  die 
bei  der  'l'oxtloitik  eingehaltenen  Griuidsätzc,  die  wir  hier  oben 
zu  skizzii'i'en  versudit  haben,  enthält  jene  Einleitung'  Aveitere 
durchaus  schätzbare  Ausfühiungen  über  die  Entstehungsgeschichte 
des  Stadtrechtes  und  dessen  Schicksale  bis  auf  unsere  Tage.  Nach 
ersterer  Seite  hin  sucht  der  Herausgelter  zunächst  die  Frage  nach 
der  Entstehungszeit  des  Freiberger  Stadtrechtes  und  sodann  die  nach 
dem  Verhältnisse  desselben  zu  anderen  älteren  und  gleichzeitigen 
vaterländischen  Kechtsquellen  zu  beantworten.  Die  Auskunft,  die 
uns  auf  den  ersten  Teil  dieser  Frage  wird,  gründet  sich  aiif  die  Be- 
obachtung, dafs  sämtliche  jüngere  Handschriften  einen  König  als 
Landesherrn  nennen,  und  in  der  älteren  Freiberger  Handschrift,  da, 
wo  vom  Markgrafen  die  Rede  ist.  jedesmal  dies  Wort  auf  einer 
Rasur  steht;  es  können  daher  für  die  Zeit  der  Niederschrift  der  Ur- 
aufzeichnung  nur  die  Jahre  129e)— 1307,  Avährend  welcher  die  Stadt 
sich  in  königlichem  Besitze  befand,  in  Betracht  kommen;  durch  eine 
Freiberger  Urkunde  vom  Juni  1305,  in  der  eine  Änderung  eines 
jedenfalls  aufgezeichneten  Rechtsgrundsatzes  bezeugt  Avird,  gelingt 
es  ferner  jenen  Zeitraum  noch  um  2  Jahre  zu  kürzen;  andererseits 
erblickt  Ermisch  in  einer. markgräflichen  Urkunde  vom  27.  Mai  1294, 
die  in  erster  J^inie  die  Überlassung  der  landesherrlichen  Gerichts- 
bai'keit  an  den  städtischen  Rat  verltürgt,  die  besondere  Veranlassung  zur 
schriftlichen  Feststellung  des  Stadtrechtes  und  findet  hierin  den 
Grund,  Aveshalb  spätere  Chronisten  die  Aufzeichnung  desselben  ohne 
Aveiteres  in  jenes  Jahr  setzen.  Alles  jedoch,  Avas  aus  früherer  Zeit 
von  einem  Stadtrechte  berichtet  wird,  darf  nach  Ermischs  Dar- 
stellung mit  Sicherheit  nur  auf  eine  mündliche  Rechtsüberlieferung, 
die  sich  an  eine  bei  der  Gründung  der  Stadt  in  den  Jahren  1185  bis 
1190  seitens  des  Landesherrn  erfolgte  BcAvidmung  mit  einem  be- 
stehenden Rechtssysteme  anschliefst,  nicht  aber  auf  eine  schrift- 
liche Aufzeichnung  der  einschlägigen  Rechtsgrundsätze  bezogen 
Averden.  Dagegen  ist  es  leider  nicht  möglich  geworden,  den  Charakter 
jener  ältesten  Grundlage  des  Stadtrechtes  näher  zu  bestimmen. 
Ennisch  hat  sich  eine  jedem  Juristen  Ehre  machende  Mühe  gegeben, 
alle  Quellen,  aus  denen  das  Freiberger  Recht  getiofsen  sein  könnte, 
zu  verfolgen,  doch  kann  kein  anderes  deutsches  Rechtsbuch  als 
Hauptgrundlage  desselben  bezeichnet  Averden,  vielmehr  finden  sich, 
ohne  dafs  eine  unmittelbare  J^enutzung  nirtglich  und  erweislich 
Aväre,  Anklänge  soAvohl  an  das  Landrecht  des  Sachsenspiegels  als 
an  das  Rechtsltuch  nach  Distinktionen,  bei  welchem  die  mit  dem 
Goslarer  Rechte  übereinstimmenden  Satzungen  durch  die  Beziehungen 
desFreiberger  Bergbaues  zum  Harzer  einen  besonderen  Hintergrund 
besitzen  dürften,  Avie  an  das  sächsische  Weichbildsrecht  und  an  die 
Rechtslmcher  der  böhmischen  Städte  ;  so  sehr  aber  unter  den  letzteren 
das  Iglauer  von  besonderer  Wichtigkeit  für  das  Bergrecht  in  Frei- 
berg war,  läfst  sich  ein  Gleiches  vom  Stadtrechte  nicht  naclnveisen, 
vielmehr  müssen  die  gemeinsamen  Berührungspunkte  darauf  zurück- 
gehen, dafs  in  Freiberg  Avie  in  Böhmen  fränkische  oder  flamländische 
Einflüsse  selltständig  tliätig  gCAvesen  sind.  Am  schärfsten  tritt  an 
den  eigentümlichen  Bestimmungen  des  Freiberger  Rechts  über  die 
ehelichen  Güter-  und  Erbverliältnisse  eine  Mischung  von  ver- 
schiedenartigen, anderAveit  in  Deutschland  geltenden  Grundsätzen 
hervor  un<l  es  raufs  entschieden  angenommen  werden,  dafs  diese  Ver- 
einigung fi'emder  Elemente  liereits  längere  Zeit  vor  der  Aufzeichnung 
der  Freiberger  Rechtsüberlieferung  stattgefunden  habe. 


Litter  atnr.  165 

Der  Rt'dactor  der  Irtztcrcu  hat  lioi  seiner  Arlieit  iiaclnveislirli 
zumeist  aus  eigener  Kenntnis  geseliüpft  und  nur  da,  wo  ihn  letztere 
in  Stich  liels,  sich  in  Gestalt  vcm  Weistüniein  Auskiiutt  hei  den 
))erufenen  Trägern  der  mündlichen  Reehtsiiherlieferung  im  städtischen 
Rate  erbeten.  Daher  kommt  es  zum  Teil,  dafs  die  A-erschiedenen 
Reclitsmaterien  nicht  immer  liesonders  folgerichtig  aneinander  gereiht 
lind  scharf  auseinander  gehalten  sind,  wie  Ermisch  8.  XXI— XXIA' 
im  einzelnen  zeigt.  Das  mufs  uns  auch  in  Anbetracht  der  übrigen 
Zeitverhältnisse  nicht  allzusehr  Wunder  nehmen  und  darf  vor  allem 
nicht  unser  Ui'teil  über  die  Befähigung  und  Leistung  des  Redaktoi's 
nachteilig  l)eeintlussen.  Berichterstatter  möchte  im  Gegenteil  nach 
Durchsicdit  der  neuen  Ausgabe  die  Anlagen  und  die  Thätigkeit  des 
Kompilators  recht  hoch  anschlagen  und  daher  eher  auf  die  frühere 
Annahme  von  Klotzsch  zurückkommen,  dafs  jener  dem  geistlichen 
.Stande  angehört  habe '.  damit  würde  die  von  Ermisch  S.XXI  aufgestellte 
Vermutung,  dals  der  Autoi-  unter  den  Ereiberger  Stadtschreibern  zu 
suchen  sei,  durchaus  vereinbar  sein,  denn  um  1300  dürfte  Avohl  eher 
ein  Geistlicher  als  ein  Laie  das  Stadtschreiberamt  iune  gehabt 
haben.  Weniger  möchte  ich  einem  Yogte  oder  einem  Ratsmitgliede 
jener  Zeit  die  für  eine  solche  Aufgabe  erfoi'derlichen  Kräfte  zu- 
trauen. Ereilich  mufs  bei  den  geringen  Anhaltspunkten,  die  das  Erei- 
berger Rechtsbuch  wie  viele  ähnliche  Werke  hinsichtlich  der  Person  des 
Verfassers  bietet,  eins  wie  das  andere  A'ermutung  bleiben.  —  Wer 
und  was  immer  auch  der  Schöpfer  des  Werkes  gewesen  sein  mag. 
er  geuiefst  den  Ruhm,  dafs  seine  Schöpfung  über  500  Jahre  Bestand 
und  Ansehen  behalten  hat;  erst  1832  ist  das  statutarische  Recht  der 
Stadt  Freiberg  endgültig  und  vollständig  durch  die  Einführung  der 
sächsischen  Städteordnung  beseitigt  worden.  Allerdings  hat  es  die 
letzten  drei  Jahrhunderte  hindurch  bereits  nicht  niehi'  in  seinem 
vollen  Umfange  gegolten;  eine  Reihe  wichtiger  Bestimmungen  wai'en 
schon  seit  Anfang  des  16.  Jahrhunderts  durchbrochen  worden  und  in 
Abgang  gekommen.  Die  landesherrliche  Macht  war  es,  die  damals 
zuerst  eine  den  Bestimmungen  des  Stadtrechtes  entgegenlaufende 
Änderung  der  Ratsverfassung  durchsetzte  und  die  bisher  verpönte 
Appellation  an  den  Hof  zur  Geltung  brachte  ;  bei  den  \'erhandlungcn 
ülter  diese  Punkte  kam  herzoglichcTseits  die  Ansicht  offen  zum  Aus- 
druck, dafs  die  vorliegende  Aufzeichnung  des  Stadtrechtes  ül)erhau])t 
nicht  als  glaubwürdige  Ui'kunde  anzusehen  sei,  eine  Anschauung, 
die  vielleicht  ebensosehr  doi-ch  die  alle  leitenden  Kreise  erfassende 
römische  Auffassung  der  Gesetzgebung  und  der  Rechtsverhältnisse 
herbeigeführt  war.  wie  zu  Gunsten  einci-  Verbreitung  dersidben 
wiederum  gtdtend  gemacht  wurde.  Zueilt  ging  Herzog  Heiniich 
gegen  das  in  Ereiberg  geltende  eigentümliche  X'erfahren  gegen  Ab- 
wesende und  gegen  das  „Verzählen",  eine  Eorm  der  Stadtver- 
weisung.  vor;  ein  weiterer  Versuch,  die  gesamte  städtische  Gesetz- 
gehung  einer  l'rüfung  und  Neuredaktion  durch  seine  Beamten  und 
.luristcn  zu  untei'we.rfen,  wurde  zwar  durch  die  hei'einbreclieiiden 
kindiliihen  W'in'cn  vereittdt,  dagegen  ergal)en  die  1.572  veröffent- 
lichten Konstitutionen  des  Kurfürsten  August,  die  in  Zukunft  als 
allein  gültiges  Landesrecht  angeselien  werden  sollten,  eine  Reihe  von 
(legensätzen  zuni  Ei'cilierger  Krli-  und  ehelichen  Güterrecht,  und  es 
raufste  über  dies(ll)en  zu  einer  nachhaltigen  Auseinandersetzunu' 
kommen.  Nachdem  man  eine  Zeitlang  in  Kreiberg  die  abweichenden 
landesheriliclien  Verordnungen  als  nicht  bestellend  lieti'achtet  liatte,  sali 
man  sich  doch  alsltald  gezwungen,  den  Weg   der.  VerhaniUnngen  zu 


166  Litteratur. 

lietreteu.  al)er  alle  an  den  Hof  gerichteten  Bitten  wurden  infolge 
des  Eintiusses,  den  der  üeheinirat  Craco  dort  ülite,  alischläglicli  be- 
scliieden  und  ein  nach  dem  Sturze  desselben  erneuter  Versuch  zu 
Gunsten  der  stadtrechtlichen  Gesetzgebung  hatte  keinen  anderen 
Erfolg,  als  dafs  die  Gültigkeit  der  letzteren  in  verschiedenen  Erli- 
rechtsfragen  bis  zum  Juli  1576  zugegeben,  von  da  ab  auf  das  Be- 
stimmteste aufgehoben  wurde.  Diese  vielfältigen  Durchbiechungen 
der  alten  Statuten  waren  es,  die  Ende  des  17.  Jahrhunderts  den 
Eat  selbst  veianlafsten,  mit  einer  durchgreifenden  Revision  vorzu- 
gehen, und  in  der  That  kam  dank  der  unermüdlichen  Thätigkeit  des 
damaligen  Bürgermeisters  Giaupitz  ein  Entwurf  zu  stände,  der  durch 
eine  Kommission  des  Rates  sowie  duich  einheimische  und  auswärtige 
Juristen  geprüft,  von  der  Bürgerschaft  angenommen,  trotz  vielfältiger 
Bemühungen  iloch  die  kurfürstliche  Bestätigung  nie  erhielt.  Selbst- 
verständlich kam  es  auch  nicht  zu  einer  Veröftentlichung  dieser  Be- 
arlieitung  durch  den  Druck ;  dafs  man  eine  solche  beabsichtigt  hatte, 
beweist  ein  Teil  der  von  Ermisch  nachgewiesenen  Handschriften. 
Nicht  ohne  ein  gewisses  Bedauern  und  Mitgefühl  kann  man  diesen 
Nieder-  und  Untergang  der  pi'aktischen  Geltung  der  altehrwürdigen 
'  städtischen  Gesetzgebung  sich  vollziehen  sehen:  um  so  erfreulicher  ist 
es,  dafs  ihre  Eigenschaft  als  historisches  Denkmal  duich  Ermisch's 
Ausgabe  in  so  trefflicher  Weise  gewürdigt  worflen  ist. 

Kiel.  Wilhelm  Seh  um. 

Die  Landfrieden   in  Deutschland  unter  Ludwig  dem  Baiern   von 
Jakol»  Solnvalni,  Dr.  phil.    Göttingen.  Vandenhoeck  und  Ruprecht. 

1889.     170  SS.     8*». 

Wie  das  gesamte  politische  Leben  Deutschlands  seit  dem  Liter- 
regnnm  sich  mehr  und  mehr  auf  die  Territorien  zurückzog,  so  tritt 
auch  hinsichtlich  der  Landfiiedensgesetzgebung  seit  dem  Ende  des 
13.  Jaluhunderts  die  Reichsgewalt  in  den  Hintergrund  und  ülterläfst 
den  Einzelfürsten  die  Sorge  für  den  Kiieden  ihrer  Länder.  Die  voi'- 
liegende  tleifsig  und  gründlich  gearbeitete  Monographie  hatte  sich 
mithin  vorzugsweise  mit  teriitorialen  Landfriedensltündnissen  zu  be- 
schäftigen, und  das  ist  es.  was  uns  veranlafst,  an  dieser  Stelle  in 
Kürze  auf  sie  hinzuweisen.  Denn  auch  die  Wettiner  haben  an  jenen 
Bestrebungen  teil  genommen.  Während  noch  das  der  Grenzscheide 
des  13.  und  14.  Jahrhunderts  angehörende  Fi'eiberge)'  Stadtrecht 
die  hohe  Bedeutung  des  Reichslandfriedens,  des  „vride,  den  der 
keiser  geboten  hat,  die  vursten  gelobit  haben,  die  lantherren  ge- 
sworn  haben"  (Cap.  Xll.  §  5)  mehrfach  hervortreten  läfst,  sehen 
wir  sowohl  in  den  thüringischen  als  in  den  meifsnisch-osterländischen 
Landen  seit  dem  Anfange  des  14.  Jahrhunderts  territoriale  Land- 
frieden in  Kraft  treten,  deren  Entwicklung,  Verfassung  und  Wirk- 
samkeit in  der  vorliegenden  Schliff  eingehend  behandelt  worden 
(S.  94tlg..  114iig.).  In  Thüringen  kam  es  1315  zu  einen  solchen 
Landfrieden,  über  den  wir  mancherlei  wissen;  von  besonderer  Wich- 
tigkeit aber  ist  das  leider  textlich  nicht  völlig  korrekt  über- 
lieferte thüringische  Landfriedensgesetz  Friedrichs  des  Ernsthaften 
vom  30.  Ndvember  1338.  Neben  diesen  thüringischem  Landfrieden 
Ijestand  1313  schon  ein  meifsnisch-osterländischer  Landfriede,  an 
welchem  die  Bischöfe  von  Meifsen,  Merseburg  und  Naumburg  und 
verschiedene  Herren  der  Mark  Meifsen,  des  Osterlandes  u.  s.  w.  teil- 
nahmen; es  war  wohl  lediglich  eine  Fortsetzung  desselben,   was  der 


Litteratur.  j67 

Rat  zu  Halle  iu  einer  Uikiuule  vum  31.  Juli  1321  alti  den  „laudviidc 
zu  Misne  und  in  deme  Osterlande"  bezeichnet  und  dem  nach  einer 
Urkunde  vom  14.  Mai  1827  auch  Herzog'  Rudolf  von  Sachsen,  zwei 
Anhalter  Fürsten,  der  Herzog  von  Mecklenliui'g,  die  Herren  von 
Barby  und  Regensteiu  angehörten,  so  dafs  sein  Wirkungskreis  also 
erheblich  nach  Norden  erweitert  erscheint. 

Dresden.  Erniisch. 

Die  Einführung   der  Reformation   in  Dresden.     Aus  Anlafs    der 

Erinuerungsfeier   im  Jahre  1889  dargestellt   von  Franz  Dibelius. 

Dresden,  Justus  Naumann  (L.  Ungelenk).    1889.     89  SS.     8". 

In  der  vorliegenden  Festschrift  knüpft  der  Verfasser  au  seine 
frühereu  Studien  über  das  kirchliche  Ijeben  Dresdens  am  Ausgange 
des  Mittelalters  an  (Beit)'äge  zur  siichsischeu  Kircheugeschichte. 
Heft  2).  Namentlich  führt  er  im  1.  Kapitel  die  bereits  in  dem  ge- 
nannten Aufsatze  angedeutete  Charakteristik  Herzog  Georg  des 
Bärtigen  unter  Benutzung  der  inzwischen  erschienenen  Litteratur 
weiter.  Wie  in  seinen  früheren  Arbeiten  hat  der  Verfasser  auch 
diesmal  dem  an  sich  spröden  Stoff  durch  Heranziehung  wichtiger 
einzelner  Züge  Leben  abgewonnen.  So  sei  aus  dem  2.  Kapitel, 
welches  die  Regierung  Herzog  Heinrich  des  Frommen  behandelt, 
hervorgehoben  die  Besprechung  des  Katechismus  Johann  VIIL, 
Bischofs  von  Meifsen:  „Eine  gemeine  christliche  Lehr  iu  Artikeln, 
die  einem  jeden  Christen  zu  wissen  vonnöthen".  Die  Schrift  sollte 
„in  einem  bedeutenden  Moment  der  sächsischen  Geschichte  den  letzten 
Versuch  darstellen,  mit  List  bei  dem  evangelisch  gesinnten  Herzog 
Heinrich  das  zu  erreichen,  was  man  unter  dei'  Regieruug  des  anti- 
lutherischen Georg  vergeblich  erstrebt  hatte".  Im  3.  Kapitel,  über- 
schrieben: „Der  Einzug  der  Reforraatiim  in  Dresden"  bietet  die 
Frage  nach  der  Stellung  der  Dresdner  Bevfilkeruug  zur  Reformation 
eine  Reihe  neuer  Gesichtspunkte.  Verfasser  kommt  zu  dem  Resul- 
tate, dafs  nicht  etwa  ein  Befehl  des  Herzogs  die  Einführung  der 
neuen  Lehre  erzwungen  hat,  sondern  die  Reformation  lediglich  die 
obrigkeitliche  Anerkennung  einer  unabänderlichen  Thatsache  bedeutet. 
Mit  neun  schwerwiegenden  Gründen  belegt  der  Verfasser  seine  An- 
schauung. Wichtig  ist  folgende  Stelle  aus  einem  Briefe  des  Cochläus 
über  den  Kanzler  Pistoris,  aus  welcher  hervorgeht,  dafs  auch  an 
Herzog  Georgs  Hofe  sich  Sympathien  für  Wittenberg  regten:  „Non 
placet  ei  (Pistoris)  quod  contra  Ijutberum  pro  ecclesia  quaedam 
ilefendere  stndeo,  vellet  liberuni  esse  coniugium  sacerdotibus,  facereque 
ait  contia  a])ostolum  et  ecclesiam  eos  (jui  i)r(iliibeut  nid)ere.  Utranique 
speciem  et  panis  sul)stantiani  in  sacramento  adproltare  videtui'.  Et 
in  summa  videtur  inultis  Lutlieranis  dogmatibus  iiropensior  quam 
velit  Clerus.  Haec  secreto."  Das  letzte  Kapitel:  Die  I3ui'chführung 
der  Reformation  in  den  Dresdner  (Gemeinden  fülii't  bis  zur  He- 
cnditiung  <le]'  zwijten  Visitatinu  und  bietet  nähci'e  Angaben  über  Eiu- 
riclitmig  des  kircliliclien  Lebens,  des  Gottesdienstes  und  des  Schul- 
wesens. 

Dresden.  Georg  Müller. 

IMe  kirchliclicu  XiistiiiHle  Hautzens  im  l(>.  und  17.  .lalirlninderl. 

Nach  urkundlichen  Qu(dlen  dargestellt  von  Friedrich  Ih'rniiinn 
Haiimgärtel.  Rostocker  Inauguraldissertatinu.  Heigabe  zuu!  i'ro- 
gramm  der  Realschule  zu  Bautzen.     ]ft89.     64  SS.  ^8". 


168  "  Litteratur. 

Die  Ge.scliiclite  der  alten  Seclisstadt  und  Soilionhauptstadt 
Bautzen  gehört  nicht  zu  den  Get)ieten,  welche  sich  bisher  einer  be- 
sonders eifrigen  Bearbeitung  halten  rühmen  düifen.  Dies  zeigt  sich 
in  auffallender  Weise,  wenn  man  in  Bichters  kürzlich  erschienener 
Litteratur  der  Landes-  und  Volkskunde  des  Königreichs  Sachsen 
den  Umfang  der  über  Bautzen  erschienenen  Schriften  mit  denen  über 
andere  sächsische  Städte,  z.  B.  Zittau,  vergleiclit.  Um  so  dankbarer 
ist  die  vorliegende  Darstellung  der  kirclilichen  Zustande  Bautzens 
im  16.  und  17.  Jah]'hunde]t  zu  begrüfsen.  Eeiches  archivalisches 
Material  stand  dem  Veifasser  zur  Verfügung.  treftli(di  ist  ihm  der 
von  dem  Herausgeber  dieser  Zeitschrift  gemachte  Urkundenfund  zu 
statten  gekommen.  Die  schönsten  Stücke  entstammen  demselben. 
Referent  verweist  auf  eine  Reihe  fesselndei'  Schilderungen,  z.  B. 
über  die  ei-sten  evangelischen  Prediger.  Paul  Cosel  und  Michael 
Arnold,  wie  die  Veifolgung  des  Bautzner  Schulmeisters,  der  ein 
Pasquill  über  die  Zerstörung  des  Grabes  des  Bischofs  Benno  von 
Meifsea  geschrieben  odei'  wenigstens  verbreitet  hatte.  Der  Mangel 
an  Raum  war  wohl  der  Grund,  weshalb  dei'  \'erfasser.  der  die  archi- 
valischen  Quellen  so  soi'gfältig  ausgenutzt  hat,  die  gedruckte  Litte- 
ratur nicht  noch  mehr  herangezogen  hat.  So  hätten  Karl  Schubarts 
aus  den  Quellen  gearbeiteten  Beiträge  ..Zur  Geschichte  des  Gvm- 
nasiums  in  Budissin  (Bautzen)  T.  IL"  (Budissin  18fi3.  1864)  niniiche 
Anknüpfung  geboten.  Auch  wäre  der  Verweis  auf  die  reformations- 
geschichtlicheu  Quellenschriften  der  Würdigung  einzelner  Persönlich- 
keiten zu  gute  gekommen.  Verwiesen  sei  nur  auf  Johann  Langer 
(S.  17),  über  den  in  Luthers  Briefwechsel  (De  Wette  III,  021) 
näheres  berichtet  wird.  Er  war  in  Naumburg  Prediger,  aber  vom 
dortigen  Bischof  vertrieben,  wurde  er  von  Luther  dem  Kurfürsten 
als  Prediger  nach  Koburg  empfohlen,  wo  er  1548  starb.  Vergl.  auch 
über  ihn  Seckendorf,  Historia  Lutheranismi.  Lipsiae  1694.  Lib.  III, 
p.  70.  Hönn,  Sachsen-Koburgische  Historia.  I.  80.  20L  Burkhardt. 
Dr.  Martin  Lutheis  Briefwechsel.  S.  151.  166.  —  Zum  Schlüsse  sei 
noch  auf  des  Verfassers  kürzlich  erschienenen  Aufsatz  verwiesen 
„Das  Teiminierhaus  der  Augustiner  in  Bautzen"  (Wöchentliche  Bei- 
lage zu  den  Bautzner  Nachrichten  1889.  Nr.  8.5.  36).  der  in  An- 
knüpfung an  eine  A)-beit  von  Knotbe  eine  Upisode  aus  der  Bautzner 
Klostergeschichte  behandelt  und  auch  einige  Notizen  zur  Geschichte 
des  Franziskanerordens  enthält. 

Dresden.  Georg   Müller. 

Mitteilmigeii    aus    dem    Protokoll    der   Kirchen -Visitation    im 
sächsischen    Knrhrelse    vom   .Jahre     lo.'iS,    von    Dr.    Hermann 

Hering-,  ord.  Professor  der  Theologie.  Wittenberg,  1889.  n-Z  SS. 
gr.  8"  [Osterprogramm  der  Kgl.  vereinigten  Uriedrichs-Universität 
Halle-Wittenberg  1889]. 

Die  Visitation  von  1.0.55  hat  für  die  sächsische  Landeskirche 
eine  hervorragende  Bedeutung,  weil  auf  Grund  derselben  die  General- 
artikel entstanden  sind,  welche  nicht  nur  in  der  Verwaltungs- 
geschichte unserer  engeren  Heimat  einen  wichtigen  Markstein  bilden, 
sondern  auch  aufserhalb  derselben  vielfach  vorbildlich  und  mafsgebend 
geworden  sind.  Um  so  dankenswerter  ist  die  obengenannte  A'er- 
öffentlichung  eines  Bruchstückes  der  Visitations-Protokolle,  welches 
sich  im  Archive  dei'  theologischen  Fakultät  zu  Halle  Ijetlndet  und 
die  vier  Amter   Schlichen,   Liebeuwerda,   Beizig  und  Gommern  um- 


Litteiatnr.  169 

fafst.  Es  ist  ein  iiemT  Beweis  dafüi'.  welcli  wertvolle  Schätze  iincli 
migelioben  in  den  Visitations-Akteu  lulien.  In  denselbeu  ündeu  sieh 
über  Pfarrer  und  Lehrer  eine  Reihe  von  Ans^abeu,  w^elche  zur  säch- 
sischen Gelehrtenyeschichte  manchen  Reitrat;-  liefern.  Deutlich  tritt 
das  Bestreben  hervor,  die  Geistlichen,  welche  ohne  Universitätshililnni>- 
ins  Amt  gekommen  waren,  durch  solche  von  wissenschaftliche!'  Tüch- 
tigkeit zu  ersetzen.  Besondere  Fürsorge  wird  der  Heljung  des 
Jugendunterrichts  zugewendet  nnd  in  dieser  Eichtung  namentlich  der 
Katechismusnnterricht  gefördert.  Hervorzuheben  ist  ein  Ansatz  zum 
Schulzwange  in  der  Bestimmung,  die  zu  Haseloff  (S.  24)  getroffen 
wird,  dafs  unentschuldigtes  Versäumen  des  Katechismusunterrichts 
mit  festgesetzten  Strafen  geahndet  werden  soll.  Von  Interesse  ist 
zu  verfolgen,  wie  die  Bestimmung  der  Generalartikel,  dafs  die  Küster 
ein  Handwerk  treiben  dürfen,  nur  eine  Konzession  an  thatsäclilich 
schon  bestehende  Verhältnisse  war.  Auch  zur  Geschichte  der  Ver- 
fassung der  sächsisdien  Lande skirclie  tinden  sich  einzelne  Bausteine. 
Bezüglich  der  Ordination  wird  z.  B.  ein  l'farrer  erwähnt,  der  von 
Doctor  Justus  Jonas  geschickt,  nach  Löbnitz  kam.  „ohne  die  öffent- 
lich Ordination,  die  dazumal  noch  nicht  angeiicht  war.  als  er  etlicli 
Jahr  in  I'atria  Schulmeister  und  Stadtschreiber  gewesen  war"  (S.  ;il). 
Welche  Freiheit  bezüglich  der  kirchlichen  Einrichtungen  herrschte, 
geht  aus  der  Thatsache  hervor,  dais  in  den  drei  Ämtern  Go}nmern. 
Plötzik  und  Elbenaw  die  meklenburgische  Kirchenordnung  seit  1553 
eingeführt  war  (S.  28).  Auch  zur  Statistik  der  Bevölkerung  tindcii 
sich  zahlreiche  Notizen;  die  kirchliche  \'ersorgung  der  damals  nocli 
wendischen  Bevölkerung  der  Dörfer  um  Barnth  wird  erwähnt  (S.  10). 
Referent  schliefst  mit  dem  Wunsche,  dafs  der  Verfasser  auch  ferner 
die  Programme  zur  Herausgabe  urkundlichen  Materials  benutzen 
möge,  wie  die  in  denselben  enthaltenen  Veröffentlichungen  .1.  Köstlins 
aus  den  Jlatrikeln  der  Universität  AN'ittenberg  eine  klaffende  Lücke 
ausfüllen. 

Dresden.  Georg  IM  ü  1 1  e  r. 

(Juelleii  zur  (ioschiclito  Leipzigs.  Veröffentlichungen  aus  tlcui  Archiv 
und  der  Bibliothek  der  Stadt  Leipzig.  Herausgegel)en  von  (iustav 
»'ustniann.  Erste)-  Band.  Mit  6  Abliildungen.  Gedruckt  aut 
Kosten  der  Stiftung  für  die  Stadt  Leipzig.  Leipzig,  Dunckei-  u. 
Humblot.     1889.     XV,  493  SS.     8". 

Mit  diesem  Bande  führt  sich  ein  neues  Unternehmen  ein.  welches 
nicht  nur  der  Stadtgeschic  hte  reichesQudlenmateiial  zugänglicli  machen, 
sondern  anch  den  mehr  und  mehr  gesunkenen  Sinn  füi-  die  städtische 
Vergangenheit  in  Leipzig  anregen  soll.  Diesen  letzteren  Gesichts- 
punkt mufs  man  bei  Beurtheilnng  des  Werkes  im  Auge  behalten. 
Der  Herausgeber,  der  recht  wohl  wufste,  dafs.  wer  vieles  bringt, 
wird  manchem  etwas  bringen,  vereinigte  in  diesem  ersten  Bande 
sehr  Verschiedenaitiges.  Die  gröfsere  Hälfte  desselben  nehmen  die 
Auszüge  aus  J.  S.  Riemers  Leipzigischcm  .lahi'buche  (1711  1771) 
ein.  l5iese  Aufzeichnungen  sind  keine  Tagebücher,  sondern  eine 
aus  den  mannigfaltigsten  Quellen  zusammengetragene  t'hronik. 
Wer  sich  für  den  ..lokalen"  Teil  unserer  Tagelilättei-  interessiert, 
wit-d  bei  Riemer  für  das  18.  Jahrhundert  reiche  .Ausbeute  tinden; 
einen  gröfseren  Wert  dürfte  aber  dieses  .lahrbiuh  kaum  beansiiruchen. 
Hieran  schliefst  sich  ein  kurzer  Aufsatz  des  Heransgel)ers  zur  Ge- 
schichte des  Theaters  in  Leipzig  Ififiö— 180o,    in    welchem    uns    auf 


& 


170  Litter  atur. 

Grund  der  ]\Iefsrechmmgeii  ein  Verzeichnis  der  seit  166?)  in  Leipzig 
wälireml  der  Messe  aufgetretenen  Schauspieltruppen  gegehen,  sowie 
ihre  Thätiglceit  geschildert  wird.  Zwei  Beschreibungen  Leipzigs 
aus  dem  16.  Jahrlmndert  von  Ulrich  Urol's  (1587)  und  Wilhelm  Dilich 
(1594)  leiten  den  Band  ein.  bieten  aber  kein  hervorragendes  Interesse. 
Der  Sclnverpuukt  der  Publikation  liegt  m.  E.  in  den  Leipziger 
Steuerbüchern  von  1466 — 1529.  Und  wenn  der  Herausgeber  gerade 
im  Hinblick  auf  die  Bestrebungen,  welche  die  neuere  Wirtschafts- 
geschichte beherrschen,  diesen  Teil  veröffentlicht  hat,  so  wird  ihm 
der  Dank  von  den  Vertretern  derselben  auch  nicht  versagt  werden. 
Jedes  der  vier  mitgeteilten  Steuerbü(dier  ist  mit  einei'  längeren  Ein- 
leitung versehen,  die  wii'  uns  nur  noch  etwas  ausfülirlicher  gewünscht 
hätten;  durch  Einordnung  in  Tabellen  hat  0.  Richter  —  vergl.  diese 
Zeitschrift  Bd.  II  u.  ^litteil.  d.  Ver.  f.  Gesch.  <l.  St.  Meifsen  Hft.  1 
—  diesen  so  spröden  Stoff  noch  übersichtlicher  gegliedert.  Das 
Harnischlnich  von  1466  zeigt,  Avelche  Handwerke  damals  in  Ijcipzig 
zu  Zünften  (24)  vereinigt  waren;  Tuchmacher,  Bäckei',  Fleischer, 
Schneider  sind  am  stärksten  vertreten,  Beutler,  Nadler,  Riemer  da- 
gegen am  schwächsten.  Das  Türkensteuerbuch  von  1481  verzeichnet 
den  Eingang  iler  von  den  Herzögen  Ernst  und  Alltrecht  ausgeschrie- 
benen Vermögens-,  Einkommen-  i;nd  Kopfsteuer.  Eine  Prüfung  der 
Landsteuerbücher  von  1499,  1502,  1506  und  des  Türkensteuer- 
buches von  1529,  welche  noch  mitgeteilt  werden,  ergiebt  be- 
«leutende  Scliwankungen  in  der  Einwohnerzahl  und  dem  Vermögens- 
bestand. Z\\ischen  1499—1506  scheint  ein  Rückgang  in  den  Erwerbs- 
verhältnissen  eingetreten  zu  sein;  bei  den  Wohlhabenderen  wird  ein 
bedeutender  Abfall  in  ihrem  Vermögen  bemerkbar.  Im  "N'ergleich  mit 
Dresden  und  Meifsen  zeigt  Leipzig  einen  erheblich  gröfseren  Wohl- 
stand; ein  Vermögen  von  über  2000  tt.  besassen  in  Dresden  (1488)  nur 
eine  Person  (235011.),  in  Meifsen  (1481)  drei  Personen  (7800  fl.).  in 
Ijeipzig  aber  39  Personen,  und  die  16  höchst  Besteuerten  hatten  ein 
CTesamtvermögen  von  131900  fl.  (pro  Kopf  8231  fl.)  und  bezahlten 
25  7o  des  Steuersolls. 

Dresden.  R  o  b  e  r  t  W  u  1 1  k  e  -  B  i  1 1  e  r. 

l{eschreil)on(Ie  Darstellung  der  älteren  Hau-  und  Kunstdenkmäler 
des  Königreichs  Sacliscn.  Auf  Kosten  der  Königlichen  Staats- 
regierung herausgegeben  vom  Königl.  Sachs.  Altertums -Verein. 
9.— 11.  Heft:  Amtshauptmannschaften  Auerbach,  Oelsnitz,  Plauen. 
12.  lieft:  Amtsbaui)tmannschaft  Zwickau.  Bearbeitet  von  Dr.  R. 
Steclie.  Dresden,'  in  Kommission  bei  C.  C.  Meinliold  und  Söhne. 
1888.  1889.     16,  33,  89  SS.     149  SS.    8". 

Dieselben  Vorzüge,  die  schon  zu  wiederholten  Malen  dieser 
Arbeit  nachgerühmt  wurden,  zeichnen  auch  die  neuen  Lieferungen 
aus.  Die  Anlage  der  Kirche  zu  Oelsnitz  ist  in  ihrer  Unregelmässig- 
keit sehr  beachtenswerth ;  dann  verdient  <lie  interessante  geschnitzte 
Truhe  aus  der  Kirche  zu  Untertriebel  hervorgeholten  zu  werden. 
Das  Altarbild  aus  Jöfsnitz,  die  merkwürdige  Kirche  zu  Kürbitz,  die 
schöne  Alabastei'skulptur  aus  der  Kirche  von  Netzschkau.  die  Glas- 
gemälde von  Neumai-k  und  das  Altarwerk  der  Lutherkirche  zu  Plauen 
sind  wertvolle  Kunstdenkmäler  und  haben  eine  Bedeutung  nicht 
allein  für  die  sächsische  Kunstgeschichte.  Besonders  reich  ist  das 
zwölfte  Heft  ausgestattet.  Hauptsächlich  nimmt  das  Interesse  in 
Anspruch  die  Besprechung  der  spätgotischen  Marienkirche  zuZwickau 


Litteratur.  171 

mit  ihren  lieryorragenden  Kunstdenkinäleni.  Sehr  dankenswert h  er- 
scheint es.  dals  von  Michael  Wolgeinntlis  Altarwerk  gutgelungene 
l)hotograpliisclie  Reproductionen  mitgeteilt  werden.  Zu  S.  105  be- 
merke ich,  dafs  der  dritte  Hexameter  der  auf  die  Sippe  der  h.  Anna 
bezüglichen  Verse  unvollständig  ist.  Der  Vers  ist  zu  ergänzen: 
(Has)  duxere  (viri)  Joseph,  Alpheus,  Zehedaeus  etc.  Auf  S.  82  ist 
die  Inschrift:  Im  jare  etc.  durch  ein  A' ersehen  des  Druckers  verun- 
staltet worden,  der  die  Anfangsbuchstaben  der  zweiten  und  dritten 
Zeile  vertauschte.  S.  36  wird  die  Jahreszahl  Z.  2  wühl  lieber  1507 
als  1502  zu  lesen  sein.  Der  Namen  des  h.  Quirinus  ist  S.  68  in 
einen  S.  Klerinus  vielleicht  bei  einer  Restaurierung  verändert  worden. 
Die  Beschreibung  dei'  Kunstwerke  ist  kurz  aber  immer  zweckent- 
sprechend und  vollauf  genügend;  die  Abbildungen  sind  meist  wohl 
gelungen  und  gut  gewählt.  So  bieten  auch  diese  Hefte  der  be- 
schreibenden Darstellung  wieder  eine  hoch  anzuerkennende  Bereiche- 
rung imserer  vaterländischen  Kunstgeschichte  und  liewähren  sich  aufs 
neue  als  eine  vortreffliche  Leistung,  welche  den  übrigen  in  Deutschland 
erscheinenden  Monumentalstatistiken  nur  als  Muster  hingestellt  werden 
kann. 

Prag.  A.  Schultz. 


Übersicht 

ül)er  neuerdings  erschienene  Schriften  und  Aufsätze  zur 

sächsischen  Geschichte   und  Altertumskunde. 

Ärras,  Faul.  Bilder  aus  der  sächsischen  (ieschichte.  Für  Schule 
und  Haus  zusaminenüestellt.  Lei])ziü-.  A'eit  &  Comp.  1889. 
136  SS.    8«. 

—  Bündnis  Friedlich  des  Sanftmütigen  und  Friedricli  des  Fried- 
fertigen mit  den  Seclislanden  und  Städten  der  Übcrlausitz  (1429): 
Neues  Lausitzisches  Magazin.     Bd.  LXV.     S.  290—292. 

BauiHijärfeJ.  Ein  Bautzner  Innungsbrief  von  1408:  ebenda  S.  293 
bis' 295. 

—  Das  Terminierhaus  j;ler  Augustiner  in  JJautzen :  Wöchentl.  I'>ei- 
lage  zu  den  Bautzner  Nachrichten.     1889.     No.  35—36. 

Becker,  Joh.     Kurfürst  Johann  von  Sachsen  und  seine  Beziehung»  u 

zu  Luther.     1.  Teil.  1520—1528.    (Leipzig.  Tnaug.-Diss.).  Leipzig. 

Gräfe.     1890.     82  SS.     S". 
Blanckmeister,  Franz.    Von  Platten  nach  JohanngeorgenstaiU.    Line 

Exulantengeschichte     aus     der     l)öhmisclien     (iegeni'cfurmatiou. 

Barmen,  H.  Klein.    40  SS.     8<*. 
f Bücher. J     Zehn  Jahie  in  Kri(>g  und  Frioden  1866  bis  1876.     X'oni 

Verfasser  der  .lugend-Erinnerunücn  eines  alten  Sachsen.    Dresden, 

Hackarath.     1889.     VI,  146  SS.     8". 
Distel;  Th.     Nachrichten  über  den  Mag.  Johann  l'uUicarius.  Su\k'Y- 

intendenten  zu  Wcifsenfels,  und  seinen  gleichnamigen  Sohn  (1569): 

Zeitschrift  für  Kirciiengeschichte      Bd.  XI    (1889).     S.  167—169. 

—  Schreiben  Lindenianiis  an  Kurfüi'st  Auaust  zu  Sachsen.  Fhuius 
betretteml  (1.567):  ebenda  S.  330— 332. 

—  Ein  ^\'ort  über  den  geschichtlichen  W'vrt  des  sogeiiannten  Sädi- 
sischtüi  Stauimbuchs:'  Kunstclironik  (Beiblatt  zur  Zeitschrift  für 
bildende  Kunst).     XXIV  (1889).     Sp.  676. 


172  Litterat  ur. 

Distel,  TIb.  Nachricliton  über  zwei  säclisische  ..lUuniiiiisten",  üaltliasiir 
1111(1  Saluiutiu  Iviiiast.  im  16.  Jalirliniidert :  ebenda  N.  F.  1  (1890). 
Sp.  157/58. 

—  Aus  einem  (iutacliten  Karl  Friedrich  Seliinkels,  betreffend  den 
Universitätsbau  zu  Leipzig  (1831):  Blätter  für  Architektur  und 
Kimsthaudwerk.     11  (1889).     S.  25. 

—  Bittgesuch  des  Daiumwildes  im  Thieigarteu  zu  Stol})en  au  Kurfürst 
Friedrich  August  II.  zu  Sachsen  (1738):  Weidmann.  XX  (1889). 
S.  413.     XXi  (1890).     S.  25. 

—  Meldung  you  dem  Fange  eines  ülier  70  Jahre  alten  Reihers  an 
Kurfürst  Friedrich  August  I.  zu  Sachsen  (1723):  ebenda.  XXI 
(1890).     8.  118. 

—  Kleinigkeiten  aus  dem  K.  Hauptstaatsarchiv  in  Dresden:  Archiv 
für  (Jeschichte  des  Deutschen  Buchliandels.  XIII  (1890).  S.  252flg. 

—  Ein  Falschmünzerei  betrefftmdes  Urtel  (16.  Jahihundert) :  Blätter 
für  Müüzfreunde.     1889.     Nr.  157.     S.  1479. 

—  Befrachtung  eines  von  Dresden  nach  Hamburg  gehenden  Schiffes 
ri562):  Schiff  X  (1889).     S.  38J. 

—  Zwei  griechische  Distichen  des  —  späteren  —  Königs  doliann  von 
Sachsen;  zum  12.  Dezember:  Wissenschaftliche  Beilage  der  Leip- 
ziger Zeitung.     1889.     Nr.  148.     S.  593. 

Eitner,  Hob.    Der  Di-esdner  Kapellmeister  Giovanni  Battista  Pinello: 

Monatshefte  für  Musikgescbichte.     XXI  (1889).     S.  175-178. 
Ernst  IL,  Herzog  von  Sachsen-Coburß-Goiha.    Aus  meinem  Leben 

und    aus   meiner   Zeit.     Diitter   Band.     1. — 6.  Auflage.     Berlin, 

Hertz.     1889.     726  SS.    8'\ 
Fischer,  P.      Zittauer   Concertleben    vor    100  Jahren:    Viert eljahrs- 

schrift  für  Musikwissenschaft.     Jahrg.  V  (1889].     S.  582-588. 
Gebauer,  H.    Die  Volkswirtschaft  im  Königreich  Sachsen.    Historisch, 

geographisch  uud  statistisch  dargestellt.    Lieferung  1 — 4.    Dresden, 

Baensch.     1889,  1890.     S.  1—256.     8"^. 

—  Die  Spielwaarenindustrie  des  Erzgebirges:  (TiMiieinverständliche 
wissenschaftliche  Aufsätze  über  das  Erzgebirge  (1.  Jahresbericht 
des  Erzgebirger  Zweigvereins  Chemnitz  1889).     8.  50 — 73. 

Geß,  Fei.  Buchhändler -Briefstyl  1580,  Hans  Börner  in  Leipzig 
und  Melchior  Sachse  in  Erfurt:  Archiv  für  Gescbichte  des  Deut- 
schen Buchhandels.     XIII  (1890).     S.  111-114. 

—  Spuren  der  Censur  in  Sachsen  um  das  Jahi'  1500:  ebenda  S.  245 — 247. 

—  Prefspolizei  auf  der  Leipziger  Messe  1531 :  ebenda  S.  250. 
Hähncl,  C.  L.     Bei   den  Fahnen    des    XII.    (königlich    sächsischen) 

Armeekorps.  Aufzeichnungen  eines  Angehörigen  des  107.  Regi- 
ments im  Feldzuge  1870'71.  München,  Beck.  1890.  VIII. 
150  SS.  mit  3  Plänen  auf  1  Bl.     8». 

Frhr.  von  Hausen,  Clemens.  Vasallen-Geschlechter  der  Markgrafen 
zu  INfeifsen,  Landgi'afen  zu  Thüringen  und  Herzoge  zu  Sachsen 
l)is  zum  Beginn  des  17.  .labrhunderts.  Auf  Grund  des  im  König- 
lichen Haupt  -  Staatsarchiv  zu  Dresden  beündlichen  Urkunden- 
raaterials  zusammengestellt:  Vierteljalirsschrift  für  Heraldik, 
Sphragistik  und  Genealogie.     Jahrg.  XVII  (1889).     S.  229-354. 

Hofl'niaun.  Justinus  Töllners,  pietistischer  Pfarier  zu  Panitzsch. 
Kirclilirhes  Zeitbild  aus  dem  Ende  des  17.  Jahrhunderts:  Sachs. 
Kirchen  und  Sehulbbitt.  1889.  Nr.  18-21.  Sp.  149-153,  157  bis 
159,  165-170,  177-181. 

Kade,  0.  Zu  Leonhard  Lerchner:  Monatshefte  für  Musikgeschichte. 
Jahrg.  XXI  (1889).     S.  186  f. 


Litter  atiir.  173 

Kade,  0.  Ein  cliui  fürstlich  sächsischer  Notendruck  von  1628 :  Wisseu- 
schaftlichf  P.cihigc  der  Leipziger  Zeituni;-.    1890.    Nr.  9.  S.  33— 35. 

Kade,  Beinli.  Der  Dresdner  Kapellmeister  Johannes  Baptista  Pi- 
nellus:  ebenda  S.  150—154. 

KirchJwft',  Albr.  Material,  Arbeit  uml  wirthschaftliche  Resultate  in 
den  Leipziger  Buchdruekereien  bis  zum  Jahre  16.n0:  Zeitschrift  für 
Deutschhmds  Buchdrucker.  I.  Jahrg.  (1889).  S.  35—37.  47—49. 
84—86,  94—97.  106—108,  132—135,  U5f.,  175f.,  187f,  195f. 

—  Die  Sortiments-  und  Kleinbuchhändler  Leipzigs  Ins  zum  Jalire 
1600:  Archiv  für  Geschichte  des  Deutsclien  Buchliandels.  XIII 
(1890).     S.  1-96. 

—  Die  Leipziger  Büchermesse  und  der  internationale  Verkehr  im 
16.  Jahrhuirdert:  ebenda  IS.  103—110. 

—  Ein  spekulativer  Buchhändler  alter  Zeit,  Johann  Franekt-  in 
Magdeburg:  ebenda  S.  115—176. 

—  Lesefruchte  aus  den  Acten  des  städtischen  Archivs  zu  Leipzig. 
IV.  Aus  dem  inneren  Geschäftsleben  des  Buchhandels  um  1600 : 
ebenda  S    177—203. 

—  Michael  Härder  von  Zwickau:  ebenda  S.  251. 

—  Ernst  Vögelins  Schriftbestände:  ebenda. 

—  Handel  mit  musikalis(!hen  Instiumenten  in  Leipzig:  ebenda  S.  253 
bis  257. 

—  Zur  Geschichte  der  sächsischen  Prefsverhältnisse  in  der  kryptocal- 
vinistischen  Zeit:  ebenda  S.  257—259. 

Koch,  E.  Ein  Beitrag  zur  Klarlegung  dei'  Umstände,  unter  welchen 
am  7.  und  8.  Juli  1455  der  Raub  der  l^rinzen  Ernst  und  Albrecht 
von  Sachsen  auf  dem  Schlosse  Altenburg  erfolgte.  (Festschrift 
des  Gymnasium  Bernhardiuum  zur  Feier  des  Henflingschen  Ge- 
dächtnistages am  30.  Januar  1890.)    Meiningen.  1890.    19  SS.    4». 

—  Die  Stiftung  Kaspar  Tryllers  vom  29.  September  1617  und  der 
Stammbaum  der  Tryller.  Nach  urkundlichen  Quellen  bearbeitet. 
Meiningen,  L.  v.  Eyes  Buchbandlung  (G.  Schräge).  1889. 
70  SS.  und  12  Tafeln.     8". 

Knothe,  Herrn.  Die  Oberlausitz  während  der  Jahre  1623 — 1631  von 
der  Pfandübergabe  an  Kursachen  bis  zum  Beginn  des  Krieges 
mit  dem  Kaiser:  Neues  Lausitzisches  Magazin.  Bd.  LXV.  S.  191 
bis  261. 

—  Urkunden  Brandenburger  Markgrafen  aus  dem  Klosterarchive  von 
Marienstern:  ebenda  S.  295—301. 

Köhler.  Die  ehemaligen  Zinnseifen  im  Erzgebirge:  Glückauf  I  Organ 
des  Erzgebirgsvereins.     Jahrg.  IX  (1889).     Nr.  23.    S.  9— Pi,  isf. 

—  Ein  erzgebirgisches  Weihnaclitss])iel :  ebenda  Nr.  11  12.  S.  107 
bis  114. 

Krebs,    Kurt.     Aus    der    Vergangenheit    von    Eutritzsch.     Leipzig, 

^  Roisberg.     1890.     IV,  214  SS.     8". 

Külz,  Ed.  Otto.   Nachrichten  über  Hainiehen  und  nächste  Umgebung 

als    Beiträge    zu    einer   Ortschronik   herausgegeben.      Hainiehen, 

Sell)Stverlag  des  Verfassers.     1889.     2  Bll.     344  SS.     8". 

Kurze,  F.     Geschichte  der  sächsischen  Pfalzgrafschaft  bis  zu  iiuen; 

Übergänge  in   ein  Territorialfürstentum:     Neue  .Mitteilungen  aus 

dem  Geb.  histor.-anti(iuar.  Forschungen.    Bd.  XVII.    S.  275—338. 

—  Bisehof  Thietmar  von  Merseburg  und  seine  Clirnnik.  (A.  n.  d.  T.: 
Neujahrsblätter.  iKsrausgegeben  von  dei-  liistoriscbeii  Ktniiniission 
der  Provinz  Sachsen.  14.)  Halle,  C.  C.  M.  l'feffer  (Komm.).  1890. 
42  SS.     8". 


1^74  Litteratur. 

Laue,  M.  Berichte  über  Erscheinuugeu  auf  dem  Gebiete  der  Ge- 
schichte von  Obersachsen.  Tliüringen  und  Hessen  in  den  Jahren 
1886  und  1887:  Jahresliorichte  der  Geschichtswissenscliaft  im  Auf- 
trage der  historischeu  Gesellschaft  zu  Berlin  hei'ausgegebeu  von 
J.  Jastrow.  IX.  Jahrg.  188H.  (Berlin.  Gärtner  1889.)  II.  S.  109  bis 
117.  III.  S.  77—90.  X.  Jahrg.  1887.  (ebenda  1890.)  II.  S.  110 
bis  118.    III.     S.  94-102. 

(Lindig,  G.)  Glashütte.  Bilder  aus  der  Yerganüenhcit:  Müglitz- 
thal-Bote.     1889.     No.  25-33,    38-44,    50—52,  55—61.  79,  80. 

Lippert,  Wohl.  Des  Ritterordens  von  Santiago  Thätigkeit  für  das 
heilige  Land,  Beitrag  zur  Geschichte  der  Kreuzzugsbestrebungen 
des  XIII.  Jahrhunderts :  Mittheilungen  des  Instituts  lür  öster- 
reichische Geschichtsfoi'schung.  Bd.  X.  S.  553—597.  [Enthält  An- 
gaben über  1267  ilg.  im  Bi>tum  ]Meifsen  veranstaltete  Sammlungen.] 

Lungwitz,  Herrn.  Hieronymus  Lotter  als  Rittergutsbesitzer  in  Geyer: 
Beilage  zum'Anuaberger  Wochenblatt.     1889.     Xo.  192. 

—  Geyer  während  des  30 jährigen  Krieges:  ebenda.    1890.     No.  37. 
Meyer,  F.  Herrn.     Johann  Gottlob  Immanuel  Breitkopf  im  Kanipfe 

gegen  Mifsbräuche    in    den  Druckereien :    Archiv    für  Geschichte 
des  Deiitschen  Buchhandels.     XIII  (1890).     S.  204—212. 

—  Reformbestrebungen  im  18.  Jahrhundert:  ebenda  S.  213 — 244. 

r.  Mülrerstedt,  G.  A.  Aus  dem  Lelien  eines  .sächsischen  Edelmannes 
im  dreifsigjährigen  Kriege:  Neue  Mitteilungen  aus  dem  Gebiete 
historisch-antiquarischer  For.schungen.  Bd.  X\'II  (1889).  8.  514 
bis  536. 

Nagel,  A.  Das  Münzwesen  in  der  Mark  Meifsen  und  in  den  kur- 
fürstlich sächsischen  Landen  bis  zum  dreifsigjährigen  Kriege: 
Wissenschaftliche  Beilage  der  Leipziger  Zeitung.  1889.  No.  94. 
S.  377—380. 

Xeeäon,  B.  Alte  Strafsenzustände  in  sächsischen  Städten:  ebenda. 
No.  104.  S.  417-419. 

Nerrlich,  Paul.    Jean  Paul  in  Leipzig:  ebenda.  No.  102.  S.  409 — 411. 

Pilk,  Georg.  Zur  Geschichte  der  Burg  Blaukensteiu  und  ihrer  In- 
haber: Mittheilungen  des  nordböhmischen  Exkursionsklubs.  Jahr- 
gang XII  (1889).     S.  273-285. 

Finder,  G.  Geschichte  der  Kirchfahrt  Olberuhau.  1889.  2B11.48SS.  8«. 

Jtasch,  Gitst.  Berühmte  Häuser  und  Paläste  Dresdens.  Historische 
Bihler  und  Skizzen.  Neue  (Titel-)  Ausgabe.  Dresden,  v.  Gramb- 
kow.     (1889.)     240  SS.     8». 

Ixofter,  K.  Br.  Das  Königliche  stenographische  Institut  zu  Dresden 
in  den  Jahren  1839—1889:  Festschrift  zur  50jährigen  Jubelfeier 
des  Königl.  stenograpli.  Instituts  zu  Dresden  am  5.  Oktober  1889. 
S.  64—83. 

Büdiger,  E.  Festtage  für  ilas  Herrscherhaus  ^Vettin  in  der  alten 
Reichsstadt  Eger  im  Jahre  1459:  Wissenschaftliche  Beilage  der 
Leipziger  Zeitung.    1889.    No.  56.     S.  225—228. 

Biige,  SopJius.  Die  erste  Landesvermessung  des  Kurstaates  Sachsen. 
Auf  Befehl  des  Kurfürsten  Christian  I.  ausgeführt  von  Matthias 
Oeder  (1586—1607).  Zum  800jähriiien  Regierung.sjnbiläum  des 
Hauses  Wettin  herausgegeben  von  der  Direktion  des  Königl.  Haupt- 
staatsarchivs. 17  kolorierte  Tafeln  in  Lichtdruck.  Dresden, 
Stengel  &  Markert.     1889.    4  Ell.  17  Taff.  qu.  fol. 

—  1  )ie  Namen  des  Erzgebirges:  Gemeinverständliche  wissenschaftliche 
Aufsätze  ül)er  das  Hrzgebirü'e  (1.  Jahrlmch  des  Erzgebirgs-Zweig- 
vereins  Chemnitz  1889).     S.  1—16. 


Litteratiu-.  175 

Buhsam,  Jul.  Festschrift  zur  75jährigeii  .Tuljclfeier  der  ]\[useums- 
Gesellschaft  den  16.  November  1889  zu  Ainialjerg.  Im  Auftrage 
des  Konvents  zusammengestellt.    Annaberg.     76  SS.    8*^. 

V.  Schönberg,  G.  Geschichte  des  Königl.  Sächsischen  7.  Infanterie- 
Regiments  „Prinz  Georg"  Nr.  106.  Zwei  Theile.  Mit  einem 
Atlas  von  22  Karten  und  3  Uniformtafeln.  Leipzig,  Brockhaus. 
1890.     XII,  434,  X,  386  SS.     8». 

Schreyer,  Karl  Friedr.  Chronik  des  Kirchdorfes  Hundshübel.  ]\lit 
einer  Altbihlung  des  Kirchplatzes.  Zwickau.  Verlag  des  Heraus- 
gebers.    1889.  ^57  SS.     8». 

Schubert.  Ed.  und  Sxidhoff',  K.  Die  Scluiften  des  Michael  Bapst 
von  Rochlitz  (1540—1603):  Centralblatt  für  Bibliothekswesen. 
Jahrg.  YI  (1889).     S.  537—549. 

Seipdtz,  Georg  Gustav.  Zum  SOOiähriiien  .Tubiläum  der  alten  l'la- 
■  nitzer  Kirche.     Festschrift.     Zwickau  1888.     56  SS.  8». 

Steche,  E.  Zu  Wilhelm  Dilichs  Thätigkeit  in  Sachsen:  Zeitschrift 
für  büdende  Kunst.     Bd.  XXIY  (1889).     S.  316—319. 

—  über  ältere  Bau-  und  Kunstwerke  in  den  Amtshauptmannscliaften 
Glauchau  und  Eochlitz :  Wissenschaftliche  Beilage  der  Leipziger 
Zeitung.     1890.     Xo.  1.     S.  1—3. 

Stein,  G.  Zur  Geschichte  der  sächsischen  Serpentiniudustrie :  ebenda. 
1889.     No.  104.     S.  419  flg. 

Stephan,  Joh.  Gunt.  Urkundliche  Beiträge  zur  Praxis  des  Yolks- 
schulunterrichts  im  18.  Jahiliundert :  Bericht  über  das  Königl. 
Seminar  zu  Nossen.     1889.     S.  3—40. 

Snlze,  E.  Die  Dreikönigskirche  zu  Neustadt -Dresden.  .Mit  8  Ab- 
bildungen.    Dresden,  Höckner.     1889.     54  SS.     8^ 

V.  Süßmilch  gen.  Hornig,  M.  Das  Erzgebirge  in  Yorzeit.  \ev- 
gangenheit  und  Gegenwart.   Annaberg,  Graser.    1889.  664  SS.   8". 

Tille,  AI.  Sächsische  Weihnachten  zu  Anfang  des  18.  Jahrhunderts: 
Wissenschaftliche  Beilage  der  Leipziger  Zeitung.  1889.  No.  153. 
S.  613-615. 

Uebigau,  0.  Das  alte  Grünhainichen.  2  A^orträye,  gehalten  im 
Bezirks-Gewerbevereiu  zu  Grünhainichen.    [1890^]    36  SS.    8". 

V.  R.  Die  Schlachtfelder  Gustav  Adolfs  in  der  Leipziger  Ebene: 
Wissenschaftliche  Beilage  der  Leipziger  Zeitung.  1889.  No.  130. 
S.  521—524. 

Vitzthum  V.  Eckstädt .  Karl  Frdr.  Graf.  London,  Gasteiu  und 
Sadowa  1864—1866.  Denkwürdigkeiten.  Stuttgait.  Cotta.  1889. 
XX.  523  SS.     8». 

Vogel,  Jul.  Das  Deutsche  Ordenshaus  zu  Plauen  i.  Y. :  Wissen- 
schaftliche Beilage  der  Leipziger  Zeitung.  1889.  No.  154. 
S.  617—620. 

Waner,  E.  Geschichte  der  Sächsisclien  Hauiitltibelgesellschaft  wäh- 
rend ihrei'  ersten  75  Jahre  1814—1889.  Zur  Jubelfeier  des 
75.  Stiftungstages  auf  Veriiustaltung  (h's  Comites  verfafst. 
Dresden.  Yerlag  der  Sächsischen  Hauptbibelgesellschaft.  1889. 
144  SS.  '  80.      ' 

[Wnstmann,  G.J  Bin  Oiiginnl  aus  den  Befreiungskriegen  [Her 
russische  01>erst  von  Brendel.  Stadtkounnandaut  zu  Leipzig  1813 
liis  18151 :  Grenzlioten      1890.    No.  11.     S.  497—512. 

WuUke,  Bob.  Die  Einführung  der  Land-Accise  und  der  (ieneral- 
konsumtionsaccise  in  Kursaclisen.  (Heidelb.  Inauii'.-Diss.)  Leip- 
ziu-Reudnitz.     Is90.     124  SS.     8". 


176  Litter  atur. 

V.  Zahn,  W.  Der  sächsische  Thaler  von  1816:  Blätter  für  Münz- 
freunde.    Jahrg.  XXIV.     Sp.   11592 f.,  1403. 

Frhr.  v.  ZedUritz,  Arthur.  [Die  Wappen  der  im  Köniureiche  Sachsen 
blühenden  Adelsfamilien :  v.  d.  Crone  —  v.  KlüsterleinJ :  Dresdener 
Residenz-Kalender  für  1888.  (Dresden,  Warnatz  &  Lehmann). 
8.159—17«  mit  6  Taf.  Desgl.  für  1889.  S.  162-172  mit  6  Taf.   8". 

ZmiiDerma'im,  J.  C.  Die  St.  ( 'hristophorikirche  zn  Hohenstein. 
Eine  Kirchenba ustudie.  Gedenkblatt  ihrer  Erneueiung  im  Jahre 
1888/1889.  Mit  3  Bildern  in  Lichtdruck.  Hohenstein,  Selbst- 
verlag des  Verfassers.     1889.    44  SS.     S^. 

Zöllmr,  Wüh.  Die  räumliche  Ausbreitung  des  Erzgebirgischen  Berg- 
baues im  Mittelalter:  Gemeinverständliche  wissenschaftliche  Auf- 
sätze über  das  Erzgebirge  (1.  Jahrbuch  des  Erzgebirgs- Zweig- 
vereins Chemnitz  1889).     S.  38—49. 

Alt-Meifsen  in  Bildern.  Mit  erklärendem  Text  von  W.  Loose.  Meifsen, 
Mosche.     1889.     12  SS.,  47  Bll.     gr.  fol. 

Aus  den  Meisterjahren  Ziuzendorfs  (1734—1740):  Wissenschaftliche 
Beilage  der  Leipziger  Zeitung,  1889.  No.  82,  91,  92.  S.  B30f., 
367  f.,  370—372. 

Eyn  Gesang  Buchleyn,  welche  man  yetzund  yun  Kirchen  gebrauchen 
ist.  [Das  älteste  Zwickauer  G-esangbuch  vom  Jahre  1,525  im 
Original-Nachdruck.     Zwickau,  Konegen.     1889. |     55  SS.     V2^. 


Mitteilungen  des  Vereins  fnr  Geschichte  Dresdens.  Neuntes  Heft. 
Dresden,  Carl  Tittmann  (Komm).     1889.     107  SS.     S". 

Inhalt:  Neubert,  Zur  Entstehung  der  Dresdner  Vorstädte. 
Pietsch,  Beiträge  zur  Dresdner  Häusergeschichte:  A.  Das  Burg- 
lelm.  B.  Der  Taschenberg.  Knothe,  Das  Augustinerkloster  zu 
Altdresden  und  seine  Besitzungen  in  der  Oberlausitz.  Kade, 
Eine  Dresdner  Familienchronik  1542—1597.  G.  Müller,  Eine 
Instruktion  für  die  ^^erwaltung  des  Gemeinen  Kastens  in  Alt- 
dresden. 

Mitteilungen  des  Altertumsvereins  .zu  Plauen  i.  V.  7.  Jahresschrift 
1888/89.  Im  Auftrage  herausgegeben  von  Jul.  Vogel.  Plauen 
i.  V.,  Neupert  (Komm.).     1889.     100  SS.    80. 

Inhalt:  v.  R[aab],  Das  Amt  Pausa  Ende  des  16.  Jahrhunderts. 
Frey  tag,  Beiträge  zur  Geschichte  der  Besitzer  der  Herrschaft 
Auerbach.  Vogel,  Geschichte  des  Deutschen  Ordenshauses  zu 
Plauen  i.V.  (Müller),  Verzeichnis  der  evangelisch-lutherischen 
Geistlichen  in  der  Parochie  Plauen.  Neupert,  Plauen  im  letzten 
Viertel  des  18.  Jahrhunderts.  Trauer,  Aus  der  Glanzperiode 
einer  vogtländischen  Stadt. 

Mitteilungen  des  Vereins  für  Geschichte  der  Stadt  Meißen.  Des 
2.  Bandes  3.  Heft.  Meifsen,  Mosche  (Komm.).  1889.  S.  297 
bis  420.    8». 

Inhalt:  Ackermann,  Zur  Geschichte  des  evangelischen  Kirchen- 
gesangs in  Meifsen.  Markus,  Das  Franciscaner kloster  in  Meifsen. 
Loose,  Die  Reforraationsurkunden  der  Stadt  Meifsen.  Distel, 
Ein  nntergegangenes  sächsisches  Fürstenmonument  in  Tirol. 
G.  Müller,  Ein  Stundenplan  des  Franciscaneums.  Fiat  he, 
Woldemar  Gottlob  Schmidt.  Seel  iger,  Franz  liebem  aus  Meifsen. 
Zacharias,  Frau  von  Stael  über  Meifsen. 


VIII. 

Die  Gefaugeunahme  des  Laudgfafeu 
Philipp  von  Hessen  1547. 

Von 

S.  Ifsleil). 


Der  schmalkaldische  Krieg  ist  im  g-anzen  wohl  be- 
kannt. Einzelne  Punkte  aber  bediu'fen  noch  der  Auf- 
klärung, vor  allem  die  Gefangennahme  des  Landgrafen 
Philipp  von  Hessen,  bei  welcher  der  jugendliche  Herzog 
Moritz  von  Sachsen  neben  Kurfürst  Joachim  II.  von 
Brandenburg  die  Hauptrolle  spielte.  Beide  Fürsten  evan- 
gelischen Glaubens^)  wulste  KarlV.  auf  seine  Seite  zu 
ziehen,  als  er  sich  anschickte,  den  schmalkaldischen  Bund 
zu  vernichten  und  dessen  Oberhauptleute,  Kurfürst  Johann 
Friedrich  von  Sachsen  und  Landgraf  Philipp  von  Hessen, 
als  ungehorsame  Fürsten  des  Reiches  zu  bestrafen. 

Wohl  ist  zu  beachten,  dals  des  Kaisers  Verein- 
barungen mit  Herzog  Moritz  nur  gegen  Johami  Friedrich 
und  nicht  auch  gegen  den  Landgrafen  gerichtet  waren; 
niemand  stellte  an  ihn  das  Ansmnen,  sich  gegen  den 
ScliAviegervater  gebrauchen  zu  lassen.  Bereit,  den  Kur- 
fürsten mit  zum  Falle  zu  bringen,  gedachte  er  Philipp 
von  seinen  Bundesgenossen  abzutrennen  und  wenn  irgend 
möglich  gänzlich  zu  retten.    Zeigte  Joachim  von  Branden- 


^)  Der  Kaiser  g'eAvaim  aufsenlriu  die  Markgrafen  Hans  nn<l 
Albrecht  von  Braiidcnhni-K'  nnd  die  Herzöge  Angnst  von  Sachsen 
(Moritz'  Bruder)  und  Erich  II.  von  Braunst hweig-Caleuberg. 

Neues  Archiv  f.  S.  (i.  u.  A.    XI.  ;i.  -i.  1^ 


178  S.  lisleib: 

bürg  mehr  Neigung  zur  Vermittelung  zwischen  dem  Kaiser 
und  beiden  Bundesliauptleuten ,  so  lag  Moritz  lediglich 
daran,  den  Landgrafen  vor  verderblichem  Unheil  zu  be- 
wahren. Obgleich  ihn  die  Verhältnisse  nötigten,  anfangs 
auch  für  den  ernestinischen  Vetter  Interesse  zu  zeigen, 
so  fand  er  doch  immer  Wege,  mit  dem  Schwiegervater 
besonders  zu  verhandeln. 

Monatelang  blieben  alle  Vermittelungsangebote  und 
Versöhnungsversuche  nutzlos.  Denn  als  Gefahr  drohte, 
waren  Johann  Friedrich  und  Philipp  entschlossen,  nicht 
von  einander  zu  lassen,  sondern  den  Kaiser,  welcher  über 
sie  die  Acht  aussprach,  zu  stürzen  und  die  evangelische 
Religion,  sowie  die  Freiheiten  des  Reiches  zu  erhalten. 
Dabei  rechneten  sie  nicht  nur  auf  den  alten  Anhang 
und  den  jungen  Nachwuchs,  sondern  auch  auf  diejenigen 
deutschen  Fürsten,  welche  damals  im  Begriffe  standen, 
sich  der  evangelischen  Lehre  gänzlich  zuzuwenden,  z.  B. 
auf  Kurpfalz  und  Kurköln.  Sie  zählten  auf  Dänemark 
und  England,  selbst  auf  die  bekannten  Feinde  des  Hauses 
Habsburg,  auf  Frankreich-)  und  die  Türken. 

Zur  Zeit  der  Rüstung  und  des  hoffnungsmutigen 
Zuges  nach  Süddeutschland  ahnte  der  Landgraf  kaum, 
dals  Herzog  Moritz  bereits  in  Regensburg  seinen  Fuls  in 
das  kaiserliche  Lager  gesetzt  hatte.  Mit  ermutigenden 
Mahnungen  bestürmte  er  ihn,  sich  den  Kämpfen  für  die 
freie  deutsche  Nation  und  für  das  Evangelium  zuzugesellen, 
und  mit  gewissem  Stolze  sprach  er  die  Hoffnung  aus, 
Moritz  solle  sein  Spielsgeselle  sein  gegen  die  scheckigen 
Reiter  und  die  schwarzen  spanischen  Teufel;  zuversicht- 
lich erwartete  er  die  Sendung  einer  stattlichen  Reiterei. 

Leider  ging  nicht  alles  so  von  statten,  wie  die  Ver- 
bündeten wünschten.  Ein  Zeitraum  von  vier  Monaten 
genügte,  um  ihre  Operationen  gegen  den  Kaiser  im 
Donaugebiete  zu  lähmen  und  unvermutete  Enttäuschungen, 
Verlegenheiten  und  Besorgnisse  zu  bereiten.  Die  Mängel 
des  schmalkaldischen  Bundes,  welcher  seinem  Ende  ent- 

^)  Die  wiclitigeii  Verhanclluiig'en  mit  Frankreich  befinden  sich 
in  Weimar,  Reg-.  J.  S.  163%.;  S.  697  No.  6.  Franz  I.  wollte  den 
Verbündeten  200,000  Kronen  leihen.  Philipp  und  Johann  Friedlich 
sollten  150,000,  Herzog  Ulrich  von  Württemberg  50,000  Kronen  er- 
halten. Als  sich  dann  der  Herzog  dem  Kaiser  unterwarf,  empfingen 
die  beiden  anderen  die  ganze  Summe,  und  jeder  verpflichtete  sich, 
die  ihm  übermittelten  100.000  Kronen  wieder  zurückzuzahlen.  Nach 
dem  unglücklichen  Ausgang  des  schmalkaldischen  Krieges  baten  beide 
König  Heinrich  IL  (Franz  I.  Nachfolger)  um  Erlassung  der  Schuld. 


Die  Gefangennahme  des  Landgrafen  Philipp  von  Hessen.   179 

gegenging,  machten  sich  fühlbarer  als  zuvor;  Mifsver- 
ständnisse  und  Streitigkeiten  traten  unverhüllter  als  sonst 
zu  Tage ;  die  Opferwilligkeit  der  meisten  Bundesmitglieder 
erkaltete  schneller  als  zu  vermuten  war,  und  die  von  den 
verschiedensten  Seiten  erwarteten  Unterstützungen  blieben 
aus.  Überdies  herrschte  zwischen  dem  Kurfürsten  und 
dem  Landgrafen  hinsichtlicli  der  .Kriegspläne  und  der 
einzuschlagenden  Politik  durchweg  die  verhängnisvollste 
Meinungsverschiedenheit^).  Das  schwerste  Geschick  aber 
war  ohne  Zweifel,  dals  Herzog  Moritz  plötzlich  und  fast 
wider  Erwarten  im  Bunde  mit  dem  römischen  König 
Ferdinand  als  Gegner  des  Kurfürsten  Johann  Friedrich 
auftrat. 

Bis  Anfang  Oktober  1546  hatte  sich  Moritz  die 
Möglichkeit  der  Anlehnung  an  die  Schmalkaldener  für 
den  Fall  ihres  Waffensieges  offen  gehalten ;  dann  gab  er 
dem  Drängen  des  Kaisers  nach  und  schlofs  mit  König 
Ferdinand  in  Prag  einen  Vertrag  über  die  Vollziehung 
der  gegen  Johann  Friedrich  ausgesprochenen  Acht ,  also 
über  den  Augriff  auf  Kursachsen  und  dessen  Besetzung  *). 
Während  er  am  27.  Oktober  mit  seinem  Bruder  August 
einen  Verwahrungs-  und  Fehdebrief  an  den  Kurfürsten 
ergehen  liefis,  bot  er  gleichzeitig  dem  Landgrafen 
wie  sonst  seine  Vermittelung  zur  Versöhnung  mit  dem 
Kaiser  an.  Indessen  milsbilligte  Philipp  das  Vorgehen 
gegen  Johann  Friedrich  und  wollte  nur  gegen  das  Zu- 
geständnis eines  Waffenstillstandes  auch  in  Sachsen 
Friedensverhandhmgen  bewilligen.  Mit  scharfem  Tadel 
ermahnte  er,  Moritz  solle  von  der  Einnahme  kursächsischen 
Landes  abstehen  und  König  Ferdinand  davon  abhalten. 
Als  das  nicht  geschah,  sondern  der  Herzog  alle  ernesti- 
nischen  Städte  und  Orte  von  Zwickau  an  bis  auf  das 
wohlverwahrte  Wittenberg  unterwarf  und  sich  nach  der 


^)  Trotz  aller  abmaliiiendonA'orstellungen  Philipps  setzte  .Tohanii 
Friedrich  unter  anderem  durch,  dafs  im  gemeinsamen  „öflentlichen 
Ausschreiben"  Karl  V.  der  Titel  des  römischen  Kaisers  abgesprochen 
wui"de.  Am  2.  Jaimar  1547  sclirieli  dann  der  Tjandg-raf:  „Das  Aus- 
schreiben wäre  besser  unterlassen  worden,  denn  Streiche  und  Wunden 
heilen,  aber  Worte  und  öchiiften  werden  nicht  vergessen". 

')  Als  Hauptnrheber  des  Scächsischcn  Krieges  sah  man  Georg 
und  Christof  von  Carlowitz,  Otto  von  Dieskau,  Andreas  J'tlugu.  a. 
an.  .bdianu  Friedrich  wünschte  im  Januar  1547,  dafs  die  weltlichen 
und  g(dehrten  Räte,  wehdie  den  Vettei-  in  iliis  Kriegsspiel  geführt 
hätten,  an  Leib  und  Gütern  unuachsiclitlich  gestraft  würden.  Erst 
dann  wollte  er  mit  Äloritz    zusammenkommen  und   sich  vergleichen. 

'12* 


180  S.  Ifsleib: 

Erg-ebimg  Halle's  im  Erzbistum  Magdeburg  festsetzte,  da 
wirkten  diese  Vorgänge  auf  den  süddeutschen  Kriegs- 
schauplatz mächtig  ein. 

Angesichts  der  Thatsache,  dals  keine  rasche  Ent- 
scheidung gegen  den  Kaiser  durchzusetzen  war,  fafste 
der  Kurfürst  von  Sachsen  den  Entscliluls,  heimzukehren, 
sein  Land  zu  schützen  und  den  treulosen  Vetter  zu 
züchtigen.  Ein  Versuch,  durch  Markgraf  Hans  von 
Brandenburg  -  Küstrin  Verhandlungen  anzuknüpfen ,  zer- 
schlug sich,  weil  Karl  V.  unbedingte  Unterwerfung 
auf  Gnade  und  Ungnade  forderte').  Zweifellos  sahen 
die  Verbündeten  ein,  welch  gefährliche  Folgen  ein  Aus- 
einandergehen haben  werde;  allein  der  Landgraf  ver- 
mochte Johann  Friedrich  auf  die  Dauer  in  Oberdeutsch- 
land nicht  zurückzuhalten,  da  er  seine  verlorenen  Gebiete 
und  Städte   allen   Ernstes   wieder   zurückerobern  wollte. 

Am  23.  November  erfolgte  der  Aufbruch  und  die 
Trennung  der  Waffengefährten.  Der  eine  trat  den  Heim- 
weg an,  um  sich  zu  rächen,  der  andere  um  sich  und 
seine  Genossen  zu  retten.  Die  oberdeutschen  Bundes- 
stände wurden  mit  Vertröstungen  abgefunden,  in  Wahr- 
heit dem  Schicksale  preisgegeben.  Dadurch  gelang  es 
Karl  V.  Herr  und  Meister  des  Kriegsschauplatzes  zu 
werden.  In  vier  Monaten  unterwarfen  sich  ihm  die  süd- 
deutschen Fürsten  und  Städte.  Mit  Recht  ist  man  immer 
der  Ansicht  gewesen,  dals  jene  Diversion  in  Kursachsen 
den  oberländischen  Krieg  entschied,  den  Kaiser  aus  be- 
denklicher Lage  herausriß  und  zum  Sieger  über  die 
Schmalkaldener  machte. 

Verschieden  gestaltete  sich  fortan  das  Schicksal 
des  Kurfürsten  von  Sachsen  und  des  Landgrafen  von 
Hessen.  Jener  eroberte  nicht  nui"  die  von  seinen  Gegnern 
besetzten  Gebiete  im  ganzen  wieder  zurück,  sondern  be- 
drängte auch  den  verhafsten  Vetter  im  eignen  Lande 
heftig ;  er  liefe  die  böhmischen  Kronlehen  in  der  Lausitz 
heimsuchen ,  fachte  in  Böhmen  und  den  Nachbarländern 
einen  Aufruhr  gegen  König  Ferdinand  an  und  trat  mit 
den  rebellischen  Führern  in  engere  Verbindung.  Durch 
den  glücklichen  Überfall  von  Rochlitz  nahm  er  Markgraf 
Albrecht  von  Brandenburg  und  Landgraf  Christof  von 
Leuchtenburg    gefangen.      Zuletzt    aber    traf    ihn    der 


^)  Ranke,  Deutsche  Geschichte  im  Zeitalter  der  Reformation 
VI,  232. 


Die  Gefangennahme  des  Landgrafen  Philipp  von  Hessen.   181 

niederschmetternde  Schlag  bei  Mühlberg,  welcher  über 
seine  Freiheit  und  Würde,  über  sein  Haus  und  Land 
entschied, 

Landgraf  Philipp  geriet  währenddem  in  die  un- 
seligste Stellung.  Ein  fast  zaghaftes  Schwanken  be- 
mächtigte sich  des  sonst  kühnen  und  entschlossenen 
Fürsten;  er  wurde  ein  bedauernswerter  Zauderer.  Mit 
Johann  Friedrich,  welcher  in  Süddeutschland  rasche 
Tliaten  gehemmt  hatte,  nun  aber  energisch  handelte, 
wechselte  er  wegen  der  früheren  Haltung  verbitterte, 
vorwurfsvolle  und  beschuldigende  Erörterungen.  Un- 
aufhörlich warnte  er  ihn  vor  gehässigen  Schritten  der 
Rache  und  Vergeltung  und  mahnte  zum  Frieden  mit  dem 
Vetter,  dem  König  und  dem  Kaiser")-  Die  Verhandlungen, 
welche  er  nach  allen  Seiten  hin,  besonders  mit  Moritz, 
betrieb,  warfen  ihn  in  einen  Zustand  lauernder  Unthätig- 
keit  und  erlahmender  Eatlosigkeit.  Johann  Friedrich 
wurde  im  freien  Felde  geschlagen  und  gefangen;  Philipp 
dagegen  fiel  dem  Kaiser  in  beklagenswerter  Weise  in 
die  Hände. 

Wie  es  dazu  kam,  möge  nun  ausführlich  mitgeteilt 
werden'). 

Am  Tage  nach  dem  Abzüge  aus  dem  süddeutschen 
Feldlager,  im  Ritte  über  Stuttgart  nach  Hessen, 
schrieb  der  Landgraf  an  seinen  Schwiegersohn  und 
bat  um  eine  Zusammenkunft  in  Naumburg  an  der 
Saale.  Darauf  lud  ihn  Moritz,  eben  beschäftigt,  zahl- 
reiches Kriegsvolk  in  einem  Winterlager  unweit  Witten- 
berg zusammenzuziehen,  von  Jessen  aus  für  den  21.  De- 
zember zur  persönlichen  Begegnung  nach  Leipzig  ein^), 
schickte  freies  Geleit")  und  zeigte  an,  dals  der  Graf  von 
Büren   kaiserlichem  Befehle   zufolge   gegen  Hessen  vor- 

•*)  Viele  Briefe  im  Archive  zu  Weimar  bezeugen  dies.  Vergl. 
Rommel,  Philijjp  der  Grofsraütige  III,  139  flg. 

■')  Max  Lenz  l)enutzte  das  Marhurger  Archiv  für  seine  Ab- 
handlung: Die  Schlacht  bei  Mühlberg  (Gotha  1879)  und  widmete 
d(!n  Verhandlungen  zwischen  Philipp  und  Jiloritz  eine  Anzahl  Seiten 
(S.  14  flg. ).  Leider  enthält  gerade  dieser  Alischnitt  manche  Unrichtig- 
keiten i;nd  Irrtümer. 

")  Marl)urg,  oberer  Westsaal  385,  Schmalkaldner  Bund,  Unter- 
handlung d(^s  Herzogs  Moritz  wegen  eines  Friedens  mit  dem  Kaiser 
und  Korrespondenz  Landgraf  Pldlipps  wegen  des  Krieges  1546/47. 
Brief  Philipps  an  Moritz,  Cassel,  13.  Dezember  1546  flg. 

**)  Über  das  Geleit,  an  welchem  Philipp  Anstofs  nahm,  vergl. 
Rommel,  Pliilii)p  der  Grofsmütige  III,  181.  Dort  mnfs  statt  2.  De- 
zember der  21.  stehen. 


182  S.  irsleib: 

rücken  solle.  Als  diese  Nachricht  von  anderer  Seite 
Bestätigung  fand,  trug  Philipp  Bedenken,  sein  be- 
drohtes Land,  in  welchem  er  nicht  einmal  seines  Adels 
völlig  sicher  war,  zu  verlassen  und  sich  in  Leipzig  ein- 
zufinden. Doch  kündigte  er  die  Ankunft  zweier  Bäte  an, 
welche  mit  dem  Herzog  erwägen  sollten,  wie  die  beschwer- 
lichen Kriegshändel  wohl  auf  billige  Weise  beigelegt 
werden  möchten.  Nicht  ohne  warnende  Mahnung  teilte 
er  mit,  Johann  Friedrich  eile  nach  seinem  Lande  zurück. 

Der  Landgraf  hatte  die  Absicht,  zunächst  die 
zwischen  den  sächsischen  Vettern  herrschenden  Streitig- 
keiten rasch  beizulegen  und  dann  mit  dem  Kaiser  üis- 
gesamt  zu  verhandeln.  Ein  Entwurf,  welcher  die  Aus- 
söhnung mit  Karl  V.  „auf  billige  und  christliche  Wege" 
zum  Ziele  hatte,  rechnete  zugleich  auf  die  Zustimmung 
Johann  Friedrichs.  Moritz  sollte,  sobald  die  vetterlichen 
Händel  geschlichtet  seien,  füi^  sie  beide  eintreten.  In- 
dessen bedachte  er  auch  den  Fall,  dals  der  Kaiser  seine 
Vorschläge  gutheilse,  der  Kurfürst  aber  sie  zurückweise ; 
dann  wollte  er  alles  aufbieten,  um  diesen  vom  Kampfe 
gegen  den  Schwiegersohn  abzuhalten. 

Als  die  beiden  hessischen  Bevollmächtigten,  der 
Marschall  Hermann  von  Hundeishausen  und  der  Vize- 
kanzler Heiniich  Lersner,  am  17.  Dezember  in  Leipzig 
anlangten ^*^),  war  der  Herzog  nicht  anwesend,  sondern, 
wie  der  Hauptmann  Georg  Pflug  anzeigte,  nach  Prag 
geritten,  lun  vom  römischen  Könige  zu  erfahren,  worauf 
„aller  Handel  gehen  und  stehen"  solle.  Nach  drei  Tagen 
trafen  sie  in  Torgau  mit  ihm  zusammen  und  brachten  am 
21.  Dezember  im  Beisein  des  Rates  Christof  von  Carlo- 
witz  ihre  Werbung  an").  Fast  Avider  Erwarten  aber 
stiefsen  sie  gleich  anfangs  auf  Widerstand.  Der  Herzog 
trug  Bedenken,  auf  die  überbrachten  Vorschläge  des 
Landgrafen  hinsichtlich  der  zu  eröffnenden  Verhandlungen 
einzugehen  und  teilte  mit,  dals  es  zufolge  der  in  Prag 
eingezogenen  Erkundigungen  ganz  vergeblich  sei,  beim 
Kaiser    um   einen    Gesamtvertrag   für   die  Verbündeten 


1")  Georg  Voigt,  Moritz  von  Sacliseu  1541—47  (Leipzig  1876), 
setzt  S.  233  u.  234  den  Ritt  nach  Prag  zu  zeitig  an. 

^^)  Dresden.  1)  Loc.  9139.  Acta,  betreffend  den  Krieg  zwischen 
Kiu'fürst  Johann  Friedrich  und  Moritz  1546,  BI.  14.  Actum  Torgau, 
20.  Dezember  1546-,  der  Anfang  fehlt;  2)  Loc.  9144,  1547,  Fürgewesene 
Kriegs-  und  Friedshandlung  etc.  El.  18.  Marburg,  Anmerkung  8, 
Brief,  Leipzig,  22.  Dezember  1646. 


Die  Gefangennahme  fies  Landgrafen  Philipp  von  Hessen.   183 

nachzusuchen.  Von  gemeinsamen  Verhandhmgen  wolle 
derselbe  gar  nicht  reden  hören;  jeder  solle  einzeln  kommen 
und  um  Öühne  anhalten^-).  Ohne  Rücksicht  auf  Johann 
Friedricli  wollte  sich  Moritz  für  den  Landgrafen  particular 
verwenden.  Als  darauf  die  Gesandten  die  ernstlichsten 
Vorstellungen  erhoben,  er  solle  doch  den  Kurfürsten  von 
der  Verhandlung  nicht  ausschliefsen ,  da  wurde  er  ganz 
aufgebracht  und  verwies  auf  die  Schmähungen  und  Be- 
leidigungen, welche  man  sich  vetterlicherseits  in  Worten 
und  Schriften  gegen  ihn  erlaubt  habe.  Entrüstet  klagte 
er  über  die  gehässigen  und  verleumderischen  Kanzelreden 
der  Wittenberger,  die  besonders  das  gemeine  Volk  gegen 
ihn  aufhetzen  sollten.  Völlig  abgeneigt  zeigte  er  sich 
dem  zäh  befürAvorteten  Ausgleiche  mit  dem  Stammes- 
genossen. Ohne  Wissen  des  Kaisers  wollte  er  sich  auf 
nichts  einlassen,  mochte  es  nun  die  Person  des  Kurfürsten 
oder  sein  Land  betreffen.  Kurz  und  schroff  ersuchte  er, 
ihn  mit  dergleichen  Anträgen  zu  verschonen;  denn  er 
getraue  sich  nicht  das  Geringste  zu  erreichen,  da  des 
Kaisers  Ungnade  gegen  den  Vetter^-')  grols  sei.  Eine 
Verhandlung,  wie  man  sie  wünschte,  hielt  er  seinerseits 
gar  nicht  für  ehrlich.  AVenn  er  allen  erdenklichen  Fleifs 
anwende,  meinte  er,  aber  nichts  erreiche,  lade  er  nur  den 
Verdacht  auf  sich,  als  habe  er  die  Sache  nicht  ernstlich 
gemeint,  überdies  werde  der  Kaiser  unAvillig,  weil  er 
ihm  streng  befohlen  habe,  die  Acht  zu  vollstrecken  und 
das  Land  Hans  Friedrichs  einzunehmen.  Wie  wolle  es 
sich  geziemen,  mit  Bitten  für  den  Geächteten  an  den  Kaiser 
heranzukommen !  Der  Vetter  habe  viele  Freunde,  die  Kur- 
fürsten von  der  Pfalz  und  von  Brandenburg,  die  Herzöge 
von  Jülich,  Mecklenburg,  Pommern  u.  a.  Alle  könnten  ihm 
besser  dienen  als  er,  die  möchten  mit  dem  Kaiser  ver- 
handeln. Mit  Entschiedenheit  lehnte  er  die  nachgesuchte 
Verwendung  für  Johann  Friedricli  wiederholt  ab^'). 


^2)  Dieses  Verfahren  schlug  der  Kaiser  damals  in  SiUldeutscb- 
land  thatsächlich  ein. 

^*)  Mit  ^'o^liebe  nannte  er  ihn  „den  dicken  Vetter"  oder  ^den 
Dicken"  oder  „Digkwambs". 

'')  Damals  und  später  brachte  Lcrsner  das  Gespräch  oft  auf 
die  Blutsverwandtschaft;  aber  das  machte  keinen  Eindruck  auf  Moritz. 
Nur  für  die  Söhne  des  Vetters  hatte  er  noch  ein  Herz ,  nicht  für 
ihn  selbst.  Wagte  es  Lersner,  auf  den  gemeinsamen  Glauben  zu 
verweisen,  dann  versetzte  der  Herzog:  er  bete  denselben  Gott  an, 
mit  dem  sich  der  Kurfürst  rühme.  A.  von  Druffcl,  Briefe  und 
Akten  etc.  (München  1873)  1  No.  13,  Januar  1547. 


184  S.  Ifsleih: 

Ganz  anderes  Interesse  zeigte  er  für  den  Land- 
grafen, falls  dieser  in  kaiserliche  Gnade  zu  kommen 
wünschte.  In  Person  gedachte  er  zum  Kaiser  zu  reiten 
und  alles  aufzubieten,  um  den  Schwiegervater  aus  seiner 
gefahrvollen  und  milslichen  Lage  zu  befreien.  Philipp 
sollte  spüren,  dals  er  an  ihm  einen  Avilligen  und  getreuen 
Vetter  und  Sohn  habe.  Freilich  verhehlte  er  keineswegs 
die  Schwierigkeiten,  auf  welche  er  voraussichtlich  stolsen 
werde.  Nur  auf  Umwegen  und  mit  aller  Vorsicht  glaubte 
er  an  den  Kaiser  kommen  zu  können.  Hielt  man  König 
Ferdinand  für  wohl  unterrichtet,  dann  stand  zu  besorgen, 
dafs  Karl  V.  kaum  noch  Verhandlungen  einräumen,  viel- 
mehr Demut  und  Ergebung  auf  Gnade  und  Ungnade 
stracks  erfordern  werde.  Jedoch  sollte  auf  alle  Fälle 
alles  versucht  und  die  Aussöhnung  treu  und  fleifsig  be- 
trieben werden.  Wünschenswert  erschien,  dafs  der  Land- 
graf sich  in  die  Nähe  der  Pfalz,  nach  Gielsen  oder 
Rödelheim  begebe,  um  unter  Umständen  sofort  mit  zum 
Kaiser  reiten  und  dessen  Gnade  erlangen  zu  können. 
Trotz  aller  Bedenkliclikeiten  hegte  Moritz  doch  die 
gröfste  Hoffnung,  da  der  Kaiser  allem  Anscheine  nach 
gegen  Philipp  nicht  so  feindlich  gesinnt  sei  als  gegen 
den  Kurfürsten,  welcher  geradezu  als  der  Haupturheber 
aller  begangenen  Injurien  beschuldigt  werde.  Grofse 
Eile  schien  geboten,  weil  der  Graf  von  Büren  bereits 
gegen  Hessen  auf  den  Beinen  sei  und  der  Kaiser  er- 
fahrungsmäfeig  das,  was  er  einmal  in  die  Hände  be- 
komme, so  leicht  nicht  wieder  loslasse. 

Am  Abende  mufsten  die  hessischen  Geschickten  mit 
den  Räten  Christof  von  Carlowitz  und  Dr.  Komerstadt 
nach  gegebenen  kurzen  Andeutungen  eine  Anzahl  Artikel 
abfassen,  auf  Grund  deren  der  Herzog,  sobald  die  Zu- 
stimmung des  Landgrafen  eingeholt  worden  sei,  beim 
Kaiser  vorstellig  werden  wollte.  Gemäfs  derselben  sollte 
Karl  V.  ersucht  werden,  dafs  er  um  des  Herzogs  Fürbitte 
willen  die  gegen  den  Landgrafen  etwa  gefafste  Ungnade 
fallen  lasse,  weil  derselbe  sich  künftig  in  allen  Dingen 
gehorsam  erzeigen  wolle,  sofern  er  nur  nicht  der  Religion 
wegen  wider  sein  Gewissen  und  Gottes  Wort  beschwert 
werde.  Er  wolle  den  Kaiser  als  seine  rechte  Obrigkeit 
anerkennen  und  ehren  und  als  gehorsamer  Fürst  des 
Reiches  kaiserlichen  Feinden  und  Widersachern  nicht  „an- 
hängig" sem.  Der  Krieg  sei  weder  gegen  die  Person, 
noch  gegen  das  Amt  und  die  Hoheit  des  Kaisers,  sondern 


Die  Gefaug'ennahrae  rleg  Landgrafen  Plnli]ip  von  Hessen.   185 

um  der  Religion  willen  unternommen  worden,  weil  man 
allgemein  erfahren  habe,  sie  solle  mit  Gewalt  unterdrückt 
werden.  Der  Landgraf  zeige  auch  herzliche  Neigung 
zum  friedlichen  Religionsvergleiche  entweder  durch  ein 
Konzil  in  deutscher  Nation  oder  durch  Unterredungen 
und  Unterhandlungen.  Die  Bistümer  und  Kirchengüter 
sollten  allenthalben  bestehen  bleiben;  die  Klostergüter 
aber  wie  bisher  zu  milden  Zwecken  für  den  Unterhalt 
der  Kirchendiener,  der  Universitäten,  Schulen  und  Ho- 
spitäler verwendet  werden.  Der  Landgraf  sei  gewillt, 
das  gemäfs  dem  Reichsabschiede  von  Speier  zu  besetzende 
Kammergericht  mit  zu  unterhalten  und  gebührende  Hilfe 
gegen  die  Türken  zu  leisten.  Auf  Befehl  des  Kaisers 
wolle  er  den  gefangenen  Herzog  von  Braunschweig  und 
dessen  Sohn  nach  Vereinbarung  eines  billigen  Vertrages 
auf  freien  Fufs  setzen  und  ihnen  ihr  Land  wieder  zu- 
stellen ^'').  Gegen  Aufhebung  der  ausgesprochenen  kaiser- 
lichen Acht  wolle  er  sich  des  schmalkaldischen  Bundes 
und  der  Bundeshauptmannschaft  gänzlich  entschlagen. 

Als  diese  Artikel  dem  Herzog  am  andern  Morgen 
vorgelegt  worden  w^aren,  lieft  er  den  hessischen  Bevoll- 
mächtigten durch  Dr.  Komerstadt  sein  Einverständnis 
kundgeben  und  versichern,  dafs  er  sich  der  Sache  des 
Landgrafen  wie  seiner  eignen  annehmen  wolle.  Zur  Eile 
drängend,  empfahl  er  sckleunige  Verhandlung  mit  dem 
gefangenen  Herzog  von  Braunschweig.  Man  sollte  auch 
überlegen,  was  zu  thun  sei,  wenn  der  Kaiser  alle  Artikel 
oder  einen  Teil  derselben  abschlage,  wenn  er  demütige 
Unterwerfung  fordere,  oder  offenes  Geständnis  über  Ver- 
einbarungen mit  fremden  Mächten  verlange  etc.  Mehr- 
fach kam  Moritz  darauf  zurück,  der  Landgraf  möge  sich 
nach  Gielsen  oder  Rödelheim  begeben  und  eine  Post  bis 
an  das  kaiserliche  Lager  legen  lassen.  Wenn  der  Ritt 
zum  Kaiser  ihm  die  Möglichkeit  gewähre,  dann  wollte 
er  den  Schwiegervater  zuvor  in  Hessen  aufsuchen.  Zu- 
versichtlich hoffte  er  Gnade  zu  erwerben,  damit  dann 
einer  dem  andern  hilfreiche  Hand  gegen  jeden  Feind 
bieten  könne. 

Sobald  die  Beratungen  und  Verabredungen  ihren 
Abschlufs  in  Torgau  erreicht  hatten,  ritten  die  hessischen 


"^)  Vergl.  Ifsleil),  Herzog  Moritz  von  Sachsen  und  der 
braunschweigische  Handel  1545,  in  v.  Webers  Arcliiv  für  die  säch- 
sische Geschiclite.    Neue  Folge  V,  97  flg. 


186  S.  Ifsleib: 

Räte  mit  dem  Herzog  nach  Leipzig  und  traten  nach 
schleuniger  Abfertigung  einer  Eilpost  ohne  weiteren  Auf- 
enthalt den  Heimweg  an. 

Gegen  die  überbrachten  Artikel  wufste  der  Land- 
graf, insofern  der  Gesamtvertrag  durchaus  abgelehnt 
werde,  keine  grolsen  Ausstellungen  zu  erheben.  Aber 
an  der  Idee  des  Gesamtvertrages  gerade  suchte  er  un- 
veränderlich festzuhalten.  In  die  heftigsten  Bedenklich- 
keiten versetzte  ihn  die  harte  Zumutung,  dals  er  seine 
Sache  fortan  von  der  kurfürstlichen  trennen  sollte.  Als 
er  Lcrsner  von  neuem  mit  Instruktionen  an  Moritz  aus- 
rüstete, schärfte  er  ihm  auf  das  eindringlichste  ein,  er 
solle  den  Kurfürsten  wie  ilm  selbst  immer  im  Auge 
behalten.  Habe  man  gar  verwerfliche  Pläne  im  Sinne, 
dann  sollte  er  rundweg  erklären:  seinem  Herrn  gebühre 
es  nicht,  gegen  den  Kurfürsten  oder  gegen  einen  andern 
Bundesgenossen  in  irgend  welcher  Weise  zu  handeln. 

Am  2.  Januar  1547  langte  Lersner  zum  zweiten 
Male  in  Leipzig  an.  Weil  seine  Reise  weit  mehr  darauf 
berechnet  war,  wieder  allgemeine  iiussöhnungs-  und 
Friedensverhandlungen  zu  betreiben,  als  die  zustimmende 
Erklärung  des  Landgrafen  zu  den  Torgauer  Artikeln 
zu  überbringen  und  Sonderverhandlung  anzubahnen, 
so  lenkte  er  die  Diskussionen  immer  wieder  soAVohl  auf 
den  Gesamtvertrag,  als  auch  auf  die  Verständigung 
Herzog  Moritz'  mit  Johann  Friedrich.  Allein  in  diesen 
Punkten  fand  er  nicht  das  geringste  Entgegenkommen. 
Es  stehe  nicht  in  seiner  Gewalt,  versetzte  Moritz,  über 
einen  Gesamtvertrag  zu  verhandeln,  und  der  Kaiser  wolle 
davon  durchaus  nichts  wissen.  Um  einen  Waifenstülstand 
könne  man  auch  nur  den  Kaiser  und  König  angehen. 
Unter  allen  Umständen  wollte  er  die  Sache  des  Land- 
grafen von  der  des  Kurfürsten  getrennt  wissen,  und  sollte 
es  „aufs  äufserste  kommen".  Während  er  semer  ge- 
reizten und  bitteren  Stimmung  gegen  Johann  Friedrich 
rückhaltlos  Luft  machte,  zeigte  er  wie  früher  die  beste 
Gesinnung  gegen  den  Schwiegervater.  Freilich  konnte 
er  den  in  Aussicht  gestellten  schnellen  Ritt  zum  Kaiser 
nicht  ausführen,  weil  der  Kurfürst  eben  Halle  ein- 
genommen hatte  und  Anstalten  traf  gegen  Leipzig  zu 
ziehen.  Dr.  Komerstadt  aber,  welcher  hilfesuchend  nach 
Prag  geschickt  worden  war,  sollte  in  Erfahrung  bringen, 
was  auf  Grund  der  Erbietungen  des  Landgrafen  beim 
Kaiser  wohl  zu  erreichen  sei. 


Die  Gefangemiahme  des  Landgrafen  Philiiip  von  Hessen.   Ig7 

In  Leipzig  lierrsclite  damals  grolse  Aufregung,  und 
der  Herzog  war  vollauf  beschäftigt,  soviel  Kriegsvolk, 
Munition  und  Proviant  zusammenzubringen,  als  eine 
längere  Belagerung  erforderte;  doch  als  er  am  5.  Januar 
die  Stadt  verliels,  hegte  er  das  Vertrauen,  sie  werde 
sich  halten  ^*^). 

Von  Waldheim  aus")  zeigte  er  vier  Tage  später  König 
Ferdinand  an:  Wenn  der  Landgraf  Gnade  erlange,  so 
werde  er  sich  dermalsen  erzeigen,  dais  der  Kaiser  daran 
Gefallen  finde.  Eindringlich  führte  er  zu  Gemüt,  wieviel 
daran  gelegen  sei,  Philipp  den  Bundesgenossen  zu  ent- 
ziehen. Dann  würden  die  Anhänger  Hans  Friedrichs 
verzagen  und  viele  so  erschrecken,  dafs  der  Krieg  dadurch 
mehr  als  um  die  Hälfte  niedergeschlagen  werde.  Eilig 
sollte  der  König  alles  auf  gute  Wege  zu  bringen  suchen. 

In  seiner  umgehenden  Antwort  aus  Prag^^)  nahm 
Ferdinand  Bezug  auf  die  im  Dezember  mit  Moritz  statt- 
gehabte Unterredung  und  schrieb  im  Tone  des  Vorwurfes, 
dals  es  völlig  nutzlos  sei,  des  Landgrafen  wegen  eine 
bloise  Anzeige  an  den  Kaiser  zu  bringen.  Mit  dem  An- 
trage um  Verhandlung  müsse  zugleich  genau  angegeben 
werden,  wozu  sich  Philipp  seüiem  Vergehen  gemäls  er- 
biete. Es  sei  auch  nötig  zu  wissen,  auf  welche  Weise 
der  Vertrag  verbürgt  werden  sollte.  Da  zu  besorgen  sei, 
dafs  der  Kaiser  den  Geächteten  kaum  anders  als  auf 
Gnade  und  Ungnade  annehmen  werde,  so  stelle  er 
anheim,  ob  er  dies  thun  oder  seine  Aussöhnung  anders 
erreichen  wolle.  Sobald  er  wisse,  dals  der  Landgraf  auf 
solche  Bedingungen  einzugehen  gedenke,  welche  kaiser- 
licher Hoheit  und  Ehre  nicht  zuwider,  sondern  annehmbar 
seien,  dann  wolle  er  zufolge  des  herzoglichen  Gesuches 
die  Sache  an  den  Kaiser  bringen  und  zu  gutem  Ende 
befördern  helfen. 

Mit  Dr.  Komerstadt  hatte  der  König  eine  längere 
und  teilweise  heftige  Unterredung.  Ganz  ungehalten 
äulserte  er  sich  über  jenes  Ansinnen,  dafs  er  in  all- 
gemeinen Redensarten  dem  Kaiser  mitteilen   sollte,  der 


*")  An  demselben  Tage  befand  sich  Lersner  auf  der  Ileinn-eise 
in  Weifsenfeis. 

")  Wien,  Saxonica,  .lanuar  1547,  Briefe  vom  9.  und  12.; 
Dresden,  Loc  9141.  1.  Sachsen  contra  Sachsen,  Muritz  und  .Johann 
Friedrichs  Fehde  1547.  Brief  Dr.  Komerstadts,  Prag,  11.  Jamiar; 
2.  Kriegstibunir  etc.,  Brief  Moritz'  an  riiilipp,  Chemnitz,  17.  Januar. 

i")  Brief  vom  12.  Januar. 


188  S.  Ifsleib: 

Landgraf  wolle  sich  demütigen.  Entrüstet  sagte  er,  der 
Bruder  müsse  denken,  es  schreibe  ein  Thor.  Nicht  nur 
voll  Demut  dürfe  die  Rede  sein ,  sondern  sie  müsse  sich 
auch  nach  dem  Vergehen  richten.  Der  zugefügte  Schaden 
sei  zu  erstatten  und  sichere  Bürgschaft  dafür  zu  leisten, 
dafs  dergleichen  nimmer  wieder  geschehen  solle.  Ohne 
derartige  Zugeständnisse  möge  der  Herzog  selbst  an  den 
Kaiser  schreiben;  ihm  gezieme  es  nicht,  eine  nur  all- 
gemein gehaltene  Anzeige  zu  erstatten.  Als  Komerstadt 
darauf  ausführlich  darlegte,  Avelchen  Vorteil  die  Be- 
gnadigung des  Landgrafen  in  der  schweren  Kriegszeit 
gewähre,  antwortete  der  König  in  milderem  Tone  und 
ermunterte,  eine  Anzahl  Artikel  ungefähr  also  zu  stellen: 
Der  Landgraf  erbiete  sich  zu  schuldiger  und  gebührender 
Demut.  Was  er  zuviel  gethan  habe ,  wolle  er  abbitten, 
und  weil  er  den  zugefügten  Schaden  nicht  ersetzen  könne, 
so  sei  er  bereit,  denselben  abzudienen.  Er  wolle  es  mit 
dem  Kaiser  halten,  den  früheren  unterthänigen  Ge- 
horsam leisten  und  kein  Bündnis  gegen  seine  Obrigkeit 
schliefsen  etc.  So  oder  anders  und  besser  solle  der 
Herzog  zu  Wege  gehen;  klar  müsse  man  aber  wissen, 
was  man  schreiben  könne. 

Ungesäumt  setzte  Moritz  den  Schwiegervater  von 
diesem  Prager  Ergebnis  in  Kenntnis  und  ersuchte  ihn, 
sich  umgehend  schlüssig  zu  machen.  Geflissentlich  hob 
er  hervor,  wie  ihm  vom  Könige  und  von  anderen  Per- 
sonen zum  Vorwurfe  gemacht  werde,  dals  er  sich  seiner 
Sache  so  sehr  annehme,  trotzdem  er  dem  Kurfürsten  allen 
möglichen  Vorschub  leiste  und  noch  einen  Teil  seines 
Kriegsvolkes  unter  ihm  dienen  lasse.  Niemand  wolle 
sein  Gesuch  um  Aussöhnung  mit  dem  Kaiser  für  ernst- 
lich gemeint  halten,  um  solchen  Argwohn  zu  beseitigen, 
möge  er  seine  Kriegsleute  abfordern  und  sich  so  ver- 
halten, dafs  seine  Begnadigung  befürwortet  werden  könne. 
Lidem  er  auf  den  Vertrag^''),  welchen  der  Kaiser  dem 
Herzoge  von  Württemberg  bewilligt  hatte,  verwies,  trieb 
er  zur  Eile  und  bat  um  schleunige  Zusendung  einer  Ver- 
trauensperson,  mit  der  alles  beraten  und  beschlossen 
werden  möge-**). 

^»)  Vertrag  vom  3.  Januar  1547,  Dresden,  Loc.  9141,  Kriegs- 
übung  etc.  1547"B1.  208  ;  abgedruckt  bei  Hortleder,  Vom  deutschen 
.  Kriege  etc.  II,  Buch  III,  Kap.  .56  S.  523. 

-0)  Damals  verweilte  Kurfürst  .Toacliim  über  10  Tage  in  Dresden, 
um  Verhandlung  sowohl  zwischen  Moritz  und  Johann  Friedrich,  als 


Die  Gefangennahme  des  Landgrafen  Philipp  von  Hessen.  189 

Als  verschwiegenen  nnd  vertrauten  Rat  stattete  der 
Landgraf  wiederum  Heinrich  Lersner  mit  Instruktionen, 
Memorialen  und  Briefen  aus,  um  diesmal  zuerst  mit  dem 
Kurfürsten  zu  verhandeln,  dann  mit  dem  Herzog  zu  be- 
raten und  zuletzt  entweder  zum  König  oder  zum  Kaiser 
zu  ziehen'-^). 

Lersner  traf  Johann  Friedrich  am  27.  Januar  in 
Rötha  auf  dem  Marsche  von  Leipzig-"),  welches  er  ver- 
geblich belagert  hatte,  über  Borna  nach  Altenburg,  wo 
er  Winterquartier  zu  beziehen  gedachte.  Die  kurfürst- 
liche Antwort  vom  folgenden  Tage  schlols  gewisse  Ge- 
neigtheit zur  Aussöhnung  mit  dem  Vetter  nicht  aus,  er- 
mutigte aber  auch  keineswegs  zur  eifrigen  Vermittelung. 
Als  Lersner  nicht  zu  sagen  vermochte,  ob  er  noch  einmal 
vom  Herzog  zu  ihm  zurückkehren  könne,  versetzte  der 
Kurfürst:  nun,  er  versehe  sich,  bald  so  nahe  an  sie 
heranzukommen,   dals  ihm   der   Ritt  bequem  sein  werde. 

Sonntag,  den  30.  Januar,  in  der  Frühe  traf  Lersner 
in  Chemnitz  ein  und  erlangte  nach  Überreichung  seines 
Kredenzbriefes  sofort  vom  Herzog  Moritz  Gehör.  Hin- 
sichtlich der  angestrebten  Gesamtverhandlung  aber  waren 
alle  Bemühungen,  Bitten  und  Vorstellungen  wie  zuvor 
völlig  fruchtlos.  Der  Herzog  blieb  dabei,  es  sei  nicht 
seine  Sache,  einen  Gesamtvertrag  zu  bewilligen.  Durch 
Pflicht  und  Eid  gebunden,  könne  er  sich  ohne  kaiserliche 
Zustimmung  in  keine  Verhandlung  einlassen.  Kaiser 
Karl  habe  ihn  in  den  Krieg  gebracht;  auf  seiner  und 
des  Königs  Seite  gedenke  er  nun  auch  auszuharren.  Be- 
stimmt wisse  er,  dafs  fünf  Personen  das  Kurfürstentum 
Sachsen  vom  Kaiser  erbeten  hätten.  Sollte  es  aber  je 
in  andere  Hände  geraten,  dann  sei  es  billig  und  recht, 
wenn  es  in  seine  und  nicht  in  fremde  Hände  komme. 
Auch   des   Landgrafen   Land   werde  von   elf  deutschen 


auch  zwischen  dem  Kaiser  und  den  Eundesfürsten  anzuknüpfen. 
Johann  Friedrich  räumte  Verliandhmg  ein,  nicht  Moritz.  Dieser 
hielt  sich  in  jenen  Tagen  in  Chenmitz  auf  und  war  empört  ül)er  die 
Härte,  mit  welcher  der  Vetter  in  seinem  Lande  hause;  keine  fremde 
Nation,  schrieb  er,  könne  es  ärger  treiben.  Der  Bundesfürsten  halber 
wandte  sich  Joachim  an  König  Ferdinand,  jedoch  ohne  Erfolg. 

-1)  Marburg,  Anm.  8.    Dresden,  Anm.  11,  2. 

")  Johann  Friedlich  lagerte  am  10.  Januar  in  Markkleeberg,  am 
19.  in  Knauthain,  am  25.  in  Stötteritz.  Weimar  Reg.  .1.  II,  fol.  697 
No.  6.  Berlin  39,  1,  Johann  Friedrich  und  Moritz  von  Sachsen 
1541  —  49,  25.  Januar,  Johann  Friedrich  an  Kurfürst  .loachim. 
G.  Voigt  S.  254  Üg. 


190  S.  Ifsleib: 

Niederländern  eifrig  umworben;  über  die  Zahl  der  Bitt- 
steller sei  er  schier  erschrocken.  Und  diese  Nachrichten 
habe  er  nicht  aus  den  Fingern  gesogen,  sondern  von  einer 
sehr  glaubwürdigen  Person  erhalten.  Man  verbreite  jetzt 
das  Gerücht,  der  Kaiser  sei  tot,  allein  bald  werde  er  in 
Sachsen  erscheinen,  und  dann  liege  ihm  nicht  viel  daran, 
ein  oder  zwei  Länder  zu  vergeben,  denn  er  selbst  sei 
ein  mächtiger  Herr  vieler  Länder.  —  Der  beginnende 
Gottesdienst  unterbrach  die  eifrige  Diskussion. 

Nach  der  Predigt  erschien  der  Herzog  mit  Dr.  Türk, 
um  die  vertrauliche  Unterhandlung  zu  Gunsten  des  Land- 
grafen aufzunehmen.  Lersner  wurde  gefragt,  ob  er  Voll- 
macht habe,  in  Sonderverhaudlung  einzutreten.  Als  er 
dies  bejahte,  erinnerte  der  Herzog  an  alle  früheren  Be- 
sprechungen und  an  die  königlichen  Kundgebungen,  legte 
ihm  Verschwiegenheit  auf  gegen  jedermann  ausgenommen 
den  Landgrafen,  und  begann  an  der  Hand  des  württem- 
bergischen Vertrages,  unter  Anwendung  auf  die  Person 
Philipps,  alle  Artikel  der  Eeihe  nach  durchzusprechen. 
Besonders  ausführlich  behandelte  er  die  Punkte  über  die 
Zahlung  einer  Geldsumme,  über  Kriegsdienst  und  über 
die  Bürgschaft  des  Vertrages.  Der  Kaiser  werde  gewils 
eine  stattliche  Summe  Geld  verlangen,  meinte  er,  und 
Kriegsdienst  unweigerlich  beanspruchen.  Kaum  möchte 
ihm  die  Garantie  des  Vertrages  von  selten  einiger  Fürsten 
und  der  hessischen  Landstände  genügen.  Ohne  Zweifel 
werde  er  wohl  noch  die  Übergabe  etlicher  Festungen, 
sowie  einen  oder  zwei  Söhne  als  Geiseln  fordern. 

Auf  Befehl  des  Herzogs  arbeiteten  dann  Lersner 
und  Türk  eine  Reihe  Artikel  aus,  ganz  ähnlich  den 
württembergischen,  um  sie  als  Friedensvorschläge  dem 
Landgrafen  zu  übersenden  und  seine  Entgegnung  zu  er- 
warten. Philipp  sollte  vor  dem  Kaiser  sich  demütigen, 
einen  FuMall  thun  und  um  Verzeihung  bitten,  ihn  als 
rechtmälsige  Obrigkeit  anerkennen,  allen  Reichsverord- 
nungen gehorsam  und  dankbar  nachkommen  und  das 
Kammergericht  mit  unterhalten.  Dem  Ächter  Johann 
Friedrich  oder  dessen  Bundesverwandten  sollte  er  in 
keiner  Weise  und  nirgends,  wieder  innerhalb  noch  aulser- 
halb  des  Reiches ,  Beistand  leisten ,  sondern  zur  Voll- 
ziehung der  Acht  gegen  ihn  und  seine  Anhänger  allent- 
halben willfährig  und  behilflich  sein.  Nach  Aufgebung 
aller  alten  Bündnisse  sollte  er  kein  neues  schlielsen,  in 
'welchöi^  fler  Kaiser,  der  König  und  das  Haus  Österreich 


Die  Gefangemialime  des  Landgrafen  Philipp  von  Hessen.  191 


nicht  ausdrücklicli  ausgenommen  werde.  Er  sollte  in 
kaiserlichen  Dienst  treten,  den  zugefügten  Schaden  er- 
setzen helfen,  alle  seine  Kriegsleute  von  Johann  Friedrich 
abfordern  und  dem  Kaiser  jederzeit  „Pals  und  Öffnung" 
in  semem  Lande  gewähren.  Wenn  nicht  mildere  I^e- 
dingungen  erhandelt  werden  könnten,  dann  sollte  der 
Vertrag  durch  Übergabe  etlicher  Festungen,  oder  durch 
Darbietung  eines  oder  zweier  Söhne  als  G-eiseln  sicher- 
gestellt und  durch  die  Landstände  ratifiziert  werden. 
Gegenüber  solchen  Zugeständnissen  sollte  der  Kaiser  die 
ausgesprochene  Acht  aufheben  und  dem  Landgrafen  samt 
seinen  Lehnsleuten  und  Unterthanen  verzeihen. 

Lersner  erhielt  Auftrag,  die  Artikel  unverzüglich 
nach  Hessen  zu  schicken '^-^j. 

Li  jenen  Tagen,  am  2.  Februar,  kam  Graf  Sigmund 
von  Lodron,  seit  einiger  Zeit  kaiserlicher  Kriegsrat  an 
der  Seite  des  Herzogs,  von  einer  Sendung  nach  Prag 
zurück  und  meldete,  dals  der  König  stattlich  zum  Zuge 
nach  Meilsen  rüste  und  der  Kaiser  im  Vorhaben  stünde 
zu  kommen-^).  Sobald  Moritz  mit  ihm  über  den  Land- 
grafen geredet  hatte,  veranlalste  er  Lersner  zu  einer 
eiligen  Anzeige  an  seinen  Herrn  mit  der  vertraulichen 
Ermahnung,  die  Verhandlungen  ernstlich  zu  beschleunigen. 
Linerhalb  vierzehn  Tagen  sollte  er  sich  um  die  Gnade 
des  Kaisers  bemühen,  ehe  derselbe  aus  Oberdeutschland 
daherziehe;  sonst  gewinne  es  das  Ansehen,  als  geschehe 
sein  Gesuch  nicht  aus  rechter  unterthäniger  und  frei- 
williger Demut,  sondern  aus  Furcht  vor  dem  drohenden 
Kriegszuge;  schwerlich  werde  dann  noch  Verhandlung 
gestattet  werden.  Innerhalb  der  bezeichneten  Frist  möge 
er  ihm  eme  genügende  Vollmacht  übersenden,  um  bestinnnt 
sagen  zu  können,  zu  diesem  und  jenem  erbiete  er  sich. 
Der  Herzog  werde  nicht  anders  handeln,  als  ob  es  ihn 
selbst  angehe.  Jede  Verzögerung  schade  und  beeinträch- 
tige die  Hoffnung  auf  einen  milden  Vertrag. 

In  Chiff'ern  setzte  Lersner  dem  I^andgrafen  aus- 
einander, dals  man  ihm  äulsersten  Falles  zumuten  werde, 
gegen  den  Ächter  Johann  Friedrich  Beistand  zu  leisten, 
was  er  mit  Ehren  thun  köinie,  da  der  schmalkaldische 
Bund  Sonntag  Invocavit  (27.  Februar)  ende.    Werde  ihm 


-^)  Lersner  Idiel)  in  der  Nähe  des  Herzogs  bis  zur  Sclilacht  bei 
Mühlberg. 

-'j  Marburg,  Aiiiii.  8. 


192  S.  Ifsleib: 

der  Kaiser  nach  Abscblufs  des  Vertrages  unter  An- 
drohung höchster  Ungnade  und  schwerster  Strafe  be- 
fehlen, gegen  den  Kurfüi'sten  zu  helfen,  so  wüi^den  gewifs 
selbst  die  Landstände  zum  Gehorsam  raten,  um  nicht 
abermals  die  kaiserliche  Huld  zu  verlieren  und  das  Land 
dem  Verderben  auszusetzen,  ohne  den  Geächteten  retten 
oder  der  höchsten  Reichsgewalt  erfolgreich  Widerstand 
leisten  zu  können.  Willfährigkeit  erwerbe  Gnade  und 
gebe  Gedeihen  zu  ^delem  Guten.  Weder  auf  Frankreich 
möge  er  sich  verlassen,  noch  auf  die  Türken. 

Lersner  mufste  das  Konzept  dem  Herzog  vorlesen, 
weil  er  sich  überzeugen  wollte,  es  sei  alles  richtig  auf- 
gezeiclmet  worden.  Andern  Tages  schrieb  er  selbst  und 
ermunterte  inständig  zur  Eile,  damit  er  mit  König  Fer- 
dinand endgültig  verhandeln  und  an  den  Kaiser  schicken 
könne.  Obgleich  man  ihn  als  Unterhändler  der  Ver- 
wandtschaft Avegen  für  verdächtig  halte,  so  wolle  er 
doch  alles  zum  Besten  zu  wenden  suchen.  Viel  schade 
das  Gerücht,  dals  noch  immer  etliche  der  besten  hessischen 
Hauptleute  mit  Kriegsvolk  bei  Johann  Friedrich  seien. 

In  pemliche  Verlegenheit  geriet  der  Landgraf,  als 
er  sich  für  die  Artikel  erklären,  eine  Vollmacht  schicken 
und  den  Kurfürsten  im  Stiche  lassen  sollte.  Ungeachtet 
aller  Mahnungen  unterliefe  er  nichts,  um  die  alten  Be- 
ziehungen zu  ihm  aufrecht  zu  erhalten.  Die  Vollmacht, 
die  ihn  band  und  freier  Entschlielsungen  beraubte,  sobald 
er  sie  aus  der  Hand  gab,  übersendete  er  nicht;  ja,  er 
wollte  den  Brief,  welcher  sie  forderte,  gar  nicht  erhalten 
haben.  Unwillig  klagte  er  über  die  Härte  des  Vertrages. 
Etliche  Artikel  hielt  er  für  so  beschwerlich,  dals  er  sie 
Gottes,  Ehren  und  ewigen  Verderbens  halber  nicht  an- 
nehmen könne.  Lieber  wollte  er  alles  erdulden,  als  Gott 
und  seine  heilige  Wahrheit  wissentlich  verleugnen.  Seine 
Ehi'e  gedachte  er  wie  sein  Leben  zu  hüten  und  zu  be- 
wahren. Lieber  wollte  er  tot  sein,  als  künftig  beschämt 
schweigen,  wenn  er  ehrenrührig  beschuldigt  werde.  Ent- 
rüstet warf  er  die  Frage  auf,  was  der  Kaiser  und  alle 
AVeit  dazu  sagen  solle,  wenn  er  ehrlos  handle.  Seines 
Hauses  und  Landes  CAviges  Verderben  zu  verhüten,  hielt 
er  für  seine  höchste  Pflicht.  Nicht  wenig  schimpflich 
erschien  ihm  Fufsfall  und  demütige  Bitte  um  Gnade; 
denn  nach  seiner  Überzeugung  hatte  er  nichts  anderes 
begangen,  als  sich  gegen  einen  beschlossenen  feindlichen 
Augriff  zeitig  zur  Wehre  gestellt.    Als   eine  hohe  For- 


Die  Gefangennahme  des  Landgrafen  Philipp  von  Hessen.   193 

clerung  erachtete  er  die  Freilassung  Herzog  Heinrichs 
und  seines  Sohnes,  da  beide  als  Verächter  kaiserlicher 
Sequester  in  seine  Hände  geraten  seien.  Kaiserlicher 
Dienst  oder  statt  dessen  Geldzahlung  kam  ihm  ebenso 
beschwerlich  vor  wie  die  Ratifikation  des  Vertrages  durch 
seine  Landstände  und  die  Bewilligung  auch  nur'  eines 
Sohnes  als  Geisel. 

Jeder  bindenden  Erklärung  ausweichend,  eiferte  er 
tagelang  gegen  die  übersendeten  Vertragsartikel,  bis  er 
sie  schlielslich  ungefähr  folgendermalsen  einschränkte: 
Die  Demütigung  vor  dem  Kaiser  sollte  durch  emige  Eäte 
sofort  erfolgen.  Sechs  bis  acht  Wochen  nach  der  Be- 
gnadigung wollte  er  dann  selbst  einen  Fufsfall  thun  und 
um  Verzeihung  bitten-'^).  Der  Fulsfall  sollte  nur  vor 
dem  Kaiser  und  seineu  geheimsten  Ratgebern,  nicht  vor 
vielen  Zeugen  stattfinden.  Er  wollte  die  Wohlfahi't  des 
habsburgisch-burgundischen  Hauses  fördern  helfen,  alle 
Reichsverordnungen  halten,  das  Kammergericht  nach  dem 
Reichsanschlag  mit  unterlialten  und  in  allen  weltlichen 
Dingen  gehorchen.  Einen  Artikel,  ähnlich  dem  der  Stadt 
Augsburg,  wollte  auch  er  sich  gefallen  lassen,  dafs  der 
Kaiser  ihm  und  seinen  Unterthanen  gestatte,  bei  der  Re- 
ligion wie  vor  Beginn  des  Krieges  zu  bleiben.  Gegen  einen 
schmalkaldischen  Bundesgenossen  aber  wollte  er  während 
dieses  Krieges  nicht  zu  Felde  ziehen,  weil  es  der  Ehre 
widerstreite,  und  weil  der  mit  dem  Kurfürsten  vereinbarte 
Vertrag  daran  hindere.  Später  gedachte  er  dem  Kaiser 
einen  Reiterdienst  zu  leisten.  Gänzlich  ausgeschieden 
wollte  er  den  Artikel  wissen,  welcher  freien  Durchzug 
durch  Hessen  und  Übergabe  einiger  Festungen  verlangte. 
Erst  nach  erfolgter  Annahme  des  Vertrages  sollten  seine 
Lehnsleute  und  Unterthanen  aus  dem  kurfürstlichen  Dienste 
abgefordert  werden.  Herzog  Heinrich  sollte  vor  seiner 
Befreiung  einen  Vertrag  bewilligen.  Für  alle  Unter- 
thanen beanspruchte  er  Verzeihung. 

Den  nächsten  Schritt  für  den  Landgrafen  that  Herzog 
Moritz  in  Aulsig,  als  er  mit  König  Ferdinand  und  Kur- 
fürst Joachim  von  Brandenburg  zusammenkam,  um  sich 
vor   allem  mit  beiden  über  die  gegenseitig  zu  leistende 


25)  Da  Herzog  Ulrich  von  Württcinherg  krank  war,  als  sein 
Vertrag  mit  dem  Kaiser  zum  Abschlnls  «elangte ,  so  leisteten  erst 
seine  liäte,  dann  er  selbst  den  Fulsfall  uud  die  Abbitte. 

Neues  Archiv  S.  S.  O.  u.  A.     XI.  3.  4.  13 


194  S.  Ifsleib: 

Hilfe  zu  einigen-*^).  Hinsiclitlich  des  Landgrafen  wurden 
die  am  2.  Februar  in  Chemnitz  formulierten  Vertrags- 
artikel derartig  ergänzt  und  abgeändert,  dals  sie  nach 
der  Meinung  des  Königs  an  den  Kaiser  geschickt  Averden 
konnten.  Wie  zuvor  blieb  Anerkennung  Karls  V.  als  der 
rechtniäfsigen  Obrigkeit,  Fufsfall  und  Abbitte,  Gehorsam 
gegen  alle  Reichsverordnungen,  Unterstützung  des  Kammer- 
gerichtes, Lossagung  von  allen  Bündnissen  und  Ein- 
schränkung der  zukünftigen,  Befreiung  Herzog  Heinrichs 
und  seines  Sohnes,  Abforderung  der  Unterthanen  vom 
Feinde,  Garantie  des  Vertrages  durch  Einstellung  eines 
Sohnes  als  Geisel,  durch  Verschreibung  der  Landstände 
und  durch  Bürgschaft  dreier  regierender  Fürsten  etc. 
Auch  wurde  die  Herausgabe  aller  Bundesurkunden  und 
Hilfe  gegen  die  Türken  beansprucht.  Der  fünfte  Artikel 
aber  forderte  vom  Landgrafen  völlige  Aufgabe  seiner 
bisherigen  Parteistellung.  Wenn  der  Kaiser,  hiefs  es, 
über  kurz  oder  lang  gegen  irgend  jemand  ernstlich  vor- 
gehen werde,  dann  sollte  er  sich  dessen  nicht  annehmen, 
sondern  seine  rechtmälsige  Obrigkeit  in  keiner  Weise, 
weder  öffentlich  noch  heimlich,  an  ihrem  Vorhaben  hin- 
dern. Erhalte  er  den  Befehl,  König  Ferdinand  und 
Herzog  Moritz  gegen  diejenigen  zu  unterstützen,  welche 
gesonnen  seien,  beide  anzugreifen,  weil  sie  sich  gegen 
den  Kaiser  gefällig,  gehorsam  und  willfährig  gezeigt 
hätten,  so  sollte  er  ihnen  unverweigerlich  behilflich  sein. 
Man  erlegte  ihm  auf,  acht  Fähnlein  Knechte  und  500 
Reiter  sechs  Monate  lang  zu  unterhalten,  oder  dafür 
nach  herkömmlicher  Berechnung  138,000  tl.  zu  erlegen. 
Dagegen  sollte  der  Kaiser  die  Acht  aufheben,  die  Un- 
gnade fsilen  lassen  und  den  Landgrafen  wieder  in  seinen 
fürstlichen  Stand  mit  Land  und  Leuten  einsetzen. 

König  Ferdinand  schickte  diesen  Vertragsentwurf 
mit  einem  Begleitschreiben  und  einem  Gesuche  des  Her- 
zogs am  2L  Februar  nach  Ulm  an  den  Kaiser.  In 
seinem  Briefe'-')  meldete  er  unter  anderem,  dafs  der 
Landgraf  nach  der  Aussage  des  Herzogs  nicht  zu  be- 
wegen sein  werde,  seine  Festungen  in  kaiserliche  Hände 


"'■)  Moritz  war  vom  17.  bis  20.  Februar  in  Aiifsig'.  Joachim 
bewilligte  400  Reiter  und  schlofs  mit  ihm  am  20.  einen  Vertrag  in 
betreff  des  Erzbistums  Magdeburg- -  Halberstadt  und  der  Stadt 
Magdeburg.  Vergl.  Ifsleib,  Magdeburg  und  ]\Ioritz  von  .SachseUj 
in  dieser  Zeitschr.  IV,  279. 

")  Bucholtz,  Ferdinand  I.  IX,  410. 


Die  Gefangennahme  des  Landgi-afen  Philipp  von  Hessen.   195 

ZU  stellen.  Allen  Überredungsversuchen  gegenüber  habe 
er  erklärt,  ehe  er  solches  thue,  möge  man  ihn  lieber  tot- 
schlagen wie  einen  tollen  Hund.  Eingedenk  der  häufigen 
und  schweren  Vergehen  Philipps  sprach  der  König  weder 
für  noch  gegen  seine  Begnadigung.  Erinnerte  er  einer- 
seits daran,  dals  der  Landgraf  neben  dem  geächteten 
Kurfürsten  des  Kaisers  grölster  Feind  sei  und  dals  der 
Krieg  beiden  gelte,  um  sie  zu  vernichten  und  des  Reiches 
Ansehen  zu  erhalten,  so  betonte  er  andererseits  den 
großen  Vorteil,  welchen  man  habe,  wenn  zufolge  eines 
Vertrages  Philipps  Hilfe  gegen  Johann  Eriedrich  erlangt 
werde.  Herzog  Moritz  bat  in  seinem  Gesuche  den 
Kaiser,  vor  allem  des  treuen  und  beständigen  G-ehorsams 
weiland  Herzog  Georgs  von  Sachsen  eingedenk  zu  sein 
und  dessen  Tochter  und  Enkel,  die  Gattin  und  Kinder 
des  Landgrafen,  gnädig  zu  berücksichtigen.  Lasse  er 
Gnade  walten,  dann  werde  er  im  ganzen  Reiche  um  so 
mehr^.Gehorsam  finden. 

Über  die  Verhandlungen  in  Aulsig  sprach  sich  Moritz 
am  2L  Februar  früh  7  Uhr  in  Dresden  gegen  Lersner 
aus  und  Ijeteuerte  wiederholt,  dals  er  treu  und  ehrlich 
gehandelt  habe.  Die  Artikel  seien  an  den  Kaiser  ge- 
sendet worden;  aber  niemand  wisse,  ob  sie  so  bleiben 
oder  xlbänderungen  erleiden  würden.  Obgleich  der  König 
dem  Landgrafen  noch  geneigter  erscheine,  als  er  gedacht, 
so  habe  er  dennoch  während  der  Beratungen  mit  ihm  bis- 
weilen „teuflischen  Streit"  gehabt  und  sei  genötigt_  ge- 
wesen, „grobe  Säue"  zurückzugeben.  Am  allermeisten 
habe  Ferdinand  sich  über  die  Schmähungen  und  das  Aus- 
schreiben der  Verbündeten  gegen  den  Kaiser  ereifert 
und  ihnen  diese  Vergehen  hoch  angerechnet.  Da  der 
Herzog  versichern  konnte,  der  Kaiser  komme  nach 
Sachsen,  so  sollte  der  Landgraf  den  Vertrag  möglichst 
schnell  annehmen,  ehe  das  Kriegsrecht  entscheide.  Der 
Religion  wegen,  mehite  er,  sei  keine  Gefahr  vorhanden, 
und  freies  Geleit  werde  in  das  kaiserliche  Hoflager  be- 
willigt werden.  Als  Hauptsache  erscheine  Kriegsdienst 
oder  Geld ,  Überlassung  eines  .Sohnes  als  Geisel  und 
Garantie  des  Vertrages  durch  Übergabe  der  Festungen. 
Jedenfalls  werde  die  Hilfe,  welche  der  fünfte  Artikel 
des  Vertragsentwurfes  auferlege,  mehr  für  künftige  Fälle, 
als  für  den  augenblicklichen  Krieg  in  Betracht  konniien. 

Wiederholt    wurden    die    Besprechungen    über    den 
Vertrag  an  den  folgenden  Tagen  fortgesetzt;  man  erwog 

13* 


196  S.  Ifsleib: 

und  erörterte,  Aviderlegte,  befürchtete  und  hoffte.  Fast 
täglich  eilten  Briefe  nach  Hessen  und  landgräfliche 
Schreiben  kamen  zurück,  um  Fragen  aufzuwerfen,  Aus- 
stellungen zu  erheben,  dringende  Wünsche  darzulegen 
oder  lästige  Bedingungen  zurückzuweisen.  Zugleich 
wagte  es  Philii^p,  auf  die  kurfürstliche  Angelegenheit 
unaufhörlich  zurückzukommen.  Und  Lersner  sollte  un- 
ausgesetzt au  die  nahe  Blutsverwandtschaft,  sowie  an 
die  gleiche  Eeligion  der  beiden  sächsischen  Häuser  er- 
innern, um  zuletzt  doch  Eindruck  hervorzurufen.  Indessen 
blieb  diese  Erwartung  hoffnungslos'-^).  Moritz  äulserte: 
Mit  den  Kindern  habe  er  Mitleid,  nicht  mit  Hans 
Friedrich.  Es  wäre  sicher  und  gewils,  dals  der  Kaiser 
von  ihm  nicht  lassen  würde.  Er  müsse  herunter,  müsse 
von  Land,  Leuten  und  allen  seinen  Festungen,  sollte 
gleich  Türk  und  Franzose  daherziehen  und  der  Kaiser 
alle  Königreiche  und  Länder  daransetzen.  Ernstlich 
W'arnte  er  den  Landgrafen,  des  Kurfürsten  wegen  seine 
Sache  auf  die  lauge  Bank  zu  schieben,  oder  sich  auf 
seine  Festungen  oder  auf  fremde  Potentaten  zu  ver- 
lassen; überall  sei  der  Kaiser  mit  seinen  Anhängern  im 
Vorteile. 

Am  2.  März  glückte  dem  Kurfürsten  der  keck  aus- 
geführte Überfall  auf  Rochlitz,  wobei  Markgraf  Albrecht 
und  Landgraf  Christof  von  Leuchtenburg  gefangen  ge- 
nommen wurden ;  allein  dieses  Unheil  brachte  Herzog  Moritz 
nicht  davon  ab,  Philipp  fort  und  fort  zu  schnellem  Ent- 
schlüsse anzuspornen.    Ebensow^enig  verlor  er  den  Mut, 


"^)  Als  Lersner  die  Zusammeuschickuug  vertrauter  Räte  be- 
antragte, wollte  sich  der  Herzog  oline  den  verbündeten  König  av;f 
nichts  einlassen.  Es  stehe  nicht  mehr  in  der  Hand  des  einen  oder 
des  andern,  sagte  er,  dieses  oder  jenes  zu  bsAvilligeu  und  einem 
andern  zu  gönnen.  AVem  Gott  und  der  Kaiser  das  sächsische  Land 
gebe,  der  werde  es  behalten.  Früher  hätte  man  darüber  verhandeln 
können,  ob  den  Kindern  des  Kurfürsten  etwas  gelassen  werden  möchte; 
jetzt  sei  es  zu  spät.  Der  Kaiser  belinde  sich  schon  auf  dem  Zuge 
nach  Sachsen.  Eine  Zusammensendung  von  Räten  sei  nur  noch  ganz 
geheim  möglich,  aber  er  habe  kein  Vertrauen.  Der  Kurfürst  wolle 
die  herzoglichen  Räte  nur  aushorchen.  Überdies  habe  der  Kaiser 
ein  hartes  Herz  gegen  den  ganzen  kurfürstlichen  Stamm,  so  dafs  zu 
besorgen  sei ,  es  werde ,  falls  er  selbst  und  sein  Bruder  August  ohne 
Erben  sterben  würden,  dem  Kurfürsten  oder  seinen  Kindern  nichts 
von  denmeifsnischen  Ländern  zu  teil.  —  Der  Landgraf  beklagte  überaus, 
dafs  der  Kurfürst  also  verstofsen  werden  sollte.  Es  werde  ihm  nicht 
in  den  Kopf  zu  bringen  sein,  schrieb  er,  wenn  nur  seinen  Kindern 
und  nicht  auch  ihm  Gnade  widerfahren  solle.  Vergl.  G.  Voigt 
S.  346  flg. 


Die  Gefangennahme  des  Landgrafen  Philipp  von  Hessen.    197 

König'  Ferdinand  von  neuem  zu  ersuclien,  sicli  der  Ver- 
handlung gnädig-  anzunehmen,  damit  der  Landgraf  endlich 
darüber  verständigt  werde,  was  er  zu  gewärtigen  habe; 
denn  Verzug  sei  in  jeder  Hinsicht  höchst  beschwerlich. 
Der  König  möge  sich  die  harte  Kriegszeit  zu  Gemüte 
führen  und  den  Kaiser  zur  Annahme  der  in  Aufsig  ver- 
abredeten Artikel  bewegen.  Unmöglich  werde  der  Land- 
graf dahin  gebracht,  einige  Festungen  zu  übergeben-^). 

Zufolge  einer  kaiserlichen  Weisung  liielt  es  der 
König  in  seiner  Erwiderung  für  ratsam,  dals  der  Herzog 
den  Landgrafen,  wie  schon  in  Auisig  besprochen  worden 
war,  zu  möglichst  ansehnlichen  Zugeständnissen  bewege. 
Je  demütiger  und  williger  sich  Philipp  erzeige,  um  so 
leichter  werde  der  Kaiser  Gnade  walten  lassen. 

Mit  Widerstrel)en  entschlofs  sich  der  Landgraf  end- 
lich zur  Al)fassung  einer  endgültigen  Erklärung  auf  die 
Aulsiger  Vertragsartiker^**).  Fulsfall  und  Aljbitte  be- 
willigte er;  doch  sollte  die  Abbitte  keine  ehrenrührigen 
Worte  enthalten  und  der  Fulsfall  nur  vor  wenigen  Zeugen, 
keinesfalls  in  Gegenwart  semes  aufsässigen  Lehnsmannes, 
des  Grafen  Reinhard  von  Sohns,  stattfinden.  Wenig 
wandte  er  gegen  die  Artikel  ein,  welche  Herzog  Heinrich, 
das  Kammergericht,  die  Bündnisse  u.  a.  betrafen.  Auch 
wollte  er  die  Bundesurkunde  der  schmalkaldischen  Ver- 
einigung ausliefern.  Unter  keinen  Umständen  aber  war 
er  gewillt,  sich  gegen  den  Kurfürsten  und  seine  Anhänger 
gebrauchen  zu  lassen,  weil  das  dem  Brauche  ehrlicher 
Kriegsleute  zuwiderlaufe  und  unverantwortlich  sei;  über- 
dies hindere  eine  dem  Kurfürsten  üliergebene  Verschrei- 
bung.  Würde  er  etwas  wider  ihn  unternehmen,  dann 
lege  er  Brief  und  Siegel  dar  und  klage  ihn  an ;  alsdann 
wisse  er  sich  nicht  zu  rechtfertigen.  Philipp  gab  zu, 
dals  Moritz  mit  Ehren  gegen  Johann  Friedrich  ziehen 
könne,  er  aber  habe  triftige  Gründe,  die  geforderte  Hilfe 
abzuschlagen.  Später  wollte  er  sich  mit  dem  König  und 
dem  Herzog  in  ein  Defensivbündnis  unbedenklich  ein- 
lassen. Demnach  sollte  der  obenerwähnte  fünfte  Artikel 
nur  für  zukünftige  Fälle  Giltigkeit  hab(_!n.  Das  verlangte 
Kiiegsvolk  schlug  er  ab,  und  unerschwinglich  hoch  er- 
schien ihm  der  Anschlag  von  13S,()liO  11.  Äulsersten 
Falles  wollte    er  die   Summe    in   drei   Zielen  entrichten, 


^^)  Brief  aus  Freilierg  vom  7.  März  mit  fünfmaligem  cito. 
30)  Romme  1  111,  210,  am  6.  März. 


198  S,  Ifsleib: 

nicht  aber  in  Monatsraten,  sonst  könnte  die  Zahlung-  als 
Hilfe  gegen  den  Kurfürsten  gedeutet  werden.  Ein- 
verstanden war  er  damit,  dals  der  Vertrag  von  seinen 
Landständen  und  drei  regierenden  Fürsten"'^)  verbürgt 
werde.  Auch  räumte  er  diesen  Bürgen  die  Vollmacht 
ein,  ihn  nötigenfalls  mit  Gewalt  zur  Haltung  dieses  Ver- 
trages zu  zmngen.  Ein  Sohn  sollte  dem  kaiserlichen 
oder  lieber  dem  königlichen  Hofe  auf  bestimmte  Zeit  als 
Geisel  übergeben  werden.  Aulser  allgemeiner  Amnestie 
und  Zurückgabe  seines  Landes  verlangte  er  noch  die  bm- 
dende  Zusicherung,  dals  er  mit  seinen  Unterthanen  bei 
der  Religion  wie  vor  Beginn  des  Krieges  gelassen 
werde '^'-). 

In  jenen  Tagen •^•^)  berief  der  Landgraf  seine  an- 
gesehensten Landstände  nach  Kassel,  um  auch  ihr  Gut- 
achten über  die  Vertragsartikel  als  über  eine  hochwichtige 
Angelegenheit  zu  hören.  Mächtig  beeinflulst  widerrieten 
sie,  irgend  etwas  einzugehen,  was  nicht  vor  Gott  mit 
Ehren  und  gutem  Gewissen  verantwortet  oder  nur  mit 
äufserstem  Verderben  des  Landes  geleistet  werden  könnte. 
Gott,  Religion  und  Ehre  sollte  der  Landgraf  stets  vor 
Augen  haben  und  nur  soweit  in  die  kaiserlichen  Reichs- 
ordnungen einwilligen,  als  es  die  Freiheit  des  Glaubens 
gestatte.  Der  freie  Durchzug  des  Kaisers  durch  Hessen 
wurde  ebenso  wie  die  Übergabe  der  Festungen  verweigert. 
Man  stellte  in  Abrede,  dals  der  Landgraf  mit  Ehren 
gegen  den  Kurfürsten  handeln  könne.  Einmütig  erklärte 
der  vertraute  Landesausschuls,  ehe  er  einen  ehrlosen  und 
verderblichen  Vertrag  annehme,  möge  er  lieber  mit  ihnen 
Leib  und  Gut  daransetzen  und  glaubensstark  erwarten, 
was  Gott  scliicke. 

Ermutigt  durch  den  Rat  seiner  Getreuen  schrieb 
Philipp  dem  Herzog:  Gern  wolle  er  annehmbaren  Be- 
dingungen Folge  leisten,  keineswegs  aber  wie  ein  leicht- 
sinniger Bube  wider  Ehre  und  Gewissen  handeln.  Würden 


3*)  Kurfürst  Joachim,  Herzog  Moritz  und  Pliilipps  anderer 
Schwiegersohn,  Pfalzgraf  Wolfgang  von  Zweihrückeu,  oder  Kurfürst 
Friedrich  von  der  Pfalz  wurden  als  Bürgen  bezeichnet. 

^^)  Im  vertraulichen  Gespräche  sollte  Lersner  dem  Herzog  an- 
zeigen, dafs  sich  der  Landgraf  und  der  Kurfürst  mit  dem  Könige 
von  Frankreich  über  ein  Darlehen  von  200,000  Kronen  auf  sechs 
Monate  verglichen  hätten,  unter  der  Bedingung,  ihn  in  den  Vertrag  mit 
dem  Kaiser  einzuschliefsen,  damit  er  nicht  wegen  seines  Wohlwollens 
mit  Krieg  überzogen  oder  sonst  beschwert  werde  etc. 

"''■^)  Marburg,  Anm.  8;  Brief  Philipps  an  Lersner  vom  9.  März. 


Die  Gefangennaliino  des  Landgrafen  riiilip]!  von  Hessen.   199 

die  Artikel  so  gestellt,  dals  er  sie  vor  Gott  mit  Ehren 
und  ohne  äulserstes  Verderben  seines  Landes  leisten 
könne,  dann  möge  er  den  Frieden  wohl  leiden,  wenn 
nicht,  so  gedenke  er  sich  dernialsen  zu  Avehren,  dalis  man 
ihn  nicht  leicht  verjagen  solle.  Zuversichtlich  hoftte  er, 
dals  die  „Schlappe  von  Rochlitz"  die  Gemüter  umstimmen 
und  auch  Friedensverhandlungen  mit  dem  Kurfürsten  zur 
Folge  haben  werde. 

Wie  sollte  sich  Moritz  demgegenüber  verhalten? 

Veranlalst  durch  ein  Schreiben  seines  Rates  Carlo- 
witz  aus  Ulnr^^)  und  angespornt  durch  des  Königs  nach- 
drückliche Ermahnung,  begann  er  energisch  zu  treiben 
und  zu  drängen.  Alle  vom  Landgrafen  vorgenommenen 
Abänderungen  und  Abschwächungen  der  Aulsiger  Artikel 
schlug  er  „ganz  und  rund"  ab.  Kernig  und  hart  sagte 
er  zu  Lersner:  Er  wolle  seinen  Hals  verwetten,  man 
möge  ihn  hängen  oder  ihm  den  Kopf  abschlagen,  er 
könne  und  werde  von  alledem,  was  der  Landgraf  wünsche 
und  begehre,  nichts  durchsetzen,  sondern  weit  eher  den 
ganzen  Handel  umstolsen.  Vor  allen  Dingen  verlange 
der  Kaiser  Hilfe  gegen  Hans  Friedrich  und  werde  jedes 
Gesuch  um  Herabsetzung  der  in  den  Artikeln  enthaltenen 
Forderungen  verwerfen.  Niemand  wisse  bis  jetzt,  ob  er 
überhaupt  den  vorgeschlagenen  Vertrag  annehme;  es  sei 
zu  befürchten,  dals  er  die  Bedingungen  noch  schärfe.  Der 
Landgraf  möge  Gott  danken,  wenn  die  Artikel  unver- 
ändert gelassen  würden.  Geringschätziger  Dinge  halber 
solle  er  das  begonnene  gute  Werk  nicht  vereiteln. 
Würden  dem  Kurfürsten,  für  den  man  emsig  verhandle, 


^^)  Christof  von  Carlowitz  teilte  am  1.  März  mit,  dafs  sich  der 
Landgraf  liomühe,  seine  Sache  beim  Kaiser  fast  mehr  durch  andere 
Fürsten  (Pfalz  und  Bayern)  als  durch  den  Herzog  durchzusetzen. 
Der  Kaiser  scheine  aber  eher  der  Verwendung  des  Herzogs  als  der 
Fürsprache  anderer  Personen  Gehör  gel)eu  zu  wollen.  Viel  sei 
daran  gelegen,  dafs  Moritz  die  Aussöhnung  zu  stände  bringe;  denn 
dann  müsse  ihm  der  Landgraf  stets  dankbar  sein,  und  ei'  könne  den 
A'ertrag  so  stellen,  dafs  ihm  alles  mit  zu  tiute  komme.  Ewiges 
Mifstrauen  werde  bestehen,  v/enn  andere  das  erreichen  würden,  was 
der  Herzog  nicht  erlangen  könne.  Deshalb  sollte  er  mit  Hilfe  des 
Königs  durchsetzen,  dafs  der  Kaiser  nur  seiner  Verhandlung  Kaum 
gebe.  Carlowitz  stellte  dem  Herzog  anbeiiii,  sidi  gegen  den  Laml- 
grafen  etwa  vernehmen  za  lassen:  Es  sei  ihm  befiemdlicii  zu  erfahren, 
dafe  er  hinter  seinem  Kücken,  gleich  als  traue  er  ihm  nicht,  noch 
andere  Unterhandle)'  suche.  Wenn  er  zu  anderen  mehi'  Vertrauen 
habe,  so  wolle  er  gern  aller  Mühen  ülterbolicn  -;ein  etc.  Dresden, 
Log.   9140   Handlungssachen   etc.      1546/47   Bl.  n8,    vergl.  52  u.  79. 


200  S.  Ifsleib: 

gleiche  Yertragsbediugungen  zugestanden,  so  würde  er 
sich  nicht  lange  bedenken ,  sondern  darauf  eingehen  und 
ein  besonderes  Abkommen  schlielsen.  Gegen  ihn  müsse 
sich  der  Landgraf  erklären,  denn  er  sei  verloren.  Un- 
fehlbar werde  das  schwere  Unwetter,  welches  sich  be- 
drohlich zusammenziehe,  ihn  treffen  und  vernichten.  Un- 
versöhnlich zürne  ihm  der  Kaiser,  und  selbst  der  „Branden- 
burger" werde  gegen  den  „Dicken"  mit  zu  Felde  ziehen. 
Einmal  müsse  er  herunter,  wiederholte  er  wie  früher, 
und  sollte  der  Krieg  dem  Kaiser  alle  Königreiche  und 
Länder  kosten.  Die  kaiserlichen  Räte  Graf  Lodron  und 
Pirro  Colonna^^'^)  seien  auch  der  Meinung,  dals  der  Land- 
graf gegen  den  Achter  mit  vorgehen  müsse  und  es  mit 
Ehren  thun  könne;  denn  kein  Bündnis,  kein  Vertrag, 
keine  Verschreibung  gegen  den  Kaiser  habe  Gültigkeit; 
stets  sei  der  Gehorsam  gegen  des  Reiches  Oberhaupt 
ausgenommen.  Wahrscheinlich  werde  man  gar  nicht 
darauf  bestehen,  dafs  er  500  Reiter  und  acht  Fähnlein 
Knechte  gegen  den  Ächter  schicke ;  aber  er  müsse  das  Ver- 
sprechen geben,  dem  Kaiser  dienen  zu  wollen. 

Einer  scharfen  Beurteilung  unterzog  der  Herzog  das 
Gutachten  der  landständischen  Vertreter.  Bitter  fragte 
er,  ob  die  vielleicht  glaubten,  mit  dem  Kaiser  wie  mit 
einem  reichen  Kaufmann  oder  Krämer  handeln  zu 
können.  So  lasse  er  nicht  mit  sich  markten,  sondern 
sage:  „Das  will  ich  also  haben".  Etwas  müsse  der 
Landgraf  thun,  um  dem  Kaiser  wie  dem  König  glauben 
zu  machen,  er  sei  gegen  Hans  Friedrich.  Habe  er 
sich  vorher  gegen  seine  rechtmäfsige  Obrigkeit  binden 
lassen,  so  möge  er  nun  für  sie  eintreten.  Dann  würden 
sie  beide  dem  Kaiser  dienen  und  mit  Gottes  Hilfe  in 
Zukunft  noch  grofse  Dinge  ausrichten.  "Wenn  sie  für 
einen  Mann  stünden  und  den  Kaiser  samt  dem  König 
im  Rücken  hätten,  dann  möchten  sie  wohl  jedem  ge- 
wachsen sein,  der  sie  anzugreifen  wage.  Der  Rehgion 
halber  sei  nichts  zu  befürchten;  seinem  Ausschreiben 
zufolge  beabsichtige  der  Kaiser,  sie  nicht  zu  bekämpfen 
oder  zu  unterdrücken. 

Der  Landgraf  aber  w^ollte  weder  zur  kaiserlichen 
Partei  offen  übertreten,  noch  Hilfe  gegen  Johann  Fried- 


^^)  Colonna  war  wie  Graf  Lodi'on  als  Kriegsrat  vom  Kaiser  an 
König  Ferdinand  und  Herzog  Moritz  geschickt  worden.  Voigt 
S.  303  u.  338. 


Die  Gefangennahme  des  Landgrafen  Philipp  von  Hessen.  201 

ricli  leisten.  Moritz  sollte  verständige  Leute  seines  eignen 
Landausschusses  oder  deutsche  Räte  des  Kaisers  und 
Königs  in  dieser  Angelegenheit  fragen.  Alle  würden 
sagen,  wenn  er  gegen  den  Kurfürsten  ziehe,  dann  handle 
er  ehrlos.  Darum  könne  er  die  begehrte  Hilfe  nicht  zu- 
gestehen. Sollte  der  Vertrag  deshalb  scheitern,  dann 
müsse  er  sich  so  lange  wehren,  als  es  Gott  dem  All- 
mächtigen gefalle.  So  leicht  gedenke  er  sich  aber  nicht 
verjagen  zu  lassen.  Habe  man  dem  Herzog  eingeredet, 
der  Kaiser  lasse  nicht  mit  sich  handeln,  so  möge  er  den 
der  Stadt  Strasburg  bewilligten  Vertrag^''')  zur  Hand 
nehmen  und  erkennen,  dals  der  Kaiser  wohl  mit  sich 
handeln  lasse,  dals  er  zusetze  und  ablasse  und  nicht  auf 
dem,  was  er  zuerst  verlange,  unweigerlich  bestehe  mit 
den  Worten,  also  wolle  ers  haben.  Wenn  der  Kauf- 
mann Rehlinger,  einst  Bürgermeister  von  Augsburg,  zu 
gunsten  Strasburgs  habe  handeln  dürfen,  so  glaube  er 
bestimmt,  dals  der  Kaiser  dem  Herzog  zu  Gefallen  auch 
ihm  einen  ehrenvollen  Vertrag  zugestehen  werde-").  Vor 
allem  sollte  Moritz  die  iirtikel,  welche  Hilfe,  Geld  und 
Geiseln  forderten,  abändern  lassen.  Er  beteuerte,  dals 
er  zu  keinem  Menschen  so  viel  Vertrauen  als  zu  ihm 
habe  und  wohl  wisse,  dals  kein  deutscher  Fürst  beim 
Kaiser  in  so  hohem  Ansehen  stehe  wie  er.  Der  Zeit- 
umstände wegen  bat  er  um  schnelle  und  runde  Antwort, 
ob  er  auf  Gnade  rechnen  könne  oder  nicht.  Und  wenn 
man  noch  hundert  Briefe  schicke,  so  könne  er  nicht 
anders  handeln ;  es  komme,  was  da  wolle,  sein  gutes  Ge- 
wissen spreche  ihn  vor  Gott  und  der  Welt  frei.  —  Auf 
Lersner  häufte  er  bittere  Vorwürfe,  weil  er  nach  seiner 
Meinung  zu  vielen  Dingen  geschwiegen  und  nicht  gleich 
gehörig  entgegnet  habe.  Ungesäumt  sollte  er  heimkehren, 
falls  nichts  Günstiges  erreicht  ^erde. 

Wie  uner([uicklich  stieisen  doch  die  entgegengesetzten 
Bestrebungen  aufeinander.  Während  der  Landgraf  einen 
möglichst  milden  Vertrag  zu  erzwingen  suchte,  forderte 
Moritz  willige  Gefügigkeit  gegen  den  Kaiser  und  be- 
dingungslose Annahme  der  Auisiger  Artikel. 


^'')  A.  Holländer,  Strafsburü-  im  schmalkaldisdien  Krieg 
(Strafsbiu-g  1881)  S.  67  flg. 

•''')  Dem  Kurfürsten  wünschte  er  gleichfalls  ^'ertrai;■.  (iern  wollte 
er  acht  Wochen  im  Thurm  sitzen,  wenn  er  lim  dadurch  mit  dem 
Kaiser  aussöhnen  könnte. 


202  S.  Ifsleib: 

Als  ein  neuer,  ungeduldig  drängender  Brief  Philipps 
am  23.  März  in  Freiberg  einlief,  war  der  Herzog  eben 
nach  Dresden  geritten,  um  sich  nochmals  mit  König 
Ferdinand  vor  Ankunft  des  Kaisers  zu  besprechen ■''^). 
Lersner  eilte  ihm  nach  und  bat  am  anderen  Morgen  um 
Gehör;  doch  wurde  er  zunächst  an  Komerstadt  gewiesen, 
welcher  hoch  und  teuer  versprach,  den  Vertrag  mit  be- 
fördern helfen  zu  Avollen.  Erst  am  26.  März  abends 
7  Uhr  erlangte  Lersner  Zutritt  zum  Herzog.  Nun 
wiederholten  sich  die  früheren  Auftritte.  Je  inständiger 
er  für  den  Landgrafen  bat,  um  so  nachdrucksvoller  be- 
tonte Moritz,  dafs  er  nichts  ändern  könne  und  vorläufig 
nicht  wisse ,  welche  Entsclilielsungen  der  Kaiser  gefafst 
habe.  Er  wurde  heftig,  „ernst  und  bewegt".  Durch 
Komerstadts  eifrige  Unterstützung  aber  brachte  ihn 
Lersner  nach  langen  Reden,  Bitten  und  Vorstellungen 
zu  dem  Entschluß,  dafs  er  an  den  Kaiser  schicken  wolle, 
um  zu  sehen,  ob  einige  Artikel  mit  Gottes  Hilfe  ge- 
mildert und  die  anderen  unverändert  zugestanden  werden 
möchten.  Doch  hütete  er  sich,  irgend  welche  Hoffnung 
zu  nähren  oder  guten  Erfolg  zu  versprechen.  Mifsmutig 
sprach  er  vielmehr  die  Besorgnis  aus,  dals  dieser  Schritt 
ihn  wiederum  in  Verdacht  bringen  werde.  Lersner  wurde 
ermahnt,  sich  auf  nichts  zu  verlassen.  —  Kaum  waren 
die  Räte  um  10  Uhr  entlassen  worden,  da  langte  ein 
Brief  des  Landgrafen  vom  21.  März  an.  Sofort  kehrte 
Lersner  zurück  und  verlas  das  Schreiben.  Abermals 
redete  der  Herzog  „ernst  und  bewegt"  und  beklagte  die 
eigenwillige  und  ungeduldige  Art  des  Schwiegervaters. 
Man  werde  es  so  nicht  gut  machen,  sagte  er,  und  den 
ganzen  Handel  umstofsen.  Man  möge  ihn  verschonen 
und  andere  Unterhändler  suchen;  er  komme  in  Verdacht 
und  Ungnade.  Dringend  legte  er  Lersner  ans  Herz, 
nach  Hessen  zu  schreiben,  dals  er  auf  gar  nichts  ver- 
trösten könne,  man  solle  sich  nicht  auf  ihn  verlassen,  er 
rate  ernstlich  davon  ab.  Komerstadt  solle  zum  Kaiser 
eilen;  aber  wenn  die  Sache  dadurch  schlimmer  werde, 
dann  wolle  er  nicht  verantwortlich  dafür  sein.  Ehe  sich 
des  Herzogs  Gemüt  beruhigte,  mufste  Lersner  über  eine 
Stunde   lang  den  ernsten  und   harten  Reden  mutig  und 


^^)  Der  König  war  seit  dem  1.  März  in  Dresden.  Moritz"  Ge- 
mahlin Agnes,  Tochter  Philipps,  hatte  sich  öfter  bei  ihm  für  ihren 
Vater  verwendet.    Druff el  I  No.  90. 


Die  Gefangennahme  des  Landgrafen  Philipp  von  Hessen.  203 

beharrlich  ])egegnen.  Dann  erschien  Komerstadt,  las  des 
Landgrafen  Brief  und  redete  wohl  dazu,  so  dafs  Moritz 
schlielslich  sagte:  Es  könne  nichts  schaden,  Komerstadt 
solle  zum  Kaiser  vorausreiten'^^).  Wollte  Gott,  fügte  er 
hinzu,  man  erlange  einen  Vertrag  nach  dem  Wunsche 
des  Landgrafen.  Zuletzt  wurde  Lersner  ermuntert,  mit 
nach  Eger  zu  ziehen,  wo  man  den  Kaiser  in  wenig  Tagen 
erwartete. 

Seit  der  günstigen  Wendung  in  Süddeutschland 
(November  1546)  hielt  Karl  V.  unentwegt  daran  fest, 
den  Landgrafen  sowohl  wie  den  Kurfürsten  zu  Boden 
zu  werfen  oder  aus  dem  Lande  zu  verjagen^'').  Lii  Fe- 
bruar 1547  hatte  er  die  Absicht,  Philipp  von  Frankfurt 
aus  mit  Hilfe  des  unzufriedenen  hessischen  Adels  sowie 
der  Grafen  von  Nassau  und  der  Wetterau  zu  überwältigen. 
Dann  änderte  er  den  Plan.  Die  von  Moritz  betiiebene 
Verhandlung  wollte  ei-  nur  dazu  benutzen,  um  sich  der 
Person  des  Geächteten  zu  bemächtigen").  Statt  die  zu- 
geschickten Aulsiger  Artikel  anzunehmen,  beauftragte  er 
vielmehr  den  Bruder,  König  Ferdinand,  alle  Versöhnungs- 
bemühungen hinzuhalten  und  die  Bedingungen  des  Ver- 
trages Schritt  vor  Schritt  zu  steigern^"-).  Als  dann  am 
21.  März  durch  die  Demütigung  der  Stadt  Straisburg  die 
Unterwerfung  Oberdeutschlands  einen  gewissen  Abschlufs 
erreicht  hatte,  zog  er  von  Nördlingen  über  Nürnberg, 
Weiden  und  Tirschenreut  nach  Eger,  um  sich  mit  Ferdi- 
nand und  Moritz  zu  vereinigen  und  ungesäumt  gegen  den 
geächteten  Kurfürsten  zu  ziehen. 

In  Eger,  wo  Karl  V.  vom  Tode  seines  Rivalen, 
Franz  I.  von  Frankreich,  benachrichtigt  wurde,  fanden 
sowohl  für  Johann  Friedrich  als  auch  für  Pliilipp  Sühne- 
versuche  statt.  Füi-  jenen  trat  neben  Herzog  Wilhelm 
von  Kleve  eine  kurpfälzische  und  dänische  Gesandtschaft 
ein;  für  diesen  verwendete  sich  Herzog  Moritz.  Allein 
um  alle  Fürsprachen  und  Bittgesuche   fernzuhalten,    er- 


^"j  Am  28.  März  wurde  für  Komerstadt  eine  Instruktion  an 
den  Kaiser  ausgestellt.  Dresden,  Loc.  9144,  Fürgewesene  Kriegs- 
und Fiidsliandlung  etc.     1547.     Bl.  183. 

^")  Karl  Lanz,  Korrespondenz  des  Kaisers  Karl  A'.  11, 
529,  539,  Briefe  vom  2.  und  19.  Februar  1547. 

*^)  Wie  der  Landgraf  sich  einst  des  Schwiegersohnes  bedient 
hatte,  um  Herzog  Heinrich  von  T^raunschweig  einzufangen,  so  wollte 
jetzt  der  Kaiser  den  Herzog  dazu  verwenden,  um  Philipp  gefangen 
zu  nehmen. 

'-)  D  ruf  fei  I  No.  90. 


204  S.  Ifsleib: 

teilte  der  Kaiser  in  jenen  Tagen  keine  Audienzen;  nur 
der  Bruder  und  die  geheimsten  Räte  hatten  Zutritt  zu 
ilini.  Der  Herzog  von  Kleve  mulste  unverrichteter  Dinge 
in  die  Heimat  ziehen,  und  die  Gesandten  wurden  vom 
Könige  im  Namen  des  Kaisers  kurz  abgefertigt  und 
zurückgewiesen.  Die  dänische  Botschaft  erhielt  Weisung, 
auf  der  Heimreise  nicht  wieder  zu  Johann  Friedrich  zu 
reiten.  Begreiflicherweise  rückte  auch  die  Verhandlung 
für  den  Landgrafen  nicht  von  der  Stelle. 

Lersner^'^)  war  im  sächsischen  Gefolge  „auf  Gnade 
und  Ungnade"  ohne  Geleit  mit  nach  Eger  gezogen;  aber 
sein  rastloser  Eifer  für  seinen  Herrn  stiefs  auf  unerquick- 
liche Hindernisse.  Drei  Tage  lang  fand  er  nirgends 
Gehör;  denn  dringende  Geschäfte  nahmen  jedermann  in 
Anspruch.  Am  Morgen  des  vierten  Tages,  am  8.  April, 
wartete  er  vor  der  Schlafkammer  des  Herzogs,  bis  sich 
derselbe  vom  Lager  erhoben  hatte.  Zwar  wurde  er  dann 
vorgelassen  und  konnte  mehrere  Briefe  aus  Hessen  über- 
reichen; allein  Moritz  gab  den  kurzen  und  eiligen  Be- 
scheid, der  König  habe  ihn  für  diesen  Morgen  zu  sich 
beschieden,  um  mit  ihm  über  den  Vertrag  zu  reden. 
Bisher  bestehe  man  darauf,  der  Landgraf  müsse  zwei 
Söhne  als  Geiseln  geben  und  seine  Festungen  öffnen. 
Tags  darauf  sprach  der  Vizekanzler  den  Herzog  wieder 
an,  als  er  von  der  Schlaf  kammer  nach  dem  Wohnzimmer 
schritt,  und  erhielt  iiie  Vertröstung,  dals  der  König  im 
Laufe  des  Tages  bestimmte  Antwort  geben  wolle.  Darauf 
ersuchte  Lersner  die  sächsischen  Räte  Carlowitz,  Komer- 
stadt  und  Türk,  den  Herzog  dringend  an  die  Verhand- 
lung zu  erinnern,  wenn  er  zum  Könige  gehe,  da  jeder 
Verzug  besorgiich  und  beschwerlich  sei. 

Gegen  Abend  berichtete  Komerstadt:  Der  Herzog 
habe  mit  dem  Könige  wohl  dreiviertel  Stunden  ein  Langes 
und  Breites  geredet  und  öfters  harte  Worte  gewechselt, 
so  dals  sich  die  Majestät  dreimal  milsmutig  ins  Fenster 
gelegt  habe.  Auf  die  runde  Erklärung  seines  Herrn,  er 
wolle  und  könne  den  Landgrafen  nicht  länger  ohne  Ant- 
wort hinhalten,  habe  der  König  beruhigend  entgegnet, 
er  wolle  sehen,  er  wolle  sehen;  der  Herzog  möge  auch 
den  jüngeren  Granvella,  Bischof  von  Arras,  und  den 
Herzog  von  Alba  ansprechen.    Infolgedessen   sei  er  ent- 


*3)  Dresden,    Loc.    9138,    Allerhand    Sendschreiben,  Relationes 
etc.     1535  flg.    Eger,  am  9.  April  1547,  Lersner  an  Philipp. 


Die  Gefangennahme  des  Landgrafen  Philipp  von  Hessen.  205 

schlössen,  Alba  noch  am  Abende  und  am  anderen  Morgen 
jenen    aufzusuchen   und   um  Verwendung  fiir  den  Land- 
grafen anzugehen.    Christof  von  Carlowitz  führte  darauf 
weiter  aus,  dafs  sich  alles  noch  an  der  Versicherung  des 
Vertrages   stoise.     Man    wolle    durchaus    die    hessischen 
Festungen    haben   und    mache    beharrlich    geltend,    alle 
anderen  Garantien  seien  hinfällig  und  unzureichend,  wenn 
der  Landgraf  seine  festen  Plätze   behalte.     Der  Herzog 
habe  die  höchsten  Anerbieten  gemacht  und  unter  anderem 
zum  Könige   gesagt:   Der   Kaisers   wegen    habe   er   so 
grofsen   Schaden   erlitten,    wie    kein   anderer  Fürst   im 
Eeiche;  alles  jedoch,  was  man  dem  Landgrafen  erlasse, 
solle   man  ihm    anrechnen   und   so   den   zu   ersetzenden 
Schaden  gegenseitig  ausgleichen.    Darauf  wolle  man  sich 
aber  nicht  einlassen ;  kurzum,  man  verlange  die  Festungen. 
Sofort   versetzte   Lersner:    Dieser  Artikel  sei  von  allem 
Anfange    an    und    immer  wieder   abgeschlagen  worden; 
darum  könne  er  gar  nicht  mehr  in  den  Vertrag  hinein- 
gezogen  werden.    Der   Landgraf  werde    die   Festungen 
nicht  übergeben,    sondern   sich   eher  zerreilsen  oder  mit 
den  Haaren  herausziehen  lassen.    Schon  habe  er  sich  zu 
hohen    und    schweren   Bedingungen    herbeigelassen    und 
werde  alle  Zusagen  treulich  halten.    Daher   möge   man 
von    den    Festungen    absehen    und    die    zugestandenen 
Garantien  annehmen.     Carlowitz  und  Komerstadt  suchten 
nun  zu  bedeuten,   dals  sich  der  Kaiser  jedenfalls  schon 
mit    der    Übergabe    zweier    Festungen,    vielleicht    mit 
Gleisen  und  Rödelheim,  begnügen  werde;    Lersner  aber 
eiferte  dagegen  und  bat  inständig  um  ihre  Unterstützung 
gegen  das  kaiserliche  Ansinnen. 

Am  12.  April  früh  morgens  teilte  Herzog  Moritz  in 
seinem  Gemache  Lersner  mit,  dals  er  abends  vorher 
wieder  bis  um  10  Uhr  den  König  hart  angegangen  und 
ernstlich  gefragt  habe,  ob  er  nicht  um  seinetwillen  eine 
aufklärende  Antwort  erhalten  könne.  Darauf  sei  erwidert 
worden:  „Ja,  wohl  noch  mehr."  Zuletzt  habe  der  König 
es  übernommen,  bald  eine  Erklärung  beizubringen.  Im 
Laufe  des  Tages  wolle  er  selbst  den  Kaiser  im  freien 
Felde  um  eine  gnädige  Antwort  angehen.  Vermutlich 
ziehe  derselbe  den  roten  Rock  an.  Wenn  er  den  an- 
habe, dann  sei  es  Zeit  zu  bitten.  Versprechen  könne  er 
freilich  nichts;  doch  hoife  er  das  Beste.  Indessen,  acht 
Tage  später  konnte  der  Herzog  noch  immer  nicht  mehr 
anzeigen,  als  dals  der  König  abermals  mit  dem  Kaiser 


206  S.  Ifsleib: 

geredet  habe.  Nun  werde  wolil,  suchte  er  zu  trösten, 
der  kaiserliche  Bescheid  nicht  lange  auf  sich  warten 
lassen ;  kein  Baum  falle  auf  den  ersten  Streich.  Höchst 
sorgenvoll  und  ratlos  meldete  Lersner  nach  Hessen,  er 
wisse  nicht,  wohinaus  die  Dinge  wollten ;  alles  stehe  beim 
Kaiser  und  in  Gottes  Händen.  Unablässig  aber  ermahne 
der  Herzog,  der  Landgraf  möge  ja  nichts  gegen  das 
kaiserliche  Vorhaben  wider  den  geächteten  Kurfürsten 
unternehmen. 

In  der  That,  nicht  anders  war  es:  Lersner  ver- 
handelte mit  dem  Herzoge,  dieser  mit  dem  König,  der 
König  mit  dem  Kaiser;  der  Kaiser  aber  verfolgte  un- 
beirrt seine  Pläne  und  hielt  den  Landgrafen  erbarmungs- 
los hin. 

Schon  war  die  Schlacht  bei  Mühlberg  (am  24.  April) 
geschlagen  und  Johann  Friedrich  in  Gefangenschaft  ge- 
raten, als  Philipp  heftig  klagte^*),  dafs  es  höchst  un- 
gelegen und  nachteilig  sei,  so  lange  in  völliger  Ungewifs- 
heit  stillzusitzen,  bis  der  Kaiser  mit  dem  Kurfürsten 
gänzlich  hindurch  sei.  Alsdann  werde  man  sagen :  Dieses 
und  jenes  und  nichts  anderes  wolle  man  haben.  Daher 
müsse  er  schnelle  Antwort  dringend  fordern  ^'^j.  Kaum 
war  darauf  die  Nachricht  von  der  kurfürstlichen  Nieder- 
lage auf  der  Lochauer  Heide  zu  ihm  gedrungen,  so  wollte 
er  umgehend  wissen,  wie  es  um  ihn  stehe.  In  nichts 
habe  er  sich  eingelassen,  versicherte  er,  was  dem  Ver- 
trage hinderlich  sein  könne.  Und  alles,  was  er  vor  Gott 
mit  Ehi'en  und  ohne  ewiges  Verderben  seines  Hauses 
leisten  könne,  wolle  er  thun.  Keck  möge  der  Herzog 
dem  Kaiser  versprechen,  dafs  er  alle  Zusagen  und  Ver- 
schreibungen  sicher  und  gewils  halten  werde.  In  Eile 
aber  wünschte  er  zu  wissen,  wessen  er  sich  vertrösten 
könne,  damit  er  sich  weder  in  unnötige  Kosten  stecke, 
noch  in  gewagte  Pläne  vertiefe.  Falls  er  keine  Gnade 
finden  sollte,  so  gedachte  er  sich  mit  Gottes  Hilfe  noch 
ein   ganzes   Jahr   lang   zu  wehren.     Eben   waren   Ab- 


^)  Brief  vom  25.  April.  Dresden,  Loc.  9143  Landgrevische 
hessische  gepflogene  Versumingshendel  etc.     1547.     Bl.  25  flg. 

45)  Yergl.  Marburg,  Anni.  8;  abgedruckt  bei  Lenz,  die  Schlacht 
bei  Mühlberg  S.  33.  Auf  Moritz"  Veranlassung  ritt  Lersner  vor  Be- 
ginn der  Schlacht  zum  Kurfürsten.  Während  ihrer  Unterhaltung 
sagte  dieser:  Lersner,  es  macht  Deinen  Herrn  all  sein  Handel  irre; 
Ihr  werdet  wohl  sehen,  wenn  es  ihnen  gelingt,  dafs  sie  mich  erlegen, 
wie  es  Deinem  Herrn  gehen  wii'd ;  sie  (die  Kaiserlichen)  halten  Euch 
nur  auf  etc. 


Die  Gefangennahme  des  Landgrafen  Philipp  von  Hessen.  207 

geordnete  der  niederdeutsclien  Städte  und  Vertraute  der 
Grafen  von  Mansfeld  und  Oldenburg  in  Kassel,  um  mit 
ihm  über  Kriegspläne  gegen  den  Kaiser  zu  beraten. 
„Der  Markt  sollte  den  Kauf  lehren." 

Als  im  Feldlager  vor  AVittenberg  die  Verhandlungen 
mit  dem  gefangenen  Kurfürsten  im  Gange  waren,  liefs 
sich  endlich  der  Kaiser  auch  des  Landgrafen  halber  ver- 
nehmen. Noch  entschiedener  als  einst  an  der  Donau 
forderte  er  jetzt  Ergebung  auf  Gnade  und  Ungnade. 
Nach  dem  raschen  und  glücklichen  Siege  über  den  ge- 
ächteten Wettiuer  wollte  er  den  zweiten  Gegner  gleich- 
falls in  seiner  Gewalt  haben,  wie  den  einen  so  den  andern. 
Wenn  die  über  Johann  Friedrich  erkannte  Todesstrafe 
zunächst  in  ewiges  Gefängnis  abgeändert  und  schlielslich 
in  eine  Haft  verwandelt  wurde,  welche  Aussicht  auf 
baldige  Befreiung  zu  bieten  schien*^),  so  geschah  es  haupt- 
sächlich des  Landgrafen  wegen,  um  ihn  heranzulocken  und 
nicht  durch  grausame  Härte  abzuschrecken  und  zu  einem 
Verzweiflungskampfe  von  unberechenbarem  Ausgange  zu 
treiben  ^^). 

Da  Herzog  Moritz  hoffte ,  mit  Hilfe  des  Kurfürsten 
von  Brandenl)urg  den  Schwiegervater  zur  Ergebung  zu 
bringen,  so  schlug  er  eine  Zusammenkunft  vor,  welche 
der  Kaiser  billigte  ^^).  Und  weil  sofort  der  Fall  in  Rück- 
sicht gezogen  wurde,  es  möchte  gelingen,  den  Landgrafen 
zu  überreden,  gleich  mit  in  das  kaiserliche  Kriegslager 
zu  ziehen,  so  baten  die  Fürsten  den  römischen  König 
als  vorgesetzten  Befehlshaber  um  sicheres  Geleit.  Das 
aber  wollte  dieser  wegen  allerlei  Bedenken,  namentlich 
wegen  seiner  nahe  bevorstehenden  Abreise  nach  Böhmen, 
nicht  ausstellen.  Indessen  nach  erfolgter  Unterredung 
mit  dem  Kaiser  gestattete  er  den  Fürsten,  ihrerseits  den 
Landgrafen  zu  geleiten.  Darauf  luden  sie  ihn  am  10.  Mai 
nach  Quedlinburg  in  der  Richtung  Magdeburg -Wittenberg 


*")  Die  Wittenberger  Kapitulation  vom  19.  Mai  1547  in  Dresden, 
Urkunden  No.  11316".  Man  heachtc  den  Ausdruck  „prison perpctuelle" 
hei  Ranke  VT,  250,  im  Briefe  des  JUschofs  von  Arras  an  die  Kö- 
nigin Maria  vom  20.  Mai  1547. 

■*■')  In  einem  Kampfe  gegen  (h'n  Lan<lgrafen  war  der  Kaiser 
auf  sich  sell)st  angewiesen.  König  Fei'dinand  mufste  den  böhmischen 
Aufstand  dämpfen,  Moritz  blieb  von  Hessen  fern,  und  Kurfürst  Jo- 
achim war  machtlos.  Niederdeutschland  aber  war  kampfbereit  und 
König  Heinrich  von  Fi'ankreicb  zni'  Unterstützung  geneigt. 

*■')  Berlin  39,  4.  Landgraf  Philipp  von  Hessen  1547.  Vergl. 
Ranke  VI,  251. 


208  S-  IMeib: 

ein  und  überschickten  „mit  besonderer  Bewilligimg'  kaiser- 
licher und  königlicher  Majestät  ein  frei,  sicher,  ungefähr- 
lich Geleit  ab  und  zu".  Elf  Tage  später  forderten  sie 
ihn  auf,  wegen  der  veränderten  Kriegslage  nach  Leipzig 
zu  kommen,  und  mit  der  Versicherung,  dais  allerhöchstem 
Erbieten  zufolge  das  kaiserliche  Kriegsvolk  seine  Reise 
nicht  hindern  werde,  erneuerten  sie  ihr  zugesendetes 
Geleit*-'). 

Am  27.  Mai  fand  die  Begegnung  der  drei  Fürsten 
im  Beisein  vertrauter  Ratgeber  zu  Leipzig  statt'^^).  Die 
zweitägige  Verhandlung  begann  mit  einer  Danksagung, 
dafs  der  Landgraf  erschienen  sei.  Dann  legte  der  aus- 
führliche Bericht  über  die  vor  Wittenberg  aufgewendeten 
Bemühungen  zu  gunsten  des  Vertrages  dar,  dafs  der 
Kaiser  an  zwei  Bedingungen  durchaus  festhalte:  an  der 
Ergebung  auf  Gnade  und  Ungnade  und  an  der  Über- 
lieferung der  Festungen  samt  Geschütz  und  Munition. 
Nicht  ohne  Teilnahme  gaben  Kurfürst  Joachim  und 
Herzog  Moritz  zu  erkennen,  wie  hochbeschwerlich  es  sei, 
sich  dem  Kaiser  ergeben  zu  sollen,  ohne  vorher  zu  wissen, 
welche  Folgen  es  haben  könne.  Doch  baten  sie  den  Land- 
grafen, ihnen  anzuzeigen,  ob  er  sich  ergeben,  einen  Fufs- 
fall  thun,  Abbitte  leisten,  einige  Festungen  schleifen  und 
dagegen  die  Nutzungen  seines  Landes  behalten  wolle. 

Demgegenüber  führte  der  Landgraf,  höchst  ver- 
wundert über  die  grofse  kaiserliche  Ungnade,  aus,  dafs 
er  die  jetzt  gestellten  Bedingungen  nicht  annehmen 
könne.  Ergebung  auf  Gnade  und  Ungnade  sei  nur  dann 
thunlicli,  wenn  sie  so  verstanden  werde,  dafs  er  einen 
Fulsfall  thun  und  Abbitte  leisten  solle,  die  er  mit  Ehren 
verantworten  könne.  Die  Übergabe  der  Festungen  und 
des  Geschützes  habe  er  durch  Lersner  allezeit  abschlagen 
lassen,  und  dabei  gedenke  er  zu  bleiben.  Er  sei  auch 
nicht  geneigt,  seine  Festungen  zu  schleifen,  sonst  säfse 
er  da  Avie  ein  Bauer  auf  dem  Dorfe,  müsse  täglich  Ge- 
fahren besorgen  und  wäre  in  Zeiten  eines  Aufstandes 
weder  seines  Leibes  noch  Lebens   sicher.    Längst   habe 


*")  "Waftenstillstaud  bewilligte  der  Kaiser  nicht;  doch  erklärte 
König  Ferdinand,  das  Kriegsvolk  solle  einstweilen  stillliegen  und 
nicht  gegen  den  Landgrafen  vorrücken. 

'^')  Marburg,  oberer  Westsaal  224,  Korrespondenz  Philipps  mit 
Räten,  Lersner  etc.  Friedshandhmg  zu  Leipzig  zwischen  Moritz, 
Joachim  und  Landgrafen  vom  27.  Mai  1547  an.  —  Man  vermifst  die 
kaiserlichen  Artikel. 


Die  Gefaiigeunalime  des  Laiulgiafeii  Philiiip  von  Hessen.  209 

er  sich  erboten,  den  Vertrag  völlig  sicher  zu  stellen,  und 
was  er  dem  Kaiser  zusage,  werde  er  halten.  Der  Stadt 
Stralsburg"'^)  seien  nicht  so  schwere  Bedingungen  wie 
ihm  auferlegt  worden,  und  doch  habe  sie  dasselbe  ge- 
raten und  gethan  wie  er.  Ohne  Wissen  seiner  Land- 
stände könne  er  die  kaiserlichen  Forderungen  nicht  be- 
mlligen;  man  möge  mildere  Wege  einschlagen. 

Die  Fürsten  erwiderten:  Der  Kaiser  sei  fest  ent- 
schlossen, so  ernstlich  wie  bisher  fortzufahren  und  dem 
Landgrafen  mit  aller  Macht  zuzusetzen,  falls  er  sich 
nicht  füge.  Beschwerlich  allerdings  erscheine  Ergebung 
auf  Gnade  und  Ungnade,  wenn  man  nicht  wisse,  wie 
sie  zu  verstehen  sei.  AVürden  sie  aber  darüber  ver- 
ständigt, dals  sie  „weder  zum  Schaden  des  Leibes,  noch 
zu  Gefängnis,  noch  zu.  Verlust  von  Land  und  Leuten 
gedeutet"  werden  solle,  dann  möge  er  etliche  Festungen 
schleifen  und  das  Geschütz  übergeben.  Die  von  ihm 
angebotene  Versicherung  des  Vertrages  sei  an  sich  wohl 
stattlich  genug;  aber  dem  Kaiser  genüge  sie  nicht,  und 
ihre  eigene  Bürgschaft  habe  man  bisher  abgeschlagen. 
Es  erschehie  geraten,  Gnade  zu  suchen  und  die  Festungen 
zu  schleifen,  die  man  ja  wieder  aufbauen  könne,  wenn 
der  kränkliche  Kaiser  bald  sterben  werde.  Ein  &iegs- 
zug  gegen  Hessen  sei  für  den  Landgrafen  verderblich 
und  schädige  alle  Mitbelehnten  und  Nachbarn.  Schwer 
könne  er  ihn  mit  seinem  Gewissen  verantworten.  Der 
Herzog  von  Jülich  habe  ebenfalls  Festungen  schleifen 
müssen  und  dürfe  keine  wieder  aufbauen''-).  Gesetzt, 
Hessen  verliere  alle  festen  Plätze,  so  seien  sie  doch 
untereinander  so  befreundet,  dals  sie  kraft  der  alten  Erb- 
einigung oder  auf  dem  Wege  des  Rechtes  jeden  bösen 
Nachl)ar  zurückhalten  könnten.  Der  Kaiser  sei  und 
bleibe  die  ordentliche  Obrigkeit.  Leicht  gewinne  er  An- 
hänger, welche  die  xicht  mit  vollziehen  helfen  würden. 
Mächtig  gerüstet  könne  er  den  Krieg  wohl  aushalten. 
Daher  möge  der  Landgraf  sich  selbst  samt  Land  und 
Leuten  in  Acht  nehmen.  Das  Evangelium  solle  nicht 
unterdrückt  werden.  Der  Religion  halber  habe  der  Kaiser 
niemanden  verpflichtet,  nicht  einmal  den  gefangenen 
Herzog  von  Sachsen. 


")  Bis  April  1547  hielt  sich  Philipps  ältester  Sohn  Wilhelm  in 
Strafsburg  auf.    Ho  Hau  der   S.  83. 

«2)  1543.     Vergl.  Kanke  IV,  212. 

Neues  Archiv  f.  S.  G.  u.  A.     XI,  3.  4.  14 


210  S.  Ifsleib: 

Fafst  man  den  Inhalt  aller  weiteren  ausführlichen 
Erörterungen  kurz  ins  Auge,  so  ergiebt  sich,  dals  am 
ersten  Verhandlungstage  fast  ausschliefslich  die  beiden 
erwähnten  Hauptpunkte  besprochen  wurden.  Auf  beiden 
Seiten  herrschte  die  Ansicht,  dals  eine  Einigung  darüber 
auch  eine  rasche  Verständigung  über  alle  anderen  herbei- 
führen werde.  So  oft  der  Landgraf  den  Artikel  über 
die  Ergebung  auf  Gnade  und  Ungnade  berührte,  um  ihn 
mit  aller  Klarheit  festzustellen,  so  gaben  oft  die  Fürsten 
kund,  dals  er  ihres  Erachtens  ihm  weder  zu  Gefängnis, 
noch  zum  Nachteil  der  Ehre,  noch  zu  Verlust  von  Land 
und  Leuten  gereiclien,  sondern  mit  Fufsfall  und  Abbitte 
der  Ungnade  abgethan  sein  solle.  Als  er  dann  hinsicht- 
lich dieser  Auslegung  eine  bindende  Zusicherung  be- 
anspruchte, versetzten  sie  beruhigend:  Würden  sie  ihrer 
Deutung  nicht  sicher  und  gewils  sein,  dann  wollten  sie 
ihm  nicht  zur  Ergebung  raten.  Gäbe  der  Kaiser  aber 
eine  bestimmte  Zusage  in  ihrem  Sinne,  dann  hätten  sie 
Grund  zu  glauben,  er  werde  sie  halten. 

Schlielislich  war  der  Landgraf  gesonnen,  die  Ergebung 
auf  Gnade  und  Ungnade  zu  vollziehen,  wenn  die  Fürsten 
ihm  durch  Brief  und  Siegel  die  Garantie  leisteten,  dals 
sie  nur  Fulsfall  und  Abbitte  bedeuten,  weder  Leib,  Ehre, 
Land  und  Leute,  noch  irgend  welche  Güter  gefährden, 
sondern  kaiserliche  Gnade,  Befreiung  von  der  Acht  und 
Wiedereinsetzung  in  den  ererbten  fürstlichen  Stand  zur 
Folge  haben  solle.  Im  kaiserlichen  Hoflager  wollte  er 
sich  nur  einen,  höchstens  zwei  Tage  aufhalten.  Ein 
Übriges  glaubte  er  zu  thun,  wenn  er  die  zwei  Festungen, 
Gielsen  und  Rödelheim,  mit  Geschütz  und  Munition  ein 
Jahr  lang  in  kaiserliche  Hände  stelle,  doch  so,  dafs  der 
Kaiser  die  Besatzung  unterhalte  oder  die  entstehenden 
Unkosten  von  der  im  Vertrage  verlangten  Geldsumme 
abrechne.  Nach  Darbietung  der  Festungen  sollte  dann 
kein  Sohn  als  Geisel  gegeben  werden.  Entschieden 
lehnte  er  die  Herausgabe  des  Geschützes  ab,  welches 
zur  Landesverteidigung  unumgänglich  nötig  sei.  Der 
freie^^  Durchzug  durch  Hessen  wurde  verweigert.  Für 
die  Übereinkunft  mit  dem  gefangenen  Herzog  Heinrich 
verlangte  er  kaiserliche  Ratifikation.  Die  Eeligion  sollte 
wie  vor  dem  Kriege  unangefochten  bleiben''-^).   Erst  nach 


^^)  Der  Kaiser  sollte    sich  schriftlich  Yerpflichteii ,    dafs  er  den 
Vertrag   halten   wolle,     Aiifserdeui   verlangte   Philipp    einen  Neben- 


Die  Gefangemialime  des  Laudgrafen  Philipp  von  Hessen.  211 


Al)scli]uls  aller  Yerlianclliingen  imd  nach  erfolgter  An- 
nahme des  Vertrages  gedachte  er  mit  den  Fürsten  zum 
Kaiser  zu  reiten. 

Am  anderen  Tage  klagten  Joachim  und  Moritz 
darüber,  dais  Philipp  die  übergebenen  kaiserlichen  Artikel 
zweimal  geändert  halje,  und  ernstlich  milsbilligten  sie  das 
Verfahren,  weil  es  den  ganzen  Handel  umstolsen  werde. 
Im  zweiten  Entwürfe,  den  er  nun  festzuhalten  gedachte, 
hatte  er  fast  alle  Forderungen  wesentlich  herabgedrückt  und 
gemildert •'"'*).  Nur  der  Gnade  des  Kaisers  wollte  er  sich 
ergeben;  das  Wort  Ungnade  hatte  er  einfach  ausgestrichen. 
Zwar  war  er  bereit,  die  schmalkaldische  Bundesurkunde 
herauszugeben,  doch  sollte  sie  ihm  jederzeit  gegen  jeder- 
mann zur  Verfügung  stehen.  Statt  150,000  fl.,  wünschte 
er  nur  die  früher  bewilligten  138,000  fl.  innerhalb  sechs 
Monaten  zu  bezahlen.  Drei  regierende  Fürsten  und  seine 
Unterthanen  sollten  den  Vertrag  verbürgen  und  Vollmacht 
haben,  ihn  zui'  Ausführung  desselben  zu  zwingen  ;  Geiseln 
aber  wollte  er  dann  nicht  stellen,  und  die  Festungen 
Gielsen  und  Rödelheim  sollten  dem  Kaiser  mit  Geschütz 
und  Munition  nur  bis  zur  Vollziehung  des  Vertrages 
übergeben  werden  etc.  Standhaft  verweigerte  er  die 
Auslieferung  des  übrigen  Geschützes. 

Voller  Bedenklichkeiten  rieten  die  Fürsten  dem 
Landgrafen,  von  seinen  Vorschlägen  abzulassen  und  mit 
ihnen  über  die  kaiserlichen  Artikel  weiter  zu  verhandeln. 
An  der  Ergebung  auf  Gnade  und  Ungnade,  sagten  sie, 
müsse  festgehalten  werden.  Und  begnüge  sich  der  Kaiser 
nicht  mit  Gielsen  und  Rödelheim,  dann  sollte  Philipp  die 
Festung  Ziegenhain  noch  zugestehen.  Wenn  er  das  grobe 
Geschütz  seiner  Festungen,  wie  Mauerbrecher  und  Kar- 
taunen,  gutwillig  übergebe,  dann  würde  ihm  vielleicht 
die  Auslieferung  des  Feldgeschützes  erlassen  werden. 

Darauf  tadelte  der  Landgraf,  dals  man  ihm  mehr 
abnötigen  und  zumuten  wolle,  als  einem  Herzog;  denn 
Ulrich  von  Württemberg  habe  keine  Geschütze  gegeben. 
Überdies  habe  ihm  Carlo witz  gesagt ■^■^),  wenn  es  um  die 


vertrag,  dafs  der  Köiiii'-  von  Frankreich  wegen  des  geliehenen  Geldes 
nicht  bekiicgt  werden  sollte. 

^'')  Marburg,  oberer  Westsaal  5,  Landgraf  Philipp,  die  Ge- 
fangenschaft betreffend,  Verhandlungen  mit  Sachsen  und  Branden- 
burg etc.     Bl.  6,  Leipzig,  28.  Mai  1547. 

■'■')  Der  herzogliche  liat  Christot'  von  Carlowitz  war  am  27.  Mai 
in  Leipzig  vorübergehend  anwesend. 

14* 


212  ^-  Ifeleib: 

zwei  grofsen  Stücke''''')  zu  thun  sei,  dann  solle  er  sein  „Maul 
nicht  zur  Tasche  machen".  Die  Festung  Ziegenhain  könne 
und  wolle  er  nicht  einräumen.  Beruhe  alles  auf  den 
beiden  Punkten,  Geschütz  und  Festungen,  so  könne  er 
sich  nicht  schlüssig  machen,  sondern  müsse  seine  Land- 
stände zu  Rate  ziehen.  Das  Wort  Ungnade  habe  er 
weggelassen,  weil  er  es  für  unnötig  und  bedenklich  er- 
achte; doch  wolle  er  es  so  hoch  nicht  anfechten,  wenn 
er  vergewissert  werde,  dals  es  so  zu  verstehen  sei,  wie 
man  wiederholt  besprochen  habe.  Auf  alle  Fälle  müsse 
er  über  die  Bedeutung  der  Worte  „Gnade  und  Ungnade" 
verständigt  und  durch  Brief  und  Siegel  gesichert  werden. 

Die  Fürsten  entgegneten :  Gern  wollten  sie  ihm  einen 
Vertrag  wie  den  württembergischeu  gönnen;  allein  der- 
gleichen werde  nicht  mehr  bewilligt.  Des  Geschützes 
halber  möge  sich  die  Verhandlung  nicht  zerschlagen. 
Schimpflich  sei  es  in  der  That,  dem  Kaiser  nur  zwei 
Stück  Büchsen  anzubieten ;  auch  dürfe  es  mit  Ziegenhain 
nicht  allzuhoch  genommen  werden.  Unnötig  sei  die  Be- 
fragung der  Landstände,  da  der  Landgraf  Macht  habe, 
selbst  zu  entscheiden.  Jedenfalls  werde  allen  der  Friede 
lieber  sein  als  der  Krieg.  Das  Wort  Ungnade  müsse 
bleiben;  es  stehe  hauptsächlich  um  des  herkömmlichen 
Gebrauches  willen  und  habe  sonst  keine  Wirkung.  Würde 
man  sie  über  den  Sinn  und  die  Deutung  des  Ausdruckes 
„Gnade  und  Ungnade"  nicht  sicher  und  genügend  ver- 
ständigen, dann  gebühre  es  ilmen  nicht,  ihn  als  ihren 
Freund  zu  verfüliren.  Könnten  sie  aber  mit  gutem 
Grunde  sagen,  ziehe  mit  zum  Kaiser  auf  Treu  und 
Glauben,  dann  bedürfe  es  keiner  Sorge. 

Nachdem  der  Landgraf  nochmals  seme  Zuflucht  zu 
den  Verträgen  des  Kaisers  mit  Württemberg,  Stralsburg 
und  Augsburg  genommen  hatte,  äulserte  er  dann:  Auf 
etliche  Geschütze  solle  es  nicht  ankommen.  Ziegenhain 
aber  werde  er  nicht  übergeben,  zumal  Lersner  vor  kurzem 
berichtet  habe,  der  Kaiser  werde  sich  mit  Gielsen  und 
ßödelheim  begnügen.  Bei  den  Worten  „Gnade  und  Un- 
gnade" sollten  sich  die  Fürsten  „wohl  vorsehen".  Mit 
Nachdruck  wiederholte  er  diese  Mahnung.  Sie  sollten 
ihm  auch  die  Gewifsheit  verschaffen,   dafs   der  Vertrag 


^^)  Meinte  man  Gescnütze  des  Franz  von  Sickingen  von  der 
Ebernburg,  vielleicht  die  Nachtigall  und  ein  anderes?  Vergl. 
ßommel  III,  232.    Ranke  II,  83. 


Die  Gefangennahme  des  Landgrafen  Philipp  von  Hessen.  213 

(laiiei-iul  anerkannt  und  später  nicht  angefocliten  werde. 
Nie  habe  er  vordem  im  Sinne  gehabt,  das  zu  thun,  was 
er  jetzt  bewilligt;  nie  habe  er  daran  gedacht,  sich  auf 
Gnade  und  Ungnade  zu  ergeben  und  irgend  eine  Festung 
zu  überliefern.  Werde  nuii  das  Bewilligte  nicht  ange- 
nommen, dann  müsse  er  sich  bis  zum  äulsersten  wehren. 
Sterbe  er  früher  als  seine  Zeit  gekommen  sei,  dann  leide 
er  um  Gottes  und  der  Wahrheit  willen.  Dem  Kaiser 
sollten  sie  alles  ernstlich  vorstellen  und  ihn  daran 
erinnern,  was  er  einst  für  ihn  gegen  Frankreich  und  in 
Sachen  Jülichs  gethan,  und  wie  er  sich  seit  dem  Abzüge 
von  Giengen  verhalten  habe.  Auf  Lersner  suchte  er  den 
Verdacht  zu  wälzen,  dals  er  die  harten  Bedingungen 
schon  früher  gekannt,  aber  verschwiegen  habe.  Zuletzt 
bat  er,  schnell  zu  handeln  und  ihn  nicht  aufzuhalten. 

Die  Fürsten  versicherten,  dals  die  Zeitumstände  allein 
sie  genötigt  hätten,  so  hart  in  ihn  zu  dringen;  mit  allen 
Kräften  aber  wollten  sie  nun  beim  Kaiser  für  ihn  ein- 
treten. Lersner  habe  treu  gehandelt.  Bisher  hätten  sie 
keinen  Diener  gesehen,  welcher  seines  Herren  Sache 
fleilsiger  betrieben  habe  als  er.  Sie  selbst  hätten  geglaubt, 
beim  Kaiser  mehr  durchsetzen  zu  können ;  allein  zuletzt 
hätten  sie  befunden,  dals  er  nur  zu  den  übergebenen 
Artikeln  zu  bringen  sei.  Von  den  jetzigen  Verhand- 
lungen sollte  er  auf  das  genaueste  in  Kenntnis  gesetzt 
werden,  und  keine  Mühe  wollten  sie  sparen,  um  ihn 
und  seine,  Räte  zur  Milde  und  Nachgiebigkeit  zu  be- 
wegen. Über  das  Ergebnis  sollte  unverzüglich  Bericht 
erstattet  werden,  wenn  der  Landgraf  bis  zu  ihrer  Rück- 
kehi"  in  Leipzig  bleibe. 

Kurz  bevor  man  von  einander  schied,  teilte  Philipp 
unerwartet  mit:  Weil  er  sehe,  dafs  man  ihm  durchaus 
nicht  glauben  und  trauen  wolle,  so  habe  er  den  Ent- 
schluls  gefalist,  auf  Verlangen  seinen  Kindern  alle  Herr- 
schaften bis  auf  Kassel,  Hofgeismar  und  einige  Jagd- 
gebiete so  lange  abzutreten,  bis  er  sich  mit  dem  Kaiser 
eines  anderen  verglichen  habe.  Mit  Moritz  sprach  er 
auch  über  eine  „Verehrung"  bis  zu  10,000  Kronen,  welche 
dem  Bischof  von  Arras  für  erfolgreiche  Verwendung  beim 
Kaiser  angeboten  werden  sollte. 

Kaum  waren  dann  die  Verhandlungen  abgebrochen 
und  die  beiden  Fürsten  auf  dem  Wege  nach  dem  Feld- 
lager vor  Wittenberg,  da  sandte  Philipp  eilige  Befehle 
an  seine  Räte  und  Statthalter,  um  alle  Festungen  in  volle 


214  S.  Ifsleib: 

Kriegsbereitschaft  zu  setzen,  die  Vornehmsten  der  Land- 
stände zu  berufen,  die  gesamte  wehrpflichtige  Mannschaft 
zusammenzufordern  und  die  sächsischen  Städte,  sowie  die 
Führer  des  niederdeutschen  Kriegsvolkes  zu  einem  Ver- 
teidigungsbündnis aufzumuntern  ■^^). 

Am  anderen  Morgen  meklete  er  Moritz :  Keinesfalls 
könne  er  alle  Kartaunen  und  grolsen  Geschütze  weg- 
geben. Habe  er  kein  Geschütz ,  dann  thäten  die  Nach- 
barn und  die  stolzen  adligen  Herren,  was  sie  wollten. 
Württemberg  und  die  süddeutschen  Städte  hätten  den 
Krieg  angefangen  und  kein  Geschütz  entrichtet,  wie 
komme  er  dazu!  Ziegenhain  wolle  er  nicht  übergeben, 
sonst  sei  er  vor  Untreue  und  Aufruhr  seines  Lebens 
nicht  sicher.  Der  Festungen  und  des  Geschützes  beraubt, 
könne  er  seinen  Freunden  in  der  Not  nicht  helfen ;  das 
sei  wohl  zu  beherzigen.  Den  Plan,  seine  Herrschaften 
den  Söhnen  zu  übergeben,  hielt  er  nach  reiflicher  Über- 
legung für  ganz  unthunlich,  weil  dadurch  grolse  Spaltung 
in  Hessen  verursacht  und  der  Blick  der  Söhne  in  bedenk- 
licher Weise  auf  ihn  gerichtet  werde.  Er  wollte  Herr 
seines  Landes  sein  Lebtag  bleiben  oder  darüber  sterben. 
Moritz  sollte  die  Sache  ganz  verschweigen  und  beim 
Kaiser  des  Vorschlages  gar  nicht  gedenken.  Am  meisten 
lag  ihm  noch  das  Geschütz  am  Herzen.  Verlange  man 
alle  Geschütze,  schrieb  er,  dann  möge  der  Herzog  schnell 
zuverlässige  Leute  verordnen,  welche  ihn  unverzüglich 
heim  geleiteten.  Alles  weitere  müsse  er  dann  Gott  be- 
fehlen. Erfolge  aber  die  Annahme  des  Vertrages,  dann 
sollte  schleunige  Bezahlung  und  Abrüstung  des  Kriegs- 
volkes stattfinden. 

Mittlerweile  wurden  die  Fürsten  im  Feldlager  vor 
Wittenberg  vorstellig.  Der  Kaiser  jedoch  wies  des 
Landgrafen  Vorschläge  kurzer  Hand  zurück,  forderte  be- 
dingungslose Ergebung  auf  Gnade  und  Ungnade  und 
bestand  auf  der  Übergabe  der  Festungen  und  des  Ge- 
schützes. Joachim  und  Moritz  wurden  ersucht,  die  Ver- 
handlungen abzubrechen.  Damals  will  man  deutlich  zu 
verstehen  gegeben  haben,  man  könne  dem  Landgrafen 
nicht  trauen  und  müsse  ihn  wenigstens  bis  zur  Voll- 
ziehung des  Vertrages  in  der  Gewalt  haben ''^).    Dagegen 


")  Rommel  III,  232. 

^^)  Mau  scheint  die  Wendung  gebraucht  zu  haben,  die  Ergebung 
solle  dem  Landgrafen  weder  zur  Leibesstrafe  noch  zu  ewiger  Haft 
(prison  perpetuelle)  gereichen.     In  jenen  Tagen  behandelte  mau  den 


Die  Gpfaiiffeimahme  des  Landgrafen  Philipp  von  Hessen.   215 

wurde  geltend  gemaclit,  ein  Fürst,  welcher  sich  frei- 
willig stelle,  sei  anders.. zu  l^ehandeln  als  ein  im  Kampfe 
gefangener.  Dieser  Äufserung  begegnete  man:  Der 
Landgraf  weiche  auch  nur  der  Gewalt,  da  er  jetzt  von 
der  Wetterau  und  von  Nassau  her  durch  den  Grafen 
von  Büren  und  durch  die  aus  Sachsen  vorrückende 
Heeresmacht  bedroht  w-erde. 

Sobald  Moritz  klar  erkannte,  dals  der  Kaiser  von 
seinen  Forderungen  nicht  abzubringen  sei,  eilte  er  nach 
Leipzig  zurück  und  teilte  am  Pfingstdienstag  (31.  Mai) 
dem  Landgrafen  mit,  dals  zunächst  König  Ferdinand  um 
seine  Fürsprache  angegangen  worden  sei.  Dann  habe  der 
Bischof  von  Arras  die  Sache  an  den  Kaiser  gebracht, 
aber  bald  erwidert:  Seine  Majestät  bleibe  dabei,  der 
Landgraf  müsse  sich  auf  Gnade  und  Ungnade  ergeben 
und  alle  Festungen  samt  Geschütz  in  seine  Hände  stellen 
ohne  jede  Bedingung.  Nun  suchte  der  Herzog  auf  den 
Schwiegervater  persönlich  einzuwirken;  indessen  die  pein- 
liche Verhandlung  zerschlug  sich.  Eben  hörte  Pliilipp 
vom  Siege  des  niederdeutschen  Kriegsvolkes  gegen  Herzog 
Erich  von  Braunschweig  unweit  Drakenburg;  da  schien 
die  alte  Entschlossenheit  zurückzukehren,    er  ritt  davon. 

Nachdem  er  in  Weilsenfels  übernachtet  hatte,  wandte 
er  sich  frühmorgens  brieflich  an  Kurfürst  Joachim,  be- 
kannte offen,  dals  er  sich  emer  solch  kurzen  kaiserlichen 
Antwort  nicht  versehen  habe,  und  bat  ihn  inständig,  sich 
nicht  bewegen  zu  lassen,  mit  seinem  Kriegsvolke  gegen 
ihn  zu  ziehen.  Dann  brach  er  auf,  um  die  Heimreise  fort- 
zusetzen. 

Im  freien  Felde  kam  er  mit  dem  herzoglichen  Rat 
und  Amtmann  Christof  von  Ebeleben,  welcher  ihn  ge- 
leitete, in  ein  vertrauliches  Gespräch  über  die  Leipziger 
Verhandlungen  und  über  die  seinem  Lande  nunmehr  be- 
vorstehende schwere  Zeit.  Da  sagte  er  unter  anderm: 
Ernstlich  habe  er  über  alles  nachgedacht  und  hätte  gern 
Frieden.  Nichts  wolle  er  unterlassen,  wenn  er  seiner 
Unterthanen  Schaden  und  Verderben  verhüten  könne. 
Auch  mit  den  Nachbarn  habe  er  Erbarmen,  durch  deren 
Land  der  kaiserliche  Kriegszug  gehen  Averde.  Wenn  er 
nun  Wülste  und  dessen  fest  versichert  würde,  dals  er  bei 
der  lieligion,   desgleichen  bei  Land  und  Leuten  bleiben, 

gefangenen  Kurfürsten  so  mild,  daCs  die  Kcde  ging,  er  wei'de  bald 
wieder  frei  sein.  Damit  täuschte  man  den  Unglücklielien  jedenfalls 
des  Landgrafen  wegen. 


216  S.  Ifsleib: 

auch  eine  Festung,  Kassel  oder  Ziegenhain,  behalten  sollte, 
dann  wollte  er  die  andern  schleifen  lassen,  vorausgesetzt 
jedoch,  dals  alle  Unkosten  von  der  im  Vertrage  gefor- 
derten Geldsumme  abgezogen  würden.  Zwar  sei  es 
schimpflich,  das  Geschütz  mit  Munition  auszuliefern ;  ehe 
er  jedoch  sein  Land  und  seine  ünterthanen  zu  Grunde 
richten  lasse,  wolle  er  lieber  das  Geschütz  herausgeben, 
sofern  er  desselben  nicht  gänzlich  beraubt  werde.  Auch 
gedenke  er  sich  auf  Gnade  und  Ungnade  dermafsen  zu 
ergeben,  wie  es  in  Leipzig  besprochen  worden  sei.  Wenn 
die  Fürsten  also  durch  Brief  und  Siegel  zusagten,  die 
Ergebung  solle  ihm  weder  zu  Nachteil  oder  Schaden 
an  Leib,  Ehre,  Land  und  Leuten,  noch  zu  Gefängnis  ge- 
reichen, dann  sei  er  bereit,  einen  Fulsfall  zu  thun  und 
die  Ungnade  abzubitten.  Herzog  Heinrich  sollte  samt 
seinem  Sohne  freigegeben  werden,  sobald  der  Kaiser  die 
zwischen  ihnen  erfolgte  Vereinbarung  bestätigt  habe. 
Alle  andern  Artikel  möchten  bleiben. 

Ebeleben  erbot  sich  darauf,  in  das  kaiserliche  Lager 
zu  reiten,  die  Fürsten  anzugehen  und  zu  versuchen,  ob 
er  Gutes  ausrichten  könne.  Der  Landgraf  willigte  ein; 
doch  wollte  er  vorläufig  unverpflichtet  bleiben.  Ebeleben 
sollte  gleichsam  alles  auf  eigne  Faust  wagen  und  bis  zum 
6.  oder  7.  Juni  nach  Kassel  schreiben,  ob  Hoifnung  auf  einen 
günstigen  Vertrag  vorhanden  sei.  Inzwischen  gedachte 
er  mit  seinen  Landständen   alle  schwierigen  Punkte   zu 


beraten.  Auf  Philipps  Wunsch  wiederholte  Ebeleben 
das,  was  ihm  vertraulich  mitgeteilt  und  anbefohlen  worden 
war;  dann  trennten  sich  beide. 

Der  Landgraf  zog  nach  Kassel  und  berichtete  am 
6.  Juni'^^)  an  die  Grafen  von  Mansfeld  und  Oldenbm^g, 
an  Heideck,  Thumshirn  und  Planitz  von  der  erfolglosen 
Leipziger  Verhandlung,  sowie  naher  französischer  Hilfe 
und  ersuchte  sie,  ihr  Kriegsvolk  bei  einander  zu  behalten 
und  sich  mit  ihm  über  einen  gemeinsamen  Kriegsplan  gegen 
den  Kaiser  zu  verständigen.  Kaum  war  dies  geschehen, 
da  nahte  ein  Eilbote  aus  dem  Lager  vor  Wittenberg  und 
überbrachte  euien  Brief,  in  Avelchem  Joachim  und  Moritz 
den  Landgrafen  dringend  baten,  sich  mit  niemandem  irgend- 
wie einzulassen,  bis  er  Ebeleben,  welcher  eiligst  nachfolge, 
gehört  habe. 


59)  Romme  1   III,    239.      Marburg    385,    Schmalkalduer  Bund 
1646—1550. 


Die  Gefangennahme  des  LanrlgTafen  Philipp  Ton  Hessen.  217 

Als  dieser  von  Weilseiitels  aus  im  kaiserlichen  Kriegs- 
lager angekommen  Avar  und  über  die  Unterredung  mit 
dem  Landgrafen  getreuen  Bericht  erstattet  hatte,  begaben 
sich  die  beiden  Fürsten  sofort  zum  Bischof  von  Arras 
und  beantragten  die  Wiederaufnahme  der  abgebrochenen 
Verhandlungen.  Anfangs  warf  der  kaiserliche  Eat  diese 
Zumutung  in  erregter  Weise  Aveit  von  sich  weg  und  wollte 
den  Antrag  nicht  für  200000  fi.  an  den  Kaiser  bringen, 
xlls  ihm  jedoch  Moritz  eine  stattliche  „Verehrung"  zu- 
sagte, wurde  er  ruhiger  und  lieis  sich  zu  dem  gewünschten 
Schritte  bewegen*^*'}. 

Die  neue  Verhandlung  nahm  die  Tage  vom  2.  bis 
4.  Juni  in  Anspruch  und  ist  durch  gewisse  verfängliche 
Vertraulichkeit  denkwürdig '•').  Leider  vermochten  die 
Fürsten  sich  damals  dem  Kaiser  nicht  zu  nähern,  weil  er 
keine  Audienz  gewährte.  Überaus  fühlbar  war  für  sie  auch 
die  Abwesenheit  König  Ferdinands,  mit  dem  sie  stets 
offene  Rücksprache  genommen  hatten.  Vielleicht  hätte 
seine  Gegenwart  den  folgenschweren  Konflikt  vermieden, 
der  dann  unheilvoll  eintreten  sollte. 

Ln  engen  Kreise  der  Fürsten  und  des  Bischofs, 
welcher  den  Vizekanzler  für  die  deutschen  Reichsan- 
gelegenheiten, Dr.  Seid,  zeitweilig  hinzuzog,  fanden  die 
Bespi-echungen  und  Festsetzungen  statt.  Man  bediente 
sich  der  deutschen,  lateinischen  und  französischen  Sprache. 
Da  die  Fürsten  nur  der  deutschen  Sprache  mächtig  waren, 
der  Bischof  dagegen  der  französischen  und  lateinischen, 
so  muiste  Dr.  Seid,  w^elcher  deutsch  und  lateinisch  redete, 
den  Gedankenaustausch  vermitteln'*-).  An  sich  war  dieser 
Verkehr  nicht  ungewöhnlich;  allein  hier  muls  hervor- 
gehoben werden,  dals  es  für  die  Fürsten  ein  recht  mifs- 
licher  Umstand  war. 

Vor  allem  ist  zu  betonen,  dals  Joachim  und  Moritz 
gegen  die  neuen  Zugeständnisse  des  Landgrafen  eine 
kaiserliche  Deklaration  über  die  Ergebung  auf  Gnade  und 
Ungnade  beanspruchten.    Ihr  gestecktes  Ziel  war,  durch- 


'^)  Vergl.  Holländer,  Strafsliurg  im  schmalkaldischen  Kriege, 
S.  80. 

">)  Am  2.  Juni  erscholl  im  kaiserlichen  Krieg^;lager  die  Nach- 
richt, Herzog  Erich  sei  geschlagen.  Gegen  Abend  nahte  der  Herzog 
mit  seinem  Vetter  Pliili])]),  dem  Solme  des  gefangenen  Herzogs  von 
Braunschweig,  und  bestätigte  die  Niederlage.  Wie,  wenn  der  Land- 
graf sich  an  die  Spitze  dieser  glücklichen,  niederdeutschen  Bewegung 
stellte? 

**^)  Dolmetscher  scheint  man  möglichst  ferngehalten   zu   haben. 


218  S.  Ifsleib: 

zusetzen,  dals  die  Ergebung  dem  Landgrafen  weder  zur 
Leibesstrafe,  noch  „zu  einiger  Gefängnis",  noch  zum  Ver- 
luste von  Land  und  Leuten  gereichen,  sondern  nur  Fuls- 
fall  und  Abbitte  bedeuten  sollte.  Freilich  hiefs  das  nichts 
anderes  als  Vernichtung  des  kaiserlichen  Planes,  Philipp 
wenigstens  bis  zur  Vollziehung  des  Vertrages  in  seine 
Gewalt  zu  bringen.     Ob  das  gelingen  würde? 

Während  der  geheimen  Verhandlung  sind  Artikel  in 
allen  drei  erwähnten  Sprachen,  in  der  französischen,  latei- 
nischen und  deutschen,  abgefalst  worden.  Bedauerlicher- 
weise kennen  wir  aber  nur  die  französischen  des  Bischofs 
von  Arras.  Das  deutsche  Exemplar  der  Fürsten  hat  sich 
nirgends  linden  lassen •^•^).  Das  ist  um  so  mehr  zu  be- 
klagen, als  die  Möglichkeit,  für  diese  Hauptstelle  der 
Abhandlung  volle  Klarheit  zu  gewinnen,  nun  ausge- 
schlossen bleibt  Eine  empfindliche  Lücke!  Aus  ver- 
schiedenen Gründen  mag  die  volle  Wiedergabe  der  vor- 
handenen französischen  Punktation  willkommen  geheilsen 
werden  *^^). 

Le  Lantgrave  de  Hessen  offre  de  noiiveau  et  oxütre  ce  que  par 
ci  devant  il  a  oifert  tiu'il  fera  abattre  tous  ses  fors,  excepte  nng  a 
savoir  Cassel  ou  Ziee'enhaim. 


•^3)  Weder  in  Berlin  noch  Dresden,  weder  in  Marburg  noch 
Wien  war  es  anzutreffen.  In  Berlin  und  Dresden  liegt  im  Rein- 
konzept eine  Instruktion  der  beiden  Fürsten  Moritz  und  Joachim  für 
die  Räte  Otto  von  Dieskau  und  Hans  von  Schlieben  an  König  Fer- 
dinand, datiert  Halle,  2.3.  Juni  1547.  In  derselben  wird  auf  die  ge- 
heimen Artikel  als  Beilage  verwiesen;  allein  sie  fehlen  und  sind 
jedenfalls  für  spätere  Verhandlungen  mit  Hessen  herausgenommen 
worden. 

<")  Abgedruckt  sind  diese  Artikel  vom  2.  Juni  1547  Ijei  B  u  c h  o  1 1  z, 
Geschichte  der  Regierung  Ferdinand  des  Ersten,  Urkundenband  IX, 
42.3.  In  Wien  liegen  sie  in  Abschrift  als  Beilage  eines  Schreibens 
Karl  V.  an  König  Ferdinand  vom  15.  Juni  1547,  auf  welches  wir 
zurückkommen  •,  Signatur  P.  A.  6.  In  deutscher  Sprache  lernte  man 
diese  Artikel  auf  dem  Reichstage  1547—1548,  am  25.  November  1547, 
kennen,  als  der  Kaiser  sich  ül)er  das  hessische  Gesuch  um  Fürbitte 
erklärte,  Dresden,  Loc.  9143,  Landgräfliche  hessische  gepflogene 
Versunnngshendel  etc.  Bl.  22.  Die  kaiserliche  Antwort  wurde  dann 
den  Reichsständen  zur  Abschrift  übermittelt.  Daher  linden  sich  die 
Artikel  in  verschiedenen  Archiven.  Nicht  unbeachtet  darf  die  Ab- 
schrift in  Dresden,  Loc.  9145,  Hessische  entledigung  I,  Bl.  162/63, 
bleiben.  Sie  trägt  folgendes  Dorsat  von  Dr.  Fachs:  „Dieser  Vor- 
schlag soll  im  Feldlager  vor  Wittenberg  beschehen  sein,  wie  sich 
die  kaiserischen  vernehmen  haben  lassen,  und  ist  diese  Copei  zu 
Augsburg,  18.  Februar  1548,  uns  zugestellt  worden  abzuschreiben," 
Dr.  Fachs  war  zwar  nicht  völlig,  aber  doch  im  allgemeinen  gut  über 
die  Verhandlungen  vom  2.  bis  4.  Juni  1547  unterrichtet. 


Die  Gefangennahme  des  Landarafen  Philipp  von  Hessen.  219 

Item  offre  aussi  delivrer  a  ladite  Me.  Imple.  toute  sa  artillerie 
et  munition,  suppliaut  toutesfois  quil  phiise  a  Sad.  Me.  luv  laisser 
antant  d'artillerie  de  camp  ponr  gaider  le  seul  fort  qii'il  retiondra 
qu'il  se  puisse  defendre  coutre  ung  mauvois  voysin.  (Jar  de  eudoni- 
maigier  ou  envahir  autres  u'est  son  intentiou. 

II  se  rendra  aussi  a  S.  M.  en  genade  et  ongeuade  saus  aucune 
couditiou,  toutesfois  led.  marquis  et  duc  Maurice  adjustent  a  cesluy 
article,  qu'il  leur  est  necessaire  davoir  iutelligence  avec  Sad.  M.  qiie 
feile  condition  ne  toiirnera  a  paine  corporelle  ou  perpetuel  empri- 
sonnemcnt  dud.  Lantgrave. 

Semblablenieut  quant  ä  ses  pays  et  subjects  qu'il  ue  sera  plus 
avant  pugny  ue  tenu  de  faire  que  ce  que  les  premiers  articles  con- 
tiengneut,  pourveu  toutesfois  que  ce  sera  saus  prejudice  du  bou  droict 
d'ung  cbacun  qui  vouldra  pretendre  actiou  et  quereile  contre  luy  en 
quoy  il  sera  tenu  s'accorder  par  voye  amiable,  ou  obeyr  ä  ce  que 
S.  M.  ou  les  commis  d'icelle  ou  le  jugement  de  la  chambre  Imperiale 
(tel  que  Sad.  Mje  vouldra  ordonner)  prouuncera.  Sans  toutesfois 
qiie  de  ce  que  dessus  le  Lantgrave  n'en  scaisse  riens  ains  se  rendra 
librement  et  simplement,  Et  cecy  se  fait  tant  seulement  affin  que 
lesd.  princes  puissent  tant  plus  facilement  conseiller  et  induyre 
ledit  Lantgrave. 

Et  en  cas  que  S.  M,  ne  se  contentast  de  teile  assecuration, 
Icelle  pourra  penser  quelque  autre  moyen  de  surete  et  la  raettre  le 
plus  avantageusemeut  qu'il  sera  possible,  et  que  lesdits  princes  la 
puissent  proposer  aud.  Lantgrave  et  sur  icelle  traicter  avec  luy,  et 
s'obliger  eulx  mesmes  pour  led.  Lantgrave. 

Ohne  Zweifel  fällt  sofort  der  Schlnls  des  dritten 
Abschnittes,  und  da  wieder  der  Ausdruck  „perpetuel 
emprisonnement" ,  Avelcher  nach  damaliger  Verdeutschung 
„ewige  Gefängnis"  bedeuten  würde,  in  die  Augen.  Dem- 
nach wäre  der  Sinn,  die  Ergebung  solle  dem  Landgrafen 
weder  zur  Leibesstrafe  noch  zu  ewigem  Gefängnis  ge- 
reichen. 

Karl  V.  gab  im  Briefe  an  seinen  Bruder  Ferdinand 
vom  15.  Juni  an  ^'■') :  Die  Fürsten  hätten  sich  des  Ausdrucks 
jnison  perpetneüe  bedient  und  auch  dessen  Aufnahme  in 
dem  Schriftstücke  gestattet,  auf  Grund  dessen  ihm  Vortrag 
gehalten  werden  sollte.  Der  Bischof  von  Arras  sprach  im 
Briefe  an  die  kaiserliche  Schwester,  Königin  Maria,  am 
20.  Juni,  ebenfalls  von  prison  perpetuelle''''').  Der  Aus- 
druck kehrt  dann  wieder  in  zwei  Briefen  an  die  kaiser- 
lichen Geschwister  vom  21.  imd  28.  Juni'^^).  Wenn  die 
Niederschrift  der  Artikel  nun  am  2.  Juni  erfolgte,  so 
tritt  uns  am  15.  im  kaiserlichen  Briefe  an  den  Bruder 
zum  ersten  Male  die  Folgerung  entgegen:  prison  perpe- 


«5)  Bucholtz  IX,  427. 
«8^  Lanz  II,  585. 


"')  Lanz  II,  587,  D  ruf  fei  I  No.  106  S.  64. 


220  S.  IMeib: 

tnelle,  (1.  i.  ewige  Haft,  sei  unstatthaft,  „einige  Haft"  da- 
gegen erlaubt. 

Die  Fürsten  aber  stellten  die  Zulässigkeit  einer 
solchen  Deutung  und  Auslegung  später  stets  hartnäckig 
in  Abrede.  Als  ob  der  Ausdruck  prison  perpchicUe, 
während  der  geheimen  Verhandlungen  gar  nicht  gefallen 
sei,  behaupteten  sie  vom  20.  Juni  1547  bis  zu  Moritz' 
Kriegszug  gegen  den  Kaiser  1552  •^^) :  Nie  hätten  sie  ver- 
standen, dafs  der  Landgraf  auch  nur  durch  „einige  Ge- 
fängnis" besehwert  werden  solle;  nie  wäre  von  einem 
solchen  kaiserlichen  Vorbehalt  die  Rede  gewesen,  Philipp 
nach  dem  Fuisfalle  und  der  Abbitte  gefänglich  einzuziehen; 
vielmehr  habe  der  Kaiser  die  gnädigste  Erwähnung  tlmn 
lassen,  die  Ergebung  solle  „weder  zur  Leibesstrafe,  noch 
auch  zu  Gefängnis"  gereichen.  Indem  sie  nach  einer 
Erklärung  dieser  Meinungsverschiedenheit  suchten,  gaben 
sie  an,  es  möge  wegen  der  Übersetzung  in  die  fremden 
Sprachen  einer  den  andern  milsverstanden  haben;  nie 
aber  hätten  sie  verstanden,  dafs  der  Landgraf  gefangen 
genommen  werden  sollte.  —  Wie  leicht  wäre  die  Frage 
zu  lösen,  wenn  ein  Exemplar  ihrer  deutschen  Artikel  vor- 
handen wäre !  Gesetzt,  die  Fürsten  hätten  um  des  Kaisers 
willen  den  Ausdruck  prison  perpetneUe  in  den  franzö- 
sischen Text  aufnehmen  lassen,  so  falsten  sie  die  Worte 
„weder  Leibesstrafe  noch  ewige  Gefängnis"  doch  nur  so 
auf,  als  sei  irgend  welche  Haft  ebensowenig  zulässig 
wie  die  Leibesstrafe.  Wenn  die  kaiserliche  Autfassung 
nur  ewige  Haft  ausschlols,  so  duldete  die  fürstliche 
nicht  einmal  einige  Haft.  Erschien  nach  den  franzö- 
sischen Artikeln  des  Bischofs  von  Arras  einiges  Ge- 
fängnis als  erlaubt,  so  war  es  nach  der  Meinung  der 
Fürsten  überhaupt  nicht  statthaft. 

Was  soll  man  nun  dazu  sagen?  Liegt  hier  that- 
sächlich  ein  Milsverständnis,  ein  Irrtum  oder  eine  Täu- 
schung, ein  Betrug  vor?  Jedenfalls  wird  im  folgenden 
klar  zutage  treten,  dafs  der  Kaiser  und  sein  gewandter 
Ratgeber  genau  wufsten,  welchen  Wortsinn  sich  die  Fürsten 
angeeignet  hatten,  und  welche  Erwartung  sie  hegten.  Sie 
hofften  in  der  That,  der  Kaiser  werde  so  grofsmütig  sein, 
wie  sie  durchaus  wünschten  und  wollten. 


ö^)  über  linndert  Briefe  und  Schriftstücke  in  Berlin,   Dresden 
und  Marburg  beweisen  dies. 


Die  CTefangemiahme  des  Lautlgrafeu  Pliili])])  vou  Hessen.  221 

Kehren  wir  zu  den  französischen  Artikehi  zurück, 
so  ist  weiter  zu  l)eachten,  dais  nach  dem  vierten  Ab- 
schnitt nur  die  beiden  Fürsten  von  der  kaiserlichen  Er- 
klärung über  die  Ergebung  auf  Gnade  und  Ungnade 
Kenntnis  haben  sollten.  Der  Landgraf  selbst  sollte  da- 
von nichts  wissen,  sondern  sich  zufolge  des  Vertrages 
„schlecht  und  frei"  ergeben.  Die  Fürsten  erhielten  die 
Deklaration  auch  nur  aus  dem  Grunde,  um  desto  unbe- 
fangener zur  Ergebung  raten  und  den  Landgrafen  desto 
leicliter  zu  diesem  Schritte  bringen  zu  können.  Demnach 
gab  der  Kaiser  die  geforderte  Erklärung  nicht  Philipp, 
sondern  den  beiden  Fürsten ;  nicht  jenem,  nur  diesen  ver- 
pflichtete er  sich.  Dafür  hatten  beide  die  Aufgabe,  die 
bedingungslose  Ergebung  ins  Werk  zu  setzen.  Der  Land- 
graf war  allein  durch  die  Fürsten  gedeckt;  aber  das 
sollte  er  nicht  wissen.  Daraus  folgte:  Die  beiden  Ge- 
währsmänner konnten  sich  erst  dann  auf  die  vertrauliche 
Deklaration  berufen,  wenn  nach  der  Ergebung  auf  Gnade 
und  Ungnade  dem  Landgrafen  etwas  Unstatthaftes  wider- 
fuhr. War  es  dann  aber  nicht  zu  spät?  Niemandem 
entgeht  wohl,  dais  der  Kaiser  auf  diese  Weise  die  Fürsten 
vom  Landgrafen  trennte,  aber  nichtsdestoweniger  sie  be- 
nutzte, um  ihn  herbeizuschaffen.  —  Über  diesen  Punkt 
des  vierten  Abschnittes  besteht  kein  Zweifel.  Nie  haben 
die  Fürsten  in  Abrede  gestellt,  dais  die  kaiserliche  De- 
klaration für  den  Landgrafen  ein  Geheimnis  bleiben  sollte. 

Wenn  schliel'slich  der  fünfte  Abschnitt  ül)er  die  Asse- 
kuration  des  Vertrages  von  selten  der  Fürsten  in  der 
überlieferten  Weise  zugestanden  wurde,  dann  hinderte 
den  Kaiser  wenig,  als  höchste  und  sicherste  Garantie  für 
die  Ausführung  des  Vertrages  den  Landgrafen  selbst  zu 
fordern  und  zurückzuhalten.  Dann  erdachte  er  nichts 
neues,  sondern  hielt  an  seinem  alten  Plane  fest,  worauf 
ihm  zuletzt  doch  alles  ankaui. 

So  glaubte  Karl  V.  gangbare  Wege  zu  besitzen,  um 
den  Landgrafen  einzufangen;  die  Fürsten  dagegen  meinten, 
Philipp  nicht  nur  vor  Leibesstrafe,  sondern  auch  vor  Haft 
und  vor  Verlust  von  Land  und  Leuten  gesichert  zu  haben. 
Gewils  viel  gewonnen  im  Verhältnis  zum  unglücklichen 
Kurfürst  Johann  Friedrich! 

Der  Vertrag  selbst*"'^)  wurde  vom  Bischof  von  Arras 
in  Anwesenheit  der  Fürsten  gemäfs  der  neuen  landgräf- 


00 


)  Rommel  III,  248 flg. 


222  S.  Ifsleib: 

liehen  Zugeständnisse  abgeändert.  Aber  der  erste  Artikel 
lautete  wie  früher,  dafs  der  Landgraf  sich  selbst  und  sein 
Land  der  kaiserlichen  Majestät  auf  Gnade  und  Ungnade 
ergeben,  in  Person  den  Fulsfall  tlmn  und  die  Abbitte 
leisten  sollte.  Dafür  wurde  Verzeihung  in  Aussicht  ge- 
stellt, für  die  er  sich  besonders  dankbar  zu  erzeigen  habe. 
Von  allen  Bündnissen,  besonders  vom  schmalkaldischen, 
sollte  er  sich  lossagen  und  alle  Bundesbriefe  ausliefern. 
Die  Strafsumme  blieb  auf  der  Höhe  von  150000  fl.  Ar- 
tikel 13  forderte  die  Schleifung  aller  Festungen,  aulser 
Ziegenhain  oder  KasseP'')  und  Vereidigung  aller  Haupt- 
und  Kriegsleute  dieser  einen  überlassenen  Festung  auf 
unwandelbare  Treue  gegen  den  Kaiser.  Weiter  wurde 
unverzögerte  Auslieferung  aller  Geschütze  mit  Munition 
bis  auf  etliche  zur  Verteidigung  notwendige  Feldstücke 
beansprucht.  Philipp  sollte  den  gefangenen  Herzog  Hein- 
rich von  Braunschweig  nebst  Sohn  frei  lassen,  sofort  mit 
zum  Kaiser  bringen  und  ihm  sem  Land  wieder  übergeben. 
Zur  gewissenhaften  Vollziehung  des  Vertrages  sollten  sich 
der  Landgraf  und  seine  Kinder  durch  eine  Verschreibung, 
der  Adel  und  alle  Unterthanen  durch  eine  Eidesleistung 
und  die  drei  Fürsten  Joachim,  Moritz  und  Wolfgang  von 
Zweibrücken  durch  genügende  Bürgschaft  verpflichten. 
Alle  Garanten  des  Vertrages  sollten  Philipp,  falls  er 
den  bewilligten  Artikeln  nicht  vollständig  nachkommen 
werde,  mit  Heereskraft  oder  mit  Gewalt  dazu  zwingen, 
oder  ihn  ergreifen  und  dem  Kaiser  ausliefern. 

Am  4.  Juni  endete  die  Verhandlung,  und  der  Ver- 
trag konnte  unverzüglich  abgesendet  werden.  An  dem- 
selben Tage  erfolgte  die  Übergabe  des  Kurfürstentums 
Sachsen  an  Moi'itz  und  dessen  Proklamation  zum  Kui- 
fürsten  im  kaiserlichen  Lager  und  in  Wittenberg'^). 

Für  die  beiden  Kurfürsten  —  wir  legen  von  nun  an 
auch  Moritz  diesen  Titel  bei  —  bestand  die  Haupt- 
schwierigkeit darin,  den  Landgrafen  zur  Annahme  des 
Vertrages  zu  bewegen  und  vor  den  Kaiser  zu  bringen, 
ohne  ihm  eine  Anzeige  von  der  kaiserlichen  Erklärung 
betreffs  der  Ergeliung  zu  erstatten,  um  die  er  schon  in 
Leipzig  ^gebeten  hatte,  von  der  er  aber  nichts  wissen 
sollte.   Überzeugt,  alles  thun  zu  müssen,  entsclilossen  sie 


''^)  Die  Wahl  wurde  dem  Kaiser  aiiheimgestellt. 

"')  Wittenberg  hatte  dem  Kaisei-  am  23.  Mai  die  Thore  ge- 
üffaet.  Am  4.  Juni  verlief's  die  trostlose  Familie  Johann  Friedrichs 
die  Stadt  und  siedelte  nach  AVeimar  ülier. 


Die  Gefangemiahme  des  Landgrafen  Philipp  von  Hessen.  223 

sich  ZU  folgendem  Schritte.  In  einem  gemeinsamen  Briefe 
vom  4.  Juni^-),  in  dem  sie  zunächst  die  Annahme  des 
Vertrages  empfahlen  und  zur  Ergebung  anf  Gnade  und 
Ungnade  rieten,  versprachen  sie  nicht  nur  dem  Land- 
grafen, dafs  er  nach  seiner  Einstellung  „über  die  Artikel 
weder  an  Leib  noch  Gut  mit  Gefängnis,  Bestrickung  oder 
Schmälerung  des  Landes  beschwert"  werden  sollte,  son- 
dern sie  verpflichteten  sich  auch  feierlichst,  falls  ihm  eine 
unerwartete  Beschwerung  begegnen  würde,  sich  auf  Er- 
fordern seiner  Kinder  in  Kassel  persönlich  einzustellen 
und  das  zu  erwarten,  was  ihm  dem  Vertrage  zuwider 
auferlegt  werde.  Hinsichtlich  der  Religion  vertrösteten 
sie  mit  einer  Versicherung,  wie  sie  ihnen  und  Markgrafen 
Hans  gegeben  worden  sei.  Des  Kaisers  Gnade  garan- 
tierten sie  nicht;  aber  sie  zweifelten  auch  nicht  daran, 
dals  Philipp  sie  durch  die  Ergebung  erlangen  werde.  In- 
ständig baten  und  ermahnten  sie,  den  Vertrag  anzunehmen, 
auf  Treu  und  Glauben  zu  kommen  und  Herzog  Hein- 
rich von  Braunschweig  samt  Sohn  mitzubringen.  Vom 
Kaiser  sei  nichts  weiter  zu  erhalten,  versicherten  sie,  er 
„beruhe  stracks  auf  dem  Kommen  und  auf  der  Ergebung". 
Wie  früher,  so  stellten  sie  auch  diesmal  „mit  besonderer 
Bewilligung  des  Kaisers  ein  frei,  ehrlich,  sicher  und  un- 
gefährlich Geleit  zu  und  ab  bis  wieder  in  seinen  Gewahr- 
sam" aus. 

Von  dieser  That  wuiste  weder  der  Kaiser  noch  der 
Bischof  von  Anas.  Die  Kurfürsten  handelten  auf  eigne 
Verantwortung  und  gingen  mit  ihrem  hohen  Versprechen, 
mit  ihrer  feierlichen  Verpflichtung  und  mit  der  vollen 
Einsetzung  ihrer  eigenen  Person  in  der  That  sehr  weit. 
Auch  enthüllten  sie  unerlaubt  die  vertrauliche  kaiserliche 
Erklärung  wenigstens  teilweise.  Meinten  sie  wohl,  je 
mehr  sie  wagten,  —  denn  von  gewisser  Besorgnis  waren  sie 
nicht  frei  —  desto  sicherer  würden  sie  jedes  Ungemach 
vom  Landgrafen  abwenden?  Wie,  wenn  es  dann  anders 
ausfiel!  An  einer  warnenden  Stinnne  hat  es  nicht  ge- 
gefehlt ^•'^).  AVie  Dr.  Fachs  später  bezeugte,  sagte  Christof 
von  Ebeleben  offen  zu  den  Kurfürsten:  „Ihr  Herren, 
Ihr  Herren,  Ihr  verpflichtet  Euch  viel,  sehet,  dafs  Ihr 
der  Sachen  gewifs   seid!"    Doch  weshalb  zaudern!    Sie 


^-)  Roramel  III,  236.     Marburg  385,  Aum.  8. 
'3)  Dresden,    Loc.    10187,    Eeichstagshändol    ISijO'öl   BI.  306; 
Druffel  1  No.  474. 


224  S.  IMeib: 

glaubten  den  Schritt  notwendigerweise  tlinn  zu  müssen, 
um  den  Landgrafen  zur  Reise  in  das  kaiserliche  Lager 
zu  bewegen. 

Noch  am  4.  Juni  machte  sich  Ebeleben  mit  Vertrag, 
Brief  und  Geleit  auf  den  Weg  nach  Kassel.  —  Zwei  Tage 
später  zog  der  Kaiser  aus  dem  Lager  vor  Wittenberg 
über  Bitterfeld  in  der  Richtung  nach  Halle  vorwärts. 
Gleichzeitig  eilte  Kurfürst  Joachim  in  die  Mark  und 
Moritz  nach  Torgau  und  Leipzig,  um  dringliche  Geschäfte 
zu  erledigen. 

Als  Ebeleben  am  6.  Juni  in  Kassel  angelangt  war, 
überreichte  er  sofort  alle  Schriften  und  berichtete  über 
das,  Avas  er  gesehen,  erlebt  und  besonders  anvertraut  er- 
halten hatte.  Vom  Bischof  von  Arras  wufste  er  zu  er- 
zählen, wie  er  zuletzt  geäufsert  habe,  die  Annahme  der 
Artikel  werde  die  Handlung  sicher  zu  Ende  führen.  Es 
stehe  zu  hoifen,  dals  der  Landgraf,  w^enn  er  komme  und 
den  Kaiser  bitte,  noch  mehr  erlangen  werde.  Der  Re- 
ligion wegen  sei  keine  Sorge;  doch  weil  ihrethalben  der 
lörieg  nicht  angefangen  worden  sei'^),  so  könne  sie  im 
Vertrage  auch  nicht  bedacht  werden.  Eine  Nebenver- 
sicherung aber  solle  der  Landgraf  empfangen.  Der  Kaiser 
habe  nicht  die  Absicht,  irgend  jemanden  mit  Gewalt  von 
der  Religion  zu  dringen ;  sondern  er  suche  christliche  Ver- 
gleichung,  oder  Vereinigung  durch  ein  Konzil.  Könne  man 
sich  dann  über  einen  oder  mehrere  Punkte  nicht  verstän- 
digen, so  solle  trotzdem  kein  Teil  den  andern  feindlich  be- 
schweren, sondern  in  Ruhe  lassen  bis  zur  endgültigen  Aus- 
einandersetzung. Ferner  wolle  der  Kaiser  des  Land- 
grafen Vertrag  mit  Herzog  Heinrich  ratifizieren  und  ihm 
den  Herzog  ohne  getroffene  Übereinkunft  nicht  abnötigen. 
Weiter  teilte  Ebeleben  mit,  die  Kurfü]'sten  seien  gesonnen, 
dem  Landgrafen  entgegenzuziehen  und  mit  ihm  zum  Kaiser 
zu  reiten,  um  dann  alle  schwebenden  Fragen  in  wenigen 
Tagen  zum  Abschluls  zu  bringen. 

Nachdem  Philipp  mit  seinen  vertrauten  Räten  die 
überbrachten  Artikel  geprüft  hatte,  entschlols  er  sich  nach 
Überwindung  mancherlei  Bedenken  am  7.  Juni^'^),  den 
Vertrag  im  ganzen  zu  bewilligen.  Mit  Recht  glaubte  er 
gutes  Vertrauen  zu  den  Kurfürsten  fassen   zu  können; 


''*)  Geflissentlich  wurde   dies   bei  jeder  Gelegenlieit  behauptet. 
''■'')  Rommel  III,  240,  Dresden,  Loc.  9143,  Landgreuische  hes- 


sische gepflogene  Versunungshendel  etc.  1547. 


Die  Gefangemiabiiie  des  Laiulgrafen  Philipp  von  Hessen.  225 

auch  hegte  er  die  Zuversicht,  dals  der  Kaiser  sich  in 
Ansehung-  seiner  Bereitwilligkeit  hinsichtlich  der  Festungen, 
des  Geschützes  und  der  Strafsumine '•')  gnädig  erzeigen 
werde.  Etliche  Abänderungen  und  Zugeständnisse,  welche 
er  noch  für  wünschenswert  hielt,  thaten  der  wesentlichen 
Substanz  des  Vertrages,  wie  er  selbst  sagte,  keinen  Ab- 
bruch, sondern  berührten  durchweg  minderwichtige 
Punkte'").  So  sollten  die  Worte  der  Abbitte  nialsvoll 
gestellt,  der  im  Vertrage  zugestandene  Sühnebrief")  und 
die  >Tebenversclireibung  l)etreffs  der  Religion  durch  das 
kaiserliche  Siegel  bekräftigt  und  Herzog  Heinrich  nebst 
Sohn'-')  nicht  mit  ihm  zusammen  in  das  Hoflager  ge- 
bracht werden.  Die  Ratifikation  von  Seiten  seiner  Söhne 
erschien  ihm  unnötig,  da  der  älteste  erst  vierzehn,  der 
zweite  kaum  zehn,  der  dritte  fünf  Jahre  alt  sei.  Ferner 
ersuchte  Philipp  die  beiden  Kurfürsten,  ihm  eine  oder 
zwei  Tagereisen  entgegenzuziehen  imd  dafür  zu  sorgen, 
dals  er  im  ganzen  nicht  länger  als  fünf  bis  acht  Tage 
aufgehalten  werde.  Nach  erfolgter  Aussöhnung  mit  dem 
Kaiser  sollte  ihm  Verhandlung  zu  gunsten  der  See-  und 
sächsischen  Städte  vergönnt  werden.  Auf  einem  Beizettel 
bat  er  die  Kurfürsten,  alles  dahin  zu  richten,  dalis  ihnen 
bei  der  bevorstehenden  Begegnung  „des  Kaisers  endlich 
Gemüt"  bekannt  sei;  denn  vor  dem  gänzlichen  Abschluls 
des  Vertrages  zu  ihm  zu  reiten,  erscheine  bedenklich. 
Im  kaiserlichen  Hoflager  sollte  man  ihn  nicht  länger  als 
zwei  oder  drei  Tage  zurückhalten. 

In  aller  Frühe  des  9.  Juni''")  traf  Ebelel)en  wieder 
mit  Kurfürst  Moritz  in  Leipzig  zusammen.  Da  Karl  V. 
aber  bis  dahin  das  nächste  Ziel   seines  Zuges  nicht   er- 


"'')  Ebeleben  erliielt  Auftrag,  um  die  Herabsetzung  der  Gold- 
summe bis  auf  100000  fl.  anzuhalten.  Denn  von  Frankreicli  habe 
Philipp  nur  100  000  Kronen  3  Monate  leihweise  erhalten,  und  viel 
sei  schon  für  ]]ezahluug  des  Kriegsvolkes  verausgabt  worden. 

")  Alle  Punkte  wurden  in  einer  Schrift  zusammengefafst,  Avelche 
sich  findet  bei  Korn mel  III,  241,  Berlin  39,  4,  Landgraf  Philip])  von 
Hessen  El.  19 flg.,  Dresden,  Loc.  9143  Landgreuische  hessische  ge- 
pflogene Versunungshendel  etc.  1547  Bl.  12  flg. 

■''*)  Der  Siihnebrit^f  sollte  Befreiung  von  der  Acht  und  Wieder- 
einsetzung in  den  früheren  fürstlichen  Rang  enthalten. 

™)  Beide  wollte  er  nach  Salza  (Suiza)  schicken,  von  da  sollten 
sie  abgeholt  werden.  Es  erschien  ihm  ungelegen  und  bedenklich,  mit 
ihnen  über  Feld  zu  reisen. 

80)  Marburg,  Anm.  50.  Berlin  39,  4,  Landgraf  Phili].])  von 
Hessen  1547,  Bl.  46,  49.  Reinschrift  Bl.  94.  Brief  der  kurfürstlichen 
Räte  an  Kurfüi-st  Joachim,  Halle  am  11.  Jiuii. 

Neues  Archlr  f.  S.  CJ.  u.  A.     XI.  .1.   1.  15 


226  S.  Ifsleib: 

reicht  hatte,  so  konnte  vorläufig  nichts  geschehen.  Tags 
darauf  erst  wurde  Halle  für  eine  Keihe  von  Tagen  Mittel- 
punkt des  Hof lagers.  Nach  einem  feierlichen  Einzüge  in  die 
Stadt  stieg  der  Kaiser  „im  neuen  Bau",  in  der  soge- 
nannten Residenz  an  der  Saale  ab,  während  Herzog  Alba 
auf  der  Moritzburg  Quartier  nahm.  Der  gefangene  Kur- 
fürst Johann  Friedrich  und  das  gemeine  Kriegsvolk  blieben 
vor  den  Thoren.  Markgraf  Albrecht  und  Landgraf  Chri- 
stoph von  Leuchtenburg  kamen  von  Gotha,  der  kurfürst- 
lichen Haft  entlassen.  Von  Leipzig  aus  ritt  Moritz  ein 
und  liefs  für  Kurfürst  Joachim  im  goldenen  Eing  am 
Markte  Herberge  nehmen  ^^). 

Als  er  am  andern  Morgen  nach  acht  Uhr  mit  dem 
Bischof  von  Arras^-)  über  die  vom  Landgrafen  erbetene 
Erklärung  und  gewünschte  Abänderung  etlicher  Artikel 
verhandelte,  trafen  zwei  kurbrandenlnirgische  Räte  ein 
und  vertrösteten  mit  der  baldigen  Ankunft  ihres  Herrn. 
Sofort  machte  er  sie  mit  der  Lage  der  Dinge  bekannt 
und  räumte  ihnen  Teilnahme  an  den  ferneren  Beratungen 
ein.  Offen  sprach  er  gegen  sie  aus,  der  Vei'trag  Averde 
zustande  kommen.  Im  Laufe  des  Tages  benachrichtigte 
er  dann  den  Landgrafen  von  der  bisherigen  unliebsamen 
Verzögerung  und  stellte  baldige  Antwort  von  selten  des 
Kaisers  in  Aussicht.  Zufolge  der  geäulserten  Bedenklich- 
keiten  des  Bischofs  zeigte  er  au,  dals  vor  der  Demütigung 
schwerlich  irgendwelche  Erleichterung  hinsichtlich  der 
Festungen,  der  Geschütze  und  der  Strafsumme  zuge- 
standen werden  würde.  Man  habe  gehofft,  fuhr  er  fort, 
dals  er  gleich  mit  Ebeleben  eintreffen  und  dadurch  alle 
Schwierigkeiten  und  jeden  Argwohn  aus  dem  Wege  räumen 
werde.  Nach  solch  beherzter  Ankunft  hätte  man  beim 
Kaiser  gewilis  mehr  erlangt,  als  jetzt  zu  erreichen  sei. 
Weil  er  noch  fernbleibe,  so  hafte  bei  manchem  ansehn- 
liches Milstrauen.  Es  sei  das  beste,  sich  so  schnell  als 
möglich  zum  Kaiser  zu  verfügen.  Ein  Beizettel  ermahnte, 
die  10000  Kronen  für  den  Bischof  von  Arras  mitzu- 
bringen, in  der  Hoffnung,  dals  sie  nach  erfolgter  Demut 
etwas  wirken  würden.  Nicht  eher  aber  sollten  sie  über- 
geben werden,  als  bis  man  sehe,  was  sie  Gutes  schaffen 
möchten. 


*i)  AVo  Moritz  abstieg-,  liefs  sich  nicht  bestimmt  ermitteln. 
**2)  Wiederholt  ging  er  auch  den  Herzog  von  Alba  an. 


Die  GefaDg'eiiiialiiiie  des  Landgrafen  Philii)p  von  Hessen.  227 

Der  beliariiichen  Beinüliiiiig'  des  Kurfürsten  war  es 
zu  danken,  dais  schon  am  folgenden  Tage  (12.  Juni)  die 
Übergabe  der  vom  Kaiser  erbetenen  Resolution  erfolgte ^•^). 
Olfenbar  lag  Karl  V.  selbst  daran,  durch  Eile  zu  ver- 
hüten, dals  wankelmütige  Leute  den  Landgrafen,  den  er 
für  sehr  veränderlich  und  unbeständig  hielt,  nochmals  un- 
günstig beeinflussen  möchten.  Lidem  er  Philipps  Wünsche 
und  Forderungen  grölsenteils  erfüllte,  suchte  er  ihn  durch 
Nachgiebigkeit  auf  der  betretenen  Bahn  des  Vertrages 
festzuhalten.  Hinsichtlich  der  Festungen  und  des  Ge- 
schützes blieb  es  allerdings  beim  Wortlaute  der  Artikel; 
aber  die  Zahlung  der  Strafsumme  von  150000  fl.  wurde 
durch  Anberaumung  längerer  Fristen  erleichtert.  Der 
Religion  wegen  wurde  diesell)e  Versicherung  zugesagt, 
welche  die  beiden  Kurfürsten  erhalten  hatten.  Nach  ge- 
schehener Abbitte  sollte  ihm  ein  unterschriebener  und  be- 
siegelter Sühnebrief,  welcher  die  Befreiung  von  der  Acht 
bekundete,  eingehändigt  werden.  Die  erbetene  Verhand- 
lung mit  den  See-  und  sächsischen  Städten  wurde  eingeräumt ; 
doch  sollte  sie  kaiserlicher  Verordnung  gemäls  stattfinden. 
Ferner  liels  der  Bischof  von  Arras  das  Gesuch,  den  Land- 
grafen nicht  länger  als  einige  Tage  aufzuhalten,  unbean- 
standet; von  ihm  wurde  auch  das  Geleit  „weder  iDestritten 
noch  angefochten". 

Kurfürst  Moritz  und  die  kurbrandenburgischen  Räte 
schickten  noch  am  12.  Juni  den  kaiserlichen  Bescheid 
durch  Ebeleben  an  Philipp  ab.  Im  beigelegten  Briefe 
beteuerten  sie,  neben  Arras  und  Alba  allen  möglichen 
Fleils  angewendet  zu  haben;  aber  vorläufig  sei  die  Sache 
nicht  weiter  zu  bringen.  Zufolge  des  Geleites  und  der 
Versicherung  vom  4.  Juni  sollte  der  Landgraf  sich  sofort 
erheben  und  den  17.  Juni  in  Naumburg  an  der  Saale  an- 
kommen, wo  die  beiden  Kurfürsten  mit  ihm  zusammen- 
ti-eff'en  wollten,  um  ihn  in  das  kaiserliche  Lager  zu  be- 
gleiten. Weiter  baten  sie,  dafür  zu  sorgen,  dals  Herzog 
Heinrich  samt  Sohn  rechtzeitig  nach  Suiza  gebracht 
würden. 

Der  Kaiser  war  entschlossen,  in  Halle  zu  bleiben, 
bis  sich  der  Landgraf  eingestellt  hal)e.  Lieber  wollte  er 
etliche  Tage  nutzlos  verbringen  als  durch  irgend  welche 
Kriegsbewegung  den  Ausgang   des   folgenschweren  Er- 


^^)  Vergl.  Dresden,  Loc.  9144,  Landgreffische  Handhmg  1550/51 
Bl.  198-,  Cariowitz  au  Moritz,  Angsburg  Ül.  Oktober  1550. 

15* 


228  S.  Ifsleib: 

eignisses  stören.  Doch  sollte  Philipp  nicht  denken,  er 
sei  der  Gefahr  entwischt  ^^). 

Nicht  ohne  Berechnnng  war  wohl  Sonntag  den 
12.  Juni  der  gefangene  Kurfürst  Johann  Friedrich  Gast 
des  Herzogs  von  Alba  auf  der  Moritzburg  ^■^).  Am  fol- 
genden Tage  vollzog  Herzog  Ernst  von  ßraunschweig, 
welcher  in  der  Schlacht  bei  Mühl])erg  mit  dem  Kurfürsten 
in  Gefangenschaft  geraten  war,  Fufsfall  und  Abbitte^*'). 
Der  Kaiser  nahm  ihn  wieder  zu  Gnaden  an  und  reichte 
ihm  die  Hand  zur  Versöhnung.  Selbstverständlich  erfuhr 
von  allen  diesen  Vorgängen  der  Landgraf.  Wie  konnte 
er  da  noch  zaudern,  sich  der  kaiserlichen  „Milde  und 
Güte"  anzuvertrauen!*') 

Höchst  beachtenswert  sind  an  dieser  Stelle  die  beiden 
Briefe,  welche  in  jenen  Tagen  der  Kaiser  und  der  König 
austauschten.  Am  15.  Juni  meldete  Karl  V.*^),  der  Land- 
graf werde  in  zwei  oder  drei  Tagen  in  Halle  sein,  wenn 
er  sich  nicht  wieder  von  der  Verhandlung,  welche  die 
Kurfürsten  für  ihn  geführt  hätten,  zurückziehe.  Aus- 
drücklich sei  man  unter  anderm  übeieingekommen ,  er 
solle  sich  ohne  jede  Bedingung  auf  Gnade  und  Ungnade 
ergeben.  Dabei  hätten  die  Kurfürsten  allerdings  um  die 
Versicherung  gebeten,  dafs  er  Aveder  an  seiner  Person, 
noch  an  seinem  Besitze,  noch  mit  ewigem  Gefängnis 
(prison  xjerpetuelle)  bestraft  werde.  Des  Ausdrucks  per- 
petuelle  hätten  sie  sich  bedient  und  demzufolge  auch  ein- 


«*)  Bucholtz  IX,  426-,  Laiiz  II,  582,  584,  Briefe  vom  12. 
lind  14.  Juni. 

^^)  Weimar,  Wechselschriften  zwischen  Johann  Friedrich  und 
Söhnen  1547,  1—21.  Brief,  im  Feldlager  bei  Halle  am  18.  .Juni. 
Er  ahnte  gewifs  nicht,  dafs  acht  Tage  später  in  denselben  Räumen 
Philipp  gefangen  genommen  werde. 

»«)  Berlin  39,  4,  Landgraf  Philipp  von  Hessen  1547,  Bl.  99. 

^')  In  Halle  redeten  die  einen,  der  Landgraf  werde  bald  wieder 
Genosse  Johann  Friedrichs  sein  und  dessen  Gefangenschaft  teilen; 
die  anderen  meinten,  der  Kaiser  werde  ihn  zu  Gnaden  annehmen, 
wenn  er  komme  und  um  Verzeihung  bitte.  Bucholtz  IX,  420  unten 
und  421  oben,  Brief  des  Bischofs  von  Hildesheim. 

^^)  Der  Brief  ist  abgedruckt  bei  Bucholtz  IX,  427;  doch  ent- 
hält er  einige  Unrichtigkeiten.  Nach  dem  Kopialbuch  in  Wien 
heifst  es: 

„Le  lantgrave  se  doibt  trouver  icy  deans  deux  ou  trois  jours  sil 
ne  se  retire  de  ce  que  ledit  Electeur  de  Saxen  et  celluy  de  Brandenburg 
ont  traicte  pour  luy,  par  lequel  il  est  convenu  expressement  entre  autres 
choses,quil  se  rendra  a  genad  et  ungenad  simplemment  et  sans  condition, 
conime  verrez  par  l'article  cy-joinct.  vray  est  que  les  dits  deux  elec- 
teurs  ont  demande  asseurance  que  je  ne  le  feroye  chastier  a  sa  per- 


Die  Gefangennahme  des  Landgrafen  Philipp  von  Hessen.  229 

gewilligt,  dals  derselbe  in  dem  Zettel  Aufualime  tiiide, 
Avelcher  zur  Berichterstattung  an  ilm  (den  Kaiser)  über- 
geben worden  sei.  Nun  habe  er  sich  zur  Annahme  des 
Artikels  herbeigelassen  mit  der  Absicht,  die  er,  wie  der 
König  wisse,  immer  gehabt  habe,  den  Landgrafen,  wenn 
irgend  möglich,  w^enigstens  einige  Zeit  in  seine  Gewalt 
zu  bringen.  Obgleich  er  selbst  sein  Vorhaben  erwäge, 
Philipp  nach  der  Ergebung  gefangen  nehmen  zu  lassen, 
worüber  sich  die  Kurfürsten  nicht  beklagen  könnten, 
weil  er  ja  der  gegebenen  Erklärung,  die  nur  ewige  Haft 
ausschlielse,  nicht  zuwiderhandle,  so  wünsche  er  doch  des 
Königs  Meinung  über  diesen  Punkt,  auch  über  die  Dauer 
und  über  die  Art  und  Weise  der  Gefangenschaft  zu 
kennen.  Lange  Haft  und  strenge  Überwachung  hielt  er 
selbst  für  schwierig  und  gefährlich;  denn  dann  könnten 
die  Kurfüi'sten  mit  Recht  grollen,  und  der  Landgraf  möchte 
in  Verzweiflung  geraten. 

Eine  recht  bedenkliche  Rolle  fürwahr  spielt  in  diesem 
Briefe  der  Ausdruck  perpetudle.  Mochte  es  sich  damit 
nun  verhalten,  wie  es  wollte,  der  Kaiser  wulste  recht 
wohl,  dals  die  Kurfürsten  eine  Verhaftung  Philipps  nicht 
erwarteten.     Wie  konnte  er,   fragt  man  erstaunt,  ihrer- 


sone  ny  en  ses  biens  plus  avant  du  contenu  audit  traicte  ny  aussi 
par  prison  perpehielle,  et  comme  ils  ont  use  de  ce  terme  pcrpctuelle 
selonque  aussi  ils  consentirent  quil  se  meist  au  billet  que  sur  ce  ils 
ont  donne  pour  men  faire  relation,  je  me  suis  condescendu  avec  la 
iiu  que  vous  scavez  jay  toujours  tenu  de  sil  etoit  possible  le  tenir 
du  moings  pour  quelque  temps  entre  mes  mains,  me  deliberant  de 
quand  il  se  vieudra  rendre  le  faire  retenir  prisonnier,  dont  les  dits 
electeurs  ne  se  pourrout  ressentir,  puisque  je  ne  contreviendray  a 
lasseurance  que  jay  donne  parlant  de  prison  avec  laddition  de  per- 
petuelle,  toutesfois  sur  cecy  vouldroye-je  bien  avoir  votre  advis  et 
aussi  scavoir  le  temps  pour  lequel  il  vous  semblera  je  me  deburoye 
resouldre  de  le  tenii-  prisonnier,  surquoy  javoye  pense  sil  seroit  bien 
de  dire  que  ce  tut  pour  jusques  je  puisse  veoir  quel  cheniin  les 
affaires  de  la  Germanie  preiulront,  car  apres  il  seroit  eu  ma  niain 
de  le  delivrer  precisemeut  et  ce  (pendant)  tut  jusques  au  boult  de 
la  diette  ou  jusques  a  nion  retour  en  la  Germanie,  aussi  desireroye- 
je  bien  avoir  votre  advis  sur  la  forme  de  la  prison  pour  scavoir  quelle 
il  vous  semblei'oit  eile  dcbui'a  estre,  tenant  rogard  a  ce  que  sa  garde 
le  tenant  en  prison  large,  sera  difficile  et  que  usant  de  plus  de  rigeur 
en  son  endroit  lesdits  electeurs  pourroient  prendre  quehiue  ressen- 
timent  et  luy  se  mettre  en  desespoir  que  apres  sortant  de  laditte 
prison  et  moy  estant  alisent  de  la  (Tcrnianie  faire  tout  le  pis  ([uil  pour- 
roit,  Selon  le  jugenient  que  Ion  peult  faire  de  sa  bonuc  vouluute,  et 
comme  sa  venue  sera  tost  en  cas  quil  se  delibera  de  venir,  vous 
voyez,  Mns,  mon  frere  combien  il  importeroit  de  haster  votre  re- 
sponcc. 


230  S.  Ifsleib: 

seits  irgend  welche  Beschwerden  besorgen,  wenn  sie  wirk- 
lich „emige  Gefangenschaft"  zugestanden  hatten!  Warum 
wollte  er  die  Meinung  des  Bruders  hören,  wenn  für  ihn 
das  Recht  der  Gefangennahme  aufser  Zweifel  stand? 

König  Ferdinand  erkannte  recht  wohl  die  Bedenklich- 
keit des  kaiserlichen  Entsclilusses  und  die  Schwierigkeit 
einer  Meinungsäufserung.  Da  er  infolge  seiner  Abwesenheit 
keinen  Einblick  in  die  geheimen  Abmachungen  besals,  so 
konnte  seine  Antwort  nicht  vorsichtig  genug  erwogen 
werden.  In  seinem  Briefe '^^)  bezweifelte  er  zunächst, 
dals  der  Landgraf  den  Artikel  der  Ergebung  bedüigungs- 
los  annehmen  und  sich  freiwillig  zur  Haft  stellen  werde. 
Dann  riet  er  überhaupt  von  irgend  einem  Gewaltschritte 
ab.  Wenn  die  „Haft  auf  kurze  Zeit",  meinte  er,  nicht 
gutwillig  zu  erlangen  und  deshalb  ein  neuer  Bruch  mit 
Pliilipp  zu  befürchten  sei,  so  möge  der  Kaiser  sie  ganz 
faUen  lassen  und  ihm  schenken.  Gute  Kaution  und  an- 
gemessene Garantie  des  Vertrages  erschien  ihm  völlig 
ausreichend  und  genügend,  namentlich  wenn  die  Bürgen 
das  Versprechen  leisteten,  dafür  Sorge  zu  tragen,  dals 
sich  Philipp  auf  Befehl  beim  Kaiser  jederzeit  einzufinden 
habe.  Allzeit  gleiche  er  dann  einem.  Gefangenen  und  sei 
aufser  stände,  etwas  anzuzetteln.  Überdies  treibe  man 
ihn  nicht  zur  Verzweiflung  und  gebe  den  beiden  Kur- 
fürsten keinen  Grund  zum  Unwillen. 


*")  Leitmeritz,  17.  Juni,  B u c h o Itz  IX,  428.  Der  Merliergehörige 
Text  lautet: 

Jay  aussi  veu  ce  que  me  scripvez  eu  lendroit  du  lantgrave  de 
Hessen  et  ce  que  contient  larticle  de  traicte  joinct  a  voz  letres.  et 
a  la  verite  Mns.  ce  seroit  tres  bouue  oeuvi-e  qui  le  pourroit  meuer 
a  soy  y  condescendre.  Mais  je  tiens,  quil  nacceptera  vouleutiers  ledit 
article.  Principallement  quant  a  tenir  prison  quelconcque  et  sil  ne 
se  povoit  obtenir  et  que  plustost  que  a  ceste  occasion  venu-  en 
rompture  avec  luy,  me  semble  que  V.  M.  luy  doibt  condonner  la 
prison,  bienquil  se  tienne  soubs  bonne  garde,  jusques  il  ait  accomply 
le  traictee.  Quant  aux  articles  du  rasement  des  places  fortes,  deli- 
vi'ance  d'argent,  artillerie  et  semblables  et  a  la  reste  si  pouiez 
avoir  bonne  caution  et  sehurte  de  luy  et  que  les  fidejusseurs  le 
proiueissent,  aussi  quil  fut  tenu  comparoir  devers  V.  M.  toutes  les 
fois  quil  seroit  appelle,  me  semble  ce  seroit  le  plus  convenable,  car 
par  ce  moyen  seroit  tousjours  comme  prisouier  et  le  tiendi'oit  plus 
subject  et  craintiff  de  riens  mouvoir  et  par  ce  ne  se  donneroit  occa- 
sion de  sentiment  aux  princes  electeurs,  qui  sen  sont  meslez  et  ne 
mectroit  ledit  lantgrave  en  desepoir.  Toutesfois  je  le  remets  a  ce 
quil  vous  plaira  Mns.  de  ordonner  pour  le  mieulx 

Der  Brief  kam  am  19.  Juni,  am  Tage  des  Fufsfalls,  in  Halle 
an.  Zu  vergleichen  ist  der  Brief  des  Königs  vom  14.  .Juli,  Bucholtz 
IX,  433. 


Die  CTefaiigennahme  des  Landgrafen  Philipp  von  Hessen.   231 

Dem  König  kam  es  hauptsächlifli  darauf  an,  dafs 
Joachim  und  Moritz,  auf  deren  Ergebenheit  man  künftig 
angewiesen  sei,  nicht  verletzt  würden.  Der  Kaiser  aber 
wollte  Philipp  auf  alle  Fälle  in  seiner  Gewalt  haben. 
Ungeachtet  der  Mahnungen  des  Bruders  steuerte  er  auf 
dieses  Ziel  los,  selbst  auf  die  Gefahr  hin,  die  Kurfürsten 
gründlich  zu  l)eleidigen.  Welche  Genugthuung  für  ihn, 
wenn  er  den  Landgrafen  sowohl  wie  den  vormaligen  Kur- 
fürsten Johann  Friedrich,  die  beiden  Gegner,  welche  ihm 
viele  Jahre  hindurch  so  manchen  Plan  durchkreuzt  hatten, 
davonführen  konnte ! 

Als  am  Morgen  des  18.  Juni  Philipps  Annäherung 
gemeldet  wurde,  waren  die  beiden  Kurfürsten  —  auch 
Joachim  hatte  sich  in  Halle  eingefunden  —  bereit,  ihm  ent- 
gegenzureiten. Zuvor  aber  erschienen  sie  vor  dem  Kaiser 
und  baten  ihn,  zu  geruhen,  dals  der  Landgraf,  welcher 
auf  Treu  und  Glauben  komme,  in  Ansehung  ihrer 
treuen  Bemühungen  und  der  Wichtigkeit  des  ganzen 
Handels  nicht  über  die  Kapitulation,  wie  sie  allenthalben 
besprochen  worden  sei,  beschwert  werde.  Persönlich  ver- 
tröstete Karl  V.,  Philipp  solle  gar  nicht  über  die  Artikel 
des  Vertrages  gefährdet  werden;  es  sei  nicht  seine  Sitte, 
jemanden  wider  die  Abrede  zu  belasten.  Beruhigt  und 
ermutigt  eilten  Joachim  und  Moritz,  begleitet  vom  be- 
gnadigten Herzog  Ernst  von  Braunschweig,  nach  Naum- 
bui'g  und  bewogen  den  Landgrafen,  mit  ihnen  zu  ziehen. 
Zwischen  den  beiden  Bürgen  einherreitend,  langte  er  nach 
drei  Uhr  nachmittags  mit  stattlichem  Gefolge  in  Halle 
an  und  stieg  in  der  Herberge  seines  Schwiegersohnes 
ab.  Eine  Stunde  später  traf  von  Suiza  aus  der  in  Frei- 
heit gesetzte  Herzog  von  Braunschweig  mit  seinem  Sohne 
Karl  Viktor  ein.  Der  jüngere  Sohn  und  Bruder  Herzog 
Philipp  Magnus  und  der  Vetter  Herzog  Erich  von  Kaien- 
berg waren  ihnen  mit  Gefolge  entgegengeritten. 

Sonntag,  den  19.  -Juni,  nach  der  Predigt  verhandelte 
der  Landgraf  in  Gegenwart  der  Kurfürsten  und  einer 
Anzahl  E,äte  mit  dem  Bischof  von  Arras  über  die  end- 
gültige Fornmlierung  des  Vertrages.  Als  man  den  unter- 
geschobenen Zusatz ''"j:  „Und  soll  diese  Kapitulation  zur 
Erklärung   kaiserlicher   iMajestät   Willens   stehen",   ent- 

"")  Die  Tragweite  dieser  Ivhiuscl  leuchtet  ein:  sie  sollte  das 
Vorhaben  des  Kaisers  vertragsmäl'sig  rechtfer<^igen.  Philipp  trat 
dann  in  eine  ähnliche  Schlinge,  wie  sie  den  Kurfürsten  gestellt 
worden  war. 


232  S.  Ifsleih: 

deckte,  wurde  er  sofort  beanstandet  und  seine  Streichung 
beantragt.  Aber  erst  die  Kurfürsten  setzten  durch,  dafs 
die  Klausel  in  der  kaiserlichen  Kanzlei  ausgestrichen 
wurde.  Darauf  erfolgte  die  Unterzeichnung  und  Besiege- 
lung  des  Vertrages'*^).  Alsdann  verursachte  die  lleligions- 
angelegenheit  eine  weitläufige  Disputation^-').  Philipp 
sollte  sich  im  voraus  den  Beschlüssen  des  Konziles  unter- 
werfen; vergebens.  Ehe  er  überhaupt  einen  bindenden 
Schritt  that,  mufsten  ihm  die  Kurfürsten  feierlich  ver- 
sprechen, bei  der  augsburgischen  Konfession  zu  bleiben''''). 
Endlich  verpflichtete  er  sich  in  derselben  Weise,  wie  sie 
es  gethan  hatten.  Auch  die  Bürgschaft  dei-  Kurfürsten 
und  des  Pfalzgrafen  Wolfgang  von  Zweibrücken  wurden 
ausgestellt.  Aus  den  vorhandenen,  allerdings  kurzen 
schriftlichen  Aufzeichnungen  jenes  Tages  erhellt,  dals 
Philipp  in  Halle  die  Interessen  seiner  Person  und  der 
Keligion  so  leidenschaftlich  verfocht  wie  sonst,  als  sei  er 
etwa  auf  einem  Reichstage,  nicht  im  kaiserlichen  Lager, 
um  sich  auf  Gnade  und  Ungnade  zu  ergeben.  Man  kann 
sich  denken,  welchen  Eindruck  seine  Haltung  beim  Kaiser 
hei'vorrief. 

Als  man  mittags  nach  der  Herberge  zur  Tafel  schritt'"), 
beauftragten  die  Kurfürsten  und  der  Landgraf  unterwegs 
den  sächsischen  Rat  Dr.  Fachs,  in  Begleitung  eines  kur- 
brandenburgischen  den  Bischof  von  Arras  aufzusuchen  und 
zu  fragen,  ob  der  Kaiser  dem  Landgrafen  nach  der  Abbitte 
die  Hand  geben  werde.  Da  Fachs  eines  Brandenburgers 
nicht  gleich  ansichtig  wurde,  so  richtete  er  den  Auftrag 
allein  aus,  und  der  Bischof  antwortete,  er  könne  nicht  wissen, 
ob  der  Kaiser  die  Hand  reichen  wolle.  Darauf  begab  sich 
Fachs  zu  den  Fürsten  zurück,  welche  schon  an  der  Tafel 
safsen.  Weil  er  glaubte,  er  dürfe  in  Gegenwart  fremder 
Gäste  den  Bescheid  nicht  laut  sagen,   so  schrieb  er  ihn 


^1)  Die  Kurfürsten  und   alle  anwesenden  Zeugen   nahmen  den 
Pergamentbrief  mit  der  durchstriehenen  Klausel  in  Augenschein. 

82)  Rommel  III,  253  flg. 

"3)  Fast  unter  den  Augen  des  Bischofs   schlols  man  gleichsam 
ein  neues  religiöses  Schutz-  und  Trutzhündnis. 

_  »1)  Dresden,  Loc.  10187  Reichstagshändel  1550/51  Bl.  306,  Ab- 
schiift.  Am  Rande  zu  Anfang  steht :  An  den  Kurfürsten  zu  eignen 
Händen.  Vergi.  Druffel  I  No.  474.  Verfasser  ist  genötigt,  hier 
festzustellen,  dafs  No.  474  das  gröfste  der  Versehen  enthält,  welche 
sich  überhaupt  in  dem  wertvollen  dreibändigen  Werke  von  Druffeis 
nachweisen  lassen.  Der  Auszug  der  zweiten  Hälfte  des  Schrift- 
stückes ist  fast  durchweg  unrichtig. 


Die  Gefaugeimahme  des  Landgrafen  Philipp  von  Hessen.  233 

auf  einen  Zettel  und  überreichte  diesen  einem  der  drei 
Fürsten^'').  Sehr  begreiflich,  dals  die  UngewiMieit  über 
die  Handreiclmng  nicht  gleichgültig  liefs.    Was  abei-  thun? 

Nachmittags  6  Uhr'"^)  sollte  der  Fufsfall  und  die 
Abbitte  im  großen  Saale  des  „neuen  Baues"  stattiinden. 

Zur  bestimmten  Stunde  nahte  der  Kaiser'*'')  und 
setzte  sich  nieder  unter  dem  aufgerichteten  Baldachin 
auf  dem  mit  Goldstoff  bedeckten  Thron,  vor  welchem  ein 
grolser  Teppich  ausgebreitet  lag.  Zu  beiden  Seiten 
nahmen  die  anwesenden  Fürsten  und  die  hohen  Würden- 
träger Aufstellung.  Unter  ihnen  erblickte  man  den  kaiser- 
lichen Neffen  Erzherzog  Maximilian,  die  Herzöge  von 
Braunschweig  und  die  Markgrafen  von  Brandenburg,  die 
Bischöfe  von  Naumburg  und  Hildesheim,  den  Herzog  von 
Alba,  den  Bischof  von  Arras  und  den  Reichsvizekanzler 
Dr.  Seid.  Zugegen  waren  aulserdem  die  päpstlichen,  die 
römisch  königlichen,  die  dänischen,  klevischen  und  soe- 
städtischen  Gesandtschaften  und  zahlreiche  deutsche,  spa- 
nische und  italienische  Standesherren,  Fast  war  der 
Saal  überfüllt,  und  drauisen  vor  der  „Residenz"  hatte  sich 
eine  unübersehbare  Menschenmenge  neugierig  zusammen- 
gedrängt^'*). 

Etwas  verspätet  erschien  der  Landgraf  zwischen  den 
beiden  Kurfürsten  im  schwarzsamtnen  Überrocke,  unter 
welchem  man  zu  Ehren  des  Kaisers  die  querübergehende 
roie  Feldbinde  Österreichs  erblickte.  Voran  schritt  Herzog 
Ernst  von  Braunschweig  mit  einem  Teile  des  hessischen 
Hofstaates,  Avährend  der  andere  nachfolgte.  Auf  dem 
Estrich  vor  dem  Teppich  kniete  Philipp  nieder''-').  Neben 
ihm  knieend  verlas  dann  sein  Kanzler  Gunterrode  die  Ab- 
bitte, laut  welcher  er  sich  auf  Gnade  und  Ungnade  ergab 
mit  dem  demütigen  Gesuch,  der  Kaiser  wolle  verzeihen 
und  vergeben,  die  Acht  aufheben,  ihn  in  seinen  früheren 
fürstlichen  Stand  wiedereinsetzen ,  bei  Land  und  Leuten 
bleiben  und  allen  Unterthanen  Gnade  angedeihen  lassen. 


^")  Später  wufstc  er  nicht  mehr  li'onau,  welchem  Fürsten  er  ihn 
gah.  Er  glaubte;  auch,  er  habe  Moritz  die  Antwort  heimlich  gesagt 
und  den  Zettel  eint'm  der  beiden  andern  gegeben. 

ö«)  Berlin  39,  4.     Landgraf  Philipp   von  Hessen  1547  Bl.  104. 

^'i  Dresden,  Loc.  9144,  Warhafttige  Beschreibung  etc. 

*''*)  Lanz  11,585.  üne  asseniblee  de  peuple  immesurable  puur 
voir  le  mystere  que  se  i)assait. 

"")  Ehe  er  niederkniete,  soll  er  noch  einige  Worte  mit  den  Kur- 
fürsten s'eredet  und  dabei  gelächelt  haben.  Da  habe  der  Kaiser 
„sauer  dreiugesehen'' . 


234  S.  Ifsleib: 

Für  sülclie  Wohlthat  versprach  er  zeitlebens  erkenntlicli, 
gehorsam,  dienstwillig  und  dankbar  zu  sein^"").  Darauf 
verlas  der  Vizekanzler  Seid  die  kaiserliche  Antwort. 
Nicht  alle  Anwesenden  koiniten  alle  Worte  verstehen; 
die  nächsten  aber  vernahmen  deutlich:  Der  Kaiser  sei 
zufrieden,  dals  die  Acht  aufgehoben,  die  wegen  der  ver- 
übten Rebellion  wohl  verdiente  Lebensstrafe  erlassen, 
auch  der  Landgraf  weder  mit  „ewiger  Gefängnis",  noch 
mit  Konfiskation  oder  Entsetzung  von  Gütern  mehr  als 
die  bewilligten  Artikel  zulielsen,  beschwert  werde. 

Nun  erwartete  man  allgemein,  dals  dem  Knieenden 
das  Zeichen  gegeben  werde,  sich  zu  erheben.  Als  der 
Kaiser  zögerte,  stand  Philipp  ungeheilsen  auf.  Sonst 
pflegte  Karl  V.  die  Hand  zu  reichen  und  den  Versöhnten 
mit  gnädigen  Worten  anzureden.  Wider  Erwarten  unter- 
liefs  er  es  diesmaP"^).  Vielmelu'  schritt  Herzog  Alba 
auf  den  Landgrafen  zu,  erfalste  seine  Rechte  und  lud 
ihn  samt  den  beiden  Kurfürsten  und  den  Bischof  von 
Arras  zum  Abendessen  ein.  Man  verliefs  den  Saal,  be- 
stieg die  Rosse  und  ritt  auf  die  nahe  Moritzburg  ^*''^). 

Hier  vollzog  sich  nun  das  bekannte  und  berüchtigte 
Ereignis,  die  Gefangennahme  Philipps  ^"'^).  Als  man  sich 
nach  der  „ergötzlichen  Mahlzeit"  zum  Spiele  in  den 
Zimmern  zerstreut  hatte  ^*'^),  zeigte  Herzog  Alba  den 
beiden  Kurfürsten  an,  kaiserlichem  Befehle  zufolge  sollte 
der  Landgraf  auf  dem  Schlosse  bleiben.  Ganz  betroffen 
über  diese  unerwartete  Erklärung  ])aten  sie  inständig, 
ihn,  den  geladenen  Gast,  unangefochten  mit  in  die  Her- 

100)  Während  der  kurzen  Pause  zwischen  Abbitte  und  Erwide- 
rung soll  Kurfürst  Joachim  den  Kaiser  gefragt  haben,  ob  er  dem 
Landgrafen  die  Hand  reichen  werde.  Da  sei  er  ablehnend  beschieden 
und  auf  die  l)evorsteheude  Antwort  verwiesen  worden.  Druffel  I 
No.  106,  S.  64.  Der  Bischof  von  Arras  versetzte  am  20.  Juni  die 
kurfürstliche  Anfrage  hinter  die  kaiserliche  Antwort;  Lanz  II,  586. 

"")  Reichte  der  Kaiser  die  Hand  zur  Versöhnung,  dann  war 
es  kaum  möglich,  Philipp  gefangen  nehmen  zu  lassen. 

1^2)  Unterwegs  sprach  Philipp  dem  Bischof  von  Arras  gegen- 
über die  Hoffnung  aus,  dafs  ihm  die  Festungen  unversehrt  gelassen 
würden. 

103)  Berlin  39.  4,  Landgraf  Philipp  von  Hessen  1547  Bl.  108  flg. 
Zum  Teil  bei  Ranke  VI,  251  abgedruckt,  aber  nicht  ganz  fehlerlos. 
Die  vermifsten  Beilagen  befinden  sich  in  Berlin.  Dresden,  Loc.  9143, 
Landgreuische  hessische  gepflogene  Versunungsheudel  etc.  1547  Bl.  63, 
74  flg.     Druffel  I  No.  106,  S.  64. 

1**^)  Philipp  soll  mit  Magister  Franz  Kram  Brett  gespielt  haben. 
Vergl.  L.  Ct.  Mögen,  Historia  captivitatis  Philippi  Magnanimi, 
§  153,  S.  323. 


Die  Gefang-eiiiialune  des  Landgrafen  Philipp  von  Hessen.  235 

berge  ziehen  zu  lassen.  Aber  schon  war  die  That  ge- 
schehen; schon  war  Philipp  von  den  übrigen  getrennt, 
in  ein  besonderes  Gemach  geführt  und  spanischer  Wache 
unterstellt.  Nicht  lange  währte  es,  da  drang  das  „Ge- 
murmel" vom  Schlosse  in  die  Stadt  hinab,  der  Landgraf 
sei  gefangen. 

Als  er  sich  nicht  zu  widersetzen  vermochte,  liels  er 
höchst  entrüstet  die  Kurfürsten  um  Beistand  anrufen 
und  vorwurfsvoll  an  fürstliche  Treue  und  Glauben  er- 
innern. Empört  über  die  verübte  Gewaltthat,  forderten 
nun  die  um  Vcrmittelung  Angerufenen  von  Alba  und  dem 
Bischof  von  Arras,  die  Befreiung  des  Verhafteten  beim 
Kaiser  sofort  zu  beantragen,  da  solch  Verfahren  ganz 
ungebührlich  sei  und  allen  Verhandlungen,  auch  der  ver- 
traulichen Verabredung,  zuwiderlaufe.  Die  kaiserlichen 
Räte  machten  geltend,  es  sei  zu  spät,  sich  an  den  Kaiser 
zu  wenden,  und  mit  Fug  und  Recht  sei  die  Verhaftung 
vollzogen  worden ;  keinesfalls  habe  der  Kaiser  die  Grenzen 
des  Vertrags  überschritten.  Das  bestritten  die  Kur- 
fürsten durchaus,  und  als  die  Räte  sich  auf  den  Wort- 
laut der  kaiserlichen  Erklärung  beriefen,  wonach  nur 
prison,  pvrpdueUe  ausgeschlossen  sei,  versetzten  sie  un- 
willig, dals  sie  keine  Gelehrten  seien,  um  über  den  Buch- 
staben zu  streiten  und  wie  diese  ihre  Sache  zu  beweisen ; 
allein  sie  hätten  es  anders  verstanden  und  sich  keines 
Gefängnisses  besorgt;  man  solle  ihre  Ehre  bedenken. 

Darauf  suchte  man  zu  erweisen,  zu  entgegnen,  zu 
behaupten  und  zu  beteuern.  Bis  nach  2  Uhr  nachts  dauerte 
der  erhitzte  Streit,  ohne  die  Sache  zu  ändern;  keine 
Vorstellung,  kein  Erbieten  half.  Kurfürst  Moritz  wurde 
äulserst  heftig  und  wollte  ehrenhalber  den  gefangenen 
Schwiegervater  nicht  im  Stiche  lassen.  Zwar  liefs  sich 
Joachim  bewegen,  seine  Herberge  aufzusuchen,  ihm  aber 
mulste  man  gestatten,  die  Nacht  auf  dem  Schlosse  zu 
verl)ringen.  So  endete  ein  listiger  kaiserlicher  Gewalt- 
streich das  sogenannte  Judasmaid  ^''''^) ! 

In  aller  Frühe  des  20.  Juni  schickte  der  Landgraf 
zu  den  Kurfürsten  und  liefs  auf  das  eindringlichste  vor- 


^^^)  Dr.  Fachs  erklärte  später:  „Das  weifs  ich  alter,  dafs  sich 
unser  keiner  solcher  Ciistodien  versehen  hat" ;  Aiiiii.  94.  Jjersncr 
hatte  vorher  Moritz  und  dem  Landgrafen  rund  heraus  gesagt  und 
geschriel)en,  er  besorge,  die  Kaiserliclien  würden  sie  nur  aufhalten 
und  dann  betrügen.  Marburg,  Anm.  8.  Lenz,  Die  Schlacht  bei 
Mühlberg  S.  33. 


236  S.  Ifsleib: 

stellen,  dais  er  zufolge  ihres  Briefes  und  Geleites  nach 
Halle  gekommen  sei,  zufolge  ihres  Eates  sich  auf  Gnade 
und  Ungnade  ergeben,  den  Vertrag  unterschrieben  und 
besiegelt  und  nach  dem  Fufsfalle  und  der  Abbitte  kaiser- 
liche Verzeihung  erhalten  habe.  Nun  solle  er  bleiben, 
bis  alle  Artikel  des  Vertrages  erfüllt  seien.  Wie  ein 
Gefangener  werde  er  von  spanischen  Schützen  bewacht. 
Keineswegs  habe  er  sich  dessen  versehen,  sonst  wäre  er 
ferngeblieben.  Da  sie  in  verflossener  Nacht  nichts  hätten 
abhandeln  können,  so  sollten  sie  nunmehr  dem  Kaiser 
alles  vorstellen,  wie  es  sich  mit  dem  Geleit  und  der  Ver- 
sicherung verhalte,  und  dann  seine  Befreiung  eiligst  durch- 
setzen. Werde  der  Kaiser  nicht  willfahren,  dann  mülsten 
sie  sich  laut  ihrer  Verpflichtung  seinen  Kindern  in  Kassel 
zur  Haft  einstellen.  Feierlichst  erbiete  er  sich,  alle  Ar- 
tikel, welche  räch  erledigt  Averden  könnten,  unverzüglich 
zu  vollziehen.  Auch  in  ihrem  Namen  sollten  sie  das 
dem  Kaiser  versichern.  Umgehend  möge  man  ihn  wieder 
in  seine  Herberge  ziehen  lassen,  ehe  das  Gerücht  von 
seiner  Haft  nach  Hessen  dringe  und  im  ganzen  Lande, 
besonders  beim  geringen  Manne,  Unruhen  anrichte.  Seine 
Gattin,  welche  neuer  Nachkommenschaft  entgegensehe, 
möge  man  bedenken,  damit  solch  Geschrei  ihr  keinen 
Schaden  zufüge.  Schnell  sollten  die  Kurfürsten  durch- 
setzen, dals  er  abgefertigt  werde,  um  in  der  Heimat  der 
Kapitulation  in  allen  Stücken  möglichst  bald  naclikommen 
zu  können.  Beide  erinnerte  er  wiederholt  daran,  dafs  er 
auf  Treu  und  Glauben  in  Halle  sei. 

Die  Kurfürsten  lielsen  antworten:  Sie  wülsten  sich 
wohl  aller  Dinge  zu  erinnern,  und  herzlich  leid  thäte  es 
ihnen,  dafs  die  Sache  dahin  geraten  sei.  Nichts  Schlim- 
meres hätte  ihnen  widerfahren  können;  es  tlme  ihnen  so 
wehe,  als  ob  es  ihnen  selbst  widerfahren.  Inständig  aber 
baten  sie,  eine  kleine  AVeile  Geduld  zu  haben.  Allen 
möglichen  Fleils  wollten  sie  aufbieten,  um  die  harte  Be- 
schwerde abzuwenden.  Und  wäre  nichts  zu  erreichen, 
dann  wülsten  sie,  was  sie  ihm  zugeschrieben  hätten;  sie 
seien  fest  entschlossen,  ihrer  Verpflichtung  treu  nach- 
zukommen. 

Zur  selben  Zeit  wurde  ein  Bittgesuch  an  den  Kaiser 
entworfen,  welches  betonte,  dafs  beide  Kurfürsten  als 
gehorsame  Fürsten  des  Reiches  den  Landgrafen  zur 
Demut  gebracht  hätten,  um  dadurch  die  kaiserliche 
Autorität  und  Ehre  zu  erhöhen.     Soviel  sie  wülsten,  habe 


Die  Gefaiigeimaliine  des  Laiulgrafeii  Vhilii)])  von  Hessen.   237 

ihnen  der  Kaiser  die  gnädige  Erwähnnng  tliun  lassen, 
die  Ergebung  solle  dem  Landgrafen  „weder  durch  Leibes- 
strafe noch  auch  Gefängnis  zu  einigem  Nachteil"  ge- 
reichen. Obgleich  die  kaiserlichen  Räte  die  Verhand- 
lungen zum  teil  in  französischer,  zum  teil  in  lateinischer 
und  zuletzt  auch  in  deutscher  Sprache  geführt  hätten, 
und  sie  selbst  der  Sprachen  nicht  gar  kundig  seien,  so 
hätten  sie  dennoch  nicht  den  Eindruck  gewonnen,  als 
solle  die  Ergebung  zu  „einiger  Gefängnis"  führen.  Wie- 
wohl es  nicht  ohne  sei,  dals  der  Kaiser  die  Erklärung 
habe  vertraulich  thun  lassen,  um  dieselbe,  wie  geschehen, 
für  sich  zu  behalten,  so  sei  doch  zu  erachten,  dals  sie, 
um  den  Landgrafen  zu  bewegen,  auf  Treu  und  Glauben 
zu  kommen,  gleichwold  für  ihre  Person  hätten  erwähnen 
müssen,  sie  hätten  des  Kaisers  angeborne  Güte  und 
Milde  allewege  dermalsen  erkannt,  dals  er  „weder  Leibes- 
strafe noch  Gefängnils"  zu  befürchten  habe.  Und  diese 
Zusicherung  hätten  sie  durch  Brief  und  Siegel  zustellen 
und  übergeben  müssen.  Wie  dem  sei,  gestern  hätten  sie 
nun  befunden,  dafs  der  Kaiser  den  Landgrafen  in  Ver- 
wahrung habe  nehmen  lassen.  Gott  wisse,  dals  ihnen 
nichts  Beschwerlicheros  und  Erschrecklicheres  selbst  an 
ihrem  eignen  Leibe  begegnen  oder  widerfahren  könne 
als  dies.  Gnädigst  möge  der  Kaiser  ilire  seitherige  Treue 
und  Dienstwilligkeit  berücksichtigen;  denn  keinen  per- 
sönlichen Vorteil  oder  Nutzen  hätten  sie  im  Auge  ge- 
habt, sondern  allein  des  Kaisers  Ehre  und  Ansehen.  In 
Wahrheit  hätten  sie  die  Sache  auch  nicht  anders  als 
gefahrlos  aufgefalst.  Vor  ihrer  Abreise  seien  sie  noch 
einmal  selbst  vor  dem  Kaiser  erschienen,  um  sich  zu  er- 
kundigen und  zu  bitten,  dals  sie  nicht  gefährdet  werden 
möchten,  weil  der  Landgraf  auf  Treue  und  Glauben 
komme.  Und  dessen  seien  sie  allewege  vertröstet  worden. 
Wenn  trotzdem  nun  der  Landgraf  in  Verwahrung  ge- 
nommen werden  sollte,  so  sei  leicht  einzusehen,  dals  es 
ihnen  bei  aller  Welt  zu  böser  Nachrede  und  Unglimpf 
gereichen  müsse.  An  ihren  Kindern  selbst  und  Nach- 
kommen werde  dieser  Makel  un vertilgbar  haften.  Auch 
dem  Kaiser  werde  es  bei  allen  denen  Nachteil  bringen, 
welche  sich  noch  nicht  ergeben  hätten.  Die  kaiserliche 
und  ihre  kurfürstliche  Eeputation  sei  mehr  zu  bedenken 
als  der  Landgraf. 

Unterdessen  ^***')   hatte  der  Kaiser  den  Herzog  Alba 


lOG' 


)  Lanz  II,  587-,  D  ruf  fei  I  No.  106,  S.  65. 


Ö 


238  S.  Ifsleib: 

und  den  Bischof  von  Arras  zu  sich  befohlen,  um  über 
die  Vorgänge  auf  dem  Schlosse  zu  hören  und  darnach 
seine  Entschlüsse  zu  fassen.  Nach  erfolgtem  Bericht 
hielt  er  es  für  ratsam,  Stand  zu  halten;  denn  nachdem 
man  einmal  so  weit  vorgeschritten  sei,  könne  man  nicht 
wieder  zurückweichen,  ohne  der  Welt  zu  beweisen,  man 
habe  Unrecht  gethan.  Der  Landgraf  sollte  wenigstens 
so  lange  verhaftet  bleiben,  bis  die  hessischen  Festungen 
geschleift,  die  Geschütze  mit  der  Munition  überliefert 
und  alle  anderen  schnell  zu  erledigenden  Artikel  aus- 
geführt worden  seien.  Entlasse  er  die  Truppen,  meinte 
der  Kaiser,  ehe  der  Landgraf  Genüge  gethan  habe,  dann 
fehle  jede  sichere  Garantie  für  die  Vollziehung  des  Ver- 
trages; denn  die  Kurfürsten  besäfsen  nicht  die  Macht, 
den  Landgrafen  zur  Genugthuung  zu  zwingen.  Es  wurde 
beschlossen,  Joachim  und  Moritz  gegenüber  das  Recht 
der  Verhaftung  festzustellen  und  ihre  Behauptung  zu 
widerlegen,  als  habe  der  Kaiser  w^ortbrüchig   gehandelt. 

Mit  dieser  Al>sicht  kamen  Alba,  der  Bischof  von 
Arras  und  Dr.  Seid  auf  das  Schlots  und  zeigten  den  an- 
wesenden Kurfürsten  an,  dals  der  Kaiser  über  den 
ganzen  nächtlichen  Vorgang  höchst  ungehalten  sei,  dals 
er  Moritz'  Verbleiben  für  gewissen  Trotz  erachtet  und 
alles  so  verstanden  und  gedeutet  habe,  als  wolle  man 
seine  Ehre  in  Frage  stellen,  als  habe  er  über  die  Ar- 
tikel hinaus  Ungebührliches  gethan.  Da  er  aber  seine 
Zusagen  stets  gehalten  habe,  so  wolle  er  weder  in  Ver- 
dacht noch  Argwohn  geraten,  und  jedermann  möge  wissen 
und  erfahren,  was  verhandelt  worden  sei.  Auf  Befehl 
des  Kaisers  sollten  sie  mit  ihnen  reden  und  disputieren, 
ob  er  dem  Vertrage  und  der  Deklaration  gemäi's  mit  Fug 
und  Recht  gehandelt  habe  oder  nicht.  Bevor  dies  nicht 
festgestellt  worden  sei,  werde  er  die  Kurfürsten  weder 
vor  sich  lassen,  noch  irgend  welche  Bitte  anhören.  Auch 
der  Kaiser  sei  kein  Gelehrter,  und  sie  hätten  seine  Ab- 
sicht wohl  gekannt. 

Die  Kurfürsten  lielsen  erwidern:  Sie  seien  fast  er- 
schrocken darüber,  dals  der  Kaiser  also  bewegt  und 
aufgebracht  worden  sei.  Nicht  aus  Trotz,  sondern  dem 
Schwiegervater  zum  Tröste  sei  der  Kurfürst  von  Sachsen 
auf  dem  Schlosse  geblieben;  darum  möge  man  ihn  ent- 
schuldigen. Mit  dem  Kaiser  wollten  sie  sich  m  keine 
Disputation  einlassen ;  denn  er  sei  ihr  Herr  und  ihre  hohe 
Obrigkeit.     Aber  während  der  letzten  Verhandlung  hätten 


Die  CTefaiigeniialime  des  Loiulgrafen  ]'liilii)p  von  Hessen.  239 

sie  nie  verstanden,  dafs  der  I^andgraf  an  seinem  Leibe 
mit  Gefängnis  beschwert  werden  solle;  nie  wäre-  von 
einem  kaiserlichen  Vorbehalte  die  Rede  gewesen ,  ihn 
nach  dem  Fnisfalle  und  der  Abbitte  gefänglich  einzuziehen, 
zumal  der  Sühnebrief  und  anderes  in  Aussicht  gestellt 
worden  sei.  Wäre  es  anders,  dann  hätten  sie  geirrt 
und  bäten  zu  bedenken ,  dals  sie  sich  weit  und  tief  ein- 
gelassen und  verpflichtet  hätten.  Als  gel)orene  deutsche 
Fürsten  würden  sie  nicht  zu  bewegen  gewesen  sein,  den 
Landgrafen  zur  Ergebung  zu  bereden,  Avenn  sie  gemerkt 
hätten,  er  solle  gefangen  gehalten  werden;  dann  würden 
sie  die  Sache  an  ihren  Ort  gestellt  haben. 

Darauf  wurde  geantwortet:  Am  liebsten  wünsche 
der  Kaiser  ehie  öffentliche  Erklärung  ausgehen  zu  lassen, 
um  frei  von  Argwohn  und  Verdacht  zu  sein.  Wenn  man 
sich  darauf  einlassen  wolle,  so  hätten  sie  Befehl,  darüber 
zu  reden  und  zu  erörtern.  Der  Kaiser  gründe  seine  In- 
tention sowohl  auf  den  Vertrag,  als  auch  auf  die  geheime 
Deklaration,  derzufolge  „einige  Haft"  gestattet  sei^'*^). 
Vor  allem  wolle  er  der  Vollziehung  des  Vertrages  sicher 
und  gewifs  sein.  Die  beste  Garantie  dafür  biete  aber 
nur  die  Person  des  Landgrafen.  Es  stünde  zu  besorgen, 
beim  Kaiser  werde  gar  nichts  erreicht,  man  bitte  denn 
um  kurze  Haft. 

Die  Kurfürsten  lielsen  wiederholen,  dals  sie  nicht 
mit  dem  Kaiser  disputieren  wollten;  doch  lielsen  sie 
nochmals  auseinandersetzen,  wie 'sie  den  ganzen  Handel 
verstanden  hätten.  Ihrerseits  liege  das  Versehen  darin, 
nicht  beachtet  zu  haben,  es  sei  Gefahr  vor  Gefängnis 
vorhanden,  weil  der  Landgraf  die  kaiserlichen  Artikel 
in  Leipzig  nicht  angenommen  und  der  Kaiser  die  land- 
gräflichen gänzlich  abgeschlagen  habe,  später  aber 
von  keiner  Haft  die  Hede  gewesen  sei.  Infolgedessen 
hätten  sie  den  Landgrafen  vertröstet,  ihm  ein  freies  Ge- 
leit ausgestellt  und  sich  selbst  hart  verpflichtet,  falls  ihm 
etwas  über  die  verabredeten  Artikel  begegnen  Averde. 
Um  ihn  zur  Reise  in  das  kaiserliche  Hoflager  zu  be- 
wegen, hätten  sie  nicht  umgehen  können,  ihm  anzeigen 
zu  lassen,  dals  er  „weder  Leibesstrafe  noch  einige  Ge- 
fängnis" zu  befürchten  hal)e.  Darauf  schlugen  die  Kur- 
fürsten vor,  der  Kaiser  möge  den  ältesten  Sohn  und  drei 


^^'l  Er  deute  das  Gefängnis  non    ad   perpetuuni  carcerera,   sed 
tantuni  temporalem. 


9z 


240  «.  Ifsleib: 

vornehme  Räte  und  Diener  des  Landgrafen  als  Geiseln 
annehmen  und  ihn  heimsenden,  um  dem  Vertrage  schnell 
nachzukommen,  weil  eine  Reihe  Punkte  nur  durch  ihn 
als  regierenden  Fürsten  rasch  erledigt  werden  könnten; 
sie  selbst  seien  erbötig,  ihre  Person,  ihre  Länder  und 
Unterthanen  für  ihn  einzusetzen. 

Vor  allen  Dingen  verlangten  aber  die  kaiserlichen 
Räte  eine  bestimmte  Erklärung  darüber,  ob  der  Kaiser 
mit  Fug  und  Recht  gehandelt  habe.  Wenn  sich  die 
Fürsten,  äulserten  sie,  zur  Einstellung  in  Kassel  ver- 
pflichtet hätten,  so  könne  der  Kaiser,  ohne  dessen  Ein- 
willigung es  gar  nicht  hätte  geschehen  dürfen,  die  Ver- 
pflichtung wieder  aufheben.  Der  Kaiser  werde  die  Ein- 
stellung nicht  dulden,  noch  die  eben  gemachten  Vorschläge 
annehmen.     Dem  Landgrafen  sei  genug  erlassen  worden. 

Indem  die  Kurfürsten  daran  festhielten,  eine  Dis- 
putation mit  dem  Kaiser  gebühre  ihnen  nicht,  wichen 
sie  allmählich  der  Gewalt  und  gaben  zuletzt  die  Er- 
klärung, sie  hielten  dafür,  dals  der  Kaiser  sein  Vor- 
nehmen mit  Fug  und  Recht  gethan  habe.  Wenn  anders 
geredet  werde,  wollten  sie  ihn  entschuldigen  und  ver- 
antworten helfen.  Liege  ein  Milsverständnis  oder  Ver- 
sehen vor,  dann  solle  es  ihrerseits  begangen  sein.  Die 
Kaiserlichen  erwiderten,  es  stehe  zu  hoffen,  dals  diese 
Antwort  dem  Kaiser  genügen  und  der  Sache  zum  Glimpf 
gereichen  werde. 

Als  die  Kurfürsten  dann  zu  Vorschlägen  drängten, 
welche  die  Ausführung  des  Vertrages  am  besten  garan- 
tieren möchten,  da  erklärten  die  Räte:  Der  Landgraf  habe 
sich  so  hoch  vergangen,  dals  er  der  gröfsten  Strafe  ver- 
fallen werde,  wenn  er  nicht  jeden  Artikel  des  Vertrages 
pünktlich  einhalte.  Aber  niemanden  als  ihn  selbst  ge- 
denke der  Kaiser  verantwortlich  zu  machen.  Darum  sei 
es  das  beste,  er  bleibe  und  hafte  mit  seiner  Person  so 
lange,  bis  er  den  Hauptartikeln  Genüge   geleistet  habe. 

Indessen  mit  Zustimmung  Philipps  schlugen  die  Kur- 
fürsten vor,  der  Kaiser  solle  den  Landgrafen  gegen  Geiseln 
freigeben,  damit  er  selbst  die  Kapitulation  rasch  vollziehen 
könne.  Innerhalb  zehn  Tagen  sollten  die  Geiseln,  sein 
ältester  Sohn  und  drei  seiner  vornehmsten  Räte  oder  Land- 
stände, in  Halle  oder  an  einem  anderen  Orte  eintreffen. 
Bis  zu  ihrer  Ankunft  wolle  der  Landgraf  drei  Grafen  oder 
Herren  und  drei  Räte  oder  Diener  zurücklassen.  Überdies 
seien  sie  selbst  erbötig,  zu  bleiben  und  vor  Ankunft  der 


Die  Gefangennahme  des  Landgrafen  Philipp  von  Hessen.   241 

Geiseln  ans  Hessen  nicht  von  dannen  zu  ziehen.  Stelle  der 
Kaiser  noch  höhere  Forderungen,  dann  solle  sich  auch  der 
älteste  Sohn  Joachims  einstellen.  "Werde  demungeachtet 
der  Kapitulation  ungenügend  Folge  geleistet,  so  solle  es 
dem  Kaiser  freistehen,  die  Länder  der  Kurfürsten  so  lange 
einzunehmen  und  zu  besetzen,  bis  alle  Bedingungen  er- 
füllt seien.  Überdies  wolle  der  Landgraf  seinerseits  durch 
Eiil  und  Handschlag  bekräftigen,  dals  er  den  Vertrag  in 
allen  Punkten  vollziehen  und  sich  im  Falle  irgend  welcher 
Säumigkeit  auf  Befehl  sofort  zum  Kaiser  verfügen  werde. 
Abgeordnete  des  Kaisers  und  der  Kurfürsten  sollten  ihn 
nach  Hessen  begleiten,  damit  er  in  ihrer  Gegenwart  das 
Kriegsvolk  und  alle  Unterthanen  vereidige,  das  Geschütz 
mit  Munition  überliefere,  innerhalb  acht  Tagen  die  Hälfte 
der  Strafsumme  von  150,000  fl.  aufbringe  etc.  Für  alles 
wollten  die  Kurfürsten  mit  Leib  und  Gut  haften  und  sich 
nach  kaiserlichem  Gefallen  verpflichten  und  verschreiben. 

Zwar  wurden  diese  Vorschläge  dem  Kaiser  unter- 
breitet; allein  bald  berichteten  Alba,  Arras  und  Seid: 
Kein  Vorschlag  sei  angenommen  worden;  man  halte  sie 
für  zu  gering.  Während  aller  Verhandlungen  habe  der 
Kaiser  nach  nichts  so  sehr  getrachtet,  als  nach  der  vollen 
Gewährleistung  der  Vertrages,  damit  der  Landgraf  auf 
alle  Fälle  dazu  gebracht  werde,  sämtlichen  Verpflichtungen 
nachzukommen.  Seinethalben  solle  auch  niemand  irgend- 
wie beschwert  werden;  er  selbst  möge  haften.  An- 
gemessen erscheine,  nur  um  Verkürzung  der  in  Betracht 
kommenden  Haftzeit  zu  bitten.  Die  Kurfürsten  möchten 
mit  dem  Landgrafen  darüber  reden  und  seine  Meinung  hören. 

Dienstag,  den  21.  Juni,  frühmorgens  liefs  der  Land- 
graf die  Kurfürsten  abermals  ermahnen,  erinnern  und 
dringend  ersuchen,  sich  seiner  anzunehmen.  Auf  das 
bitterste  beklagte  er,  dafs  man  ihm  trotz  aller  Erbieten 
weder  glauben  noch  trauen  wolle  und  ihn  wie  einen  Ge- 
fangenen halte.  Da  stündlich,  bei  Tag  und  bei  Nacht, 
unbekannte  wälsche  Schützen  in  sein  Zimmer  und  an 
sein  Bett  kämen,  so  könne  er  weder  ruhen  noch  schlafen 
und  müsse  Krankheit,  Verlust  der  Vernunft  oder  Tod 
besorgen.  Gar  leicht  sei  es,  ihn  zu  vergiften,  zu  er- 
stechen oder  heimlich  hinwegzuf Uhren.  Dann  mülsten  sie 
vor  Gott  und  der  Welt  Rede  und  Antwort  stehen,  weil 
sie  sich  nicht  besser  vorgesehen,  alles  verschuldet  und 
ihn  in  solche  Last  und  Not  gebracht  hätten,  (ileicli 
heute  noch  sollten    sie    ihm   aus   der  harten  Beschwerde 

Neues  Archiv  f.  S.  (!.  u.  A.     XI.  3.  4.  1  (j 


242  'S.  Ifsleib: 

helfen ;  sie  seien  es  Gott  und  ihrer  Ehre  schuldig;.  Auf 
das  ernstlichste  sollten  sie  beim  Kaiser  anhalten  und 
keinen  Undank  scheuen.  Werde  die  Sache  verschleppt, 
dann  werde  sein  Weib  erschrecken  und  Schaden  nehmen; 
Unwille  und  Unruhe  werde  in  seinem  Lande  zum  Aus- 
bruche kommen.  Sei  es  unmöglich,  ihn  zu  befreien,  dann 
mülsten  sie  sich  in  Kassel  einstellen.  Er  wolle  geloben 
und  schwören,  sich  wieder  beim  Kaiser  einzufinden,  wenn 
er  den  Artikeln  nicht  tapfer  nachsetze.  Auch  sei  er  ge- 
sonnen, in  kaiserliche  Dienste  zu  treten. 

Die  Kurfürsten  lielsen  ähnlich  wie  am  Tage  vorher 
erwidern  und  inständig  bitten,  er  solle  kein  Mifstrauen 
haben.  Der  Vorfall  thue  ihnen  treulich  leid  und  versetze 
sie  in  die  gröfste  Bekümmernis.  Alles  Erdenkliche  wollten 
sie  für  seine  Befreiung  thun,  schlielslich  auch  als  ehrliche 
Kurfürsten  ihrer  Verschreibung  und  Verpflichtung  treu 
nachkommen. 

In  der  vom  Kaiser  gewährten  Audienz  boten  sie 
alles  auf,  Philipps  Freiheit  durchzusetzen  und  dann,  als 
dies  ganz  vergeblich  war,  eine  möglichst  kurze  Haft  aus- 
zuwirken. Flehentlich  baten  sie,  ihre  Person  und  Ehre 
mehr  als  den  Landgrafen  zu  berücksichtigen.  Habe  der 
Kaiser  je  daran  gedacht,  sagten  sie,  ihnen  in  Ansehung 
der  eigenen  und  ihrer  Vorfahren  treuen  Dienste  irgend 
eine  Gnade  zu  gewähren,  dann  möge  er  ihren  guten  Ruf 
und  Namen  unverletzt  erhalten  und  sie  nicht  im  „Un- 
ruhme"  stecken  lassen.  Nichts  Schlimmeres  könne  ihnen 
und  ihren  Kindern  widerfahren,  als  wenn  der  Landgraf 
in  Verwahrung  l)leibe.  Niemand  werde  ihnen  künftig 
trauen  oder  glauben,  so  dais  sie  selbst  dem  Kaiser  in 
keiner  Verhandlung  mehr  dienen  könnten.  Des  Land- 
grafen Kinder  würden  auch  nicht  unterlassen,  sie  nach 
Kassel  einzumahnen;  dann  müMen  sie  sich  einstellen  und 
könnten  die  dem  römischen  Könige  zugesagte  Hilfe  in 
Böhmen  nicht  leisten.  Ihren  Ländern  werde  ihre  Ab- 
wesenheit in  dieser  unruhigen  und  sorgenvollen  Zeit 
höchst  beschwerlich  und  gefährlich  sein.  Übe  der  Kaiser 
Gnade,  dann  würden  sich  alle  anderen,  noch  unversöhnten 
Reichsstände  um  so  eher  ergeben  und  gehorsam  erzeigen. 
Dann  werde  im  ganzen  Reiche  Ruhe  und  Friede  her- 
gestellt werden. 

Kurz  liels  der  Kaiser  entgegnen:  Er  wolle  sehen, 
wie  sich  der  Landgraf  in  die  Kapitulation  schicke.  Ein- 
gedenk  der  Bitten  der  Kurfürsten  werde  er  nach  Voll- 


Die  Gefangennahme  des  Landgrafen  Philipp  von  Hessen.   243 

zieliuiig-  des  Vertrages  eine  Antwort  geben,  mit  der  sie 
zufrieden  sein  sollten. 

Während  der  Weiterverliandlnng  mit  den  kaiser- 
lichen Ratgebern  versuchten  die  Kurfürsten  durchzusetzen, 
dals  der  Landgraf  unter  Obhut  Joachims  in  Halle  ge- 
lassen werde,  bis  Moritz  die  Erfüllung  des  Vertrages  in 
Hessen  persönlich  betrieben  habe,  oder  dals  er  ihnen  ge- 
meinsam anvertraut,  oder  unter  Albas  Überbefehl  ent- 
weder in  Heldrungen  von  Spaniern  oder  an  einem  anderen 
Orte  von  deutschen  Kriegsleuten  überwacht  werde.  Aber 
jederVorschlag  wurde  zurückgewiesen  und  alles  kaiserlicher 
Entscheidung  vorbehalten.  Es  gelang  auch  nicht,  die 
Zeit  der  Haft  festzusetzen;  immer  verwies  man  auf  den 
kaiserlichen  Bescheid. 

Mittwoch,  den  22.  Juni,  bemühten  sich  die  Kur- 
fürsten, den  Landgrafen  zu  bewegen,  dals  er  dem  kaiser- 
lichen Hoflager  gutwillig  folge  und  so  lange  bleibe,  als 
eä  für  nötig  erachtet  werde.  Dagegen  sträubte  er  sich 
mit  allen  Kräften.  Nur  der  rohen  Gewalt  gedachte  er 
widerstrebend  zu  weichen.  Er  wünschte  durchaus  die 
Zeit  zu  wissen,  wie  lange  er  etwa  auszuhalten  habe. 
Als  man  ihn  auf  Grund  der  kaiserlichen  Antwort  mit 
drei  bis  vier  Wochen  vertröstete,  da  wollte  er  sich  in 
diesen  Zeitraum  weder  fügen  noch  schicken.  Heftig  hielt 
er  den  Kurfürsten  ihr  Verschulden  und  ihre  Verpflichtung 
vor.  Li  nichts  wollte  er  willigen,  bevor  sie  nicht  mit 
Mund  und  Hand  versichert  hätten,  bei  ihm  zu  bleiben, 
bis  er  freigelassen  werde.  Um  ihn  zu  trösten,  sagten 
sie  zu.  Darauf  liefs  er  in  hastiger  Eile  eine  Reihe  Be- 
fehle und  Verordnungen  an  seine  Söhne,  Statthalter  und 
Räte,  Beamten  und  Unterthanen  ausfertigen,  um  den 
Vertrag  zu  ratifizieren  und  zu  beschwören,  alle  Festungen 
bis  auf  Kassel  und  Ziegenhain  zu  schleifen,  das  Geschütz 
mit  der  Munition  auszuliefern,  die  Gefangenen  freizugeben, 
das  Strafgeld  zusammenzubringen,  alle  geforderten  P)Undes- 
urkunden  zu  übersenden  etc.  Mit  der  Einforderung  der 
Kurfürsten  nach  Kassel  sollten  die  Söhne  vorläufig  bis 
auf  weiteren  Befehl  zurückhalten. 

Am  23.  Juni  verliels  der  Kaiser  Halle,  um  mit  den 
beiden  gefangenen  Gegnern,  den  ehemaligen  Häuptern 
des  schmalkaldischen  Bundes,  nach  Süddeutschland  zu 
ziehen.  Die  Berufung  und  Abhaltung  eines  Reichstages 
erschien  ihm  jetzt  wichtiger  als  die  Bekämpfung  der 
noch  trotzigen  norddeutschen  Städte. 

16* 


244  S.  Il'sleib :  Die  Gefangenuahme  des  Landgrafen  Philipp  etc. 

Sobald  die  Kurfürsten  zwei  vertraute  Räte^^^)  an 
König  Ferdinand  mit  einem  ausführlichen  Berichte  ül)er  die 
Vorgänge  in  Halle  und  mit  einem  inständigen  Gesuch 
um  gnädige  Verwendung  für  den  Landgrafen  abgeschickt 
hatten,  folgten  sie  nach  Naumburg  und  setzten  ihre  Be- 
mühungen fort.  Nichts  lielsen  sie  unversucht  ^'^■*),  um 
namentlich  zu  erforschen,  wie  lange  der  Kaiser  den  Ge- 
fangenen wohl  festzuhalten  gedenke.  Zuletzt  gewannen 
sie  den  Eindruck,  Philipp  werde  in  vier  bis  sechs  Wochen 
wieder  heimkehren.  Da  derselbe  aber  bereits  in  der 
Richtung  Jena -Saalfeld"'')  weiterbefördert  worden  war, 
so  konnten  sie  dies  dem  Ungeduldigen  nicht  persönlich 
mitteilen,  sondern  mulsten  ihm  Räte  nachsenden,  um  ihn 
zu  bitten  und  zu  ermahnen,  die  kurze  Zeit  mit  Geduld 
zu  ertragen.  Sie  selbst  verweilten  bis  zum  25.  Juni  im 
kaiserlichen  Lager;  dann  sahen  sie  sich  genötigt,  ab- 
zuziehen. Erzherzog  Maximilian  und  die  kaiserlichen 
Räte  deuteten  zunächst  vertraulich  an,  dafs  der  Kaiser 
es  ungern  sehe ,  wenn  sie  noch  weiter  folgen  und  an- 
halten würden.  Alsdann  gab  man  offener  zu  verstehen, 
dem  Kaiser  mifsfalle  ihr  Verbleiben  und  Verhalten;  ihr 
grofser  Eifer  schade  mehr,  als  er  nütze.  Alle  versprachen 
ihnen,  von  Zeit  zu  Zeit  Fürbitte  für  den  Landgrafen  ein- 
zulegen und  ersuchten  sie  wohlmeinend,  heimzukehren 
und  sich  weder  in  Kassel  einzustellen,  noch  dem  kaiser- 
lichen Hoflager  allzuzeitig  nachzureisen.  Zuletzt  durften 
die  Kurfürsten  den  Kaiser  nochmals  im  freien  Felde 
ansprechen;  darauf  mulsten  sie  ihn  verlassen  und  heim- 
reiten. 


108)  Berlin  39,  4,  Philipp  von  Hessen  1547  Bl.  146  flg.  Dresden, 
Loc.  9143,  Landgreuische  hessische  gepflogene  Versunungshendel  etc. 
1547  Bl.  111  und  92.  Hier  vermifst  man  die  Beilage,  welche  die 
geheimen  Artikel  in  deutscher  Spraclie  enthalten  hat. 

10»)  Lanz  II,  599.  Vergl  noch  Anm.  108  in  Berlin  Bl.  124  flg. 
in  Dresden  Bl.  92  flg. 

i'O)  Bei  Naumburg  kamen  die  beiden  Gefangenen  so  nahe  zu- 
sammen, dafs  sie  sich  kurze  Zeit  unterhalten  konnten. 


IX. 


Zwei  Unterrichtspläne 

für  die  Herzöge  Johann  Friedrich  IV. 

und  Johann  zn  Sachsen -Weimar. 


Von 
Georg  MiUler. 


Wenn  die  wettinisclien  Fürsten  des  16.  Jalirhunderts 
der  Gründung  und  Erhaltung  von  Schulen  in  ihren  Län- 
dern hervorragendes  Interesse  entgegenbrachten,  so 
wandten  sie  innerhalb  ihrer  Familie  der  Erziehung  der 
Prinzen  eine  nicht  geringere  Sorgfalt  zu^).  Wie  Kur- 
fürst August  in  der  albertinischen  Linie,  so  wählte  bei 
den  Ernestinern  Kurfürst  Johann  Friedrich  nicht  nur 
tüchtige  Lehrer  für  seine  Söhne  aus,  sondern  überwachte 
persönlich  die  sittliche  und  wissenschaftliche  Bildung-). 
In  einem  scharfen  Schreiben  tadelte  er  die  Führung 
Johann  Friedrich  des  Mittleren,  als  er  hörte,  dafs  dieser 
beim  Kartenspiel  seine  Genossen  hintergangen,  dabei 
leichtfertige  Reden  geführt  und  geflucht,  wie  durch  über- 
mälsigen  Weingenuis  seiner  Gesundheit  geschadet  habe. 
Eingehend  sprach  er  sich  in  einem  Briefe  über  die  Not- 
wendigkeit   der   wissenschaftlichen    Bildung,    namentlich 


1)  Vere'l.  C.  Fietz,  Prinzonnntcrricht  des  Ifi.  und  17.  .Talir- 
Imnderts.  Programm.  (Dresden  1887)  und  meine  Naebträgc!  dazu 
in  dieser  Zeitschrift  VIII  (1887),  170  f. 

2)  Vergl.  A.  Beck,  Johann  Friedrich  der  Mittlere,  Herzog  zu 
Sachsen  (Weimar  1858)  I,  3  If. 


246  Georg  Müller: 

die  Wichtigkeit  der  Kenntnis  des  Lateins  aus.  „Der- 
malen wissen  wir  euch  nicht  zu  bergen",  schrieb  er  an 
seine  Sühne  ^),  „dals  wir  auf  vorigen  Reichstagen  und 
sonderlich  jetzo  allhier  befinden,  dals  wir  viel  Geld 
darum  geben  wollten,  dals  wir  die  lateinische  Sprache 
können  möchten ;  denn  sie  sollte  uns  viel  nützen  und 
dienen.  Hätten  wir  auch  in  unserer  Jugend  das  gewulst, 
so  wir  jetzo  erfahren,  wir  wollten  die  lateinische  Sprache 
zu  lernen  nicht  unterlassen  haben.  Weil  sich  dann 
nunmehr  fortan  zuträgt,  dafs  mehr  fremde  und  auswärtige 
Herren  in  das  Deutschland  zu  kommen  pflegen,  denn 
zuvor  geschehen,  welche  aber  die  deutsche  Sprache  nicht 
können,  so  ist  unsere  freund-  und  väterliche  Ermahnung 
und  Bitte,  ihr  wollet  allen  möglichen  Fleils  ankehren  und 
nicht  sparen,  die  lateinische  Sprache  nicht  allein  zu  ler- 
nen, sondern  auch  zu  behalten,  damit  ihr  dieselbige  reden 
möget;  denn  sie-  euch  mit  der  Zeit  zu  vielem  nützen 
und  dienen  wird."  Dals  der  Fürst  aber  den  deutschen 
Stil  nicht  vernachlässigt  wissen  wollte,  geht  aus  dem 
Schlufssatze  des  genannten  Briefes  hervor:  „Wann  ihr 
uns  auch  hinführo  schreiben  werdet,  so  schreibt  uns  nicht 
allein  lateinisch,  sondern  auch  deutsch,  damit  wir  sehen 
mögen,  wie  ihr  neben  dem  Lateinischen  auch  deutsch 
schreibet." 

Der  Kurfürst  durfte  seine  Bemühungen  mit  Erfolg 
gekrönt  sehen.  Im  Alter  von  13  Jahren  hielt  sein 
ältester  Sohn,  Johann  Friedrich  der  Mittlere,  auf  dem 
Schlosse  zu  Torgau  eine  lateinische  Rede^),  durch  welche 
er  die  Bewunderung  der  Zuhörer  erntete'^).  Eine  deutsche 
Übersetzung  derselben  befindet  sich  im  hiesigen  K.  Haupt- 
staatsarchive'').    Sie  dürfte,   Avie  eine  spätere  Rede,  für 


2)  Ebenda  S.  7  Anm. 

*)  Der  Titel  laiitet:  „De  Dignitate  Legnm  conservanda  et  de 
Legibus  Eegiii  literarii  lUustriura  Priucipiira  iunioriim  Saxouiae 
Duciim",  gedruckt  in  J.  Chr.  Fischer,  Eloquentia  heroica  sen 
Serenissimorum  Priiicipum  iuniorum  .Saxoniae  .Toannis  Friderici  II 
et  Joaunis  AN'ilhelnii  fratrum  dcclamationes  (Jenae  1750),  32—61. 
Eine  Rede  Melanchthons  De  Dignitate  Legnm  steht  in  Selectarum 
Declamationum  Philippi  Melanthonis  .  .  .  toiniis  prinms  (Argentorati 
1544)  S.  265-275. 

■')  Vergl.  Andr.  Wilkii,  Snada  Gothana  Latialis  (Prankfurt 
1657)  S.  563. 

6)  Loc.  10039  Frembde  Rathscbläge  etc.  Bl.  71  ff:  Der  durch- 
lanchtenn  hochgebornnenn  fürsten  nnnd  Hernn ,  Hern  Jolians  Fri- 
derichenn   des   andern   und   Hernn  Johaus  Wilhelmenn  gebrüderun. 


Zwei  Untcnicht.spläne  etc.  247 

die  Aveiblichen  Glieder')  der  Familie  ins  Deutsche  über- 
tragen worden  sein.  Als  Johann  Friedlich  mit  seinem 
jüngeren  Bruder  Johann  die  Universität  AVittenberg  be- 
zogen hatte,  erwarben  sich  die  beiden  Prinzen  die  An- 
erkennung ihrer  Lehrer  durch  mehrere  Reden.  Luther 
selbst  gab  dieselben  heraus  mit  einer  Vorrede**),  in 
welcher  er  die  Fortschritte  der  jetzt  aufwachsenden 
Jugend  pries  im  Vergleich  mit  dem,  was  noch  vor  einem 
Menschenalter  geleistet  worden  sei,  und  heiTorhob,  wie 
diese  Begeisterung  für  die  Wissenschaft  nicht  nur  den 
Prinzen,  sondern  auch  den  fürstlichen  Eltern  zur  Ehre 
gereiche. 

Kein  Wunder,  wenn  diese  Herzöge  als  Familien- 
väter eine  sorgfältige  Erziehung  ilu^en  Kindern  zu  teil 
werden  lielsen.  Freilich  sollten  dieselben  infolge  der 
Stürme  der  Politik  nicht  in  ungestörtem  Frieden  auf- 
wachsen. Wurde  Kurfürst  Johann  Friedrich  der  Mitt- 
lere durch  die  langjährige  Gefangenschaft  in  kaiser- 
lichen Landen  seinen  Kindern  entzogen,  so  war  er  doch 
unermüdlich  in  Ermahnungen  an  die  Prinzen,  ihre  geistige 
Ausbildung  mit  Fleils  zu  betreiben^). 

Daneben  legten  die  mit  der  Erziehung  derselben  be- 
trauten kursächsischen  Räte^**)  eine  eingehende  Fürsorge 
für  ihre  Zöglinge  an  den  Tag.  Auf  der  Feste  Coburg, 
deren  herrliche  Umgebung  noch  jetzt  jeden  Besucher 
entzückt,  wuchsen  die  Prinzen  Johann  Casimir  und  Jo- 
hann Ernst")   auf.     Zwei  Edelknaben   sollten  ihre   Ge- 


Hertzogeiin  zu  Saclisenn  etc.  Reichs  unnd  Schulordmiug.  Am  Schlüsse 
BI.  97 ii  stehen  die  Woite:  28.  Feluuaiii  1542  Torgae  in  arce  haliita 
ah  illustrissimo  principe  D.  Johanne  Friderico  secundo  duce  Saxo- 
niae  etc. 

')  Die  Kurfürstin  -  Mutter  Sil)yna  hatte  sich  eine  von  Johann 
Friedrich  in  Wittenherg  gehaltene  lateinische  Rede  übersetzen  lassen. 
Sie  befindet  sich  im  Archiv  zu  Weimar.     Beck  a.  a.  0.  6.  Anm.  15. 

ä)  Die  Vorrede  Luthers  bei  J.  C.  Fischer,  Eloquentia  licroica 
S.  1—6.  Schon  1541  hatte  Luther  den  Prinzen  seine  Anerkemiung 
über  ihre  Fortschritte  ausaesprochen.  Vergl.  De  Wette,  Luthers 
Briefe  (Berlin  1828)  V,  397. 

")  Vergl.  die  ausführlichen  Angaben  bei  Beck  a.  a.  O.  II,  14.  fi5. 

'*')  An  ihrer  Spitze  stand  Erich  Volkmar  Berlepsch,  kurf.  sächs. 
Rat  und  Oberhauptmann  in  Thüringen.  Loc.  10630.  Coburgische 
Hoffstatt.    1573. 

")  Vergl.  .1.  ü.  Gottschalg,  Geschichte  des  Herzogl.  Fürsten- 
hauses Sachsen -Weimar  und  Eisenach  (Weifsenf eis  und  Leipzig 
1797)  S.  26. 


248  Georg  Müller: 

nossen  beim  Studieren  wie  beim  Spiel  sein^-).  Laut  Be- 
schluls  der  Räte  auf  dem  Tage  zu  Altenburg  wurde  als 
Lelirer  M.  Sebastian  Leonliard  gewählt,  während  dem 
Statthalter,  Graf  Burkhard  von  Barliy,  die  Oberaufsicht 
anvertraut  wurde.     Seine  Instruktion  lautete ^=^): 

„ADfeiiglicli  soUemi  S.  g.  ir  die  furstlichenn  biuder  bevolhenn 
sein  lafsenn,  iiniul  gut  aufsehenn  und  aiifachtung  liabenn,  das  die- 
selbigen  nach  gelegenheit  ihres  alters  durch  irenn  präceptornn  zu 
dem  gebet  vnnd  gottesfurcht,  vleifsig  gehaltenn,  defs  Catechirsmi 
Lutheri  uiinderwiefsenn ,  zur  predig  und  anhöruug  defs  gottlichen 
Avordts  angemanet,  auch  darneben  zum  anfang  was  zu  erlernnung 
der  freihen  künst,  unnd  bevorab  der  lateinischen  sprach  dienlich,  mit 
inen  teglich,  jedoch  also  getrielienn,  das  auch  darbey  andere  gebür- 
liche  übungenn,  so  zu  glegner  ergetzlichkeitt  und  geschicklichkeit 
defs  leibs  auch  annemmung  guter  sittenn  dienlich,  inen  mit  zu- 
gelafsenu,  und  sie  also  inn  dem  allem  zugleich  zu  gebürlicher  zeit 
versorget  unnd  versehen  werdenu  mögenn."  Weitere  eingehende  Be- 
stimmungen betreffen  die  Lebensweise  bezüglich  Speise,  Trank  und 
Kleidung,  sowie  die  Sorge  für  die  Gesundheit. 

Einen  interessanten  Einblick  in  das  Leben  und  Treiben 
der  Prinzen  gestattet  ein  vertraulicher  Bericht,  den  der 
Hofrat  David  von  Uttenhofen^^)  einige  Monate  später  an 
den  Oberhauptmann  Erich  Volkmar  von  Berlepsch  sendet. 
Er  deutet  darin  die  Schwierigkeiten  an^^),  die  den  kur- 
fürstlichen Beamten  auf  der  Coburg  gemacht  würden 
und  meldet  dann  den  befriedigenden  Eindruck,  den  die 
fürstlichen  Zöglinge  auf  den  Statthalter,  den  Grafen 
Barby,  gemacht  haben : 

Meine  gnedige  junge  herrschafft  sindt  wol  auff,  unnd  goth  lob 
und  danck  mit  einem  treuen,  vleisigen  praeceptore'"),  so  guther  be- 
scheidenheit  gebraucht,  zur  nothdurftt  vorsehenn,  und  tregt  wolermelter 
m.  g.  hJ'^)  dessen  gutes  gefallen;  viel  und  wolgedachten  m.  g.  h.  hat 
das  jungst  herrlein ^S)  ]y.^i^\  anfangs  nicht  ubell  gefallen,  nee  ipsnm 
fefellit  iudicium,  dann  es  ein  frommes,  tteuhes,  aufrichtiges  herrlein, 
das  sich  zu  allen  guthen  lenken  lassen  wird,  quamvis  principium  sit 


1'-)  Loc.  10630.  Coburgische  Hoffstatt.  1573.  Abth.:  Hoff  buch. 
Nach  Beck  a.  a,  0.  II,  6.t  nahmen  später  aufser  5  Fürsten  und 
Grafen  18  Edelknaben  am  Unterrichte  teil. 

13)  Instruktion  vom  12.  Dezember  1572  im  vorstehend  genannten 
Aktenstücke  (letzte  Abteilung). 

'*)  Ebenda,  3.  Bericht  vom  Montag  nach  Misericordias  Do- 
mini 1573. 

'■^)  Es  bewähre  sich  das  von  Berlepsch  zitierte  Sprüchwort: 
einem  andern  den  Dorn  inn  Fues  zu  stecken. 

1«)  31.  Sebastian  Leonhardt,  vergl.  ülier  ihn  auch  Beck  a.  a.  0. 
14.  65  f.  93.  132. 

i'')  Gemeint  ist  der  Statthalter  Graf  Barby. 

i'')  Herzog  Johann  Ernst,  geb.  9.  Juli  1566.  Er  war  damals 
noch  nicht  7  Jahre  alt.     Vergl.  Beck  a.  a.  0.  II,  331. 


Zwei  Unterrichtspläne  etc.  249 

g-rave.  Der  Studien  halben  hab  ich  an  beiden  herrn  ^»)  nicht  mangell, 
dann  sie  nach  gelegeuheitt  hierin  thun,  was  sie  sollen.  Sed  inve- 
terati  mali  mores  nos  torquent.  Doch  spühret  man  ootldob  teglich 
besserung,  nee  ab  uno  cadit  arbor  ictu.  Der  Cammerjunker  Quingen- 
bergk-O)  tuth  seinen  gephnrenden  vleifs,  stehet  irer  f.  g.  nicht  iibel 
an,  so  vorrichtet  auch  der  Cammerknecht  das  seine,  ut  non  videam, 
quid  ad  bonam  ac  diligentem  educatiunem  principibus  desit.  Unnd 
mach  mir  nicht  zweiffei,  efs  werde  der  Allmechtige  Goth  guad  unnd 
wolfarth  geben,  domit  ir  f.  g.  iun  gottes  furcht  zu  fürstlichem! 
tugenden  unnd  wanndell  gesegnet  aufferwachssenn  und  zunehmen 
mugen,  zu  diesem  allen  efs  an  treuher  sorg  und  vleifs  allenthalben 
nichts  erwinden  wird,  etc. 

Wenn  so  der  kursäclisische  Hof  auf  die  Erziehung 
der  ernestinischen  Prinzen  einen  grofsen  Eiiifluls  liatte, 
so  sollte  dieser  eine  noch  weitei-e  Ausdehnung  dadurch 
erfahren,  dals  der  jüngere  Bruder  Johann  Friedrich  des 
Mittleren,  Herzog  Johann  Wilhelm,  am  2.  März  1573 -i) 
starb  und  die  Verwaltung  des  Hofes  und  Landes  neben 
anderen  Kurfürsten  auch  dem  von  Sachsen  zufiel.  Wohl 
hatte  Johann  Wilhelm  wegen  der  zahlreichen  Gegensätze, 
namentlich  auf  religiösem  Gebiete'--),  in  seinem  Testa- 
mente vom  19.  Februar  1573,  Kurfürst  August  von  der 
Vormundschaft  ausgeschlossen-"^),  aber  die"  sofort  nach 
dem  Ableben  des  Fürsten  von  Dresden  nach  Weimar 
gesandte  Kommission  hatte  in  ihrer  Audienz-^.),  die 
sie  auf  Befehl  des  Kurfürsten  von  der  Witwe  des  Her- 
zogs, Dorothee  Susanne,  erbat,  von  dieser  die  Erklärung 
erhalten,  dals  sie  sich  und  ihre  Kinder  in  des  Kurfürsten 


^^)  Mit  dem  in  voriger  Anmerkung  genannten  jüngsten  Prinzen 
wurde  Johann  Casimir  erzogen,  geb.  12.  Juni  1564,  damals  noch 
nicht  ganz  9  Jahre  alt.  Zwei  ältere  Prinzen,  Johann  Friedrich  IV., 
geb.  1559,  und  Friedrich,  geb.  3.  Februar  15fi3,  waren  bereits  früher 
gestorben.     Beck  a.  a.  0.  II,  331. 

-Oj  Georg  von  Qumgenberg,  auch  in  dem  oben,  Anmeikung  11, 
genannten  Hof  buche  aufgeführt.     Bei  Beck  ist  er  nicht  genannt. 

2')  Vergl.  Loc.  4394.  Hertzog  Johann  AVilhelms  zu  Sachsen 
tödtlichen  abgang  und  was  doruff  erfolget  belangend.  Anno  1573. 
Hauptstaatsarchiv  in  Dresden. 

2-)  Johann  "^^'ilhelra  war  die  Haui)tstütze  der  Flacianer.  Vei'gl. 
in  dem  eben  genannten  Aktenstücke  1^1.  10—13  den  P.ericht  Lukas 
Tangeis  an  Dr.  üeoig  Crakau  vom  2.  Mäi-z  1573.  Yergl.  ebenda 
Bl.  20  ff.  den  genaueren  Bericht  vom  9.  Miirz  1573. 

"2)  Zu  ^'ormündcrn  waren  bestellt:  Ludwig.  Pfalzgiaf  bei  Bhein 
und  Herzog  von  Bayern,  der  Oberpfalz  in  Bayern  Stattlialter.  Johann 
Albrecht,  Herzog  zu  Mecklenbiirg;  in  zweiter  Linie  Reinhart,  Pfalz- 
graf bei  Rhein  und  Herzog  in  Bayern,  Ulrich,  Herzog  zu  Slecklen- 
burg     Ebenda  Bl.  61. 

-')  Vergl.  die  Schilderung  derselben  in  dem  Üerichte  der  kur- 
fürstlichen Räte  vom  17.  März  1573,  ebenda  Bl.  üö  If. 


250  Georg-  Müller: 

Schutz  befehle  und  sich  seines  Eates,  Schutzes  und 
Trostes  vorsehe.  Sie  hatte  dann  auch  der  fürstlichen 
Regierung  die  bestimmte  Erklärung  abgegeben'-*^),  dafs 
ihr  Herr  und  Gebieter  „als  der  nechste  Agnatus,  der 
jungen  Fürsten  allhier  Legitimus  Tutor  sei""-'). 

Wie  im  allgemeinen  das  Testament  Johann  "Wilhelms 
mannigfache  Abänderungen  erfuhr,  so  erlitten  die  letzt- 
willigen Bestimmungen  bezüglich  der  Erziehung  seiner 
Söhne  mancherlei  Beschränkungen,  obgleich  er  die  re- 
ligiöse Erziehung,  wie  die  wissenschaftliche  Ausbildung 
genau  bis  ins  einzelnste  vorgeschrieben  hatte.  Die  Haupt- 
stelle des  Testaments  sei  hier  angeführt-^): 

So  setzen,  ordenen  und  wollen  wir,  das  nnsern  lieben  söhnen 
bis  zur  erlangung  irer  mündigen  jähre  chi-istliche  und  gelertte  prae- 
ceptores  und  vorstendige  gottselige  hott'meister  sollen  jederzeit  zu- 
geordnet und  gehaltenn  werdenn,  die  sie  zu  wahrer  gottesfurcht  und 
zu  allen  christlichen  fürstlichen  tugenden  und  geberden  uferziehen 
sollen  nach  Inhalt  unserer  derwegen  gestellten  Instruktion,  auch  zum 
Studiren  vleissig  anhaltten,  darmit  sie  die  lateinische  spräche,  histo- 
rias  und  institutiones  jui'is  perfecte  lernen,  und  sich  derselbigen  in 
fürfallenden  hendeln  nutzlich  gebrauchen  mögen,  auch  gelehrtte  und 
vorstendige  leutte  in  iren  votis  und  consiliis  desto  besser  vorstehen 
mugen. 

Es  folgen  eingehen-(le  Bestimmungen  über  die  Stellung 
D.  Caspar  Melissanders-^),  der  den  ältesten  Prinzen  bis- 
her unterrichtet  und  sich  des  Herzogs  volles  Vertrauen 
erworben  hatte.  Er  sollte  auch  fernerhin  des  Schutzes 
sowie  der  Dankbarkeit  seiner  Schüler  sicher  sein. 

Eine  eingehende  Bestimmung  betrifft  noch  die  Er- 
ziehung des  jüngsten  Prinzen  Johann,  der  damals  erst 
in  seinem  dritten  Lebensjahre  stand  =^^): 

Ferner  ordenen  wir,  dafs  unser  jüngster  Sohn,  Herzog  Johans, 
nach  erlangttem  achttem  oder  neunden  jähre  beraelttem  D.  Melissander 
oder  do  ehr  nicht  mehr  vorhanden,  einem  andern  gottseligen  prä- 
ceptori  zui-  Institution  und  disciplin  vortrauet   und  befohlen  werden 


2'^)  Die  Räte  hatten  Befehl,  sehr  bestimmte  Erklärung  abzu- 
geben, hatten  doch  die  fürstlich  weimarischen  ßäte  dem  Kurfürsten 
keine  offizielle  Anzeige  von  dem  Ableben  des  Herzogs  zukommen 
lassen.  Erst  nachträglich  geschieht  dieses  in  einem  Schreiben  vom 
7.  März  datiert,  dasselbe  traf  aber  erst  am  1 6.  März  in  Dresden  ein. 
Vergl.  in  dem  mehrfach  genannten  Aktenstücke  151.  38.  40. 

"'')  Ebenda  Bl.  98.  108. 

2ä)  Ebenda  BL  56  —  59.  Über  die  religiöse  Erziehung  auch 
Bl.  52. 

"■')  Vergl.  über  ihn  Allgemeine  Deutsche  Biographie  H,  626 
s.  V.  Kaspar  Bienemann. 

'•^^)  Er  war  geboren  am  12.  Mai  1570  und  starlj  am  31.  Ok- 
tober 1605. 


Zwei  Unterrichtspläne  etc.  251 

soll.  Mittlerzeit  aber  soll  er  Ijej  der  frau  mutter,  unser  l'reundlich 
herzlieben  gemahlin,  gelassen  und  im  lesen  und  sclireilien  unterrichtet 
und  im  Catechismo  durch  einen  sondern  paedagogum  institniret  und 
gelehret  werden. 

Noch  eine  wichtige  Bestimmung  trifft  der  sorgsame 
Vater,  sie  betrifft  die  Unterlassung  der  damaligen  Ka- 
valierfahrten. AVie  vielfach  davor  gewarnt  wurde,  wie 
z.  B.  Jacob  Andrea  von  ihnen  abriet,  weil  die  Söhne, 
an  Leib  und  Seele  geschädigt,  nach  der  Heimat  zurück- 
kehrten, so  wünscht  auch  Johann  Wilhelm  nicht,  dals 
seine  Söhne  dieser  Sitte  gemäfs  fremde  Höfe  besuchen 
sollten. 

Ob  uns  nun  wohl  auch  unvorl)orgen .  dafs  man  junge  Fürsten 
an  grofser  Potentaten  und  Herren  Höfe  pfleget  zuvorschicken,  darmit 
sie  allerley  guts  sehen,  hören  und  lernen,  auch  gnade  und  förderunge 
erlangenn  mugen,-  und  in  kundschafft  kommen  und  dardurch  desto 
geschickter  zue  der  regierunge  schreitten,  so  wüsten  wir  doch  itziger 
zeit  keinen  ort,  sonderlichenn  unrechter  oder  streittigenn  religion 
halben,  welche  itzo  fast  allenthalben  ulierhandt  genohmen,  und  die 
hofzucht  und  ritterliche  \ibunge  in  grofsen  abgang  kommen,  dargegen 
al)er  sundtlich  und  ergerlicli  leben  eingefürtt,  derhalben  wir  nicht 
rathen  können,  unser  lieben  söhne  einen,  auch  nach  erlangtten  mun- 
digen Jahren  an  einigen  fremden  hof  zu  veischicken  und  ziehen  zu 
lassenu.  Demnach  ordenen  tmd  wollen  wir,  dafs  unsere  lieben  söhne 
sich  in  iren  angeerbtten  förstentumben  und  landenn  erhaltenn  und 
pleiben ,  und  mit  solchen  chiistlichen  räthen  und  dienern  täglich 
umbgehen  sollen,  von  welchen  sie  nicht  allein  alle  gottseligkeit, 
sonderlich  alle  fürstliche  fugenden  und  geberde ,  geschicklickeit  in 
den  handeln,  auch  zue  zeitten  ritterspiel  hören,  seilen,  lernen  und 
üben  mugen,  Avelches  alles  mit  l)esserer  gelegenheit,  auch  wenigere 
uncosten  und  gefahr  geschehen  kau  und  mag,  als  an  frembder  poten- 
taten  und  herren  hofe ,  allda  man  inen  doch  eigne  hofmeistern  und 
dienern  zu  haltten  nicht  kan  umbgang  haben.  Doch  ire  herren  und 
freunde  und  zuvorderst  die  kayserliche  Majestät  auf  reichstagen, 
krönungen  und  sonsten  zu  ersuchen ,  damit  sie  bei  den  leutten  und 
dann  iren  freunden  in  kundschafft  kommen,  und  do  in  furnemcn 
fiirstenhöfen  die  relligion  rein  und  lautter  sein  wurde,  soll  hiemit 
nicht  gemeintt  sein. 

Der  Ernst,  mit  welchem  die  Bestimmungen  entworfen 
waren ,  wurde  auch  von  dem  Kurfürsten  und  seinen  Räten 
geteilt.  In  den  folgenden  Verhandlungen  bezeichnete  man 
mehrfach  die  „Erudition  und  Disciplin"  der  Prhizen  als 
etwas,  „doran  dem  Hause  zu  Sachsen  undt  der  ganzen 
Landtschaft  viel  gelogen"'^').  Die  Abweichinigen,  welche 
bezüglich  des  Testaments  getroffen  wurden,  bezogen  sich 
zunächst  auf  die  religiöse  Parteistellung.  Im  Ein- 
verständnis  mit   der  Landschaft  wurde  der  Einiiuls  des 


31 


)  Loc.  4394.    Hertzog  Johann  Wilhelm  etc.  lil.  254  ff. 


252  Georg  Müller: 

Flacianismus  zurückgedrängt'^-).  Damit  fiel  aiicli  die 
Persönlichkeit,  welche  Johann  Wilhelm  so  warm  als  Er- 
zieher seiner  Söhne  empfohlen  hatte,  Dr.  Caspar  Melis- 
sander. An  seine  Stelle  sollte  zunächst  M.  Egidius 
Salius  kommen  ■^■^);  doch  scheint  seine  Stellung  zur  kur- 
fürstlichen Regierung  nicht  die  wünschenswerte  Sicher- 
heit gewährt  zu  haben;  man  zog  vor,  ihn  an  der  Uni- 
versität Jena  zu  verwenden.  Nach  längeren  Verhand- 
lungen fiel  die  AVahl  auf  Balthasar  Sartorius,  Superinten- 
denten zu  Grimma,  der  mit  der  Superintendentur  die 
Oberaufsicht  über  den  Unterricht  der  Prinzen  übernehmen 
sollte.  Joachim  Camerarius  hatte  die  Wahl  gebilligt, 
weil  Sartorius  sich  unter  seiner  Leitung  mit  Begeisterung 
den  klassischen  Studien  gewidmet  und  dann  als  Lehrer 
in  Schulpforta  sich  die  nötige  pädagogische  Erfahrung 
erworben  hatte ■^^). 

Neben  ihm  war  seit  Ende  des  Jahres  1574  Justus 
Ludwig  Brysomannus  mit  der  Erziehung  des  älteren 
Prinzen  betraut.  Er  genols  das  Vertrauen  des  Kur- 
fürsten in  hervorragendem  Grade.  Eine  Eeihe  von  Jahren 
war  er  Rektor  des  Zwickauer  Gymnasiums  gewesen  und 
hatte  sich  in  dieser  Stellung  durch  eine  Reihe  wichtiger 
organisatorischer  Maferegeln  um  die  Schule  verdient 
gemacht'^').  Als  Lehrer  des  jüngeren  Prinzen  Johann 
wird  später  Wolfgang  Monner  genannt "*''). 

Längere  Zeit  erfahren  wir  nichts  Näheres  über  die 
Erziehung   der  Herzöge.     Da  wird   eine  längere  Korre- 


2^)  Vergl.  in  dieser  Richtung  den  hochinteressanten  Bericht 
Lukas  Tangeis  vom  2.  März  1573,  dem  Todestage  Herzog  .Johann 
Wilhelms.  Der  Verfasser  wünscht:  „Gott  wolle  den  unnötigen  Fla- 
cianischen  Wesöhen  und  Geschrei  einstmalig  ein  Ende  machen"  und 
schlägt  eine  völlige  Austreibung  sämtlicher  Flacianer  vor.  Ahnlich 
lautet  das  Gesuch  der  Landschaft  vom  9.  März.  Beide  Schreiben 
im  obengenannten  Aktenstück  Bl.  10  ff.  und  20  ff. 

^■')  Er  scheint  Unterstützungen  selten  des  Kurfürsten  genossen 
zu  haben.  Dieser  bewilligt  seine  Wiederanstellung  in  .Jena,  „damit 
wir  des  Uncostes,  so  wir  bishero  jehrlich  auf  ihnen  gewendet,  ge- 
übriget  sein  mögen".    A.  a.  0.  Bl.  264. 

31)  Ebenda  Bl.  277.  Bericht  der  Eäte  vom  14.  April  1573. 
Über  die  Verhandlung  in  Leipzig  mit  Camerarius  und  seinem 
„schwehcr  Doctor  Salomuut"  •  (Heinrich  Salnmth)  vergl.  ebenda 
Bl.  383. 

"■')  E.  Herzog,  Geschichte  des  Zwickauer  Gymnasiums 
(Zwickau  1869),  26  f.  E.  Herzog,  Chronik  von  Zwickau  II, 
314.  327. 

3")  Loc.  10639,  Weimarische  Visitation  1580.  81.  83. 


Zwei  Unterrichtspläiie  etc.  253 

sponrlenz  durcli  eine  wirtschaftliche  Frage  veranlalst-^'). 
Auf  Befehl  der  kurfürstlichen  Räte  waren  nach  Johann 
Wilhelms  Tode  die  Kleinodien  und  Wertsachen  taxiert 
und  versiegelt  worden,  unter  anderen  auch  ansehnliche 
Vorräte  von  Seidenzeug.  Als  nun  die  Prinzen  heran- 
wuchsen, wünschte  die  sparsame  Mutter  das  letztere 
vom  Untergang  durch  Motten  und  Moder  gerettet  und 
ihre  Söhne  in  die  kostbaren  Stoffe  gekleidet  zu  sehen. 
Sie  schrieb  daher  an  den  Kurfürsten,  der  auf  ihre  Bitte 
bereitwillig  einging  und  die  nötigen  Anordnungen  er- 
liefs^'^).  Das  Verzeichnis  der  einzelnen  Stücke  gestattet 
einen   interessanten   Einblick   in  die  Moden  der  Zeit-^'*). 

Scharfe  Auseinandersetzungen  über  die  Erziehung 
der  Prinzen  brachte  das  Jahr  1580^'^).  Als  Jacob  An- 
drea die  Visitation  und  den  S^'uodus  auch  in  dem  herzog- 
lichen Sachsen  abhielt,  wurde  er  wegen  des  Unterrichts 
der  jungen  Herzöge  befragt  und  um  Unterstützung  der 
Absicht  angegangen,  für  Friedrich  Wilhelm  besondere 
Lektionen  in  den  römischen  Institutionen  einzurichten 
und  dieselben  dem  Hofrat  Vigilius  Pintzker  anzuvertrauen, 
der  zum  Hofstaate  der  Herzogin  gehörte  und  den  Unter- 
richt des  Herzogs  Johann  leitete.  Aber  dieser  Vorschlag 
Stiels  in  Dresden  auf  gewichtige  Bedenken.  Wohl  schien 
Pintzker  wissenschaftlich  für  dieses  Amt  nicht  ungeeignet 
—  war  er  doch  Professor  an  der  Universität  Jena  und 
später  an  der  Juliusschule  zu  Helmstädt  gewesen  — , 
aber  er  gehörte  zur  Partei  derer,  welche  der  kurfürst- 
lichen Regierung  möglichsten  Widerstand  entgegensetzten. 
Hatte  man  seine  Verwendung  bei  der  Erziehung  Herzog 
Johanns  gestattet,  so  glaubte  man  seinem  Bemühen  nicht 
ruhig  zusehen  zu  dürfen,  auch  die  Erziehung  Johann 
Friedrichs  in  seine  Hand  zu  bekommen. 


"")  Hauptstaatsarcliiv  in  Dresden,  Loc.  8040.  Inventariuni  weij-cn 
von  der  Veiiassenscliaft  llerzoi;-  Johann  AV'ilhelms  zn  Sachsen  in 
Beschhig  genommener  Kleidungsstücke  und  .Tnwelcn.  1577 — 151S1. 
Loc.  10638.  Derer  von  Herzog  .lohann  ^Mlhehn  hinterlassenen 
kleinodien   und    Kleider  Besichtigung   und  Inventirung  betr.     1.579. 

*^)  Schreiben  vom  3.  August  1579,  im  letztgenannten  Akten- 
stück. 

"")  Verzeichnet  sind  15  Stücke  Sammt,  Taffet.  Atlas:  grau  ge- 
mostert,  leljcrfarben  gemostert,  schwai'zer  schliciit  oder  glatt,  schwarzer 
darauf  unsers  gnedigen  f.  und  herrn  und  S.  f.  Ct.  Gemaiill  iiahnn  ii ; 
leberfarbener,  aschcfarbner,  kaniiasin,  grün,  rotli  etc. 

'^')  Loe.  10639,    Weimarische  Visitation  1580.  81.  83. 


254  Georg-  Müller: 

Ein  lange  verhaltener  Groll  des  Kurfürsten  gegen 
Dorothee  Susanne  kam  nun  zum  Ausbruch.  Er  gmg  aus 
dem  Argwohn  hervor,  die  Herzogin  mache  den  Versuch, 
die  von  dem  Kurfürsten  entlassenen  Käte  und  Geistlichen 
wieder  an  ihren  Hof  zu  ziehen.  Wie  es  scheint,  auf 
Andreas  Vorschlag,  waren  ihr  mehrfache  Konzessionen 
gemacht  worden  ^^).  Jetzt  sollte  eine  eingehende  Unter- 
suchung angestellt  werden.  Eine  kurfürstliche  Kom- 
mission wurde  abgeordnet.  Einen  Hauptpunkt  ihrer  In- 
struktion bildet  die  Erziehung  der  Herzöge.  Schon  mehr- 
fach hatten  diese  die  Ungnade  ihres  Onkels  fühlen 
müssen.  Sie  hatten  um  die  Erlaubnis  gebeten,  die 
„Hirschbrunst"  mitmachen  zu  dürfen,  aber  die  Antwort 
kam  erst,  als  die  Zeit  bereits  vorüber  war.  Die  Her- 
zogin bat  für  ihre  Söhne  um  die  Erlaubnis,  zur  bevor- 
stehenden „Schweinhatz"  nach  Altenburg  kommen  zu 
dürfen.  In  den  Akten  findet  sich  keine  Antwort.  Jetzt 
wui^den  die  Leistungen  der  Herzöge  einer  eingehenden 
Untersuchung  unterworfen. 

Die  kurfürstlichen  Räte  fordern  zunächst  von  dem 
Lehrer  Friedrich  Wilhelms,  Brysmannus,  einen  Bericht 
über  die  Leistungen  des  Prinzen^-).  In  einem  Schreiben 
vom  25.  Oktober  1580^")  schildert  der  herzogliche  Prä- 
zeptor  eingehend  den  Studiengang  seines  fürstlichen  Zög- 
lings und  spricht  sich  anerkennend  über  die  Fortschritte 
aus,  die  derselbe  während  seines  Aufenthalts  in  Jena 
gemacht  habe.  Bereits  um  Pfingsten  habe  er  mit  der 
Lektüre  des  Corpus  iuris  begonnen  und  jetzt  das  10.  Ka- 
pitel des  ersten  Buches  beendet.  Zum  Beweis  der 
Leistungen  des  Prinzen  sendet  er  ein  von  diesem  ge- 
schriebenes Specimen  ein,  das  sich  aber  nicht  in  den  Akten 


**^)  Vergl.  ebenda.  Verschiedene  Berichte  der  Räte  an  den 
Kurfürsten  vom  Oktober  1580.  Namentlich  in  der  Instruktion  für 
die  Räte  vom  26.  November  1580:  Für  die  Erziehung  des  Herzogs 
Johann  waren  1000  Gulden  ausgeworfen;  diese  würden  nur  dazu 
verwendet,  „damit  nicht  allein  die  Kirchendiener,  sondern  auch  die 
Politici,  weiche  von  uns  zuvore  gleichergestalt  darumb  enturlaubt 
worden",  wieder  angestellt  würden. 

■"-)  Befehl  des  Kurfürsten  an  Brysmannus  vom  13.  Oktober  1580 
im  genannten  Aktenstücke. 

'*'')  Ebenda.  Hier  finden  sich  auch  verschiedene  lateinische  und 
deutsche  Gesuche  des  Brysmannus  an  den  Kurfürsten,  die  Kurfürstin 
und  die  Räte,  in  welchen  er  um  Zulage  zu  seinem  Gehalte  bittet 
und  manche  Nachrichten  über  sein  Vermögen,  seine  Eannlie,  sein 
Verhältnis  zum  Kurfürsten  etc.  einüicht. 


Zwei  Unterrichtspläne  etc.  255 

findet ^^).  Seit  der  vor  kurzem  vollzogenen  Übersiedeluno- 
nach  Weimar  habe  sich  aber  bei  dem  Herzoge  eine  grolse 
Unlust  eingestellt;  diese  sei  durch  die  höfische  Umgebung 
bestärkt  worden,  welche  auf  ihn  einen  ungünstigen  Ein- 
flufs  ausübe. 

Auf  Grund  dieses  Berichtes  wurde  die  Kommission 
streng "'■^)  angewiesen,  den  Thatbestand  festzustellen,  die 
Übelstände  zu  beseitigen  und  auf  eine  strenge  Erziehung 
des  Prinzen  hinzuwirken.  Namentlich  sei  berichtet 
worden,  dals  derselbe  mit  Spielen,  Ausreiten  und  Mülsig- 
gehen  viel  Zeit  verliere  und  dafs  sein  Hofmeister,  Wil- 
helm Münch,  einen  grolsen  Teil  der  Schuld  trage.  Er 
soll  angewiesen  werden,  seinem  Amte  fleifsiger  nach- 
zugehen. 

Über  die  Thätigkeit  dieser  Kommission  liegt  ein 
eingehender  Bericht  vor^*'),  aus  welchem  hervorgeht,  dals 
der  Prinz  den  guten  Willen  bezeigte ,  sich  den  Anord- 
nungen der  kurfürstlichen  Kommission  zu  fügen,  „wie  er 
dann  nach  Gelegenheit  seines  Alters  in  conversatione 
quotidiana  ein  mediocre  specimen  suorum  profectuum  in 
studiis  die  Zeit  unseres  Anwesens  ediret,  auch  von  uns 
vleilsig  ad  continuationem  studiorum  ermahnet  worden". 
Er  hatte  selbst  um  Begutachtung  seines  Stundenplanes 
gebeten,  der  die  Billigung  der  Kommission  erfuhr.  Auch 
war  sie  damit  einverstanden,  dals  der  Prinz  in  die  Re- 
gierungsgeschäfte eingeweiht  würde  zur  Bildung  seines 
Judiciums,  das  noch  schwach  sei.  Brysmannus  wurde 
angCAviesen,  den  Unterricht  in  der  früheren  Weise  fort- 
zuführen, auch  die  Lektion  der  Institutionen  zu  behalten, 
AVährend  Pintzker  und  Ratzeberger  angemesen  wurde, 
„anderer  unbefohlener  Sachen  sich  nicht  anzumalsen". 
Auch  die  Erziehung  des  jüngeren  Herzogs,  Johann,  wurde 
einer  Prüfung  unterworfen. 

Besonders  wichtig  sind  die  Unterrichtspläne,  die  bei 
der  Visitation  von  den  Lehrern  den  Räten  übergeben 
wurden   und    in   den  Akten    enthalten    sind").     Sie  be- 


")  Dagegen  liegt  dem  Bericht  noch  die  mit  eingeschickte 
„Summa  studiorum"  l^ei,  aus  welcher  hervorgeht,  dafs  auch  Nicolaus 
Sehiecker  tVüher  wegen  der  religiösen  Erziehung  des  Prinzen  um 
K.at  angegangen  worden  war. 

■'•'•)  Ebenda.  Instruktion  für  die  kurfürstlichen  Räte,  die  m 
Weimar  visitieren  sollen  vom  2(i.  Novemlicr  1580. 

'»")  Bericht  vom  25.  Dezember  1580  in  dem  mehrfach  genannten 
Aktenstück. 

•»^)  Ebenda. 


256  Georg  Müller: 

aiispruclien  um  so  gröfseres  Interesse,  als  sie  die  ältesten 
derartigen  Dokumente  darstellen,  welche  aus  dem  Prin- 
zenunterriclit  der  Wettiner  erhalten  sind.  Sie  gelangen 
daher  im  folgenden  zum  Abdruck. 

Bemerkt  sei  noch,  dals  drei  Jahre  später  von  der 
Erziehung  des  Herzogs  Johann  die  Rede  ist,  als  die 
kurfürstlichen  Räte  den  Vorschlag  machen,  ihn  „ex  ma- 
terna  educatione"  zu  nehmen  und  an  einen  anderen,  viel- 
leicht den  kurfürstlichen,  später  den  kaiserlichen  Hof  zu 
schicken**).  Ob  dieser  Plan  von  dem  Kurfürsten  ge- 
billigt worden  sei,  geht  aus  den  Akten  des  hiesigen 
Hauptstaatsarchivs  nicht  hervor.  Dagegen  veranlalste 
die  Verheiratung  Friedrich  AVilhelms  mit  Sophia  von 
Württemberg  und  die  dadurch  bedingte  finanzielle  Aus- 
einandersetzung mit  seinem  Bruder  Johann  eingehende 
Verhandlungen  der  kurfürstlichen  Räte*"),  wie  einen 
Briefwechsel  Dorothee  Susannas  mit  dem  Kurfürsten,  in 
welchem  sie  hervorhebt,  wie  sehr  ihr  der  Friede  inner- 
halb der  Familie  am  Herzen  liege'"). 

Beide  Prinzen  sollten  übrigens  noch  eine  hervor- 
ragende Bedeutung  in  der  Geschichte  des  wettinischen 
Hauses  erlangen:  Friedrich  Wilhelm  als  Administrator 
Kursachsens  nach  dem  frühen  Tode  Christian  I. ,  Johann 
als  Stammvater  der  Herzöge  ernestinischer  Linie  •''^). 


Beilagen. 
No.  1. 

Unterrichtsplan  für  Herzog  Johann  Friedrich  IV.  im  Jahre  1580 
von  Justus  Ludwig  Brysmannus. 

Hauptstaatsarchiv  Dresden,  Loc,  10G39.     Weimarisclie  Visitation  1580.  81.  83.  Bl.  31—34. 

Naclideme  von  einer  woUöblichen  Cliurfurstliclien  Regierung 
mir  auferlegt,  die  Form  vmid  Curfs  der  Studien  meines  gnedigen 
Fürsten  und  Herrn,  so  ich  hinfuro  zu  halten  l)eda(ht,  schrifttlichen 
zu  übergeben,  soll  aus  schuldigen  gehorsam  ich  mich  dessen  nicht 
wegern. 


^*)  Ebenda.    Letzte  Lage. 

"*'-')  Berichte  vom  21.  Juni,  1.  .Tuli,  18.  September,  19.  Dezember 
1583  in  dem  Aktenstücke:  Loc.  10638.  Hertzogk  Friedrich  Wil- 
helms zu  Sachssen  etc.  Rat  belangend.     1583/85. 

•''")  Ebenda  Brief  vom  31.  August  1583:  dann  wafs  für  unüber- 
■windtlicher  und  unwiederpringlicher  schadcnn  unnd  nachtcill  diesem 
thoill  defs  hauses  Sachssen  durch  erfolgte  brüderliche  uneinigkeitt, 
welche  lose  leuth,   die  ireu  verdienten  lohn  darüber  bekommeu,  an- 


Zwei  Unterrichtspläne  etc.  257 

Unud  uachdeiue  itziger  uucl  kurtzveiiassener  weile  von  Leuten 
ich  nidergesetzet,  und  meiner  Institution  nicht  zum  besten  erwehuet 
wii't,  soll  und  mufs  ich  kurtzlich  melden,  das  mein  Preceptor-Ampt 
nicht  allein  auff  die  Grammatic  und  Latein ,  wie  mancher  denekt 
und  schimpflich  davon  redet,  gerichtet,  sondern  auf  ein  mehrers 
siehet,  und  bifs  anher  gesehen ,  als ,  damit  das  jung  fürstlich  Gemüt 
zu  warer  Gottseligkeit,  so  nicht  inn  euserlichen  Schein,  Worten,  und 
nnczeitigen  Eiver  stehet,  sondern  inn  guten  Gewissen,  warer  An- 
rufung, Lieb,  und  Furcht  Ires  Gottes,  welche  Stuck  mit  denWercken, 
allen  Christlichen  Tugenden,  Lieh  unnd  Gutigkeit  sollen  und  müssen 
erwiesen  werden. 

Ferner,  das  neben  den  Studien,  Erkeudtnis  und  Wissenheit  der 
Sprach  vnd  Kunst,  soviel  dero  Hochgedachten  M.  G.  F.  u.  H.  hat 
nu;gen  vorgehalten  werden,  inn  alle  wege  auf  den  Wandel,  Sitten 
und  Leben  gesehen  worden,  damit  nach  vorgeschriebener  Lehr  und 
Exempeln  der  Tugende  zu  gleicher  Nachfolge  gangen ,  und  das 
Gegenspiel  vermieden  wurde. 

Innsonder  aber  ist  zu  jeder  Gelegenheit  angetzogen  und  fest 
eingebildet  worden,  was  zu  fürstlicher  Tapferkeit,  ßestandt  vnd  Ver- 
standt,  Moderation,  Bescheidenheit,  Liebe  der  Warheit,  Auffrichtig- 
keit,  Lindigkeit  und  Sanfftmut,  gute  Anleitung  geben. 

Ist  auch  nicht  vergessen  worden  zu  erinnern :  Herrn  sindt 
nicht  dohin  gesetzt,  Alleine  mussiggangs  und  der  wollust  zu  pflegen, 
wie  leider  wol  leut  unter  Alten  und  Jungen  gefunden  werdeun,  so 
eines  solchen  beredet,  auch  andere  bereden,  sondern  das  sie  Gottes 
Stathalter,  und  göttlicher  Empter  Pfleger  sein  sollen,  und  schwere 
Rechnung  darumb  zu  thun  haben. 

üund  alldieweil  einen  kunflttigen  Regeuten  nichts  nötiger,  dau 
Richtigkeit  des  Judicii,  unter  Leuten  vnd  Hendeln  Unterschiedt  zu 
halten, 

Als  ist  mein  vornenie  Arbeit  gewesen,  zu  berurter  Richtigkeit 
.Judicierens  und  Urtheilens  das  Fürstlich  Gemüt  nach  meinem  besten 
Verstandt  zu  füren,  damit  inn  allen  furfallenden  Sachen,  Reden, 
Anbrengen ,  nichts  aus  Zu-  oder  Abneigung ,  aus  ungewissen  Ver- 
dacht, auf  zweifelhafttigen  Bericht,  judicieret,  gesprochen,  gelobet 
oder  gescholten  werde,  sondern  auf  vorhergehende  gnugsame 
Erkundigung  und  satten  eingenomeneu  ungezweifelten  Bericht 
alles  ruhe. 

Hierumb  warnunge  geschehen,  für  Klaifern,  Schmeichlern, 
Ohrenblesern ,  Calumnianten ,  bösen  Geselschaften  und  dergleichen 
schedlichen  Gesten,  als  für  ein  gifft  sich  zu  hüten. 

Wie  vnd  waser  gestalt  inn  Reden,  Geberden,  Deutungen  und 
anderen  zu  faren,  was  allenthalben  zu  meiden,  soll  vnd  magk  hie 
nicht  erczelet  werden.  Hab  aber  im  vorigen  .Jar  ein  wol  lange 
schrifft  oder  Buch  an  M.  G.  F.  v.  Herrn  gehen  lassen''"),  darinne 
bedes  itztberurte  stuck  ausfurlich  liegrift'en,  auch  daraus  zu  ersehen, 
was  der  scopus  und  Ziel  meiner  Institution  gewesen ,   als    die  nicht 


gestiftet,  begegnet,  solches  haben  wir  selbstcnn  mitt  schmertzenn  er- 
f  hären.  In  einem  späteren  Schreiben  vom  15.  Dezember  1683  regte 
sie  die  Frage  an,  ob  nun  ihr  Sohn  die  Regierungsgeschäfte  in  seinem 
Namen  vollziehen  solle. 

'*')  Beck,  a.  a.  0.  II,  33L 

^2)  Es  ist  mir  nicht  f/clungen^  dasselbe  im  hiesigen  K.  Haupt- 
stantsarchive  ausfindig  zu  machen. 

Neues  Archiv  f.  S.  (i.  u.  A.     XI.  ;}.  4.  17 


258  Georg  Müller: 

auff  einen  geferbten  Schein ,  schedliche  Judulgeutz ,  oder  Captation 
wanckelhaö'tiger  Gunst  gerichtet,  sondern  auf  Gottes  Wort,  hoch- 
verstendiger  Leut  Bedenken,  und  auf  die  Erfarung,  ernstlicher 
trewer  Wolmeinung,  gegründet. 

Und  ob  ich  wol,  wil  nicht  sagen-,  gemelter  Schrifft  halben, 
sondern  das  ich  erwehnter  Form  bestendigk  nachgangen,  nicht  Jeder- 
man  zu  gefallen ,  hab  reden  vnd  thun  können ,  tröste  ich  mich  doch 
meines  Gewissens ,  und  unpartheiliches  Urtheils,  derer,  so  mir  etwas 
neher  beigewohnet,  oder  berurte  Schriift  lesen  möchten;  Den  ich 
jederzeit,  Gott  lob,  vnd  sonder  unczimlichen  Rhum  zu  schreiben, 
mir  vorgesetzt,  inn  meiner  Institution  dermasen  zu  vorfaren ,  damit 
ich  Gott  zu  gefallen  thete,  und  Hochgedachter  M.  G.  F.  u.  Herr 
inn  Zukunfft,  nach  bestetigten  Alter,  und  erlangten  bestendigen  Ju- 
dicio,  ein  gnedigs  Gefallen  daran  haben,  und  ich  also  aus  diesen 
meinen  sorgklichen,  und  derzeit  Gelegenheit  nach  beschwerlichen 
Diensten,  reine  Hend  und  ein  gut  Gewissen  bringen  möchte,  als  der 
ich  mich  getröste ,  das  zur  Zeit  an  Tag  und  ans  Licht  komen  werde, 
was  ein  Jeder  geleret,  und  vorgewandt,  und  was  er  drinne  gesucht 
und  gemeinet. 

Solches  hab  ich  meiner  hohen  notdurfft  nach  erinnern  müssen, 
wil  nu  gar  kurtz  vermelden,  welcher  gestalt  ich  hinfuro,  do  es  Gott 
unnd  meiner  gnedigsten  Obrigkeit  gefellig,  meine  Institution  zu  er- 
strecken gesinnet. 

Betreffend  die  Religion  und  Übung  göttliches  Worts,  welche 
weder  zu  dieser  Zeit,  noch  die  gautze  Frist  des  Lebens  bei  christ- 
licher Herrschafft,  laut  göttliches  ausdrucklichen  Befehls,  sol  und 
mag  übergangen  werden;  dieweil  desfals  von  dem  Ehrwirdigen  und 
Hochgelarten  Herrn  Doctor  .Tacobo  •"'*'),  welchen  ich  achten  mufs,  des- 
fals Befehl  haben,  Ziel  und  Mas  gestellet,  das  man  aus  teglicher 
Lection  der  Biblien,  vom  Herrn  Doctor  Luca  Osiandro  mit  gelerten 
unnd  kurtzen  Commentarien  zugerichtet"),  erwehnte  Übung  halten 
solle,  als  las  ich  mir  solches  auch  nicht  missfallen. 

Die  Übung  der  lateinischen  Sprach ,  so  M.  G.  F.  u.  Herrn 
hochnötigk,  stehet  inn  vielen  und  steten  Schreiben  und  Lection  der 
besten  römischen  Scribenten,  darumb  auch  hinfuro  teglich  zum 
wenigsten  ein  Stund  mit  lateinischen  Schreiben,  auch  Lection  der 
Officiorum  Ciceronis  („welcher  der  best  unter  allenn"),  ein  par 
Stund  inn  der  Wochen  zugebracht  werden  solten.  Den  dieses  Buch 
nicht  allein  der  Sprach  halben,  sondern  wegen  der  ausbundigen 
Lehren,  von  gewaltigen  Regenten  wirdig  geachtet  worden,  das  man 
es  nicht  allein  lese,  sondern  auswendig  lernen  solle. 

Es  sindt  auch  M.  G.  F.  u.  H.  die  Oommentarij  C.  Julii 
Csesaris  der  Historien  und  Sprach  halben  ein  Zeit  her  gelesen 
worden.  Dieweil  dan  derselb  Man  vom  Cicerone  selbs  an  Zierde 
der  Lateinischen   sprach   allen   Römern   vorgezogen   wirt,   und  die 


^*)  Gemeint  ist  Dr.  Jacobus  Andrea,  s.  oben  S.  353 /Ig.  Er  war 
übrigens  der  Schivager  L.  Oslanders. 

^)  Gemeint  ist  L.  Osianders  Biblia  latina,  ad  fontes  hebr. 
textus  emendata,  cum  brevi  et  perspicua  cxpositione  illustrata. 
Tübingen  1573  ff.,  ein  für  die  Alumnen  der  württembergischen 
Kloster  schulen  geschriebenes  Buch,  von  dem  die  Zeitgenossen 
meinten,  seit  der  Apostelzeit  sei  kein  nützlicheres  Buch  herausge- 
kommen. Herzog- Plitt,  Eeal-Encgklopädie  für  prot.  Theol.  und 
Kirche  (3.  Aufl.)  XI,  130. 


Zwei  Unterrichtspläne  etc.  259 

Kriege,  so  er  mit  dem  Schwert  siegbafft  gefüret,  mit  der  Fedder 
schön  und  herrlich  selbs  beschrieheu,  achtet  ich  nicht  für  unnötigk, 
solche  Lection  anch  mit  eiuzutheilen,  wan  es  an  Zeit  nicht  mangeln 
wurde. 

Das  Buch  Herrn  Cuuradi  Heresbachii'^''),  des  Durchlauchten 
vnd  Hochgeborneu  Fürsten  uiind  Herrn,  Herrn  Wilhelm  Hertzogen 
zu  Jülich  etc.,  weilandt  gewesenen  Preceptorn,  dieweil  es  nicht  allein 
die  erste  Zucht  und  Unterweisung  Junger  Herrschaift  herrlich  lie- 
schreibet,  (weite  Gott,  das  solches  bei  allen  hohes  Standes  Personen 
gelesen,  und  was  darinn  geleret,  wircklich  vollzogen  wurde,)  sondern 
auch  die  ersten  Tyrocinia  zukünftiger  Regierung  inn  sich  fasset, 
mag  one  Nachteil  nicht  dohinden  Ideiben. 

Die  Dialectica,  darinnen  der  Weg  gezeiget  wirt,  ordentlich  zu 
leren  und  zu  lernen,  Recht  und  Unrecht  zu  unterscheiden,  falschen 
und  ungegründeten  Einfm'ungen  mit  Behendigkeit  zu  begegnen,  soll, 
geliebts  Gott,  inn  wenig  Wochen  zum  End  gebracht  und  widerholet, 
auch  nachmals  gar  kurtzer  Bericht  einer  ordentlichen  rhetorischen 
Oration  gezeiget  werden. 

Die  Institutiones  Juris  Ciuilis,  so  wir  bifs  anher  über  den 
xiiij  Titel,  wegen  nechst  angedeuter  Uisach''")-  nicht  bringen  mugen, 
werden  auch,  woferne  die  Hindernifs  eingestellet ,  iren  Fortgang 
haben.  Inn  dero  Anfang  ich  zwar  M.  G.  F.  u.  Herrn  etwas  schreilten 
lassen  von  Ankunift  und  vermehrten  Weitleuftigkeit  des  Römischen 
Rechten,  und  wie  durch  Schaffung  Keisers  Justini  an i  aus  un- 
tzeligen  Büchern  das  Corpus  Juris,  so  man  noch  hat,  zusamen  ge- 
zogen, auch  etwas  von  den  Zeiten  ermeltes  Keisers,  und  Zustandt 
des  römischen  Reichs,  welches  dazumal  von  denn  Barliarischen  Völ- 
ckern  jemmerlich  zurissen,  durch  seine  treffliche  zween  Kriegs- 
obristeu,  Bellisarium  vnd  Narseu,  wider  aufgerichtet,  denen  nach- 
mals für  die  höchste  Wolthat,  schrecklicher  Undanck  worden  etc. 
Hierzu  dan  Ursach  geben  der  Eingang  beredeter  Institutionum  und 
die  prechtigen  Titel,  so  dazumal  wider  Gewonheit  der  alten  Römer 
uberheufet  worden,  welches  mir  numebr  von  etlichen  zu  grosem 
Verweis  gezogen  wirt.  So  hab  Ich  doch,  alsbalt  wir  zum  Anfang 
der  Titulorum  griffen,  nichts  ferners  schreiben  lasen,  sondern  den 
blosen  Text,  und  desselben  verstendtlicbe  Meinung  nach  Vermugen 
erkleret,  allein  das  icli  I>edacht,  wie  auch  anfengklich  geschehen, 
woferne  mir  solche  Lection  nicht  abgenomen ■"'''),  eines  jeden  Titels 
Partitionera  Dialecticam  inn  einen  kurtzen  Schematismum  oder  Figur 
zu  fassen''^),  damit  dieselbe  Ijalt  imm  gesiebt  sei,  und  dem  gedeclit- 
nis  mit  desto  weniger  Muhe  eingel)ildet  werde.  Ist  auch  bifsweilen 
aus  beigesetzten  Glossen  etwas  mit  angezogen  worden. 


55)  Vergl.  Konrad  Heresbach,  Alhj.  Deutsche  Biographic 
VI,  103—105.  Das  Buch  führt  den  Titel:  De  educandis  erudien- 
disque  principimi  libcris. 

•''<')  Es  war  die  IJbersiedching  des  Prinzen  nach  Weimar  und 
gelockerte  Disziplin,  vergl.  o.  S.  256. 

■'■'■')  Der  Unterricht  wird  ihm  ausdrücklich  bestätigt ,  s.  oben 
S.  255. 

'■'*)  Diese  Schcmatisiernng  v;ar  ein  damals  hdufiii  vorkom- 
mendes pädagogisches  Hilfsmittel.  So  schrieb  Johann  kivius  der 
Jüngere  eine  schematische  Übersicht  zu  Ciceronianischen  Schriften, 
Vergl.  meinen  Artikel  .Tohaun  Rivius  (Sohl)  in  der  Allg.  Deutschen 
Biographic  Band  20. 


260  Georg  Müller: 

Das  ich  aber  vielhocbgedachteu  M.  G.  Herrn  iiiii  das  gautz 
Corpus  Juris,  oder  dasselb  iuu  die  lustitutiones  füren  solte,  ist 
meines  Vermugens,  auch  M.  G.  H.  Gelegenheit  und  Captus  nicht. 
So  ist  kundt  und  oifeubar,  das  der  Imperator  selbs  in  Institutionibus 
solchen  Process  mit  klaren  Worten  an  den  Anfahenden  verwirfet, 
achtete  derwegen  mehr  die  notdm-fft  sein,  die  sorge  so  wegen  der 
vielgedachten  Institution  vorleuffet,  auf  das  gantz  Corpus  der  Stu- 
dien, und  Gubernation  des  fürstlichen  jungen  Gemütes  anzuwenden, 
welches  mit  grosen  Fromen  jederzeit  hett  geschehen  mugen, 

Endtlich,  das  jungst  Meldung  geschehen,  wie  auch  die  ßudi- 
menta  Grsecpe  Linguae  sampt  den  griechischen  Evangelien,  vnnd 
etlichen  Opusculis  Isocratis  und  Plutarchi  von  fürstlichen  Weseu, 
etlichen  jungen  Herrn  und  edlen  Knaben,  so  dieser  Dinge  einen 
Anfang  mit  sich  bracht,  gelesen,  unnd  M.  g.  Fürst  F.  u.  Herr  zu 
denselben ,  doch  mit  Willen ,  soviel  mir  wissentlich ,  auch  getzogen 
worden,  hat  mich  auch  dieses  hierzu  bewegt,  das  in  einer  Instruc- 
tion, so  von  unser  gnedigen  Fürstin  vnd  Frawen^^)  etwan  inu  meiner 
Ankunfft  mir  zugestellet,  namhaiftig  gesetzt,  Sein  F.  G.  Grteca 
Lingua  zu  unterweisen,  mit  klarer  Vermeidung,  das  S.  F.  G.  für 
acht  Jaren  von  D.  Melissander '^o)  den  Anfang  solcher  Sprach  all- 
bereit soll  gelernet  haben. 

Soviel  hab  ich  auf  empfangenen  Befehl,  die  Studia  vielhoch- 
gedachts  M.  g.  F.  u.  H.  belangende,  berichten  sollen.  Gemessene 
Zeit  vnd  stunden,  wie  obbemelte  Lectiones  einzuteilen,  haben  nicht 
mugen  gesetzt  werden,  Die  weil  sein  Fürstlich  Gnad  numehr,  Gott 
lob  inn  die  Rathstuben  zur  Audientz^^)  mit  gezogen  werden  soll, 
wirt  demenach  die  Zeit  und  Gelegenheit  solches  zeigen.  Stelle  difs 
mein  Bedenken  zu  wolobgemelter  Regierung"'^),  befodderst  aber  zu 
Churfurstlicher  Durchlauchtigkeit  zu  Sachsen  etc.  meines  Gnedigsten 
Herrn,  gnedigster  Erkendtuis  und  Verbesserung,  Dero  Churfurstlichen 
Gnaden  gnedigsten  Willen  unterthenigst  inn  allen  Dingen  mich 
unterwerfende,  ungezweifelter  unterthenigster  Zuvorsicht,  do  Ihre 
Churfurstliche  Gnaden  beihabenden  Beruf  und  Ampt  mich  ferner  zu 
wissen,  und  Jemand  beizuordnen  bedacht*'^),  Ihre  C.  F.  G.  werden 
die  Person  gnedigst  anordenen ,  so  aus  christlichen  friedliebenden 
Hertzen  mit  mir-  zu  bawen  unnd  bessern,  einen  guten  eintrechtigen 
Willen  haben  werde. 


•'")  Sophia  Dorothea.  Die  Instruktion  ist  im  Dresdner  Archiv 
nicht  vorhanden. 

^)  Er  war  als  Mitglied  einer  kaiserlichen  Gesandschaft  in 
Griechenland  geivesen.  Vergl.  Allg.  Deutsche  Biographie  2,  s. 
V.  Bienemann,  Caspar. 

^1)  Über  den  Vorschlag  Friedrich  Wilhelm  zur  Bildung  seines 
„Judiciums"  in  die  Begierungsgeschäfte  einzuführen,  vergl.  oben 
S.  255. 

**2)  Gemeint  sind  die  von  Kurfürst  August  eingesetzten  Bäte. 

ö^)  Davon  wird,  wie  es  scheint,  abgesehen,  obgleich  für  die 
Institutionen  ein  junger  Jurist,  L.  Caspar  Schelhammer,  der  in 
Leipzig  studiert  und  promoviert  hat,  noch  ledig  und  zu  dem  Amte 
lüohlgeschickt  ist,  vorgeschlagen  worden  ivar.  Loc.  10639,  Wei- 
marische Visitation.  1580.  81.  83.  Berichte  der  Bäte  an  den 
■Kurfürsten  vom  13.  Oktober  1580. 


Zwei  Unterrichtspläue  etc.  261 

No.  2. 

Unterrichtsplan  für  Herzog  Johann  ans  dem  Jahre  1580. 
Überreicht  von   WoJfgang  Monner. 

Hauptstaatsarchiv  Dresden,  Loc.  10G39.     Weimarische  Visitation.  1580.  1581.  83.    (Gegen 

Ende  des  Aktenstückes.) 

Wie  und  weleliergestalt  der  Durchlauchtige  uniid  Hochgeborne 
fürst  unud  Herr,  Herr  Johaiis,  Herzogk  zu  Sachfsenn,  Lanntgraf 
inu  Doriugemi  uiuid  Marggraf  zu  Meifsen  bifs  anhero ,  sonderlich 
aber  itzo  im  studio  unud  iuu  der  Lere  teglich  unterwiesemi  worden 
iiiiud  noch: 

Erstlichen  uund  vor  allen  Dingen  pflegt  der  Herre  zu  den  ver- 
ordenten  Betstunden  als  früe  umb  achte,  unnd  abents  ein  virtel  nach 
siebenn  vor  dem  Disch  stehent,  mit  gefaltenen  Hennden,  den  Mor- 
genn-  unud  Abentsegen  unnd  die  fünf  Hauptstucke  des  heiligenn 
Catechismi,  sambt  einem  Stuck  der  Auslegunge,  wie  sie  inn  ermeltem 
Catechismo  Lutheri  begriffen,  ordentlich  zu  betenn,  auch  also  balde 
darauf  zweeue  deutsche  Psalmenn  unnd  zwei  Spruchlinn  aus  der  hei- 
ligenn Schrifft  nebenn  seinem  »Sj-mbolo  auswendig  zu  recitiren,  unnd 
zum  Beschlufs  durch  die  gantze  wochenn  das  negste  Latein,  so  er 
den  Tag  zuvor  gelernet,  aufzusagen,  unnd  darnebenn  ein  kurtzes 
Proverbium  (deren  bei  200  inu  einem  kleinen  Handbuechlinn  auf- 
gezeichnet) als:  manus  manum  lavat,  Propria  laus  sordet,  sambt 
einer  Regell  aus  dem  (!)  Syntax  teglich  zu  wiederholenn. 

Weiter  werden  mit  dem  jungen  Herrn  des  Montags  unnd 
Dinstags  frue  nach  volnbrachtem  Gebete  bifs  auf  9  Uhr  etliche 
lateinische  Wörter  expetieret  (wohl  repetieret  gemeint),  unnd  ihme 
aufswendig  zu  recitiren  uferleget,  damit  er  solche,  weil  deren  eine 
zimbliche  Anzal,  über  die  2000,  durch  stetige  Ubunge  bin  frischem 
gedechtnus  desto  befser  behaltenu  möge.  Vonn  9  hora  bifs  auf  halbe 
zehenn  Averden  aus  Anordnunge  des  Herrn  Doctoris  Jacobi  Andreae 
die  Institutiones  iuris  Justiniani  textualiter  unnd  grammatice  ercleret, 
unnd  die  Declinationes,  Coniugationes  unnd  Syntaxis  daraus  repetirt. 
Folgendes  bifs  auf  zehenn  die  Quaestiones  de  primis  rudimentis 
Grammaticae  ex  Philip.  Melant:  in  Electoratu  Saxoniae  gelesenn, 
unnd  darnebenn  ein  neues,  sonderbares  Latein  der  Frau  Mutter  auf- 
zusagenn,  ihme  furgeschrieben. 

Nach  Mittage  auf  bemelte  zweene  Tage,  Montags  unnd  Dinstags, 
von  ein  Uhr  bifs  uf  halbe  zwei  schreibet  der  Herr  lateinisch,  fol- 
gendes bifs  auf  zwei  werdenn  dem  Herren  die  Institutiones  Juris 
noch  weiter,  unnd  was  inn  den  Früestunden  vorblieben,  grammatice 
ausgeleget.  Von  zweien  bifs  uf  drei  Uhr  wird  ein  lateinisches 
Spruchlein  ex  Proverbiis  Salomonis  exponirt,  unnd  darnebenn  die 
Grammatica  daraus  geubet,  auch  das  Spruchlein  Salomonis  sambt 
dem  Latein  auswendigk  gelernet. 

Mittwachs  (sie !)  nach  volnl)rachtem  Gebet  unnd  Wiederholunge 
des  Tjateins ,  proverbii  unnd  Regulac  Syntaxis  bifs  auf  9  Uhr  pflegt 
der  Herr  ab(>rmals  etliche  lateinische  Wörter  aus  dem  Lateinbuch, 
so  .«sonderbar  dartzu  gemacht,  memoriter  zu  recitiren,  darnach  die 
fünf  Hauptstuck  des  Catechismi  blofs,  unnd  ein  Stück  mit  sambt  der 
Auslegunge  secundum  ordinem  Catechismi  lateinisch  zu  exponiren; 
folgendes  bifs  auf  zehen  deutsch  zu  lesen ,  unnd  das  neue  liatein  zu 
lernen. 


262  Georg  Müller:  Zwei  Uuterrichtspläne  etc. 

Nachmittage  des  Mittwochs  mufs  der  Herr  den  deutschenn 
Catechismum  samht  der  Aufslegmige  defselbigeu  unnd  Haufstafel, 
auch  das  kleine  Corpus  Doctrinae  Matthei  Judicis  durch  unud  durch 
auswendig  aufsagenn,  darnach  abermals  ein  neues  Latein  lenienn. 

Donnerstags  unnd  Freitags  frue  nach  volnbrachtem  Gebet  uund 
andern  Stuckenn ,  wie  oben  vermeldet ,  werden  etliche  Latein ,  item 
Declinationes  unud  Coniugationes  repetirt,  hernach  venu  dem  Herren 
eine  oder  zwo  Zeilen  aus  deutscher  Sprache  inn  die  lateinische  trans- 
ferirt,  folgendes  inn  Proverbiis  Salomonis  gelesenn,  unnd  das  neue 
Latein  gelernet. 

Nach  Mittage  auf  bemelte  zween  Tage,  Donnerstags  unnd  Frei- 
tags vonn  ein  Uhr  bifs  auf  zwei  thut  der  Herr  nichts  dann  deutsch 
schreibenn.  Folgendes  wird  ihme  ein  Senteuzlin  aus  dem  Catone 
exponirt,  die  Declinationes,  Oonjugationes  unnd  Syntaxis  auch  zum 
vleifsigsten  mit  ihme  daraus  geubet,  enntlich  das  Latein  vor- 
geschrieheun  unnd  gelernet. 

Sonnabents  frue  nach  volnbrachtem  Gebet,  werdenn  erstlich  die 
Latein,  so  der  Herr  die  ganntze  Wochen  über  gelernet,  repetiret, 
darnach  die  fünf  Hauptstuck  des  lateinischen  Catechismi  memoriter 
aufgesagt,  sambt  einem  Stucke  mit  der  Auslegunge,  folgendefs  bifs 
auf  zehenn,  das  Evangelium  des  folgenden  unnd  kuntt'tigen  Sontags 
deutsch  unnd  lateinisch  gelesenn. 

Nachmittage  des  Sonnabents  wird  jederzeit  der  deutsche  Ca- 
techismus  sambt  der  Auslegunge  unnd  Haufstafel  unnd  dem  kleinen 
Corpore  doctrinae,  gleich  wie  am  Mittwochen  zu  gescheenn  pfleget, 
vonn  dem  Herrn  auswendig  recitirt,  folgendes    das  Latein  gelernet. 

Den  Sontagk  frue  recitiret  der  Herr  nach  gehaltener  Predigt 
unnd  volnbrachtem  Gebet  die  kurtze  Summam  des  Evangelii,  so  man 
uf  iedenn  Sontagk  pflegt  zu  verlesenn,  unnd  in  der  Kirchenn  zu  han- 
delnn,  sambt  einem  lateinischen  und  deutschen  Spruchlein  daraus, 
unnd  wiederholet  dasselbe  nochmals  durch  die  ganntze  Wocheun, 
zum  Beschlufs  des  Abents-  und  Morgentsgebetes ,  damit  er  solches 
alles  fein  fertig  auswenndig  sagenn  könne. 

Über  diese  Erzehlungen  Herzogen  Johans  Studien  unnd  Lek- 
tionsubungenn ,  wirdet  ihme  auch  teglichenn  durch  den  Hoef- 
Organisten,  zu  Ubunge  der  Music  von  halbeg  zwölfen  bifs  umb  ein 
Uhr  das  Lautennschlahen  gelernet,  unnd  umb  drei  nach  vollendeten 
Studiis  hat  er  seine  Leibsubiinge  im  Fechtenn,  wie  er  dann  in  allen 
Wehren  das  Fechten  zimblichermassen  geubet.  Von  vir  Uhren  über 
bifs  umb  halbe  wegen  fünf  hat  er  wiederumb  seine  Musicubunge  auf 
der  Lauten,  unnd  solche  Ubunge  geschieht  auch  teglichen  die  gantze 
Wochenn. 


X. 


Die  Dresdner  Malerinnimg. 

Von 

Karl  Berlin^. 


Ein  glücklicher  Zufall  hat  vor  einiger  Zeit  ein  Akten- 
stück ans  Tageslicht  gefördert,  welches  unter  den  sämt- 
lichen am  Ausgang  des  16.  Jahrhunderts  zu  Dresden 
bestehenden  Innungsordnungen  auch  die  ältesten  Ai^tikel 
der  vereinigten  Maler,  Bildhauer  und  Bildschnitzer  ent- 
hält. Diese  letzteren,  auf  die  mich  seiner  Zeit  Eats- 
archivar  Dr.  Eichter  aufmerksam  machte,  haben  die 
Veranlassung  zu  der  nachfolgenden  kleinen  Studie  ge- 
geben. 

Aus  dem  genannten  Aktenstück^)  geht  hervor,  dals 
in  Dresden  die  Künstler  im  Jahre  1574  zum  erstenmale 
zur  Bildung  einer  gemeinsamen  Innung  geschritten  sind. 
Dals  dies  aber  gerade  zu  jener  Zeit,  in  der  Nachblüte 
der  Renaissance  geschah,  wirkt  auf  den  ersten  Blick 
befremdend,  denn  in  den  Folgen  der  Renaissance,  was 
doch  das  Nächstliegendste  wäre,  sind  sicherlich  die 
Gründe  hierfür  nicht  zu  suchen.  Vielmehr  hätte  diese 
neue  Geistesrichtung,  die  wie  ein  erfrischender  Wind- 
hauch über  die  Länder  dahinfuhr,  der  die  alten  bindenden 
Schranken  nicht  Stand  zu  halten  vermochten,  diese  neue 
Kunstperiode,  welche  die  Individualität  des  Künstlers 
dem  Kunstwerke  gegenüber  besonders  betonte,  nur  das 
Gegenteil  bewirken  können.    Hätte  die  Renaissance  die 


*)  Es  befindet  sich  jetzt  im  Ratsarchiv  zn  Dresden,    C.  XXIV 
2741»,  Bl.  267  ff. 


264  K.arl  Berling: 

Auflösung  bestehender  Künstlerinnungen  herbeigeführt 
und  die  im  Zunftzwang  Beengten  zu  freien  Künstlern 
umgeschaffen,  so  würde  eine  derartige  Handlung  nur 
ihrem  eigensten  Wesen  entsprochen  haben. 

Der  Umstand  nun,  dals  in  Dresden  das  Entgegen- 
gesetzte stattgefunden  hat,  liegt  wohl  im  wesentlichen 
darin  begründet,  dafs  sich  die  Künstler  jener  Zeit  nicht 
mehr  auf  der  Höhe  der  Renaissance  befanden,  sondern 
bereits  den  von  Lucas  Kranach  angebahnten  abschüssigen 
AVeg,  der  dem  gänzlichen  Verfalle  entgegenführen  mulste, 
beschritten  hatten.  Kein  Wunder  also,  wenn  dieselben 
ihr  geringeres  künstlerisches  Können  instinktiv  fühlten 
—  ich  schreibe:  instinktiv,  denn  bewulst  waren  sie 
sich  dessen  sicher  nicht,  ausgesprochen  hätte  es  jeden- 
falls keiner  von  ihnen  geduldet  —  an  übertriebener  Be- 
scheidenheit litten   die  Künstler  jener  Zeit  keineswegs. 

Hierzu  kam  aber  noch  ein  zweiter  Grund  und  zwar 
einer,  der  aktenmälsig  als  solcher  bezeugt  wird.  Die 
Innungen  hatten  zu  der  Zeit,  von  der  hier  die  Eede  ist, 
jeglichen  politischen  Charakter  verloren  und  waren  zu 
reinen  Prohibitiv- Genossenschaften  herabgesunken.  Sie 
bezweckten  damals  weiter  nichts,  als  die  einheimischen 
Handwerker  vor  den  fremden,  vor  den  Störern,  Pfuschern 
und  Bönhasen,  wie  sie  jene  Zeit  nannte,  zu  schützen. 
Dieser  Grund  nun,  sich  das  eigene  Verdienst  nicht  durch 
auswärtige  Künstler  schmälern  zu  lassen,  oder  —  um 
es  kurz  zu  sagen  —  der  reine  Brotneid  war  es,  der  in 
zweiter  Linie  die  Aufrichtung  der  Dresdner  Maler-  und 
Bildhauerinnung  in  dem  genannten  Jahre  bewirkte.  Es 
waren  nun  freilich  damals  in  Dresden  auch  eine  statt- 
liche Anzahl  von  fremden  Künstlern  thätig,  welche  durch 
die  Kurfürsten  Moritz  und  August  für  die  vielen  Bauten, 
die  sie  aufführen  lieisen,  herangezogen  waren.  Der 
„welsche  Graf"  Rochus  Quii'inus  von  Linar-)  mufste  den 
alten  wackeren  Baumeister  und  Bürgermeister  der  Stadt 
Leipzig,  Hieronymus  Lotter,  in  der  Bauleitung  der 
Augustusburg  ersetzen,  die  aus  der  italienischen  Schweiz 
gebürtigen  Gebrüder  Benedict  und  Gabriel  de  Thola  und 
der  Italiener  Francesco  Ricchini  hatten  den  neuangelegten 
Flügel  des  Dresdner  Schlosses  aufsen  und  innen  bemalt, 

2)  Wenn  auch  nicht  eigentlich  Künstler,  sondern  Ingenieiu'  und 
Artillerist,  so  verdient  er  doch  hier  an  erster  Stelle  erwähnt  zu 
werden,  weil  gerade  seine  Verdrängung  des  einheimischen  Archi- 
tekten viel  böses  Blut  gemacht  hat. 


Die  Dresdner  Maleriunung.  265 

und  endlich  —  um  nur  einige  liier  herauszugreifen  — 
war  am  3.  Januar  1573,  also  ein  Jahi^  vor  Autrichtung 
der  Innungsordnung,  Hans  Schröer  aus  Lüttich  als  kur- 
sächsischer Hofmaler  bestallt  worden. 

Das  war  natürlich  für  die  einheimischen  Künstler 
Grund  genug,  sich  gegen  den  wachsenden  fremden  Ein- 
flufs  auf  jede  Weise  zu  schützen,  und  dies  umsomehr, 
da  sie  mit  wenig  Ausnahmen  gegen  jenen  nicht  recht 
aufzukommen  vermochten.  Zu  diesen  Ausnahmen  gehörten 
nun  aber  vor  allem  jene  beiden  Künstler,  welche  der 
Innung  die  ersten  Jahre  ihres  Bestehens  hindurch  als 
Älteste  vorgestanden  haben,  das  sind  der  Hofmaler 
Heinrich  Göding  der  Ältere  =^)  und  der  Bildhauer  und 
Bürgermeister  der  Stadt  Dresden  Hans  Walther ^). 

Auiser  diesen  beiden  waren  noch  folgende  Künstler 
bei  der  Gründung  der  Innung  beteiligt: 

„Mahl er:  Balthasar  Voigt,  Friederich  Bergt,  Caspar 

Berger,  Hanls  Frischheim,    Unkel  Schneider,   Cristoff 

Hendeler,     Burckhardt     Schreyer,     Clement     Müller, 

Christoff  Walther    der    Jung/     Bildthawer    vnd 

Schnitzer:     Cristoff   Walther    der    Eid.,    Andreas 

Waltter,  Ambrosius  Waltter,  Halle  Küttener"  •^). 

Am    15.  Dezember  1574   hatte   der  Rat    der  Stadt 

Dresden  den  genannten  Künstlern  auf  ihr  Ansuchen  hin 

eine  aus  11  Artikeln  bestehende  Innungsordnung  bestätigt. 

Hiernach  war   die  Leitung   aller  Innungsangelegenheiten 

in  die  Hände  zweier  Ältesten  gelegt,  die  alle  zwei  Jahre 

am  Tage    des  heiligen  Lucas,    des   alten   Patrones    der 

Maler,    und   zwar  der  eine  aus  dem  Kreise  der  Maler, 

der  andere  aus  dem  der  Bildhauer  gewählt  wurden.    Sie 

also  hatten  den  Vorsitz  in  den  Versammlungen  zu  führen, 

auf  Ordnung  zu  halten,  zu  strafen,  wenn  es  nötig  wurde 

und  überhaupt  mit  peinlicher  Sorgfalt  das  Innehalten  der 

Zunftgesetze  zu  überwachen. 

Es  kann  hier  natürlich  nicht  meine  Aufgabe  sein, 
an  der  Hand  der  einzelnen  Paragraphen  diese  Ordnung 


^)  Über  ihn  habe  icli  ausführlicli  berichtet  in  dieser  Zeit- 
schrift VIll,  2<)()  ü'. 

*)  Von  seinen  Arbeiten  wird  besonders  der  Altar  der  alten 
Kreuzkirche  gerühmt,  der  sich  jetzt  in  der  Annenkirclie  behndet. 

'')  Es  sind  dies  die  Namen  aller  z.  Z.  in  Dresden  sich  ^be- 
findenden Meister,  wenigstens  wird  dies  in  einer  späteren  Ein- 
gabe der  Innung  behauptet.  ITauptstaatsarchiv.  Act.  Köder  und 
Wehme,  Loc.  8747  Bl.  19. 


266  Karl  Berling: 

weitläuftig"  zu  kommentieren,  nmsomehr,  da  sich  dieselbe 
im  gTolsen  ganzen  in  dem  gleichen  Rahmen  hält,  in  dem 
sich  die  der  übrigen  Handwerker  zu  damaliger  Zeit  be- 
wegte. Nur  die  Art,  wie  die  künstlerische  Ausbildung 
innerhalb  der  Innung  gehandhabt  wurde,  vermag  wohl 
allgemeines  Interesse  zu  erwecken,  weshalb  ich  auch  nur 
hierauf  ein  wenig  näher  eingehe. 

Ein  Junge  von  13,  14  Jahren,  der  Lust  und  Ge- 
schicklichkeit zum  Malen  oder  Bildhauen  gezeigt  hatte, 
oder  von  seinen  Eltern  oder  Vormunde  aus  irgend  emera 
anderen  Grunde  für  diesen  Beruf  bestimmt  worden  war, 
wurde  zuerst  der  Innung  vorgestellt,  mutste  hier  seine 
eheliche  Geburt  von  ehrlichen  Eltern  (ehrlich  im  Sinne 
der  damaligen  Zünfte)  nachweisen,  einen  Thaler  in  die 
Lade  legen  und  sich  mit  „20  silbern  Schock"  verbürgen, 
die  Kunst,  der  er  sich  nunmehr  widmen  wollte,  „zuuer- 
folgen  vnd  auszulernen".  Diese  letztere  Bestimmung 
Avar  aufgenommen  worden,  um  das  häufig  vorkommende 
Ausderlehrelaufen  der  Jungen  zu  verhüten,  und  in  ge- 
wisser Weise  waren  die  Meister  wohl  berechtigt,  hierfür 
einen  Schadenersatz  zu  verlangen. 

Waren  nun  die  Vorbedingungen  alle  zur  Zufrieden- 
heit erfüllt,  so  konnte  sich  der  Junge  den  Meister,  bei 
dem  er  in  die  Lehre  treten  wollte,  selbst  wählen.  Zu 
diesem  mufste  er  dann  in  die  Wohnung  ziehen  und  hier 
je  nach  seinem  Alter  5,  6  oder  7  Jahre  verbleiben.  Die 
Söhne  von  Innungsmeistern,  die  hier  wie  überall  be- 
deutende Erleichterungen  genossen,  brauchten  nur  5  Jahre 
zu  lernen  und  waren  von  der  Erlegung  des  Thalers  und 
der  Verbürgung  befreit. 

Der  Meister  seinerseits  war  verpflichtet,  den  Lehr- 
jungen treulich  in  der  Kunst  zu  unterweisen,  ihn  auch 
mit  Kost,  Trank  und  Lager  so  zu  unterhalten,  dals  er 
sich  mit  Billigkeit  nicht  beklagen  könne.  Damit  nun 
der  Meister  auch  Zeit  habe,  sich  genügend  mit  seinem 
Lehrjungen  zu  beschäftigen,  war  bestimmt,  dals  er  stets 
nur  einen  solchen  in  seiner  Werkstatt  aufnehmen  dürfe. 
Erst  wenn  dieser  über  die  ersten  Anfänge  hinaus  war, 
d.  h.  nach  zwei  Jahren,  war  es  ihm  gestattet,  noch  emen 
zweiten  anzunehmen. 

Hatte  nun  der  Lehrling  seine  vollen  Jahre  richtig 
ausgelernt,  so  wui^de  ihm  dies  von  seinem  Meister  und 
der  Innung  schriftlich  bescheinigt,  ihm  also  ein  Lehrbrief 
ausgestellt.    Doch  auch   dies  ging  nach   der  damals  üb- 


Die  Dresdner  Malerinnuug.  267 

liehen  Weise  wieder  nicht  ab,  ohne  flafs  der  nunmehrige 
Geselle  einen  Tlialer  in  die  Lade,  den  „Eltesten  und  den 
Meistern,  so  zu  diesem  Akt  erfordert  werden,  ein  ziemb- 
liches  Essen  von  drei  Gerichten  und  einen  zweiten  Thaler 
zum  Trinken"  geben  mulste.  Damit  aber  der  Geselle 
bei  einer  derartigen  Gelegenheit  nicht  iil)ermäisig  ge- 
schröpft würde,  Avar  folgender  Passus  hinzugefügt  worden: 
„Do  die  vorsammlung  etwas  mehr  an  Essen  oder  Trincken 
haben  wollen,  des  sollen  sie  auf  Iren  Unkosten  allsbalde 
erlegen  vnd  nicht  aufs  der  Lade  nemen  vnd  den  Lehr- 
dienern oder  Jungen  (Avohl  richtiger,  den  nunmehrigen 
Gesellen)  über  das,  was  obstehet,  nicht  beschweren". 

Nunmehr  mulste  der  junge  Geselle  seine  mindestens 
auf  drei  Jahre  berechnete  Wanderschaft  antreten.  Er 
sollte  sich  in  der  A¥elt  umsehen,  andere  Menschen,  andere 
Künstler  und  Kunstwerke,  andere  Techniken  kennen 
lernen.  Gewils  eine  aulserordentlich  wichtige  und  lobens- 
werte Forderung,  wenn  nur  nicht  gerade  sie  durch  dm 
Bestimmung  abgeschwächt  worden  wäre,  dals  man  anstatt 
drei  Jahre  in  der  Fremde  herumzuwandern  auch  30  Thaler 
in  die  Lade  zahlen  könne.  Diese  Klausel  beweist  aber 
wieder  einmal  deutlich,  dals  es  denen,  welche  die  Innungs- 
ordnung aufgesetzt  haben,  weniger  auf  die  Sache  selbst, 
als  auf  den  Schutz  vor  fremder  Konkurrenz  ankam. 

Nach  der  Wanderschaft  konnte  der  Geselle  allmählich 
daran  denken,  sich  das  Meisterrecht  zu  erwerben.  Das, 
was  sich  in  der  Dresdner  Ordnung  hierauf  bezieht,  lasse 
ich  im  Wortlaut  folgen: 

„Welcher  alliier  Meister  werden  will,  der  soll  auf's 
wenigste  drey  Jar  nach  seinen  Lehrjahren  gewandert, 
sich  etwas  versuchet,  vnd  ZAvey  Jar  alhier  bey  den 
Meistern  für  einen  gesellen  gearbeitet  haben").  So  er 
aber  soviel  gelerndt,  das  er  durch  seine  Meisterstuck 
bestehen  köndt  vnd  er  nicht  gewandert  hat,  auch  nicht 
wandern  wolt,  sol  er  dreilsigk  Thaler  vor  die  drey  Jar 
Inn  die  Lade  geben.  Do  er  aber  bey  einem  Meister  so 
lange  nicht  gefördert  werden  köndte,  mag  er  bey  einem 
andern  einsprechen  vnd  arbeit  suchen,  damit  er  die  Zeit 
erfülle.  Alfsdann  mag  er  sich  auf  den  tagk  des  Evan- 
gelist Lucae  bey  der  vorsamblung  angeljen  darauf  seinen 
geburts  vnd  Lehrbrief  vorlegen.  Wenn  dieselben  richtig 
befunden,  soll  man  Ime,  wie  unterschiedtlich  auf's  Mahlen 


•*)  Die  sog.  Mut-  oder  Sitz  jähre. 


268  Karl  Berling: 

vucl  Bildtliawen  geordnet,  das  Meisterstück  Inn  eines 
Meisters  hauls,  Jedoch  ohne  defs  Meister  Unterricht,  be- 
furderung  vnd  fui'schub,  das  hiemit  gänzlich  verholten 
sein  vnd  gestrafft  werden  soll,  Inn  einem  halben  Jare 
aufs  best  vnd  künstlichs  vorfertigen  und  machen  lassen." 
"Was  nun  die  Meisterstücke  selbst  anlangt,  so  waren 
hierbei  natürlich  diejenigen  der  Maler  von  denen  der 
Bildhauer  getrennt,  eine  weitere  Spezialisierung  fand 
indessen  nicht  statt.  Hierdurch  unterscheidet  sich  aber 
die  Dresdner  Ordnung  —  und  nicht  gerade  zu  ihrem 
Vorteile  —  von  anderen,  z.  B.  von  der  Nürnberger  Ord- 
nung, denn  letztere  bestimmte  für  den  Maler,  dafs  er 
„aufs  fleifsigste  ein  Stück  mache ,  es  sei  von  Figuren, 
Bildern,  Landschaften  oder  worinnen  einer  am  meisten 
geübt  ist  oder  worinnen  er  sich  am  besten  für  einen 
Meister  zu  bestehen  getraut" ').  Hier  war  also  voll- 
kommen freie  Wahl  des  zu  malenden  Gegenstandes  ge- 
lassen.    Die  Dresdner  Ordnung  bestimmte  indessen: 

„Der  Mahler  Meisterstuck  sol  sein.  Voun  Ölfarben  zwo  Tafeln. 
Ein  Jede  zwo  Ellen  hoch  vnd  anderthalb  Ein  breit. 

Auf  die  Erste. 

Die  Vbertretung  unserer  Ersten  Eltern  Adam  vnd  Ewa  mit 
einer  Landtschafft  vnd  Mancherley  Thieren. 

Auf  die  andere. 

Die  geburth  Christi  mit  einem  rechten  perspectivischen  gebende, 
aufs  der  rechten  Architectur  gezogen  mit  einem  Leistlein  oder  Car- 
nis  darumb  von  pronirtera  golde  verguldet,  Alles  beydes  von  Oel- 
farben,  aufs  freyem  Sinne,  sondere  einige  Kupferstiche  oder  Kunst- 
stücke. 

Zum  dritten. 

Ein  gut  Laubwergk,  graw  Inn  graw  oder  zu  was  färben  einer 
Lust  hat  von  Oel  oder  Wasserfarben*). 

Meisterstück  der  Bildenhawer  vnd  Schnitzer. 

Erstlich. 

Ein  Crucifix  anderthalb  Ellen  hoch,  das  es  frey  vnd  ledig  stehe. 
Aufs  Stein  oder  Holz. 

Zum  andern. 

Die  Historia  vonn  der  Aufsfurung  zur  Creuzigung  vnsers  lieben 
Herrn  Jesu  Christi  mit  einem  gedrenge  sambt  einem  gepewdt  vnd 
Landschafft  von  Holz  oder  Stein,  ein  eile  hoch  vnd  zwo  eilen  breit. 


')  Zeitschrift  für  Kunst  und  Gewerbe  (1878)  S.  217. 

*)  Die  aus  dem  Jahre  1577  stammende  Leipziger  Malerordnung 
schreibt  die  gleichen  Meisterstücke  vor.  G.  Wustmann,  Beitrag  zur 
Geschichte  der  Malerei  in  Leipzig  S.  68. 


Die  Dresdner  Malerimumg.  269 

Zum  dritten. 
Einen  Vorlauberten  corinthischen  friei<eu  durchsichtig  gehawen 
oder  geschnitzt,  2  eilen  langk. 

Zum  vierten. 
Ein  Muster  zu  einem  Epitaphium  samht  dem  Bildtwergk  nach 
Corrintischer  Aith  vnnd  neher  Austheilung  auf  ein  pappier  gerissen 
einer  eilen  hoch." 

Waren  diese  verschiedenen  Arbeiten  von  der  aus 
einigen  Meistern  und  Abgeordneten  des  Rates  bestehen- 
den Prüfungskommission  gebilligt  worden,  so  wurde,  der 
Verfertiger  der  Innung  als  Meister  vorgestellt  und  von 
derselben  als  solcher  bestätigt.  Nachdem  sich  dann  noch 
der  jmige  Meister  das  Bürgerrecht  der  Stadt  erworben 
hatte,  durfte  er  endlich  eine  eigene  Werkstatt  aufthun 
und  nunmehr   selbständig   die    erlernte  Kunst  betreiben. 

„Da  aber  Jemand",  so  heifst  es  in  dem  4.  Artikel  weiter, 
„alhier  zu  Drefsden  vnd  Inn  andern  Eines  Erbarn  Eaths  gebieten 
zu  Meistern  sich  vnterstunde,  eher  denn  er  obgemelter  Ordentlicher 
weise  zu  einem  Meister  bestettigt  worden,  der  sol  zehen  gülden  halb 
einem  Erbarn  E,ath  vnd  die  andere  Helote  der  vorsamblung  beyder 
Kunstler  zur  straf  verfallen  sein.  Und  sol  der  M eiste rschatft  ab- 
stehen. 

Viel  weniger  sol  dem  Jenigen,  der  diese  beyde  Künste  beyder 
des  Mahlenfs  vnd  Bildenhawens  nicht  Redtlich  erlernt  noch  Meister- 
recht alhier  gewonnen,  heimbliche  Pfuscherey,  den  andern  Meistern 
zu  schaden  gestattet  werden.  Sondern  Jederzeit  auf  ansuchen  der 
gerichte  zu  gefanguufs  gebracht  vnd  willkhürlich  gestrafft  werden. 

Wenn  auch  fremder  Conterfector  alhier  arbeiten  wollen,  sollen 
sie  nicht  gelitten  werden,  sie  weren  denn  künstlicher  denn  die 
Meister  alhier,  welches  von  Einem  Erbarn  Eath  nelien  andern  Künst- 
lern soll  erkendt  werden." 

Dies  letztere  war  nun  zwar  eine  Einschränkung,  die 
man  zu  Gunsten  einiger  auswärtiger,  am  kurfürstlichen 
Hofe  beschäftigter  Maler  wohl  hatte  machen  müssen,  die 
aber  durch  ihren  Wortlaut  so  dehnbar  ist,  dals  damit  der 
eigentliche  Zweck,  den  die  Aufrichtung  der  Ininmg  ge- 
habt hatte,  kaum  getroffen  werden  konnte. 

Die  Spitze  der  Iimungsordnung  richtete  sich  also  — 
wie  oben  bereits  betont  —  gegen  den  Andrang  der 
fremden  Künstler,  aber  nicht  diese,  sondern  vielmehr 
zwei  einheimische  Maler,  Zacharias  Wehme  und  Cyriacus 
Eöder-'),  waren  es,  welche  sich  zuerst  derselben  wider- 
setzten, die  aber  gerade  dadurch,  dals  sie  freie  Künstler 
sein  imd  sich  als  solche  dem  Zunftzwange  nicht  unter- 
ordnen wollten,  uns  für  sich  einnehmen. 


")  Über  das  Leben  und  die  Kunsttliätigkeit  lieider  siehe  Anhang. 


270  Karl  Berliiig-. 

Vom  Jahre  1585  an  waren  Welime  und  Röder  wieder- 
holt aufgefordert  worden,  sich  der  Meisterprüfung  zu 
unterziehen,  aber,  obwohl  man  ihnen  hierbei  Erleich- 
terungen zugestehen  wollte^"'),  wuIsten  sie  doch  immer 
wieder  den  Termin  von  einem  Jahi-  zum  andern  zu  ver- 
schieben ,  bis  sie  endlich  im  Jahre  1593  erklärten ,  sie 
hielten  sich  überhaupt  nicht  für  verpflichtet,  der  Innung 
beizutreten.  Da  rils  denn  auch  den  zünftigen  Künstlern 
endlich  die  Geduld !  Was  sie  auf  gütlichem  Wege  nicht 
hatten  erreichen  können,  suchten  sie  nunmehr  zu  er- 
zwingen. 

Der  Rat  der  Stadt  Dresden ,  der  durch  die  Be- 
stätigung der  Innungsordnung  gewissermalsen  für  richtige 
Handhabung  derselben  die  Verpflichtung  übernommen 
hatte,  mulste  jetzt  in  die  Schranken  treten.  Er  forderte 
denn  auch  aufs  eindringlichste  die  beiden  widerspenstigen 
Maler  auf,  sich  endlich  der  Meisterprüfung  zu  unter- 
ziehen. Diese  wandten  sich  aber  an  den  Kuradministrator, 
Herzog  Friedrich  Wilhelm,  der  damals  für  Christian  II. 
die  Regierung  leitete,  und  baten,  sie  vor  diesem  un- 
berechtigten Zwange  zu  schützen.  Nachdem  dann  auf 
Wunsch  des  Kuradministrators  der  Rat  einen  allerdings 
vergeblichen  Versuch  gemacht  hatte,  beide  Parteien  zu 
versöhnen,  sandten  letztere  noch  einmal  weitläuftige  An- 
klage bez.  Verteidigungsschriften  ein"). 

Die  Hauptfrage,  ob  die  Malerei  in  Dresden  zünftig 
sei  oder  nicht,  wird  hierbei  freilich  für  und  wider,  weit- 
läufig, mit  dem  ganzen  gelehrten  Wortschwall  der  da- 
maligen Zeit  behandelt,  die  eigentliche  Streitsache  spitzte 
sich  indessen  auf  eine  andere  Frage  zu. 

Da  Wehme  und  Röder  zu  den  verschiedensten  Malen 
schriftlich  und  mündlich  der  Innung  ihre  Bereitwilligkeit 
zum  Beitritt  erklärt  hatten,  war  es  das  Einfachste,  von 
jeder  prinzipiellen  Frage  abzusehen  und  sie  bei  ihrem 
Worte  zu  fassen.  Das  war  natürlich  für  die  beiden  ein 
heikler  Punkt!  Die  Zusagen,  die  teilweise  schriftlich 
gegeben  waren,  konnten  sie  nicht  ableugnen.  So  ver- 
suchten sie  es  denn,  sich  auf  irgend  eine  Weise  heraus- 
zureden, Sie  hätten  nämlich,  so  glauben  sie  sich  recht- 
fertigen zu  können,  damals,  als   diese  Zusagen  gemacht 


^'*)  Es  sollte  ihnen  gestattet  sein,  die  Meisterstücke  in  ihren 
eigenen  Werkstätten  anzufertigen. 

")  Der  grölste  Teil  der  hierauf  bezüglichen  Schriften  ist  im 
Hauptstaatsarchiv,  Act.  Eöder  und  Wehme,  Loc.  8747  enthalten. 


Die  Dresdner  Maleriimung.  271 

wurden,  uocli  nicht  gewulst,    wie    es    eigentlich   um  die 

Innung  bestellt  sei.     Jetzt   indessen,    wo    man  sie   über 

die  wahren  Verhältnisse  aufgeklärt  hätte,  hielten  sie  sich 

als  Künstler  für  zu  gut,  einer  Gemeinschaft  beizutreten, 

in   der  die  grölsten  Ungehörigkeiten  vorgekommen  seien. 

Als  solche  werfen  sie  nun  der  Innung  vor: 

1.    Dals  die  Künstler  dieselbe  nur  aus  dem  unlauteren 

Grunde  aufgerichtet  hätten,  damit  keine   fremden  Maler 

und   Bildhauer    am    kurfürstlichen    Hofe    Beschäftigung 

fänden,    die   zünftigen  Meister   vielmehr  allen  Verdienst 

allein  hätten,  ein  Grund,    den  ich  auch  bereits   oben  als 

einen   solchen    bezeichnet   habe.     Hiergegen  verteidigen 

sich  nun  die  Innungsmeister  mit  folgenden  Worten:    (Sie 

haben  nicht  ihren  eigenen  Nutzen  allein  gesucht) 

„Sondern  ist  notorium  Stadt  vnd  Landtkundtbar,  das  auch  damals 
die  welschen  Mahler,  so  hier  wohnhaft,  sich  drein  begeben  vnd  sie 
für  billich  erkant  damit  Ordnung  gehalten  vnd  nicht  ein  ieder  klecker 
vnd  marmorirer  sich  für  einen  Mahler  ausgehen,  besudeln  mahlen 
heifsen,  dadurch  alier  die  Edle  Kunst  zu  sumpff  vnd  in  veracht  ge- 
bracht wurde,  Die  dardurch  allein  erhalten  wurdet,  Wan  man  die 
von  redlichen  Meistern  vnd  nicht  von  Pfuschern  lernet,  die  bey  red- 
lichen Meistern  vbt,  gebrauchet  vnd  das  er  sie  recht  kau  von  einer 
ehrlichen  erfarnen  Zunft  Zum  Bleister  gemacht  vnd  von  denen  das 
Zeugnifs  erlanget." 

2.  ist,  so  l)ehaupten  Wehme  und  Röder,  die  Dresd- 
ner Ordnung  gar  nicht  von  der  hohen  Obrigkeit  „con- 
firnüert"  worden.  Der  Rat  hatte  zwar,  wie  ich  bereits 
erwähnte,  diese  Ordnung  anerkannt,  eine  kurfürstliche 
Bestätigung  war  aber  nicht  zu  erlangen  gewesen  oder 
nicht  für  nötig  befunden  worden^"-).  Die  Zünftler  meinen 
nun,  in  dieser  Angelegenheit  ist  die  hohe  Obrigkeit  der 
Eat  der  Stadt,  während  die  Angeklagten  nur  den  Kur- 
fürsten selbst  als  solche  anerkennen  wollen.  Diese  Rechts- 
frage hier  zu  entscheiden,  kann  natürlich  nicht  meine 
Sache  sein.  Jedenfalls  war  es  für  die  Innung,  besonders 
bei  der  geringen  Macht,  welche  damals  die  städtische 
Verwaltung  besals,  äulserst  ungünstig,  dals  ihr  die  kur- 
fürstliche Bestätigung  fehlte.  Mmu  hatte  ja,  als  höchster 
Instanz,  dem  Kuradministrator  die  Entscheidung  anheim- 


le) Beides  wird  behauptet.  Wehme  und  Köder  schreiben:  „Vnd 
da  es  gleich  einsinals  bey  Churf.  Augusto  hochl.  ged.  von  den  Mali- 
lern gesuchet  Es  ihnen  dennoch  von  höchst  ged.  .).  Churf.  U.  ab- 
geschlagen Vnd  ein  solcher  besclieidt  gegeben  worden,  defsen  sich 
die  Mahler  ))is  dahoro  noch  nicht  Kumen  vnd  verlauten  lafsen  durffen". 
Die  Kläger  bestreiten  dies. 


272  Karl  Berling: 

geben  müssen,  der  aber  hatte,  durch  keine  früheren  Ver- 
pflichtungen gebunden,  vollkommene  Freiheit,  nach  eige- 
nem Gutdünken  zu  entscheiden; 

3.  endlich  —  um  nur  die  wesentlichsten  Punkte 
hier  herauszuheben  —  hätten  die  Kläger  selbst  die 
eigenen  Gesetze  nicht  immer  strenge  gehalten.  Erstlich 
liätten  die  Begründer  der  Innung  niemals  die  geforderten 
Meisterstücke  angefertigt,  dann  sei  es  aber  später  mehr- 
fach vorgekommen,  dals  Leute,  die  Meisterstücke  zu 
machen  überhaupt  gar  nicht  im  stände  gewesen  wären, 
doch,  nachdem  sie  5  bis  6  fl.  oder  auch  nur  eine  geringe 
Mahlzeit  bezahlt  hätten,  als  Meister  aufgenommen  seien. 
Auf  diese  Weise  wären  auch  wohl  „Maurer  und  andere 
schlechte  Kerll"  in  die  Innung  gekommen,  und  man  könne 
nicht  von  ihnen  verlangen,  sich  mit  diesen  in  die  gleiche 
Reihe  zu  stellen. 

Der  Kuradministrator  entschied  nunmelu'  die  Haupt- 
frage zu  gunsten  der  Angeklagten.  Er  überwies  zwar 
die  Angelegenheit  noch  einmal  an  den  Eat,  indessen  nur, 
damit  dieser  Wehme  und  Köder  vernehme,  wie  es  sich 
mit  ihren  gemachten  Zusagen  verhalte.  Dabei  erklärte 
er  aber  ausdrücklich,  dals  seines  Er  achtens  nach 
das  Malen  und  Conterfeyen  eine  freie  Kunst 
und  kein  Handwerk  sei,  und  deshalb  die  An- 
geklagten nicht  gezwungen  werden  könnten,  in 
die  Dresdner  Innung  einzutreten. 

Durch  diesen  kurfürstlichen  Entscheid  kam  aber 
natürlich  der  Rat  in  die  gröfste  Verlegenheit,  denn  nun- 
mehr zeigte  es  sich,  dals  er  mit  Bestätigung  der  Innung 
eine  Verpflichtung  übernommen  hatte,  der  er  nicht  ge- 
wachsen war.  Unschlüssig,  was  er  thun  sollte,  suchte 
er  die  Sache  in  die  Länge  zu  ziehen.  Das  lielsen  sich 
aber  die  beiden  Angeklagten,  die  durch  den  für  sie 
günstigen  Bescheid  des  Kuradministrators  Mut  bekommen 
hatten,  nicht  gefallen,  sondern  wandten  sich  mit  ihrer 
Angelegenheit  an  das  Hofgericht  zu  Wittenberg,  dem 
sie  die  sämtlichen  Anklage-  und  Verteidigungsschriften 
einsandten. 

Leider  ist  uns  das  in  Wittenberg  gefällte  Urteil 
selbst  nicht  mehr  erhalten,  dals  dasselbe  aber  in  einem 
Wehme  und  Röder  günstigen  Sinne  ausgefallen  sein  mufs, 
geht  aus  einem  vom  4.  Juli  159-4  datierten,  an  den  Kur- 
administrator gerichteten  Briefe  hervor.  In  demselben 
baten  die  beiden  Maler,  sie  bei  diesem  Urteil  (das  sie  in 


Die  Dresdner  Maleriiiimng.  273 

Abschrift  beigelegt  hatten)  zu  schützen,  die  zünftigen 
Maler  abzuweisen  und  zu  veranlassen,  dals  sie  ihnen  die 
gehabten  Unkosten  ersetzen. 

Für  die  Zunft  der  Künstler  zu  Dresden  bedeutete 
nun  dieser  Ausfall  der  Angelegenheit  mehr  als  eine  ein- 
malige Niederlage,  er  entschied  vielmehr  über  ihre  ganze 
Existenz.  Denn  da  der  Rat  nicht  die  Macht,  der  Kur- 
administrator aus  prinzipiellen  Gründen  nicht  die  Absicht 
hatte,  ihre  Gesetze  zu  beschützen,  ein  Z^Yang  also  nicht 
mehr  ausgeübt  werden  konnte,  so  verlor  die  Innung  mehr 
und  mehr  an  Geltung  und  geriet  bald  —  wenigstens  für 
eine  Zeit  lang  —  in  Vergessenheit.  Erst  im  Jahre  1620 
wurde  dieselbe  wieder  lebensfähig,  und  zwar  dadurch, 
daft  der  Kurfürst  Johann  Georg  I.  auf  Ansuchen  der 
Maler  Andreas  und  Heinrich  (der  Jüngere)  Göding^"), 
Geoi'g  Dürr,  Hans  Schmidt  und  Zacharias  Wagner  den 
Dresdner  Malern  eine  neue  Innungsordnung  bestätigtet^). 
Den  Malern  allein!  Denn  diese  hatten  sich  von  den 
Bildhauern  getrennt.  Letztere  suchten  auch  nach  1626 
(genau  lälst  sich  das  Jahr  nicht  angeben)  die  Bestätigung 
ihrer  Innung  zu  erlangen  ^•^). 

Im  grolsen  ganzen  stimmen  nun  die  Artikel  von  1620 
mit  denen  von  1574  überein.  Die  geringen  Unterschiede 
aber,  die  zwischen  beiden  obwalten,  haben  lediglich  ihren 
Grund  in  dem  allmählich  stärker  werdenden  Betonen 
dessen,  was  die  eigentliche  Veranlassung  zur  xlufrichtung 
der  Innung  gegeben  hatte.  So  wurden  in  der  neuen 
Ordnung  nicht  mehr  allein  den  Söhnen  von  Malern,  son- 
dern auch  denen  von  eingeborenen  Dresdnern  Erleich- 
terungen zugestanden.  Dieselben  brauchten  weniger  Jahre 
zu  lernen,  zu  wandern,  zu  muten  und  auch  zu  bezahlen. 
Überdies  wurde  eine  Beschränkung  anderer  Handwerker 
dadurch  erreicht,  dafs  man  dem  alten  Artikel  5,  der  von 


1^)  Sölme  Heinrich  Göding"  dos  Älteren. 

")  Katsarchiv  C.  XXIV,  215  r.  Aul'ser  den  genannten  5  Avaren, 
wie  aus  einer  uns  (ebenda)  erhaltenen  schriftlichen  Vorladung  vor 
den  Rat  (den  9.  März  1620)  hervorgeht,  noch  folgende  Maler  iu 
Dresden:  Daniel  Brettschueider  der  Ältere,  Peter  de  Brück,  Jere- 
mias  Voigt,  Hans  Enderler,  Hans  Vfer,  Egidien  Löbenich,  Hans 
Panitz,  Gorg  Schmidt,  Hans  Schwarz,  Jonas  Schneeweifs,  Christian 
Spindelnieyer  („kan  Leibesschwadilirit  luilben  nicht  erscheinen"), 
Christof  Boyen,  Hans  Boyen ,  Micliael  Stunn,  Georg  Schmidt,  Paul 
Conrad,  Christof  Herman,  Abraham  von  Dohlen,  Balthasar  Böhm, 
Heinricli  Pesclieln. 

^■')  Hauptstaatsarchiv,   Allerhand  A'ortragen  Loc.  7333  Bl.  300. 

Neues  Archiv  f.  S.  (!.  u.  A.    XI.  3.  i.  18 


274  Karl  Berliiig: 

der  gegenseitigen  Konknrrenz  handelte,  folgenden  Wort- 
laut hinzufügte: 

„Demnach  auch  biefsanhero  die  Tischler,  Maurer  vnd  Ziegel- 
decker  sich  unterstanden,  Tisch,  Bencke,  Kasten,  Schrencke,  Fenster- 
Rahmen,  Thieren,  Fenster  Lähden,  E^-serne  Gütter,  Stacket  vnd  der- 
gleichen mit  Ühlfarben  vnd  sonsten  anzustreichen,  Ja  wohl  gantze 
Häuser  aus-  vnd  inwendig  Zudingen,  durch  patroniren  gantze  Stuben 
vnd  Gemächer  von  allerlej'  färben  zu  mahlen,  auch  wohl  biesweiln 
daran  zuuorgulden.  Solches  alles  aber  nicht  zu  ihrem  Handwergk 
gehörigk.  So  sollen  Sie  sich  hinführo  alles  defsen  vnd  in  Summa 
was  der  Mahlerkunst  gemes  vnd  Zugehörigk  gentzlichen  enthaltten 
vnd  ihnen  solches  bey  Stralf  Zehen  gülden  —  verboten  sein"  ^"). 

Natürlich  ging  die  Einführung  dieser  Mafsregel  nicht 
völlig  glatt  von  statten.  Mehrfach  mulsten  die  Maler 
über  andere  Handwerker  Klage  führen,  bis  endlich  die 
Tischler  vor  dem  Eat  erklären,  dals  sie  in  Zukunft  nur 
firnissen,  die  Maurer,  dafs  sie  nur  Stemfarbe  auf  die 
Tünche  bringen  wollen  ^'). 

Dals  sich  aber  auch  jetzt  noch  in  Malerkreisen  ver- 
einzelt Gegner  der  Innung  fanden,  dafür  möge  als  Be- 
weis der  Umstand  dienen,  dafs  1623  der  Maler  Hans 
Christoff  Koller  angeklagt  wurde,  er  habe  beim  Trünke 
einem  anderen  Maler  (Daniel  Bretschneider)  gegenüber 
geäulsert,  er  für  seine  Person  huste  auf  die  Maler- 
Innimg,  deren  Mitglieder  alle  „Schmierer  und  Schmal- 
gerer"  wären  ^'^). 

Nunmehr  scheint  aber  die  Innung,  in  ruhiges  Fahr- 
wasser geleitet,  unter  kurfürstlichem  Schutz  friedlich 
dahingegleitet  zu  sein;  wenigstens  macht  ein  gänzliches 
Fehlen  von  das  G-egenteil  beweisenden  Aktenstücken 
diese  Annahme  wahrscheinlich. 

Leider  ist  es  mir  nicht  möglich  gewesen,  nach- 
zuweisen, wie  lange  die  Dresdner  Malerinnung  bestanden 
habe ;  nur  soviel  steht  fest ,  wie  ich  zum  Schlüsse  noch 
hinzufügen  möchte,  dais  es  im  Jahre  1752  noch  in  Dresden 
zünftige  Maler  gegeben  hat,  denn  dies 'geht  aus  einem 
aus  dem  genannten  Jahre  datierten  Aktenstücke^^)  und 
zwar  dem  jüngsten,  das  ich  über  diese  Angelegenheit 
gefunden  habe,  hervor. 


lö)  Dresdner  Ratsarchiv  C.  XXIV,  215 >•  Bl.  18i'f.. 
1')  Ebenda  C.  XXIV,  215  s  Bl.  2  ff. 
18)  Ebenda  Bl.  6. 
lö)  Ebenda  Bl.  23  ff. 


Anhang. 


Zacliarias  Welime'-'^)  wurde  um  das  Jahr  1558 
als  Solin  des  kursäclisischen  Hoftisclilers  und  Büclisen- 
macliers  Hans  Welime  zu  Dresden  geboren.  Als  sein 
Vater  im  Jahre  1571  gestorben  war  und  seine  Familie 
in  dürftigen  Verhältnissen  zurückgelassen  hatte,  bat  sein 
Vormund  den  Kurfürsten  August,  ihn,  der  schon  früh 
Lust  und  Anlage  zum  Malen  gezeigt  hatte,  zu  dem  Hof- 
maler Heinrich  Göding  dem  Älteren  in  die  Lehre  zu 
geben.  Da  aber  Göding  zu  damaliger  Zeit  in  seiner 
Werkstatt  keinen  Platz  hatte,  so  schickte  der  Kurfürst 
den  jungen  Wehme  nach  Wittenberg,  damit  ihn  Lukas 
Cranach  der  Jüngere  zu  einem  tüchtigen  Maler  heran- 
bilde ■-\). 

Zehn  volle  Jahre  istAVehme  bei  Cranach  geblieben, 
dann  aber,  also  im  Jahre  1581,  ohne,  wie  üblich,  in  an- 
deren AVerkstätten  gearbeitet  zu  haben  (es  wird  ihm 
dies  später  zum  Vorwurf  gemacht),  nach  Dresden  zurück- 
gekehrt und  in  den  kurfürstlichen  Dienst  getreten.  Frei- 
lich erhielt  er  hier  nicht  sogleich  eine  rechtmälsige  Be- 
stallung. Dazu  Avar  der  Kurfürst  zu  vorsichtig;  er 
mufste  erst  Gelegenheit  gefunden  haben,  die  Leistungen 
des  Malers  kennen  und  schätzen  zu  lernen,  ehe  er  ihn 
dauernd  an  sich  fesselte.  So  erhielt  denn  Wehme  in 
dieser  ersten  Zeit  seiner  selbständigen  Thätigkeit  auf 
Widerruf  wöchentlich  einen  Gulden  Kostgeld  ausbezahlt--). 
ein  Provisorium  zwar,  das  indessen  aulserordentlich  lange 
gedauert  hat.  Denn  AVelime  hat  mit  seiner  Bestallung 
recht  viel  Unglück  gehabt.  AVir  sind  hierüber  durch 
zwei  an  seine  Beschützerin,  die  Kurfürstin  Sophie,  die 
Mutter  Christian  IL,  gerichtete,  vom  September  1592--') 


20 


)  Über  ihn  siehe  ai;cli:  A.  Andiesen,  Der  Deutsche  Peintre 
Graveui-  III,  334  ff.,  Chr.  S  (•hiuharflt  in  Naumanns  Archiv  für 
zeichnende  Künste  I,  101  ff.  und  Th.  Distel  in  Kunstdironik  1884, 
Sp.  197ff.  Das  meiste  ist  dem  im  Hauptstaatsarclüv  lictindlicliou 
Act.  Köder  und  Welime  Loc.  8747  entnommen,  die  üliriuen  Quellen 
sind  an  Ort  und  Stelle  annegehen. 

21)  Hauptstaatsarchiv  Kop.  3ß7  Bl.  29  und  Kop.  414  Bl.  60. 

22)  Ebenda  Kop.  4Wi  B1.277I'. 

23)  Ebenda  Chr.  Sachs.  Diener  Bestallung  1571—1600,  Loc.  4519 
Bl.  12  ff. 

18* 


276  ^ail  Berling: 

und  vom  Februar  1593-^)  datierte  Bittschriften  g'enauer 
unterrichtet.  AVehme  bat  nämlich  den  Kurfürsten  August, 
nachdem  er  ein  paar  Jalire  gewissermalsen  auf  Probe 
gearbeitet  hatte,  ihm  eine  reclitmäfsige  Anstellung,  die 
natürlich  mit  einer  bedeutenden  Gehaltserhöhung  ver- 
bunden war,  zu  verschaifen.  Der  Kurfürst  zeigte  sich 
hierzu  auch  nicht  gerade  abgeneigt,  nur  wollte  er  ein 
schriftliclies  Gesuch  von  selten  des  Malers  in  Händen 
haben.  Als  dieser  aber  ein  solches  Gesuch  einreichte, 
war  jener  bereits  auf  Moritzburg  von  der  Krankheit  be- 
fallen, der  er  bald  erliegen  sollte. 

Unter  Christian  I.  ist  es  dem  Künstler  nicht  viel 
besser  ergangen.  Erst  blieb  es  in  seiner  Angelegenheit 
beim  Alten,  und  als  er  sich  dann  besonders  durch  seine 
Malereien  am  Stallhofe,  wo  er  mit  mehreren  anderen 
Malern  tliätig  war-'^),  die  Zufriedenheit  seines  Herrn  er- 
worben zu  haben  glaubte,  starb  dieser  wiederum.  Es 
scheint  ihm  aber  auch  auf  die  erwähnten  Bittschriften 
hin  noch  nicht  gleich  sein  Wunsch  in  ErfüUung  gegangen 
zu  sein;  wenigstens  wird  er  in  den  von  mir  durch- 
gesehenen Akten-*^)  erst  vom  Jahre  1605  an  regelmälsig-') 
als  „Hofmaler"  erwähnt-^).  1605  —  das  wäre  also  nach 
24 jähriger  Thätigkeit  und  zwar  —  kurz  vor  seinem  Tode. 
Denn  Zacharias  Wehme  ist  in  der  Nacht  vom  5.  zum 
6,  Januar  des  Jahres  1606  zu  Dresden  plötzlich  ge- 
storben-";. Erwähnen  will  ich  noch,  dals  der  Künstler 
seit  1599  mit  Dorothea,  einer  Tochter  des  Zeugmeisters 
Paul  Buchner,  verheiratet  war'^°),  einer  Ehe,  der  ein 
Sohn,  Christian  mit  Namen,  entsprols.  Letzterer  ist, 
wie  sein  Vater,  auf  kurfürstliche  Kosten  als  Maler  er- 
zogen worden"^);  näheres  über  ihn  ist  indessen  nicht 
bekannt. 


2-t)  Ebenda  Kop.  587  Bl.  125  ff. 

25)  Ebenda  Chr.  Sachs.  Diener  Bestallung  1591—1600,  Loc.  4519 
Bl.  12ff. 

-")  Sein  Anstellungsdekret  war  vorläufig  nicht  aufzufinden. 

2')  Dafs  Wehme  schon  einmal  vereinzelt  im  September  1587 
Hofmaler  genannt  worden  ist  und  zwar  bei  dem  Befehl,  ihm  zu 
seiner  Hochzeit  ein  gemein  Ehrenkleid  zu  geben,  scheint  mir,  da  die 
erwähnten  Gesuche  um  Bestallung  später  gestellt  sind,  von  keiner 
Bedeutung.     Xop.  534  Bl.  267. 

28)  Hauptstaatsarchiv  Kamms.  1605  I.  Teil,  Loc.  7317  Bl.  214  ft". 

29)  Ebenda  Kgl.  etc.  Schreiben  1602  ff.,  Loc.  11408  Bl.  164. 

30)  Ebenda  Briefe,  Künstler  betr.  1604  —  1756,  Loc.  8575 
Bl.  43  und  79. 

31)  Ebenda  Kamms.  1607  1.  Teil,  Loc.  '318  Bl.  234. 


Die  Drestluer  Malerimrang.  277 

Was  nun  die  künstlerische  Tliätig-keit  des  Zacliarias 
Welime  anlangt,  so  wird  uns  berichtet,  dals  er  in  der 
ersten  Zeit  nach  seiner  Rückkehr  aus  Wittenberg  für 
den  Kurfürsten  Mappen ,  „Bibeln  und  andre  Bücher 
illuminieren"  mufste.  Eine  Probe  von  diesen  immerhin 
recht  bescheMenen  Arbeiten  vermag  das  jetzt  im  Besitze 
der  Königl.  Öffentlichen  Bibliothek'^-)  befindliche  „Türken- 
buch" zu  geben,  das  er  im  Jahre  1.581  nach  einem  dem 
kaiserl.  Kriegspräsidenten  Freiherrn  David  Ungnad  ge- 
hörigen Originale  kopiert  hat,  und  welches  zeigt,  dals 
der  Verfertiger  bei  einer  allerdings  hin  und  wieder  walu'- 
zunehmenden  Unbeholfenheit  mit  groisem  Fleifse  und  pein- 
licher Sorgfalt  verfahren  ist''-^). 

In  dies  Gebiet  gehört  auch  die  Thätigkeit,  welche 
ein  aus  dem  Jahre  1594  datiertes  Aktenstück  von  ihm 
erwähnt,  demzufolge  Wehme  nämlich  118  f.  18  g.  erhalten 
hat  „von  den  Wappen  auf  12  Trometter  fanen  und 
2  hertrumelfahnen  zu  mallen"  ^^). 

Ferner  hat  der  Maler  im  Jahre  1591  das  grofse 
kursächsische  Wappen ,  von  2  Löwen  als  Wappenhaltern 
getragen,  in  Wasserfarben  hergestellt,  ein  treffliches 
Werk,  das  sich  jetzt  im  letzten  Saale  des  Dresdner 
Kupferstichkabinetts  befindet ^•^). 

Auch  Wandmalereien  hat  er  verschiedentlich  aus- 
geführt. Seiner  Thätigkeit  am  Stallhofe  ist  oben  bereits 
Erwähnung  gethan.  Dann  leitete  er  die  Malerarbeiten 
am  Schlosse^  zu  Colditz'-*^)  und  war  mit  Göding  und 
Michael  Treutting  zusammen  bei  der  Erneuerung  der 
Malereien  am  Dresdner  Sclüosse  thätig-'').  Erwähnen 
will  ich  auch,  dafs  er  im  Jahre  1591  einmal  mit  Göding 
in  Konkurrenz  arbeitete.  Es  handelte  sich  hierbei  um 
eine  Farbenskizze,  nach  der  das  Dresdner  Moritzmonu- 


32)  Mansc.  .J2a. 

33)  AiTsfiihilieher  behandelt  von  Th.  Distel  a.  a.  0. 

3*)  Hanptstaatsarchiv  Kamms.  1594  Teil  IV,  Loc.  7301  Bl.  346. 
Gleichzeitig-  möae  liier  erwähnt  sein,  dafs  sich  Wehme  im  Besitze 
eines  farbigen  Wappenbuches  l)efunden  hat,  das  der  Kurfürst  1592 
geleg-entlich  der  Jienovieruiig-  der  NVappcn  am  Torgaucr  Schlosse 
von  ihm  entliehen  hat.    (F.  A.  Kopial  in  Kamms.  1592  Bl.  5761'.) 

3^)  132  cm  breit,  49  cm  hoch. 

30)  Hauptstaatsarchiv  Kop.  600  Bl.  182 1'  (1600). 

3')  Band  VIII  dieser  Zeitschrift  S.  335,  in  Anmerkung  146  die 
Quellenangabe.  Aufserdem  Kop.  600  Bl.  .50'",  Kop.  608  Bl.  4 1 .  Aller- 
hand etc.  1604/5,  Loc.  7333  Bl.  248. 


278  -Karl  Berling: 

ment  erneuert  werden  sollte  •^^).  Welime  gewann  und 
erhielt  die  Ausführung  übertragen  —  freilich  nicht  gerade 
zu  seinem  eigenen  Vorteile.  Da  nämlich  schon  nach  zwei 
Jahren  die  Farben  abblätterten,  wurde  ihm  von  seinen 
Gegnern  zu  den  verschiedensten  Malen  die  kurze  Dauer 
seines  Werkes  vorgeworfen  und  als  Beweis  dafür  an- 
gesehen, dals  er  nicht  genug  Erfahrungen  gesammelt  habe, 
um  dauerhafte  Farben  mischen  zu  können. 

Die  Akten  melden  ferner,  dals  auch  eine  Anzahl 
von  Jagdstücken,  Szenen  aus  der  biblischen  Geschichte 
und  Landschaften  seiner  Hand  entstammen,  und  es  lälst 
sich  wohl  annehmen,  dals  er  sich  mit  denselben  auf  der 
Höhe  der  damaligen  Kunst,  was  ja  freilich  nicht  gerade 
allzuviel  sagen  will,  gehalten  habe.  Auf  einem  Gebiete 
kann  er  indessen  sicher  den  besten  seiner  Zeit  gleich- 
gestellt werden,  wenn  er  nicht  sogar  hierin  in  Dresden 
alle  Zeitgenossen  überragte,   das   ist  die  Porträtmalerei. 

Wie  grols  die  Anzahl  der  von  ihm  gefertigten  Porträte 
gewesen  ist,  dafür  möge  als  Beweis  der  Umstand  dienen, 
dafs  im  Jahre  1608  von  seinen  Erben  der  Kunstkammer 
grofse  und  kleine,  fertige  und  unfertige  Porträte,  zusammen 
nicht  weniger  als  54  Stück,  übergeben  worden  sind-^''). 


38)  Th.  Distel  in  der  Zeitschrift  für  Museologie  etc.  1883 
S.  123  und  in  dieser  Zeitschrift  VIII,  327  f. 

"»)  Hauptstaatsarchiv,  Einnahme  etc.  1608,  Loc.  7207  Bl.  Iff. 
„Einnahme  an  Contrafecten  und  Gemeiden,  so  von  Zacharias  Wehmeus 
geweseneu  Hoffmahlers  Erben  übergeben  vnd  in  die  Kuust-Cammer 
gesetzt  worden.     Anno  1608. 

1  Contrafect  Churfürst  Christiani  defs  Andern  Zu  Sachfsen 
&  Lehensgröfse  inn  einem  rotten  mit  gokle  gestickteun  Kleide,  so 
nicht  aufsgemachtt,  vff  einem  Blindrahmen:    Lit.  A. 

1  Contrafectisch  Brnstbildt  Churfürst  Christiani  2  iuu  einem 
Kürifs  vund  rotenn  feldtzeichen  vnaufsgemacht:    B. 

1  dgl.  in  einem  roten  Kleide,  schwarzen  Mantell  mit  silbern 
Schnüren  vnaufsgemachtt:    C. 

1  dgl.  in  cinn  roten  Kleide  mitt  blauenn  Schnüren:    I). 

4  Brustbilder  in  Kürifsenn  mit  gelbenn  Feldtzeichen  ohne  ge- 
siebt:   E. 

7  Contrafect  Churfürst  Christiani  des  andern  Gemahls  frawen 
Hedwig,  geliorn  aufsm  Königlichem  Stam  Zu  Dennemark,  so  auch 
vnaufsgemacht:    F. 

2  Kleine  vnaufsgemachte  fürstliche  Contrafect :    G. 

1  Contrafectisch  Angesicht  Hertzog  Virichs  aufs  Holstein:    H. 

1  Contrafect  Friedrich  Wilhelms  Hertzogen  vnnd  der  Chur 
Sachfsenn  Administratorn  Lehensgröfse  inn  einem  Kürifs  vnndt  Leib- 
farbenn  feldtzeichenn  vffn  Blindrahmeu:    I. 

1  Cont]-afectisch  Brustl)ildt  freivlein  Hedwig  geborn  aufsm 
Königlichen  Stamm  Dennemark  in  Rahmen  eingefast:    K. 


Die  Dresdner  Maleriunmig.  279 

2  Coutrafect  Marggraff  Joliaii  Georgens  Cliurfürstens  Zu 
Brandeiiljurgk  vnd  S.  Chnrf.  gn.  Gemahls,  Brustbilder  inn  einer  zu- 
sammen gelegtenn  Tatteil:    L. 

3  Coutrafect  Churfürst  Augusti  eines  Lebensgröfse,  die  andern 
Zwey  Brustbilder  vnaufsgemachtt:    M. 

1  Tuch  darautt'  Churfürst  Augusti  vnnd  seines  gemahls  Coutra- 
fect lebendigk  vnnd  todt:    N. 

3  Coutf.  Curfürst  Augusti  Gemahls  eines  Lebensgi'öfse ,  vnnd 
die  andern  zwey  Brustbilder  vnaulsgemachtt:    O. 

2  Contf.  Marggrafeu  Johann  Georgen  Churfürstens  Zu  Brandeu- 
burgk,  grofs  vnnd  klein  inn  einem  schwarzem  Sammteun  Pelze  mit 
güldenenn  Schnüren  vnnd  (Quasten  vnaufsgemachtt:   P. 

4  Contraf.  Churfürst  Christiani  defs  Erstn  lebendig  vnnd  todt 
vnaufsgemachtt:    Q. 

2  Tücher,  darautt'  die  Churfstl.  Sachs.  Wittwe,  Frau  Sophia 
gebr.  Marggrättn  Zu  Brandbg.  vnaufsgemachtt:  R. 

1  Grofs  zugericht  Tuch,  darautt  Churfürst  Christian  I.  zu 
Sachfsen  vnd  S.  Churf.  gn.  gemahls,  Lebensgröfse  bezeichnt  mit:  S. 

2  Kleine  Contf.  Chrf.  Augusti  Darunter  das  eine  nicht  aufs- 
gemacht:   T. 

5  Kleine  Contf.  Chrf  Christ.  I.  lebendig  u.  todt:  V. 
1  Contf.  des  Königs  inn  Frankreich  lebensgröfse:  X. 
1  Contf.  d.  Königs  in  Dennemark:   Y. 

3  Contf.  Hertzog  Christiani  des  Andern  zu  Sachlseu,  3  Contf. 
Hertzog  Augusti  zu  Sachfsen,  1  Contf.  defs  Hern  Administratoris  der 
Chiu-  Sachfs.  &  Gemahls,  sindt  signirt  mit :    Z. 

1  Grofs  gemeide  wie  der  Herr  Christus  vonn  Creutze  ge- 
nommen:   No.  4. 

1  Klein  eingefast  Tättlein  wie  Maria  den  gecreutzigten  Herrn 
Christum  inn  den  Schofs  liegen  hatt:    No.  6... 

4  Gemahlete   Kleine    Hirschlein    von    Öhlfarben:   No.  10. 

27  Allerley  Contrafectische  Vogell,  todt  vnd  lebendigk,  so  mit 
truckenenn  farbenn  autt'  alt  Pappier  gemalet  sein:   No.  11." 

ebd.  Blatt  19  ö'.  „1  Eingefaste  Tatt'ell,  darautt  die  Historia  wie 
Judith  bey  Nachtein  Betulien  eingelassenn,  als  die  dem  Holoferno  den 
Kopf  abgehauen  gemahlet :    No.  IL 

1  Einfst.  Tatt'ell  darautt'  die  Historia  defs  Herrn  Christi,  Avie 
er  am  Ölberg  gebetet,    gemahlet:    No.  IIL 

6  grofse  Tuche,  darautt  allerley  Landschaffte  vnd  Jagtenn  gc- 
mahlet  von  Wasserfarbenn :    No.  Vit. 

1  Tuch,  darautt'  die  Biblische  Histoi-ia  von  Ühlfarlienn:  No.  IX. 

1  Contf.  Hertzoge  Friedrich  Wilhelms  der  Chur  Sachfsen  ge- 
wesen Administratoris  Lebensgröfse  in  einem  Kürifs  vnd  Leibfarbeu 
feldtzeichen  vffm  Bliiulrahmcn  mitt  Lit. :    I. 

I  Diese  obige  gezeichnete  stück  hatt  die  Churfürstin  Zu  SachfseiTj 

_Meine  gnedigste  Frau  Anno  lfi08  u.  1610  «ibholen  lassen.  _J 

2  Eingefaste  Gemeide  eines  die  Historia  Avie  Daniel  inn  die 
Lewengrube  geAvortt'en  worden.  Das  ander  vonn  Weidewergk  mit  den 
falgkenn:    No._y. 

9  Vonn  Öhlfarljenn  gemalte  Landschaften  darunter  eines  autt" 
Pergament  gemalett  worden:    No.  VIII.  _ 

Diese  11  Stück  sind  autt'  Cliurf.  bcfehl  Lmlwig  Willi.  Mosern 
Cammersecretaris  den  6  May  Anno  1608.  gefolget  wordenn. 

1  Conterf.  hatt  die  Churfürstin  Zu  Saclifsen  Meine  gnedigste 
Frau  am  Pfingsten  1610  bekommen  signirt  mit  lit:    A." 


280  Karl  Beiiing: 

Ein  vortreffliches  Beispiel  dieser  Tliätigkeit  Welimes 
ist  das  Bildnis  des  Kuradministrators  Herzog  Friedrich 
AVilhelm  von  1597,  das  sich  im  Koselturm  auf  der  Feste 
Stolpen  befindet '^°);  das  bekannteste  und  wohl  auch  das 
gelungenste  bewahrt  die  Dresdner,_Galerie,  in  die  es  vor 
etwa  4  Jahren  aus  der  Königl.  Öffentlichen  Bibliothek 
überführt  worden  ist*^).  Dies  letztere  stellt  lebensgrols, 
in  Halbfigur  den  Kurfürsten  August  in  dem  letzten  Jahre 
seines  Lebens  dar  und  muls  als  ein  mit  Sicherheit  und 
Geschmack  gemaltes  Kunstwerk  bezeichnet  werden^^). 

Über  Cyriacus  Röder  flielsen  die  Quellen  bei 
weitem  spärlicher.  Wir  erfahren  aus  den  Akten,  dafs 
er  bei  einem  Meister  Nikolaus  in  Leipzig  in  der  Lehre 
gewesen  ist.  Mit  diesem  Maler  muls  Nikolaus  de 
Perre^-^),  der  im  Jahre  1569  von  Antwerpen  nach  Leipzig 
gekommen  war^*),  gemeint  sein,  eine  Ansicht,  die  noch 
mehr  an  Wahrscheinlichkeit  gewinnt,  wenn  man  bedenkt, 
dals  de  Perre  uns  besonders  als  „Contrefactor"  genannt 
wird,  und  auch  das  Gebiet  der  Malerei,  auf  dem  wir 
Eöder  fast  ausschliefslich  tliätig  finden  und  dessen  er 
sich  selber  rühmt,  eben  das  Porträtieren  ist. 

Nachdem  sich  Eöder  eine  Zeitlang  in  Meifsen  auf- 
gehalten hatte,  ist  er  nach  Dresden  gekommen,  und  zwar 
hat  ihm  hierzu  sein  späterer  Gegner,  der  Bildhauer  Hans 
Walther,  der  ihm  auch  „daz  Weib  gefreyet",  verholfen. 
1585  wird  seiner  zum  erstenmale  in  Dresden  Erwähnung 
gethan.  Aller  Wahrscheinlichkeit  nach  hat  Eöder  auch 
mit  Welime  zusammen  am  neuen  Stall  gearbeitet',  wozu 
beide  sich  Freiberger  und  Stolpner  Maler  zur  Hülfe 
holten. 

Das  einzige,  wenigstens  bis  jetzt  mit  Sicherheit  dem 
Eöder  nachweisbare  Werk  ist  indessen  ein  Porträt  und 
zwar  das  des  Kurfürsten  August  in  Lebensgröfse,  gleichfalls 
wie  das  obenerwähnte  aus  dem  Todesjahre  1586  datiert. 


^'')  R.  Steche,  Bau-  und  Kunstdeiikmäler  des  Königreichs 
Sachsen  I,  86. 

■*')  K.  Wo  er  mann,  Katalog  der  Königl.  Greniäldegalerie 
Dresden  (1887)  S.  621. 

^2)  A.  Andres en  nennt  a.  a.  0.  noch  ein  drittes  Porträt  von 
1601,  den  Kurfürsten  Christian  I.  darstellend,  das  sich  jetzt  im 
Lutherhaus  zu  Wittenberg  befindet,  und  führt  aufserdem  noch  zwei 
Holzschnitte  von  Wehmes  Hand  auf. 

42)  Th.  Distel  in  der  Kunstchrouik  1885  Sp.  431. 

**)  Gr.  Wustmann,  Beitrag  zur  Geschichte  der  Malerei  in 
Leipzig,  S.  56. 


Die  Dresdner  Maleriiinung.  281 

Dies  Bild,  das  sich  zwischen  zwei  Fenstern  des 
ersten  Saales  im  historischeu  Museum  zu  Dresden  be- 
findet, ist  eine  tüchtige,  charakteristisch  aufgefafste  Ar- 
beit, wenn  sie  auch,  was  den  Kirnst  wert  anlangt,  hinter 
der  Wehmes  zurückstehen  mufs. 

Beide  Künstler  waren  also  vorzugsweise  Porträt- 
maler, und  dals  sie  hierin  etwas  Tüchtiges  geleistet  haben, 
mufs  ihnen  selbst  von  ihren  Gegnern  —  wenn  auch 
natürlich  mit  gewissen  Einschränkungen  —  zugestanden 
werden,  die  einmal  in  dem  hier  in  der  Hauptsache  zu 
Grunde  gelegten  Aktenstücke  wie  folgt  schreiben: 

„Das  sie  beide  sich  defs  conterfecten  Rühmen  hatt 
seinen  wegk,  die  rechten  maliler  aber  achten  das  freye 
mahlen  hoher  so  von  freyer  faust  geschieht,  wie  auch  an 
ihm  selbst  vnd  in  der  Wahrheit  ist  Als  conterfecten,  doch 
gehent  es  beides  zusammen". 


XL 

Kiirsächsische  Kirclienpolitik  im  dreifsig- 
jälirigeu  Kriege. 

(1619  —  1622.) 

Von 

Ludwig-  Scliwal)e. 


Nur  selten  mag  ein  Staatswesen  so  unmittelbar  nach- 
einander zu  gleich  grundsätzlichem  Wechsel  des  politischen 
Sj^stems  verurteilt  gewesen  sein,  wie  Kursachsen  während 
des  dreifsigj  ährigen  Krieges.  Zuerst  steht  es  als  gehor- 
samer Heichsstand  im  Bund  mit  der  katholischen  Liga 
dem  Kaiser  beim  Kampfe  gegen  das  calvinische  König- 
tum in  Böhmen  und  die  protestantische  Union  zur  Seite. 
Dann  verbindet  es  sich  gegen  eben  diesen  Kaiser  und 
dieselbe  Liga  mit  einem  auswärtigen  Fürsten  und  rettet 
so  sich  selbst  und  seine  Glaubensgenossen  vor  dem  Unter- 
gange, dem  es  sich  und  sie  durch  seine  vorige  Haltung 
nahe  gebracht.  Zum  Schluls  fällt  es  in  die  zuerst  ein- 
geschlagene ßichtung  zurück  und  vereitelt  durch  diese 
Schwenkung  einen  durchgreifenden  Sieg  der  soeben  noch 
auch  von  ihm  verfochtenen  Interessen. 

So  der  Staat.  Wie  stand  es  mit  der  Kirche?  Beide 
hatten  in  Sachsen  bis  zum  Ausbruche  des  grolsen  Krieges 
in  einer  Politik  des  regungslosen  Beharrens  unbedingt 
zusammengewirkt  und  sich  aufs  Innigste  durchdrungen. 
Konnte  dies  auch  jetzt  noch  der  Fall  sein,  wo  der  eine 
von  beiden  Teilen,  der  Staat,  in  einen  wahren  Wirbel 
wechselnder  Positionen  hineingerissen  wurde?    Die  reli- 


Ludwig  Schwabe:  Kiu'sächsische  Kirchenpolitik.  283 

giöse  Überzeugung  scheint  schon  an  sich  der  feste  Punkt 
zu  sein,  der  im  Getriebe  des  öffentlichen  Meinungs- 
wechsels unverrückbar  seinen  Platz  behauptet;  wie  viel- 
mehr war  das  von  dem  kurstaatlichen  Luthertum  zu  er- 
warten, welches  gerade  in  der  Unbeweglichkeit  des  kodi- 
fizierten Lehrsystems  sein  eigenstes  Daseinsrecht  er- 
kannte. Wie  war  es  nun:  waren  es  doch  vielleicht  die 
kii'chlich-religiösen  Prinzipien,  welche  auch  die  politische 
Stellungnahme  Sachsens  bestimmten?  oder,  wenn  dies 
nicht  der  Fall  war,  traten  sie  zu  der  Haltung  des  welt- 
lichen Staatswesens  in  Gegensatz?  oder  schlieMich, 
hätten  sie  sich  dem  Wechsel  des  politischen  Systems  an- 
zubequemen und  sich  ihm  entsprechend  zu  wandeln  ge- 
wulst?  Die  Absicht  der  folgenden  Blätter  ist,  ohne  das 
geschichtliche  Detail  erschöpfen  zu  wollen,  eine  Übersicht 
über  diejenigen  Daten  und  Gesichtspunkte  zu  geben, 
welche  zu  Beurteilung  dieser  Verhältnisse  dienlich  sein 
dürften:  in  diesem  Heft  zunächst  für  die  ersten  Jahre 
des  grolsen  Krieges. 


Wie  sehi^  man  auch  in  Sachsen  den  Anschlufs  an  den 
Kaiser  als  eine  lediglich  politische  Malsnahme  angesehen 
haben  Avollte,  unverkennbar  war  doch,  dals  er  zugleich 
für  die  kirchlichen  Verhältnisse  von  den  erheblichsten 
Folgen  sein  würde.  Zwar,  dals  die  zu  erhoffende  Be- 
siegung der  Böhmen  zugleich  eine  entschiedene  Nieder- 
lage des  deutschen  Calvinismus  bedeuten  niulste,  war 
im  Sinne  des  kursächsischen  Kirchentums,  Avie  es  damals 
war,  nichts  weniger  als  beklagenswert:  wir  werden 
sehen,  dals  es  sich  darüber  nicht  im  Unklaren  war, 
welcher  von  beiden  Teufeln  der  schlimmere  sei,  der  cal- 
vinische oder  der  papistische.  Aber  man  mulste  sich 
doch  sagen,  dafs  jene  voraussichtliche  AVendung  zugleich 
in  der  bedenklichsten  Weise  auch  auf  die  Stellung  des 
eigenen  Bekenntnisses  zurückwirken  mulste.  Der  neue 
Verbündete,  Ferdinand  von  Österreich,  Avar  in  Hinsicht 
seines  kirchlichen  Standpunktes  sattsam  bekannt:  seine 
katholisch -reaktionäre  Haltung  auf  den  Reichsversamm- 
lungen mulste  den  evangelischen  Ständen  des  Beichs  in 
nur  allzulebendiger  Erinnerung  sein;  die  Gegenreformation 
in  seinen  Erblanden  hatte  den  gesamten  deutschen  Pro- 
testantismus mit  erl)itterter  Entrüstung  oi'fiillt.  Es  war 
wahrhaftig  nicht  zu  erwarten,   dals  dieser  halbspanisclie 


284  Ludwig  Schwabe: 

Jesiiitenschüler,  in  dem  die  düsteren  und  verlialsten  Ten- 
denzen des  Tridentiniims  verkörpert  und  verdichtet 
schienen,  den  lutherischen  und  utraquistischen  Glaubens- 
genossen in  den  umstrittenen  Gebieten  dieselbe  Duldung 
zu  teil  werden  liels,  welche  ihnen  das  pfälzische  Regiment, 
sei  es  nun  freiwillig  oder  notgedrungen ,  eingeräumt  hatte. 
Und  dann,  ja,  der  calvinische  Nebenbuhler  würde  fallen: 
aber  beraubte  man  sich  nicht  damit  zugleich  des  treuesten 
und  rührigsten  Bundesgenossen  im  Kampfe  gegen  die 
katholische  Gegnerin?  Wie  würde  sich  das  Gleich- 
gewicht der  Bekenntnisse  wieder  herstellen  lassen,  welches 
bis  dahin  den  Frieden  doch  einzig  und  allein  erhalten 
hatte?  Die  ganze  Reichspolitik  hatte  bislang  in  dem 
Gegensatz  der  Konfessionen  das  treibende  und  bestim- 
mende Moment  gefunden;  es  war  recht  unwahrscheinlich, 
dals  dieses  Verhältnis  mit  einem  Schlage  aus  der  Welt 
geschafft  sein  würde.  Oder  sollten  sich  der  glaubenseifrige 
Habsburger  und  die  ligistischen  Ultras,  zur  unbestrittenen 
Übermacht  gelangt,  durch  die  Dankesverpllichtungen 
gegen  das  ihnen  bisher  verbündete  Luthertum  in  ihrem 
Siegeslauf  aufhalten  lassen?  Es  war  doch  allzu  un- 
politisch, auf  den  guten  Willen  der  Überwinder  zu  rech- 
nen in  einem  Streitfall,  der  seiner  Natur  nach  mit  der 
Unerbittlichkeit  des  religiösen  Prinzipienkampfes  aus- 
gefochten  werden  mulste. 

Worauf  sich  die  Aktionspolitik  des  siegreich  ge- 
wordenen Katholizismus  werfen  würde,  falls  man  ihr 
nicht  Einhalt  gebot,  war  unschwer  vorauszusehen.  Das 
ganze  Gewirr  kirchenpolitischer  Streitfragen,  welches 
seit  dem  Augsburger  Religionsfrieden  das  deutsche  Reichs- 
wesen erfüllte,  hatte  im  wesentlichen  doch  nur  das  eine 
grolse  Objekt:  den  der  alten  Kirche  entzogenen,  reichs- 
unmittelbaren oder  mittelbaren  territorialen  Besitz.  Nichts 
wäre  falscher,  als  in  dem  Kampf  um  diese  gewifs  äufser- 
lichen  Dinge  nur  den  Widerstreit  materieller  Interessen 
erblicken  zu  wollen.  Gewifs,  der  kirchliche  Besitz  und 
die  mit  ihm  verknüpften  reichsständischen  Gerechtsame 
stellten  nur  die  äulsere  politische,  nicht  die  innere  reli- 
giöse Macht  der  Bekenntnisse  dar;  wie  anders  aber 
sollte  sich  die  Auseinandersetzung  mit  dem  Katholizismus 
vollziehen,  als  in  dem  Ringen  der  politischen  Kräfte? 
Innerhalb  des  eigenen  Bekenntniskreises  mochten  die 
Lutheraner  Immerhin  hoffen,  etwa  auftauchende  Diffe- 
renzen mit  den  Waffen  des  Geistes  ausfechten  zu  können ; 


Kiu-säclisische  Kirchenpolitik.  285 

zwischen  ihnen  und  den  Calvinisten  durfte  diese  Art  des 
Ausgleichs  sanguinischen  FriedenslVeunden  wenigstens 
nicht  unmöglich  erscheinen.  Allein  das  Verhältnis  der 
alten  Kirche  zu  den  Lehrbilduugen  der  neuen  Zeit  schloss 
die  Möglichkeit  eines  solchen  Verständnisses  aus.  Zwi- 
schen Ja  und  Nein  giebt  es  keinen  Ausgleich  rationeller 
Natur:  was  entscheiden  mulste,  war  die  politische  Tag- 
leistung oder  das  Schwert.  War  es  also  sicherlich  der 
Staat,  und  nur  der  Staat,  der  in  diesem  Falle  die  Sache 
auch  der  Kirche  zu  führen  hatte,  so  waren  es  doch  ebenso 
gewils  die  Interessen  der  Kirche,  welche  seine  Hand- 
lungen bestimmen  mulsten. 

So  sehr  man  nun  in  Sachsen  gerade  den  christlich- 
konfessionellen Charakter  auch  des  politischen  Gemein- 
wesens zu  betonen  liebte,  auf  dem  eben  bezeichneten 
Felde  hatte  er  sich  bis  dahin  nur  wenig,  oder  eigentlich 
gar  nicht  bewährt.  Mit  Ausnahme  der  nur  allzu  kurzen 
Episode  Grell  war  die  sächsische  ßeichspolitik,  in  Sonder- 
heit soweit  sie  sich  auf  den  protestantisierten  Kirchen- 
besitz bezog,  seit  dem  Regierungsantritte  des  Kurfürsten 
August  ein  einziger  grolser  Rückzug  vor  dem  Andrängen 
der  katholisch -reaktionären  Gegenreformation  gewesen. 
Gleichwohl  stand  man  noch  viel  zu  tief  in  den  kon- 
fessionellen Gegensätzen,  aus  welchen  ja  auch  der  Kur- 
staat, so  wie  er  sich  entwickelt  hatte,  hervorgewachsen 
war,  als  dals  man  so  ganz  von  ihnen  unberührt  hätte 
bleiben  können.  Dazu  sorgten  die  ungestümen  Forde- 
rungen der  jesuitischen  Litteratur  auf  der  einen  Seite 
und  die  Warnungsrufe  der  entschiedenen  Unionspolitiker 
auf  der  andern  zur  Genüge  dafür,  dals  man  das  Interesse 
der  gemeinen  protestantischen  Sache  nicht  vollständig 
aus  den  Augen  verlor.  Als  die  kurfürstliche  Politik 
daher.  Schritt  vor  Schritt  vor  der  altkirchlichen  Reaktion 
zurückweichend,  schlielslich  in  den  Jahren  1619  und  1G20 
bis  zum  Bunde  mit  ihren  vornehmsten  Vertretern  gelangt 
war,  erwachte  allerdings  das  Bedenken,  ob  man  dem 
gegnerischen  Prinzip  in  dem  nunmehr  wahrscheinliclien 
Falle  seines  Siegs  keine  allzu  lockenden  Aussichten  in 
Hinsicht  auf  den  greisen  Streitpunkt  der  Bekenntnisse 
■ —  eben  den  kirchlichen  Besitz  —  erölfnen  Avürde.  Nichts 
ist  von  höherem  Belang  für  die  Beurteilung  unserer  da- 
maligen Politik,  als  Avie  gerade  dieses  Bedenken  in  der 
diplomatischen  iiktion  seinen  Ausdruck  fand.  Zugestanden, 
es  gab  Gründe,  welche   für  eine  Stellungnahme   an  der 


286  Ludwig  Schwabe: 

Seite  der  Maximilian  und  Ferdinand  zu  sprechen  schienen ; 
die  Frage  war  nur,  inwieweit  eine  solche  Stellung-nahme 
ohne  Schädigung  des  religiösen  Prinzips  möglicli  war, 
durch  welches  doch  auch  die  politische  Existenz  des  Kur- 
staats zum  guten  Teile  getragen  ward. 

Im  Dezember  1619  befand  sich  der  treueste  Bundes- 
genosse der  kursächsischen  Politik,  Landgraf  Ludwig 
von  Hessen-Darmstadt,  in  Dresden,  um  über  die  gemein- 
sam den  böhmischen  Unruhen  gegenüber  zu  ergreifenden 
Malsregeln  Rats  zu  pflegen.  Man  fand  si(-h  bald  beider- 
seits in  dem  Gedanken  einig,  dafs  Kaiser  und  Liga 
gegen  die  aufständischen  Böhmen  zu  unterstützen  seien: 
zugleich  falste  man  jedoch  auch  die  religiös -kirchliche 
Seite  der  Sache  sehr  lebhaft  ins  Auge.  Die  kursäch- 
sischen Staatsmänner  meinten,  man  dürfe  die  Verbindung 
nicht  eingehen,  bevor  man  nicht  von  den  katholischen 
Ständen  ein  bmdendes  und  verbrieftes  Versprechen  er- 
langt, den  etwaigen  Sieg  nicht  zu  Wiedererlangung  des 
säkularisierten  Kirchenguts  ausnutzen  zu  wollen.  Die 
sehr  berechtigte  Ansicht  wurde  laut,  nicht  um  „der 
Unirten  Klösterlein"  sei  es  den  Ligisten  zu  thun:  wo- 
nach sie  strebten,  sei  die  Restitution  der  hohen  Stifter, 
namentlich  im  niedersächsischen  Kreis.  Man  glaubte 
nicht  einmal  der  Neutralität  der  jetzigen  Inhaber  dieser 
reichen  Territorien  gewils  zu  sein,  wenn  man  ihnen  nicht 
eine  unbedingte  Sicherstellung  in  Hinsicht  ihrer  Besitz- 
rechte  verschaffen  würde.  So  wurde  denn  die  baldige 
Zusammenberufung  eines  Konvents  aller  Verbündeten  in 
Aussicht  genommen,  der  in  erster  Linie  nach  dieser 
Richtung  hin  die  wünschenswerten  Garantien  beschaffen 
sollte:  Landgraf  Ludwig  übernahm  es,  die  ligistischen 
Stände  zum  Besuch  desselben  einzuladen. 

Die  letzteren  nun  waren  sich  schon  vorher  darüber 
im  Klaren  gewesen,  dafs  ohne  Zugeständnisse  in  betreff 
der  geistlichen  Güter  die  so  wertvolle  Unterstützung 
Kursachsens  für  den  böhmischen  Feldzug  nicht  zu  ge- 
winnen sein  würde.  Als  sie  vor  den  mit  Sachsen  zu 
treffenden  Abmachungen  in  Würzburg  (Februar  1620) 
zusammentraten,  um  über  die  Haltung,  die  man  auf  dem 
Konvent  einnehmen  solle,  zu  beraten,  erklärte  sich  das 
Haupt  der  Liga,  Maximilian  von  Bayern,  bereit,  die  pro- 
testantischen Stifter  durch  ein  feierliches  Versprechen 
nicht  nur  vor  gewaltsamer  Rückforderung,  sondern  auch 
für  alle  Zeiten   vor  rechtlicher  Inanspruchnahme  (durch 


Kursächsische  Kircheupolitik.  287 

Kammergerichts-  oder  Reichshofratsprozesse)  siclierstellen 
zu  wollen.  Mit  ersterem  waren  auch  die  anwesenden 
geistlichen  Stände  zufrieden,  das  letztere  schien  ihnen 
zu  viel.  Sie  meinten,  es  sei  genug-,  wenn  man  die  recht- 
liche Inanspruchnahme  für  eine  bestimmte  Anzahl  von 
Jahren  sistieren  würde ^).  Der  Unterschied  von  der 
bayrischen  iluffassung  war  doch  wohl  nur  ein  ideeller: 
thatsächlich  lief  beides  auf  dasselbe  hinaus. 

Im  März  1620  fanden  sich  die  künftigen  Verbündeten 
—  von  ligistischer  Seite  Bayern,  Kurmainz  und  Kurköln, 
von  lutherischer  Kursachsen  und  Hessen -Darmstadt  — 
in  Mühlhausen  zu  dem  geplanten  Konvente  zusammen. 
Wer  hätte  nun  nicht  erwarten  sollen,  dafs  jene  von  den 
Katholiken  selbst  für  unumgänglich  gehaltenen  Zugeständ- 
nisse das  Mindeste  geAvesen  wären,  was  die  beiden  evan- 
gelischen Stände  erlangen  würden?  Aber  bekanntlich 
haben  sie  nicht  einmal  das  erreicht.  Wir  unterziehen 
ihr  Verhalten  bei  dieser  Angelegenheit  einer  etwas  ge- 
naueren Betrachtung,  als  es  bisher  geschehen  ist'^). 

Die,  wie  erwähnt,  wichtigste  Frage,  welche  den 
Mühlhausener  Konvent  zu  beschäftigen  hatte:  wie  man 
die  ober-  und  niedersächsischen  Inhaber  geistlicher  Terri- 
torien über  die  Bedenken  hinsichtlich  des  ungestörten 
Besitzes  ihrer  Stifter  versichern  könne,  wurde  schon  in 
der  ersten  Session  von  Kurköln  angeregt:  in  der  zweiten, 
am  17.  März,  legte  Sachsen  seine  Stellung  in  der  Sache 
dar.  Es  verbreitete  sich  zunächst  über  die  langjährigen 
Wünsche  der  protestantischen  Administratoren,  die  sich 
seines  Erachtens  im  wesentlichen  auf  vier  Punkte  er- 
streckten: Erteilung  der  Regalien,  Sitz-  und  Stimm- 
berechtigung auf  den  Reichsversammlungen,  Teilnahme 
an  den  Kammergerichtsvisitationen,  Ausstellung  kaiser- 
licher Indulte  und  Protektorien.  Die  kurfürstliche 
Politik  war  nun  von  allem  Anfang  an  weit  entfernt,  und 
äulserte   sich   auch  schon  bei  der  zweiten  Umfrage  nach 


^)  Aretin,  Bayerns  ausw.  Verh.  seit  dem  Anfang  des  16.  Jahr- 
hunderts, Urkunden  No.  16.  Gindely  ,  Gesch.  d.  30jiihr.  Kriegs  II, 
419 f.  Tupetz,  Der  Streit  um  die  Geistlichen  Güter  und  das 
Restitutionsedikt.     1883,  29. 

-)  Quellen:  Die  zwei  verworfenen  Entwürfe  und  die  end- 
gültige Fassung  der  Mühlhausener  „Assekuration",  und  das  kur- 
sächsische  Protokoll  üher  die  Verhandlungen,  alle  im  Dresdner  Ar- 
chiv III,  67^',  216,  33.  Aufserdem  das  Darmstädter  Protokoll  bei 
H  ä  b  e  r  1  i  n  -  S  e n  k  e  n  b  e  r  g ,  Neuere  Teutscüe  lieichsgeschichte  XXIV, 
486  ff. 


288  Ludwig  Schwabe: 

dieser  Riclitung  liin  ganz  ausdrücklich,  die  angefülirten 
Forderungen  auch  ihrerseits  sich  anzueignen -^j.  Viel- 
mehr erklärte  der  sächsische  Vertreter,  Präsident  von 
Schönberg,  sogleich,  der  Kurfürst  müsse  sie  selbst  zum 
grölsten  Teile  als  dem  ßeligionsfrieden  zuwiderlaufend 
betrachten.  Allein,  wie  sie  nun  lange  Jahre  daher  ein 
Gegenstand  des  Streits  zwischen  den  Ständen  beider 
Konfessionen  gewesen,  so  hätte  ihre  dauernde  und  kon- 
sequente Nichtbewilligung  unter  den  Inhabern  der  pro- 
testantischen Hochstifter  das  dringende  Mißtrauen  er- 
zeugt: man  wolle  sie  mit  Gewalt  aus  ihrem  Besitze  ver- 
drängen. Die  Herren  Katholischen  mülsten  selbst  ein- 
sehen, wie  groliä  die  Gefahr  sei,  wenn  die  niedersäch- 
sischen Stände  hierdurch  dem  Kaiser  entfremdet  oder 
gar  den  linierten  in  die  Arme  getrieben  würden,  die  es 
ihrerseits  an  nichts  mangeln  lielsen,  jenes  Milstrauen 
wach  zu  erhalten  und  anzufachen.  Es  ginge  nicht 
anders,  wolle  man  die  Administratoren  auf  der  Seite 
des  Kaisers  erhalten,  müsse  man  ihnen  hinsichtlich  der 
erwähnten  Punkte  in  etwas  zu  Willen  sein. 

In  etwas,  das  hiefs  also:  teilweise.  Inwieweit  man 
ihnen  nach  Meinung  Schönbergs  entgegenkommen  solle, 
und  inwieweit  nicht,  welche  ihrer  Forderungen  man  also 
für  im  Religionsfrieden  begründet  fand  und  welche  ihm 
zuwiderlaufend,  darüber  giebt  ein  kursächsischer  Entwurf 
der  „Assekuration"  Aufschluls,  mittels  welcher  man  nach 
Beschluls  des  Konvents  katholischerseits  das  Versprechen 
einer  Sicherstellung  der  protestantischen  Stifter  beur- 
kunden sollte.  Hierin  war  im  Namen  der  ligistischen 
Stände  nichts  weiter  versprochen,  als  dals  man  die  Ad- 
ministratoren jetzt  und  für  alle  Zeiten  nicht  mit  Gewalt 
—  „de  facto",  wie  man  sich  euphemistisch  auszudrücken 
beliebte  —  aus  ihren  Stiftern  verdrängen  wolle ;  für  Er- 
langung kaiserlicher  Indulte  in  betreff  ihrer  Lehen  und 
Regalien  sollte  ihnen  die  Förderung  der  katholischen 
Stände  zugesichert  sein.  Vergleicht  man  dies  mit  den 
von  Kursachsen  selbst  angeführten  vier  Hauptanliegen 
der  niedersächsischen  Possessoren,  so  erkennt  man  un- 
schwer, dals  von  ihnen  allen  nur  das  letzte  aufrecht  er- 
halten war:  die  drei  ersten  also  befand  Kursachsen 
selbst   als   dem  Religionsfrieden   ungemäfs.    Nun   waren 


^)  Anders  Gindely  11,426  und  wohl  diesem  folgend  die  sonst 
vortreffliche  Arbeit  von  Tu^ietz  29. 


Kursachsische  Kircheiipolitik.  289 

diese  drei  ersten  aber  gerade  diejenigen  Gravamina,  in 
welchen  der  Widei'stand  gegen  die  verbalsten  Bestim- 
mungen des  geistlichen  Vorbehalts  seine  geschichtliche 
Ausprägung  und  schliefsliche  Zuspitzung  erhalten  hatte. 
Es  ist  bekannt,  wie  die  Beseitigung  jener  Klausel  des 
Religionsfriedens,  welche  bei  Abfassung  des  Augsbm^ger 
Gesetzes  von  den  Protestanten  zwar  zugelassen,  hinsicht- 
lich ihrer  Verbindlichkeit  aber  von  allem  Anfang  an  be- 
stritten wurde,  von  dem  deutschen  Protestantismus  ent- 
schiedener Richtung  in  sechzigjährigem  mühsalsvollen 
Kampfe  erstrebt  worden  war.  Kursachseu  hatte  sich 
bis  dahm  zu  einem  offenen  Anschlulis  an  diese  Be- 
strebungen zwar  nicht  aufzuschwingen  vermocht,  aber  die 
Rechtskräftigkeit  des  Vorbehalts  doch  auch  niemals  aus- 
drücklich zugestehen  wollen.  Gerade  jetzt,  wo  es  eine 
politisch  so  vorteilhafte  Stellung  einnahm,  wich  es  auch 
in  diesem  Punkte,  und  erkannte  den  Vorbehalt  wenn  in- 
direkt, so  doch  ausdrücklich  als  einen  Bestandteil  des 
Religionsfriedens  an,  den  es  in  seiner  Gesamtheit  un- 
verbrüchlich zu  halten  versprach.  Wenn  es  damit  selbst- 
verständlich die  Rückgabe  der  Stifter  keineswegs  in  Aus- 
sicht stellte,  so  zog  es  doch  mit  dieser  seiner  Erklärung 
den  Administratoren  den  Rechtsboden  unter  den  Fülsen 
weg.  Ihre  Eortexistenz  war  von  nun  an  im  Simie  des 
sächsischen  Kabinetts  auf  ein  Versprechen  der  Liga- 
fürsten und  auf  kaiserliche  Gnadenbewilligung  gestellt. 
Hiermit  hatte  der  kirchenpolitische  Eifer  des  kurstaat- 
lichen Protestantismus  seinen  Nullpunkt  erreicht;  es  schien 
kaum  möglich,  dals  man  noch  einen  weiteren  Schritt 
zurückweichen  könne. 

Und  dennoch  —  sollte  man  es  glauben  ?  —  es  wurde 
möglich  gemacht.  Der  besprochene  kursächsische  Ent- 
wurf war  die  Antwort  auf  eine  ligistische  Fassung  der- 
selben Assekuration  gewesen,  welche  schon  vorher  im 
Namen  der  anderen  von  Kurmainz  festgestellt  \\ürden 
war.  Wie  ganz  anders  hatten  darin  die  Altgläubigen 
die  Ansprüche  ihrer  konfessionellen  Politik  zu  vertreten 
gewusst!  Schon  der  Form  nach  erschien  hier  die  Asse- 
kuration als  ehi  zeitweiliges,  durch  die  bedrängte  Lage 
gerechtfertigtes  Zugeständnis.  Auch  versprach  man  den 
Administratoren  nur  Sicherung  vor  gewaltsamem  Über- 
fall; die  Belangung  auf  dem  Rechtswege  war  ausdrück- 
lich vorbehalten.  Und  an  die  weitgehendsten  Beding- 
ungen hatte  man  diese  kümmerlichen,  fast  beleidigenden 

Neues  Archiv  l.  S.  (I.  ii.  A.  XI.  .1.    1.  19 


290  Ludwig  Schwabe : 

Zugeständnisse  geknüpft:  dem  Kaiser  sollen  die  nieder- 
sächsischen  Stände  für  immer  und  gegen  jedermann  ver- 
pflichtet sein ;  auf  die  reichsständische  Sessions-  und 
Stimmberechtigung  ist  ein  für  allemal  zu  verzichten;  die 
Rechtsbeständigkeit  des  geistlichen  Vorbehalts  soll  aus- 
drücklich anerkannt  und  von  diesem  Anerkenntnis  die 
Bewilligung  der  Assekuration  abhängig  gemacht  werden. 
Ein  wenig  war  dies  doch  auch  den  Kursachsen  zu  viel; 
sie  setzten,  wie  gesagt,  dieser  Fassung  der  Assekuration 
jenen  Entwurf  entgegen,  den  wir  oben  erörterten.  Un- 
günstig für  die  protestantischen  Interessen  wie  er  Avar, 
hätten  sie  nun  wenigstens  auf  ihm  beharren  sollen.  Aber 
die  Räte  nahmen  es  mit  diesen  Dingen  nicht  so  genau: 
die  Beratungen  mit  den  Ligisten  wurden  ohne  besonderen 
Zeitaufwand  in  den  freundschaftlichsten  und  verbind- 
lichsten Formen  ohne  Assistenz  der  regierenden  Herren 
geführt.  Die  Abfassung  des  Religionsfriedens  hatte 
seiner  Zeit  fast  dreivierteljährige  Beratungen  erfordert, 
so  gründlich  hatte  man  es  genommen:  diese  seine  erste 
authentische  Interpretation  von  wirklich  politischem  Be- 
lang war  in  wenigen  Stunden  beendet.  So  kam  es  denn, 
man  möchte  sagen  unversehens,  dass  die  Assekuration 
in  ihrer  sclilielslichen  Vollendung  dem  katholischen 
Entwürfe  um  vieles  näher  stand,  als  der  sächsischen 
Fassung.  Vor, allem  lautete  sie  nur  auf  Sicherung  vor 
gewaltsamem  Überfall;  der  Rechtsweg  gegen  die  Ad- 
ministratoren, den  der  kursächsische  Entwurf  den  Katho- 
liken wenigstens  nur  stillschweigend  offen  gelassen,  war 
in  der  Urkunde  selbst  mit  klaren  Worten  vorbehalten. 
Die  Forderung,  dais  die  niedersächsischen  Stände  sich 
zu  dem  geistlichen  Vorbehalt  ausdrücklich  bekennen 
sollten,  hatten  die  Ligisten  zwar  fallen  gelassen,  dagegen 
hatten  sie  die  Erklärung  eingefügt,  dals  von  ihnen  selbst 
die  Assekuration  nur  unbeschadet  eben  des  Vorbehalts 
erlassen  worden  sei.  Ferner  war  die  Unterstützung  der 
habsburgischen  Politik  wenigstens  für  den  Fall  aus- 
bedungen, dals  der  Kaiser  „wider  die  Reichssatzungen" 
angegriffen  werden  sollte  —  eine  dehnbare  Bestimmung! 
Und  schlielslich  hatte  man  die  kursächsische  Bestimmung 
über  die  Protektorien  und  Indulte  in  einer  Weise  zur 
vollständigen  Inhaltslosigkeit  umkorrigiert,  wie  sie  den 
jesuitischen  Geist  des  Zeitalters  nicht  besser  bezeichnen 
könnte:  die  Katholiken  sollten  nunmehr  die  Administra- 
toren  bei   ihrer  Erlangung   nicht   mehr  zu  unterstützen 


Eursäclisische  Kirchenpolitik.  29l 

verbunden  sein ,  sondern  sie  nur  nicht  hindern  dürfen ; 
auch  sollte  sich  dieses  Versprechen  nur  auf  Schutzbriefe 
beziehen,  die  dem  Inhalt  der  Assekuration  gemäls  sein 
würden.  Mit  anderen  Worten:  der  Kaiser  sollte,  soviel 
an  den  Ligisten  lag,  im  einzelnen  Falle  bewilligen  dürfen, 
was  diese  selbst  schon  fürs  Allgemeine  zugestanden 
hatten!  — 

Dieser  Art  waren  also  die  Garantien,  auf  Grund 
deren  der  Kurstaat  den  Bund  mit  der  Liga  vor  dem 
eigenen  Gewissen  verantworten  zu  können  glaubte.  Es 
war  sehr  begreiflich,  dafs  auch  König  Ferdinand  die 
Assekuration  „den  geistlichen  und  weltlichen  Rechten 
und  den  Reichskonstitutionibus  gemälis"  befand;  er  setzte 
sich  mit  Bayern  in  Vernehmen,  um  mit  diesem  und  den 
geistlichen  Häuptern  der  Liga  gemeinsam  die  etwa  ge- 
forderten Indulte  und  Protektorien  im  Sinne  der  Asse- 
kuration abzufassen. 

Natürlich  hatte  er  sich  ebenfalls  bemühen  müssen, 
ehe  es  ihm  gelungen  war,  den  Beistand  Kursachsens  zu 
gewinnen,  dessen  Gewissensbedenken  hinsichtlich  der 
Religionsfrage  auch  seinerseits  zu  beschwichtigen.  In 
bezug  auf  ihn  war  die  Notwendigkeit  einer  ausreichenden 
Versicherung  ja  noch  um  ein  Bedeutendes  dringender, 
da  seine  Politik,  wie  schon  anfangs  erwähnt,  nicht  nur  im 
Reiche,  sondern  auch  in  seinen  eigenen  Landen  mit  den 
Interessen  des  Luthertums  in  mannigfachster  Weise  kol- 
lidieren mulste.  Leider  sind  wir  nun  über  die  mit  ihm 
gepflogenen  Verhandlungen  nicht  in  gleich  vollständiger 
Weise  unterrichtet,  wie  über  die  Abmachungen  mit  den 
Ligafürsten;  die  Akten  des  Dresdner  Archivs  lassen  uns 
an  entscheidenden  Stellen  im  Stich,  und  was  bislang 
anderswoher  beigebracht  worden  ist,  hat  die  Lücken 
keineswegs  auszufüllen  vermocht.  Gleichwohl  dürfte  das 
wichtigste  auch  jetzt  schon  feststehen.  Man  muis  wohl 
annehmen,  dals  die  Versprechungen,  welche  Graf  Dohna 
im  Auftrage  des  Kaisers  dem  Kurfürsten  Johann  Georg 
vor  der  Mühlhausener  Versannnlung  (9.  JNlärz)  über- 
brachte, und  die  man  bisher  anoIiI  mit  Recht  allgemein 
als  mit  den  endgültigen  Abmachungen  zwischen  beiden 
gleichlautend  angesehen  hat  —  dals  diese  Versprechungen 
auch  hinsichtlich  der  kirchlichen  Punkte  keine  wesent- 
liche Minderung  oder  Erweiterung  erfuhren:  ersteres 
war  kaum  möglich,  dals  das  letztere  stattgefunden  habe, 
wird   durch   den    späteren  Verlauf  der  Dinge  in  keiner 

19* 


292  Ludwig  ScliAvabe : 

Weise  nahe  gelegt.  Wie  dem  aucli  sei,  jedenfalls  waren 
die  Zusagen  Ferdinands,  wie  sie  Dohna  überbrachte, 
nicht  im  mindesten  von  bindenderer  Natur  wie  die  eben 
erörterte  Assekuration  seiner  ligistisclien  Verbündeten. 
In  Ansehung  der  Reichspolitik  versprach  er  nur,  „den 
Religionsfrieden  in  seinem  rechten  Verstände  immerfort 
erhalten"  zu  wollen;  allein  man  wufste  ja  nur  zu  gut, 
wie  er  ihn  verstand,  und  dals  man  ihn  überhaupt,  inhalts- 
los wie  er  war,  in  jeder  beliebigen  Weise  verstehen 
konnte.  Wenn  er  aber  hinsichtlich  der  böhmischen 
Lutheraner  und  ütraquisten  die  durch  den  Majestäts- 
brief zugesagte  Glaubensfreiheit  nur  dann  fortbestehen 
lassen  wollte,  „falls  sich  die  Lande  zur  Gebühr  nochmals 
weisen  lassen  würden'',  so  wäre  es  doch  geradezu  absurd  ge- 
wesen, wenn  man  hiermit  einen  Schutz  für  das  lutherische 
Bekenntnis  nach  der  Niederwerfung  des  Aufstands  erlangt 
zu  haben  glaubte.  Es  war  ein  recht  plumper  Kniff  und 
eine  handgreifliche  Mentalreservation :  Sachsen  verlangte 
die  Sicherstellung  für  seine  Glaubensgenossen  als  Preis 
für  seine  Teilnahme  an  der  Bekämpfung  der  Rebellion, 
der  Kaiser  bewilligte  sie  für  den  Fall,  dals  diese  Be- 
kämpfung überflüssig  würde!  Indessen,  Avie  gesagt,  es 
liegt  kein  Grund  vor  anzunehmen,  dalis  man  von  Dresden 
aus  auf  eine  präzisere  Fassung  der  kaiserlichen  Garan- 
tien gedrungen  hätte. 

Und  doch  hätte  man  noch  einmal  Gelegenheit  ge- 
habt, das  Luthertum  wenigstens  in  Böhmen  und  den  in- 
korporierten Landen  sicherzustellen:  als  es  sich  um  Aus- 
stellung der  kaiserlichen  „Commission"  handelte,  kraft 
deren  der  Kurfürst  an  der  Exekution  gegen  die  auf- 
ständischen Lande  teilnehmen  sollte*).  Bei  ihrer  ersten 
Fassung  (d.  d.  22.  April  1620),  nach  welcher  dem  Kur- 
fürsten die  Besetzung  Schlesiens  und  der  Lausitzen  über- 


*)  Über  die  Ausstellung  der  Kommissioneu  vergl.  Gindely 
II,  437  ff.  und  Knothe,  Der  Anteil  der  Oberlausitz  an  den  Anfängen 
des  SOjähr.  Kriegs,  S.  49  f.,  welcher  letztere  freilic-h  die  kirchliche  Seite 
der  Sache  nicht  ins  Auge  fafst.  —  Wir  erwähnen  bei  dieser  t^re- 
legenheit,  dafs  das  von  Knothe  a.  a.  0.  S.  52  auszugsweise  mit- 
geteilte Gutachten  nicht  dem  kui'sächsischen  Geheimen  Rat,  sondern 
der  Sachsen -koburgischeu  Kanzlei  entstammt.  Auch  sein  Inhalt  ist 
nicht  entsprechend  wiedergegeben:  es  empfiehlt  nicht  „vertrauliche 
Beratung  zwischen  den  katholischen  und  protestantischen  Fürsten", 
sondern  Vereinigung  nur  der  evangelischen  Stände.  Einen  solchen 
Vorschlag  hätte  das  kursächsische  Kabinett  niemals  gemacht,  am 
Aveuigsten  im  Sommer  1620. 


Kursächsische  Kirchenpolitik.  293 

tragen  ward,  war  eine  jede  Erwähnnng  des  Majestäts- 
briefs und  eines  Versprechens,  ihn  nicht  Aviderrufen  zu 
wollen,  vermieden.  Man  eni])fand  dies  in  Dresden,  poli- 
tische und  militärische  Bedenken  kamen  hinzu :  der  Kur- 
fürst ersuchte  den  Kaiser,  eine  andere  Vollmacht  aus- 
zustellen. Ferdinand  kam  diesem  Wunsche  nach  und 
übersandte  eine  zweite  Kommission  (d.  d.  6.  Juni  1620), 
welche  zwar  den  nicht  religiösen  Forderungen  Johann 
Georgs  gerecht  wurde:  allein  des  Majestätsbriefs  ge- 
dachte auch  diese  neue  Fassung  nicht.  Dafür  entschlofs 
sich  der  Kaiser  nach  Befragung  mit  seinen  geistlichen 
Beratern  durch  einen  gleichzeitig  abgehenden  Privatbrief 
die  konfessionellen  Bedenken  seines  evangelischen  Alliierten 
niederzuschlagen;  es  war  ein  Schriftstück,  welches  an 
nichtssagender  Gewundenheit  seinesgleichen  suchte'^). 
Im  wesentlichen  lief  sein  Inhalt  darauf  hinaus,  dals  der 
Habsburger  „teutsch,  kaiserlich  und  aufrichtig"  ver- 
sicherte, durch  die  Weglassung  jener  kirchlichen  Zusagen 
in  der  neuen  Kommission  solle  der  Gültigkeit  seiner 
früheren  Versprechungen  kein  Abbruch  geschehen.  Was 
es  aber  mit  diesen  früheren  Versprechungen  auf  sich 
hatte  —  es  mufsten  doch  wohl  die  durch  Dohna  im 
März   überbrachten  gemeint   sein  —  haben  wir   soeben 


^)  Vergl.  Clindely  11,439,  der  das  Schreiben  wohl  nach  einer 
Abschrift  aus  der  Collectio  Camerariana  in  München  mitteilt.  Da 
seine  Angaben  mit  den  nnsrigen  nicht  übereinstimmen,  sei  es  er- 
laubt die  einschlägige  Stellt!  aus  dem  im  Dresdner  Archiv  befind- 
liclicn  Original  mitzuteilen:  ,.Allss  liab  Ich  in  erwegmig,  mit  wafs  für 
unpillichcn,  ungleichen  Auflagen  meine  llebcUeu  und  ir  Anhang  mir 
und  dem  gemaineu  wesen  in  allen  occasioneu  nachzustehen  pflegen, 
hiemit  Eur  L.  Teutsch,  aufrichtig,  freundlieh  und  gnedig  verstendigen 
AVöllen,  dafs  ob  wohl  in  dem  an  dieselbe  abgangene  Executions  ('om- 
mission ,  betreffend  unsei'  Künigreich  Behaimb  und  ctzliche  Ineor- 
porierte  Länder,  Ich  mich  gegen  den  Jenigen,  die  sich  zum  ge- 
pürenden  üehorsamb  widerumb  ergeben  werden,  der  Privilegien 
halltei-,  allain  in  genere  ercläit,  und  allso  defs  Mayestet  Briefs  oder 
der  Religion  aintzige  Meldungen  nicht  geschehenn:  so  ist  doch  sol- 
ches allain  dahin  angesehen,  damit  Meinen  und  E.  L.  Feinden  nicht 
ferner  Ui'sach  gegeben  werde,  Ire  C'alvinische,  Bluetdürstigc,  gefähr- 
liche Anschleg  unter  disem  Scliein  und  Deckhmanttel  defs  Mayestet- 
briefs  zu  Veränderung  aller  Bolicey,  ja  defs  Keliüionfrieden  selljst, 
widerumb  auf  die  Bahn  zu  pringen.  Ich  vergwisse  aber  Eur  L. 
hiemit  Kaiserlieh,  Teutscii  und  Aufiiebtig,  dafs  nichts  desto  weniger 
all  dasjenige,  so  von  3[ir  Eur  L.  versprochen  und  dem  Beligion- 
friden  im  lieich,  darauf  das  übei'ige  alles  gerichtet,  gemäfs.  ilarunter 
verstanden,  imd  demselbigenn  würrklieh  nachkommen  wenlen  solle. 
Dabey  auch  die  alte  Hussiten  in  ilehaim  veniiiig  der  Eltern  \'er- 
gleichungen  mit  ausgeschlossen  scia  sollen." 


294  Ludwig  Schwalje : 

gesehen.  Es  war  klar,  und  konnte  auch  den  Dresdner 
Staatsmännern  unmöglich  entgehen,  dals  sich  der  Kaiser- 
hof hinsichtlich  der  kirchlichen  Fragen  mit  ausgesprochener 
Absichtlichkeit  in  ein  Halbdunkel  hüllte,  welches  die 
letzten  Ziele  seiner  Politik  durch  lügnerische  Vorbehalte 
und  Zweideutigkeiten  verschleiern  sollte.  Dies  in  Ver- 
bindung mit  der  entschieden  katholischen  Haltung  der 
zu  Mühlhausen  verhandelnden  Ligisten  mulste  auch  der 
ärgsten  Vertrauensseligkeit  über  die  Richtung  die  Augen 
öffnen,  in  welcher  sich  der  streitlustige  Katholizismus 
nach  Niederwerfung  der  böhmischen  Eebellion  zu  be- 
wegen gedachte. 

Wenn  sich  Sachsen  gleichwohl  an  dieser  Nieder- 
werfung beteiligte,  so  ist  es  ja  wahr:  es  wurde  zunächst 
durch  politische  Gründe  bestimmt.  Auch  die  Loyalitäts- 
empfindungen mag  man  immerhin  mit  in  Anschlag  bringen, 
die  man  dem  leider  selbst  gewählten  Kaiser  gegenüber 
zu  hegen  wenigstens  behauptete.  Dazu  wissen  wir  jetzt, 
dals  die  schneidigste  Waffe  in  den  Verhandlungen  mit 
den  Ligisten,  die  freie  Verfügung  über  das  eigene  Schwert, 
schon  aus  der  Hand  gegeben  war,  noch  ehe  jene  ihren 
Anfang  genommen:  bevor  noch  Kurfürst  Johann  Georg 
in  Mühlhausen  eingetroffen  war,  hatten  jene  oben- 
erwähnten Besprechungen  mit  dem  kaiserlichen  Ge- 
sandten, Grafen  Dohna,  stattgehabt,  in  welchen  der 
Kurfürst  gegen  Gewährung  des  pfandschaftlichen  Be- 
sitzes der  Lausitzen  und  der  Abfindung  mit  einem 
deutschen  Reichsterritorium  (Johann  Georg  hatte  es  auf 
das  Gebiet  des  calvinischeu,  in  den  böhmischen  Aufstand 
so  tief  verAvickelten  Fürsten  von  Anhalt  abgesehen)  dem 
Kaiser  und  der  Liga  seine  Waffenbrüderschaft  gegen  das 
evangelische  Böhmen  zugesagt  hatte*').  Auch  wenn  er 
dazu  willens  war,  er  wäre  in  Mühlhausen  gar  nicht  mehr  in 
der  Lage  gewesen,  mit  Verweigerung  seiner  Unterstützung 
zu  drohen.  Dafs  man  aber  katholischerseits  einzig  und 
allein,  um  den  niedersächsischen  Kreis  zu  gewinnen,  nun- 


•5]  Wir  verdanken  diese  Kenntnis  der  Sache  Gindelys  Stu- 
dien im  Arcliiv  von  Simancas,  vergl.  Gesch.  d.  30j.  Kriegs  II,  423. 
Allerdings  ist  ihm  auch  die  Verantwortung  für  die  Richtigkeit  seiner 
Angahen  zu  üherlassen.  —  Müller,  Fünf  Bücher  vom  Böhmischen 
Kriege,  368  und  ihm  folgend  Opel,  Der  nicdersäclisisch- dänische 
Krieg  I,  81,  lassen  den  Grafen  Dohna  an  dem  Mühlhausener  Tage 
teilnehmen;  damit  wird  natürlich  die  ganze  politische  Situation  in 
ein  irriges  Licht  gesetzt. 


Kiirsächsische  Kircheupolitik.  295 

mehr  noch  den  ein  Jahrhundert  lang  behaupteten  Eechts- 
standpunkt  fallen  lassen  sollte,  war  nicht  zu  erwarten. 
Kurköln  äulserte,  wolle  man  in  den  Zugeständnissen  an 
die  Protestanten  wpiter  jjehen  als  bis  zu  einer  Sicherung 
vor  gewaltsamem  Überfall  außerhalb  Rechtens,  so  würde 
das  commodum,  soviel  auch  sonst  an  diesem  Kreise  ge- 
legen, dem  nicht  gleich  wägen,  was  dagegen  bewilligt 
würde;  demgemäls  tiel  die  Entscheidung. 

Allein,  dies  alles  in  Eechnung  gezogen,  der  für  das 
Verhalten  Kursachsens  im  Innersten  bestimmende  Beweg- 
grund ist  damit  noch  immer  nicht  gegeben:  er  liegt  auf 
dem  Gebiet,  über  welches  kein  Aktenstück  und  keine 
Chronik  Auskunft  giebt.  Wir  bemerkten,  Staat  und 
Kirche  hatten  sich  in  Sachsen  üi  einer  Weise  zusammen- 
gefunden, dals  man  sie  ohne  Übertreibung  als  ein  Ein- 
ziges bezeichnen  durfte.  Ursprünglich  war  es  der  Staat 
gewesen,  der  die  autonom  entwickelte  Kirche  in  seine 
Bahnen  gezwungen;  dann  hatte  wiederum  die  Kirche 
den  eigene  AVege  suchenden  Staat  in  den  alten  Geleisen 
festgehalten.  Wirkung  und  Gegenwirkung  hatten  das 
eine  Lebensgesetz  für  beide  erzeugt:  ihm  folgend,  wähl- 
ten sie  auch  jetzt  ihre  Stellung. 


Hier,  in  dem  Ländergebiet,  das  unser  Kurfürst  be- 
herrschte, hatte  vor  einem  Jahrhundert  die  kirchliche 
Reformbewegung  ihren  Ursprung  gefunden.  Allem,  was 
deutsch  war,  hatte  ein  Sohn  des  thüringisch-sächsischen 
Bodens  den  Stempel  seines  Geistes  aufgedrückt;  es 
schien,  als  ob  das  Staatswesen,  das  nach  seinem  Sinne 
umgebildet  war,  den  Mittelpunkt  für  die  Zukunft  der 
Nation  bilden  müsse.  Da  hatte  es  sich  im  Getriebe 
der  dynastischen  Verwicklungen  gefügt,  dafs  man  das 
religiöse  Grundprinzip  zu  einem  Objekt  der  diploma- 
tischen Geschäfte  herabgemindert  hatte:  es  ward  eine 
Zeitlang  verleugnet,  ja  aufgegeben,  um  Vorteile  zu 
erlangen,  wie  sie  aufscrhalb  der  Linie  lagen,  die  wenig- 
stens die  Politik  des  Kurhauses  bis  dahin  inne  gehalten. 
Und  nun  konnte  es  wohl  nicht  anders  sein,  wollte  man 
sie  behaupten,  so  mulste  man  auf  die  Dauer  den  Ideen 
entsagen,  welchen  man  mit  ihrer  Erlangung  untreu  ge- 
worden. So  kam  es,  dals  Sachsen  die  Anwartschaft  auf 
eine  grolse  Zukunft  aus  den  Händen  gab  und,  wie  es  zu 
geschehen  pflegt,  die  be(iueme  Gegenwart  mit  dem  Hecht 


296  Ludwig  Schwabe : 

des  Bestellenden  zu  stützen  suchte.  Nichts  war  fortan 
diesem  Staat  und  dieser  Kirche  feindlicher  als  die  gäh- 
rende  Kraft  der  fortschreitenden  Idee,  die  sie  doch  selbst 
ins  Leben  gerufen :  um  sich  selbst  zu  sichern ,  erkannten 
sie  ein  für  allemal  alles  an,  was  bestand,  und  fanden  es 
herrlich,  so  wie  es  bestand.  Hinter  den  Lehrsätzen  der 
Augustana  und  des  Konkordienbuchs  fand  man  sich  mit 
allen  auserwählten  Lutheranern  so  sicher  geborgen,  wie 
hinter  festen  Mauern:  warum  sollte  man  ihre  dauerbare 
ünveränderlichkeit  in  Frage  stellen,  indem  man  sie  nach 
aufsen  zu  verrücken  suchte?  Allem,  was  darauf  abzielte, 
stand  Kursachsen  milstrauisch,  ja  feindlich  gegenüber. 
Dagegen  glaubte  es  in  der  altgegründeten  Orthodoxie 
des  Katholizismus  ein  verwandtes  Moment  des  Beharr- 
lichen zu  erblicken;  die  Erkenntnis,  dals  auch  Reaktion 
soviel  wie  Bewegung  bedeutet,  nur  nach  rückwärts,  ging 
den  sächsischen  Staatsmännern  erst  in  den  bitteren  Er- 
fahrungen der  Folgezeit  auf.  Damals  nahmen  sie  sich 
noch  der  Existenzberechtigung  der  alten  Kirche  mit  einer 
Wärme  an,  welche  die  Reformatoren,  oder  wenigstens 
Luther,  in  nicht  geringes  Erstaunen  versetzt  haben  würde. 
Dafs  man  sie,  die  in  Böhmen  seit  uralten  Zeiten  be- 
standen, von  dort  zu  verdrängen  suche,  wurde  geradezu 
—  und  ich  bin  überzeugt,  mit  voller  Aufrichtigkeit  — 
als  ein  Grund  für  die  Parteinahme  gegen  die  Rebellen 
angeführt").  Als  man  die  Jesuiten  im  Jahre  1619  aus 
Böhmen  auswies,  befand  man  diese  Mafsregel  in  Sachsen 
nicht  nur  für  inopportun;  man  hielt  sie  vor  allem  für 
ungesetzlich.  Und  das  Gesetz,  dem  sie  zuwiderlief, 
natürlich  war  es  der  „hochbeteuerte  und  hochverpönte 
Religionsfriede,  dieses  löbliche  Band".  Li  ihm,  dem 
ideenlosesten  aller  weltgeschichtlichen  Verträge,  wurde 
die  Weisheit  toleranter  Staatskunst  nun  ein  für  allemal 
erschöpff  befunden.  Es  gab  keinen  Schmeichel-  und 
Ehrennamen,  der  die  unbegrenzte  Ehrfurcht  vor  dieser 
Magna  Charta  des  lutherischen  Epigonentums  hinreichend 
hätte  ausdrücken  können:  er  und  die  Augsburger  Kon- 
fession, beide  wurden  mit  derselben  Bezeichnung  geehrt, 
es  waren  die  „Augäpfel"  des  gemeinen  Wesens.  Die 
Konfession  mochte  sehen,  wie  sie  sich  in  dieser  Gesell- 
schaft befinden  würde.  Und  wie  das  Grundgesetz  des 
paritätischen  Reichs,    so    wurde    das  Reich    selbst   be- 


')  Vergl.  die  Äiifserung  Scliönbergs  bei  Müller  a.  a.  0.  S.  346. 


Kiirsächsische  Kircheiipolitik.  297 

trachtet:  als  das  Ideal  aller  Staatsformen.  Verwesend 
und  dem  Tode  geweiht  war  es  in  Wirklichkeit  schon 
damals;  von  diesem  Standpunkt  aus  wurde  es  für  un- 
sterblich erklärt.  Es  gehörte  zu  den  Glaubenssätzen 
des  orthodoxen  Luthertums,  dals  das  heilige  römische 
Keich,  wie  es  seit  1555  konstituiert  war,  die  wahre  vierte 
Monarchie  Danielis  sei,  welche  bis  zum  Ende  der  Zeiten 
bestellen  würde '^). 

Wie  erbittert  war  man  doch,  dafs  man  daran  zu 
rühren  wage:  dafs  man,  um  Schönbergs  Worte  zu  ge- 
brauchen, „an  die  dismembratio  einer  so  herrlichen  struc- 
turae  denken  könne,  als  sie  bishero  in  diesem  Reiche  be- 
funden". Es  war  die  jähe  Aufwallung  eines  Schläfrigen, 
der  zu  seinem  Ärger  im  Schlummer  gestört  Avird:  die 
unbequemen  Wecker,  gegen  die  sie  sich  richtete,  waren 
die  Politiker  der  Union  und  die  Calvinisten.  In  der 
That,  unüberbrückbar  mufste  der  Gegensatz  werden,  in 
welchen  der  Kurstaat  durch  diese  seine  Haltung  zu  den 
letzteren  geriet.  Sie  hatten  ja  die  Prinzipien  auf- 
genommen, die  jener  von  sich  geworfen,  mit  geringeren 
Kräften  zwar,  aber  erhöhtem  Enthusiasmus.  Nichts 
falscher,  als  wenn  man  den  Gegensatz  der  reformierten 
Konfessionen  auf  den  dogmatischen  Eifer  reclithaberischer 
Theologen  zurückführen  will;  die  Dogmen  sind  Neben- 
sache: es  war  ein  prinzipielles  Verhältnis,  wie  es  im 
Grunde  noch  heute  besteht.  Nicht  in  den  Punkten,  in 
denen  die  Calvinisten  von  den  Lutheranern  abwichen,  in 
der  Lehre  vom  Abendmahl  oder  der  Praedestination,  son- 
dern in  der  Thatsache,  dals  sie  von  ihnen  abwichen, 
darin  liegt  die  Grölse  des  Gegensatzes.  Jene  wünschten 
die  Ideen  durch  die  Autorität  der  Kirche  und  des  Staats 
beherrscht,  diese  fanden  in  der  Idee  selbst  die  höchste 
Autorität  auch  innerhalb  der  Kirche  und  des  Staats. 
Dem  Charakter  des  Zeitalters  entsprechend  waren  diese 
Anschauungen  gezwungen,  lokale  Färl)ung  anzinielimen ; 
sie  äuiserten  sich  beinahe  minder  auf  dem  Gebiet  der 
Lehre,  als  auf  dem  der  allgemeinen  Politik.  Die  Cal- 
vinisten waren  die  Träger  der  protestantischen  Proi)a- 
ganda.  Als  echte  Ideologen  protestierten  sie  gegen  das 
Lebensrecht  anders  gearteter  Überzeugung;  sie  erkann- 
ten,  dals  auch  diese  auf  die  Vernichtung  der  Gegnerin 


8)  Vergl.  z.  B.  (Höe),  Deutliclir  uikI  «ründliclie  Aufstuhning 
di-eyer  hochnötiger  Frageu,  S.  57. 


298  Ludwig  Schwabe : 

ausgehen  miifs.  Den  bestehenden  Rechtszustand,  der  die 
vornehmste  Gewalt  in  die  Hände  der  alten  Kirche  gab, 
erklärten  sie  für  unerträglich :  es  sei  albern  und  lächer- 
lich, an  seiner  Aufrechterhaltung  zu  arbeiten:  sein  Unter- 
gang sei  in  den  Sternen  beschlossen^).  So  hielten  sie 
die  dogmatischen  Symbola  für  verbesserungsfähig,  die 
Reichsverfassung  für  überlebt,  den  Religionsfrieden  für 
ein  Unglück.  Hier  wie  dort  verschmolz  sich  Religion 
und  Politik  bis  zur  Unzertrennlichkeit,  System  stand 
wider  System,  und  man  sollte  das  Bestimmende  dieses 
prinzipiellen  Gegensatzes  nicht  deswegen  leugnen,  weil 
er  mit  dynastischen  und  persönlichen  Verhältnissen  ver- 
quickt worden  ist. 

Natürlich  hatte  sich  das  streng  lutherische  Staats- 
kirchentum  in  Sachsen,  ebenso  wie  das  calvinische  in 
der  Pfalz,  nicht  ohne  die  schwersten  inneren  Kämpfe  zu 
der  Reinheit  herausgearbeitet,  in  welcher  es  uns  in  den 
Zeiten  entgegentritt,  von  denen  wir  handeln.  Mit  blu- 
tigem und  finsterem  Ernst  hatte  sich  in  Staat  und  Kirche 
die  Auseinandersetzung  der  Prinzipien  vollzogen.  Hoch- 
sinnige und  entschlossene  Geister  warfen  sicli  dem  Gange 
der  Dinge  entgegen,  sie  wurden  in  gewaltsamen  Reak- 
tionen überwältigt  und  fanden  als  Verschwörer  und  Ka- 
tilinarier  ein  Ende,  über  dessen  nächste  Ursachen  zum 
Teil  heute  noch  geschichtliches  Dunkel  liegt.  So  wurden 
fremdartige  Elemente  ausgestofsen ,  verwandte  heran- 
gezogen: mit  Anfang  des  17.  Jahrhunderts  war  dem 
äulseren  Anschein  nach  kein  falscher  Tropfen  mehr  im 
Blute  des  kursächsischen  Lutherturas.  Für  jede  ihrer 
Lehrmeinungen  wird  künftighin  der  Kirche  die  Staats- 
gewalt autoritäre  Geltung  erzwingen;  es  giebt  keine 
Mafsnahme  des  Staats,  welche  nicht  aus  dem  Geiste  der 
Kirche  heraus  ihre  theoretisch -religiöse  Rechtfertigung 
finden  wird. 

Freilich,  wenn  wir  von  dem  Geiste  der  Kirche 
sprechen,  so  ist  selbstverständlich  nicht  die  Meinung  aller 
einzelnen  gemeint.  Eine  Selbständigkeit  der  einzebien 
Meinung  —  wir  konstatieren  eine  einzige  Ausnahme,  auf 
welche  wir  zurückzukommen  haben  —  fand  in  der  kur- 
sächsischen Kirche  überhaupt  nicht  Raum.  Wie  sie 
vielmehr    von    dem   einzelnen  Pfarramt  bis   hinauf  zum 


*')  Londorp,  III,  686,  699.     Vergi.  z.  B.  auch  Höe,   Gründ- 
liche und  abgenötigte  Antwort,  146  flg. 


Kursächsisclie  Kirehenpolitik.  299 

Oberkonsistoriiim  streng  bureaiikratisch  gegliedert  war, 
so  wurde  sie  auch  nacli  Lehre  und  Kultus  durchweg 
von  oben  regiert:  in  diesen  ihren  oberen  Regionen  ist 
nach  dem  Geiste  zu  forschen,  der  auch  ihre  Allgemeinheit 
beseelt.  Nun  ist  es  ja  wahr,  sie  fand  ihre  oberste  Spitze 
in  dem  Kurfürsten  selbst,  in  dessen  Person  die  politischen 
und  religiösen  Interessen  zusammenflielsen  und  sich  aus- 
gleichen sollten  :  allein  bei  der  gutmütigen  und  ver- 
trauensvollen Nachgiebigkeit  Johann  Georgs  I.  war  es 
leider  nicht  möglich,  dals  er  auch  der  Ausfluls  für  die 
Grundsätze  geworden  wäre,  nach  welchen  sie  zu  leiten 
war.  Diese  fanden  vielmehr  ihren  Ursprung  in  der 
nächst  niederen  Instanz,  in  der  geistlichen  Behörde,  die 
ihn  persönlich  l)eriet:  dem  Oberkonsistorium.  Man  weils, 
wie  sich  hier  ein  weltlicher  adeliger  Präsident  und  der 
kurfürstliche  Oberhofprediger  in  die  obersten  Befugnisse 
zu  teilen  hatten;  ihnen  war  ein  geistlicher  und  zwei 
weltliche  Beisitzer  zugeordnet.  Wie  hätte  jedoch  der 
geistliche  Mechanismus  dieser  Landeskirche  eine  kol- 
legiale Behandlung  der  Geschäfte  vertragen!  Es  lag  in 
der  Natur  der  Sache,  dals  die  ausschlaggebende  Macht 
einem  Einzelnen  zufiel:  aller  Wahrscheinlichkeit  nach 
wird  es  der  Oberhofprediger  sein,  der  auf  das  Staats- 
oberhaupt als  dessen  Gewissensrat  den  direktesten  per- 
sönlichen Einfluls  übt. 

Während  des  dreilsigj ährigen  Kriegs  wurde  dieses 
vielleicht  einflulsreichste  Amt  im  damaligen  Sachsen  von 
Matthias  Höe  bekleidet  —  eine  vielumstrittene  Person! 
Die  einen  haben  seine  Einwirkungen  auf  die  Ent- 
schliefsungen  seines  Herrn  aufs  schärfste  betont,  die 
andern  sie  auf  ein  geringstes  zurückzuführen,  beinahe  zu 
bestreiten  gesucht :  wenn  es  uns  vergönnt  ist,  die  hier 
begonnenen  Studien  bis  zum  Ende  des  grolsen  Krieges 
fortzuführen,  hoffen  wir  darzuthun,  dafis  seine  Macht  und 
sein  Einflufs  kaum  hocli  genug  angeschlagen  werden 
kann.  Er  war  der  persönliche  Träger  und  die  klassische 
Verkörperung  des  Systems,  weiches  wir  oben  zu  schil- 
dern suchten:  es  ist  nicht  zu  umgehen,  dals  wir  seine 
Stellung  und  Persönlichkeit  des  nähern  ins  Auge  fassen^"). 


10)  Vergl.  über  Höe  den  Brecher  sehen  Artikel  in  der  Allg;. 
Deutschen  BiogTaphic,  avo  sich  auch  di(!  ciiischlän-ige  Littoratur  /u- 
saiinneng'estellt  findet.  Die  wertvollsten  uml  vollstiindiijsteii  Kaeh- 
riehten  liat  iioeli  immer  Cileicli ,  Aiuiales  Eeclesiastiei  II.  1  ff.  Eine 
erschöpfende  JJiogiiiphic  Höes  müfste  vor  allem  seine   Streitschriften 


300  Ludwig  Schwabe : 

Matthias  Höe  von  Höenegg  war  im  Jahre  1580  als 
Sohn  eines  Wiener  hochgestellten  adeligen  Juristen  ge- 
hören. Ein  ursprünglich  schwächliches  Kind,  gehörte  er 
zu  denjenigen  Menschen,  bei  denen  sich  ein  starker, 
anderweit  gehemmter  Thätigkeitstrieb  auf  die  geistigen 
Gebiete  wirft,  deren  sie  sich  von  auiisen  bemächtigen, 
ohne  innerlich  auf  ihnen  heimisch  zu  werden.  Späterhin 
zu  einer  nur  allzukräftigen  Konstitution  gelangt,  benutzte 
er  die  Erwerbnisse  seiner  mit  den  Universitätsjahren  ein 
für  allemal  abgeschlossenen  Studienzeit  zu  den  äufser- 
lichsten  Zwecken:  und  in  dem  Sinne  hat  er  mit  den  ihm 
anvertrauten  Pfunden  reichlich  gewuchert.  Diesem  Sohn 
aus  gutem  Hause  waren  die  Voiieile  seiner  Geburt, 
deren  er  sich  mit  Wohlgefälligkeit  rühmte,  zugleich  mit 
den  Gewissensnöten  fürstlicher  Damen  und  hoher  Herren 
die  bequeme  Leiter  zu  einer  wahrhaft  erstaunlich  einflulis- 
reichen  Stellung  geworden.  Was  hat  er  doch  für  eine 
Karriere  gemacht!  Mit  12  Jahren  war  er  schon  Licen- 
tiat  der  Theologie,  als  junger  Mensch  von  22  Jahren 
wurde  er  zum  Hofprediger  Kurfürst  Christians  II.  be- 
rufen; schon  als  Knabe  von  16  Jahren  hat  er  seine  erste 
Streitschrift  in  Druck  gegeben.  Es  war  kein  Wunder, 
wenn  er  sich  selbst '  als  ein  auserwähltes  Rüstzeug  zu 
betrachten  begann  ^^).  Freilich  wuIste  er  sich  auf  der 
mit  seinem  ersten  Hofpredigertum  erreichten  Höhe  vor- 
läufig nicht  zu  behaupten.  In  Zwistigkeiten  mit  seinen 
Amtsbrüdern  geraten,  mulste  er  zunächst  von  Dresden 
weichen :  er  übernahm  von  da  ab  die  Superintendentur 
in  Plauen,  von  wo  er  wieder  nach  Prag  als  oberster 
Leiter  der  dortigen  lutherischen  Gemeinden  ging,  ohne 
deswegen  doch  aus  kursächsischer  Bestallung  auszutreten. 
Endlich  im  Januar  1613,  in  seinem  33.  Lebensjahre,  er- 
öffnete   ihm    der    Tod   des    ersten    kursächsischen   Hof- 


uncl  die  ziiiu  Teil  noch  g'auz  uiig-enutzten  Ä  rchivalien  des  sächsischen 
Staatsarchivs  heranziehen.  Sein  handscliriftlicher  Nachlafs  liegt  auf 
der  Universitätsbibliothek  zn  Gröttingen. 

")  Vergl.  „Ernste  Antwort  auf  das  lästerhaittige  Sendschreiben 
von  Herrn  Jacob  von  Grünthal  etc.",  Bl.  53:  „Im  21,  Jahre  meines 
Alters  bin  ich  zum  hohen  gradu  der  Licentiae  in  der  Theologischen 
Facultät  zugelassen  und  folgendes  Jahrs  von  Churfürst  Christiane 
dem  Andern  zu  Ihrer  Churf.  Durchl.  Hofprediger  im  22.  Jahr  meines 
Alters  bestellet  und  beruften  worden.  Ob  nun  dieses  alles  zu  ge- 
schehen möglich  gewesen  were,  wann  Gott  nicht  für  andern  mich 
mit  einem  iürnehmen  Ingenio  begäbet  bette,  das  lasse  ich  zu  ver- 
stendiger  Leute  Nachdencken  gestellet  sein." 


Kursäclisisclie  Kirclienpolitik.  301 

Predigers  Paul  Jenisch  die  Stellung,  die  er  von  da  ab 
bis  zu  seinem  Tode,  32  Jahre  lang  bekleidet  hat:  das 
Oberhofpredigeramt  bei  Kurfürst  Johann  Georg  I. 

Auch   hier    ist    es  ihm  jedoch    keineswegs   sogleich 
gelungen,    die  gebietende   Stellung  einzunehmen,   die  er 
später   besafs.    Die  kursächsischen  Hofprediger,   es  gab 
deren   drei,    waren    bis   auf  ihn    im   wesentlichen    nach 
Rang   und  Machtbereich  gleich  gewesen,   der   erste   bis 
dato  nur  primus  inter  pares.     Für  Höe  bildete  der  ihm 
zuerst  zugeteilte  Titel  des  Oberhofpredigers  zugleich  die 
Handhabe,   auch    eine  thatsäcliliche  und  amtliche  Über- 
ordnung über  seine  Kollegen  und  namentlich  den  zweiten 
Hofprediger  —  damals   war  es    Daniel  Hänichen  —  zu 
prätendieren   und   schlielslich    auch   zu    erlangen.     Nach 
aulsen  fielen  zunächst   die  Streitfragen   über   das  Cere- 
moniell   des  Rangverhältnisses  ins  Auge;    das  Entschei- 
dende war,    dals   Höe    auch    den   anderen  Hofpredigern 
gegenüber  das   in  bezug  auf  sie  bisher  nicht  bestehende 
Recht  der  Zensur  für  die  geistlichen  Beisitzer  des  Ober- 
konsistoriums, deren  erster  er  ja  war,  in  Anspruch  nahm. 
Hänichen,  ein  älterer,  etwas  kränklicher  und  cholerischer 
Herr,  im  Kanzel-  und  Federkriege  gegen  Papst,  Teufel 
und  Calvinismus  ergraut,  war  nicht  der  Mann,  der  ohne 
weiteres   gewichen  wäre.    So   galt  es   denn  einen  fünf 
Jahre  lang  währenden,   heifsen  Kampf,   ehe  es  Höe  ge- 
lang, den  hartnäckigen  Amtsbruder  zu  bezwingen.    Ganz 
Dresden  wurde  bei  der  geistlichen  Fehde   in  Mitleiden- 
schaft gezogen.     Von  den  fürstlichen  Personen   und  den 
Mitgliedern    des   Geheimen  Rats    ging   die  Parteinahme 
für  Höe  oder  Hänichen   bis    herab    auf  die  Küster  und 
geistlichen    Diener.     Die    verfeindeten   Herren    grülsten 
sich  nicht,    sprachen   nicht  mit  einander,  kam  dieser  im 
Predigtstuhle  neben  jenen  zu  sitzen,  so  rückte  der  eine 
einen  Sessel  weiter,    um    die    Berührung   mit   dem  ver- 
halsten andern  zu  vermeiden.    Einst  hatten  die  Dresdner 
das    Schauspiel,    dals    sie  die   beiden   geistlichen  Ober- 
häupter des  Landes  zur  Augenweide  für  das  Pii1)likum 
von    der  Annenkirche  bis  zur  Kreuzkirche  im  lautesten 
und  heftigsten  AVortkampfe    hinschreiten   sahen:    dürfen 
wir  Höe  Glauben  schenken,  so  rief  Hänichen  schlielslich 
im    höchsten  Zorn:    „Pfui,    du  falsches  Herz,  dals  dich 
der  Teufel!",   er  begleitete  diese  AVorte  mit  einer  leider 
nicht    milszuverstolienden    Gebärde    des    äulsersten   Ab- 
scheues.   Höe   wurde  klagbar   und  trug  auf  Entfernung 


302  Ludwig  Schwabe : 

Häniclieiis  an.  Nach  einer  kurzen  Versöhnung,  die  unter 
des  Kurfürsten  persönlicher  Vermittekmg  zu  stände  ge- 
kommen, brach  die  alte  Fehde,  von  Höe  geschickt  wieder 
angefacht,  aufs  neue  aus,  und  Hänichen  mul'ste  diesmal 
(1G18)  weichen:  er  nahm  eine  Vokation  nach  Prag  an, 
wo  er  noch  vor  Jahresfrist  starb.  An  seine  Stelle  wurde 
Martin  Schlegel  berufen,  der  Stammvater  der  berühmten 
Dichter-  und  Gelehi'tenfamilie ;  er  sowohl,  wie  der  frühere 
dritte  Hofprediger  Dr.  Christophorus  Laurentius  hielten 
sich  weislich  in  bescheidener  Unterordnung  unter  den 
rücksichtslosen,  berechnenden  und  überlegenen  Höe. 
Dieser  aber  gebot  von  jetzt  ab  unumschränkt  über  das 
Gewissen  seines  Herrn  und  die  kirchliche  Haltung  des 
Kurstaates :  er  hielt  sich  zugleich  für  den  ersten  Kirchen- 
fürsten und  das  oberste  Haupt  des  deutschen  Luther- 
tums^-). 

Als  solcher  hielt  er  es  nur  für  angemessen,  wenn 
auch  der  äulsere  Glanz  seiner  Stellung  seinem  Range 
entsprach.  Wie  er  der  erste  war,  der  den  Titel  Ober- 
hofprediger führte,  so  schmückte  ihn  sehr  bald  die  Würde 
eines  kaiserlichen  Pfalzgrafen:  er  fühlte  sich  mit  Stolz 
als  einen  Hochgraduierten.  So  liebte  er  es  auch,  seiner 
persönlichen  Erscheinung  einen  angemessenen  Glanz  zu 
verleihen:  die  samtenen,  aufgeschürzten  Hosen  und  sei- 
denen Strümpfe,  die  goldenen  Ketten  und  Schuhrosen 
Höe's  bilden  ein  beliebtes  Streitobjekt  in  der  theologisch- 
politischen Pubhzistik  des  dreifsigj ährigen  Krieges.  Als 
ein  höchster  Beamter  von  Rang  und  Adel  lebte  und 
webte  er  in  der  Geselligkeit  der  grolsen  Welt:  es  that 
ihm  besonders  wohl,  wenn  er  mit  den  hohen  Würden- 
trägern der  alten  Kirche  wie  mit  seinesgleichen  ver- 
kehrte. Dafs  er  seinen  kurfürstlichen  Herrn  und  die 
Mitglieder  des  Hofes  an  seiner  Tafel  sah,  war  nichts 
Seltenes ;  er  versäumte  es  bei  keinem  seiner  zehn  Kinder, 
soweit  sie  während  seines  Oberhofpredigeramts  geboren 
wurden,  eine  Reihe  fürstlicher  Personen  zu  Pathen  zu 
bitten.  So  hat  er  denn  auch,  wie  sich  ein  späterer  Hof- 
prediger ausdrückt,  der  sein  Leben  beschrieb,  ein  gar 
schönes  Vermögen  erlangt  und  Gottes  Segen  aller  Orten 


12)  Dresdner  Archiv  III,  90,  20g,  86.  Ich  behalte  mir  für 
späterhin  vor,  das  Wichtigste  aus  diesem  interessanten  Aktenstück 
mitzuteilen.  Gleich  I,  668  f.  und  Käufer,  Reihenfolge  der  evan- 
gelischen Hofprediger  in  Dresden  S.  26,  berühren  den  Streit  der  Hof- 
prediger nur  flüchtig. 


Kursächsisclie  Kirchenpolitik.  303 

reichlicli  spüren  können.  Dieser  eingewanderte  Öster- 
reicher, der  sicher  als  ein  Mittelloser  nach  Sachsen  kam, 
endete  in  einem  Kreis  adeliger  Schwiegersöhne,  als  Erh- 
herr  auf  Lungwitz,  Gönsdorf  und  Ober-  und  Nieder- 
Rochwitz:  und  das  alles  in  einer  Zeit,  wo  das  Land 
verarmte  und  seinen  Kollegen  selbst  ihr  Gehalt  gesperrt 
war.  Es  war  kein  Wunder,  wenn  man  sich  über  die 
Quellen  dieses  Reichtums  Gedanken  machte ;  der  Vorwurf 
ist  nie  verstummt,  dais  der  Oberhofprediger  in  aus- 
giebigster Weise  der  Bestechung  durch  seine  politischen 
Verbindungen  zugänglich  gewesen  sei.  Wir  haben  auf 
diese  Dinge  zurückzukommen:  Thatsache  ist  jedenfalls, 
dafe  er  die  kaiserlichen  und  anderweitigen  „Begnadungen" 
mit  überströmender  Dankbarkeit  entgegengenommen, 
ebenso  dals  der  französische  Gesandte  ihm  eben  nach 
dieser  Richtung  hin  in  nicht  mifszuverstehender  Weise 
Anerbietungen  machen  durfte  als  Preis  für  etwaige  gute 
Dienste  im  Sinne  der  antihabsburgischen  Politik  seines 
Kardinals  ^■^). 

Lidessen,  Höe  wäre  wahrscheinlich  die  von  ihm  ein- 
geschlagenen Bahnen  gewandelt  auch  ohne  jene  äuliseren 
Vorteile,  die  er  gleichwohl  nicht  von  sich  wies:  es  Avar 
ganz  die  Richtung,  auf  die  ihn  Anlage  und  Lebensgang 
hingeführt.  In  dem  Lehrsystem  des  Konkordienbuchs 
glaubte  er  nun  einmal  den  bequemen  Schlüssel  gefunden, 
mittels  dessen  sich  alles  und  jedes  Rätsel  dieser  Erde 
mit  Leichtigkeit  lösen  liels.  So  emsig  und  vollständig 
hatte  er  es  sich  angeeignet:  welch  lästerliche  Anmutung, 
auch  nur  ein  Titelchen  davon  aufgeben  zu  sollen.  Wie 
leicht  und  sicher  entschied  der  allezeit  Redefertige  von 
diesem  festen  Grunde  aus  die  Fragen,  welche  die  Welt 
bewegten!  Andere  mochten  sich  hüten,  das  leichtgefügte, 
gesprochene  Wort  durch  Vei'ötfentlichung  in  dem  Gesichts- 
kreis der  Urteiler  festzubannen:  was  Höe  sprach,  konnte 
auch  gedruckt  werden,  und  wenn  ü-gend  möglich,  wurde 
es  auch  gedruckt.  Die  Zahl  seiner  theologischen  und  er- 
baulichen Veröifentlichungen  geht  in  die  Hunderle;  sind  sie 
grölseren  Umfangs,  so  versäumt  er  selten  die  Kürze  der 
Zeit  rühmend  hervorzuheben,  in  der  sie  entstanden  sind. 


13)  Vergl.  (ileich  II,  204f.  Geldgeschoiike  erwähnt  Höe  seihst 
prahlerisch  ineliimuls,  siehe  vor  aUeni  seinen  Brief  an  den  Wittcn- 
berg-er  Professor  .Meisner.  Thohick.  (icist  der  lutlifrischcii  Tlieol. 
Wittenhergs  S.  37.  Vergl.  auch  Gründliche  und  abgeuötiyte  Ant- 
wort, S.  59  flg. 


304  Ludwig  Schwabe : 

Deun  von  dieser  seiner  unfehlbaren  Sicherheit  ist  er 
selbst  tief  durchdrungen.  Die  Eitelkeit  ist  ja  wohl  die 
Erbkrankheit  litterarischer  Männer;  aber  so  massiv  Avie 
bei  Höe  dürfte  sie  selbst  unter  ihnen  nur  selten  zu  finden 
sein.  „Ich  kann  Gott  nicht  genugsam  danken",  schreibt 
er  in  einer  seiner  Streitschriften,  „für  die  hohen  grofsen 
Gaben,  die  seine  heilige  Allmacht  mir  verliehen".  Er 
meinte  demnach,  es  müsse  doch  wohl  seinen  guten  Grund 
haben,  wenn  ihn  der  Herr  an  so  hohe  Kirchenstellen  be- 
rufen. So  fühlte  er  sich  als  den  Hohenpriester  —  den 
„Höepriester"  nennen  ihn  die  zeitgenössischen  Pam- 
plilete  — ,  der  das  Arcanum  des  deutschen  Luthertums 
zu  verwalten  habe.  Wehe,  wer  daran  zu  rühren  wagte; 
er  hatte  zugleich  die  Person  des  Heiligen  berührt,  und 
dann  wurde  ein  litterarisches  Gericht  vollzogen  in  einer 
Form  der  Polemik,  deren  Unflätigkeit  wohl  niemals  über- 
boten worden  ist.  „Die  Köpfe  sind  so  grindig  und  un- 
sauber", lautet  die  anmutige  Rechtfertigung,  „man  braucht 
eine  scharfe  Lauge".  Es  sollte  die  leidenschafterzeugte 
Sprache  Martin  Luthers  sein,  die  er  nachzuahmen 
trachtete:  aber  in  diesem  Munde  atmete  sie  nur  kalt- 
herzige Brutalität. 

Jede  Staatshandlung  seines  Herrn  salbte  er  mit  dem 
immerflüssigen  Öl  seiner  kanzelrednerischen  Saada:  bald 
ist  es  eine  Landtags-,  bald  eine  Kreistags-,  bald  eine 
Türkenpredigt;  bei  Erneuerung  der  Erbeinungsverträge 
erschallt  eine  Naumburgische  Friedens-  und  Freudenpost. 
Den  lausitzisch -böhmischen  Feldzug  begleitete  er  von 
Anfang  bis  Ende  in  jedem  seiner  Stadien  mit  seinen 
rednerischen  Leistungen;  es  ist  selbstverständlich,  dafs 
eine  jede  auch  im  Druck  erschien.  So  haben  wir  eine 
Christliche  Predigt  als  wegen  ritterlicher  Eroberung  von 
Budissin,  eine  Budissinische  Huldigungs-  und  eine  Budis- 
sinische  Abzugspredigt,  eine  Danksagungspredigt  bei 
Wiederkunft  in  Dresden,  eine  Freudenpredigt  über  den 
schlesischen  Akkord,  eine  schlesische  Jaurische  Hul- 
digungs- und  eine  Lausitzische  Huldig-  und  Landtags- 
predigt, und  wie  hier  so  hielt  er  es  früher  und  später. 
Aber  das  Wichtige  ist,  dals  sich  seine  Teilnahme  an  den 
politischen  Händeln  eben,  wie  erwähnt,  nicht  auf  diese 
ihre  geistliche  Weihegebung  beschränkte.  Im  einzelnen 
Falle  ist  sein  Einflufs  auf  die  Entschlielsungen  der  Re- 
gierung als  ein  persönlichstes  Moment  wenigstens  nicht 
immer  nachzuweisen;  dals  er  im  allgemeinen  und  beson- 


Kursächsisclie  Kirchenpolitik.  305 

ders  auch  in  den  gegenwärtig-  von  uns  behandelten  Jahren 
thatsächlich  vorhanden  und  oft  aussclilaggebend  war, 
beweisen  die  Bemühungen  auswärtiger  Mächte  um  seine 
Gunst  am  besten  und  steht  aulser  aller  Frage.  Die 
evangelischen  Gegner  Sachsens  sahen  überhaupt  in  ihm 
den  Urheber  der  unprotestantischen  Haltung^  Johann 
Georgs:  der  ganze  leidenschaftliche  Zorn  der  Überwun- 
denen entlad  sich  auf  Höes  verhafstes  Haupt.  Und  er 
selbst  lehnt  diese  Vorwürfe  keineswegs  von  sich  ab:  er 
zieht  selbst  die  Grenze,  die  seines  Erachtens  für  die 
EinJlulsnahme  des  ersten  geistlichen  Beraters  des  Kur- 
fürsten geboten  ist.  Zwar,  dafs  er  an  den  Sitzungen 
des  Geheimen  Rats  bei  den  Beratungen  über  Krieg  oder 
Frieden  teilgenommen,  wie  ihm  eine  Streitschrift  vor- 
wirft, kann  er  der  Wahrheit  gemäfs  bestreiten ;  aber  dals 
er  dem  Kurfürsten  zu  seiner  Haltung  geraten,  und  mit 
Erfolg  geraten,  mündlich  sowohl  wie  schriftlich,  findet 
er  nicht  mehr  als  billig  und  amtsgemäfs.  Steht  denn 
nicht  geschrieben:  gehorchet  euren  Lehrern,  und  folget 
ihnen;  denn  sie  wachen  über  eure  Seelen?  Frug  nicht 
.  auch  König  Joram  den  Propheten  Elisa,  ob  er  streiten 
solle  gegen  Mesa,  der  Moabiter  König?  Und  David 
selbst,  beim  Kampf  gegen  die  Amalekiter,  holte  er  sich 
nicht  Bats  bei  Abiatlian,  dem  Priester,  Ahimelechs  Sohn 
1.  Sam.  30? 

Mesa,  das  ist  Friedrich  V.  von  der  Pfalz ;  die  Moabiter 
und  Amalekiter,    das   sind  die  Böhmen  und  Calvinisten. 

Höe  hatte  von  jeher  dem  unbedingten  Anschluis  an 
Österreich,  dem  er  entstammte,  das  Wort  geredet.  Als 
Erzherzog  Ferdinand  zum  Kaiser  gewählt  war,  hatte  er 
diesem  erl)ittertsten  Gegner  des  Lutliertums  in  einem 
Schreiben  voll  überflielsender  Verehrung  Glück  gewünscht. 
Die  überaus  schmeichelhafte  Antwort  beweist,  wie  hohen 
Wert  man  schon  damals  auf  die  Freundschaft  des  kur- 
fürstlichen Gewissensrats  legte.  Es  verdient  sehr  her- 
vorgehoben zu  werden,  was  eigentümlicherweise  bisher 
vollständig  übersehen  worden  ist,  dafs  das  Privilegium, 
in  welchem  Kaiser  Ferdinand  den  Oberhofprediger  zum 
kaiserlichen  Comes  palatinus  mit  dem  Recht  der  Ver- 
erbung dieser  Würde  auf  einen  seiner  Söhne  ernennt, 
vom  25.  Februar  1620  datiert^').     Der  folgende  Tag,  der 


")  Böttiger- Fiat  he  11,  138  und  wohl  nach  ihm  Brecher, 
S.  544  setzen  die  Ernennung  aus  mir  unbekannten  Gründen  Novrmher 

Neues  Archiv  f.  S.  C.  n.  A.  XI.  ;!.    1.  20 


306  Ludwig  .Schwabe: 

26.  Februar,  ist  das  Datum  des  Kreditivs  für  den  Grafen 
Hannibal  von  Dohna,  der  durch  die  oben  erwähnten  Ver- 
sprechungen das  sächsische  Kabinett  für  den  Bund  mit 
der  Liga  gewinnen  sollte :  es  ist  gar  kein  Zweifel,  Dohna 
war  auch  der  Überbringer  des  kaiserlichen  Gnaden- 
beweises  für  Höe.  Wenn  er  nur  Belohnung  für  schon 
geleistete  Dienste  sein  sollte,  so  kam  er  merkwürdig 
ä  propos :  so  harmlos  wird  wohl  niemand  sein ,  und  Höes 
Darstellung  beipflichten,  der  die  Verleihung  des  Palati- 
nats  nur  als  Ausdruck  der  kaiserlichen  Erkenntlichkeit 
für  sein  Gratulationsschreiben  aufgefalst  zu  sehen  wünschte. 
In  Wien  wuIste  man  späterhin  von  einem  Promemoria, 
in  welchem  er  seinem  Herrn  die  Gründe  entwickelt  hatte, 
nach  welchen  dieser  gewissenshalber  auf  Seiten  des 
Kaisers  zu  treten  gezwungen  sei.  Er  begleitete  den 
Kurfürsten  nach  Mühlhausen  auf  den  Fürstentag;  in 
welchem  Sinne  dort  die  Entscheidung  fiel,  haben  wir 
oben  gesehen.  Wie  wohl  hatte  sich  Höe  im  Verkehr 
mit  den  Erzbischöfen  und  iliren  vornehmen  Räten  ge- 
fühlt! Als  man  zurückreiste,  richtete  er  ein  Schreiben 
an  den  Kaiser,  um  sich  für  das  Palatinat  zu  bedanken. 
So  feurig,  wie  in  ihm,  hatte  sich  seine  kaiserliche  Ge- 
sinnung noch  niemals  geäulsert:  „Davon  lasse  ich  mich 
nicht  bringen  Gnad  oder  Ungnad,  Freund  oder  Feind, 
Silber  oder  Gold,  Menschen  oder  Engel,  ja  überall  nichts, 
weder  Hohe  noch  Niedrige,  und  glaube  festiglich,  Der 
Ew.  Kais.  Majestät  die  Kaiserliche  und  Königliche  Krone 
selber  ordentlich  aufs  Haupt  gesetzt,  Der  werde  auch 
Ew.  Kais.  Majestät  dabei  mächtig  und  gewaltig  schützen 
und  handhaben,  alle  Ew.  Kais.  Majestät  muth willige  Feinde 
auf  die  Backen  schlagen,  ihre  Zähne  zerschmettern,  sie 
zurücke  kehren  und  kläglich  zu  Schanden  werden  lassen, 
Amen,  das  gebe  der  Gott  aller  Götter  und  der  König 
aller  Könige,  Amen."  Was  er  nur  thun  und  leisten 
könne,  „so  kais.  Majestät  in  itzigem  zustand  zu  gefallen 
und  nutz  gereiche",  versprach  er  nimmermehr  und  zu 
keiner  Zeit  zu  unterlassen. 

Wir  bemerkten  jedoch  schon,  diese  persönlichen  Be- 
ziehungen   mögen    Höe    in    seinem   Verhalten   bestärkt 


1621.  Auch  Gindely  II,  418  ist  sich  über  das  Datum  unklar.  Das 
Privilegium  findet  sich  abgedruckt  in  Höes  Streitschrift  „Gründ- 
liche Ableinung  50  Calvinischer  Erz-  imd  Hauptlügen",  welche  schon 
im  November  1620  verfafst  worden  ist. 


Kiirsäclisisclie  Kirchenpolitik.  307 

halben,  dazu  bestimmt  haben  sie  ihn  nicht.  Viehnehr  be- 
wegte er  sich  auch  jetzt  nur  in  der  Richtung,  welche 
die  kurstaatliche  Politik  schon  längst  und  die  auch  er 
schon  von  Jugend  auf  eingeschlagen,  wie  sie  denn  seinem 
Wesen  so  ganz  entsprach.  Schon  seiner  Abkunft  nach 
war  er  ja  zu  einer  Stellungnahme  vorherbestimmt,  die 
enie  höfliche  gegenseitige  Anerkennung  zwischen  Luther- 
tum und  Katholizismus  in  sich  schlols:  er  hat  sich  sein 
lebenlang  nur  ausnahmsweise  und  durch  die  dringendste 
Veranlassung  bestimmt  zu  einer  Polemik  gegen  diese 
andere  anerkannte  geistliche  Grolsmacht  bewogen  ge- 
funden ;  auch  dann  liels  er  den  Anstand  des  diplomatischen 
Verkehrs  nur  selten  aulser  acht.  Dagegen  war  der 
schonungslose  und  giftige  Streit  mit  den  Calvinisten  sein 
eigentliches  Lebenselement :  nach  dieser  Seite  entlud  sich 
die  ganze  Galle  seines  übelwollenden  Wesens.  Innerlich 
gleichgültig,  wie  er  den  religiösen  Dingen  im  Grunde 
gegenüberstand,  fühlte  er  einen  instinktiven  Widerwillen 
gegen  diese  Fanatiker  der  Idee;  ihre  warmherzige,  oft 
ungeordnete  Begeisterung  war  seiner  frostigen,  schema- 
tisierten Frömmigkeit  unbequem.  Jene  vorher  erwähnte 
Erstlingsschrift,  die  er  mit  16  Jahren  verfalste,  war 
gegen  den  Calvinismus  gerichtet;  seine  akademischen 
Redeübungen  bewegten  sich,  soweit  sie  theologischer 
Natur  waren,  im  wesentlichen  um  denselben  Gegenstand; 
seit  er  im  Amte  war,  verging  kein  Jahr,  ohne  dals  er 
auf  der  Kanzel  oder  dem  litterarischen  Markte  einen 
polemischen  Streifzug  gegen  den  calvinischen  Greuel 
unternahm.  Auch  den  böhmisch  -  ligistischen  Feldzug 
unterstützte  er  selbstverständlich  nach  dieser  Seite  hhi 
mit  seiner  streitfertigen  Feder:  ihre  Erzeugnisse  be- 
zeichnen uns  deutlich  den  prinzipiellen  Standpunkt  der 
von  ihm  beeinflulsten  und  so  sehr  gebilligten  Politik. 


Ehe  wir  jedoch  zum  Schluls  einen  Blick  auf  diese 
seine  litterarische  Thätigkeit  A\erfen,  sei  es  erlaubt,  auf 
einen  Gegenstand  zurückzukommen,  der  oben  nur  tlüchtig 
gestreift  werden  konnte. 

Wir  sprachen  von  einer  Ausnahme,  in  welcher  sich 
die  freie  Meinungsäulserung  innerlialb  des  kurstaatlichen 
Kü'chentums  ihr  Existenzrecht  gewahrt  habe:    selbstver- 

20* 


308  Ludwig  Schwabe: 

ständlich  waren  die  theologischen  Fakultäten  der  Landes- 
universitäten Wittenberg  und  Leipzig  gemeint.  Nicht 
zwar,  dais  sie  von  der  Botmälsigkeit  der  kirchlichen 
Obergewalten  rechtlich  eximiert  gewesen  wären,  aber 
kraft  ihrer  weltgeschichtlichen  Tradition  und  durch- 
drungen von  der  Würde  der  Wissenschaft  behaupteten 
sie  eine  gewisse  Sonderstellung,  welche  denn  auch  von 
den  anderen  Autoritäten  wennschon  mit  Widerwillen, 
respektiert  worden  ist.  Gerade  jetzt  fanden  sie,  oder 
wenigstens  eine  von  ihnen,  Wittenberg,  Gelegenheit,  sie 
zur  Geltung  zu  bringen.  Herzog  Johann  Ernst  von 
Weimar,  späterhin  bekannt  als  Parteigänger  der  böh- 
mischen Rebellion,  hatte  sich  wegen  der  geplanten  Auf- 
lehnung gegen  den  Kaiser  in  seinem  Gewissen  beunruhigt 
gefühlt:  er  wandte  sich  an  seine  Jenenser  Theologen  mit 
dem  dringenden  Verlangen,  ihm  aus  der  Schrift  und 
Doktor  Luthers  Büchern  bündige  und  baldige  Auskunft 
zu  geben,  ob  es.  in  gegenwärtigem  Falle  recht  sei  oder 
nicht,  gegen  König  Ferdinand,  der  doch  immerhin  die 
von  Gott  eingesetzte  Obrigkeit  darstelle,  die  Waffen  zu 
erheben.  Die  Jenenser  fühlten  sich  allein  so  schweren 
und  wichtigen  Sachen  nicht  gewachsen:  sie  meinten,  es 
sei  am  besten,  sich  bei  den  angesehenen  Theologen  der 
alten  Lutheruniversität  Rats  zu  erholen.  So  eilten  sie 
denn  in  den  unwirtlichen  Wintertagen  des  Januar  1620 
von  Jena  nach  Wittenberg,  und  gingen  die  dortigen  Kol- 
legen in  der  fraglichen  Sache  um  ein  Gutachten  an, 
welches  diese  ihnen  denn  auch,  wennschon  mit  begreif- 
lichem Zögern,  schlielslich  erteilten.  Es  war  der  Form 
nach,  welche  sich  in  etwas  weithergeholten  Distinktionen 
bewegte ,  nicht  recht  glücklich  ausgefallen :  sein  Inhalt 
atmete  den  Mut  protestantischer  Überzeugung.  Die  Pro- 
fessoren erkannten  an,  es  sei  hart,  gegen  die  gottgeord- 
nete Obrigkeit  aufstehen  zu  sollen ;  allein,  wo  es  sich  um 
die  höchsten  Güter  handle,  könne  dieses  Bedenken  nicht 
mehr  in  die  Wagschale  fallen,  das  sei  auch  Luthers 
Meinung  nicht  gewesen:  sie  rieten  zum  Losschlagen  für 
die  Böhmen  und  gegen  den  Kaiser.  Als  das  Gutachten 
schon  nach  Weimar  abgegangen  war,  schickten  sie  eine 
Abschrift  desselben,  nebst  einem  schon  früher  verfalsten 
Schreiben  ähnlichen  Inhalts,  welches  für  den  Kurfürsten 
bestimmt  war  und  welches  sie  aus  mir  unbekannten 
Gründen  bis  dahin  zurückbehalten  hatten,  an  den  Ge- 
heimen Rat.    In  Dresden  rüstete  man   sich   gerade  für 


Kursächsische  Kircheniiolitik.  309 

den  Miililliauseiier  Tag,  als  der  Schritt  der  Wittenbeiger 
Theologen  bekannt  wurde.  Man  war  sehr  ungehalten; 
die  Antwort  des  Geheimen  Rats  glich  einem  Verweise: 
künftig  solle  die  Fakultät  minder  übereilt  handeln,  sich 
vorher  besser  informieren,  die  Verordnung  des  Kurfürsten 
abwarten.  Man  liels  durchblicken,  wie  unangenehm  die 
Sache  dadurch  würde,  dafs  das  Gutachten  nicht  geheim 
bleiben,  sondern,  wie  man  allen  Grund  habe  anzunehmen, 
in  Druck  gehen  würde.  Das  letztere  war  denn  auch 
wirklich  der  Fall,  und  die  Fakultät  mufste  nun  freilich 
einsehen,  dais  sie  der  inzwischen  kundbar  gewordenen 
Politik  ihrer  Regierung  direkt  entgegengearbeitet  hatte. 
Aus  dieser  Einsicht  heraus  mag  es  denn  auch  entschuld- 
bar erscheinen,  wenn  sie  ihrem  vorherigen  Standpunkt  in 
etwas  untreu  wurde:  sie  erbot  sich  selbst  gegen  den 
Geheimen  Rat ,  nunmehr  auch  ihrerseits  das  Gutachten 
in  Druck  zu  geben,  jedoch  mit  einer  Aufschrift  und  einer 
Vorrede  versehen,  nach  welcher  es  sich  nur  ganz  im 
allgemeinen  auf  den  Fall  beziehen  sollte,  dals  der  Kaiser 
einen  Stand  lutherischer  Konfession  angriffe,  womit 
seine  AnA\'endbarkeit  auf  die  gegenwärtige  Lage  aller- 
dings hinfällig  geworden  wäre.  Allein  diese  Interpreta- 
tion widersprach  dem  Sinn,  in  welchem  das  Gutachten 
ursprünglich  abgefalst  war  und  der  auch  jetzt  noch 
keinem  Leser  desselben  entgehen  konnte,  so  offenbar, 
dals  auch  mit  einer  so  redigierten  Veröffentlichung  dem 
sächsischen  Kabinett  in  der  von  allen  Seiten  bearbeiteten 
öffentliclien  Meinung  nur  ein  sehr  zweifelhafter  Dienst 
erwiesen  war.  So  fand  es  denn  Höe  für  besser,  dafs  in 
der  Wittenberger  Publikation,  die  ihm  der  Kurfürst  zur 
Begutachtung  vorgelegt  hatte,  der  wiederholte  Abdruck 
des  Bedenkens  vermieden  würde;  dagegen  entwarf  er 
selbst  eine  teils  kürzende,  teils  erweiternde  Umarbeitung 
der  von  den  Professoren  verfalsten  Vorrede,  welche  sich 
unter  seinen  Händen,  wie  nicht  anders  zu  erwarten,  zu 
einem  vollständigen  Widerruf  dessen  gestaltete,  was  in 
dem  Gutachten  stand:  dieses  Höesche  Elaborat  sollte 
alsdann  als  Erklärung  der  Fakultät  im  Druck  erscheinen. 
Mit  diesem  Manöver  ist  er  jedoch  nicht  durchgedrungen. 
Der  Kurfürst  übersandte  die  Vorschläge  Höes  der  Fa- 
kultät, welche  die  Kürzungen  der  Vorrede  zwar  accep- 
tierte,  die  Zusätze  aber  vcrwaif,  den  Wiederabdruck  des 
Bedenkens  nicht  unterliels  und  also  schlielslich  ihrer  ge- 
druckten Erklärung  eine  Form  verlieh,  welche  noch  viel 


310  Ludwig  Schwabe: 

minder   den  Absichten   der   Höeschen  Zensnr   entspi'acli 
wie  die  zuerst  vorgeschlagene. 

Es  zeigte  sich  sehr  bald,  dals  die  Fakultät  trotz 
allem  ihre  Meinung  in  der  Sache  selbst  nicht  im  min- 
desten geändert  hatte.  Sei  es  nun,  dals  man  wirklich  in 
der  Zustimmung  der  Universitätstheologen  eine  Be- 
ruhigung des  konfessionellen  Gewissens  zu  finden  hoifte, 
sei  es,  dafs  man  sich  mit  einem  günstigen  Gutachten 
derselben  vor  der  öffentlichen  Meinung  zu  decken  ge- 
dachte, genug,  Anfang  Mai  1620,  als  man  schon  im  Be- 
griffe war,  die  längst  festgeplante  Politik  in  Handlungen 
umzusetzen ,  wandte  sich  die  kurfürstliche  Regierung  an 
die  theologischen  Fakultäten  Leipzig  und  Wittenberg, 
um  nun  auch  ihrerseits  ein  theologisches  Bedenken  wegen 
der  bevorstehenden  Unterstützung  der  kaiserlichen  Politik 
zu  extrahieren.  Die  Frageformel,  welche  ihnen  vorgelegt 
wurde  und  die  offenbar  Höe  entworfen  hatte,  war  so  ab- 
gefafst,  dals  sich  die  Professoren,  auch  wenn  es  ihnen 
nicht  anderweit  bekannt  gewesen  wäre,  darüber  nicht 
zweifelhaft  sein  konnten,  in  welcher  Weise  man  die  Ant- 
w^ort  wünschte.  Gleichwohl  wagten  es  wenigstens  die 
AVittenberger,  ihren  Standpunkt  zu  behaupten.  Leider 
gestattet  der  Raum  nicht,  ihre  Antwort  ausführlich 
wiederzugeben.  Im  wesentlichen  lief  sie  darauf  hinaus, 
dafs  man  den  Kaiser  nur  dann  unterstützen  könne,  wenn 
erstens  seine  Sache  eine  zweifellos  gerechte  sei,  w^enn 
man  sich  zweitens  vor  dem  Bündnisschluls  einer  unbe- 
dingt gewissen  Garantie  hinsichtlich  des  lutherischen 
Bekenntnisses  versichert  habe  und  wenn  es  endlich  durch- 
aus ausgeschlossen  sei,  dafs  der  etwaige  Sieg  Ferdinands 
der  römischen  Kirche  zu  gute  kommen  würde.  Das  Gut- 
achten gab  deutlich  zu  erkennen,  dals  es  keine  dieser 
Bedingungen  für  erfüllt  halten  könne.  Zudem  machte 
es  das  Bündnis  von  einer  vorhergehenden  Verständigung 
mit  allen  lutherischen  Mächten,  auch  des  Auslandes,  ab- 
hängig: ein  Vorschlag,  wie  er  direkter  der  Haltung  des 
kurfürstlichen  Kabinetts  nicht  entgegengestellt  Averden 
konnte.  Hinsichtlich  der  Geheimhaltung  war  man  jetzt 
vorsichtiger  wie  vordem:  kein  Abschreiber  bekam  das 
Schriftstück  in  die  Hände,  einer  von  den  Professoren 
verfertigte  selbst  die  für  den  Kurfürsten  bestimmte 
Kopie.  Der  scholastische  Formalismus,  welcher  bei  dem 
Bedenken  für  Johann  Ernst  stört,  war  diesmal  ver- 
mieden.    Kurz,    klar    und  bündig    zeigt  das    Gutachten 


Kursäclisisclie  Kirchenpolitik.  311 

die  vSprache  von  Männern,  welche  in  der  Stunde  der 
(ietalir  ohne  Menschenfurcht  ihrem  Gewissen  folgen. 
Man  soll  es  den  wackern  Gelehrten  nie  vergessen^"'). 

Nicht  auf  der  gleichen  Hölie  hielt  sich  die  Leipziger 
Theologenfakultät.  Schon  auf  der  Reise  nach  Mühl- 
hausen (Februar  1620)  hatte  Höe  bei  ihr  vorgesprochen, 
ihre  Meinung  hinsichtlich  der  grolsen  Tagesfrage  zu  er- 
forschen und  sie  zu  bearbeiten  versucht.  Schon  damals 
hatten  sich  die  Leipziger  Theologen  willfährig  erwiesen, 
und  es  entsprach  nur  ihrer  früheren  Haltung,  wenn  sie 
sich  jetzt  den  kurfürstlichen  Wünschen  gegenüber  viel 
entgegenkommender  verhielten  wie  ihre  Kollegen  in 
Wittenberg.  Sie  hatten  bereits  in  ihrer  Antwort  an 
Höe  mit  melancholischer  Gleichgültigkeit  bemerkt:  da 
man  die  Frage  also  beschaffen  und  gefafst  befinde,  dals 
daraus  leichtlich  zu  spüren,  in  quam  partem  sich  der 
Ausschlag  geben  würde,  so  hätten  auch  sie  nach  Gestalt 
der  Sachen  keine  Ursach,  davor,  dahin  der  Verfasser  der 
Frage  inkliniere,  zu  dissuadieren.  Sie  bezogen  sich  auf 
diese  ihre  frühere  Auskunft  und  rieten  also  von  dem 
Bündnis  nicht  ab.  Gleichwohl  bewies  das  offenbare 
Widerstreben,  mit  dem  auch  sie  diese  Erklärung  ab- 
gaben, wie  Avenig  wohl  ihnen  bei  der  Sache  war:  es  war 
offenbar,  einer  lebhaften  Unterstützung  durfte  sich  die 
Politik  des  Landes  von  selten  seiner  gelehrten  Körper- 
schaften nicht  gewärtigen. 

So  war  es  denn  Höe  allein,  auf  welchem  die  Auf- 
gabe ruhen  blieb,  die  Maisnahmen  seines  Herrn  publi- 
zistisch und  theologisch -zu  rechtfertigen:  man  muls  zu- 
gestehen, er  hat  sich  dieser  Aufgabe  nicht  ohne  Geschick 
und  mit  wahrhaft  erstaunlicher  Arbeitskraft  zu  entledigen 
gewulst.  Zunächst  besorgte  er  wohl  eigens  die  Geschäfte, 
welche  man  den  Fakultäten  zugedacht  hatte,  wenn  er 
eine  Denkschrift  in  offiziellem  Auftrage  zum  Druck  be- 
förderte, die  die  Haltung  des  Kabinetts  vor  dem  Kichter- 
stuhle  der  öffentlichen  Meinung  und  der  Theologie  ver- 
teidigen sollte.  Es  war  der  Traktat  „Deuthche  und 
gründliche  Aufsführung  dreyer  jetzo  hoch  nötiger  und 
ganz  wichtiger  Fragen",  wolclier  im  Herbst  1020  er- 
schien,   ohne    Autornamen    und   Angabe    des  Druckorts. 


^^)  Was  Müller  a  a.  O.  S.  :no  f.  vorbriiiii:t,  istiiiir  absolut  un- 
verständlich;    er    kann    die    einschl.äj^iyen  Akten    unniöt;:lich  bis   zu 


Ende  gelesen  haben. 


312  Ludwig  Schwabe: 


Mit  mannigfachen  Analogien  aus  der  heiligen  und  Pro- 
fangeschichte, unter  vielen  Verbeugungen  vor  der  alten 
katholischen  Kirche  und  noch  öfteren  giftigen  Ausfällen 
gegen  den  calvinistischen  Höllengeist  wurden  hier  die 
drei  Möglichkeiten  abgehandelt :  ob  man  dem  Kaiser  bei- 
stehen, die  Böhmen  unterstützen  oder  neutral  bleiben 
solle.  Höe  hatte  die  Schrift  während  des  lausitzischen 
Feldzugs  verfafet,  bei  welchem  er  den  Kurfürsten  be- 
gleitete. Sie  wurde  Anfang  Oktober  1620  von  Bautzen 
aus  vor  ihrer  Drucklegung  zur  Begutachtung  und  Kor- 
rektur dem  Oberkonsistorium  zugesandt,  dem  zu  diesem 
Zwecke  die  beiden  anderen  Hofprediger  zugeordnet  waren. 
Hier  ist  es  nun  merkwürdig,  dals  sich  damals  noch  in 
diesem  Kreise  eine  Gegenströmung  gegen  Höe  bemerk- 
lich machte.  Nicht  zwar,  dals  man  die  Tendenz  der  Ab- 
handlung milsbilligte,  das  war  natürlich  ausgeschlossen. 
Auch  lobte  man  den  Fleils  des  Verfassers:  für  die  Eile, 
in  welcher  die  Denkschrift  verfalst  wäre,  sei  sie  so  übel 
nicht.  Allein  schon  theologischerseits  wurden  eine  Eeihe 
von  Ausstellungen  gemacht.  Dazu  fand  man  die  ganze 
Disposition  für  verfehlt;  die  schroffen  Ausfälle  gegen  die 
Calvinisten  wünschte  man  gemildert,  die  Betonung  des 
Gegensatzes  gegen  die  alte  Kirche  verschärft;  die  Gut- 
achter hätten  es  überhaupt  lieber  gesehen,  wenn  die 
Schrift  von  einem  Politilais  abgefalst  worden  wäre.  In- 
dessen, sie  mulsten  sehr  bald  bitter  empfinden,  dafs  gegen 
den  Einfiuls  des  Oberhofpredigers  nicht  mehr  aufzukommen 
war.  Höe  entwarf  selbst  das  in  des  Kurfürsten  Namen 
an  das  Oberkonsistorium  zu  erlassende  Antwortschreiben ; 
es  war  sehr  herrisch  abgefalst :  man  fände  die  Einwürfe 
der  Herren  für  unerheblich;  sie  möchten  die  Drucklegung 
der  Schrift  bewirken,  so  wie  sie  der  Oberhofprediger  ver- 
falst,  und  für  ihre  Versendung  in  die  Kanzleien  des  Kur- 
staats Sorge  tragen. 

Diese  offizielle  Schriftstell  er  ei  war  nun  aber  nur  der 
geringste  Teil  von  Höes  publizistischer  Thätigkeit.  Mir 
sind  allein  für  die  kurze  Zeit  des  böhmischen  Krieges 
sieben  umfänglichere  Streitschriften  bekannt,  die  er  teils 
in  eigner  Sache,  teils  im  allgemeinen  Interesse  des  von 
ihm  verfochtenen  Standpunktes  veröffentlicht  hat^'').    Da- 

*")  Aiifser  den  im  Text  genannten  Streitschriften  führe  ich  an: 
Calvinistarnm  vera,  viva  et  genuina  descriptio  contra  Lud.  Crocium. 
Lips.  1620.  Erklärung  auf  "die  von  den  Calvinisten  ausgesprengte 
Delineation,  mit  angehefftem  gründlichen  Bericht,  ob  Herr  Dr.  Höe 


Kiirsächsische  Kirflieiipulitik.  313 

lieben  kommen  die  schon  erN\älinten  gedrnckten  Predigten 
in  betracht,  deren  eine  oder  andere  er  ihrer  beson- 
deren Veranlassung:  nach  mit  einer  Vorrede  versah, 
welche  sich  in  gleicher  Linie  bewegte  wie  seine  übrigen 
Schriften. 

Wenn  ich  diese  von  Höe  geschaöene  oder  veranlalste 
Ijitteratnr  überschaue,  wie  sie  uns  aus  den  Jahren  16"20 
und  1(521  vorliegt,  so  bin  ich  nicht  zweifelhaft,  die  unter 
ihnen  für  die  Beurteilung  jener  Zeiten  wichtigste  Schrift 
ist  die  von  ihm  besorgte,  mit  einem  Nachwort  versehene 
uud  durchgehends  gebilligte  Neuauflage  des  Traktats 
seines  Vorvorgängers  Polykarpus  Leyser:  ,,0b,  wie  uud 
warum  man  lieber  mit  den  Papisten  (jemeinschaft  halten 
solle,  denn  mit  den  Calvinisten".  Nicht  zwar,  dals  sie 
besonders  viel  des  interessanten  Details  enthalte,  wie  es 
uns  die  übrigen  Flugschriften  so  vielfach  bieten :  aber 
einmal  stellt  sich  uns  in  ihr,  da  sie  schon  vor  18  Jahren 
verfafst  und  jetzt,  wie  erwähnt,  nur  neuaufgelegt  war, 
am  deutlichsten  der  traditionelle  Standpunkt  der  kur- 
sächsischen Kirchenpolitik  dar,  und  dann  legt  sie  die 
innersten  Regungen  dieses  Luthertums  mit  einer  Offen- 
heit blols,  wie  man  sie  anderswo  schwerlich  finden  dürfte. 
Die  erste  Frage,  welche  der  Titel  aufwirft  —  ob?  — 
wird  selbstverständlich  bejaht.  Die  zweite  —  wie?  — 
beantwortet  Leyser  kurz  dahin:  politisch  aber  nicht  dog- 
matisch. Die  Erörterung  der  dritten  —  warum?  —  bildet 
den  Hauptinhalt  der  Streitschrift.  Hier  führt  der  Ver- 
fasser zunächst  die  Lehre  im  allgemeinen  an,  in  betreff 
deren  die  Lutherischen  dem  Katholizismus  näher  stünden 
als  dem  Calvinismus:  er  begründet  dies  summarisch  mit 
den  bekannten  Hauptdifferenzen  zwischen  den  beiden 
reformierten  Bekenntnissen.  Den  anderen  Grund,  bei 
dem  er  mit  besonderer  Vorliebe  verweilt,  entnimmt  er 
den  Weissagungen  der  Offenbarung  Johannis  über  den 
orientalischen  und  occidentalischen  Antichrist,  welche 
beide  am  Ende  der  Zeiten,  wenn  das  vierte  Tier  mit  den 
eisernen  Zähnen  und  den  vier  Hörnern  regieren  wiid.  auf- 
kommen und  die  christliche  Kirche  betrüben  sollen.  Der 
orientalische  Antichrist  ist  natürlich  der  Mohammed,  der 


liishcr  die  Calvinisten,  oder  sie  ihn  eingetrieben.  Leipziii'  1620. 
Gründliclie  Ablciiiuiiy  l'uiit't'zii;-  statliclicr  aurscrlcsencr  und  in  alle 
Ewigkeit  nnerweilsliilier  Calvinisclier  Ertz-  und  Hauptlügcii.  Leip- 
zig 1H21.  —  Höes  damaliger  Verleger  war  Abraham  Lanilicrg. 


314  Ludwig  Schwabe: 

„in  seinem  teuflischen  Alcoran  alle  Ketzereien  neben  dem 
Jüdenthumb  und  anderm  Aberglauben  zu  einem  Klumpen 
zusammengeschmelzt".  Als  den  occidentalischen ,  sollte 
man  nun  meinen,  würde  Leyser  den  Kalvinismus  be- 
zeichnen, den  er  ja  vorher  selbst  dogmatisch  verwerf- 
licher als  die  alte  Kirche  befunden:  doch  nein,  das  ist 
ihm  aus  theologischen  und  anderen  Gründen  unmöglich, 
der  occidentalische  Antichrist  muls  doch  die  römische 
Kirche  sein.  Aber,  steht  nicht  in  Danielis  und  Jo- 
hannis  AVeissagungen ,  dals  dieser  Antichrist  bis  zu  den 
letzten  Zeiten  regieren  wird?  Ist  daher  Hoffnung  vor- 
handen, ihn  aus  dem  römischen  Reiche  auszutreiben  ? 
Gilt  es  nicht  vielmehr,  mit  ihm  Frieden  zu  halten,  bis 
Christus  selbst  dereinst  mit  Erscheinung  seiner  Zukunft 
ihm  gar  ein  Ende  machen  wird?  Also  erscheint  dem 
prophetischen  Hofprediger  der  „Eeligions-  und  Profan- 
frieden" als  ein  "Werk  der  Vorsehung,  ohne  Zweifel  vom 
heiligen  Geist  in  der  Oifenbarung  Johannis  vorausver- 
kündet: es  ist  teuflische  Vermessenheit,  ihm  entgegen- 
zuhandeln. Dies  aber  thun  die  Calvinisten,  deren  Be- 
kenntnis aulserdem  „von  dem  orientalischen,  antichristi- 
schen, mohametischen  Sauerteig"  durchsäuert  ist,  welches 
sie  zuguterletzt  auch  noch  den  Anhängern  der  unge- 
änderten  Augsburgischen  Konfession  aufdrängen  möchten. 
„Demnach  ist  es  nicht  wider  Gott,  auch  sonst  nicht  un- 
recht, wenn  sich  die  Lutherischen  in  politischen  Sachen 
zu  Erhaltung  des  heiligen  römischen  Reichs  friedlich  mit 
den  Papisten  begehen,  und  sich  entgegen,  so  viel  mög- 
lich, der  Calvinisten  entschlagen.  Denn  dieses  nunmehr 
offenbar  und  unleugbar  ist,  wenn  sich  die  Papisten  zu 
uns  halten,  dafs  sie  es  nur  des  äufserlichen  Friedens 
halber  thun.  Wenn  aber  die  Calvinisten  sich  bei  uns 
zugeschmiegen ,  so  ist  es  ihnen  darum  zu  thun ,  dafs  sie 
uns  ihren  heillosen  Glauben  gerne  anhengen  und  den- 
selben in  unsere  Kirchen  einschieben  wollten."  — 

Wir  lassen  dahingestellt,  inwieweit  es  dem  Verfasser 
mit  seinen  ersten  Argumenten  Ernst  gewesen  ist:  in 
den  letzten  Worten  war  die  wahre  Gesinnung  dieses 
entarteten  Luthertums  mit  seiner  ganzen  halserfüllten 
Angst  vor  der  Macht  des  freien  Gedankens  zum  klas- 
sischen Ausdruck  gebracht.  Höe  setzte  durch  das  vor- 
erwähnte Nachwort  sein  Placet  darunter,  und  führte  im 
folgenden  Jahre  die  in  der  kleinen  Schrift  angeschlagenen 
Gedanken   durch  eine  eigene  Streitschrift  weiter  aus,  in 


Kursäcbsische  Kirchenpulitik.  315 

welclier  er  die  VeiAvandtscliaft  des  Calvinisiims  und  Mo- 
hammedanismus in  nicht  weniger  als  62  Punkten  zu  er- 
weisen suchte  ^^). 

Selbstverständlich  konnte  es  nicht  fehlen,  dalis  auch 
Höes  Verhalten  speziell  in  der  böhmischen  Angelegenheit 
sehr  bald  zum  Gegenstand  heftigster  Angriffe  gemaclit 
wurde.  Schon  vor  dem  Ausbruch  des  Kampfes  hatte  er 
einen  harten  Strauls  zu  bestehen,  der  folgende  eigen- 
tümliche Ursache  hatte.  Höe  war  in  Sachen  der  böh- 
mischen Königswahl,  wie  er  sich  selber  rühmte,  von 
allen  Seiten  eifrig  umworben:  während  in  Böhmen  selbst 
die  Entsclieidung  zwischen  dem  sächsischen  Kurfürsten 
und  dem  Pfalzgrafen  schwankte,  befand  sich  der  streng 
lutherische  Graf  Joachim  Andreas  Schlick  in  Dresden, 
der  Johann  Georg  im  Namen  eines  Teils  der  bölmiischen 
Stände  zur  Annahme  der  Königskrone  bewegen  sollte. 
Es  war  unumgänglich,  dafs  er  sich  auch  mit  dem  einflufs- 
reichen  Oberhofprediger  in  Vernehmen  setzte.  Höes  Eitel- 
keit hatte  sich  in  dieser  Stellung,  die  ihm  eine  fast 
europäische  Rolle  zuwies,  überaus  geschmeichelt  gefühlt ; 
um  so  empfindlicher  Avar  sie  verletzt,  als  er  sich  durch 
den  Ausfall  der  Prager  Wahl  mit  einem  Male  auf  die 
Seite  gestellt  fühlte.  Im  ersten  Zorn  schrieb  er  an 
Schlick  jenen  vielberufenen  Brief,  in  welchem  er  sein 
Wehe  über  die  edeln  Länder  rief,  welche  nunmehr  dem 
hochschädlichen,  gotteslästerlichen  und  hochverdammlichen 
Calvinismus  in  den  Rachen  gesteckt  werden  sollten,  und 
den  Grafen  aufforderte,  durch  eine  Realdemonstration 
seinen  Eifer  wider  den  orientalischen  Antichrist  an  den 
Tag  zu  legen.  Realdemonstration  —  ein  vielumstrittenes 
Wort!  Im  Grunde  sollte  es  doch  wohl  heilsen,  wie  es 
denn  auch  von  den  Gegnern  sofort  ausgelegt  wurde,  dals 
sich  der  Graf  und  alle  wahren  Lutheraner  in  Böhmen 
dem  neuen  Regiment  entgegenstellen  sollten.  Höe  suchte 
in  Abrede  zu  stellen,  dals  es  so  gemeint  sei;  allein  er 
fand  um  so  weniger  Glauben,  als  er  es  ja  auch  in  seinem 


■'')  „Au<j;'eiisclu'iiilklic  Prob,  wie  die  Calviuistcii  in  Neun  uml 
Neuntzig  runcteu  mit  den  Arrianeni  und  Türeken  iibeieinstiniinen". 
Leipzig  1621.  —  Man  suclic  liier  kcini'  tlieobigiscben  AustiilirunL;i'n 
mit  dem  Ansprucli  auf  wissensebattlicln'n  Uebalt  Die  HeweislTihrnng 
ist  beispielsweise  folgender  liestalt  obscbon  die  türkiscbe  Lclii'e 
abscbeulich  ist,  finden  sieb  docb  Leute,  die  sie  annebmen.  Dies  ist 
bei  den  Calvinisten  aucb  der  Fall.  Ergo  stimmen  sie  in  diesem 
Punkte  überein. 


316  ■     Ludwig  Schwabe: 

Briefe  nicht  an  Andeutungen  hatte  fehlen  lassen,  wo  die 
Lutheraner  Anschluls  suchen  sollten.  „Ew.  Gnaden  haben 
das  papistische  Joch  nicht  leiden  können,  fürwahr  das 
calvinische  ist  noch  viel  unerträglicher,  Ew.  Gnaden 
wollen  es  mir  glauben."  Der  Graf,  welcher  Höes  Mah- 
nung nicht  nachkam,  sondern  seinem  Vaterland  die  Treue 
wahrte,  behielt  das  Schreiben  keineswegs  für  sich;  es 
ging  in  Prag  von  Hand  zu  Hand,  wurde  im  Direktorium 
verlesen,  ins  Czechische  und  Lateinische  übersetzt,  und 
schlielslich  mit  einem  „wohlmeinenden  Missiv  an  Herrn 
Dr.  Höe'n"  versehen  in  Druck  gegeben  (1.  Oktober  1619). 
Das  letztere  Missiv  widerlegt  die  Aufstellungen  des  vor- 
gedruckten Schreibens  in  scharfer,  oft  geistreicher  Weise, 
und  dürfte  überhaupt  zu  den  besten  Erzeugnissen  der 
Streitschriftenlitteratur  dieses  Zeitalters  zu  rechnen  sein. 
Es  wurde  in  Prag,  Hanau,  Brieg  und  Amberg  gedruckt 
und  erlangte  eine  ungeheure  Verbreitung.  Höe  rüstete 
sich  sofort  zur  Gegenwehr.  Er  stellte  die  notwendigen 
Materialien  einem  seiner  Partisanen,  Johannes  Mylius, 
zur  Verfügung,  welcher  in  seinem  Auftrage  eine  „kurze 
Widerlegung  des  ehrenrührigen  Pasquills  und  der  un- 
menschlichen Lästerschrift  des  untreuen  Calvinischen 
Tockmäusers"  zu  verfassen  hatte:  er  selbst  setzte  der 
Streitschrift  eine  ausführliche  Vorrede  voran  ^^).  Auch 
dieser  Schrift  wird  man  die  Anerkennung  litterarischer 
Geschicklichkeit  nicht  versagen  können:  auf  der  Höhe 
des  Angreifers  steht  sie  freilich  bei  weitem  nicht. 

Noch  viel  schärfer  mulste  naturgemäfs  der  litte- 
rarische Waffengang  sein,  den  der  Oberhofprediger  nach 
der  Niederwerfung  der  Böhmen  gegen  die  Erbitterung 
der  Überwundenen  zu  bestehen  hatte.  Wir  heben  aus 
dem  Kreis  der  hier  in  Betracht  kommenden  Schriften 
nur  die  eine,  bekanntere  heraus,  welche  unter  dem 
Pseudonymen  Titel  eines  „Sendschreibens  des  Jacob 
von  Grünthal  an  den  Kurfürsten  von  Sachsen"  erschien. 
Man  hätte  nie  darüber  in  Zweifel  sein  sollen,  dals  Grün- 
thal, der  eifrige  Parteigänger  der  kursächsisch  -  habs- 
burgischen  Bündnispolitik,  unmöglich  der  Verfasser  dieser 


^^)  Es  mufs  erwähnt  werden,  dafs  die  gleichzeitige  Fhigschriften- 
litteratur  Höe  selbst  für  den  Verfasser  auch  der  Mylius'schen  Streit- 
schrift hielt.  Ich  sehe  vorläufig  keinen  Grund,  dieser  Annahme  bei- 
zustimmen. 


Ki;rsächsische  Kirchenpolitik.  317 

genau  das  Gegenteil  empfehlenden  Streitschrift  sein 
konnte.  Sie  ist  von  patriotischer  Empfindung  getragen: 
der  unbekannte  Verfasser  rät  dem  Kurfürsten  mit  flam- 
menden Worten  zu  einer  nationalen  und  protestantischen 
Politik.  Freilich,  mit  den  Fehlern,  die  er  nach  des 
Autors  Meinung  begangen,  geht  er  scharf  ins  Gericht: 
er  legt  ihm  alle  die  schweren  Schicksale  zur  Last, 
welche  er  über  das  Vaterland  hereinbrechen  sieht: 
„quidquid  delirant  reges  plecinntnr  AcJiIvi".  Vor  allem 
richtet  sich  das  Schriftchen  gegen  Höe:  es  schildert  ihn 
als  einen  hochmütigen  und  leeren  Geist,  im  Grunde  un- 
wissend, der  S.  Petri  Schlüssel  und  S.  Pauli  Schwert 
zugleich  gebrauche,  den  einen  Fufs  in  der  Kirche,  den 
andern  auf  dem  Rathaus  habe.  Wenn  es  dem  Kurfürsten 
auch  nicht  empfahl,  wie  Höe  glauben  machen  will,  ihn 
hinzurichten,  so  rät  es  doch,  ihn  seines  Amts  zu  ent- 
heben oder  wenigstens  von  allen  weltlichen  Geschäften 
fern  zu  halten.  Höe  schrieb  eine  erbitterte  Entgegnung 
(1.  Januar  1621)^^):  diese  sowohl  wie  die  Pseudonyme 
Schrift  erschienen  in  deutscher  und  lateinischer  Sprache. 
Sie  sind  wohl  das  Stärkste,  was  von  beiden  Seiten 
während  jener  Jahre  in  Druck  gelangte. 


Alle  diese  litterarischen  Händel,  welche  die  poli- 
tischen Dinge  unter  den  Gesichtspunkt  des  religiösen 
Prinzipienkampfes  stellten,  regten  die  öffentliche  Mei- 
nung in  ihren  Tiefen  auf.  Man  frug  sich,  wohin  das 
noch  führen  solle:  im  Jahre  1622  lieis  der  Kölner  Weih- 
bischof Petrus  Outsemius  seine  „Saxonia  Catholica"  er- 
scheinen, ein  Buch,  welches  die  gutkatholische  Gesinnung 
der  alten  Sachsenherzoge  in  dithyrambischem  Tjatein 
feierte,  und  zum  Schluls  dem  Kurfürsten  den  Rat  er- 
teilte, nun  auch  seinerseits  nach  so  vielen  dem  römischen 
Kaiser  erwiesenen  Diensten  den  letzten  Schritt  zu  thun 
und  zu  dem  Bekenntnis  seiner  Vorfahren  zurückzukehren. 
Seine  Schrift  setzte  eine  ganze  Anzahl  sächsischer  Federn 
zu  geharnischter  Gegenwehr  in  Bewegung.  Höe  hat 
sich  meines  Wissens  an  dieser  Polemik    nur    (hiicli  eine 


^")  Ernste  und  abffedrtinyone  Antwort  auff  das  Lästoi'haft'tigc 
Sendschreiben,  welches  an  den  Durchl.  Clmrfürsten  zu  Sachsen  von 
Herrn  Jacob  von  Grünthal  i;cthan  worden   sein  soll.     Tieipzig  1621. 


318  Ludwig-  Schwabe: 

Zuschrift  beteiligt,  welche  der  „Saxonia  Evaiigelica"  des 
Leipziger  Professors  Höpflfner  vorgedruckt  wurde.  Da- 
gegen unterhielt  er  für  seine  Person  anfangs  wenigstens 
in  den  verbindlichsten  Formen  einen  brieflichen  Ge- 
dankenaustausch mit  dem  Weihbischof  selbst"**),  der  sein 
Opus  dem  lutherischen  Oberhofprediger  zu  geneigter 
Billigung  und  wohlwollender  Aufnahme  zugesandt  hatte. 


"")  Velitatio    epistolaris   mter  Petrum  Cutseraium  etc.   et  Mat- 


thiam  Hoe.     Wittenberg  1623. 


XII. 

Matthias  Oders  grofses  Kartenwerk  über 
Kursachsen  aus  der  Zeit  um  1600. 


Von 
Alfred  Kirchlioff. 


Die  im  verflossenen  Jahre  stattgehabte  Feier  des 
800jährigen  ßegierungs- Jubiläums  des  Hauses  Wettin 
hat  patriotische  Veranlassung  geboten,  ein  Kartenbild 
des  sächsischen  Kurstaates  der  Vergessenheit  zu  ent- 
reilsen,  welches  in  der  Geschichte  der  Kartierung  Deutsch- 
lands überhaupt  eine  bahnbrechende  Bedeutung  für  sich 
in  Anspruch  nehmen  darf. 

Professor  Sophus  Rüge  entdeckte  die  verstaubten 
Konvolute  dieser  grofsartigen  Aufnahme  des  kursäch- 
sischen Landes  —  der  allerersten,  welche  auf  wii^klicher 
Vermessung  beruht  —  im  Königlichen  Hauptstaatsarchiv 
zu  Dresden  und  berichtete  hierüber  bereits  in  seiner  Ab- 
handlung „Geschichte  der  sächsischen  Kartographie  im 
16.  Jahrhundert"  (Kettlers  Zeitschrift  für  Wissensch. 
Geographie,  2.  Jahrgang.  Lahr  1881).  Inzwischen  war 
das  grolse,  jedenfalls  vom  Freiberger  Markscheider  Mat- 
tliias  Öder  herrührende  Landesgemälde,  welches  einst 
50  Quadratmeter  Papierfläche  deckte,  aber  frühzeitig  in 
einzelne  Teile  zerschnitten  und  so  schlielslich  in  schlechter 
Rollung  in  den  Winkel  geschoben  worden,  sauber  auf  Lein- 
wand gezogen  und,  in  100  gleichmälsige  Einzelsektionen  ge- 
schieden, jetzt  erst  zum  Gebrauch  handlich  gemacht.  Frei- 
lich dieses  Original  entzog  sich  der  Herausgabe ;  messen  doch 


320  Alfred  Kirchhoff: 

jene  100  Sektionen  je  76  cm  Breite  bei  52  cm  Höhe!  Das- 
selbe wird  wohl  für  immer  ein  alleiniger,  der  Verviel- 
fältigung nicht  zu  unterziehender  Schatz  des  säclisischen 
Staatsarchivs  bleiben,  eine  kartliche  Darstellung  des  ge- 
samten sächsischen  Kurstaats  in  ungefähr  viermal  greise- 
rem Malsstab,  als  ihn  die  Oberreitsche  Generalstabs- 
karte darbietet,  ausgeschlossen  nur  der  Südwesten  des 
Gebietes,    zu   dessen  Kartierung  (Jder   nicht  mehr  kam. 

Glücklicherweise  ist  indessen  schon  im  ersten  Drittel 
des  17.  Jahrhunderts  (durch  den  kursächsischen  Karto- 
graphen Zimmermann,  wie  Sophus  Rüge  wahrscheinlich 
gemacht  hat)  eine  auf  ein  Viertel  des  Längenmalsstabes, 
also  ein  Sechzehntel  der  Fläche  verkleinerte  Kopie  des 
Öderschen  Originals  mit  grofser  Sorgfalt  hergestellt 
worden,  von  welcher  nur  leider  schon  ehemals  ein  wich- 
tiges Blatt,  die  Erzgebirgsgegend  zwischen  Freiberg  und 
Annaberg  darstellend,  verloren  gegangen  ist. 

Nach  dieser  verkleinerten  Nachbildung'  nun,  die  also 
immer  noch  den  splendiden  Malsstab  der  Oberreitschen 
Karte  einhält^),  ist  uns  in  geschickter  Zusammenlegung 
zu  17  stattlichen  Blättern  ein..„Öderus  redivivus"  be- 
scheert  worden,  soweit  als  die  Üdersche  Aufnahme  das 
Gebiet  des  heutigen  Königreichs  Sachsen  begreift  oder 
doch  nicht  weit  darüber  hinausgeht,  nämlich  von  der 
böhmischen  Grenze  und  Löbau-Bautzen  bis  über  Leipzig 
hinaus,  so  dafs  gerade  noch  die  Saale  oberhalb  Merse- 
burg erreicht  wird.  Die  Westsektionen  Leipzig,  Markran- 
städt  stehen  abgesondert,  desgleichen  ganz  für  sich  (aus 
schon  angeführtem  Grunde)  Sektion  Jöhstadt  auf  dem 
Erzgebirge,  südöstlich  von  Annaberg.  Aber  von  der 
Freiberger  Mulde  ab  ostwärts  verfolgen  wir  in  zusammen- 
schliefsenden  Sektionen  fast  das  ganze  Sachsenland  un- 
serer Tage  bis  zu  seiner  Nord-  und  Ostgrenze. 

Das  in  solcher  Form  erneuerte  Werk  bildet  einen 
Atlas  von  83  cm  Blattbreite  bei  60  cm  Höhe  und  führt 
den  Titel:  Die  erste  Landesvermessung  des  Kur- 
staates Sachsen,  auf  Befehl  des  Kurfürsten 
Christian  L  ausgeführt  von  Matthias  Oder  (1586 
bis  1607),  herausgegeben  von  der  Direktion  des  König- 


■')  So  stimmt  z.  B.  die  Entfernung  Stadt  Königstein  nach  Gott- 
leuha-Mündung-  auf  der  Zimaiermannsciien  Kopie  fast  genau  mit  dem 
Oberreitschen  Mafsstab  1:57600  zusammen;  anderwärts  scheint  der 
Mafsstab,  soweit  man  naclizukommen  vermag,  ein  etwas  gröfserer 
zu  sein. 


Matthias  Oders  Kartenwerk.  321 

liehen  Hauptstaatsarcliivs,  bearbeitet  von  Professor  Dr. 
Soplius  Rüge  (Verlag  von  Stengel  und  Markert  in  Dresden, 
1889).  Die  Verlagsliandhing  hat  die  Kartenblätter  in 
Farbendruck  vorzüglich  hergestellt,  und  zwar  mit  Auf- 
di'uck  der  im  Oderschen  Original  gewählten  Farben  für 
gewisse  Besitzverhältnisse  des  Landadels,  die  kurfürst- 
lichen Waldungen  u.  ä.  Im  übrigen  haben  wir  im  wesent- 
lichen die  besagte  Zimmermannsche  Kopie  vor  uns;  jedoch 
hat  der  Bearbeiter  des  vorliegenden  Atlas  dafür  gesorgt, 
dals  einige  an  ihrem  Westrand  noch  unfertig  gebliebene 
Sektionen  nach  dem  Oderschen  Original  vervollständigt 
und  alle  in  der  Kopie  (durch  sichtlich  häufigen  Gebrauch) 
undeutlich  gewordenen  Stellen  nach  der  nämlichen  Ur- 
sprungsvorlage gebessert  wurden.  Wir  verdanken  also 
Professor  Rüge  nicht  allein  die  Wiederauffindung  des 
wertvollen  Werkes,  an  welchem  der  wackere  Annaberger 
„Mathes  Öder,  Bürger  und  Markscheider  in  Freiberg" 
mehr  denn  20  Jahre  hindurch  so  erfolgreich  gearbeitet 
hat,  sondern  auch  dessen  zweckentsprechende  Herrichtung 
behufs  praktischer  Verwendung  für  die  Geschichte  und 
Landeskunde. 

Indem  wir  betreffs  der  Frage  nach  dem  Zustande- 
kommen der  Oderschen  „Landtafel"  oder  „General-Mappe" 
des  sächsischen  Kurstaates  auf  die  lichtvolle  Einleitung 
verweisen,  welche  der  Bearbeiter  dem  Atlas  voran- 
geschickt hat,  beschränken  wii'  uns  hier  allein  auf  einige 
Bemerkungen  über  die  der  Forschung  in  diesem  getreuen 
Karten-Faksimile  sich  eröffnende  Fülle  von  Anregungen 
und  quellenmälsigem  Thatsachenstoff. 

Schon  unter  Kurfürst  August,  Christians  Vorgänger, 
war  Sachsen  außerordentlich  thätig  in  der  Heimats- 
kartographie, zumal  jener  Fürst  selbst .  diesem  Gegen- 
stande das  grölste  Interesse  widmete,  ja  selbstschaffender 
Kartograph  und  Landesvermesser  war.  Drei  grolse,  aller- 
dings nur  auf  den  Rang  von  Übersichtskarten  Anspruch 
erhebende  „Landmappen"  von  Kursachsen  rühren  aus 
der  Regierungszeit  des  für  seines  Volkes  Wohl  so  viel- 
fältig fördersamen  „Vater  August"  her:  die  des  Marien- 
berger  Pfarrherrn  Johann  Criginger,  die  des  Görlitzer 
Mathematikers  Scultetus  und  diejenige,  welche  Hiob 
Magdeburg,  Lehrer  an  der  Fürstenschule  zu  Meifsen,  in 
ziemlicher  GröIse  (4  Fuls  hoch,  etwas  über  5  Fuls  breit) 
in  des  Kurfüi^sten  eigenem  Auftrage  1584"..  entworfen 
hatte.  Hiob  Magdeburg,  wie  unser  Matthias  Öder  Anna- 
Neues  Ariliiv  f.  S.  U.  u.  A.  XI.  3.  4.  21 


322  Alfie.l  Kirchhoff': 

berger  von  Geburt,  ist  letzterem  jedenfalls  persönlich 
bekannt  gewesen,  da  er  sein  nicht  immer  auf  Rosen- 
pfaden irdischen  Grlückes  sich  bewegendes  Leben  1595  in 
JFreiberg  auch  beschlols.  Die  letztgenannte  Karte  ist  ein 
Kleinod  der  Königlichen  Bibliothek  in  Dresden,  sie  wirkt, 
wie  Soplius  ßuge  versichert,  „mit  den  grünen  Wäldern, 
braunen  Gebirgen  und  Felsen,  blauen  Gewässern  und 
roten  Dächern  der  Gebäude  in  Städten  und  Dörfern  wie 
ein  Gemälde  aus  der  Vogelperspektive,  einzelne  Berge 
glaubt  man  sogar  an  ihrer  landschaftlichen  Gestalt  zu 
erkennen". 

Sonach  klingt  die  Nachricht  durchaus  wahrscheinlich, 
dals  Hiob  Magdeburg  das  kursächsische  Land  behufs 
seiner  Kartierung  (an  welcher  er  sich  übrigens  schon  in 
einer  1562  erschienenen  kleineren  Holzschnittkarte  ver- 
sucht hatte)  schauend  und  messend  durchwandert  habe. 
Und  eben  dieser  Umstand  ist  es,  der  ihn  zum  eigentlichen 
Vorläufer  seines  Landsmannes  Matthias  Öder  macht. 

Der  Hauptvorzug  der  Öderschen  Landtafel 
des  Kurstaates  besteht  darin,  dals  sie  durchweg 
auf  Originalforschung  an  Ort  und  Stelle  sich 
gründet.  Noch  Criginger  erklärte  selbst,  er  habe  seine 
Karte  „daheim  ohn  alles  wandern  vnd  besichtigen 
zusammen  bracht".  Die  mit  solcher  Studierstubenarbeit 
notwendig  verbundenen  Fehler  der  Kartierung  blieben 
denn  auch  dem  Kurfürsten  August  keineswegs  verborgen, 
und  er  äulserte  sich  über  dieselben  rückhaltlos.  Er  trieb 
selbst  auf  seinen  Reisen  Wegeaufnahmeu  als  Grundlage 
für  die  Gesamtaufnahme  der  durchreisten  Gegenden, 
indem  er  au  einem  Rade  seines  Reisewagens  ein  Instru- 
ment anbringen  liefs,  welches  ähnlich  wie  ein  Pedometer 
die  Radumdrehungen  registrierte,  folglich  durch  Multipli- 
kation dieser  Summenzahl  mit  der  genau  bekannten  Länge 
des  Radumfangs  ohne  weiteres  das  Längenmals  des  zu- 
rückgelegten Weges  ergab;  aulserdem  galt  es  natürlich 
die  Richtung  des  Weges  kennen  zu  lernen,  und  dazu  be- 
diente er  sich  eines  Kompasses,  der  noch  halbe  Grade 
mit  Sicherheit  abzulesen  gestattete. 

Offenbar  waren  es  die  auf  solche  Weise  erzielten 
gründlichen  Verbesserungen  des  Kartenbildes  der  be- 
reisten Landschaften,  was  dem  edelsinnigen  Fürsten  den 
groisartigen  Plan  eingab.,  seinen  ganzen  Kurstaat  oder 
doch  zunächst  einzelne  Ämter  auf  exakter  Vermessungs- 
unterlage mappieren    zu   lassen.     Wahrscheinlich    dürfen 


Matthias  Oders  Kartenwerk.  323 

wir  nämlich  Kurfürst  August  als  den  geistigen  Urheber 
der  erst  unter  seinem  Nachfolger  von  Matthias  Öder 
grüfstenteils  verwii'klichten  Idee  der  genauen  Gesamt- 
kartierung  Kursachsens  ansehen.  Dals  ihm  in  solcher 
Beziehung  grolse  Vermessungspläne  vorschwebten,  geht 
daraus  hervor,  dafs  er  den  schon  vorher  mit  Landes- 
vermessungen von  ihm  beauftragten  Leipziger  Professor 
Johann  Hnmelius  1560  auf  zwei  Jahre  zu  seinem  „Hof- 
diener" zum  Zweck  fernerer  Mappierungsarbeiten  annahm, 
demselben  sogar  ein  Gemach  im  Dresdener  Schlosse  ein- 
räumen liels,  um  stets  Augenzeuge  von  dem  Fortgang 
des  Unternehmens  sein  zu  können.  Nach  Humelius'  schon 
am  4.  Juli  1562  erfolgtem  Tode  führte,  wie  aus  den  kur- 
fürstlichen Kopialbüchern  hervorgeht,  der  Markscheider 
Georg  Öder  (vielleicht  Matthias'  Bruder)  die  Messungen 
in  einigen  Ämtern  mit  Meisschnur  und  Boussole  wirklich 
aus.  Obwohl  wir  die  fernere  Entwickelung  .dieser  Vor- 
nahmen im  einzelnen  nicht  kennen  (Georg  Oders  Name 
begegnet  aktenmälsig  zuletzt  1570),  so  sind  wir  doch 
dessen  ganz  sicher :  der  aus  dem  Sommer  1586  datierende 
Befehl  Kurfürst  Christians  an  „Mathes  Odern  Mark- 
scheidern", „ein  mappe  vnsers  ganzen  landesvmkreiss" 
herzustellen,  ist  in  unmittelbarem  Anschluls  an  jene  vor- 
gängigeu  Vermessungen  ausgeführt  worden  und  zwar 
mit  Zuhilfenahme  nur  von  Quadranten,  Kompals 
und  Mefsschnur. 

Es  war  mithin  eine  echt  markscheiderische  Auf- 
nahme, keine  geodätische.  Nii'gends  finden  wir  auf  der 
Öderschen  Karte  eine  Spur  von  astronomischen  Ermitte- 
lungen der  geographischen  Länge  und  Breite,  nirgends 
die  Eintragung  von  Meridianen  oder  Parallelkreisen. 
Trotzdem  zeigt  sich  uns  das  Landesbild,  soweit  das  sorg- 
fältige Handhabung  jener  einfachsten  Mefsgeräte  zuliels, 
von  überraschender  Treue.  Und  darin  liegt  sein  grolser 
Vorzug  vor  der  allerersten  messenden  Landesaufnahme, 
deren  sich  ein  deutscher  Staat  rühmen  kann:  vor  dem 
unvergessen  gebliebenen  Kartenwerk,  welches  zu  München 
1568  unter  dem  Titel  „XXIIII  Bairische  Landtaflen" 
erschienen  war  und  von  der  Hand  Philipp  Apians  (des 
Sohnes  des  grofsen  Leisniger  Kosmographen  Peter  Apian 
oder  Bienewitz)  Ober-  und  Niederbayern,  die  Oberpfalz 
nebst  dem  Lande  Salzburg  darstellte. 

Obwohl  auch  dieser  vorangegangenen  bayrischen 
Landesaufnahme  sicher  einige  genauere  Ortsbestimmungen 

21* 


324  Alfred  Kirchhoff: 

zum  Anhalt  gedient  haben,  so  bemerkt  man  doch  sofort 
schon  an  dem  flüchtig  eingetragenen  Verlauf  der  Ge- 
wässer, dafs  hier  durchaus  nicht  mit  der  fleilsigen  Aus- 
dauer unserer  beiden  Freiberger  Markscheider  gearbeitet 
worden  ist  mittelst  Winkelpeilung,  Entfernungsmessung, 
darauf  sorglicher  Eintragung  des  Gemessenen  auf  das 
Papier  nach  Zirkelabsteckung  und  Malsstabanlegung. 

Die  Exaktheit  heutiger  Kartierung,  wie  sie  etwa 
seitens  des  Generalstabs  an  der  Hand  gründlichster  geo- 
dätischer Forschung  ausgeführt  wird,  dürfen  wir  selbst- 
verständlich von  Oders  Werke  nicht  erwarten.  Kleinere 
Versehen  in  der  Richtung  und  in  den  wechselseitigen  Orts- 
abständen  begegnet  man  gar  nicht  selten,  indessen  wie 
weit  kam  man  doch  mit  Schnur  und  Winkelmafs 
hinaus  über  die  Zeit,  in  welcher  noch  kurz  zuvor  Petrus 
Apianus  Oschatz,  Freiberg  und  Chemnitz  als  unter 
gleicher  Länge  liegend  angegeben  hatte! 

Oders  Karte  ist  nicht  nach  der  später  ganz  allge- 
meingültig gewordenen,  noch  heute  geübten  Weise  orien- 
tiert, dals  der  obere  Rand  die  Nordseite  bedeutet,  dafs 
überhaupt  die  vier  Seiten  des  Kartenvierecks  den  vier 
Himmelsgegenden  entsprechen,  wie  das  z.  B.  durchaus 
nach  der  uns  geläufigen  Art  der  Fall  ist  bei  Scultetus' 
„Misniae  et  Lusatiae  tabula"  von  1568.  Vielmehr  liegt 
bei  Öder  der  Nordrand  unten,  folglich  ist  der  obere 
Kartenrand  der  südliche ,  der  zur  Linken  der  östliche, 
der  zui^  Rechten  der  westliche,  und  das  alles  ist  mils- 
w  ei  send  zu  verstehen,  d.  h.  gemäls  der  derzeitigen  Rich- 
tung der  Magnetnadel  im  Kompals.  Hierdurch  erhält 
Oders  km^sächsische  Landtafel  eine  von  ihrem  Urheber 
gewils  nicht  geahnte  Bedeutung  für  die  Lehre  vom  Erd- 
magnetismus: sie  lälst  uns  in  dem  unablässigen  A\^andel- 
gang  isogonischer  Linien  über  die  Erdoberfläche  den  Ver- 
lauf derselben  im  kursächsischen  Lande  für  die  Wende 
des  16.  und  17.  Jahrhunderts  annäherungsweise  bestimmen. 
Ungefähr  zieht  der  östliche  und  westliche  Rand  der 
17  Sektionen  des  vorliegenden  Atlas,  folglich  gewils 
auch  .  der  des  Öderschen  Origmals  statt  von  Nord  gen 
Süd  von  Nordnordost  nach  Südsüdwest.  Genauer 
diese  Richtung  nach  Winkelgraden  zu  bestimmen,  fällt 
nicht  ganz  leicht,  weil  solche  Bemühung  behindert  wird 
durch  die  nicht  völlig  gleichartige  Richtungsabweichung 
der  einzelnen  Sektionsränder  und  ihrer  Parallelen  vom 
Verlauf   der   geographischen  Meridiane    als  Folge  nicht 


Matthias  Oders  Kartenwerk.  325 

ideal  vollkommener  Peilungen  der  Winkel.  Stützen  wir 
uns  auf  ein  sichtlich  besonders  sorgsam  aufgenommenes 
Stück  der  Karte,  dasjenige  um  Dresden  (Blatt  9  des  vor- 
liegenden Atlas),  so  kommt  uns  die  einem  Spinngewel)e 
älmelnde  Eintragung  zu  statten,  welche  sich  als  Zeugnis 
vorgenommener  Winkelmessung  über  die  Dresdner  Heide 
hinweglagert.  Diese  Einzeichnungen  treffen  wir  aus- 
nahmslos nur  m  Waldrevieren  an;  sie  teilen  stets  das 
Gesichtsfeld  in  8  Winkel  (von  also  45*^)  mittelst  8  Linien, 
die  „Flügel"  heilsen.  Meistens  entsprechen  die  Flügel 
den  Kartenrändern  in  der  Weise,  dals  je  zwei,  die  in 
eine  Gerade  fallen,  mit  dem  einen,  bez.  dem  anderen 
Kartenrandpaar  gleichlaufen.  Bei  der  über  die  Dresdener 
Heide  gelegten  Flügelstrahlenfigur  ist  dies  eben  (wenn 
auch  nicht  haarscharf)  der  Fall,  und  Flügel  3  mit  Flügel  7 
weist  als  fast  genaue  Parallele  zum  rechten  und  linken 
Kartenrand  gerade  auf  die  Ortschaften  Loschwitz  und 
Langebrück  am  südlichen,  bezüglich  nördlichen  Saume 
des  AValdes.  Fiel  nun,  wie  wir  demnach  annehmen 
müssen,  die  Stellung  der  Deklinationsnadel  wirklich  in 
diese  Richtung  Loschwitz-Langebrück,  so  besals  Dresden 
zur  Zeit  der  Öderschen  Kartierung  seiner  Umgebung 
eine  Mifsweisung  von  beiläufig  14  ^  Ost,  oder,  mit  anderen 
Worten,  die  Nordspitze  der  Magnetnadel  wich  um  diesen 
Winkelwert  vom  geographischen  Meridian  gen  Osten  ab. 
Das  würde  ziemlich  gut  stimmen  mit  der  (wahrscheinlich 
für  Görlitz  gemeinten)  Deklinationsangabe  auf  der  erst- 
genannten Scultetus'schen  Karte  von  Meilsen  und  der 
Lausitz,  wonach  S.  Rüge  die  Mifsweisung  auf  12 — 13" 
schätzte.  Kontrollmessungen  auf  Oders  Karte  lieferten 
allerdings  nicht  durchweg  das  nämliche  Ergebnis.  Wäre 
z.  B.  die  wechselseitige  Lage  von.  Dresdens  Eibbrücke 
und  Blase witz  naturgetreu  von  Öder  verzeichnet,  so 
mülste  man  eine  viel  geringere  magnetische  Deklination 
hieraus  ableiten,  ähnlich  bei  Beurteilung  des  Lagenverhält- 
nisses von  Roiswein  und  Döbeln  auf  Blatt  12.  Umgekehrt 
mülste  man  aus  der  Richtung  der  Linie  Triebisch-Mündung 
nach  Dorf  Zehren  auf  der  Sektion  Meifsen  (13)  auf  eine 
Mifsweisung  von  rmid  20  '*  schliefisen.  In  der  Nähe  der  aus- 
gezeichnet korrekt  abgebildeten  Eibschlinge  um  den  Lilien- 
stein auf  Blatt  4  messend,  erhält  man  jedoch  Avieder  sowohl 
durch  die  Linie  Stadt  Königstein-Hohnstein  als  durch  die 
Richtung  des  Eibstroms  bei  Schandau  und  Wendische- 
fähre einen  Deklinationswhikel  von  14 — 15". 


326  Altred  Küxlihott : 

Nur  im  Vorbeigehen  sei  darauf  liiiigewieseii,  dais  die 
Königliche  Bibliothek  zu  Dresden  einen  für  die  Lehre 
vom  Erdmagnetismus  noch  ungehobenen  Schatz  birgt  in 
den  „Sechzehn  Stück  Kleine  Land-Täfflein  der  Churfürstl. 
Sachs,  und  angrentzenden  Länder  von  Churfürst  Augusto 
aufgetragen",  sowie  in  zwei  kleinen  handschriftlichen 
Büchlein  (Msc.  Dresd.  K.  449,  450),  welche  Kurfürst 
August  zu  seinem  Handgebrauche  auf  semen  der  Landes- 
aufnahme gewidmeten  Beisen  entworfen  hatte.  Darin 
sollen  sich  nach  einer  Angabe  in  Buges  eingangs  er- 
wähnter Abhandlung  (S.  93)  34  „Kompalsörtungen"  d.  h. 
Kompalspeilungen  befinden,  u.  a.  die  Kompalsörtung 
„59  grad  zwischen  Abent  vnnd  Mitternacht"  für  die 
Wegrichtung  Dresden  nach  Hayn  (Grofsenhain).  Letz- 
teres ergäbe  die  sehr  grol'se  Milsweisung  von  .29 "  Ost, 
also  reichlich  doppelt  so  viel  wie  zur  Zeit  der  Öderschen 
Aufnahme.  Freilich  muls  stets  eine  möglichst  genaue 
Jahresangabe  solchen  „(Jrtungen"  beigefügt  werden,  um 
sie  recht  verwertbar  zu  machen,  weil  sich  die  Isogonen 
gar  zu  beträchtlich  von  Jahr  zu  Jahr  verschieben. 
Zweifellos  hatte  ganz  Kursachsen  unter  Kurfürst  August 
stärkere  Ostmifsweisung  als  unter  der  nachfolgenden  Be- 
gierung,  denn  die  Agone,  d.  h.  die  Linie  des  Zusammen- 
falls von  Deklinationsnadel-Bichtung  und  geographischem 
Meridian,  näherte  sich  damals  von  Westen  her  ununter- 
brochen Deutschland  und  erreichte  den  thüringischen  West- 
flügel der  kursächsischen  Lande  (nach  Ausweis  der  Mark- 
scheiderpläne der  Grubenwerke  von  Clausthal)  um  das 
Jahr  1660,  worauf  zunehmende,  dann  (wie  noch  heute) 
abnehmende  Westmifsweisung  folgte. 

Kaum  angedeutet  finden  wir  bei  Öder  den  Ober- 
flächenbau des  Landes.  Dazu  fehlte  jener  Zeit  noch  die 
Symbolsprache  der  Karte.  Ein  einziges  Mal  ist  von  dem 
Maise  der  Bodenerhebung  eine  Andeutung  geschehen, 
nämlich  beim  grolsen  Winterberg,  aber  auch  da  nur  mit 
der  mehr  denn  lakonischen  Aufschrift  „ser  hoch".  Blols 
durch  Schrofilieit  der  Gehänge  auffallende  Erhebungs- 
formen bezeichnete  Öder  mit  einer  ihm  eigenen  Signatur, 
Avelche  wie  Baumschlagmanier  oder  mitunter  auch  wie 
arabische  Schnirkelschrift  sich  ausnimmt.  ISTaturgemäls 
l)emerken  wir  so  vor  allem  die  Steilwände  der  Erosions- 
thäler  der  Sächsischen  Schweiz  hervorgehoben;  jedoch 
findet  man  dieselbe  Signatur  auch  auf  Blatt  6  an  der 
böhmischen  Erzo-ebirg-sgrenze  unweit  Hermsdorf  gebraucht 


Matthias  Oders  Kartenwerk.  327 

für  „die  förder  Loclistein".  Steilfelsen,  die  als  Laiid- 
schaftsmarken  aus  ihrer  Umgebung  hervorragen,  sind  sogar 
bisweilen  mit  ihren  ungefähren  Umrilsformen  wieder- 
gegeben, so  vor  allen  der  Lilienstein,  demnächst  der 
Quillstein  bei  der  Feste  Königsteiu,  minder  deutlich  elb- 
aufwärts die  Kaiserkrone  und  der  Zirkelstein.  Südöst- 
lich vom  Grofsen  Winterberg  stehen  mitten  im  Wald  die 
Worte  „Ein  Brück  vber  eine  Kluft",  das  mufs  das  Pre- 
bischthor  bedeuten. 

Ganz  ausgezeichnet  getreu  ist  das  Netz  der  Ge- 
wässer ausgefiihrt.  Während  man  sich  sonst  (z.  B.  noch 
in  den  „Bairischen  Landtaflen"  Apians)  regelmäßig  an 
die  Weisung  der  Chorographie  des  alten  Joachim  Ehäticus 
von  Feldkirch,  eines  Schülers  des  Copernicus,  hielt,  dals 
es  zu  einer  guten  Landesaufnahme  genüge,  die  gegen- 
seitige Lage  der  Ortschaften  und  ihre  Entfernung  von 
einander  zu  ermitteln,  worauf  dann  die  fließenden  Ge- 
wässer in  ziemlich  willkürlichen  Linien  an  den  ihnen  zu- 
ständigen Städten  und  Dörfern  vprübergeführt  wurden, 
dürfen  wii'  vielleicht  Matthias  Öder  (wenigstens  für 
Deutschland)  als  den  Vater  einer  naturwahren  Abschil- 
derung aller  Bach-  und  Flulsläufe  von  ihrer  Quelle  ab 
durch  all  ihre  Windungen  bis  zur  Mündung  hin  rühmen. 
Seine  Karte  gewinnt  deshalb  für  hydrographische  Studien 
einen  gar  nicht  hoch  genug  anzuschlagenden  Wert.  Das 
gilt  namentlich  für  solche  Flulsläufe,  w^elche  inzwischen 
durch  Wasserbaukorrektion  zu  gunsten  des  Menschen  eine 
ganz  andere  Physiognomie  empfangen  haben.  So  sehen 
wir  auf  den  beiden  Schlufsblättern  unseres  Atlas  das  ge- 
krösehafte Gewirr  von  Anastomosen  zwischen  Pleilse  und 
Elster,  dann  den  einst  viel  verwickeiteren  Zusammen- 
hang des  nördlicheren  Elster -Mündungsarmes  mit  dem 
südlicheren,  der  Luppe,  noch  in  alter  Natürlichkeit. 
Schon  ehe  die  Elster  an  Leipzig  vorbeiflielst ,  hülst  sie 
zufolge  der  merkwürdigen  Darstellung  des  Wassergeflechts 
auf  Blatt  16  nach  Aufnahme  des  Ridelbachs,  welcher 
selbst  nur  als  linke  Abzweigung  der  Pleilse  auftritt,  ihren 
Namen  ein  und  wird  „Luppa";  ja,  da  auch  nach  der 
hierauf  folgenden  Gabelung  der  rechtsseitige,  zuletzt  das 
ganze  übrige  Pleilsenwasser  aufnehmende  Arm  der  Luppe- 
Elster  bis  unterwärts  des  Posenthals  Pleilse  genannt 
wird,  so  verschwindet  der  Elstername  bei  Leipzig  auf 
unserer  Karte  gänzlich;  erst  gegen  die  Saale  hin  heilst 
der   nördliche  Mündungsarm    doch   wieder  Elster.     Sehr 


328  Alfred  Kiiclilioff: 

verdienstlich  ist  ferner  die  genaue,  offenbar  gleichfalls 
hinsichtlich  der  Umrifsgestalt  getreue  Darstellung  der 
Seespiegel  bis  herab  auf  die  kleinsten  Weiher,  Flolsteiche 
und  „Pfützen".  Durch  das  für  ihre  Hervorhebung  ge- 
wählte Lichtblau  glänzen  diese  stehenden  Gewässer  dem 
Beschauer  recht  malerisch  entgegen ;  man  überzeugt  sich 
alsbald,  wieviel  seenreicher  damals  diese  Lande  waren! 
Die  Karte  bietet  gerade  durch  die  Sorgfalt  ihrer  hydro- 
graphischen Angaben  eine  sehr  wichtige  Urkunde  für  die 
Naturgeschichte  der  mitteldeutschen  Gewässer;  für  die 
physische  Landeskunde  liegt  hierin  sogar  wohl  ihre  Haupt- 
bedeutung. 

Nicht  zu  unterschätzen  ist  üidessen  auch  ihr  Wert 
für  die  Entwickelung  der  Namenformen.  Die  ungezählten 
Hunderte  von  Namen,  welche  über  die  Karte  ausgestreut 
sind,  scheinen  wesentlich  dem  Volksmunde  abgelauscht 
zu  sein;  auch  in  dieser  Beziehung  also  erscheint  Oders 
Karte  originell.  Freilich  mufs  man  die  sächsische  Sprech- 
weise, das  sächsische  Ohr  des  Freiberger  Markscheiders 
dabei  in  Erwägung  ziehen.  Media  und  Tenuis  werden 
]]iclit  immer  streng  von  einander  gehalten;  „Günther" 
wird  wohl  auch  einmal  „Günder"  geschrieben,  die  „Bleuse" 
(für  „Pleifse")  erinnert  in  ihrem  Konsonantismus  an  die 
noch  gegenwärtig  an  ihren  Ufern  übliche  Aussprache,  in 
ihrem  „eu"  aber  nur  an  das  böse  Gewissen  des  Sachsen, 
dals  das  gehörte  „ei"  vielleicht  ein  schriftdeutsches  „eu" 
sei.  Eine  Menge  der  Öderschen  Namen  für  Berge,  Ort- 
schaften, Bäche  und  Schluchten,  Holzungen  und  Flurteile 
reizen  dazu  an,  in  Urkunden  ihnen  weiter  nachzuforschen 
oder  an  Ort  und  Stelle  ihr  Fortleben,  ihre  derzeitige 
volkstümliche  Lautform  zu  ermitteln.  Mancher  Name 
wird  wohl  vom  Sturm  der  Zeit  verweht  sein,  so  der 
Ausdruck  „Gallitzstein"-),  wie  damals  die  am  linken 
Eibufer  aufragende  Kaiserkrone  bei  Schöna  genannt 
wurde.  Giebt  es  noch  den  Namen  Natzschka  für  den 
Gebirgsbach,  der  bei  dem  Dorfe  Brandau  in  die  Flöhe 
sich  ergielst?  Der  Name  würde  allein  schon  genügen, 
die  Irrlehre  (wenn  das  noch  nötig  wäre)  zu  widerlegen, 
dafs  man  keinen  slavischen  Wortformen  am  Erzgebirgs- 
kamme  begegnete.  Das  lautgerecht  bewahrte  „Lilgenstein", 

")  Leider  ist  der  Name  nicht  ganz  deutlich  auf  Blatt  4  zu 
lesen;  man  könnte  auch  Gailitzstein  lesen.  Ein  Waldfleck  südwest- 
lich neben  Schöna  ist  jedoch  mit  „üallischaw"  (Gallischau,  vielleicht 
aus  Gallitzsch-Aue  entstanden)  bezeichnet. 


Mattliias  Oders  Kartenwerk.  329 

noch  nicht  zur  siniüos  poetisierenden  Anähnlichung  „Lilicii- 
steiii"  verderbt,  gemahnt  an  die  Bedeutung  Gilgenstein, 
Ilgenstein,  Fels  des  Nimrodheiligen  Sankt  Ägidius.  „Pirn" 
steht. noch  da  anstatt  der  thörichten  Latinisierung  „Pirna". 

Oders  eigene  Sprechweise  klingt  uns  aus  so  mancheni 
in  mundartlicher  Phonetik  geschriebenen  Wort  als  die 
obersächsische  entgegen  mit  süddeutschen,  vielmehr  wohl 
erzgebu%ischen  Eigentümlichkeiten.  Für  Pech- Ofen  lesen 
wir  regelmäfsig  „bech  ofen",  für  Mühle  „mul",  „mül" 
oder  „mil",  in  der  Verkleinerungsform  „mulichen"  oder 
„milichen".  Sonst  dient  „le"  oder  „1"  gewöhnlich  zur 
Verkleinerung  („stedel",  „stedl"  für  Städtchen,  „dörfel", 
„heusl").  Berg  wird  jedenfalls  wegen  der  härteren  Aus- 
sprache des  auslautenden  g  wie  Werk  mit  gk  geschrieben, 
„neu"  fast  stets  „nau"  („naw");  das  Wort  See  wurde 
Avohl  zweisilbig  gesprochen,  denn  Öder  schreibt  jedesmal 
„sehe",  entweder  „der  sehe"  oder  „das  sehe",  z.  B.  „das 
egelsehe"  bei  Pirna  (zumeist  heifsen  übrigens  die  stehen- 
den Gewässer  nur  Teiche).  „Bach"  wird  immer  als  Femini- 
num gebraucht.  Echt  norddeutsch  ist  (wie  noch  gegenwärtig 
in  Sachsen)  der  Ausdruck  Heide  für  Wald,  namentlich  für 
Nadelwald;  ein  paarmal  heilst  eine  Waldung  „dieHarta". 

Zum  Schluls  noch  einige  Worte  über  die  stattliche 
Ausbeute,  welche  unsere  Karte  dem  Kultur-  und  Ge- 
schichtsforscher darbietet.  Vor  allem  gewährt  sie  ja  ein 
x\bbild  des  Kulturantlitzes  der  Landschaft.  Wir  schauen 
die  zahlreichen  Siedelungen  auf  den  ausgeführteren  Sek- 
tionen in  ihrer  genauen  Anlage,  die  Städte  mitunter  halb 
in  Vogelschau,  halb  als  Stadtplan,  die  Dörfer  in  langen 
Häuschenzeilen  die  schlnchtigen  Thäler  hinanziehen  oder 
zum  Eundling  geschlossen ;  auch  einsam  gelegene  Schlösser, 
Vorwerke,  Einzelhöfe,  Forsthäuser  sind  genau  eingetragen. 
Hie  und  da  ist  eine  eingegangene  Dorfschaft,  eine 
„Wüstung"  verzeichnet;  namentlich  aber  lassen  sich  an 
der  Hand  dieser  Karte,  da  sie  noch  vor  Ausbruch  des 
30jährigen  Krieges  hergestellt  wurde,  diejenigen  Ort- 
schaften durch  Vergleich  mit  späteren  Karten  leicht  und 
sicher  nachweisen,  w^elche  durch  jenen  heillosen  Krieg 
zu  Wüstungen  wurden.  Die  Richtstätte  des  Galgens 
ist  vielfach  neben  der  Ortschaft  zu  sehen,  bei  Leipzig 
das  Schieishaus  so  wenig  vergessen  wie  bei  Bischofs- 
werda  die  Vogelstange;  mehinials  stehen  „Hegesäulen" 
an  der  Flurgrenze,  auf  der  Höhe  des  Erzgebirges  laufen 
Wildzäune  längs  der  Grenze  gegen  Böhmen,  in  der  Nähe 


330  Alfred  Kirclihoö': 

sind  Salzlecken  und  Brunnen  für  das  Hochwild,  ein 
„Bärenfang-"  oder  „Bärenstall"  erinnert  an  das  dereinstige 
gröfste  Eaubtier  des  Gebirges,  viel  häufiger  trifft  man 
in  Namensspuren  auf  den  Wolf:  Kupferhammer,  Schmelz- 
hütten und  Wasseranspannungen  zur  Flölserei  im  Gebirge 
deuten  die  Erz-  und  Holzgewinnung  daselbst  an.  Un- 
geheuere Waldungen  dehnen  sich  vom  Gebirge  bis  in  die 
Niederung;  im  freien  Felde  sieht  man  oft  vereinzelte 
Schäfereien,  dann  und  wann  Ziegeleien,  am  allerzahl- 
reichsten  jedoch  sind  Mühlwerke  verzeichnet,  in  der  Ebene 
Windmühlen,  sonst  durchweg  Wassermühlen ;  wir  erfahren 
oft  ganz  genau,  wie  viel  Gänge  sie  zählen,  fast  stets  ob  es 
Öl-,  Walk-,  Brett-  oder  Lohmühlen  sind,  ob  man  auf  ihnen 
Mehl  mahlt  oder  ob  sie  als  Stampfwerke  dienen  für  die 
Papierfabrikation,  deren  grolse  Ausdehnung  schon  für  das 
damalige  Sachsen  hier  recht  augenfällig  entgegentritt. 

Am  weitaus  eingehendsten  hat  Öder  die  Wälder- 
verbreitung berücksichtigt.  Denn  zuvörderst  hatte  diese 
Landesaufnahme  einen  fiskalischen  Zweck,  und  ins- 
besondere die  Jagdgerechtigkeit  sollte  nach  festen  Gren- 
zen bestimmt  werden.  Ein  kurfürstlicher  Jägermeister, 
Paul  Grobel,  war  es,  der  den  Auftrag  zur  Herstellung 
der  „Mappe  des  ganzen  Landesumkreises"  in  Kurfürst 
Christians  Namen  an  Matthias  Öder  überbrachte,  denn 
dieser  Auftrag  ging  ganz  unzweideutig  darauf  aus,  der 
kundige  Markscheider  solle,  wie  des  Kurfürsten  eigene 
Worte  lauteten,  die  Karte  „verfertigen,  wieferne  sich 
itzunder  Vnsere  Jagten  erstrecken,  vnd  darein 
alle  Vnsere  Holtzer  sambt  den  vmbliegenden 
Stedten,  Dorffern  vnd  wässern  bringen".  Die 
Hauptsache  waren  also  die  kurfürstlichen  Wälder, und 
zwar  als  Jagdreviere.  Aufserdem  aber  hielt  es  Öder 
doch  auch  ersichtlich  für  seine  Aufgabe,  die  Wald-  und 
Jagdbezirke  nicht  kurfürstlichen  Besitzes,  die  gericht- 
liche Zubehör  möglichst  aller  Ortschaften,  ihre  Zuweisung 
zu  den  verschiedenen  Ämtern,  das  Lehns-  und  Heer- 
gefolgschaftswesen ganz  im  einzelnen  festzustellen  und 
auf  seine  Karte  die  bezüglichen  Vermerke  einzutragen. 
Das  hat  er  denn  mit  gröfstem  Eifer  ausgeführt,  so  dafs 
sein  Kartenwerk  einem  staatsrechtlich -administrativen 
Archive  ähnelt,  in  welchem  die  Einzeldata  nicht  auf 
Papier  und  Pergament,  sondern  auf  den  lebendigen  Erd- 
boden in  Lapidarschrift  dahin  geschrieben  sind,  wohin  sie 
eben  zielen.     Gleichmälsig  allerdings  ist  nicht  verfahren ; 


Matthiiis  Oders  Kai'teuwerk.  331 

blols  stellenweise  z.  B.  findet  man  willkommene  Einzel- 
angaben über  die  Häuserzalil  der  Dörfer,  die  Anzahl  der 
„Mannschaft".  Weit  gleichmälsiger  werden  wir  nnter- 
richtet  über  die  Gerichtsverhältnisse,  geschieden  in  Ober- 
imd  Erb-  oder  Untergericht,  wonach  man  Gerichtssprengel- 
karten zeichnen  könnte,  die  freilich  mittelalterliche  Bunt- 
heit zur  Schau  tragen  würden;  stand  doch  die  Gerichts- 
hegung  bisweilen  an  demselben  Orte  ganz  verschiedenen 
Obrigkeiten  zu.  So  lesen  wir  beim  Dorfe  Gödau  (west- 
lich von  Bautzen)  auf  Blatt  5  die  Notiz:  „Darin  hat 
M.  G.  H.  [also  der  Kurfürst]  26  Mann,  Peter  von  Hau- 
bitz  4  Mann,  das  Capittel  Budissien  12  Mann".  Auf  dem- 
selben Blatt  ist  das  Dörfchen  Mohorn  mit  seinen  11  Höfen 
der  „besessenen"  (angesessenen)  Bauern  abgebildet  in  zwei 
Häuserzeilen,  von  denen  aber  nur  die  eine  in  die  gelbe 
Flächenfarbe  des  Schönbergischen  Besitzes  einbezogen  ist, 
was  allem  Anschein  nach  den  etwas  fragwürdigen  Karto- 
graphenschlich bedeutet,  das  daneben  beschriebene  recht- 
liche Mischverhältnis  zu  veranschaulichen:  „In  Dorif 
Mohorn  sind  11  besessener  Mann,  hat  Vnser  Gnedigster 
Herr  die  volge  nach  reise  Steuer,  Die  ober  vnd  erbgericht 
aber  bemelten  von  Schönbergk  zus[tendigj". 

Eine  nähere  Untersuchung  verdient  das  offenbar 
auf  Besitzverhältnisse  bezugnehmende,  nur  bestimmten 
Arealen  daher  zu  teil  gewordene  Flächenkolorit  in  Gelb, 
Braun  und  Ziegelrot  (auf  Blatt  9  auch  einmal  in  Grün) 
neben  rosarot  umränderten  Flächen.  Letztere  scheinen 
überall  kurfürstliche  Forsten  zu  bezeichnen;  man  ver- 
gleiche auf  Blatt  5  das  kleine,  rosa  umgrenzte  und  mit  fast 
verlöschter  Baum-  d.  h.  Waldsignatur  versehene  Viereck 
(X),  ihm  dicht  zur  Seite  gen  Ost  liegt  der  Riedenberg,  der 
aber  vom  Braun  des  Hausbesitzes  der  Haugwitz  (auch 
„Haubitz")  überzogen  ist  mit  der  daraufgeschriebenen  Er- 
klärung :  „hat  M.  G.  H.  haubitzen  die  lagt  eingereumet". 

Die  erwähnten  Flächenfarben  dürfen  nicht  immer 
als  Farbensymbole  für  dieselben  Adelsfamilien  oder 
sonstigen  Körperschaften  betrachtet  werden.  Das  Gelb, 
welches,  wie  eben  erwähnt,  die  Gerichtshegung  in  Mohorn 
als  dem  Herrn  von  Schönberg  gehörig  bezeichnet,  deutet 
gleich  daneben  den  Umfang  des  Besitztums  von  Bischofs- 
werda  an  umliegenden  Dörfern,  Gehölzen  und  Vorwerken 
an ;  das  sonst  auf  derselben  Sektion  überwiegend  für  den 
Besitzstand  der  Haugwitz  (Haubitz)  verwendete  Bi-aun 
bedeutet  am  linken  Bande  u.  a.  den  Besitz  Georgs  von 


332  Alfred  Kirclilioff  : 

Starstedel,  so  dafs  das  dicht  angrenzende  (auf  Blatt  2 
übergreifende)  wiederum  Haugwitzsche  Besitztum,  nur 
behufs  besserer  Abhebung,  nun  gelb. .koloriert  wurde. 

Weil,  wie  wii^  sahen,  Matthias  Öder  als  sein  Haupt- 
ziel die  Aufnahme  der  Forsten,  insbesondere  der  landes- 
herrlichen ,  vor  Augen  hatte ,  so  findet  man  in  seiner 
„Landmappe"  den  besten  Anhalt  zum  EntAVurf  einer 
Wälderkarte  des  damaligen  Kursachsen.  Ohne  selbst 
schon  genügend  übersichtlich  zu  sein  (namentlich  da  die 
Gebiete,  welche  mit  Mächenfarben  überzogen  sind,  be- 
waldete und  nicht  bewaldete  Striche  enthalten),  bietet 
dieselbe  mindestens  für  die  Flächenausdehnung  der  Wal- 
dung alles  irgend  Wünschenswerte;  nicht  selten  giebt 
sie  auch  die  Art  des  Waldbestandes  mit  kurzen  Worten 
an:  „dün  fichten  holz",  „eidel  dünne  Birckn",  „klein 
Fichticht";  von  einem  Waldfleck  hoch  oben  am  Kamm 
des  Erzgebirges  ostwärts  von  der  oben  genannten  Bran- 
dauer  Natzschka  heifst  es:  „ist  des  meisten  theils  buchen". 
In  den  rosageränderten  Flächen,  die  ich  durchweg  für 
kurfürstliche  Forsten  halte  (in  denen  auch  allein  die  be- 
sagten Sternfiguren  der  „8  Flügel"  als  Zeichen  genauer 
Vermessung  vorkommen),  erreicht  übrigens  gleichfalls  die 
Wegeangabe  ihren  Höhepunkt.  Anderwärts  finden  wir 
selbst  von  wichtigen  Heerstralsen  bei  Öder  nur  gelegent- 
lich einen  Strichvermerk,  so  für  die  Kommotauer  Strafse 
über  das  Gebirge  nach  Böhmen,  für  ein  Stückchen  der 
Strafse  von  Leipzig  nach  Halle.  Aber  in  den  Jagd- 
revieren seines  Fürsten  trug  Öder  das  ganze  Wegenetz, 
wohl  herab  bis  auf  schmale  Pürschpfade  ein;  da  zeichnete 
er  das  Steinkreuz  auf  die  Wegkreuzung,  hob  jede  Wald- 
wiese, so  klein  sie  sein  mochte,  mit  sattem  Grün  hervor. 

Nicht  so  reichhaltig,  wie  man  wohl  wünschen  möchte, 
ist  Oders  Karte  in  Hinsicht  auf  den  Landbau;  allein 
über  Weinbau  finden  sich  Ortsangaben,  doch  auch  sie 
geben  wohl  kein  volles  Abbild  der  Verbreitung  des  Wein- 
baues im  damaligen  Kursachsen.  Indessen  gewähren  sie 
immerhin  einen  Einblick  in  die  noch  um  1600  gegen  heute 
weitere  Ausdehnung  der  Weingärten  nach  der  nördlichen 
Ebene  hin.  Wir  sehen  noch  Weinberge  an  der  Pulsnitz 
in  der  Gegend  von  Königsbrück  und  Krakau,  abwärts 
von  Meifsen  am  rechten  und  linken  Eibufer  über  Röderau 
bei  Eiesa  hinaus  nach  Strehla,  ebenso  am  rechten  Saal- 
ufer unweit  von  Keuschberg. 


Litteratur. 


Deutsche  (ilescliieLte   im  Zeitalter   der   Gegenreformation   und 
des  dreil'sigjährigen   Krieges  (1555—1648).    Von  Moriz  Ritter. 

1.  Band:    1555—1586.     Stuttgart,   Cotta  1889.      XV  und  «46    SS. 

gr.  8». 

Der  Zeitraum,  welchen  der  vorliegende  erste  Band  von  Ritters 
deutscher  Geschichte  umfafst,  entspricht  ziemlich  genau  der  Regie- 
rungsdauer des  Kurfürsten  August  von  Sachsen.  Der  grofse  Ein- 
flufs  desselben  auf  die  damalige  politische  und  religiöse  Entwickelung 
Deutschlands  bedingt  naturgemäfs,  dafs  auch  Ritter  dem  Kurfürsten 
seine  Aufmerksamkeit  gewidmet  hat.  In  den  meisten  bisherigen 
Werken,  namentlich  den  theologischen,  erscheint  er  in  einem  un- 
günstigen Lichte-,  man  wiift  ihm  Maugel  an  Mut  und  Thatkraft, 
ein  zu  geringes  religiöses  Interesse  vor  und  stellt  ihn  seinen  pfäl- 
zischen Kollegen  gegenüber,  welche  ein  wärmeres  Herz  für  ihre 
Religion  gehabt  und  die  allgemein  protestantische  Sache  mit  aller 
Energie  verfochten  hätten.  Unserer  Ansicht  nach  kann  nicht  scharf 
genug  betont  werden,  wie  verschieden  die  politischen  Verhältnisse 
Sachsens  und  der  Pfalz  waren.  Ein  Blick  auf  eine  historische  Karte 
genügt,  um  zu  zeigen,  dafs  Sachsen  ein  geschlossenes  Land,  Pfalz 
dagegen  in  mehrere  Teile  gespalten  und  von  geistlichen  Besitzungen 
durchsetzt  war.  Daher  bestand  die  Aufgabe  des  sächsischen  Kur- 
fürsten nach  1555  wesentlich  in  der  Erhaltung  des  Religionsfriedens, 
während  die  Pfälzer  mit  den  Geistlichen  in  fortwährenden  Konflikten 
standen,  zum  Eintritt  in  die  benachbarten  Kapitel  eingeladen  und 
durch  die  Nähe  Frankreichs  und  der  Niederlande  viel  mehr  in  die 
dortigen  Kämpfe  hineingezogen  wurden.  Ritter  steht  als  Katholik 
diesem  inneren  Gegensatze  der  beiden  protestantischen  Häupter  kühler 
und  ruhiger  gegenüber  und  spricht  den  von  uns  skizzierten  Interessen- 
Unterschied,  wenn  auch  nicht  mit  solcher  Schärfe,  aus. 

Aufser  der  gedruckten  Litteratur  hat  Ritter  aus  dem  Dresdner 
Archiv  —  ich  spreche  hier  nur  von  diesem,  weil  es  sich  in  den  vor- 
liegenden Zeilen  allein  um  eine  Kritik  der  Darstellung  Augusts 
handelt  —  die  Reichstagsakten,  sowie  einige  Konvolute  niederlän- 
dische Akten  und  Briefwechsel  zwischen  Maximilian  und  August 
ausgebeutet.  Die  Benutzung  der  Reichstagsakten  beschränkt  sich 
indessen  auf  die  Gesandtschaftsberichte  und  Instruktionen;  die  Pro- 
tokolle der  Sitzungen  des  Kurfürstenrats  bleiben  unberücksichtigt. 
Auch  würden  sich  bei  zukünftigen  Detailarbeiten  noch  mancherlei 
wertvolle  Ergänzungen  aus  dem  zersplitterten  Material  in  den  Hand- 
schreiben, Religionssachen,  Kriegssachen,  Kopialien  u.  s.  w.  ge- 
winnen lassen. 


334  Litteratur. 

Die  Ritter  eigentümliche  Art  der  Darstellung  tritt  in  seiner 
„Deutschen  Greschichte"  noch  schärfer  hervor  als  in  seinen  früheren 
Arbeiten.  Er  giebt  unter  Vermeidung  alles  unnötigen  Details  nui- 
Gesichtspunkte,  wie  er  selbst  sagt,  schreibt  er  „in  hellen  und  grofsen 
Umrissen,  frei  von  störender  Mannigfaltigkeit".  Wir  erhalten  auf 
diese  Weise  mehr  als  einen  Auszug  aus  den  bisher  veröffentlichten 
und  von  Ritter  neu  eingesehenen  Akten;  das  Buch  ist  eine  wirk- 
liche geistige  Verarbeitung  der  Epoche  und  enthält  die  eigenen,  von 
den  bisherigen  Urteilen  vielfach  sehr  abweichenden  Ansichten  des 
Verfassers.  Derselbe  wirkt  daher  stets  anregend,  wenn  auch  einige 
seiner  Aufstellungen  später  teilweise  korrigiert  werden  dürften 

Von  den  vielen  Fragen,  welche  neu  beleuchtet  sind,  nenne  ich 
die  Reichstage,  die  Grrumbachscheu  Händel,  die  Konkordienformel, 
den  Kölnischen  Krieg. 

Der  Reichstag  von  1555  wird  nur  kurz  gestreift.  Ritter  fafst 
auf  wenigen  Seiten  die  Ergebnisse  seines  früheren  Aufsatzes  über 
den  Religionsfrieden  zusammen.  Ich  gehe  auf  das  wichtige  Er- 
eignis nicht  ein,  weil  ich  das  in  einer  kiü-zlich  veröffentlichten  Arbeit 
gethan  habe.  Nur  eins  möchte  ich  hervorheben.  Als  die  Absicht 
Ottheinrichs  wird  eine  Ordnung  hingestellt  ..nach  welcher  die  evan- 
gelische Religionsübung  hoch  und  niedrig  im  gesamten  Reiche  frei- 
stehen, das  Recht  katholischer  Religionsübung  dagegen  auf  die 
Unterthanen  katholischer  Reichsstände,  so  lange  die  letzteren  noch 
dem  Strom  protestantischer  Propaganda  widerständen,  eingeschränkt 
werden  sollte".  Ich  halte  im  Gegensatz  zu  Schwabe  an  der  Ansicht 
fest,  dafs  Otth'einrich  wirklich  in  seinem  Gutachten  dies  gefordert 
hat.  Aber  mii-  scheint  Ritter  zu  weit  zu  gehen,  sofort  auch  den 
übrigen  protestantischen  Fürsten  ähnliche  Wünsche  zuzuschreiben. 
Weder  August  noch  Kurfürst  Friedrich  von  der  Pfalz,  noch  ii-gend 
ein  anderer  hat  eine  solche  Ungleichheit  gefordert;  ja,  die  Befehle, 
welche  dieselben  erteilt,  die  Anträge,  welche  sie  durch  ihre  Gesandten 
haben  stellen  lassen,  stehen  sogar  der  Annahme,  dafs  den  anderen 
protestantischen  Fürsten  solche  Ordnung  „vorgeschwebt"  hätte,  im 
Wege  ^). 

Über  die  beiden  folgenden  Reichstage  habe  ich  mich  gleichfalls 
früher  schon  ausgesprochen.  Ich  vermisse  bei  Ritter  die  Vorberei- 
tungen zum  Reichstag  von  Regensbui'g  und  den  Widerstand  des 
sächsischen  Kurfürsten  gegen  die  Bitte  um  Freistellung.  Nament- 
lich die  Zusammenkunft  Ferdinands  und  Augusts  zu  Leitmeritz  und 
deren  Verständigung  über  die  Reichstagsberatung  ist  nicht  un- 
wichtig; sie  bildet  das  Gegenstück  zu  Ottheinrichs  Obstruktions- 
plänen, sie  machte  die  letzteren  von  vornherein  hinfällig. 

Zu  den  gelungensten  Partieen  in  Ritters  Werke  rechne  ich 
den  Reichstag  von  1566.  Die  Beurteilung  desselben  ist  ganz  neu 
und  wie  ich  glaube,  nicht  anzufechten.  Zwar  die  Legende,  dafs  der 
Pfälzer  durch  seine  Glaubenstreue  und  sein  mutiges  Auftreten  auf 
August  einen  unwiderstehlichen  Eindrack  gemacht  und  so  Friedrichs 
Ausschlufs  aus  dem  Religionsfrieden  verhindert  hätte,  war  schon 
früher  beseitigt  worden;  zwar  hat  bereits  Bezold  auf  die  Bedeutung 

^)  Ich  habe  in  meinem  Buche  „Zur  Geschichte  der  deutschen 
Protestanten"  die  Rittersche  Ansiebt  im  wesentlichen  wiederholt, 
kann  dieselbe  aber  nach  genauem  Studium  der  einschlägigen  Akten 
nicht  mehr  aufrechterhalten. 


Litteratur.  335 

der  Abreise  AiTgusts  hingewiesen.  Aber  Kitter  bat  znni  ei'sten  Male 
betont,  dafs  der  Angriff  sehr  „wenig  ernsthaft  aussah".  Und  wenn 
man  bedenkt,  dafs  imter  den  knrpfälzischen  Räten  die  Meinung  ver- 
breitet war,  das  ganze  Verhalten  des  Kaisers  habe  nur  den  tak- 
tischen Zweck  die  Türkenhilfe  durchzuliringen -)  —  dann  darf  man 
die  Bedeutung  des  Anschlags  nicht  überschätzen.  Interessant  ist 
aitch,  wie  er  vorsichtig  August  mit  den  Gegnern  Friedrichs  sich  auf 
giften  Fufs  stellt,  wie  er  aber  trotzdem  von  vornherein  mit  festem 
Plane  in  die  Beratungen  des  Reichstags  eintritt,  wie  er  nach  seiner 
Abreise  verfährt.  Meisterhaft  endlich  ist  die  Verquickung  der  ver- 
schiedenen damaligen  Tagesfragen  geschildert. 

Dem  Reichstage  von  1566  ist  in  Bezug  auf  die  Vielseitigkeit 
der  daselbst  behandelten  Fragen  der  von  1576  an  die  Seite  zu  stellen, 
obwohl  demselben  bisher  nicht  die  gleiche  Aufmerksamkeit  zu  Teil 
geworden  ist.  Der  polnische  Thronstreit,  die  Differenzen  zwischen 
Lübeck  und  Schweden,  der  niederländische  Aufstand,  die  Türken- 
hilfe, die  Religionssache  gehörten  alle  zu  den  Geschäften  des  Reichs- 
tags. Auffallend  erscheint  die  Zurückhaltung  Friedrichs  III.  JSicht 
mehr  eine  allgemeine  Freistellung,  sondern  nur  eine  Bestätigung  der 
Ferdinandischen  Deklaration  und  die  Aufhebung  des  geistlichen  Vor- 
behalts wurde  von  ihm  gefordert  und  als  condicio  sine  quo  non  für 
jede  Tüi'kenhilfe  hüigestellt.  Die  Sachsen  drangen  mit  ihrem  Wunsche, 
die  Frage  unberührt  zu  lassen,  nicht  durch;  mit  Ausnahme  der  Neu- 
bui'ger  schlofs  sich  ihnen  niemand  an,  sondern  bestanden  alle  min- 
destens auf  der  Bestätigung  der  Deklaration.  Als  jedoch  die  Katho- 
liken drohten  bei  Erfüllung  der  protestantischen  Forderungen  den 
Reichstag  zu  verlassen,  sagten  sich  die  Kursachsen  förmlich  von 
ihren  Glaubensgenossen  los.  So  wurde  schliefslich  eine  Türkenhilfe 
von  60  Römermonaten  bewilligt. 

Der  letzte  Reichstag  während  der  Regierung  Augusts  war  der 
zu  Augsburg  1582.  Die  Verhältnisse  lagen  insofern  anders  als 
vor  sechs  Jahren,  weil  in  der  Pfalz  an  Stelle  des  glaubeuseifrigen 
Friedrich  sein  schwacher  Sohn  Ludwig  und  im  Reiche  an  Stelle  des 
nachgiebigen  Maximilian  IL  der  von  Selbstgefühl  und  von  der  Be- 
deutung seiner  Würde  sehr  erfüllte  Rudolf  IL  getreten  war.  Der 
Streit  um  die  Bestimmungen  des  Religionsfriedens  und  nament- 
lich die  Rechtsverbindlichkeit  des  geistlichen  Vorbehalts  erfüllt 
fast  die  ganzen  Beratungen  und  kehrt  in  mehrfacher  Gestalt 
wieder.  Zwar  hatte  August  so  bestimmt  als  möglich  die  erneute 
Erörterung  der  Differenzen  verboten,  aber  die  Aachener  Händel,  die 
Kölner  Sache  und  die  Zulassung  des  Administrators  von  Magdeburg 
spielten  teilweise  zu  Augsburg.  In  Aachen  waren  nach  und  nach 
Evangelische  in  den  Rat  eingedrungen;  zuletzt  hatte  der  Kaiser 
durch  ein  Mandat  verfügt,  dafs  nur  noch  Katholiken  Ratsmitglieder 
werden  dürften.  Da  man  sich  jedoch  in  Aachen  nicht  fügte,  kam 
es  zum  heftigsten  Zwiste:  die  Protestanten  wandten  ein,  dafs  die 
Entscheidung  über  die  Zulässigkeit  der  einen  oder  anderen  Religion 


-;  Im  folgenden  Jahre  teilt  der  Kurfürst  dem  Landgrafen 
Wilhelm  mit,  dafs  die  kaiserlichen  Räte  gegen  die  pfälzischen  ge- 
äufsert  hatten,  „das  sie  solchs  nicht  von  sich  selbst,  sondern  auf 
anderer  leuthc,  deren  Ihre  Mat.  des  damals  furgewesenen  turken- 
zugs  halben,  nicht  entrathen  können,  urgiren  und  anlialten  gctlian", 
Vergl.  Wilhelm  am  August  H7,  Juni  2,  Mainz  (111  G7'i  fol.  JiöO 
No.  "4  Bl.  210  ff.).     Ganz  ähnlich  Kluckhohn  II,  29. 


336  Litteratur. 

allein  dem  Rate  zustehe;  der  Herzog  von  Jülich  verneinte,  dafs 
ohne  seine  Zustimmung  religiöse  Änderungen  in  der  Stadt  beschlossen 
werden  dürften.  Augiist  suchte  auch  hier  einen  Mittelweg  einzu- 
schlagen und  soAvohl  den  Kaiser  als  die  Reichsstädte  zu  befriedigen. 
Aber  die  protestantischen  Fürsten  einigten  sich  mit  letzteren  und 
brachten  dadurch  dem  Kaiser  eine  Schlappe  bei;  derselbe  stand  von 
Strafmafsregelu  ab  und  willigte  in  gütliche  Ausgleichsversuche  durch 
die  Kurfm-sten  von  Trier  und  Sachsen.  Dagegen  erlitten  die  Evan- 
gelischeu in  der  Magdeburger  Frage  eine  Niederlage:  der  protestan- 
tische Administrator  von  Magdeburg,  welcher  sich  seine  Zulassung 
zum  Reichsrat  erzwingen  wollte,  wurde  von  Sachsen  nur  so  lau  unter- 
stützt, dafs  er  abreiste.  Wir  lassen  dahingestellt,  inwieweit  die 
Rivalität  zwischen  den  beiden  Kurhäusern  um  das  Erzstift  hierbei 
mitgespielt  hat. 

Wir  müssen  noch  zwei  Pimkte  erwähnen,  welche  mit  den  Reichs- 
tagsberatungen in  engster  Beziehung  stehen  und  für  die  Politik 
Augusts  von  Wichtigkeit  waren,  die  Freistellung  und  den  Vorsitz 
in  den  protestantischen  Separatversammlungen.  Es  ist  Ritters  Ver- 
dienst, jene  Frage  zuerst  —  in  v.  Webers  „Archiv  für  sächsische  Ge- 
schichte" neue  Folge  Band  3  —  beleuchtet  und  in  seinem  jetzigen  Bliche 
weiter  ausgeführt  zu  haben;  die  Freistellung  bedeutete  für  die  Pfälzer 
das  Recht  jedes  Standes  oder  Unterthanen  zum  AnschluTs  an  die  Kon- 
fession, für  die  anderen  die  Aufhebung  des  geistlichen  Vorbehaltes, 
Dagegen  scheint  mir  Ritters  Ansicht  bezüglich  des  Vorsitzes  in  den 
protestantischen  Separatversammluugeu  nicht  zutreffend.  Auf  S.  503 
wirft  er  August  Unberechenbarkeit  vor,  weil  er  das  Präsidium  ein- 
mal beansprucht,  das  andere  Mal  den  Pfälzera  überlassen  habe.  Doch 
hat  sich  das,  so  viel  ich  aus  den  Akten  ersehe,  durchaus  nach  den 
Rangverhältnissen  gerichtet.  Der  Reichstag  von  1555  kann  nicht  in 
Betracht  kommen,  weil  Kurpfalz  damals  noch  nicht  offiziell  evan- 
gelisch war.  Auf  dem  Wormser  Religionsgespräch  von  1557  war 
August  Assessor  und  hatte  infolgedessen  Graf  Eberstein  den  Vorrang 
vor  den  Pfälzern  und  Brandenburgern.  Auf  den  Reichstagen  nach 
1555  aber  haben  stets  die  Pfälzer  präsidiert  als  die  Vertreter  des 
vornehmsten  evangelischen  Kurfürsten;  eine  Ausnahme  bildet  der 
Reichstag  von  1566,  auf  welchem  Friedrich  IIL  gewissermafsen  An- 
geklagter Avar  und  daher  nicht  gleichzeitig  Vorsitzender  sein  konnte. 
Endlich  hebe  ich  von  Einzelheiten  noch  die  Grumbachschen 
Händel  ..hervor.  Ritters  Darstellung  giebt  zum  ersten  Male  einen 
klaren  Überblick  über  diese  viel  behandelten  Dinge  erhalten.  Die 
Arbeiten  von  Beck  und  Koch  sind  Plaidoyers  für  die  Unschuld 
ihrer  Klienten  und  das  dickleibige  vierbändige  Buch  von  Ortloff  ist 
so  schwerfällig  und  unübersichtlich,  dafs  eine  besondere  Bearbeitung 
dazu  gehören  wird,  seine  Resultate  zum  Gemeingnit  der  wissenschaft- 
lichen Welt  zu  machen.  Ritter  dagegen  vermeidet  alles  unnütze 
Beiwerk  und  hebt  auf  wenigen  Blättern  die  für  die  deutsche  Ge- 
schichte wichtigen  Gesichtspunkte  heraus. 

Man  wird  namentlich  über  den  Stiu'z  der  Kryptocalvinisten 
über  die  Beziehung  Augusts  zu  den  Hugenottenkriegeu  xmd  zum 
niederländischen  Aufstand  mit  der  Zeit  noch  vieles  aus  dem  Dresdner 
Aktenmaterial  den  Ritterschen  Resultaten  hinzufügen.  Aber  ich 
glaube,  dafs  das  Bild,  welches  wir  von  den  Anschauungen  des  Kur- 
fürsten zu  entwerfen  haben,  in  den  Umrissen  nunmehr  feststeht. 
Man  mufs  sich  eben  wie  gesagt  die  Lage  des  Kurfürsten  und  seines 
Landes  vergegenwärtigen.     Nach  1555  war  Augusts  ganzes  Streben 


Litteratur.  337 

darauf  gerichtet,  den  Frieden  anfrecht  zu  erhalten,  im  übrigen  aber  die 
Kluft  der  religiösen  Gegensätze  möglichst  zu  überbrücken,  deshalb  liebte 
er  die  kirchlichen  Diskussionen  auf  dem  Reichstage  nicht  und  hafste 
die  Aspirationen  der  Pfälzer,  deshalb  bemühte  er  sich  um  gute  Be- 
ziehungen zu  den  benachbarten  Katholiken,  deshalb  weigerte  er  sich, 
politische  Fragen  nach  kirchlichen  Gesichtspunkten  zu  behandeln 
und  die  Bewilligung  der  Türkenhilfe  u.  s.  w.  von  religiösen  Kon- 
zessionen abhängig  zu  machen.  Durch  Vermeiden  aller  Differenzen 
wollte  er  den  Frieden  erhalten,  durch  allmähliche  Einschläferung  der 
kirchlichen  Frage  denselben  sichern.  Vor  allem  hatten  religiöse 
Fragen,  welche  Sachsen  nicht  berührten,  für  August  nur  ein  sehr 
untergeordnetes  Interesse.  Über  die  Zweckmäfsigkeit  einer  solchen 
Politik  wird  sich  jeder  Historiker* je  nach  Standpunkt  und  Über- 
zeugung sein  Urteil  bilden.  Es  ist  richtig,  dafs  durch  Sachsen  die 
Entwickelung  des  Protestantismus  gehemmt,  es  ist  ebenso  richtig, 
dafs  durch  Sachsen  der  Zusammenstofs  zwischen  Katholiken  und 
Evangelischen  um  Jahrzehnte  verzögert  und  nach  1555  in  Deutsch- 
land der  Friede  im  Grofsen  und  Ganzen  60  Jahre  gewahrt  worden 
ist.  Es  sei  jedoch  gestattet,  der  Ritterschen  Darstellung  noch  eins 
hinzuzufügen:  in  der  hessischen  wie  pfälzischen  und  württember- 
gischen Politik  spielt  die  Ahnung  eines  erneuten  Ausbruchs  der 
religiösen  Streitigkeiten  eine  grofse  Rolle ;  deshalb  mahnen  alle  zum 
Zusammenschlufs  der  konfessionistischen  Stände,  damit  nicht  einer 
nach  dem  andern  „gefressen"  werde.  Dergleichen  Befürchtungen 
lagen  August  ferner ;  man  kann  als  Schlüssel  zum  Verständnis  seiner 
religiösen  Politik  den  Ausspruch  bezeichnen,  den  er  1566  gethan 
hat:  „wir  befurchten  uns  vom  pabstumb  (welchs  Got  lob  bei  der 
ganzen  weit  dermafsen  an  tag  geben,  das  es  in  sich  selbst  feit  und 
zu  boden  gehet)  weniger  Schadens  und  nachtheils  als  von  der  Un- 
einigkeit, Spaltung  und  gehessigem  gezenk  derjenigen,  so  sich  des 
evangelii  und  der  A.  C.  rühmen."    (Kluckhohn  I,  612.) 

■  Wir  wünschen  dem  Unternehmen  gedeihlichen  Fortgang  vmd 
hoffen,  dafs  es  den  Zweck  erreiche,  den  jedes  derartige  Werk  ver- 
folgen mufs:  Anregung  zu  weiteren  Studien. 

Dresden.  Gustav  Wolf. 

Urkundliche  Beiträge  zur  Praxis  des  Yolksschiilunterrichts  im 
18.  Jahrliundert.  A^on  Johann  Griistav  Stephan.  Nossen  1889. 
40  SS.    8*>.    (Bericht  über  das  Königliche  Seminar  zu  Nossen.   1889.) 

Zur  Geschichte  des  sächsischen  Volksschulwesens  sind  in  den 
letzten  Jahren  manche  AvertvoUe  Beiträge  geliefert  worden.  Erinnert 
sei  in  erster  Linie  an  Pohles  Geschichte  des  Seminarwesens,  die  auch 
in  dieser  Zeitschrift  (IX,  176  ff.)  besprochen  worden  ist.  Das  vor- 
liegende Schriftchen,  welches  den  Zustand  der  Leipziger  Winkel- 
schulen  im  vorigen  Jahrhunderte  behandelt,  bietet  ebenfalls  recht 
dankenswertes  Material.  Dasselbe  ist  fast  durchweg  dem  Leipziger 
Ratsarchive  entnommen.  Besonders  reichen  Ertrag  lieferte  die  Be- 
nutzung der  Berichte  der  Geistlichen,  welche  vom  Rate  mit  der  Auf- 
sicht über  die  Winkelschulen  betraut  waren.  Erwähnung  würde 
u.  a.  noch  des  Katecheten  und  Predigers  an  der  Peterskirche, 
M.  Adam  Bernd,  eingehender  Bericht  vom  27.  Mai  1727  verdient 
haben,  welcher  sich  in  den  Akten  der  Leipziger  Peterskirdie  l)e- 
findet  (Vergl.  Mangner,  Mag.  Adam  Bernd,  in  den  Schriften  des 
Vereins  für  die  Geschichte  Leipzigs.     2.  Sammlung.    Leipzig  1878. 

Neues  Archiv  f.  S.  (',.  u.  A.  XI    3.  4.  22 


338  Litteraüir. 

S.  42,  49).  In  überaus  anschaulicher  Weise  werden  von  dem  um 
die  Hebung  der  ihm  unterstellten  Schulen  eifrig  bemühten  Geistlichen 
die  Mängel  der  Winkelschulen  _,  wie  die  Bemühmigen  der  vom  Rate 
verordneten  Inspektoren  geschildert.  Erwähnt  sei  als  Beispiel  die 
Stelle  über  die  Lehrbücher:  „Wir  Prediger,  die  wir  Schulen  be- 
suchen, sind  ehedefsen  eines  worden,  den  Fraeceptores  die  Instruction 
zu  geben,  dafs  sie  dahin  trachten  sollen,  dafs  6.  7.  oder  10.  Kinder 
von  gleichen  profectibus,  so  lesen  lernen,  einerley  Bücher  haben  und 
in  solchen  aufsagen,  so  dafs,  wenn  ein  Kind  aufhöret,  das  andere 
fortfahret;  welches  nicht  mir  macht,  dafs  die  Kinder  eher  lesen 
lernen,  sondern  auch  eine  Gelegenheit  ist,  dafs  die  grofsen  in  einem 
Jahre  die  Bibel  mehr  als  einmal  diirchlesen  köimen.  Allein  da 
geben  viele  Eltern  ihren  Kindern  etwan  eine  alte  Postille,  oder  ein 
Gebet-Buch,  und  schicken  sie  mit  in  die  Schule,  und  begehren,  dafs 
das  Kind  in  demselben  soll  aufsagen."  An  einigen  Beispielen  zeigt 
Bernd  in  seinem  Berichte,  wie  es  langsam  vorwärts  geht  und  giebt 
Belege  zii  dem,  was  Verfasser  S.  31  ff.  in  dem  dritten  Teile  seiner 
Abhandlung  über  die  persönlichen  Verhältnisse  der  Lehrer  mitteilt. 
Die  ersten  beiden  Teile  besprechen  die  Entstehung  und  den  Unter- 
richtsbetrieb in  den  "Winkelschulen.  Namentlich  bezüglich  des  letz- 
teren bringt  er  eine  Fülle  einzelner  Züge  bei.  Es  wäre  sehr  wünschens- 
wert, dafs  die  Schulverhältnisse  der  einzelnen  Städte  in  derselben 
Weise  behandelt  würden,  damit  dann  nach  Veröffentlichung  des  ur- 
kundlichen Materials  die  zusammenfassende  Darstellung  der  Ent- 
stehung des  sächsischen  Volksschulwesens  ermöglicht  würde. 

Dresden.  Georg  Müller. 

Beiträge  zur  sächsischen  Kireheiigeschichte.  Herausgegeben  im 
Auftrage  der  Gesellschaft  für  sächsische  Kirchengeschichte  von 
Franz  Dibeliiis  und  Theodor  Brieger.  Fünftes  Heft  (Jahi-esheft 
für  1889).    Leipzig,  Barth.     1890.     168  SS.     8°. 

Das  vorliegende  fünfte  Heft  der  schnell  auch  aufserhall)  Sachsens 
anerkannten  Zeitschrift  hat  insofern  eine  erhöhte  Bedeutung,  als  auf 
demselben  zum  ersten  Male  als  Mitherausgeber  der  Professor  der 
Kirchengeschichte  an  der  Universität  Leipzig,  D.  Theodor  Brieger, 
erscheint,  welcher  an  des  um  die  Zeitschrift  hochverdienten,  dem 
Vereine  durch  den  Tod  entrissenen  Geheimen  Kircheurats  D.  Lechler 
Stelle  getreten  ist.  Wie  derselbe  in  seinen  Arbeiten  wertvolle  Studien 
zur  sächsischen  Kirchengeschichte  geboten  hat,  so  veröffentlicht  er  in 
dem  vorliegenden  Hefte  (S.  155—166)  eine  bei  Eröffnung  einer  Vor- 
lesung gehaltene  Ansprache:  ,,Über  die  Aufgabe  einer  sächsischen  Refor- 
mationsgeschichte". Verfasser  bestimmt  das  Gebiet  in  scharfsinniger 
Weise  (S.  158  flg.),  weist  auf  die  Lückenhaftigkeit  der  bisherigen 
Arbeiten  unter  warmer  Anerkennung  der  Verdienste  Karl  August 
Seidemanns  hin  und  giebt  die  Zielpunkte  der  Forschung  an.  Mögen 
namentlich  die  am  Schlüsse  gegebenen  Fingerzeige  rechte  Beachtung 
linden.  Ein  Beispiel  dafür,  wie  augebracht  des  Verfassers  Mah- 
nung ist,  die  verschiedensten,  auch  kleinsten  Archive  nach  Doku- 
menten zu  durchsuchen,  ist  die  Studie  des  Oberpfarrers  Dr.  Wetzel 
(S.  1 — 21):  ,,Die  Einführung  der  Reformation  in  Bischofswerda  im 
Jahre  1559".  Bekanntlich  ist  das  Städtchen  im  Laufe  der  Jahr- 
hunderte diirch  eine  Reihe  von  Bränden  schwer  heimgesucht  worden, 
welche  das  Rats-  und  Pfarrarchiv  völlig  vernichtet  haben.  Ein  ein- 
ziger Quartband  hat  sich  in  dem  letzteren  erhalten  und  namentlich 
in  diesem  eine  Abschrift  des  Visitationsrezesses ,  welchen  die  Visi- 


Litteratiu".  339 

tatoren  bei  Übernahme  der  Stadt  dvircb  den  Kurfürsten  im  Jahre  1559 
mit  dem  E,ate  abschlössen  und  an  den  Kurfürsten  sandten.  Beinahe 
ausschliefslich  auf  Clrund  dieses  Dokuments  hat  Verfasser  ein  Bild 
der  reformatorischen  Vorgänge  in  Bischofswerda  entworfen.  Freilich 
über  die  wichtige  Frage,  ob  das  Instrument  von  der  kurfürstlichen 
Regierung  bestätigt  wurde,  hat  er  trotz  der  eifrigsten  Nachforschungen 
kein  bestimmtes  Resultat  beibringen  können.  Es  bleibt  so  die  in 
neuerer  Zeit  viel  ventilierte,  in  den  verschiedensten  Instanzen  er- 
örterte Frage  immer  noch  otfeu.  Ihre  Beantwortung  erregt  um  so 
mehr  Interesse,  als  sie  nicht  ohne  praktische  Konsequenzen  ist.  So 
hängt  damit  der  Anspruch  der  Stadt  Bischofswerda  auf  eine  Superin- 
tendentur  eng  zusammen.  —  Von  den  übi'igen  Arbeiten,  bezüglich  deren 
sich  Referent  mit  Rücksicht  auf  den  zur  Verfügung  stehenden  Raum 
kurz  fassen  mufs,  gehören  der  Reformationsgeschichte  an  die  Mit- 
teilungen Buchwalds:  ,,Aus  Luthers  Randbemerkimgen  zu  den 
Sentenzen  des  Petrus  Lombardus  und  zu  den  Predigten  Johann 
Taulers"  (S.  67 — 90).  Je  mangelhafter  wir  über  Luthers  theologische 
Entwickelung,  namentlich  in  den  ersten  Jahren  seiner  Universitäts- 
thätigkeit  unterrichtet  sind,  um  so  freudiger  ist  jeder  neue  Fund  in 
dieser  Richtung  zu  begrüfsen.  Buchwald  hat  einen  solchen  in  der 
Zwickauer  Ratsschulbibliothek  gemacht  und  giebt  als  Probe  die 
Bemerkungen  Luthers  zu  Petrus  Lombardus  Sentenzen  Buch  I, 
Distinkt.  I— XVII  und  zu  Taulers  45.  Predigt  über  Luc.  5,  Iflg-, 
während  die  Publikation  des  Ganzen  in  der  Weimarer  Lutherausgabe 
erfolgen  soll.  Paul  Drews  in  seinem  auf  der  Generalversammlung 
des  Vereins  für  Reformationsgeschichte  in  Görlitz  im  Jahre  1889  ge- 
haltenen Vortrage  über  die  ,, Böhmischen  Brüderexulanten  im  Meifs- 
nischen,  in  der  Oberlausitz  und  Schlesien",  behandelt  ein  Gebiet,  das 
wegen  seiner  Bedeutung  für  die  religiöse  und  kulturgeschichtliche 
Bewegung  Sachsens  von  grofser  Wichtigkeit  ist  und  noch  reichen 
Stoff  zu  monographischer  Forschung  bietet.  Mit  Dresdens  Kirchen- 
geschichte beschäftigen  sich  zwei  Arbeiten;  während  F.  Blanck- 
meister  ,, Dresdens  kirchengeschichtliche  Bedeutung"  in  schöner, 
pointierter  Sprache  und  kräftigen,  gutgewählten  Zügen  im  Zusammen- 
hange mit  dem  Gange  der  Kirchengeschichte  überhaupt  schildert, 
versucht  der  unterzeichnete  Referent  ,,das  Franziskanerkloster  in 
Dresden"  in  seiner  historischen  Entwickelung  auf  Grund  des  überaus 
dürftigen  urkundlichen  Materials  zu  zeichnen.  —  Vorausgeschickt 
sind  dem  Hefte  die  neuen  Satzungen  der  Gesellschaft,  welche  bezüg- 
lich der  finanziellen  Seite,  wie  der  Erwerbung  und  Vertreibung  des 
Vereinsheftes  wesentliche  Veränderungen  aufweisen  Möge  sich  dei' 
Verein  und  die  Zeitschrift  in  der  neuen  Form  einer  günstigen  Ent- 
wickelung zu  erfreuen  hal)en. 

Dresden.  Georg  Müller. 

Übersicht 

über  neuerdings  erschienene  Schriften  nnd  Aufsätze  zur 

sächsischen  Geschichte  und  Altertumskunde. 


Beck  und  Buchioald.  Ein  Stück  Geschichte  der  Zwickauer  Raths- 
schulbibliothek  und  die  neuesten  Lutherfunde  in  derselben :  Wissen- 
schaftliche Beilage  der  Leipziger  Zeitung.    1890.    No.  93.  S.  369  f. 

22* 


340  Litteratur. 

Brasch,  Mor,  Greschichte  der  Universität  Leipzig.  (A.  u.  d.  T.: 
Auf  deutsclien  Hochschulen.  II.)  München,  Verl.  der  Akad. 
Monatshefte.     1890.     68  SS.  8«. 

Bräuer,  Julius  Alfred.  Mitteilungen  aus  der  Ortskirchengeschichte 
von  Hinterhennsdorf  und  Saupsdorf  üher  die  Zeit  von  1668  bis 
1890.  Zusammengestellt  zur  2u0  jährigen  Jubelfeier  der  Erbauung 
der  Kirche  Hinterhermsdorfs.    (Hinterhermsdorf  1890.)  .58  SS.    8". 

Buchwald.  Die  Bildnifssammlung  der  Zwickauer  ßathsschulbiblio- 
thek  in  ihrer  Beziehung  zu  sächsischen  Persönlichkeiten :  Wissen- 
schaftliche Beilage  zur  Leipziger  Zeitung.   1890.    No.  110.  S.  439f, 

fColditz,  Hugo.J  JEundert  Jahre  Geschichte  der  Arnoldischen  Buch- 
handlung zu  Dresden  von  1790  bis  1890.  Als  Handschrift  ge- 
druckt.    Dresden  1890.     2  BU.     88  SS.     80. 

V.  Corvin,  0.  Maria  Aurora  Gräfin  von  Königsmark  und  ihre  Be- 
ziehungen zu  August  dem  Starken,  Kurlürsten  von  Sachsen. 
2.  Aufl.    Rudolstadt,  A.  Bock.     (1890.)     164  SS.     S**. 

Distel,  Th.  Strafrechtsgeschichtliche  Findlinge:  Zeitschrift  für  die 
gesammte  Strafrechtswissenschaft.     Bd.  X  (1890).     S.  431—445. 

—  Ein  Schreiben  der  Wittwe  Bugenhagens :  Zeitschrift  für  Kirchen- 
geschiehte.     Bd.  XI  (1890).     S.  483f. 

—  Architekturbuch  Stephan  und  Andreas  Bretschneiders  zu  Dres- 
den (1580):  Blätter  für  Architektur  und  Kunsthandwerk.  Jahr- 
gang III  (1890).     S.  23. 

—  Nachrichten  über  die  Maler  Balthasar  und  Joh.  Gottfried  Böhme: 
ebenda  S.  11. 

—  Beiträge  zu  einer  1594  geplanten  Notenpublikation  (Paul  Köhler, 
Jakob  Reynart  u.  A.  betreffend):  Monatshefte  für  Musikgeschichte. 
Jahrgang  XXn  (1890).     S.  83. 

—  Ein  kursächsicher  Hofmusikus  [Hirnschretl]  als  Totschläger: 
ebenda  S.  20  f. 

—  (David  Schubert  und  die  Orgel  in  der  katholischen  Hofkii'che  zu 
Dresden):  ebenda  S.  48 f. 

—  Ein  Schreiben  des  Kamraerkomponisten  Naumann  an  den  Kur- 
fürsten zu  Sachsen  (1769):  ebenda  S.   19  f. 

Dittmann,  O.  Die  Getreidepreise  in  der  Stadt  Leipzig  im  XVII., 
XVIII.  und  XIX.  Jahrhundert.  Ein  Beitrag  zur  Geschichte  der 
Preisbewegung:  Mittheilungen  des  statistischen  Amtes  der  Stadt 
Leipzig.  Heft  XXL  Leipzig,  Duncker  u.  Humblot.  1889. 
41  SS.  (und  3  Tabellen).     4». 

Dreher^  F.  Die  Flaschenmacher  oder  Klempner  in  Eibenstock 
im  Erzgebirge:  Wissenschaftliche  Beilage  der  Leipziger  Zeitung 
1890.     No.  Ü5.     S.  457—460. 

Dreßler,  K.  G.  Chronik  der  Parochie  Ottendorf  sowie  der  Dörfer 
Lausa,  Hermsdorf,  Grünberg  und  Cunnersdorf.  Nach  sicheren 
Quellen  bearbeitet  unter  Mitwirkung  von  Const.  Angermann. 
Meifsen,  Selbstverl.  d.  Verf.     1890.     VIII,  178  SS.    8». 

Enders,  Ludw.  Luther  und  Emser.  Ihre  Streitschriften  aus  dem 
Jahre  1521.  Bd.  I.  (A  u.  d.  T.:  Neudrucke  deutscher  Litteratur- 
werke  des  XVI.  und  XVII.  Jahrhunderts  No.  83  und  84:  Flug- 
schriften aus  der  Reformationszeit.  VIII.)  Halle  a./S.,  Niemeyer. 
1889.     VIII,  152  SS.     80. 

Fischer,  Hugo.  Einführung  und  Entwickelung  der  Dampfschifffahrt 
auf  der  Elbe  im  Königreiche  Sachsen  (Sonderabdruck  aus  dem 
„Civilingenieur".  Bd.  XXXVI.  1890.  Heft  4).  40  Sp.  und 
4  Tafeln.    4». 


Litteratur.  341 

Freytag,  E.  B.  Zur  Litteratur  der  Landeskunden  des  Königreichs 
Sachsen:  Praxis  der  Erziehnngsschule,  Bd.  4.  Heft  2.  (1890). 
S.  69-80. 

—  Kronprinz  Albert  in  der  deutschen  Dichtung:  Leipziger  Zeitung. 
1890.    No.  91.     (Erste  Beilage.) 

Gurlitt,  Cornelius.  Kunst  und  Künstler  am  Vorabend  der  Refor- 
mation (A.  u.  d.  T. :  Schriften  des  Vereins  für  Beformations- 
geschichte  Jahrgang  VII.  Stück  4.)  Halle,  Niemej^er  (Komm.). 
1890.     155  SS.     80. 

—  Vom  K.  Schlosse  in  Dresden :  Blätter  für  Architektur  und  Kuust- 
handwerk.     Jahrgang  III  (1890).     S.  22.  26. 

—  Die  Dresdner  Ausstellung  alter  Zinnarbeiten :  Kunstgewerbeblatt 
N.  F.    Jahrgang  T  (1890).     S.  29—32. 

Frhr.  v.Hmisen,  Clemens.  Vasallen  -  Geschlechter  der  Markgrafen 
zu  Meifseu,  Landgrafen  zu  Thüringen  und  Herzoge  zu  Sachsen 
bis  zum  Beginn  des  17.  Jahrhunderts  (Forts.) :  Vierteljahrsschrift 
für  Wappen-,  Siegel-  und  Familienkunde.  Jahrgang  XVIII  (1890). 
S.  101—211.  367—464. 

—  Das  Königlich  Sächsische  Wappen  in  seiner  historischen  Eut- 
wickeluug.'  Deutsches  Adelsblatt.  VIII  (1890).  No.  23—26.  28  flg. 
S.  385-387.   404—406.  423-425.    441—444.  477—479.  491-493. 

Hiller,  Robert.  Die  Stadt  Pausa  und  ihre  nächste  Umgebung.  Im 
Auftrage  des  Vereins  für  Ortskunde  herausgegeben.  Mit  einem 
Plane  der  Stadt,  einer  Karte  der  Umgebung  und  drei  Ansichten 
in  Lichtdruck.  Pausa  (Plauen,  A.  Kell,  Komm.).  1890.   415  SS.  8'>. 

Jäger,  Cl.  A.  Chronik  A'on  Moliorn  mit  Grund.  Grund,  Verlag  des 
Schulvorstands.     1889.    42  SS.     8». 

Israel,  A.  M.  Valentin  Weigels  Leben  und  Schriften,  nach  den 
Quellen  dargestellt:  Beigabe  zum  18. — 20.  Jahresbericht  über  das 
kgl.  Schullehrerseminar  zu  Zschopau.  Zschopau  1890.  II,  167  SS.  8^. 

Kaäe,  Reinh.  Sperontes,  Singende  Muse  an  der  Pleifse  1736: 
Wissenschaftliche  Beilage  der  Leipziger  Zeitung.  1890.  No.  106. 
S.  421—423. 

—  Christian  Günther  in  Leipzig:  Grenzboten.  1890.  No.  28, 
S.  66—74. 

—  Die  Leipziger  Stadtpfeifer:  Monatshefte  für  Musikgeschichte. 
Jahrgang  21  (1889).     S.  194 f. 

Knothe,  Herrn.  Zur  Geschichte  des  Münzwesens  in  der  Oberlausitz. 
Blätter  für  Münzfreunde.  Jahrgang  XXVI  (1890).  No.  163f. 
Sp.   1538—1.544.  1.546—1550. 

Kreyenberg,  Gotth.  Ernst  der  Fromme.  Ein  Lebens-  und  Kultur- 
bild aus  dem  17.  Jahrhundert.  Frankfurt  a.  M.,  Diesterwcg. 
1890.    V,  110  SS.     8^. 

Lehmann,  Ose.  Die  ältesten  Beschreibungen  der  sächsischen  Scliweiz. 
Über  Berg  und  Thal.  Jahrgang  XII  (1889).  No.  5-7.  11. 
S.  331.  338—341.  350f.  381—384. 

Lehmann,  Ose.  Herzog  Georg  von  Sachsen  im  Briefwechsel  mit 
Erasmus  von  ßottei-dam  und  dem  Erzbischofe  Sadolet.  Neu- 
stadt i./S.  (Leipzig,  Fock).     1890.     63  SS.    8». 

Frhr.  v.  Mansberg,  Rieh.  Die  sächsische  Ostmark  (nordthüringische 
Mark):  Wissenschaftliche  Beilage  der  Leipziger  Zeitung.  1890. 
No.  48  flg.     S.  189—196. 

Menncll,  Arthur.  Goldene  Chronik  der  Wettiner.  Geplant,  gedruckt 
und  verlegt  im  Wettiner  Jubeljahr  1889.  Leipzig,  Verlag  der 
Literar.  Gesellschaft.     22  SS.  und  138  Taf.    Imp.-Fol. 


342  Litteratur. 

Mohr,  F.  Vorgeschichtliche  Überreste  iin  sächsischen  Vogtlande :  Fest- 
schrift zur  Feier  des  zehnjährigen  Stiftungsfestes  des  vogtländischen 
Touristen- Vereins  zu  Plauen  am  28.  April  1890.     S.  66—74. 

Needon,  R.  Zur  Geschichte  der  Juden  in  den  Wettiner  Landen 
während  des  Mittelalters:  Wissenschaftliche  Beilage  der  Leipziger 
Zeitung.     1890.     No.  68.     S.  269—271. 

Ottenthai,  E.  v.  Die  Quelle  der  angeblichen  Bulle  Johann  XIII. 
für  Meifsen:  Mittheilungen  des  Instituts  für  österreichische  Ge- 
schichtsforschung.    Bd.  X  (1889).     S.  6U— 617. 

Pilk,  Georg.  Urkundlicher  Beitrag  zur  Geschichte  der  Burg 
Schreckenstein:  Mittheilungen  des  Vereins  für  Geschichte  der 
Deutschen  in  Böhmen.     Jahrgang  XXVIII  (1890).     S.  274—292. 

V.  RfaahJ,  C.  Anzeige  aus  den  Xirchenbüchern  der  Pfarre  zu 
Plauen  im  sächsischen  Vogtlande  und  deren  Tochterkirchen  zu 
Jöfsnitz,  Strafsberg  und  Oberlosa  1570 — 1800:  Vierteljahrsschrift 
für  Wappen-,  Siegel- und  Familienkunde.  Jahrgang  XVIII (1890). 
S.  465—483. 

Reuter,  Herrn.  Graf  Zinzendorf  und  die  Gründung  der  Brüder- 
gemeinde: Zeitschrift  für  Kirchengeschichte.  Bd.  XII.  Heft  1. 
S.  1—20. 

Scheuffler.  Der  Zug  der  österreichischen  Geistlichen  nach  und  aus 
Sachsen  (Forts.):  Jahrbuch  der  Gesellschaft  für  die  Geschichte 
des  Protestantismus  in  Österreich.     Jahrgang  XL      S.  142 — 159. 

tSchönherr,  C.  Zur  Geschichte  des  Brander  Jahrmarkts:  Sächsische 
Berg-Zeitung.     1890.     No.  53—73. 

Steche,  R.  Beschreibende  Darstellung  der  älteren  Bau-  und  Kunst- 
denkmäler des  Königreichs  Sachsen.  Auf  Kosten  der  Königl. 
StaatsregieruDg  herausgegeben  vom  Königl.  Sachs.  Alterthums- 
vereine.  Zwölftes  Heft:  Amtshauptmannschaft  Zwickau.  Drei- 
zehntes und  vierzehntes  Hefe:  Amtshauptmannschaften  Glauchau 
und  ßochlitz.  Dresden,  C.  C.  Meinhold  &  Söhne  (Komm.).  1889. 
1890.     148. SS.  47  und  135  SS.     8». 

Voigt,  Geo.  Über  den  Ramismus  an  der  Universität  Leipzig:  Sitz- 
ungsberichte über  die  Verhandlungen  der  k.  sächs.  Gesellschaft 
d.  Wissenschaften  zu  Leipzig.  Philol.-histor.  Classe.  Bd.  40  (1888). 
S.  31-61. 

Waddington,  A.  La  France  et  les  Protestants  allemands  sous 
Charles  IX.  et  Henri  III.  Hubert  Languet  et  Gaspard  de 
Schomberg:  Revue  historique  tom.  42  (1890).     p.  241—277. 

Wattendorff,  Liidw.  Die  Schul-  und  Universitäts-Ordnung  Kurfürst 
Augusts  von  Sachsen.  Aus  der  Kursächsischen  Kirchenordnnng 
vom  Jahre  1580.  Herausgegeben  und  mit  Einleitung  und  An- 
merkungen versehen.  (A.  u.  d.  T. :  Sammlung  der  bedeutendsten 
pädagogischen  Schriften  aus  alter  und  neuer  Zeit.  Herausg.  von 
Beruh.  Schulz,  J.  Gänsen  und  A.  Keller.  VII.  Bd.)  Paderborn, 
Schöningh.     1890.     VIII,  220  SS.     8". 

Weinhold,  E.  Die  Bauerunruhen  1790,  besonders  in  der  Gegend 
von  Chemnitz:  Chemnitzer  Tageblatt.  1890.  No.  209  (2.  Beil.), 
210  (2.  Beil.). 

Wolf,  Gustav.  Der  Augsl)urger  Religionsfriede.  Stuttgart,  G.  J. 
Göschen.     1890.     XV,  171  SS.     8'». 

[Wustmann,  G.J  Alumneumserinnerungen.  Von  einem  alten  Kreuz- 
schüler.   Leipzig,  F.  W.  Grunow.    ^1890.    4  BU.  184  SS.    8». 

Zabel,  H.  Chronik  von  Zöblitz,  neu  herausgegeben  und  mit  Bildern 
versehen.   Annaberg,  Graser.     1890.    VII,  272  SS.    8o. 


Litteratur.  343 

Beiträge  zur  sächsischen  Kirchengeschichte.  Herausgegeben  im 
Auftrage  der  Gesellschaft  für  sächsische  Kirchengeschichte  von 
Franz  Dibelius  und  Theodor  Brieger.  Fünftes  Heft  (Jahresheft 
für  1889).     Leipzig,  Barth.     1890.     168  SS.     S». 

Inhalt:  Wetzel,  Die  Einführung  der  Reformation  in  Bischofs- 
werda  im  Jahre  1659.  Drews,  Böhmische  Brüderexulanten  im 
Meifsnischen ,  in  der  Oberlausitz  und  in  Schlesien.  Bl ande- 
rn ei  st  er,  Dresdens  kirchengeschichtliche  Bedeutung.  Buch- 
wald.  Aus  Luthers  Randbemerkungen  zu  den  Sentenzen  des 
Petrus  Lombardus  und  zu  den  Predigten  Johann  Taulers...  G. 
Müller,  Das  Franciskanerkloster  in  Dresden.  Brieger,  Über 
die  Aufgabe  einer  sächsischen  Reformationsgeschichte.   Miszellen. 

Mitteihmgen  der  Deutschen  Gesellschaft  zur  Erforschung  vater- 
ländischer Sprache  und  Altertümer  in  Leipzig.  Achter  Band. 
3.  Heft.  Mit  einer  Landkarte  und  zwölf  in  den  Text  oedruckten 
Abbildungen.  Leipzig  (K.  W.  Hiersemann).  1890.  192  SS.  8°. 
Inhalt:  Merkel,  Zur  (Teschichte  des  Besitzstandes  des  Hauses 
Wettin.  Lobe,  Gräfin  Bertha  von  Groitzsch  oder  von  Morungen. 
V.  Süfsmilch  gen  Hörn  ig,  Burgen  im  Erzgebirge  (mit  sechs 
Grundrissen).  Kirchhoff,  Das  älteste  Leipziger  Zeitungsweseii. 
Kroker,  Schaustellungen  auf  den  Leipziger  Messen  im  16.,  17. 
und  18.  Jahrhundert.    Meyer,  Der  Index  librorum  prohibitorum 

Mitteilungen  vom  Freiberger  Altertumsverei^i  mit  Bildern  aus 
Freibergs  Verqanqenlieit.  Herausgeo-eben  von  Heinrich  Gerlach 
26.  Heft.     1889.     Freiberg  i.  S.  1890.^  112  SS.    8«. 

Inhalt:  Knebel,  Handwerksbräuche  früherer  Jahrhunderte. 
Kade,  Zu  Freibergs  Geschlechtera.  Gerlach,  Bilder  aus  Frei- 
bergs Vergangenheit  No.  9  und  10.  Wohlfarth,  Betrachtungen 
über  die  uralte  Wasserleitung  von  der  bewaldeten  Höhe  südwest- 
lich von  Freiberg  zum  Schutze  der  Stadt  durch  Festungsteiche 
Knebel,  Heydenreich,  Gerlach,  Distel,  Pfotenhauer, 
Kleinere  Mitteilungen.  Ger  lach,  Freiberger  Fundchronik. 
Ger  lach,  Freiberger  Gedenkbuch.  Ger  lach.  Heimatliche  Lit- 
teratur  1888/89  von  Freiberg  und  Umgegend. 


Eegister. 


Aachener  Friede  131. 
Adalbert,  Erzbisch,  von  Mainz  5  f. 
Agricola,  Joh.  Georg  94. 

—  Paul  73. 

Agrippa,  Corn.,  von  Nettesheim 

87. 
Alba,  Herzog  von  204  f.  226  f. 
Alberti,  Val,  Ofticial  zu  Bautzen 

38. 
Albrecht,  Herz,  von  Sachsen  145. 

152.  154. 

—  Markgraf  von  Brandenburg 
177.  196.  226. 

Alt-Scherbitz  bei  Schkeuditz  12. 
Altzelle  155. 

Andernach,  Günther  von  100. 
Andrea,    Jacob    251.    253  f.    258. 

261. 
Apianus,  Peter  323  f. 

—  Philipp  323. 

August,  Kurfürst  von  Sachsen 
42.  44.  155.  177.  179.  249  ff. 
275  f.  279  f.  321  ff.  326.  333  ff. 

—  Herzog  von  Sachsen,  Admini  - 
strator  von  Magdeburg  135. 

Aussig  193.  195. 

Baldauf,  Chrph.  s.  Walduff. 

—  Wolf,  Stadtschreiber  zu  Zwi- 
ckau 59. 

Bapst,  Mich., von  Rochlitz,  Pfarrer 

zu  Mohorn  77  ff. 
Bärensprung,  Laurent.  47. 
Bartholomäi ,  Petr. ,  Domherr  zu 

Bautzen  35. 
Bautzen,  CoUegiatstift  17 ff. 

—  Franciskanerkloster  23.  26.  34. 
40. 

—  Marienkirche  23. 

—  Nicolaikirche  32. 


Bayern  s.  Ferdinand  Maria,  Lud- 
wig, Maximilian,  Beinhart. 

Beaumont  129. 

Beiersdorf  (Oberlansitz)  27. 

Beler,  Andr.,  Ofiic.  zu  Bautzen, 
dann  Propst  zu  Liegnitz  38. 

Beigern  28. 

Beneda  4  f. 

Benno,  Bischof  von  Meifsen  4. 

Berbistorff,  Bastian  147. 

Berger ,  Casp. ,  Maler  in  Dresden 
265. 

Bergt,  Friedr.,  Maler  in  Dresden 
265. 

V.  Berlepsch,  Erich  Volkmar  247 f. 

V.  Bernstein,  Waltzig  147. 

V.  Betschitz ,  Chrph. ,  Official  zu 
Bautzen  37. 

Beyer,  Leonhard,  Superintendent 
in  Zwickau  51.  57  ff.  67. 

V.  Bigen,  Ulrich,  Domherr  zu 
Bautzen  20. 

Bilia,  Melch.,  päpstlicher  Nuntius 
in  Wien  44. 

Bischdorf  bei  Löbau  23. 

Bischofswerde  42. 

—  Heinrich  von,  Gustos  zu 
Bautzen  29 

—  Rulko  von,  Decan  zu  Bautzen 
27  ff. 

Bog,  Andr.,  von  Eilenbui'g,  Mag., 

zu  Nordhausen  72. 
Böhm,  Balth.,  Maler  273. 
Böhmen     s.    Johann,     Wenzel, 

Wladislav,  Wratislav. 
■  Bohuslav ,  Pfarrer  und  Domherr 

zu  Bautzen  27. 
Bollinger,  Ulr.  96. 
Bologna  26.  30.  38. 
Boyen,Chrph.  und  Haus,Maler  273. 


Register. 


345 


Brandenburg  s.  Albreclit ,  Friedi'ich 
Wilhelm,  Hans,  Joachim,  Jo- 
hann, Johann  Georg,  Wolde- 
mar. 

Brannschweig  130  s.  a.  Erich, 
Ernst,  Heinrich,  Karl  Viktor, 
Philipp  Magnus. 

Brecislaus,  Sohn  des  Königs 
AVratislav  von  Böhmen  4. 

Brettschneider,  Dan.,  Maler  in 
Dresden  273  f. 

Brew,  Casp. ,  Goldschmied  in 
Zwickau  64. 

de  Brück,  Petrus.  Maler  273. 

Bruno  II.,  Bischof  von  Meifsen  18. 

Brysomannus,  Justus  Ludw.  252. 
254  ft". 

Buchner,  Paul,  Zeugmeister  276. 

—  Dorothea  s.  Wehme. 
Bugenhagen,    Joh. ,   Dr.   59.    61. 

69  ff. 
Bulsize,  Ort  im  Burgwart  Woz  13. 
V.  Bünau ,    Heinrich,   Propst   zu 

Bautzen  39. 
V.  Büren,  Graf  181.  184.  215. 
V.  Burkersrode,  Geh.  Rath  128. 
Burkhard,  Franz,  Kanzler  63. 

V.  Caldenborn,  Joh  ,  Domherr  zu 

Bautzen  27.  29. 
Camerarius,  Joachim  55  f.  63.  72. 

74.  252. 
V.  Capellendorf,  Theodor,  Propst 

zu  Bautzen  29. 
V.  Carlowitz,    Christof  179.  182. 

184.  199.  204  f.  211. 

—  Georg  179. 

—  Hans,  kurf.  Stallmeister  42. 

—  s.  Nicolaus. 

Caspar  (v.  Schönberg),  Bisch,  von 

Meifsen  147. 
Chassan,  franz.  Gesandter  130  f. 

133. 
Chemnitz  149  ff. 
Christian  L,  Kurfürst  von  Saghsen 

276.  279  f.  320  f.  323.  330. 

—  II. ,  Kurfürst  von  Sachsen 
278  f.  300. 

Christof,  Landgraf  von  Leuchten- 
berg 180.  196.  226. 

Cob ,  österr.  General  135. 

Coburg  247. 

Cochlius,  Joh.,  Decan  zu  Bautzen 
39. 

Colbert  129. 


Colditz  277. 

Colonna,  Pirro,  kaiserl.  Kriegs- 
rat 200. 

Conrad,  Paul,  Maler  273. 

Constappel  bei  Coswig  14  ff. 

Cornarius ,    Janus ,    Dr. ,    Stadt- 
physicus  in  Zwickau  53  f. 

Cossebaude  (Gozebudi)  12. 

Coswig  3.  5. 

Cranach,  Lucas,  d.  J.  275. 

Criginger,  Joh.,  Pfarrer  z.  Marien- 
berg 321  f. 

Cro,    NicoL,    Pfarrer    und  Dom 
herr  zu  Bautzen  35. 

CroU,  Oswald  96. 

Crottendorf  bei  Leipzig  152. 

Cruciger,  Casp.  53.  59  f. 

V.  Oruczberg,  Theod.,  Propst  zu 
Bautzen  33. 

V.  Czastewitz,    Heinr. ,  zu  Arns- 
dorf  147. 

Dallwitzer,  Pa.,  Mag.  in  Zwickau 

53. 
Dänemark  178.  203  f. 
Dehr,  Balth.,  Kantor  zu  Bautzen 

34  f. 
Delitzsch  149  ff. 
V.  Dieskau,  Otto  179.  218. 
Dietrich  (v.  Schönberg),  BLschof 

von  Meifsen  35. 
Döbeln  149  ff. 

V.  Dohlen ,  Abraham ,  Maler  273. 
V.  Dohna,  Hannibal,  Graf  291  ff". 
Dorothee  Susanne,  Gem.  d.  Herz. 

Joh.  Wilhelm  250.  253 f.  256. 
Drakenburg  215. 
V.  Drasch witz,  Wert  147. 
Dresden  148.  150  f.  158.  160  f. 

—  Maleriunung  263  ff. 

—  Moritzmonument  277  f. 

—  Schloss  277. 

—  Petrus     von ,     Domherr     zu 
Bautzen  35. 

Di'ogiz,  Nickel  147. 
V.  d.  Dube,  Benes  32. 
Dürr,  Zachar.,  Maler  in  Dresden 
273. 

V.  Ebeleben,     Christof,    herzogl. 

Rat  215  f.  223  ff. 
Eberhard,    Nicol. ,    Domherr    zu 

Bautzen  26. 
Ekbert,  Mai'kgraf  von  Meifsen  4. 
Eger  203  f. 


346 


Register. 


Emineiicli,  Caspar,  Decan  zu 
Bautzen  38  f. 

—  Georg,  in  Görlitz  19.  38. 
Enderler,  Hans,  Maler  273. 
England  1:^1  f    178.  s.  a.  Karl. 
Erastus    (Lieber),    Thomas   100. 

102.  108. 

Erdmuthe  Sophie,  Tochter  Kur- 
fürst Joh.  Georgs  II.  126. 

Erfurt  126  f. 

Erich  II. ,  Herzog  von  Braun- 
schweig -  Calenberg  177.  215. 
217.  231. 

Ering,  Chrph.,  Mag..  Prediger  in 
Zwickau  .58  ff.  7l'f. 

Ernst,  Kurfürst  von  Sachsen  145. 
1Ö2. 

—  Herzog  von  Braunschweig  228. 
231.  233, 

Eutritzsch  (Euderitz)  1.52. 

Fabri,  Georg,  Official  zu  Bautzen 

38. 
Fabricius,    Georg,  Rektor  zu  S. 

Afra  155. 
Fachs,    Dr.,    kursächs.  Rat  232. 

235 
Fehrbellin,  Schlacht  134. 
Ferdinand  I.,  Kaiser  40.  43f.  179f. 

184.   187  ff. 

—  II.,  Kaiser  283  ff. 

—  III,  Kaiser  121  ff. 

—  IV.,  röm.  König  120.  123. 
Ferdinand  Maria,   Kurfürst   von 

Bayern  123.  125.  136  f. 

Feuquieres,  französ.  Bevollmäch- 
tigter 141. 

Findekeller,  Chrph.  Dan.,  Geh. 
Sekretär  139. 

Frankfurt  a.  M. ,  Reichsdeputa- 
tionstag 122  f. 

Frankreich  120  ff.  s.  Franz,  Lud- 
wig. 

Franz  I  ,  König  von  Frankreich 
178.  198.  203. 

—  II.  (Este),  Herzog  von  Mo- 
dena  121. 

Freiberg  25.  148.  150  f.  158. 
Stadtrecht  162  ff 

—  Heinr. ,  Domherr  zu  Bautzen 
31  f. 

—  Hermann  von,  Propst  zu 
Bautzen  25. 

Freytag,  Joh.  Heinr.  96  f. 
Friberger,  Casp.  147. 


Friedrich  (d.  Strenge),  Markgraf 
von  Meifsen  28  f. 

—  IL,  Kurfürst  v,  d.  Pfalz  198. 

—  V.,  Kurfürst  v.  d.  Pfalz  305. 
Friedrich  Wilhelm,   Hei'zog  von 

Sachsen  -Weimar ,  Administr. 
270  ff.  278  ff 

Kurf.  v.  Brandenburg  123ff. 

Fries,  Laurentius  85. 

V.  Friesen,  Heinr.  Frhr.,  Geheimer- 
Rats-Direktor  135. 

Frischheim,  Ha.,  Maler  in  Dres- 
den 265. 

Pritsche,  Georg,  Kanzler  41. 

Galenus  85.  99  f.  107  ff. 
Gebese,  Joh.,  Gustos  zu  Bautzen 

33. 
Gebhart,  Melch.  75. 
Gedaw,  Joh.,  Domherr  z.  Bautzen 

35.  38. 
Georg,   Herzog  zu  Sachsen  148. 
St.  Germain,  Friede  142. 
V.  Gersdorff',   Cristan,    Vogt   der 

Oberlausitz  24. 

—  Mkol.,  Geh.  Rat  131.  135. 
141. 

Giefsen  205.  210  ff 

Glitze,  Pe.  147. 

Gnesen,  Bistum  21. 

V.  Goch,    Theoderich,    Propst  zu 

Bautzen  30 f. 
Göda  28.  32. 

—  Theodor  von,  Domherr  zu 
Bautzen  27  ff. 

Göding,  Andr.  273. 

—  Heinrich  d.  Ä.  265.  273.  275. 
277. 

d.  J.  273. 

Gohlberg,  der,  bei  Constappel  15  f. 

Gohlis  a.  E.  13. 

Görlitz  33  f.  38. 

Gramann,  Joh.  114. 

V.  Grammont,  Herzog,  franz.  Ge- 
sandter 125. 

Granvella,  Bischof  von  Arras 
204  f.  213.  215.  217  ff. 

Gravelle,  franz.  Bevollmächtigter 
122. 

Gregor  IX.,  Papst  21. 

Gremonville,  franz.  Gesandter  in 
Wien  131 

Grobel,  Paul,  kurfürstl.  Jäger- 
meister 330. 

Groitzsch  150  f. 


Register. 


347 


Grofsenhain   (Ossek)   3.  5  ff.   10. 

149  ff. 
V.  Grüutlial,  Jacob  316. 
Guben,  Reinhart  von,  Propst  in 

Bautzen  25. 
Gunterrode,  hess.  Kanzler  233. 
Gvozdec  Iff. 

Hahler  (Kaier?),  Job.,  Domherr 

zu  Bautzen  35. 
Hala,  Georg-,  Mag.,  von  Baireutb 

62  f.  71  ff. 
Halle  226  ff'. 
Hänichen,    Daniel,    Hofprediger 

301  f. 
Hans,  Markgraf  von  Brandenburg 

177.  180. 

V.  Harras,  Ilse,  zu  Lichtenwalde 
147. 

Hartha  bei  Coswig  14. 

V.  Haugwitz ,  Chrph. ,  Domherr 
zu  Bautzen  40. 

Hausmann,  Nicol. ,  Stadtpfarrer 
zu  Zwickau  48. 

de  la  Haye  Vantelet,  franz.  Ge- 
sandter in  München  137. 

Hedwig,  Gem.  Kurf.  Christian  II. 
von  Sachsen  278.  ■ 

V.  Heideck,  Haus  216. 

Heinrich,  Herzog  von  Braun- 
schweig -  Wolfenbüttel  185. 
193  f  216.  222  ff. 

—  n. ,    König    von    Frankreich 

178.  207.  211.  225. 

—  IV.,  Kaiser  B. 

—  V.,  Kaiser  5  f. 

Heinrich,  Jacob,  Pfarrer  zu  Stol- 
pen u.  Domherr  zu  Bautzen  43. 

Heller,  Vincenz,  Üflicial  zu 
Bautzen  37. 

Heresbach,  Conrad  259. 

Herman,  Chrph.,  Maler  273. 

Hermsdorf  bei  Kesselsdorf  12. 

Hessen  s.  Philipp. 

Hessen -Darmstadt  s.  Ludwig. 

v.  Heynitz,  Nicol,  Propst  in 
Bautzen  37. 

Hoe  V.  Hoenegg,  Matth.,  Ober- 
hofprediger 299  ff. 

V.  Hoendorf,  Leiither,  Pfarrer  zu 
Göda  30.  32. 

V.  Hohenheim,  Theoph.  Parac.  77f. 
92  f.  95  ff". 

Holland  1311  138. 

Holstein  s.  Johann  Adolf,  Ulrich. 


Humelius,  Joh.,  Professor  in  Leip- 
zig 323. 
V.  Hundeishausen,  Herrn.  182. 
Huygens,  Chevalier  132. 

Jauernik,  Otto  von,  Pfarrer,  Dom- 
herr zu  Bautzen  26. 

Jena  252   308. 

Jenitz,  Hans,  Sekretär  des  Kur- 
fürst August  15.5. 

Jessen  181. 

V.  Ilburg,  Heinr. ,  Domherr  zu 
Bautzen  20. 

Innocenz  IV.,  Papst  22. 

—  VI.,  Papst  27. 
Interim  60  tt\ 

Joachim  IL,  Kurfürst  von  Bran- 
denburg 177.  188.  193  f.  198. 
200.  207  ff 

Jockrim  (Altstadt  bei  Stolpen)  32. 

Jode,  Sim,  Pfarrer  zu  Bautzen  34. 

Johann,  Herzog  zu  Sachsen- 
Weimar  250  ff. 

—  Markgraf  von  Braudenbvirg  22. 

—  König  von  Böhmen  25. 

—  III.  (v.  Kittlitz),  Bischof  von 
Meifsen  31. 

—  IV.  (Hofmann),  Bischof  von 
Meifsen  33  f. 

—  V.  (v.  Weifsenbach) ,  Bischof 
von  Meifsen  35. 

—  VI.  (V.  Salhausen),  Bischof 
von  Meifsen  36. 

—  VII.  (v.  Schleinitz),  Bischof 
von  Meifsen  37. 

—  IX.  (v.  Haugwitz),  Bischof 
von  Meifsen  41  ff". 

—  Official  zu  Bautzen  38. 
Johann  Adolf,  Herzog  von  Hol- 
stein 131. 

Johann    Albrecht,    Herzog    von 

Mecklenburg  249. 
Johann     Casimir,     Herzog    von 

Sachsen  (Coburg)  247  ff. 
Johann  Ernst,  Herzog  v.  Sachsen 

(Eisenach)  247  ff  308  f. 
Johann    Friedrich    (d.    Grofsm.), 

Kurfürst  von  Sachsen  67.  177ff. 

245. 
d.  Mittl.  245  ff 

—  —  IV.,  Herzog  von  Sachsen- 
Weimar  250  ff. 

Johann  Georg  I. ,  Kurfürst  von 
Sachsen  119  ff.  156  ff  273. 
291  ff 


348 


Register. 


Johann  Georg-  II.,  Kurfürst  von 

Sachsen  122  ff.  161. 
III.,  Ki;rfürst  von  Sachsen 

143  f. 
Kurfürst  von  Brandenburg 

279. 
Johann    Philipp,     Kurfürst    von 

Mainz  123  ff. 
Johann    Wilhelm,    Herzog    von 

Sachsen  249  ff'. 

V.  Kanne,  Hofmarschall  131. 
Karl  lY.,  Kaiser  28. 

—  V.,  Kaiser  177  ff. 

—  IL,  König  von  England  138. 

—  XI.,  König  von  Schweden  135. 
Karl  Gustav,  König  von  Schwe- 
den 123. 

Karl  Viktor,  Herzog  zu  Braun- 
schweig 231. 

Kassel  216.  218.  222. 

Kaufbach  bei  Wilsdruff  23. 

V.  Kazow,  Heinko,  Domherr  zu 
Bautzen  23. 

V.  Kemnitz ,  Nicol. ,  Domherr  zu 
Bautzen  25. 

Klein-Opitz  bei  Tharandt  12. 

V.  Kiengel,  Christian,  Geh.  Rat 
139. 

—  Wolf  Kaspar  127. 
Klessig  bei  Nossen  25. 
Kleve  s.  AVilhelm. 

Knut,  Albert,  Propst  zu  Bautzen 

26ft\ 
V.  Köckeritz,  Casp.  147. 

—  Walther  32. 

Koller,  Hans  Christof,  Maler  274. 
Köln  a.  Rh.  131. 
V.  Komerstadt,  Hieron.,  Dr.,  sächs. 
Rat  41.  184  ff'.  202  ff 

—  Julius  41. 

Komgler,     Kasp. ,    Domherr    zu 

Bautzen  85. 
Konrad,  Markgraf  von  Meifsen  5  f. 

—  II.  (v.  Wallhausen),  Bischof 
von  Meifsen  27  ff'. 

Konzer  Brücke,  Gefecht  136. 
V.  Kopperitz,  Albert,  Pfarrer  und 
Domherr  zu  Bautzen  31  f. 

—  Joh.,  Domherr  zu  Bautzen  27. 
29. 

V.  Kospoth,  Friedr. ,  Kammerherr 

und  Hofrat  134. 
V.  Kottwitz,  Heinr.,  Domherr  zu 

Bautzen  38.  40. 


Krysche,  Paul,  Kaplan  der  Dom- 
propstei  zu  Bautzen  36. 

Kuchler,  Paul,  Decan  zu  Bautzen 
38  ff'. 

Kunewalde  bei  Löbau  27. 

—  Hecelin  von  24. 
Küttener,   Halle,    Bildhauer   zu 

Dresden  26.5. 
Kyleb  (Culba,  Colba?),  Wüstung 
in  der  Gegend  von  Leipzig  4. 

Laurentius.  Chrph.,  Hofprediger 

302. 
Lauterstein,  Amt  147. 
Leibnitz  132. 
V.  Leipa,    Beruhard,    Propst   zu 

Bautzen  24. 
Leipzig    148.    150  ff     158.    181  f. 

186  f.  189.  208.  310  f. 

—  Univ.  79.  308. 
Leisentritt,    Johann,    Decan    zu 

Bautzen  41.  43. 

Leonhard,  Sebast ,  Mag.  248. 

Leopold  L,  Kaiser  123  ff. 

Lersner,  Heinr.,  hess.  Vizekanzler 
182  f.  186.  189  ff. 

Leubus,  Kloster  21. 

Leuchtenberg  s.  Christof. 

Leuteritz  bei  Dresden  12. 

Leyser,  Polykarp  313. 

Lichtenbiu-g  bei  Torgau  125. 

V.  Linar,  Rochus  Quirinus  264. 

V.  Lindenau,  Hans  luid  Heinrich, 
zu  Machern  147. 

Lindenau,  Paul,  Prediger  in 
Zwickau  48. 

Lionne   franz.  Gesandter  125. 

Löbau  40. 

Löbenich,  Egidius,  Maler  273. 

V.  Lodron,  Sgnid.  Graf,  kaiserl. 
Kriegsrat  191.  200. 

Lommatzsch  149  ff. 

Lothar,  Herzog  von  Sachsen  5  f. 

Lothringen  133. 

Lotter,  Hieron.  264. 

Ludwig  XIV.,  König  von  Frank- 
reich 121  ff: 

—  Landgraf  von  Hessen -Darm- 
stadt 286. 

—  Pfalzgraf  bei  Rhein,  Herzog 
in  Bayern  249. 

—  Erzbischof  von  Mainz  (Sohn 
Herzog  Friedr.  v.  Sachsen)  31. 

de  Lumbre,  Antoine,  franz.  Ge- 
sandter 122. 


Register. 


349 


Lund,  Frieden  141. 
Luther,  Martin  47  f.  247. 
V.  Lntticb,  Seifard  147. 
Lycius,  Dr.  Leonh.,  Professor  in 
Leipzig  79. 

Magdaleue     Sibylle ,     Kurfürstin 

von  Sachsen  156  ff. 
Magdeburg,  Hiob  321  f. 
Mähren  s.   Otto. 
Mainz  s.  Adalbert,  Job.  Philipp, 

Ludwig. 
Major,  Georg  60  f.  70  f. 
Malfs,  Georg  75. 
V.  Maltitz,  Christof  147. 
V.  Mansfeld,  Graf  207.  216. 
Marienam,    Kasp.,     Official    zu 

Bautzen  38. 
Marschalg,  Casp   und  Hans  147. 
Maudach,  Gefecht  bei  133. 
Maximilian,  Herzog  von  Bayern 

28«  ff. 

—  Erzherzog  v.  Österreich  244. 
Mazarin,  Kardinal  120  ff". 
Mecklenburg  s.  Johann  Albrecht, 

Ulrich. 
Meifsen  Iff.  158.  Domstift  18  ff. 

—  Markgrafen  s.  Ekbert,  Fried- 
rich, Koni'ad,  Wiprecht. 

—  Bischöfe  s.  Benno,  Bruno, 
Caspar,  Dietrich,  Konrad, 
Mcolaus,  Rudolf,  Withego. 

Melanchthon,  Phil.  48  ff. 

Melissander,  Dr.  Casp.  250.  252. 
260. 

Milet ,  franz.  Gesandter  in  Berlin 
131. 

v.  Miltitz,  Hans,  zu  Pulsnitz  147. 

Mittweida  147.  149  ff 

Mobschatz  bei  Cossebaude  12. 

Modena  s.  Franz. 

Mohorn  bei  Tharandt  79  ff. 

Monavius,  Petras  98. 

Monner,  Wolfgang  252.  261. 

Moritz,  Kurfürst  von  Sachsen 
58.  60  f.  63.  177  ff'. 

Moser,  Ludw.  Wilh. ,  Kammer- 
sekretär 279. 

Mühlberg,  Schlacht  bei  181.  206. 

Mühlhausen  287  ff 

Mühlpfort,  Herm.  47. 

Müller,  Clement,  Maler  in  Dres- 
den 265. 

Münch,  Wilhelm,  Hofmeister  255. 

Mussilius,  Georg,  Mag.  56  f. 


Mylius,  Joh.  316. 

Natter,  Leonh.,  Stadtphysicus, 
Rector  in  Zwickau  65  f. 

Naumburg  31. 

Neutzsch  bei  Leipzig  (Neitzsch) 
152. 

Niederkaina  bei  Bautzen  23. 

Niederlande  (span.)  129f. 

Nikolaus  I ,  Bischof  von  Meifsen 
30  f. 

—  IL,  Bischof  von  Meifsen  42. 

—  Propst  zu  Bautzen  18  ff. 
Nizane,  Gau  5.  9.  12. 
Nopus,  Hieron.  72. 

V.  Nostitz ,  Albert ,  auf  Pliefsko- 
witz  24. 

—  Ulrich,  Landeshauptmann  der 
Oberlausitz  41. 

Nowagk,  Hans,  Bürger  zu  Bautzen 

35. 
Nym wegen,  Frieden  von  138  f. 

Oberebersbach  bei  Grofsenhain  32. 
Öder,  Georg,  323. 

—  Matthias  319  ff. 
Oldenburg,  Graf  von  207.  216. 
Olmütz,  Bischof  v.  22. 
Oppach  (Oberlausitz)  36. 
Oschatz  147  ff. 

Oslander,  Lucas  258. 
Österreich  119  ff 
Otto,  Herzog  von  Mähren  5. 
Otto ,  Abt    zu  Banz ,    Österreich. 
Gesandter  in  Dresden  139. 

Pacaeus,  Valentin,  Prediger  in 
Leipzig  64. 

Panitz,  Hans,  Maler  273. 

Peck,  Mich.,  Bürgermeister  zu 
Rochlitz  78. 

Pegau  149  ff 

Penot,  Bernh.  90.  102.  109.  Ulf. 

Peregrin,  Bischof  von  Prag  21. 

de  Perre,  Nicol.  Maler  in  Leip- 
zig 280. 

Peschel,  Heinr.,  Maler  273. 

Pesterwitz  31. 

Peucer,  Casp.  53.  56. 

Pfalz  s.  Friedrich,  Ludwig,  Rein- 
hart. 

Pfalz-Neuburg  s.  Philipp  Ludwig. 

Pfalz-Zweibrücken   s.  NVolfgang. 

Pfeffinger,  .loh.,  Dr.,  Stadtpiarrer 
zu  Leipzig  60.  62  f.  72  f. 


350 


Kegister. 


Pflug,  Andr.  179. 

—  Georg,  Hauptmann  182. 
Pfoel,  Christ.,  ( )fficial,(lannDecan 

zu  Bautzen  38. 

—  Job.,   Decan  zu  Bautzen  35. 
37  f. 

V.  d.  Pfordten,  Brune  147, 
Pforta,  Lande.sscliule  79. 
Philipp,    Landgraf   von   Hessen 

177  ff. 
Philipp   Ludwig,    Pfalzgraf  von 

Neuburg  123.  128. 
Philipp    Magnus,     Herzog    von 

Braunschweig  217.  231. 
Pintzker,   Vigilius,  Hofrat  253. 

255. 
Pistorius,   Petrus,   Domherr   zu 

Bautzen  34 f. 
Pius  VI.  Papst  35. 
V.  d.  Planitz,   Georg,   Decan  zu 

Bautzen  34. 
Plateanus,     Petrus,     Rektor     in 

Zwickau  51  ft".  58. 
V.  Polentz,  Fritzsche  147. 

—  Ramfold,  Domherr  zu  Bautzen 
29  f. 

Porsche,    Heinrich,    Decan    zu 

Bautzen  29.  31  f. 
Prag  s.  Peregrin. 
Pruze,  Heinr.,  Decan  zu  Bautzen 

32. 

—  Konr.,  Propst  zu  Bautzen  29f. 
Pufendorf,  Esaias,  schwed.Gouver- 

neur  von  Bremen  135  f. 
Punzel  (Ponczelini),  Joh.,  Domherr 
zu  Bautzen  29.  31. 

V.  Quingenberg,  Georg  249. 

Radeberg  147.  149  tf. 
Raschwitz  bei  Leipzig  152. 
Ratzeberger  255. 
Regius,  Joh.  Marcellus  53  ff.  74. 
Reichbrot,  Georg  158. 
Reichenbach,   Job.,  Domherr  zu 

Bautzen  32. 
V.  Reiffenberg ,     Friedr.    Ludw., 

Freiherr  127. 
Reinhart,  Pfalzgraf  bei  Rhein  und 

Herzog  in  Bayern  249. 
Reinbold,     Micol. ,    Syndicus    zu 

Zwickau  55.  59.  63.  73  f. 
Ricchini,  Francesco  264. 
Riesa,  Propst  daselbst  21. 
Itochlitz  78  ff.  149  ff:  180.  196.  199. 


Rödelheim   bei    Frankfurt  a.  M. 

205.  210  ff 
Rüder,    Cyriacus,    Maler    269 ff. 

280  f. 
Rodewitz  bei  Bautzen  25. 
Roitzsch  bei  Wilsdruff  13. 
Rörer  (Rorarius),  Georg  61.  70. 
Rosenhayn,   Chrph.,    Official    zu 

Bautzen  38. 
V.  Rössel,  Heinr.,  zu  Leipzig  158. 
Rousseau,    franz.    Gesandter   in 

Dresden  143. 
Rüdinger,  Esrora,  Mag.  55  ff.  74. 
Rudolf,  Bischof  von  Meifsen  32. 
Ruland,  IMartin  90. 
Rupert! ,     Hieron. ,     Decan     zu 

Bautzen  39. 

Sachsen  s.  Albrecht,  August, 
Christian,  Erdmuthe  Sophie, 
Ernst ,  Friedr.  Wilh. ,  Georg, 
Hedwig,  Johann,  Job  Casimir, 
Joh.  Ernst,  Joh.  Friedrich, 
Joh.  Georg,  Joh.  Wilhelm, 
Lothar,  Moritz,  Sophia. 

Sahlassan  bei  Strebla  23. 

Salius,  Egidius,  M.  252. 

Sarcerius,  Erasm.,  in  Leipzig  64. 

Sartorius,  Balth.,  Superintendent 
in  Grimma  2.52. 

Safsbach,  Gefecht  bei  136. 

Schaff,  Ulr.,  Landvogt  der  Ober- 
lausitz 23. 

Schatz  (Thesauri),  Herrn.,  Notar 
des  Königs  Johann  v.  Böhmen 
26. 

Schelhammer,  Casp.  260. 

Schellenberg,  Simon,  Official  zu 
Bautzen  38. 

Schkeuditz  (Scudici,  Chotiza)  llf. 

Schlegel,  Martin,  Hofprediger  302. 

V.  Schleinitz ,  Johann ,  Propst  zu  ^ 
Baiitzen  32  (s.  a.  Johann). 

—  Wolf,   Propst  zu  Bautzen  37. 

V.  Schlichen,  Hans  218. 

Schlick,  Joachim  Andreas  Graf 
315f. 

Schmidt,  Georg  und  Hans ,  Maler 
in  Dresden  273. 

Schneeweis,  Jonas,  Maler  273. 

Schneider,  Unkel,  Maler  in  Dres- 
den 265. 

Schnepf,  Erhard,  Dr.  72. 

V.  Schönau,  Mauritius,  Official 
der  Propstei  zu  Bautzen  34.  38. 


Register, 


351 


Schönbach  bei  Cunewalde  24. 
V.  Schönberg,  Casp.,  Präsident  des 
Geh.  Ratscollegium  288. 

—  Dietrich,  Propst  zu  Bautzen 
35  f. 

—  —  Bischof  von  Naumburg  36, 

Bischof  von  Meifsen  35, 

zu  Zschochau  147. 

Schreyer,  Burckhardt,  Maler  265. 
Schröer,  Hans,  aus  Lüttich,  kur- 

sächs.  Hofmaler  265, 
Schwarz,  Hans,  Maler  273, 
Schweden    120f.    123.  126.  130  ff, 

s.  a,  Karl,  Karl  Gustav. 
Scultetus,  Mathem.  in  Görlitz  321. 
Seid,  Dr.,  Reichsvicekanzler  217. 

233  f.  238.  241. 
Severinus,  Peter  100. 
V.  Seehausen,  Lampert,  Propst  zu 

Bautzen  34. 
Seuftenberg  147.  149.  1.50.  152. 
Siefried,  Propst  zu  Bautzen  22. 
Sigismund,  Kaiser  33. 
Sitzenrode  156. 
Sixtus  IV.,  Papst  45, 
Skaup  b,  Grofsenhain(Scutropei?) 

V.  Solms,  Reinhard  Graf  197. 
Sophia,  Gem.  Kurfürst  Christian  I. 
von  Sachsen  275.  279. 

—  Gem.  Herzog  Friedrich  Wil- 
helm IV.  V.  Sachsen-Weimar 
256. 

Spanien  125.  129  ff. 
Spindelmeyer,  Chrn.,  M:aler  273. 
Steinmüller,  Mag.  Albertus  79. 
V,    Stentzsch.    Heinr.    u.    Nickel 

147. 
Stolpen  42  f. 
V.  Strele,    Konrad,     Propst    zu 

Bautzen  28  f. 
Sturm,  Mich.,  Maler  273. 
Suiza  225.  227. 
Swofflieim,    Hieron.,    Ofhcial    zu 

Bautzen  38. 

—  Dr.  Job.,  Domherr  z,  Bautzen 
38. 

Tauck,  Joach.,  Professor  in  Leip- 
zig 81.  92f.  108.  113, 

Tangel,  Lucas,  252. 

Theoderich,  Dompropst  zu  Meifsen 
18. 

Thiem,  Georg,  Rektor  in  Zwickau 
45  ff',  68  f. 


de  Thola,  Benedict  und  Gabriel 

264, 
Thormann,  Georg  66, 
V.  Thumshirn  216. 
Titibuzien  If. 
Torgau  156,  158. 

—  Theoderich  von,  Propst  zu 
Bautzen  23,  25. 

Ti-eutting,  Mich.,  Maler  277. 

Trier,  Kurfürst  125. 

Türk,  Dr.,  sächs,  Rat  190.  204. 

Türken  178. 

Tyle,  Casp.  32. 

—  Job.,  Domherr  zu  Bautzen  32, 

Ufer,  Haus,  Maler  273. 

Ulrich,  Herzog  von  Holstein  278. 

—  Herzog  von  Mecklenburg  249. 

—  Herzog  von  Württemberg  1 78. 
188.  193.  211. 

—  Propst  zu  Bautzen  21. 
Unkersdorf  13. 

Unruh,  Haus,  Bürgermeister  zu 

Zwickau  62  f. 
V.  Uttenhofen,  David,  Hofrat  248. 

Vagnee,    Graf,  Gouverneur  von 

Bouillon  123  f. 
Vincentius,    Official  zu  Bautzen 

36,  38, 
Voigt,  Balth.,  Maler  265. 

—  Jerem.,  Maler  273, 
Vossem,  Frieden  von  133, 

Wagner,  Zachar.,  Maler  in  Dres- 
den 273. 

am  Wald,  Georg  114. 

Walduff  (Baldaixf),  Chrph.,  Rektor 
in  Schneeberg  49.  52  ff. 

V,  Wallhausen  s.  Konrad. 

Walther,  Ambrosius,  Bildhauer 
265. 

—  Andreas,  Bildhauer  265. 

—  Chrph.  d.  Ä.  und  d.  J.,  ]5ild- 
hauer  und  Maler  265. 

—  Ha,,  Bildhauer  in  Dresden 
265,  280. 

V.  Wartenberg,  Job.,  Propst  zu 
Bautzen  37. 

—  Siegm  ,  Landvogt  der  Ober- 
lausitz 37. 

Weck,  Anton  160 f. 
Wehme,  Christian  276. 

—  Dorothea  (geb.  Büchner)   276. 

—  Zacharias,  J\laler  269  ff'.  275  ff. 


352 


Eegister. 


Weippersdorf,  Petr. ,  Official  zu 
Bautzen  38. 

Weistropp  14. 

Wenzel,  König  von  Böhmen  18. 
21  f.  32. 

v.Werthern,  sächs.  Gesandter  127. 

Westfälischer  Friede  119  ff. 

Wilhelm.  Herzog  von  Kleve  203  f. 

Wirth,  Georg,  Decan  zu  Bautzen 
39. 

Wiprecht  von  Groitzsch  5  f. 

Withego  I.,  Bischof  v.  Meifsen  22. 

—  II. ,  Bischof  V.  Meifsen  24  f  28. 

Wittenberg  47  ff.  158.  247.  308  ft\ 

Wladislaw,  Herzogvon  Böhmen  5. 

Woldemar,  Markgraf  v.  Branden- 
burg 24. 

Wolfgang,  Pfalzgraf  von  Zwei- 
brücken 198.  232. 


V.  Wolframsdorf,  Georg  Dietr., 
Kamnierherr,  Hof-  u.  Justiz- 
rath  142. 

Wosice,  Woz,  Burgwart  Off. 

Wrangel,  schwed.  General  134. 

Wratislav,  König  von  Böhmen  3  f. 

Württemberg  s.  Ulrich. 


Zachariae , 

Bautzen 
Ziegenhain 


Joh. ,    Domherr     in 
39. 

in  Hessen  211  f.  214. 
216.  218.  222. 
Zimmermann,  sächs.  Kartograph 

320  f. 
Zinna,  Kloster  130  f 
Zschone,  Wüstung  13. 
Zweinaundorf  bei  Leipzig  (Obir- 

nuwendorf)  152. 
Zwickau  47  ff.  128. 


Buchdruckerei  der  Verlagshandluug. 


GETl 


Y  CEN 


ER  L 


BRARY 


3  3125  00701  2475 


■iiiBiliiiiiiMiiiiiiMiiiil^