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SCHRIFTEN
herausgegeben von der
Gesellscliaft znr YMmm der WisscDSctiall des JnJenlnnis.
GRUNDRISS
der
Gesamtwissenschaft des Judentums.
NEUESTE GESCHICHTE
DES
JÜDISCHEN VOLKES
PROFESSOR D^- MARTIN PHILIPPSON.
Band III.
LEIPZIG.
BUCHHANDLUNG GUSTAV FOCK, G. m. b. H.
1911.
Neueste Geschichte des jüdischen Yoli[es
Professor Dr. Martin Philippson.
Band III.
LEIPZIG.
BUCHHANDLUNG GUSTAV FOCK, G. m. b. H.
1911.
Die Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaft des Judentums
überläßt den Herren Autoren die Verantwortung für die von
ihnen ausgedrückten wissenschaftlichen ]\Ieinuugen.
Druck von August Pries in Leipzig.
Vorwort zum dritten Teil.
Die Neueste Geschichte des jüdischen Volkes schließt mit
diesem dritten Bande ab, der die Geschichte der Juden in Ruß-
land und Polen von 1830 bis 1910 umfaßt: eine Geschichte
selten unterbrochener Leiden, aber zuorleich der heldenmütigen
Standhaftigkeit von Millionen Israeliten.
Es ist die erste umfassende Darstellung dieser Verhältnisse
in deutscher Sprache, noch erschwert durch den Umstand, daß
das Material dafür weit zerstreut und zum Teil in Deutschland
gar nicht zugänglich war. Die Arbeit ist mir tatsächlich nur
durch die Beihilfe kundiger Persönlichkeiten ermöglicht worden :
wie des Herrn Direktor D. Feinberg und ganz besonders der
jungen Historikerin, Fräulein Dr. Salomea Krynska (jetzt Frau
Levite) in Warschau. Ich sage ihnen hiermit auch öffentlich
herzlichen Dank. Der verehrliche Hilfsverein der deutschen
Juden stellte mir in liebenswürdigster Weise seine reichen hand-
schriftlichen Sammlungen zur neuesten Geschichte der Juden
in Rußland zu Gebote. So hoffe ich ein einigermaßen ge-
nügendes Material zusammengebracht zu haben. Immerhin
muß ich für die unvermeidlichen Mängel eines ersten Versuches
um Nachsicht bitten, der überdies von einem mit dem Lande
und dessen Einwohnern nicht direkt Bekannten unternommen
worden ist. Herr Dr. Schermann in BerUn hat es freund-
hchst übernommen, die Rechtschreibung der russischen Namen
zu prüfen.
Die beiden ersten Bände meines Werkes sind im ganzen
von der Kritik — ich sehe natürlich von derjenigen ab, die
lediglich vom Partei Standpunkte ausging — freundlich ge-
würdigt worden, indem sie die Schwierigkeiten der Arbeit wohl
in Betracht zog. Aus ihren Bemerkungen glaube ich viel ge-
lernt zu haben und bin ihr für diese sehr eFkenntlich. Ich möchte
2114279
VI Vorwort zum dritten Teil.
nur auf ein doppeltes Mißverständnis noch einmal aufmerk-
sam machen, obwohl ich vor solchem schon im Vorworte zum
ersten Bande gewarnt hatte. Erstens, mein Buch sollte ein ent-
sprechender Teil des ,,Grundrißes der Gesamtwissenschaft des
Judentums" sein und deshalb weder den Gegenstand nur
annähernd erschöpfen noch das größere Publikum durch Vor-
führung des gesamten Arbeitsapparates in zahlreichen und aus-
führlichen Anmerkungen abschrecken. Es genügte, die haupt-
sächlichen Quellen zur Nachprüfung oder Weiterforschung
anzugeben. Und zweitens: die Darstellung mußte sich um die
Hauptsachen gruppieren, konnte und durfte keine National-
und noch weniger Lokalgeschichte bieten. Nur die leitenden
Erscheinungen und Entwicklungen konnten geschildert werden.
Es ist also ungerecht, wenn man mich öfters beschuldigt hat,
versehentlich einige Länder oder Tatsachen vernachlässigt zu
haben. Hätte ich ,, vollständig" sein Avollen, so würde ich ein
ganz anderes, vielbändiges, für ein der Zahl nach beschränktes
Publikum bestimmtes Werk haben verfassen müssen, das
dann auch der Hunderte oder Tausende von Anmerkungen
nicht entbehrt hätte: was alles erheblich leichter gewesen
wäre, als die sorgfältige und planmäßige Selbstbeschränkung,
die zu üben ich genötigt war. Ich habe die neueste Ge-
schichte des jüdischen Volkes weiteren Kreisen verständlich
machen wollen — weiter ging weder meine Aufgabe, wie icli
sie auffaßte, noch mein Ehrgeiz.
Berlin, im Oktober 1911.
Martin Philippson.
Inhaltsverzeichnis.
Seite
Vorwort I
Inhaltsverzeichnis V
Achtes Buch. Zar Nikolaus I i
Kapitel Eins. Die Zeit des reinen Zwangsystems 3
Charakter Nikolaus I., S. 3. — Sein Regierungssystem, S. 5. — Feind-
schaft gegen die Juden, S. 6. — Grundgesetz von 1835, S. 8. — Miß-
trauen der Juden gegen die Regierung, S. 10.
Kapitel Zwei. Staatliche Aufklärungsversuche 13
Beabsichtigte Umgestaltung des jüdischen Unterrichts, S. 13. — Die
Aufklärung, S. 16. — Opposition unter den Juden, S. 18. — Feind-
selige Maßregeln des Zaren, S. 20. — Scheitern der Reform des
Unterrichts, S. 26. — Unterdrückung aller nichtrussischen Nationa-
litäten, S. 27. — Aufhebung des Kahals. S. 30. — Gegenseitige
Feindschaft zwischen Regierung und Juden, S. 32. — Kulturfeind-
liche Elemente unter diesen, S. 41.
Kapitel Drei. Das Judentum in Polen unter Nikolaus 1 44
Gegensatz der Polen zu den Juden, S. 44. — Die polnische Emigra-
tion den Juden günstiger, S. 47. — Bildungsbestrebungen, S. 49.
— Schatten- und Lichtseiten, S. 52.
Neuntes Buch. Alexander II. der Befreier 57
Kapitel Eins. Verheißungsvoller Anfang der Regierung Alexanders 11. . 59
Wesen ixnd Anschauungen Alexanders II., S. 59. — Absichten be-
treffs der Juden, S. 61. — Wohltätige Reformen, S. 63. — Für-
sorge für Begünstigung der jüdischen Intelligenz, S. 68. — Jüdische
Journalistik. S. 73. — Zustände unter den Juden, S. 74.
Kapitel Zwei. Alexander 11. und die Juden Polens 76
Gunst für das Polentum, S. 76. — Wielopolski und die Juden, S. 79. —
Die Chassidim, S. 81. — Die ,, Fortgeschrittenen", S. 73. — Ver-
brüderung zwischen diesen und den Polen, S. 85. — Aufstand von
1863, S. 86. — Seine Folgen, S. 88. — Wiederaufleben des Anti-
semitismus, S. 90.
VIII Inhaltsverzeichnis.
Seite
Kapitel Drei. Das Ende der Regierung Alexanders III. und die Juden
in Rußland 94
Die Altrussen Gegner der Juden, S. 94. — Juden und Nihilisten, S. 99.
— Anwachsen des Antisemitismus, S. 100. — Reaktionäre Wen-
dung Alexanders II., S. 102. — Gegen die Juden, S. 103. — Zar
abermals liberaler, S. 106. — Seine Ermordung, S. 108. — Unfertige
Zustände unter den Juden, S. 108.
Buch Zehn. Zar Alexander III 113
Kapitel Eins. Die ersten Pogrome 115
Persönlichkeit Alexanders III. und sein Vertrauter Pobjedonoszew,
S. 115. — Unterdrückung der nichtrussischen Nationalitäten,
S. 117. — Ignatiew und die Pogrome von 1881, S. 119. — Anti-
semitische Unruhen in Warschau, S. 128. — Pogrome von 1882,
S. 129 — Ignatiew und seine Maigesetze, S. 130. — Entlassung
Ignatiews, Ersetzung durch Dimitri Tolstoi, S. 139.
Kapitel Zwei. Stete Bedrängnisse 143
Neue Verfolgung der Nichtrussen, S. 143. — Abermalige Verfolgungen
gegen die Juden, S. 140. — Wiederholte Judenhetzen, S. 149. —
Aushungerungssystem, S. 151. — Auswanderung, S. 157.
Kapitel Drei. Innere Zustände der russischen Juden 160
Kampf der Regierung gegen die jüdische Intelligenz, S. 160. — Stand
der Bildung unter den Juden, S. 162. — Sprachen Verhältnisse,
S. 166. — Zudrang zu den Städten, S. 167.
Buch Elf. Revolution und Reaktion. Zar Nikolaus II 169
Kapitel Eins. Friedliche Zeiten 171
Nikolaus II. den Juden zunächst wohlwollend, S. 171. — Allmähliches
Überwiegen des Antisemitismus im Beamtentum, S. 175.
Kapitel Zwei. Revolution und Krieg 178
Widersprüche der äußeren und inneren Politik, S. 178. — Juden als
Revolutionäre behandelt, S. 180. — Pogrom von Kischinew, S. 182.
— Von Homel, S. 185. — Der Krieg mit Japan, S. 188. — Revolu-
tion, S. 188. — Verfassung vom 17. Okt. 1905, S. 191. — Die Juden
im Kriege, S. 192. — Begeisterte Freiheitsfreunde, S. 196. — Der
sozialistische „Bund", S. 197. — Die große Masse der Juden apa-
thisch, S. 201.
Kapitel Drei. Die Oktoberpogrome 203
Das reaktionäre Beamtentum imd die Juden als Prügelknaben, S. 203.
— Vorspiele zu den Pogromen, S. 205. — Pogrome in Kischinew,
S. 207; sonst in Bessarabien, S. 207; in Odessa, S. 208; in dessen
Bezirk, S. 213; in der Krim, S. 214; in Jekaterinoslaw, S. 214; in
PoltaAva, S.216; in Tschernigow, S.216; in Kiew, S.219; inPodolien,
S. 222; in Wolhynien, S. 223; in Rostow usw. S. 224. — Ergebnisse,
S. 225. — Die Urheber, S. 226. — Pogromorganisation, S. 230.
Inhaltsverzeichnis. IX
Seite
Kapitel Vier. Die Reaktion und die Juden 23G
Das russische Volk und die Reaktion, S. 236. — Niederlage der Revolu-
tion, S. 240. — Kabinette und Duma, S. 241. — Verband echt
russischer Leute, S. 242. — Verfolgung aUer freiheitlich Gesinnten,
S. 245. — Verfolgung der Juden, S. 248. — Mütärpogrom in Homel,
S. 250. — Mlitärpogrom in Bialystok, S. 255, und in Siedice, S. 257.
— Gegnerschaft der Regierung wider die Juden, S. 258. — An-
feindung der jüdischen Intelligenz, S. 262. — Stimmung unter den
Juden, S. 265. — Aufsch\vung unter den Juden und dessen Gegner,
S. 267. — Karäer, S. 269. — Rabbinerkommission, S. 270. — Armut
der Juden, S. 272. — Ackerbau, S. 275. — Handwerk, S. 276. —
Arbeiter, S. 277. — Die Jewish Colonization Association, S. 278. —
Volksschulen und Darlehnskassen, S. 279.
Kapitel Fünf. Die Juden Polens unter Alexander III, und Nikolaus II. . 281
Ökonomischer Gegensatz zwischen Polen und Juden, S. 281. — Poli-
tischer Gegensatz, S. 283. — Handel und Handwerk, S. 286. —
Stimmung der Juden, S. 287. — Einwanderung russischer Juden.
S. 289.
Anhang. Der jüdische Arbeiterbund in Rußland und Polen. ... 291
Anmerkungen 3lo
Alphabetisches Personen Verzeichnis für alle drei Bände 315
Achtes Buch.
Zar Nikolaus I.
Kapitel Eins.
Die Zeit des reinen Zwangsystems.
Ljie dreißigjährige Regierungszeit des Zaren Nikolaus I.
macht eine der interessantesten Epochen im Leben der russischen
Juden aus. So widerspruchsvoll, so grausam auch die Versuche,
die der Kaiser zur Lösung der jüdischen Frage anstellte, zumeist
ausfielen, so schmerzlich sie in Existenz und Wesen der russischen
Judenlieit eingriffen — sie trugen doch dazu bei, diese aus ihrer
Dumpfheit und Bewegungslosigkeit, aus ihrer physischen Schlaff-
heit und geistigen Lethargie aufzurütteln.
Nikolaus, der zweite Bruder seines Vorgängers Alexander L,
hatte eine sehr einseitige Erziehung empfangen. Von der
geistigen Bildung, die er erhalten, war am wirksamsten die ge-
schichtliche, durch den französischen Emigranten Dupuguet,
der ihm gründlichen Haß gegen die französische und jedwede
Revolution beibrachte. In dem Liberalismus aber sah Nikolaus,
wie sein Altersgenosse, der spätere König und Kaiser Wilhelm I.,
die Vorfrucht und nur eine besondere Spielart der Revolution
und haßte ihn deshalb ingrimmig. Sein Jugendleben bestärkte
ihn in dieser Richtung. Alexander I. hatte ihn eifersüchtig von
Politik und Staatsgeschäften fern gehalten. So wurde Nikolaus
mit Leib und Seele Soldat. Er sagte später zu einem preußischen
Hof manne: ,,Ich betrachte das ganze menschliche Leben nur
wie einen Dienst. Im Soldatenstand ist Ordnung, strenge, rück-
sichtslose Gesetzlichkeit, kein Besser wissen und Widersprechen,
hier fügt sich alles aneinander und ineinander. Hier allein sind
keine Phrasen, ist also auch keine Lüge, die sonst überall ist."
Man sieht, M''orin die staatlichen Ideale dieser harten und be-
schränkten, aber starken und festen Natur bestanden haben :
1*
4 Die Zeit des reinen Zwangsystems.
Einförmigkeit, unbedingte Unterordnung jedes einzelnen unter
die absolute Macht, Ertötung der Individualität und Spontanei-
tät. Diese Stimmungen ^\'urden gekräftigt durch die abschrecken-
den Eindrücke, die einerseits die durch die schwankende Un-
sicherheit seines Vorgängers herbeigeführte Zerrüttung des
Reiches, anderseits der konstitutionell gerichtete Dekabristen-
aufstand in den ersten Tagen seiner Regierung auf ihn hervor-
gebracht hatten. Natürliche Anlage, Erziehung und Erlebnisse
führten ihn zur Aufrichtung eines durchaus selbstherrlichen
Regimentes, das sich ausschließlich auf Heer und Beamten-
schaft stützte, dem Untertan nur die Betätigung unbedingten
Gehorsams übrig ließ, überall tote Gleichmäßigkeit anstrebte.
Seiner Vorliebe für den Soldatenstand entsprechend, stellte er
sogar die Zivilverwaltung unter militärische Aufsicht. Er be-
trachtete sich als Hort der Legitimität gegen die ,, Revolution",
wozu er jede Äußerung des modernen Geistes auf politischem,
sozialem und religiösem Gebiete rechnete, und schloß deshalb
Rußland gegen den Westen ab. Um das Eindringen ,, revolu-
tionärer" Ideen zu verhindern, beschränkte er den Verkehr mit
dem Auslande tunlichst, gestattete Reisen dorthin nur gegen
hohe Paßgebühren, unterwarf Bücher und Zeitschriften einer
willkürlichen Zensur.
Nikolaus hegte instinktiven Verdacht und Widerwillen
gegen alle höhere Bildung, die schon an sich ihm undisziplinier-
bar, revolutionär, erschien. So hob er die Universitäten in
Warschau und Wilna auf, setzte über die noch bleibenden
strenge Aufsicht, beschränkte die Zahl der Studierenden. Deut-
licher konnte die Feindschaft gegen die Intellektualität sich
nicht aussprechen ! Um so größer war Nikolaus' Ergebenlieit
für die griechisch-orthodoxe Kirche, in der er zugleich die cha-
rakteristische Offenbarung des wahren Russentums erblickte.
Wie einst Ludwig XIV. von Frankreich erschien es ihm als eine
unerträgliche Unordnung, als eine strafbare Auflehnung gegen
den Herrscher, daß in seinem Reiche sich Millionen erkühnten,
einen anderen Glauben zu bekennen, als der Monarch. Sein
Wahrspruch lautete : Prawosläwie, Samodershawie i Narodnost :
,, Orthodoxer Glaube, Selbstherrschaft, Volkstum". Wie er
die verschiedenen Nationalitäten des Reiches gewaltsam zu
Die Zeit des reinen Zwangsystems. 5
russifizieren suchte, so strebte er auch mit systematischem
Zwange die Bekehrung der Protestanten, Katholiken und Juden
zur russischen Glaubensgemeinschaft an. Er nötigte im Jahre
1840 die griechisch-unierte Kirche in Litauen zur Vereinigung
mit der orthodoxen.
Auch im Auslande, zumal im Orient, betrachtete Nikolaus
sich als Beschützer der gesamten griechischen Kirche. Von
übertriebenem BeA\'ußtsein seiner persönlichen Herrschaft und
der Macht des russischen Reiches erfüllt, eine Despotennatur
in vollstem Sinne, hielt er das absolute Kaisertum für fähig,
das russische Volk zur höchsten Entfaltung seiner Kräfte zu
führen. Nach innen war er redlich bemüht, der Verlotterung
der Verwaltung abzuhelfen. Aber das konnte ihm trotz allem
Fleißes und gelegentlicher Gewaltmaßregeln nicht gelingen.
Es hemmten ihn dabei die klaffenden Lücken seiner Bildung
und die übermäßige Wichtigkeit, die er den äußerlichen Formen
beilegte: in Gleichartigkeit, in Uniformität sah er allein das Heil.
Die höheren Bildungsanstalten und damit das Beamtentum
sollten dem Adel vorbehalten sein, Kleinbürger und Bauern
im Gewerbe ihrer Eltern verbleiben. So herrschten überall
Zwang und Formelwesen. Das Beamtentum, unterwürfig nach
oben, war hochfahrend, und gewalttätig nach unten, dabei
träge, unredlich und bestechlich. Nichts wollte in diesem Staate
der rohen Unfähigkeit gedeihen. Die Finanzen blieben in
schlechtem Stande; Landwirtschaft, Industrie und Handel lagen
gleichmäßig darnieder. Es fehlte am Wollen und Verstehen,
um den Übeln abzuhelfen.
Zwang war allerorten die Losung: am 10. Juni 1826 war das
Zensuredikt ergangen, das jede Regung eines freien Geistes
zu unterdrücken bestimmt war. Nikolaus hatte die berüchtigte
dritte Abteilung der kaiserlichen Kanzlei geschaffen, die hohe
Geheimpolizei, die sich fast ausschließlich auf politischem Ge-
biete betätigte. Seitdem herrschte in ganz Rußland eine uner-
trägliche Spionage.
Die leichten Siege über das ganz zerrüttete Türkenreich
in den Jahren 1828 und 1829 erhöhten noch das Selbstgefühl
des Zaren, bestärkten ihn in dem Vertrauen auf sein despotisches
System und ließen die herrischen Anlagen in ihm immer
6 Die Zeit des reinen Zwangsystems.
mehr in den Vordergrund treten. Seitdem behandelte er seine
Minister wie Bediente, entschied er die wichtigsten Angelegen-
heiten ohne sie zu befragen, verhängte er selbständig Strafen,
ohne Rücksicht auf die Gerichte und sonstigen kompetenten
Behörden.
Um sein Vorgehen gegen die Juden im besonderen zu ver-
stehen, muß man betrachten, wie er auch gegen die anderen
nichtrussischen Nationalitäten und Religionsgemeinschaften
verfuhr. Zumal die lutherischen Deutschen in den Ostsee-
provinzen hatten seine offene Feindschaft zu erfahren. Die
deutsche Universität Dorpat wurde nach russischem Muster
streng diszipliniert, ihr Sparfonds von 400 000 Rubel zugunsten
des allgemeinen russischen Unterrichtsfonds rechtswidrig ein-
gezogen — ganz wie es mit der Koscherfleischsteuer der Juden
geschehen ist. Binnen dreier Jahre sollten alle in den baltischen
Provinzen geborenen Dorpater Professoren in russischer Sprache
vortragen; ja 1836 ward verordnet, daß nur der russischen
Sprache Mächtige immatrikuliert w^erden dürften; damit waren
alle ausländischen Studenten, die gefürchteten Träger westlicher
Anschauungen und Ideen, ausgeschlossen. Seit dem Jahre
1845 begann der Generalgouverneur Eugen Golowin einen
brutalen Kampf gegen das Deutschtum in den Ostseeprovinzen.
Allerdings hatte ihm eine kaiserliche Instruktion die Aufhebung
ihrer staatsrechtlichen Privilegien, die Unterstützung der let-
tischen Bauern gegen die deutschen Gutsbesitzer, Förderung
der griechischen Kirche gegen die protestantische vorgeschrieben.
Dem handelte Golowin nach. Unter trügerischen Verheißungen
materiellen Nutzens wurde der Massenübertritt der dortigen
Letten und Esten zum ,, Glauben des Kaisers" betrieben. Man
gründete in den baltischen Provinzen zu den schon reichlich
vorhandenen griechisch-katholischen Kirchen noch fünfund-
zwanzig neue und besetzte sie mit Geistlichen. Im Jahre 1850
wurde außer der medizirüschen auch die evangelisch-theolo-
gische Fakultät in Dorpat aufgehoben; und in der juristischen
und philosophischen sollten zusammen nur 300 Studenten
bleiben. Der Zar sagte, die Söhne des deutschen Adels und
Beamtentums täten besser daran, in das russische Heer ein-
zutreten.
Die Zeit des reinen Zwangsystems. 7
Kann es da wundernehmen, wenn Nikolaus I. ein ent-
schiedener Feind auch des Judentums und des eigenartigen
jüdischen Wesens war ? um so mehr, als hier noch das Vorurteil
hinzukam, die Juden seien lediglich Aussauger, Schädlinge,
Schmarotzer am Baume des russischen Volkes. Mit Gewalt
sollten sie zu Russentum und orthodoxer Kirche hinübergeführt
oder aber vernichtet werden. Gerade weil er eine hohe Meinung
von der Bedeutung und der eventuellen Nutzbarkeit des jüdi-
schen Intellektes besaß, wollte er die Juden durchaus in sein
System hineinz^^•ingen. Er liebte es, sich persönlich mit den
Angelegenheiten der Juden zu beschäftigen — nicht zu ihrem
Heile.
Wir haben bereits die ersten gegen die Juden gerichteten
Maßregeln Nikolaus I. geschildert^): die Förderung der Taufe
und die mit besonderer, systematischer Grausamkeit aus-
geführte Älilitärpflichtigkeit der Juden, die sogar auf deren
Kinder erstreckt wurde, seit dem Jahre 1827. Kein Wunder,
daß die Juden von tiefstem Mißtrauen gegen die Absichten dei
Regierung, selbst solche, die an sich ihnen nützlich waren, erfüllt
wurden. Sie sahen in allem nur das Bestreben, sie ihrer Reli-
gion abwendig zu machen, sie erblickten überall nur Übelwollen
und Feindschaft. Daß der Zar und seine höchsten Beamten
sich öffentlich zu der Ansicht von der absoluten Schädlichkeit
des — ihnen doch gänzlich unzugänglichen — Talmuds be-
kannten, erhöhte die Mißstimmung der Juden gegen die Re-
gierung. So schloßen sie sich nur desto ängstlicher, desto be-
harrlicher in ihrer Eigenart und Bildungsfeindschaft ab. ,,So
lange", sprachen sich die altorthodoxen Juden in Älinsk aus,
,,den Juden nicht die bürgerlichen Rechte gewährt werden, so
lange bedeutet für sie die Bildung nur ein Unglück. Ungebildet
und unmssend, verschmäht der Jude nicht das erniedrigende
Brot eines kleinen Maklers und Wucherers und, indem er seinen
Trost und Freude in der Religion sucht und seine ungezählte
Familie der göttlichen Vorsehung anvertraut, begnügt er sich
mit seiner ärmlichen Habe; aber gebildet und aufgeklärt in
neuem Geiste, von der Beteiligung an bürgerlich-politischen
Bd. I S. 136ff.
8 Die Zeit des reinen Zwangsystems.
Rechten ausgeschlossen, verläßt der Jude, im Gefühl der
bitteren Unzufriedenheit, unvermeidlich seinen Glauben — und
ein anständiger jüdischer Vater Avird es wohl in keinem Falle
zulassen wollen, daß man ihm seinen Sohn in dieser Richtung
bearbeitet."
So haben die Maßregeln Nikolaus' I. notwendigerweise
gerade zu dem Gegenteil der Assimilation geführt, die er be-
absichtigte: zu immer stärkerer Entfremdung der Juden, zu
deren immer größerer Vertiefung in ihre überlieferte Art. zu
immer schärferer Scheidung zwischen ihnen und der über-
wiegenden Mehrheit der sonstigen Bevölkerung.
Maßgebend für die Juden ^\Tirde das ,, Grundgesetz für die
Hebräer Rußlands" vom 13. Mai 1835. Es beschränkte deren
Ansiedlungsrayon — abgesehen von Polen — auf die litauischen
Provinzen Bialystok, Grodno, Wilna, Wolhynien, Podolien,
Älinsk, das Gouvernement Kiew mit Ausnahme seiner ,, heiligen"
Hauptstadt; auf die südrussischen Provinzen Bessarabien,
Cherson — mit Ausnahme der Stadt Nikolajew — und Taurien,
mit Ausnahme der Festung Sebastopol. In den Gouvernements
Mohilew und Witebsk durften sie nur in den Städten leben,
in den Gouvernements Tschernigow und Poltawa mit Ausnahme
der Krön- und Kosakendörfer; in den baltischen Provinzen
lediglich die dort schon eingeschriebenen Hebräer. Ganz jNIittel-,
Nord- und Ostrußland waren ihnen nur zu vorübergehendem
Aufenthalt mit besonderer Erlaubnis gestattet. Sie dürfen
Immobilien mit Leibeigenen nicht erwerben, da sie überhaupt
keine christlichen Dienstboten halten sollen. Juden auf dem
flachen Lande dürfen dort keine Schenken besitzen. In den
Militäransiedelungen wurden gediente jüdische Soldaten nur
dann zum Wohnsitze zugelassen, wenn ihre sämthchen minder-
jährigen Söhne als Kantonisten einberufen , das heißt dem
Judentume entzogen würden. Kaufleute erster und zweiter
Gilde, also die reichsten, köimen in Geschäften nach Moskau
und Riga frei zu den großen Jahrmärkten, wie Nishnij-
Nowgorod, reisen, dürfen dort aber nur durch christliche Be-
vollmächtigte Verkäufe abschließen.
So waren die Juden in einen verhältnismäßig engen Kreis
nach wie vor zusammengepfercht. Die russische Regierung
Die Zeit des reinen Zwangsystems. 9
wollte nicht verstehen, daß sie durch diese Maßregel die Juden
erst recht zu einer kompakten Masse vereinte, widerstands-
fähiger machte, den einzelnen der Aufsicht durch die anderen
unterwarf und somit die von ihr angestrebte Assimilierung be-
deutend erschwerte. Die Aufrechterhaltung des Ansiedlungs-
rayons ist somit ein materielles und geistiges Unglück für die
Juden, aber auch für die übrigen Russen, mit denen die Kräfte
der Juden nicht in Zusammenhang sondern in Gegensatz ge-
bracht wurden. Der Zar wie die Mehrheit des Reichsrates
forderten diese verderbhche Maßregel ,, wegen der Abneigung
des christhchen Volkes gegen die Andersgläubigen" — eine
Abneigung, die von oben her künsthch hervorgerufen und
genährt wurde — und weil die Juden infolge ihrer Be-
dürfnislosigkeit den christhchen Kaufleuten ökonomisch über-
legen seien. Man machte also, und das findet bis auf den
heutigen Tag statt, den Juden ihre Tugenden zum Vorwurf!
In Betreff der inneren Organisation wurden in den Dörfern
die jüdischen Gemeinden von den christlichen getrennt, wahr-
scheinlich um die letzteren vor der ,, Ausbeutung" durch jene
zu schützen. In den städtischen Gemeinden, die ohne die zahl-
reichen, zum Teil sogar die Mehrheit der Bürger bildenden
Juden der finanziellen Kraft entbehrt hätten, sollen die Juden
Mitglieder sein, wählen aber zur Verwaltung ihrer besonderen
Angelegenheiten und Abgaben je drei bis fünf Bevollmächtigte,
den Kahal, der mit unumschränkten Gewalten ausgestattet ist.
Er sollte vorzugsweise zur Eintreibung der stets sich steigernden
Steuern auf die Juden, zur Vermittlung bei der Volkszählung der
Hebräer und besonders zur Regelung der Rekrutenaushebung
unter ihnen dienen. Denn in allen diesen Beziehungen galt die
jüdische Gemeinde als eine kompakte Einheit: die staatlichen
Leistungen waren nicht den einzelnen Juden, sondern den
jüdischen Gemeinden auferlegt, die solidarisch für die Ansprüche
der Regierung haftbar waren. Dagegen ließ man die früher
bestehenden ,,Gouvernementskahals" zerfallen, damit die Juden
keinerlei gemeinsames Organ zur Geltendmachung ihrer An-
sprüche dem Staate gegenüber besäßen. Die Errichtung von
Bethäusern hing von der Genehmigung der Regierung ab; sie
mußten in einer gewissen Entfernung von den Kirchen liegen.
10 Die Zeit des i'einen Zwangsystems.
Es schien die Juden zu höherer Bildung anregen zu sollen,
wenn das Grundgesetz weiter verfügte, daß ihnen alle Unter-
richtsanstalten, mit Einschluß der Universitäten, geöffnet sein
sollten. Hebräer, die akademische Grade erworben haben,
dürfen, allerdings nur mit Genehmigung des Kaisers, auch in
den Lehr- und Verwaltungsdienst berufen werden, wodurch
sich ihnen der Aufenthalt in ganz Rußland eröffnet.
Dieses Gesetz brachte den Juden manches Gute: die Zu-
lassung zu höheren Schulen und dem Staatsdienste; ferner den
Schutz vor Zwangsbekehrung, an der sie bisher schwer zu leiden
gehabt hatten, und die zugleich ihre heiligsten Gefühle ver-
letzte. Allerdings, der ,,freiTvillige" Übertritt zur russischen
Kirche ^^alrde noch wie frülier durch verschiedene Vorteile und
Vorrechte nach Kräften gefördert. Und anderseits verkürzte
das Grundgesetz den Ansiedlungsrayon der Juden um zwei
Gouvernements, in denen sie bisher hatten wohnen dürfen:
Astrachan und Kaukasus. Es schrieb ferner vor, daß jüdischen
Kindern ausschließlich in den Wohnbezirken ihrer Eltern, also
überhaupt nur innerhalb des Ansiedlungsrayons, Aufnahme in
die mittleren und höheren Schulen gewährt werden solle. Um
die Kosten des Unterrichts der jüdischen Kinder zu bestreiten,
wurde die Steuer auf koscheres Fleisch reorganisiert, das heißt
erhöht (1839). Sie wurde nicht nur auf den Fleischverbrauch
sondern auch auf den Mietzins von Häusern und Schänken
sowie auf die rituellen Bäder angelegt und der Aufsicht und
Willkür der nichtjüdi sehen Stadt dumas überlesen. Das war
freilich eine sonderbare Art, den ,, Hebräern" die Unterrichts-
freiheit schmackhaft zu machen !
Die Juden betrachteten allem dem zufolge das neue Grcsetz
nur mit Mißtrauen. Sie sahen in ihm lediglich die neuen er-
höhten Beschränkungen und Abgaben sowie die Verwandlung
der Gemeindevertretung in ein Organ zur Vollstreckung der
gegen die Juden gerichteten Strafexekutionen und wollten von
den darin enthaltenen Fortschritten nichts wissen, denen sie
keine ehrhche Absicht zuschrieben. In der Tat, die ,, Hebräer"
blieben der rechtlose Spielball der Launen des Zaren. Entgegen
dem soeben erlassenen Grundgesetze schloß eine kaiserliche
Verordnung vom 21. Juni 1838 die jüdischen Ärzte vom Staats-
Die Zeit des reinen Zwangsystems. 1 1
dienste aus. Wie konnte man da an die Wahrheit der den
IsraeHten von der Regierung getanenen Zusicherungen überhaupt
noch glauben? Ein Ukas vom 27. November 1836 unter\\arf
die hebräischen Bücher einer doppelten Zensur durch Rabbiner
und kaiserUche Beamte, befahl, alle nicht amtlich abgestempel-
ten hebräischen Druckwerke der Ortsbehörde abzuliefern, und
hob zu leichterer Beaufsichtigung kurzer Hand und ohne jede
Entschädigung alle hebräischen Druckereien mit Ausnahme
von je einer in Kiew und Wilna auf. Konnte man die rechts-
verachtende Willkür, dem einzelnen wie der Gesamtheit gegen-
über, und die Feindschaft gegen das Wesen des Judentums
deutlicher bekunden ?
In der Besorgnis, daß man ihre Kinder durch den Unter-
richt nur zum Abfalle von der väterlichen Religion verleiten
wolle, machten die jüdischen Eltern von dem ihnen 1835 ge-
gebenen Rechte, jene in die öffentlichen Unterrichtsanstalten
senden zu dürfen, nur in geringem Umfange Gebrauch. Noch
im Jahre 1840 finden wir unter den 2866 russischen Studenten
nicht mehr als 15 Juden, unter den 80 017 Schülern der Elemen-
tar- und IMittelschulen 48 jüdische ! Daß an diesen traurigen
Tatsachen nicht Mangel an Bildungstrieb unter den Israeliten,
sondern nur Mißtrauen die Schuld trug, \\drd durch den Ujii-
stand erwiesen, daß zu gleicher Zeit gute, von tüchtigen, be-
sonders deutschen Glaubensgenossen geleitete Privatlehran-
stalten von russischen Juden zahlreich besucht waren: so die
in Odessa unter dem bekannten Direktor Stern, die in Kisohinew
unter Dr. Goldenthal und dann Eichenbaum, die in Riga unter
Dr. Lilienthal, dem es beschieden war, bald eine bedeutende
Rolle in den Aufklärungsbestrebungen für die Juden zu spielen.
Einstweilen schien diese Aufklärung nicht einen russischen,
sondern einen deutschen Charakter anzunehmen. Die An-
regungen dazu kamen von dem benachbarten Deutschland
herüber, wo die Israeliten sich immer mehr mit modernem
Geiste erfüllten und den Ausgleich zwischen diesem und den
Ideen und Lehren ihrer väterlichen Religion durchführten.
Lilienthal selber war auf Anregung Ludwig Philippsons von der
israelitischen Gemeinde in Riga als Prediger und Schuldirektor
berufen worden. In Warschau hielt zum ersten Male Dr. Gold-
12 Die Zeit des reinen Zwangsystems.
Schmidt, ein Preuße, am 16. April 1838 eine deutsche Predigt,
und er führte dort im selben Monate, gleichfalls zum ersten
Male, eine Konfirmation in der gleichen Sprache durch.
Eine solche Wendung war der auf die Russifizierung der
Juden bedachten Regierung selbstverständlich sehr unan-
genehm. Sie mußte erkennen, daß ihr Versuch, die Hebräer
mit Gewalt zu Russen zu machen, an der Festigkeit und der
religiösen Treue dieser Gemeinschaft kläglich gescheitert war.
Der Zar selber mußte sich von diesem Mißlingen überzeugen,
und er beschloß, es mit der Regenerierung der Juden von innen
heraus, auf jüdischem Boden und mit Beihilfe der Juden selbst
zu versuchen, Nikolaus I. sprach sich plötzlich in ganz juden-
freundlichem Sinne aus: ,,Ich will, daß in meinem Reiche die
Freiheit der verschiedenen Konfessionen in ihren besonderen
Gebräuchen geachtet werde, und erkläre hiermit, daß ich alle
meine Untertanen, welcher Religion sie auch angehören, gleich
schätze." Eine neue bessere Ära schien für die geplagten rus-
sischen Juden anzubrechen. In Wahrheit hatten die Gegen-
sätze sich allzu sehr verschärft, als daß ein Ausgleich noch
möglich gewesen wäre.
Kapitel Zwei.
Staatliche Aufklärungsversuche.
INikolaus I. ließ nicht leicht von den einmal gefaßten Be-
schlüssen ab. Da die direkte Assimilierung der Juden mit dem
Russentum nicht gelungen war, versuchte er es mit deren
„Aufklärung" auf der eigenen, jüdischen Grundlage. Er bildete
im Jahre 1840 in Petersburg selbst zu diesem Behuf e eine
,, Kommission zur Feststellung der Maßregeln zur gründlichen
Reformierung der Juden in Rußland". Diese Behörde erkannte
die Sachlage offen an, indem sie sich äußerte: ,,Da unsere
Gesetzgebung durch Maßregeln polizeilicher Beschränkungen
und Begünstigungen verfährt, erreicht sie nicht die gewünschten
Ergebnisse." Sie beschloß also, den Juden entgegen zu kommen,
ihnen erst Vertrauen zu den staatlichen Maßregeln einzuflößen :
es sollten für sie, ohne ihnen den Zutritt zu den allgemeinen
Schulen zu verschließen, besondere jüdische Schulen in allen
bedeutenden Orten des ganzen Ansiedlungsrayons errichtet
werden. Zugleich wollte sie die Absonderung der Juden in der
Gemeindeverwaltung aufheben und ihnen einen Anteil an der
Leitung der allgemeinen städtischen Angelegenlieiten gewähren,
um sie dergestalt den Interessen des russischen Volkes näher
zu führen.
Das dringendste war die Umgestaltung des Unterrichts.
Der Zar legte sie in die Hände des Ministers für Auf-
klärung (Unterricht), des Grafen Uwarow, eines wahrhaft
liberal denkenden, von den Ideen Westeuropas erfüllten Staats-
mannes, der sofort seine Aufgabe mit großem Eifer angriff.
Er berief einen in Rußland mit Erfolg wirkenden deutsch-
jüdischen Theologen und Schulmann, Dr. Lilienthal, nach
14 Staatliche Aufkläningsversuche.
Petersburg zur gemeinsamen Ausarbeitung der für die neu zu
errichtenden jüdischen Schulen erforderhchen Pläne. Im Auf-
trage Uwarows trat Lilienthal in Briefwechsel mit den hervor-
ragendsten deutschen Juden, der zwei Jahre anhielt und sich
hauptsächlich um die Fragen drehte, wie die Unterrichtspläne
einzurichten seien, und welche Lehrkräfte die Regierung aus
Deutschland an die jüdischen Schulen in Rußland zu berufen
habe. Diese Schreiben Uwarows entfesselten unter den west-
europäischen Israeliten helle Freude und Begeisterung; sie
meinten, nun endlich nahe die Zeit, wo ihre unglücklichen
russischen Glaubensgenossen aus materieller und geistiger
Knechtschaft erlöst und zu wahrem Menschentum erhoben
würden. Zumal die deutsche Judenheit erging sich in ihren
angesehensten Vertretern in Danksagungen und Sympathie-
bezeugungen für den ,, hochherzigen, frei denkenden" Zaren und
seinen ,, großen Minister". Jost, Geiger, Philippson, Man-
heimer beeilten sich, dem Grafen Uwarow in warmen, tief
empfundenen Worten ihre lebhafte Anerkennung für seine
Reformbestrebungen auszudrücken, und der Minister zögerte
nicht, dem Kaiser diese Zustimmungen zu seinen Absichten
zu übermitteln. ,,Der Wille des großen Monarchen," schreibt
der Berliner Prediger Auerbach, ,, unsere Glaubensgenossen
durch so energische und sichere Maßnahmen zu reformieren,
erscheint uns allen wie eine unerwartete, wohltätige Himmels-
botschaft. Die Ausführung dieser hohen Absicht wird eine neue
Ära in der Geschichte Israels bedeuten, und selbst die Hoffnung
unserer Glaubensgenossen auf die später zu erfolgende Er-
teilung der bürgerlichen Rechte bedeutet nichts im Vergleich
mit der moralischen Wohltat, welche ihnen die Gründung von
Schulen verheißt. So mannigfaltig auch die Ursache der ärm-
lichen Lage der Juden in Rußland sein mögen, ihr größtes
Unglück besteht in ihrer rohen Unbildung, in ihrem Fernhalten
von der europäischen Bildung. Und ist es demnach nicht ein
erhabener göttlicher, eines großen Monarchen würdiger Ge-
danke, mit einem Schlage sozusagen die moralische Umfor-
mung eines Volkes, das viele Jahrhunderte hindurch in dem
niedrigsten Zustande versank, zu bewirken und das tiefe Elend
einer Million Menschen in Freude und Hoffnung zu verwandeln ?
Staatliche Aufklärungsversuche. 15
In der Ausführung des Willens des großen Monarehen sehe ich
die Erfüllung der mesianischen Verheißungen: die Kenntnisse
werden die Erde bedecken, wie die Wasser die Seetiefen. Die
Schulen werden Besseres bewirken als alle anderen Verordnungen,
indem sie die geistige Wiedergeburt auf Grund der Moral, ohne
die im allerfreisten bürgerlichen Dasein der aufgeklärte Ge-
dankengang nicht reifen kann, basieren wird."
Philippson, der sich der Arbeit für die große russische
Aufgabe mit dem ihm eigenen Feuereifer hingab, schrieb unter
anderem: ,,Was für ein kaiserlicher Gedanke, was für eine er-
habene, in den Überlieferungen unseres Glaubens und in der
Geschichte der Völker einzig dastehende Maßnahme ! Sie wird
selbstverständlich auf manche Schwierigkeiten stoßen, aber
dafür dem großen Monarchen eine Million treuer und ver-
nünftiger Untertanen einbringen. Die Geschichte der deutschen
Juden zeigt, wie rasch ihre Erfolge sind, wenn sie nur einmal
das Gebiet der Bildung betreten; was kann man nicht alles
von ihnen erwarten, wenn der Weg dorthin ihnen durch die
kaiserliche Hand und seine beispiellose Milde gezeigt sein wird."
Er arbeitete eingehende Pläne für die Neugestaltung aus.
Inzwischen wurden im Einverständnis und auf den Rat
der von Lilienthal befragten deutsch-jüdischen Autoritäten
zweihundert jüdische Lehrer Deutschlands bezeichnet, um in
den neu zu gründenden Schulen in Rußland Stellungen zu er-
halten. Lilienthal aber wurde zunächst vom Grafen Uwarow
der Auftrag gegeben, eine Reise in den Ansiedlungsrayon zu
unternehmen, um sich persönlich von der Lage der Juden zu
überzeugen, ihre Bedürfnisse und Wünsche kennen zu lernen
und seine Glaubensgenossen für die Reformpläne der Regierung
zu gewinnen; achthundert Werst sollte die erste Rundfahrt
umfassen. Der Kaiser genehmigte diesen Plan am 22. Juli
1842 mit dem eigenhändigen Vermerk: ,,Mit Vergnügen ein-
verstanden."
Lilienthal fand zunächst zu seiner freudigen Überraschung
den Boden für seine Bemühungen viel besser vorbereitet, als
er befürchtet hatte. Die russischen Juden schienen nach den
ersten Erfahrungen, die er machte, nicht jene undurchdring-
liche, einheitliche Heeresmasse der Verfinsterung, der Bildungs-
16 Staatliche ATifklärungsversuche.
feindschaft und des Fanatismus zu bilden, als welche sie \ielfach
betrachtet A^'urden.
Die Wellenbewegung der jüdischen xA.ufklärung in Deutsch-
land hatte sich, wenn auch im stillen, unaufhaltsam nach Ruß-
land fortgesetzt. Viele dortige Israeliten, vom Streben nach
Bildung ergriffen, hatten sich mit deutschem Geiste erfüllt,
um so mehr, als schon die Verwandtschaft der deutschen
Sprache mit dem ihnen anerzogenen Jargon ihnen das Studium
deutscher literarischer und A^issenschaftlicher Werke erleichterte.
Dem Russischen dagegen standen sie fremd, ja feindlich gegen-
über. Die russische Gesellschaft anderseits kam zu wenig mit
den Juden in Berührung, als daßzAvischen ihr und den,, Hebräern"
irgendein Verständnis sich hätte ergeben können, und die frei-
lich noch gering entwickelte russische Presse war direkt juden-
feindlich. Die natürliche Folge dieser Umstände war, daß die
bildungsbedürftigen Juden Rußlands ihre sehnsüchtigen Blicke
dahin wandten, von wo ihnen neues strahlendes Licht und
ein frischerer Lufthauch zu kommen schien. Es bildete sich
eine eigene Partei der deutschen Aufklärung, hier wie in Gali-
zien, ,,Maskilim" genannt, meistenteils junge Leute, denen die
Jeschiboth, die höheren Talmudschulen, zu enge und das
Talmudstudium zu trocken A^'urden, die aus dieser Buchstaben-
welt sich nach freier, lebendiger Natur und nach den erquicken-
den Strömen des weltlichen Wissens sehnten, die alle neuen,
allgemein menschlichen Kenntnisse begierig aufsaugten. Je
größer die Hindernisse waren, die ihnen die Familien- und
Gemeindeüberlieferungen, die Gebundenheit ihrer Umgebung,
die starren Einrichtungen ihres Vaterlandes entgegenstellten,
um so fieberhafter war der Eifer, mit dem sie sich auf dem
neuen Wege weiter arbeiteten. Die strengen Orthodoxen, die
die große Mehrheit ausmachten, sahen freilich in ihrem Vor-
haben einen Frevel, eine Gotteslästerung, und bedrohten sie mit
tätlicher Verfolgung. So taten sie sich im geheimen in kleinere
und größere Kreise zusammen, die über das ganze Ansiedlungs-
rayon zerstreut waren, untereinander in regem Verkehre standen
und einander mit Rat und Tat aushalfen. Diese jungen Leute,
wahre Märtyrer für Bildung und geistige Freiheit, waren, um
jeden Verdacht von sich abzulenken, gez^^^lngen, ein doppeltes
Staatliche Aufklärungsversuche. 17
Leben zu führen: die Tage verbrachten sie, wie in ihrer Um-
gebung üblich, mit Talmudforschung und religiösen Übungen;
die Nächte dagegen, unter strengem Geheimnis, in Dach-
stübchen oder Kellern, beim Scheine der Talgkerze, gehörten
dem Studium der Schriften Mendelssohns und seiner Nach-
folger. Aber das noch so ängstlich gehütete Geheimnis ließ sich
selten auf die Länge bewahren. Die neuernden Bücher wurden
entdeckt und verbrannt ; heftige, erschütternde Szenen zwischen
Jüngeren und Alten spielten sich ab, und oft war der endgültige
Bruch zwischen den beiden so entgegengesetzten Elementen
der Ausgang. Häufig genug mußte, seinem inneren Wissens-
drange folgend, der ,,Maskil" sein behagliches Leben im schwieger-
elterlichen Heim verlassen — die jungen Leute heirateten da-
mals mit fünfzehn oder sechzehn Jahren und wurden dann
vertragsmässig während einer bestimmten Anzahl von Jahren
im schwiegerelterlichen Hause ausgehalten — und sich von Frau
und Kindern trennen, um, ganz mittellos, einer unbestimmten
Zukunft voll Not und Hunger entgegen zu gehen. Nichts hielt
ihn aufrecht, als der brennende Wunsch, an einer höheren
Lehranstalt ein vollständiges und abgeschlossenes Wissen zu
gewinnen.
Ein Führer und Leiter wurde dieser suchenden Schar der-
jenige, den man nicht ganz zutreffend den russischen Mendels-
sohn genannt hat, Isaak Ber Levinsohn (geboren 1788 in Kre-
menetz, gestorben 1860). Er stellte in seinen hebräischen
Schriften für seine jüdischen Brüder ein vollständiges Auf-
klärungsprogramm auf. Sein tiefdurchdachtes und geistvolles
Werk ,,Bet Jehuda" enthielt eine erhabene Religionsphilosophie
des Judentums; und während Mendelssohn seine Ideale in der
außerjüdi sehen Welt suchte und damit dem Judentum nicht
geringen Abbruch in den Anschauungen seiner Bekenner tat,
hat Isaak Ber Le\nnsohn das seinige im Judentum selbst ge-
funden. Um ihn gruppierte sich eine ganze Anzahl jüdischer
Schriftsteller, wie der gelehrte Bankier Matthias Straschun,
der eminentes hebräisches Wissen mit Sprachkenntnis, Mathe-
matik und Philosophie vereinte ; Mordechai Günzburg, der halb
auf Mendelssohns, halb auf altorthodoxem Boden stand; der
Dichter und Gelehrte Abraham Lebensohn; Abraham Mapu,
Philippson, Neueste Geschichte der Juden, Bd. III. 2
18 Staatliche Aufklärungsversuche.
der erste hebräische Romandichter; und viele andere — alle
Autodidakten im strengsten Sinne des Wortes. Den konserva-
tivsten Volksschichten entstammend, widmeten sie ihre schrift-
stellerische und oft auch publizistische Tätigkeit der Förderung
aller Ideale der Aufklärung.
Auf die Unterstützung durch diese Männer, mit denen
einige russische Staatsmänner und zum Teile der Zar selbst in
Beziehung getreten waren, rechnete selbstverständlich die Re-
gierung von vornherein. Aber sie und vorher schon Lilienthal
waren freudig überrascht über die zahlreichen bis dahin ver-
borgenen Freunde der Aufklärung, von deren Dasein und Tun
früher nichts verlautet hatte, und die nur auf den Beistand
von außen gewartet zu haben schienen, um ein neues Leben
führen zu können.
Schon damals trat eine Familie hervor, die nunmehr sieben
Jahrzehnte lang unermüdlich und mit glänzendem Opfersinn
für die materielle und geistige Förderung der russischen Juden-
heit tätig gewesen ist : die Familie Günzburg. Vater und Sohn,
Gabriel Jakob und Joseph, begründeten in Gemeinschaft mit
dem hebräischen Gelehrten Salomon Salkind 1841 in Wilna eine
Schule, die ganz nach Lilienthals Anschauungen eingerichtet
wurde, wo die Bibel nach Mendelssohns Sinn und den neueren
deutschen Übersetzungen, ferner hebräische Grammatik, Tal-
mud, Religion, aber auch russische und deutsche Sprache,
Arithmetik und Schönschreiben gelehrt wurden. Es war das in
dem damaligen Russisch-Litauen eine vollkommene Neuerung.
Mit diesem reformatorischen Eifer blieben die Günzburg und
Salkind nicht vereinzelt. Als damals der Generalgouv.erneur
von Litauen ein Komitee einberief, das, aus Abgesandten der
jüdischen Gemeinden bestehend, die Juden zur Bildung und zur
russisch-nationalen Kultur zu führen bestimmt war, liefen bei
diesem aus Wilna und Brzesc (Brest) zustimmende und ein
förmliches Programm für die zukünftige Entwicklung enthal-
tende Denkschriften ein.
Aber das waren doch nur die Stimmen der geistigen Elite.
Bei der großen Masse der Juden fand Lilienthal bald zu
seinem großen Schmerze, zu seiner bitteren Enttäuschung um
so stärkeren Widerstand. Ihr Mißtrauen gegen die Absichten
Staatliche Aufklärungsversuche. 19
der Regierung ging tief; man blieb der festen Überzeugung, daß
diese es nur auf die Untergrabung des jüdischen Glaubens und
des jüdischen Lebens abgesehen habe. Zu brennend war noch
der Schmerz der alten Wunden, als daß man an die Aufrichtig-
keit des so plötzlichen Umschwunges in den höchsten Sphären
des Staatswesens hätte glauben können. Lilienthal suchte auf
alle Weise die Gemüter zu beruhigen und entwickelte die herr-
lichsten Aussichten auf die Zukunft, wenn nur die Juden den
wohlwollenden Absichten der Regierung keine Hindernisse be-
reiten würden. Es kam zu heftigen Wortgefechten, zu er-
schütternden Szenen, bis endlich Lilienthal sich genötigt sah,
in die Hand der Wilnaer Juden das feierliche Gelöbnis abzu-
legen, daß er, bei Strafe sich der Verachtung aller russischen
Glaubensgenossen auszusetzen, Rußland in dem Augenblicke
verlassen werde, wo er die Überzeugung von der Richtigkeit
ihrer Voraussetzungen erlangen würde.
Noch schärfer und allgemeiner, als in Wilna, war die Oppo-
sition, der Lilienthal in Minsk begegnete. Trotz der eifrigsten
Bemühungen gelang es ihm hier nicht, die Mehrzahl der Juden
von der Aufrichtigkeit der Verheißungen der Regierung zu über-
zeugen. Sie sahen überdies durch die von dieser beabsichtigten
Reformen ihre Orthodoxie oder ihren Chassidismus bedroht.
Unverrichteter Dinge und in großer Erbitterung kehrte er nach
Petersburg zurück und berichtete dem Grafen Uwarow getreu-
lich von der schlimmen Lage der Dinge und von den Ursachen
des endlichen Mißlingens seiner Sendung. Er drang auf ent-
scheidende und klare Schritte, die die jüdische Bevölkerung
in unzweifelhafter Weise von der Aufrichtigkeit der guten Ab-
sichten der Regierung zu überzeugen imstande seien.
Der Minister erkannte sehr wohl, daß die Juden sich nur
dann beruhigen würden, wenn aus deren eigener Mitte die
reformatorischen Maßregeln hervorgingen, wenn solche ihnen
nicht von außen her, vom Staate und von christlichen Behörden
auferlegt würden. Er faßte also den Plan, eine ,, Rabbiner-
kommission für jüdische Angelegenheiten" einzuberufen, die,
aus Rabbinern und jüdischen Gelehrten bestehend, Hand in
Hand mit der Regierung, die häusliche und Schulerziehung
der Juden regeln und überwachen solle.
2*
20 StaatKche Aufklärungsversuche.
Froh der ihm hier von neuem erwachsenden Hoffnungen,
ging Lihenthal mit Zustimmung des JNIinisters Uwarow im Herbst
1842 abermals auf die Reise, und zwar nach Südrußland, wo
die Kultur unter den Juden bedeutend höher stand, als in
Litauen; zumal in Odessa, dessen jüdische Bevölkerung zum
großen Teile aus Einwanderern aus den größeren galizischen
Städten sieh zusammensetzte. Er besuchte vornehmlich Kiew,
Odessa, Berditschew. Seine Fahrt gestaltete sich zu einem
wahren Triumphzuge. Er wurde überall als Bote einer besseren
Zeit, als jüdischer Vertreter einer wohlwollenden Regierung
mit freudiger Begeisterung aufgenommen. Die südrussischen
Juden bewiesen, daß sie ein volles Verständnis für die Be-
strebungen der Aufklärung, der geistigen und sozialen Befreiung
besaßen, und es wurden an mehreren Orten Einrichtungen ge-
troffen, um in diesem Sinne vorzuarbeiten.
Kaum war Lilienthal nach Petersburg zurückgekehrt, so
berief Uwarow die Rabbinerkonferenz zusammen, deren
Sitzungen mit großer offizieller Feierlichkeit eröffnet wurden.
Allein es blieb bei dem verheißungsvollen Anfange.
Daß es dem Grafen Uwarow ernstlich darum zu tun war,
die russischen Juden auf einen höheren Kulturgrad zu erheben,
und der modernen Zivilisation zuzuführen, worauf dann ihre
mehr oder minder vollständige Gleichstellung erfolgen sollte,
ist nicht zu bezweifeln. Allein es gab in der Umgebung des
Zaren einflußreichere Elemente, die an der grundsätzlichen
Feindschaft gegen die ,, Hebräer" festhielten, sie nicht als
gleichwertige Bestandteile der Reichsbevölkerung anerkannten
und in ihrer Pariastellung belassen wollten. Nikolaus I. selber,
der uniformierende Despot, der — gleich einem Philipp IL von
Spanien und LudAvig XIV. von Frankreich — nur in der Über-
einstimmung der Nationalität und des Glaubens, hier also im
orthodoxen Russentum, das Heil seines Staates erblickte,
konnte wohl in einer gewissen Richtung von einem einsichtigen
und wohhvollenden Minister zu einer den Juden günstigen Maß-
regel bestimmt werden, weil er von ihr die Hinüberfülirung der
Juden zur christlichen Religion erhoffte, beharrte aber sonst
in seiner Abneigung gegen diese Gemeinschaft. Es erfolgte
gerade damals eine Reihe von Tatsachen, die dies nur allzu
Staatliche Aufklärungsversuche. 21
deutlich er\yiesen. Es war ein verhängnisvoller Zirkelschluß:
die russischen Juden widerstrebten jeder Beeinflussung durch die
Regierung, auch zu ihrem Wohle, weil sie dieser mit Recht
mißtrauten; und die Regierung war entrüstet über die Wider-
setzlichkeit der Juden und wurde dadurch in ihrer Feindselig-
keit gegen dieselben bestärkt.
Der Ansiedlungsrayon der Juden wurde noch mehr, und
zwar auf die allerempfindlichste Weise beschränkt. Im Jahre
1843 erging ein kaiserlicher Ukas — er war gegen die Meinung
der Mehrheit des Mnisterkollegs erlassen, also ein unmittelbarer
Ausfluß des kaiserlichen Willens — daß die Juden das Gebiet
in Breite von 50 Werst von der preußischen und österreichischen
Grenze verlassen müßten; es wurde ihnen nur ein Jahr zum
Verkaufe ihrer dortigen Häuser und Liegenschaften gestattet.
Als Gründe wurden, in einer für die Juden doppelt kränkenden
Weise, einmal das Übermaß des von ihnen betriebenen Schmug-
gels, dann auch der zu fürchtende Verrat bei Kriegsfällen
angeführt.
Diese grausame Maßregel machte die Israeliten in 33 Ge-
meinden, die meist 5 — 6000 Seelen zählten, im ganzen etwa
30 000 Familien mit 150000 Menschen, zu heimatlosen Flücht-
lingen. Die betroffenen Gemeinden wandten sich sofort an den
Zaren: sie wiesen nach, daß sie keinen Schmuggel getrieben
hatten, daß die Mehrzahl ihrer Mitglieder Handwerker, Fuhr-
leute, Floßknechte, Tagelöhner waren. Sie verpflichteten sich
feierlich, allen Schmuggelhandel in ihrer eigenen Mitte selbst-
tätig zu unterdrücken, wenn man sie nur in ihren Wohnsitzen
belasse. Wie sollten sie in der kurzen Frist eines Jahres ihre
Häuser und Mobilien preiswert veräußern, ihre Schulden ein-
treiben ? Die Judenschaft in Königsberg petitionierte in dem
gleichen Sinne an Nikolaus, wurde aber von vornherein zurück-
gewiesen. Sämtliche Rabbiner in den Grenzgouvernements be-
legten jeden Schmuggel mit dem religiösen Bann und verpflich-
teten alle Juden, ihnen zur Kenntnis kommende Fälle des
Schmuggels den kaiserlichen Behörden anzuzeigen. Auch die
Minister stellten dem Herrscher vor, daß die Ausweisung der
jüdischen Steuerzahler aus den Grenzdistrikten für die Krone
einen jährlichen Verlust von 1 460 000 Rubel bedeute. Es war
22 Staatliche Aufklärungsversuche.
alles vergebens. Der finstere Judenhaß Nikolaus' I. ließ sich
weder von der Stimme des Mitleids noch von der der Staats-
raison beeinflussen. Höchstens verlängerte er die Frist für den
Abzug um zwei weitere Jahre, befreite die Auszutreibenden
auf die Dauer von fünf Jahren von jeder Steuer und versprach
ihnen freies Holz. Dieses berüchtigte Fünf zig- Werst- Gesetz ließ
den Juden keinen Zweifel über die Feindschaft, die das Staats-
oberhaupt gegen sie hegte. Eine ganze Bevölkerung wurde
plötzlich aus ihren, wenn auch noch so bescheidenen, Lebens-
und Erwerbsbedingungen gerissen, ohne irgendeine Entschädi-
gung dafür beanspruchen zu dürfen. Wohin die Auswandernden
sich wandten, sie waren überall die Überflüssigen, die lästigen
Mitbewerber für ihre ohnehin so eng und drückend zusammen-
gepferchten Glaubensgenossen im Ansiedlungsrayon. Tiefe
Niedergeschlagenheit bemächtigte sich aller russischen Israe-
liten; mit Hohn zeigten die Altgläubigen und Konservativen
auf die Berechtigung ihres Mißtrauens gegen die Beglückungs-
versuche des Unterrichtsministers hin. Wer hätte ihnen noch
Unrecht geben können ? Es war der Todesstoß für die Be-
mühungen Uwarows und Lilienthals.
Diese mllkürliche Mißhandlung der Juden, und zwar ohne
jede Veranlassung von ihrer Seite, machte sich auch auf dem
Gebiete der inneren Koloiusation geltend.
Ein kaiserlicher Ukas vom 13. April 1835 hatte die Juden
zur Begründung von neuen Ackerbaukolonien in Südrußland
aufgefordert, unter Verheißung mannigfacher Begünstigungen
für sie und ihre Kinder. Allerdings waren die Israeliten diesem
Aufrufe nicht nachgekommen, und zwar aus ganz natürlichem
Mißtrauen gegen die kaiserlichen Beamten, die die unter
Alexander I. im Gouvernement Cherson begründeten jüdischen
Kolonien aus Habsucht und Fahrlässigkeit fast ganz zugrunde
gerichtet hatten. Da erging auf Vorschlag des Finanzministers
Kankrin am 31. Oktober 1836 ein neuer Ukas, der in den sibi-
rischen Gouvernements Omsk und Twersk 15 154 Desjatinen
Land (gleich ungefähr 16 500 Hektar) behufs Gründung jüdischer
Ackerbaukolonien zur Verfügung stellte. Dieses Mal griffen
die Juden zu; binnen kurzem meldeten sich 1467 Familien,
die durch die Ansiedlung in Sibirien aus ihrem jammervollen
Staatliche Aufklärungsversuche. 23
Elend befreit zu werden wünschten. Aber inzwischen hatten
die Ratgeber des Zaren, zumal Bludow und Benckendorf , ihn
bewogen, die ganze Maßregel zurückzunehmen : die Juden seien
weder körperlich geeignet für das rauhe sibirische Klima noch
moralisch hinreichend widerstandsfähig, um neben einer großen-
teils aus verbannten Verbrechern bestehenden Bevölkerung zu
leben. Man solle sie lieber in West- und Südrußland an-
siedeln. Am 5. Januar 1837 erschien der Ukas, der die An-
setzung der Juden in Sibirien zurücknahm — selbst die-
jenigen, die schon in diesem Lande angelangt waren, mußten
es wieder verlassen !
Es war ein schändlicher Vertrauensbruch gegen die sechs-
tausend Individuen, die schon alles Ihrige verkauft hatten, ja
zum großen Teile mit Weib und Kind bereits auf der Wanderung
nach dem ihnen vom Zaren angebotenen Lande begriffen waren.
Viele von diesen fielen dem furchtbaren nordischen Winter zum
Opfer oder wurden, nach der Sinnesänderung des Kaisers, von
den Behörden ins Gefängnis geworfen, da man mit ihnen nichts
anzufangen wußte. Schließlich wurden sie, auf direkten Befehl
aus Petersburg, mit blutigem Hohne als „Vagabunden" nach
dem Gouvernement Cherson transportiert, zusammen mit den
an Ketten angeschlossenen Gefangenen.
Nicht viel besser erging es 738 jüdischen Kolonistenfami-
lien, die 1837 in Cherson angesetzt werden sollten. Auch hier
verlief die Sache zunächst im Sande; erst 1839 wurden 863
jüdische Familien in jenem Gouvernement angesiedelt. Aus
Kurland, aus Litauen, folgten zahlreiche Juden dem Wege zu
einem erhofften besserem Schicksale. Aber schon im Anfang
1840 erschien ein Ukas, der diese Kolonisten fast aller ihnen
verheißenen Vorrechte wieder beraubte. Die Beamten benutzten
sofort die abermalige Sinnesänderung der Zentralregierung: sie
mißhandelten und beraubten die Kolonisten auf der Hinreise,
und als diese endlich am Orte ihrer Bestimmung eintrafen,
fanden sie dort keinerlei Vorsorge für ihre Aufnahme noch
irgendwelchen Bestand an Wohnungen, Ackergerät und Vieh.
Erst später, als (1846) das ehemalige Mitglied des freisinnigen
russischen ,, Tugendbundes", der den Bauern und den Juden
freundlich gesinnte Graf Paul Kisselew Domänenminister
24 Staatliche Aufklärungs versuche.
wurde, hat er sich der jüdischen Kolonien angenommen und
ihnen eine günstigere Ent^^•icklung ermöglicht.
Ebenso grausame Enttäuschung stellte sich bald ein, als
der Zar den Juden, die sich in Litauen selbst und in Polen als
Ackerbauer ansiedeln würden. 1839 bedeutende Vorteile ver-
hieß. Tausende von Familien drängten sich dazu, von dieser
kaiserlichen Zusage Gebrauch zu machen. Die Israeliten Polens
hielten Versammlungen ab. um den Ackerbau unter ihren
Glaubensgenossen tätig zu fördern; im Gouvernement Kaiisch
zeichneten die jüdischen Gemeinden zu diesem Behufe (1843)
eine jährliche Beihilfe von 500 000 polnischen Gulden. Allein
die Provinzialbehörden verstanden es, die ganze Bewegung
durch unendliche Plackereien zu ersticken. Man warf die leben-
den Juden wie empfindungslose Steine durcheinander. Und
dann schrieb man dem Kaiser gegenüber die Schuld \\'ieder
den Juden zu und erweckte so von neuem gegen sie seine Ver-
achtung und seinen Zorn !
Den Juden war im Jahre 1837 das Recht gegeben worden,
in Riga Wohnsitz zu nehmen: fünf Jahre darauf wurde es ihnen
wieder entzogen, mit Ausnahme derjenigen, die sich dort schon
niedergelassen hatten, aber auch diesen blieb das Bürgerrecht
vorenthalten.
Die gleiche rechts- und menschenverachtende Willkür
wurde den Juden gegenüber auf dem militärischen Gebiete
betätigt. Kaiser Alexander I. hatte ihnen versprochen, die
Militärpflicht ihnen nur dann aufzuerlegen, wenn sie das volle
Bürgerrecht erhielten. Trotzdem hatte Nikolaus I. sie in
härtester Weise zum Heeresdienste herangezogen, ohne jene
vorläufige Bedingung zu erfüllen. So gab es im Jahre 1840 in
Rußland bereits über 10 000 jüdische Soldaten und 4000
Matrosen der Kriegsmarine, die in Kronstadt einen eigenen
Rabbiner und Sabbatgottesdienst besaßen. Da wurden plötz-
lich für die polnischen Gouvernements, um die Landbebauung
durch die Juden zu fördern, deren Einstellung in das Heer
1843 aufgehoben. Aber schon nach wenigen Monaten erfloß
ein neuer Ukas, der sie vom 1. Januar 1844 T^deder für heeres-
pflichtig erklärte; \sürden Juden desertieren, so müßten deren
Gemeinden andere stellen. L'nd fortwährend wurde dieses
Staatliche Avifklärungsversuche. 25
Blutopfer erschwert. Zuerst hatte die Regierung den jüdischen
Soldaten die Beförderung wenigstens zu Unteroffizieren ver-
sprochen. Die Juden erwiesen sich in der Tat als tüchtige
Soldaten und -«-urden vielfach von ihren Offizieren ausgezeichnet
und amtlich belobt. Vergebens: ohne jeden besonderen Grund
verbot der Zar alle Beförderung von Hebräern im Heere. ]\Ian
hob, laut Ukas vom 18. Januar 1850, schon Kinder von zwölf
Jahren aus, um sie desto sicherer ihrem Glauben zu entfremden.
Später (1854) nahm man die jüdischen Kinder sogar schon zu
neun Jahren. Sie wurden als Qiristen erzogen. Erwachsene
jüdische Soldaten führte man zwangsweise zur Taufe, ohne
jeden vorhergehenden Unterricht, aber mit einem Schmerzens-
geld von 25 Rubel auf den Kopf. Andere Juden, die sich
taufen ließen, MTirden vom Militärdienst befreit. So offen
betrieb der Zar die Taufpropaganda. 1851 erging der Be-
fehl, für jeden bei dem Gestellungstermin fehlenden Juden
deren vier aus der betreffenden Gemeinde zu nehmen und für
jede 2000 Rubel fehlender Abgaben einer jüdischen Gemeinde
einen Erwachsenen aus ihr auszuheben; 1852 \^'urde verordnet,
daß die Juden zehn Rekruten auf tausend Seelen zu stellen
hätten, die Christen nur sieben. So sprang man in grausamster
Willkür mit den Juden um.
Der Zar zeigte ihnen Abneigung und Geringschätzung auf
alle Weise. Er verordnete am 26. Juni 1844, daß ihre Bethäuser
von jeder orthodoxen Kirche mindestens fünfzig Faden (ca.
95 m) entfernt sein müßten, und hundert Faden (ca. 190 m),
wenn das Bethaus auf eine Straße oder einen freien Platz aus-
ginge.
Eine viel einschneidendere Maßregel war die begirmende
Vertreibung aller Juden im eigentlichen Rußland — mit Aus-
nahme der Bewohner der Ackerbaukolonien — vom flachen
Lande in die Städte (1845). So wurden abermals Hundert-
tausende erbarmungslos in ihrer ganzen, ohnehin so be-
schränkten, wirtschaftlichen Existenz vernichtet. Und doch
mußte bald die Regierung eingestehen: ,.Die Juden, die aus
den Dörfern und Flecken ausgewiesen wurden, gingen zu-
grunde; die Lage der Dorfbewohner besserte sich nicht."
Denn man hatte zwar den Wucher der Juden als Vorwand
26 Staatliche Aiifklärungsversuche.
genommen, aber die christlichen Wucherer, des jüdischen
Mitbewerbs entledigt, plagten und ruinierten die ihnen hilflos
überantworteten Bauern nur um so schlimmer.
Es war unmöglich, daß bei solcher Mißhandlung der Juden
durch die höchste Staatsgewalt sie noch irgend etwas Gutes von
dieser erwarten konnten. Selbst die wirklich kulturell fördern-
den Schritte der Regierung mußten den Juden als nur zur
Untergrabung ihres Glaubens und zur Herbeiführung des Ab-
falls berechnet erscheinen, nachdem der Zar ganz offen die
Taufpropaganda unter ihnen betrieb. Die fünf israelitischen
Elementarschulen, die in ganz Rußland bestanden — in Odessa,
Kischinew, Wilna, Uman und Riga — zählten nur noch 270
(1844) bis 273 (1845) Zöglinge. So groß war die Abneigung
gegen alles, w^as den Wünschen der Regierung entsprach. Aber
auch auf das Ausland wirkten diese Maßregeln betäubend,
niederschmetternd, wie ein Blitz aus heiterem Himmel. War
man doch gerade auf dem Punkte gewesen, das bei dem be-
kannten Maler Professor Oppenlieim in Frankfurt am Main
bestellte Bild ,,Das Heraufsteigen der neuen Zeit für das rus-
sische Judentum" eine Apotheose Nikolaus' I., diesem dank-
erfüllt zu überreichen. Davon konnte nun die Rede nicht
mehr sein.
Und plötzlich verschwand der jüdische Vertrauensmann
der Regierung, verschwand Lilienthal in heimlicher Flucht,
ganz mittellos, aus Rußland und tauchte dann an der freien
Küste der Vereinigten Staaten von Nordamerika wieder auf
(1844). Man hat damals über die Beweggründe dieses über-
raschenden Vorgangs die mannigfachsten Vermutungen gehegt
und geäußert. Die einen meinten, Lilienthal habe sich ge-
schämt, weil die Regierung die zweihundert deutschen Lehrer,
die er engagiert hatte, nicht habe kommen lassen, sondern ein-
heimische Lehrkräfte vorgezogen habe; die anderen, daß er
daran verzweifelte, mit den retrograden Elementen der Rab-
binerkonferenz etwas Ersprießliches zu erreichen. Der wahre
Grund aber ist der gewesen, daß Lilienthal die Unmöglichkeit
erkannt hatte, zwischen der Feindschaft des Zaren und seiner
einflußreichsten Ratgeber gegen das Judentum auf der einen
und dem Mißtrauen der Juden gegen die Absichten der Re-
Staatliche Aufklärungsversuche. 27
gierung some der Kulturfeindschaft vieler unter ihnen auf
der anderen Seite, eine Vermittlung zu finden. Lilienthal
schrieb damals an seinen Freund Dr. Rottenberg in Berditschew :
„Ich verlasse meine elenden beklagenswerten Glaubensgenossen,
denen ich nicht zu helfen vermag, um nach dem Freistaate zu
meinen freilebenden Brüdern überzusiedeln." Jedenfalls war
seine Flucht eine Katastrophe für alle die Hoffnungen, die sich
an das Wirken Uwarows geknüpft hatten, ein schlimmer Bruch
zwischen der russischen Regierung und der jüdischen Gemein-
schaft.
Das Streben, das jüdische Element mit Verlockungen und
Gewalt zur griechisch-orthodoxen Kirche und zur Russifizierung
hinüber zu bringen war durchaus nichts Vereinzeltes in dieser
Periode der Regierung Nikolaus' I. Von einem etwaigen mora-
lischen und politischen Verschulden der Juden, das so häufig
von russischen und nichtrussischen Judenfeinden zur Ent-
lastung dieses Regimentes angeführt wurde, kann die Rede
nicht sein. Vielmehr handelte es sich um ein systematisches
Vorgehen der russischen Staatsgewalt gegen alle nichtrussischen
Nationalitäten und Gemeinschaften des weiten Reiches, eine
Richtung, die schon von der großen Katharina datierte. Sie
hatte an den Generalprokurator des Senats , Fürsten Wja-
sesmky, geschrieben: Die Ostseeprovinzen ,, müssen auf die
sanfteste Weise dahin gebracht werden, daß sie verrussen und
nicht mehr umherschauen wie die Wölfe im Walde." Aber nie-
mals war die Russifizierung so umfassend, dauernd und gewalt-
sam betrieben worden, wie unter Nikolaus I. Mit seiner Billigung
verbreitete der Oberprokurator der Heiligen Synode, General
Graf Protassow, die orthodoxe Kirche und mdmete sich mit
ebenso vielem Fanatismus wie militärischer Brutalität der Be-
kehrung der Andersgläubigen. Vierundeinhalb Millionen der
mit der katholischen Kirche unierten Griechisch-katholischen
in Litauen und Weißrußland mußten zur russischen Kirche
übertreten. Am schlimmsten aber wütete diese Regierung gegen
Deutschtum und Luthertum in den Ostseeprovinzen. ,, Niko-
laus I.", sagt ein baltischer Historiker, ,,ist darauf ausgegangen,
die deutsche Nationalität und die evangelisch-lutherische Kirche
in den baltischen Provinzen zu vernichten." Der geistige Mittel-
28 Staatliche Auf klärungs versuche.
punkt dieser Landschaften, die Universität Dorpat, wurde nach
russischem Muster streng diszipliniert und nach Möglichkeit
verstümmelt. Und nicht minder ging man gegen die lutherische
Kirche vor, die zugleich das wirksamste Mittel und das Symbol
des Deutschtums in den Ostseeprovinzen war. Bisher hatten
die nach Intelligenz und sozialer Hebung strebenden Letten,
die den Hauptteil der dortigen Bevölkerung bildeten und die
lutherische Religion ihrer deutschen Herren angenommen
hatten, sich einfach germanisiert. Aber das Kirchengesetz des
Jahres 1832 beraubte die lutherische Kirche der baltischen
Provinzen ihres gesetzlichen Charakters als Landeskirche und
machte sie zu einer nur geduldeten neben der im ganzen Reiche
herrschenden griechisch-russischen Kirche. Selbst in der Haupt-
stadt Riga mit ihrer rein deutschen Bevölkerung ward ein ortho-
doxes Bistum errichtet. Während der Hungerjahre 1839 — 1841
spiegelte man den Bauern vor : wer zum Griechentum übertrete,
werde vom Militärdienst befreit und erhalte unentgeltlich Land-
besitz. Über hunderttausend Bauern in Livland ließen sich
damals zum Abfalle verleiten. Als sie sich bald in ihren Hoff-
nungen getäuscht sahen und zum Luthertum zurück zu kehren
wünschten, wurden sie mit Gewalt zurückgehalten und diejenigen
lutherischen Geistlichen, die ihnen in ihrer Gewissensnot zu Hilfe
kommen wollten, mit Verbannung nach Sibirien bedroht.
Am heftigsten entbrannte der Unterdrückungskampf seit
dem Jahre 1845, als Eugen Golowin Generalgouverneur des
baltischen Gebietes wurde. Die kaiserliche Instruktion trug
ihm unverblümt die Bekämpfung der baltischen Sonderrechte,
die Unterstützung der lettischen und estnischen Bauern gegen
deren deutsche Gutsherren, die Förderung der griechischen
Kirche auf. So betrieb er von neuem unter trügerischen Ver-
heißungen den Massenübertritt der Letten und Esten zum
,, Glauben des Kaisers". Das deutsche und protestantische
Element sollte in Religion und Sprache von dem russischen
zurückgedrängt werden.
Diese allgemeinen Gesichtspunkte muß man im Auge be-
halten, um das Vorgehen des Zaren und seiner Ratgeber auch
gegen die in Abstammung, Sitte und Sprache von den Russen
so verschiedenen Israeliten zu verstehen.
Staatliche Aufklärungsversuche. 29
Im Jahre 1840 hatte Nikolaus I. in Petersburg aus hohen
Regierungsbeamten ein „Komitee zur Beschlußfassung über
Maßnahmen für eine gründliche Reorganisation der Juden in
Rußland" eingesetzt. Drei Jahre später hat es eine Denk-
schrift vollendet, die die amtliche Billigung des Kaisers erhielt.
Sie schilderte die Sonderstellung der Juden in den schwärzesten
Farben unter Berufung auf angebliche Vorschriften des Talmuds,
die gänzlich aus der Luft gegriffen sind. Die Juden haben kein
Vaterland und gehen auf die Knechtung der anderen Völker
aus, mit allen Mitteln der List und des Betruges, wozu sie in
sämtlichen Ländern eine eigene Gemeinschaft bilden. Sie er-
kennen nur ihre eigenen Rechtsnormen und Obrigkeiten an
und gestatten sich jede Art von Rechtsbeugungen zum Schaden
der Christen. Daraus zog die Kommission die Folgerungen, daß
man den Juden ihre Sonderschulen und ihre Gemeindeverwal-
tung (Kahal) sowie ihre unterscheidende eigene Tracht nehmen,
dagegen staatliche Schulen und staatlich ausgebildete und an-
gestellte Rabbiner geben müsse. Ferner solle man die Juden
zur Ansässigmachung sowie zur Wahl eines festen Berufes zwin-
gen und den Ackerbau unter ihnen fördern. Es war also das
System des Zwanges, das die Kommission mit Billigung des
Zaren abermals anpries — von einer Erteilung der bürgerlichen
und staatsbürgerlichen Rechte an die Millionen von Israeliten
verlautete aber nichts.
Mit Recht antwortet darauf ein neuerer Kritiker, ,,daß es
im Munde der russischen Regierung sonderbar klingt, wenn sie
den Juden Aberglauben, Voreingenommenheit usw. vorwirft,
während gleichzeitig die autochthone Bevölkerung in finsterster
Knechtschaft niedergehalten wurde, der Bauernstand in Leib-
eigenschaft schmachtete und von irgendwelchen erheblichen
Versuchen der Regierungskreise zur Hebung des zivilisatorischen
Niveaus ihrer Untertanen nicht die Rede sein kann. Warum
also dieser Eifer, gerade die Juden aufzuklären ? Sie halten
sich vom bürgerlichen Leben fern, antwortete die Regierung,
d. h. sie passen nicht in das Schema des offiziellen Nationalis-
mus, der alles russifizieren wollte. Und diesen Zweck hatte die
Regierung zunächst im Auge. Sie wollte die Juden jener streng
vorgezeichneten Schablone des Russentums anpassen. Nicht
30 Staatliche Aufklärungsversuche.
um ideelle Bestrebungen irgendwelcher Art handelte es sich,
sondern einfach darum, die Juden zu russifizieren. Mögen sie
Analphabeten werden, wenn sie nur ,, Russen" sind.
,,Man hatte vergessen, daß die Juden Rußlands nur darum
nicht an der ,, Aufklärung" partizipiert hatten (wie in den
übrigen Ländern Europas), weil die autochthone Bevölkerung
eine derartige Entwicklung ebenfalls nicht durchmachte. Aber
zugegeben, daß die ,, Aufklärung" im Sinne der Regierung not
tat, wie hätte sie ihr Ziel erreichen können, da doch alle Maß-
nahmen von dem Geiste drakonischer Polizeivorschriften er-
füllt waren ? Neben den Vorschlägen zur Errichtung staatlicher
jüdischer Schulen, Einführung des Institutes der Gouvernements-
rabbiner und Bekämpfung des jüdischen Fanatismus läuft die
ganz sonderbare Einteilung der Juden in nützliche und schäd-
liche, und den letzteren ^vurde das ganze jüdische Proletariat
beigezählt, das durch die völlig abnormen historischen und
ökonomischen Bedingungen auf die tiefste Stufe der sozialen
Nomenklatur herabgedrückt worden war."
Die Denkschrift wurde auf Befehl des Kaisers allen General-
gouverneuren des Ansiedlungsrayons mitgeteilt. Nur einer von
ihnen, der von Südrußland, Woronzow, der in London abend-
ländische Bildung empfangen hatte, protestierte gegen den Geist
und die Vorschläge der Denkschrift, indem er den Handel und
das Handwerk der Juden als nützlich und für die russische Be-
völkerung notwendig erklärte und vor Zwang und Polizei-
willkür warnte. Man dürfe die Juden um so weniger zur Ver-
zweiflung treiben, als die Schuld der bei ihnen herrschenden
Mißstände am wenigsten an ihnen liege. Man solle diesen
Heber durch Errichtung von Schulen und Gewährung von
Staatsunter Stützung abhelfen.
Aber seine Stimme verhallte ungehört. Schon am 19. De-
zember 1844 erfolgte die Aufhebung der jüdischen autonomen
Gemeindeverwaltungen, der sogenannten Kahals, und die Unter-
werfung des jüdischen Gemeindelebens unter die städtischen
Vertretungen und in letzter Instanz unter die Staatsbehörden.
Die Verwaltung der geistlichen und rituellen Angelegenheiten
ward der von jeder Bethausgemeinschaft zu wählenden Ver-
tretung übergeben. Das Verschwinden des Kahals als solche
Staatliche Auf klänings versuche. 31
war allerdings von einigen günstigen Folgen begleitet. Mit ihm
fiel ein Grund des Mißtrauens der christlichen Bevölkerung
gegen die jüdische fort, weil jene hinter der spanischen Wand
des Kahals die tiefsten und ruchlosesten Geheimnisse verborgen
geglaubt hatte, während nun das jüdische Gemeindeleben in
seiner politischen und sozialen Harmlosigkeit offen vor aller
Augen lag. Der Kahal hatte sich überdies jeder Reform mit
Macht widersetzt, da seine Mitglieder von zähem Konservatis-
mus erfüllt waren und in allen Neuerungen nur Eingriffe in seine
tatsächliche Allmacht über die Gemeindemitglieder erbhckten.
Der Regierung gegenüber hatte der Kahal gar keinen Nutzen
gebracht, da diese ihn nur als eine Steuer- und Rekrutenaus-
hebungsmaschine betrachtete und behandelte. Die Mitglieder
des Kahals, zum großen Teile Steuerpächter, hatten die Steuer-
erhebung meist zu eigener Bereicherung und zur willkürlichen
Unterdrückung aller derjenigen Glaubensgenossen benutzt, die
nicht ihre Verwandten oder Werkzeuge waren. Anderseits aber
fiel nun jede Selbständigkeit der jüdischen Gemeindeverwaltung
hinweg, und die übelwollenden christlichen Obrigkeiten konnten
mit den Interessen und Einkünften der jüdischen Gemeinden
nach Belieben und zumeist im Sinne der Auflösung und Zurück-
drängung des Judentums schalten. Die Behörden benutzten
das Recht der Steuererhebung, um die reichen Juden durch
übermäßige Brandschatzung zu Bestechungen zu nötigen.
Ebenso ging die Rekrutenaushebung unter den Juden auf die
staatlichen Obrigkeiten über, die solche in schamloser Weise
mißbrauchten und noch heute mißbrauchen. Gesetzwidrige
Handlungen der städtischen Behörden gegen die Juden bleiben,
sogar in den offenbarsten und schreiendsten Fällen, oft längere
Zeit in Kraft und können von der jüdischen Gemeinde nicht
angefochten werden, da diese kein gesetzliches Organ besitzt.
Da ferner die städtischen Vertretungen in jüdischen Ange-
legenheiten ganz unerfahren sind, müssen sie zu ihrer Beratung
in diesen aus der jüdischen Gemeinde seßhafte und wohlhabende
Mitglieder heranziehen, und diese benutzen ihren Einfluß dann,
um in den Gemeindeangelegenheiten wiederum — wie früher
innerhalb des Kahals — eine engherzige Klassen- und Familien-
politik wider die Interessen der großen Masse der jüdischen Be-
32 Staatliche Aufklärungsversuche.
völkerung durchzuführen. Die machtlose jüdische Gemeinde
aber ist außerstande, den stets komplizierter werdenden Be-
dürfnissen des jüdischen Lebens nachzukommen. So wurde die
Aufhebung des Kahals zum Fluche für die russischen Israeliten,
anstatt daß an Stelle des Kahals eine anderweite, rationellere
und zweckdienlichere Selbstverwaltung der jüdischen Gemeinde
getreten wäre. Überdies blieb die Solidarität der jüdischen
Gemeinde, diese schreiende Ungerechtigkeit, den Anforderungen
der Regierung gegenüber bestehen.
Mit gleicher Tatkraft ging die Regierung gegen die äußeren
Eigentümlichkeiten der Juden vor, um sie hier mit der
andersgläubigen, so weit besser gestellten Bevölkerung auszu-
gleichen. Im Jahre 1846 erfloß die Verordnung, die allen Juden
Rußlands und Polens unter dem Alter von sechzig Jahren an-
befahl, ihre eigentümliche Tracht ab- und die Landestracht
anzulegen. Nur den schon im Amte befindlichen Rabbinern
— aber nicht ihren Nachfolgern — ward die alte Kleidung aus-
nahmsweise gestattet. Da die Juden passiven Widerstand
leisteten, ergriff die Polizei immer strengere Maßregeln. 1851
erschien das Verbot, daß den neuvermählten Jüdinnen das
Haupthaar nicht mehr abrasiert und durch einen künstlichen
,, Scheitel" ersetzt werden dürfe. Man konnte Soldaten auf der
Straße Juden und Jüdinnen zusammentreiben sehen, wobei
öffentlich jenen Bart und Seitenlocken abrasiert, diesen der
Scheitel entrissen wurde, so daß sie mit nackten Kopfe, vom
Hohne der Christen verfolgt, einliergehen mußten. Am 20. Juli
1853 erfloß eine neue Verordnung, die allen Rabbinern und
jüdischen Lehrern bei der exorbitanten Strafe von drei Jahren
Zuchthaus oder zehn bis zwölf Jahren öffentlicher Zwangs-
arbeit befahl, dafür zu sorgen, daß keinem jüdischen Mädchen
bei der Heirat das Haar abgeschnitten werde. Das waren im
Grunde vielleicht wohlgemeinte, wenn auch barbarische Maß-
regeln. Aber die verbitterten Juden sahen in ihnen nur Angriffe
auf ihre Religion, Vorbereitungen zur Taufe. —
Der schnelle und umfassende Aufschwung des Liberalismus
in Westeuropa während der vierziger Jahre machte auf den
Zaren und seine Umgebung einen tiefen, und zwar abschrecken-
den Eindruck. Es erfaßte sie und die ganze russische Bureau-
Staatliche Aufklärungsversuche. 33
kratie eine große Angst vor allem, was der Masse Aufklärung und
Denkfreiheit bringen könne; die Untertanen sollten in tiefster
Unwissenheit und Roheit und damit in sklavischer Gesinnung
erhalten werden. Hierhin gehören alle zu damaliger Zeit er-
lassenen Gesetze über die Volksbildung. Man verbot die Auf-
nahme von Bauernkindern in die Elementarschulen, der Kinder
von Kleinbürgern in die mittleren und höheren Schulen. Da
der größte Teil der Juden zu letzterer Kategorie der Be-
völkerung gehörte, so traf diese Maßregel wieder einmal am
stärksten die Israeliten und stellte ihrer geistigen Entwick-
lung neue Hindernisse in den Weg,
Die nach den Vorschlägen des Judenkomitees 1844 er-
öffneten jüdischen Elementarschulen erfüllten nicht die Hoff-
nungen der Regierung, geschweige denn die der Juden. Ihr
Programm war denen der allgemeinen Schulen angepaßt, ohne
besondere Beziehung zum Judentume. Im Gegenteil, der
Lehrplan war aus offenbarer Feindschaft gegen das überlieferte
Judentum, zumal gegen Talmud und Rabbinismus, entstanden.
Die Leiter und Inspektoren der Schulen waren Christen, zum
Teil sogar ausgesprochene Judenfeinde — meist der Abhub
der KronschuUehrer, Offiziere außer Diensten, abgewirtschaftete
Polizeibeamte, kurz Leute, die man versorgen wollte auf Kosten
der Juden. Das waren Umstände, die alle Israeliten, und zumal
deren große konservative Masse, mit lebhaftem Mißtrauen gegen
diese Schulen erfüllen, solche als Werkzeuge zur Konvertierung
der jüdischen Kinder erscheinen lassen mußten. Die im Auf-
trage der Regierung von Mandelstamm tendenziös ausgearbei-
teten Lehrbücher für den gesamten jüdischen Unterricht, auch
in den Chedarim, nebst Auszügen aus Bibel, Talmud und
Maimonides waren ausschließlich auf religiöse Aufklärung be-
rechnet. Diese Art offizieller, staatlich geprüfter und gesichteter
Religion rief im ganzen strenggläubigen russischen Judentum
einen Sturm der Entrüstung hervor; sie war um so größer,
als die Kosten der Bücher aus der Sondersteuer der Juden,
der von den Sabbatkerzen zu entrichtenden Lichtsteuer be-
stritten wurde. Nur dem Zwange gehorchend, schickten die
Juden ihre Kinder in die Schulen; die Wohlhabenden mieteten
häufig arme Kinder, die sie an Stelle der eigenen in die Schule
Philippson, Neueste Geschichte der Juden, Bd. III. "^
34 Staatliche Aufklänxngsversuche.
sandten, um ihre eigenen Sprößlinge durch Hauslehrer oder selbst
in einem Cheder unterrichten zu lassen. In Nord-Litauen kam
nur ein Schüler auf 190 jüdische Seelen, in Kiew gar nur einer
auf 272. Nur in den Ostseeprovinzen (ein Schüler auf 30 Seelen)
und in Südrußland (einer auf 66) war der Besuch der Kronschulen
ein besserer — zugleich ein Maßstab für die größere Kultur
der dortigen Juden. Die Kosten dieser schlecht besuchten
Regierungsschulen waren sehr hoch, jedes Kind kam jährlich
auf 55 Rubel, während es bei dem Melammed nur 5 — 6 Rubel
erforderte ; und diese Beträge — zusammen 200 000 Rubel —
wurden mederum aus der Lichtsteuer bestritten. Die Last,
die damit die Juden bedrückte, war um so schwerer, als die
indirekten Steuern an Privatunternehmer verpachtet waren, die,
um möglichst viel bei dem Geschäfte herauszuschlagen, die Ab-
gaben mit brutaler Willkür und Rücksichtslosigkeit eintrieben.
Und dennoch: hätten die Regierungsschulen irgendwelche,
wenn auch noch so bescheidene Erweiterung der bürgerlichen
und politischen Rechte verheißen, sie hätten auf Erfolg rechnen
können. Aber die Regierung Nikolaus' I. war viel zu reaktionär,
um auf solche wohl begründeten und sogar von einzelnen hohen
russischen Beamten befürworteten Wünsche der Juden einzugehen.
Wie sollte man auf die Absichten eines Herrschers Ver-
trauen setzen, der einerseits die Judentaufen in jeder Weise
begünstigte — 1850 wurden allen Juden, die zum Christentum
überträten und Ackerbau trieben, alle aus ihrer Niederlassung
herrührenden Zahlungsreste und Schulden erlassen — ; der
anderseits sich in jeder Weise als Feind der Bildung und der
Intellektualität bewährte? Am 11. Mai 1849 verordnete er,
daß auf jeder der russischen Universitäten die Zahl der freien,
das heißt nicht von Staatsstipendien lebenden Studenten auf
dreihundert beschränkt werde. Zahllose angehende Studierende
wurden rücksichtslos abgewiesen. Die Söhne des Adels und der
Beamtenschaft, sagte Nikolaus selber, täten besser daran, ins
Heer zu treten als auf die Universität zu gehen.
Auch die damals in Schitomir und AYilna neu gegründeten
Rabbinerschulen waren weit davon entfernt, ihrem eigent-
lichen Zwecke zu entsprechen. Zunächst sollten sie überhaupt
weniger der Ausbildung von Rabbinern als von Lehrern für die
Staatliche Auf klärungs versuche. 35
Kronselementarschulen dienen: eine unglückliche Verquickung
zweier ganz verschiedener Bildungsziele und Aufgaben, worunter
zumal die Ausbildung von Rabbinern sehr litt. Die Direktoren
der Schulen mußten nach der Bestimmung des Gesetzes Christen
sein, auch die meisten Lehrer waren Christen, Juden nur die-
jenigen für die spezifisch jüdischen Fächer. Die Zöglinge dieser
Schulen gingen zum großen Teile mit der den Juden eigenen
Überschwang] ichkeit in radikaler Weise auf die Assimilations-
wünsche der Regierung und der Schulleiter ein, sahen mit
Geringschätzung auf die ungebildete Masse ihrer Glaubens-
brüder hinab und verletzten geflissentlich deren religiöse Emp-
findungen. Es entbrannten innerhalb der Gemeinden zwischen
den Aufklärungsfreunden und deren Gegnern heftige Kämpfe,
bei denen sich die Regierung selbstverständlich auf die Seite
der ersteren stellte und damit der großen Mehrheit der jüdischen
Bevölkerung einen neuen Grund der Klage und des Haßes gab.
Es galt der Regierung, der Assimilationspartei, trotz des Gegen-
satzes der überwiegenden Masse, einen festen Halt zu geben.
Sie entzog deshalb die Wahl des Rabbiners den Gemeinden
und behielt sie sich selbst vor. Es erging das Gesetz (1855),
daß kein Rabbiner oder Lehrer mehr angestellt werden solle,
der nicht in der Rabbiner- oder avif höheren Mittelschulen
studiert und die Schlußprüfung abgelegt habe. So entstand
die Masse der sogenannten Kronsrabbiner. Aber gerade weil
diese aus den staatlichen Unterrichtsanstalten hervorgegangen,
mit moderner Bildung ausgerüstet und von der Regierung er-
nannt waren, wollte die ungeheure Mehrheit der Gemeinde-
mitglieder nichts von ihnen wissen. Neben die offiziellen
Rabbiner stellten sich also die von der Gemeinde bevorzugten
nicht-amtlichen, deren es 1866 über 5000 gab. Diese Doppel-
position fand sich bald an zahllosen Orten. Der Kronsrabbiner
wurde mehr und mehr staatlicher Angestellter, Standesbeamter,
der die Register führte und den äußeren Schein des geistlichen
Amtes aufrecht erhielt, während der wahre geistliche Führer
und Berater der Gemeinde der nicht-offizielle, von ihr erkorene,
allein anerkannte und verehrte, aus der Jeschiwa hervor-
gegangene und ausschließlich talmudisch gebildete Rabbi war ;
Zustände, die sich bis auf den heutigen Tag erhalten und zu
36 Staatliche Aufklärungsversucbe.
der chaotischen Ver\^drrung der Zustände der jüdischen Ge-
meinden ein Bedeutendes beigetragen haben.
Noch in der Epoche Uwarows hatte, wie erwähnt, der
Kaiser selber den Gedanken gefaßt, zur geistigen Umgestaltung
der in seinem Reiche lebenden Juden eine Rabbinerkonferenz
einzuberufen. Es war immer wieder die Auffassung, die Seelen-
zustände von Millionen durch Befehl von oben herab willkür-
lich zu revolutionieren. Durch allerhöchstes Dekret vom
4. Juli 1842 war aus jedem der von Juden bewohnten General-
gouvernements je ein Rabbiner in das Komitee berufen worden.
Dieses kam indes mit seinen Arbeiten nicht recht vorwärts.
Endlich im Jahre 1848 wurde es neu konstituiert; die Rabbiner
und Kaufleute der verschiedenen Gouvernements hatten zu-
sammen 18 Kandidaten zu erAvählen, von denen die Regierung
fünf zu Mitgliedern des Komitees ernannte. Seine Bestimmung
war eine doppelte: auf der einen Seite sollte es das innere
Leben der Juden zu höherer Kultur entwickeln, auch als Be-
rufungsinstanz von den religiösen Entscheidungen der Rabbiner
dienen; anderseits als Organ des Ministeriums des Inneren
dessen Anordnungen den Juden gegenüber fördern und unter-
stützen. Dabei war es als eine Nachahmung des Napoleonischen
Sanliedrin gedacht, als eine höchste religiöse Instanz, die Vater-
landsliebe und russischen Nationalsinn in die jüdischen Massen
trage. AUein die wohlgemeinte Absicht schlug vollkommen
fehl. Die Regierung scheiterte hier wie überall bei ihren auf die
Juden berechneten Maßnahmen durch ihr ausschließlich bureau-
kratisches Verfahren. Sie wählte zu dem sogenannten Rab-
binerkomitee, in dem nur wenige Rabbiner saßen, nicht Ver-
trauensmänner der Juden, sondern einige Notable, Anhänger
der Aufklärung, die viel guten Willen aber wenige jüdische
Kenntnisse besaßen und schon deshalb bei den eigenen Glaubens-
genossen kein Ansehen und keinen Einfluß hatten. Diese
Männer standen auch viel zu sehr unter dem Einflüsse der
Regierung, um nicht vorlegend deren Wünschen Rechnung
zu tragen, ohne der Stimmung der Juden zu achten, für die
ihnen überdies nur geringes Verständnis zu Gebote stand.
Von ihren Glaubensbrüdern dementiert und zurückgestoßen,
wurden sie in Ärger und Enttäuschung häufig zu Denunzianten
Staatliche Avifklärungsversuche. 37
gegen jene bei der Regierung. So schlug durch ein wahres
Verhängnis, man muß sagen, durch beiderseitiges Verschulden,
alles fehl, was die Regierung zur Reform der Juden zu tun
sich bemühte. Bureaukratie auf der einen Seite, Mißtrauen und
Kulturfeindschaft auf der anderen machten jede Versöhnung
unmöglich, den Riß immer größer, die Verwirrung, das Chaos
in den jüdischen Angelegenheiten immer furchtbarer und un-
heilbarer. Der tiefste Grund des IMißlingens aber war der:
während die Regierung nach ihren Versicherungen den Juden
aufzuhelfen sich bestrebte, erhielt sie dieselben in Unter-
drückung, Beschränkung und Rechtlosigkeit, behandelte sie
mit rücksichtsloser Willkür und "wiederholtem schreienden
Wortbruch. Und noch schlimmer als die Regierung miß-
handelten ihre Beamten die Juden. Der Ministerrat hat am
27. Oktober 1906 in einem amtlichen Berichte an den Zaren
ausdrücklich eingestanden: ,, Unter Nikolaus I. mißbrauchten
die unteren Polizeibeamten, die die Beobachtung der Gesetze
zu beaufsichtigen hatten, ihre Gewalt und benutzten die Dehn-
barkeit der Deutung der mannigfaltigen jüdischen Bestim-
mungen als Mittel zur Erpressung." Wie arg müssen diese
Zustände gewesen sein, wenn die russischen Minister selber
solche Anklagen erheben !
Das war die wahre und natürliche Quelle des bitteren
Mißtrauens, mit dem die Juden jede angeblich zu ihrem Wohle
bestimmte Maßregel der Regierung aufnahmen, das sie in jedem
von deren reformatorischen Unternehmungen nur einen Schritt
zur Zerstörung des Judentums, zur Vorbereitung zur Taufe er-
blicken ließ. Es zeigte sich wiederum, daß der Weg zur geistigen
und sozialen Hebung lediglich an der Hand der Freiheit und der
Gleichberechtigung zu finden ist. Diese ewige Wahrheit, die
sich ja in den Ländern des europäischen Westens durchaus be-
stätigt hat, wäre auch für Rußland maßgebend. Man darf nicht
das Mittelalter aus den Geistern auszutreiben hoffen, indem
man die Leiber dem Mittelalter unterworfen hält; nur wenn
der Staat selber auf das Mittelalter verzichtet, kann er die
Seelen diesem entziehen. Es ist ein furchtbares Unglück, daß
die leitenden Kreise Rußlands solche Wahrheit noch heute
nicht erkennen wollen.
38 Staatliche Aufklärungsversuehe.
Und doch ist auch in Rußland der Beweis für sie schon
geführt worden. Als unter Alexander II. der schreckliche Druck,
der auf den Juden lastete, erleichtert, als ihnen wahres Wohl-
wollen, ohne Hintergedanken, erwiesen, als sie wie Menschen
behandelt und ihnen verheißungsvolle Rechte verliehen wurden,
da empfanden sie die ihnen gebotenen Freiheiten als Wohl-
taten und machten von ihnen ausgiebigen Gebrauch. Damals
gingen Aufklärung und Vaterlandsliebe unter ihnen reißend
voran — die beste Bezeugung der Tatsache, daß die russischen
Juden eben nur des belebenden Hauches der Freiheit zu geistiger
und sittlicher Entfaltung bedürfen. Aber der eisige und be-
schränkte Despot Nikolaus I. hatte davon keine Ahnung, und
deshalb mußten seine ,, Reformen" mißlingen.
Der Fluch lastete auch auf der mit so vielem Eifer unter-
nommenen ländlichen Kolonisation der Juden im Gouvernement
Cherson. Das war zum großen Teil, wie gesagt, durch die Nach-
lässigkeit und die Raubsucht des ausfülirenden und beauf-
sichtigenden russischen Beamtentums verschuldet. Die Schäden
lagen aber noch tiefer, an den Wurzeln des ganzen Unternehmens
selbst. Das zur Kolonisierung berufene Element bestand aus-
schließlich aus städtischen Kleinhändlern und Kleinliand-
werkern — körperlich schwächlichen Menschen, die nicht nur
keine Vorstellung von den Bedingungen und Aufgaben des
Ackerbaues besaßen, sondern auch nicht die physischen Kräfte,
die dieser Beruf unbedingt erfordert. Die Regierung war so
leichtsinnig und töricht, den improvisierten Ackerbauern auch
nicht die mindeste Vorbereitung für ihren neuen Beruf zuteil
werden zu lassen; ja von den benachbarten christlichen Kolo-
nisten, bei denen sie sich noch Rat und Belehrung hätten holen
können, waren sie durch drakonische Strafbestimmungen im
Falle der Übertretung durchaus abgeschnitten. Diesen armen,
ungeübten und kraftlosen Menschen stellte man nun einen
noch ganz wüsten Boden zur Verfügung, den sie erst roden,
reinigen, urbar machen sollten, ehe nur die Bebauung beginnen
konnte. Natürlich standen sie rat- und hilflos vor einer Auf-
gabe, zu deren Bewältigung sie in keiner Weise in der Lage
waren. Wovon sollten die Mittellosen mit ihrer Familie über-
haupt leben, bis die erste Ernte auf diesem wilden Lande ein-
Staatliche Aufklärungsversuche. 39
gebracht werden konnte ? Die Kolonisten standen vor der
schlimmsten Not, dem Hungertode; sie suchten ihm natur-
gemäß zu entgehen, indem sie, trotz des strengsten Verbots,
heimlich \^aeder zu ihrem alten Gewerbe des Schacherns und
Hausierens griffen und darüber den Ackerbau vollends ver-
nachlässigten. Um diesen ungesunden Zuständen abzuhelfen,
sandte die Regierung dreißig jüdische Kolonistenjünglinge auf
Musterfarmen und Ackerbauschulen — aber dieses Verhältnis
der Schüler zu der gesamten Seelenzahl der Kolonisten war viel
zu geringfügig.
Der Zar war entrüstet über das Scheitern aller seiner Pläne
gegenüber den Juden, die sich nicht für seine Art der Zwangs-
aufklärung, geschweige denn für das Aufgehen in das russische
Volks- und Kirchentum gewinnen lassen wollten. Nicht einen
Augenblick legte er sich die Frage vor, ob die Schuld nicht
an ihm, seinem System und seinem Beamtentum liege. Die
Juden gehorchten nicht, bewahrten ihre Selbständigkeit und
Eigentümlichkeit, ließen sich nicht von der Allmacht des Ge-
waltherrschers zermalmen — also waren sie Verbrecher. Im
Jahre 1846 erließ er eine haßsprühende Bekanntmachung an
die Juden: der Kaiser hat sie mit Wohltaten überhäuft, indem er
sie der allgemeinen Bevölkerung näher zu führen suchte. Aber
die Juden schließen sich hartnäckig ab; auch die Auflösung
der Kahals hat da nichts gefruchtet. Sie fahren fort, die übrige
Bevölkerung schändlich auszubeuten. Wenn sie sich nicht
noch ändern, sollen die strengsten Strafen sie treffen.
Dieser allerhöchste Wutausbruch hatte weiter keine un-
mittelbaren Folgen. Aber er wirft doch ein erschreckend
blendendes Licht auf die Gesinnung des Zaren gegen die Juden.
Nur ein Stand unter diesen hatte von der Regierung
dauernde Gunst und Förderung erfahren: der der Handwerker.
Und er entwickelte sich tatsächlich in erfreulicher Weise, weil
er den städtischen Gewohnheiten der Juden entsprach und,
in seinen meisten Zweigen, an ihre körperlichen Kräfte nicht
allzu hohe Anforderungen stellte. Den Juden wurde die Betrei-
bung jedes Handwerkes gestattet und ihnen sogar bei dessen
Ausübung wichtige Vorrechte verliehen. Die Petitionen christ-
licher Handwerkerzünfte, in ihrem selbstischen Interesse den
40 Staatliche Aufklärungsversuche.
jüdischen Konkurrenten deren Privilegien wieder zu beschränken,
blieben unbeachtet. Vielmehr ward den Juden in denjenigen
Ortschaften, wo sie das Wohnrecht besaßen, 1852 gestattet,
eigene Zünfte zu bilden, wie die der Wegearbeiter, Steinhauer,
Schreiner, Fuhrleute, Gärtner, Fabrikarbeiter, Tagelöhner — ein
Beweis, daß sie auch die schwersten Arbeiten nicht scheuten. Jü-
dische Handwerkermeister durften christliche Untermeister und
in diesem Falle auch christliche Lehrlinge und Gesellen halten.
Allein einen vollen Erfolg zugunsten der israelitischen Be-
völkerung konnten auch diese Maßregeln nicht bringen. Die
Juden waren in dem Ansiedlungsrayon zu dicht aufeinander
gedrängt, als daß neben dem Kleinhandel das Handwerk sie
alle hätte ernähren können. Die Zahl der Wander bettler und
der ,, Luftmenschen" (die von der Luft lebten) war deshalb ge-
waltig groß. Gegen sie erging im Jahre 1847 eine Verordnung,
wonach binnen fünf Jahren alle Juden, die keine feste Be-
schäftigung noch hinreichenden Lebensunterhalt nachweisen
können, sich ein Handwerk oder einen anderen dauernden
Beruf, mit Ausnahme des Hausierens und Schankwesens,
wählen müssen. Alle anderen sind als Landstreicher zu be-
handeln; diejenigen, die dann dem Ukas nicht nachgekommen
sind, sollen zwangsweise zu öffentlichen Arbeiten verwandt
werden. Über dieses Dekret entstand unter den Juden zu-
nächst ein panischer Schrecken; allein man überzeugte sich
bald, daß auch hier der Rubel mächtiger sei als der Zar; die
meisten der Schnorrer und Luftmenschen entgingen durch Be-
stechung der Polizeiorgane dem traurigen Schicksale, arbeiten
zu müssen.
Indessen, man darf die russischen und polnischen Juden
nicht als gleichartige Masse behandeln; sie waren nach den
Landschaften, in denen sie wohnten, verschieden. In den nörd-
lichen Gegenden des Rayons hatten ,,die Juden mehr Sinn für
Feld und Garten, als für das Bethaus und die Mikwe." Viele
von ihnen waren Viehhändler und Fleischer, stämmige und
kräftige Gesellen, die sich gegen tätliche Angriffe übelwollender
Christen sehr wohl zu wehren wußten. ,, Unter den Juden dort
findet man die berühmten Fischer der Lodzer Teiche, die Lodz
und die Umgebung mit Fischen versorgen."
Staatliche Auf klärungs versuche. 41
So tief auch der allgemeine Bildungsstand, bei den Juden
war, sie blieben doch immer „das Volk des Buches", und ihre
leidenschaftliche Verehrung für ihre religiöse Literatur hat ihnen
vor allem die Kraft gegeben, den Angriffen und Kränkungen
ihrer übermächtigen Gegner siegreich zu widerstehen. Die
Achtung vor der religiösen Gelehrsamkeit war so groß bei ihnen,
daß die reichsten von ihnen sich unter den Talmudbeflissenen
einen Schwiegersohn wählten, dem sie sagten: ,,Du hast bei
mir dein Essen und Trinken, deinen Schabbesanzug und dein
Taschengeld. Du sollst nur die heilige Lehre studieren." Den
Schwiegersöhnen ,,mit den großen Talmudfolianten erwies der
Jude eine solche Ehrfurcht, daß er in ihrer Gegenwart nicht
anders als auf den Zehenspitzen ging; das Teuerste und Beste
bewahrte er für sie auf. Und wenn in der Stube die Worte der
Thora widerhallten, dann vergoß der alte Jude stille Freuden-
tränen" (Schalom Asch).
Es gab und gibt noch heute Städte, die fast ausschließlich
von Juden bewohnt, die ganz und gar Judenorte sind, wo das
jüdische Leben sich ungestört entfaltet. So mrd das Zusammen-
pferchen im Ansiedlungsrayon zur Stärkung des besonderen,
intransigenten jüdischen Lebens — ganz gegen die Absicht
der judenfeindlichen Gesetzgebung. Die Besorgnis vor einer
übermächtigen Kraft der jüdischen Intelligenz, die zum großen
Teile die Einschnürung der Judenheit in die engeren Grenzen
des Rayons veranlaßte, diente zur Stärkung des spezifisch
jüdischen, dem Russentume entgegengesetzten Geistes.
Es waren besonders drei Kategorien unter den Juden, die
von innen heraus den Kulturbestrebvingen Widerstand leisteten.
Die erste war die der Armen, die nicht die Geldmittel besaßen,
um sich oder ihre Kinder der Bildung zu mdmen, da die Re-
gierung nichts tat, um letztere den Juden unentgeltlich zu-
kommen zu lassen. Die Armut unter den Juden war ungeheuer.
Sie wird durch die Tatsache illustriert, daß am Ende der Re-
gierung Nikolaus I. die Steuerrückstände in den jüdischen Ge-
meinden 747 907 Rubel betrugen. — Die zweite Kategorie war
die der Orthodoxen, die von jeder Art der Bildung eine Locke-
rung der jüdischen Gemeinschaft besorgten, in jeder Reform
einen Abfall von der ,, Jüdischkeit" erblickten. Die panische
42 Staatliche Aufklärungsversuche.
Angst, die sie vor der kleinsten Neuerung, ja vor jeder Art welt-
lichen Studiums empfanden, kann man nur verstehen, wenn man
sich das russische Ghettoleben vergegenwärtigt. Von Fremden,
ja Feinden umringt, fühlten sie sich nur in ihrer Gemeinschaft
stark, um so stärker, je größer der Abstand zwischen ihnen
und ,,Esau" war. Die Frau und Tochter ließ man in der Butike
schachern, ohne daß sie überhaupt etwas lernten; der Mann
saß inzwischen im Bethamidrasch, im Lehrhause. Die Reichen
und Gebildeten wagten aus Furcht vor der Menge nicht, den
mindesten reformatorischen Einfluß auszuüben. Denn jeder
Gebildete galt als Abtrünniger, die Anliängerschaft an die Auf-
klärung als ,, Volksunglück". Diese Männer und diese Richtung
zu bekämpfen, darauf verwandten Rabbis und Gläubige den
Hauptteil ihrer Tatkraft.
Das dritte kulturfeindliche Element bildeten die Chassidim.
Ihr Einfluß war ungeheuer groß, selbst über die Reihen ihrer
unmittelbaren Anhänger hinaus. Wenn ein chassidischer Wunder-
täter, ein ,,Rebbe" nahte, zog die ganze Ortschaft ihm feierlich
entgegen und nötigte den eigenen Rabbi, der sofort alle Ein-
wirkung verlor, sich der Prozession anzuschließen. Der ,,Rebbe"
war während seiner Anwesenheit der unbedingte Beherrscher
der Stadt. Die ganze Judenheit derselben versäumte sogar den
Gottesdienst in der Synagoge, um den Konventikeln des Rebbe
beizuwohnen.
Und doch gab es in dieser fanatischen, abergläubigen Be-
völkerung zahlreiche begeisterte, wenn auch meist heimliche
Freunde des Lichtes, der Aufklärung, nicht nur unter den Wohl-
habenden, sondern auch unter den armen Jüngern der Talmud-
gelehrsamkeit. Es war in erster Reihe Ludwig Philippsons
,, Allgemeine Zeitung des Judentums", die ,,die Strahlen der
deutsch-israelitischen Zivilisation in die entferntesten Winkel
Rußlands verbreitete." —
Die letzten Jahre der Regierung Nikolaus' I. waren haupt-
sächlich von den Sorgen der auswärtigen Politik erfüllt, von diplo-
matischen Konflikten mit der Türkei, Frankreich, England,
Österreich, die schließlich zu der großen Katastrophe des Krim-
krieges fülirten. Hier zeigten sich die traurigsten Folgen eines
geistig tief stehenden Despotismus, wie ihn Nikolaus geübt hatte,
Staatliche Atifklärungs versuche. 43
im hellsten Lichte: die Truppen waren schlecht ausgerüstet
und ungenügend geübt, unter den Beamten und Generalen
herrschten Unordnung und Korruption, das Heer ward bei
jedem Kampfe, selbst von den verachteten Türken, geschlagen.
Diese herben Erfahrungen bereiteten dem stolzen Selbstherrscher
den tiefsten Kummer und untergruben seine Gesundheit. Er
starb am 2. März (18. Februar) 1855 und hinterließ die traurige
Erbschaft seinem Sohn und Nachfolger Alexander II. Die
Strafe der Geschichte hatte sich an ihm spät aber gründlich
vollzogen, er hatte sein ganzes Lebenswerk von ihr verurteilt
sehen müssen.
Kapitel Drei.
Das Judentum in Polen unter Nikolaus I.
JL)ie Lage der Juden in Polen war von der der russischen
Israeliten von Grund aus verschieden. Im eigentlichen Ruß-
land waren die Juden Fremde; sie waren überhaupt erst seit
der Vereinigung polnischer Provinzen mit dem Zarenreiche
unter die Zahl von dessen Untertanen getreten. Ihr gesamtes
Leben war gänzlich von dem russischen abweichend und getrennt.
Anders in Polen, wo die Juden seit mehr als sieben Jahrhunderten
ansässig und mit den Schicksalen und Zuständen des Landes
auf das engste verwachsen waren. Als das eigentliche Bürger-
tum, als die einzigen Finanziers, als geschäftliche Vertrauens-
männer der Szlachta, des Adels, waren die Juden wichtige Fak-
toren des nationalen politischen Lebens geworden. Trotzdem
entsprach ihre soziale Stellung keineswegs ihrer ökonomischen
Bedeutung. Der Dünkel des Adels und die kirchliche Ausschließ-
lichkeit und Unduldsamkeit des ganzen Volkes hatten ihnen
vielmehr drückende und kränkende Ausnahmegesetze auferlegt
und umgaben ihr ganzes Dasein mit dem verpestenden Dunst-
kreis antisemitischen Wesens. Die vornehme Gesellschaft stand
völlig unter dem Banne der katholischen Geistlichkeit. Die
Bauern kannten die Juden fast nur als Gutspächter und Ab-
gabenerheber und verfolgten sie deshalb mit dem ganzen Haße
des materiell Ausgebeuteten gegen den Ausbeuter, ohne sich
zu erinnern, daß der Jude nur im i^uftrage und auf Geheiß des
adligen Gutsbesitzers sie bedrückte. Wenn der Bauer durch
die Habgier des Herrn oder durch eigene Trägheit und Lieder-
lichkeit in bedrängte Lage geriet, so schrieb er sie dem jüdischen
Blutsauger und Wucherer zu.
Das Judentum in Polen unter Nikolaus I. 45
Die Gesetzgebung des im Jahre 1815 neu geschaffenen,
durch Personalunion mit dem Zarenreiche verbundenen König-
reiches Polen war nicht duldsamer als die des alten, unab-
hängigen. Das auf dem Landtage des Jahres 1825 angenom-
mene Bürgerliche Gesetzbuch bestimmte im Paragraphen 16:
„Die Juden können diejenigen bürgerlichen Rechte genießen,
von deren Anwendung die königlichen Dekrete sie nicht aus-
schließen." Das hieß, daß die alten Vorstellungen von der Gefahr,
die die Juden angeblich dem Lande bereiteten, auch weiter auf-
recht erhalten, daß die Juden von der Branntweinfabrikation,
der Pachtung von Schenken, dem Erwerbe von ländlichen
Grundstücken und der Ansiedlung in 30 Städten ausge-
schlossen blieben. In 31 anderen Städten, unter denen die
Hauptstadt Warschau, ferner Lodz, Lowicz, Skierniewice sich
befanden, war ihm das Wohnen in bestimmten, vornehmen
Straßen verboten. Freilich vermochten Reichtum, Besitz und
Bestechung in diese Ausnahmegesetze Bresche zu legen. Sonst
aber trugen die freiheitsdurstigen und freiheitsstolzen Polen
kein Bedenken, die Juden zu Zehntausenden in alte enge
und krumme Gassen einzupferchen, wo überdies die Luft
durch die Miasmen aller Arten von Warenlagern verpestet
wurde; sie erwogen nicht, daß die in dieser verdorbenen
Atmosphäre ausgebrüteten Krankheiten sich auch auf die
benachbarten, nur von Christen bewohnten Stadtteile ver-
breiten mußten.
Auch die Revolution des Jahres 1830 brachte in diesen
traurigen Verhältnissen keine Änderung hervor. Die Freiheits-
liebe der Polen vermochte den von der Geistlichkeit genährten
Judenhaß nicht zu überwinden. Die Juden sahen sich mit
ihren Anerbietungen zum Kampfe für das Vaterland höhnisch
zurückgemesen. Nur wenige der aristokratischen Führer des
Aufstandes hegten menschlichere und aufgeklärtere Anschau-
ungen, wie Senator und General Graf Ostrowski und General-
stabschef Czynski. Der erstere, übrigens ein eifriger Katholik,
schrieb dem letzteren: ,,Wir sind die ersten Ursachen der Unzu-
friedenheit der Juden. Man hat deren Gleichgültigkeit über-
trieben. Diejenigen von ihnen, die unter meinen Befehlen
standen" — der Graf kommandierte die Warschauer National-
46 Das Judentum in Polen unter Nikolaus I.
garde — „haben sich in untadelhafter Weise geführt. So viel
ich weiß, hat nicht ein einziger Warschauer Jude sich des
Spionierens schuldig gemacht; dagegen kenne ich eine große
Anzahl, die den Wunsch bezeugten, in das aktive Heer ein-
zutreten."
Dieser Ausspruch eines unabhängigen, ehrenhaften, in hoher
Stellung befindlichen und mit den Dingen genau vertrauten
Militärs ist die beste Widerlegung der Verleumdungen, die die
späteren polnischen Geschichtsschreiber der Revolution von
1830 gegen die Juden auszusprechen liebten, um die Unduld-
samkeit ihrer Mitbürger zu beschönigen. Allerdings ist es wahr
und auch verständlich genug, daß die von den polnischen
Führern zurückge^^desenen Juden sich in ihrer großen Mehrheit
neutral verhielten. Haben doch die polnischen Kämpfer bei
den verschiedensten Gelegenheiten die Juden unter der An-
schuldigung, daß diese den Russen als Spione dienten, ge-
schlagen und gröblich mißhandelt. Die Russen ihrerseits er-
hoben dieselben Anklagen und hingen zahlreiche Juden ohne
vorhergehende Untersuchung auf oder prügelten sie mit ihren
Peitschen zu Tode. Am schlimmsten erging es den Juden in
der Stadt Lublin, die, mehrmals hintereinander, bald von den
Russen, bald von den Aufständischen eingenommen wurde.
Die Sieger kühlten jedesmal ihr Mütchen an den Juden, die
sich persönlich mißhandelt, ihr Vermögen konfisziert, ihre
Häuser niedergebrannt sahen.
Ein besseres Einverständnis zwischen Polen und Juden
schien sich durch Graf Ostrowski anzubahnen, als dieser vor-
urteilslos denkende Edelmann zum Befehlshaber der Warschauer
Nationalgarde ernannt worden war. Er veröffentlichte einen
Aufruf, der den Juden eine glücklichere Zukunft verhieß und
sie zu gemeinsamer Tätigkeit für das Wohl des Vaterlandes
aufforderte. Dieser Appell an die Juden verhallte nicht unge-
stört: eine beträchtliche Anzahl israelitischer Jünglinge trat
sofort in die Nationalgarde der Hauptstadt ein. Leider dauerte
diese Episode nicht lange: Ostrowski verzweifelte an der Mög-
lichkeit des Erfolges des Aufstandes und zog sich von den
öffentlichen Angelegenlieiten zurück. Seinen Verheißungen an
die Juden blieben also ohne Erfüllung.
Das Judentum in Polen unter Nikolaus I. 47
Am 8. September 1831 ergab sich Warschau dem russischen
General Paskewitsch ; wenige Wochen später -wurden die letzten
polnischen Heerhaufen über die österreichische und die preußische
Grenze gedrängt — der Aufstand war niedergeschlagen und
damit die Selbständigkeit Polens vernichtet, das von dem
Despotismus, dem fanatischen Russentum und der kalten Rach-
sucht Nikolaus' I. keinerlei Schonung zu erwarten hatte. Er
hob die Verfassung von 1815 auf und setzte an ihre Stelle das
„Organische Statut" vom 26. Februar 1832, das die russische
Gouvernementsverwaltung einführte und alles nationale Leben
unterdrückte. Die russische Bureaukratie wurde aucli in dem
bisherigen Königreiche Polen allmächtig und verwirklichte dort
ihre so traurig bewährten kultur- und bildungsfeindlichen, jede
geistige und ökonomische Bewegung erstickenden Gepflogen-
heiten.
Es begann eine allgemeine Auswanderung der kräftigen
und selbstbewußten Persönlichkeiten aus Polen, die sich nach
London, Brüssel und besonders Paris wandten. Hier hatte
der Führer der Aristokraten, der ,, Weißen", Fürst Adam
Czartoryski, der ,, König", im Hotel Lambert sein Haupt-
quartier aufgeschlagen. Ihn klagten die Demokraten, die
,, Roten" an, durch seine übergroße Vorsicht und die Beschränkt-
heit seiner Politik und Taktik das ganze Unlieil des Vaterlandes
herbeigeführt zu haben. Der Leiter der Roten war der Ge-
schichtschreiber Joachim Lelewel, der nur kurze Zeit in Paris
blieb und dann in Brüssel seinen Wohnsitz nahm, einer der
schlimmsten Judenfeinde. Aber die Führung der polnischen
Emigration und der nationalen Bestrebungen blieb doch dem
Fürsten Czartoryski und seiner Umgebung. Unter diesen
kam allmählich eine andere Auffassung der Judenfrage zur
Geltung. Indem sie die Ereignisse der Revolutionszeit von
höherem, gewissermaßen historischem Standpunkte aus betrach-
teten und sich überdies von der vorurteilslosen Gesinnung ihrer
Pariser Umgebung unwillkürlich beeinflussen ließen, erkannten
sie den schweren Fehler, den sie durch die Zurückweisung der
Millionen polnischer und litauer Juden begangen hatten —
einer Bevölkerung, die so leicht für die Sache der Freiheit zu
begeistern gewesen wäre. Besonders Major Beniowski trat in
48 Das Judentum in Polen unter Nikolaus I.
diesen Kreisen in wärmster Weise für die Emanzipation der
Juden ein, nicht als Forderung der Gerechtigkeit, sondern im
eigensten Interesse des Polentums. Er fand zumal bei den
jüngeren Elementen der Emigration lebhafte Zustimmung. Nur
Lelewel widersprach in der schärfsten Weise. Es entspann sich
ein literarisches Duell zwischen Lelewel und Beniowski, der
endlich durch den Nachweis, sein Gegner sei ein Renegat, der
selber von Juden stamme und nunmehr seinen Ursprung durch
deren Beschimpfung vergessen machen wolle, diesen zum
Rückzug und zum Stillschweigen nötigte. Die polnische Emi-
gration erließ darauf an die Juden einen offiziellen Aufruf, der
sie ermahnte, ihren christlichen Landesgenossen bei der Wieder-
herstellung des Königreichs Polen behilflich zu sein. Aber
auch in diesem Dokumente, wo zum ersten Male die leitenden
polnischen Kreise amtlich mit den Juden in Verhandlungen
traten, konnte man sich nicht dazu aufraffen, dieselben wirk-
lich als IMitbürger, als Brüder, als Söhne desselben Vaterlandes
zu betrachten. Die Juden blieben immer noch Fremde. Man
wandte sich an sie nicht als an Verteidiger des polnischen Volks-
und Staatstums, sondern man berief sich auf ihren eigenen
innersten Wunsch, das Reich Palästina wieder herzustellen.
Dazu würden die Polen ihnen behilflich sein, wenn die Juden
zuvor sie bei der Wiederaufrichtung der Unabhängigkeit Polens
unterstützt hätten ! So kindisch auch diese Kombination uns
erscheint, sie machte damals einen bedeutenden Fortschritt
aus. War doch noch nach den Ereignissen von 1830 und 1831
der Ton der polnischen Presse ein durchaus antisemitischer
geblieben, hatte doch selbst ein so erlesener Geist, wie der große
nationale Dichter Mickiewdcz, in seinem bekannten ,, Pilger-
buche" von ,,der schmutzigen Seele der Juden", von ,, ihrer
niedrigen Gesinnung" gesprochen. Aber auch INIickiewicz
konnte sich in Paris der Überzeugung nicht entziehen, daß
Polen der Hilfe seiner jüdischen Bevölkerung bedürfe, und
verteidigte sie sogar gegenüber einem getauften Juden, dem
bei Czartoryski sehr einflußreichen Klaczko. Ja, unter Füh-
rung von Berüowski und Czynski, der nicht müde wurde, die
Sache der polnischen Juden in der deutschen und französischen
Presse zu verfechten, wurde in Paris ein polnisches ,, Komitee
Das Judentum in Polen unter Nikolaus I. 49
zur Erlangung der Emanzipation der Juden" gebildet, dessen
Ehrenvorsitz der greise General Lafayette übernahm. Es be-
stand freilich nicht lange, da Czynski sich in demokratischen
Umtrieben nicht genug tun konnte und deshalb von der
ängstlichen Regierung des Königs Ludmg Philipp ausge-
wiesen wTirde; mit seinem Fortgange erlosch das von ihm
ins Leben gerufene Komitee. Er veröffentlichte dann einen
Roman ,,Der Bauernkrieg", der sich auch mit der Juden-
frage befaßte. Es muß Czynski besonders hoch angerechnet
werden, daß er nicht nur theoretisch, daß er vielmehr auch
praktisch sich in judenfreundlichem Sinne betätigte, indem
er sich der nach Paris gekommenen israelitischen Emi-
granten annahm und sie dem Schutze des Fürsten Czarto-
ryski warm empfahl.
Die tiefgehende politische und soziale Bewegung übte auch
auf das innere Leben der polnischen Judenheit eine aufregende
und zerrüttende Wirkung. Mit großer Erwartung hatte man
dem Ergebnis der ersten Entlassung von Zöglingen des 1826
begründeten Warschauer Rabbinerseminars entgegen gesehen,
des Stolzes der Aufgeklärten unter den polnischen Israeliten,
auf das auch die Regierung große Hoffnungen gesetzt hatte.
Unglücklicherweise fiel jene in das Jahr 1831, und die Prüflinge
wandten sich allen möglichen Bestrebungen zu, nur nicht dem
Berufe, für den sie bestimmt gewesen. Freilich war dieses Er-
gebnis auch die Folge der ungeordneten, dilettantenhaften Art,
in der das Lehrprogramm des Seminars aufgestellt worden war :
man hatte hier eine theologische Akademie, eine Lehrerbildungs-
anstalt und ein Gymnasium in eins verbunden, und selbstver-
ständlich hatte die Zusammenschweißung so verschiedener Auf-
gaben in die Schüler eine große Unsicherheit und Zerfahrenheit
gebracht. Der erste Direktor, Eisenbaum, der diese Stellung
fünfundzwanzig Jahre hindurch bekleidete und sich übrigens
große Verdienste um die Organisation und äußere Leitung des
Seminars erwarb, war Laie in der Wissenschaft des Judentums
und dabei eifriger Anhänger und Verfechter der westeuropäischen
Kultur. Als solcher führte er einen unausgesetzten Kampf mit
der Orthodoxie der jüdischen Masse, einen Krieg, bei dem er
mit rücksichtsloser und verletzender Schärfe vorging. Er be-
Philippson, Neueste Geschichte der Juden, Bd. III. *
50 Das Judentum in Polen unter Nikolaus I.
ging unter anderem den Mißgriff, die Zöglinge seiner Anstalt
in eine Kleidung zu stecken, die der der katholischen Semi-
naristen glich — was ihn und das Seminar in den Verdacht der
Verleitung zum Abfalle brachte. Die Orthodoxen haßten des-
halb ihn und seine Anstalt auf das bitterste und brachten ihre
Klagen wiederholt an die Regierung. Sein Nachfolger wurde
1852 sein langjähriger Gegner, Tugendhold, ein bedeutender
jüdischer Gelehrter, der auch in deutscher Sprache ein Buch
gegen ,,den alten Wahn über den Blutgebrauch der Israeliten"
(Berlin 1856) geschrieben hatte. Ebenso hervorragend war
Tugendhold als Organisator und Pädagog, als welcher er sich
in der Begründung und Leitung der ersten von der Regierung
in Warschau gestifteten jüdischen Elementarschule, einer zehn-
klassigen Anstalt, bewährt hatte. Merkwürdigerweise änderte
Tugendhold, als er endlich den lange ersehnten Posten des
Seminar direktors erlangt hatte, wenig an dem von ihm so bitter
kritisierten allgemeinen Charakter der Anstalt. Allein er ver-
besserte deren innere Organisation in rationeller Weise, indem
er die drei verschiedenen Zwecke der Anstalt besser auseinander
hielt. Er behandelte die allgemeine Bildung in einem ein-
jährigem, grundlegenden Kursus; daran fügten sich einerseits
ein einjähriger Kursus für Lehrer und andernteils ein zwei-
jähriger für Rabbiner. Damit wurde die allgemeine Unter-
weisung geschlossener und vollständiger, wurde dann dem weiter-
strebenden Schüler die Wahl des Berufes freigestellt. Allerdings,
wirksam und befruchtend ist nur der allgemeine Bildung ge-
währende Grundkursus geworden. Man kann ohne Übertreibung
sagen, daß keine gebildete Familie in Warschau ohne Mitglie-
der gewesen ist, die ihre Kenntnisse, ihr Streben nach Auf-
klärung und Fortschritt, ihre gesellschaftliche Stellung mittel-
bar oder unmittelbar der Rabbinerschule verdankten. Die
Zahl ihrer Zöglinge betrug im Jahre 1853: einhundertundzehn.
Nur eines hat diese nicht erreicht: während der ganzen sechs-
unddreißig Jahre ihres Bestehens ist kein einziger Rabbiner
aus ihr hervorgegangen. Die Schuld an dieser auffallenden Tat-
sache liegt indes weniger an dem Rabbinerseminar als an dem
Unabhängigkeitsdrange der jüdischen Gemeinden, die keinen
von der Regierung ihnen aufgedrängten, sondern nur einen
Das Judentum in Polen unter Nikolaus I. 51
Rabbiner ihrer eigenen freien Wahl haben wollten. In den
jüdischen Gemeinden des Ostens ist der Rabbiner eben kein
Beamter, sondern der Vertrauensmann, der durch die Ge-
meindemitglieder als solcher erkoren und aufrecht erhalten
wird. Deshalb hat im eigentlichen Rußland, wo die Regierung
den Gemeinden einen Kronsrabbiner aufdrängte, dieser niemals
Einfluß gewonnen, in Polen aber, wo sie sich nicht direkt in
die Gemeindeverhältnisse einmischte, der auf der Regierungs-
schule gebildete Rabbiner überhaupt keine amtliche An-
stellung gefunden. Das Mißtrauen, das die Juden allem ent-
gegenbrachten, was von den ihnen feindlichen Staatsbehörden
ausging, war eben unüberwindlich.
Es war in der Tat nicht verwunderlich, daß die Juden
jede angebliche Bildungsförderung der Regierung mit Entsetzen
und Trauer aufnahmen, denn sie bedeutete für die armen darben-
den, von der Hand in den Mund lebenden Menschen immer
neue Belastung. Für die erst noch zu errichtenden Elementar-
schulen wurden 1844 die Beträge nicht etwa dem allgemeinen
Staatssäckel entnommen, sondern in Gestalt einer Korb- und
Lichtsteuer den ohnehin schon schwer geplagten Juden auf-
erlegt. Im Jahre 1853 gab es zu Warschau unter 116 Schulen
aller Art vier jüdische Elementarknabenschulen und eine Mäd-
chenschule. Aber sie waren schwach besucht: die ersteren
zählten zusammen nur 238, die Mädchenschule nur 96 Zög-
linge. Und das bei einer jüdischen Bevölkerung von mehr als
hunderttausend Seelen ! Jedenfalls mußte man für diese
Schulen auch jüdische Lehrer haben. So war 1844 den pol-
nischen Israeliten, die Gymnasialbildung besaßen, der Besuch
russischer Universitäten, der ihnen bisher untersagt gewesen,
gestattet worden; sie durften ebenfalls die Lehrerprüfung be-
stehen und dann jüdische Kinder auch in anderen Fächern als
in der Religion unterrichten. Damit aber die Bildung der Juden
sich nicht allzu sehr entmckele, legte die Regierung auf alle
jüdischen Bücher, die inländischen ebensowohl wie die aus-
ländischen, einen hohen Zoll — eine neue Bedrückung der
Armen gerade in dem, was ihnen das Heiligste war und den
einzigen Trost in ihrem Unglück bedeutete. Und da sollten sie
in der Regierung etwas anderes sehen als ihre unbarmherzige,
4*
52 Das Judentum in Polen luiter Nikolaus I.
stets auf neue Bedrückungen, Ausbeutungen und Demütigungen
ausgehende Feindin !
Einige Jahre nach Unterdrückung des Aufstandes — 1837 —
wurde die in Polen bestehende ,,Altgläubigen-Kommission",
das heißt die Zentralkommission für Judensachen, aufgelöst
und die Entscheidung aller die polnischen Israeliten betreffenden
Angelegenlieiten der ,, Kommission zur Ausarbeitung der Gesetz-
gebung" in St. Petersburg übertragen. Diese faßte dann Be-
schlüsse, die ganz der Gesinnung Nikolaus' I. würdig waren.
Zunächst schloß sie die polnischen Israeliten von allen Arten
öffentlicher Ämter aus, und zwar mit der tiefsinnigen Begrün-
dung, daß sie ja den von allenBeamten abzulegenden christlichen
Eid nicht leisten könnten, daß man aber einem jüdischen Eide
keinen Glauben schenken dürfe. Ebenso untersagte man ihnen
die Berufe des Rechtsanwalts, Apothekers und Architekten, um
ihnen merk-w^rdigerweise den des Arztes zu gestatten. Selbst-
verständlich ward dieser Erwerbszweig bald von Juden über-
füllt. Wenn man ihnen den Betrieb des Handels und des Hand-
werks erlaubte, so wurde doch auch er wesentlich eingeschränkt.
Unter anderem war es ihnen verboten, Spirituosen zu fabrizieren
oder zu verkaufen. Wenn man ihnen später (1844) das Schank-
recht in den Städten — nicht in den Dörfern und Flecken —
einräumte, so geschah es unter der Bedingung, daß diese Er-
laubnis jedes Jahr bestätigt werden müsse. Wirklich wurde
ihnen im Juni 1850 jeder Einzelverkauf geistiger Getränke in
Schenken oder im Handel wiederum verboten, nur der Engros-
handel blieb ihnen gestattet, von einer Tonne aufwärts. So
willkürlich schaltete die Regierung mit dem Broterwerb auch
der polnischen Israeliten ! Die jüdischen Handwerker waren
von den Zünften ausgeschlossen. Und doch gab es Handwerke,
die fast gänzlich in den Händen der Juden lagen, \\ie die der
Glaser, Klempner, Schuhmacher und Schneider. Die Juden
hatten außer den allgemeinen Steuern und Abgaben noch be-
sondere zu entrichten, wie die Billett- und Koscherfleisch-, die
Licht- und die Korbsteuer. Während die Schulen der Griechisch-
Unierten und der Evangelischen aus den staatlichen Fonds
bezahlt "v^-urden, mußten die Juden ihre Staatsschulen selber
unterhalten. Was aber die Juden besonders schmerzte und von
Das Judentum in Polen unter Nikolaus I. 53
ihnen als tiefste, unverdiente Demütigung bitter empfunden
wurde, war das Gesetz, das ihnen verbot, gegen Christen in
Kriminalsachen und in notariellen Akten als Zeugen aufzu-
treten; auch durften sie die Vormundschaft über christliche
Kinder nicht übernehmen. Ein weiterer Akt der Feindseligkeit
gegen das Judentum war die besondere Gunst, deren sich ge-
taufte Juden seitens der Regierung erfreuten, wozu gehörte,
daß sie vom Militärdienste befreit waren — eine Bevorzugung,
die erst im Jahre 1870 ihnen genommen worden ist. So wurde
der Jude grundsätzlich als ein Mensch niederer Ordnung be-
handelt und nur mit Unmllen geduldet, da man ihn nicht ge-
radezu ausrotten konnte. Es ist wahrlich nichts Geringes, daß
die polnische Judenheit dieser systematischen Herabsetzung
und Bedrückung Widerstand geleistet und sich, trotz einzelner
Abtrünniger, doch im ganzen fest und unerschütterlich be-
hauptet hat.
Die Angelegenheiten der jüdischen Gemeinde Avurden in
Polen durch den sogenannten Gebethausvorstand geleitet, der
später den Namen Jüdische Gemeindeverwaltung erhielt.
Während also im eigentlichen Rußland diese von den Staats-
behörden an sich gerissen war, bewahrte sie in Polen den
Charakter der Selbständigkeit. Sie bestand aus einem Rabbiner
und drei, in je drei Jahren neu zu wählenden Gemeindemit-
gliedern. Es geschah zumal in der Warschauer Gemeinde
manches Gute und Nützliche: so 1840 die sehr notwendige
Gründung einer ,, Handwerker schule für unvermögende Juden".
Allein im ganzen Tvoirde die öffentliche Tätigkeit durch die
stete Fehde zwischen den Aufklärern und den Orthodoxen
brach gelegt, die unausgesetzt wütete und die besten Kräfte
in unfruchtbarster Weise aufbrauchte.
Das Bild des jüdischen Lebens in Polen würde unvoll-
ständig bleiben ohne Anführung der Ackerbaukolonien, die sich
von jeher der Gunst und Förderung seitens der polnischen und
später der russischen Regierung erfreut haben. Schon unter
dem letzten nationalen König Stanislaus Poniatowski wurde
eine solche Kolonie, Pschikalety, gegründet. Die Konstitution
des Jahres 1775 traf dann die grundsätzliche Verfügung, daß
die Juden im ganzen Reiche sich auf königlichen und kirch-
54: Das Judentum in Polen tmter Nikolaus I.
liehen Grundstücken ansiedeln dürften, wobei ihnen der Boden
zu ewigem Besitztum überlassen und auf drei bis sechs Jahre
Steuerfreiheit bewilligt wurde. In Übereinstimmung hiermit
erließ der Statthalter für das Königreich Polen 1823 ein Gesetz,
wonach die Juden behufs des Ackerbaues Grundstücke in Erb-
pacht nehmen dürften, mit unbeschränkter Steuerfreiheit. Alle
diese Begünstigungen blieben leider ohne erwähnenswerten Er-
folg — die Juden konnten sich zu der ihnen ungewohnten Land-
arbeit nicht entschließen. Hochherzige Glaubensgenossen
suchten durch eigene Initiative und durch Wohltätigkeit dem
Mangel abzuhelfen: so siedelte Leib Sper jüdische Familien
auf von ihm gepachteten Boden an, so S. Posner 31 Familien
auf seinem Gute Kuchary. Indes größeren Umfang nahm die
Kolonisation erst durch den Ukas vom Jahre 1843 an, der den
Juden freistellte, sich auf den dem Staate gehörenden Grund-
stücken niederzulassen und denjenigen, die dort wirklich Acker-
bau trieben, Militärfreiheit gewährte. Freilich waren daran,
wie immer in Rußland, gewichtige Bedingungen geknüpft : jede
jüdische Familie erhielt nur so viel Land, wie sie selber zu be-
bauen vermochte, im Verhältnis zu den Geldmitteln, die sie
ihrer Wirtschaft zu widmen imstande war; auch durften die
Kolonisten ihre Anteile in keiner Weise parzellieren oder ver-
äußern, und ebensowenig andere Gehilfen als aus ihren Glaubens-
genossen anstellen oder beschäftigen. Wenn die Kolonien aus
mindestens vierzig Seelen bestanden, lief die Militärfreiheit
fünfzig Jahre; w^enn aus mindestens zwanzig, fünfundzwanzig
Jahre. Vorzüghch diese Aussicht auf Befreiung von der im da-
maligen Rußland so furchtbaren und für die Israeliten noch be-
sonders schweren Last des Soldatentums bewog eine Anzahl
von Juden, sich dem Ackerbau zu widmen. Um das Jahr 1860
enthielten die jüdischen Ackerbaukolonien 345 Familien mit
1927 Seelen — allerdings eine verhältnismäßig recht geringe
Menge, die an der allgemeinen sozialen und ökonomischen
Lage der polnischen Judenlieit nichts Wesentliches zu ändern
vermochte.
So sah es mit dem jüdischen Leben in Polen unter Nikolaus I.
aus — leider auch mit mehr Schatten- als Lichtseiten. Unter
der schweren Last der Unduldsamkeit der christlichen Bevölke-
Das Judentum in Polen unter Nikolaus I. 55
rung, unter steten Bedrückungen und Demütigungen seitens
der Regierung, unter dem Vorherrschen eines dumpfen Fana-
tismus und einer durch das Mißtrauen gegen jede reformatorische
Maßregel gewährten Bildungsfeindschaft vegetiert diese Masse
dahin, immer mehr körperlicher und auch seelischer Depression
verfallend.
Da trat die Regierung Alexanders II. ein, Licht und Wärme
verbreitend, der trüben Vergangenheit eine hellere Zukunft
entgegenstellend. Sie regte auch die Juden Polens zur Tätig-
keit, Bewegung, Fortschritt an; sie eröffnete auch für diese
eine neue Ära.
Neuntes Buch.
Alexander II. der Befreier.
Kapitel Eins.
Verheißungsvoller Anfang der Regierung
Alexanders 11.
J\.\s Alexander II. den russischen Thron bestieg, stand er
in der Vollkraft des Lebens; er zählte siebenunddreißig Jahre.
Er bedurfte großer Stärke des Charakters und der Intelligenz,
um die schlimmen Folgen des väterlichen Regimentes zu be-
seitigen, das im Inneren einen völligen Verfall des Staates, des
Beamtentums, des Wohlstandes, nach außen die schlimmste
Demütigung, den Sturz von der erträumten Höhe gezeitigt hatte.
Nun fehlte es Alexander weder an der Einsicht in die Ur-
sachen, die jene traurigen Ergebnisse herbeigeführt hatten,
noch an dem aufrichtigen Willen, ihnen abzuhelfen. Was ihm
mangelte, war die Schärfe des Denkens und die unbeugsame
Kraft des zielbewußten Willens.
Der Zar hatte in seiner Jugend die Unterweisung und die
Anregungen des edlen und frei denkenden Dichters Schukowski
erfahren; auf zahlreichen Reisen hatte er seinen Gesichtskreis
erweitert, die Leiden des russischen Volkes und die üblen Wir-
kungen des Nikolaischen Zwangssystems kennen gelernt. So
war er im Verhältnis zu seiner Zeit und seinen Umgebungen
ein wahrhaft liberaler Fürst geworden, der es zu seiner Aufgabe
machte, sein weites Reich zum besseren umzugestalten, ihm
Leben und Bewegung zu verleihen, die Übel des russischen
Staates und Wesens an der Wurzel zu fassen und durch an-
gemessene Reformen zu beseitigen. Aufrichtig fromm, hegte er
doch starke Abneigung gegen den ,, Pfaffenzopf", die kirchliche
Unduldsamkeit. Er war ein gemütvoller, wohlwollender, nach
innen gerichteter Mensch — aber nicht in sich gefestigt, viel-
mehr allen inneren und äußeren Affekten und augenblicklichen
60 Verheißungsvoller Anfang der Regierung Alexanders II.
Anregungen zugänglich. So gab es bei ihm keine Bürgschaft
für eine dauernde konsequente durchgreifende Ausführung
der von ihm als richtig und notwendig erkannten Reformen.
Alexander II. war auf die Länge der ungeheuren Last, mit der
Rußland auf ihn drückte, nicht gewachsen.
Zunächst ging er mit frischem Wollen an das Werk der
grundstürzenden Umänderungen. ,,Die Revolutionen von oben",
sagte er, ,,sind fester und dauerhafter als die von unten". Er
gedachte, die Zustände seines Reiches den in Westeuropa und
zumal im damaligen Frankreich herrschenden nachzubilden.
Er verminderte sogleich nach seiner Thronbesteigung und nach
dem Abschlüsse des Pariser Friedens das Heer, so daß zwei-
malhunderttausend Soldaten dem bürgerlichen Leben zurück-
gegeben wurden, befreite sein Volk auf vier Jahre von der
Rekrutierung, erließ 24 Millionen Steuerrückstände, erteilte
eine Amnestie für die wegen des Aufstandes von 1825 Ver-
urteilten, milderte die Strenge der Zensurvorschriften, so daß
eine russische Presse sich entwickeln konnte, und förderte das
tief daniederliegende Volksschulwesen. Er ließ zahlreiche
Eisenbahnen bauen, nicht nach der Schnur, wie sein Vorgänger,
sondern mit sorgfältiger Berücksichtigung der wichtigeren
Städte. Die Anlage dieser Bahnen, für die man der Ingenieure,
Eisen-, Waggon- und ähnlicher Manufakturen bedurfte, rief
eine große materielle und geistige Bewegung hervor. Sein
größtes Verdienst aber war die, im Gegensatze zu Adel und
Beamtentum, im Jahre 1861 durchgeführte Aufhebung der
Leibeigenschaft der Bauern; 23 Millionen Menschen wurden so
mit einem Schlage aus Sklaven zu Freien gemacht — eine
herrliche Tat, die ihresgleichen nicht in der Weltgeschichte
besitzt, und die allein genügen würde, um diesem Herrscher
die ewige Dankbarkeit der ]Menschheit zu sichern. Dann kamen
weitere freiheitliche Maßregeln: 1862 die regelmäßige Veröffent-
lichung des bisher sorgsam geheim gehaltenen Reichsbudgets,
das seitdem der öffentlichen Kritik unterlag; 1864 und 1870
die gründliche und volkstümliche Reform der Rechtspflege.
Die richterliche Gewalt wurde von der Verwaltung vöUig ge-
trennt und unabhängig gestellt. Der Zar führte Friedensrichter
und für die Kriminalfälle Geschworenengerichte ein mit öffent-
Verheißungsvoller Anfang der Regierung Alexanders II. 61
lichem Verfahren und mündlicher Verhandlung — ein unge-
heuerer Fortschritt gegenüber der bisherigen Willkür nach unten
tyrannischer, nach oben durchaus abhängiger Beamten. Auch
die lokale Selbstverwaltung erhielt ihren Anteil. Das Gesetz
schuf freie städtische und, in den Kreistagen, ländliche Selbst-
verwaltungskörperschaften. Darüber standen die Provinzial-
semstwos, die aus Delegierten der Kreistage sowie den Ver-
tretern der Großgrundbesitzer, der Bürger und Bauern sich
zusammensetzen ; freilich galten diese freiheitlichen Institutionen
nur für das eigentliche Rußland, die großrussischen Gouverne-
ments.
Die nationalistische und unduldsame Politik Nikolaus' I.
ward bewußt verlassen. Bei dem Eingehen gemischter Ehen
fiel das bisher obligatorische schriftliche Versprechen, die Kinder
in dem griechischen Bekenntnis zu erziehen, fort. Ebenso das
Verbot an lutherische Prediger, Rücktritte von bekehrten
Lutheranern zu ihrem früheren Glauben anzunehmen; die
deshalb verurteilten Prediger wurden amnestiert.
Die allgemeinen Reformen, die Alexander II. einführte,
mußten selbstverständlich auch auf die Lage der russischen
Juden einen günstigen Einfluß ausüben. Der Zar wandte diesem
Teile der Bevölkerung sogar sein besonderes Augenmerk zu,
da er dessen Bedeutung für die gesamten Zustände seines Reiches
sehr Avohl erkannte. Freilich eine Gleichstellung der Juden
beabsichtigte er zunächst nicht. Auch er befand sich, der An-
schauungen selbst der Liberalen unter den damaligen Russen
entsprechend, in dem verhängnisvollen Irrtume, man müsse
die Juden zuerst aufklären und geistig und moralisch heben,
ehe man ihnen dieselben Rechte verleihen dürfe, wie den übrigen
Staatsbürgern. Sein Minister des Innern, Graf Lanskoi, stellte
als Ziel hin, daß die russischen Israeliten sich, wie in West-
europa und zumal in Frankreich, in Sitten und Gewohnlieiten
der anderen Bevölkerung völlig assimilieren müßten, Avie denn
in Frankreich die Bezeichnung ,,Jude" verschwunden sei und
man dort nur von ,, Franzosen jüdischen Glaubens" spreche.
Der Minister vergaß, ebenso wie der Zar, daß diese Anpassung
der Juden an die übrigen Franzosen nicht die Ursache, sondern
die Folge ihrer gänzlichen Emanzipation gewesen war !
62 Verheißungsvoller Anfang der Regierung Alexanders II.
Sonst begannen bald nach dem Ende des Krimkrieges die
Verbesserungen in der Lage der Juden. Alexander II. ernannte
einen feingebildeten Staatsmann, der früher Gesandter in Paris
gewesen war und dort die westeuropäische Zivilisation gründ-
lich kennen gelernt hatte , den Grafen Nikolai Kisselew , zum
Vorsitzenden der ,, Kommission zur Organisierung des Juden-
wesens", die man kurz als ,, Judenkommission" bezeichnete.
Kisselew erstattete 1856 dem Kaiser einen Bericht, der hervor-
hob, daß dem schon von Nikolaus angestrebten Ziele der An-
passung der Juden an die russische Bevölkerung nichts mehr im
Wege stehe, als die zahllosen Ausnahmegesetze, die häufig mit-
einander in Widerspruch sich befänden und zu zahllosen Mißver-
ständnissen und Mißbräuchen Anlaß gäben. Die Presse forderte
nachdrücklich die Errettung der Juden aus ihrer gedrückten
Lage. Als eine Zeitung, die ,,Illustrazya", die russischen Israe-
liten heimtückisch angriff, veröffentlichten die angesehensten
russischen Schriftsteller einen lebhaften Protest gegen ,, diese
empörende Tatsache", im Namen ,, aller gebildeten Christen".
Zu den Unterzeichnern gehörten auch Aksakow und Katkow,
die später aus nationalistischen Rücksichten grundsätzliche
Gegner der Juden geworden sind.
Der Zar entsprach lediglich den Gesichtspunkten, die Kis-
selew aufgestellt hatte. Er befahl der Kommission, ,,alle die
die Juden betreffenden Bestimmungen einer neuen Sichtung
zu unterwerfen, damit sie der allgemeinen Absicht der Assimi-
lierung dieses Volkes mit den Ureinwohnern entsprächen, soweit
der moralische Zustand dieses Volkes es erlaube." Hierunter
verstanden der Zar und seine Ratgeber den vermeintlichen
religiösen Fanatismus der Juden und ihre angebliche ökono-
mische Schädigung der christlichen Bevölkerung.
Auf diese Weise waren aber von vornherein der Tätigkeit
der Kommission enge Grenzen gezogen; es konnte sich nicht
um eine umfassende Reform, sondern nur um einzelne Ver-
besserungen für das Leben der Juden handeln. Als der General-
gouverneur von Neu-(Süd-)Rußland, Stroganow, in einem
Berichte an den Minister des Innern, Lanskoi, für die Not-
wendigkeit einer völligen Emanzipation der Juden eintrat und
sich dabei mit Recht auf das schlagende Beispiel von West-
Verheißungsvoller Anfang der Regierung Alexanders II. 63
europa berief, wurde sein Vorschlag von der Judenkommission
zurückgewiesen (1859). Diese Gleichstellung mit der übrigen
Bevölkerung, ermderte sie, könne nur allmählich geschehen,
in dem Maße, wie die echte Aufklärung bei den Hebräern Platz
greife, ihr inneres Leben umgestalte und ihre Tätigkeit auf
nützliche Berufe lenke; und der Kaiser schrieb eigenhändig an
den Rand: ,, Vollständig richtig".
Es war im Grunde dasselbe verhängnisvolle Mißverständnis,
das schon unter Nikolaus I. vorgewaltet hatte: daß man eine
unterdrückte und mißhandelte Volksklasse durch Zwang zur
inneren Freiheit erziehen könne. Nur der wahrhaft Freie kann
die Tugenden der Freiheit erlernen.
Immerhin gab es den Unterschied, daß Alexander II.,
Kisselew und Lanskoi keine finsteren Despoten waren, wie
Nikolaus I., sondern wohlwollende und gütig empfindende
Menschen. Und so besserte sich doch die Lage der Juden in
wichtigen Einzelheiten.
Tief einschneidend waren zunächst die Änderungen in dem
Rekrutierungswesen, durch das Nikolaus I. die Juden in aus-
gesucht grausamer, unmenschlicher Weise gepeinigt hatte.
Man hatte, wie erwähnt, anstatt 7 auf 1000 Seelen bei den
Christen, bei den Juden 10 auf 1000 ausgehoben, auch nicht
aller zwei Jahre wie bei jenen, sondern jedes Jahr. Unmündige
Juden waren zu Soldaten genommen, was bei den Christen
nicht geschah. Für nicht einlaufende Steuern wurden von den
Juden überzählige Rekruten eingezogen. Für jeden fehlenden
jüdischen Militärpflichtigen A\Tirden drei in das Heer gesteckt.
Die Juden konnten normalerweise eine so hochgeschraubte Zahl
von Rekruten gar nicht liefern und stellten dafür häufig Kinder
und Krüppel. Um diesem Mißstande abzuhelfen, hatte Niko-
laus ein neues Gesetz erlassen, wonach es den Juden erlaubt
wurde, als Ersatz sogenannte ,, Gefangene" zu stellen, das heißt
ohne Paß lebende Glaubensgenossen. So bildete sich in jener
Zeit eine besondere Kategorie von Juden, die sogenannten
„Fänger", die sich damit beschäftigten, die des Passes ent-
behrenden Israeliten aufzuspüren und so lange zu jagen, bis sie
solche aufgriffen und für gewichtige Belohnung an die Interes-
sierten ablieferten. Außerdem wurde es den jüdischen Ge-
64 Verheißvings voller Anfang der Regierung Alexanders II.
meinden gestattet, diejenigen ihrer Mitglieder, die sie für „laster-
haft" hielten, ohne jedes gerichtliche Verfahren zur Rekrutierung
abzuschieben; hierfür bekamen sie oft noch eine Belohnung
bis zu 150 Rubel für den Mann. Dieses ganze System, für
das Heer selbst schädhch und entehrend, mußte selbstver-
ständlich auf die Juden eine äußerst demoralisierende Wir-
kung ausüben, Niedrigkeit der Gesinnung, Denunzianten-
tum, Gewaltsamkeit, Selbstsucht hervorbringen und ent-
%A'ickeln. Zumal die Vorsteher der Gemeinden, meist ver-
mögende und einflußreiche Männer, mißbrauchten ihre Macht,
um ihre Verwandten, Freunde und Klienten durch den Fang
solcher Ersatzleute vor demjenigen, was mit Recht von den
Juden als das schrecklichste Übel angesehen -svurde, nämlich
dem damaligen langjährigen russischen JNIilitärdienst, zu be-
wahren. Die ganze furchtbare Last fiel demnach auf die ärmste
und deshalb wehrlose Klasse der jüdischen Bevölkerung. Allen
diesen empörenden Ungerechtigkeiten machte Alexander II.
schon im Jahre 1856 durch Aufhebung aller gegen die Juden
in Betreff der Heerespflicht bestehenden Ausnahmebestim-
mungen ein Ende. Auch die Unterbringung jüdischer Kinder
in die Soldatenschulen, wo sie ihren Familien und dem väter-
lichen Glauben entzogen worden waren, fiel fort. Damit war
von den Juden der schwerste und am schmerzlichsten emp-
fundene Druck genommen. Sie atmeten erleichtert auf, unend-
liche Freude und Dankbarkeit gegen den ,, Zar-Befreier" erfüllte
sie. Achtzehn Jahre später WTirde dann die allgemeine Wehr-
pflicht und der kurz jährige Heeresdienst eingeführt, wobei
vollends die jüdische Bevölkerung der übrigen in dieser Hin-
sicht dauernd gleichgestellt ward.
Inzwischen (1860) war den Israeliten auch der Eintritt in
die Garde, aus der sie — wie in Preußen unter Friedrich Wil-
helm III. — ausgeschlossen gewesen, gestattet.
Eine mindestens ebenso x^ichtige Frage war die des Nieder-
lassungsrechtes der Juden. Kein Umstand behinderte so den
Aufschwung ihrer ökonomischen und geistigen Tätigkeit sowie
ihrer sozialen Geltung, wie ihre erbarmungslose Einpferchung
in die Enge des Ansiedlungsrayons. Das einfachste und segens-
reichste wäre die Gewährung voller Freizügigkeit an die Israeliten
Verheißungsvoller Anfang der Regierung Alexanders II. 65
gewesen. Allein zu einer so umfassenden Maßregel konnten sich
Leute nicht aufschwingen, die der Ansicht waren, man dürfe
den Juden nur insoweit Menschenrechte bewilligen, wie sie
solche ,, verdienten". Alexander II, selber wollte gerade hier
nur von einzelnen Verbesserungen, nichts von einer durch-
greifenden Umgestaltung hören. Er befürchtete die Ausbeutung
des trägen und geistig beschränkten russischen Volkes durch
die gewitzteren und tätigeren Juden. Als der Generalgouverneur
von Neurußland, Stroganow, den wir schon als aufgeklärten
Verfechter der Emanzipation kennen, in einem Berichte an den
Kaiser die Gewährung der Freizügigkeit als die Grundbe-
dingung für jede wahre Hebung der Lage der Juden bezeichnete,
bemerkte jener dazu eigenhändig (1863): ,,Ich bin damit absolut
nicht einverstanden." Er hielt noch an der Sonderung der
Juden in , »nützliche" und ,, unnütze" fest; nur die ersteren
dürfe man fördern — eine Anschauung, die sogar von ein-
zelnen Juden geteilt und leider in einer Eingabe an die
Regierung 1856 betont wurde.
Allein die hberale Richtung und die assimilatorischen Be-
strebungen der leitenden Kreise gewährten doch einzelnen
Kategorien unter den Juden wichtige Zugeständnisse. Zunächst
hob der Zar den Ukas auf, der den Juden den Aufenthalt in
dem Grenzdistrikte von fünfzig Werst Breite verboten hatte,
und erweiterte dadurch den Ansiedlungsrayon. Bisher war es
den Hebräern ohne allen Unterschied verwehrt gewesen, außer-
halb dieses Rayons sich dauernd niederzulassen oder selbst nur
längere Zeit hindurch Aufenthalt zu nehmen; sie durften im
übrigen Rußland nur kurze Reisen zu einem ganz bestimmten
Zwecke und mit ausdrücklicher polizeilicher Erlaubnis unter-
nehmen. Das wurde nunmehr anders, als dies Verbot für be-
stimmte ,, nützliche" Klassen der jüdischen Bevölkerung auf-
gehoben ward.
Zunächst für die Kaufleute erster Gilde. Es gibt nämlich
in Rußland drei ,, Gilden" (Klassen) von Kaufleuten: solche,
die tausend Rubel jährlicher Patentsteuer zahlen, gehören zur
ersten; die fünfhundert Rubel, zur zweiten; die zweihundert,
zur dritten. Der Finanzminister Reitern hatte die Zulassung
aller jüdischen Kaufleute in ganz Rußland gefordert. Aber
Philippson, Xeuest© Geschichte der Juden, Bd. III. ^
66 Verheißvmgsvoller Anfang der Regierung Alexanders II.
Alexander II. war nur für eine beschränkte Zulassung zu
haben. Die jüdischen Kaufleute erster Gilde sollten fürderhin
in ganz Rußland wohnen dürfen, mitsamt ihren Familien, Be-
diensteten und Handelsangestellten (1859); ihnen wurden die
ausländischen Großkauf leute gleichgesetzt, allerdings nur mit
jedesmaliger Genehmigung des Älinsters des Innern. Zwei-
tens erhielten dasselbe Recht die Doktoren der Medizin und
Chirurgie so\A'ie sämtliche akademisch Gebildete mit Doktor-
und Magistertitel. Diese Begünstigung wurde später auf die
Absolventen der technischen Hochschulen sowie auf die Ärzte
ohne Doktortitel ausgedehnt, und alle diese Kategorien durften
selbst nebenbei auch Handelsgeschäfte treiben — eine Be-
stimmung, die von großer Bedeutung wurde, da viele Juden
das Universitäts- oder polytechnische Studium absohierten,
um dann außerhalb des Rayons sich dem Handel oder der In-
dustrie widmen zu können. — Die dritte und zahlreichste
Kategorie der Bevorrechteten bildeten die Handwerker. Die
meisten Generalgouverneure und auch die Minister Reitern
und Waluwjew verlangten die Freizügigkeit für die jüdischen
Handwerker. Es gäbe jüdische Meister, die ganz ausgezeich-
nete Arbeit heferten; nur die übermäßige Konkurrenz inner-
halb des Rayons zwänge die überwiegende Mehrzahl der
jüdischen Handwerker zu bilhger Schleuderarbeit. Die ge-
waltige Anhäufung der Juden in einigen Gouvernements sei
überhaupt die eigentliche Ursache ihres materiellen Elends
und ihrer seehschen Schäden. Gerade für die christHche Be-
völkerung werde die Heranziehung der unternehmenden Juden
segensreich wirken. Diese ganz richtigen und zutreffenden
Darlegungen veranlaßten den Zaren zu Verfügungen zu
gunsten wenigstens der jüdischen Handwerker. Sie erhiel-
ten 1865 das Recht, ihren Beruf in ganz Rußland frei aus-
zuüben. Die Beweggründe, aus denen der Gesetzgeber diese
Verfügung traf, finden sich in deren Motivierung klar aus-
gedrückt: nicht nur sollte der Abzug zahlreicher Handwerker
aus dem Rayon, wo deren Zusammenpferchung mit christlichen
wie jüdischen Berufsgenossen durch die übergroße Konkurrenz
schwer geschädigt und den Arbeitslohn wie die Preise auf ein
Minimum herabgedrückt hatte, hierin eine Besserung herbei-
Verheißungsvoller Anfang der Regierung Alexanders II. 67
führen, sondern es sollte auch dem Mangel an Handwerkern
in mehreren innerrussischen Gouvernements abgeholfen werden.
Um das Können unter den jüdischen Handwerkern zu heben,
sie zur Anfertigung guter und solider Erzeugnisse zu befähigen,
wurden jüdische Handwerkerschulen in Schitomir und Odessa
begründet. Leider war die Wirkung aller dieser wohlgemeinten
Maßregeln nur eine sehr beschränkte. Der großen INIehrheit der
jüdischen Handwerker fehlten die materiellen Mittel, um nach
einem neuen Wohnorte überzusiedeln und dort sich einen
Wirkungskreis zu schaffen. Ferner gewährte das Gesetz den
jüdischen Handwerkern nur einen ,, zeit weiligen" Aufenthalt
in den Gouvernements des Innern und verbot ihnen den end-
gültigen Übertritt in die Gemeinde ihres neuen Wohnortes.
Sie waren also jeden Augenblick in Gefahr, wieder in ihre alte
Heimat abgeschoben und damit geschäftlich zugrunde gerichtet
zu werden. Diese Betrachtung hielt die ungeheure Mehrheit
der jüdischen Handwerker des Rayons davon ab, durch Über-
siedelung in das Innere ihrer traurigen Lage aufzuhelfen. So
blieben bei weitem die meisten in ihrem bisherigen Wohnorte
sitzen und fuhren fort, sich für eilige Schleuderarbeit mit dem
geringsten Lohn zu begnügen, sich und andere elend zu machen.
Durch die materielle Lage der Juden und durch die Schuld
des Gesetzes selbst verlor dieses den größten Teil der erhofften
Wirksamkeit. Im ganzen gründeten die Juden bis zum Ende
der Regierung Alexanders II. außerhalb des Rayons 682 Werk-
stätten. Die unter Alexander III. eintretende Reaktion mit
ihren polizeilichen Quälereien der Juden hat dann die Bewegung
fast ganz zum Stillstande gebracht.
Eine vierte Kategorie der Bevorrechteten waren die aus-
gedienten Soldaten unter den Juden, denen nunmehr, im Gegen-
satze zu den Zeiten Nikolaus' I., gestattet wurde, in jedem be-
liebigen Teile Rußlands ihren Wohnsitz zu nehmen (1867).
Allerdings hatte Alexander IL erst nach einigem Zögern sich
zu dieser Maßregel verstanden.
Der liberale Zug zeigte sich auch in Einzelbestimmungen
aus dieser Zeit. Die Ghettos in Kowno, Schitomir, Kamenietz-
Podolski, Wilna wurden beseitigt. Bisher war den Juden
sogar der vorübergehende Aufenthalt in der ,, heiligen" Stadt
5*
68 Verheißiongsvoller Anfang der Regierung Alexanders II.
Kiew verboten gewesen. Im Dezember 1861 stellte ein be-
sonderes Gesetz den unbestraften jüdischen Kaufleuten aller
drei Gilden die ständige Niederlassung, den übrigen Juden
den zeitweiligen Aufenthalt in Kiew frei, wenn letztere da-
selbst Geschäfte zu betreiben oder ärztlichen Rat in An-
spruch zu nehmen hatten. Selbst das noch ,, heiligere"
Moskau, der Sitz des Altrussentums, wurde bereits 1856 den
jüdischen Reisenden zu geschäftlichen Zwecken eröffnet. In
Petersburg petitionierten die christlichen Kaufleute erster
Gilde in ihrem eigenen Interesse und dem des Verkehrs um
Zulassung der jüdischen Händler und um die Genehmigung,
daß sie selber jüdische Kommis anstellen dürften. Die jü-
dischen Verschickten nach Sibirien durften sich dort, seit
1860, niederlassen. Auf der anderen Seite wurde auf Ver-
anlassung der ,, Judenkommission" den Juden gestattet, christ-
liche Arbeiter und Handlungsgehilfen zu beschäftigen; frei-
lich, christliche Dienstboten durften sie nicht halten. Endlich
stellte man es 1862 den Juden frei, von Adligen Landgüter
anzukaufen und Großgrundbesitzer zu werden. Auf Ver-
anlassung Kisselews wurde sogar den akademisch gebildeten
Juden der Staatsdienst unbeschränkt eröffnet: ein Fort-
schritt, dessen ihre preußischen Glaubensgenossen noch nicht
teilhaftig geworden waren. Mehrere Juden gelangten in hohe
Stellungen. Auch jüdische Ingenieure durften bald in den
Staatsdienst eintreten. Ebenso erhielten Juden die Bestallung
als Konsuln auswärtiger Staaten. Jüdischen Ärzten wurde ,,zur
Belohnung ihrer aufopfernden Tätigkeit" der Stanislausorden
dritter Klasse verliehen. Israeliten, die ein Lehramt ausübten,
wurden steuerfrei und für dekorationsfähig erklärt.
Überhaupt war es das rühmliche Bestreben Alexanders II.
und seiner Ratgeber, der jüdischen Intelligenz die Wege zu
ebnen. Eine Verfügung der Judenkommission vom Jahre
1859 verpflichtete die jüdischen Gildekauf leute und Ehren-
bürger, ihre Kinder in Staatsschulen ausbilden zu lassen. Es
wurden im selben Jahre, um Juden zum Eintritte in das Tecli-
nologische Institut zu veranlassen, dort fünf Stipendien für
solche gestiftet ; und ähnliche Einrichtungen wurden dann über-
haupt von den höheren Staatsschulen getroffen. Die Regierung
Verheißtmgs voller Anfang der Regierung Alexanders II. 69
begriff auch endlich den wahren Grund des geringen Erfolges,
den ihre jüdischen Elementarschulen bei dieser Glaubens-
genossenschaft gehabt hatten; daß er nicht sowohl in deren
Abneigung gegen die Bildung, als in dem meist durchaus gerecht-
fertigten Mißtrauen lag, das sie den von der Nicolaischen Ver-
waltung ernannten, gänzlich ungeeigneten christlichen Direk-
toren und Inspektoren entgegenbrachten. Man ersetzte deshalb
die letzteren zum großen Teile durch Juden, deren Wahl man
überdies den betreffenden israelitischen Gemeinden anvertraute.
Diese Maßregel bewährte sich in unerwartetem Maße: die
jüdischen Kinder füllten bald in Menge die bisher verödeten
Schulräume.
Allgemein ergriff die starke Sehnsucht nach Bildung und
Aufklärung, die sich damals, unter dem Hauche eines liberalen
Geistes in den höchsten Regionen des Staatslebens, bei der
ganzen städtischen Bevölkerung geltend machte, auch die
intelligente russische Judenheit. Ihre Kinder drängten sich
nicht nur in die jüdischen, nein noch mehr in die allgemeinen
Staatsschulen, sobald ihnen dies in ausgiebiger Weise gestattet
war. Im Jahre 1853 hatte es auf den Gymnasien und Pro-
gymnasien nur 159 Juden gegeben; 1863 waren ihrer schon
423; 1864 aber 1561 und 1873 gar 6521. Die Regierung war
von diesen Ergebnissen um so mehr befriedigt, als die in gleichem
Maße anwachsende Zahl jüdischer Schülerinnen den Beweis er-
brachte, daß es den jüdischen Eltern mrklich um die geistige
Entwicklung ihrer Kinder, nicht aber ausschließlich um die
mit den höheren Bildungsgraden verbundenen materiellen Vor-
teile zu tun war — ein Vorwurf, der ihnen freilich in späterer
Zeit, als die Regierung anderen Tendenzen huldigte, nicht er-
spart blieb. In jener Auf klär ungsepoche aber hielten die maß-
gebenden Kreise die Assimilierung der Juden schon für so weit
vorgeschritten, daß sie die besondereren jüdischen Schulen als
überflüssig betrachteten und im Jahre 1874 aufhoben. Das war
allerdings ein Irrtum, da weite Kreise unter den russischen
Israeliten noch ihre Kinder nur von Glaubensgenossen unter-
richtet sehen wollten, und so mußten die besonderen jüdischen
Schulen allmählich wieder eingeführt werden. Die Juden blieben
eben nach wie vor Gegenstand unaufhörlichen und rücksichts-
70 VerheißxingsvoUer Anfang der Regierung Alexanders II.
losen Experimentierens, das ihre Zustände und Empfindungen
jeder Stätigkeit beraubte.
Schon unter Nikolaus I. waren die ,,Chedarim" und die
Talmud-Thora-Institute ein Dorn im Auge der Regierung ge-
wesen, und so blieb es unter Alexander II. Man kann ihr darin
nicht unrecht geben, und doch entsprechen diese Anstalten
allzu sehr den Bedürfnissen und Neigungen der armen, nur in
ihrer Religion lebenden jüdischen Volksklassen, als daß man
sie hätte beseitigen dürfen, ohne dafür einen entsprechenden
Ersatz zu schaffen. Der Glieder war eine elementare Religions-
schule, wo die Kinder vom Alter von vier Jahren an in Religion,
Hebräisch und einiger Bibelkenntnis unterrichtet wurden. Die
Schüler wurden am Morgen dorthin gebracht, mittags nach
Hause geholt und dann für den Nachmittag wieder dahin ge-
führt. So blieben sie beinahe den ganzen Tag im Cheder, und
die Eltern aus den schwer für ihr Brot arbeitenden Ständen
waren glücklich, ihre Kinder sicher aufgehoben zu wissen. Sie
kümmerten sich herzlich wenig um die pädagogischen, \\dssen-
schaftlichen und moralischen Qualifikationen der Lehrer, der
sogenannten Melamdim, die auch wirklich das ihnen entgegen-
gebrachte Vertrauen meist wenig verdienten, da sie zum großen
Teile aus Persönlichkeiten bestanden, die in anderen Berufen
und Beschäftigungen Schiffbruch gelitten hatten. Daß ihre
Bezahlung eine ganz geringfügige war — vier bis sechs Rubel
pro Jahr und Kind — war den ärmlichen Eltern ein hinreichen-
der Grund, über solche Mängel hinwegzusehen. Die Regierung
aber brachte von dem ersten Augenblicke an, wo sie sich mit
der jüdischen Frage beschäftigte, den Chedarim und Melamdim
eine starke Feindschaft entgegen, da sie mit Recht in ihnen
die gefährlichsten Vertreter und Förderer der jüdischen Eigen-
art sowie des Aberglaubens und Fanatismus, die schlimmsten
Widersacher der Assimilationsbestrebungen, erkannte. Sie ver-
langte also im Jahre 1873, daß jeder jüdische Lehrer ein Zeug-
nis des absolvierten Lehrganges der Rabbinerschule beibringe.
Allein diese an sich weise und gerechte Bestimmung war un-
durchführbar. Die klägliche Bezahlung des Melammed ent-
sprach in keiner Weise den bescheidensten Bedürfnissen eines
Mannes von irgend höherer Bildung, sie genügte nur schiff-
Verheißungsvoller Anfang der Regierung Alexanders II. 71
brüchigen Proletariern. Andererseits war es den in bitterer Armut
schmachtenden Juden unmöglich, ein höheres Schulgeld auf-
zubringen oder auch nur ihre Kinder außerhalb der gesetzlichen
Schulstunden im Hause zu beaufsichtigen. So lebten und ge-
diehen die alten Chedarim trotz der neuen Verordnungen weiter,
wenn auch in Heimlichkeit und durch Bestechung der Polizei-
organe. Nur die Zerstreuung und materielle Besserstellung der
jüdischen Masse durch Aufhebung des Rayonzwanges oder auch
die Erlassung des Schulgeldes für ärmere Kinder hätte hierin
einen durchgreifenden Wandel schaffen können.
Größeren Erfolg hatte die Regierung mit den Talmud-
Thoras, wo der Unterricht in den allgemeinen Bildungsfächern
obligatorisch wurde und damit das intellektuelle Niveau der
Lehrer sich bedeutend hob. Es gab übrigens in St. Petersburg
eine Gesellschaft, die der Sache der geistigen Hebung der Juden
große Dienste hätte leisten können, wenn nicht äußere und
innere Ursachen ihre Tätigkeit gelähmt hätte: nämlich die
,, Gesellschaft zur Verbreitung der Aufklärung unter den Juden",
die 1863 von dem verdienten Baron Horaz Günzburg begründet
worden war, und deren Aufgaben darin bestanden, die Bildung
unter den Juden zu fördern, die jüdische Literatur zu unter-
stützen und der lernenden israelitischen Jugend moralische und
materielle Hilfe zu leisten. Es wurde ihr, in bureaukratischem
Geiste, leider untersagt, Elementarschulen zu begründen, und
so ihre Wirksamkeit von vornherein auf ein enges Gebiet be-
schränkt.
Der humane Geist, der die Regierung Alexanders II. be-
lebte, erwies sich auch in der Bestimmung, daß fernerhin
jüdische Kinder nur mit Zustimmung der Eltern getauft werden
dürften, in der Abschaffung der Geldprämien für solche jüdische
Soldaten, die zum Christentum übertraten, und in der Auf-
hebung des Gesetzes, das nichtchristlichen Verbrechern, die das
Christentum annähmen, eine Herabsetzung der Strafe gewährte.
Damit wurde eine der schändlichsten und unsittlichsten Seiten
der Nikolaitischen Religionspolitik beseitigt.
Die Förderung der jüdischen Intelligenz durch die Re-
gierung, die Eröffnung der Schranken für den Bildungshunger
der Hebräer trug reiche Früchte. Nach Durchstechung der
72 Verheißungsvoller Anfang der Regierung Alexanders II.
hemmenden Dämme ergoß sich der Strom jüdischen Geistes in
die Hberalen Berufe: es gab bald eine große Anzahl ausgezeich-
neter israelitischer Ärzte, Rechtsanwälte, Pädagogen, Profes-
soren. Sogar der Handel der Juden, befruchtet von höherer
Bildung, nahm weitere und großzügigere Formen an. In
St. Petersburg selbst begründete 1866 Rabbiner Dr. Neumann
mit Hilfe der Familie Günzburg eine Schule, mit zunächst
siebzig Zöglingen, die, neben einem rationellen Unterricht in
jüdischer Religion und Hebräisch, auch das profane Wissen
lehrte. Auch in Moskau wurde endlich, 1871, den Juden die
lange versagte Eröffnung einer Religionsschule und eines Waisen-
hauses gestattet. Allerdings waren es nur die besser situierten
Stände unter ihnen, denen diese neuen Errungenschaften zugute
kamen, denn die jüdische Masse lebte in allzu gedrückten
ökonomischen Verhältnissen, um die neu eröffneten Wege nach
oben beschreiten zu können. Und es gab noch einen anderen
Grund, aus dem die Mehrzahl der russischen Juden von der
Bildung nichts wissen wollten. Die Orthodoxen und die Chassi-
dim wiesen darauf hin, daß die meisten Juden, die sich höheres
Wissen angeeignet hätten, sich mit Geringschätzung von ihrer
Glaubensgenossenschaft abwendeten. Diese leider nicht zu
bezweifelnde Erscheinung, die an ähnliche Vorgänge in Deutsch-
land seit der Mendelssohnschen Zeit erinnerte, erklärt sich
aus dem Umstände, daß die gebildeten Israeliten in ihrer Heimat
das Judentum nur in einer für sie geradezu abschreckenden
Gestalt kannten. Das neue, vom Geiste der Zivilisation erfüllte
Judentum, wie es sich in Westeuropa herausgebildet hatte,
blieb in Rußland so gut wie unbekannt. Es war eine Ausnahme,
wenn in Minsk Rabbiner Minor am Chanukkafeste des Jahres
1861 deutsch predigte, selbstverständlich unter lauten Protesten
der Orthodoxen gegen solche gottlose Neuerung.
Merkwürdigerweise war die Assimilation am meisten in
Sibirien durchgeführt. Dort gab es 1872 etwa 10 000 Juden,
teils Sträflinge, teils entlassene Sträflinge, teils freiwillige An-
siedler, die alle zumeist kleine Gemeinden bildeten, sich durch-
gehends russisch kleideten und russisch sprachen.
Aus der eigenen Mitte der Juden wollte die Regierung für
sie die Reform entwickeln, Sie berief deshalb im August 1856
Verheißungsvoller Anfang der Regierung Alexanders II. 73
von neuem eine ,, Rabbinerkonferenz" zur Neuregelung der
jüdischen Verhältnisse ein. Aber diese Rabbinerkonferenz ent-
sprach sehr wenig ihrem Namen : nur der Vorsitzende, Dr. Neu-
mann aus Riga, war Rabbiner, die übrigen vier Mitglieder Groß-
kaufleute ohne eingehendere Kenntnis der jüdischen religiösen
Dinge. Sie hat nichts Wesentliches geschaffen.
Dagegen entstand aus dem reich sich entfaltenden geistigen
Leben auch eine umfassende jüdische Journalistik in der Zeit
Alexanders II. Es machten sich in ihr zwei Strömungen geltend:
die in russischer Sprache erscheinenden Blätter widmeten sich
vorzugsweise der Verfechtung der bürgerlichen und staats-
bürgerhchen Gleichberechtigung der Juden, während die
hebräisch geschriebenen die Aufklärung und die westliche
Kultur zu verbreiten sich bemühten. Das erste russisch-
jüdische Organ war der 1860 begründete ,,Raswjet", dessen
Redakteur der durch glänzende Verteidigung seiner Glaubens-
genossen und soziale Erzählungen bekannte Schriftsteller
Ossip Rabinowitsch und dessen vorzüglichster Mitarbeiter der
noch bekanntere Publizist und Novellist Lewanda waren,
letzterer damals ein eifriger Anhänger der Assimilation, die er
später leidenschaftlich bekämpfen sollte. Der ,,Raswjet", der
die beiden obengenannten Richtungen verfolgte, übte zunächst
eine bedeutende und anregende Wirkung aus ; war es doch zum
ersten Male, daß die russischen Juden ihre Angelegenheiten
selber in der Öffentlichkeit verhandelten. Aber bald büßte er
die ihm entgegengetragenen Sympathien ein. Man fand, daß
er mit den Gegnern der Emanzipation in den christlichen
Kreisen allzu glimpflich verfahre und dafür die Mißstände
innerhalb der russischen Judenheit allzu schroff aufdecke und
tadle; dadurch gebe er den äußeren Feinden nur neue Waffen
in die Hand. So hatte der ,,Raswjet" schwer zu kämpfen und
mußte schon nach dem ersten Jahre seines Bestehens sein Er-
scheinen einstellen. Sein Nachfolger ^vurde das Blatt ,,Zion",
das, aus dem Mißgeschick seines Vorgängers lernend, die Er-
örterung der öffentlichen Angelegenheiten sehr einschränkte
und sich besonders auf geschichtliche und wissenschaftliche Ab-
handlungen legte. Indes sogar die bescheidenste Behandlung
der politischen Vorgänge und zumal die Polemik mit russischen
74 Verheißungsvoller Anfang der Regierung Alexanders II.
Zeitungen mißfiel der Zensur, die unbarmherzig alle solche
Artikel des ,,Zion" unterdrückte. Dieses Organ mußte also
auch die schärfsten Angriffe der Gegner ohne Antwort belassen,
und solche erzwungene Entsagung lähmte die Arbeitsfreudig-
keit seiner Mitarbeiter und schwächte ihr Interesse an der
publizistischen Tätigkeit. Und doch war bis gegen Ende der
sechziger Jahre die Stimmung der meisten russischen Zeitungen
keine judenfeindliche.
Aber die humanen Bestrebungen der Regierung Alexan-
ders II. hatten wenig zur eigentlichen Lösung der Judenfrage
getan, da sie eben für die Masse den Ansiedlungsrayon nicht
erweitert hatte. Es gab damals im eigentlichen Rußland
1 829 000 Juden, von denen 56 Prozent auf dem Lande, 44 Pro-
zent in. den Städten lebten. Dazu kommen noch über 20 000
Juden im asiatischen Rußland: in Sibirien, im Kaukasus, in
den zentralasiatischen Pro\änzen. Die vornehmste Stellung
nahmen 70 Ehrenbürger ein. Dann kamen 30 000 Gildekauf-
leute, etwa siebzehn Prozent aller Russen dieser Kategorie.
An Handwerkern zählte man im eigentlichen Rußland etwas
über 1^/2 Millionen, von denen der dritte Teil, 504 000, aus
Juden bestand. Dieser dritte Teil war aber fast ausschließlich
in den Ansiedlungsrayon gebannt, und man kann sich daraus
von seiner traurigen Lage einen Begriff machen. Ja, die Fort-
schritte dieser Zeit hatten in manchen Beziehungen die materielle
Not der Juden noch vergrößert, indem sie einige Beschäftigungen
derselben überflüssig machten. Die Abschaffung der Leibeigen-
schaft der Bauern, deren Ausstattung mit Grundbesitz, die
daraus erfließende Verarmung des Adels beendeten die Tätig-
keit der Juden als ,, Faktoren", das heißt Kommissionäre für
jede Art von Bedürfnissen der Grundbesitzer, der sie besonders
auf dem Lande sich vorzugsweise ge^Aidmet hatten. Eines Teiles
seiner Ländereien, sowde der kostenlosen Arbeit der Leibeigenen
beraubt, mußte der russische Grundbesitzer sich ökonomischer
einrichten, eine bedeutend mäßigere Lebensweise als früher
führen. Um billigen Kredit zu schaffen, wurden Agrarbanken
begründet, von denen man den Juden ausschloß, und die seine
private Tätigkeit als Geldvermittler unnötig machten. Der
Bauer wurde durch die Freiheit selbständiger, eifriger auf
Verheißungsvoller Anfang der Regierung Alexanders II. 75
seinen Vorteil bedacht, umsichtiger im Ankauf von Waren.
Die Rolle des „Juden", ohne den man in den früheren Zu-
ständen gar nicht hatte auskommen können, verlor an Wichtig-
keit und Einträglichkeit. So wurden zahlreiche jüdische Fami-
lien geradezu brotlos, ohne daß sich für sie eine neue Beschäfti-
gungsart zeigen wollte. Das Elend spottete an \äelen Orten
jeder Beschreibung.
Eine fernere Beeinträchtigung der Juden führte die Aus-
bildung des russischen Eisenbahnnetzes herbei. Bisher hatten
jene den gesamten Warentransport als Spediteure, Fuhrunter-
nehmer, Fuhrleute, Gastwirte, Kommissionäre fast ausschließ-
lich in Händen gehabt. Jetzt nahm ihnen die Eisenbahn bei-
nahe das gesamte Geschäft dieser Art ab. Wiederum sahen
sich Tausende jüdischer Familien des Erwerbes hilflos beraubt.
Der Jammer wurde noch vergrößert durch die Hungersnot,
die in mehreren aufeinander folgenden Jahren das nordwest-
liche Rußland heimsuchte und auch die ohnehin darbenden
Juden auf das schwerste betraf. Die Beihilfe der glücklicher
gestellten russischen Glaubensgenossen würde diese Ärmsten
nicht vor dem Hungertode zu bewahren imstande gewesen sein.
Glücklicherweise brachten ihnen die westeuropäischen, und
zumal die deutschen, Israeliten reichliche Unterstützung. Es
wurden zu diesem Behufe Zentralkomitees in Memel und
Königsberg, Lokalkomitees in Berlin, München, Frankfurt am
Main, Köln, Aachen, Koblenz begründet. Der jüdische Bruder-
geist und Wohltätigkeitssinn bewährte sich auf das segensreichste
zugunsten der ärmsten russischen Glaubensbrüder.
Die neue Zeit stellte diesen auch auf dem ökonomischen
Gebiete Aufgaben, die sie nicht sobald zu bewältigen ver-
mochten. Es bedurfte langer Bemühungen, bis sie sich den ver-
änderten Lebensbedingungen anpassen konnten. Und in-
zA^ischen fielen der Übergangsepoche zahllose Opfer, am meisten
unter den russischen Juden.
Ganz anders lagen die Verhältnisse in Polen.
Kapitel Zwei.
Alexander IL und die Juden Polens.
LJie milde Gesinnung Alexanders II. veranlaßte ihn, auch
in Polen das Schreckenssystem seines Vaters aufzugeben und
eine Versöhnung mit diesem wichtigen Teil seines Reiches zu
suchen. Sogleich nach seiner Thronbesteigung verkündete er
eine Amnestie für alle Polen, die wegen Teilnahme an dem Auf-
stande von 1830 — 31, sei es in das Ausland geflüchtet, sei es
nach Sibirien verbannt worden waren. Hunderte von Männern
beider Kategorien kehrten nunmehr, nach einer Trennung von
einem Vierteljahrhundert, in die Heimat und zu ihren Familien
zurück. Auch auf dem kulturellen Gebiete wurden wohltätige
Verordnungen getroffen. Man errichtete in Warschau eine Aka-
demie der Medizin sowie eine Agrarische Gesellschaft, die leider
bald, nach alter Gepflogenheit, der Mittelpunkt politischer,
gegen die Regierung gerichteter Intrigen wurde. Man milderte
beträchtlich die Zensurvor Schriften. Diese Tatsachen gaben die
Anregung, daß das geistige Leben Polens aus dezennienlangem
Schlummer erwachte. Sofort machten sich unter den russischen
Polen die ausschweifendsten Hoffnungen geltend, zumal seit-
dem der Triumph der italienischen Einheits- und Befreiungs-
bestrebungen in den Jahren 1859 und 1860 den Sieg des Nationa-
litätsprinzipes allerwärts zu verheißen schien. Die Umwälzung
aller inneren Verhältnisse durch das Gesetz Alexanders II., das
— entsprechend der Aufhebung der Leibeigenschaft in dem
eigentlichen Rußland — auch die polnischen Bauern zu freien
Menschen machte, indem es die bäuerlichen Fronen in Geld-
leistungen verwandelte, erregte eine allgemeine soziale und
politische Bewegung. Der Zar war gewillt, ihr bis zu einem
Alexander II. und die Juden Polens. 77
gewissen Punkte Rechnung zu tragen, zwar den Zusammen-
hang Polens mit seiner Krone unbedingt zu wahren, aber diesem
Lande doch eine weitgehende Selbstverwaltung zuzugestehen.
Sein vertrauter Helfer bei der Durchführung dieser Absichten
war ein polnischer Aristokrat, übrigens ehemals Teilnehmer an
dem 1830er Aufstande und bis 1855 Emigrant, der Marquis
Alexander Wielopolski, ein durchaus wohlwollender und ein-
sichtiger Mann, der in reiferem Alter aus den Erfahrungen der
jüngsten Geschichte Polens die Lehre gezogen hatte, daß nicht
durch Gewalt, sondern nur durch allmähliche Fortentwicklung
die Besserstellung seines Vaterlandes erreicht werden könne.
Er arbeitete ein großes Reformgesetz aus, das Zar Alexander am
27. März 1861 veröffentlichte, und das den Polen eine weit-
gehende Selbständigkeit sowie besonders umfassende Förderung
aller Lehr- und Bildungsanstalten in nationalem Sinne verhieß.
Wielopolski selber wurde, zuerst als polnischer Kultusminister,
dann als Chef der polnischen Zivilverwaltung, mit der Durch-
führung dieser Maßregeln betraut. Er gestaltete die ganze Ver-
waltung des ehemaligen Königreichs in nationaler Weise um,
der polnische Adel nahm wieder von den höheren Ämtern
Besitz. Die polnische Sprache wurde bei den Behörden als die
offizielle von neuem eingeführt. Wielopolski eröffnete dann die
Warschauer Universität abermals, die bald zum geistigen
Mittelpunkte des nationalen Lebens wurde.
Es war hier den Polen die Möglichkeit gegeben, mit kluger
Benutzung der günstigen Umstände nach und nach alles das
wieder zu gewinnen, was sie seit dem Unglücksjahre 1831 ver-
loren hatten. Allein sie waren zu ungeduldig, eine solche all-
mähliche Entwicklung abzuwarten. Sie sahen in den Kon-
zessionen des Zaren nur ein Eingeständnis der Schwäche, in
dem klugen Zögern Wielopolskis nur Verrat. Überdies war die
sehr starke demokratische Partei mit dem aristokratischen
Charakter der neuen Regierung unzufrieden. Man forderte also
gänzliche Trennung von Rußland, auf das man als auf ein
Barbarenland mit Verachtung herabsah. Man erging sich bereits
in phantastischen, in der Wirklichkeit ganz unrealisierbaren
Träumereien von der Wiederaufrichtung des ganzen großen
polnischen Reiches. Und die katholische Geistlichkeit, die in
78 Alexander II. und die Juden Polens.
dem Lande einen so ungeheuren Einfluß besaß, ging mit dem
Eifer der Herrschsucht auf diese Pläne ein. Der Zmespalt
zwischen der nationalen Strömung und dem Zi-\41gouverneur
"vvurde immer schroffer, immer gewaltsamer.
Viel dankbarer waren dem Marquis die Juden Polens,
für die er nicht nur Mitleid und gütige Teilnahme liegte, sondern
die er tatsächlich mit allen ihm zu Gebote stehenden jMitteln
aus ihrer unsagbaren materiellen und moralischen Kotlage zu
erretten bestrebt war. Die 800 000 Juden, die es damals in
Polen gab, und von denen zwei Dritteile in den Städten lebten,
erstickten unter der Last der gesetzlichen Ausschließungen und
Mißhandlungen. Ihre Bildungsstufe war eine sehr niedrige.
Mit Ausnahme Warschaus war im ganzen Polen keine einzige
öffentliche jüdische Schule, und die christlichen Elementar-
schulen durften sie nicht besuchen. Nur Chedarim waren vor-
handen. In Warschau selbst ^^drkten (1857) — abgesehen von
der Rabbinerschule mit 163 Zöglingen — nur \'ier jüdische
Knabenschulen mit im ganzen 334 und eine Mädchenschule
mit 139 Schülern, die allesamt von elf Lehrern unterrichtet
wurden. Dagegen genossen 9313 christliche Kinder öffentliche
Unterweisung. Es kam also in Warschau ein jüdischer Schüler
erst auf 14% christliche, während die jüdische Bevölkerung
der Hauptstadt, 70 000 Seelen, beinahe ein Drittel der 220 000
Seelen betragenden Gesamtbevölkerung ausmachte, ein Ver-
hältnis wie 1 : 2. Relativ gab es demnach dort siebenmal
weniger jüdische Schüler als christliche. Allerdings hatte die
jüdische Gemeinde Warschaus die Regierung wiederholt um
die Erlaubnis gebeten, aus eigenen Mitteln öffentliche Schulen
zu errichten, war aber immer abschlägig beschieden worden.
Der Statthalter Fürst Paskiewitsch hatte mit brutaler Offenheit
verfügt: ,,Wir brauchen keine gelehrten Juden".
Die Judenfeindschaft, die sich in diesem Verfahren aus-
sprach, wurde auch nach der Thronbesteigung Alexanders II.
zunächst von den russischen Machthabern in Polen betätigt.
Sie ahmten in keiner Weise die auf diesem Gebiete in Rußland
begonnenen Reformen nach, und es bedurfte erst einer dringen-
den Aufforderung aus Petersburg, um die Warschauer Behörden
in Bewegung zu setzen. Und doch forderte eine Adresse hervor-
Alexander II. und die Juden Polens. 79
ragender christlicher Polen von dem Staatsrate die völlige
Gleichstellung der Juden. Endlich entstand den Bedrängten
in Wielopolski der Retter aus dem Elend.
Zunächst wurde die Bestimmung des berüchtigten Dekretes
von 1808 aufgehoben, die ihnen den Pfandbesitz von Grund-
stücken untersagte. Viel wichtiger noch war die Verordnung
Wielopolskis(1861), die den Juden das aktive und passive Wahl-
recht zu allen öffentlichen Vertretungskörperschaften verlieh.
Zum ersten Male in der gesamten polnischen Geschichte nahmen
die Juden teil an den Wahlen zu den Stadt-, Distrikts- und
Gouvernementsräten; und in der Tat wurden bei den im Jahre
1862 stattfindenden Distriktswahlen mehrere Juden Mitglieder
dieser Körperschaften. Ja, als der Statthalter Großfürst Kon-
stantin einen Ständerat ernannte, berief er in diesen auch einen
Juden, den durch seine eifrige und segensreiche Tätigkeit für
die Warschauer Gemeinde rühmlichst bekannten Matthias Rosen.
Das waren aber alles nur Vorbereitungen; das bedeut-
samste war der am 5. Juni 1862 veröffentlichte kaiserliche Ukas
über die bürgerliche Gleichstellung der Juden in Polen, der
sogenannte Emanzipationsakt. Er bedeutete noch nicht die
völlige Gleichstellung, bereitete sie aber vor. Die Juden erhielten
hier die Erlaubnis, jede Art von Grundstücken und Häusern
zu erwerben, im ganzen Lande in sämtlichen Städten und Dörfern
und zwar in jeder beliebigen Straße zu wohnen. Sie konnten
als gleichwertige Zeugen in Kriminalsachen und bei notariellen
Urkunden auftreten, und der schimpfliche Eid more judaico
wurde beseitigt. Alle Aktenstücke im gewerblichen Leben der
Juden, die bisher meist in jüdisch-deutscher oder rein deutscher
Sprache verfaßt w^urden, sollten nur noch polnisch oder russisch
ausgefertigt werden — eine in kultureller Beziehung sehr ^vich-
tige Maßregel. Der Zutritt zu den allgemeinen Schulen ward
den jüdischen Kindern eröffnet und die Beschränkung des
jüdischen Buchdrucks aufgehoben. Alle diese Bestimmungen
waren von segensreichster Bedeutung. Außerdem aber trug
der Emanzipationsakt der höchsten Verwaltung des Landes auf,
sich mit einer Abschaffung der auf den Juden lastenden Sonder-
steuer sowie der sie beeinträchtigenden Vorschriften über Aus-
übung des Handels und des Handwerks zu befassen.
80 . Alexander II. und die Juden Polens.
Diese Gesichtspunkte entsprachen zu sehr den Anschau-
ungen Wielopolskis und seiner Ratgeber, als daß ihnen nicht
sehr schnell Rechnung getragen worden wäre. Schon im Januar
1863 wurden die beiden jüdischen Sonderabgaben, die ,,Tag-
zettel" und die Steuer auf Koscherfleisch, aufgehoben. Sämt-
liche Einschränkungen im Handel und Handwerk fielen fort,
so daß die Juden volle Gewerbefreiheit genossen, während die
Aufhebung der Tagzettel ihre Freizügigkeit vollendete. Sie
durften auch Apotheken gründen oder käuflich erwerben. Sie
konnten zu Obermeistern der Zünfte, Kaufmannsältesten und
Börsenvorständen erwählt werden, auch Mitglieder des Auf-
sichtsrates der polnischen Bank werden, endlich zu Richter-
ämtern kandidieren. Ein ganz neues Leben eröffnete sich für
die polnischen Israeliten. Die Tore des materiellen und geistigen
Ghettos hatten sich geöffnet, es stand ihnen frei, sich an dem
nationalen Dasein in jeder Weise zu beteiligen. Der lange brach-
liegende Tätigkeitsdrang erwachte, sie verbreiteten sich in den
Städten und durch das ganze Land, warfen sich mit neuem
Mute und frischer Zuversicht auf alle Zweige der Industrie
und des Handels.
Später (1866) erteilte die Regierung denjenigen Juden
Polens, die akademische Studien mit Erfolg vollendet hatten,
das Recht des Eintrittes in alle Abteilungen des Staatsdienstes
— eine Gleichstellung, die freilich mehr in der Theorie, als in
der Praxis Geltung erhalten hat.
Im Gegensatze zu den früheren Assimilationsfanatikern
an den höchsten Stellen des Staates erkannten die damaligen
Leiter des polnischen Landes die Tatsache und nahmen sie
ohne Bitterkeit hin, daß die große Mehrzahl der polnischen
Israeliten noch allzu sehr an ihren Besonderheiten hing und
ein allzu großes Mißtrauen gegen jede nicht speziell jüdische
Einrichtung hegte, um ihre Kinder in die allgemeinen Schulen
zu senden. Obwohl man ihnen letztere geöffnet hatte, beließ
man ihnen also das Recht, besondere Elementarschulen zu
gründen, ja man stellte solchen — um nur die Chedarim zu
bekämpfen — eine Unterstützung aus Staatsmitteln in Aus-
sicht und befreite die Eltern, die ihre Kinder den jüdischen
Elementarschulen zusenden würden, von den Abgaben für all-
Alexander II. und die Juden Polens. 81
gemeine Unterrichtszwecke. Freigebiger hat der Staat sich
wohl selten religiösen Sonderschulen gegenüber verhalten —
jüdischen gegenüber nirgends. Von derselben liberalen Ge-
sinnung zeugte es, wenn diejenigen Kinder, die in den all-
gemeinen Schulen den Unterricht nahmen, das Recht auf be-
sondere jüdische Religions- und hebräische Sprachstunden er-
hielten.
Die jüdische Intelligenz machte mit Begeisterung von der
Möglichkeit Gebrauch, nun regelmäßige Unterweisung in der
so innig ersehnten europäischen Bildung zu erhalten, sich aus
den erstickenden Fesseln des einseitigen Talmud-,, Lernens" zu
befreien. Die polnischen Schulen waren bald mit jüdischen
Kindern überfüllt, und zahlreiche jüdische Jünglinge gehörten
zu den ersten Studenten der neu eröffneten Warschauer Uni-
versität.
Gegen diese fortschrittlichen, nach weltlicher Bildung
strebenden Elemente erhoben sich allerorten und besonders
in der großen Warschauer Gemeinde die Chassidim.
Die Sekte der Chassidim, der ,, Frommen", der Mystiker,
war in der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts unter den armen
Juden der litauischen Provinz Podolien entstanden, die an
dem trockenen Formelwesen des damaligen Rabbinismus kein
Genüge fanden. Ihr Stifter war einer dieser Armen an Geist
und Besitz gewesen, Israel ben Elieser, Baal-Schem-Tob ge-
nannt, ,,Der gütige Wundertäter". Er lehrte, daß nicht talmu-
dische Gelehrsamkeit, sondern innige Liebe zu Gott, verbunden
mit festem Vertrauen auf die Kraft des Gebetes die wahre
Religion ausmache, und daß ein einfacher Mann, dem das Gebet
aus dem Herzen komme, vor Gott mehr gelte, als der Rabbi,
der seine Zeit mit dem Studium und mit der Erfüllung klein-
licher Gebräuche zubringe. Es war eine Vertiefung und zu-
gleich Demokratisierung der Religion, die dem Baal-Schem-Tob
zahlreiche, auch gelehrte, Schüler und Anhänger zuführte.
Der Chassidismus entwickelte sich aber bald zum Mystizis-
mus in Lehre und Leben. Gott ist nach ihm überall und in
aUem — rein pantheistische Anschauungen — und der Mensch
kann sich derart mit Gott verbinden, daß er dessen Entschlüsse
wirksam zu beeinflussen vermag. Eine der Kabbala entnom-
Philippsoii, Neueste Geschichte der Juden, Bd. III. "
82 Alexander II. und die Juden Polens.
mene Anschauung, die schon Baal-Schem-Tob und noch mehr
dessen Nachfolger zu den krassesten Wundertaten veranlaßte.
Visionen, Prophezeiungen, Heilungen, Bereicherung, Kinder-
segen, alles dies kann der wahrhaft Fromme von Gott durch
glühendes Gebet erzwingen, das durch heftige Körperbewegungen
noch wirksamer gemacht wird.
Dieses System verbreitete sich schnell unter den armen,
un^vissenden und abergläubigen Juden von Podolien, Litauen
und Galizien. Ihre Führer \ATirden die Zaddikim, die ,, Ge-
rechten, Heiligen", die professionellen Lehrer und Wunder-
täter. Der Enkel des Begründers, Baruch von Tulschin, sowie
Elimelech von Lizianka, entwickelten die Theorie der Zaddi-
kim oder Rebbes, die durch ihr Gebet jeden Wunsch des Chassid
zur Erfüllung bringen können, dafür aber auch das Recht be-
sitzen, von den Gläubigen beliebige Geldopfer zu fordern. So
wurde der Chassidismus, zumal im Süden, ein reines Plünde-
rungs- und Ausbeutungssystem auf Kosten der Gläubigen und
zugunsten des Rebbes, die in fürstlicher Fülle und Pracht lebten.
Im Nordwesten, besonders im eigentlichen Polen, wo die
theologische Bildung und das soziale Wesen unter den Juden
immerhin auf höherer Stufe standen, nahm der Chassidismus
eine rationellere Gestalt an, unter der Führung Salmans von
Liozna (1747—1812).
Trotz des eifrigen Widerstandes der Orthodoxen oder
Rabbinisten, der sogenannten Misnaggedim {,, Widersacher")
gewann der Chassidismus infolge seines volkstümlichen Wesens
eine immer größere Ausdehnung, fand 1804 die Anerkennung
der russischen Regierung und umfaßte etwa die Hälfte der
galizischen, polnischen und russischen Juden. Seine Masse
zerfiel in Anhängerschaften der verschiedenen Zaddikim, die
sich oft auf das bitterste befehdeten. Der Chassidismus war zu
etwas ganz anderem geworden, als sein wahrhaft frommer
Stifter beabsichtigt hatte: zum habsüchtigen Gaukelspiel, und
seine Führer zu bewußten Charlatanen und Betrügern. Jeder
von ihnen besaß in einem Städtchen seine Residenz, wo er um-
geben von einem weitläufigen Hofstaate prunkend lebte. Der
berühmteste von ihnen war Israel von Luschin, der, von der
russischen Regierung ausgetrieben, sich in dem galizischen
Alexander II. und die Juden Polens. 83
Orte Sadagura niederließ. Vergebens bekämpfte die Haskalah,
die Mendelssohnsche Aufklärung, den Chassidismus, sie ver-
mochte die blindergebene Masse seiner Anhänger nicht zu
erschüttern. Pilgerten schon während des ganzen Jahres die
Gläubigen rat- und hilfeflehend mit reichen Geschenken zu dem
„Rabbe", zu dem ,, guten Jid", so füllten sich an den Feier-
tagen die Städtchen, wo solche sich aufhielten, mit Tausenden,
denn da war es Pflicht für jeden Chassid, zu der geheiligten
Stätte seines Zaddi^s zu wallfahren. Die Chassidim waren
weit heftigere und hartnäckigere Gegner der Aufklärung als
die Orthodoxen, da ihr mystisches Gebahren keinerlei Kritik
vertragen konnte.
Bis zu den vierziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts
hatten die Chassidim sich nicht im mindesten um die Ange-
legenheiten der Warschauer Gemeinde bekümmert. Der da-
malige Oberrabbiner, der große Gelehrte Salomon Lipschitz,
war ein duldsamer Mann, der den Chassidim keinen Stein in
den Weg legte. Aber sein Nachfolger, Chaim Davidsohn, war
ein eifriger Misnagged, von dem die Chassidim heftige Gegner-
schaft befürchteten. Sie ergriffen deshalb die Initiative, und
es gelang ihrer eifrigen Agitation, zum ersten Male einen der
ihrigen bei der Wahl des ,, Gebethausvorstandes" in diese
leitende Körperschaft der Gemeinde zu bringen (1840). Dieser
erste Erfolg öffnete ihnen die Augen über den selbst von ihnen
ungeahnten Umfang ihrer Macht. Sie setzten es schließlich
durch, daß einer der bekanntesten und geachtetsten ihrer Zaddi-
kim, Reb Mayer Alter, als Oberrabbiner dem Warschauer
Rabbinat beigegeben wurde, so daß die Chassidim dort auf
gleicher Stufe mit den Orthodoxen sich befanden. Damit
war einstweilen der Friede in der Warschauer Gemeinde
hergestellt.
Inzwischen aber machten sich im polnischen Judentum
ganz neue Gedanken und Richtungen bemerkbar, die von den
beiden einander bekämpfenden Parteien gar nicht beachtet
worden waren; denn jene befanden sich ganz außerhalb des
einen wie des anderen Lagers, unter den mit der westlichen
Bildung erfüllten Israeliten, den ,, Fortgeschrittenen", wie man
sie nannte. Diese Elemente wollten den Rechten, die die Juden
6*
84 Alexander II. vmd die Juden Polens.
verlangten und unter Wielopolski endlich erhalten hatten, auch
die entsprechende Pf lichterfüllung gegenüberstellen. Sie wünsch-
ten vollwertige Mitglieder des polnischen Volkes zu werden,
Sie durchdrangen sich mit der Überzeugung, daß sie einerseits
treue Israeliten aber zugleich patriotische Polen sein könnten
und müßten. Sie waren entschlossen, an allen Kämpfen,
Triumphen und Leiden des Vaterlandes sich mit aller Kraft zu
beteiligen, aber auch die volle Ebenbürtigkeit mit den Polen
christlichen Glaubens zu beanspruchen. Bisher wurde die
Predigt in den beiden Warschauer Synagogen in deutscher
Sprache gehalten, denn das Deutsche war das Idiom des reli-
giösen Fortschritts gewesen. Die patriotischen Israeliten er-
öffneten eine lebhafte Agitation gegen die fremdsprachliche
Predigt, und im Jahre 1857 setzten sie es zu ihrer großen Be-
friedigung durch, daß von nun an in beiden Gotteshäusern
polnisch gepredigt wurde. Einige Jahre später — 1861 —
erschien die erste jüdische Zeitschrift in polnischer Sprache,
das von Daniel Neufeld begründete Wochenblatt ,,Jutrzenka
(Morgenröte)". Sein Programm war : Klärung der inner jüdischen
Angelegenlieiten, Versöhnung von Orthodoxie und Fortschritt
auf sozialem Gebiete, Förderung der produktiven Kräfte im
Judentume, Verbreitung richtiger Anschauungen über diese
Religion unter den Christen. Das war alles etwas unbestimmt
und mehr phrasenhaft als wirksam. Es kam auch in Wirk-
lichkeit anders, als jenes Programm lautet. Die Jutrzenka
wurde im Grunde die Vorkämpferin des engen Anschlusses der
polnischen Juden an ihre christlichen Mitbürger. Sie erweckte
damit helle Begeisterung unter den ,, Fortgeschrittenen"; diese
Avaren glücklich, endlich ein Organ gefunden zu haben, wo sie
ihre Anschauungen öffentlich aussprechen und diskutieren
konnten. Sie gaben dort ihrer Hoffnung auf eine glückliche
Zukunft des polnischen Israel, auf dessen Verbrüderung mit
dem polnischen Volke offenen und zuversichtlichen Ausdruck.
Aber auch bei den gebildeten Christen trafen diese Bestrebungen
auf einen fruchtbaren Boden. Der Aufstand in Galizien im
Jahre 1848 hatte die Polen über die Bedeutung des jüdischen
Elementes für ihre nationale Sache gründlich aufgeklärt. Als
mit dem Jahr 1861 die Vorbereitungen zu einer neuen gewalt-
Alexander II. und die Juden Polens. 85
Samen Empörung gegen die russische Herrschaft begannen,
gab eine in Paris erscheinende Flugschrift ,,Przeglad naszych
stanowisk" („Betrachtung über unsere Lage") den Polen den
Rat, sich an die Vaterlandsliebe ihrer Brüder mosaischen
Glaubens zu wenden, zunächst die jüdische Kaufmannschaft
um Beihilfe bei dem Einschmuggeln von Gewehren in das pol-
nische Gebiet anzugehen. Es haben sich dann tatsächlich
Juden an diesem gefährlichen Unternehmen beteiligt: Markus
Kohn in Warschau durch seine Filiale in Danzig, Rafael Kohn
in Breslau, Julius Reichstein und andere. In allen Synagogen
Warschaus wurden Predigten gehalten, um die Juden an ihre
Bürgerpflichten gegenüber dem polnischen Vaterlande zu
mahnen. Die jüdische Geistlichkeit, mit dem Nachfolger David-
sohns, dem Oberrabbiner Dob Berusch Meiseis an der Spitze,
ahmte dem katholischen Klerus nach, indem sie sich mit diesem
lebhaft an den Straßendemonstrationen des Winters und Früh-
jahrs 1861 beteiligte, die bald zu blutigen Zusammenstößen
mit den russischen Soldaten führten. Bei der großen Massen-
manifestation, die zu Ehren der fünf ersten Opfer jener Kämpfe
stattfand, schritt Meiseis neben dem katholischen Erzbischof
einher und wurde Zeuge des Blutbads, das die Soldaten unter
den wehrlosen Manifestanten anrichteten. Als sich eine Deputa-
tion von Notabein zu dem Statthalter Fürsten Gortschakow
begab, um der allgemeinen Empörung über diese Gewalttat
Ausdruck zu geben und zugleich die Gefahren der Lage zu
schildern, ging Meiseis zur Seite des Paters Wyszinski an der
Spitze dieser Abordnung. Dafür ist er später verhaftet und auf
einige Monate aus dem Lande verbannt worden.
Die patriotische Haltung der Juden wurde von den Polen
laut anerkannt und gepriesen. Noch kurz vor seinem Tode hielt
am 3. Mai 1861 der von den ,, Weißen" zum polnischen Throne
ausersehene Fürst Adam Czartoryski in Paris eine Art Thron-
rede, in der er sagte: ,, Unter den Söhnen Polens, die durch
Liebe und Opferfreudigkeit sich vereint fühlen, gibt es auch
Israeliten. Mit uns verknüpft durch Bande gemeinsamer
Leiden, haben sie aufgehört, eine Nation in der Nation zu
bilden und haben sich in die Arme des sie so lange ernährenden
Mutterlandes geworfen."
86 Alexander II. und die Juden Polens,
Es war eine Zeit für die Juden Polens, \Aae sie später nie
wiederkehren sollte, sie standen in harmonisclier Verbrüderung
mit ihren christlichen Mitbürgern zur Erkämpfung der Freiheit
und Selbständigkeit ihres Landes. Man darf sich indes kein
allzu rosiges Bild von diesem Verhältnisse vorstellen: im Grunde
haben die Polen ihren jüdischen ,, Brüdern" keinerlei wichtige
und verantwortungsvolle Tätigkeit anvertraut, sondern sie
dieses wie jedes Mal für die eigenen Zwecke ausgenutzt. Nur
gaben sie sich damals Mülie, ihre Selbstsucht und nationalen
Hochmut durch geschickte und klingende Phrasen zu verdecken,
die den bisher verachteten und mißhandelten Juden svie liebliche
Musik erklangen und sie über die wahre Sachlage vöUig täusch-
ten. Man sprach ihnen vom gemeinsamen Vaterland, von der
Gleichheit aller seiner Söhne, und man öffnete ihrem sozialen
Ehrgeize die Tore der polnischen Gesellschaft, wo sie mit be-
zaubernder Liebenswürdigkeit empfangen und behandelt wur-
den. Sie erfuhren die große moralische Genugtuung, daß bei
den Eröffnungsfeierlichkeiten der ,, Hauptschule" oder Aka-
demie — eines Werkes des Marquis AVielopolski, der noch immer
in unerschütterlichem Optimismus nach Versöhnung der Polen
mit Rußland strebte — auch ihre Geistlichkeit in den Personen
des wieder zurückgerufenen Oberrabbiners Meiseis und zweier
Prediger vertreten war (1862). Auch zu den ersten Professoren
gehörte ein Jude, Jakob Nathanson, der den Lehrstuhl der
Chemie bekleidete. Daß die ,, fortgeschrittenen" Juden sich
nicht Genüge tun konnten, um den Polen für diese Gnade ihre
Dankbarkeit zu bezeugen, ist selbstverständlich bei Menschen,
die sich wie aus der Hölle erlöst fühlten und sich der Erreichung
ihrer glühend erstrebten Ziele nahe glaubten. Schon in den
ersten Zeiten der Vorbereitung des Aufstandes, als die pol-
nischen Patriotinnen für die in den Straßendemonstrationen
Gefallenen Trauer anlegten, ahmten ihnen die Damen der
jüdischen ,, Fortgeschrittenen" nach, und lange schwarze Schleier
umgaben ihre Gestalten.
Die furchtbare Enttäuschung ließ nicht lange auf sich
warten.
Im Januar 1863 brach in Polen und Litauen der Aufstand
aus. Aber die Polen hielten wie 1830 die Juden möglichst von
Alexander II. und die Juden Polens. 87
ihrem Heere entfernt und gebrauchten sie lieber in Verwaltungs-
stellungen. Trotzdem gab es viele Juden, die ihr Leben, noch
mehrere, die ihr Vermögen und ihre Laufbahn der polnischen
Sache zum Opfer gebracht haben. Einer der hervorragendsten
Führer Avar Leon Franko wski, der sogar zum Kriegsminister
des Aufstandes designiert war, aber verwundet und gefangen
wurde. In dem Treffen bei Warschau (April 1863) waren unter
den 71 auf polnischer Seite Gefallenen sieben Juden. Auch aus
Galizien zogen viele Juden zum Kampfe nach Polen, obwohl
es gleichzeitig in Lemberg Pöbelexzesse gegen die Juden gab.
Das revolutionäre Zentralkomitee legte den Juden starke
Kriegssteuern auf, die bereitwillig gezahlt "«oirden. Und doch
war das ganze Unternehmen von vornherein aussichtslos. Die
Polen hatten nur 10 000 meist ungeübte und schlechtbewaffnete
Streiter und 400 000 polnische Gulden den ungeheuren Macht-
mitteln des russischen Reiches entgegenzustellen. Das Land-
volk, von dem Zaren befreit, ließ sie zumeist im Stiche. Bald
erlitten sie allerorten vernichtende Niederlagen. Ebensowenig
glückte es ihnen, die tätige Unterstützung der fremden Mächte
zu erlangen. Zwar sandten England, Frankreich. Österreich
scharfe Noten nach Petersburg, aber das bekümmerte die
dortigen Staatsleiter um so weniger, als sich Preußen entschieden
auf ihre Seite stellte und sie sicher waren, daß die anderen
sich mit leeren Worten begnügen würden. So erteilte ihnen
die russische Regierung schroff abweichende Antworten — und
die drei Mächte verhielten sich still.
Die ,, Undankbarkeit" der Polen seinen versöhnlichen Ab-
sichten gegenüber und ihr augenscheinlicher Wille, sich ganz
von ihm und Rußland loszulösen, brachte den Zaren Alexanderll .
zu dem Entschlüsse, mit dem Systeme der Güte und der Zu-
geständnisse in Polen zu brechen und vielmehr zu dem Zwangs-
regime seines Vaters zurückzukehren. Wielopolski und der
Statthalter Großfürst Konstantin mußten im August 1863
Warschau verlassen. An ihre Stelle traten Generale: für das
eigentliche Polen Graf Berg, für Litauen — wo sich übrigens
die Juden viel weniger für die polnische Sache erwärmt hatten —
Graf Murawjew, ,,der Hänger", beide mit unbeschränkten Voll-
machten, mit wahrhaft diktatorischer Gewalt. Noch einige
88 Alexander II. und die Juden Polens.
Monate hindurch leistete in Warschau selbst die „geheime Re-
gierung" Widerstand. Die „Weißen", die Aristokraten, waren
völlig aus ihr entfernt zugunsten der ,, Roten", der Radikalen,
die nun dem zarischen Schrecken den revolutionären Schrecken
entgegensetzten und durch ihre ,, Hängegendarmen" mit Mord
gegen alle der Sache Feindlichen oder auch nur Verdächtigen
wüteten. Der zunächst gemäßigte Graf Berg wandte nunmehr
auch die schärfsten Maßregeln an, und er blieb der Stärkere.
Als dann auch Österreich, erschreckt von dem unter den Auf-
ständischen herrschenden Radikalismus und von der schwachen
Haltung Englands und Frankreichs enttäuscht, sich mit Ruß-
land und Preußen über gemeinsame Maßregeln gegen die Em-
pörer einigte, verloren diese jede Möglichkeit des Erfolges.
1864 wurden in der Warschauer Zitadelle der letzte polnische
Diktator und vier seiner Direktoren gehängt. Der Aufstand
war zu Ende.
Wie drei Dezennien vorher, hatte die Phantasterei und
Verblendung der Polen, ihre absolute Verkennung der realen
Verhältnisse einer vielversprechenden Entwicklung ihres natio-
nalen Lebens und Staatswesens ein Ende bereitet. Es war
selbstverständlich, daß Alexander II. über die seinen Ver-
söhnungsversuchen zuteil gewordene Abweisung äußerst ent-
rüstet und überzeugt war, daß Milde den Polen gegenüber
nur Anstachelung ihrer Begehrlichkeit bedeute. So wurde
das alte Repressivsystem Nikolaus' I. wieder hervorgeholt und
mit unerbittlicher Strenge angewendet. Furchtbare Strafen,
Verbote, Beschränkungen sollten den Polen die Erhebung von
Aufständen gegen Rußland für immer verleiden, und sie haben
in der Tat ihr Ziel besser erreicht, als alles Entgegenkommen
und alle Zugeständnisse: seit 1864 haben die Polen sich nicht
mehr gegen ihre Unterdrücker zu erheben gewagt ; nicht einmal
deren klägliche Niederlagen im Japanischen Kriege haben
ihnen dazu Mut gemacht. Alles, was irgend dem national-
polnischen Leben entsprechen konnte, wurde nunmehr in rück-
sichtsloser Weise unterdrückt und beseitigt ; dagegen diente eine
Reihe von Gesetzen dem Prozesse der Assimilierung der Polen
mit russischem Wesen, und eine andere beförderte die Befreiung
der Landleute und ihre ökonomische Stärkung, um diese zahl-
Alexander II. und die Juden Polens. 89
reiche Klasse gegen den russenfeindlichen Adel vollends an die
Sache des Zaren zu knüpfen.
Auch die Juden in Polen und Litauen hatten den Zorn der
russischen Sieger zu fühlen. Murawjew „der Hänger" vertrieb
zahlreiche Juden aus den litauischen Dörfern, weil sie die Revolu-
tion begünstigt hätten. Auf sein Verlangen hob die Regierung
in Litauen die Erlaubnis wieder auf, daß Juden von Adligen
Landgüter erwerben könnten. Und dann klagte man über die
ausschließliche Hinneigung der Juden zum Handel. Im heiligen
Kiew ward den Juden abermals der erst vor wenigen Jahren
gestattete Aufenthalt verboten, um den ausschließlich russischen
Charakter der Stadt zu wahren; mit unglaublicher Grausamkeit
zwang man die Juden, die im Vertrauen auf das kaiserliche
Wort in Kiew Geschäfte begründet und Häuser angekauft hatten,
diese Stadt in der Frist von drei Tagen zu verlassen. Im eigent-
lichen Polen wurden im Herbst 1863 zahlreiche Juden als Re-
volutionäre verhaftet, darunter der Prediger Kramstyck. Das
Trachtenedikt vom Jahre 1853 wurde 1864 erneuert; abermals
sah man in den Straßen der polnischen Städte die Soldaten,
mit Messer und Scheere bewaffnet, den vorübergehenden Juden
Bart und Seitenlocken abschneiden. Noch schlimmer war die
gleichzeitige Wiedereinführung der Sonderabgabe von Koscher-
fleisch, allerdings nur zu zwei Dritteln der früheren Höhe, aber
doch mit dem Gefolge der alten Plackereien. Und dann war
sie ja eine Verletzung der erst vor wenigen Jahren den Israeliten
verliehenen Gleichstellung. Ein Lichtblick dagegen war es,
daß die Eröffnung des Staatsdienstes für die Juden, die in
Rußland stattgefunden hatte, am 13. Februar 1866 auch den
Juden Polens ausdrücklich gewährleistet wurde.
Die Unterdrückung der polnischen Bewegung ließ in der
jüdischen Gemeinde Warschau für die inneren Streitigkeiten
Raum. Oberrabbiner Meiseis war nach Warschau zurück-
gekehrt, aber zu sehr mit der revolutionären Partei verbunden,
als daß er nach deren Niederlage sein Amt hätte weiter ver-
walten können — er ist erst 1870 in Warschau gestorben. Auf
religiösem Gebiete war er ein versöhnlicher Mann gewesen, der
zwischen Chassidim und Misnaggedim den Frieden aufrecht
erhalten hatte. Zu seinem Nachfolger jedoch ernannte der Gebet-
90 Alexander II. und die Juden Polens.
haus vorstand den Jakob Gesundheit, eine der größten talmu-
dischen Autoritäten, zugleich aber einen der erbittertsten
Gegner der Chassidim. Diese boten deshalb alles auf, um die
Bestätigung Gesundheits durch die Regierung zu hintertreiben.
Allein trotz jahrelanger Bemühungen unterlagen sie endlich;
1868 bestätigte der Statthalter Graf Berg den neuen Ober-
rabbiner. Ein Feldzug der Verleumdung und Intrigen, den
dann die Chassidim gegen Gesundheit unternahmen, blieb
gleichfalls erfolglos. In ihrem Haße gegen Gesundheit und
aus Furcht vor seiner religiösen Macht verbanden sie sich
darauf mit ihren grundsätzlichen Widersachern, den ,, Fort-
geschrittenen", und verhalfen diesen zum Siege im Wahl-
kampfe in den Gebethausvorstand. Ihre Berechnung war eine
richtige gewesen: der streng orthodoxe Oberrabbiner konnte
sich auf die Länge mit den freiheitlichen und assimilatorischen
Ideen der zum Teile dem überlieferten Judentume geradezu
abgeneigten neuen Vorstandsmitglieder nicht vertragen. Nach
drei Jahren eines auf allen Seiten große Aufregung und Er-
bitterung erregenden Kampfes mußte Gesundheit sein Amt
niederlegen (1874). An seiner Stelle wurde ein mehrköpfiges
Rabbinerkollegium gebildet, von dem immer ein Mitglied je
einen Monat lang den Vorsitz führen und an den Sitzungen
des Gemeindevorstandes Anteil nehmen sollte. Allein der durch
die Chassidim den ,, Fortgeschrittenen" erwachsene Vorteil war
nur ein vorübergehender, denn diese hatten in der jüdischen
Masse keinen Boden, die vielmehr ausschließlich in dem zähesten
Konservatismus beharrte.
Die ,, Fortgeschrittenen" standen also im Gegensatze zu
der weit überwiegenden Menge ihrer eigenen Glaubensgenossen.
Und dabei verloren sie auch den Halt, den ihnen die Sympathien
der polnischen Nationalgesinnten, denen sie sich mit Begeiste-
rung anschlössen, hätte gewähren sollen und können. Die Polen,
die einen Sündenbock für ihr selbstverschuldetes Unglück
suchten, fanden ihn auf bequemste Weise in der angeblichen
Gleichgültigkeit ihrer jüdischen Landesgenossen. Und doch
entsprach solcher Vorwurf durchaus nicht der Wahrheit, wie
wir gesehen haben. Aber so erging es, Avie gewöhnlich,
den Juden: die russische Regierung benachteiligte sie wegen
Alexander II. und die Juden Polens. 91
revolutionärer Gesinnung, und die Polen beschuldigten sie der
Indifferenz gegenüber der Revolution. Der Antisemitismus,
der in der nationalen Ausschließlichkeit der Polen so tief be-
begründet war, machte sich von neuem mehr und mehr fühlbar.
Der Konservatismus der jüdischen Masse und der zähe Wider-
stand, den sie allen Assimilations versuchen entgegensetzte, er-
regten den lebhaften Unwillen der leitenden polnischen Kreise,
die sich in ihren angeblichen Sympathien für ihre ,, israelitischen
Brüder" bitter getäuscht zu haben behaupteten. Zu diesem
politischen und sozialen Gegensatze kam ein ökonomischer.
Indem die russische Regierung bewußt darauf hinarbeitete,
das alte feudal-aristokratische Regiment in ein kapitalistisches
umzuformen und damit die Macht des nationalgesinnten Adels
zu brechen, kräftigte sie den Einfluß des städtischen Bürger-
tums. Dieses aber sah in den Juden die gefährlichsten Kon-
kurrenten, um so mehr, als die diesen gewährte Gewerbefreiheit
die Zahl und Bedeutung der jüdischen Kaufleute beträchtlich
vermehrt hatte. Es erhob also gegen die Juden den schweren
Vorwurf, daß ihre Tätigkeit die Produktivkraft des Landes
herzlich wenig fördere, indem sie den Handel der Industrie,
dem Handwerke und Ackerbau vorzögen — kurz, man begann
wieder, die Juden als ein schädliches Element im Volkskörper
zu betrachten. Der Nachfolger der ,,Jutrzenka", der ,,Izraelita"
(seit 1866), hatte über die Abneigung der polnischen Gesell-
schaft zu klagen; und anderseits beschuldigte das polnische
Blatt ,,Przeglad" die Juden separastischer Tendenzen, weil der
,,Izraelita" — aus guten und zutreffenden Gründen — für die
Israeliten die Errichtung besonderer Elementarschulen forderte.
Die russischen Behörden in Polen waren aber noch juden-
feindlicher als die Gesellschaft und Intelligenz. Das sprach
sich in dem interessanten Berichte der Provinzialgouverneure
über die Wirkung der seit zehn Jahren bestehenden Emanzipa-
tion der Juden offen aus. Er war mit einem zusammenfassenden
Vorworte des Statthalters Grafen Berg versehen. Dieser höchste
Beamte in Polen führte aus, daß die jüdische Bevölkerung,
trotz der Gleichstellung, genau wie früher ihre für Volk und
Regierung gleich schädliche Tätigkeit beibehalten habe und die
ihr erteilten Rechte einzig und allein zu eigennützigen Zwecken
92 Alexander II. und die Juden Polens.
ausbeute. Keine von der Regierung zugunsten der Juden ein-
geführte Maßnahme habe die unter ihnen eingewurzelten
Irrtümer zu erschüttern, ihre inneren Zustände und den ver-
derbhchen Charakter ihrer Betätigung zum Besseren zu wenden
vermocht. Diese Betätigung sei nach wie vor von brutalem
Eigennutze, talmudischem Aberglauben und fanatischem Wider-
willen gegen jeden Ausgleich mit den Christen beherrscht.
Tatsächlich lag diesen Vorwürfen, so gehäßig übertrieben
sie auch waren, eine ge^^ässe Wahrheit zugrunde. Aber Graf
Berg und seine Gouverneure übersahen, oder wollten übersehen,
daß eine einhundertjährige Unterdrückung, ]\Iißhandlung und
Ehrloserklärung einer großen Volksschicht in ihren notwendigen
Rück\^irkungen auf diese selbst nicht in zehn Jahren meder
wettgemacht werden konnten. Hier hätte es einer verständnis-
vollen, liebreichen und in sich gleichmäßigen Geduld und Aus-
dauer bedurft. Nur so hätte man hoffen und fordern können,
daß die von der Sklaverei und dem instinktiven Kampfe gegen
solche erzeugten Fehler in dem Charakter der polnischen Juden
— Fehler, denen doch auch große, aber unbeachtete Vorzüge
gegenüberstanden — allmählich unter der belebenden Sonne der
Freiheit verlöschen würden. Es ist das der große Irrtum nicht
nur der russischen Beamten und Politiker, sondern auch zahl-
reicher Elemente außerhalb des Zarenreiches, daß sie meinen,
der emanzipierte Jude müsse sofort von allen Schlacken einer
nicht selbst verschuldeten unglücklichen Vergangenheit ge-
reinigt sein. Die christliche Unterdrückung hat den Juden
nicht allein materiell, sondern auch moralisch geschädigt. Sie
hat mehr als ein Jahrtausend angedauert — und in wemgen
Jahren soll ihre Einwirkung wie fortgeblasen sein ? Das ist eine
Unmöglichkeit. Nicht daß die Juden nicht besser, daß sie
nicht schlechter geworden sind, daß sie sich eine so große
Reihe persönlicher Tugenden gewahrt haben, müßte hervor-
gehoben werden.
Aber diese Gerechtigkeit und Geduld den Juden gegenüber
ist nur bei wenigen Einsichtigen zu finden; und so war es auch
im damaligen Polen. Vielmehr nahm dort der Antisemitismus
bald brutalere Formen an. Dazu trug vor allen bei der Literat
Jan Jelenski, bei dem sich die Abneigung gegen die Juden
Alexander II. und die Juden Polens. 93
allmählich bis zum Fanatismus steigerte, und der durch seine
Schriften der eifrige und erfolgreiche Verbreiter des schlimmsten
Antisemitismus wairde. In seiner ersten, in der Mitte der
siebziger Jahre erschienenen Broschüre ,, Juden, Deutsche und
wir" erklärt er offen und geradezu den Juden zugleich mit
den Deutschen, in deren Händen sich die mächtigsten Zweige
der Industrie und des Handels befanden, auf ökonomischen
Gebiete den Krieg und fordert die Polen auf, die gesamte
produktive Tätigkeit auf sich selbst zu nehmen. Seine publizi-
stische Wirksamkeit schlug aber allmählich einen immer schär-
feren Ton speziell gegen die Israehten an. Zuerst erregte sie
in der polnischen Gesellschaft einiges Befremden, aber seine An-
schauungen bahnten sich bei ihr allmählich den Weg, und zwar
um so mehr, als der von dem benachbarten Deutschland ver-
kündete und betätigte Antisemitismus die Polen, trotz ihrer
grundsätzlichen Abneigung gegen alles Deutsche, schließlich
in hohem Maße beeinflußte. Sollte es doch auch in dem sich
mit seiner Freiheitsliebe und Modernität brüstenden Polen end-
lich zu einer Nachahmung der unter Alexander III. in Rußland
wütenden Pogrome kommen ! So ging die von Jelenski und
seinen Gesinnungsgenossen ausgestreute Saat blutig auf. Ihre
Sprößlinge wuchern bis zum heutigen Tage.
Kapitel Drei.
Das Ende der Regierung Alexanders II.
und die Juden in Rußland.
JL/ie geistige Bewegung unter den Juden Rußlands hatte,
wenn auch nur bei einer Minderheit von ihnen, doch schnell
eine verhältnismäßig bedeutende Ausdehnung gewonnen, seit-
dem Alexander II. ihrem Lerneifer alle Toren geöffnet und ihrem
Ehrgeiz die Verwaltungs- und Lehrämter aller Grade in Aus-
sicht gestellt hatte. Es hätte wenig gefehlt, so würden Juden
die höchsten Staffeln der sozialen Leiter erklommen haben.
Allein baldigst trat auch bei einem beträchtlichen Teile der
russischen Intelligenz — yde in Deutschland — die Besorgnis
vor dem mächtigen Wettbewerb des jüdischen Geistes hervor,
und leider wußten gerade diese Elemente einen bestimmenden
Einfluß auf die Regierung zu gewinnen. Denn sie hüllten sich
in den Mantel der Bauernfreundlichkeit, die damals oben das
entscheidende Motiv ausmachte. Man behauptete, ohne nur
einen Schatten hinreichenden Beweises, daß die Juden, wenn
sie in den Besitz aller bürgerlichen und staatsbürgerlichen
Rechte gelangten, eine absolute materielle und gesellschaftliche
Herrschaft über die Bauern ausüben, diese gänzlich von sich
abhängig machen würden. Bald fand der Antisemitismus des
Eigennutzes aber ein noch Anrksameres Feld der Betätigung in
der sich wieder neu bildenden Partei der Altrussen, die, gleich-
wie Nikolaus I. und dessen L^mgebung, das Zarenreich auf
den alleinigen Boden desRussentums und seiner alten Überliefe-
rung zu stellen bestrebt waren.
Diese Altrussen wollten von Freiheit, Verfassung, Re-
formen nichts wissen. Das seien Erzeugnisse der ,, verfaulten"
Das Ende der Regierung Alexanders II. und die Juden in Rußland. 95
westlichen Kultur, deren Anhänger, die ,, Westler" — Sapadniki
— sie als Verräter an der heiligen Sache des eigenen Volkes
betrachteten und brandmarkten. Der Aufstand der Polen be-
lebte diese Chau\inistenpartei Rußlands von neuem, gewann
ihr Anhänger, stachelte ihren Fanatismus an. Nur das echte
Russentum und die orthodoxe Kirche dürften herrschen, alle
anderen ethnischen und religiösen Sonderheiten müßten unter-
drückt werden. Selbstverständlich erschien dieser Partei kein
Fremdkörper gefährlicher und bekämpfenswerter, als die semi-
tischen, nichtchristlichen Juden: und Judenfeindschaft wurde
eines der Avichtigsten Paniere der altrussischen Partei. Sie wurde
aber von Jahr zu Jahr in Volk und Regierung einflußreicher.
An ihre Spitze traten hervorragende Männer, wie der Historiker
Kirjakow, der Nationalökonom Samarin — der übrigens vor
allem ein grimmiger Deutschenhaßer war — , der bisher demo-
kratisch gesinnte Fürst Tscherkasky, vor allem aber Michael
NikiforowitschKatkow, der hervorragendste Publizist Rußlands,
einst ein begeisterter Prophet der Freiheit und Selbstregierung,
auch der Gleichstellung der Juden, aber seit dem polnischen
Aufstande durchaus für die nationalistische Sache gewonnen.
Sein in allen Kreisen der Nation mit Andacht gelesene und
einflußreiche ,, Moskauer Zeitung" predigte die gewaltsame
Russifizierung Polens, Litauens und der Ostseeprovinzen, die
kriegerische Verbreitung der russischen Herrschaft als Vor-
macht aller Slawen, streng absolutistisches und reaktionäres
Regiment im Innern. Wurde Katkow seinen früheren juden-
freundlichen Tendenzen nur durch die notwendigen Folgen
seiner neuen Parteinahme ungetreu, so trat die Judenfeindschaft
in den Vordergrund bei dem frühesten der Altrussen und
Slawophilen, Iwan Sergej e witsch Aksakow. Schon inmitten der
Befreiungszeit, 1862, hatte er in seinem Blatte ,,Djen" gegen
die Zulassung der Juden zu Staatsämtern Protest erhoben,
und seitdem hatte sein Antisemitismus eine immer gefähr-
lichere Gestalt angenommen. Es sprach den Juden und
ihrer Religion geradezu die Existenzberechtigung ab; sie
müßten eben alle zum Christentum übertreten, einen an-
deren Ausweg gebe es nicht. Diese Artikel erregten all-
gemeines Aufsehen.
96 Das Ende der Regierung Alexanders II. und die Juden in Rußland.
Solche Angriffe durften aber von den geschmähten und
bedrohten Israeliten nicht zurückge^^iesen werden — das
duldete die Zensur nicht. Der ,,Zion" mußte, da ihm über
die alle Juden erregenden Angelegenheiten nicht zu sprechen
erlaubt war, sein Erscheinen einstellen. Erst sieben Jahre
später begründete der bekannte Schriftsteller Smolenski den
,,Haschachar", eine hebräisch geschriebene Zeitschrift, die sich
zumeist mit den inneren Fragen der russischen Judenheit be-
schäftigte, in der Absicht, den zähen Konservatismus der
jüdischen Masse zu bekämpfen.
Inzmschen hatte der Antisemitismus in der russischen
Presse, gefördert durch die Ansteckung von Deutschland aus,
immer bedrohlicheren Umfang angenommen. Der Preßstimmen,
die die Juden verteidigten, wurden immer weniger. Auch an-
geblich liberale Blätter MÜlilten gegen die Israeliten, wie der
"vielgelesene ,,Golos"; vergebens widersprach ihm der ,,Westnik
Ewropi", vergebens erhielt er sogar eine amtliche Verwarnnng
wegen seiner Hetzereien gegen Juden und Deutsche — er stand
ganz unter dem Baime der slawophilen Richtung. Als an den
Ostertagen des Jahres 1871 die Griechen in Odessa, deren kom-
merzielle Tätigkeit in lebhaftem Wettbewerb mit der der Juden
stand, eine Judenverfolgung in Szene setzten, wurde sie von
vielen russischen Zeitungen nicht allein nicht mißbilligt, sondern
geradezu verteidigt. Die Behörden Odessas hatten die Meuterer
zwei Tage lang ungehindert die Judenliäuser plündern und
verwüsten lassen; erst am dritten waren sie eingeschritten,
hatten zehn Aufrührer niedergeschossen, 20 verA^Tindet, 1159
verhaftet. Aber für den unermeßlichen ihnen zugefügten
Schaden erhielten die Israeliten Odessas keinen Ersatz. Man
erblickte plötzlich schlimme Gefahren, die den Völkern Europas
von den Juden drohten ; man erzählte sich mit stillem Schauder
von dem Bande, das die ,,Alliance israelite universelle" um
alle Juden schlinge, in der Absicht, deren Macht über alle
christlichen Nationen zu erhöhen, was um so bedenklicher sei,
als diese furchtbaren Pläne ganz im geheimen ausgedacht und
verfolgt würden. In jenen Zeiten übte das von dem Rene-
gaten Braffmann 1869 veröffentlichte Buch ,,Über den Kahal"
die verderblichste Wirkung, indem es nicht nur für die russische
Das Ende der Regierixng Alexanders II. vmd die Juden in Riißland. 97
Gresellschaft, sondern auch für die Regierung eine unerschöpf-
liche Quelle judenfeindlicher Argumente wurde. Es suchte die
große Schädlichkeit des Talmuds zu beweisen, mit diesem Werke
selbst entnommenen Belegen, die freilich ^Wllkürlich aus dem
Zusammenliange gerissen und schamlos entstellt waren, aber
auf lange Jahre hinaus den schlimmsten Einfluß übten. Der
Talmud, legte Braffmann dar, schließt nicht nur die Juden
fest zusammen und macht jeden Ausgleich zwischen ihnen
und der anderweiten Bevölkerung unmöglich, sondern er ent-
hält auch die dem Sittengesetz und dem Staatswohl gefähr-
lichsten Lehren. Die judenfeindlichen Zeitungen forderten nun-
mehr eine durchgreifende Revision der talmudischen Gesetz-
gebung und die Unterdrückung aller jener Mißbräuche und
Unsitten, die die Abschließung des israelitischen Lebens gegen
die Außenwelt und zumal die Zurückweisung der modernen
Zivilisation zur Folge hätten. Erst nachdem diese Säuberung
des Judentums vollbracht sei, sollten die Ausnahmegesetze
gegen die Israeliten abgeschafft und diese zu Vollbürgern des
russischen Reiches erhoben werden.
Noch schlimmer wairde das Geschrei gegen die Juden nach
Verkündigung des Gesetzes über die allgemeine WehrpfHcht,
das jene ebenso betraf wie alle anderen Bewohner Rußlands
(1874). Man muß sagen, daß die damals ihnen gemachten
Vorwürfe nicht unbegründet waren. Den schwächlichen jü-
dischen jungen Leuten, zumal den des Talmudstudiums in
stiller Klause beflissenen, war die Vorstellung des Militärdienstes
mit seinen körperlichen Anstrengungen und seinem Leben in-
mitten der gefürchteten ,,Gojim" entsetzlich. Früher konnte
man sich freikaufen, Stellvertreter mieten — das sollte nun auf-
hören. Vergebens versammelten sich die Rabbiner, des Ernstes
des Augenblicks bewußt, in Kiew und ermahnten die Gläubigen
zur Ableistung der Heerespflicht. Die Juden entzogen sich
ihr nichtsdestoweniger in Masse. Es fand sich, daß hier und
da in die Bevölkerungslisten kaum ein Drittel der jungen
jüdischen Leute eingeschrieben war; auch sonst wurden die
Listen vielfach gefälscht, um jene als ,, einzige Söhne" dienstfrei
zu machen. Solche Vorkommnisse wurden von der Presse
weidlich ausgebeutet. Auch die Regierung schritt ein. Zu-
Philippson, Xeuest© Geschiebte der Juden, Bd. III. '
98 Das Ende der Regiening Alexanders II. vind die Juden in Rußland.
nächst schloß sie die Juden grundsätzlich von der Mitglied-
schaft der Aushebungskommissionen aus. Dann erließ sie eine
Reihe von Ausnahmegesetzen, um die Durchführung der Wehr-
pflicht bei den Juden zu sichern. Es WTirde eine genaue Zählung
aller Israeliten veranstaltet. Der Senat richtete an die Gou-
verneure ein Rundschreiben mit eingehender Darstellung der
sämtlichen Kniffe, die Juden je angewendet hatten, um sich
dem Heere zu entziehen. Das erregte allerorts gegen diese
letzteren große Mißstimmung.
Die Zahl der Judenfeinde A^Tirde dann durch einen Mann
vergrößert, dessen Gegnerschaft die gebildeten Israeliten
ganz besonders schmerzlich berührte: es war Dostojewsky,
der berühmteste russische Romandichter jener Zeit. Der große
Schriftsteller hielt sich selber für keinen Antisemiten. Aber er
schilderte doch in sehr eingehender Weise, wie — vermeint-
lich — die Juden ihre ökonomische Herrschaft über die unteren
Schichten des russischen Volkes immer weiter ausdehnten, wie
sie sich immer tiefer und fester in die europäische ]Menschheit
einbohrten, mit der unerschütterlichen Absicht, ihr eigenes
Wesen und ihre eigene Art der Menschheit aufzunötigen. Er
sprach sich für die Erweiterung der den Juden gewährten
Rechte, ja für ihre völlige Gleichstellung aus, indes er stellte
zugleich die Folgen einer solchen Emanzipation derart ab-
schreckend dar, daß man deutlich zu erkennen vermochte, wde
wenig ernst es ihm mit seinen angeblich wohlwollenden Ab-
sichten sei. Er schrieb auch die Schuld an der beklagenswerten
Tatsache, daß die Verständigung zTvischen Christen und Juden
noch nicht zustande gekommen sei, ausschließlich dieser letz-
teren Volksklasse zu, die in ihrem Rassenhochmut jeden Nicht-
juden mit Geringschätzung betrachte. Die Gleichberechtigung
der Israeliten sei an und für sich eine Forderung der Gerechtig-
keit, aber tatsächlich sei sie nur wünschenswert, wenn die
Juden den Beweis erbrächten, daß solche dem russischen
Volke keinen Schaden zufügen ^^•ürde — eine Nachweisung, die
wohl kaum durchzuführen sei, da die Juden der Verbrüderung
mit Menschen, die an Abstammung und Glauben von ihnen
ab^wichen, kaum fähig erschienen.
Allerdings war Dostojewsky zu jener Zeit bereits dem
Das Ende der Regierung Alexanders II. und die Juden in Rußland. 99
wirren und intoleranten Mystizismus verfallen, der seine letzten
publizistischen Schriften zu minderwertigen gemacht hat.
Trotzdem brachte sein Feldzug gegen die Juden diesen in der
christlichen Gesellschaft und in ihrem eigenen Bewußtsein
großen Schaden.
Endlich, seit dem Jahr 1880, trat auch in der russischen
Presse die für die Juden so überaus verhängnisvolle Bahauptung
auf, daß sie die hauptsächlichen Verbreiter des Nihilismus,
der anarchistischen Revolution seien.
Es ist sehr natürlich, daß die intelligenten Bestandteile
der jüdischen Bevölkerung, die auf das schwerste den Druck
der sie nicht allein in ihrer ganzen Betätigung beschränkenden,
sondern ihr Wesen und Volkstum beschimpfenden Ausnahme-
gesetze empfanden, sich mit Abneigung, ja mit Haß gegen
eine Staatsordnung erfüllten, die ihnen solches Unglück auf-
erlegte, gegen eine Regierungsgewalt, die ihnen heute die
Pforte öffnete, um sie plötzlich ohne besonderen Grund, wieder
zuzuschlagen, und sie damit in eine unhaltbare Lage versetzte.
Daß viele junge Juden auf diese nichtsnutzige Mißhandlung
mit fanatischen Umsturzbestrebungen antworteten, war ent-
schuldbar; ja es war das gerade ein Beweis, daß die russischen
Israeliten nicht jenes feige, kraftlose, knechtische Gesindel sind,
als welches ihre Gegner sie darzustellen pflegten und noch pflegen.
Es hätte nur von der russischen Regierung abgehangen, alle
diese schwärmerischen jungen Menschen zu nützlichen und
treuen Staatsbürgern umzugestalten. Welcher blutiger Hohn
oder, im besten Falle, welche Torheit, dem Sklaven vorzuwerfen,
daß er mit allen Mitteln die Ketten zu brechen versucht, mit
denen man ihn belastet hat !
Und doch erA^iesen eben damals die offiziellen Unter-
suchungen und deren amtlich bekannt gemachten Ergebnisse,
daß die Beteiligung der Juden an den nihilistischen Verbrechen
der siebziger Jahre nur um ein Weniges ihr Verhältnis zu der
Gesamtbevölkerung übertraf. Der Aufruf, den die Nihilisten
im Jahre 1877 gerade an die jüdische Jugend erließen, hatte
also damals keinen besonderen Erfolg gehabt. Auch haben
später die Nihilisten sich niemals der Juden irgendwie an-
genommen. Allein die Wirkung dieser Anschuldigung, die, wie
7*
lüü Das Ende der Regierung Alexanders II. und die Juden in Rußland.
gesagt, in ihrer Schroffheit der Wahrheit nicht entsprach,
war eine sehr große. Also nicht allein auf wirtschaftlichem,
sondern auch auf politischem und sozialem Gebiete wären die
Juden die geborenen Feinde des russischen Volkes und seiner
echt nationalen, absolutistischen Staatsordnung ! Niemand
dachte daran, daß die Befreiung der Juden aus der ihnen auf-
erlegten Knechtschaft das einzige IMittel sein würde, die revolu-
tionären Gelüste unter ihnen zu beseitigen. Nein, im Gegenteil,
es hieß, man müßte, weit davon entfernt, die Rechte der Juden
zu erweitern, solche noch mehr einengen, ihnen so die Macht
nehmen, Schaden anzurichten. Ein anderer Überläufer aus dem
Lager des Liberalismus in das der Reaktion. Suworin. ^^oirde
in seinem Blatte ,,Nowoje Wremja" der Bannerträger des
Antisemitismus.
Dieser fand bald ein weiteres Feld für Angriffe auf die
wehrlose israelitische Minderheit. Er brachte von neuem die
schändliche Verleumdung in Umlauf, daß die Juden, oder doch
einige Sekten unter den Juden, Christenblut zu religiösen
Zeremonien gebrauchten. Bald wurde diese ungeheuerliche
Lüge in der russischen Presse ganz ernsthaft behandelt. Anlaß
dazu gab ein Buch von Hippolyt Ljutostanski ,,r)ie Frage, ob
jüdische Sektierer Christenblut zu religiösen Zwecken ver-
wenden, in Verbindung mit dem Verhältnis des Judentums
zum Christentum überhaupt." Diese Schrift wurde von allen
Schichten des Volkes mit Begier gelesen. Die auf Erdichtung
und Fälschung beruhenden angeblichen Beweise, die sie für die
Behauptung vom jüdischen Ritualmorde beibrachte, wirkten
auf die voreingenommenen Leser mit um so überzeugenderer
Gewalt, je weniger diese von dem religiösen Leben der sich
sorgsam abschließenden Juden überhaupt wußten. Und von
den Gebildeten sickerte diese haßerfüllte Beschuldigung un-
widerstehlich, oft absichtlich verbreitet, in die unteren Schichten
des russischen Volkes, das sie mit Begier aufnahm, zumal da,
wo es mit national griechischen Bestandteilen vermischt war,
wie in Südrußland. Eine tiefe gegenseitige Erbitterung griff
Platz zwischen Christen und Juden ; nur mit dem Unterschiede,
daß diese, die Schwächeren, die Opfer dieses Haßes -v^iirden,
und jene, die Stärkeren, seine Henker. Der Umstand, daß in
Das Ende der Regierung Alexanders II. und die Juden in Rußland. 101
den Prozessen wegen Ritualmordes die Angreifer sich stets
auf die Argumente des Buches von Ljutostanski beriefen, die
Verteidiger sie vor allem zu widerlegen suchten, beweist hin-
länglich den überaus verderblichen Einfluß jener perfiden
Schrift, der Urheberin unsäglichen Unlieils.
Der berühmte Orientalist Daniel Chwolson, der, um Pro-
fessor an der Petersburger Universität zu werden, sich äußer-
lich zum Christentume bekehrt hatte, aber im Herzen stets
ein warmer Anhänger der väterlichen Religion geblieben ist,
unternahm in gründlichen und wissenschaftlichen Schriften die
Verteidigung der Juden gegen die ungereimte Anschuldigung
des Ritualmordes. Allein er fand hartnäckige Gegner, zumal
in der vielgelesenen ,,Nowoje Wremja", wo der Historiker
Kostomarow die Schuld der Juden von neuem darzulegen ver-
suchte. Ein anderes, gleichfalls weit verbreitetes Blatt, der
,,Golos", übertrug die Satzungen des deutschen Antisemiten-
bundes in das Russische (1879) und bemühte sich, die deutsche
Bewegung in vollem Maße nach Rußland zu verpflanzen.
Besonders der Krieg gegen die Türkei (1877—78), der die
religiösen Leidenschaften in Rußland wieder anregte, wandte
diese auch gegen die heimischen Juden — ähnlich wie so viele
Jahrhunderte früher die Kreuzzüge; und die zahlreichen Miß-
erfolge dieses Kampfes verbitterten das Nationalgefühl, das
sich um so mehr gegen die fremden Volksbestandteile im Zaren-
reiche kehrte. Zumal den Juden schrieb man, ohne auch nur
den Schatten eines Grundes, die Schuld an den Niederlagen
des Heeres zu. Viele Ortsgemeinden reichten Petitionen bei
der Regierung ein, das Recht der Ansiedlung bei ihnen den
Juden nicht zu gewähren. In Archangel begründeten die
christlichen Kaufleute eine gegenseitige Hilfskasse, von der die
Juden grundsätzlich ausgeschlossen wurden. Schlimmer war
es, daß an verschiedenen Orten, wie in Kiew, Unruhen gegen
die Juden ausbrachen. In Trentelburg im Livland war es ge-
radezu die Beschuldigung, die von einem Gassenjungen auf-
gebracht wurde, die Juden hätten zum Passahopfer ein Christen-
kind geschlachtet, die am Ostermontag 1879 einen Aufruhr,
Niederreißung der Synagoge, Mißhandlung der Israeliten herbei-
führte, bis die Polizei den gräulichen Vorgängen ein Ende be-
102 Das Ende der Regierung Alexanders II. und die Juden in Rußland.
leitete. Älmliche Vorfälle, wenn schon in geringerem Umfange,
fanden damals in Samara an der Wolga statt.
Hier hatten rohe Pöbelhaufen sich zu Rächern des angeb-
lichen Ritualmordes der Juden gemacht. In Tiflis, der Haupt-
stadt des Generalgouvernements Kaukasien, waren es gar die
Behörden, die dem schändlichen Wahnglauben huldigten. Neun
Juden wurden beschuldigt, zu Ostern 1878 ein christliches
Mädchen, Sara Modebadze aus Satschery, abgeschlachtet zu
haben. Das Kind war erst sieben Jahre alt gewesen und auf
einem Gebirgswege an einem nebligen Tage abgestürzt. Der
Vater aber klagte die Juden an, indem er von ihnen eintausend
Rubel als Ersatz für die ihm durch den Tod des kleinen Mädchens
entgangene Arbeitskraft verlangte. Dieser Umstand kenn-
zeichnet bereits die Beweggründe der Bezichtigung. Der Prozeß
wurde im März 1879 vor dem Kreisgericht in Kutais verhandelt.
Die langwierigen Debatten, in denen die ganze Ritualmordfrage
von Staatsanwalt und Verteidigern aufgerollt \\airde, endete
mit der glänzenden Freisprechung aller Angeklagten. Das
machte auf die Kaukasier einen tiefen Eindruck: die Grund-
losigkeit der Anschuldigung war so offenbar geworden, daß
die Bewohner von Kutais in hellen Jubel ausbrachen und ein
rührendes russisch-jüdisches Verbrüderungsfest veranstalteten.
Leider nahm sonst die antisemitische Bewegung keinen so
harmlosen Verlauf.
Kaiser Alexander IL selbst sah sich durch den polnischen
Aufstand und bdsonders durch die zahlreichen Attentate auf
seine Person , deren Untersuchung das Dasein umfassender
revolutionärer Geheimbünde erwies , in seinen Hoffnungen
auf die versöhnende und heilende Kraft der freiheitlichen
Reformen getäuscht. Die sich häufenden trüben Erfahrun-
gen trieben ihn immer mehr seiner reaktionären Umgebung,
dem Hochadel und der hohen Bureaukratie, in die Arme.
Dazu kam, daß seine Gemahlin, Maria Alexandrowna, eine
darmstädtisohe Prinzessin, von ihrem Gemahl zugunsten einer
jüngeren und schöneren Nebenbuhlerin verlassen, in der eifrig-
sten und bigottesten griechisch-katholischen Orthodoxie ihren
Trost suchte und iliren bedeutenden Einfluß, auch auf den
durch Gewissensbeunruhigung gefügig gemachten Gatten, für
Das Ende der Regierung Alexanders II. und die Juden in Rußland. 103
die mitleids- und rücksichtsloseste Propaganda zur ausschließ-
lichen Herrschaft der Kirche verwandte. Der Zar stellte
die Zensur in voller Strenge wieder her und dehnte über
sein ganzes Reich ein drückendes politisches Überwachungs-
system aus.
Auch die Juden hatten diese Reaktion schmerzlich zu
fühlen. Ein Vorzeichen dafür war, daß schon im Jahre 1863
allen Bevölkerungsklassen der Ankauf von Kronländereien ge-
stattet wurde, ,,Krome Jewrejew", ,,mit Ausnahme der
Hebräer". So erschien diese verhängnisvolle Formel A^ieder,
die einst unter Nikolaus den Israeliten so viel Leid gebracht
hatte. Im Heere wurden die Juden vor dem Kriege lediglich zu
Unteroffizieren befördert ; nur ein Jude, Freymann aus Odessa,
wurde damals (1875) vom Kaiser selbst zum Offizier ernannt.
Jüdische Soldaten durften in Gemäßheit eines Nikolaischen
Gesetzes wieder nach Vollendung ihrer Dienstzeit nur im An-
siedlungsrayon ihren Wohnsitz nehmen. Die Israeliten blieben
nicht nur von der Wählbarkeit, sondern auch vom aktiven
Wahlrecht zum Posten des Bürgermeisters ausgeschlossen.
Sonst besaßen sie theoretisch das aktive und passive Wahl-
recht zu den Gemeindebehörden; aber trotz ihrer großen
Anzahl ließ man zumeist nur je einen Juden in die Ge-
meinderäte zu.
Vergeblich ermahnte Geheimer Staatsrat Posteis den
Kaiser, die Einschränkung der Juden in Aufenthalt und Beruf
aufzuheben, wenn er eine gedeihliche Entwicklung der Staats-
schulen für diese Volksklasse wünsche. Vergeblich sprach sich
ein großer Teil der Mitglieder des im Jahre 1872 unter Vor-
sitz des Fürsten Lobanow-Rostowski neugebildeten ,, Komi-
tees für Einrichtung des Lebens der Juden" in amtlichen
Gutachten dringend für Gewährung des freien Niederlassungs-
rechtes im ganzen Reiche an die Juden als eine Vorbedingung
für deren Assimilierung mit dem russischen Volkstum aus.
Obwohl diese Denkschriften von dem berühmten Kriminalisten
N. A. Nekludow sowie von dem hervorragenden Ministerialrat
W. Karpow verfaßt waren, blieben sie bei dem Zaren ohne
Wirkung. Seit dem Jahre 1867 triumphierte die Reaktion
in den leitenden Kreisen vollständig ; die neu ernannten Minister
104 Das Ende der Regierung Alexanders II. und die Juden in Rußland.
gehörten der entschiedenen kirchlichen Orthodoxie an. Das
gegen Polen neuerdings ^\deder aufgenommene System der
Russifizierung M^rde auch auf die loyalen deutschen Ostsee -
pro^inzen ausgedehnt. Um so weniger schonte man die Juden.
Der Minister der ,, Volksauf klärung" erließ ein geheimes Rund-
schreiben, das die Juden von den Universitätsprofessuren aus-
schloß. Und dies, obwohl großer Mangel an tüchtigen Dozenten
herrschte; obwohl man vorher jüdische Akademiker auf Staats-
kosten ins Ausland geschickt hatte, um sich dort für eine Pro-
fessur vorzubereiten ; obwohl der Staat 25 000 Rubel zu Stipen-
dien für jüdische Studierende ausgesetzt hatte. Mit solcher
Willkür behandelte man abermals die Israeliten. Ebenso schloß
das Justizministerium die Juden wieder von jeder richterlichen
Anstellung aus. Schon ließen sich, um diese Schwierigkeiten
zu überwinden, viele jüdische Aspiranten taufen. Die alt-
russische, panslawistische Bewegung griff immer mehr in den
höchsten Behörden des Staates um sich, die die Stichwörter
aufgriffen, die ihnen Aksakow in seiner Zeitung ,, Moskwa"
erteilte. Ein amtliches Rundschreiben des Generalgouverneurs
von Litauen, Grafen Baranow, enthielt die schärfsten Angriffe
auf die Selbstsucht, Herrschbegier und Ausbeutungslust der
Juden, befahl die Aufhebung aller jüdischer Sonderbehörden
in Stadt- und Landgemeinden und beschränkte dabei das
Stimmrecht der jüdischen Gemeinde Vertreter auf das empfind-
lichste. Dann wurde den Juden überhaupt jeder Güterankauf
untersagt. In Kiew woirden, 1873, die Israeliten aus dem
schönsten Stadtteile, dem Podolskischen, einfach ausgewiesen,
entgegen einem ausdrücklichen allgemeinem Gesetze aus dem
Beginne der Regierung Alexanders II. So waren die Ausnahme-
bestimmungen derart ver^^^ckelt und widerspruchsvoll, daß
sie den Beamten jede Handhabe zum Quälen und Bedrücken
der Juden lieferten. Auf solche Weise schufen sie sich auch
die Möglichkeit, von diesen immer neue Bestechungen zu er-
pressen. Dieser Umstand erklärt überhaupt die Gegnerschaft
des russischen Beamtentums gegen die Judenemanzipation.
Eine solche würde ihnen eben eine fortwährend und reichlich
fließende Quelle von ungesetzlicher Bereicherung verstopfen.
Die Bestechung ist hier die einzige Waffe der L^nterdrückten
Das Ende der Regierung Alexanders II. und die Juden in Rußland. 105
gegen ihre Peiniger, allerdings eine zweischneidige Waffe, da
die Beamten die INIißhandlungen häufen, um sich durch Schmier-
gelder besänftigen zu lassen.
Weitere Schritte gegen die Juden folgten. Vom 1. Januar
1875 an durfte kein Jude außerhalb des Ansiedlungsrayons
geistige Getränke ausschenken; innerhalb des Rayons wurde
es den Juden nur im eigenen Hause und mit jüdischen Gehilfen
gestattet. Das bedeutete wieder den wirtschaftlichen Unter-
gang vieler Familien, die sich auf diesen Erwerbszweig ein-
gerichtet hatten. Aber was kümmerte das die von antisemi-
tischen Ideen ergriffene Regierung, die fast die gesamte heimische
Presse auf ihrer Seite wußte ! Allen fremden Israeliten wurden
(1876) sogar der vorübergehende Aufenthalt in dem fünfzig
Werst breiten Grenzdistrikte untersagt. Auch in Petersburg
erhielten zahlreiche hervorragende ausländische Juden, trotz
der Vorstellungen ihrer Gesandten, Ausweisungsbefehle, an-
geblich wegen Verletzung der Paß vor Schriften. Dann ging es
an die inländischen Hebräer. In Wilna woirden die Talmud-
Thora- Schulen, obwohl dort die ärmsten Kinder auch im Rus-
sischen und im Handwerk unterrichtet wurden, sowie die seit
126 Jahren bestehende jüdische Druckerei der Gebrüder Romm
geschlossen. Im gesamten Gebiete der Donischen Kosaken
untersagte man den Juden, mit Ausnahme der promovierten
Doktoren, den Aufenthalt; ebenso in mehreren Grenz di strikten.
Aus Riga wurden auf einmal 150 nicht wohnberechtigte Juden
mit gefesselten Händen, wie gefährliche Verbrecher, aus der
Stadt vertrieben, den übrigen Israeliten ohne Ausnahme der
Besuch von Restaurationen und Kaffeehäusern verboten. Und
dies war nur die Schuld der Regierung, nicht — wie früher —
der Unduldsamkeit des Stadtrates, der vielmehr den Juden
erlaubt hatte, in der ganzen Stadt zu wohnen. Einige Jahre
darauf (1875) mußten mehr als zweihundert jüdische Familien,
die sich mit ausdrücklicher Erlaubiüs der Regierung in Kur-
land niedergelassen hatten, diese Provinz A^eder verlassen,
ohne jede Schuld ihrerseits, aber auch selbstverständlich ohne
irgendeine Entschädigung für die ruinösen Verluste, die solche
empörende Willkür ihnen zufügte. Und da bürdete man dem
Judentume die Verantwortung auf, wenn derartige Grausam-
106 Das Ende der Regierung Alexanders II. und die Juden in Rußland.
keiten Hunderte von jüdischen Jünglingen in die Reihen der
Nihilisten drängten ! Die Regierung begegnete dieser natür-
lichen Folge ihres eigenen Verfahrens durch die Anordnung,
alle Juden, die in politische Prozesse verwickelt waren, un-
weigerlich hinzurichten, während deren Genossen mit ver-
hältnismäßig leichteren Strafen davonkamen.
Trotz der allgemeinen Hinneigung zum Antisemitismus
waren die Mitglieder der ,, Judenkommission" in ihrer großen
Mehrheit dem Gedanken der vollständigen Gleichstellung der
Hebräer treu geblieben, freilich ohne damit bei den höchsten
Stellen des Staates Anklang zu finden. Diese Kommission
konnte ja nur beraten, nicht beschließen. Aber allmählich
bereitete sich gerade an jenen höchsten Stellen eine bedeut-
same Wendung vor. Die Mißerfolge des Türkenkrieges sowie
die sich häufenden Attentate auf ihn und auf seine höchsten
Beamten hatten schließlich das Selbstvertrauen des Kaisers
Alexanders II. tief erschüttert. Ohnehin kein starker Cha-
rakter, war er durch das Alter und mancherlei sinnliche
Genüsse vollends in seiner Kraft gebrochen. Er meinte sich
und der zarischen Gewalt eine Stütze in der Mitwirkung des
Volkes bei der Leitung des Staates sichern zu müssen. Kon-
stitutionelle Verfassung und Liberalismus schienen aber da-
mals gleichbedeutende Begriffe zu sein, und so kehrte er
allmählich aus Furcht zu den liberalen Entwürfen seiner
ersten Regierungs jähre zurück.
Diese Wendung kam auch den Juden zugute. Ihr Be-
nehmen während des Krieges hatte, im Gegensatze zu den
verleumderischen Behauptungen der Zeitungschreiber und
Hetzer, einen ausgezeichneten Eindruck bei der Staatsleitung
gemacht. Es hatte sich gezeigt, daß, wenn sie die Plackereien
des Soldatenlebens im Frieden fürchteten, sie nicht des Patrio-
tismus und des kriegerischen Mutes entbehrten. Bei den Aus-
hebungen für den Türkenkrieg verrieten die jüdischen Rekruten
großen Eifer; in Odessa fehlte nicht ein einziger. Viele Juden
rückten während des Kampfes zu Offizieren auf, sogar in der
aristokratischen Kavallerie; sehr zahlreich waren die jüdischen
Unteroffiziere. Mehrere Israeliten wurden wegen der vor dem
Feinde bewiesenen Tapferkeit mit dem St. Georgsorden deko-
Das Ende der Regierung Alexanders II. und die Juden in Rußland. 107
riert. Um so mehr zeigte sich ihnen jetzt die Regierung günstig.
So erließ am 3./15. April 1880 der Minister des Innern, Markow,
an die Gouverneure ein Rundschreiben, das ihnen anbefahl,
diejenigen Juden, die sich ohne gesetzliche Berechtigung außer-
halb des Ansiedlungsrayons niedergelassen hätten, nicht zu
beunruhigen, da hierdurch nur Verwirrung und großer kommer-
zieller Ruin hervorgerufen werden würde. Dieses Zirkular er-
kannte zum ersten Male offiziell den ökonomischen Nutzen
der Tätigkeit der Juden an. Aber noch mehr. Es konnte nur
als eine Einleitung zur Gewährung vollkommener Freizügigkeit
für die Juden, als Aufforderung an diese, sich unbekümmert
um die bestehenden Gesetze außerhalb des Rayons nieder-
zulassen, aufgefaßt werden. Kurz, die Aufhebung der schlimm-
sten Beschränkung des jüdischen Wesens in Rußland schien
unmittelbar bevorzustehen.
Eine neue Periode war für das Zarenreich zu hoffen, als
im August 1880 ein überzeugter Vorkämpfer gemäßigt frei-
heitlicher Anschauungen, Graf Loris-Melikow, zum Älinister
des Innern und leitenden Staatsmann ernannt wurde; zumal
Alexander II. in ihn ein unbegrenztes Vertrauen setzte. Der
Graf nahm sich sofort auch der Juden an. Er suspendierte die
Ausweisung der Juden aus dem durch den Berliner Vertrag an
Rußland zurückgegebenen Teile von Bessarabien. Er gründete
einen Fonds zur Förderung von Landbau und Gewerbe unter
den Juden, eröffnete Handwerkschulen für deren Söhne sowie
in verschiedenen Städten jüdische Volksküchen, die täglich
warme Speisen zu Hunderten, ja in Kowno zu Tausenden von
Portionen an die Bedürftigen abgaben. Er sammelte Beträge
für ausgediente jüdische Lehrer und stiftete in Petersburg und
Odessa jüdische Bibliotheken. Nunmehr konnte die ,, Juden-
kommission" mit frischem Eifer an ihre Arbeit gehen und be-
absichtigte eine große grundsätzliche Annäherung an die voll-
ständige Gleichstellung der russischen Israeliten.
Da machte ein schändlicher Frevel allen diesen frohen
Hoffnungen ein Ende.
Auf den Rat seiner hervorragendsten Beamten, des Grafen
Loris Melikow, des Kriegsministers Miliutin sowie des Finanz-
ministers Abasa hatte Alexander ein Manifest unterzeichnet,
108 Das Ende der Regierung Alexanders II. und die Juden in Rußland.
das aus Abgeordneten aller Provinzial-Semstwos eine Reichs-
versammlung zu bilden befahl. Aber ehe diese geAvichtige Ver-
kündigung noch veröffentlicht worden, fand er am 1./13. März
1881 durch die Bomben der Revolutionäre ein grausames Ende.
Es war der schwerste Schlag, der die Entwicklung des russischen
Staates und Volkes je getroffen hat!
Am verhängnisvollsten ^\^lrde das entsetzliche Ereignis
für die Israeliten. Die russische Judenlieit stand mit tiefer
Trauer an der blutigen Bahre Alexanders II., der ja auch für
sie der ,, Zar-Befreier" gewesen war, der ihre Leiden wesent-
lich erleichtert und auf dem Punkte gestanden hatte, ihnen
völlig ein Ende zu machen, soweit das ein Mensch vermochte.
In jedem, auch dem bescheidensten jüdischen Hause hing sein
Bildnis. Tiefste Dankbarkeit hat ihm die jüdische Bevölkerung
Rußlands bis auf den heutigen Tag bewahrt.
Schlimme Zeiten standen ihr bevor.
In ihrem eigenen Innern war alles in Übergang, in Gäh-
rung begriffen.
Der Zustand der jüdischen Kronschulen war ein sehr
unbefriedigender gewesen. Infolge des Mißtrauens der Eltern
gegen die angeblichen Christianisierungsbestrebungen der Re-
gierung war der Schulbesuch schwach, und selbst die Schüler,
die sich einfanden, kamen recht unregelmäßig, blieben oft zwei
bis drei Monate aus der Schule fort. Alles das, obwohl die Re-
gierung durch Ernennung jüdischer Schulinspektoren, neben
den christlichen, seit dem Jahre 1862 den gerechten Wünschen
der Juden entgegen gekommen war. 1868 zählten die fünf
jüdischen Schulen zweiten Ranges in Berditschew, Altkonstanti-
now, Odessa, Winniza und Kischinew zusammen nicht mehr
als 220 Schüler, die 25 ersten Ranges 4726; die 21 allgemeinen
Elementarschulen gar nur 782; die beiden Mädchenschulen in
Odessa und Kertsch 260 Zöglinge. Das war die ganze weibliche
Elementarbildung unter den russischen Juden. Es war daher
nur natürlich, daß die Regierung im Jahre 1873 alle jüdischen
Kronschulen zweiten Ranges aufhob und die Zöglinge an die
allgemeinen Schulen ver^Wes. Die Kronschulen ersten Ranges
sollten nur da bestehen und in jüdische Elementarschulen ver-
wandelt werden, wo ein dringendes Bedürfnis dazu vorlag.
Das Ende der Regierung Alexanders II. und die Juden in Rußland. 109
Auch die Rabbinerschulen als solche hörten auf, da aus
ihnen tatsächlich kein angestellter Rabbiner hervorgegangen
war. Sie wurden 1873 in Lehrerseminare verwandelt, und es
blieb den Juden überlassen, sich selbst Rabbiner heranzubilden.
Diese traurigen Zustände der elementaren Bildung Märkten
verderblich auf die Entwicklung des russischen Judentums.
Die weggelaufenen Jeschiwe-Bachurim, die als regellose Auto-
didakten sich in allen möglichen Wissenschaften dilettantenhaft
herumtrieben, wurden mit dem Überschwang der Halb- und
Ungebildeten die schlimmsten Gegner ihrer Religion und Glau-
bensgenossenschaft und schreckten anderseits die Altgläubigen
von echter Bildung ab. Die Regierung suchte dem Übel nach
Möglichkeit zu steuern. Die Melamdim sollten jüdische Kinder
nur in religiösen Dingen unterrichten, und zwar nur diejenigen
sollten dazu Erlaubnis erhalten, die dafür ein Zeugnis von
der Polizei erlangt hätten, wofür sie jährlich fünfzig Kopeken
zahlen mußten. Der religiöse Unterricht durfte nur am Nach-
mittag stattfinden, damit die Kinder am Vormittage die all-
gemeinen Schulen besuchen könnten. Wohlgemeinte Vor-
schriften, die leider so gut wie gar nicht beobachtet Avurden,
und gegen die bei der Polizei der Fünf -Rubel- Schein ein un-
trügliches Gegenmittel war.
Der Aberglaube der Chassidim grassierte in ungemindertem
Umfange fort. Ein Rebbe Malbim in Mobile w organisierte
fromme Wallfahrten zu sich selbst, die ihm wahre Reichtümer
einbrachten, segnete unfruchtbare Frauen oder versprach ehe-
verlassenen Weibern ihnen den ungetreuen Gatten zurückzu-
führen. Er wurde von der Regierung vertrieben und auf immer
des Rabbinats für unfähig erklärt. Aber es half wenig, wenn
so ein Wundertäter unter vielen bestraft und ihm das Hand-
werk gelegt wurde.
Um so eifriger arbeiteten die ,, Fortgeschrittenen" an der
Hebung des Bildungszustandes ihrer Glaubensgenossen von innen
heraus. Leider w^aren es nicht religiöse Ideale, die sie bewegten,
sondern das Streben nach Gleichberechtigung, nach Toleranz,
nach möglichster Assimilierung mit dem russischen Volkstum.
Ihren Höhepunkt erreichten diese bis zur Verneinung des
Judentums gehenden Richtungen in den siebziger Jahren. Die
110 Das Ende der Regierung Alexanders II. und die Juden in Rußland.
Zurückweisung, der damals die Juden in steigendem Maße
gerade von Seiten der russischen Intelligenz begegneten, hatte
nur die Folge, daß sie das jüdische Wesen immer mehr opferten,
um sich der Verzeihung von selten der Russen würdig zu zeigen !
Auf jüdischem Boden stand aber die schon erwähnte
Petersburger Bildungsgesellschaft, unter dem unermüdlichen
Baron Günzburg, der übrigens Stadtrat in der Kapitale ge-
worden war, und dem Philanthropen Bankier Brodsky, Sie
unterstützte arme jüdische Studierende, subventionierte jü-
dische Schriftsteller, und besonders solche, deren Werke die
allgemeine und spezifisch israelitische Bildung beförderten.
Freilich war die Beteiligung gering; 1875 zählte sie nur 207
Mitglieder. Wenn sie es trotzdem zu einem Jahresbudget von
17 000 Rubel brachte, so war das hauptsächlich den Opfern
einzelner, wie Günzburgs und Leo Rosenthals, ihres Kassierers,
zu danken. Allmählich nahm das Interesse der ,, Fortgeschritte-
nen" an diesem Vereine zu. 1881 war er auf 552 Mitglieder
gewachsen. Der Kreis seiner Aufgaben erweiterte sich. Nach
Aufhebung der Rabbinerschulen hatte er einen Rabbinats-
kandidaten am Breslauer Seminar studieren lassen — das wurde
ihm aber 1879 von der Regierung untersagt. Es gab sonst ein
Jahrbuch in russischer Sprache, eine Zusammenstellung der
religiös-sittlichen Lehren des Judentums, eine russische Über-
tragung mehrerer Bände der Geschichte von Grätz, mit An-
merkungen des gelehrten Harkawi, sowie ein russisch- jüdisches
Archiv heraus. Im ganzen war, bei dem immerhin geringen Um-
fange seiner Teilnehmer und Mittel, seine Wirksamkeit auf die
große Masse der Juden gering.
Dagegen strömten die Kinder gebildeter Familien mit
Eifer in die höheren allgemeinen Unterrichtsanstalten. Im
Jahre 1881 machten die Juden 8^/4 Prozent der Gesamtbevölke-
rung aus, die jüdischen Gymnasialschüler dagegen 12 Prozent
(also mehr als das Dreifache) mit 7413 unter 60 242. 1877 waren
die jüdischen Gymnasiasten sogar 20 Prozent der ganzen Schüler-
zahl solcher Anstalten. Später, bei wachsender Ausschließung
der Juden von den liberalen Berufen, ist dann das Verhältnis
wieder schwächer geworden als in den Jahren der Hoffnung.
Die Regierung trug diesem Anwachsen der Zahl jüdischer Zog-
Das Ende der Regierung Alexanders II. und die Juden in Rußland. ] 11
linge an der höheren Schule Rechnung, indem sie an diesen
israelitischen Religionsunterricht einzuführen beabsichtigte.
Allein das gelang ihr nur an wenigen Orten und zwar aus
Mangel an geeigneten Lehrkräften. Die Jeschiwe-Rebbes
mit ihrer gänzlichen Unbildung, ihrem schrecklichen Sprach-
mischmasch und ihrem vernachlässigten Äußeren waren dazu
ganz ungeeignet. — Auch der akademische Unterricht zog
zahlreiche Juden an. An der Petersburger Universität, die
(1876) 500 Studenten zählte, waren 40 Juden, gleich 8 Prozent,
die sich besonders dem Rechts- und dem Medizinstudium
widmeten. Viele Jüdinnen folgten dem in St. Petersburg er-
richteten medizinischen Kursen für Frauen.
Die Zahl der Juden in den beiden Hauptstädten Moskau
und St. Petersburg nahm fortwährend zu, trotz gelegentlicher
Austreibungen. In Moskau allein wohnten zwischen 15 000 und
20 000 Hebräer. Aber es gelang ihnen nicht, eine Gemeinde
zu bilden, da die Regierung im Inneren des Reiches keine
stabilen Judengemeinden dulden wollte; die Israeliten sollten
dort nur unstet, \ne der Vogel auf dem Zweige, bleiben. In
Petersburg hatten sich einzelne Juden seit dem Jahre 1855
niedergelassen. Sie hielten vonZeit zu Zeit Gottesdienst ab, mit
Soldatenrabbinern und in Soldatenbethäusern. Der liberale und
hochgebildete General gouverneur Fürst Suworow gestattete
ihnen dann im Jahre 1867, einen eigenen Rabbiner zu berufen,
den bisher in Riga amtierenden Dr. A. Neumann, mit einem
Jahresgehalt von 3000 Rubel; aber eine förmliche Gemeinde
durften sie nicht bilden. Bald brach auch hier der Streit
zwischen Fortgeschrittenen und Altgläubigen aus, und so unter-
blieb sogar der Bau einer Synagoge, für die die Mittel schon
gezeichnet waren. Die 20 000 Israeliten Petersburgs mußten
sich mit gemieteten Betlokalen begnügen. Endlich erfolgte
am 29. Juni 1877 ein provisorisches Statut für das ,, Bethaus
der Hebräer" — der Name Gemeinde war sorgfältig vermieden.
Alle Juden, die das Recht besitzen, in Petersburg zu wohnen,
und mindestens 25 Rubel jährlich für das ,, Bethaus" steuern,
sind Wähler für dessen Verwaltung. Aber es dauerte noch ein
volles Jahr, bis ihnen der Ankauf eines Platzes für eine Synagoge
genehmigt w^irde.
112 Das Ende der Regierung Alexanders II. und die Juden in Rußland.
Die jüdischen Ackerbaukolonien hatten sich unter einer
wohlwollenden und einsichtigen Regierung einigermaßen ge-
hoben. Es waren ihrer 1879 in Südrußland — Gouvernement
Cherson — 21 mit 21 828 Seelen, 39 Gebethäusern, 10 Schulen
mit 2600 Pferden, 5100 Rindern und 3100 Schafen: allerdings
ein geringfügiger Viehstand, der beweist, daß die Kolonisten
sich zumeist mit Getreidebau beschäftigten. In Westrußland
waren etwa ebenso viele jüdische Ackerbauer : 20 665 in 56
Kolonien. Mehr noch in Polen: 28 391. Das waren immerhin
erfreuliche Ergebnisse.
Die Zustände der russischen Juden bei dem traurigen Be-
schluß der Herrschaft Alexanders II. waren verworren, unfertig,
gährend — aber doch in \äeler Beziehung verheißungsvoll; es
bedurfte nur des Fortschreitens auf den zuletzt -wieder ein-
geschlagenen Bahnen, um sie einer günstigen Gestaltung zu-
zuführen. Wie sie aber sich weiter entwickeln sollten, ob zum
Guten oder zum Schlimmen, das hing zum größten Teile von
der Regierung des jungen Zaren ab, der jetzt den Thron seines
unglücklichen Vaters bestieg.
Buch Zehn.
Zar Alexander III,
Philippson. Neueste Geschichte der Juden, Bd. Iir.
Kapitel Eins.
Die ersten Pogrome.
J\\s Alexander III. den mit Gefahr umgebenen Thron der
Zaren bestieg, hatte er sein seclisunddreißigstes Lebensjahr be-
schlossen. Er war ein wohlmeinender, eifriger, aber geistig
beschränkter Fürst, der eben deshalb die wenigen Ideen, die
sich in seinem Gehirne festgesetzt hatten, mit äußerster Zähig-
keit beibehielt. Diese Anschauungen aber waren ihm ein-
geflößt durch den Moskauer Universitätsprofessor Konstantin
Petro witsch Pobjedonoszew, einem gründlich gebildeten, ehr-
lichen, aber finsteren und asketischen Fanatiker des Alt-
russentums, der den Zarensohn seit dem Jahre 1865 mit den
Grundlagen des russischen Staats- und Verwaltungsrechtes be-
kannt machte. Je hochstehender der Lehrer in moralischer
Hinsicht, je gründlicher sein Wissen, je beredter seine Sprache
und besonders je einfacher seine Ansichten waren, um so fester
und ausschließlicher gruben diese sich dem beschränkten
Thronfolger ein. Sein System war logisch in sich geschlossen:
Selbstherrschaft und Rechtgläubigkeit waren dessen Grund-
lagen und Pfeiler. Da der Großfürst ohne eigenes Urteil war,
ohne jegliches Talent, ohne staatsmännische Anlagen, so ent-
behrte er jeder Selbständigkeit und schwor auf die Worte
seines hochbegabten Professors. Damit geriet er bald in Wider-
spruch mit den Tendenzen seines kaiserlichen Vaters, und zu
den politischen gesellten sich persönliche Gegensätze. Die
Vernachlässigung der Mutter seitens des Vaters und dessen
Liebschaft mit einer jüngeren und schöneren Frau kränkte die
kindliche Pietät und die Frömmigkeit des Sohnes; und als
Alexander II. 1880 nach dem Tode der Zarin die Geliebte,
Fürstin Katharina Dolgoruki, trotz des schärfsten Widerstandes
8*
116 Die ersten Pogi'ome.
des Thronfolgers heiratete, hielt sich dieser ganz von dem
Herrscher entfernt. Er zeigte seitdem offen seine Vorliebe für
die Orthodoxen, Altrussen und Panslawisten.
Und so wurde Alexander III. Kaiser. Er besaß alle Tugen-
den des Privatmannes, war ehrlich, wahrhaftig, ein vortreff-
licher Gatte und Familienvater, einfachen Wesens, aber zum
Herrschertum unfähig. ,,Der Kaiser", so schilderte eine hohe
und wohlunterrichtete Persönlichkeit den Zaren dem Fürsten
Chlodwig von Hohenlohe, ,,ist mißtrauisch und ohne jedes
Selbstvertrauen, dabei vollkommen ungebildet und beschränk-
ten Geistes. Dazukommt eine große Trägheit und Indolenz."
Gerade sein Mißtrauen gegen sich und gegen andere machte
ihn streng und rücksichtslos, unbedingt autokratisch; und
endlich führte ihn das Bewußtsein der inneren Schwäche oft
bis zu leidenschaftlicher Grausamkeit, die eigentlich seinem
innersten Wesen widersprach. Das furchtbare Ende seines
Vaters schien ihm ein warnender Beweis, zu welchem traurigen
Ergebnisse der Liberalismus führe, und daß das Heil nur von
der Rückkehr zu der Einfalt und Frömmigkeit des orthodoxen
Altrussentums zu erwarten sei. Als Kaiser und als Sohn glaubte
er sich zum rächenden Vernichtungskriege gegen die Nihilisten
berufen; und zu diesen rechnete er auch alle liberal Gesinnten.
Die Selbstherrschaft wurde wieder, me einst unter Nikolaus,
ihr eigener Zweck — das war die Frucht, die Rußland zunächst
den Geheimbündlern und Verschwörern zu danken hatte.
,,E i n Zar, ein Glaube, eine Sprache, e i n Recht," das
^vurde der Wahrspruch des neuen Herrschers. Voll Mißtrauen
gegen die eigenen Untertanen, verlegte er seine Residenz von
Petersburg nach dem benachbarten Städtchen Gatschina in
das von prächtigen Gärten umgebene Schloß, wo der Eintritt
streng überwacht und er selber ganz seiner reaktionären Um-
gebung überliefert war. Von der durch seinen Vater ent-
worfenen Verfassung war nicht mehr die Rede. Am 1, Mai
1881 entließ er deren Urheber, den Grafen Loris-Melikow, und
setzte an dessen Stelle als Minister des Innern und leitenden
Ratgeber den gewissenlosen Intriganten Nikolaus Pawlowitsch
Ignatiew, der selbstverständlich auf die Anschauungen des
neuen Monarchen mit grenzenlosem Eifer einging und zu deren
Die ersten Pogrome. 117
Ausführung seine ganze unsittliche Schlauheit und brutale
Gewaltsamkeit zu verwenden entschlossen war. Dem Zaren
aber war dieser in ganz Europa berüchtigte Staatsmann von
seiner Umgebung als „genial" gepriesen worden, und er glaubte
es, bis er sein blindes Vertrauen völlig getäuscht sah.
Jede andere Nationalität, jeder andere Glaube sollte unter-
drückt werden — das war die Ansicht wie Pobjedonoszews so
auch Ignatiews. Die Deutschen in den Ostseeprovinzen be-
kamen die schwere Hand der neuen Regierung zuerst zu fühlen.
Diese hob das Toleranzedikt Alexanders II. vom Jahre 1865
auf, dessen Gleichstellung des Luthertums mit der orthodoxen
Kirche Pobjedonoszew als ,,eine Kränkung für ganz Rußland"
bezeichnete. Eine Bittschrift der livländischen Ritterschaft
um Aufrechterhaltung der Glaubensfreiheit ^\des Alexander III.
1885 zurück, mit den harten Worten: ,, Solche Gesuche sind
nie mehr vorzubringen." Aber nicht nur gegen das Luthertum,
auch gegen das Deutschtum wurde vorgegangen, die Russi-
fizierung in beider Hinsicht systematisch betrieben. Die-
jenigen, die zur russischen Kirche übertraten, wurden von den
kirchlichen Reallasten befreit und mit Landzuweisungen be-
dacht; hatten sie sich Kriminalstrafen zugezogen, so wurden
diese erleichtert oder ganz erlassen. Regierung und heiligster
Synod unterstützten die neu begründete ,, Baltische Brüder-
schaft" zur Überfülirung der Letten zur Orthodoxie — gerade
wie die Glaubensgenossen der baltischen Lutheraner in Preußen
durch König und Kirche die Judenmission unterstützten.
Lutherische Kirchen durften — ein blutiger Hohn ! — nach der
Vorschrift des Ministers des Innern vom 13. Oktober 1885 nur
mit Genehmigung des orthodoxen Bischofs gebaut werden.
Gegen 200 Pastoren, die sich ihrer Pfarrkinder gegen den Druck
der orthodoxen Propaganda angenommen hatten, wurden pein-
liche Prozesse erhoben. Mit dem Jahre 1886 begann die völlige
Russifizierung der baltischen Volksschule, als deren Ziel ,, Hebung
der russischen Sprachkenntnisse und Einbürgerung der vor-
schriftsmäßigen Gesinnung" hingestellt wurde. Ebenso durften
die baltischen Behörden aller Art nur noch die russische Sprache
anwenden, die die ungeheure Mehrheit der Bevölkerung nicht
verstand. Es kümmerte die Regierung nicht, daß eine Folge
118 Die ersten Pogrome.
dieser Maßregeln vollkommene Lahmlegung von Polizei und
Gericht wurde und, da die Verbrechen straffrei blieben, deren
Zahl sich in wenigen Jahren verdoppelte. Recht und Ver-
fassung galten den Vertretern des Despotismus nichts, wie
Alexander III. selber den Livländern am 20. Oktober 1885
erklärte: ,,Ich sehe auf die baltischen Provinzen als einen Teil
von Rußland und erstrebe mit allen Kräften eine Vereinigung
auf dem Boden des russischen Gesetzes, nicht der Privilegien",
das heißt der besonderen, beschworenen Verfassung jener Pro-
vinzen. Den Widerstand der Letten gegen die Deutschen
förderte die Regierung Alexanders III. als russisch und kaiser-
treu. Der ,,Golos" hetzte nach Kräften die Letten auf, mit
Hilfe der Regierung und der russischen Gerichtshöfe, die seine
schmutzigen Beleidigungen des Deutschtums schützten. Seit-
dem begannen in den Ostseeländern die Agrarunruhen und
Brandstiftungen, die die Regierung ebenso ungestraft beließ,
wie die offenen Aufreizungen der estnischen und lettischen
Presse zum Abbrennen und Totschlagen der Deutschen. D i e
Deutschen sollten aus dem Reiche gedrängt
werden, nicht minder als die Juden.
Zu diesem Zwecke sollte die Revisionsreise des Senators
Manassein dienen, mit der dieser Würdenträger im Januar
1882 in den Gouvernements Livland und Kurland betraut
wurde. Er umgab sich mit den wildesten lettischen und estni-
schen Agitatoren, während — von ihm ermutigt — die russischen
Geistlichen, vom Bischof abwärts, den Kreuzzug gegen die
Deutschen predigten. Manassein verheimlichte nicht, daß seine
Revisionsreise gegen die Deutschen gerichtet sei. Sozialistische
Verschwörer lettischen Stammes ließ er von der russischen
Staatsanwaltschaft in Freiheit setzen und die Untersuchung
gegen sie niederschlagen. Durch solche Vorfälle ermutigt und
aufgehetzt, faßte das lettische Landvolk Hoffnung auf Ver-
treibung der Deutschen, und einstweilen nahmen die Agrar-
verbrechen in ungeheurem Umfange zu, und zwar um so unge-
scheuter, als die deutschen Richter und Beamten durch Manas-
sein massenhaft abgesetzt wurden. Der Zar und seine Re-
gierung forderten immer die Letten zur Vereinigung mit dem
Russentum gegen die ,, fremde Kultur der Deutschen" auf.
Die ersten Pogrome. 119
Es ist ein deutscher Schriftsteller, A. Thun, der in seiner
„Geschichte der revolutionären Bewegung in Rußland" (S. 220)
den Ausspruch tat: „Ignatiew suchte der aufgeregten Stimmung
in Rußland ein Ventil in der Juden- und Deutschenhetze zu
öffnen."
Denn natürlich griff man, wie der Deutschen, so auch
der Juden ,, fremde Kultur" an. Alexander III. selber hat
noch kurz vor seinem Ende seiner Gesinnung gegen die Israeliten
in den charakteristischen Worten Ausdruck verliehen: ,,Die
Juden sind für Rußland ein schweres Kreuz, das zu tragen
dieses für immer verurteilt ist."
Die Regierung wünschte die revolutionäre Stimmung,
die allgemeine Unzufriedenheit auf einen anderen Faktor ab-
zuwälzen, der ihr selbst ungefährlich sei. Sie hoffte dadurch
selber aus dem Spiele zu bleiben und zugleich die gegen sie ge-
richteten Bestrebungen der Revolutionäre als ein Erzeugnis eben
dieses Faktors zu bezeichnen und unpopulär zu machen. Es
boten sich ihr zu diesem Behufe, noch mehr als die Deutschen,
die Juden dar, deren stark ausgeprägte Sonderart sie ohnehin
dem Volke entfremdet , der herrschenden Partei der Pan-
slawisten verhaßt gemacht und dem selber zu letzterer neigen-
den Zaren Alexander III. zum Gegenstande der Abneigung
und Feindschaft gestempelt hatte. Der allmächtige Minister
Graf Ignatiew hatte überdies dem Kaiser die Überzeugung
beigebracht, daß die gebildeten Juden infolge ihrer liberalen,
aus Westeuropa bezogenen Ideen die eigentlichen Träger der
Revolution und zugleich die gcAvissenlosen Ausbeuter des rus-
sischen Volkes seien. Seit Jahren hatten die panslaAvistischen
Zeitungen und Wortführer unausgesetzt das Volk gegen die
Hebräer aufgewiegelt, diese als Urheber alles Unglücks und
aller Not hingestellt. Die Regierung selber hatte durch ihre
Ausnahmegesetze alles getan, um dem Volke die Hebräer als
eine minderwertige Rasse zu bezeichnen. Die wirtschaftliche
Notlage der bäuerlichen Bevölkerung, zumal in Südrußland,
machte den Boden für solche Umtriebe nur allzu geeignet; die
Bauern suchten sich, wie sie selber es bei hundert Gelegenheiten
sagten, an der Habe der verfehmten Juden schadlos zu halten.
In den Städten war es — neben der Roheit und Plünderungs-
120 Die ersten Pogrome.
sucht des Pöbels — der Konkurrenzneid der christlichen Hand-
werker und Händler gegen die sparsamen, nüchternen, mit
kleinem Nutzen sich begnügenden Juden, der zu deren Be-
kämpfung und wirtschaftlichen Vernichtung anreizte. Selbst
die revolutionären Leiter sahen solche Ausschreitungen mit
Wohlgefallen, da sie in ihnen einen Beweis und eine Greneral-
probe für revolutionäre Bestrebungen innerhalb des russischen
Volkes erblickten. Der passendste AugenbHck aber war das
Osterfest, wo der religiöse Fanatismus der griechisch-katho-
lischen Menge auf das höchste gesteigert und durch un-
mäßigen Genuß von Wodka noch mehr angereizt und f jeder
Kontrolle durch die Besinnung beraubt war.
So brachen am 27. April neuen Stils im Gouvernement
Cherson (Südrußland) die antisemitischen Unruhen aus.
Zuerst in der etwa 32 000 Einwohner zählenden Stadt
Elisabethgrad. Den Anlaß gab eine Prügelei zwischen einem
jüdischen Schankwirt und seinen betrunkenen Gästen. Den
Streitenden schlössen sich bald viele Hunderte von Bauern
und städtischem Gesindel an. Viele Juden wurden nieder-
geschlagen, aber der eigentliche Zweck der Aufrührer war
Plünderung und daneben die Demolierung der Judenhäuser.
Die Bedrohten selber entflohen. Das Militär sah untätig zu
und schritt erst^ein — am 29. — als das Unheil vollendet war.
400 Personen, bei denen man meisten gestohlenes Gut fand,
wurden dann verhaftet. Die Bauern aber zerstreuten sich in
ihre Dörfer, und nun wurden auch hier die Juden geprügelt,
ausgeraubt, vertrieben. Erst nachdem dies geschehen war,
ordnete die Regierung Repressivmaßregeln an. Mehrere kleine
Städte des Gouvernements waren gleichfalls Schauplatz von
Judenplünderungen.
Auch in Kischinew fanden ähnliche Ausschreitungen statt,
obschon in geringerem Umfange.
Viel schlimmer waren die Exzesse im ,, heiligen" Kiew,
einer Stadt von 150 000 Einwohnern, unter denen etwa 20 000
Juden waren. Der Ausbruch war von Aufwieglern wochenlang
vorbereitet worden. Sie hatten den Arbeitern vorgeredet, der
neue Zar wolle bis zu seiner Krönung nur eine einzige, die
rechtgläubige Religion in seinem Reiche haben, die Anders-
Die ersten Pogrome. 121
gläubigen müßten vertilgt werden ; und der Landbevölkerung :
alles Besitztum solle nach dem Willen des verstorbenen Zaren
geteilt werden. Scharen von Menschen zogen von den benach-
barten Orten in die Stadt, ohne daß die Polizei ihnen die ge-
ringste Aufmerksamkeit schenkte. Am 7. Mai ging es los,
unter Führung von Gebildeten und Wohlgekleideten. Die
Polizei sah untätig zu; ja, wie bei den meisten Judenkrawallen,
dienten die Polizisten als Provokateure und befanden sich unter
den Unruhstiftern und Plünderern. Die Untersuchungen des
russischen Justizministers haben ergeben, daß Polizeibeamte
persönlich die Aufrührer zum Angriff geführt sowie zum Plün-
dern und Zerstören aufgefordert haben; erst wenn Militär
anrückte, verschwanden die Polizisten. So auch in Kiew.
4 — 5000 Menschen plünderten und verheerten die Judenwoh-
nungen, schlugen gelegentlich auch einige Juden tot. Die Ko-
saken halfen dabei. Einer jüdischen Abordnung, die den General-
gouverneur General Drenteln um Schutz bat, antwortete
dieser schlimme Judenfeind höhnisch: wegen einiger Juden
könne er seine Soldaten nicht in Gefahr bringen; jene möchten
sich selber helfen, sie wißten ja sonst die Leute zum eigenen
Vorteil zu behandeln. So setzten die Aufrührer, durch die Straf-
losigkeit ermutigt und durch die gestohlenen Spirituosen be-
rauscht, von dem Beamten Eismann und dem General Tsclier-
kassow angestachelt, am 8. Mai ihr Zerstörungswerk fort.
Erst als dieses sich auch auf große Fabriken erstreckte, ließ
Drenteln das Militär einschreiten. Da sich die Aufrührer mit
den Waffen widersetzten, feuerte das Militär: sieben Plünderer
blieben tot, achtzehn wurden verwundet. Die Menge zerstreute
sich, um in den Nachbarorten das gleiche Spiel zu beginnen.
Wer von den Juden flüchten konnte, verließ die Stadt und die
Umgegend. Der materielle Schaden wurde auf 2Y2 Millionen,
Rubel veranschlagt. Als Epilog wurden 554 jüdische Arbeiter
aus der Kiewer Tabakfabrik ausgeschlossen. So ermutigte
man die Handarbeit der Hebräer.
In Alexandrowsk, Konotop, Golta, Wolazyska, Schmerinka,
Browary, Ananjew wurden die Juden gleichfalls ausgeplündert
und vertrieben. Die Behörden blieben untätig oder halfen
möglichst den Exzedenten. Das gesamte Landvolk in Süd-
122 Die ersten Pogrome.
rußland geriet außer Rand und Band. Tausende jüdischer
Familien entflohen, meist nur das nackte Leben rettend. Die
Not unter den Unglücklichen war schrecklich.
Die ganze Bewegung war sorgfältig vorbereitet worden;
die Anführer der Aufständischen waren von der Lage der
jüdischen Häuser, Läden und Fabriken genau unterrichtet und
gingen bei ihrem Zerstörungswerke planmäßig vor; die rohe
Masse war nur blindes Werkzeug. Die Anstifter waren vom
Norden gekommen, vom Sitze der Regierung und der Leitung
der panslawistischen Partei.
Endlich, am 14. Mai, ließen die Judenplünderer auch in
der großen Handelsstadt Odessa sich nicht mehr halten.
Sie benutzten das Aufsehen, das das Spiel der berühmten
französischen Tragödin Sarah Bernhardt in der Stadt hervor-
rief, um sich zusammenzurotten und die Straßen zu durch-
ziehen. Tausende begannen das Werk der Beraubung und
Zerstörung. Zwei Tage hielt es an. Dann schritt das Militär
ein: es kam zu förmlichen Kämpfen, bei denen es beiderseits
Tote und Verwundete gab. Hunderte der Aufrührer \\Tirden in
Haft genommen, aber auch \'iele Juden — die Opfer erlitten
von den Behörden dieselbe Behandlung wie die Übeltäter.
Die Behörden begünstigten eine Bewegung unter der ländlichen
Bevölkerung, um die Judenhetze zu ,, legalisieren" : nämlich
durch Petitionen der Dorfgemeinden an die Regierung um Aus-
weisung der Juden aus ihren Bezirken und weitere Beschrän-
kung der ökonomischen Beschäftigungszweige der Hebräer.
Praktischer verfuhren noch die Bauern im Kreise Mariampol.
Sie erschienen (Juni 1881) am hellen Tage mit mehr als hundert
Wagen in den dortigen jüdischen Ackerbaukolonien, luden das
sämtliche Eigentum der Kolonisten auf und fuhren dann, ohne
weitere Ausschreitungen zu begehen, davon. ,,Der Zar", sagten
sie, ,,hat befohlen, den Juden zu nehmen, was sie besitzen, sie
selbst aber nicht zu mißhandeln." Offenbar wieder ein von
außen gegebenes Losungswort !
Von den verhafteten Plünderern von Elisabethgrad,
Kiew und den anderen Orten, wo Judenhetzen stattgefunden
hatten, woirden nur wenige und auch diese nur zu geringen
Strafen verurteilt. Diejenigen russischen Rechtsanwälte in
Die ersten Pogrome. 123
Kiew, die sich vor Gericht der beraubten und verletzten
Hebräer angenommen hatten, wurden von ihren Kollegen als
,, unwürdig des Advokatenstandes" in Verruf erklärt !
Bei solcher Ermutigung durch Regierung und Gebildete
verbreitete sich natürlich die Judenhetze immer weiter. Im
Juli 1881 kam das Gouvernement Poltawa an die Reihe.
Der erste Ausbruch fand hier in der Stadt Perejaslawl am
13. Juli 1881 statt: zehn Juden wurden schwer, 200 leicht
verwundet. Die Regierung nahm unter den Aufrührern 60 Ver-
haftungen vor, aber ein Pöbelkrawall befreite die Gefangenen
schon nach wenigen Tagen. Selbstverständlich fand das in
Perejaslawl gegebene Beispiel an mehreren Orten des Gouverne-
ments Nachahmung : das Eigentum der Juden wurde vernichtet,
sie selber mißhandelt und verwundet. Aus siebzehn Diösen
des Gouvernements wurden, oft unter Begünstigung und Füh-
rung der Ortsbehörden, die Juden ganz vertrieben. Überhaupt
drängten sie sich in die größeren Städte zusammen, wo sie doch
einigermaßen auf den Schutz von Polizei und Militär hoffen
durften. Wirklich feuerten z. B. in Lubny, dem Mittelpunkte
eines überaus fruchtbaren Agrarkreises, die Soldaten auf die
Aufrührer, von denen zwei fielen, 15 gefangen wurden. In dem
benachbarten Gouvernement Tschernigow war es die Haupt-
stadt selbst, wo eine Judenhetze ausbrach, die durch die Waffen
unterdrückt werden mußte, wobei zehn Unruhestifter getötet,
zahlreiche verwundet wurden. Trotzdem fanden noch neue
Judenmassakres in mehreren Flecken des Gouvernements
Tschernigow statt.
Die Regierung sandte im Monat Juli 1881 den Grafen
Kutaissow nach Südrußland, um an Ort und Stelle die Ursachen
und den Charakter der dortigen antisemitischen Bewegung zu
studieren. Er kam zu dem Ergebnisse, das für die Aufruhrer
schonend genug klang: die Schuld an den südrussischen Kra-
wallen sei die ökonomische Notlage der dortigen Bevölke-
rungen — wobei sich dann jeder ausmalen konnte, wie die
,, Ausbeutung" durch die Juden an dieser Notlage mit be-
teiligt sei. Wirklich wütete ein Teil der Presse immer noch
gegen die Hebräer, unter Duldung der Regierung. Diese er-
laubte auch keinerlei Hilfsorganisation für die geplünderten,
124 Die ersten Pogrome.
verjagten, mißhandelten Unglücklichen. Vielmehr setzte sie
die Verfolgung in der angeblich gesetzlichen Form der Aus-
weisungen selber fort. Die fremden Israeliten in den Seeplätzen
wurden vertrieben, trotz der eifrigen Reklamationen Englands
für seine dort ansässigen jüdischen Untertanen. Später wurden
alle Juden, die nicht ausdrückliche Erlaubnis in dem 50- Werst-
Grenzdistrikt besaßen, aus diesem verjagt, mit Bezug auf eine
dreißig Jahre früher erlassene und von Alexander II. ausdrück-
lich aufgehobene Verordnung; keinerlei Vorstellungen ver-
mochten diese Maßregel zu verhindern (Januar 1882). Drei-
hundert Juden wurden auf die brutalste Weise aus Moskau
entfernt: die Polizei überfiel sie im Schlafe, nahm ihnen ihre
Pässe und schob sie am folgenden Morgen ab (März 1882);
dann von neuem fünfhundert Familien. In Kiew erlitten
Tausende jüdischer Familien das Schicksal der Ausweisung.
Aus der Handels- und Gouvernementshauptstadt Orel wurden
900 Familien vertrieben. Und so fort. Es waren ,, unblutige
Pogrome", von der Regierung veranstaltet.
Die gebildeten Juden suchten dem Unheil nach Möglichkeit
zu steuern. Unter Anführung des großen Zuckerfabrikanten
und bekannten Menschenf reundes Brodsky erschien eine jüdische
Deputation aus Kiew bei dem Minister Ignatiew und forderte
die Entlassung des Gouverneurs General Drenteln als offen-
kundigen Förderers der Unruhen. Brodsky begab sich zu
gleichem Zwecke zum Großfürsten Wladimir AlexandroA\'itsch,
des Zaren Bruder, der die Kühnlieit hatte, dem erstaunten
Kiewer Israeliten als Anstifter der Krawalle die Anarchisten
und Nihilisten zu bezeichnen und damit jede Verantwortung
von der Regierung und deren Organen auf ihre Gegner zu
wälzen. Das war einfach eine Abweisung der gerechten Be-
schwerden und Bitten der Juden. Ebensowenig Erfolg ver-
sprach eine Petition des Eisenbahnkönigs S. S. Poljakow: die
von der Regierung gewünschte Russifizierung der jüdischen
Masse ^vurde durch die steten gegen diese gerichteten Aus-
nahmegesetze unmöglich gemacht. Er verlangte deshalb die
Gewährung des Aufenthaltsrechts für die Hebräer im ganzen
Reiche sowie das Aufhören aller besonderen Einrichtungen und
Steuern für dieselben; endlich verschiedene Bildungsmaß-
Die ersten Pogrome. 125
nahmen. Poljakow hatte damit den Nagel auf den Kopf getroffen,
die wahre Lösung des gefährhchen Problems angegeben. Allein
er predigte tauben Ohren. Ignatiew wünschte ja nicht die
Russifizierung, sondern die Vertreibung der Juden aus dem
Reiche.
Eine umfassendere Maßregel war die Vereinigung von
56 jüdischen Notabein — Rabbinern, Gelehrten, Ärzten, Rechts-
anwälten, Stadträten, Finanziers — aus den von den Uni'uhen
betroffenen Gebieten in Petersburg, unter Vorsitz von Horaz
Günzburg, in der zweiten Hälfte des August 1881; sie sollte
dauernde Abhilfe schaffen. Man beschloß Anlegung eines
Fonds zur Verbreitung von Ackerbau unter den Juden, Grün-
dung von Ackerbaukolonien; den Versuch, Juden in die staat-
lichen Lokalkommissionen zur Regelung der jüdischen An-
gelegenheiten zu bringen; Anlegung eines jüdischen Preß-
bureaus zur Bekämpfung der antisemitischen Zeitungsstimmen;
Überwachung der Militärpflichtigen durch die Rabbiner zur
Verhütung der Desertion; Anstrebung der Einführung des
jüdischen Religionsunterrichtes bei allen von israelitischen
Kindern besuchten Schulen; endlich, zu augenblicklicher Ab-
wehr, Nachsuchen einer Audienz bei Ignatiew und bei dem
Kaiser selbst.
Alexander III. besaß, trotz seiner ausgesprochenen Juden-
feindschaft, hinreichendes Gefühl für Recht und Ordnung, um
ein Gegner der Judenkrawalle zu sein. Er fürchtete auch wohl,
daß die Volksum'uhen sich leicht auf ein anderes, auf ein förm-
lich revolutionäres Gebiet ausdehnen würden, wenn man sie
nicht rechtzeitig unterdrücke. So schrieb er an den Rand eines
Ministerialbeschlusses, der sich für die Niederwerfung jedes
Versuches der Menge zu Gewalttätigkeiten gegen die Juden
aussprach: ,,Es ist notwendig und ohne jeden Zeitverlust".
Aber gerade daß er so gezwungen war, sich zum Beschützer
der Juden gegen Rechtgläubige aufzuwerfen, bekümmerte ihn
tief. ,,D a s ist ja das Traurige an allen diesen Exzessen gegen
die Juden," bemerkte er in diesem Sinne zu einem entsprechen-
den Bericht des Warschauer Generalgouverneurs. Die Po-
grome fanden großenteils in ihm einen Gegner, weil er so zur
Tätigkeit eines Judenschützers gezwungen wurde. Der Depu-
126 Die ersten Pogrome.
tation der jüdischen Notabein Versammlung gegenüber gab er
aber, wie sein Bruder, das Stichwort aus: „Die Juden dienten
nur als Vorwand, die verbrecherischen Unruhen seien vielmehr
das Werk der Anarchisten." Eine offenbare Unwahrheit, die
aber die beteiligten Beamten vollständig deckte.
Zwanzig Minuten dauerte die Audienz dieser Deputation,
die aus Baron Günzburg, dem Bankdirektor Sack, den Advo-
katen Passower, Berlin und Bank bestand. Der Kaiser sagte
ihnen, sie sollten ihre Glaubensgenossen beruhigen, es sei ihm
das Wohl aller seiner Untertanen gleich teuer, die Unruhen
sollten unterdrückt werden. Aber er konnte sich doch nicht
enthalten, seiner Abneigung gegen die Juden Ausdruck zu
geben. ,,Auch auf den Seelen der Juden brennt eine Sünde,
denn man gibt ihnen Schuld, daß sie die christliche Bevölkerung
ausbeuten." Dann noch ein zweiter Vorwurf : ,, Warum entziehen
sie sich so gern der Wehrpflicht." Er gestattete den Deputierten,
einzeln ihre Meinung zu äußern; sie betonten als hauptsäch-
liches Heilmittel die Gewährung vollkommener Freizügigkeit.
Endlich forderte der Zar die Abfassung einer Denkschrift, die
dem Ministerium überreicht werden solle, und die er selber zu
prüfen verhieß.
Klang diese Sprache von höchster Stelle immerhin hoff-
nungsvoll, so wurden die Deputierten, denen auch Staatsrat
S.Poljakow sich anschloß, vonignatiew, dem leitenden Minister,
gänzlich enttäuscht. Er fuhr sie mit der ihm eigenen Brutalität
heftig an: ihr Schritt sei vollkommen unnütz, da die Regierung
wisse, was sie zu tun habe, und die Judenreform im Interesse
des ganzen Staates und nicht einer einzelnen ,, Nation" entschei-
den müsse. Ja, die Deputation sei gesetzwidrig, die Juden soll-
ten den Instanzenweg einhalten. Damit mußten sie abziehen.
Nichts war ungerechter, als die Juden einseitig des Wuchers
anzuklagen. Der war vielmehr eine alte echt russische Gewohn-
heit. In einem Manifeste vom 18. Juli 1762 hatte schon Katha-
rinall. über ,,die Bestechlichkeit und den abscheulichen Wucher"
unter den Russen geklagt. Es war damals noch kein Jude im
heiligen Rußland. Und die Gesetzgebung Alexanders III. und
Ignatiews gestattete den Juden Kneipwirt, Trödler und Wucherer
zu sein, aber nicht Landbauer, Wissenschaftler, Richter, Be-
Die ersten Pogrome. 127
amter, Professor; dann klagte man die hungernden Juden als
„Ausbeuter" an.
Ignatiew ließ den Worten die Taten entsprechen.
Er entsandte, am 14. September 1881, ein Rundschreiben an
die Gouverneure, das in seinem ungeheuerlichen Inhalte geradezu
eine Rechtfertigung der jüngsten Pogrome enthielt. Es warf
den Juden nationale Abgeschlossenheit und religiösen Fanatis-
mus vor, die der christlichen Bevölkerung großen Schaden
bereiteten. Die seit zwanzig Jahren betriebenen Assimilations-
versuche — das war ein Stich gegen das liberale System des
verstorbenen Kaisers — hätten sich als vergeblich erwiesen,
die Juden hätten in dieser Zeit nicht nur Handel und Gewerbe
an sich gerissen, sondern auch durch Kauf und Pacht bedeuten-
den Grundbesitz an sich gebracht, aber dies alles nicht zur
Vermehrung der Produktionsfähigkeit des Landes, sondern zur
Ausbeutung der Stammeseinwohner, besonders der ärmeren
Klassen. Daher schrieben sich deren gewalttätige Proteste,
vulgo Judenhetzen. Auf einmal waren diese, nach Ignatiews
ausdrücklichen Worten, nicht mehr anarchistischen, sondern
rein ökonomischen Ursprungs. Die Unruhen seien unterdrückt,
aber nun müsse die Mehrheit der Bevölkerung vor den Juden
geschützt werden. Deshalb seien in allen Gouvernements des
Ansiedlungsrayons zur Beratung der Judenfrage Lokalkom-
missionen zu bilden, die hauptsächlich aus den Vertretern der
Innungen und Zünfte, das heißt den geborenen Konkurrenten
und deshalb Gegnern der Juden, zusammengesetzt werden
sollten. Ignatiew glaubte also sicher zu sein, daß die
Lokalkommissionen in Gemäßheit seiner in dem Rund-
schreiben geäußerten judenfeindlichen Anschauungen be-
schließen würden.
Die Stimmung der Juden wurde unter solchen Verhält-
nissen eine verzweifelte; sie sahen sich rettungslos dem drohen-
den Verderben ausgeliefert. Verbot ihnen doch die Regierung
auch, sich gegen die Plünderer und Mörder zusammenzutun
und zu waffnen ! So blieb nichts übrig, als die Auswanderung,
besonders nach Nordamerika — die massenliafte Auswanderung.
Zumal wohlhabende Juden — denn die armen konnten die
Reisekosten nicht erschwingen — verließen die ungastliche
128 Die ersten Pogrome.
Heimat. Aus Kiew allein emigrierten 4000 Juden, unter ihnen
der große Bankier und Fabrikbesitzer Brodsky,
Wurde schon hierdurch Rußland schwerer ökonomischer
Schaden zugefügt, so noch mehr durch die Unterbrechung des
geschäftlichen Verkehrs im Süden und Westen, durch das Auf-
hören der vermittelnden und kreditgewährenden Tätigkeit der
Juden, durch die Unterbindung besonders des Getreidehandels,
der fast ausschließlich in deren Händen gelegen hatte. Die Gre-
treidepreise sanken in bedrohlicher Weise, zum Teil bis auf die
Hälfte.
Die Zunahme des %\drtschaftlichen Notstandes aber hatte
keine Umkehr auf dem unheilvollen Wege, sondern nur neue
Ausschreitungen zur Folge.
Während bisher Polen im ganzen ruhig geblieben war,
kamen in der Hauptstadt Warschau selbst am ersten Feier-
tage des Weihnachtsfestes 1881 antisemitische Unruhen zum
Ausbruch, die schon von langer Hand her vorbereitet waren.
Pöbelhaufen, meist betrunkene junge Burschen, mißhandelten
und töteten Juden, denen sie begegneten, plünderten und ver-
wüsteten deren Häuser und Läden. Der Generalgouverneur
Albedinski mes höhnisch jedes Eingreifen von Polizei und
Militär zurück, die vielmehr ruhig den Greuelszenen zusahen,
ja selber, wie in Südrußland, sich unter die Exzedenten mischten
und sich mit ihnen an dem gestohlenen Branntwein betranken.
Erst als die Juden sich bewaffneten, um Leben und Eigentum
zu verteidigen, schritt das Militär ein — es war am vierten
Tage der Unruhen — und verhaftete nun alles, was ihm unter
die Hände kam: 2600 Menschen, darunter auch solche Juden,
die sich gegen die Aufrührer zur Wehr gesetzt hatten. Der
angerichtete Schaden wurde auf mehr als eine Million Rubel
geschätzt und betraf 2011 Familien. Bei einem der haupt-
sächlichen Anstifter, einem ehemaligen Obersten Kudriawzew,
fand man genaue Listen der zur Plünderung ausersehenen
jüdischen Greschäftshäuser. Trotz alledem erhielten die War-
schauer ,, Faustritter", soweit sie nicht in ]\Ienge freigesprochen
wurden, ganz geringfügige Strafen. Dadurch wurden natür-
lich die Unruhestifter und Plünderer zu neuen Gewalttaten
ermutigt, die auch an vielen Orten mit Mord und Brand an den
Die ersten Pogrome. 129
unglücklichen Juden verübt wurden. Hatte doch ebenfalls in
Kiew der kaiserliche Prokurator General Strelnikow in offener
Gerichtssitzung geradezu die Juden als die durch ihre Frevel
eigentlich Schuldigen, die Plünderer als gewissermaßen zur
Notwehr gezwungen bezeichnet, — zugleich eine Entschuldigung
für die Mordbuben und eine Aufreizung zu neuen Verbrechen,
ganz nach dem Ignatiewschen Rezepte.
Solche blieben denn auch nicht aus. Am griechischen Oster-
feste 1882 wütete der Aufstand, zumal in der 13 000 Einwohner
zählenden Stadt Balta. Hier war der bevorstehende Ausbruch
seit Wochen bekannt, aber die Polizeibehörden wiesen alles
Flehen der bedrohten Juden um Schutz zurück, ja verboten
diesen, sich zur Selbstverteidigung zu bewaffnen. Ebenso
sahen sie den Schändlichkeiten selbst untätig zu. Die Scheuß-
lichkeiten waren in Balta noch schlimmer als bisher irgendwo
— Vorläufer der ein Vierteljahrhundert später wütenden Po-
grome. 40 Juden verloren dabei ihr Leben, zum Teil in die
Flammen ihrer brennenden Häuser geworfen; 300 Schwer-
verwundete wurden in die Spitäler von Odessa gebracht;
Tausende waren zu brot- und obdachlosen Bettlern geworden;
der Schaden nur an beweglichen Eigentum betrug zwei Millionen
Rubel. Von den wegen dieser schauerlichen Verbrechen An-
geklagten wurden nur sechs verurteilt, davon nur einer — wegen
Notzucht — zum Zuchthaus, die anderen zu ganz unbedeutenden
Strafen. Natürlich brach bald in der Nähe Baltas, in Okna,
eine neue Judenverfolgung aus. ,,Für die vielen Groldstücke,
die ich erbeute, kann ich schon einige Wochen im Gefängnisse
sitzen," sagten die Plünderer.
In Gombin bei Warschau fand am 1. Mai ein zehnstündiger
Kampf zwischen dem Pöbel und den Juden statt, die schließ-
lich von eindringenden Bauernhaufen überwältigt wurden.
An vielen Orten wurde Brand in die Judenliäuser gelegt, zumal
in Kowno und Smorgon. Anderwärts plünderten Bauern und
Bäuerinnen solche ganz ungescheut aus, Gott dankend für den
mühelosen Gewinn.
Eine furchtbare Panik bemächtigte sich der armen, von
der Regierung nicht geschützten, sondern im Wettstreit mit
den Mordbuben verfolgten Juden. Immer von neuem sahen
Philippson, Neuest© Geschichte der Juden, Bd. TIT. "
130 Die ersten Pogrome.
sie sich einzelnen Gewalttaten, Totschlag und Räuberei aus-
gesetzt; ein förmlicher Bandenkrieg wurde gegen sie geführt.
In vielen kleineren Orten, wo wenig Polizei und kein Älilitär
stand, hausten die Übeltäter ganz ungestört. Zu vielen Tausen-
den flüchteten, wie schon im Vorjahre, die Juden wieder über
die Grenzen Rußlands. Zum Teil wandten sie sich nach dem
heiligen Lande ihrer Väter, nach Palästina, zum bei weitem
größten aber nach dem verheißungsvollen Lande der Freiheit und
Gleichberechtigung, nach den Vereinigten Staaten von Amerika,
wohin sich im ersten Pogromjahre 17 497 russische Juden be-
gaben, die doppelte Zahl des Vorjahres. Im Mai 1882 allein
wurden an Juden 13 200 Emigrationspässe ausgegeben. In
der gahzischen Grenzstadt Brody fanden sich immer 10 — 11 000
jüdische Emigranten vor, von denen allerdings solche, die
keine Pässe besaßen, von der österreichischen Polizei \Aäeder
zurückgeschoben wurden.
Und wie verhielt sich Ignatiew, der leitende Minister
Alexanders III., der sich doch scharf gegen die Pogrome aus-
gesprochen hatte, bei diesen neuen Untaten ?
Vor deren Ausbruch, im Februar 1882, hatte er sich dem
ihn interviewenden Korrespondenten der Londoner ,, Daily
News" gegenüber in betreff der Judenfrage geäußert: eine Aus-
dehnung des Wohnsitzes der Juden über den Rest Rußlands
könne nur mit Zustimmung der örtlichen Semstwos geschehen.
Ignatiew wurde Anhänger des konstitutionellen Systems, so-
bald solches sich gegen die Juden gebrauchen ließ ! Solange
die Juden ihre exklusiven Richtungen in Gewohnheiten,
Sprache, sozialer Organisation und dergleichen verfolgten,
könnten sie keine vollständige bürgerliche Gleichberechtigung
verlangen. Ihre Auswanderung werde die Regierung nicht be-
hindern, übrigens weitere Ausschreitungen gegen sie nicht
dulden. Die Ereignisse in Balta, Okna, Warschau, Gombin
sollten dieser heuchlerischen Verheißung bald einen blutigen
Kommentar schreiben. Ignatiew beteiligte sich insoweit an
denselben, als er verbot, öffentliche Sammlungen für die aus-
geplünderten Juden zu veranstalten.
Die ,, vollständige Gleichberechtigung" wurde unterdes
von ihm auf wunderbare Weise vorbereitet. Er entzog den
Die ersten Pogrome. 131
jüdischen Apothekern außerhalb des Rayons, die die Regierung
bisher allerorts begünstigt hatte, im Januar 1882 plötzlich
die Konzession und machte so Hunderte von anerkannt an-
ständigen Familien mit einem Schlage brotlos. Das waren doch
keine ,, Ausbeuter" ! Ebenso bestimmte er, daß alle jüdischen
Eisenbahnbeamten — gewiß auch keine ,, Ausbeuter" — zu
entlassen seien. Nur fünf Prozent der Militärärzte dürfen ferner
Juden sein, und in den fünf MiHtärbezirken des Ansiedlungs-
rayons sind als solche die Juden ganz auszuschließen ; sie dürfen
nur bis zur fünften Rangklasse befördert werden. Auch in die
militärischen Medizinalakademien sollten nur fünf Prozent von
Juden aufgenommen werden; dabei fehlte es an Militärärzten.
Bei Kriegszeiten sollten aber die jüdischen Ärzte unterschiedslos
eingezogen werden. Darauf forderten sämtliche aktive jüdische
Militärärzte in Moskau ihre Entlassung, da sie nicht unter so
entehrenden Bedingungen weiter dienen wollten. Es ist zu be-
merken, daß die jüdischen Militärärzte in keiner Weise zu
solcher Maßregel Anlaß gegeben hatten, daß bei den mannig-
fachen Skandalen im russischen militärischen Sanitätskorps
kein einziger Jude figuriert hatte. Jüdische Hauslehrerinnen
dürfen nicht außerhalb des Rayons wohnen.
Die Feindschaft gegen die jüdische Bildung, die sich in
solchen Maßregeln unverhüllt aussprach, betätigte die damalige
Regierung auch fernerhin. Sie schloß alle besonderen jüdischen
Unterrichtsanstalten, ,,um den sozialen Separatismus der Juden
zu beseitigen", darunter fünfzig Elementarschulen. Damit
M'urde die ungeheure Mehrheit der jüdischen Kinder rettungslos
den Chedarim ausgeliefert. Es war im Plane, auch die jüdischen
Lehrerseminare — ■ die früheren Rabbinerseminare — in Wilna
und Schitomir zu schließen.
Und wie gegen Gebildete und Beamte unter den Juden
wütete dieselbe Regierung, die angeblich die Israeliten aus Klein-
handel und Wucher herausreißen wollte, auch gegen die jüdischen
Handwerker. Solche dürfen außerhalb des Rayons nicht wohnen,
wenn sie ihr Geschäft anders als mit Handarbeit betreiben;
sonst seien ihre Werkstätten als Fabriken zu betrachten und
deren Inhaber auszuweisen.
Alle diese kränkenden, aufreizenden und verderblichen
132 Die ersten Pogrome.
Maßregeln sollten aber nach Ignatiews Auffassung nur die
Einleitung zu einem umfassenden und dauernden Schlage gegen
die Juden sein. Eine von der Regierung im April 1882 nach
Petersburg berufene Versammlung von 38 jüdischen Notabein
verlief völlig ergebnislos. Als Ignatiew sie endlich empfing,
ließ er sie gar nicht zu Wort kommen und führte mit ihnen
eine heuchlerische Komödie auf. Das einzige Ergebnis der
Notabein Versammlung war die Stiftung eines Fonds für die
geplünderten Juden; er betrug aber nicht mehr als 54 000 Rubel,
von denen der edle Baron Günzburg allein 15 000 gezeichnet
hatte. Wahrlich, ein schlimmes Zeichen für den Opfer sinn der
Reichen unter den damaligen russischen Israeliten ! Späterhin
ist ihre Gesinnung aber eine ganz andere, hochherzigere ge-
worden.
Durch kaiserlichen Befehl vom 16. Oktober 1881 war ein
„besonderes Komitee zur Prüfung der Judenfrage" eingesetzt
worden, gebildet aus je einem Mitgliede der 16 Lokalkommis-
sionen mit derselben Aufgabe, unter der Leitung des Geheim-
rates Gotonzew, Gehilfen des Ministers des Innern. Unter
solcher Führung wurde das ,, besondere Komitee" selbstver-
ständlich ein gefügiges Werkzeug in der Hand Ignatiews. Seine
Aufgabe, die Vorschläge der sechzehn Lokalkomitees zu systema-
tisieren, erfüllte es in der Weise, daß es nur die feindlichsten
und gehässigsten derselben aufgriff und daraus sechs Anträge
ungeheuerlicher Art formulierte. Ignatiew unterbreitete sie
dem Ministerrate, der sie aber mit der großen Mehrheit von
neun gegen drei Stimmen verwarf. Der ,, Vater der Lüge"
gab sich noch nicht für besiegt und verhandelte so lange mit
dem Ministerrate, bis dieser eine Anzahl von Anordnungen
genehmigte, die am 3. Mai 1882 verkündigt wurden und des-
halb unter dem Namen der ,, Maigesetze" bis heute einen Gegen-
stand tiefsten Kummers für die unglücklichen Juden Rußlands
ausmachen.
Der erste Paragraph schloß ,, vorläufig und bis zur allge-
meinen Revision der Gesetze betreffend die Juden" diese für die
Zukunft vom flachen Lande aus — mit Ausnahme der bestehen-
den landwirtschaftlichen Kolonien. Der zweite Artikel hob
demgemäß alle Kauf- und Pachtkontrakte sowie Verwaltungs-
Die ersten Pogrome. 133
vertrage für ländliche Immobilien zugunsten von Juden auf.
Der dritte Artikel verbot den Juden den Handel an Sonn- und
christlichen Festtagen. Das ganze Gesetz sollte übrigens nur
für den Ansiedlungsrayon Gültigkeit besitzen.
Der dritte Artikel war an Bedeutung den beiden ersten
nicht zu vergleichen; er enthielt immerhin für die Israeliten
derjenigen Städte, wo sie den überwiegenden Teil der Be-
völkerung bildeten, eine schwere und durch nichts zu recht-
fertigende Beschränkung ihrer gewerblichen Tätigkeit. Der
Sonntag ist der Tag, wo der russische Bauer in die Stadt kommt,
um seine Einkäufe vorzunehmen; die Polizei sah durch die
Finger, wenn die christlichen Ladenbesitzer ihre Ge-
schäfte mit ihnen machten. Aber unermeßlich war der Schaden,
den die beiden ersten Paragraphen der Maigesetze verursachten.
Eine weitere Ausdehnung der stetig anwachsenden jüdischen
Bevölkerung der Städte im Rayon war damit unmöglichge-
macht. Ja, noch mehr. Unter dem Schutze der von Alexan-
der II. geübten Duldung hatten sich viele Tausende von jüdischen
Handwerkern und Geschäftsleuten, oft nach ausdrücklicher
Aufforderung der Behörden, in den Dörfern und kleinen Orten
des Ansiedlungsgebietes niedergelassen. Sie waren anscheinend
von dem Maigesetze nicht betroffen. Aber die steten Be-
mühungen der Behörden gingen darauf hinaus, durch Schikanen
und falsche Gesetzesauslegungen sie alle ihres ehrlichen Lebens-
unterhaltes zu berauben und in die ohnehin mit Juden über-
füllten Städte des Rayons hineinzupferchen, um dort die Zahl
der Hungerleider, der ,, Luftmenschen" zu vermehren, in den
elenden und vollgepfropften Gassen die hygienischen Be-
dingungen noch zu verschlechtern. Besonders da sich nun-
mehr die Polizeiorgane und Lokalbehörden mit wahrer Wollust
dem Sporte ergaben, kleine Städte und Flecken zu hunderten
als Dörfer zu erklären und demgemäß aus ihnen die Juden
zu vertreiben. Diese ,, vorläufige" Einrichtung ist aber be-
stehen geblieben bis auf den heutigen Tag, also drei Dezennien
hindurch. Der Jude wurde und wird in Rußland als vogelfrei
betrachtet und behandelt, und dann verlangt man von ihm
Vaterlandsliebe — als ob er dort ein Vaterland hätte — Er-
gebenheit für den Staat, der ihn ^vie einen räudigen Hund
134 Die ersten Pogrome.
mißhandelt, und strenge Ehrlichkeit, wo man ihm die Mög-
lichkeit redlichen Erwerbes für sich und die Ssinen nimmt,
und wo übrigens sonst die weitesten Kreise der Bevölkerung
lügen, stehlen und betrügen, und die Beamtenschaft jeden
Ranges dafür das Beispiel gibt. Der russische Kaufmann war
im ganzen Auslande wegen seiner Unredlichkeit und Gewissen-
losigkeit berüchtigt. Die Russen erkannten das selber an.
Offizielle Angaben erweisen, daß infolge der ,, Maigesetze"
des Jahres 1882 zwei Drittel aller jüdischen Familien Rußlands
in solche Not gerieten, ,,daß die Ernährung sie zu täglicher
Arbeit tauglich zu machen nicht genügt". Allein die unver-
wüstliche Kraft des jüdischen Stammes brachte doch wieder
allmähliche Besserung. Die Periode finanziellen und industriellen
Aufschwungs, die besonders der Finanzminister Witte be-
gründete und förderte, kam in erster Linie den Juden zugute;
viele unter ihnen erwarben als Fabrikherren und Finanzmänner
beträchtlichen Reichtum; andere, die Kleinhändler, zogen aus
dem schwunghaften Verkehr bei dem Bau von Eisenbahnen
und der Fabriktätigkeit bescheideneren Nutzen; endlich viele
Zehntausende wurden industrielle Arbeiter in den jüdischen
Fabriken.
Anderseits rächte sich die Rechtloserklärung der Juden
durch die Regierung an dieser und dem Staatswesen selbst.
Sie wurde, infolge der Selbstverteidigung der Juden, die Quelle
unerhörter und allgemeiner Bestechung des Beamtentums, da
nur dadurch die Juden ihr Dasein möglich machten. So hat
die Verfolgung der Israeliten auf das gesamtrussische Staats-
leben korrumpierend gewirkt.
Die Gebildeten und Einsichtigen unter den russischen
Juden, die bisher eifrig nach Verschmelzung mit dem russischen
Volke gestrebt hatten, sahen sich durch die Pogrome der Massen
und die peinigenden, beschränkenden und entehrenden Ver-
fügungen der Regierung auf das bitterste enttäuscht. Die ge-
samte russische Judenheit fühlte sich wie in Feindesland, ent-
waffnet und wehrlos tötlichen Gegnern ausgeliefert. Der
Schreck war um so plötzlicher, um so tiefer, als früher Hebräer
und Rechtgläubige ganz friedlich und wohlwollend miteinander
gelebt und verkehrt hatten. Die Altgläubigen unter den Juden
Die ersten Pogrome. 135
sahen sich durch solche Vorgänge nur noch mehr in ihrer Ab-
wendung von der christlichen Welt, in ihrem Mißtrauen gegen
alle Kulturbestrebungen bestärkt. Wo, fragten sie nicht mit
Unrecht, ist derlei unter Juden geschehen ? wo sind solche
Greuel in dem vielgeschmähten Talmud gestattet ? Das Mittel-
alter war für die russischen Juden zurückgekehrt, und zum
Mittelalter, zu Fasten, Kasteiung und Bußgebet nahmen sie in
ihrer ungeheuren Mehrheit ihre Zuflucht. Pogrome und Mai-
gesetze trieben sie in das Ghetto zurück. Daneben trat zum
ersten Male die nationalistische Richtung auf. Als hervor-
ragendstes und würdigstes Ziel der Massenauswanderung er-
schien das heilige Land, die heilige Stadt. Den ,, Amerikanern"
unter den Auswanderern, die von allem westeuropäischen Hilfs-
organisationen gefördert Avurden, traten die ,, Palästinenser" ent-
gegen, unter denen sich die jugendlichen Gymnasiasten und
Studenten, die ,,Bilu", durch ihre idealistische Schwärmerei für
das Land ihrer Vorväter besonders hervortaten.
Am vollkommsten war eben die Enttäuschung bei der
jüdischen Intelligenz, die sich, ebenso wie die meisten Reichen,
der jüdischen Masse vollkommen entfremdet hatte. Sie lebte
lediglich ihrem Ehrgeiz, ihrem materiellen Interesse, ihrem
Luxus ; und wenn sie ein Ideal besaß, so war es das vollkommener
Assimilation mit der russischen Gesellschaft. Dem Judentum
gegenüber war man gleichgültig, wenn man es nicht als ein
Unglück betrachtete. Von dreihundert jüdischen Akademikern
in Petersburg nahmen höchstens drei Dutzend an den jüdischen
Angelegenheiten teil. Aber die antisemitische Bewegung hat
hier — ganz -wie in Deutschland — auch unter denjenigen, die
das Judentum über Bord geworfen hatten, es wieder zur Herzens-
sache gebracht. Mit Grausen sahen gebildete und reiche
Juden das von ihnen verherrlichte russische Volk aller Klassen
und Richtungen — Slawophilen, Nihilisten, Bauern und Ar-
beiter — mit gleicher Grausamkeit gegen die Hebräer wüten:
das wirkte wie ein Donnerschlag und entzog ihnen den Boden
unter den Füßen. Es trennte sie von dem Russentume und
führte sie wieder dem jüdishen Wesen zu. Auch der Wirkliche
Geheime Staatsrat Lazar von Poljakow, der Bruder des be-
kannten russischen Eisenbahnkönigs, der bisher drei Millionen
136 Die ersten Pogrome.
Rubel für allgemeine Wohlfahrtszwecke, für Juden fast nichts
gegeben hatte, wandte jetzt diesen seine wahrhaft fürstliche
Wohltätigkeit zu. Auf dem Hofe seines Palastes in Moskau
errichtete er 1883 eine Synagoge, was die Moskauer jüdische
Gemeinde trotz jahrelangen Petitionierens für sich nicht hatte
erreichen können.
Auch die jüdische Literatur in Rußland wandte sich von
den bisher verfolgten Idealen der Aufklärung und westeuro-
päischen Bildung grollend ab und widmete sich der ,, palästi-
nensischen", d. h. zionistischen Richtung. Smolenski und
Lilienblum wurden ihre Bannerträger.
Die Folgen der Maigesetze waren aber auch für die Christen
unheilvoll. Durch den Fortfall der jüdischen Konkurrenz sank
der Wert von Grund und Boden beträchtlich. Selbst der anti-
semitische ,,Golos" erkannte das an und fügte hinzu: ,,Wo
sollen nunmehr die Grundbesitzer Vorschüsse nehmen ? Der
Jude ist ein nachsichtiger Gläubiger, der sich mit geringen
Prozenten begnügte. Er sucht nicht, wie Ignatiew behauptet
hat, selber Grundbesitzer zu werden, woran er nicht gewöhnt
ist. Die wenigen jüdischen Grundbesitzer aber sind tätig und
einsichtig." Der Verfasser dieses Artikels, der die ganze Ver-
logenheit der zur Rechtfertigung der Judenbedrückungen er-
hobenen Anklagen erwieß, war ein hervorragender adliger
Grundbesitzer am Don, von Mussin-Puschkin.
Die Besorgnis vor der ungünstigen Wirkung der Juden -
Unterdrückung verbreitete sich auch in den christlichen Kreisen.
Die christlichen Bewohner von Kiew, von wo schließlich an
20 000 Juden vertrieben worden waren, petitionierten um deren
Wiederzulassung, da zahlreiche Wohnungen in der Stadt leer
ständen und infolge dessen die Mietpreise beträchtlich gesunken
seien, wie auch die Pachtungen der benachbarten ländlichen
Güter. Ebenso forderten im Mai 1882 zahlreiche Moskauer
christliche Kaufleute von dem Finanzminister Bunge, die Re-
gierung solle die Tore den Israeliten wieder öffnen, da diese
für den dortigen Handel sowie für die großen Messen in den
benachbarten Provinzen unentbehrlich seien; ähnlich die Kauf-
leute von Charkow. In vielen anderen Städten wurden schon
im Laufe des Jahres 1882 ähnUche Petitionen vorbereitet.
Die ersten Pogrome. 137
Sogar die meisten der von Ignatiew zur Bekämpfung der Juden
eingesetzten Lokalkommissionen sprachen sich vielmehr zu
deren Gunsten aus. Nur die von Wolhynien äußerten sich im
Sinne des Ministers. Die Kommissionen von Cherson, Bess-
arabien, Wilna, Jekaterinoslaw, Poltawa — also von Provinzen,
wo die Pogrome hauptsächlich gewütet hatten — verlangten
geradezu die Aufhebung des Rayongesetzes, volle Freizügigkeit
für die Juden. Die sonst antisemitische Nowoje Wremja er-
klärte später dieses auffallende Phänomen: ,,Die Bauern sind
in die Hände christlicher Wucherer gefallen, die sie erdrücken
und in einer Weise zugrunde richten, wie es die Juden niemals
getan haben. In den — judenfreien — Gouvernements des
Zentrums befinden sich die Bauern in der Gewalt von Wucherern,
die sie auf das schmachvollste ausplündern. Nach der lokalen
Statistik zahlen die Bauern der Zentrumsprovinzen jährlich
200 Millionen Rubel Zinsen an die Wucherer. Wenn diese
hungrigen Wölfe sich jetzt auch daran geben sollten, die Bauern
des jüdischen Territoriums auszuplündern, so Avird die Lage
unerträglich. Daher wird auch der Wegzug der Juden von
unseren Bauern lebhaft bedauert."
Es sind das die alten Klagen Katharinas II. über den unter
den Russen herrschenden Wucher. Die Worte der gewiß nicht
der Hebräerfreundschaft verdächtigen Nowoje Wremja be-
leuchten grell die heuchlerische Besorgnis für das allgemeine
Wohl, mit der Ignatiew und seine Gesinnungsgenossen in Ruß-
land ihre Maßregeln zu begründen gesucht haben.
Von einem höheren Standpunkte wandten erlesene Geister
unter den Russen selbst sich gegen die Judenverfolgungen.
Der große Satiriker Schtschedrin litt geradezu persönlich unter
dem Leide der Juden. ,,Die Geschichte," schrieb er im Juli
1892, ,,hat niemals auf ihren Blättern eine drückendere, eine
unmenschlichere, eine quälendere Frage verzeichnet, als die
Judenfrage. In der Sphäre des Martyriums nimmt das Juden-
geschlecht den ersten Platz ein. Es gibt keine herzzerreißendere
Erzählung als die von der endlosen Folterung des Menschen
durch den Menschen. Selbst die Geschichte, die für alle höchst
rätselhaften Abweichungen vom Licht zur Finsternis im weiteren
Gange der Ereignisse eine entsprechende Korrektur vornimmt,
138 Die ersten Pogrome.
selbst sie hält bei diesem schmerzlichen Berichte in Ohnmacht
und Unentschlossenheit inne."
Einige Zeit darauf unterzeichnete eine Anzahl russischer
Schriftsteller und Publizisten, unter denen an erster Stelle der
unsterbliche Name des Grafen Leo Tolstoi glänzt, eine Er-
klärung gegen die die Israeliten beschränkenden Gesetze. Sie
wurde von der Zensur am Erscheinen verhindert, ist dann aber
in Deutschland gedruckt worden. Es hieß darin: ,,Die anti-
semitische Agitation bildet einen unerhörten Eingriff gegen die
Grundprinzipien der Gerechtigkeit und Menschlichkeit. Wir
halten es für notwendig, dem russischen Publikum die elemen-
taren Grundsätze ins Gedächtnis zurückzurufen, deren An-
wendung die einzig mögliche Lösung der sogenannten Juden-
frage ausmacht. Das bloße Dasein einer derartigen Frage ist
schon eine Folge des Vergessens dieser Grundsätze. Es ist un-
gerecht, die Juden für Fehler verantwortlich zu machen, die
jahrhundertealten Verfolgungen und den anormalen Zuständen
zu danken sind, in denen sie leben. Von semitischer Rasse zu
sein und die Gesetze Moses' zu beobachten, was an sich nichts
Ungesetzliches oder Tadelnswertes enthält, kann doch in keiner
Weise die gegen die Juden ergriffenen Ausnahmemaßregeln
rechtfertigen. Da die russischen Juden die öffentlichen Lasten
tragen und ihre Pflichten gegen den Staat in gleichem Maße
erfüllen wiie die anderen Klassen des russischen Volkes, müßten
sie derselben Rechte genießen. Der einfache Begriff der persön-
lichen Erhaltung verlangt eine entschiedene Verdammung
dieser antisemitischen Agitation, die nicht nur an sich unsitt-
lich ist, sondern auch überdies eine schwere Gefahr für Ruß-
lands Zukunft bilden kann."
Wirklich nahmen sich, unter dem Eindrucke der entsetz-
lichen, gegen die Juden geübten Ungerechtigkeiten, ihrer drei
wichtige Organe der Presse an, die bisher meist ihre Wider-
sacher gewesen waren: der ,,Golos", die von der Mittelklasse
viel gelesene ..Xowosti". und die ..Moskauische Zeitung" Kat-
kows, eines der Führer der Panslawisten, der sich überdies großen
Ansehens bei dem Zaren erfreute. Er trat jetzt sehr kräftig
und furchtlos für die Juden und gegen die Regierung auf. Be-
sonders als im März 1882 auch die untadelhaften 14 jüdischen
Die ersten Pogi'onie. 139
Apotheker Petersburgs angewiesen wurden, ihre Läden zu
schließen, und den jüdischen Provisoren verboten, Apotheken
zu verwalten, als endlich die Gegenvorstellungen selbst der
christlichen Apotheker der Hauptstadt fruchtlos blieben, erhob
sich Katkow mit aller Macht gegen diese Gewalttat (April
1882). Darauf setzte der dirigierende Senat — die höchste
Zivilbehörde des Reiches — die betreffende Verordnung des
Ministers des Innern außer Kraft (Mai), die dann später, im
Oktober, völlig aufgehoben wurde.
So milderte sich in den leitenden Kreisen Rußlands einiger-
maßen die judenfeindliche Stimmung. Das Entscheidende war,
daß auch der Zar seines , .genialen" Ministers überdrüssig
Avurde. Sein AAÜdes, rastloses, altrussisches und antisemitisches
Treiben, das von ganz Europa laut getadelt wurde, mißfiel
endlich Alexander III. Besonders der Wiederausbruch der
Pogrome im Mai 1882, die doch der Kaiser schon deshalb ver-
worfen hatte, weil sie ihm die Rolle eines Beschützers der Juden
aufzwangen , erregte seinen lebhaften Zorn. Hatte er doch
bereits am 19. April 1882 die sofortige gerichtliche Untersuchung
und Bestrafung aller an Juden verübten Mißhandlunegn be-
fohlen. Auf sein Geheiß ordnete der dirigierende Senat die
Veröffentlichung und allgemeine Verbreitung eines Erlasses
gegen alle antisemitischen Ausschreitungen an. Den Gouverne-
mentsbehörden wurde die Vereitelung und Unterdrückung
antisemitischer Unruhen bei Strafe unverzüglicher Dienstent-
lassung auferlegt. Wirklich verhinderte Fürst Dolgoruki solche
im Generalgouvernement Moskau im Entstehen, und selbst der
grimme Drenteln in Kiew mußte entsprechende Drohungen
ergehen lassen. Und doch die Pogrome in Balta und manchen
anderen Orten! Der Zar sah hier offenen Ungehorsam gegen
seine Befehle; das Maß war voll.
Im Juni 1882 wurde Ignatiew entlassen. An seine Stelle
als Minister des Innern kam, auf den Rat Katkows, Graf Dmitri
Andrejewitsch Tolstoi, allerdings ein eifriger Nationalist, der
zuerst durch eine heftige Streitschrift gegen den römischen
Katholizismus hervorgetreten war, und der in der Aufrecht-
erhaltung der strengsten Rechtgläubigkeit die notwendige Vor-
bedingung für Rußlands nationale Größe erblickte. Aber er
140 Die ersten Pogrome.
war ein ehrenliafter, allen Gewaltsamkeiten abgeneigter Charak-
ter. So be^^^rkte er bei dem Zaren, daß zweiunddreißig ortho-
doxen Geistlichen, die sich besonders den Judenlietzen der
Jahre 1881 und 1882 widersetzt hatten, Orden erteilt wurden.
Damit war für Kirche und Volk die Mißbilligung der Pogrome
durch den Zaren deutlich erwiesen, wie die Aprilerlasse sie
bereits den Beamten dargetan hatten. Und wie mit einem
Zauberschlage hörten die Judenunruhen auf: ein hinreichendes
Zeugnis, daß sie in Rußland nur mit Billigung der Behörden
oder gar mit deren, sei es heimlicher, sei es offener, Unter-
stützung möglich sind.
Seit dem Ministerwechsel zeigten die Gerichte eine er-
staunliche Strenge in der Aburteilung der Exzedenten, die
bisher sehr milde von ihnen behandelt worden waren. Jetzt
kamen einige der Baltaer Aufrührer an den Galgen, wurden
157 zu Zuchthaus verurteilt. Und ähnlich an anderen Orten,
Fünf Dragoner, die an den Ausschreitungen teilgenommen
hatten, Avurden zu je fünfzehn Jahren harter Bergwerksarbeit
verdammt. Eine so scharfe Repression haben niemals mehr,
weder früher noch später, die gegen die Juden verübten Ver-
brechen gefunden, wie damals, im Beginne von Tolstois Ver-
waltung und bei dem großen Zorn des Zaren.
Der neue Minister nahm auch die Juden gegen ungesetz-
liche Bedrückungen in Schutz, ohne sie freilich irgendwie
sonst zu begünstigen. Er erließ am 21. Juni/2. Juli 1882 ein
Rundschreiben, das verbot, diejenigen Juden, die außerhalb
des Rayons mit einem legalisierten Niederlassungsschein wohn-
ten, zu beunruhigen; dagegen sollten an Juden, die kein gesetz-
liches Recht dazu hätten, ferner Niederlassungsscheine nicht
mehr gewährt werden. Ein weiteres Rundschreiben befahl den
Grenzgouverneuren, sie hätten die Rückkehr der wegen der
Pogrome ins Ausland geflüchteten Juden nach Möglichkeit zu
erleichtern. Es war das eine förmliche Ehrenerklärung für die
Hebräer, während Ignatiew diese nach Möglichkeit aus dem
Lande hatte getrieben wissen wollen. Andere Maßregeln folgten,
um den jüdischen Geschäftsleuten den Aufenthalt auf den
Messen des Moskauer Bezirkes zu ermöglichen. Schon vorher
hatte der ebenso aufgeklärte wie mutige Generalgouverneur
Die ersten Pogrome. 141
von Moskau, Fürst Dolgoruki, alle weiteren Ausweisungen aus
seiner Provinz untersagt. Und diese angebüch als vaterlandslos
geschilderten russischen Juden kehrten in Masse freiwillig in
das Reich zurück, dessen ungastlichem Boden sie erst soeben
den Rücken hatten kehren müssen.
Am schlimmsten hatte es der Kiewer Generalgouverneur,
der berüchtigte Drenteln, getrieben. Er hatte von den 8000
jüdischen Familien, die Kiew bewohnt hatten, die größere
Hälfte, 4500, ausgewiesen, noch im Mai 1500 Familien, die
größtenteils nach Amerika ausgewandert waren. Als er aber,
mit Überbietung und offener Verletzung der ,, temporären" Vor-
schriften der Maigesetze, alle nicht mit Grundbesitz ausge-
statteten Juden nicht nur aus den Dörfern, sondern auch aus
den Flecken zu verjagen befahl, hob auf Anrufen der Bedrohten
der dirigierende Senat diese Verfügung auf.
Loris-Melikow hatte keinen besonderen Unterricht für die
Juden haben, diese in die allgemeinen Schulen senden wollen.
Jetzt erlaubte man im Gegenteil den Israeliten die Errichtung
eines besonderen Gymnasiums in Odessa.
Man wollte die ,, temporären" Anordnungen Ignatiews
durch eine bleibende Regelung der Judenfrage ersetzen und
berief deshalb im Jahre 1883 von neuem eine entsprechende
Regierungskommission. Ihr Vorsitzender Avnrde bald Graf
Fahlen, ein als unparteiisch und aufgeklärt bekannter hoher
Beamter, und unter ihren Mitgliedern gab es, neben manchen
Gesinnungsgenossen Ignatiews, doch auch liberale Männer,
wie den Fürsten Demidow-San Donato, der eine, auch in viele
fremde Sprachen übertragene Abhandlung über ,,Die jüdische
Frage in Rußland" veröffentlichte, in der er mit vielem Frei-
mut die großen ökonomischen Vorzüge der Israeliten sowie
die gegen sie geübten Gewalttaten schilderte und ihre völlige
Gleichberechtigung und Unterstellung unter das gemeine Recht
forderte (1883). So hätte man hoffen dürfen, aus den Bera-
tungen dieser Kommission immerhin die Beseitigung der ,, Mai-
gesetze" und einige Fortschritte in der Lage der Juden hervor-
gehen zu sehen. Aber gerade das wollten die Nationalisten und
Orthodoxen, mit Pobjedonoszew an der Spitze, verhindern; und
sie trafen in solchen Richtungen viel zu sehr mit der innersten
142 Die ersten Pogrome.
Gesinnung Alexanders III. überein, um nicht ihres Erfolges
sicher zu sein. Die „Judenkommission" wurde einfach brach
gelegt, Sie begann ihre Sitzungen am 7. Dezember 1883; indes
diese wurden bald unterbrochen, und nach mehr als dreijähriger
erzwungener Untätigkeit wurde sie im Mai 1887 ,, vertagt",
Juni 1888 geschlossen — ohne das mindeste Ergebnis. Nicht
anders erging es der besonderen Judenkommission, die in Polen
unter dem Vorsitze des Barons Mengden gebildet worden war.
Das waren schlimme Vorzeichen für die Zukunft der rus-
sischen polnischen Judenheit. Und sie sollten sich nur allzu
sehr bewahrheiten.
Kapitel Zwei.
Stete Bedrängnisse.
J_Jie nichtrussischen Nationalitäten nnd Bekenntnisse konn-
ten unter der Regierung des von Pobjedonoszew und Katkow
geleiteten Alexander III. nur Benachteiligung und Unterdrückung
erwarten. So die katholischen Polen, die sich immer mehr aus
allen Beamtenstellungen, von den höchsten bis zu den aller-
bescheidensten und einflußlosesten, verdrängt und ihre Sprache
im eigenen Lande geächtet sahen. So die Deutschen, deren
Nationalität, Besitz und Religion den Gegnern als Beute über-
wiesen wurden; ihr alter Widersacher Manassein wurde 1885
Justizminister und begann damit, alle deutschen Beamten
seines Ressorts zu entlassen. So die Armenier. Zitieren wir,
zur Parallele mit dem, was die Juden unter Alexander III. und
Nikolaus II. erlebt haben, die Worte eines genauen Kenners
der Geschichte und Verhältrüsse Armeniens:
,, Rußland, das die verbrieften Rechte weder der Balten
noch der Finnen zu schonen vermocht hat, brachte auch den
Armeniern gegenüber ein System allmählicher erzwungener
Russifizierung zur Anwendung, von dem besonders die arme-
nischen Schulen, denen man mögHchst \nele SchA\ierigkeiten
in den Weg legte, betroffen wurden. Daher war der Wahlspruch
nicht nur einzelner Hochgesinnter, sondern eines großen Teils
der Armenier: , Lieber den leiblichen Tod in der Türkei als
den geistigen in Rußland'. Ein armenischer Handwerker in
Tiflis sagte : ,In Rußland ist's noch schlimmer als in der Türkei.
Unsere Schulen haben sie geschlossen. Früher gab es eine
armenische Geschichte, eine armenische Geographie — die soll
es nun nicht mehr geben. Unsere Kinder sollen aufwachsen,
ohne von ihrem Vaterlande etwas zu wissen'. Daß es wenige
144: Stete Bedrängnisse.
Jahre später durch künstUches Schüren des Rassenhasses und
des religiösen Fanatismus von oben her zu Massakres (zwischen
Armeniern und Tataren) kommen würde, ahnte man noch nicht.
Die christlichen Armenier und die mohammedanischen Tataren
lebten und arbeiteten damals noch friedlich neben- und mit-
einander."
Ganz wie Juden und Russen bis zu dem Augenblick, wo
,, künstliches Schüren des Rassenhasses und des religiösen
Fanatismus von oben her" Blut und Brand zmschen diese
beiden Elemente setzte. In Rußland gab es seit Alexander III.
eine ,, Revolution von oben" — aber nicht, wie dessen hoch-
herziger Vater es gewollt hatte, im Sinne der Freiheit, sondern
im Sinne von grausamer Ausschließung und Unterdrückung.
Ihr Programm war das Manifest, das der Zar bei seiner Krönung
am 27. Mai 1883 erließ, und das betonte, daß nur die absolute
Herrschergewalt des Kaisers, im Bunde mit der orthodoxen
Kirche und gestützt auf die altrussischen Institutionen, das
Reich erhalten könne. Lutheraner, Katholiken, Armenier,
Juden, Deutsche, Polen Miißten nun, daß sie zu den Reichs-
feinden gezählt wurden. Das Eindringen der westlichen Kultur
hat alles Unlieil über das Reich gebracht ! Die Ausdehnung
der Orthodoxie -wurde mit List und Gewalt betrieben. Die
Universitäten wurden strenger Überwachung unterworfen, die
Zahl der Studenten neuerdings beschränkt.
Wenn schon den nichtorthodoxen Christen übel mitgespielt
wurde, so noch viel mehr — begreiflicherweise — den Juden.
Es ergoß sich über sie eine Ära der kränkendsten Zurück-
drängung und Benachteiligung, immer innerhalb der bis ins
unendliche deutbaren, einander widersprechenden Hebräer-
gesetze.
Derselbe Justizminister Manassein, der die Deutschen aus
seinem Ressort verbannt hatte, befahl sämtliche jüdische
Subalternbeamte desselben, sogar die bei den Notaren ange-
stellten, zu entlassen, und zwar obwohl kein einziger Klagefall
gegen sie vorgekommen war. Diese grausame Maßregel betraf
allein im Odessaer Gerichtsbezirk 600 jüdische Bureaubeamte,
Alle Vorstellungen dagegen seitens der christlichen Notare
blieben fruchtlos. Ebenso A^Tirden sämtliche jüdische Polizisten
Stete Bedrängnisse. 145
im Gouvernement Kaiisch entlassen, 17 an der Zahl, eine Ver-
fügung, die dann in ganz Polen durchgeführt wurde. Nach den
Subalternen die oberen Beamten. Jüdische Rechtsanwälte
wurden einstweilen nicht mehr zugelassen, und ebenso wenig
jüdische Richter ernannt. Im Jahre 1870 hatte es 18 jüdische
Richter gegeben, 1881 waren ihrer noch drei, 1895 noch einer,
der dann 1896 auch seine Entlassung nahm. Und dieselbe
rücksichtslose Vernichtung persönlicher Rechte in anderen
Ressorts: seit 1883 durften Juden in der Eisenbahnverwaltung
nicht mehr angestellt werden.
Das Aushungerungssystem nahm seinen Fortgang. 1887
wurde verfügt, daß die Juden ,,nach Möglichkeit" von den
Armeelieferungen auszuschließen seien. Auch die Verlockung
zur Taufe lebte, wie einst unter Nikolaus I., ^^^eder auf: immer
wies man die Juden darauf hin, daß die Annahme des ortho-
doxen Glaubens jeden von ihnen sofort von allen Beschrän-
kungen befreie. Es bedurfte also nur einer nichtswürdigen
Lüge, um aller Segnungen dieses orthodoxen Staates Avürdig
zu werden.
Der Antisemitismus wütete weiter durch ganz Rußland. Die
Hetz- und Brandschriften der deutschen AntisemitenhäuptUnge
^A^rden eifrig übersetzt und veröffentlicht. Die Mehrzahl der
Zeitungen war von diesem Geiste erfüllt, und man sah mit
Staunen, daß die amtliche Zensur die schlimmsten Angriffe auf
die Juden durchgehen ließ, ja daß die Regierung die antisemi-
tischen Blätter mit Geldzuwendungen unterstützte. Dagegen
wurde die Zeitung ,,Sarja" in Kiew, die sich der Israeliten
mutig angenommen hatte, durch Senatsbeschluß unterdrückt.
Die Beamtenschaft konnte also über die Richtung der leitenden
Kreise nicht im Zweifel sein. Keine blutigen, aber dauernde
unblutige Pogrome; Aushungerung, Demütigung, Verdrängung
der Juden.
Und doch war es noch nicht gelungen, die öffentliche
Meinung, wenigstens in den besitzenden und gebildeten Kreisen,
gänzlich den Juden zu entfremden. In Odessa brachten die
Stadtratswahlen 1885 die höchste zulässige Zahl von Juden
— 24 — in diese Körperschaft. Es war die Zeit, wo der große
israelitische Bildhauer Antokolsky seine berühmte Mephisto-
Philippson. Neueste Geschichte der Juden, Bd. III. •'"
146 Stete Bedrängnisse.
büste für den kaiserlichen Palast in Petersburg schuf und von
dem Zaren selbst empfangen wurde.
Aber die Auszeichnung von Rußlands damals hervor-
ragendstem Künstler behinderte sonst die Betätigung des Anti-
semitismus seitens der Regierenden nicht. Die Zahl der Juden
in den Stadträten wurde selbst in denjenigen Orten, wo sie die
Mehrheit der Bevölkerung bildeten, avif die Höchstzahl von
einem Drittel der Mitglieder beschränkt. Im Gouvernement
Tschernigow wurde, bei hoher Geldstrafe, den Juden im Dezember
1883 die sofortige Entlassung ihrer christlichen Dienstboten
befohlen. Die Haltung von Schenken in den Dörfern wurde
1884 den Juden in ganz Rußland und Polen verboten; diejenigen,
die in Sibirien Branntweinbrennereien betrieben, mußten solche
liquidieren. Also überall die rücksichtslose Vernichtung jüdischen
Vermögens und Erwerbes.
Früher hatte man die Entwicklung des Handwerkes unter
den Juden von oben her eifrig befördert. Jetzt trat das Gegen-
teil ein, man fand, nach dem Ausdrucke eines Ministerial-
beschlusses vom 28. Januar 1884, daß ,,in den Städten und
Flecken des Rayons die Juden die Mehrheit der Handwerker
stellten und damit die Entwicklung des Handwerkes unter der
, Grundbevölkerung' hemmten, die , Grundbevölkerung' aus-
beuteten". Es erfolgte also die Aufhebung der jüdischen Hand-
werksschule in Schitomir. Das Vorrecht der jüdischen Hand-
werker, außerhalb des Rayons sich rüederzulassen, wurde den
Erdarbeitern, Pflasterern, Maurern, Steinhauern, Zimmer-
leuten, Stukkateuren, Fuhrleuten, Gärtnern und allen unge-
lernten Arbeitern entzogen. Das nannte man Aufmunterung
der Handarbeit unter den Juden !
Vor allem aber ging man mit stets sich verstärkendem
Eifer gegen die Bildung unter den Israeliten los. Am 27. Juli
1883 befahl der Minister der ,, Volksauf klärung", daß jüdische
Zöglinge in Lehranstalten außerhalb des Rayons nur mit Ge-
nehmigung der lokalen Polizeibehörden aufgenommen werden
dürften, während bisher das Gesetz eine solche Notwendigkeit
nicht gekannt hatte. Schlimmer war es, daß an den Universi-
täten Kiew und Charkow die Zahl der jüdischen Studierenden
auf zehn Prozent beschränkt wurde, ebenso, und zwar auf aus-
Stete Bedrängnisse. 147
drücklichen Befehl des Kaisers, an dem Charkower Techno-
logischen Institut (1885) — das war der Vorläufer späterer
allgemeiner und noch schärferer Beschränkungen der jüdischen
Studierenden. In demselben Jahre erfolgte die Verordnung,
daß die jüdischen Studenten keinerlei Staatsstipendien mehr
erhalten sollten. Wie wenig sie diese Benachteiligung verdienten,
wird durch den Umstand erwiesen, daß mehrere Universitäten,
obwohl vergeblich, sich zugunsten ihrer armen jüdischen Zög-
linge verwendeten. Der Moskauer Stadtrat, ganz nationalistisch
und orthodox gesinnt, wie es sich für die Hauptstadt des ,, alten"
Rußland ziemte, beschloß gar, die städtischen Stipendien auf
Universität und Musikkonservatorium nur orthodoxen Studenten
zuteil werden zu lassen. Anderseits ergriffen die jüdischen Ge-
meinden in Kiew und Odessa, so schwer sie auch durch Un-
ruhen und Ausweisungen geprüft waren, die rühmliche Maß-
regel, aus eigener Kasse den jüdischen Studenten Stipendien zu
gewähren. Gab es doch z.B. in Odessa unter 470 Studenten 176
israelitische, also über 37 Prozent, unter denen viele Mittellose.
Bildungsbegierige junge Mädchen mußten zu den ver-
zweifeltsten Mitteln greifen, um sich weiter fortzuhelfen. Zu
denjenigen ,, Privilegierten", die in ganz Rußland wohnen dürfen,
gehören auch die Prostituierten, die sich durch die von der
Polizei solchen ausgefertigten gelbe Karten ausweisen können.
Ehrenhafte jüdische Mädchen ließen sich solche Karten geben,
um in den größeren Städten außerhalb des Rayons lernen zu
können. Freilich kam es vor, daß die Polizei sie dann wieder
vertrieb, weil sie sich überzeugt hatte, daß diese Mädchen
jenes schmähliche Gewerbe nicht ausgeübt hatten !
Mit Recht sagte schon 1883 der Fürst Demidow-San Donato
in seiner Schrift über die Judenfrage in Rußland: ,,Als den
Juden erlaubt ward, ihre Kinder in den öffentlichen Lehran-
stalten unterrichten zu lassen und sie anfangs nur zögernd
von diesem Rechte Gebrauch machten, wurden ihnen ver-
rotteter Fanatismus und Absonderungssucht vorgeworfen. Dann
begannen sie ihre Kinder mit Vorliebe in die Gymnasien und
Hochschulen zu schicken — und nun gab's Befürchtungen und
Klagen, daß die Unterrichtsanstalten von Juden überfüllt
würden. Und so geht's in allem."
10*
148 Stete Bedrängnisse.
Immer rechtloser wurde die jüdische InteUigenz gemacht.
Im Heere sowie bei den städtischen Instituten wurde unnach-
sichtlich die Zahl der jüdischen Ärzte auf das Maximum von
fünf Prozent gesetzt. Die Russifizierung ging konsequent
voran. Jeder Rabbiner, auch in Polen, mußte seit 1885, ebenso
wie jeder katholische Geistliche, eine Prüfung in der Kenntnis
der russischen Sprache bestehen. Der Polizeipräsident von
Warschau verordnete, daß in allen Schulen der Unterricht,
mit Ausnahme des Religionsunterrichtes, in russischer Sprache
zu erteilen sei, und daß der Inhaber jeder Schule an der
Straße ein Schild mit dem Namen des Inhabers in russischer
Sprache und Schrift aushängen müsse. Übrigens wurden von
den in Polen befindlichen etwa tausend Chedarim 960, an-
geblich wegen hygienischer Bedenken, geschlossen.
Die über den Wohnsitz der Juden bestehenden Gesetze
wurden nicht allein mit voller Strenge ausgeführt, sondern auch
von den lokalen Polizeiorganen mit der größten Willkür aus-
gelegt. Alle nicht in regelmäßiger Weise in Petersburg domizi-
lierten Israeliten wurden 1883 vertrieben. Hunderte von jü-
dischen Familien, deren Ernährer als ,,Kommis" dort wohnungs-
berechtigter jüdischer Kaufleute in Petersburg lebten, mußten
die Stadt verlassen. Am 10./22. März erging ein Rundschreiben
des Ministers des Innern, daß diejenigen jüdischen Handwerker
außerhalb des Rayons, die ihr Gewerbe nicht wirklich aus-
übten, nach dem Rayon abzuschieben seien. Graf Tolstoi, der
Minister des Innern, verfügte ferner, daß sämtliche österreichisch-
ungarische Juden, die keine bestimmte Beschäftigung dartun
könnten, binnen drei Monaten aus Rußland auszuweisen seien;
und keine Bemühungen der österreichischen Diplomatie konnten
hier eine Milderung herbeiführen.
Trotz der entgegengesetzten Entscheidungen des Senats
ging die Ausweisung von Juden aus den Dörfern in ganz Ruß-
land in immer wachsendem Maße vor sich ; selbst Familien, die
seit hundert Jahren und mehr dort angesessen waren, fielen
dieser ganz ungesetzlichen Maßregel judenfeindlicher Gouver-
neure, unter denen sich wieder Drentelen in Kiew auszeichnete,
zum Opfer. Dieser Wüterich stellte wahre Razzias an, wobei
er selbst der Kranken, die in Kiew ärztliche Hilfe suchten,
Stete Bedrängnisse. 149
nicht schonte. Die ehemaligen Soldaten jüdischen Glaubens
wurden aus Petersburg vertrieben, aus Charkow 1885 gar
sämtliche dort wohnenden Juden. Die Auswanderung woirde
meder sehr groß, teils nach Westeuropa und Amerika, teils
— über Odessa — nach Palästina. Die Kiewer Polizei schloß
unter nichtigen Vorwänden vier jüdische Bethäuser. Alle In-
schriften an Geschäftslokalen in Polen, die in hebräischen Lettern
— den einzigen, die neun Zehntel der dortigen Juden zu lesen
vermochten — abgefaßt waren, mußten entfernt werden.
Kurz, Feindschaft, Mißgunst, Bedrängung wurde allerorten
gegen die Juden geübt, in noch stärkerem Maße als gegen Polen,
Deutsche, Finnen, Armenier. Kann es da wundernehmen,
wenn auch, trotz aller offiziellen Gegenwirkungen, die Juden-
hetzen wieder an vielen Orten ausbrachen ?
Den Anfang machte das stets unruhige Gouvernement
Jekaterinoslaw. In dessen Hauptstadt fanden am 1. und
2. August 1883 große Exzesse gegen die Juden statt: 200 jüdische
Läden und Wohnungen wurden geplündert und zerstört; der
materielle Verlust betrug an 800 000 Rubel. Alle Geschäfts-
tätigkeit lag darnieder. Endlich griff das Militär gegen die
Aufrührer, meist fremde Eisenbahnarbeiter, ein: vierzehn von
ihnen wurden durch die feuernden Soldaten getötet, 73 ver-
wundet, viele verhaftet. Wie wenig diese Greuel der Stimmung
der ansässigen Bevölkerung entsprachen, beweist die Tatsache,
daß der Stadtrat für die geplünderten Juden eine Beihilfe von
5000 Rubeln votierte. Trotzdem griff das Feuer in benachbarte
Orte über, wo aber die Schuldigen auch fremde Eisenbahn-
arbeiter und betrunkene Bauern waren: so in Nomanoskow
und Kriwoi, wo übrigens Häuser nicht ortsangehöriger Christen
gleichfalls geplündert und zerstört wurden. Die Zentralregierung
schritt kräftig ein und entsetzte den lässigen Gouverneur von
Jekaterinoslaw seines Amtes, indem sie ihm den duldsamen
und aufgeklärten Fürsten Dolgoruki zum Nachfolger gab.
Aber auch in Podolien wurden 30 Judenhäuser angezündet,
und zumal in Jokljewo Poltawaschen Gouvernements zerstörten
tausend Tumultuanten Wohnungen und Läden der Juden.
Furchtbarer war noch die Tragödie, die Ostern 1884 sich
in Kunawino, einer Vorstadt von Nishny-Nowgorod, abspielte.
1 50 Stete Bedrängnisse.
Hier wohnten etwa 80 Juden, alles arme friedfertige Hand-
werker, keine „Wucherer und Blutsauger". Der Angriff auf sie
fand infolge des scheußlichen Blutaberglaubens statt. Ein
ganzes Stadtviertel ward zerstört, alle Juden, die sich nicht
rechtzeitig geflüchtet hatten, wurden getötet — neun — oder,
40 an der Zahl, verwundet, darunter zwölf lebensgefährlich.
Der Belagerungszustand ward über Stadt und Kreis Nishny-
NoAvgorod verhängt. Von den wütenden Aufrührern nahm
man 112 gefangen und stellte 72 vor Gericht. Davon wurden
elf zu zwölf bis zwanzig Jahren Zwangsarbeit verurteilt, 27 zu
einem bis 37 Jahren Zuchthaus, einer zur Deportation nach
Sibirien, 16 zu zweiwöchigem bis dreijährigem Gefängnis, 6 zu
Arrest, elf freigesprochen. Die Unglücklichen zeigten sich über
die gegen sie geübte Strenge sehr verwundert: wie könne
man Rechtgläubige wegen einiger elender Juden bestrafen !
Das Volk habe sich nur belustigen wollen. Das war die Folge
der panslawisti sehen und konfessionellen Lehren und der von
der Presse gegen die Juden betätigten Angriffe, die die Re-
gierung überall verbreitete, der grausamen Zurücksetzung der
Juden, die sie selber als minderwertig bezeichnete und be-
handelte.
Das Verfahren der Regierung wurde auch an anderen Orten
von dem ,, rechtgläubigen" Volke in seiner Art aufgefaßt und
betätigt. Auswärtige Agitatoren stifteten Judenlietzen in
Charkow an; in Segorow, Kalischer Gouvernements, plünderten
Bauern die Buden der zum Jahrmarkt anwesenden Juden.
Ebenso fielen in Südrußland verschiedene Krawalle vor. Die
Meinung, man könne ungestraft die Hebräer mißhandeln und
berauben, war allgemein verbreitet. In Dombrowiza, inWolhy-
nien, plünderten trunkene Eisenbahnarbeiter die Judenhäuser,
töteten eine Jüdin und verwundeten mehrere Personen. Auch
in dem sonst duldsameren Polen forderte die Blutbeschuldigung
Aaele Opfer. Freilich, die Regierung verfuhr überall mit Strenge
gegen die Unruhestifter — aber die Juden fühlten sich immer
unsicherer, immer mehr dem Hasse der Bevölkerung ausgeliefert
und verarmten in stets furchtbarerer Weise.
Allmählich flaute die Bewegung ab. Nur Ostern 1885 kam
es zu neuen, teilweise blutigen Krawallen in Südrußland und
Stete Bedrängnisse. 151
dem Gouvernement Kiew. Aber sie wurden schnell unterdrückt,
zum Teil durch den entschlossenen Widerstand der Geistlich-
keit, den Erzbischof von Cherson und andere Bischöfe an der
Spitze, die offen und nachdrücklich den Antisemitismus in ober-
hirtlichen Kundgebungen bekämpften.
Aber wenn man auch die blutigen Pogrome beseitigte, so
arbeitete doch die Regierung beharrlich und systematisch an
der Aushungerung und Vertreibung der Juden im Zarenreiche,
und zwar in doppelter Weise: einmal durch Begrenzung ihrer
gewerblichen und geistigen Tätigkeit und dann durch örtliche
Beschränkung, durch Ausweisungen und Einpferchungen in
einen immer engeren Ansiedlungskreis. Seit dem Jahre 1886
ist in beiden Beziehungen eine schärfere Tonart zu bemerken.
Zuerst wurden die, wie es schien, endgültig beseitigten
Ausnahmegesetze gegen die Juden in militärischen Angelegen-
heiten wieder hervorgesucht. Den jüdischen Reservisten ward
am 15. Oktober 1892 das Wohnrecht in Stadt und Gouverne-
ment Moskau entzogen. Man erneuerte, trotz der Einführung
der allgemeinen Wehrpflicht, den Unterschied der Juden von
den Nicht] uden bei der Rekrutierung, indem man von den
ersteren um 25 Prozent mehr aushob, als es dem Verhältnis
der Bevölkerung entsprach; z. B. im Jahre 1893 unter 257 674
Rekruten 16 233 Juden. Die Familie eines Juden, der sich der
Aushebung entzogen hatte, mußte laut Verordnung vom
12. April 1886 eine Strafe von 300 Rubeln zahlen — christ-
lichen Familien ward eine solche Buße nicht auferlegt. Und
dabei wurde den Juden der leichtere Dienst als Kompagnie-
oder Bataillonsschreiber und bei der Intendantur verschlossen,
ebenso wie in der Quarantäne- und Grenzwache. Ein Jahr
später wurde den jüdischen Einjährig-Freiwilligen die Teil-
nahme am Offiziersexamen versagt — es gab fürder keine rus-
sischen Offiziere jüdischen Glaubens mehr.
Auch im Advokatenstande wurden die Israeliten auf den
Aussterbeetat gesetzt. Ein Gesetz vom 8. November 1889
knüpfte die Zulassung eines Juden zur Advokatur an eine
spezielle Erlaubnis des Justizministers: das war aber nur ein
beschönigender Deckmantel für die vollkommene Ausschließung,
denn anderthalb Dezennien lang ist die Erlaubnis niemals ge-
152 Stete Bedrängnisse.
währt worden — erst seitdem in einzelnen Fällen. Und doch
hatten die jüdischen Anwälte in keiner Weise einen Anlaß zu
solcher Beschränkung gegeben.
Entgegen dem Gesetze entzog 1890 der Senat durch „Er-
läuterung" den jüdischen Handwerkern das Recht, sich in
Sibirien niederzulassen — eine Rechtswidrigkeit, die man dann,
26. Juni 1891, durch ein besonderes Gesetz legalisierte. Solche
Behinderung der Juden in Sibirien wurde ergänzt durch eine
Verordnung des Generalgouverneurs von Irkutsk vom Jahre
1894, nach der diejenigen jüdischen Familien, die freiwillig
ihr deportiertes Familienliaupt dorthin begleiteten, sich nicht,
wie Andersgläubige, ihren Wohnsitz selber wählen, sondern
sich an dem des Deportierten niederlassen müssen. Die Ver-
bannungsstätten aber waren zum großen Teil ganz wüst, nur
von Sträflingen, Aufsehern und Soldaten bevölkert, und so
wurden abermals zahlreiche jüdische Familien in Elend und
Not gestürzt.
Vor allem sollten die Israeliten nicht zu Reichtum, An-
sehen und Einfluß gelangen. So verbot man 1890, daß in
solchen Aktiengesellschaften, die auf dem flachen Lande Grund-
besitz erwerben oder erworben haben, Juden Verwaltungs-
direktoren seien oder die Mehrheit der Aktien in Händen hätten.
Im Jahre 1902 gab es demgemäß 324 Aktiengesellschaften, die
Juden entweder ganz ausschlössen oder doch in minimalem
Verhältnis zuließen, und auch dies nur unter der Bedingung,
daß sie keine maßgebenden Ämter bei ihnen einnähmen. 1189
Gesellschaften aber schlössen wiederum jeden ländlichen Besitz
von dem Kreise ihrer Operationen satzungsgemäß aus.
Im besonderen wurden die Juden am 3. Juli 1892 von der
Teilnahme an der Ausbeutung der reichen Naphthaindustrie
verhindert; denn die angebliche Möglichkeit der Erlaubnis
seitens des Ministers war lediglich ein trügerischer Schein.
Ein schwerer Schlag war endlich die neue Städteordnung
vom 11. Juni 1892. Sie beraubte die Juden, und nur die Juden,
des aktiven Wahlrechts zu den städtischen Dumas, zu den
Stadträten. Die Regierung ernannte vielmehr zu deren Mit-
gliedern eine beliebige Anzahl von Juden, die jedoch zehn
Prozent der gesamten Körperschaft nicht übersteigen durften.
Stete Bedrängnisse. 153
selbst in Orten, wo die Israeliten fast die ganze städtische Be-
völkerung bildeten. So wurde ihnen ein Recht nach dem
anderen genommen, wurden sie immer mehr auf den traurigen
und entwürdigenden Standpunkt der Zeiten Nikolaus' I. zurück-
gedrängt.
Die Verfolgungssucht der Regierung wagte sich endlich
auch über die Grenzen des eigentlichen Rußlands hinaus.
Verhängnisvoll ward hier im Jahre 1891 der erste Eingriff in
die den Juden Polens durch das Gesetz von 1862 gewährte
vollkommene Gleichberechtigung. Am 11. Juni entzog ein
kaiserlicher Ukas den Israeliten der zehn Weichselgouverne-
ments — so heißt ja seit 1864 Polen in der offiziellen Sprache —
das Recht, bäuerlichen Boden zu kaufen, zu pachten oder in
Verwaltung zu nehmen. So übertrug man mit ungeheuerlicher
Willkür den wichtigsten Punkt der Ignatiewschen ,, Maigesetze"
auch auf Polen.
Was wollte es gegen alle diese schwerwiegenden Benach-
teiligungen heißen, daß 1887 den russischen Juden wieder das
Halten christlicher Dienstboten gestattet, daß ihnen 1889 das
Recht bestätigt wurde, städtische Verwaltungsämter zu über-
nehmen, mit Ausnahme der Obmänner der Waisenämter —
damit nicht christliche Waisen von Juden erzogen würden.
Das erschien als eine Launenhaftigkeit, und wer konnte wissen,
Avie lange den Juden diese ,, Vergünstigungen" belassen wurden ?
In der zweiten Richtung der Beschränkungen, in der steten
Verengerung des Wohnsitzes, ging die Regierung Alexanders III.
mit gehässiger und verderblicher Konsequenz vor. Alte Gesetze
dieser Art wurden streng angewendet, neue dazu gegeben, und
die Willkür und Habgier der lokalen Gewalten tat noch ein
Übriges, zumal sie sicher waren, von der Zentrale nicht des-
avouiert zu werden.
Recht bezeichnend ist, wie man schon 1886 gegen die
jüdischen Handlungsgehilfen in Petersburg verfuhr. Den Kauf-
leuten erster Gilde stand es seit Alexander II. zu, in Petersburg
nicht nur sich niederzulassen, sondern dahin auch die not-
wendige Anzahl jüdischer Handlungsgehilfen mitzunehmen.
Der Senat erklärte nun diesen Teil des Gesetzes nach dem
engsten Buchstabensinn, das heißt völlig sinnlos: daß es dem
154 Stete Bedrängnisse.
Kaufmann nur im Augenblicke seiner Übersiedlung erlaubt sei,
mosaische Gehilfen mitzunehmen, nicht aber solche später
durch andere zu ersetzen oder gar ihre Zahl zu vergrößern.
Sofort begann eine förmliche, alle Jahre sich erneuernde Jagd
auf jüdische Kommis, die ,, widerrechtlich" bei den Kaufleuten
erster Gilde dienten. Sie wurden unnachsichtlich abgeschoben,
sowie alle diejenigen, die ihre Berechtigung, in der Hauptstadt
zu wohnen, nicht urkundlich nachweisen konnten. Das hatte
den Erfolg, daß von den 38 000 Juden, die 1886 Petersburg
bewohnt hatten, in der Mitte des folgenden Jahres nur 10 909
übrigblieben, also Avenig mehr als ein Viertel.
Ebenso in den Provinzen. In der sich kommerziell glänzend
entwickelnden Hafenstadt Odessa hatten sich allmählich 5000
jüdische Handwerker aus anderen Gegenden ansässig gemacht,
in gesetzlich einwandfreier Weise. Aber der Brotneid ihrer
christlichen Gewerbegenossen brachte es dahin, daß der Gou-
verneur jene am 18. September 1886 auswies, ohne den min-
desten rechtlichen Grund. Noch weiter ging man am 28. März
1891 in Moskau. Sämtliche jüdische Handwerker und Mecha-
niker, die auf Grund der bestehenden Gesetze sich in dieser
Stadt und dem entsprechenden Gouvernement niedergelassen
hatten, erhielten den Ausweisungsbefehl. Sie zählten mit ihren
Familien mehrere Zehntausende, und diesen allen ward ohne
jeden Grund die wirtschaftliche Existenz einfach vernichtet.
Den jüdischen Kaufleuten erster Gilde in Kiew ward die Befug-
nis, glaubensgenössische Handlungsgehilfen zu halten, ge-
nommen, mit Ausnahme derjenigen Gehilfen, die der General-
gouverneur als notwendig anerkennen würde. Selbstverständ-
lich beeilte sich dieser, eine lächerlich geringe Anzahl von An-
gestellten zu bezeichnen, meist nur einen oder zwei für jedes
Handlungshaus. Viele Hunderte jüdischer Familien wurden so
aus Kiew ausgetrieben. Der Kreis Rostow und die Stadt
Taganrog wurden 1887 für zukünftige jüdische Ansiedler ver-
schlossen. Die Verbannung aller derjenigen Judenfamilien, die
nicht ein Wohnrecht im Jahre 1858 besessen hatten, aus dem
Grenzstreifen von fünfzig Werst wurde mit der größten Strenge
durchgeführt, namentlich auch gegen solche, die in dieser Zone
Grundbesitz innehatten. Gegen China wurde eine judenreine
Stete Bedrängnisse. 155
Grenzzone von sogar hundert Werst Breite festgestellt, auch
in ganz Turkestan den Hebräern der Erwerb und die Pacht
von Grundstücken untersagt (1889). Ebenso wurde ihnen der
Aufenthalt auf dem flachen Lande Rußlands, soweit sie noch
das Recht dazu besaßen, weiter beschränkt: sie durften nicht
von einer Dorfschaft in eine andere übersiedeln.
Der frühere Minister des Innern Markow (1880) und selbst
Graf Tolstoi (1883) hatten verfügt, daß die nichtprivilegierten
Juden, die sich trotzdem bis zum 3. April 1880 außerhalb
des Ansiedlungsrayons ansässig gemacht hatten, nicht beun-
ruhigt werden sollten. Viele Tausende waren in diesem Falle;
sie hatten sich sicher geglaubt. Aber ein Rundschreiben des
Ministers des Innern vom 14. Januar 1893 hob diese Ver-
günstigung, die seit dreizehn Jahren ein Recht geworden
war, auf — abermals Austreibungen, Erwerbsvernichtung, Ver-
zweiflung !
Wenn man derart gegen die einheimischen Juden verfuhr,
so begreiflicherweise noch viel feindseliger gegen die aus-
wärtigen, die den Boden des heiligen Rußland betreten hatten.
Auf ausdrücklichen Befehl des Finanzministers wurden sämt-
liche fremde Kaufleute und Fabrikanten mosaischen Glaubens
1887 aus Polen ausgewiesen. Das bedeutete zumal den Ruin
der Fabrikstadt Lodz, wo die große Mehrzahl der Fabriken in
den Händen deutscher Juden sich befand. Der ganzen Be-
völkerung bemächtigte sich Verzweiflung, und die Regierung
wurde mit Vorstellungen bestürmt. Darauf verlieh der Finanz-
minister den unentbehrlichen Fabrikbesitzern persönliche Er-
laubnis, in Polen zu bleiben. 230 suchten im Gouvernement
Warschau ihre Naturalisierung nach, die denjenigen gewährt
wurde, die seit fünf Jahren dort wohnten; die anderen mußten
hinaus. Von 760 ausländischen Juden, die dann im ersten Halb-
jahr 1888 in Polen um Naturalisierung einkamen, wurden nur
vier berücksichtigt, einigen anderen die Frist verlängert. Gleiches
Geschick blühte auch den deutschen Familien. Im eigentlichen
Rußland gewährte man den Christen österreichisch-ungarischer
Staatsangehörigkeit die gewünschte Naturalisierung, versagte
sie aber den Juden. Aus Odessa allein wurden 2000 fremde
Israeliten ausgewiesen, von denen ein großer Teil in Ruß-
156 Stete Bedrängnisse.
land geboren war. Pässe, selbst für vorübergehenden Aufent-
halt, erhielten ausländische Juden nur unter großen Schwierig-
keiten.
Endlich erfolgte am 14. März 1891 ein kaiserlicher Ukas,
der die Kodifikation der Bestimmungen über die fremden Juden
in Rußland enthielt, selbstverständlich im Sinne einer regle-
mentierungssüchtigen und feindlich gesinnten Bureaukratie.
Jüdische Vertreter bekannter Handelsfirmen können von den
russischen Konsuln einen Paß für drei-, ja selbst sechsmonatigen
Aufenthalt im Zarenreiche erhalten; alle sonstigen ausländischen
Juden bedürfen dazu einer besonderen Genehmigung des rus-
sischen Ministers des Innern. Ständigen Wohnsitz in Rußland
dürfen von fremden Israeliten nur nehmen: Mediziner und
Rabbiner, die von der Regierung dorthin berufen sind, Be-
gründer von Fabriken und Meister, die von den Fabrikbesitzern
für deren Betriebe engagiert werden. Übrigens müssen jüdische
Handlungsreisende eine besondere Erlaubnis von drei Ministern
erhalten und die Steuer der Kaufleute erster Gilde entrichten.
Den meisten ausländischen Juden und allen, die in Familien-
angelegenheiten, zu A\issenschaftlichen Studien oder zu Ver-
gnügungszwecken Rußland besuchen wollten, war das Betreten
dieses geweihten Bodens unmöglich gemacht. Denn die Er-
laubnis des Ministers des Innern ist immer nur in seltenen
Fällen und auch dann erst nach vielmonatigem Warten er-
teilt worden.
Die Feindschaft gegen die jüdische Bildung und Intelligenz
dauerte mit unverminderter Stärke fort. Wie materiell, so wollte
man das Judentum auch geistig auspowern und aushungern
zu größerer Kräftigung des allein seligmachenden orthodoxen
Russentums.
Die israelitischen Kinder und Jünglinge sahen die Pforten
der Gymnasien sich immer fester gegen sich verschließen. In
die medizinisch-chirurgische Fakultät in Petersburg wurden
1886 keine Juden mehr aufgenommen, ebensowenig wie Jüdin-
nen in das Hebammeninstitut. Überhaupt wurde 1887 be-
stimmt, daß an den Universitäten Warschau und Odessa
künftighin nur zehn Prozent jüdische Studenten immatrikuliert
sein soUten, in Dorpat, Kiew, Charkow, Kasan nur fünf, in
Stete Bedrängnisse. 157
Petersburg und Moskau gar nur drei Prozent. So wies 1894
die Universität Kiew 219 jüdische Studenten zurück, Charkow
89, um nur sechs anzunehmen. Um nun möglichst zu ver-
hüten, daß die Avißbegierigen Israeliten nicht an außerrussischen
Hochschulen sich bildeten, wurde das Privileg der Ansiedlung
außerhalb des Rayons denjenigen Juden vorbehalten, die in
Rußland studiert und promoviert hätten. Die Regierung blieb
sich konsequent in der Unterdrückung des Bildungstriebes bei
den Hebräern !
Dazu gehörte es auch, daß die Medizinalbehörde den Apo-
thekenbesitzern in Petersburg 1894 verbot, künftighin jüdische
Lehrlinge anzunehmen. Auf eignen Befehl des Kaisers wurden
von den Hoftheatern alle jüdischen Schauspieler und Sänger
entfernt .
Der Antisemitismus der Behörden gab sich auch in kleineren
Dingen durch unwürdige Schikanen kund. Der Polizeidirektor
von Kiew ließ im Herbst 1886 durch die Polizei alle Laubhütten
des Sukkotfestes aufspüren und niederreißen. Die Unmensch-
lichkeit ging bereits so weit, daß man im Juni 1894 den jüdischen
Kranken den Aufenthalt in den südrussischen Kurorten, be-
sonders in der Krim verbot.
Die Alexander III., Pobjedonoszew, Katkow wollten eben
den Juden den Aufenthalt in Rußland unmöglich machen, sie
hinausdrängen. Während sie das Anerbieten des Baron Hirsch
in Paris, ihr zwanzig Millionen Rubel zur Anlegung von Schulen
für die Juden zu Gebote zu stellen, zurückwies, genehmigte sie
bereitwillig die auf die Auswanderung der Juden aus Rußland
gerichtete Tätigkeit der Jewish Colonization Association für
dieses Reich. ,,Die Regierung eines Landes, in dem die Aus-
wanderung offiziell verboten ist, sanktioniert ein Abkommen,
das nicht mehr und nicht weniger als den Transport der Ge-
samtheit der russischen Juden aus dem Lande ins Werk zu
setzen sich anheischig macht, und gewährt für diesen Auszug
erhebliche Privilegien."
Leider war das riesige Unternehmen dann doch nicht
ausführbar, trotz der gewaltigen Geldmittel der von Baron Hirsch
begründeten Colonization Association. Aber auch ohne diese
nahm die Auswanderung wieder großen Umfang an. Aus Polen
158 Stete Bedrängnisse.
allein zogen im Jahre 1886: 21 150 Juden fort, aus Odessa
1889 in wenigen Tagen mehr als tausend nach Amerika. Infolge
der harten Austreibungsmaßregeln des Jahres 1891 schifften
sich damals 76 000 russische Juden nach den Vereinigten
Staaten ein, im folgenden Jahre gar 79 000. Dann sank 1893
die Auswanderung auf 56 000, 1894 auf 40 000. Im ganzen sind
in den Jahren 1880 — 1894 427 500 russische Juden nach Nord-
amerika ausgewandert, dazu nach Großbritannien 35 000, nach
Frankreich 18 000, nach Deutschland 9000, Palästina 13 000,
Kanada 9000, Südafrika 14 500, sonstige Länder 13 000. Zu-
sammen 839 000 Seelen ! Es war eine wahre Völkerwanderung,
wie sie in neueren Zeiten bei einer gleichzähligen Bevölkerung
kaum vorgekommen ist. Die Hunderttausende zogen einer
schweren, unsicheren, mühevollen Zukunft entgegen. Aber die
meisten von ihnen waren doch durch die Übersiedlung in ein
freies Land an Leib und Seele gerettet; und eine noch schönere
Zukunft winkte ihren Kindern.
Das Los der Zurückbleibenden wurde jedoch durch den
Weggang noch so vieler nicht gebessert. Die bedeutende natür-
liche Vermehrung der jüdischen Bevölkerung Polens und Ruß-
lands schloß schnell genug die frei gewordenen Lücken. In
Polen allein gab es 1895: 1 224 650 Juden; sie vermehrten sich
bis 1897, trotz der Auswanderung, auf 1 267 194, 14 Prozent
von den 9 402 253 Seelen der Gesamtbevölkerung. Besonders
in der Hauptstadt Warschau nahm die Anzahl der Juden reißend
zu. Sie betrug 1883: 128 000, 1887 schon 176 246, 1894: 200 000
Seelen. Sie ist bis 1901 auf 280 700 gestiegen, unter 712 000
der Gesamtbevölkerung: 35,7 Prozent. Im Ansiedlungsrayon
Rußlands — Klein-, West- und Südrußland — gab es 1885
unter 251/2 Millionen Einwohnern 2 930 634 Juden, also 11^4 Pro-
zent. Im gesamten russischen Reiche, mit Einschluß von Polen,
hat sich die Zahl der Juden in den 22 Jahren 1875 — 1897 von
2 760 000 auf 5 216 000 vermehrt, also nahezu auf das Doppelte.
Der Stand der Judenfrage in Rußland hat sich also durch die
Auswanderung nicht verändert, und ebensowenig der furchtbar
schwere Kampf ums Dasein für die eng zusammengepferchte
und in ihrem Erwerb durch grausame Gesetze eingeschränkte
jüdische Bevölkerung.
Stete Bedrängnisse. 159
Das war die unsäglich traurige Lage der russischen Juden,
als Zar Alexander III. am 20. Oktober/1. November 1894 zu
Livadia an einem Nierenleiden starb. Seine dreizehnjährige
Regierung war nicht nur für die Israeliten, sondern für das ganze
Reich eine unheilvolle gewesen. Sie und die in ihr triumphierende
altrussische Reaktion hatten die Revolution unvermeidlich
gemacht.
Kapitel Drei.
Innere Zustände der russischen Juden.
Die Assimilierungsbestrebungen der Regierung so\\ie vieler
aufgeklärter russischer Juden waren im wesentlichen, soweit es
die Masse der letzteren betraf, gescheitert. Gewiß bot diese
seit Jahrhunderten auf die rabbinischen Überlieferungen be-
schränkte Menge, die überdies von der Außenwelt nur schwere
und schmerzliche Ein^^drkungen erfahren hatte, einen harten
Boden für kulturelle Bestrebungen dar. Aber die Hauptursache
für das Mißlingen dieser ernst gemeinten Versuche war immer
die, daß dieselbe Hand, die ihnen wohltun zu wollen behauptete,
sie wieder mit den herben Züchtigungen der Ausnahmegesetze
mißhandelte. Die zweite war die durch nichts gerechtfertigte
Ungeduld der Regierung und der Presse. Wie war es möglich,
diese Älillionen nach einem viele Generationen hindurch dauern-
den Drucke, nach so langer Ausschließung in wenigen Jahren
zu freien und gleichartigen Volksgenossen umzugestalten ? Dazu
bedurfte es mindestens mehrerer Jahrzehnte, und hierzu hat
die russische Regierung den Juden nie Zeit gelassen. Da letztere
nicht mit einem Male auf die ihnen heiligen Eigentümlichkeiten
verzichteten, sofort alle von außen ihnen gebotenen Richtungen
einschlugen, sollten sie unverbesserliche, hoffnungslose Fremd-
und Schädlinge sein, und man verschloß ihnen mit offenem
Haße die Bahnen, die noch nicht betreten zu haben man ihnen
gleichzeitig zum Vorwurf machte.
In den sechziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts,
in dem glücklichsten und glänzendsten Zeiträume der leidens-
vollen Geschichte der russischen Juden, hatte die Regierung
mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln die Aufklärung und
Innere Zustände der russischen Juden. 161
Assimilation der Israeliten befördert, ja häufig in gewaltsamer
Weise erz\\Tingen. Aber durch das rote Gespenst des Nihilismus
erschreckt, von altrussischen und unduldsam panslawistischen
Ideen erfüllt, hatte sie seit dem Jahre 1881 ihre Taktik von
Grund aus geändert. Die reaktionären Unterströmungen, die
niemals ganz gefehlt und in den letzten Jahren Alexanders II.
hier und da bis an die Oberfläche aufgestiegen waren, drängten
sich nach der verbrecherischen Ermordung dieses Zaren vollends
hinauf und ergossen sich über ganz Rußland in gewaltigem,
immer breiterem und reißenderem Strome. Außer den eigent-
lich russischen Elementen, die man der Teilnahme an den revolu-
tionären Bewegungen bezichtigte, schrieb man auch den Juden
einen Teil, ja einen beträchtlichen Teil der Schuld zu. Man
besann sich plötzlich, daß, indem man die Aufklärung und das
Wissen unter den Juden befördere, man ihnen überflüssiger-
weise eine gefährliche Waffe in die Hand gebe und zugleich
Vorteile verschaffe ,,auf Kosten der Urbevölkerung". Denn
man fürchtete, daß unter gleichen sozialen, ökonomischen und
besonders unterrichtlichen Bedingungen die Nüchternheit, der
Eifer und Fleiß und die praktische Begabung der Juden sie
weit über das lässige, beschränkte und haltlose Russentum
erheben werde. Die leitenden Kreise beschlossen deshalb, diesem
,, unnatürlichen" Zustande ein Ende zu machen, die jüdische
Intelligenz an jeder Entmcklung zu behindern. Im Gegensatze
zu früher Moirden nunmehr die Juden in allgemeinen Schulen
sehr ungern gesehen und ihr Eintritt in diese mit immer größeren
Schwierigkeiten umgeben, bis endlich das bekannte Rund-
schreiben des Unterrichtsministers Grafen Deljanow vom Jahre
1887 die noch bis auf den heutigen Tag traurig nachwirkende
Anordnung traf, wonach in allen mittleren und höheren all-
gemeinen Unterrichtsanstalten jüdische Zöglinge nur in einem
bestimmten prozentualen Verhältnisse zu den christlichen
Schülern aufgenommen werden sollten; und zwar in den beiden
Residenzen drei Prozent, in den Städten der inneren Gouverne-
ments fünf, in denen des Ansiedlungsgebietes zehn Prozent.
Es brach für die russischen Juden eine neue schlimmere Zeit an,
die ihnen unendlich viel materielles und geistiges Elend bringen
sollte, die aber auch zu einer eindringlichen Lehrmeisterin für
Philippson, Neueste Geschichte der Juden, Bd. ITI.
11
162 Innere Zustände der russischen Juden.
sie geworden ist. Dieselben Juden, die den Aufklärungsbestre-
bungen Alexanders II. noch die größten Hindernisse in den
Weg gelegt hatten, erkannten nunmehr, gerade durch den er-
neuten Ausschluß und den von diesem geübten Druck den ganzen
Nutzen, ja die Notwendigkeit der Bildung und empfanden den
aus dem Rundschreiben Deljanows sich ergebenden Zustand
als eine schwere, beklagenswerte Beeinträchtigung und Schädi-
gung.
Zum Glück haben sich die Erwartungen der Regierung,
durch ihre drakonischen Maßregeln das geistige Niveau der
Juden hinabzudrücken, nicht in dem von ihr gewünschten
Maße erfüllt. Gerade der Wert, den die nunmehrige Regierung
offenbar der Bildung beilegte, indem sie solche den gehaßten
Juden vorzuenthalten suchte, öffnete diesen die Augen. Sie
erkannten selber die Bedeutung, die die geistige Entwicklung
für ihren moralischen und sogar ökonomischen Zustand haben
könne und müsse. So griffen sie zur Selbsthilfe, um auch
außerhalb der staatlichen Anstalten den gewünschten Bildungs-
stand zu erreichen. Sie organisierten Bildungsvereine; sie be-
gründeten Privatschulen; viele jüdische Knaben und junge
Leute bereiteten sich durch Privatunterricht als ,, Externe"
zu den Maturitätsprüfungen vor, um die durch diese verbürgten
Vorteile und Rechte, wenn auch auf schA^ierigem Umwege, zu
erlangen. Zahlreiche wohlhabende Juden, die in der Heimat
für ihre Kinder keinen Platz in den mittleren und höheren
Schulen zu finden vermochten, sandten sie zur Ausbildung in
das Ausland.
Um den Zustand des Unterrichts bei den russischen Israe-
liten zu verstehen, muß man bedenken, daß es in dem Zaren-
reiche keine Schulpflicht und auf dem flachen Lande nur wenige,
meist ganz unzureichende Schulen gibt. Unter den Orthodoxen
können nur 19 Prozent, unter den römischen Katholiken 32,1,
unter den Juden immerhin 39,9 Prozent lesen, und zwar 49,4
Prozent Männer und 28,9 Frauen. Man muß hierbei freilich in
Erwägung ziehen, daß die Juden in stärkerem Verhältnis als
die anderweite Bevölkerung die Städte bewohnte, wo der
Unterrichtsstand immerhin besser ist, als auf dem Lande.
Denn von den Städtebewohnern können 46.4 Prozent Orthodoxe
Innere Zustände der russischen Juden. 163
lesen, aber nur 42,8 Israeliten. Allerdings ist bei diesen die
Zahl der ganz kleinen Kinder, für die das Lesenlernen noch
nicht in Betracht kommt, stärker als bei den Christen. Die
Regierung dürfte übrigens im Unterricht nicht über die
mangelnde Assimilierung der ,, Hebräer" klagen: denn von
diesen können 31,20 Prozent Männer und 16,52 Frauen russisch
lesen — mehr als in irgendeiner Konfession, die orthodoxen
Russen selbst einbegriffen. Und zwar nimmt die Kenntnis des
Russischlesens bei den Juden von Jahrzehnt zu Jahrzehnt zu,
zumal bei den Frauen.
Die besonderen jüdischen Schulen bieten ein überaus
interessantes Bild. Sie zerfallen in zwei große Gruppen, näm-
lich in organisierte und nichtorganisierte. Zu den ersteren ge-
hören diejenigen Anstalten, die an ein bestimmtes Regulativ
seitens des Unterrichtsministeriums, obschon oft nur in loser
Weise, gebunden sind: also staatliche jüdische Elementar-
schulen, von Gemeinden oder Vereinen begründete Talmud-
Thora neuen Typus, andere größere Gemeinde- und Privat-
schulen. Nichtorganisiert sind die Chedarim, die gewöhnlichen
Talmud-Thora, die Jeschiboth.
Bei weitem überwiegen die rüchtorganisierten Chedarim.
Es gab 1899 unter 1 420 000 Israeliten im Ansiedlungsrayon
— also nicht ganz einem Drittel der dortigen Gesamtzahl —
an 507 Orten 7145 Chedarim, folglich auf 199 Juden ein Cheder.
Das macht für den ganzen Rayon ungefähr 24 620 aus. Dazu
kommen noch 5 — 600 Talmud-Thora- Schulen, die sich nur
durch die Art der Begründung, aber nicht im Wesen von den
Chedarim unterscheiden. Von diesen ca. 25 000 Anstalten ist
wenig mehr als der fünfzigste Teil organisiert, das heißt mit
anderen Worten, nur an dem fünfzigsten Teile dieser Schulen
entsprechen das Lehrpersonal den Minimalforderungen des
Unterrichtsministeriums und das Lokal den vorgeschriebenen
hygienischen Bedingungen. Das sind ebenso charakteristische
wie trauererweckende Zahlen.
Die Zahl der Cheder- und Talmud-Thora-Zöglinge war
ungefähr 370 000, einer auf 13 jüdische Einwohner, etwa 68,68
Prozent aller im Schulalter befindlichen jüdischen Knaben,
von Mädchen freilich zwanzigmal weniger. Die Kinder werden
11*
] 6-i Innere Zustände dei* x'ussischen Juden.
schon von vier Jahren an in das Cheder getrieben. Auf einen
Lehrer — Melammed — kommen etwa zwanzig Kinder. Übrigens
wird nur in dem kultuvierteren Südrußland das Cheder vorzugs-
weise von Kindern der ärmeren Klasse besucht; in den übrigen
Provinzen finden sich dort Kinder jeder Vermögensstufe.
Als Lehrer wdrken mindestens 26 000 Melamdim und
außerdem noch Privatlehrer des „Jüdischen". Man kann,
mit Einschluß der Familien, diejenigen, die vom Unterricht-
geben dieser primitiven Art leben, auf 100 000 Köpfe veran-
schlagen. Die Melamdim sind aber Avenigstens zu vierzig
Prozent Leute, die als Handwerker, Vermittler, Kärrner, aus-
gediente Soldaten ökonomischen Schiffbruch gelitten und als
einzigen Ausweg die Jugendausbildung ergriffen haben. Denn
die Einkünfte des Melammed sind gering, durchschnittlich
350 Rubel oder 750 Mark jährlich. Furchtbar sind die gesund-
heitlichen Zustände des Cheders. In dessen einziger Stube
wohnt der Melammed mit seiner Familie, Schmutz und Küchen-
abfälle bedecken den Boden und erzeugen den ihnen natürlichen
Übelgeruch. Außer den Bänken für die Kinder und einem Holz-
tisch stehen die mit Lumpen bedeckten Betten herum. Der
Lehrer, die Schüler und die Kinder des Hauses sind gleicher-
maßen in schmierige Lumpen gehüllt. Alles ist feucht und
dumpf. Nur selten findet sich ein Hof, wo die Kinder während
der Pausen Luft zu schöpfen vermögen. Die Unterrichtsweise
ist ganz unpädagogisch; sie besteht im Vorlesen des Lehrers
und Nachplappern der Kinder, ohne hinreichende Erklärung.
Von irgendeiner Methode ist nicht die Rede, da die Lehrer
selber davon keine Ahnung besitzen. Es herrscht beständige
Unruhe und Unaufmerksamkeit, die notdürftigste Disziplin wird
durch grausames Prügeln aufrecht erhalten. Die Unterrichts-
stunden dauern von 9 bis 5, ja bis 7, bisweilen bis 8 Uhr !
Und diese Karrikatur eines Jugendunterrichtes kostete
jährlich etwa acht Millionen Rubel, auf den Kopf der jüdischen
Bevölkerung 1,62 Rubel, eine Familie mit fünf Kindern also
acht Rubel.
Die organisierten Schulen zerfallen ihrerseits in drei Kate-
gorien. Am meisten verbreitet sind (60,9 Prozent) die Privat-
schulen; darauf kommen (21,6 Prozent) die Gemeindeschulen
Innere Zustände der russischen Juden. 165
und erst an dritter Stelle (17,5 Prozent) die früher, in den sech-
ziger Jahren, vorherrschenden staatlichen Schulen. Die größten
Aussichten für die Zukunft scheinen die Gemeindeschulen zu
besitzen, da sie am meisten den wahren Bedürfnissen der jü-
dischen Bevölkerung entsprechen und sich am besten den lokalen
Zuständen und Bedürfnissen anzupassen imstande sind. Die
Hälfte dieser Schulen ist für Knaben, etwas weniger als ein
Drittel für Mädchen, der Rest für beide Geschlechter bestimmt.
Ein großes Übel für das gesamte jüdische Unterrichtswesen
in Rußland ist der durch die ökonomische Notlage der Eltern
veranlaßte Umstand, daß volle neun Zehntel aller jüdischen
Schüler die Schule vorzeitig verlassen.
Das Lehrpersonal der organisierten Schulen ist selbstver-
ständlich ein unvergleichlich besser ausgebildetes, als an den
Chedarim. Am höchsten steht das an den Mädchenschulen, das
zu zwei Drittel volle Gymnasialbildung besitzt. Dann kommen
die Lehrer an den Staatsschulen, die zumeist aus den früheren
Lehrerbildungsanstalten zu Schitomir und Wilna hervor-
gegangen sind.
Die Zahl der organisierten jüdischen Schulen beträgt im
ganzen 840, davon im Ansiedlungsrayon nur 644, in denen
50 773 Kinder Unterricht genießen. Dazu kommen die 370 000
der Chedarim — zusammen im Ansiedlungsrayon ungefähr
420 000. Es gab aber 1899 im Rayon etwa 508 000 Kinder im
schulpfUchtigen Alter, so daß ungefähr 88 000 = 17,3 Prozent
der jüdischen Kinder ohne jeden Unterricht als Analphabeten,
aufwachsen.
Die Lage des Schulwesens für die russischen Juden ist also
eine recht traurige. Die Nachfrage nach jüdischen orgamsierten
Staatsschulen ist weit größer, als die Regierung zu bewilligen
gesonnen ist, die nur das allernotwendigste in dieser Beziehung
tut. Das Eintreten der privaten Initiative kann aber auf diesem
Felde nur sehr geringes wirken, zumal sie in zahlreichen Fällen
durch den aus politischen Gründen hervorgehenden Widerstand
der Regierung geradezu gelähmt wird.
Erfreulicher ist das in jüngerer Zeit hervortretende Be-
streben, die allgemeine Bildung mit der speziell jüdischen
Unterweisung harmonisch zu verbinden. So gründet man so-
1G6 Innere Zustände der russischen Jviden.
genannte ,,Musterchedarim", wo man die „Jüdischkeit" in
rationellen jüdischen Religionsunterricht verwandelt, anstatt
der rabbinischen Dialektik jüdische Geschichte sowie hebräische
Sprache und Literatur lehrt, an Stelle der rituellen Schriften
die nationalen liest.
Der Besuch der technischen und Handelshochschulen
seitens der Juden läßt sich ziffernmäßig nicht nachweisen. Da-
gegen kann man feststellen, daß die Frequenz der Universitäten
sich bei ihnen unter dem Hauche der Freiheit sehr gehoben
hatte: von 550 oder 6,8 Prozent aller Studenten im Jahre 1880
auf mehr als das Doppelte in 1886: 1232 oder 14,8 Prozent.
Aber infolge der Deljanowschen Beschränkungen ging sie,
wenigstens verhältnismäßig, zurück: im Jahre 1899 gab es
1757 jüdische Studenten, das heißt nur 10,9 Prozent der Gesamt-
zahl. Von 10 000 Juden studierten damals 3,5. Allein das gibt
kein Bild des ganzen Umfanges des jüdischen Universitäts-
studiums. Denn mehr als in Rußland studierten Juden im
Auslande: etwa 2200. So kommen auf 10 000 Juden im ganzen
beinahe acht Urdversitätshörer.
Wie wenig bisher das Werk der Assimilierung geglückt
war, geht aus dem Umstände hervor, daß von den 5 125 805
Juden, die 1897 in Rußland lebten, nur 161 605 eine andere
Muttersprache hatten als das Jüdisch-Deutsch, das ,, Jiddisch",
so daß 5 054 200, also 96,90 Prozent das Jiddische sprachen.
Dann redeten 47 600 polnisch, 67 063 russisch, demnach nur
114 123 die Sprache des Landes, in dem sie wohnten; deutsch
22 782. Auf dem flachen Lande gab es keinen Juden, der nicht
jiddisch redete, die wenigen Anderssprachigen bewohnten die
Städte, und zwar fast nur die Orte außerhalb des Ansiedlungs-
gebietes, also wo die Juden weniger eng zusammengedrängt
saßen. Man ersieht daraus von neuem, wie sehr das Vorhanden-
sein des Ansiedlungsrayons den Anschluß der Juden an das
allgemeine Volkstum behindert. Im russischen Rayon herrschte
das Jiddische unter 99 bis 99,8 Prozent fast ausschließlich,
mit Ausnahme des Gouvernements Taurien, wo 8,8 Prozent
russisch oder tatarisch oder deutsch sprachen. In Odessa
redeten 10,5 Prozent nicht-jiddisch, in Petersburg 15,13, in
Moskau sogar 38,82 Prozent. Die großen Städte hatten eben
Innere Zustände der russischen Juden. 167
die meistgebildete jüdische Bevölkerung. Das Polnische über-
wog unter den Juden Warschaus mit 90,1, in Kaiisch mit 89,6
Prozent. In der Fabrikstadt Lodz gab es 6,5 Prozent Juden
mit nicht-jiddischer Sprache, darunter waren aber viele Deutsch-
redende. In den anderen polnischen Gouvernements gab es
sonst, wie in Rußland, fast nur Jiddische. So blieb hier überall
für die nationale Bildung beinahe alles noch zu tun.
Im ganzen Rußland machte sich, wie auch in anderen
Staaten, der Andrang der Juden zu den Städten bemerkbar.
2 631 000 von ihnen, also 50^ Prozent, bewohnten die Stadt,
von der übrigen Bevölkerung nur 11,8 Prozent. Verhältnis-
mäßig kamen demnach mehr als viermal so viele auf die Stadt-
bewohner, als bei den Angehörigen anderer Glaubensbekennt-
nisse. Während die Israehten 4,15 Prozent der Gesamtbevölke-
rung ausmachten, so 15,6 Prozent unter der Stadtbevölke-
rung. Schon dadurch erhielten sie einen starken geistigen und
gewerblichen Einfluß. In den Gouvernements Minsk, Grodno,
Sedlec, Witebsk, Mohilew, Kelce, Radom und Wolhynien
machten sie sogar die Mehrheit der Städter aus — in Berditschew
selbst 78 Prozent, mit 41 617 Seelen — in den übrigen Gouverne-
ments des Ansiedlungsgebietes zwischen 25 — 50 Prozent, mit
Ausnahme von Taurien( der Krim), wo sie 13,6Prozent betrugen.
Besonders stark war ihr Anteil an der städtischen Bevölkerung
in Nordwesten und Südwestrußland, weniger stark in Polen
und Südrußland. Außerhalb des Rayons, wo nur Höchst-
gebildete, Kaufleute erster Gilde und eigentliche Handwerker
zugelassen wurden, konzentrierten sie sich notgedrungen fast
ganz in den Städten, wo 97 Prozent von ihnen ansässig waren.
Auf dem flachen Lande dort war kein Raum für sie. Auch
sonst waren ja im eigentlichen Rußland die Juden zumeist
vom flachen Lande ausgeschlossen. Und dann wollte man sie
noch an der Ausübung des Handwerks möglichst verhindern.
Was alles ihre Gegner nicht davon abhielt, ihnen den mit
Gewalt ihnen aufgedrängten ,, Schachergeist" vorzuwerfen!
Buch Elf.
Revolution und Reaktion.
Zar Nikolaus II.
Kapitel Eins.
Friedliche Zeiten.
J_}er neue Zar Nikolaus II. war am 18. Mai 1868 geboren,
also bei seiner Thronbesteigung noch in jugendlichem Alter.
Er hatte einen vortrefflichen Unterricht sowohl in den neueren
Sprachen wie in den realen Wissenschaften genossen und sich
auf großen Reisen noch weiter gebildet. Vor allem hatte er
mit wahrhafter Begeisterung die schöne Idee eines allgemeinen
Völkerfriedens, der Beilegung aller internationalen Streitigkeiten
durch ein höchstes von den mächtigeren Staaten ernanntes
Schiedsgericht ergriffen. Aber im Innern seines Reiches wollte
der Zar nur allein herrschen, in voller Autokratie, gestützt auf
die altrussischen Elemente, mit Niederhaltung aller anderen
Nationalitäten und Glaubensbekenntnisse. Auch in seinem
Vertrauen stand, wie bei seinem Vater, Pobjedonoszew obenan.
Das Gefährliche an dieser Persönlichkeit war eben, daß sie
durch Geist, Wissen und Überzeugungstreue auch Hoch-
gebildeten und Wohlmeinenden zu imponieren imstande war.
Bei einem Aufenthalte in Japan, 1891, hatte dem ZareA^dtsch
ein fanatischer eingeborener Polizist einen Hieb auf den Kopf
versetzt, von dem er anscheinend wieder hergestellt war, dessen
Nachwirkungen aber doch in seinem schwächlich abhängigen,
einsilbigen Wesen, in der übermäßigen Bescheidenheit und Ge-
drücktheit seines Auftretens wohl erkennbar sind. Als er die
Regierung in seine Hand nahm, hielt er den Absolutismus
seines Vaters aufrecht und beharrte in dessen ganzer Rich-
tung ; aber von persönlichem Wohlwollen geleitet , trat er
zunächst den nichtrussischen Bevölkerungen — Balten,
Finnen, Polen, Juden, Armeniern — gegenüber milder und
weniger gewalttätig auf. In seinem Thronbesteigungsmanifeste
172 Friedliche Zeiten.
erklärte er, sein einziges Ziel sei „die Beglückung aller treuen
Untertanen". Das klang immerhin verheißungsvoll. Auch die
Juden im besonderen schienen der huldvollen Berücksichtigung
durch den neuen Herrscher gewiß. Zu dessen Krönungsfeier in
Moskau, im Juni 1895, wurden auch drei Rabbiner offiziell
eingeladen und erhielten vom Staate jeder ein Reisegeld in
Höhe von sechshundert Rubel. Unter den Abordnungen der
Städte und Vereine gab es eine ganze Anzahl Juden. Eine Depu-
tation der jüdischen Gemeinden Rußlands überreichte dem
Zaren eine große Gruppe aus oxydiertem Silber, die den Erd-
ball zeigte, dessen Friede durch Rußland geschützt wird. In
allen jüdischen Gemeinden, selbst in Polen, wurde die Krönung
durch religiöse Feier verherrlicht. Die Juden Petersburgs
widmeten dem Kaiserpaar bei dessen Rückkehr in die Haupt-
stadt einen die Krone überreichenden Engel in Silber, ein Werk
Antokolskis, der zum Danke für diese Huldigung zum Wirk-
lichen Staatsrat mit dem Titel Exzellenz ernannt wurde. Und
als im August 1897 Nikolaus II. Polen durchreiste, zog er aller-
orten die Juden offizell zu allen Feierlichkeiten mit heran.
Kurz, das persönliche Verhältnis des Monarchen zu diesem
Teile seiner Untertanen schien ein vortreffliches zu sein.
Die Lage der Juden gestaltete sich sofort verheißungs-
voller. Der Gehilfe des Ministers des Innern, Nekljudow, ein
berühmter Rechtsgelehrter, war ein Mann von vorurteilslosen
Gesinnungen. Auch der Senat entdeckte plötzlich philosemi-
tische Neigungen und übernahm den Schutz der Hebräer gegen
ungesetzliche Bedrückungen. Die Presse machte diese Schwen-
kung mit. Selbst die Nowoje Wremja wurde judenfreundlich.
Fürst Uchtomsky begann in dem von ihm herausgegebenen
,,PetersburgskijaWjedomosti" geradezu einen Kampf gegen alle
religiöse und nationale Unduldsamkeit. Professor Chmerkin
veröffentlichte 1897 seit langer Zeit zum ersten Male ein von
einem russischen Christen verfaßtes Buch zur Verteidigung
der Juden: ,,Die Folgen des Antisemitismus". Er wies darin
nach, daß die Vertreibung der Juden aus den rücht zum Rayon
gehörenden Gouvernements seit 1881 für diese recht schlimme
Folgen gehabt hatte. Die Staatseinnahmen hatten sich dort
verhältnismäßig verringert, die Getreideausfuhr nachgelassen
Friedliche Zeiten. 173
und zumal die feineren Getreidearten waren weniger exportiert
worden. Alles das durch Ausschaltung der Juden, die die Ge-
treideausfuhr hauptsächlich in Händen gehabt hatten. Damit
hatten sich Wohlstand und Lebenshaltung der russischen
Bauern wesentlich verschlechtert. Man hatte die Maßregel
mit dem Wucher der Juden zu rechtfertigen gesucht. Jetzt
stellte es sich ziffernmäßig heraus, daß die Juden 15 bis 25 Pro-
zent Zinsen genommen hatten, die christlichen Wucherer aber,
nach Vernichtung der jüdischen Konkurrenz, 75 bis 200 Prozent
verlangten. Die Pfandleihanstalten, selbst in Petersburg,
forderten, von dem jüdischen Wettbewerb befreit, 36, 60, ja
70 Prozent Zinsen. Das alte, schon von Katharina IL gerügte
Laster der Russen, viel schlimmer, als der Wucher der Juden !
Diese nicht zu bezweifelnden Ergebnisse des Chmerkinschen
Buches wurden durch anderweite Tatsachen bekräftigt. Die
im Gouvernement Cherson, also im Rayon, am Bug gelegene
Hafenstadt Nikolajew führte jährlich an 88 Millionen Pud
(14^ Millionen Doppelzentner) Getreide aus; davon die dortigen
Juden allein 63 Millionen Pud, also 71,5 Prozent. Innerhalb
des Rayons gab es 1893: 5055 Fabriken, die für 29 411 600 Rubel
Waren erzeugten, in den judenfreien Gouvernements — ab-
gesehen von Petersburg und Moskau — nur 31 Prozent der
russischen Fabriken. Das Anwachsen der Fabrikstadt Lodz,
die in den zwölf Jahren zwischen 1885 und 1897 sich um 135 000
Einwohner auf 322 000 vermehrte, war in überwiegendem Maße
der Tätigkeit der Juden zuzuschreiben, zum großen Teile Aus-
wanderer aus Moskau, dessen industrielle Bedeutung seitdem
bedeutend sank.
Die russischen Staatsmänner verschlossen sich nicht dem
Eindrucke dieser Tatsachen, sobald sie nur überhaupt ihre
leidenschaftlichen Vorurteile genügend zurückdrängten, um
kühler Erwägung zugänglich zu werden. Die Ausweisungsmaß-
regeln wurden sofort nach der Thronbesteigung Nikolaus' II.
suspendiert, zunächst in dem Fünfzig-Werst-Grenzbezirk. Am
29. Oktober 1895 erging dann ein Allerhöchster Befehl von all-
gemeiner Bedeutung: die von Ignatiew erlassenen Verbote der
Ansiedlung von Juden in Dörfern und Marktflecken sowie
sämtliche in Kraft stehende Ausweisungsanordnungen gegen
174 Friedliche Zeiten.
die Juden sollten strenger Prüfung und gründlicher Änderung
unterzogen werden. Die noch 1895 von dem Hetman der
Don-, Terek- und Kubankosaken, Fürsten Swjatopolsk-Mirski,
angeordnete Austreibung der Juden aus diesen Gebieten wurde
im März 1896 vom Zaren aufgehoben, und zwar auf eine Bitt-
schrift der Kosaken selbst, die in den Juden die einzigen Ab-
nehmer und Vertreiber ihrer Produkte fanden. Ebenso geschah
es im Kaukasus, wo sogar der Generalgouverneur Scheremetjew
die Zurücknahme der Ausweisungsmaßregeln betrieb, weil die
Juden für das Wohl der christlichen Bevölkerung unentbehrlich
seien. Solche Tatsachen bilden eine glänzende Rechtfertigung
der durch gewissenlose Verleumdungen so oft angegriffenen
russischen Juden.
Die Verfügung des früheren Ministers des Innern, Durnowo,
daß bei dem Bau der großen sibirischen Durchlandsbahn Juden
weder als Techniker noch als Ingenieure angestellt werden
dürften, wurde Ende 1895 aufgehoben, und beinahe umgehend
fanden an ihr vierzig jüdische Ingenieure Anstellung. Ebenso
wurden die 350 Juden, die von dem früher weit umfangreicheren
jüdischen Beamtenpersonal der russischen Südostbahn noch
übrig geblieben waren — weil man keinen Ersatz für sie gefunden
hatte — endgültig und zwar mit vollem Gehalte beschäftigt.
Der Justizmirüster ließ 1896, zum ersten Male seit 1890, meh-
rere Juden zur Rechtsanwaltschaft zu. Der Minister des Innern
hob die Verfügung seines Vorgängers auf, die Juden als Gehilfen
in Apotheken nur im Verhältnis von fünf Prozent gestattet
hatte. Die Regierung erlaubte die Gründung einer jüdischen
Ackerbauschule für die Kolonien im Gouvernement Cherson.
Jüdische Soldaten durften nieder zu Unteroffizieren be-
fördert werden. Eine solche Verfügung war um so gerechter,
als die russischen Generale selber die Tapferkeit der jüdischen
Soldaten anerkannten. Eine große x\nzalil derselben ging auf
den Kriegsschauplatz gegen die Boxer in China ab (1900).
Unter der Besatzung des 1901 erworbenen mandschurischen
Port Arthur waren sie so zahlreich, daß die Regierung ihnen eine
besondere Synagoge erbauen ließ. In der nach China beorderten
5. Schützenbrigade befanden sich nicht weniger als 700 jüdische
Soldaten, für die eine eigene ThoraroUe mitgenommen wurde.
Friedliche Zeiten. 175
Allein dieses tadellose Benehmen des jüdischen Militärs
konnte das gegen sie im Beamtentum herrschende Mißtrauen
nicht mindern.
In ^^elen einzelnen Verfügungen der Behörden kam doch
der Buchstabe der Maigesetze, und zwar oft in recht drückender
Auslegung, zum Ausdrucke. Jüdischen Kranken wurde es ver-
boten, in den kaukasischen, donschen und auch li\aschen Kur-
orten Genesung zu suchen; noch grausamer war der Befehl
des Ministers des Innern, Goremykin, vom 21. Juli 1897, der
den kranken Juden den Eintritt in die Kliniken und Spitäler
Moskaus untersagte. Einen Willkürakt lokaler Behörden be-
deutete es wohl, wenn noch 1895 von den in Smolensk wohnen-
den 132 jüdischen Familien nicht weniger als 111 ausgewiesen
wurden.
Im Laufe der Jahre zeigte sich eine bedenkliche Neigung,
in die Verfahrungsweise Ignatiews und Tolstois zurückzufallen.
Das Beamtentum konnte seine judenfeindlichen Neigungen
nicht unterdrücken und ließ ihnen allmählich wieder die Zügel
schießen. Es war geradezu eine Verletzung der bestehenden
Gesetze, wenn am 22. Januar 1899 sogar den jüdischen Kauf-
leuten für das Gouvernement Moskau die Einschreibung in die
erste Gilde und damit die AA'ohnungsberechtigung von der Zu-
stimmung des dortigen Generalgouverneurs und des Ministers
des Innern abhängig gemacht; wenn Sibirien auch den sonst
bevorrechteten Israeliten 1898 verschlossen und 1901 die dort
seit lange ansässigen Juden in ihrem Niederlassungsrecht be-
deutend beschränkt wurden. Ebensowenig wie den jüdischen
Männern gönnte man den Frauen freie EntA^dcklung zu liberalen
Berufen. Die Petersburger medizinische Frauenuniversität
durfte nur drei Prozent Jüdinnen aufnehmen; Medizin oder
Pharmazie studierenden Jüdinnen wurde der Aufenthalt im
Gouvernement Moskau und damit der Zutritt zu den betreffen-
den Hochschulanstalten ganz untersagt. Weit schlimmer noch
war es, wenn laut Rundschreiben des Unterrichtsministers
General Warmowski, vom 30. Oktober 1896, der Besuch der
Gymnasien, Real- und sonstigen Sekundärschulen jüdischen
Kindern nur im Umfange von zehn Prozent der gesamten Zög-
linge gestattet wurde. Damit übertrug man die gehässige Be-
176 Friedliche Zeiten.
schränkung der jüdischen InteUigenz von den Universitäten
auch auf die höheren Knabenschulen.
Die feindsehge Gesinnung des russischen Beamtentums
gegen die Juden sprach sich auch während des Frühjahrs 1901
in dem Verbote aus, den Verkehr deutscher und österreichischer
Juden in den russischen Grenzlanden auf Grund der von den
auswärtigen Behörden gewährten sogenannten Halbpässe zu
gestatten. Damit wäre den jüdischen Kaufleuten und Ver-
mittlern in den Grenzlanden die Möglichkeit des Handels ge-
nommen worden. Doch gelang es den Bemühungen der deut-
schen Reichsregierung, dieses den geltenden Verträgen gerade-
wegs zuwiderlaufende Verbot rückgängig zu machen. Aber
man erkannte doch dessen Quelle !
Die einzige Zuflucht für die russischen Juden war noch der
Senat, in dem die humanen Anschauungen einigermaßen ver-
treten waren. Er vereitelte 1901 — 1903 die Versuche, die An-
siedlungsfähigkeit der Hebräer noch mehr einzuschränken; er
verbot den Polizeibehörden in den baltischen Provinzen sowie
in den Gouvernements Kiew und Wilna die willkürliche Ver-
treibung angesessener Juden. Aber er war in der Hauptsache
gegen den Einfluß eines Pobjedonoszew und Wannowski ohn-
mächtig. Hatten doch diese Judenfeinde das gesamte Be-
amtentum hinter sich, das, von den Generalgouverneuren hinab
bis zu den Polizeidienern, bei seiner überaus geringfügigen Be-
soldung buchstäblich zumeist von den Bestechungen lebte, die
ihm die Juden zur Umgehung der unerträglichen Ausschließungs-
gesetze bezahlen mußten. Das ganze Beamtentum Rußlands
hatte und hat also ein dringendes Interesse daran, daß diese
Ausschließungsgesetze bestehen und womöglich noch verschärft
werden. Desto reichlicher mußten ihm die Juden zahlen.
Immer mehr verfiel der schwache Zar seiner panslawdstisch-
orthodoxen Umgebung — derselbe Zar, der zwar 1898 die inter-
nationale Friedenskonferenz in Haag organisierte, aber zugleich
gegen die Freiheit Finnlands tödliche Streiche führte. Das
Kischinewjahr 1903 brachte den Abschluß der Maßregeln, die
den Juden den Bodenbesitz entzogen und ihnen den Ackerbau
unmöglich machten: am 10. Mai wurde ihnen, auch außerhalb
des Ansiedlungsbezirkes, verboten, Ländereien zu kaufen, zu
Friedliche Zeiten. 177
pachten oder zu verwalten. Sie wurden auf Industrie, Handel
und Kleinkram beschränkt, damit man sie dann aJs unproduk-
tive Blutsauger des christlichen Volkes denunzieren könne.
Und schon lange vorher waren Zehntausende sonstiger
jüdischer Familien brotlos gemacht worden: durch Einführung
des staatlichen Branntweinmonopols im Westen des Reiches
(1896). Es versteht sich von selbst, daß die Regierung weder
in den Brennereien noch bei den Groß- und Kleinbetrieben
Juden anstellte. So wurde der Kreis der diesen freistehenden
Beschäftigungen immer enger gezogen.
Dazmschen gab es wieder einzelne Pöbelunruhen gegen die
Juden, meist sorgfältig von den Antisemitenführern vorbereitet,
vfie in Nikolajew (1900), wo ein Jude getötet, zwanzig ver-
wundet wurden, und in Czenstochau, wo die Behörden nicht
weniger als 800 Personen verhafteten. Diese Exzesse wurden
zwar blutig unterdrückt, aber erst, wenn sie Menschen und Hab
und Gut ernstlich geschädigt hatten. So bereitete sich Furcht-
bareres vor. Der heitere Horizont, der im Beginne von
Nikolaus' II. Regierung den Juden geleuchtet, hatte sich längst
wieder verfinstert.
Philippsoii, Neueste Geschichte der Juden, D<1. IM. '2
Kapitel Zwei.
Revolution und Krieg.
J_Jie verderbliche und aufregende 'Vermischung angeblich
friedlicher Richtung und panslawistischer, absolutistischer und
nach außen weit ausgreifender Bestrebungen rief nach allen
Seiten hin die schwersten Verwickelungen für Rußland hervor:
Revolution und Krieg hat diese in sich unwahre, widerspruchs-
volle Regierung zur Folge gehabt.
Sie trug geflissentlich in den äußeren Verhältnissen die
friedlichsten Absichten zur Schau. Aber dabei betrieb sie mit
der der russischen Politik eigenen Mischung von Unaufrichtig-
keit und unbedenklicher Gewaltsamkeit die Ausdehnung des
russischen Einflusses und der russischen Macht. Der Zar schloß
ein intimes Bündnis mit der französischen Demokratie und
legte dadurch den etwaigen Widerspruch des deutsch-öster-
reichisch-italienischen Dreibundes gegen seine Vergrößerungs-
pläne brach. Man führte durch Vertrag mit dem zerrütteten
und ohnmächtigen China die Verlängerung der sibirischen Bahn
durch die diesem Reiche gehörige Mandschurei bis zu einem
eisfreien Hafen am Stillen Ozean; dieser Hafen wurde in Port
Arthur gefunden, das Rußland sich 1898 von China ,, verpachten",
das heißt abtreten ließ. Im Jahre 1902 war die gewaltige Bahn
vollendet, die vom Ural bis Port Arthur und Wladiwostok in
der russisch-sibirischen Küstenprovinz führte. Letzteres sollte
zu einem uneinnehmbaren Kriegshafen umgestaltet werden. Und
wie die Mandschurei, so verfiel auch das chinesische Vasallenland
Korea immer mehr dem russischen Einfluß. Die Beherrschung
des gesamten asiatischen Ostens, der Westküste des Stillen
Ozeans wurde das offenbare Ziel der Petersburger Regierung.
Revolution und Krieg. 179
Aber auch in Mittelasien drang diese unaufhörlich vor. Sie
bedeckte es mit einem sich schnell entAvickelnden Eisenbahn-
netze. Indem sie auch in Persien Chausseen und Eisenbahnen
baute und diesem Lande eine beträchtliche Anleihe gewährte,
verpflichtete es sich, binnen 75 Jahren nur bei Rußland Geld
aufzunehmen. Eine russische Dampferlinie erhielt das Privileg
des Verkehrs im Persischen Meerbusen. Der Schah errichtete
eine Kosakenbrigade nach russischem Muster, die von russischen
Offizieren exerziert und befehligt wurde. So verbannte Rußland
aus dem viel umstrittenen Persien den englischen Einfluß und
unterwarf es vollständig seiner eigenen Oberherrschaft, auf
finanziellem wie militärischem Gebiet. Und dann richtete es
sein Augenmerk auf Tibet, das dem Rechte nach zu China ge-
hörte, aber zugleich eine Vormauer für die englische Herrschaft
in Indien ausmachte. Russische Intrigen beherrschten den Hof
von Lhassa, und der Tribut, den Tibet früher nach China ge-
sandt, nahm nunmehr den Weg nach St. Petersburg. Das zweite
Vorland Indiens, von England bisher mit der äußersten Eifer-
sucht bewacht, war Afghanistan. Auch hierher zogen sich die
russischen Eisenbahnen, die es dem Zaren erlaubten, zu einem
ihm beliebigen Zeitpunkte große Massen von Truppen bis vier
Tagemärsche von der Hauptstadt Herat zu werfen.
Am eifrigsten jedoch wurden die Pläne in Ostasien verfolgt.
Rußland benutzte den Boxeraufstand in China, um, angeblich
zur Sicherung der Mandschurei, diese mit seinen Truppen zu
besetzen. Freilich schloß es unter dem Drucke Amerikas, Eng-
lands und Japans 1902 mit China einen Vertrag, nach dem es
in drei Etappen die Mandschurei zu räumen versprach. Allein
es führte dieses Abkommen in keiner Weise aus, richtete viel-
mehr für die chinesische Provinz eine russische Verwaltung ein.
Es war offenbar, daß es die Mandschurei als sein Eigentum
betrachtete und behandelte. Unter lächerlichen Vorwänden
verlegte es sogar seine Soldaten auf das östliche Ufer des Jalu-
Flusses, auf koreanisches Gebiet. Der Krieg mit Japan, das sich
nicht die hauptsächlichen Absatzgebiete für seine Industrie,
Korea und China, rauben lassen durfte, wurde unvermeidlich.
Und auch im Innern Rußlands häufte sich der Zündstoff in
gefahrdrohender Weise an. Die gesamte Arbeiterschaft der
12*
180 Revolution und Krieg.
Fabriken wurde von sozialdemokratischen Strömungen er-
griffen und veranstaltete zahlreiche Unruhen. Ebenso die Land-
bevölkerung, die unter der künstlichen Förderung der Getreide-
ausfuhr vielfach von Hungersnöten zu leiden hatte, und die
durch die sich stets steigernden Steuern unrettbar verarmte.
Die studierende Jugend war über die immer zunehmenden Be-
schränkungen des Unterrichts an den höheren Lehranstalten
tief erbittert ; auch unter ihr kam es zu häufigen Unruhen. Die
panslawistischen Maßregeln der Regierung erzeugten in Finn-
land, den baltischen Provinzen und Armenien eine umfassende
revolutionäre Bewegung. Die allgemeine Unzufriedenheit war
derart angewachsen, daß sie durch einige Zugeständnisse nicht
gemildert wurde ; um so weniger, als neben dem freier gesinnten
Finanzminister Witte der Minister des Innern, von Plehwe, den
äußersten bureaukratischen und absolutistischen Standpunkt
vertrat.
Es machte sich infolge dieses Gegensatzes zwischen den
Regierten und den Regierenden, bei diesen immer bedrohlicher
für die Juden, ein Umschwung in den Anschauungen geltend.
Bis vor kurzem hatten gegen sie bei den Machthabern Vor-
urteile geherrscht, aber man hatte doch gehofft, sie mit der Zeit
zu wünschenswerten Untertanen des Zaren, mit Güte oder mit
Härte erziehen zu können. Selbst die Gewaltsamkeiten und
Zwangsmittel hatten diesem Zwecke dienen sollen. Aber seit
dem Regierungsantritte Alexanders III., seit dem Vorwiegen
des unseligen Einflusses Pobjedonoszews, war das anders ge-
worden. Seitdem wurde die jüdische Bevölkerung als der Herd
aller gegen das Zarentum gerichteten liberalen, sozialistischen
und nihilistischen Umtriebe betrachtet oder doch ausgegeben
— denn die Beteiligung der Juden an diesen Bewegungen wurde
ungeheuer übertrieben — und es wurde als Ziel hingestellt, die
Israeliten mit allen Mitteln zum Verlassen Rußlands zu nötigen.
Nicht Hebung, Förderung, Russifizierung der dortigen Juden,
sondern ihre Vernichtung wurde die Aufgabe, die man sich
stellte. Diese Anschauung brachten die Pobjedonoszew und
Genossen endlich auch dem schwachen , ohnehin mystisch
leichtgläubigen Nikolaus IL bei ; sie verkündeten laut und offen
der mächtigste unter den Ministern, von Plehwe, und dessen
Revolution und Krieg. 181
Geschöpfe. Der Finanzminister von Witte, der aus Rücksicht
auf die europäische und amerikanische Finanzwelt solchem un-
geheuerlichen Wüten gegen fünf bis sechs Millionen friedlicher
Menschen Einhalt zu tun bestrebt war, wurde 1903 gestürzt.
,,Wir werden," sagte damals Plehwe einer jüdischen Deputation
aus Odessa, ,,eure Lage in Rußland so unerträglich machen, daß
die Juden bis auf den letzten Mann Rußland werden verlassen
müssen. Die Juden bilden in Südrußland neunzig, im inneren
Rußland vierzig Prozent der Revolutionäre." Diese Fest-
stellungen waren, wie später die statistischen Erforschungen
nachwiesen, gewaltig übertrieben ; aber selbst wenn sie der Wahr-
heit entsprächen, hatte sich der Minister nicht die Frage vor-
gelegt, ob man nicht dadurch, daß man die Juden bedrückte
und beschimpfte, von den liberalen Laufbahnen, vom Grund-
besitze und Ackerbau ausschloß, in den engen Ansiedlungsrayon
zusammenpferchte, gerade die Tüchtigen und Strebsamen mit
Gewalt in die Reihen der Unzufriedenen und der Feinde der
bestehenden Ordnung trieb, und ob nicht Gerechtigkeit und
Duldung den Juden volles Genüge geben und sie, wie in anderen
Staaten, zu ruhigen und gemäßigt denkenden Bürgern machen
würde ? Die Juden sind an und für sich ein durchaus konser-
vatives Volk, wie ihr jahrtausendlanges treues Beharren bei
dem überlieferten Religionsgesetz deutlich erweist; und in den
Ländern, wo man ihnen Freiheit und Gleichberechtigung ge-
währt hat, findet man sie noch in ihrer großen Melirheit auf
selten der konservativen und gemäßigt liberalen, nicht der
radikalen Parteien. Allein die damalige russische Regierung
kannte nur Gewalt, Unterdrückung, Vernichtung. Die Juden
sind Feinde des russischen Glaubens und Volkes — also muß das
russische Volk sich ihrer entledigen. Alle offiziellen und offi-
ziösen Zeitungen der Regierung stimmten in diesen Ton ein.
Und es blieb nicht bei Worten. Das Programm, den Juden
den Aufenthalt in Rußland unerträglich zu machen, wurde mit
eiserner Folgerichtigkeit durchgeführt. Aus der Petroleum-
gegend von Baku, aus Südsibirien und dem Transbaikalgebiet,
aus dem Kaukasus, ja aus der eigentlich China gehörigen Mand-
schurei wurden sie ausgewiesen. Dabei ging die Razzia auf die
angeblich ungesetzlich im Innern Rußlands wohnenden Juden
182 Revolution und Krieg.
fröhlich ^vieder los — die Abschaffung der Meisterbriefes nahm
den jüdischen Handwerkern jede Möglichkeit, sich als solche
der Polizei gegenüber zu legitimieren. Um sie nicht wirtschaft-
lich in die Höhe kommen zu lassen, verhinderte man sie an der
Gründung von Kreditgenossenschaften. Die jüdischen Indu-
striellen durften außerhalb des Ansiedlungsrayons keinen Grund
und Boden zur Anlegung von Fabriken erwerben. Am 10. Mai
1903 wurde für alle außerhalb des Rayons liegende Gouverne-
ments der Abschluß von Verträgen verboten, die den Juden ent-
weder den Besitz oder die Benutzung von ländlichen Grund-
stücken zusichern oder die Möglichkeit bieten, gegen Verpfändung
derartiger Immobilien Geld zu verleihen. Die Erbauung neuer
Synagogen wurde verboten, ja das Abhalten von Gottesdienst
in privaten Räumen untersagt und gelegentlich mit schweren
Strafen belegt.
Endlich griff man zur brutalen Gewalt. Verwaltung und
Polizei hetzten die Massen gegen die Juden auf. Ungescheut
durften die Agitatoren gegen diese wüten. Die sonst so strenge
Zensur duldete in den Zeitungen die blutigsten Angriffe auf die
Hebräer, sowie die direkten Aufforderungen sie totzuschlagen.
Diese Zeitungen wurden sogar von der Regierung mit Geld
unterstützt. Man bearbeitete systematisch die öffentliche Mei-
nung zuungunsten der Juden , um diese als unversöhnliche
Gegner des Vaterlandes und des Glaubens darzustellen. Be-
sonders hatte man es auf das stets judenfeindliche, weil in seiner
Mehrheit von Moldauern (Rumänen) bewohnte Gouvernement
Bessarabien abgesehen. Der Antisemitismus war in dieser Pro-
vinz besonders von dem Journalisten Kruschewan in seinem
Blatte ,,Bessarabetz" gefördert worden, dessen Mitarbeiter auch
der Vizegouverneur von Kischinew, Ustrugow, der dortige
Untersuchungsrichter Dawidow sowie der gefährliche Agitator
Pronin waren. Die durch jene würdigen Herren vertretene
Regierung unterstützte die Zeitung aus öffentlichen Mitteln.
Kruschewan und seine Verbündeten begründeten einen rein
christlichen ,,Wohltätigkeits verein", der der Mittelpunkt der
Hetze gegen die Juden wurde, zu der die Zeitung ,,Bessarabetz"
unaufhörlich in den wütendsten Ausdrücken aufforderte. In
den Jahren 1902 und 1903 benutzte man besonders das Märchen
Revolution und Ivrieg. 183
vom Ritualmorde, um die christliche Bevölkerung immer mehr
gegen die Juden zu fanatisieren. Die Polizeibehörde, ja der
Bischof nahmen an den blutigen Verleumdungen und Angriffen
gegen diese teil. Ungescheut wurden angebliche Befehle des
Zaren und des Heiligen Synods verbreitet, die erlaubten, während
der drei Ostertage des Frühlings 1903 ,,mit den Juden ein blu-
tiges Gericht zu halten." Am Ostersonntag, 6. April, ging die
schändliche Saat in der Stadt Kischinew furchtbar auf. In
24 Abteilungen stürzten sich Exzedenten, alles gleichmäßig in
rote Hemden, die Festtracht des russischen Arbeiters, gekleidete
Männer, auf die jüdischen Häuser und Läden, verwüsteten und
beraubten sie. Dabei wurden sie von den wohlhabenden Kreisen
der christlichen Bevölkerung und der Polizei ermutigt, die den
Raub mit den Exzedenten teilten. Bald darauf erfolgten die
ersten Mordtaten an Juden. Die Polizei sah untätig zu. Der
Polizeimeister (Direktor) Chanschenkow Avurde von den Räubern
gefragt: ,,Darf man die Juden erschlagen ?" Er fuhr ohne Ant-
wort weiter und billigte dadurch offenbar die Morde, für die er
somit in erster Linie verantwortlich wurde. Wenn sich einzelne
Juden, wie die Fleischhauer auf dem Platze Nowi-Bazar, zur
Wehr setzten, wurden sie von der Polizei verhaftet.
Der Unterstützung durch die Regierung gewiß , organi-
sierte eine Anzahl von gebildeten Schuften unter der Leitung
des Notars Pissarschewsky in der Nacht vom 6. zum 7. April die
weitere Metzelei. Sie zogen neue Kämpfer heran, versahen ihre
Leute mit Waffen, markierten die jüdischen Häuser. Aus den
benachbarten Dörfern holte man die Bauern herbei : sie sollten
große Säcke zur Bergung der geplünderten Güter mitbringen.
Um drei Uhr nachts, auf ein gegebenes Signal, ging das
Rauben und Morden an, mit einem Blutdurst und einer Besti-
alität ohnegleichen. Es dauerte bis acht Ulir abends. 49 Juden
Avurden getötet, einhundert schwer, viele Hunderte leicht ver-
wundet, zum Teil unter unerhörten Martern. Frauen und
Mädchen wurden vor den Augen ihrer Angehörigen vergewaltigt,
Kinder verstümmelt und zerrissen. Kein Polizist, kein Soldat
rührte sich für die Unglücklichen. Der Gouverneur verweigerte
jede Hilfe. Ja die Polizisten wiesen den Räubern systematisch
die jüdischen Häuser an und beteiligten sich an den Mordtaten
184 Revolution und Krieg.
und Plünderungen. Die ,,gute Gesellschaft" sah dem allem
lachend und wohlgefällig zu. Man duldete nicht, daß die
verwundeten Juden in die Hospitäler gebracht wurden. Die
Synagogen wurden geplündert, verunreinigt, zerstört. Juden,
die sich durch die Eisenbahn retten wollten, erhielten keine
Billette und wurden von den Eisenbahnarbeitern und sonstigen
Beamten angefallen.
Allmählich nahmen auch die Soldaten an den Greueln
Anteil, unter den ermunternden Zurufen der Offiziere. ,,Das
Militär ist gekommen, um uns vor den Juden Schutz zu ge-
währen", riefen frohlockend die plündernden Bauern.
Nur die reichen Juden blieben unbehelligt, da sie Polizisten
und Offiziere für ihre Beschützung mit Hunderten, ja Tausenden
von Rubeln bezahlten. Wenige Christen, unter ihnen der Bürger-
meister von Kischinew, Alexander Schmidt, nahmen sich selbst-
los nach Kräften der Bedrängten an.
Viele Stunden lang hatte der Minister des Innern, Plehwe,
jede telegraphische Anordnung für Kischinew verzögert. Erst
um 5 Uhr nachmittags befahl er Unterdrückung der Unruhen.
Das Kriegsrecht wurde verkündet, die Soldaten rückten ge-
schlossen an — und mit einem Schlage, ohne daß ein Schuß
fiel, verschwanden Räuber und Mörder. Der beste Beweis,
daß diese nur mit der Einwilligung der staatlichen Gewalten
gehandelt hatten, daß hier nicht von Volksleidenschaften,
sondern von künstlicher Mache durch offizielle und nicht-
offizielle Agitatoren die Rede war.
Eine weitere Tatsache. Auf Hinweis des Gouverneurs,
von Raaben, wurde der Geldschrank des Mendel Rudis auf-
gebrochen und seines Inhalts von 65 000 Rubel beraubt. Dabei
erhielten die Polizei und am folgenden Morgen Exzellenz von
Raaben ihren vollgemessenen Anteil. Als später die Anwälte
der Juden vor Gericht eine Anklage gegen die Räubergenossen
forderten, lehnte der Gerichtshof das Verlangen auf Befehl
Plehwes ab.
Abgesehen von dem Verluste an Leben und Gesundheit
— 13 Juden waren noch ob der Greuelszenen dauernd irrsinnig
geworden — betrug der materielle Schaden zwei Millionen
Rubel. Achthundert Häuser oder Läden waren geplündert oder
Revolution vmd Krieg. 185
zerstört. Aber noch verderblicher als diese Dinge an sich
waren die Folgen, die sie für die Zukunft mit sich brachten:
die Aufstachelung des Fanatismus, der Blutgier und Raubsucht,
die Sicherheit der Nichtbestrafung für alle an Juden verübten
Mord- und Raubtaten. Eine blutige Saat war hier ausgestreut,
die hundertfältig aufgehen sollte. Auch früher hatte der rus-
sische Pöbel schon Judenverfolgungen ins Werk gesetzt. Aber
das Neue, das Unerhörte war, daß solche von der Regierung vor-
bereitet, betrieben, unterstützt und endlich mit giftigem Spotte
gegen die Opfer beschlossen wurden.
Denn der Prozeß gegen die Unruhestifter gestaltete sich
geradezu zu einem Hohn auf die Justiz. Die Untersuchungs-
richter ließen alle Höherstehenden unter den Verhafteten frei,
schüchterten die Belastungszeugen durch scharfe Drohungen
ein und schrieben deren Aussagen nicht nieder. Als der Gerichts-
hof selber in Tätigkeit trat, wurde ihm auf das bestimmteste
untersagt, den Ursprung des Aufruhrs zu behandeln. Es kam
zu Gerichtsbeschlüssen, wie: ,, Obgleich der Antrag der Zivil-
kläger berechtigt ist, hat doch der Gerichtshof beschlossen, ihm
nicht stattzugeben". Die Sachwalter der Juden — fast alles
christliche Anwälte — wurden derart in ihrer gesetzlichen Tätig-
keit beschränkt, daß sie sämtlich mit Ausnahme von zweien,
ihr Amt niederlegten. Es mußte ja unter allen Umständen ver-
hütet werden, daß es klar werde, wie die ganzen Greviel von
den Behörden angestiftet und unterstützt worden waren. Es
kam nur zu verhältnismäßig wenigen Verurteilungen, die An-
stifter gingen straflos aus. Nur der Notar Pissarschewsky nahm
sich aus Furcht vor Strafe selber das Leben.
Die Parteinahme der Regierung gegen die Juden zeigte sich
noch deutlicher einige Monate später in der im Gouvernement
Mobile w gelegenen Stadt Homel.
Hier bildeten die Juden die Mehrheit der Bevölkerung —
20 400 Seelen unter 36 800 ; sie betrieben vor allem den Hopfen-
handel, dessen Mittelpunkt für das russische Reich Homel ist.
Eine Schlägerei zwischen Juden und Christen, am 29. August
1903, bei der jene die Oberhand behielten, gab den Vorwand
zum Beginn eines längst vorbereiteten und angekündigten Po-
groms, das am 1. September, einem Markttage, ausbrach. Der
lj^5 Re\olution und Krieg.
Polizeimeister hatte die Juden beruhigt; das Einrücken einer
bedeutenden MiUtärmacht stimmte sie ganz sicher. Aber Polizei
und Soldaten sahen untätig zu. als Eisenbahnarbeiter und
Bauern das Werk der Zerstörung begannen. Ja, als die Juden
gegen die Aufrührer vorgingen, traten ihnen die Soldaten in
geordneten Scharen entgegen und zwangen sie, sich zu zer-
streuen. So oft die Juden die Plünderer vertrieben, drängten
die Soldaten jene zurück, ja schössen auf sie, um den Räubern
Raum zu schaffen. Nachdem das Werk der Mißhandlung und
Zerstörung, des Mordens und Stehlens lange genug gedauert
hatte, machte der Polizeimeister der Sache ein Ende, indem er
nunmehr auf die Plünderer schießen ließ.
Als am 3. September der Gouverneur der Provinz Mohilew,
Klingenberg — vde Plehwe, ein echt russischer Name ! — nach
Homel kam, zeigte er sich sehr erzürnt — gegen die Juden. Er
fuhr sie an: sie trügen alle Schuld an dem Vorgefallenen. ,,In
den Gymnasien," sagte er, ,,verfüliren die Juden die Jugend,
in der Universität rühren die Zusammenrottungen von Juden
her. Überhaupt sind die Juden jetzt frech, ungehorsam, sie
haben jede Achtung vor den Behörden verloren. In diesen Tagen
wurde meine Frau von einem Radfahrer überfahren. Wer war
das ? Ein Jude. Auf der Straße treffe ich einen Gymnasiasten
mit einer Zigarette im Munde. Er geht vorüber, ohne mich zu
grüßen. Wer ist das ? Wiederum ein Jude. Eine Gymnasiastin
streift meine Frau, während sie sich gerade anzieht, mit dem
Ärmel. Befragt, warum sie sich nicht entschuldige, antwortet sie :
,Ich habe es nicht bemerkt'. Wer war das ? Eine Jüdin. Hier
meine Herren, liegen die Ursachen. Sie haben selber schuld.
Die Regierung ist unparteiisch, und ich bin unparteiisch, und in
meiner Unparteilichkeit sage ich Ihnen : Sie haben selber schuld."
Diese Äußerungen sind für die Stimmung und die Ansichten
der offiziellen ,, Gesellschaft" in Rußland überaus bezeichnend.
Wenn der Jude sich nicht demütig duckt, muß man ihn auf den
Kopf hauen. Wie kann er sich dem echten, dem rechtgläubigen
Russen gleichberechtigt fühlen ?
Im gleichen Sinne wurde auch der Prozeß wegen dieser
Vorgänge geführt. Nicht nur, daß vorher die Entlastungszeugen
sorgfältig von ihren Vorgesetzten und Höherstehenden instruiert
Revolution uiid Ivrieg. 187
wurden, wie sie auszusagen hätten. Nicht nur, daß man die Aus-
sagen der mißhandelten und ausgeraubten Juden ganz einfach
unbeachtet ließ. Die Anklageschrift legte, entsprechend den
Äußerungen des Gouverneurs, alle Verschuldung den Juden bei.
Frech, erbitterte Feind des Christentums und der Christen über-
haupt, hätten sie Rache für Kischinew nehmen wollen. Deshalb
seien sie feindlich gegen die Rechtgläubigen, ja gegen Polizei und
Militär vorgegangen. Die eigentlichen Verhandlungen hatten
nicht den Zweck, die Wahrheit und die Schuldigen zu ermitteln,
sondern nur die Angaben der Anklageschrift zu erhärten, und
Avurden mit beispielloser Willkür geführt. Die Verteidiger der
jüdischen Angeklagten wurden von dem Vorsitzenden auf das
brutalste mißhandelt, bis sie alle, unter Billigung ihrer Klienten
selbst, die Verteidigung niederlegten. Indessen war der wahre
Verlauf der Dinge so überzeugend, daß die Drahtzieher der
ganzen Sache beschlossen, sie im Sande verlaufen zu lassen.
Neben 18 Juden AATirden 16 Christen zu geringfügigen Strafen
verurteilt und überdies alle, Juden Avie Christen, vom Gerichts-
hof dem Kaiser zur Begnadigung empfohlen.
Mit Recht schloß aus diesem Ausgange die Zeitung ,,Prawo" :
,,Wenn sowohl die jüdischen wie die christlichen Angeklagten
nur im geringen Maße an den Morden, Plünderungen und son-
stigen Gewalttaten schuld sind, so muß sich doch jedermaim
fragen: wer ist dann der wirkliche Schuldige ? Für den, der den
Gang der gerichtlichen Untersuchung aufmerksam verfolgt hat,
kann es nur eine Antwort geben: dieser Schuldige ist die politi-
sierende Bureaukratie. Dieser Schuldige saß nicht auf der An-
klagebank, aber er ist verurteilt. Der bessere Teil der russischen
Gesellschaft und ganz besonders die Juden lechzten nach Ge-
rechtigkeit und erwarteten mit Sehnsucht die Ermittelung der
Wahrheit, aber gerade dieser Schuldige scheute die Wahrheit
und verhüllte sie durch eine allgemeine Amnestie".
Sicherlich hätte dieses Beamtentum seine Bemühungen, die
allgemeine Unzufriedenheit des Volkes auf die Juden abzu-
lenken, noch weiter fortgesetzt, wenn nicht die Hochflut po-
litischer und kriegerischer Ereignisse ihre Aufmerksamkeit und
die populären Leidenschaften nach einer anderen Richtung ge-
wandt hätte.
188 Revolution und Krieg.
Die rücksichtslose Verletzung der bestehenden Verträge und
die off enbaren Eroberungspläne Rußlands in Ostasien bestimmten
Japan zu dem mutigen Entschlüsse, den Kampf mit dem rus-
sichen Kolosse aufzunehmen. Am 9. Februar 1904 begannen die
Japaner ihn mit dem Überfalle der feindlichen Flotte auf der
Reede von Port Arthur. Bald darauf erzwangen sie den Über-
gang über den Jalufluß und drangen in die Mandschurei ein,
deren südliche Hälfte mit der Hauptstadt Mukden sie, trotz
der immer mehr anwachsenden russischen Übermacht , in
Aviederholten Siegen eroberten. Inzwischen besetzten sie Korea,
und am 2. Januar 1905 fiel auch, nach furchtbaren japa-
nischen Verlusten, der wichtige Kriegshafen Port xA.rthur in
ihre Hände.
Am niederschlagendsten für Rußland war aber das Schick-
sal seiner großen Flotte unter Roschdestwensky. Nur sehr zögernd
hatte dieser Admiral mit seinem veralteten und schlecht aus-
gerüsteten Geschwader die Fahrt nach Ostasien angetreten und
durchgeführt: am 27. und 28. Mai 1905 wurde seine ganze Flotte
bei der Insel Tchuschima teils zerstört, teils fortgenommen.
Diese Katastrophe brach Rußlands Kriegslust gründlich; es
war froh, unter amerikanischer Vermittelung am 5. September
1905 mit Japan einen Frieden zu schließen, der Korea, die süd-
liche Mandschurei mit Port Arthur sowie die südliche Hälfte
der Insel Sachalin den Japanern überwies. Es war der schmäh-
lichste Friede, den Rußland je eingegangen war, um so schimpf-
licher, als er einem nichtchristlichen, kleinen und früher ver-
achteten Gegner zugestanden werden mußte.
Der Japanische Krieg und sein beschämender Ausgang be-
deuteten den kläglichen Zusammenbruch des absolutistischen
Regierungssystems, das die Panslawisten und Altrussen bisher
als den Gipfel der Weisheit und als Blüte des russischen Volks-
tums, im Gegensatze zu dem ,, verfaulten Westen", gepriesen
hatten. Es zeigte sich, daß Unfähigkeit, Trägheit, Verwirrung
und Korruption das ganze Staatswesen, Beamtentum und
Offizierkorps bis zu den Großfürsten hinauf durchdrungen und
beherrscht hatten, daß niemand die Obliegenheiten erfüllen
wollte oder konnte, zu denen er verpflichtet war. Die Bestech-
lichkeit und Unterschlagung öffentlicher Gelder hatte unter
Revolution xuid Krieg. 189
diesen ,, rechtgläubigen" Russen, die sich so viel auf ihre Reli-
giosität zugute taten, ungeheuerlichen Umfang angenommen,
mit gewissenloser Aufopferung der wesentlichsten vaterländischen
und militärischen Interessen. Nunmehr machte sich überall die
lang angehäufte Unzufriedenheit und VerzAveiflung der Be-
völkerungen gegen diese ebenso rohe und tyrannische , wie
verbreoherisclie und unfähige Regierung geltend. Zunächst nach
Art des ,, Sklaven, der seine Fesseln bricht" in mlden Gewalt-
taten: Finnen ermordeten den dortigen Generalgouverneur,
Armenier den Vizegouverneur des kaukasischen Jelissawetpol,
Terroristen den Minister von Plehwe. Aber dann wurde der
Widerstand allgemein.
Denn allmählich hatte sich in der Opposition gegen das
russische Regierungssystem eine große Wandlung vollzogen.
An Stelle des abgestorbenen Terrorismus hatte Plechanow von
Genf aus etwas Neues gesetzt durch seine Schrift ,,Der Sozialis-
mus und der politische Kampf", die — anstatt des gänzlichen
und plötzlichen Umsturzes alles Bestehenden — allen Neuerern
das Herbeiführen einer parlamentarischen Verfassung als des
notwendigen Durchgangsstadiums für die soziale Revolution
zur Pflicht machte. Als Weg dazu wurde den Arbeitern nicht
blutiger Krieg, sondern Koalition und Ausstand gelehrt. Dies
leuchtete den Arbeitern ein, und so waren sie für die Bewegung
gewonnen. Besonders war es die sozialdemokratische ,, Union",
die die Organisierung der Arbeiterklasse betonte, während eine
andere Richtung, die der ,, Revolutionären Sozialisten", die aber
minder einflußreich war, gleich den alten Terroristen die An-
wendung der Gewalt vorzog. Sie rekrutierte sich vorzugsweise
aus den unterdrückten ,, Fremdvölkern", den Polen, Armeiüern,
Georgiern und Juden, zählte aber auch eine große Menge von
Russen unter ihren Anhängern.
So waren es nicht nur, wie früher, die Gebildeten und Den-
kenden, die ,, Intellektuellen", die der elenden, das Vaterland
zugrunde richtenden Herrschaft der Tschinowrüks, der Bureau-
kratie, sich \vidersetzten ; auch die städtische Arbeiterschaft
erschien auf dem Schauplatze und lieh den geistigen Führern
die todesverachtende Kühnlieit und die kräftigen Fäuste des
Proletariats. Plehwe hatte die Opposition durch Schrecken
190 Revolution und Ivi'ieg.
bändigen wollen: im Jahre 1903 ^vurden 1988 politische Prozesse
anhängig gemacht und 4867 Personen ohne regelrechtes Ver-
fahren zu verschiedenen Strafen wegen ihres politischen Ver-
haltens verurteilt. Aber nach der Ermordung Plehwes zeigte
die Regierung eine zögernde und unsichere Haltung, die die
Opposition außerordentlich ermutigte. Selbst in der Bauern-
schaft gährte es, Mord und Plünderung wüteten gegen Guts-
herrschaft und Polizei in zahlreichen Gouvernements. Die
Bauern wurden durch gefälschte, oft mit Goldbuchstaben ge-
druckte angebliche Manifeste des Zaren aufgefordert sich
der Ländereien des Großbesitzes zu bemächtigen. Dieses aMittel
lernte dami die Reaktion von der Revolution, um durch ge-
fälschte Proklamationen des Zaren die Bauern auf die Juden zu
hetzen. Endlich beteiligten sich auch die mißhandelten, be-
trogenen und ausgehungerten Soldaten und besonders Seeleute
an der Revolution. Immer lauter erscholl , auch von selten
offizieller Körperschaften, der Ruf nach einer Verfassung. Am
19. Juli 1905 trat in Moskau eine Versammlung von Vertretern
der verschiedenen Provinzialsemstwos zusammen, die Ein-
berufung einer konstituierenden Volksvertretung und für das zu-
künftige Parlament beschließende Stimme bei Gesetzgebung und
Auf erlegung von Steuern verlangte. Aber es kam auch zu gewalt-
samen Szenen. Tausende von Arbeitern, die schon am 22. Januar
1 905 in Petersburg dem Zaren eine Petition um staatliche Reformen
überreichen wollten, wurden durch Gewehrsalven auseinander
getrieben. Da begannen überall im Reich Ausstände : in Kowno,
Moskau, Riga, Libau, Dorpat, Warschau, Sosnowize, Lodz,War-
zysko, Petersburg, Odessa, vielen andern Städten. An zahlreichen
Orten, bis nach Wladiwostok hin, empörten sich Soldaten und
Matrosen; eines der wenigen erhaltenen großen Panzerschiffe,
der ,,Knjas Potemkin" fiel in die GcAvalt der Aufrührer. Schon
begann die Erregung auch die ländlichen Kreise zu ergreifen. In
den Ostseeprovinzen bildeten sich Banden von Verbrechern,
die die deutschen Gutsherren und Pastoren plünderten und
töteten. In den Städten schlössen sich Universitäten und
Schulen, wühlten die Sozialisten und Anarchisten die Arbeiter
auf. Die politischen Morde erstreckten sich schon auf die
kaiserliche Familie: so fiel der allgemein verhaßte Großfürst
Revolution und Krieg. 191
Sergei Alexandrowitsch, der Generalgouverneur von Moskau,
einer Sprengbombe zum Opfer.
Die Regierung stand zunächst ratlos dieser die Tiefen der
Bevölkerung aufwühlenden Bewegung gegenüber. Endlich mußte
der Zar, der bisher nur von einer Volksvertretung mit beratender
Stimme hatte wissen wollen, in einem Manifeste vom 17. (30.)
Oktober 1905 eine Verfassung mit vollen parlamentarischen
Rechten, auf Grund des allgemeinen Stimmrechtes, ferner Frei-
heit des Wortes, der Presse und der Versammlungen, sowie
Sicherheit der Person gegen alle administrative Willkür ver-
sprechen. Rußland schien aus dem Zustande des monarchischen
Absolutismus sogleich in denjenigen eines konstitutionell, ja
parlamentarisch regierten Staates übergehen zu sollen. Die
Juden wurden insbesondere zum aktiven und passiven Wahl-
recht für die große Duma — die allgemeine Volksvertretung — zu-
gelassen. Es war der wichtigste Punkt ihrer Emanzipation ! Und
auch auf kirchlichem Gebiete gewann die Freiheit den Sieg : am
29. April erfolgte der Ukas, der die Straf bar keit des Abfalls von
der Staatskirclie aufhob. Darauf traten Tausende von dieser aus,
zumeist ehemalige zu ihr Übergetretene, die zu ihrem alten Be-
kenntnisse zurückkehrten. Besonders frühere Juden beeilten
sich von dieser Erlaubnis Gebrauch zu machen: schon unmittel-
bar nach deren Gewährung meldeten 130 getaufte Juden
ihren Rücktritt zum Judentum an, darunter mehrere bekannte
Rechtsanwälte, wie besonders der als hervorragender Jurist
weit über Rußlands Grenzen bekannte Kupernik in Kiew, der
vierzig Jahre lang dem Namen nach Christ gewesen war, freilich
stets für seine ehemaligen Glaubensgenossen wacker gekämpft
hatte, und später in diesem Streite sein Leben geopfert hat.
Der bisher allmächtige Pobjedonoszew konnte diese Glaubens-
freiheit nicht ertragen: er nahm am I.November 1905 seine Ent-
lassung. Zwei Jahre später ist der verhängnisvolle Mann in der
Zurückgezogenheit gestorben.
Die freiheitlichen Bestrebungen schienen auch eine Wen-
dung in der Gesinnung des russischen Volkes und zumal seiner
gebildeten Bestandteile gegenüber den Juden herbeigeführt zu
haben. Es war ein gutes Zeichen, daß die Vereinigung der Ver-
treter aller Semstows, das heißt der Kreis- und Provinzial-
192 Revolution und Ivrieg.
landtage, die im Monat Juli im Moskau stattfand, ihren tiefen
Unwillen über die mit Hilfe der Beamten vorgenommenen
Judenverfolgungen aussprach und mit großem Nachdruck die
gleichmäßige Beteiligung der Bekenner aller Religionen, also
auch der Israeliten, am aktiven und passiven Wahlrecht bei
der demnächstigen Bildung einer Reichsyertretung forderten.
Hier waren es nicht Arbeiter, kleine Kaufleute, Sozialisten, die
sprachen, sondern Mitglieder der gesellschaftlich hervorragend-
sten Klassen. Auch der im Mai zu Petersburg tagende russische
Journalistenkongreß ist einstimmig für die Gleichberechtigung
der Juden in die Schranken getreten.
Die jüdische Bevölkerung hat sich in der Tat solcher Teil-
nahme würdig gezeigt. Sie hat sich weder feig noch anspruchs-
voll benommen, sondern mit echter Manneswürde ihre nur zu
berechtigten Forderungen fest aber bescheiden geltend ge-
macht und zum Preise dafür die treue Mitarbeit für das Wohl
des Vaterlandes und der bürgerlichen Gesellschaft in Aussicht
gestellt. Sie nahm ihre unveräußerlichen Rechte als Menschen
und Bürger in Anspruch. Ein anderer sehr kräftiger und lobens-
werter Schritt war es, wenn die jüdischen Stadtverordneten, die
ausnahmsweise nicht von ihren Mitbürgern gewählt, sondern in
geringem Prozentsatze von der Regierung ernannt wurden, in
vielen Städten eben deshalb ihre Stellen niederlegten — nicht
weniger als 150 an der Zahl. Sie wollten ihr Ehrenamt nur dem
Vertrauen ihrer Mitbürger verdanken.
Die bisher unter dem Namen des Zaren allmächtige Be-
amtenschaft sah aber mit Grauen das Ende ihrer Herrlichkeit
herannahen. Wenn es zu einer wirklich freiheitlichen Gestaltung
des Staatslebens kam, dann war es offenbar mit ihrer Willkür,
ihrer Aussaugung, ihrer Bestechungsgewohnheit, ihrem Terro-
rismus vorüber. Sie vermochte zunächst keinen offenen
Widerstand gegen die Flut der freiheitlichen Bewegung zu
leisten, aber sie suchte solche abzuschwächen und in Bahnen
zu lenken, die sie wieder zur Reaktion zurückführen mußten.
Und dazu wollte sie sich der Juden bedienen.
Die russischen Juden hatten während des Japanischen
Krieges hinreichende Beweise ihrer Vaterlandsliebe und ihres
patriotischen Opfermutes gegeben — Tatsachen, die einen um
Revolution und Krieg. 193
SO schöneren Charakter tragen und ethisch um so höher zu
bewerten sind, je stiefmütterlicher die Staatsgewalt sich ihnen
gegenüber zeigte, je schändlicher Lügen und Bosheit auch die
Niederlagen der Russen durch angebliche jüdische Machen-
schaften zu erklären und zu entschuldigen suchten.
Spenden an Geld, Verbandstücken, Liebesgaben hat jü-
dische Mildtätigkeit in Masse für die Armen geliefert; in dem
blutarmen Podolien brachte sie allein während der ersten drei
Kriegsmonate lediglich an Bargeld 63 000 Rubel auf. Die jü-
dischen Kapitalisten Rußlands haben nicht minder auch die
Regierung finanziell nach Kräften unterstützt, so daß sie wider-
willig deren Haltung mit Lob anerkennen. Zwölftausend jüdische
Soldaten, etwa der zehnte Teil des ganzen damaligen Feld-
heeres, kämpften im ersten Beginne des Krieges auf den Schnee-
gefilden der Mandschurei gegen Japan, höchlichst belobt von
den eigenen Befehlshabern. Seitdem sind unter den unaufhör-
lichen weiteren Truppennachschüben wieder Tausende jüdischer
Streiter gewesen. Im ganzen haben 33 000 Juden in der Mand-
schurischen Armee gestanden: 8 Prozent des ganzen Heeres,
während die Juden wenig über vier Prozent der Gesamtbe-
völkerung bildeten. Es dienten also die Juden in doppeltem
Verhältnis zu ihrer Anzahl. Das war die beste Widerlegung der
Verleumdungen, die die altrussischen und bureaukratischen
Parteigänger über den angeblichen Mangel an Vaterlandsliebe
und kriegerischem Geiste gegen die russischen Israeliten ausge-
streut hatten. Von den Reserveärzten, die zum Heere geschickt
wurden, waren sogar neun Zehntel Juden, deren Tätigkeit von
dem Kriegsminister in rühmendster Weise amtlich beurteilt
wurde. Diese massenhafte Mobilisierung der jüdischen Ärzte
geschah übrigens aus zweifachen Gründen: einmal wollte man
sich dieser ,, freisinnigen" Elemente entledigen; und dann hatten
die russischen Ärzte in St. Petersburg das Ministerium be-
stochen, um sich von dem Wettbewerb der jüdischen Kollegen
zu befreien.
Die Heldentaten jüdischer Soldaten erkannten sogar die
Gegner an : 2000 von ihnen fielen in der achttägigen Schlacht
bei Liauyang (August und September 1904), noch weit mehr bei
Mukden (1. bis 10. März 1905). Die Verwundeten aber, die nach
Philippsoll, Neueste Gescliichto der Juden, Bd. III, 13
194 Revolution iind Krieg.
der Heimat transportiert wurden, warf man aus den Lazaretten
aller derjenigen Orte hinaus, wo die Juden keinen gesetzlichen
Wohnsitz hatten ! So lohnte der russische Beamte den todes-
mutigen jüdischen Kämpfern. Der Zar machte glüoklicherweise
diesem schändlichen Unfuge ein Ende. — 811 Juden, zumeist
aus der Besatzung Port Arthurs, fielen in ehrenvolle Gefangen-
schaft bei den Japanern.
Die patriotische Haltung der Juden hat zunächst auf ihr
Schicksal in keiner Weise günstig gewirkt. Plehwe, der damals
noch lebte, hatte immer meder seine Versuche erneuert, den
Juden alle Schuld an den Übelständen in Rußland in die Schuhe
zu schieben. ,,Die Juden im allgemeinen sind nicht nur wütende
Revolutionäre, sie sind alle Mörder," entblödete sich dieser
Finsterling nicht, den von ihm selbst einberufenen jüdischen
Notabein zuzurufen. Der gerechtere und aufgeklärtere Unter-
richtsminister Senger mußte aus seiner Stellung weichen, weil
er es schüchtern gewagt hatte, für die Juden ein Wort einzu-
legen. So gingen dann die Benachteihgungen ruckweise weiter.
Bei Annäherung des Krieges mit Japan wurden alle Juden,
die in der Nähe der sibirischen Bahn wohnten, ausgetrieben, und
zwar zu Fuß. Zwei- bis dreitausend Unglückliche mußten also
einen Weg von zwei- bis viertausend Kilometer bei einer Kälte
von zwanzig, dreißig, vierzig Grad durchwandern — ohne jegliche
Verschuldung ihrerseits, nur aus dem schimpflichen Verdachte des
Generals Kuropatkin heraus, der dann freilich gegen das ja-
panische Heer weniger siegreich war, als gegen die wehrlosen
Juden. Überhaupt A^Tirde der Zugang zur Mandschurei von den
russischen Behörden den Juden untersagt, mit Ausnahme der
Armeelieferanten. Man hatte augenscheinlich vergessen, unter
den Ausnahmen auch die 33 000 jüdischen Soldaten zu erwähnen,
denen gnädiglichst vergönnt wurde, dort für Väterchen Zar ihr
Blut zu vergießen oder in den Hospitälern zu faulen. Und wäh-
rend man die Juden zu eifriger Betätigung des Patriotismus
aufforderte, verbot man ihren Kranken, die berühmten Spezial-
ärzte in Moskau aufzusuchen oder an dem Südufer der Krim —
der russischen Riviera — Heilung für ihre Leiden zu finden. Auch
die Sommerfrischen in Finnland %\airden den Israeliten unter-
sagt. Man fragt vergebens nach irgend welchen vernünftigen
Revolution vind Krieg. 195
Gründen für solche Quälereien, die eben nur aus wahnwitzigem
Vorurteil oder aus Lust an Grausamkeit zu erklären sind.
Die Fortschritte der Revolution und der dadurch erzwungene
„Liberalismus" der Regierung brachten den Juden dann einige
Milderung ihrer Lage. Schon Plehwe, der allerdings dafür per-
sönliche Gründe hatte, stellte kurz vor seiner Ermordung Maß-
regeln in diesem Sinne in Aussicht. Eine Anzahl von Dörfern,
in denen selbst innerhalb des Ansiedlungsrayons den Juden der
Aufenthalt verboten war, wurden nunmehr mit der Bezeichnung
,, Fl ecken" geziert, damit jenen die Niederlassung dort erlaubt
sei. Weiter kam Plehwe nicht, da traf ihn die Hand des Mörders,
nicht eines jüdischen, sondern eines christlich orthodoxen. Unter
Wittes Vorsitz wurde dann ein ,, Gnadenmanifest" für die Juden
bei Gelegenheit der Geburt des Thronfolgers ausgearbeitet. Es
fiel kläglich genug aus: es gewährte den reichen Juden einige
Erleichterung in bezug auf Reisen, Aufenthalt und Wohnrecht,
gestand auch den jüdischen Reservisten, die den aktiven Dienst
tadellos durchgemacht haben, das Wohnrecht in ganz Rußland
zu, besserte aber in nichts die traurige Lage der großen Masse
des jüdischen Proletariats. Nichts geschah, um die bestehenden
unhaltbaren Lebensbedingungen von fünf Millionen russischer
Untertanen wesentlich zu ändern. An Plehwes Stelle trat endlich
Fürst Swiatopolsk-Mirski als Minister des Innern (8. September
1904), dem der Ruf eines aufgeklärten und wohlwollenden
Mannes voraufging. Schon sein Vater hatte sich als General-
gouverneur von Charkow der Juden angenommen und für sie
annähernde Gleichberechtigung gefordert. Der Sohn verkündete,
daß er kein Feind der Juden sei und sich zumal der im Elend
schmachtenden unteren Klassen der Hebräer anzunehmen be-
absichtige. Allein seine Ministerherrlichkeit dauerte nicht lange:
schon am 1. Februar 1905 wurde er wieder entlassen. Und auch
er hatte seinen Verheißungen die schwerwiegende Einschränkung
hinzugefügt : man könne den Juden unmöglich alle die gleichen
Freiheiten bewilligen wie den Christen, denn sonst würden sie
sich durch ihren Fleiß, ihre Nüchternheit vind Rührigkeit zu
rasch auf Kosten des nationalen Elementes entwickeln. Das war
ja stets die Entschuldigung der anscheinend wohlgesinnten
Gegner der Judenemanzipation in Rußland ^\^e in andern
13*
196 Kevolution und Krieg.
Ländern : die Juden sind zu tüchtig, als daß man sie gleichstellen
dürfe. Und selbst Ignatiew und Plehwe hatten im Beginn ihrer
ministeriellen Laufbahn kaum anders gesprochen.
Die Juden hatten auch den Verheißungen der russischen
Bureaukratie, in der sie ihren schlimmsten Feind durch jahr-
hundertlange Erfahrung kennen gelernt hatten, nicht getraut.
Sie wandten sich mit Entzücken, mit Begeisterung der Um-
wälzung zu, die ihnen eine schöne, glänzende Zukunft in Aus-
sicht stellte: Freiheit anstatt Knechtschaft, Menschenwürde
anstatt schimpflicher Erniedrigung, Sicherheit anstatt ^^^ll-
kürlicher Mißhandlung. Die Revolution erfüllte die Gebildeten
und die Arbeiter unter den Juden mit glühendem Enthusiasmus,
mit dem Rausche der Hoffnung. Man stürzte sich in die Be-
wegung mit Feuer und Opfermut, ja zum Teil mit rücksichts-
loser Wildlieit. Selbst die Lauen wurden mit fortgerissen in
Kampf und Tod. Knaben schwangen die Waffen, Mädchen
wurden zu begeisterten Märtyrerinnen. Innige Liebe und
freudiges Vertrauen zu den russischen Brüdern erfüllten die
Herzen. Die große Zeit der Völkerfreiheit schien gekommen;
die Vergangenheit, die Sonderstellung des Judentums waren
vergessen. Tausende von Juden durch den ganzen Bereich
des Ansiedlungsrayons und durch Polen bildeten einen ,,Bund"
von entschieden revolutionärem Charakter: den ,, General-
verband jüdischer Arbeiter in Rußland und Polen", der sich
eine äußerst wirksame Organisation gab und zur bewaffneten
Verteidigung von Freiheit und Gleichberechtigung fest ent-
schlossen war. Er wollte den Kampf gegen die Tyrannei tätig
mitmachen.
Wer möchte ihn deshalb verurteilen ? Der Unparteilichkeit
halber seien hier die Worte eines christlichen, demokratischen
aber den Juden nicht allzu günstigen Schriftstellers, Georg
Zeplers, angeführt: ,,WH1 man, mit berühmt gewordener Ritter-
lichkeit, den Juden die Silberbaum und Mandelstamm, oder
wie die russisch- jüdischen Revolutionäre sonst heißen, zum
VorwTirfe machen ? jene armen , getretenen, gequälten, ver-
kümmerten, nach Menschentum, nach Duldung und Recht, nach
Bildung und Erhebung aus Elend und Schmutz Schmachten-
den und Verzweifelnden ? Diese sollten nicht einmal revo-
Revolution vind Krieg. 197
lutionär sein ? Wahrlich, man möge noch so ungerecht und
barbarisch empfinden, aber so viel muß man anerkennen, daß
hier ,, nicht revolutionär sein" hieße, auf der niedrigsten und
verächtlichsten Stufe lebender Wesen angelangt sein. Eine
solche Eventualität wäre feig und erbärmlich".
Aber es gibt einen noch unverdächtigeren Zeugen: den
russischen Ministerrat vom 27. und 31. Oktober 1906. Er fülirte
in seinem amtlichen Berichte an den Zaren aus : Die Anhäufung
der jüdischen Bevölkerung in dem Ansiedlungsrayon hat den
ärmsten Teil der letzteren in eine schwierige Lage versetzt,
die A^dederum eine Erbitterung in verschiedenen Klassen und
ein hilfloses jüdisches Proletariat erzeugte. „Auf dieser
Grundlage entmckelte sich unter den Juden die revolutionäre
Bewegung."
Dieses offene Eingeständnis hat freilich später die russische
Bureaukratie und den Ministerpräsidenten Stolypin nicht ver-
hindert, gegen die Juden wegen ihrer angeblich großen Be-
teiligung an der Revolution die schwersten Anklagen zu erheben
und diesen durch Vernichtungsmaßregeln Folge zu geben.
Die ersten propagandistischen Verbindungen unter den
jüdischen Arbeitern Rußlands waren schon im Jahre 1886 in
Wilna entstanden und hatten hauptsächlich eine Förderung des
sozialistischen Bewußtseins in ihrer Mitte bezweckt. Aber bald
überwog die Richtung auf Hebung der Masseninteressen, zumal
der wirtschaftlichen Lage der jüdischen Arbeiter. Die Bewegung
dehnte sich während der Jahre 1893 — 1895 auf Warschau,
Minsk, Smorgonj, Brest-Litowsk, Bialystok und mehrere kleine
Städte aus. Die in mannigfachen Arbeitseinstellungen erhobenen
Forderungen galten zumeist der Verkürzung des Arbeitstages,
der im Ansiedlungsgebiet durchschnittlich 14, bisweilen aber 16,
ja 18 Stunden umfaßte, sowie der Erhöhung des sehr niedrigen
Arbeitslohnes, der z. B. bei den im Hause arbeitenden Strumpf-
wirkerinnen nur 16 Kopeken, gleich 35 Pfennig, täglich betrug.
Allmählich kamen zu den mrtschaftlichen Fragen auch po-
litische, zumal auf die Anregung von L. Martow, eigentlich
Julius Zederbaum, einem Enkel des gleichnamigen berühmten
jüdischen Publizisten. Martow war im Grunde Sozialdemokrat,
im allgemeinen hegte er aber damals für seine Stamraesgenossen
198 Revolution und Krieg.
ein ganz besonderes Interesse. Dieser geistvolle Schriftsteller
wollte die jüdische Arbeiterschaft nicht, wie viele andere ver-
langten, in der großen sozialdemokratischen Partei aufgehen
lassen, sondern stellte den Anspruch auf, daß das ,,ErAvachen
des national- jüdischen und des Klassenbewußtseins Hand in
Hand gehen muß". Zunächst drang er mit dem nationalistischen
Gedanken, der dem allgemeinen sozialdemokratischen Programm
offen widersprach, nicht durch. Vielmehr schlössen sich die
jüdischen Arbeiter der großen sozialistischen Partei an und
ließi^n sich auf dem internationalen sozialistischen Kongreß in
London, 1896, durch vier besondere Delegierte vertreten. Allein
das jüdische Bewußtsein wirkte unter ihnen doch zu stark, und
so veranstalteten sie eine Sonderorganisation, deren erster
Bundestag sich im September 1897 in Wilna vereinigte. Hier
verständigte man sich darüber, daß die eigentümlichen Be-
dürfnisse der jüdischen Arbeiter, zumal die Aufhebung der
Rechtsungleichheit und die Schaffung einer politischen Jargon-
literatur, eine besondere Verbindung des jüdischen Proletariats
innerhalb der großen sozialistischen Partei erheischten. Sie er-
hielt den Namen ,, Allgemeiner jüdischer Arbeiterbund in Ruß-
land und Polen". Er schuf sich, obwohl Martow inzwischen ande-
rer Ansicht geworden war, ein Zentralkomitee, das in Minsk
seinen Sitz erhielt, und ein Zentralorgan ,,Die Arbeiterstimme".
Wirklich setzte er auf dem ersten Parteitage der russischen
Sozialdemokratie, 1898 in Minsk, die Anerkennung seines An-
spruches als Sonderorganisation innerhalb der Gesamtpartei
durch. Anders ging es in Polen zu. Die Polnische Sozialistische
Partei wollte in echt polnischem NationaKanatismus von keiner
jüdischen Teilorganisation sprechen hören, so daß dort die An-
hänger der ,, Bundes" aus der großen Partei ausschieden.
Im eigentlichen Rußland arbeitete der ,,Bund" im Zu-
sammenhange der Partei. Er bildete seine Organisation immer
tatkräftiger aus, und mehrere seiner Lokalorganisationen fanden
sich in der Lage, eigene Zeitschriften herauszugeben. Um die
Mitte des Jahres 1 900 betrug die Zahl der Exemplare der von dem
Bunde veröffentlichten Organe mehr als 45000. Auch innerlich
erstarkte der ,,Bund". Er verschärfte die politische Note seines
Wirkens und arbeitete zugleich ein jüdisch-nationales Programm
Revolution und Ivi'ieg. 199
aus. Übrigens sprach sich der Kongreß zu Bialystok (April 1901)
entschieden gegen willkürliche Streiks und auch gegen den
politischen Terrorismus aus und verfehmte jeden tätlichen An-
griff auf Unternehmer und Fabrikbeamte, „der lediglich das
sozialdemokratische Bewußtsein der Arbeiter verdunkele, ihr
moralisches Niveau herabsetze und die Arbeiterbewegung dis-
kretiere". Diesen Anschauungen ist der Bund, trotz der der
Schreckensherrschaft günstigen Richtung mancher einzelner
unter seinen Mitgliedern, lange Jahre hindurch treu gebUeben
— er verwarf nachdrücklich die ,, organisierte Rache", das heißt
die abgekarteten Attentate. Dieser Umstand muß zu seiner Ehre
nachdrücklich hervorgehoben werden. Auf der anderen Seite
schied er sich aber scharf von den übrigen jüdischen Parteien,
die die nationalen oder zionistischen Ideen durchaus in den
Vordergrund stellten oder, wie die im Juli 1901 zu Minsk ent-
standene ,, Unabhängige jüdische Arbeiterpartei", nur von wirt-
schaftlichen, nicht von politischen Gesichtspunkten ausgingen.
Im Grunde blieb der Bund eine sozialdemokratische Ver-
einigung, nur mit einiger jüdischer Färbung.
Die Betonung einer eigenen Organisation der russischen
Juden auf dem Gebiete der Sprache und der Kultur, me der
,,Bund" solche neben den sozialdemokratischen Bestrebungen
auf seine Fahne schrieb, führte zu mannigfachen Kämpfen mit
der großen sozialdemokratischen Partei auch in Rußland. Allein
allmählich setzte der Bund in dieser seine Ansprüche durch.
In Übereinstimmung mit der revolutionären Stimmung, die sich
immer mehr der russischen Gebildeten und Arbeiter bemäch-
tigte, stellte auch der Bund in wachsendem Umfange seine po-
litische Tätigkeit über die wirtschaftliche. Er begründete nach
den Pogromen von Kischinew und Homel Gruppen der ,, Selbst-
wehr" (samooborona). Neben den im Jargon abgefaßten
Schriften und Zeitungen gab er auch solche in russischer Sprache
heraus; er rief im Auslande verbündete Gruppen ins Leben, die
ihn durch Geldmittel und literarische Erzeugnisse unterstützten.
Der ,,Glos Bundu" wurde in Polen sein Organ. Die Verschärfung
der revolutionären Stimmung seit dem Japanischen Kriege übte
endlich noch auf den Bund ihre Wirkung aus : der Kongreß des
Bundes in Zürich (1905) faßte revolutionäre Beschlüsse, betreffs
200 Revolution vuid I\jieg.
„eigenmächtiger — das heißt gewaltsamer — Eroberung der
bürgerlichen Freiheiten". Unter dem Drucke der Verhältnisse
schlössen sich der Bund und die große sozialdemokratische Partei
Rußlands eng aneinander; auch die polnischen und lettischen
Sozialdemokraten traten auf dem ,, Einigungs-Parteitag" des
April 1906 zu Stockholm hinzu. Zwei Vertreter des Bundes
nahmen in dem Sozialistischen Zentralkomitee Platz. Die
nationalistischen Bestrebungen, die er einst ernstlich betont
hatte, wurden nunmehr von dem ,, Bunde" ganz aufgegeben.
Der ,,Bund" besaß damals an 34000 organisierte Mitglieder und
überdies zahlreiche Anhänger. Allein es waren immerhin nicht
genug, um ihm eine Vertretung in der ersten Duma zu ver-
schaffen. Im Wahlkampfe unterstützte er die Linksliberalen,
bekämpfte er die Zionisten und jüdischen Nationalisten; er
erhielt 30 Wahlmänner, aber keinen Abgeordneten.
Die Niederwerfung der Revolution durch die russische Re-
gierung bedeutete auch für den ,,Bund" einen harten Schlag.
Seine Versammlungen und seine Presse waren von neuem außer-
halb des Gesetzes gestellt ; und was schlimmer war, die Meinung
unter den Juden wandte sich gegen ihn, zumal er weder auf
konstitutionellem Gebiete noch in der Selbstverteidigung etwas
Wesentliches erreicht hatte. Die Zahl seiner Mitglieder nahm
reißend ab : schon bei der Wahl zur zweiten Duma erlangte er
nur noch 20 Wahlmänner. Vergebens zog er mildere Saiten auf,
bekämpfte von neuem alle Schreckenstaten und politischen
Räubereien. Seine Gewerkschaften stellten ihre Tätigkeit bei-
nahe ganz ein ; er lebte hauptsächlich noch in seinen ausländischen
Gruppen. In Nordamerika, besonders in New York, in Ar-
gentinien und der Schweiz bestehen solche Vereinigungen. In
Galizien haben die jüdischen Sozialdemokraten ein nationalisti-
sches Programm angenommen, das dem früher vom Bunde ver-
fochtenen entspricht. Aber in Rußland selbst hat dieser alle
Bedeutung eingebüßt.
Neben dem Bunde entstanden noch schärfer nationalistisch
gefärbte Verbände, zumal unter der gebildeten jüdischen Jugend.
So der der Sozial-Zionisten, die für den Augenblick die sozialen
Bestrebungen unterstützten, aber für die Zukunft ein irgendwo
gelegenes eigenes Gebiet für die Juden erlangen wollten ; die
Revolution und Ivrieg. 201
Poalei-Zionisten , die die Lösung der Judenfrage einzig in
Palästina für möglich hielten; die Sejmisten, die wunderlicher-
weise für die Juden in Rußland vollständige Autonomie mit
einem besonderen jüdischen Parlamente — Sejm — zu erreichen
suchten. So tastete die jüdische Volksseele in Rußland, soweit
sie zum politischen Leben erwacht war, nach Befriedigung ihrer
idealen Bedürfnisse und Wünsche auf dem harten Gebiete der
Wirklichkeit unsicher herum.
Allein man darf nicht übersehen, daß sowohl Gebildete wie
Arbeiter nur eine, verhältnismäßig geringe Minderheit unter den
Juden ausmachten. Die große Masse der orthodoxen und
chassidischen Juden blieb apathisch, ja zum Teile feindlich gegen
den politischen Liberalismus, von dem sie die Auf lösung der über-
lieferten Zustände auch auf dem religiösen Gebiete fürchteten.
Und das erschien ihnen wichtiger, als alle politischen und so-
zialen Vorteile der Freiheit. Das religiöse Beharren däuchte
ihnen das Wesen der Religion, und deshalb hingen sie an ihm
mit begeisterter Hartnäckigkeit. So ist die Beteiligung der Juden
an der russischen Revolution stets überschätzt worden, dank
der interessierten Geschichtsfälschung durch die russischen
Antisemiten, zumal innerhalb der Beamtenschaft. Zahlen be-
weisen dies in unwidersprechlicher Weise. Unter den vom
23. November 1905 bis 23. August 1906 wegen politischer Ver-
brechen Verbannten in Zahl von 12 694 waren nur 972 Juden,
also 7,65 Prozent. Da nun die Städter unter diesen verschickten
,, Politischen" 27^/., Prozent ausmachten, die Juden aber in
überwiegender Mehrzahl in die Städte zusammengepfercht sind,
gab es unter den Juden dreimal weniger Revolutionäre als unter
ihren christlichen Klassengenossen. Das ist ein überraschendes
Ergebnis, das die mit kecker Stirn immer und immer wieder in
die Weit hinausgerufene Behauptung: die Juden machten
die Mehrzahl der revolutionären Elemente in Rußland aus, in
unwiderleglicher Weise Lügen straft. Hatten doch die euro-
päischen Juden schließlich selbst an diese Unwahrheit geglaubt !
Die russische Bureaukratie aber hat dieses Märchen zu
einem ganz bestimmten Zwecke erdichtet, um es als Waffe im
Kampfe gegen die siegreich vordringende Freiheit zu verwenden.
Sie wollte die durch die schreiende Mißregierung und durch die
202 Revolution und Krieg.
Niederlagen gegen die Japaner hervorgerufene Revolution in
den Augen Europas und besonders des russischen Volkes herab-
setzen, sie als das Werk der „Fremden", der ,, Ungläubigen"
diskreditieren. Sie wollte den Widerstand der fanatischen und
plünderungssüchtigen Menge gegen die Revolutionäre hervor-
rufen, diesen damit die Volksgunst entziehen. Sie wollte die
durch ihr eigenes Bemühen entfesselten Judenmetzeleien als
Taten der Umsturzpartei bezeichnen und hierin den Vorwand
zur Niederwerfung der Revolution finden. Und so ging sie ans
Werk und schuf die Pogrome von 1905.
Kapitel Drei.
Die Oktoberpogrome.
ICönig Karl IX. von Frankreich hat bekanntlich während
der Bartholomäusnacht und der darauf folgenden Wochen des
Jahres 1572 die katholische Mehrheit seiner Untertanen zur Er-
mordung der Hugenotten angestiftet und dieses Gemetzel durch
seine eigenen Truppen unterstützt. Gewiß eine grauenhafte
Tat. Indes konnte zu ihrer Entschuldigung der Umstand an-
geführt werden, daß die Hugenotten ungehorsame und auf-
rührerische Bürger waren, häufig mit den Feinden des Reiches
Bündnisse eingingen und Krone und Staat in deren Sicherheit
und Größe fortwährend bedrohten. Aber daß eine Regierung
Banden von Mördern und Plünderern gegen ganz friedliche und
ruhige Untertanen losgelassen und durch alle staatlichen Macht-
mittel unterstützt hat — ein solches Vorgehen ist beispiellos,
und es ist das traurige Verdienst der russischen Gewalthaber von
1905, hier etwas ganz Neues und noch nie Dagewesenes in Politik
und Geschichte eingeführt zu haben. Selbst Dschingisklian und
Timurlenk haben nur gegen Feinde und Empörer, nie gegen
gehorsame Untergebene gewütet. Eine derartige grausame Ge-
wissenlosigkeit, lediglich aus politischen Rücksichten begangen,
war dem russischen Beamtentum des zwanzigsten Jahrhunderts
vorbehalten.
Unter dem Schutze der Regierung war die Hetze seit langem
vorbereitet. Man ließ seit dem Jahre 1901 überall ein Stück aut-
führen: ,,Die Söhne Israel", das zur Ermordung der Juden und
der mit ihnen verbündeten Liberalen aufforderte. Und wie die
Juden angeblich den inneren Bestand Rußlands untergruben,
so auch dessen äußere Macht und Größe. In den verschiedensten
204 Die Oktoberpogrome.
Provinzen hatte das Beamtentum seit dem Ausbruche der revo-
lutionären Bewegung „patriotische", das heißt reaktionäre Ver-
bände ins Leben gerufen. Das war sein gutes Recht. Aber eine
bewußte Lüge war es, wenn es durch diese Vereinigungen das
Richtwort verbreiten ließ: nur die Juden seien an den Miß-
erfolgen des Japanischen Krieges wie an den inneren Unruhen
schuldig. So unsinnig diese Behauptung war, sie fand bei den
durch die nationalen Niederlagen gereizten und durch die Um-
sturzbestrebungen geängstigten Bauern und niederen Klassen
in den Städten bereitwillige Aufnahme. Im allgemeinen war bis
zu dieser Zeit an den meisten Orten das Verhältnis zwischen den
jüdischen Händlern und Handwerkern und den slawischen Klein-
bürgern und Bauern wenn nicht freundschaftlich, so doch er-
träglich gewesen. Denn der wahre Feind dieser Klassen war der
Vampyr des Volkes, der russische Wucherer, der sogenannte
,, Kulak" — die ,, Faust" — der über etwas Bargeld verfügende
Bauer, der, wenn ihm Juden in den Weg kommen, diesen
unlauteren Wettbewerb vorwirft und gegen sie den religiösen
Fanatismus in das Treffen führt, damit er selbst mit ungleich
schändlicherer Rohheit seine unglücklichen Opfer abschlachten
kann. Allein die politischen Demütigungen, some die juden-
feindlichen Umtriebe des Beamtentums hatten die unteren
Klassen in Stadt und Land gegen die Juden erregt. Das Klein-
bürgertum bildet den reaktionärsten Teil der russischen Ge-
sellschaft. In den Städten hatte nie eine wahre Selbstver-
waltung bestanden, hatten sich nie Zünfte oder kaufmännische
Gilden entwickelt. So besaß das IQeinbürgertum kein eigenes
soziales Leben. In Unwissenheit versunken, ohne Zusammen-
hang mit der Kulturwelt, machte es eine konservative Masse
voller Vorurteile aus, die blind an der altrussischen Überheferung
hing. Die Bauern aber hatten und haben noch, abgesehen
von ihrer kirchlichen Inbrunst, nur für ihre materiellen
Interessen Teilnahme. Abergläubig, unwissend, gegen die
„Feinde Christi" aufgehetzt, schenkten Kleinbürger und Bauern
gern einer Angabe Gehör, die alles Unheil der letzten Jahre
auf die fremdartige, anderssprechende jüdische Bevölkerung
abschob. Und daran reihte sich der Entschluß, unter der Füh-
rung der Obrigkeit mit diesen verhaßten Gegnern abzurechnen.
Die Oktoberpogrome. 205
Den Allfang machte das agrarische Gouvernement Wol-
hynien, wo die reaktionäre Gesinnung, zumal bei den Bauern,
am stärksten vertreten ist. Die Hauptstadt der Provinz, Schi-
tomir, zählte unter ihren 66 000 Einwohnern 31 000 Juden,
beinahe die Hälfte. Hier wurde das Pogrom von langer Hand
durch die Behörden vorbereitet. Ein Beamter des Älinisteriums
des Innern, Ssagußjewitsch-Hanko, verbreitete ganz offen einen
Aufruf, der zur Niedermetzelung der Juden und Polen auf-
forderte, ohne daß Polizei und Staatsanwaltschaft gegen ihn
eingeschritten wären. Hetzapostel, unter denen der mit der
Gendarmerie in un verhülltem Verkehr stehende Pristaw (Po-
lizeiinspektor) Kujarow hervortrat, erzählten allerorten auf
Straßen, Plätzen und in Dörfern, daß die Juden die Christen
zu ermorden und deren Kirchen in die Luft zu sprengen beab-
sichtigten, und daß man daher die Juden und die sie begün-
stigenden Gebildeten vorher töten müsse. Die antirevolutionäre
Propaganda liegt auf der Hand.
Vorstellungen gegen dieses verderbliche Treiben bei dem
Gouverneur, auch von selten der städtischen Duma, wurden als
grundlos abgewiesen. Die Polizei aber ging um so kecker mit
ihrer schändlichen Tätigkeit voran. Als am 13. (26.) April 1905
ein Bauernhaufe jüdische Ausflügler überfiel, mißhandelte und
zum Teil erschlug, verhaftete die Polizei nicht etwa die Mörder,
sondern die Teilhaber an dem Ausfluge. Das war der Prolog zu
dem blutigen Trauerspiele, das am 24. April (7. Mai) in Schito-
mir aufgeführt wurde. Zahlreiche zugereiste Fremde gaben das
Zeichen zum Angriff. Aus den Dörfern kamen ganze Bauern-
schaften unter der Führung ihrer Vorsteher und Polizeibeamten.
Die bewaffnete jüdische Selbstwehr wurde von Polizei und
Militär zersprengt. Zwölf Tote und eine große Menge Verwun-
deter zählten die Juden, aber auch die Exzedenten zehn Tote
und viele Verwundete — ein Beweis, daß die Selbst^^ehr sich
tapfer verteidigt hatte. Am folgenden Tage dauerten die Greuel
fort. Erst als die Juden drohten, gegen die Christen mit den
Waffen in der Hand vorzugehen, befahl der Gouverneur, am
26. April, gegen die Exzedenten einzuschreiten, und nun ver-
schwanden diese wie mit einem Zauberschlage. Der Polizeichef
hatte ihnen zugerufen: ,,Nun, Brüder, heute mrd es nichts mehr
206 Die Oktoberpogrome.
geben. Es ist befohlen worden, zu schießen, geht nach Hause".
Und sie gingen, diese angeblichen Aufrührer.
In Bialystok veranstalteten die Soldaten selber am 30. Juli
ein furchtbares Blutbad unter den Juden, selbstverständlich
auf höheren Befehl, unter dem Vorwande, daß sie Revolutio-
näre seien.
Als im Gouvernement Taurien die Wogen der Freiheits-
bewegung hoch zu gehen begannen, bereitete man als Gegen-
maßregel in der Hafenstadt Kertsch ein Pogrom vor. Der
Stadthauptmann billigte das Vorhaben: ,, Revoltiert nur nicht in
Gemeinschaft mit den Juden, dann wird nichts geschehen". Am
31. Juli begannen die ,,Huligans" — so wurden die Mitglieder
der reaktionären Verbände, der ,, Schwarzen Hundert" genannt —
mit der Plünderung und Zerstörung der jüdischen Wohnungen
und Läden. Polizei und Militär, massenhaft aufgestellt, sahen
ruhig zu und lehnten jedes Einschreiten ab. Ja, Polizeiinspek-
toren und sogar der Polizeidirektor ermunterten die Plünderer
und gaben ihnen Anweisungen. Nur die reichen Juden wurden
verschont. Der Gendarmerierittmeister Scheremetew gehörte
zu den hauptsächlichen Organisatoren des Pogroms. Als die
jüdische Selbstwehr auf die Exzedenten schoß, feuerten die
Soldaten auf jene und sprengten sie auseinander. Die Greuel-
taten dauerten bis zum Abend des 1. August — dann
glaubte die Polizei, es sei genug, und machte der Sache ein
Ende. Es ist bezeichnend, daß die Mehrzahl der christ-
lichen Bevölkerung A^^on Kertsch auf selten der mißhandelten
Juden stand ; die Stadtduma bewilligte 1 5 000 Mark zur Unter-
stützung der Opfer, zum grimmigen Ärger des Herrn Stadt-
hauptmanns.
Allein dies alles waren nur Vorspiele. Der große Moment
der Pogrome war der Oktober 1905, wo, offenbar auf ein ge-
gebenes Zeichen, in dem gesamten Ansiedlungsrayon imd noch
über diesen hinaus die Judenverfolgungen ausbrachen. Sie bil-
deten die Antwort der Bureaukratie auf die freiheitlichen Ver-
heißungen des Oktobermanifestes des Zaren. Es handelte sich
für alle reaktionären Elemente und zumal für das Beamtentum
darum, die verhaßte Konstitution im Keime zu ersticken und
durch Vernichtung der Juden die ganze Freiheitspartei zu
Die Oktoberpogrome. 207
schrecken und zu der Mehrheit des russischen Volkes im Gegen-
satz zu bringen.
So geschah es im Gouvernement Bessarabien, das sich
jederzeit durch den Judenhaß seiner rumänischen, griechischen
und armenischen Bevölkerung ausgezeichnet hatte. Waren doch
in Kischinew die traurigen Helden des Pogroms von 1903, die
Kruschewan, Sinadino, Pronin, nicht nur nicht bestraft worden,
sondern zu den leitenden Stellungen in der Stadt emporgestiegen.
Der freigesinnte Gouverneur Fürst Urussow, der ihrem Wüten
einigermaßen Einlialt getan hatte, wurde entfernt und durch
einen Mann der ,, Schwarzen Hundert", Charusin, ersetzt, der
Kruschewan und seine Pogromagitation offen in Schutz nahm.
Am 19. Oktober gingen die Exzedenten dann los, ein Kaiserbild
voran, unter Führung offizieller Persönlichkeiten, von Reiterei
und Infanterie gedeckt. Die Polizei schoß die von den Huli-
gans verwundeten Juden vollends tot. Der Gouverneur, an-
statt den mißhandelten und beraubten Juden zu Hilfe zu
kommen, erließ einen Aufruf, in dem er diese als Angreifer be-
schuldigte. Am 26. abends kam von Petersburg die telegra-
phische Anweisung, dem Pogrom ein Ende zu machen. Sofort
hörte es auf — ein genauer Beweis, daß es amtlich in Szene
gesetzt worden war, was auch die Behörden gar nicht in Ab-
rede stellten.
Ähnliche Szenen fanden in Akkerman statt, wo acht
Juden getötet, ebenso viele schwer verwundet, 80 Läden,
20 Wohnungen, 388 Familien ausgeplündert wurden, mehr als
ein Drittel der jüdischen Bevölkerung von 5624 Seelen. Die
materiellen Verluste wurden auf 900 000 Rubel geschätzt.
Organisiert war das Pogrom von dem Dompfarrer, einem Lehrer
der Bürgerschule und zugereisten Agitatoren. An dem plan-
mäßig organisierten Werke beteiUgten sich Schutzleute und ein
Polizeiinspektor, alle in Uniform. — In Bajramtscha wurden
die Juden gänzlich ausgeplündert, ihre Läden angezündet. Der
blühende Wohlstand der Juden, die fast die ganze Bewohner-
schaft von Kalarasch bildeten, wurde durch Haufen heran-
gezogener moldauischer Bauern völlig vernichtet. Hier war
das Pogrom besonders blutig. Von den etwa 4000 Juden des
Städtchens waren mehr als 60 getötet, 75 schwer, 200 leicht ver-
208 Die Oktoberpogrome.
wundet. Zwei Synagogen wurden durchaus zerstört. Noch
in 68 anderen bessarabischen Orten fanden Plünderungen und
Mißhandlungen der Juden statt, zumeist unter Führung der
örtlichen Beamten. Als die Juden den Stadthauptmann des
Städtchens Maschkonitzy um Schutz vor den bevorstehenden
Ausschreitungen angingen, erwiderte er: ,,Ich kann aus
Maschkonitzy keine Ausnahme machen. In ganz Rußland
schlägt man die Juden; warum soll man sie nicht auch in
Maschkonitzy hauen?" —
Nicht minder als Bessarabien wurde das benachbarte
Gouvernement Cherson von den Pogromen betroffen. Freilich
in der administrativen Hauptstadt gleichen Namens, einer
Mittelstadt von 70 000 Einwohnern, ging die Sache noch ziemlich
glimpflich ab, wennschon der Gouverneur mit den ,,Patrioton"
längere Zeit gleiche Sache machte und ihnen sogar die Militär-
musik zu Gebote stellte. Aber das furchtbarste aller Pogrome
ist das von Odessa, und hier steht nicht nur die Anstiftung durch
die höchsten Machthaber der Stadt, sondern die hauptsächliche
Ausführung durch Polizei und Militär außer allem Zweifel.
Die Vorgänge von Odessa reichen allein dazu hin, die schwersten
Anklagen gegen die russischen Behörden zu rechtfertigen.
Die bedeutendste Handelsstadt des russischen Reiches,
zählte Odessa im Jahre 1905 über eine halbe Million Einwohner,
darunter etwa 165 000 Israeliten, die sich mit den dort domizi-
lierten Griechen in den kommerziellen Einfluß teilten und des-
halb von diesen recht gründlich gehaßt wurden. Ebenso trugen
die Hafenarbeiter, die wirtschaftlich zum großen Teile von den
jüdischen Großhändlern abhingen, gegen diese Neid und Ab-
neigung im Herzen. Aber in den Jahren 1904 und 1905 nahmen
die Anhänger des freiheitlichen Fortschrittes und sogar der
Sozialdemokratie, der sich ungefähr ein Viertel der gesamten
Arbeiterschaft ausdrücklich zurechnete, die herrschende Stel-
lung in Odessa ein. Einen solchen Zustand ertrugen mit ver-
bissener Wut die administrativen Häupter der Stadt, der Stadt-
hauptmann Wirklicher Geheimrat Neidhardt und der Militär-
kommandant Baron von Kaulbars ; der erstere eine nach unten
brutale und nach oben kriechende Beamtennatur, die unter
verbindlichen Formen grausame Selbstsucht verbarg ; der andere
Die Oktoberpogrome. 209
ebenso roh und gewaltsam wie militärisch unfähig, so daß er im
Japanischen Kriege nur eben vor dem Kriegsgericht vorbei-
geschlüpft war. Beide Helden waren erbitterte Feinde der frei-
heitlichen Gestaltung des Staatswesens, und um .Odessa zu
knechten, zählten sie auf ihre aus der Hefe der Bevölkerung
angeworbene Polizeimannschaft, die mit ihrer Willkür die Be-
stechungsgelder schwinden zu sehen fürchtete, und auf die
Huligans, die aus dem Pöbel und den Hafenarbeitern sich
rekrutierten. Stadthauptmann und Kommandant beschlossen,
der Sache der Freiheit in Odessa einen unheilbaren Streich zu
versetzen durch ein Pogrom, indem sie die Revolution in den
Juden träfen, die in überwiegendem Umfange sich selbstver-
ständlich der liberalen Sache zuneigten. Schon zwei Tage vor
dem Ausbruche sagte nach gerichtlicher Zeugenaussage der
Pristaw Ratzischewski : ,,Die Juden wollen Freiheit. Wir werden
zwei- bis dreitausend von ihnen abschlachten — da werden sie
wissen, was Freiheit ist."
Am Tage, wo das Verfassungsmanifest des Zaren in Odessa
veröffentlicht woirde — am 18. Oktober 1905 — inszenierten
Neidhardt und Kaulbars das Pogrom. Jener fälschte Petitionen
aus der Bevölkerung, die ihn angeblich zum Einschreiten gegen
die Liberalen aufforderten, und wies dabei selbstverständlich
auf die Juden als die eigentlichen Schuldigen hin. Um 1V2 Uhr
nachmittags brach das Unwetter mit Totschlagen von Juden in
den Straßen los. Ein Polizeiinspektor rief den Mördern zu:
,, Schlagt, Kinder, es wird euch nichts geschehen." Der Pristaw
Pogrebnoj ordnete die Metzelei: ,, Russen auf eine Seite, treibt
die Juden auf die andere Seite und schlagt sie !" Ein Pristaw-
gehilfe Iwanow tötete jeden Juden, dem er begegnete. Die
Schutzleute schössen auf die jüdischen Häuser. Die Kosaken
arbeiteten mit der Polizei Hand in Hand, riefen ihnen zu:
,, Fester, fester!", sprengten die verschlossenen Tore jüdischer
Häuser, schössen in deren Fenster. Die Soldaten vertrieben
die Selbstwehr, zu der sich auch viele ehrenwerte und mutige
Christen gesellten, mit Gewehr- und Revolver Schüssen.
Am folgenden Tage, dem 19., nahm das Pogrom noch
größeren Umfang an. Es war vorzüglich organisiert. Überall
waren die Scharen der Huligans von Soldaten und bis an die
Philippson. Neueste Geschichte der Juden, Bd. TIT. 1"*
210 Die Oktoberpogrome.
Zähne bewaffneten Polizeibeamten, sowie von einer Militär-
kapelle begleitet, die patriotische Weisen anstimmte. So war
das Pogrom amtlich anerkannt. Die Rollen waren gut verteilt:
Die Huligans und die Polizisten plünderten, die Soldaten
schössen auf die Selbstwehr, ließen es sich aber nicht nehmen,
auch tüchtig mitzurauben. Auf ausdrücklichen Befehl Neid-
hardts schoß man auch auf Ärzte, Sanitätskolonnen und barm-
herzige Schwestern, die den verwundeten Juden Hilfe bringen
wollten. Es ist gerichtlich festgestellt, daß die Soldaten und
Polizisten weit mehr geplündert und gemordet haben als die
Huligans, die sich bisweilen durch Geschenke und Bitten be-
schAvichtigen ließen. Die amtlichen Metzler waren die schhmm-
sten und unheilvollsten. Hohe Offiziere ordneten die Greuel an
und antworteten humaneren Untergebenen : ,,Es ist nicht Ihre
Sache, zu räsonnieren. Hier wird eine nationale Frage ent-
schieden." Diese Generale und Obersten, die vor den ver-
achteten ,,Japs" sich immer nur nach der geeigneten Rückzugs-
straße umgesehen hatten, retteten die nationale Sache durch das
Meucheln wehrloser Juden.
Polizei und Militär hatten, wie sie selber aussagten, den
dienstlichen Befehl, ,,drei Tage lang die Juden zu schlagen".
Und in der Tat war der dritte Tag — der 20. Oktober — der
schlimmste. Verkleidete Schutzleute schössen aus Häusern, um
Militär und Polizei den Vor wand zu neuen Greueln zu geben,
General Derjugin rief einer vor ihm defilierenden Schar von
Huligans zu: ,,Auch ihr geht, um die Juden zu schlachten. Ich
segne euch zur Tat. Wie schade, daß man nur den Pöbel dafür
verwendet und wir selber nicht hingehen dürfen. Und doch ist
es unsere heilige Pflicht." Obersten sah man an den Diebstählen
sich bereichern. Neidhardt selbst rief um Hilfe flehenden Juden
zu: ,,Ich kann nichts machen. Ihr wolltet Freiheit. Da habt ihr
eure jüdische Freiheit !" Den Huligans dankte er strahlenden
Antlitzes, und sie riefen ihm Hurra zu. Die Schutzleute haben
gerichtlich ausgesagt, die Pristaws hätten ihnen befohlen, die
Juden auszuplündern und zu morden. Die Behauptung Neid-
hardts, Polizei und Militär seien von den Juden zuerst ange-
griffen worden, erweist sich durch den Umstand als ein Märchen,
daß während der ganzen Unruhen nur ein Soldat getötet und
Die Oktoberpogrome. 211
einer verwundet, von den Polizisten nur zwei getötet und wenige
verwundet wurden, und zwar vorzugsweise durch eigene Un-
vorsichtigkeiten und Mißverständnis.
Mit dem 21. lief die dreitägige Frist für das Morden ab.
Kaulbars erließ einen Befehl, auf die Plünderer zu schießen;
Neidhardt ging auf die Straße und sagte freundlich zu den
Huligans: ,, Genug, Brüder, geht nun nach Hause". Sofort
endigten alle Gewalttaten und Pogroms.
Sein Ergebnis war: 302 Juden tot, viele Vermißte — also
auch wahrscheinlich Getötete — mehrere Tausend Verwundete,
3 Vi Millionen Rubel an materiellem Schaden , Tausende von
Familien an den Bettelstab gebracht. 42 975 Juden waren von
den Unruhen betroffen worden. Der Handel Odessas war schwer
geschädigt, grimmer Haß zwischen den Juden und der Mehrheit
der Christen erzeugt. Neidhardt und Kaulbars schoben sich
gegenseitig die Schuld an dem Vorgefallenen zu. Aber man
wußte, daß beide die Hauptverbrecher waren. Als die Frau
Neidhardt sich an die Spitze eines ,, Hilfskomitees" stellte,
erließen Odessaer Bürger den Aufruf: ,,Wir fordern alle Bürger
auf, das huliganische Hilfskomitee, das von der Gemahlin des
Oberhuligans Neidhardt organisiert wurde, zu boykottieren".
In der Tat wies das jüdische Hilfskomitee auch die privaten
Gaben der Damen Kaulbars und Neidhardt zurück. Neidhardt
mußte seine Entlassung nehmen, wurde strafgerichtlich belangt,
kam aber nach einer Scheinuntersuchung des Senators Kus-
minski straflos davon.
Ein Musterbeispiel für die Behandlung dieser Pogrome
durch die leitenden Kreise Rußlands ist der Bericht des Senators
Kusminski vom 12. Januar 1906. Er schließt nämUch dahin:
,,Die bei mir eingegangenen Auskünfte, sowie das mir zur Ver-
fügung gestellte Material bieten keinerlei auf tatsächliche An-
gaben gestützte Beweise, daß das Pogrom vom Statthalter
Neidhardt absichtlich erzeugt worden. Im Gegenteil, die sorg-
fältige Prüfung der Verhältnisse, unter denen bei der im Odessaer
Hafen lebenden russischen, meist aus Arbeitern bestehenden
Bevölkerung der Gedanke aufgekommen und durchgefülirt
worden ist von einer patriotischen Manifestation, die gegen die
am 18. Oktober stattgefundenen revolutionären Demonstra-
14*
212 Die Oktoberpogrome.
tionen der Juden gerichtet sein sollte, die die treuen Untertans-
und Nationalgefühle des wohlgesinnten Teiles der russischen
Bevölkerung in herausfordernder Weise A^erletzt hatten, weist
keinerlei Tatsachen auf, die nicht etwa von einer Aufreizung,
sondern selbst von einer Teilnahme der Vertreter der Obrigkeit,
sei es auch der untersten Polizeibeamten, an der Veranstaltung
dieser patriotischen Manifestation zeugen dürften." Trotz dieser
im krassesten Widerspruche mit der Wirklichkeit stehenden Be-
hauptungen erhob Kusminski die Anklage gegen Neidhardt bei
dem ersten Departement des Senats, aber nicht etwa wegen An-
ordnung und Begünstigung des Pogroms, sondern, weil der Gou-
A^erneur gegenüber den revolutionären Tumulten der Juden und
der Studenten allzu große Nachsicht gezeigt habe !
Weiter konnte man die absichtliche Umdrehung der zweifel-
losesten Tatsachen wohl nicht treiben.
Tn seiner Rechtfertigungsschrift enthüllt Neidhardt die
wahre Gesinnung der russischen Bureaukratie , indem er an-
führt, ,,daß die Militär- und Zivilobrigkeit zurzeit die Haupt-
gefahr nicht eben im Pogrom, sondern in den Angriffen der
Revolutionäre gegen die Obrigkeit, die Soldaten und Polizisten
zum Zwecke der Umwälzung erblickt habe". Er legte Berichte
von Polizeibeamten bei, die selbstverständlich darauf hinaus
liefen, daß Polizei und Militär überall nur auf mörderische
Angriffe ,,von Juden und Studenten" tätlich eingeschritten
seien. Auch hätten Juden christliche Familien zu ermorden
versucht — wobei wunderbarereise die angegriffenen Christen
jedesmal unversehrt davonkamen, die ..jüdischen Mörder" aber
selber den Tod fanden.
Das Odessaer Pogrom hat mehr als jedes andere durch
seinen offenbaren Zusammenhang mit sehr hochgestellten Be-
amten und durch ihr straffreies Wüten das Ansehen und die
INIacht des Huligans vor der ganzen Welt erAviesen. Ihr Einfluß
ist eben dadurch ungeheuer angewachsen. In Odessa selbst
traten alle Schwankenden zu dem ..Verbände der echt russischen
Leute" hinüber, und die früher freiheitlich gesinnte Stadtduma
erhielt eine reaktionäre, judenfeindliche Mehrheit. In diesem
Sinne hat das Pogrom der Herren Neidhardt und Kaulbars seinen
ZAveck vollkommen erreicht.
Die Oktoberpogrouie. 213
Selbstverständlich erstreckte es sich auch auf zahlreiche
Ortschaften in der Umgebung Odessas.
In Ananjew verhinderten der Bürgermeister und die In-
telligenz des Städtchens eine weitere Ausdehnung des schon be-
gonnenen Pogroms, trotz dem Polizeichef und dem Vizegouver-
neur Gortschakow. Anderwärts ermunterten die Behörden zur
Plünderung und Mißhandlung der Juden mit der Begründung,
daß diese ja alle Revolutionäre seien.
In Jelissawetgrad mit seinen 62 000 Einwohnern, darunter
24 000 Juden, waren in der Tat nur diese freiheitlich gesinnt,
sonst die Stadt durchaus reaktionär. Um so eifriger organi-
sierte der neu ernannte Polizeimeister Suchorukow das Pogrom,
das seine Beamten leiteten, und das die Kosaken durch Be-
kämpfung der jüdischen Selbst wehr ermöglichten Ergebnis : elf
Juden tot, 150 verwundet, 1V4 Millionen Rubel Schaden.
In der Militär- und Beamtenstadt Nikolajew, die unter
ihren mehr als 100 000 Einwohnern 23 000 Juden zählte, ist
amtlich festgestellt worden, daß das Pogrom — als Antwort
auf das zarische Verfassungsmanifest — von den dortigen Be-
hörden organisiert worden und nach einem vorher gefaßten
Plane unter offenkundigem Schutze und tätiger Beihilfe der
dortigen Polizeibeamten verlaufen ist. Den Pogromlern ging
ein Militärmusikkorps voran, dem die Manifestierenden unter
Absingung der Nationalhymne und des Kirchenliedes ,, Errette,
o Gott, deine Menschen!" folgten; hinterher schritten die Huli-
gans, so daß das Singen und Spielen von dem Klirren zer-
schlagener Fensterscheiben und dem Krachen zertrümmerter
Geräte und Möbel begleitet war. Den Zug schloß ein Trupp Sol-
daten, der den Pogromlern den Rücken deckte. An dern Zuge
nahmen auch höhere und niedere Polizeibeamte, zum großen
Teil in Uniform, Anteil. Die Kosaken legten gelegentlich auch
bei der Plünderung der jüdischen Wohnungen und bei der Miß-
handlung ihrer Inhaber mit Hand an. Der Stadthauptmann
Sagaramski j-Kissel aber erwiderte sowohl den ihn um Schutz
anflehenden Juden wie einer aus Christen und Israeliten ge-
mischten Deputation angesehener Bürger: ,,Ich bin ganz außer
Fassung, ich kann nicht helfen". Genau nach der vorher be-
stimmten Dauer von vierundzwanzig Stunden hörte das Pogrom
214 Die Oktober]iogi'ome.
auf, das zwar nur wenige Menschenleben, der jüdischen Be-
völkerung aber 2^/2 IVIillionen Rubel kostete.
In dem Städtchen Ovidiopol bei Akkerman machten die
Bewohner der benachbarten deutschen Kolonie Groß-Liebental
dem Pogrom ein Ende.
Noch 73 weitere Orte des Gouvernements Cherson wurden
von Unruhen, die oft einen blutigen Charakter annahmen,
heimgesucht. Schändlich war das Wüten auf den Eisenbahn-
stationen, wo Juden, die auf der Bahn zu fliehen gedachten, von
den Angestellten und Arbeitern grausam verstümmelt oder
niedergemacht A^Tirden. Wie xiele Greuel dort vorkamen, ^nrd
nie im ganzen Umfange festgestellt werden können. —
Das Gouvernement Taurien — die Krim — enthält eine
buntgemischte Bevölkerung von Tataren, Griechen, Arme-
niern, Deutschen, Russen, die bis zum Herbst 1905 in Frieden
und Eintracht mit den Juden gelebt hatte. Es ist durch Hun-
derte von einwandfreien Zeugen vor Gericht bewiesen worden,
daß die Pogrome in den dortigen Städten Simferopol und
Theodosia direkt von der Polizei in Szene gesetzt und weniger
gegen das Eigentum als gegen das Leben der dortigen Juden
gerichtet waren. In dem ersten Orte Avurden 42 Juden ge-
tötet, zahlreiche schwer verwundet; in dem zweiten 11 oder 12
getötet, 10 verwundet. Außerdem gab es, infolge der mora-
lischen Ansteckung, einige kleinere Pogrome, die nicht von der
Polizei veranstaltet, aber von ihr geduldet waren; bezeichnender-
weise wurde da nur geraubt, aber nicht gemordet. Das letztere
war eben eine Spezialitat der Polizei und des Militärs. —
Die Hauptstadt Jekaterinoslaw des gleichnamigen Gou-
vernements hatte schon im Juli 1883 ihre reaktionäre Gesinnung
durch ein Pogrom zu erkennen gegeben (vgl. oben Seite 149).
Um so verhaßter war ihrer Bevölkerung die politische Tätigkeit
einer Anzahl von jüdischen Sozialisten und Poale-Zionisten,
und es war deshalb bereits im Juli 1905 zu antisemitischen Un-
ruhen gekommen, die aber von dem damaligen stellvertretenden
Gouverneur Lopuchin alsbald durch tatkräftige Maßregeln
unterdrückt A\airden. Allmählich ergriff die re\'olutionäre
Stimmung auch die christliche Arbeiterschaft und die Eisenbahn-
angestellten. Ein allgemeiner Streik wurde durchgeführt, lief-
Die Oktoberpogronie. 215
tige Kämpfe zwischen Arbeitern und Soldaten fanden statt;
letztere behielten die Oberhand (10. bis 14. Oktober). Um den
unruhigen Elementen einen heilsamen Schrecken einzujagen,
bereiteten die Behörden ein Pogrom vor und hetzten zumal die
Soldaten gegen die Juden auf, die sie diesen als die eigentlich
Schuldigen immer und immer Avieder bezeichneten. An den drei
Bluttagen des 21,, 22. und 23. Oktober wurde das Pogrom dann
von etwa 1000 Menschen der unteren Volksklassen, sowie von
den Feuerwehrmännern, Polizisten und dienstfreien Soldaten in
Szene gesetzt. Die Plünderer wären mit leichter Mühe von der
Selbstwehr der 41 000 Seelen zählenden jüdischen Bevölkerung
sowie von der Arbeiterselbstwehr zurückgetrieben worden, wenn
das Militär sich ihnen nicht überall feindlich gegenübergestellt
hätte. 67 Juden und mehr als 30 Russen wurden getötet ; mehr
als die Hälfte waren den Kugeln und Bajonetten der Soldaten
zum Opfer gefallen. Der Gouverneur, der auch Neidhardt hieß,
forderte nur zur Niederlegung der Waffen, das heißt zur Ent-
Avaffnung der Selbstwehr, auf. Erst am Abend des 23. ließ er
das Pogrom unterdrücken.
Auch in Alexandrowsk sahen die Behörden ruhig dem
Pogrom zu, das von höheren Beamten geleitet wurde. Der
Gendarmerie-Rittmeister Bugadowskij rief aus: .,Wenn ich
auch bis ans Knie in jüdischem Blute waten soll, wird mich das
nicht abschrecken, aber die Revolution muß ich unterdrücken".
Die Selbstwehr wurde von den Kosaken mit Waffengewalt aus-
einander gesprengt. Ergebnis: 7 Juden tot, 46 verwundet,
250 Familien geplündert, alle jüdischen Läden ausgeraubt und
dann — ein für Alexandrowsk besonderes Moment — in Brand
gesteckt. Weiteres Unheil wurde nur durch Bestechung der
Behörden abgewendet.
Das Pogrom von Bachmut trug den Charakter einer all-
gemeinen, vom Staate erlaubten und systematisch geleiteten
Plünderung der gesamten jüdischen Bevölkerung. Vier Mil-
lionen Rubel an Wert wurden ihr abgenommen. Die Personen
wurden geschont. Die Schuld der Polizei war so offenbar,
daß sie gar kein Leugnen versuchte. Dagegen gab es in
dem Industrieorte Jusowka unter den Juden zwölf Tote und
gegen hundert Verwundete und Verstümmelte; hier waren die
216 Die Oktoberpogrome.
Vorgänge rein politischer Natur; die Polizei liatte sie nicht
veranlaßt, sah aber untätig zu.
In Mariupol dagegen war der Urheber und Leiter des Po-
groms der Chef der dortigen politischen Polizei, Belochwostow,
unterstützt von seinem Vorgesetzten, dem Polizeimeister, und
sämtlichen Polizeibeamten. Er hetzte persönlich das Volk auf,
indem er überall ausrief: ,,Haut die Juden, daß kein einziger am
Leben bleibe, denn sie quälen ja Rußland". Die Polizei wurde
in ihrem Treiben hier, wie fast überall, von der Geistlichkeit
eifrig unterstützt. Der Polizeimeister Sdorow und der Bürger-
meister führten selber am 21. Oktober das Pogrom an und legten
die guten Absichten des Militärkommandanten brach. Da
schössen die Kosaken auf die Mitglieder der jüdischen Selbst-
wehr. Entsetzliche Greueltaten wurden an den Juden verübt,
unter der lebhaften Billigung Belochwostows : ,, Brave Kerle,
ihr habt Mariupol von den Juden gereinigt. Die müssen ge-
schlagen werden." 22 Israeliten wurden getötet, 76 jüdische
Familien erlitten einen Verlust von 1V4 Millionen Rubel.
Noch weitere 19 Orte des Gouvernements Jekaterinoslaw
hatten Pogrome zu verzeichnen. —
Im Gouvernement Poltawa war es Krementschug, wo am
19. Oktober ein Pogrom sich abspielte, das von dem Bürger-
meister, mehreren Pristaws, dem Realschuldirektor veranlaßt
und geleitet wurde. Werte von zwei Millionen Rubel wurden
vernichtet oder geraubt. Weiteres Unheil verhütete die jüdische
Selbstwehr. Auch in der Industriestadt Romny belief der
Schade sich auf zwei Millionen Rubel. Sonst waren noch
49 Ortschaften von Pogromen betroffen. Überall sah die Polizei
untätig zu, sagte schließlich: ,,Nun ist es genug", und die
Plünderer gingen sofort auseinander. Die Ausschreitungen im
Gouvernement Poltawa, wo die christliche Bevölkerung ver-
hältnismäßig aufgeklärt und freidenkend ist, trugen im ganzen
einen harmloseren Charakter und waren nur das Werk einiger
offizieller Macher. —
Der Gouverneur der Provinz Tschernigow, Chwostow, war
ein Tschinownik alten Schlages, beschränkt, unwissend, unbe-
dingter Anhänger des Überlieferten und grimmiger Gegner jeder
Neuerung. Er war besonders Feind der Juden, die er in seinen
Die Oktoberpogronie. 217
amtlichen Organen unaufhörlich als Urheber alles Übels in der
Welt, als Ausbeuter und Aussauger, als Hasser des Christentums
und Rußlands, als Revolutionäre und Herrschsüchtige angreifen
ließ. Mit solchen Gesinnungen erfüllte er alle von ihm abhän-
gigen Persönlichkeiten und Behörden, bis zum untersten Polizei-
diener herab. Die Kleinbürger und Bauern des Gouverne-
ments, die gewohnt waren, der Obrigkeit, den Vertretern des
,, Väterchens Zar", unbedingt zu folgen, nahmen von ihnen um
so lieber auch die Gegnerschaft wider die Juden an, als bei ihr
Plünderung und Beute winkten. In keiner Provinz wurde die
Pogrombewegung so allgemein \vie in diesem zurückgebliebenen
agrarischen Gouvernement. In mehr als 320 Orten, wo aller-
dings meist nur wenige Judenfamilien wohnten, hat sie gewütet.
In manchen Dörfern und Städtchen freilich haben die intelli-
genteren und aufgeklärten Bewohner oder die Geistlichen oder
das Auftreten der Selbst wehr die Unruhen schnell unterdrückt.
Aber nur in der einzigen Stadt Dobrjanka hat die Obrigkeit in
Gestalt des edlen und mutigen Polizeikommissars Bardowski, der
auch kein Geschenk von den Juden annahm, das Pogrom ver-
eiteln helfen. In der Hauptstadt Tschernigow dagegen gab der
Gouverneur selber das Zeichen zum Ausbruche, wobei unifor-
mierte Polizisten überall mithalfen. Der Pristaw Popow hatte
Hetzer in die benachbarten Dörfer gesandt, um die Bauern zu-
sammenzurufen. Aber die 300 Mann, darunter 50 Christen,
starke Selbst wehr machte, obwohl mit dem Verluste von 20 Ver-
wundeten, dem Progom schon nach der Dauer weniger Stunden
ein Ende.
Weniger günstig verlief die Bewegung in anderen Städten.
In dem Fabrikorte Klintzy trommelte die Polizei unter dem
Vorgeben, der Zar habe es befohlen, Arbeiter und Bauern gegen
die Juden zusammen, deren Häuser sie durch leicht sichtbare
Zeichen kenntlich gemacht hatte. Der Pristaw feuerte die Ex-
zedenten, wenn sie müde geworden waren, zu neuen Schand-
taten an. Eine Million Rubel an Werten wurden vernichtet oder
geraubt, während es glücklicherweise an Toten und Verwundeten
nur wenige in Klintzy gab. Auch in Nowgorod- Sjewersk standen
der Vize-Polizeikommissar und der Polizeiinspektor an der Spitze
der Plünderer. In Starodub hatte die Selbstwehr die Huligans
218 Die Oktoberpogrome.
zerstreut, als der Isprawnik (Polizeikommissar) alle Kirchen-
glocken läuten ließ und so die Mordgesellen zu Tausenden zu-
sammen berief. Die Selbstwehr ^ATirde überwältigt, die Syna-
gogen und viele Häuser angezündet, 550 Familien an den Bettel-
stab gebracht, ein Schaden von 1V2 Millionen Rubel angerichtet.
Die städtische Miliz, die von der Polizei unabhängig war, ver-
trieb endlich die von dieser geführten Banditen. In Surasch
organisierte gleichfalls der Vize-IsprawTiik Potemkin auf Befehl
des Gouverneurs Chwostow das Pogrom, dessen Leiter im ein-
zelnen die Polizisten wurden. Ähnlich ging es in Nowosybkow
zu, wo unter der Führung der gesamten Polizei zwei Juden ge-
tötet, 19 verwundet, 237 Läden, 3 Druckereien, 7 Gasthäuser,
eine Bank. 8 Bierhallen, 8 Bäckereien, ein technisches Bureau,
zahlreiche Handwerkstätten und Wohnungen völlig ausge-
plündert und ein Schaden von 1 800 000 Rubeln angerichtet
^vurde. Die gesamte jüdische Bevölkerung von 4000 Seelen war
ruiniert, die Stadt glich einem Trümmerhaufen. Als der Vor-
sitzende des Provinzialsemstwos und der Kreisadelsmarschall
sich über dies empörende Vorgehen der Polizei bei dem General
Dubassow beschwerten, antwortete dieser ihnen, es sei ganz
recht so, denn die Juden seien allesamt Revolutionäre.
Und doch gab es an vielen Orten gar keine Juden unter
den Neuerern. So auch in Koseletz, wo die Polizei nichtsdesto-
weniger ein Pogrom in Szene setzte, das fünfzig Stunden dauerte.
Das Militär kam erst, als die Sache schon zu Ende war. In
Semjonowka töteten die Huligans neun Juden und verwundeten
13 andere schwer, richteten auch von den 1500 dort wohnenden
Juden 263 Familien mit 1318 Personen zugrunde. Die Soldaten
kamen selbstverständlich zu spät.
Die christliche Bevölkerung von Njeschin, wo unter 35 000
Einwohnern 10 000 Juden lebten, war von jeher antisemitisch
gesinnt und hatte schon 1881 ein Pogrom veranstaltet. Kein
Wunder, daß die dortigen Israeliten sich mit Begeisterung der
freiheitlichen Bewegung anschlössen. Um so feindlicher waren
ihnen die reaktionären Elemente. Am 19. Oktober schlugen sie
los, geschützt von den etwa 1000 Soldaten, die die jüdische
Selbstwehr bald brach legten. Als der Staatsanwalt Gljebow
den Gouverneur telegraphisch um Abstellung des Pogroms an-
Die Oktoberpogrome. 219
ging, antwortete Chwostow : er könne doch ,, russischen Leuten
nicht verwehren, ihre patriotischen Gefühle zum Ausdruck zu
bringen". Die Polizei verhielt sich demgemäß vollkommen
passiv. Die geängstigten Juden gaben alle ihre Waffen ab und
versprachen, sich völlig zu unterwerfen. Sie mußten in öffent-
licher Versammlung, umgeben von einer tausendköpfigen feind-
lichen Menge, dem Zaren schwören und die ,, Demokraten" unter
ihnen ausHefern; inz\^dschen plünderten die Huligans ^äele
Judenhäuser. Erst am sechsten Tage der Unruhen machte
diesen das Militär ein Ende. —
Im Gouvernement KicAv kommt ganz besonders dessen
gleichnamige Hauptstadt in Betracht, mit ihren 450 000 Ein-
wohnern, unter denen sich ungefähr 70 000 Juden befanden.
Die ,, heilige Stadt" war von jeher ein Mittelpunkt russischen
orthodoxen Fanatismus gewesen, der durch die großen Wall-
fahrten zu ihren Heiligtümern stete Nahrung erhielt. Bureau-
kratismus und die Anwesenheit vieler Landadeliger erhöhten
die konservative Gesinnung. Gegenüber diesen Elementen des
Beharrens entv^dckelte sich in Kiew eine immer wachsende
Handelstätigkeit, da hier der Verkehr zwischen dem Westen und
dem Osten des ungeheuren Reiches sein Emporium begründete.
An dieser Entfaltung und dem dadurch aufblühenden Wohl-
stande der Stadt nahmen die Juden einen wesentlichen Anteil.
Allerdings hatten von ihnen nur einerseits die Großkaufleute und
anderseits die Handwerker hier gesetzliches Wohnrecht, aber
die ökonomische Notwendigkeit führte auch zalillose andere
Hebräer dorthin, die ihre Duldung durch stete Gaben an die
Polizei erkauften. So Avurden die Jahreseinnahmen eines jeden
Pristaws in den Judenbezirken Kiews auf 20 — 30 000 Rubel
berechnet. Dazwischen ordneten die höheren Behörden ge-
legentliche Razzias an zur Aufstöberung der nicht wohnberech-
tigten Juden, die dann zu Tausenden aus der Stadt vertrieben
wurden — wie es noch bis auf den heutigen Tag geschieht. Der
Charakter der Kiewer Reaktion ist ein besonders finsterer und
fanatischer, und so war unter der christlichen Bevölkerung auch
der Antisemitismus sehr weit verbreitet. Das einflußreichste
Lokalblatt, der ,,Kiewljanin", konnte sich in judenhetzerischen
Artikeln und Aufforderungen nicht genug tun. Gerade der
220 Die Oktoberpogronie.
wirtschaftliche Aufschwung des jüdischen Großhandels erregte
Neid und Mißgunst. • Die Universität erfüllte sich mit juden-
feindlichem Geiste, ließ keinen jüdischen Dozenten zu und er-
schwerte jüdischen Kanditaten die Prüfungen bis zu völliger
Ausschließung. Die Vereine nahmen keinen Juden auf. Die
Stadtduma erhielt eine antisemitische Mehrheit. Schon im
Jahre 1881 hatte in Kiew ein Pogrom stattfinden können (siehe
oben Seite 120 f.).
Aber der freiheitliche Geist hatte seit dem Jahre 1904 auch
in Kiew seinen Einzug gehalten, einen Teil der Bürgerschaft
und zumal fast die gesamte Studentenschaft der Universität
und der technischen Hochschule ergriffen. Es kam zu groß-
artigen Manifestationen freiheitlichen, ja revolutionären Cha-
rakters, die wiederum die Übertragung aller staatlichen Gewalt
an die militärischen Behörden zur Folge hatten. Diese gingen mit
Massen Verhaftungen gegen die Urheber des seit dem 14. Ok-
tober 1905 proklamierten Generalstreiks vor. Eine große Volks-
versammlung am 18. Oktober zur Feier des Verfassungsmani-
festes des Zaren wurde urplötzlich, ohne jede vorherige An-
kündigung, durch das Militär, von dem in Kiew 20 000 Mann
standen, blutig zersprengt. Hinter dem Militär drängten die
..echten Russen", die Huligans, heran, und deren Tätigkeit
konzentrierte sich im Nu, nach einem offenbar vorher gegebenen
Losungsworte, gegen die Juden, deren ungeheure Mehrzahl sich
an den politischen Vorgängen gar nicht beteiligt hatte. Die
Juden blieben völlig schutzlos. Der kommandierende General
Karaß und der zeitweilige Gouvernementschef Rafalsky waren
nicht zum Einschreiten zu bewegen. Auch ein Befehl des tele-
graphisch angerufenen Ministerpräsidenten Witte, das Pogrom
zu unterdrücken, blieb durchaus unbeachtet. Der Stadt-
kommandant General Drake schloß die Augen. Der eigent-
liche Leiter des Pogroms wurde Generalmajor Bessonow. Als
ein hochgestellter Beamter ihm Vorstellungen machte, er-
widerte er: ,,Was für ein Pogrom? es ist eine Manifestation".
— ,,Aber", wandte jener ein, ,,es ist doch keine Manifestation,
sondern Raub am hellen Tage." — ,,Na," sagte der General,
,, warum haben sie das Zarenbild zerrissen." Einem anderen
Beamten, der bei ihm einschritt, sagte er: ,,Ich werde doch
Die Oktoberpogrome. 221
auf die Unsrigen nicht schießen lassen." Einem Polizeimeister,
der einen Laden schützen wollte, rief er zu: ,.Was machen Sie
dort!" und führte ihn am Arme weg. ,,Wenn ich wollte," ge-
stand er einem jüdischen Militärarzte, ,, würde das Pogrom in
einer halben Stunde beendigt sein, aber die Juden haben einen
zu großen Anteil an der revolutionären Bewegung genommen,
und verdienen deshalb das Pogrom." Er ermutigte direkt die
Aufrührer. Der Polizeimeister Zichotzky grüßte lächelnd, als
man ihm eine Schnur voll gestohlener mit Edelsteinen besetzter
Ringe vorwies. Polizei und Militär vermengten sich mit den
Scharen der Huligans und beteiligten sich an deren verbrecheri-
scher Tätigkeit. Die Soldaten erhoben von den Plünderern
regelmäßige Abgaben zu ihren eigenen Gunsten. Die Polizei
verkündete offen, daß die Plünderung der Juden drei Tage lang,
vom 18. bis zum 20. Oktober, erlaubt sei, und drängte zur Eile,
damit niemand leer ausgehe. Wohlmeinende Christen, die den
Exzedenten entgegen zu treten wagten, wurden von den Poli-
zisten mit Drohungen davon abgehalten. Die Massen emp-
fanden deshalb ihre Greuel als obrigkeitlich anbefohlene Taten.
Wirklich ging das Militär noch gewalttätiger vor, als der
Pöbel. Versuche der Juden, sich zu verteidigen, wurden von
den Soldaten mit Gewehrsalven niedergeschlagen, jüdische
Häuser, aus denen mrklich oder angeblich ein Scliuß gehört
WTirde, blindlings mit Kugeln überschüttet.
Die meisten Juden suchten unter diesen Umständen ihr
Heil in der Flucht. Immerhin gab es unter ihnen 27 Tote und
300 als solche registrierte Verwundete, Tausende sonst Miß-
handelter. Der direkte materielle Schaden wurde auf lO^/a
Millionen geschätzt — aber die Vernichtung der gewerblichen
Tätigkeit brachte ungleich größere Verluste. Was wollen da-
gegen die immerhin großartigen Spenden für die Beschädigten
in Höhe von 677 000 Rubel sagen, von denen die größere Hälfte
aus der Stadt selbst, die kleinere vom Auslande kam ?
Die Mehrheit der Stadtduma hatte den Mut, dem Militär
ein Dankesvotum zu widmen ! Die Teilnahme des fortschritt-
lich oder do3h gerecht gesinnten Teiles der Bürgerschaft für
die Verhafteten, der Protest von 41 Offizieren und Militärärzten
gegen die geschehenen Greuel blieben wirkungslos. Keinerlei
222 Die Oktoberpogrome.
Strafe traf die Generäle Karaß, Drake, selbst nicht Bessonow.
Als Sündenböcke wurden Polizeimeister Zichotzky und einige
seiner Untergebenen entlassen, bald aber anderweit Avieder an-
gestellt. Die gerichtlichen Verhandlungen gegen die 80, die
von den beim Pogrome selbst verhafteten 636 Exzedenten
noch übrig geblieben waren, fanden erst volle zwei Jahre später
statt. Wie gewöhnlich gab es da ein Zerrbild auf gerichtliche
Tätigkeit. Alle Angeklagten Moirden freigesprochen, mit Aus-
nahme von 16 dem niedersten Gesindel Angehörenden, auch
diese nur zu ganz geringen Freiheitsstrafen verurteilt und
überdies der Gnade des Zaren empfohlen ! Mit gerechter
Freude feierten die ,,echt Russischen" diesen Ausgang des
Prozesses als einen Sieg, selbst in blasphemischer Weise durch
einen Gottesdienst.
Der Zar schenkte allen Verurteilten jede Buße, bestrafte
dagegen die Offiziere empfindlich, die es gewagt hatten, sich
gegen das Pogrom auszusprechen. Die Judenplünderungen
und Niedermetzelungen wurden so von der höchsten Stelle
des Staates aus gebilligt. Damit ist der Kreis der Verantwort-
lichkeit wirksam geschlossen.
Kiew machte mit den Unruhen nur in seiner unmittel-
baren Umgebung Schule. Die entfernteren Kreise des Gouver-
nements blieben ziemlich von ihnen verschont. Es gab im
ganzen 38 Pogrome in sonstigen Ortschaften der Provinz.
Zum Teil verhinderten die ortsangesessenen Bauern selber die
von der Polizei in Szene gesetzten Unruhen. Eine wunderliche
Umkehrung aller staatlichen Verhältnisse ! —
Im Gouvernement Podolien wurde die Stadt Balta nur
durch die Bemühungen offizieller Persönlichkeiten und be-
sonders des Pristaws Koropow der Schauplatz eines von der
Geistlichkeit mit allen Älitteln geförderten Pogroms. Die Juden
setzten sich zur Wehr, töteten und verwundeten mehr Huligans,
als von ihnen selbst fielen. Aber die Polizei unterstützte die
Exzedenten, so daß Plünderung, Brandstiftung und Demolierung
ihren Fortgang nahmen. Eine Schwadron Dragoner machte
ihnen am zweiten Tage — 22. Oktober — ein Ende. Sämtliche
jüdischen Geschäftshäuser der Stadt stellten notgedrungen ihre
Zahlungen ein. Ungeheure Not fiel über Juden und Christen.
Die Oktoberpogronie. 223
Noch furchtbarer waren die Greuel in den drei eng be-
nachbarten Ortschaften Bogopol-Golta-Olviopol. Das dortige
Pogrom ging von den Eisenbahnarbeitern und sonstigen
,, Schwarzen Hundert" aus, nicht von den Behörden, wurde
aber von diesen gründhch gefördert, einzelne besser denkende
Beamte wurden von ihren Vorgesetzten unschädlich gemacht.
Das Militär verhielt sich vollkommen passiv. Vom 20. bis
23. Oktober dauerten die Verheerungen, dann hörten sie auf
ein von der Bahnstation gegebenes Signal auf, da die Exzedenten
begannen, sich auch an den christlichen Häusern zu vergreifen.
Allein in Golta waren dreizehn Juden getötet. 85 Thorarollen
waren entweiht und zerrissen, mehrere Synagogen nieder-
gebrannt, nur in Bogopol 196 Häuser und 127 Läden ein-
geäschert. Der Gesamtschade betrug drei Millionen Rubel bei
nur 15 000 Juden.
In Mohilew Podolsk feuerten die Soldaten auf die Juden,
in Wapnjarka und Winnitza verhielt die Polizei sich durchaus
passiv. Sonst fanden noch in 32 anderen Orten Podoliens
Pogrome statt. —
Das Pogrom in Miropol, Gouvernement Wolhynien, nahm,
obwohl die Polizei es leitete, ein schnelles und unblutiges Ende,
weil dort kein Militär stand, das auf die Juden hätte feuern
können. Das Pogrom in Rjetschiza, Gouvernement Minsk,
wurde dadurch besonders tragisch, daß von der kleinen jüdischen
Selbstwehr durch Huligans aus dem Hinterhalte sechs getötet
wurden, unter Beistand der Polizei. —
Ganz besonders scheußlich waren die Vorgänge in Orscha,
Gouvernement Mohilew. Hier wurde vier Tage lang, 21. bis
24. Oktober, gemordet, von viehischen Bauern, unter offizieller
Führung der Polizeibehörden; und zwar gemordet, indem man
den unglücklichen Opfern langdauernde Martern zufügte, unter
dem wilden Jauchzen und Lustgewieher der entmenschten
Menge. Es ist der christliche Bürgermeister Stratano witsch,
der diese Greueltaten bezeugt hat. Den Vorwand gaben Demon-
strationen zugunsten der Freiheit, an denen sich übrigens aucli
sehr zahlreiche Christen beteiligt hatten. Der Mohilewer Polizei-
meister Misgailo organisierte, unter Beistimmung des Orschaer
Isprawnik (Landrats) das Pogrom, indem er die Bauern der
224 Di^ Oktoberpogrome.
benachbarten Ortschaften bewaffnet heranzog, und zwar unter
Androhung von Strafe für die Säumigen. Der Erzpriester
MasloAv rief die Menge zur Verteidigung des Glaubens und zur
Abwehr von dessen Feinden auf. Der Isprawnik führte mit
seinen gesamten Beamten den Zug, dem die Kirchenfahnen
vorangetragen wurden. Die Soldaten waren von den Polizei-
beamten Ignatiew und Sirin in antisemitischem Sinne be-
arbeitet worden. ,,Um das jüdische Blut ist es nicht schade",
diesen Wahrspruch gab der Isprawnik aus. Dreißig Tote und
viele Verwundete unter den Juden blieben ungerächt. Die
amtlichen Mörder hatten ihren Zweck erreicht : die freiheitliche
Bewegung in Orscha war und blieb unterdrückt.
Posrome fielen noch an einzelnen Orten der Gouvernements
Wolhynien, Minsk, Mohilew, Witebsk vor. Am grausigsten
war das von Polotzk, wo man 12 Tote und 50 Verwundete
unter den Juden zählte.
Außerhalb des Ansiedlungsrayons gab es ein Pogrom in
Rostow, wo Polizei und Soldaten eine sehr zweifelhafte Rolle
spielten , mindestens nichts gegen die Huligans unternahmen.
Die Juden hatten zwei Tote und 40 Verwundete, darunter
einige aus der Selbstwehr. Ihr pekuniärer Schade wurde, von
ihnen wohl übertrieben, auf sechs Millionen Rubel eingeschätzt.
In Briansk, Gouvernement Orjol, bildete, aaIc an so vielen
Orten, eine freiheitliche Demonstration, an der übrigens fast
ausschließlich Christen teilnahmen, den Vor wand und Anlaß
zum Pogrom, das der Polizeimeister Danski leitete. Er selber
führte die Verwüster zur Synagoge, seine Untergebenen zu den
reichsten Judenhäusern. In Briansk hatten die ganz nicht-
politischen Juden auch nicht den mindesten Grund zum Wüten
gegen sie gegeben. Ebensowenig die 207 Juden in der Stadt
Jegorjewsk, Gouvernement Rjasan. Und doch brachte hier
eine harmlose von Christen gebildete Demonstration für das
Oktobermanifest, also für eine amtliche Kundgebung des Zaren,
die Ausführung eines vorher in allen Einzelheiten von der
Polizei organisierten Pogroms. Eine Strafe für die Räubereien,
die dabei erfolgt waren, gab es nicht. Als der Untersuchungs-
richter sich der Sache zu ernst annahm, wurde er abberufen
und sein Nachfolger verständigt, keinen Eifer zu zeigen, wenn
Die Oktoberpogrome. 225
er solchen nicht auch büßen wolle. Und so ging es weiter in
einzelnen Städten des östlichen Rußlands; selbst in Sibirien
blieb Tomsk nicht von einem Pogrom verschont, das unter den
Augen des Gouverneurs Asantschewsky-Asantschejew und
zum großen Teile durch die Soldaten und Schutzleute aus-
geführt wurde. Fast alle jüdischen Geschäfte wurden ausgeraubt,
viele Juden getötet. Die Richter, die die Sache ernstlich ver-
folgen wollten, wurden dann versetzt, ja einer Haussuchung
als politisch Verdächtige unterzogen.
Im großen und ganzen aber hatte — von einzelnen Ort-
schaften abgesehen — die Pogrombewegung sich hauptsächlich
über die Gouvernements Bessarabien, Cherson, Taurien, Jeka-
terinoslaw, Poltawa, Tschernigow, Kiew und Wolhynien, das
heißt über den Süden und Südwesten des Reiches ausgedehnt.
Polen und die litauischen Gouvernements Grodno, Kowno und
Wilna blieben ganz von ihnen frei. Im Südwesten und Süden
aber hatten die Plünderungen und Metzeleien Avährend der
wenigen Tage, die der Veröffentlichung des Verfassungsmanifestes
des Zaren folgten, vom 18. bis 29. Oktober, in 660 größeren
oder kleineren Orten stattgefunden. Die Gesamtzahl der
Oktoberpogrome beträgt etwa 725. In ihnen wurden ungefähr
eintausend Juden getötet, 7 bis 8000 verwundet oder auf
lebenslang zu Krüppeln geschlagen. Vierhundert Witwen,
1700 Waisen waren des Ernährers beraubt. Nicht minder groß
war der materielle Verlust: 201 000 Juden waren um 62 700 000
Rubel geschädigt worden. Aber das ist nur der unmittelbare
Verlust — viel größer und dauernder war der mittelbare. Zahl-
lose mittlere und große Geschäfte mußten ihre Zahlungen ein-
stellen und verbreiteten dadurch das Unheil noch weiter. Der
Handelsverkehr, der Wechseldiskont stockten selbst in den
wichtigsten Städten. Zahllose Kunden hatten ihre Kaufkraft
eingebüßt; Haß und Boykott wüteten zmschen der jüdischen
und der christlichen Bevölkerung, Zehntausende jüdischer
Handelsangestellter wurden durch den Niedergang oder die
Schließung der Geschäfte brotlos; ebenso viele Handwerks-
gesellen. Die Vermittler, Kommissionäre, ,, Luftmenschen"
waren ganz aus ihrem ohnehin spärlichen und problematischen
Verdienst gedrängt. Dreimalhunderttausend Juden verließen
Philippson, Neueste Geschichte der Juden, Bd. III. lo
226 Die Oktoberpogrome.
dieses Land des Fluches. Die Einwohnerschaft von Odessa
nahm in einem Jahre um 67 000 Seelen ab ; viele Städte,
wo die Juden die Mehrheit der Bewohner gebildet hatten,
verödeten zur Hälfte oder noch mehr. Was von den Juden
zurückblieb, hatte doch seinen Auslandspaß zu sofortiger
Abreise in der einen, den Revolver in der anderen Tasche.
Welches Dasein !
Etwa 5 600 000 Rubel Hilfsgelder sind an die Opfer der
Oktoberpogrome verteilt worden: ungefähr neun Prozent des
direkten Schadens. Das war verhältnismäßig nicht viel, aber
es brachte doch über das augenblickliche Hungerelend hinweg
und bot die Möglichkeit neuer wirtschaftlicher Tätigkeit. Aber
Hunderttausende waren durch die gräßlichen Erlebnisse derart
verbittert, verängstigt, aus allem seelischen Gleichgewicht ge-
bracht, daß sie entweder entsetzt in das Ausland flüchteten
oder sich apathisch und untätig der Zukunft überließen. Noch
andere sahen nur in der Gründung eines eigenen jüdischen
Staates, in der massenhaften Rückkehr in die engen Grenzen
Palästinas, in den zionistischen Idealen das Heil.
Binnen weniger Tage hat sich die Pogromtragödie in vielen
Hunderten von Orten abgespielt, und diese wenigen Tage
folgten ganz unmittelbar auf das Manifest des Zaren vom
17. Oktober, das mit seiner Verheißung einer ganz freiheitlichen
Verfassung das Ende der despotischen Herrschaft des russischen
Beamtentums zu verkünden schien. Dieses fühlte sich von Ver-
zweiflung ergriffen über den drohenden Verlust seiner Allmacht
und der fetten Einkünfte, die solche, verbunden mit der ver-
ruchtesten Bestechlichkeit und Habgier, ihm jahrein jahr-
aus verschafft hatte. Es suchte sich die lästige Freiheitsbe-
wegung vom Halse zu schaffen durch Niedermetzelung fried-
licher Arbeiteraufzüge und Demonstranten, Niederschießen
von Studenten und Schülern, Bauernterrorisierungen. Die
Militärkommandanten ließen jeden, der sich mißliebig machte,
ohne weiteres Verfahren erschießen und sprachen das in
öffentlichen Befehlen aus. Und in den Zusammenhang dieser
Bluttaten des um Macht und Geld kämpfenden Beamtentums
und Militarismus gehören auch die Pogrome. Erst so werden
ihre Ursachen und ihr Verln^f verständlich.
Die Oktoberpogrome. 227
Die Juden waren bisher den Beamten nur als ein Gegen-
stand der Ausbeutung erschienen. Demütig und unterwürfig
mußten sie, wenn sie überhaupt bestehen und erwerben wollten,
um die Gunst der großen, der kleinen und kleinsten Machthaber
buhlen. Das Ideal eines solchen Beamten war der Odessaer
Stadthauptmann Seljenoi gewesen, der die Juden zwang, vor
ihm den Hut zu ziehen, die Straßenbahnwagen zu verlassen,
wenn sonst für einen Offizier oder Beamten dort kein Platz
war, der alle Juden, auch die angesehensten, duzte und ohr-
feigte, aber ebenso seine tributären Leibeigenen schützte,
indem er sagte: ,,Ich werde meine Jüdchen nicht schlagen
lassen." Aus christlichen, zuverlässigen Zeugnissen geht un-
widerleglich hervor , daß die Beamten die unentwirrbare und
in sich widerspruchsvolle Menge der Ausnahmegesetze gegen
die Juden zu steter Eintreibung von Bestechungen benutzten.
An jedem Quartalstage wurden Judenrazzias veranstaltet,
deren Loskauf den bei weitem bedeutendsten Teil des ,, Gehalts"
der Polizeibeamten. Landräte und Gouverneure ausmachte.
Gouverneur Fürst Urussow führt an, daß die Beamten der Pro-
vinz Bessarabien jährlich eine Million Rubel ,, Nebeneinnahmen"
und zwar in der Hauptsache von Juden bezogen. Auf das ganze
Reich ausgedehnt, wächst dieser Posten auf 20 — 25 Millionen
Rubel, auf etwa 50 Millionen Mark deutschen Geldes an. Alle
diese Vorteile fielen mit dem xA.ugenblicke fort, wo die Juden
gleichberechtigt wurden — eine Aussicht, die die Bureaukratie
mit Schrecken erfüllte, und die um jeden Preis vereitelt werden
mußte. Daß die Juden an manchen Orten schon seit dem Jahre
1903 anfingen, eine selbstbewaißtere Stellung den Beamten
gegenüber anzunehmen, auf ihre Rechte und die zukünftige
Gestaltung der Dinge zu pochen, die Bestechungsgelder zu ver-
ringern, galt als Vorzeichen für den Verlust der von ihnen
bisher erwarteten sklavischen Demut und Freigebigkeit. Diese
,, jüdische Frechheit" mußte im Keime erstickt werden.
Aber die Ausplünderung und Niedermetzelung der Juden
hatte noch weit allgemeinere Bedeutung und Nützlichkeit für
die reaktionäre Beamtenschaft. Die Juden galten weitesten
Kreisen der planmäßig aufgehetzten Bevölkerung als ,, Fremde",
als ,, Feinde der Religion", und waren ihnen als solche ver-
15*
228 Die Oktoberpogrome.
dächtig und verhaßt. Bezeichnete und bestrafte man sie als
die eigentlichen Träger der Revolution, so übertrug man auf
diese selber all die Abneigung, die seit Jahren die ,, Recht-
gläubigen", die Nationalrussen gegen die Juden hegten. Die
von den Behörden den Massen gestattete Ausraubung der Juden
zog jene Massen von der revolutionären Bewegung ab und
kettete sie solidarisch an die Beamtenschaft; der ganze Vor-
gang trieb einen Keil in die revolutionären Schichten. Wie viele
von denjenigen, die noch eben an freiheitlichen Demonstrationen
teilgenommen hatten, ließen sich von der obrigkeitlich gebilligten
Raubgier zu wilden Pogromgenossen, zu brüllenden Begleitern
der den Mördern voraufziehenden Kaiserbildnisse und Kirchen-
fahne umwandeln ! An den meisten Orten , avo ein Pogrom
stattgefunden, war es mit der Freiheitspartei vorbei. Das Be-
amtentum und die ihm ergebenen Militärchefs hatten richtig
gerechnet.
Die wirklichen Verursacher der Revolution waren nicht
die Juden, sondern die Diebe, Betrüger, Unfähigen unter den
Ministern, hohen Offizieren und Beamten gewesen, die die
Niederlagen der Russen im Japanischen Kriege herbeigeführt
und damit die ganze Nichtsnutzigkeit und innere Fäulnis des
russischen Beamtendespotismus dem entsetzten Volke enthüllt
haben. Aber es ist unleugbar und war naturnotwendig, daß
in den meisten Städten, wo die Juden einen sehr beträchtlichen,
ja bisweilen den größten Teil der Bevölkerung bildeten, sie
auch eine große Rolle in den durch den Krieg hervorgerufenen
freiheitlichen Bestrebungen spielten. Waren sie nicht geknechtet,
mißhandelt, ausgebeutet, in weit höherem Grade als jede andere
Volksschicht ? Winkte ihnen nicht in der Freiheit eine goldene,
paradiesisch schöne Zukunft ? Waren sie nicht die gebildetsten,
die am meisten lasen und die Gabe schnellster Auffassung be-
saßen ? Und doch ist in dem Stadium der Vorbereitung des
Umschwungs ihr Anteil weit überschätzt Avorden. Im ganzen
haben sie in den Jahren 1901 — 1903 zu den städtischen poli-
tischen Verurteilten nur das doppelte Kontingent im Verhältnis
zur allgemeinen städtischen Bevölkerung gestellt. Allerdings
an denjenigen Orten, wo sie die Hälfte oder gar die Mehrheit
der Einwohnerschaft ausmachten, mußten sie als die eigent-
Die Oktoberpogi'ome. 229
liehen Revolutionäre erscheinen. Aber das war ja nur ein
Vorwand. Denn die Pogrome wurden von der Bureaukratie
auch in Städten oder gar Dörfern inszeniert, wo es nur ganz
wenige Juden gab, oder wo diese überhaupt keine politische
Rolle gespielt, sondern in altüberlieferter Ausschließlichkeit
dem Talmudstudium und dem Erwerbe nachgegangen waren.
In Ovidiopol, Rasdjelnaja, Bogopol-Golta-Olviopol, Sem-
jonowka, Kriwoi-Rog, Klintzy. Koseletz, Miropol. Kalarasch
und zahllosen anderen Pogromortschaften hatte es überhaupt
keien oder doch nur lächerlich kleine freiheitliche Demonstra-
tionen gegeben; in anderen, Avie in Bajramtscha, hatten gerade
die Juden sich von solchen grundsätzlich ferngehalten. Wenn
die Behörden also dort Judenhetzen veranlaßt oder doch be-
günstigt haben, so ist das ein vollgültiger Beweis, daß sie einem
allgemeinen Losungsworte gehorchten, daß die Pogrome von
der Bureaukratie systematisch, zu bestimmten eigennützigen
ZAvecken hervorgerufen worden sind. Ebenso waren dort, wo
wirklich revolutionäre Kundgebungen stattgefunden hatten,
solche meist seit mehreren Tagen unterdrückt, als die Pogrome
losbrachen; diese waren also keine Notwehr der Regierung
gegen aufrührerische Judenmassen; abgesehen davon, daß eine
solche Notwehr wohl keiner Regierung geziemt hätte.
Die große Mehrzahl der Juden schloß sich auch damals
noch von den politischen Ereignissen grundsätzlich ab, und
fast die Gesamtheit hatte dies ein Viertel Jahrhundert früher
getan. Alle hervorragenden Revolutionäre, alle Urheber der
Attentate auf Alexander II. waren Christen gewesen. Trotzdem
hatte die Reaktion schon im Beginne der achtizger Jahre die
Revolution durch die Behauptung zu verdächtigen gesucht,
daß sie vorzüglich von Juden herrühre. Sie bildete diese Un-
Wahrheit zu einem wahren Systeme aus, um der loyalen Masse
des russischen Volkes die Hebräer als Feinde des Reiches und
des Zaren zu schildern. Aber nicht allein die Gesetzestreue
des Volkes rief man gegen die Juden auf, sondern auch die
sozialen Instinkte, indem man ihm fortwährend die Juden als
Wucherer, Ausbeuter und Blutsauger darstellte. Ferner er-
weckte man die allen, besonders den Ungebildeten, inneA\ohnende
Herrschgier, indem man darauf hinAvies, daß diese revolu-
230 Die Oktoberpogrome.
tionäreii Juden eine fremde, untergeordnete Rasse seien, die
mit Unrecht Gleichberechtigung und Freiheit fordere. Und
endhch stachelte man den kirchlichen Fanatismus gegen die
Feinde Gottes, Christi, der allerheiligsten Jungfrau an. Diese
Fülle von Motiven, verbunden mit der nacktesten Beutegier
und Mordsucht, mußte auf die Massen einen hinreißenden Ein-
fluß üben. Galten doch das ,, Schlagen" und das Ausplündern
der Juden als ein Gott und dem Zaren wohlgefälliges Werk,
dessen Unterlassung Strafe, dessen Vollbringung Lohn bringen
werde.
Wie sehr das Pogrom von den Behörden ausging, ergibt
sich noch aus mehrfachen Tatsachen. Dutzendmale benutzten
sie es als Drohmittel: wenn eine freiheitliche Demonstration
oder gar Erhebung stattfinde, würden sie ein Pogrom loslassen.
Die bureaukratische Gepflogenheit, den Rabbinern unter deut-
lichen Hinweisen auf ein Pogrom einzuschärfen, daß sie die
jüdische Jugend von der Freiheitsbewegung fern halten sollten,
wurde sogar außerhalb des Ansiedlungsrayons geübt. Nach den
Pogromen pflegten Gouverneure, Landräte und Pohzeimeister
den Juden zu sagen: ,,Ja, wäret ihr doch von den Versamm-
lungen fortgeblieben." Unter Androhung eines Pogroms ver-
langten die Behörden sogar von den Juden die Nichtswürdig-
keit, selber ihnen die Demokraten auszuliefern — eine Nieder-
tracht, die die Israeliten, es sei zu ihrer Ehre gesagt, nirgends
begangen haben. Schon 1903, in Homel, erwiderten die höchsten
Beamten den um Hilfe flehenden Juden: ,,Wir werden dem
Pogrom unverzüglich ein Ende machen, wenn ihr uns eure
Demokraten übergebt!"
Es ist durch amtliche wie durch nichtamtliche, öffentliche,
nirgends widersprochene Zeugnisse bewiesen, daß bereits gegen
Ende des Sommers 1905 eine weitverzweigte und systematisch
funktionierende Pogromorganisation unter den Mitgliedern der
höchsten Verwaltungs- und Militärbehörden bestand. Ihr Leiter
in der Petersburger Zentrale war General Eugen Bog dano witsch.
Zahlreiche jetzt namentlich bekannte Generalgouverneure,
Gouverneure und Stadthauptleute waren ihre hervorragenden
Mitglieder. Bogdanomtsch hatte einen Kampfverband gebildet,
der über 6000 Leute umfaßte; er zerfiel in lokale , .Hundert-
Die Oktoberpogrome. 231
Schäften", die eifrig Anhänger warben. Deren Vertreter
hielten Anfang Oktober eine Konferenz ab, die beschloß, die
Pogrome auszuführen, mit denen man sowohl der Revolu-
tion einen Schlag zu versetzen als die höchsten Sphären des
Staates der Reaktion nachgiebig zu stimmen gedachte. Die
offiziellen Amtsblätter bereiteten sie durch planmäßige Hetzerei
gegen die Juden wirksam vor, und ebenso antisemitische Flug-
blätter, wie ,,Ein freundschaftlicher Rat an die Juden", mit
denen seit dem Ende des Sommers 1905 das Land massenhaft
überschwemmt wurde. Jener ,, freundschaftliche Rat" war von
dem Wirklichen Staatsrat Alexander Lawrow verfaßt und in
der Druckerei des Petersburger Stadthauptmanns hergestellt.
Er bedrohte die Juden mit Massenabschlachtung, wenn sie
nicht alsbald das heilige Rußland verließen.
Diese Organisation erklärt es, daß die Pogrome so auf
einen Schlag, zur selben Zeit, als Antwort auf die Verfassungs-
zusage des Zaren erfolgen konnten. Es versteht sich, daß die
Ausschreitungen nicht direkt von den höchsten Provinzial-
beamten anbefohlen wurden; so unvorsichtig durften sie nicht
auftreten. Allein sie zeigten ihren Willen ihren Untergebenen
so klar, daß diese nicht im Zweifel sein konnten, was sie zu tun
hätten. Sonst hätte es auch in einer so strengen Organisation,
wie die der russischen Polizei ist, nicht vorkommen können,
daß deren untere Befehlshaber die Polizeidiener zum Schutze
der Tumulte vind zur Teilnahme daran hätten befehligen können,
wie es tatsächlich der Fall gewesen ist. Schon Tage vorher
kündigten Polizeibeamte einzelnen Juden das kommende Po-
grom an oder warnten sie davor. Diese Weissager des Pogroms
wurden dann seine Ausführer; sie waren es, die die Menge in
Wut versetzten, sie leiteten, ihr die Häuser und Personen der
Juden zum Opfer wiesen. Sie waren es, die Wochen vorher
gehetzt, antisemitische Zeitungen und Brandschriften in Masse
verbreitet, die Polizeibureaus zu Herden der Agitation gemacht
hatten. Sie veranstalteten Versammlungen, wo die Pogrome
beschlossen und vorbereitet wurden. Sie und die Militärbefehls-
haber verteilten Gewehre unter die Bauern zum Angriffe auf
die Hebräer. Sie verbreiteten die Gerüchte, die Juden seien
im Anzüge, um die Rechtgläubigen abzuschlachten; diese be-
232 Die Oktoberpogrome.
schimpften die Kruzifixe, entweihten und zerstörten die Kirchen.
Sie führten die rohen und fanatisierten Bauernhorden in die
Städte, um dort die Juden zu plündern und zu morden. Sie
bedrohten die Nichterscheinenden mit einer Geldstrafe von
dreißig Rubeln. Sie räumten den herangezogenen Mordgesellen
zum Übernachten die Verwaltungsgebäude ein. Und die Oberen,
die das sahen und kannten , und die mit einem Worte den
ganzen Spuk hätten zerstreuen können, ließen alles wohl-
gefällig geschehen und erwiesen damit ihre Billigung dieser
wilden Vorgänge.
Alles das sind nicht Gerüchte, Annahmen, Phantasiebilder,
sondern es sind durch gerichtliche und beeidete Aussagen der
Angeklagten und Zeugen sowie durch behördliche Unter-
suchungen bewiesene Tatsachen.
Besonders drastisch lauteten die Aussagen eines Pogrom-
teilnehmers von Nikolajew: ,,Ich bin kein Mörder; der Stadt-
hauptmann zahlt mir für vierundzwanzig Stunden zehn Rubel,
und ich erfülle ehrlich sein Gebot."
Ein beliebtes Mittel zur Herbeiführung von Pogromen
war die Inszenierung loyaler Massenkundgebungen. Wir haben
gesehen, daß diese von den höchsten Verwaltungs- und Militär-
beamten vieler Provinzen veranstaltet und in das Pogrom über-
geleitet wurden. An anderen Orten mußten — verkleidete oder
unverkleidete — Schutzleute aus den Häusern schießen und so
den Schein erwecken, als ob die Juden auf die Christen feuerten.
Besonders beliebt waren derartige Schüsse, wenn Kosaken
vorüber ritten, damit man glaube, die jüdischen Revolutionäre
hätten es auf die Soldaten abgesehen.
Ganz unbegründet ist die Ausrede der schuldigen Macht-
haber, sie seien dem spontanen Ausbruche der Volkswut gegen
die Juden nicht gewachsen gewesen und hätten solcher des-
halb freien Lauf lassen müssen. Wir wissen, was es mit jener
Spontaneität auf sich hatte. Überdies stand in den Oktober-
tagen 1905 neben der starken Polizeimacht ein ganzes Heer
zur Unterdrückung der Unruhen zu Gebote. In Odessa gab es
20 000 Soldaten, in Kiew 25 000, in Jekaterinoslaw 5—6000,
in Kischinew über 2000, in Rjäsan an 3000, in Nikolajew 3200,
und so weiter. Es bedurfte aber einer solchen Macht gar nicht.
Die Oktoberpogrome. 233
Sobald die Obrigkeit genug von dem Pogrom hatte, genügte
die Ankündigung, die Soldaten Avürden schießen, oder das Auf-
treten einiger Dutzend Kosaken, um das ganze feige Mord-
gesindel auseinanderstieben zu lassen, das ja nur auf seine
Straflosigkeit gepocht hatte. Nein, Polizisten und Soldaten
durften sich tagelang an dem Rauben und Töten beteiligen,
und ihre Befehlshaber ermunterten dazu und billigten es. Der
Gouverneur von Jaroslawl hielt eine aufhetzende Ansprache
an die Huligansmenge , und General Kaulbars sagte öffent-
lich: ,, Gestehen wir es ein, wir alle sympathisieren mit dem
Pogrom." Hohe Geistliche, wie der Bischof Hermogen von
Saratow, reizten von der Kanzel herab wochenlang das gläubige
Volk zur Vernichtung der Juden auf oder segneten, wie der
Metropolit von Kiew, die blut- und beutegierige Menge. Selbst
der jetzige Ministerpräsident Stolypin durfte in der Duma,
ohne daß er zu widersprechen wagte, vor dem ganzen Lande
beschuldigt werden, daß er als Gouverneur von Saratow sich
die Gunst und Zustimmung der Huligans erworben habe.
Die amtlichen Veranlasser der Pogrome trafen mit ihren
ruchlosen Agitationen nur zu sehr auf wohlvorbereiteten Boden.
Ganze Kategorien der sonstigen Beamtenschaft waren von
dem sorgsam verbreiteten antisemitischen Geiste ergriffen und
fürchteten, die Gleichberechtigung der Juden würde diese zu
ihren Herren machen; sie würden ,,den Juden die Stiefel putzen
müssen". So diejenigen Bestandteile des Eisenbahnpersonals,
die nicht revolutionär gesinnt waren; so die Post- und Tele-
graphenbeamten; so die Feuerwehr, die freilich an manchen
Orten nur im Hinblick auf die bevorstehenden Pogrome organi-
siert worden war; so die gesamten Hauspförtner, die in Ruß-
land gänzlich von der Polizei abhängig, eigentlich deren Ge-
hilfen sind. Im ganzen zeigten sich alle Anhänger der Reak-
tion wenn nicht als Teilhaber, so doch als Freunde des Pogroms,
da sie in den Juden die hauptsächlichen Anhänger und Förderer
der liberalen Bestrebungen zu erblicken gelehrt waren. Die
Mehrzahl der Bauern wurde überdies durch die Aussicht auf
Plünderung, auf mühelose Bereicherung gewonnen. Die Bauern
hegten im Grunde keinen Judenhaß und haben sich gegen
einzelne Juden mitleidig gezeigt, auch kaum blutige Greuel-
234 Die Oktoberpogroiiie.
taten verübt. Aber sie meinten, der Zar habe ihnen die Aus-
raubung der Juden gestattet, ja anbefohlen. Kleinkaufleute
und Handwerker wollten sich dagegen bei dieser Gelegenheit
der jüdischen Konkurrenz entledigen und machten aus solcher
Gesinnung gar kein Hehl. An vielen Orten bildeten gerade
diese Klassen die Hauptmasse der Pogromhelden. Die Arbeiter
waren vielfach durch die von den revolutionären Führern an-
befohlenen Ausstände und den dadurch be^\^rkten Arbeits-
mangel gegen den Liberalismus gereizt und warfen sich deshalb
auf die Juden als vermeintlich hauptsächliche Repräsentanten
der ,, Demokraten", die ihnen ihr Brot wegnähmen. Viele
Arbeiter, die sich früher freisinnig, ja revolutionär gezeigt hatten,
ließen sich ganz einfach von dem ansteckenden Trieb zur gefahr-
losen Bereicherung zur Anteilnahme an den Plünderungen
fortreißen. Die städtischen Vertretungskörper setzten sich zu-
meist aus dem Kleinbürgertum zusammen und teilten dessen
Gesinnungen und Abneigungen. Nur an elf Pogromorten waren
die Stadtverwaltungen dem Pogrom feindhch; die anderen
sympathisierten mit ihm in mehr oder weniger offener Weise.
Unter diesen pogromfreundlichen örtlichen Honorationen be-
fanden sich leider auch manche akademisch Gebildete. Die
Geistlichkeit endlich hat nur an wenigen Orten sich den Gewalt-
taten widersetzt, an den meisten hat der Fanatismus sie zu
Mitanstiftern oder doch Gönnern der Judenlietzen gemacht.
Gab es denn im russischen Volke gar keine Elemente, die
sich von der Pogromsünde frei hielten ?
Die große Mehrzahl der Gebildeten verdammte sie von
Herzen und erließ zum Teil energische Kundgebungen gegen
die das russische Volk entehrenden Vorgänge. Ebenso die
Sozialdemokratie, die schon vorher durch weitverbreitete Auf-
rufe ihre Anhänger aufgefordert hatte, bei etwaigen Juden-
krawallen für die Juden Partei zu nehmen. Wirklich haben an
einigen Orten die organisierten Arbeiter versucht, die Juden
zu beschützen oder unmittelbar Hilfstruppen zu deren Selbst-
wehr gestellt. Aber die Sozialdemokratie zeigte sich im ganzen
weder so ausgedehnt, wie sie behauptet hatte, noch sehr ein-
flußreich auf ihre nominellen Mitglieder. Es ist ihr nur an wenigen
Orten gelungen, das Unheil von den Juden abzuhalten oder
Die Oktoberpogronie. 235
es auch nur zu mindern. Die Parteiorgane äußerten ihre herbe
Enttäuschung über die zweideutige oder gar offen pogrom-
freundhche Haltung eines großen Teiles der Arbeiterschaft.
Nach den Unglückstagen, deren gewaltige Wirkung zugunsten
der Reaktion die Führer der revolutionären Bewegung sehr
wohl erkannten, haben sie dann von den ihnen ergebenen
Arbeitern Protestkundgebungen gegen die Pogrome ergehen
lassen.
In der Tat hatte alles, was freier dachte, die dringendste
Veranlassung, wider die Pogrome aufzutreten, nicht allein aus
menschlichem Mitleid mit den gemarterten, geplünderten und
gedemütigten Juden — für diese hegten auch die linksstehenden
Russen nur selten echtes Mitgefühl — als aus Furcht vor der
anschwellenden Macht der Reaktion, die aus dem leichten Ge-
lingen der Pogrome die Überzeugung gewann, daß ihr alles er-
laubt sei, daß Liberalismus und Revolution gegen Polizei und
Militär wehrlos seien. Das ist die allgemeine, schwerwiegende
Bedeutung der Oktoberpogrome für ganz Rußland.
Kapitel Vier.
Die Reaktion und die Juden.
JUie Bedeutung und Möglichkeit der Judenverfolgung des
Oktober 1905 "svird man nur verstehen, wenn man die Beschaffen-
heit der russischen Volksseele auf der einen und die Gepflogen-
heiten der russischen Bureaukratie auf der anderen Seite in
Betracht zieht. Erst dann Avird die anscheinende Unbegreif-
lichkeit der massenhaften Pogrome und das Mißtrauen gegen
die Juden — als ob diese durch ihre besonderen schlimmen
Eigenschaften mit an diesen Vorgängen schuldig gewesen seien —
verschwinden.
Das russische Volk ist das gläubigste der Welt, doch nicht
im Sinne wahrer und abgeklärter, von echter Sittlichkeit durch-
drungener Religiosität, sondern in der Weise der Naturvölker,
aus Aberglauben, aus Furcht vor den höheren Mächten und
dem Wunsche heraus, diese sich günstig zu stimmen. Durch
eifrige Befolgung der kirchlichen Gebräuche sucht man Gott,
Christus, die heilige Jungfrau und besonders seinen Schutz-
heiligen zu geAnnnen und ist überzeugt, durch solche rein äußer-
liche Frömmigkeit diese Mächte, die man in Bildern jeder Art
anbetet, zum Schutze zu verpflichten. Dogmen, Formeln und
Überlieferung sind die Grundlagen der russischen Religion, die
keine Sittlichkeit, die nur mechanische Erfüllung der Gebräuche
und knechtische Unterwerfung fordert. Man halte nur streng
die Festtage und Fastenzeiten, und man ist der frömmste und
gläubigste Christ. Mord und Diebstahl, durch ein Kreuzschlagen
eingeleitet und geweiht, sind, nach der russischen Volksauf-
fassung, harmlose und entschuldbare Vergehen im Vergleiche
zu dem Verbrechen, in der Fastenzeit Fleisch, Eier und Mehl-
Die Reaktion und die Juden. 237
speise zu genießen, die heiligen Bilder nicht anzubeten oder den
Kirchenbesuch zu unterlassen. Die Kirche ist aber auf das
engste mit dem Zarentume verknüpft, in dem sie ihr Haupt
und ihren Mittelpunkt zu verehren gelernt hat. So ist für die
gläubigen Russen — und das ist die ungeheure Mehrheit des
Volkes — des Zaren Wille Gottes Wille. Selbst dem Verbrecher,
dem Räuber ist der Zar noch immer der Inbegriff alles Heiligen
auf Erden. Was er befiehlt, Gutes oder Übles, ist göttliches
Gebot; denn Gott schickt seinem Volke einen Zaren, wie es
ihn verdient, bald einen milden, bald einen harten, und dem muß
man sich demütig unter Averfen. Erhöht der Zar jemanden, so
hat man sich diesem zu unterwerfen; befiehlt er, diese oder jene
zu vernichten, so muß man sie töten.
Solches sind noch heute, mit Ausnahme der Gebildeten
und eines Teiles der städtischen Arbeiterschaft, die Anschau-
ungen und Empfindungen des russischen Volkes.
Das Beamtentum hat sie benutzt, um alles, was an Selbst-
ständigkeit auch nur anstreifte, rücksichtslos mit allen JMitteln
der Grewalt auszurotten. So geschah es noch jüngst mit der
unschädlichen Sekte der Duchoborzen, der Quäker Rußlands:
im Jahre 1895 überfielen allenthalben auf höheren Befehl die
Kosaken die Duchoborzen, töteten die Männer und verge-
waltigten die Frauen, von den übriggebliebenen wurden die
Führer nach Sibirien verschickt. Nicht anders verfuhren die
Regierungsorgane gegen die Armenier in Transkaukasien, die
sich die Einziehung ihrer gesamten Kirchenschätze durch den
Staat nicht ruhig gefallen lassen wollten. Bis in die ersten Jahre
unseres Säkulums hatten dort die mohammedanischen Tataren
und die christlichen Armenier trotz der Verschiedenheit ihres
Bekenntnisses und trotz der Neigung der Tataren zu Gewalt-
tätigkeiten zunächst in friedlichem Einvernehmen gelebt. Erst
der von oben her gepflegten systematischen Verhetzung gelang
es, blutige Zwietracht zwischen beide Nationalitäten zu säen.
Es kam 1906 an vielen Orten, besonders in Elisawetpol, Nachi-
tschewan, Eriwan, Baku, Tiflis selbst, zu Angriffen der Tataren
auf die Armenier, zu Plünderungen und Metzeleien, die einen
um so schrecklicheren Verlauf nehmen konnten, als die Soldaten
auf Befehl ruhig zusahen. Also ganz wie bei den Judenpogromen !
238 Die Reaktion und die Juden.
Und wohl gemerkt, hier handelte es sich um Verfolgungen, die
die Regierung durch die ., Ungläubigen" gegen Christen ins Werk
setzte, dieselbe Regierung, die sich emphatisch als eine ,, christ-
liche" bezeichnete, sich als Verteidigerin des Christentums gegen
dessen Feinde laut proklamierte. Die traurige Heuchelei und
sewissenlose Herrschsucht des russischen Beamtentums können
gar nicht deutlicher erwiesen werden.
Nicht anders ging es in den Ostseeprovinzen gegen die
Deutschen. Schon seit lange war hier unter Nikolaus II. die
planmäßige Russifizierung wieder aufgenommen, die Volks-
schule nur auf dieses Ziel hin eingerichtet und verwendet worden.
Daneben wurden die ,, unter drückten" Letten zum Kampfe
gegen die Deutschen aufgerufen, durch Verheißungen aller Art
und Schnaps dem ,, deutschen Luthertume" abtrünnig gemacht
vmd für die orthodoxe Kirche gewonnen. Es war den Macht-
habern ganz gleichgültig geblieben, daß darüber Volksbildung,
Sittlichkeit und Religiosität heillos in Verfall gerieten.
Es bildete sich also, von der Regierung begünstigt, eine
nationalistische Partei unter den Letten. Kaum war sie hin-
reichend erstarkt, befahl ihr die Regierung, sich zu russifizieren.
Darüber trat aber eine Spaltung unter den Letten ein: die
jüngeren, freisinnigen unter ihnen warfen sich lieber der Sozial-
demokratie in die Arme, indem sie deren Lehren aus der massen-
haft aus Deutschland bezogenen einschlägigen Literatur
schöpften. Die Polizei führte 1897 gegen die lettische Demo-
kratie einen furchtbaren Schlag. Aber im geheimen erholte
letztere sich von diesem und trieb eine starke Propaganda.
Außer der lettischen entstand in den Ostseeprovinzen auch
eine jüdische Sozialdemokratie, die sich dem ,,Bund" anschloß.
So bildete sich im September 1904 ein sozialistisches Föderativ-
komitee, bestehend aus drei Vertretern des Zentralkomitees
der lettischen sozialdemokratischen Partei und aus drei Ab-
geordneten des jüdischen Bundes; dazu traten im Frühjahr
1905 noch drei Erwählte der Rigaschen Ortsgruppe der russischen
Sozialdemokratie. Aber fern von dieser Organisation stand die
weit radikalere ,,Ssawenniba", die Partei der lettischen Sozial-
revolution, die mit dem ,, Föderativkomitee" ganz gebrochen
hatte. Sie war es, die im Anschluß an die russische Revolution
Die Reaktion und die Juden. 239
im Februar und März 1905 Unruhen gegen die deutschen Guts-
besitzer und große Arbeitseinstellungen der städtischen Fabrik-
arbeiter hervorrief. In auffallender Weise verweigerten die
Gouverneure Swerbejew von Kurland und Paschkow von Liv-
land jede Repressivmaßregel. Ja, die Polizei hetzte überall die
Bauern gegen die Gutsbesitzer auf, und die Gendarmen ver-
brüderten sich vielfach mit den Revolutionären. Nur durch das
Geschehenlassen, ja die stille Förderung der Regierung konnte
die soziale Revolution in den Ostseeprovinzen so furchtbar
anwachsen.
Der Gouverneur von Estland dankte völlig vor den revolu-
tionierenden Arbeitern Revals ab ; als aber die Stadtverwaltung
mit Hilfe des gutgesinnten Teiles der Arbeiterschaft die Ruhe
hergestellt hatte, ließ er auf die nun friedlichen Massen schießen !
In Dorpat überantwortete der plötzlich ,, erkrankte" Polizei-
meister dem sozialistischen Komitee den Schutz der öffent-
lichen Sicherheit.
Die Regierung wollte damit ein Doppeltes erreichen : einmal
die Freiheitsbestrebungen bei allen ruhig denkenden Elementen,
namentlich den Gebildeten und Wohlhabenden in den baltischen
Provinzen verhaßt machen; und dann die Eigenart der Deut-
schen dort brechen, sie wohl oder übel dem Russentum unter-
würfig stimmen. Die ,,Nowoje Wremja" vom 16. Mai sprach
das offen und triumphierend aus : nur völliger Anschluß an das
Russentum vermöge die baltischen Deutschen zu retten.
Zur Beschleunigung dieses Prozesses suchte die Regierung
auch in den Ostseeprovinzen Pogrome ins Werk zu setzen. So
in Libau seit dem 18. Oktober 1905. Und hier zeigte sich, daß
die große Mehrheit der baltischen Juden die Richtung des
sozialistischen ,, Bundes" verurteilte und vielmehr dem ge-
mäßigt liberalen Konstitutionalismus angehörte. Ein Beweis
dafür ist der Aufruf, den die Libauer Israeliten am 22. Oktober
erließen und in der ,, Libauer Zeitung" veröffentlichten:
,, Übelgesinnte Persönlichkeiten verbreiten in der Stadt
Proklamationen und Aufrufe, in denen gegen die Juden schwere,
vollkommen unbegründete Beschuldigungen erhoben werden.
Sie erklären, daß die Juden mit der vom Zaren verliehenen
Konstitution unzufrieden sind und nach einer republikanischen
240 Die Reaktion \ind die Juden.
Verfassung streben, um die Macht in ihre Hände zu bekommen.
Bürger ! Eure jüdischen Mitbürger protestieren mit tiefen Un-
willen gegen diese Insinuationen. Sie erklären, daß sie zu-
zammen mit ihren Mitbürgern ehrlich für die Rechte aller, für
einen Rechtsstaat und eine konstitutionelle Monarchie gekämpft
haben. Es lebe die Brüderlichkeit. Es lebe die friedliche Kultur-
arbeit ! Es lebe die konstitutionelle Monarchie !"
Damit war dem Libauer Pogrome jeder Boden entzogen.
Auch in Riga suchten die Regierungsorgane am Ende des
Oktober 1905 ein Pogrom herbeizuführen, um die freiheitliche
Bewegung zu lähmen. Man fand russisch geschriebene Zettel
in den Straßen: ,, Schlagt die Juden!" Wirklich kam es am
23. Oktober zu einem Pogrome seitens der Rigaer Soldaten
und des russischen Pöbels. Aber die Juden setzten sich zur
Wehr; ein heftiger Kampf brach aus, und zehn Tote, siebzig
Verwundete blieben auf dem Platze. Selbstverständlich wurde
nachher die amtliche, schon durch das Dasein jener aufreizenden
Zettel mderlegte Lüge ausgesprochen, die Juden hätten das
Gemetzel angefangen. Die Arbeiter wußten wohl, wie es sich
mit dieser kecken Unwahrheit verhielt: sie veranstalteten am
1. November 1905 über den Polizeiregistrator Kluge in Libau
förmliches Gericht und erschossen ihn, weil er die ..Schwarzen
Hundert" zu einem Pogrome gedungen hatte. Die Waffen der
Bureaukratie waren überall dieselben: List, Gewalttaten, Mord,
gegen Armeiüer und Deutsche ebensogut wie gegen die Juden.
Allein im ganzen hatten die reaktionären Umtriebe des
russischen Beamtentums einen großen Erfolg. Die Revolution
war mißglückt. Sie war das Werk der Gebildeten und des
sozialistisch gesinnten Teiles der Arbeiterschaft gewesen. Die
große Mehrzahl des russischen Volkes stand ihr gleichgültig,
ja feindlich gegenüber. Und was die Hauptsache war, das
Militär blieb, wenige Regimenter und die Besatzung eiiüger
Kriegsschiffe abgerechnet, der Regierung treu, und gegen die
furchtbar zerstörende Gewalt der modernen Schußwaffen
konnten Aufstände nichts ausrichten. Dazu kam, daß die mit
großer Tatkraft und bewundernswerter Selbstaufopferung aus-
geführten revolutionären Stöße in der Vereinzelung blieben.
Es fand sich keine mächtige Persönlichkeit von alles über-
Die Reaktion und die Juden. 241
ragender Größe, von allgemeinem Einflüsse, es fand sich nicht
einmal eine Organisation, die die Revolution im Zusammen-
hange und planmäßig geleitet hätte. So blieb bei allen Zu-
sammenstößen die Regierung Siegerin. Auch der zum ersten
Male geglückte Generalstreik, zumal seitens der Eisenbahner,
scheiterte bei dem zweiten und dritten Wiederholungsversuche.
Damit gewannen die reaktionären Elemente und das Be-
amtentum immer stärkere Zuversicht und wußten den Zaren
in diesem Sinne zu bearbeiten. Dieser freilich war durch den
unglücklichen Ausgang des Japanischen Krieges und durch die
revolutionären Putsche derart niedergedrückt, daß er noch eine
Zeit lang in dem liberalen Sinne sich fortschieben ließ. Am
1. November 1905 A\Tirde ein einheitlicher Ministerrat mit
Unterordnung unter einen Präsidenten eingesetzt, eine offen-
bare Beschränkung der zarischen Macht; und zum Minister-
präsidenten wurde der mit Westeuropa und dem Liberalismus
kokettierende Graf Witte ernannt. Das Wahlrecht zur allge-
meinen Duma gewährte sehr weitgehende volkstümliche Rechte.
In der Tat fielen die Wahlen überwiegend demokratisch aus.
Auch zwölf Juden wurden Abgeordnete, und darunter nur
zwei von solchen Wahlkörpern, wo die Juden die Mehrheit
der Stimmen besaßen. Aber gerade der demokratische Cha-
rakter der Wahlen stieß den Zaren ab, und da er die Furcht
vor der Revolution allmählich verlor, setzte die Reaktion bei
ihm siegreich ein. Witte erhielt seine Entlassung, und sein
Kabinett wurde durch ein Ministerium Gorcmykin ersetzt
(Mai 1906), dessen hervorragendstes Mitglied der neue Minister
des Innern, der erst dreiund\aerzig jähr ige Peter Arkadjewitsch
Stolypin wurde, ein gemäßigter Reaktionär, der übrigens schon
nach drei Monaten an Goremykins Stelle die Präsidentschaft
übernahm. Am 10. Mai 1906 war die erste russische Volks-
vertretung eröffnet worden; als sie aber sich entschlossen demo-
kratisch-konstitutionell erwies, verfiel sie schon am 21. Juli
dem Schicksal der Auflösung. Stolypin, der in dieser Versamm-
lung gar keine Anhänger gefunden hatte und den in den höchsten
Kreisen wehenden Wind sehr wohl erkannte, warf sich einst-
weilen dem reaktionären Verbände echt russischer Leute in
die Arme, der dadurch eine wesentliche Stärkung erfuhr.
Philipp.^on. Xeueste Geschiclito der Juden, Inl. III. 16
242 Die Reaktion und die Juden.
Stoljrpin gibt sich dem Auslande gegenüber gern als ein
aufgeklärter, auch den Israeliten wohlwollender Mann. Seine
wahre Gesinnung aber hat er im Jahre 1910 bei dem
Empfange der Abordnung des jüdischen Kongresses aus-
gesprochen, die von dem Baron David Günzburg geführt wurde.
Als sie die Hoffnung ausdrückte auf Besserung der Lage ihrer
Glaubensgenossen, erwiderte der Ministerpräsident: die Juden
hätten durch ihre Teilnahme an der Revolution sich selbst ge-
schadet, und zumal der ,,Bund" habe einen bitteren Nach-
geschmack hinterlassen. Das russische Judentum sei dem alten
Testament abtrünnig geworden, während es dem neuen sich
nicht angeschlossen habe. Solchen Anklagen, die ganz dem
Stichworte der Bureaukratie und der echt russischen Leute
entnommen waren, entsprach die Aussicht für die Zukunft:
wenn die Juden fernerhin im Geiste der Religion und der
Treue dem Zaren gegenüber erzogen würden, dürfe man all-
mählich eine Besserung ihrer Lage erwarten; eine Bürgschaft
könne er jedoch hierfür nicht geben. Baron Günzburg hatte
nur noch Zeit, wahrheitsgemäß zu erwidern, daß der Umfang
der Teilnahme der Juden an der Revolution sehr übertrieben
werde — dann war die Audienz schon zu Ende, die kaum eine
Viertelstunde gedauert hatte.
Wenn solche Abneigung an hoher Stelle sich unverhohlen
aussprach, durfte sie in allen Kreisen des Tschin sich in derbster
und gewalttätigster Weise Luft machen. Stolypin hat offenbar
durch seine Haltung lediglich die Judenfeinde ermutigt.
Er duldete tatsächlich das Zusammentreten eines ,, Kon-
gresses der monarchischen Parteien", das heißt der Ver-
fassungsgegner, in Kiew, der unter Führung zweier wohl-
bekannter Judenverfolger Gringmut und Dubrowin den Um-
sturz der Verfassung und die Judenhetze verherrlichte. Dubro-
win, der Vorsitzende des Verbandes echt russischer Leute,
wurde bei Hofe empfangen und erhielt bedeutenden Einfluß
auf die Regierungssphären. Der Zar selber bekundete deut-
lich seine Vorliebe für den Verband, empfing dessen Depu-
tationen und legte demonstrativ selber dessen Zeichen an,
wenn hohe Beamte sich bei ihm über dessen Ausschreitungen
zu beklagen kamen. So weit war es mit dem Monarchen ge-
Die Reaktion und die Juden. 243
kommen, der wenige Monate früher das freiheitliche Oktober-
manifest verkündet hatte, gegen das doch der Verband be-
gründet worden war. Dessen Ausgaben wurden nunmehr zum
großen Teile durch Staatsgelder gedeckt; die allmächtige ge-
heime Polizei stand unter seiner Leitung. Die Mordtaten an
politischen Gegnern, zum Beispiel dem Abgeordneten Herzen-
stein, die der Verband anordnete, wurden durch Beamte der
kaiserlichen Geheimpolizei verübt ; der Anstifter der Ermordung
Herzensteins war, wie durch gerichtliche Aussagen unzweifel-
haft beAAdesen ist, Dubrowdn selber, der Freund des Zaren.
Die Waffenniederlagen des Verbandes wTirden von der Re-
gierung gefüllt. Mit Recht konnte der zweite Vorsitzende des
Verbandes, Purischkemtsch, als ihm Ende Sommers 1906 die
Stellung eines Vizedirektors im Polizeidepartement angeboten
wurde, die Ernennung mit der stolzen Begründung zurück-
weisen, er beherrsche lieber die Regierung, als sich von ihr
beherrschen zu lassen. In der Tat standen zahllose Beamte,
von den Ministern und Gouverneuren hinab bis zu den Polizei-
meistern, unter dem Einfluß des Verbandes, dem sie zum Teile
als Mitglieder angehörten.
Diese mächtige Organisation, die ihre Stärke nicht ver-
barg, sondern in pomphaften Verkündigungen noch übertrieb,
übte auf die öffentliche Meinung einen lähmenden Einfluß,
der sich bei den Wahlen zur zweiten Duma deutlich erwies.
Zumal in dem größten Teile des jüdischen Ansiedlungsgebietes
erzielten die Erfolge der Reaktion und der ins Maßlose angefachte
Judenhaß das Ergebnis, daß ein bedeutender Teil der christ-
lichen Bevölkerung für die extremst reaktionären, pogrom-
freundlichen Kandidaten stimmte. Das schärfere Hervortreten
der judenfeindlichen Elemente sowie die Entmutigung der
Israeliten hatten zur Folge, daß nur die kleine Zahl von vier
Juden zu Abgeordneten gewählt wurde. Im ganzen war die
zweite Duma, die am 5. März 1907 zusammentrat, weit kon-
servativer als die erste, aber doch in ihrer Majorität aufrichtig
konstitutionell gesinnt. Die Folge davon waren Streitigkeiten
mit der Regierung und die Auflösung auch der zweiten Duma
schon nach dreimonatiger Dauer (16. Juni 1907). Sie hatte
nicht die Zeit gefunden, die traurige Lage der Juden irgendwie
16*
244 Dip Reaktion und die Juden.
ZU erleichtern. Der Zar oktroyierte dann ohne weiteres ein neues
Wahlgesetz, das die reaktionären Elemente in Stadt und Land,
besonders die agrarisch gesinnten Großgrundbesitzer außerordent-
lich begünstigte. So kam eine in ihrer Mehrheit wenn nicht
reaktionäre doch durchaus konservative und den nichtrussischen
Bestandteilen des Reiches geradezu feindliche Duma zu-
sammen, die übrigens von ihrer Machtlosigkeit gegenüber der
Regierung vollkommen durchdrungen und bereit war, sich
dieser in allen wesentlichen Beziehungen zu unterwerfen (seit
14. November 1907). Einhundertunddreißig ^litglieder sind
Anliänger der ,, Schwarzen Hundert", 140 Gemäßigte (Okto-
bristen), die tatsächlich mit der Regierung durch dick und dünn
gehen, nur 147 ,, Kadetten", das heißt freiheitlicher Über-
zeugung. Die Rechte unternahm sofort einen wahren Kreuz-
zug gegen die Juden, der bis auf den heutigen Tag andauert.
Zuerst hatte man den Juden den Zugang zur Reichsduma
in der neuen Wahlordnung ganz versperren wollen. Allein die
einmütige Stimmung Europas, auf die man wegen der immer
von neuem notwendig werdenden Anleihen Rücksicht zu nehmen
veranlaßt war, zwang schließlich die Gewalthaber in Peters-
burg, den Juden eine geringfügige Beteiligung zu gewähren.
So sind, als Vertreter von sechs Millionen, ganze zwei Juden
in die dritte Duma gelangt und können dort den Schmerzen
und Wünschen der Stiefkinder Rußlands Ausdruck verleihen.
Mehrere Mitglieder der Rechten unternahmen sofort Ver-
suche, nach dem Muster des österreichischen Parlamentes grobe
und rohe antisemitische Schimpfereien zu veranstalten. Der
Vorsitzende zeigte sich zuerst gewillt, solche zu unterdrücken;
nachdem er aber in Erfahrung gebracht, daß sie an höchster
Stelle nicht mißfiel, ließ er sie gewähren, ja beschränkte
jede Verteidigung der pöbelhaft Angegriffenen innerhalb der
Volksvertretung. Die beiden einzigen Abgeordneten jüdischen
Glaubens, Friedmann und Nisselo witsch, taten was sie ver-
mochten, um die Rechte und Interessen der Juden zu verfechten.
Ein Antrag der Rechten, den Juden den Eintritt in das
Heer zu sperren, um sie dann sämtlicher politischer Rechte
zu berauben, wurde noch glücklich abgewehrt. Ebenso fiel
der Antrag, ihnen die Beamtenstellen bei der lokalen Selbst-
Die Reaktion und die Juden. 245
Verwaltung zu nehmen, mit 156 gegen 107 Stimmen; desgleichen
ein weiterer, das Amt der lokalen Unterrichts Verwaltung den
eigentlichen Russen vorzubehalten, mit der schwachen Mehrheit
von 104 gegen 98. Dagegen fand der folgenschwere Antrag der
Rechten nach heftiger Debatte mit der großen Majorität von
171 gegen 101 Annahme, die Juden von den lokalen Semstwos,
also von den gewählten Behörden der Selbstverwaltung aus-
zuschließen (Mai 1910). So ging das ,, konstitutionelle" Ruß-
land in der Beschränkung der politischen Rechte der Juden
noch hinter die fanatische Autokratie zurück, die diesen wenig-
stens einen schwachen Anteil an der örtlichen Selbstverwaltung
gestattet hatte !
Das Beamtentum, eng verknüpft mit dem Verbände echt
russischer Leute, triumphierte, und es hat seinen Sieg mit
grenzenloser Grausamkeit ausgenutzt. Ohne Rücksicht auf
die Verfassung wütete die Polizei gegen jede freiheitliche Äuße-
rung. Der einige Zeit hindurch bei dem Zaren allmächtige
Petersburger Stadthauptmann Trepow gab das Programm aus :
mit Patronen dürfe nicht gespart werden. Die Hauptgendar-
merieverwaltung traf eigenmächtig die Anordnung, daß Agita-
toren, Streikhetzer und überhaupt politische Verbrecher unter
Kriegsrecht zu stellen seien. Ja, einzelne Militärchefs ersparten
sich auch die Formalität des Kriegsgerichtes und befahlen, alle
diejenigen, die nur den Mund zum Widerspruche öffneten, ohne
weiteres niederzuschießen. Jede Aufnahme eines politischen
Agitators durch einen Hausvater sollte mit dem Tode bestraft
werden. Noch weitergehende, noch barbarischere Befehle
drohten bei jeder Kundgebung politischer oder auch nur ökono-
mischer Unzufriedenheit geradezu Massenmorde an. Niemals,
auch nicht zu den ärgsten Zeiten der Reaktion unter Nikolaus I.
und Alexander III., sind so viele politische Prozesse geführt
worden, me in der Zeit der ,, Verfassung", des ,, Völkerfrühlings".
Hat man doch 1906 zwölf- und dreizehnjährige Knaben und
Mädchen als ,, politische Verbrecher" hingerichtet ! Die Inquisi-
tion ist in Rußland neu erwacht, und trotz aller entgegenstehen-
den Gesetzesparagraphen wurde die Folterung der politischen
Gefangenen in großem Maßstabe betrieben, Avie in der zweiten
Duma öffentlich festgestellt Avurde. Seit Iwan dem Schreck-
246 Die Reaktion vind die Juden.
liehen sind in Rußland nicht so viele Todesurteile gefällt worden,
wie unter dem Friedenskaiser Nikolaus II. Im Jahre 1907
wurden 1692 „Politische" zum Tode verurteilt, 2422 zu lang-
jähriger oder auch lebenslänglicher Zwangsarbeit in Sibirien,
1401 zur Einreihung in die Strafkompanien, 427 in die Diszi-
plinarbataillone, 3311 zu Gefängnisstrafen, 981 zu Festungs-
und 779 zu einfacher Haft. Unter diesen 11 066 Verurteilten
waren nicht weniger als 211 frühere Dumaabgeordnete. Und
doch hatte es in diesem Jahre keine revolutionären Kämpfe
mehr gegeben. Ebensowenig im Jahre 1908, wo sogar 1959
,, Politische" gehängt oder erschossen A\Tirden. Nicht mehr
als die persönliche Freiheit oder das Versammlungsrecht wurde
die feierlich vom Zaren verheißene und ein Jahr hindurch ge-
duldete Preßfreiheit geachtet. Die Petersburger Zeitungen
wurden den ordentlichen Gerichten entzogen und der dikta-
torischen Gewalt des Stadthauptmanns unterworfen. Die Be-
sprechung politischer Fragen wurde unter Strafandrohung
eingeschränkt, die Erwähnung von Mitgliedern der kaiserlichen
Regierung durfte nur in den Grenzen der offiziellen Hofnotizen
geschehen. In dem einzigen Jahre 1907 -wurden 413 Zeitschrif-
ten unterdrückt, davon nur 81 durch das Gericht. 332 durch
administrative Willkür. Die Verwaltung verurteilte außerdem
die Presse zu 163 950 Rubel Geldstrafen.
Wie die Freiheit, so wurde avich die ohnehin geringe Eigen-
macht der fremdvölkischen Bestandteile des Reiches bekämpft
und eingeschränkt. Der finnische Generallandtag verfiel wieder-
holt dem Schicksale der Auflösung, weil er es wagte, die ver-
brieften und beschworenen Rechte seines Landes gegen die
russische Zentralisation zu wahren. Ein entschlossener Feind
dieser Rechte wurde Generalgouverneur von Finnland, und
endlich n?.!im die Duma auf Vorschlag der Regierung eine Reihe
von Gesetzen an, die Finnland gegen dessen Willen in eine rus-
sische Provinz verwandelten.
Der Zar zeigte sich als eifriger Freund aller dieser Be-
strebungen. Während Stol3rpin sich nicht dauernd zum Sklaven
des echt russischen Verbandes erniedrigen wollte, auch vor
dessen gewaltsamem und blutdürstigem Vorgehen zurück-
schreckte, so daß er hier und da gegen ihn durch die Gerichte
Die Reaktion und die Juden. 247
vorgehen ließ, erwies Nikolaus II. jenem fortdauernd seine
höchste Gunst. Er schenkte ihm persönlich zum Osterfeste
des Jahres 1909 hunderttausend Rubel. Er lud den Führer
der äußersten Rechten in der Duma, Markow, zu einer Sonder-
audienz nach Zarskoje Selo und beauftragte ihn, seiner Frak-
tion den kaiserlichen Gruß zu entbieten.
Der Zar betrachtet offenbar alle russischen Untertanen, die
nicht der Staatsreligion angehören, als Ungläubige, als Feinde
des Vaterlands, gegen die alles erlaubt ist. Bei den christlichen
Dissidenten, die gesetzlich den Griechisch-Orthodoxen völlig
gleichgestellt sind, mußte die Regierung ihre Verfolgungssucht
immerhin einschränken. Anders verhält es sich mit den Juden,
die sie um so rücksichtsloser mißhandeln konnte, als ihr gegen
diese das unerschöpfliche Arsenal der zahllosen und dehnbaren
Ausnahmegesetze zu Gebote stand. Und noch schlimmer als
die Ausnahmegesetze sind die willkürlichen Auslegungen, die
das "wirtschaftliche Dasein vieler Hunderttausende von Juden
zu vernichten gestatteten.
Freilich, als noch die freiheitliche Ära nachwirkte, Ende
Oktober und Anfang Dezember 1906, hatte der Ministerrat
eine Reihe von Erleichterungen für die ökonomische Lage der
unglücklichen Juden beschlossen. Es sollte ihnen, wenn auch
nicht der Kauf, so doch die Pachtung ländlicher Grundstücke
innerhalb des Rayons gestattet, die Städte Kiew, Nikolajew,
Sewastopol und Jalta wieder in die Besiedlungszone aufge-
nommen, den Privilegierten unter ihnen das Wohnrecht in den
Kosakenbezirken Don, Kuban und Terek von neuem einge-
räumt werden. Jüdische Handwerker, die bisher nur solange
sie ihr Handwerk ausübten, außerhalb des Rayons wohnen
durften, sollten jetzt, wenn sie hier zehn Jahre lang ihr Ge-
werbe betrieben hatten, auf immer da zu bleiben das Recht
erhalten. Damit wäre der verhängnisvolle Fehler des Gesetzes
von 1865 beseitigt worden. Ferner sollten Gattinnen, Kinder
und minderjährige Geschwister der zum Aufenthalte außerhalb
des Rayons Berechtigten an diesem Vorzuge teilnehmen. End-
lich sollten die entehrenden und drückenden besonderen Vor-
beugungs- und Straf bestimmungen in betreff jüdischer Deser-
tion wegfallen.
248 Die Reaktion und die Jnden.
Aber selbst diese bescheidenen Besserungsvorschläge des
Ministerrates haben die Zustimmung des Zaren nicht erhalten.
Und dann trat mit voller Wucht die Reaktion ein, die jeden
Gedanken einer judenfreundlichen Maßregel beseitigte.
Von der Gesinnung des russischen Beamtentums im all-
gemeinen und seiner geflissentlichen Verdächtigung aller an-
geblich revolutionären Elemente als ,. jüdisch" gibt ein Vorfall
Zeugnis, der sich im Sommer 1907 zugetragen hat. Zwei rus-
sische Damen begaben sich auf ihre Güter im Gouvernement
Tambow (Zentralrußland), um dort in den von furchtbarer
Hungersnot betroffenen Ortschaften teils aus eigenen Mitteln
teils aus Gaben der Ökonomischen Gesellschaft Speisehallen zu
errichten. Beide waren blonde, blauäugige Vollrussinnen. Vor
ihnen kam jedoch bei dem Gouverneur folgende Depesche aus
Petersburg an: ,,Zwei Subjekte von jüdischem Typus reisen
zu widergesetzlichen Zwecken unter dem Vorwande der Er-
richtung von Speisehallen ins Gouvernement ; diese Propaganda
ist zu unterdrücken." Der Gouverneur wagte es nicht, die
Damen verhaften zu lassen, half sich aber, indem er durch die
Popen den Aberglauben der Bauern aufstachelte. Als die wohl-
tätigen Frauen begannen, die Namen der Notleidenden auf-
zuschreiben, schrien die Bauern: ,,Ihr seid der Antichrist ! Ihr
seid vom Teufel geschickt, um uns zu notieren, damit wir in
die Hölle kommen. Zehnmal besser ist es, Hungers zu sterben
und in den Himmel zu fahren." Mit solchen Elementen konnte
man leicht beliebige Pogrome ins Werk setzen.
So nahm das Beamtentum den Kampf gegen die unglück-
lichen Juden wieder auf. Zunächst wurde die Untersuchung
der Pogrome durch die dazu entsandten Senatoren Thurau und
Kusminski so gedreht, daß die Hauptschuld auf die angebliche
revolutionäre Tätigkeit der Juden fiel. Ebenso geschah es in
den Strafprozessen gegen die Urheber und Teilnehmer der
Pogrome. Staatsanwälte und Untersuchungsrichter waren in
großem Umfange selber deren Gönner und Freunde gewesen;
und die wenigen unter ihnen, die ihre Aufgabe ernst nahmen
und im Sinne der Gerechtigkeit zu lösen wünschten, wurden
versetzt oder noch schlimmer gemaßregelt. So durften fast
allerorten stadtbekannte Mörder unbehelligt umhergehen und
Die Reaktion uiid die Juden. 249
Vorbereitungen zu neuen Pogromen treffen. Die Bureaukratie
hätte ja sich selber verurteilen müssen, wenn sie eine Bestrafung
der Schuldigen zugelassen hätte. Überdies wurde es von Woche
zu Woche klarer, daß die allerhöchste Stelle die Tätigkeit und
Ergebnisse der Pogrome billigte und deren Anstifter mit Gunst-
beweisen bedachte. Wer im Tschin hätte da noch gegen die
Pogromhelden aufzutreten gewagt ? Das Verfahren gegen den
Odessaer Gouverneur Neidhardt, dessen verbrecherisches Wirken
offen auf der Hand lag, endete im dirigierenden Senate mit
glänzender Freisprechung ; dagegen wurden der Rektor und Pro-
rektor der Odessaer Universität abgesetzt, weil sie den ver-
folgten Juden eine Zuflucht in den Räumen der Hochschule
gewährt hatten. Und dieser Hohn auf jede Gerechtigkeit
waltete weiter. An Orten der blutigsten Ausschreitungen
wurden des Scheines halber kleine Häuflein untergeordneter
Tumultanten zu leichten Strafen verurteilt, aber auf die regel-
mäßig erfolgende Einreichung eines Gnadengesuches seitens
des Verbandes der russischen Leute jedesmal begnadigt. Fünf-
hundert Pogromhelden blieb schon in den ersten Zeiten die
Buße ihrer Freveltaten, dank der allerhöchsten Gnade, erspart !
Die Versuche des Grafen Witte, gegen diese staatsgefährdende
Tätigkeit des Beamtentums zu A\"irken, blieben vergeblich. War
doch sein eigener Minister des Inneren, Durnowo, ein Gönner
des ,, Verbandes", entdeckte doch Witte im Zentral-Polizei-
departement selbst die geheime Pogromschriftendruckerei !
Zuerst fiel der liberale Justizminister Manuchin (Dezember
1905), dann Witte selber ihrem Gegensatze zu den Pogrom-
bestrebungen zum Opfer. Sein Nachfolger Stolypin mußte,
trotz seiner entgegenstehenden Behauptungen vor der Duma,
das Dasein einer vom ,, Verbände" geleiteten Nebenregierung
dulden, die bei dem Staatsoberhaupte größeren Einfluß besaß,
als das offizielle Ministerium. An der Spitze dieser Neben-
regierung stand General Trepow, jetzt Palastkommandant,
dem der Zar, ohne Wissen der Minister, eigene Mittel zu poli-
tischen Zwecken in die Hand gab. Die untergeordneten Ver-
waltungsorgane gehorchten deshalb nicht ihren amtlichen Vor-
gesetzten, deren Befehle sie als nichts bedeutend beiseite legten,
sondern folgten den Anweisungen des wahren Machthabers,
250 Die Reaktion und die Juden.
des „Verbandes". Das ist durch den früheren Gouverneur
Urussow, durch den ehemaligen Direktor des Polizeideparte-
ments Lopuchin und andere in öffentlicher Dumasitzung
widerspruchslos festgestellt worden. Wir Avissen also, daß die
Verantwortung für die Greueltaten nicht nur bei untergeord-
neten Stellen, sondern bei den Spitzen des Staates zu suchen ist.
So kam es bald zu neuen Pogromen. Die Hetzereien zu
solchen nahmen ihren Fortgang. In Alexandrowsk, Gouverne-
ment Jekaterinoslaw , war der Chef der Gendarmerie , Ritt-
meister Bugodawski, selber der unermüdliche Verbreiter massen-
hafter Brandschriften gegen die Juden, wurde dabei von der
gesamten Polizei des Bezirkes unterstützt und von oben her
ausgezeichnet. Der Petersburger Polizeidirektor Trepow gab
den Pogromaufforderungen seine amtliche Druckerlaubnis.
Die politische Abteilung des Polizeidepartements unter der
Leitung des Wirklichen Staatsrats Ratschkowsky rief in ihren
Druckschriften das Heer zum Kampfe auf gegen die ,, Polen,
Armenier und Juden". Diese in ihren Folgen ganz unberechen-
bare Proklamation wurde in den Provinzen durch die Polizei-
verwaltung in einträchtigem Zusammem^irken mit den ört-
lichen Gruppen des ..Verbandes" unter den Soldaten verbreitet.
Ratschkowsky mußte von Stolypin in seinem Range belassen
und überdies mit einer Belohnung von 75 000 Rubel bedacht
werden !
Verwaltung und Militär waren in den Stand gesetzt worden,
neue Pogrome herbeizuführen. Zunächst erholten sich die
Soldaten, die in den Ostseeprovinzen den Kampf gegen die
Revolutionäre und Agrarverbrecher führten, von ihren An-
strengungen an dem Vermögen der dortigen Juden, die sie
gründlich plünderten, ausraubten und noch dazu mißhandelten.
Überdies wurden, ohne jede Veranlassung seitens der dortigen
jüdischen Gemeinden, diesen schwere Kontributionen auferlegt.
Man forderte einfach von den Juden den Ersatz des Schadens,
den die aufrührerischen Bauern angerichtet hatten, und sie
mußten unweigerlich zahlen, um schlimmerem Schicksal zu
entgehen.
Aber ein förmliches, von der Regierung veranstaltetes
Pogrom trug sich in dem unglücklichen, schon zwei Jahre früher
Die Reaktion, und die Juden. 251
heimgesuchten Homel zu. Die offizielle Untersuchung hat später
ergeben, daß die Vorbereitungen von dem Chef der politischen
Polizei der Stadt, dem Grafen Podgoritschany, seit lange ge-
troffen waren. Er hatte nicht nur die dortige Ortsgruppe des
,, Verbandes echt russischer Leute" gestiftet, sondern ihr auch
eine Druckerei begründet und sie mit Revolvern bewaffnet.
Aber die Bevölkerung von Homel war damals nicht antisemitisch
sondern revolutionär gesinnt. Knotenpunkt zweier großer
Eisenbahnen und an dem den Schiffsverkehr mit Südrußland
und dem Schwarzen Meere vermittelnden Flusse Sosch ge-
legen, hatte die Stadt sich allmählich zu einem bedeutenden
Handelszentrum mit einer starken Arbeiterbevölkerung ent-
wickelt. Diese hatte sich ganz von den revolutionären und
sozialistischen Bestrebungen jener Jahre gewinnen lassen: Ende
Dezember 1905 war sie in einen die ganze Stadt umfassenden
Ausstand getreten, während dessen sie die Herrin von Homel
war und die Tätigkeit der Polizei völlig brach legte. Letztere
beschloß, Rache zu nehmen und die Revolution einzuschüchtern
— durch ein Pogrom. Zu diesem aber konnte sie, außer den
wenig zahlreichen Anhängern Podgoritschanys, nur das Militär
verwenden, das dann auch in Masse — Infanterie, Artillerie
und Kosaken — herbeigezogen wurde. Anfang Januar 1906
war es ohne nennenswerten Widerstand Herr der Stadt, und
die Polizei konnte Massen Verhaftungen vornehmen. Hierbei
ließ sie sich schwere Mißhandlungen zuschulden kommen, und
zur Strafe dafür erschoß ein christlicher Arbeiter einen der
brutalsten Büttel, den Pristawgehilfen Anossow. Das war für
die Behörden der Avillkommene Vor wand, um das seit lange
sorgfältig und bis in alle Einzelheiten vorbereitete Pogrom in
Szene zu setzen. Am 26. Januar 1906 brach eine Rotte von
Huligans los, schoß die begegnenden Juden nieder und begann
die jüdischen Läden auszuplündern und in Brand zu stecken.
Vor ihr her ging Militär und trieb durch Salvenfeuer die Menschen
von den Straßen, so jeden Widerstand von vornherein unmög-
lich machend. Die Waren aus den Geschäften wurden auf die
Straße geworfen, dann die Läden mit Petroleum begossen und
angezündet. Die Waren selber packte man ganz systematisch
auf Wagen und schaffte sie unter mihtärischer Bedeckung fort.
252 Die Reaktion und die Jviden.
Als die Feuerwehr, von den Juden herbeigerufen, zum Löschen
erschien, ward sie von der Polizei durch Revolverschüsse ver-
trieben; dann setzte diese das Telephon außer Tätigkeit, um
die Feuerwehr ganz brach zu legen. Die Juden hielten sich
nunmehr mit Recht versteckt, da die Selbstwehr gegen das
die Brandstifter und Räuber schützende Militär nichts aus-
gerichtet hätte. Am 27. Januar dauerten die Greuel unbe-
hindert fort. Die Zahl der geplünderten und verbrannten Ge-
schäfte belief sich auf 173, die der beschädigten Häuser auf
151; unter diesen befand sich die Bank der Kreditgenossen-
schaften auf Gegenseitigkeit. Der Gesamtschade betrug drei
Millionen Rubel und betraf ausschließlich Juden, obwohl diese
bei den revolutionären Vorgängen, die nur von den Arbeitern
ausgegangen waren, beinahe gar nicht beteiligt gewesen. Christ-
liche Läden wurden, selbst wenn sie inmitten von jüdischen
lagen, sorgfältig verschont, jüdische, die sich zwischen christ-
lichen befanden, zwar ausgeraubt, aber nicht verbrannt. Eine
Anzahl jüdischer Ladenbesitzer konnte sich von der Plünderung
loskaufen ; die an die Soldaten zu zahlende Taxe betrug zwischen
sechs und sechzig Rubel. Auch sonst fehlte es nicht an tragi-
komischen Vorfällen. Dr. Sacharin, Mitglied des Hilfskomitees,
wurde verhaftet, weil man in seinem Hause eine Bombe und
kompromittierende Schriftstücke gefunden habe. Als man
näher zusah, stellte sich heraus, daß die ,, Bombe" ein Globus
und die ,, kompromittierenden Schriftstücke" alte Kollegienhefte
des Doktors waren ! Das Pogrom in Homel war erwiesener-
maßen ausschließlich ein Werk der Behörden.
Nach diesen Ereignissen fand die Regierung es für an-
gemessen, eine Pause in der Judenverfolgung eintreten zu
lassen. Sie sah sich genötigt, von neuem mit Ansprüchen an
den Kredit Europas vorzugehen, und fürchtete, die israeli-
tischen Großbankiers würden ihr solchen nicht gewähren, wenn
sie nicht für den Augenblick eine judenfreundliche Maske vor
das Gesicht nähme. Sie verkündete, 13. und 14. März 1906,
der Ministerrat habe alle Lokalbehörden zur Niederhaltung
jeder Art von Hetzereien gegen die Juden angehalten und die
Bestrafung derjenigen Beamten in Homel beschlossen, die sich
bei den letzten Unruhen ,, untätig" gezeigt hätten. Überdies
Die Reaktion und die Juden. 253
sollten die die Juden betreffenden Ausnahmegesetze mild aus-
gelegt werden. Der neue Generalgouverneur von Kiew, Suchom-
linow, faßte die Sachlage ganz richtig auf, indem er seinen
Untergebenen mitteilte, jetzt könnten keine Judenkrawalle
geduldet werden, weil sie sehr schädlich für die allgemeine
Politik seien. Der naive Herr plauderte aus der Schule.
Dabei wurde aber gleichzeitig von der Zensur die Ver-
treibung einer Flugschrift gestattet, die sich ,, Auf ruf an das
russische Volk, Maßregeln zur Entfernung der von den Juden
verursachten Übel" betitelte und an nichtswürdiger Verleum-
dung und blutdürstigen Ermahnungen das äußerst Denkbare
leistete !
Wie so durchaus die ganze Pogrombewegung von den
höchsten Beamtenkreisen abhängig war, zeigte sich in der
Tatsache, daß sie in den vier Monaten Februar bis Mai des
Jahres 1906 völlig stockte. Inzwischen erlangte die neue
russische Anleihe einen vollständigen Erfolg. Es war ja klar:
nur unter einer Bedingung konnte die ganze politische Komödie,
die die Petersburger Regierung aufführte, zur Wahrheit werden,
konnte ein liberales und verfassungsmäßiges Regiment in Ruß-
land Platz greifen, konnten damit auch die Juden wahlberechtigte,
an Leben und Gut geschützte Staatsbürger werden: wenn die
europäische Finanzwelt dem Selbstherrscher die geforderten
Milliarden versagte und deren BeA\'illigung von der Zustimmung
der Duma abhängig machte. Aber das Gegenteil geschah. Da
die russische Regierung das Geschäft für die Finanz weit sehr
vorteilhaft gestaltet hatte, gab diese dem Zaren die Milliarden
her. Und mit der rühmlichen Ausnahme des Hauses Roth-
schild some einiger Großbankiers in Brüssel, London und
Berlin beteiligten sich gerade die jüdischen Finanzmänner mit
großem Eifer an dem Blutgeld und scheuten sich nicht, um
des schnöden Mammons Avillen Mitschuldige der Mörder der
russischen Freiheit und ihrer eigenen russischen Glaubens-
genossen zu werden. Sie halfen sich mit der kläglichen Aus-
rede von Dieben und Betrügern: wenn wir es nicht getan,
hätten es eben andere getan.
Und kaum hatten die Leute um Nikolaus IL schmunzelnd
das Geld eingestrichen, so machten sie der ganzen Maskerade
254 Die Reaktion und die Juden.
ein Ende, lösten die Duma auf, änderten das Wahlgesetz in
reaktionärem Sinne und veranstalteten neue Pogrome.
Vorher hatten die zwölf jüdischen Mitglieder der ersten
Duma, infolge eines Beschlusses der Delegiertenversammlung
der ,, Vereinigung für die Gleichberechtigung der Juden in
Rußland", eine besondere Gruppe gebildet, aber nicht im
nationalistischen Sinne, sondern nur in Hinsicht auf die Be-
strebungen zu völliger Emanzipation ihrer Glaubensgenossen.
Sie nahmen lebhaften Anteil an der Interpellation, die die
Linke der Duma an den Minister des Innern wegen der Teil-
nahme von Beamten und Militärs an den Oktober- und
Dezemberpogromen richtete, und die zu einem Bruche
zwischen der Mehrheit der Volksvertretung und Stolypin
führte. Unter den Zurufen: ,, Mörder, Mörder!" mußte dieser
den Saal verlassen.
Das russische Beamtentum nahm seine Rache für diese
Exekution; es nahm sie wieder an den Juden.
Sie hatte von langer Hand die Soldaten systematisch gegen
die Juden aufgehetzt. So hielt der Kommandeur des in Warschau
garnisonierenden 38. Tobolsker Infanterieregiments am 12. Mai
an seine Untergebenen eine Ansprache, in der er als die Mehr-
zahl der Umstürzler Juden und Polen bezeichnete; ,, Brüder,
denkt immer daran, wer eure Feinde sind, und vernichtet
sie bei jeder Gelegenlieit. Wenn ihr bei der Verfolgung eines
Aufwieglers diesen mederschießen wollt, aber irrtümlich einen
anderen töten werdet, so wird euch deshalb nichts geschehen.
Im Gegenteil, man wird euch für eure gute Absicht auszeichnen.
Vergeßt nicht, daß unsere inneren Feinde, die Juden, Polen
und Sozialisten, viel gefährlicher sind, als die äußeren." Ein
Kompaniechef sagte am selben Tage zu seiner Mannschaft:
,,Das ganze Unheil, unter dem unser Vaterland leidet, kommt
ausschließlich von den Juden, die unser Blut aussaugen und
dabei so tun, als ob sie um den Muschik und den russischen
Arbeiter besorgt wären. Doch glaubt ihnen nicht." Darauf
ließ er von den Soldaten ihren jüdischen Kameraden ins Gesicht
spucken !
Aber auch die bürgerliche Bevölkerung wurde nicht ver-
gessen. Die politische Polizei entsandte Agitatoren in die
Die Reaktion und die Juden. 255
Provinz, um gegen die Duma und zugleich gegen die Juden
zu wühlen.
Diese furchtbare Saat des Hasses und der Verleumdung
ging nur allzubald blutig auf.
Im Gouvernement Grodno, an dem Flusse Biala, liegt
die Stadt Bialystok mit etwa 60 000 Einwohnern, ein betrieb-
samer Fabrikort mit zahlreicher jüdischer Bevölkerung — 48 000
Seelen — die bisher mit den christlichen Einwohnern in Frieden
gelebt hatte. Seitdem, im Juli 1905, das Militär die ,, Revolu-
tionäre", das heißt in Wahrheit Juden in Masse niedergeknallt
hatte, war es dort politisch ganz still geworden, wie die Obrig-
keit selbst höhnisch anerkannte. Um nichts destoweniger be-
absichtigte sie eine Wiederholung der Metzelei vom Juli, um
die Juden vollends zu schrecken und mit ihnen die liberale
Opposition einzuschüchtern. Es gab noch ein Hindernis: der
Polizeimeister Derkatschow war ein wohlmeinender und auf-
geklärter Mann, der stets die Juden beschützt hatte und des-
halb dem Schwarzen Hundert gründlich verhaßt war. Am
10. Juni (28. Mai a. St.) 1906 wurde er ermordet: offenbar
auf Anstiften der ,,Echt Russischen", weil sie gerade Bialystok
zum Schauplatze eines neuen Pogroms ausersehen hatten.
Als die Juden von Bialystok, im Einvernehmen mit der Witwe,
einen Kranz bei der Beerdigung des Ermordeten niederlegen
wollten, verbot ihnen das der Pristaw Scheremetjew mit den
drohenden Worten: ,,Wir sind Christen, keine blutdürstigen
Juden", beschuldigte die Israeliten, Derkatschow getötet zu
haben, und fuhr fort: ,,Es soll nicht geschehen, ich werde es
nicht zulassen. Der Kranz ^vird nicht der Familie, sondern
dem Polizeimeister gewidmet, wir, seine Amtsgenossen, prote-
stieren dagegen. Sollten die Juden aber trotzdem darauf be-
stehen, so wird das nach zwei Tagen die ganze jüdische Be-
völkerung bedauern" (12. Juni).
Das war eine offene Pogromandrohung. Die Juden be-
schlossen, die Niederlegung des Kranzes zu unterlassen, und
sandten eine Deputation an den Gouverneur in Grodno, Küster,
um dessen Schutz zu erbitten. Es wies sie mit harten Worten
zurück, bezeichnete sie als Revolutionäre, gegen die gerechte
Erbitterung bei Polizei und Militär herrsche, und drohte mit
256 Die Reaktion und die Juden.
scharfem Schießen — auf die Juden. Ähnlich äußerte sich der
Divisionskommandeur General von Bader. Beide warnten
A^or Schüssen oder Bombenwerfen seitens der Juden; sobald
solches eintrete, werde man die Soldaten auf dieselben los-
lassen. Vergebens wies die jüdische Absendung auf etwaige
Provokation seitens der Huligans hin.
Die hohe Obrigkeit hatte damit den künftigen Gang des Po-
groms selber vorgezeichnet. Am 14. (1.) Juni, dem Fronleich-
namsfeste, brach er aus. Von einem dazu angestellten Menschen
wurde aus einem Hause eine Bombe gegen die orthodoxe Pro-
zession geschleudert. Sofort begann das Militär, unterstützt
von Bauern der Umgebung, die vorher mit Waffen versehen
und in die Stadt gerufen waren, ein Gemetzel gegen die Juden,
dabei geleitet und unter ^\^esen von der Polizei. Die Greuel
dauerten fünf Tage lang, bis zum 18. Dumamitglieder hatten
die Zentralregierung um deren Eingreifen gebeten; sie erhielten
beruhigende Zusagen, die aber nicht ausgeführt wurden.
78 Juden wurden getötet, 84 verwundet.
Das Bialystoker Pogrom bedeutet etwas Neues, eine
Steigerung in dem furchtbaren Trauerspiele. Bisher hatten
die Behörden die Pogrome vorbereitet und hinter der Szene
geleitet; hier hatten sie es ganz offiziell selber veranstaltet
und durchgeführt. Nicht die Huligans hatten das Gemetzel
verübt, sondern die Soldaten. Die Hauptleute Burakow, Workal,
Soschinski hatten antisemitische Hetzschriften schlimmster Art
unter den Soldaten verbreitet und die Abschlachtung der revo-
lutionären Juden gepredigt.
Die zweite Duma interpellierte die Regierung wegen dieser
unerhörten Vorfälle. Nach eindrucksvollen Reden von jüdischen
und christlichen Abgeordneten — unter ihnen der Pope ^\fanas-
siew — nahm die Versammlung einstimmig den Antrag Aladjin
an, daß zwei xA.bgeordnete nach Bialystok entsendet werden
sollten, um die Ursachen der Judenhetze festzustellen. Aber
ehe dies noch geschehen konnte, löste der hohe Beschützer des
Verbandes echt russischer Leute, der Zar, die zweite Duma auf.
Der jüdische Advokat Gillerson, der Sachwalter einiger
Juden in dem wegen des Bialystoker Pogroms anhängig ge-
machten Scheinprozesses, wurde viel später, unter ungeheurer
Die Reaktion und die Juden. 257
Teilnahme der gesamten russischen Advokatur, die die Freiheit
der Verteidigung in ihm verletzt sah, am 26, Oktober 1909
von dem Kreisgericht zu Grodno zu einjähriger Festungshaft
verurteilt, weil er in seiner Rede die verschiedenen Bevölkerungs-
klassen gegeneinander aufgehetzt habe. Der wahre Grund der
Verfolgung war aber gewesen, daß er den Bialystoker Gerichts-
hof aufgefordert hatte, die wegen des Pogroms Angeklagten
sämtlich freizusprechen, da sie doch auf Antrag des Justiz-
ministers von der allerhöchsten Stelle begnadigt werden würden.
Gillerson hatte allzukühn den Finger in die schlimmste Wunde
gelegt, die der Gerechtigkeit in Rußland beigebracht war.
Überall wühlten die ,,Echt Russischen", des Schutzes
seitens des Zaren versichert. In ganz West- und Südrußland
wurden die antisemitischen, bluttriefenden Hetzschriften zu
Hunderttausenden verbreitet. Und nicht ohne Erfolg. Zwar
ein beginnendes neues Pogrom in Odessa (Juli 1906) wurde
bald durch den Gouverneur Generalmajor Grigorjew unter-
drückt, freilich nicht ohne daß jüdisches und christliches Blut
geflossen war. Aber im September 1906 fand eine abermalige,
und zwar noch schlimmere Wiederholung der^i Vorgänge in
Bialystok statt, und zwar in der kleinen polnischen Gouverne-
mentshauptstadt Siedice, die unter ihren 28 000 Einwohnern
15 000 Juden zählte. |r>er hauptsächliche Veranstalter des
seit lange wohlvorbereiteten Pogroms war der Chef der poli-
tischen Polizei der Provinz, Dragoneroberst Tichanowsky,
der offenbar von oben her unterstützt Avurde, Das Infanterie-
regiment Ostrolenka, das die Besetzung von Siedice bildete,
weigerte sich, die Judenmetzelei vorzunehmen; es wurde ent-
fernt und durch das Regiment Libau ersetzt, das schon in Liv-
land und Bialystok Beweise seines tatkräftigen Judenhasses
gegeben hatte. Seitdem ahnten die Juden von Siedice, was
ihnen bevorstand. Einige Schüsse, die tatsächlich von Soldaten
abgefeuert und nachträglich den in der Stadt gar nicht vor-
handenen Revolutionären zugeschrieben wurden, gaben den
Vorwand und das Signal, nebst einer an dem Rathausturme
aufgehängten roten Laterne, Tichanowsky hat später be-
hauptet: ,,Die Revolutionäre überfielen meine Soldaten, und
die müssen sich doch verteidigen." In Wahrheit ist kein Soldat
Philippson, Xeueste Geschichte der Juden, Bd. III. 17
258 Die Reaktion und die Juden.
verwundet, ist trotz eifrigen Nachforschens niemand gefunden
Avorden, der auf sie gefeuert hätte. Das Militär aber schoß auf
die Juden, wo es sie fand, und zündete deren Häuser an. Eine
um Einstellung des Gemetzels flehende Bürgerabordnung
herrschte Tichanowsky an: ,,Gebt die Revolutionäre, die auf
das Militär feuern, heraus, sonst lasse ich die Stadt bombar-
dieren." — ,,Es feuern ja aber keine!" — ,,Gebt die Revolu-
tionäre heraus, sonst lasse ich bombardieren." Da keine Revolu-
tionäre vorhanden waren, konnte man sie nicht ausliefern,
und das Bombardement fand statt. Neunzehn Häuser wurden
ganz zerstört, 150 arg beschädigt. Einige Hundert Läden waren
geplündert, 142 Menschen getötet, 450 verwundet.
Der logische Beschluß der Tragödie war der Korpsbefehl
des Kommandanten des Warschauer Militärbezirks, General-
adjutanten Skalon, vom 7. Februar 1907. Dieser General
sprach dem Oberstleutnant Tichanowsky und den ihm unter-
stellten Truppen warmes Lob aus für die schnelle Unterdrückung
des — imaginären — ,, Aufstandes" in Siedice.
Die Ereignisse in dieser Stadt bildeten den Höhepunkt
und den gloriosen Abschluß der Pogrome, zugleich den tat-
sächlichen Beweis für den Ausspruch des Gendarmerieoffiziers
Kommissarow, der bei der Geheimdruckerei der ,, Echt-Rus-
sischen" in Petersburg angestellt war: ,,Wir können ein be-
liebiges Pogrom veranstalten; wenn Sie wollen, können zehn
Personen oder, nach Belieben, auch 10 000 niedergemetzelt
werden." Diese Tatsache hat Fürst Urussow in seiner Rede
in der Reichsduma vom 8. Juni 1906 widerspruchslos mit-
geteilt.
Der Zar trat immer entschiedener für den ,, Verband der
echt russischen Leute" ein: ,,Bald wird die Sonne der Wahrheit
über der Erde erglänzen", telegraphierte er an dessen Ver-
sammlungen. Wenn die Juden aber die Keckheit hatten, sich
gegen die Totschläger und Räuber zur Wehr zu setzen, wurden
sie von den feilen Gerichtshöfen als die eigentlich Schuldigen
verurteilt und mit vielen Jahren Zuchthaus bestraft, als ,, Zu-
gehörige einer verbrecherischen Gesellschaft". Und alles das
,,von Rechts wegen". Alle Organisationen zum Selbstschutze
gegen Pogrome wurden verboten — wehrlos sollten die Juden
Die Reaktion und die Juden. 259
ihren SchLächtern überliefert werden. Die gebildete Gesell-
schaft Rußlands hat längst ihre Teilnahme für die Juden
aufgegeben und ist in ihrer Mehrheit antisemitisch gestimmt.
Größere Pogrome fanden seit 1907 nicht mehr statt, aber zahl-
reiche Fälle vereinzelter Plünderungs- und Mißhandlungs-
szenen kamen vor. Besonders herrschte der schwarze Schrecken
in Odessa, avo die jüdische Bevölkerung fortwährend ange-
griffen, geprügelt und totgeschlagen wurde, unter der väter-
lichen Aufsicht der Polizei. Die Gouverneure und Militär-
kommandanten wechselten; das System blieb das gleiche.
Die Ausschreitungen richteten sich gelegentlich auch gegen
freisinnige Christen. Die Kaufmannschaft flehte also die Re-
gierung an, Vorgängen ein Ende zu machen, die den Handel
und damit den Wohlstand der Stadt zu vernichten drohten
— ohne Erfolg. Vergebens wies sie darauf hin, daß die Ein-
fuhr in Odessa von 61. 700000 Rubel im Jahre 1902 auf 41 350 000
in 1906, die Ausfuhr in denselben Jahren von 116 auf 80 Millionen
Rubel gesunken war. Das alles waren Vorkommnisse, die in
ihrer Brutalität und Beharrlichkeit ohne Beispiel unter einer
monarchischen Regierung sind.
Und doch war ebenso unwahr, wie die Anschuldigung
revolutionärer Gesinnung, der Vorwurf, daß die Juden sich in
besonderem Maße der Militärpflicht zu entziehen suchten. Es
gab im Jahre 1907 im aktiven russischen Heere 53 194 jüdische
Soldaten, während ihrer nach dem Verhältnis der Seelenzahl
nur 42 709 sein sollten, also 10 845 Soldaten oder 24 Prozent
über die normale Zahl. Das sind nackte, unwiderlegliche
Ziffern, die die Ungeheuerlichkeit und Verlogenheit der gegen
die russischen Israeliten erhobenen Anklagen abermals erweisen.
Die leitenden Kreise des Zarenreiches zeigen sich nichts-
destoweniger den Juden fortgesetzt ungünstig. Der Minister-
präsident Stolypin brachte einen Gesetzentwurf ein, der den
Übertritt vom Christentum zu einer anderen Religion wesent-
lich erschAverte. Dabei erniedrigte er die nichtchristlichen
Religionen zu Bekenntnissen zweiten Ranges. Er wünsche
nicht, sagte er, daß in dem streng orthodoxen russischen Staate
in die Gesetzgebung Grundsätze Eingang fänden, die in den
Augen des Volkes die Orthodoxie und das Christentum mit
17*
260 Die Reaktion und die Juden.
NichtChristentum gleichmachten. Ein Gesetz, das dem Glauben
eines jeden Freiheit gewähre, werde das Volk begreifen, doch
nicht ein Gesetz rein reklamenhaften Charakters, das aus-
spreche, Orthodoxie und Christentum seien dem Heidentum,
Mohammedanertum und Judentum gleichgestellt. Nun gibt
es in Rußland aber 14 Millionen Mohammedaner, 6 JVIillionen
Juden, abgesehen von der Million Heiden. Das sind doch
keine einfach zu vernachlässigenden Quantitäten. Und inner-
halb des Christentums stehen den 95 Millionen Orthodoxen
mindestens 12^/^ Millionen römischer Katholiken, mehr als eine
Million Protestanten, P/4 Million Armenier gegenüber, sowie
die Millionen russischer Sektierer. 38 Millionen gegen 95, und
da soll diese Mehrheit von 71 Prozent das ganze Staatsleben
beherrschen. Man sieht, meweit dieses Rußland noch von der
Idee des Rechtsstaates entfernt ist.
Die Ausweisungen von Juden gingen munter weiter. Stolypin
verfaßte am 22. Mai 1907 mit Genehmigung des Ministerrats
ein Rundschreiben, das verbot, einstweilen diejenigen Juden»
die sich in ungesetzlicher Weise an verbotenen Orten nieder-
gelassen hätten, auszuweisen. Allein dem Widerstände der Echt-
Russischen gegenüber mußte der Ministerrat das Rundschreiben
zurückziehen. Zumal in dem heiligen Kiew verlegte sich, wie seit
alters, die Polizei in regelmäßiger Wiederkehr auf den Sport der
Jagd auf nicht wohnberechtigte Juden. Im Frühjahr 1910 er-
folgte der Hauptstreich : es wurden etwa zehntausend auf einmal
aus Kiew A^ertrieben — wohlverstanden nur ärmere, die nicht
ausgiebig der Polizei zu steuern vermochten; sie wanderten in
Masse weiter, gleich aus dem Stiefvaterlande aus. Ähnlich ging
es zu in Riga, Kasan, Woronesch, Torolecz (Pleskower Gouverne-
ment). In Moskau erhielt die Polizei den Befehl, streng darauf
zu achten, daß kranke, nicht wohnberechtigte Juden dort nicht
in die Krankenhäuser aufgenommen würden, auch wenn sie
dabei zugrunde gingen. Vergebens haben Angehörige aller
Klassen der lokalen christlichen Gesellschaft gegen diese Gewalt-
maßregeln protestiert. In Moskau erfand die Polizei eine in
ihrer Raffiniertheit wahrhaft erstaunliche Variante: wenn
selbst die Eltern wohnberechtigt seien, so doch nicht die Kinder
— und wies diese letzteren aus. Glücklicherweise schob der
Die Reaktion und die Juden. 261
Senat wenigstens solcher pharaonischen Grausamkeit einen
Riegel vor. Aus den Dörfern des Gouvernements Kjelzi wur-
den 800 Familien, die zum Teil dort seit unvordenklichen
Zeiten ansässig gewesen, ausgetrieben; aus Turkestan sämtliche
bucharische, afghanische und persische Juden, 3000 Seelen
in 576 Familien, unter denen die hauptsächlichen Großkauf -
leute und Vermittler Zentralasiens sich befanden. Auf Re-
klamation des Oberrabbiners der mittelasiatischen Juden,
Tager, schob der Generalgouverneur von Turkestan, Samsonow,
diese Ausweisung auf, bis zur Entscheidung des Ministerrates.
Dieser beschloß, daß man die ausländischen Juden in den
Bezirken Fergansk, Samarkand und Transkaspien belasse,
aber aus dem Bezirke Syr-Darja ausweise, wo immerhin 140
jüdische Familien wohnten. Und so geschah es. Der größte
Teil aller der unglücklichen Flüchtlinge verließ für immer den
ungastlichen Boden dieses barbarischen Reiches — und das
war wohl der hauptsächliche Zweck der ganzen Veranstaltung.
Ein barbarisches Reich ! Die stärkste Erläuterung dazu
bildet der Umstand, daß man arme Kranke und Leidende,
wenn sie ,, Hebräer" waren, selbst aus Spitälern, Luftfrischen
und Kurorten verbannte, auch wenn sie dort schon die Miete
für den ganzen Sommer vorausbezahlt hatten. Ohne jede
gesetzliche Handhabe wurde den Juden den Aufenthalt in den
baltischen Seebädern, mit Ausnahme von Dubbeln, verboten.
Der Besuch des sibirischen Badeortes Schiro wurde ihnen
untersagt; infolge davon sank die Frequenz dort von 2000
Gästen auf 200. Vergebens protestierten die christlichen Obrig-
keiten und Bewohner dieser Orte gegen eine Maßregel, die ihnen
selbst den größten pekuniären Schaden zufügte. Nur die
Bäder im Kaukasus mußte, auf die lauten Beschwerden der
dortigen Christen hin, die Regierung den Israeliten wieder öffnen.
Was soll man aber dazu sagen, daß der Senat innerhalb des
Ansiedlungsrayons selbst sämtliche Sommerfrischen den Juden
verschloß, unter dem Vorwande. daß sie ja dort nicht auf dem
Lande wohnen dürften. Sogar aus Landhäusern, die dicht vor
den Toren der Städte lagen, wurden die Juden vertrieben.
Zahlreiche Landhausbesitzer reklamierten gegen diese sie mit
Ruin bedrohende Maßregel; aber der dirigierende Senat schob,
262 Die Reaktion und die Juden.
im Februar 1910, die Entscheidung ins unbestimmte auf,
beließ es also einstweilen bei der Ausschließung.
Die Beschränkung der bürgerlichen Rechte der Juden
wurde mit gleicher Beharrlichkeit durchgeführt, wie diejenige
des Wohnsitzes. In den Städten außerhalb des eigentlichen
Ansiedlungsrayons sollen sie überhaupt nicht Mitglieder der
städtischen Selbstverwaltungskörperschaften sein, in den Orten
des Rayons höchstens ein Fünftel derselben ausmachen, auch
wenn sie neunzig Prozent der Einwohnerschaft bilden. Ein
Erlaß des Verkehrsministers befahl die Säuberung der Eisen-
bahnverwaltung von allen ,, nicht russischen" Elementen an.
Daraufhin mußte auch der Direktor der Südwestbahn, Wirk-
licher Staatsrat M. Abramsohn, einer der anerkanntesten Eisen-
bahningenieure Rußlands, seine Entlassung nehmen. Der Justiz-
minister ging nicht ganz so weit wie sein Kollege : er verordnete,
daß innerhalb des Ansiedlungsrayons nur 35, außerhalb des-
selben nur 20 Prozent der Rechtsanwälte Juden sein dürften.
Die jüdischen Advokatengehilfen wurden von der Tätigkeit
an den Gerichten ausgeschlossen, die in Smolensk wohnenden
jüdischen Zahnärzte ausgewiesen, in die Feldscherschulen nur
zehn Prozent Juden aufgenommen.
Am schlimmsten trieb es in den letzten Jahren der neue
Gouverneur von Odessa, General Tolmatschow, ehemals Haupt-
führer der Huligans. Er beherrschte die unglückliche Stadt
durch den Schrecken, setzte die Wahlen zum Gemeinderat und
zur Reichsduma nach seinem Willen durch. Unter dem infamen
Vorwande, daß die jüdischen Ärzte des jüdischen Kranken-
hauses Revolutionäre seien und ferner die dort untergebrachten
christlichen Patienten durch Einspritzung von Syphilisgift in-
fizierten, unternahm er es, jene sämtlich zu vertreiben und
durch christliche Ärzte zu ersetzen.
Überhaupt galt dieses Mal der Feldzug der russischen
Regierung in erster Linie der jüdischen Intelligenz. Früher,
unter Alexander I. und sogar unter Nikolaus I., hatte man
sie mit aller Macht begünstigt und zu entwickeln gesucht;
jetzt bekämpfte man sie, aus Furcht, sie könnte sich der
rusisschen Intelligenz überlegen erweisen. Man untersagte
Fortbildungskurse für jüdische Lehrer in Wilna. Die jüdische
Die Reaktion und die Juden. 263
Volksuniversität in Warschau, die für den kulturellen Fort-
schritt der jüdischen Masse segensreich gewirkt hat, wurde
seitens der Verwaltung derart drangsaliert, daß man sie schließen
mußte. Der in der Freiheitszeit unbeachtet gebliebene Grund-
satz, daß an höheren Schulen und Universitäten die Juden nur
einen geringen Prozentsatz der Schüler ausmachen dürften,
wurde nun mit aller Strenge A\deder durchgeführt, und da wäh-
rend der Freiheitszeit ihre Anzahl sehr angewachsen war,
wurden einstweilen Gymnasien und Universitäten überhaupt
für jüdische Aspiranten geschlossen, bis der ,, normale" Pro-
zentsatz hergestellt sei. An den verschiedenen Petersburger
Hochschulen MTirden für das Unterrichtsjahr 1910/11 nur
125 Juden aufgenommen, gegen 5000 Christen. An der neuen
Universität Odessa wies man 400 jüdische Studenten zurück
und ließ nur 21 zu, obwohl die Hörsäle noch für 500 Besucher
Platz boten. Die ganze Ungeheuerlichkeit der Maßregel, die
den Juden nur drei Prozent an den Hochschulen der beiden
Hauptstädte Petersburg und Moskau einräumt, wird durch
den Umstand erläutert, daß 56 Prozent aller russischen Stu-
dierenden gerade diese Hochschulen besuchen. Von den in
dem Reiche vorhandenen 33 Hochschulen verschiedener Art
befinden sich nur vier im Ansiedlungsrayon , wo allein die
jüdischen Studenten 15 Prozent ausmachen dürfen.
Kein Jude, auch der von den Fakultäten bestempfohlene,
wurde mehr zur Dozentur an den Universitäten zugelassen.
In den Handelsschulen, wo auch allgemeine Fächer gelehrt
werden, konnten ehemals die Juden in unbeschränkter Anzahl
Zutritt finden; 1909 wurde auch hier die prozentuale Beschrän-
kung angeordnet, die die Schließung der Mehrzahl dieser An-
stalten zur Folge hatte.
Ein weiterer ,, Fortschritt" war, daß man diese Einschrän-
kung auch auf das bisher davon unberührte Gebiet der Künste
ausdehnte. Man nahm in die Architekturabteilung der Peters-
burger Kunstakademie nur noch drei Prozent, in die Malklasse
gar nur zwei Prozent Juden auf. Künftighin wurden zu den
internationalen Musikkonkurse in Petersburg von Juden aus-
schließlich die in der Hauptstadt wohnberechtigten zugelassen,
entgegen der vom Kaiser bestätigten Statuten dieses Wett-
264 Die Reaktion und die Juden.
bewerbes, die jedem Befähigten die Beteiligung gestatteten;
im Widerspruche auch mit der Tatsache; daß bisher fast ledig-
lich Ausländer an der Bewerbung teilgenommen hatten. Diese
neue Maßregel war derart ungeheuerlich, daß die meisten
Jurymitglieder ihr Amt niederlegten.
Vergebens forderte sogar der antisemitische Stadtrat von
Kischinew die Aufhebung der die Anzahl der jüdischen Schüler
beschränkenden Norm an den höheren Schulen, als diesen ver-
derblich. Im Gegenteil, der Kultusminister Schwartz erstreckte
am 10. Februar 1910 diese Norm auch auf die privaten höheren
Lehranstalten mit staatlicher Berechtigung, und zwar mit
sofortiger Wirkung; in striktem Widerspruche mit einem ein-
stimmigen Beschlüsse des Ministerrats, der nur die allmähliche
Einführung der Beschränkung bei den höheren Privatschulen
angeordnet hatte. Die schlimmste Gewalttat aber wurde ver-
übt, indem gegen die von den Juden auf eigene Kosten ein-
gerichteten und von der Regierung genehmigten und ordnungs-
mäßig beaufsichtigten Mittelschulen der ,, Minister für Volks-
aufklärung", Schwartz — und dabei war er den ,,Echt Rus-
sischen" noch nicht reaktionär genug — einen erbitterten Krieg
führte. Das erste jüdische Privatgymnasium war 1903 in Odessa
eröffnet worden, 1906 erfolgte die Gründung jüdischer Gymna-
sien in Petersburg, Wilna, Homel und Riga soaWc einer Real-
schule in IVIinsk. Zunächst ließ man die jugendbildende Tätig-
keit der Juden gewähren; aber im Frülijahr 1910 erwachte
die Furcht, die jüdische Intelligenz könne hieraus neue Kräfte
ziehen. Man zog von den Kuratoren der Lehrbezirke Aus-
künfte ein, wie es um die privaten jüdischen Mittelschulen
stehe; sie fielen sehr günstig aus. Der Wirkungskreis dieser
Unterrichtsanstalten war sehr ausgedehnt: sie wnirden von
2000 jüdischen Kindern und dazu von etwa 500 christlichen
besucht. Im Juli 1910 aber entzog Schwartz durch eine Ver-
fügung an die Kuratoren des Wilnaer und des Odessaer Lehr-
bezirks den jüdischen höheren Schulen für den Fall, daß sie
mehr als fünfzehn Prozent jüdischer Zöglinge aufnähmen, alle
staatlichen Rechte, so daß sie weder zum einjährigen Militär-
dienst noch zur Universität entlassen konnten. Beide Even-
tualitäten aber bedeuteten den Untergang dieser Schulen, den
Die Reaktion und die Juden. 265
Verlust der Mühe, der Arbeit, des Kapitals, die auf sie ver-
wandt waren, und das Abschneiden aller Möglichkeit höherer
Bildung für Tausende von jüdischen Kindern. Denn was sollten
sie in Schulen suchen, deren Besuch keinen Nutzen für das
praktische Leben brachte; und wdederum war die Durch-
führung der 15-Prozent-Norm unmöglich, da es ganz ausge-
schlossen war, 85 Prozent christlicher Kinder zu finden, die
Aufnahme in die jüdischen Schulen gefordert hätten. Es war
die Verfügung des Kultusmiiüsters eine unerhörte, in keinem
Staate jemals nur in Erwägung gezogene Gewalttat. Eine
Konferenz jüdischer Notabilitäten in Petersburg beschloß, da-
gegen bei Schwartz selbst durch eine Abordnung Beschwerde
zu führen, und sie erhoffte von diesem Schritte Erfolg, da
man gehört hatte, sogar Stolypin sei ein überzeugter Wider-
sacher jener Verfügung. Sie hatte dann tatsächlich die Wirkung,
daß, angesichts der Unzufriedenheit des Ministerrates mit
seinem Vorgehen, Schwartz sein Rundschreiben wegen der
höheren Privatschulen auf ein Jahr suspendierte. Aber es
hängt noch über ihnen wie ein Damoklesschwert.
Einzelne Kuratoren der Lehrbezirke erstrecken wider-
gesetzlich die Beschränkungsnorm auch auf die Volksschulen.
Ja, in manche von diesen werden Juden überhaupt nicht
mehr aufgenommen; so wies man in den Volksschulen von
Nowogradwolynsk, einer Kreisstadt im Gouvernement Wolhy-
nien, fünfhundert jüdische Kinder zurück.
Das nennt man die Juden der allgemeinen Kultur zu-
führen ! Und dann beschuldigt man die Israeliten, sich in
fanatischer Beschränktheit von Zivilisation und Vaterland ab-
zuschließen.
Trotz aller Demütigungen und Mißhandlungen aber blieben
die russischen Juden ihrem Glauben treu. Ja, noch mehr: im
Jahre 1909 sind dort nicht weniger als vierhundert getaufte
Juden zum Bekenntnis ihrer Väter zurückgekehrt, trotz aller
materiellen und moralischen Nachteile, die dieses ihnen bringt.
Es scheint den Feinden des Judentums doch recht schwer zu
werden, es zu vernichten.
Die entsetzliche Tragödie der Pogrome hatte freilich' der
freiheitsdurstigen, menschheitsfreudigen, patriotisch gerichteten
266 Die Reaktion und die Juden.
russischen Judenheit eine furchtbare Ernüchterung gebracht.
Die „teuren russischen Brüder" mordeten die Juden, plünderten
und verbrannten ihre Wohnungen und Geschäfte, schändeten
ihre Frauen. Wo war da die erträumte Gleichheit, die christ-
liche Bruderliebe, das freie Volkstum ? Es war eine grausame
Enttäuschung, die einen klaffenden Riß im Ghetto hervorrief.
Ein großer, und zwar der bisher vorzugsweise politisch tätige
Teil der Juden hatte überhaupt jeden Boden und jedes Ziel
verloren, wurde unsicher, blasiert, ohne Ideal. Man irrte un-
ruhig von Stadt zu Stadt, von einem Lebensplan zum anderen,
stets in Gefahr sittlichen und materiellen Untergangs. Opti-
mistischere Gemüter endlich, die weder verzweifeln noch sich
dem überlebten Alten wieder ergeben wollten, suchten das Heil
in Bildungsbestrebungen leider ungeregelter und deshalb oft un-
fruchtbarer Art. Sie wurden Freunde spitzfindiger Debatten,
Nachbeter der westeuropäischen Gedanken, dabei skeptische
Verächter der Frauen. Auch die jungen Mädchen, die sich in
den letztverflossenen Jahren mit glühender Begeisterung der
Politik zugewandt hatten, verfielen dieser Skepsis. So blieb
ihnen, neben der Hinneigung zur Literatur, namentlich der west-
europäischen, die ihrem Geschlechte und Alter eigene, aber bei
ihnen sich despotisch entwickelnde Sehnsucht nach der Liebe,
Die verschiedenen Stimmungen in der damaligen russischen
Judenheit sprach sich in der Dialektdichtung feurig aus. Der
Verzweiflung über das Geschehene gab S. Frug in seinem
Gedichte ,,Aber die Sterne" Ausdruck:
,,Es hat sich erfüllt! . . . Wie Sand und wie Steine
Zerstreut und zerstoben zu Schande und Spott !
Nun aber, die Sterne mit leuchtendem Scheine,
Die Sterne, die Sterne, wo sind se, mein Gott ?"
Schon zuversichtlicher, dem lebensbejahenden Optimismus
des jüdischen Stammes mehr entsprechend, sang Moritz
Rosenfeld :
,,Wir duldeten Martern wohl sonder Zahl,
— Die schwachen Körper mußten erliegen —
Doch lebt in uns ein Ideal,
Das Völker könnt ihr nie besiegen." —
Die Reaktion und die Juden. 267
Die Abwendung der Juden von der Politik und zumal von
den revolutionären und sozialistischen Bestrebungen zeigt sich
in dem Schicksale des jüdischen sozialistischen .,Bi^irides". Die
Zahl seiner Mitglieder nahm reißend ab; die eigentlichen Ar-
beiter verließen ihn, und schließlich versank er zu gänzlicher
Bedeutungslosigkeit.
Es gab noch einzelne sozialistische Schwärmer, aber ihre
Anzahl wurde immer geringer. Die Hauptmasse der Juden
wandte sich von der tätigen Politik ab. Würde man ihnen
die Gleichberechtigung gewähren, so würden sie zweifellos in
ihrer großen Mehrheit der konservativen Partei beitreten. Eine
günstige Folge der schrecklichen Verfolgung, die alle betroffen
hatte und. noch weiter betraf, war die Herstellung des Friedens
zwischen den Misnaggedim undChassidim; der Chassidismus trat
in Rußland überhaupt zurück und spielte keine beträchtliche
Rolle mehr. An Stelle der politischen Bestrebungen, die sich als
aussichtslos erAviesen haben, ist dann allmählich bei den russi-
schen Israeliten, sogar bei den orthodoxen, die Überzeugung ge-
treten, daß nur die Bildung die traurige Lage in ökonomischer,
geistiger und sozialer Hinsicht zu verbessern imstande sei. Es
ist hier in der Masse der russischen Juden eine große, segens-
reiche Wandlung eingetreten. Auch bei den Gebildeten : sie haben
eingesehen, daß ihr Schicksal auf das engste mit dem der ganzen
Gemeinschaft verbunden ist, und sie widmen sich mit großer
Aufopferung an Kraft, Geld und Einfluß dem Schicksale ihrer
unglücklichen Brüder. Die Jugend ist entschieden fortschritt-
lich gesinnt — allerdings liegt die Gefahr vor, daß sie sich
künftigliin der jüdischen Überlieferung, dem religiösen Geiste
entfremde. Einstweilen herrscht nach den jüngsten so traurigen
Erfahrungen unter den russischen Israeliten eine bewunderns-
werte Solidarität; das , .jüdische Herz" macht sich unter ihnen
auf das glänzendste und segensreichste geltend. Das nationale
Unglück ist, wie so oft in der Geschichte der Israeliten, die
Quelle einer inneren Wiederlebung, einer wahren Renaissance
geworden. Diesen russischen Juden steht noch eine große
Zukunft bevor.
Auch die jüdische Presse hat in den letzten Jahren einen
bedeutenden Aufschwung genommen. In Petersburg erscheinen,
268 Die Reaktion und die Juden.
neben einer Anzahl feuilletonistisch gehaltener Jargonblätter,
mehrere jüdische Zeitschriften in russischer Sprache und von
ernster, sei es politischer, sei es wissenschaftlicher Bedeutung.
Das verbreiteste dieser Blätter, ,,Rasw3et", ist ein zionistisches
Parteiorgan; das zweitwichtigste, „Jewreiskij Mir", gehört der
national-demokratischen Richtung an; das dritte Wochenblatt,
,,Nowy Woschod", bekennt den gemäßigten Liberalismus.
Der jüdischen Geschichtsforschung ist die Vierteljahrsschrift
Dubnows ,,Jewreiskaja Starina" vorzugsweise ge^\ddmet. Die
hebräische Presse — von ihren sieben Organen erscheinen zwei
täglich — besitzt ihren Mittelpunkt in Wilna. Die älteste der
hebräischen Tageszeitungen ist der 1886 von Dr. L. Kantor in
Petersburg begründete ,,Hajom", der sich bestrebt, die heilige
Sprache den Ereignissen und Anforderungen der Gegenwart
anzupassen und damit auf die Entwicklung dieser Sprache
einen sehr bedeutenden, auch heute noch nachwirkenden Ein-
fluß übte. Auch in Odessa und Lodz erscheinen jüdische Zeit-
schriften. Sie alle sind ein wichtiges Zeugnis des immer stärker
erwachenden geistigen Lebens unter den russischen Israeliten.
Alle Einsichtigen unter den russischen Juden haben er-
kannt, daß man der allmählichen Besserung der politischen
und sozialen Zustände ihrer Glaubensgenossen am wirksamsten
dient, indem man wahre Aufklärung und Bildung unter ihnen
verbreitet, das einer jeder Bevölkerungsklasse angemessene
Wissen, sittliches Empfinden und kultiviertes Wesen bei ihnen
befördert. Eine sehr lebhafte wissenschaftliche Tätigkeit ist
unter den Juden Rußlands entstanden. Aus der historischen
Sektion der längst bestehenden Gesellschaft zur Verbreitung von
Bildung unter den Juden hat sich eine ,, Jüdische historisch-
ethnographische Gesellschaft" entwickelt, die eine Fülle ge-
schichtlicher Veröffentlichungen veranstaltet hat, unter anderen
eine Sammlung von Urkunden und Memoiren zur Geschichte
der russischen Israeliten. Bedeutende Gelehrte, wieDubnow und
Hessen, stehen an ihrer Spitze; ihr oberster Leiter ist der als
Politiker hoch angesehene, für seine jüdischen Brüder herzlich
begeisterte Rechtsanwalt Winawer. Der leider jung verstorbene
Baron David Günzburg, der mit dem lebhaften Opfersinn und
der echt jüdischen Gesinnung seines edlen Vaters gründliche
Die Reaktion und die Juden. 269
wissenschaftliche Bildung, besonders auf dem orientalistischen
Gebiete, vereinte, hat eine private Lehranstalt für die Wissen-
schaft des Judentums ins Leben gerufen, an der er selbst Vor-
lesungen hielt. Eine sehr wertvolle ,, Jüdische Enzyklopädie"",
nach dem Muster der amerikanischen ,,Jewish Encyclopaedia",
aber ganz unabhängig von ihr und mit besonderer Berücksichti-
gung der russischen Zustände und Persönlichkeiten, erscheint
in russischer Sprache und hat schon 8000 Abnehmer. Auf die
Masse des Volkes waren die Israelitischen Literaturvereine be-
rechnet, die nach dem Vorbilde der deutschen seit 1909 ins
Leben getreten sind und sich mit reißender Schnelligkeit über
ganz Rußland ausdehnten — bis die russische Regierung sie
auflöste (1911) und damit von neuem ihre tödliche Feind-
schaft gegen jedes Bildungsstreben unter den Israeliten dar-
tat. Selbst in den Baltischen Provinzen sind die Juden
wissenschaftlich tätig und geben dort ,, Urkunden und Regesten"
ihrer Provinzialgeschichte heraus. Diese wissenschaftliche Arbeit
ist ein erfreuliches Zeichen der inneren Kraft der russischen
Judenheit.
Während die Besseren und Klügeren an den Bildungs-
bestrebungen mit aller Kraft arbeiten, hat das eindringende
Licht die Dunkelmänner unter den Rabbinern aufgestört, die
jeder Neuerung mit Bannflüchen begegnen, die mit so vielen
Opfern tätigen jüdischen Zeitungen verwünschen, sogar Frauen,
die ihr eigenes Haar tragen, den Eintritt in die Synagogen ver-
bieten. Möge es diesen Leuten nicht ebenso, wie in früheren
Jahren, gelingen, die Masse der russischen und polnischen Juden
in ihrer geistigen und sozialen Verkommenheit festzuhalten,
und damit von neuem den Machthabern die \^dllkommene Ge-
legenheit geben, sie für unverbesserlich zu erklären. Unter
Alexander I. und IL haben sie die damals wohlmeinenden Ab-
sichten der Herrscher vereiteln helfen und damit das Unglück
der Juden besiegelt.
Eine feindselige Haltung gegen ihre rabbani tischen Brüder
nahm jederzeit die etwa 10 000 Seelen umfassende, hauptsäch-
lich in der Krim wohnende Sekte der Karäer ein, Juden, die
nur die Bibel anerkennen und die gesamte rabbinische Über-
270 Die Reaktion und die Juden.
lieferung verwerfen. Ihrer Gegnerschaft gegen die Mehrheit
der Juden hatten sie es zu danken, daß die russische Regierung
sie von allen die „Hebräer" betreffenden Beschränkungen von
jeher befreit hat. Doch scheint der jetzige Zar seine Abneigung
gegen alles Jüdische nunmehr auch auf die Karäer übertragen
zu wollen.
Von bedeutender Wichtigkeit für die gesamte Weiter-
entwicklung der russischen Judenheit ist die Frage der Ge-
staltung des Rabbinertums, der religiösen Fülirung der ganzen
Gemeinschaft. Bedauerlicherweise fehlte nach dem Eingehen
der Institute von Wilna und Schitomir ein Rabbinerseminar
überhaupt: es gibt entweder im hebräischen Schrifttume ganz
unwissende oder welthch durchaus ungebildete Rabbiner. Ge-
setzlich muß, seit Nikolaus I., jeder Rabbiner sechs Gymnasial-
klassen durchgemacht und ein entsprechendes Abgangszeugnis
erlangt haben. Man weiß aber, daß diese ,, Kronrabbiner", die
allein von der Regierung anerkannt werden, keinen Einfluß auf
ihre Glaubensgenossen besitzen, und das ist um so erklär-
licher, als man sie, bei dem Mangel theologisch und zugleich
allgemein-wissenschaftlich ausgebildeter Kandidaten, aus der
Zahl der Rechtsanwälte, Zahnärzte u. dgl. ergänzt. Die
Heranziehung von Rabbinern aus dem Auslande ist verboten.
Die wirklichen geistlichen Führer der Gemeinden sind die aus
dem Jeschibot hervorgegangenen, sonst gänzlich ungebildeten
Rabbis. Um diesen schweren Übelständen abzuhelfen, rief die
Regierung 1910 eine sogenannte Rabbinerkommission zusammen,
daneben aber einen jüdischen Kongreß, der durch Wahl ge-
bildet wurde. Da aber jüdische Gemeinden in Rußland über-
haupt nicht vorhanden sind, sondern nur ,, Bethäuser" mit
deren Getreuen, ließ man die Wähler zur Kommission durch
die einzelnen Bethäuser ernennen. So ergaben die Wahlen ein
bedeutendes Übergewicht der Orthodoxen. Einige gemäßigte
Fortschrittliche wurden in den großen Städten ernannt: wie
in Petersburg Baron David Günzburg, der den Vorsitz in der
Kommission erhielt, Staatsrat Poliakow in Moskau. Die Fort-
schrittlichen widersetzten sich den allzu einseitigen Anträgen
der Orthodoxen, allein mit geringem Erfolg. Die Beschlüsse
des Kongresses liefen auf eine völlige Verkennung der Forde-
Die Reaktion und die Juden. 271
rungen der Zeit und der wahren Interessen der russischen
Judenheit hinaus. Er verlangte von der Regierung Anerkennung
der staatlich nicht diplomierten Rabbiner, die freilich die
russische Sprache verstehen und handhaben müßten. Also im
Grunde die Beibehaltung der nur etwas russisch gefärbten
alten Jeschiwoh-Rabbis — ein schweres Hindernis für jede
Kulturentwicklung unter den russischen Juden. Aber damit
noch nicht genug. Eine jede Gemeinde solle befugt sein, neben
•dem offiziellen Rabbiner noch einen „geistlichen" Rabbiner oder
Moire- Geraa für die Entscheidung religiöser Fragen und für
Überwachung der Vollziehung der Religionsgebräuche anzu-
stellen, wobei es nicht notwendig sei, daß dieser die russische
Sprache kenne. Also das Schwergewicht sollte tatsächlich wieder
auf einen Rabbi ohne jede Spur weltlicher Bildung gelegt
werden, der zugleich als Glaubensinquisitor über die absolute
Unterwerfung seiner Herde unter das Zeremonialgesetz zu
wachen habe. Ein Rückschritt in das Mittelalter, anstatt des
Fortschritts, in die Vergangenheit an Stelle zukunftsreicher
Veranstaltung !
Die Bildungsfeindschaft der Mehrheit des Kongresses sprach
sich noch in weiteren Beschlüssen aus. Die Gründung einer be-
sonderen jüdisch-theologischen Hochschule sei unnötig, dagegen
solle die Errichtung von Jeschiwohs wieder erlaubt werden. Die
Lehrer, die in den jüdischen Fächern unterrichten, brauchen
dem für Lehrer sonst festgelegten Bildungsgrad nicht zu ent-
sprechen. Also der gesamte Religionsunterricht sollte wieder
in die Hände roher Bachurim und sonstiger gescheiterter
Existenzen gelegt werden. Aus diesem frommen Wunsche ging
ferner der Antrag hervor, daß der Unterricht in den ,, jüdischen
Fächern" auch im Jargon gestattet sein solle, anstatt der
russischen Sprache. Der in Polen für alle jüdischen Elementar-
schulen bestehende obligatorische Unterricht in Gegenständen
allgemeiner Bildung sollte abgeschafft werden. Auch sonst strebte
der Kongreß nur die Einrichtung möglichst zahlreicher Talmud-
Toras, Cheders und Jeschibot mit vorwiegend hebräischen
Unterrichtsgegenständen an. Die Ehescheidungen sollten jüdi-
schen Gerichten vorbehalten bleiben. Alles Beschlüsse, die die
Absonderung der Juden von der Nation und die Ausschließung
272 Die Reaktion und die Juden.
jeglichen Kulturfortschrittes unter ihnen zu verstärken be-
stimmt waren, im Gegensatze zu den richtigen und notwendigen
Bestrebungen aller Einsichtigen und Verständigen unter den
russischen Israeliten und der großen Mehrheit der Jugend.
Im übrigen sprach sich der Kongreß für die Errichtung
staatlich anerkannter Zwangsgemeinden aus, denen die Ver-
waltung der religiösen, Wohltätigkeits- und Bildungsanstalten
unterstehen soll, und die ihre Ausgaben durch von allen ihren
Mitgliedern zu zahlende Kultussteuern zu decken befugt sind.
Aber die Regierung fürchtet zu sehr die Stärkung des Gemein-
sinnes unter den Juden, als daß sie diesem Vorschlage zu-
stimmen wird.
Auch sonst haben die Bildungsbestrebungen noch mit
vielen Schwierigkeiten zu kämpfen: mit der Armut und dem
Mißtrauen. Die Armut veranlaßt die Eltern, die billigste
Unterrichtsweise aufzusuchen und anderseits ihre Kinder mög-
lichst bald des Erwerbes halber aus der Schule zurückzuziehen;
das Mißtrauen gegen jede staatliche oder jüdische Anstalt läßt
sie in den allgemeinen Schulen lediglich die Verleitung der
Kinder zum Abfall vom alten Glauben erblicken. So kommt es,
daß zahlreiche jüdische junge Leute, die von der umgebenden
Welt nichts wissen, eine Last für ihre Familie und die Gemein-
samkeit bleiben, daß sie durch ihre Unwissenheit außerstand
gesetzt werden, sich in dem kampfesfrohen Wesen der Jetztzeit
ihren Platz zu schaffen, daß sie zum Dasein hungernder Pro-
letarier verurteilt sind.
Die Armut der jüdischen Bevölkerung des Ansiedlungs-
rayons und Polens ist sehr groß. Fast ein Fünftel (18,8 Prozent)
verlangt dauernde Unterstützung ; während es in Deutschland nur
3,4, in Frankreich 4,7, in England 2,9 Prozent unterstützte Arme
gibt. In Odessa verlangten von der 130 000 Köpfe starken
jüdischen Bevölkerung während der Osterf eiertage 60000 —
beinahe die HäKte ! — Unterstützung von der Gemeinde. In
Mohilew ist ein Viertel der Juden dauernd hilfsbedürftig; in
Berditschew ein Drittel. Dabei nimmt in Rußland die Armut
unter den Juden beständig zu, ungefähr um sieben Prozent
jedes Jahr. Die vielfachen Handelskrisen der letzten Jahre,
die Pogrome, die schlechten Ernten und der Rückgang des
Die Reaktion und die Juden. 273
Getreidehandels haben ungünstig gewirkt. Neben diesen vor-
übergehenden Ursachen des Sinkens des Verdienstes für die
Juden finden sich aber allgemeine und bleibende: die Ent-
wicklung der Eisenbahnen hat zahlreichen jüdischen Fracht-
fuhrleuten das Brot genommen; die Errichtung von Getreide-
elevatoren sowie die Erweiterung des Bankkredits für Kauf-
leute haben die Existenz vieler Kommissionäre, Vermittler und
kleinerer Geldhändler vernichtet. Das System des Staatsmono-
pols für den Spirituosenhandel hat viele Tausende jüdischer
Familien des Erwerbes beraubt. Endlich wirkt in Polen der
nationale Boykott gegen die Juden überaus verderblich.
Die traurige Lage der Juden wird noch verschärft werden
durch das Gesetz über die Wahrung der Sonntagsruhe, das die
Duma im Juni 1910 angenommen hat. Wenn man weiß, daß
die jüdischen Händler und Handwerker nur mit allergrößter
Anstrengung den notwendigsten Lebensunterhalt erarbeiten,
und daß sie durch die jüdischen Feiertage und Sabbate schon
an Abelen Tagen des Jahres zu feiern genötigt sind: so wird
man begreifen, welch furchtbarer Schlag für sie ein Gesetz ist,
das ihnen den Erwerb auch an den Sonntagen und den zahl-
reichen Festen der griechischen Kirche untersagt; für mehr als
ein Drittel des Jahres sind die Juden damit zur Untätigkeit
verurteilt. Das fällt für Menschen sehr schwer ins Gewicht, die
im strengsten Sinne des Wortes von der Hand in den Mund
leben. Die gesamte Linke der Duma beantragte Milderungen
zugunsten der Juden und Mohammedaner; ihre Vorschläge
wurden aber mit 194 Stimmen gegen 101 abgelehnt.
Den in Armut versunkenen Juden wird die Lebenshaltung
noch erschwert durch die Koscherfleischsteuer, die Korobka.
Sie ist von beträchtlicher Höhe : während der Preis des Fleisches
in Rußland etwa achtzig Pfennige pro Kilo beträgt, schwankt
die Korobka zwischen 30 und 48 Pfennige pro Kilo, also zwischen
35 und 60 Prozent. Kein Wunder, daß für die besitzlose
Klasse unter den Juden der Fleischgenuß einen Luxus aus-
macht, den sie sich höchstens an den Feiertagen gönnen kann.
Alle nicht-orthodoxen Juden aber, die den Speisegesetzen keinen
Wert mehr beilegen, sind von der Steuer frei. Die Korobka ist
also recht eigentlich eine Besteuerung des jüdischen Religions-
Philippsoii, Neueste Geschichte der Juden, Bd. III. 18
274 Die Reahtion und die Jviden.
gesetzes. Dabei ist die Verwendung der Korobka eine ebenso
ungerechte Avie ungesetzliche. Laut gesetzlicher Vorschrift sind
die Überschüsse dieser Steuer, über die finanziellen Bedürf-
lüsse der jüdischen Gemeinde hinaus, für deren sonstige Auf-
gaben bestimmt. Tatsächlich werden sie zumeist für staatliche
Zwecke verwandt, die mit den Angelegenheiten der Gemeinden
nichts zu tun haben — und zwar mit allerhöchster Zustimmung :
zum Beispiel für die örtliche Staatspolizei, für Straßenpflaste-
rung. Dagegen schlägt man den Juden die Verwendung dieser
ihrer eigensten Mittel für ihre Unterrichtsanstalten oder Wohl-
tätigkeitsinstitute rundweg ab. Der Minister des Innern ver-
fügt über die Korobka-Überschüsse ohne jede Kontrolle, so
daß die Gemeinden über deren Bestand und Verwendung völlig
in Ungewißheit bleiben. Veröffentlicht mrd darüber nichts.
Große Summen der Steuer bleiben schon bei den Steuerpächtern
hängen. Kaum die Hälfte mrd für die gesetzlichen Bestimmungen
derselben wirklich aufgewendet.
Das Massenelend der russischen Israeliten hat freihch, zu-
mal in dem eigentlichen Rußland, eine glänzende Entfaltung
der jüdischen Stammestugend, der Wohltätigkeit, hervor-
gerufen. Man darf sagen, daß die gesamte jüdische Bevölkerung
Rußlands in zwei Klassen zerfällt: in Unterstützte und Wohl-
täter. Dabei ist die ganze Wohlfahrtspflege durchaus der
privaten Anregung und Tätigkeit überlassen, da es ja im eigent-
lichen Rußland jüdische Gemeinden nicht gibt. Die Wohltätig-
keit nimmt die verschiedensten Formen an. Neben den unzähli-
gen Almosen von Hand zu Hand, neben der Verteilung von
Mazzot zum Passahfeste und von Holz zur Winterheizung
gibt es allein in Westrußland zweitausend bleibende jüdische
Wohltätigkeitsanstalten. Sie sind entweder allgemeiner oder
besonderer Art: Unterricht für arme Kinder, Krankenliilfe,
Vorschußkassen, Alter- oder Waisen Versorgung, Tag- und
Nachtasyle, Volksbäckereien, Kleiderverleihung, Aussteuer für
arme Bräute. In vielen kleinen Städten sind sämtliche Juden,
die selber keine Almosen empfangen, Mitglieder der Wohltätig-
keitsanstalten. Ein im Jahre 1897 ausgearbeitetes Normal-
statut hat in deren Mehrzahl Zusammenliang, Gleichmäßigkeit,
strenge Ordnung und Öffentlichkeit der Rechnungslegung ge-
Die Reaktion und die Juden. 275
bracht. Die Ausdehnung und Hochherzigkeit der Wohlfahrts-
pflege bildet einen Glanzpunkt und ein überaus ehrendes
Zeugnis für die russische Judenheit.
Die allgemeine ökonomische Entwicklung ist am gün-
stigsten im Südosten des Ansiedlungsrayons : in den Gouverne-
ments Taurien, Cherson, Jekaterinoslaw, Tschernigow. Wir
beobachten deshalb eine beträchthche Abwanderung von Juden
aus dem Nordwesten des Rayons nach den südlichen Provinzen.
Aber sie verschwindet neben der in ungeheurem Maßstabe nach
den furchtbaren Ereignissen der letzten Jahre stattfindenden
Emigration.
Selbstverständlich war eine Folge der Pogrome eine ge-
waltige Zunahme der Auswanderung der russischen Juden.
Vom 1. Juli 1905 bis zum 30. Juni 1906 trafen nur in New York
an 107 000 russische Juden ein; und so fort in dem folgenden
Jahren. Innerhalb eines Vierteljahrhunderts überstieg diese
Immigration die Million. Eine solche umfassende Orts Verände-
rung in so kurzer Zeit hat es seit der Besitznahme Palästinas
durch die Israeliten in deren Geschichte nicht gegeben. Aber
so herzlich auch der Einzug dieser Scharen in das Land der
Freiheit zu begrüßen war, er änderte an der Lage der Zurück-
bleibenden nichts. Die natürliche Volks Vermehrung läßt, trotz
der Emigration, die Zahl der Juden in den russischen Provinzen
nicht abnehmen. Die Judenfrage blieb und bleibt dort in ihrer
vollen Schärfe bestehen.
Eine Abhilfe könnte die Zuwendung der Juden zum
Ackerbau bieten. Allein wenn solche unter Nikolaus I. und
Alexander IL wenigstens theoretisch gefördert wurde, so
haben Alexander III. und Nikolaus IL die Juden von der Land-
wirtschaft geradezu ausgeschlossen. Es bestehen nur noch die
alten Ackerbaukolonien in Südrußland und einigen Gouverne-
ments des Westens; aber auch diese leiden unter mannigfachen
Beschränkungen und dem Verbote weiteren Landankaufs. Im
ganzen leben in ihnen etwa 50 000 Juden. Außerdem beschäf-
tigen sich solche mit der Gemüsezucht, dem Tabakbau, der
Milchproduktion, dem Weinbau und der Bienenzucht; andere
sind ländliche Tagelöhner. Die Zahl dieser das Land bebauenden
Juden außerhalb der Kolonien beläuft sich auf annähernd hun-
18*
276 Die Reaktion und die Juden.
derttausend. Man sieht, nicht die Lust und Befähigung
fehlt den russischen Juden zum Ackerbau, sondern nur die
Möglichkeit.
Um so größer ist die Zahl der jüdischen Handwerker:
innerhalb des Rayons beträgt sie mehr als eine halbe Million,
und ihre Menge wächst fortwährend. Sie machen dort zwischen
zwei Drittel und drei Viertel aller Handwerker aus und be-
herrschen die Kleinindustrie, bilden also einen ^^dchtigen, ja
unentbehrlichen Faktor im Erwerbsleben des russischen Westens.
Am meisten ist bei ihnen die Bekleidungsbranche vertreten:
38,7 Prozent aller jüdischen Handwerker. Dann kommen
Schuhmacher und Lederarbeiter mit 17, Wirte und Nahrungs-
bereiter mit 11,6 und Holzarbeiter mit 10 Prozent. Metall-
arbeiter (Schlosser, Schmiede, Kupferschmiede) gibt es 9,8 Pro-
zent. Leider zwingt ihre Armut sie zum Ankauf minderwertiger
Rohprodukte und zu sehr mangelhafter Erlernung ihres Be-
triebes, so daß ihre Erzeugnisse meistenteils billig und schlecht
sind. Ihr Einkommen ist daher ein sehr geringes, und zwar um
so schmäler, je größer die Konkurrenz ist, die sie, dicht zusammen-
gedrängt in die Städte des Rayons, einander machen müssen.
Sie sind genötigt, die Rohprodukte auf Borg zu nehmen und
zahlen dafür durchschnittlich den Ungeheuern Wucherpreis von
1 20 Prozent ! So verdienen die Schneider in überwiegender Zahl
nur 100 bis 300 Rubel im Jahre, die Wäschenäherinnen gar nur
bis 100 Rubel. Die Gesellen kommen auf 2 Rubel in der Woche.
Und nun erst, wenn die Arbeit fehlt, wie es bei den jüdischen
Handwerkern sich nur zu oft begibt ! Dann nagen diese
Menschen, die selbstverständlich in der Zeit ihrer Beschäftigung
nichts zurückzulegen vermögen, am Hungertuche, suchen ander-
weite Arbeit oder verlegen sich aufs Betteln. Nur die Überf ülirung
in andere Gouvernements und bessere Unterweisung könnten
hier helfen. Aber selbst zum Innehalten der notwendigsten Zeit
in den gewerblichen Schulen fehlen ihnen die Existenzmittel.
Wir haben die Gründe kennen gelernt, aus denen die ge-
setzlich gestattete Übersiedelung jüdischer Handwerker in die
Gouvernements außerhalb des Rayons tatsächlich nur eine
sehr begrenzte sein kann. Wir finden außerhalb der Zone nur
etwa 2000 jüdische Werkstätten neben 24 000 christlichen. Sie
Die Reaktion und die Juden. 277
sind meist in kleinstem Maßstabe: beinahe 70 Prozent der
jüdischen Meister haben weder Gesellen noch Lehrlinge, 20 wei-
tere Prozent nur einen Lehrling. Fast die Hälfte der jüdischen
Handwerker des Innern sind Schneider, weitere 20 Prozent
Metallarbeiter. Auch hier ist die Vorbildung eine geringe,
immerhin vollständiger als bei den Handwerkern des Rayons.
Ungelernte Arbeiter gibt es bei den Juden Rußlands und
Polens etwa 105 000, also ungefähr zwei Prozent ihrer Gesamt-
zahl. Unter ihnen bemerken wir zahlreiche Lastträger, sowie
Kutscher und Frachtfuhrleute. Letztere verdienen durch-
schnittlich 75 Kopeken im Tage, die übrigen Arbeiter bei weitem
weniger. Auch hier kann von einem selbst den bescheidensten
Ansprüchen genügenden Erwerb kaum die Rede sein.
Unter den Fabriken des Ansiedlungsrayons gibt es etwa
3000 jüdische. Man sieht hieraus, daß die oft ausgesprochene
Behauptung, die Juden zögen die gesamte Großindustrie Ruß-
lands an sich, ein bloßes Phantasieerzeugnis ist. Es fehlt den
Juden hierzu schon das nötige Kapital. Gewiß findet man unter
ihnen einige schwer Reiche ; aber die ungeheure Mehrheit selbst
unter den Bessersituierten von ihnen besitzt höchstens Mittel
für den Handel und das Handwerk. Infolgedessen sind auch die
jüdischen Fabriken im Durchschnitt kleiner als die christlichen,
und die Menge der Dampfkräfte ist bei ihnen geringer als in
diesen. Die Juden begründen gewöhnlich industrielle Anlagen,
die kein großes Kapital erfordern: Ziegeleien, Leder-, Lichter-,
Ölfabriken, Tabakmanufakturen, Teersiedereien, Mühlen. Viele
von ihnen tragen nur einen provisorischen Charakter, wegen der
Unsicherheit der gesetzlichen Lebensbedingungen der russischen
Juden. Die meisten jüdischen Fabriken sind in Wahrheit nur
größere Werkstätten, deren Jahresabsatz sich auf einige Tau-
sende von Rubeln beschränkt.
Die jüdischen Fabrikarbeiter befinden sich in einer be-
sonders ungünstigen Lage. Die einzige Möglichkeit des Ar-
beiters, sich einer förmlichen Lohnsklaverei zu entziehen, liegt
ja in seinem Rechte, den Ort seiner Beschäftigung nach Be-
lieben zu wechseln. Dieses Recht ist für den jüdischen Arbeiter
in Rußland sehr beschränkt, ja beinahe aufgehoben. Er muß
sich also jeder Lohnbedingung, die ihm auferlegt ^\^rd, hilflos
278 Die Reaktion und die Juden.
unterwerfen. Im eigentlichen Rußland gibt es 35 000 jüdische
Fabrikarbeiter. Unter ihnen findet man zahlreiche Frauen und
Kinder : unter den 22 270 Arbeitern des Südwestens 5492
Frauen, 1749 Mädchen, 1389 Knaben — zusammen 5830 oder
21,5 Prozent. Man sieht, wie der Ruf der Fabrikglocke zahl-
reiche jüdische Familien geradezu auflöst.
So führt die Betrachtung der ökonomischen Verhältnisse
der russischen Juden zu recht traurigen Ergebnissen. Und diese
arme, hungernde, bestenfalls von der Hand in den Mund lebende
Masse ist seit der Pogromzeit mehr denn je den Quälereien und
Verfolgungen seitens der offiziellen Gewalten ausgesetzt.
Es ist eine Pflicht der Geschichte der zeitgenössischen
russischen Israeliten, der großen Dienste zu erwähnen, die
die ,,Jewish Colonization Association" ihren dortigen un-
glücklichen Glaubensgenossen leistet. Ihre landwirtschaft-
lichen Schulen, ihre Musterfarm in Soroki und ihre Dar-
lehen haben die jüdischen Ackerbaukolonien wesentlich ge-
fördert. Die Weinkultur in Resina (Gouvernement Bess-
arabien) hat erfreulichen Aufschwung genommen und gibt
einen Nettoertrag von 1200 Mark pro Jahr. Der Anbau von
Tabak wird in vorzüglicher Weise betrieben. Mais und Lupine
werden mit bestem Erfolge gezogen. Spar- und Darlehnskassen
wirken segensreich. Leider wanderten viele von den Ackerbau-
schülern nach Argentinien, Nordamerika und Palästina aus und
entzogen so ihren russischen Brüdern die Früchte ihrer Erziehung.
Die Handwerkerschulen geben nur unvollkommene Resultate,
infolge der Unstätigkeit vieler ihrer Zöglinge. Das Jahr 1908
hatte mit 1398 Schülern begonnen und endete mit nur 1333.
Während 359 Zöglinge die Schule vor Beendigung der Lehr-
zeit verließen, schlössen 208 diese regelmäßig ab, von denen die
große Mehrzahl — 85 Prozent — im praktischen Leben das
Handwerk ausübten, das sie auf der Schule erlernt hatten, und
damit wesentlich zur Hebung des jüdischen Handwerkerstandes
in Rußland beitrugen. In den Gewerbeschulen für Mädchen
nahm 1908 die Zahl der Zöglinge zu, von 2549 auf 2781. Auch
hier üben die meisten der aus ihnen Hervorgegangenen das
Gewerbe aus, das sie dort erlernt haben. Daneben gibt es
Abendkurse für jüdische Handwerker in Wilna, Odessa und
Die Reaktion und die Juden. 279
Mohilew, mit gutem Erfolge. So wurden die jüdischen Hand-
werker in den Stand gesetzt, gute und solide Arbeit zu liefern
und den Wettbewerb mit ihren christlichen Genossen unter
günstigen Bedingungen zu bestehen.
Einundfünfzig Volksschulen der „Gesellschaft für die Ver-
breitung von Elementarunterricht unter den russischen Juden"
wurden von der „Association" unterstützt. Allerdings bildet
die Armut der Eltern, die ihre Kinder schon in zartester Jugend
wirtschaftlich verwerten, ein ernstes Hindernis für die Wirk-
samkeit dieser Schulen. Im Laufe des Jahres 1908 sank die
Zahl ihrer Zöglinge um volle dreißig Prozent, von 8028 auf
5632. Man lehrt dort Realien, Hebräisch, bisweilen auch
Deutsch. Es hat sich leider von neuem gezeigt, wie die ökono-
mischen Verhältnisse und das Mißtrauen gegen geistige Kultur
der Bildung der russischen Juden schwer besiegbare Hinder-
nisse in den Weg stellen. Die Gesellschaft zur Verbreitung von
Elementarunterricht unterhält mit Hilfe der ,, Association" ein
Seminar für jüdische Elementarlehrer in Grodno, wo Geschichte,
Geographie, Naturwissenschaften, Pädagogik, Mathematik,
Russisch, jüdische Geschichte und Literatur, Bibelkenntnis,
hebräische Grammatik, Gesang, Zeichnen und Turnen gelehrt
werden.
Allgemeine Unterstützung für das gewerbliche Leben bieten
die 548 teilweise von der ,, Association" begründeten oder unter-
stützten, teilweise der Privatirütiative entsprungenen Darlehns-
und Sparkassen. Sie sind für die bescheideneren Klassen von
Gewerbetreibenden bestimmt, da ihr Maximaldarlehnsbetrag
zwischen 100 und 300 Rubel beträgt. Abgesehen von der peku-
niären Hilfe, verbreiten sie den Sinn für geschäftliche Ordnung
und Sparsamkeit; jeder jüdische Gewerbetreibende kann seine
Spargelder dort anlegen. Mit geringen Ausnahmen gehen die
ausgeliehenen Gelder auf das pünktlichste wieder ein. Im
Jahre 1909 hatten die Teilnehmer von 270 dieser Kassen 1 850 000
Rubel eingeschossen, die Sparer 5098000 Rubel eingelegt, wo-
bei 18 690000 Rubel ausgeliehen, 16 263 000 Rubel zurück-
gezahlt wurden. Gewiß, ein überraschend günstiges Ergebnis,
das die jüdischen Gewerbetreibenden Rußlands in unverhofft
vorteilhaftem Lichte zeigt. Außerdem bestand in Ekaterinoslaw
280 Die Reaktion und die Juden.
eine ,,Kj*editgesellschaft", der 488 Mitglieder, Kaufleute und
Kleinkrämer, angehörten. Webereien, genossenschaftliche Ver-
kauf smagazine, Gesellschaften für hygienische und billige
Wohnungen und ähnliche Einrichtungen suchen das Elend der
armen jüdischen Bevölkerung zu mildern. Einstweilen Tropfen
auf heißem Steine, aber doch verheißungsvolle Anfänge einer
Bessergestaltung dieser traurigen Verhältnisse.
Kapitel Fünf.
Die Juden Polens unter Alexander 111.
und Nikolaus 11.
Uie politische und soziale Lage der Juden in Polen ist bei
weitem günstiger als in Rußland — wenigstens in der staats-
rechtlichen Theorie. Sie können dort überall wohnen, Grund-
stücke erwerben, sind gleichgestellte Staatsbürger. Aber in
Wirklichkeit liegen die Dinge ganz anders : ein scharfer Gegen-
satz hat sich zwischen der christlichen Mehrheit und der
jüdischen Minorität in Polen herausgestellt.
Das Anwachsen der Bedeutung, Betriebsamkeit und Wohl-
habenheit des Bürgertums in Polen während des letzten Drittels
des neunzehnten Jahrhunderts hatte die Folge, daß diese Bour-
geoisie in scharfen ökonomischen Wettbewerb mit den dortigen
Juden geriet, die bis dahin überwiegend die gewerbliche Tätig-
keit ausgeübt hatten. Es war ein Vorgang, wie er im Mittelalter
der Entrechtung der Juden in ganz West- und Mitteleuropa seit
dem elften Jahrhundert unserer Zeitrechnung zugrunde gelegen
hatte. Er erweckte bei den Polen selbstverständlich den Kon-
kurrenzneid gegen die Juden und damit den Wunsch, diese aus
Handel, Industrie und Handwerk möglichst zu verdrängen.
Diese Stimmung brachte bald den Antisemitismus zur Geltung,
und zwar besonders in der Gestalt des nationalen Gegensatzes,
da der Nationalimus ja in Polen alle anderen Gesichtspunkte
im öffentHchen Leben überwuchert. Hiermit nahm aber die
Sache eine für die Juden recht bedrohliche Gestalt an. Denn
dem nationalen Gedanken huldigen auch die liberalen, die
demokratischen und sogar die sozialistischen Polen, und so
entstand für die Juden die Gefahr, ganz vereinzelt zu werden,
282 Die Juden Polens unter Alexander III. und Nikolaus II.
in Gegensatz zu der gesamten polnischen Bevölkerung zu treten.
Die nationaldemokratische Zeitschrift ,, Glos" wurde eine Führerin
in dem Bestreben, die Juden als „Fremde", mindestens als recht
bedenkliche Mitbürger zu bekämpfen. Die Hartnäckigkeit, mit
der die große Masse der polnischen Juden sich jeder Art der
Annäherung an das Polentum und die allgemeine Kultur wider-
setzte, bildete einen in seiner Berechtigung nicht wegzuleug-
nenden Grund für die Abwendung der polnischen Nationalisten
von ihnen. Denn unter den polnischen Juden hat der Chassi-
dismus eine noch weit größere Macht, als unter ihren russischen
Glaubensbrüdern; man kann sagen, daß er die polnisch- jüdische
Masse beherrscht. Neben ihm machen sich die jüdischen
Nationalisten, zumal die Zionisten geltend, die wiederum den
Riß z^vischen den Juden und deren katholischen Mitbürgern
erweitern. In Polen hat die ungeheure Mehrheit der Israeliten
noch ihre besondere Tracht bewahrt — die in Rußland fast
ganz abgelegt worden ist — und trägt so die Trennung von den
nationalen Gewohnheiten offen zur Schau. Auch von den
allgemeinen Schulen halten sich die Juden zumeist aus Grund-
satz fern. Freilich haben die Polen den Gegensatz in unzu-
lässiger und leidenschaftlicher Weise übertrieben, indem sie die
Juden nötigen wollten, alle ihre Besonderheiten, auch die
religiösen, aufzugeben und sich ganz der Mehrheit der Bevöl-
kerung in Wesen, Sitten und Anschauungen anzuschließen.
In ihrem kulturellen Leben brauchten die Polen die jüdische
Konkurrenz nicht zu fürchten, da die Zahl der intelligenten,
europäisch gebildeten Juden auch in den 80 er Jahren noch ver-
hältnismäßig sehr gering war. Dagegen auf ökonomischem Ge-
biete waren sie bedrohliche Konkurrenten, da fast der ganze
polnische Handel sich in jüdischen Händen befand, wie denn
auch im polnischen Volke der Name ,, Kaufmann" statt ,,Jude"
häufig gebräuchlich ist. Die Juden haben sich tatsächlich
die größten Verdienste um den polnischen Handel erworben,
und ihnen gehört die Initiative des Import- und Export-
handels. Sie waren es, die die polnischen Erzeugnisse nach den
inneren Gouvernements Rußlands bis nach Sibirien und Kau-
kasus versandt haben, ebenso wie sie ausländische Waren nach
Polen kommen ließen. Aber gerade avif ökonomischem Gebiete
Die Juden Polens unter Alexander III. und Nikolaus II. 283
setzte die antisemitische Bewegung der Polen an, und von hier
aus übertrug sie sich auf die anderen. Die Sachlage verschlim-
merte sich noch durch die massenhafte Immigration derjenigen
russischen Juden, die im Jahre 1880 aus den neutralen Gou-
vernements Rußlands ausgewiesen wurden und in Polen ihre
Zuflucht gesucht und gefunden haben. Diese russisch-jüdischen
Ankömmlinge betrachtete die polnische Gesellschaft als neue
Russifizierung Polens, wobei die radikal-nationalen und
antisemitischen Elemente hierin neue Beweise zugunsten ihrer
anti jüdischen Propaganda geschöpft haben.
Die Abneigung der Polen gegen die Juden fand in dem
Warschauer Pogrome am 25., 26. und 27. Dezember 1881 ihren
gewalttätigen Ausdruck. Es wandte sich nur gegen die ärmeren
und kulturell zurückgebliebenen jüdischen Einwohner und Avar
nicht sowohl gegen deren Personen als gegen ihr Eigentum ge-
richtet. Wer die eigentlichen Anstifter gewesen, ist unbekannt
geblieben; jedenfalls fraternisierten die Plünderer mit der Polizei
und dem Militär, was darauf schließen läßt, daß das Pogrom
nicht von der eigentlichen nationalistischen Partei ausgegangen
ist. Der materielle Schaden war im Verhältnis zu der Zahl der
jüdischen Bevölkerung Warschaus kein allzu beträchtlicher:
etwa 700 000 Rubel.
Die jüdische Intelligenz Polens suchte die Bedeutung des
Pogroms abzuschwächen, indem sie auf die vereinzelten Sympa-
thiebezeugungen und Hilfsspenden christlicher Mitbürger hin-
wies und sich nur um so enger an diese anzuschließen suchte.
Aber sie fand damit wenig Gegenliebe. Wenn die Juden sich
absonderten, so schalten die Polen auf deren Fremdheit und
religiösen Fanatismus; suchten jene sich am nationalen Leben
zu beteiligen, so jammerte man darüber, daß die Juden die
Polen aus deren Stellungen im öffentlichen und ökonomischen
Leben verdrängen wollten. Kurz, die Verhältnisse blieben
ebenso unsicher und zweideutig wie bisher ; im Stillen machte der
Antisemitismus unaufhörliche Fortschritte, da immer mehr
Polen in den Wettbewerb mit der jüdischen Bourgeoisie traten
und diese ihnen immer lästiger erschien.
In den 90er Jahren erwachte das politische Leben in Polen :
sozialistisch - revolutionäre Gedanken brachen sich Bahn,
284 Die Juden Polens vmter Alexander III. und Nikolaus II.
sozialistische Organisationen wurden überall gegründet, aber
parallel mit ihnen erstanden auch nationale Organisationen, die
dann im Jahre 1897 zu der populärsten aller Parteien, der
„National-Demokratischen" führen sollte. In bezug auf Juden
hatte diese Partei ein geschlossenes Programm: sie erklärte
den bittersten Kampf allen jüdischen Parteien oder Gruppen,
die jüdische Sonderinteressen irgendwelcher Art vertreten
wollten, und stellte es sich zur Hauptaufgabe, die Erziehung des
polnischen Volkes zu einem, wenn auch in kulturellen Formen
jedoch deswegen nicht minder intensiv geführten Kampf mit dem
Handel und der Industrie der Juden. ,, Nationaler Egoismus"
und ,, nationale Ausschließlichkeit" — so hießen die neuen Schlag-
worte, die in die breitesten Schichten der polnischen Bevöl-
kerung getragen wurden. Die Juden ihrerseits flüchteten —
soweit sie nicht eigene nationale und sozialistische Parteien
gebildet haben — zu den polnischen sozialistischen Parteien,
und die ,, Polnisch- Sozialistische Partei" (P. P. S. genannt),
sowie die ,, Sozialdemokratie Polens und Litauens", die alle
Elemente Polens ohne Unterschied von Konfession und Natio-
nalität auf der breiten Plattform von Gleichheit und Freiheit
vereinigen wollte, zählten in ihren Reihen hunderte und
hunderte von Juden.
Aber die Stimmung der weit überA^iegenden rein nationalen
Partei unter den politischen Führern Polens übertrug sich auch
auf die unteren Klassen, und so kam es, daß im Mai 1892 ein
Ausstand der Arbeiter in Lodz und deren Feindseligkeiten gegen
die Fabrikanten bald in ein Pogrom ausarteten, das, von den
Juden mutig bekämpft, eine große Zahl von Tötungen und
Verwundungen zur Folge hatte. Sonst entlud sich die antise-
mitische Gesinnung der Massen nur in einzelnen Schlägereien
ohne größere Bedeutung. Am schlimmsten ging es am 11. Sep-
tember 1902 inCzenstochau zu, wo infolge eines Streites z\\dschen
einem jüdischen Händler und einer polnischen Frau eine regel-
rechte Plünderung der Juden stattfand, die aber von dem
ÄliHtär mit scharfen Schüssen unterdrückt ^^a^rde. Das waren
üble Anzeichen für die wahre Gesinnung der polnischen Massen
gegenüber den Juden. Allein zu einer starken und dauernden
Pogrombewegung ist es in Polen nicht gekommen und konnte
Die Juden Polens unter Alexander III. und Nikolaus II. 285
es nicht kommen. Einmal sind die Polen weit gebildeter und
zivilisierter und viel weniger roh und bestialisch als die Russen.
Zweitens fühlen die Polen sich selber von den Russen unter-
drückt und hegen deshalb keine Neigung, über einen, wenn auch
unpopulären Teil ihrer Landesgenossen herzufallen; am wenig-
sten im Bündnis mit dem russischen Beamten- und Soldatentum,
das ihnen auf das schlimmste verhaßt ist. Sie fühlen durchaus
kein Verlangen, sich zum Werkzeuge dieser Regierung zu
machen, um in ihrem eigenen Innern Zerrüttung und Kampf
hervorzurufen. Das einzige, in Siedice vorgekommene Pogrom
war, ^^de notorisch festgestellt ^^^lrde, das Werk nicht polnischer
sondern russischer Hände.
Die Revolution endete bekanntlich mit der kläglichen
Niederlage der sozialistischen Parteien, wobei sich ihr voll-
ständiger Mangel an Bereitschaft deutlich geoffenbart hatte.
Die nun aufgekommene Anarchie ebenso wie die immer mehr
um sich greifende Reaktion benutzte die National-Demokratische
Partei, die während der revolutionären Kämpfe in den Hinter-
grund geschoben wurde, um die Macht wieder an sich zu reißen.
Sie unternahm jetzt die energischsten Schritte, um die Sozia-
listen zu vernichten, und zu diesem Zwecke identifizierte sie sie
mit den Juden. Der Gegensatz zeigte sich von neuem bei den
Wahlen zur ersten Reichsduma. Die Polen betrachteten schon
den natürlichen Wunsch der jüdischen Bevölkerung, einen
glaubensgenössischen Deputierten in die Duma zu entsenden,
als eine große Schmach für Polen und ent^^dckelten in dieser
Richtung eine gewaltige Agitation. Der bekannte Dramaturg
Kisielewski schämte sich nicht antisemitische Aufrufe an die
Wähler zu richten, und allgemein bekannt ist die Rechnung
des greisen polnischen Schriftstellers Boleslaw Prus, wonach
die Juden nur auf einen Bruchteil von einem Delegierten Recht
hätten, und zwar auf einen Bruchteil, dessen Zähler kleiner ist,
als der Nenner. ,, Pogrome wünschen wir nicht, aber jüdische
Freiheit (gemeint ist der Wunsch, jüdische Delegierte in die
Duma zu entsenden) wird nach Gebülir bestraft werden" —
heißt es einmal in einem Flugblatt. Das Resultat war, daß bei
den Wahlen in die zweite Duma der progressive Block schon
keinen jüdischen Kandidaten aufgestellt hatte, und daß an den
286 Die Juden Polens unter Alexander III. und Xikolaiis II.
Wahlen in die dritte Duma die Juden fast überhaupt nicht
mehr teilgenommen haben.
In den letztverflossenen Jahren ist den Polen die politische
Betätigung wieder arg beschnitten worden. Die harten Repressiv-
maßregeln der Petersburger Regierung und die offenbare Ab-
neigung der Mehrheit des russischen Volkes gegen die polnischen
Absonderungsgelüste haben die übermütigen Hoffnungen der
Polen im Zarenreiche sehr herabgestimmt. Um so leidenschaft-
licher warf der polnische Nationalismus sich auf die Bekämpfung
des einheimischen jüdischen Elementes, und zwar nicht nur auf
ökonomischem sondern auch auf kulturellem Gebiete. Männer
von literarischer Bedeutung wie Prus, Salientochowski, Niemo-
jewski scheuten sich nicht, hierbei mit dem ganzen Gewichte
ihres Namens und ihrer Schriften hinzuwirken. Geistig, gesell-
schaftlich, geschäftlich wollte man die Juden verdrängen, un-
schädlich machen: die Polen, die so laut für Freiheit schwärmen,
richteten ein beständiges unblutiges Pogrom auf. Man schloß
die Juden von allen intellektuellen, finanziellen und industri-
ellen Unternehmungen aus und ersetzte sie durch katholische
Polen. Man gründete polnische Geschäfte, mit der ausge-
sprochenen Absicht, ganze Handelszweige den Juden zu ent-
reißen; dieses Streben macht sich überall in den kleineren
Städten und den Dörfern bemerkbar. Viele Kreditgesellschaften,
Spar- und Leihkassen weisen die Juden als Teilnehmer wie als
Kunden grundsätzlich zurück. Die Korporativbewegung in
Polen hat hauptsächlich den Zweck, den jüdischen Z\\'ischen-
handel auszuschalten. Die Folge von dem allen ist eine sichtbare
Abnahme des jüdischen Handelsstandes in Polen. Bei der
großen Armut des übe^^\iegenden Teiles seiner ^Mitglieder be-
darf er andauernd des Kredits; aber der durch die öffentlichen
Kassen vermittelte billige ist ihm aus antisemitischen Gründen
verschlossen, und der teurere, von Privatpersonen verschaffte,
setzt die Reineinnahmen des Betriebes auf ein jMinimum hin-
unter.
Ebensowenig, \ne der Handel, blüht das Handwerk unter
den Juden. Die Zahl der jüdischen Handwerker in Polen ist
freilich sehr groß: unter den 1,106 414 Israeliten, die die Volks-
zählung von 1897 nachwies, gab es 63 654 Meister und 55 717
Die Juden Polens unter Alexander III. und Xikolaus II. 287
Gesellen und Lehrlinge, zusammen beinahe elf Prozent der ge-
samten jüdischen Bevölkerung. Mehr als ein Viertel dieser
Handwerker sind Schneider und Näherinnen; sie verdienen
zwischen hundert und 300 Rubel jährlich; nur ein Fünftel hat
größere Einnahmen. Viele andere — 15,7 vom Hundert — sind
Schuhmacher, deren Verdienst noch geringer ist als der der
Schneider. Die Mehrzahl aller dieser Menschen lebt also in
bitterster Dürftigkeit. Sie sind zu arm, um sich gute Rohstoffe
zu verschaffen ; der elende Zustand ihrer Familien hat ihnen die
Möglichkeit genügender gewerblicher Schulung genommen.
Sie verkaufen schlechte und billige Ware. Und dabei müssen
sie bisweilen 48 Prozent Zinsen für das Geld bezahlen, dessen
sie zum Einkauf der Rohprodukte benötigen. So geht es dem
jüdischen Handwerker ebenso schlimm wie dem Handelsmann.
Trotzdem vollzieht sich allmählich ein bedeutender Übergang
vom Handels- zum HandMerkerstande, in dem der Jude wenig-
stens nicht angefeindet und bekämpft wird; die jüdischen
Gemeinden und Wohltätigkeitsveranstaltungen suchen ihm
durch Gründung und Unterhaltung von Gewerbeschulen mannig-
facher Art aufzuhelfen.
Noch unter den Handwerkern stehen die jüdischen Fabrik-
arbeiter. Es gab 1897 in Polen 1416 jüdische Fabrikunter-
nehmungen mit 43 011 Arbeitern verschiedener Religion,
so daß auf jedes Unternehmen durchschnittlich wenig mehr
als 30 Arbeiter kommen. In nicht-jüdischen Fabriken waren
nur sehr wenige jüdische Arbeiter beschäftigt: 426; in den
jüdischen 11 954, darunter etwa 2500 Frauen, 870 Knaben,
970 Mädchen. Man sieht, daß im Verhältnis zur ganzen
israelitischen Bevölkerung die Zahl der Fabrikarbeiter — wenig
über ein Prozent — eine verschwindend geringfügige ist.
Der Kultus und der religiöse Unterricht wird von den
jüdischen Gemeinden selbständig verwaltet. Die Regierung hat
es sich nur vorbehalten, die Gemeindeverfassung ein für alle
Male zu regeln und über die Gemeindebehörden die Oberaufsicht
zu führen. Die meisten dieser Gemeinden stehen unter der
Leitung streng orthodoxer oder chassidischer Vertreter. Die
Rabbiner, die — anders als im eigentlichen Rußland — gesetz-
lich keinerlei weltliche Bildung nachzuweisen haben, entbehren
288 Die Juden Polens unter Alexander III. und Xikolaus II.
einer solchen durchaus. Die Gemeinden würden gar keinen ge-
bildeten Rabbiner haben wollen. Nur in den größeren Städten
haben die „Assimilanten" es erreicht, daß gebildete Prediger
angestellt wurden, die aber nicht die Funktionen des Rabbiners
ausüben. Die Assimilanten beherrschen meist den Vorstand der
Warschauer Gemeinde, dessen siebzehn Mitglieder alle drei
Jahre von jedem Gemeindemitgliede, das mindestens 15 Rubel
Kultussteuer bezahlt, gewählt und von dem Generalgouver-
neur bestätigt werden. Die Assimilanten werden bei den Wahl-
kämpfen merkwürdigerweise gegen die Nationaljuden (Zio-
nisten) durch die Chassidim unterstützt, die von dem Nationalis-
mus innerhalb des jüdischen Lebens nichts M^issen wollen.
Werden durch dieses Bündnis die Assimilanten schon zu man-
cherlei Zugeständnissen an die Chassidim genötigt, so ist ihre
Macht überhaupt eine mehr nominelle als tatsächliche. Sie
üben keinerlei Einfluß auf die jüdischen Massen aus, mit der
sie nicht den geringsten Zusammenhang besitzen. Die Abnei-
gung der Masse gegen jede Amalgamierung mit dem Polentum
hat wiederum die gebildeten Juden ihrer Gemeinschaft und
Religion entfremdet; sie haben sich völlig polonisiert, und in
jeder gebildeten jüdischen Familie haben sich einzelne Mit-
glieder sogar getauft. Dagegen fühlen die Kleinbürger und Ar-
beiter jüdisch-national und demokratisch, streben eine eigene
jüdische Kultur an und fordern die Nationalisierung und Demo-
kratisierung der Schulen, Wohltätigkeitsanstalten und sozialen
Einrichtungen. Die trüben Erfahrungen, die die Juden
während der Revolution und überhaupt an der feindseligen
Haltung der Polen gegen die Israeliten gemacht, haben sie in
der eigenen nationalen Richtung noch bestärkt; sie erwarten
nichts mehr von den andersgläubigen Bewohnern ihres Landes.
Selbst die jüngere Generation unter den Chassidim geht immer
mehr in das national- jüdische Lager über. Die Nationalisten und
Zionisten Warschaus verfügen über fünf Tageblätter und z^^ei
Wochenschriften im Jargon (darunter: ,, Unser Leben", ,,Die
neue Welt," ,, Jiddisches Wochenblatt," ,, Jiddisches Tagblatt,"
,,Der Fraind"), drei ständige Jargontheater in Warschau,
Literaturvereine und Gesellschaften zur Verbreitung und För-
derung der jüdischen Kunst.
Die Juden Polens unter Alexander III. und Nikolaus II. 289
Der jüdische Nationalismus in Polen zieht seine beste
Nahrung aus der verwerflichen Unduldsamkeit, die dieselben
Polen, die sich über die gegen sie geübte Unterdrückung be-
klagen, in immer steigendem Maße den Juden gegenüber be-
tätigen. Der Gesetzentwurf über die Selbstverwaltung der
polnischen Städte, der 1910 der Duma vorlag, war so gestaltet
worden, daß die Israeliten in denjenigen Städten, wo sie die
Mehrheit der Bevölkerung bilden, nicht mehr als zwanzig Pro-
zent der Stadträte ausmachen sollen, dort wo sie eine Minderheit
sind, nicht mehr als zehn Prozent. Diese jeder Gerechtigkeit
Hohn sprechende Anordnung wurde nur dadurch mit einer
Stimme Mehrheit in der Dumakommission angenommen, daß
die dort sitzenden Polen sich der Abstimmung enthielten. Und
diese Nationalität, die Juden wie Ruthenen überall mißhandelt,
wo sie selber die Macht in Händen hat, verlangt von Europa
Sympathie für die eigene Notlage !
Viele Juden verzweifeln an der Zukunft im eigenen Lande
und wandern nach Amerika oder Palästina aus. Besonders sind
es Juden aus kleineren Städten, die den Wanderstab ergreifen.
Man kann die Zahl der jüdischen Emigranten aus Polen auf
mindestens 20 000 im Jahre anschlagen.
Trotzdem ist die Zahl der Juden in Polen in dem Jahrzehnt
von 1897 bis 1907 um mehr als eine halbe Million angewachsen,
auf 1,655 546 Seelen, also um volle 49 Prozent — offenbar zum
großen Teil durch Zuwanderung aus dem eigentlichen Rußland.
Sie bilden jetzt 14 Prozent der Gesamtbevölkerung Polens.
Die starke Emigration der russischen Juden nach Polen ist
bisher nicht genügend beachtet worden. Man muß diese für
das genannte Jahrzehnt mindestens auf 250 000 Seelen an-
schlagen. Sie wird der polnischen Judenheit lediglich von Vor-
teil sein. Denn die eingeborenen polnischen Juden sind eine
minder kräftige Rasse als ihre litauisch-russischen Glaubens-
brüder. Sie stehen ihnen an Charaktereigenschaften nach und
ebenso in der bewundernswerten Solidarität und gegenseitigen
Hingebung, die diese letzteren bewähren. Den festen Kern des
zahlreichen und bisher so unglücklichen östhchen Judentums
machen die Israeliten des eigentlichen Rußland aus. Viel-
leicht beruht auf ihnen die Zukunft der Judenheit über-
Philippson, Neueste Geschichte der Jiulen, Bd. III. 19
290 Die Juden Polens unter Alexander III. und Nikolaus II.
haupt, sei es im eigenen Lande, sei es drüben, jenseits des
großen Wassers.
Denn die russische Judenheit wird getragen und erfüllt
von dem alt jüdischen Idealismus. Es ist derselbe Idealismus —
nur Unverstand oder Übelwollen bezeichnen ihn als Hartnäckig-
keit — der einst das kleine jüdische Volk zum verzweifelten
Kampfe gegen das übermächtige Weltreich der Römer zu den
Waffen rief; der im Mittelalter Zehntausende um der Religion
willen alle Mißhandlung, Verbannung, Tötung über sich ergehen
ließ ; der noch in der Gegenwart die Juden die feinere aber nicht
minder schmerzliche Art der Verfolgung durch Hohn, Zurück-
setzung, Ausschließung ertragen läßt, um nur der väterlichen
Glaubensgemeinschaft treu zu bleiben. Nirgends aber ent-
faltet dieser Idealismus sich glänzender als bei den verachteten
und geschmähten Juden Rußlands. Da verzichten zahllose
wissensdurstige jüdische Jünglinge auf das geliebte und be-
gehrte Studium, um nicht ihre Religion verlassen zu müssen,
oder suchen es unter unglaublichen Schwierigkeiten und Ent-
behrungen im Auslande. Da lassen Millionen sich zum ewigen
Hunger verurteilen, ehe sie ihre Empfindungen und Überzeu-
gungen opfern. Da forscht der Schriftgelehrte freudig und
wunschlos, bei dürftiger Kost von Brot und Wasser, im Talmud
und in den rabbinischen Schriften: ein vielleicht steriles aber
für ihn ideales ,, Lernen."
Nur dieser Idealismus erklärt die Tatsache, daß das Juden-
tum in Rußland allen Verlockungen und dem unmenschlichen
Drucke des Staates und der Kirche gegenüber sein Eigendasein
behauptet hat, daß die ungeheure Macht des Zaren- und des
Beamtentums trotz fortgesetzter systematischer Marter seiner
nicht hat Herr zu werden vermocht. Aber was können, was
werden diese unscheinbaren Menschen nicht alles leisten, wenn
sich ihnen einstmals die goldenen Pforten der Freiheit eröffnen ?
— leisten nicht nur zum eigenen Nutzen, nein, für das Judentum,
für Rußland und für den Fortschritt der Menschheit !
Anhang.
19^
Der jüdische Arbeiterbund in Rußland
und Polen.
Die Bedeutung des „Bundes" für die Art der Beteiligung
von Juden an der jüngsten revolutionären und sozialistischen
Bewegung in Rußland ist eine ganz überwiegende. Anderseits
ist außerhalb der russischen Grenzen die Entstehung, Organi-
sation und Ausdehnung dieses Bundes, einer ebenso neuen wie
eigenartigen Erscheinung in der Geschichte der Judenheit,
ganz unbekannt. Es schien deshalb dem Verfasser dieses Buches
ratsam, seinen Lesern eine Übersetzung der beiden ausgezeich-
neten den Bund betreffenden Artikel vorzulegen, die in der
Ewreiskaja Enziklopedija, Band V (Petersburg, 1910) er-
schienen sind. Die Übersetzung rührt von Herrn Roman
Streltzow, Halensee-Berlin, her.
„Bund" — Abkürzung von ,, Allgemeiner jüdischer Ar-
beiterbund, in Litauen, Polen und Rußland", eine sozial-
demokratische Handwerkerorganisation. Der B. ist aus Ar-
beiterzirkeln entstanden, die im nordwestlichen Rayon und in
Warschau tätig waren.
I. Von der Entstehung der Arbeiterzirkel bis zum
ersten Parteitag des B. — Die ersten propagandistischen
Arbeiterzirkel sind in Wilna im J. 1886/87 entstanden. Sie
wurden zwecks Vorbereitung von unterrichteten zielbewußten
Sozialdemokraten gebildet und hatten den Charakter von'
Zirkeln zur Selbstbildung. In Verbindung mit der Propaganda
wurden in Wilna die ersten Versuche zur Bildung von Berufs-
organisationen gemacht. Als äußerer Anlaß zur Verstärkung
der Gewerkschaftsbewegung diente die Erklärung des Wilnaer
Bürgermeisters (1892), wonach die Arbeit in den Werkstätten,
294 Der jüdische Arbeiterbund in Rui31and xmd Polen.
gemäß einem alten Gesetz aus der Zeit der Katharina II., nicht
mehr als 10 Stunden dauern darf. Die Arbeiter wollten diese
Erklärung ausnutzen und versuchten durch Streiks eine Ver-
kürzung der Arbeitszeit bis zur gesetzHch festgesetzten Grenze
herbeizuführen. Die Notwendigkeit von der engbegrenzten
theoretischen Propaganda zur praktischen Tätigkeit unter den
Massen, und zwar auf ökonomischer Grundlage, überzugehen
wurde im J. 1892 auf einer Arbeiterversammlung, die zuerst
den 1. Mai feierte, ausgesprochen. Der Gedanke stieß auf Wider-
spruch. Die Leiter der Bewegung beabsichtigten eine Förderung
der Klassenorganisation des Durchschnittsarbeiters. Die Mehr-
heit der in den Zirkeln organisierten Arbeiter hielt dagegen die
alte Tätigkeitsweise aufrecht, die in der Vorbereitung von ziel-
bewußten Persönlichkeiten bestand. Dieser Gegensatz führte
zur Frage über die anzuwendende Sprache. Die einen ver-
teidigten die Sprache der Zirkelpropaganda — die russische;
die anderen wollten dagegen die Sprache der Massenagitation —
den jüdischen Jargon. Dieser Kampf verstärkte sich besonders
im J. 1893. Die Arbeiter verließen die Zirkel, und die Arbeit in
Wilna hörte fast völlig auf. Im J. 1894 siegte aber die Idee der
Massenagitation, und die Gegensätze hörten auf. Die neue
Richtung wurde im J. 1894 in zwei handschriftlichen Broschüren
formuliert — ,,Ein Brief an die Agitatoren" (Verfasser ist Lonn;
die Broschüre behandelt auch praktische Fragen) und ,,Über
die Agitation" (prinzipielle Stellungnahme; im J. 1896 wurde
diese Broschüre in Genf mit einem Vorwort von P. Axelrod
gedruckt). Im J. 1893 wurde diese wirtschaftHche Richtung
aus Wilna nach Warschau getragen, soAAäe in das Rayon der
Lederfabrikation — Älinsk, Smorgonj — und im J. 1895 nach
Brest — Litowsk, Bialostok, w^o zu dieser Zeit ein unorganisierter
Streik von 26 000, darunter 3000 jüdischen, Arbeitern ausge-
brochen ist. Außerdem ging die Bewegung in kleine Städte
über, wo die Borstenindustrie verbreitet ist. Die Bewegung hatte
einen rein ökonomischen Charakter, ohne jede politische Fär-
bung. Die aufgestellten Forderungen galten der Verkürzung
der Arbeitszeit, die im Ansiedelungsrayon durchschnittlich
14 Stunden, mitunter aber auch 16, ja sogar 18 dauerte, sowie
der Hebung des Arbeitslohnes, der sehr niedrig war. In Wilna
Der jüdische Arbeiterbiind in Rußland und Polen. 295
z. B. verdienten in den 80er Jahren die Strumpfwirkerinnen,
die zu Hause arbeiteten, nicht mehr als 16 Kopeken pro Tag !
Nicht selten war es, daß die Arbeiter zu diesem Zwecke beim
Fabrikinspektor oder beim Gouverneur (im J. 1894 in Mnsk,
Bialostok usw.) sich beklagten. Die Behörde verhielt sich damals
neutral zu dieser Bewegung. Im August 1894 wurde zum ersten-
mal die Forderung der bürgerlichen Rechtsgleichheit für die
Juden aufgestellt. Die politischen Fragen wurden zuerst auf
der Maifeier im J. 1895 in Wilna, in einer Rede des L. Martow
(Zederbaum) aufgeworfen. Später formulierte Martow auch
andere Strömungen in der jüdischen Arbeiterbewegung (s. seine
Broschüre ..Die naje Epoche", oder (russisch): ,,Der Wende-
punkt in der Geschichte der jüd. Arbeiterbewegung", 1900, und
,,Der Stodtmagid"). Anfangs waren nationale Motive in der
Tätigkeit der Sozialdemokratie unter der jüdischen Masse nicht
zu beobachten. Die Bewegung im Ansiedelungsrayon war für
sie ,,ein Anhängsel der allgemein russischen Bewegung". Später
aber entstand die Idee von selbständigen Aufgaben und einer
speziellen jüdischen Organisation. Das eben wurde von Martow
ausgesprochen; der auch darauf hinwies, daß ,,das Erwachen des
nationalen und des Klassenbewußtseins Hand in Hand gehen
müßte". Auf der Maifeier im J. 1896 wurden schon die Forde-
rungen in bezug auf politische Freiheiten aufgestellt und von
diesem Momente an beginnt die Behörde ihre Verfolgung der
Arbeiter. Die politische Agitation wurde aber noch längere Zeit
auf der Basis der Verbesserung der wirtschaftlichen Lage der
Arbeiter geführt. Auf dem Londoner internationalen sozia-
listischen Kongreß (1896) "wairden die jüdischen Arbeiter zum
erstenmal durch 4 Delegierte vertreten (aus Warschau, Wilna,
Minsk und Smorgonj). Die Ortsorganisationen, die in den
Städten arbeiteten, bestanden aus 1. Arbeiterversammlungen,
die die Arbeiter eines Berufes vereinigten, 2. Gruppen zum
periodischen Lesen, 3. Zirkel zur Selbstbildung, 4. Kollegien,
die die örtliche Arbeit leiteten, und 5. einer kleinen Gruppe, die
die Gesamtarbeit der Organisation leitete und die Beziehungen zu
den Organisationen der anderen Städte pflegte. Von Zeit zu Zeit
fanden Versammlungen aller Mitglieder der Ortsorganisationen
statt (die erste Versammlung war 1891 in Wilna, 300 Menschen).
296 Der jüdische Arbeiterbund in Rußland luid Polen.
II. Die Periode bis zum vierten Kongreß. — Im
J. 1895 fand in jVIinsk eine Konferenz der Leiter der Bewegung
aus JVIinsk und Wilna statt. Die Konferenz erkannte die Not-
wendigkeit einer speziellen jüdischen Organisation an und stellte
die Forderung der Rechtsgleichheit auf. Die bevorstehende
Bildung einer sozialdemokratischen Partei in Rußland gab den
Anlaß zur Einberufung des ersten Bundestages (September 1897),
der in Wilna stattgefunden hat. An dieser Zusammenkunft
nahmen 13 Personen teil, u. a. die Redakteure der „Arbeiter-
stimme" und des „Jüdischen Arbeiters", sowie die Vertreter der
Organisationen aus verschiedenen Städten. Die Notwendigkeit
einer speziellen Organisation wurde durch die speziellen Inte-
essen der jüdischen Arbeiter motiviert — Aufhebung der jü-
dischen Rechtlosigkeit und Schaffung einer Jargon-Literatur.
Die allgemeine sozialdemokratische Partei Rußlands wäre nicht
imstande die notwendige Arbeit zu leisten, da sie mit den
Stimmungen und Bedürfnissen des jüdischen Proletariats nicht
vertraut sei. Es wurde beschlossen, die Organisation nicht als
Partei zu bezeichnen; sondern als eine Verbindung, die die
Agitation unter dem jüd. Proletariat sich zur Aufgabe gemacht
habe. Die Verbindung erhielt den Namen ,, Allgemeiner jüdischer
Arbeiterbund in Rußland und Polen". Das Zentralkomitee
soUte in jVIinsk funktionieren; als Zentralorgan wurde die ,, Ar-
beiter-Stimme" anerkaimt. Im März 1898 fand in Älinsk der
erste Parteitag der sozialdemokratischen Arbeiterpartei Ruß-
lands statt, auf welchem drei Delegierte vom B. vertreten waren
(einer von ihnen wurde in das Zentralkomitee gewählt). Der
Bund wurde als ein Teil der Partei anerkannt, der in Fragen,
die speziell das jüdische Proletariat betreffen, autonom ist. Der
B. erkannte seinerseits vollkommen das Programm der Partei,
welches in bezug auf die nationale Frage das Recht jeder Nation
auf Selbstbestimmung feststellt. Nach Konstituierung des B.
schlössen sich ihm alle im Ansiedelungsrayon tätigen Arbeiter-
gruppen an. Die Tätigkeit des B. äußerte sich in der Schaffung
regelrechter Verbindungen unter den verschiedenen Städten
und in der Veröffentlichung neuer Literaturerzeugnisse. Im
Juli 1898 wurde in Bobrujsk die Haupt dr uckerei des B. ent-
deckt und in verschiedenen Städten 70 ]Mitglieder der Organi-
Der jüdische Arbeiterbund in Rußland und Polen. 297
sation verhaftet. Die Tätigkeit der Organisationen hörte aber
nicht auf. Die Bildung des B. wurde in den Reihen der Polnischen
Sozialistischen Partei (P. P. S.) sehr unfreundlich aufgenommen.
Als der Warschauer sozialdemokratische Verein, der mit der
Gleichgültigkeit der P. P. S. in bezug auf die Agitation unter
den jüdischen Arbeitern unzufrieden war, nachher zum B. über-
ging, ergaben sich z^\^schen dem B. und der P. P. S. verschiedene
Reibereien. Auf dem IV. Kongreß (Ende 1897) der letzteren
wurde eine Resulution angenommen, wonach die ,, program-
matische und organisatorische Isoliertheit des B. ihn in eine
feindliche Stellung zu uns setzt". Dieser Kampf verschärfte sich
mit der Zeit immer mehr. Im September 1898 fand in Kowno
der II. Kongreß des B. statt. Im Dezember desselben Jahres
wurde das ausländische Komitee gebildet, welches den ,, Jüdischen
Arbeiter", das offizielle Organ des Bundes im Auslande, grün-
dete. Im Dezember 1899 fand der III. Parteitag statt, und zwar
in Kowno. Die administrativen Repressalien, die zu dieser Zeit
sich wesentlich verstärkt haben, erschwerten den \\'irtschaft-
liclien Kampf. Im B. wurde die Frage aufgeworfen, betreffs
Änderung des bisherigen Charakters der Arbeit, und es wurden
neue Methoden der politischen Agitation genehmigt — Demon-
strationen und offene Betätigungen. Die Bewegung trug dessen-
ungeachtet immer noch einen mehr A\-irtschaftlichen Charakter,
und in Verbindung damit waren die früheren Streikkassen immer
noch die Grundlage der ,,B"-Organisation. Nur allmählich ent-
standen die Anfänge einer politischen Organisation, in welchen
die aufgeklärteren sozialdemokratischen Arbeiter versammelt
wurden. Diese Organisationen lehnten sich an die gewerkschaft-
lichen Kassen an. Im J. 1900 zählte man in diesen Kassen iNIit-
glieder: in Bialostok 1000, in Wilna 1900, in Minsk etwa 1000,
in Homel fast 360, unter den Borstenarbeitern 700, unter den
Lederarbeitern 700. — Der Parteitag zu Kowno nahm in bezug
auf das Verhältnis zwischen dem wirtschaftlichen und politischen
Kampf folgende Resolution an: ,,Der wirtschaftliche Kampf
ist das beste Mittel zur Verbesserung der materiellen Lage der
Arbeiter und dient zugleich als eine Schule der politischen Er-
ziehung. Er ist aber ungenügend als politisches Mittel". Auf
demselben Parteitag wurde vorgeschlagen, die Forderung der
298 Der jüdische Arbeiterbuiid in Rußland und Polen.
bürgerlichen Rechtsgleichheit durch eine umfassendere Forde-
rung der nationalen Rechtsgleichheit zu ersetzen. Dieser Vor-
schlag AVTirde aber vom Parteitag nicht unterstützt, da man
alles vermeiden wollte, was die Auf merksamkeit der Arbeiter von
ihren Klasseninteressen ablenken könnte. Der Parteitag be-
schloß jedoch eine Diskussion in bezug auf die nationale Frage im
,, Jüdischen Arbeiter" zu eröffnen. Am Ende des Jahres 1900
hatte der B. Organisationen in den Gouvernements : Wilna,
]Minsk, Kowno, Grodno, Witebsk, Mohilew, teilweise auch
Suwalki, in Warschau und in Lodz. Die Arbeit in den Städten
befand sich in den Händen der Ortskomitees. Vom J. 1899 an
gaben mehrere von diesen Komitees eigene Organe aus. Mitte
1900 betrug die Gesamtzahl der Exemplare dieser vom B. (inkl.
Zentralorgane) herausgegebenen Zeitungen mehr als 45000. Die
Leitung, besonders die Herstellung und Lieferung der Literatur,
lag dem Zentralkomitee ob. Das ausländische Komitee sorgte
seinerseits für Herstellung der Druckerzeugnisse und Beschaf-
fung von Geldmitteln. Mitte 1900 zirkuherten in Rußland 82
verschiedene Zeitungen und Broschüren. Das Hauptorgan
des B. war der Parteitag, der das Zentral - Komitee wählte.
Bis 1906 wurden die Delegierten zum Parteitag nicht von der
Masse direkt, sondern von den städtischen Komitees gewählt.
II. Vom IV. Parteitag (Bialostok, April 1901) an be-
ginnt eine neue Periode in der Ent\%icklung des B., die durch
die Verstärkung der politischen Note some durch die Aus-
arbeitung eines nationalen Programms charakterisiert wird. Der
Kongreß (24 Delegierte) erkannte die ,, Notwendigkeit des
Überganges zu einer intensiveren politischen Agitation" an.
die einen selbständigen, von der wirtschaftlichen Agitation vm-
abhängigen Charakter tragen sollte. In bezug auf die Streiks,
die im Ansiedelungsrayon zu einer chronischen Erscheinung
wurden, stellte der Kongreß die Unterscheidung zwischen Streiks,
die zur Verteidigung, und solchen, die zum Angriff dienen, auf
und warnte die Arbeiter vor der Überschätzung der letzteren.
Der Kongreß äußerte sich auch gegen den wirtschaftlichen
Terrorismus (Angriffe auf die Unternehmer, Fabrikangestellte
etc.), ,,der das sozialdemokratische BewTißtsein der Arbeiter
verdunkelt, ihr moralisches Niveau herabsetzt und die Arbeits-
Der jüdische Ai-beiterbund in Rußland und Polen. 299
bewegung diskreditiert". Er verurteilte ebenso die Beteiligung
der Organisationen an dem politischen Terror (gegen den Terror
als System trat der Bund schon im J. 1899 auf; s. „Arbeiter-
Stimme", 14). Der Kongreß hat außerdem die Ausnutzung der
legalen Wege zur Anklage der Mßbräuche der Behörden emp-
fohlen. Was das nationale Programm anbetrifft, so dienten dem
Kongreß dazu als Richtschnur die Debatten auf dem Brünner
Parteitag der österreichischen Sozialdemokratie (1898) sowie
die Resolution, die von ,,der südslawischen soz.-dem. Partei"
beantragt wurde. Diese Resolution spricht sich für die ,, natio-
nale Autonomie" und gegen die , ,territorale Autonomie" aus.
Es wurde vorgeschlagen, den nationalen Charakter stark zu
imterstreichen und unverzüglich die Forderung einer nationalen
Autonomie aufzustellen. Der Kongreß äußerte sich dagegen,
da er glaubte, daß ,,der Kampf um die Aufhebung aller Aus-
nahmegesetze gegenwärtig genügend ist". In Verbindung damit
wurde beschlossen, daß der Bund in die Sozialdemokratische
Partei Rußlands als der Vertreter des jüdischen Proletariats
eintreten solle; die Partei aber sollte eine Föderation aller
nationaler sozialdemokratischer Parteien darstellen. Auf die-
sem Kongreß wurde zum erstenmal Stellung auch zum Zionis-
mus genommen, als zu einer Bewegung, die das nationale
Gefühl anfeuert und die Entwicklung des Klassenbewußtseins
verhindert. Außerdem w-urde eine Resolution angenommen
betreffend die Gewinnung der Sympathien der öffentlichen
Meinung. Die Verschärfung der politischen Stimmung und die
verstärkten Repressalien der Behörden führten zum Attentat
Hirsch Lekerts auf den Wilnaer Gouverneur von Wahl (Mai
1902). Als prinzipieller Gegner des Terrorismus hatte der B.
zunächst eine schwankende Haltung angenommen. In dem
Aufruf des Zentralkomitees und im Zentralorgan (Arb.-Stim.
Nr. 27, ,,Wie soll man auf Ruten antworten") verteidigte
er teilweise die extremen Kampfesmittel. Eine Konferenz in
Berditschew (Aug. 1902) nahm eine ähnliche Resolution be-
treffend die ,, organisierte Rache" an. Das ausländische Komitee
sprach sich aber entschieden dagegen aus. Z\nschen ihm und
den Zentralkomitee entstand ein Gegensatz auf diesem Ge-
biete. Der B. betrat aber nicht den Weg des Terrorismus. In
300 Der jüdische Arbeiterbund in Rußland und Polen.
der ,,Arb. -Stimme" (vom 31. N. an) wurde eine Diskussion
über die „organisierte Rache" eröffnet, und ein Jahr später hob
der V. Parteitag den Beschluß der Konferenz auf. Der poHtische
Kurs, den der B. in diesen Jahren eingeschlagen hat, kam be-
sonders klar in der Stellung zu der ,, Unabhängigen jüdischen
Arbeiterpartei" (entstanden im Juli 1901 in Minsk, dann in
Wilna und in Odessa, 1903) zum Ausdruck. Die ,, Unabhängige"
Partei predigte rein ökonomische legale Organisationen und war
Gegnerin der politischen Tätigkeit. Der B. äußerte sich gegen
diese Partei (Arb.-Stimme, Nr. 25, 28 usw.), sowie gegen die
Überschätzung rein ökonomischer Agitation. Die neuen pro-
grammatischen Ansichten in bezug auf die nationale Frage, die
der B. sich angeeignet hat, führten zu einem Konflikt mit der
sozialdemokratischen Partei Rußlands, die in der Zeitung
,,Iskra" vertreten war. In der Nr. 7 äußerte sich diese Zeitung
gegen die neuen Ansichten des Bundes. In Nr. 8 erschien eine
Antwort des B., die diese Ansichten verteidigte. Anfangs des
J. 1902 veröffentlichte der B. eine Broschüre gegen die Iskra:
,,Zur Frage der nationalen Autonomie und der Umgestaltung
der sozialdemokratischen Partei Rußlands auf föderativer
Grundlage" (Verfasser: Wl. Kossowskij), wo die Ansichten des
B. entwickelt woirden: ,,Die nationale Autonomie ist Selbst-
verwaltung auf dem Gebiete der Sprache und der Kultur",
diese Angelegenheiten dürfen nur von einem ,, nationalen Or-
ganismus" verwaltet werden, d. h. ,,von einer Gesamtheit von
Personen, die frei ihre Zugehörigkeit zu einer Nation anerkennen.'
Die anderen Fragen, die mit der nationalen Kultur nichts zu
tun haben, gehören in das Ressort allgemeiner staatlicher oder
örtlicher Organe. Im Juni— Juli 1903 fand in Zürich der V. Kon-
greß des B. statt. Er beschäftigte sich hauptsächlich mit dem
Verhältnis des B., als nationaler Organisation, zur Gesamt-
partei und arbeitete Statuten aus, mit denen die Delegierten
des B. zu Parteitagen gehen sollten (u. a. beschloß der Kongreß
den Zionismus zu bekämpfen). Im Juli 1903 fand in Brüssel
der zweite Parteitag der sozialdemokratischen Arbeiterpartei
Rußlands statt. Es waren da 43 Delegierte versammelt, da-
runter 5 vom B. Die letzteren verteidigten die Ansicht, daß
,,der B. eine sozialdemokratische, in ihrer Tätigkeit durch keine
Der jüdische Arbeiterbund in Rußland und Polen. 301
Eayonsgrenzen beschränkte Organisation des jüdischen Prole-
tariats sei, und daß er (der B.) in die Partei als der einzige Ver-
treter dieses Proletariats aufgenommen werden müsse" (§ 2 der
Statuten). Von selten der Partei trat gegen das föderative
Prinzip des B. auf L. Martow, der von 12 Juden, Mitgliedern des
Kongresses, unterstützt woirde (Trotzkij, Deutsch, Martynow,
Liadow usw.). Die vom V. Kongreß ausgearbeiteten Statuten
"wurden abgelehnt, und die B. -Delegation gab die Erklärung ab,
daß, auf Grund der Instruktionen des V. Kongresses, der B.
aus der soz.-dem. Arbeiter-Partei Rußlands austrete (18. Aug.).
Die Gegensätze verschärften sich später z^^dschen beiden Or-
ganisationen, besonders nachdem im nordwestlichen Rayon
im Juni 1904 ein Komitee der Partei gegründet wurde und die
bundistischen Organisationen im Süden erschienen. Glitte 1903
bestanden bundistische Organisationen: in Odessa, in den Gou-
vernements Kiew, Tschernigow, Podol, Poltawa, außerdem auch
in Riga, Libau, Mitau. Auf dem internationalen sozialistischen
Kongreß zu Amsterdam (1904) bestand die Delegation des B.
aus 8 Personen und hatte 27 Mandate von 17 Komitees, 10 Or-
ganisationen und 60 Gruppen, die in der Gesamtheit etwa 23 000
organisierte Arbeiter umfaßten. Die ökonomische Tätigkeit des
B. äußerte sich wie früher in der Organisation von Streiks und
Bildung neuer Vereine, wie z. B. des Vereins der Handlungs-
gehilfen. Die dominierende Rolle spielte aber die politische
Tätigkeit, die Zahl der ökonomischen Streiks sank, die der po-
litischen dagegen wuchs immer mehr. — Im Zusammenhang
mit den Pogromen in Kischinew und Homel organisierten sich
innerhalb des B. Gruppen der ,, Selbstverteidigung" (,,samso-
borona"), von denen zuerst im J. 1902 die Rede war (Arbeiter-
Stimme, Nr. 30, ,,Der Pogrom in Czenstochau"). Der Kampf
gegen den Zionismus verstärkte sich besonders seit 1903, als
der Arbeiter-Zionismus ,,Poialei Zion" auftauchte (A.-S., Nr. 21,
,,Der vierte zionistische Kongreß"; Nr. 29, ,,Der Kongres zu
Minsk"; Nr. 35: ,,Der sechste Kongreß" usw.). Im Januar 1905
beteiligte sich der B. an der allgemeinrussischen Konferenz, die
dem Problem des Duma-Boykotts gewidmet wurde. Nach der
Konferenz entwickelte der B. eine Agitation für diese Boykot-
tierung. Bis zum VI. Kongreß existierten folgende Ortsorgane
302 Der jüdische Arbeiterbund in Rußland und Polen.
des B.: seit 1901: „Fraihaits-Glock" in Lodz und „Der Ar-
beiter" in Ponewesh; seit 1902: ,,Flugblättel" in Lodz, Wilna,
Dwinsk, Kowno; seit 1903 und 1904: „Flugblättel" in Ber-
ditschew, Witebsk, Schawli, sowie bei den Borstenarbeitern.
Das ausländische Komitee begann seit Febr. 1904 die Heraus-
gabe des ,,Westnik Bunda" in russischer Sprache, wo eine
Reihe Artikel betreffend die nationale Frage abgedruckt wurde :
von W. Medem (im J. 1906 erschienen in Broschürform), W.
Kossowski, Bassin usw. In polnischer Sprache: ,,Glos Bundu"
— seit Mai 1904; seit Jan. 1904 erschien das Zentralorgan ,,Der
Bund". Im J. 1905 veröffentlichte das Zentralkomitee mehr
als 2 Millionen gedruckter Seiten, wobei die periodische Presse
nicht mitgerechnet ist. Es veröffentlichte 13 Broschüren in
jüdischer und 6 in russischer Sprache. Außerdem gab es
,, Bulletins" in französischer und deutscher Sprache heraus.
Die Einnahmen des Zentralkomitees überstiegen im letzten
Jahre die Summe von 33 000 Rubel.
IV. Der sechste Parteitag fand im Oktober 1905 in
Zürich statt. Der B. wurde dort durch 14 Komitees und 6 Or-
ganisationen vertreten. Der Parteitag billigte die Haltung der
B. -Delegation auf dem IL Parteitag der sozialdemokratischen
Partei Rußlands und äußerte zugleich die Meinung, wonach die
nationalen Konflikte durch die Schaffung staatsrechtlicher In-
stitutionen in Form von nichtterritorialer national-kultureller
Autonomie beseitigt werden könnten. Zu diesem Zwecke ist
erforderlich ,,die Loslösung der mit den Kulturfragen (Volks-
bildung etc.) verbundenen Funktionen des Staates sowie der
Selbstverwaltungsorgane und deren Übergabe an die Nation,
d. h. an besondere Institute, die von den Mitgliedern dieser Na-
tion gewählt werden". Der Kongreß äußerte sich gegen die
Forderung einer Wiederherstellung Polens sowie gegen kon-
stituierende Versammlungen für die Grenzmarken und bekräf-
tigte die Resolution betreffend die Bekämpfung der zionistisch-
sozialistischen Fraktionen. — Seit den Oktobertagen des
J. 1905 beginnt eine neue Periode in der Entwicklung des B.
als einer revolutionären Organisation. Es wurden neue Methoden
zur ,, eigenmächtigen Aneignung bürgerlicher Freiheiten und
zur Ausnutzung legaler Möglichkeiten" geschaffen. Der B.
Der jüdische Arbeiterbund in Rußland und Polen. 303
arbeitete in voller Öffentlichkeit, löste aber die geheimen Or-
ganisationen nicht auf. Aus den innerorganisatorischen Fragen
trat die Frage betreffend die Einigung mit der sozialdemokra-
tischen Partei Rußlands und die Reorganisation des B. auf.
Außerdem beschäftigte den B. die Frage wegen der Stellung
zur Duma, zur Gründung von Gewerkschaften, zu den ,, Ex-
propriationen" usw. Die praktische Notwendigkeit einer Eini-
gung führte während der Periode der politischen Belebung zu
einer Koordinierung der Tätigkeit des B. mit der Tätigkeit der
Gesamtpartei, sowie zur Schaffung vorübergehender Koali-
tionen (Wilna, Riga usw.). Im Dez. 1905 schlug die Partei eine
Konferenz vor, die die Einigungsfrage behandeln solle. Der B.
nahm den Vorschlag an, die Konferenz blieb aber aus, kurz vor
dem Parteitag fand in Bern (März 1906) die VII. Konferenz
des B. statt. Die Delegierten wurden auf den allgemeinen Ar-
beiterversammlungen gewählt. Die Konferenz genehmigte
folgende Einigungsbedingungen: Unbeschränktheit der Tätig-
keit des B. in territorialer Hinsicht, Beibehaltung des natio-
nalen Programms und Autonomie in den Angelegenheiten der
inneren Organisation. Im April 1906 fand der ,,Einigungs"-
Parteitag der sozialdemokratischen Partei Rußlands (in Stock-
holm) statt, der die Einigungsbedingungen mit den polnischen
und lettischen Sozialdemokraten sowie mit demB. durchberaten
hat. Der Parteitag genehmigte den Entwurf der Einigungs-
statuten mit dem Paragraphen von der territorialen Unbe-
schränktheit, ließ aber die Frage wegen des nationalen Pro-
gramms des B. offen. Nach dem Parteitag begann in den bun-
distischen Reihen eine lebhafte Polemik wegen der Einigungs-
bedingungen (Wochenschrift ,, Unser Wort"): die Minderheit
war gegen die Einigung, die Mehrheit dafür. Im August 1906
fand in Leipzig der VII. Kongreß des B. statt, wo etwa 22 700
organisierte Mitglieder von 68 Delegierten vertreten wurden.
Außerdem waren 26 Personen mit einer beratenden Stimme
anwesend. Der Kongreß kam zur Ansicht, daß die Einigungs-
bedingungen ungenügend seien (Nichtvorhandensein des national-
föderativen Prinzips), genehmigte aber die Statuten, da man
erhoffte, daß die B. -Prinzipien eher zur Anerkennung kommen
würden, wenn der B. innerhalb der Gesamtpartei sie verfechten
304 Der jüdische Arbeiterbund in Rußland und Polen.
würde. Nach dem Kongreß wurde mit der Durchführung dieses
Beschlusses begonnen. In das Zentralkomitee der Partei traten
zwei Vertreter des B. ein. — Die Haltung des B. zur Reichs-
duma hatte verschiedene Änderungen erfahren. In bezug auf die
Wahlen zur ersten Reichsduma vertrat der B. wie fast alle
revolutionäre Organisationen den boykottistischen Standpunkt.
Aber schon im Juni 1906 hob ein Zirkular des Zentralkomitees
die wichtige Bedeutung der Duma hervor und empfahl die Ein-
wirkung auf die linksstehenden Elemente des Parlaments (zu
der Taktik der jüdischen Deputierten verhielt sich der B. schroff
abweisend). Der VII. Kongreß erblickte in der bevorstehenden
zweiten Duma „einen Stützpunkt" für die politische Tätigkeit
und beschloß die aktive Teilnahme an den Wahlen. Das Zentral-
komitee veröffentlichte eine Wahlplattform und Direktiven,
wonach zur Beseitigung eines rechtsstehenden Kandidaten Ver-
einbarungen mit nicht sozialdemokratischen Parteien zulässig
seien. Die Vereinbarungen mit der „konstitutionell-demokra-
tischen Partei" wurden solchen mit den zionistischen Sozialisten
vorgezogen. Der B. gründete, in einigen Fällen im Verein mit
anderen sozialdemokratischen Organisationen, sozialdemokra-
tische Wahlkomitees, die die ,, jüdischen Wahlkomitees" be-
kämpften. Der Wahlkampf wurde hie und da (besonders gegen
die Zionisten) in sehr scharfen Formen gefülirt. Der B. ver-
einigte um sich 30 Wahlmänner, aber in die Duma kam kein
einziger Bundist. Die Haltung des B. zu den taktischen Lo-
sungen, die im Zusammenhang mit der Fähigkeit der zweiten
Duma herausgegeben wurden, fiel im allgemeinen mit dem
,,menschewistischen", rechten Flügel der sozialdemokratischen
Fraktion zusammen (gegen den linken Block in der Duma usw.).
Auf dem Londoner Parteitag der Gesamtpartei (Mai 1907)
wurde auf Vorschlag der B. -Vertreter eine Resolution ange-
nommen, die der sozialdemokratischen Dumafraktion eine
größere Aufmerksamkeit für das nationale Problem empfahl.
In bezug auf die Wahlen zur dritten Duma war die Meinung
innerhalb des B. geteilt, aber die in der Presse eröffnete Dis-
kussion (Volkszeitung Nr. 377, 379, 380 und 390) ergab die
Neigung zur Beteihgung Im Juli 1907, auf der Konferenz der
Gesamtpartei, äußerten sich die Vertreter des B. gegen den
Der jüdische Arbeiterbund in Rußland und Polen. 305
Boykott der Duma, und die Konferenz beschloß dement-
sprechend. Vom B. wurden 20 Wahlmänner gewählt. Im No-
vember 1907 auf der Konferenz der Gesamtpartei plädierten die
Vertreter des B. für die Position der „Menschewiki". — In der
Gewerkschaftsfrage äußerte sich der B. von jeher gegen neu-
trale Organisationen. Die VII. Konferenz sprach sich für so-
zialdemokratische Parteigewerkschaften und für nationale Sek-
tionen innerhalb der allgemeinen Vereine aus. Auf der II. all-
russischen Konferenz der Gewerkschaften (Febr. 1906) waren
aus 18 Delegierten der Gesamtzahl vier Vertreter der bun-
distischen Gewerkschaften. — In der Frage der sogenannten
„Partisanenkämpfe", der anarchistischen Taktik und der ,, Ex-
propriationen" sprach sich der B. entschieden ablehnend aus
und bekämpfte all diese Strömungen (teilweise auf dem VII.
Kongreß; Volkszeitung Nr. 7, 19, 118, 149 visw.). In der Pogrom-
frage wurde auf der VII. Konferenz eine Protestresolution an-
genommen, und im Sommer 1906 wurde auf Initiative des B.
eine Konferenz der revolutionären Organisationen einberufen,
die sich mit der Bekämpfung der Pogrome beschäftigte. — Nach
dem Manifest vom 17./30. Oktober 1905 begann eine intensive
Entwicklung der legalen Presse, hauptsächlich in Wilna. Seit
Dezember erschien eine Tageszeitung in der Jargonsprache:
,, Wecker", nach deren Unterdrückung ,, Volkszeitung", nach-
her ,, Hoffnung" usw., die Wochenschrift ,, Morgenstern", die
bald unterdrückt wurde. In russischer Sprache wurden die
Wochenschriften: ,,Der jüdische Arbeiter" (1 Num.), ,, Unser
Wort", nachher ,, Unsere Tribüne" (für die Wahlkampagne vor
der zweiten Duma) herausgegeben, sowie gewerkschaftliche Or-
gane. Seit Ende 1907 ist die Existenz der legalen Presse un-
möglich geworden. Die neuen Verhältnisse führten dazu, daß
die Tätigkeit des B. ^viederum einen geheimen Charakter an-
genommen hat. Er \^airden illegale Organe gegründet (das
Zentralorgan: ,,Die Stimme des B." in der Jargon- Sprache,
,,Das Flugblättchen" in Odessa, ,,DerGlock" usw.). Gleichzeitig
damit beginnt, wie bei allen revolutionären Parteien, ein Rück-
gang. Zum VII. Kongreß zählte man in den Reihen des B.
etwa 34000 Mitglieder und 274 Organisationen, von denen heute
mehrere nicht funktionieren. Die allgemeine politische Krise
Philippson, Neuest© Geschichte dor Juden, Bd. 111. ■^^
306 Der jüdische Arbeiterbuud in Rvißlaiid und Polen.
übte ihre Wirkung auf die Stimmung mehrerer Mitglieder des
B., besonders der Intellektuellen aus (W. Medem: „Briefe über
die jüd. Arbeiterbewegung" im „Morgenstern"; auch „Die
Stimme fun Bund"). Die Gewerkschaften stellten fast ganz
ihre Tätigkeit ein. Im J. 1909 wurden folgende Vereine ge-
schlossen: in Wilna der Bauarbeiter (800 Mitgl.), der Strumpf-
wirkerinnen (700), der Handlungsgehilfen (1000), der Schneider
(700- — 800) usw.; in Smorgon der Lederarbeiter (1800); in Lodz
der Drucker, Bäcker, Textilarbeiter usw.
Der B. wurde von den ausländischen Gruppen unterstützt.
In der Schweiz existierten seit den 90er Jahren sozialdemokra-
tische studentische Gruppen, die sich dem B. angeschlossen
haben. Außer den studentischen entstanden auch Arbeiter-
vereine seit 1901 (,, Kämpfer") in Paris, London (,, Wecker")
usw. Im Dez. 1901 fand der erste Kongreß der ausländischen
Gruppen des B. statt. Im J. 1906, vor der VII. Konferenz des
B., legten sich diese Gruppen den Namen ,, Vereinigte Organi-
sation der Arbeitervereine und Gruppen zur Unterstützung des
B. im Auslande" bei. Auf Grund des Beschlusses des VII. Kon-
gresses hat die Organisation eine beratende Stimme auf den
Parteitagen des B. Im Jan. 1907 fand der VI. Kongreß der
Vertreter von 15 Unterstützungsvereinen und zwei Arbeiter-
vereinen statt. — In Amerika entwickelten sich die Unter-
stützungsgruppen ganz unabhängig und erreichten einen be-
deutenden Umfang. In New York wurden Klubs, Landsmann-
schaften und Gesellschaften zur Unterstützung des B. ge-
gründet. Die Unterstützung wurde hauptsächlich in Form von
Geldsammlungen geleistet. Im Dez. 1903 fand der erste Kon-
greß aller Sektionen des B. statt, auf welchen ein ,, Zentral-
verband der bundistischen Organisationen in Amerika" ge-
gründet wurde. Der ,, Verband" verzweigte sich auch auf
andere Länder in Amerika (in Argentinien wurde aus den bun-
distischen Gruppen der Verband ,,Avangard" gegründet, der
ein Organ mit demselben Namen besaß). Am Ende des J. 1905
begannen die B. -Organisationen die Herausgabe des ,, Kämp-
fers". Die Oktober-Pogrome im J. 1905 gaben den Anlaß zur
Vermehrung solcher Gruppen. Unterstützungsgruppen des B.
tauchten auch in Südafrika auf. — Der B. übte eine große
Der jüdische Arbeiterbiind in Rußland und Polen. 307
Wirkung auf die Bildung einer besonderen jüdischen sozial-
demokratischen Partei in Galizien, die ein dem Bundistischen
ähnliches nationales Programm angenommen hat.
J. Tscherikower.
Die bundistische Jargon- Literatur. — Die An-
hänger der Massenagitation (s. oben) haben mit der Herstellung
von Agitationsliteratur in der Jargonsprache im J. 1893 be-
gonnen, und zwar zuerst in der primitivsten Form von Hand-
abschriften. Die ersten Broschüi^ waren; „Vier Reden"
(gehalten am 1. Mai 1892), ,, Briefe an die Agitatoren" und ,,Über
Agitation", populäre Broschüren über den Arbeitstag und Ar-
beitslohn, über Mehrwert, über die Entstehung der Bourgeoisie,
über den Tod Alexanders III. Die letzte Broschüre ist interes-
sant, weil in ihr nicht nur das wirtschaftliche, sondern auch
das nationale Joch der jüdischen Arbeiter unterstrichen
wurde. Mit der Ausdehnung der Agitation begannen auch
,, hektographische" Abschriften zu zirkulieren (1895). Die erste
Broschüre, die auf einem Hektographen vervielfältigt wurde
(500 Exemplare) war eine Übersetzung aus dem Polnischen:
,,Was soll jeder Arbeiter wissen und beherzigen". In derselben
Zeit schritt man im Auslande zur Drucklegung (in 2 — 3 Tausend
Exempl.) revolutionärer Broschüren in Jargonsprache, M^obei
zwecks Einfuhr nach Rußland die Broschüren ein ,, legales"
Aussehen (sie trugen die Stempel: ,,Von der Zensur erlaubt")
trugen. Die Titel waren ganz harmloser Natur. Die Broschüre
über die Maifeier wurde z. B. betitelt: ,,Gut Jom-tow", über
den Arbeitstag: ,,A wikuach über'n Masel" usw. Gleichzeitig
fuhr man fort, die Broschüren hektographisch zu vervielfältigen.
Auf diese Weise wurden abgedruckt die Broschüren ,.Der Stadt-
mogid" von Martow (300Exempl.), ,,Edelstein's Streik" usw. Im
J. 1896 verbreitete die Arbeitergruppe in Wilna 6400 Exempl.
von Broschüren sowie 1000 Exempl. der ersten Nummer der
Zeitschrift ,,Der jüdische Arbeiter". Im J. 1897 wurden 15 Jar-
gon-Broschüren (11400 Exempl.) vertrieben und zwei Doppel-
nummern des ,, Jüdischen Arbeiters". Im selben Jahre wurde
in Minsk der Versuch gemacht, eine Arbeiterzeitung ,,Arbeiter-
Blättel" in der Jargonsprache herauszugeben. Die Zeitung
20*
308 Der jüdische Arbeiterbiuicl in Rußland luid Polen.
wurde in 70 — 80 hektographiscli hergestellten Exempl. ver-
öffentlicht. Bald nachher verschaffte sich eine Arbeitergruppe
in Wilna eine primitive Druckmaschine, vermittelst welcher
man dies erste Nummer der „Arbeiter-Stimme", die nachher
ein Organ des Bundes wurde, abgedruckt hat. Gleichzeitig
erschien im Auslande der ,, Jüdische Arbeiter" (in Form von
Heften ä 5 — 8 Druckbogen), der für die aufgeklärteren Arbeiter
bestimmt war (im ganzen sind 17 Nummern erschienen). Auch
die Ortskomitees beschäftigten sich mit der Veröffentlichung
von illegalen Jargonzeitschriften und Flugblättern (von 1000
bis 3000 Exempl. von jeder Nummer): in Lodz: 1. ,,Fraihaits-
glock" (3 Nummern; die erste im Sept. 1901); 2. ,, Flugblatt"
(1 Nummer im April 1902); in Minsk: 1. ,, Minsker Arbeiter"
(6 Nrn. im Dez. 1900); 2. „Flugblatt" (2 Nummern). Ortsorgane
gab es auch in Homel (,, Kampf", seit Sept. 1900), Bialostok
(,,Bialostoker Arbeiter", seit April 1899), in Ponewesh (,,Der
Arbeiter", seit Nov. 1901). Flugblätter wurden veröffentlicht:
in Minsk (Febr. 1902), Kowno (1902), Grodno (1901), Berdit-
schew (1903), Witebsk (1903), Schawli (1904). Außerdem gab
es ein spezielles Organ der Borstenarbeiter ,,Der Wecker"
(12 Nrn.). Der V. Kongreß des B. beschloß die Einstellung der
Ortsorgane. Statt dessen wurde mit der Herausgabe des Organes
,,Der Bund" begonnen, das eine große Popularität genoß. Seine
erste Nummer erschien in 6000 Exemplaren im J. 1904. Die
nächsten 5 Nummern wurden in derselben Zahl verlegt. Die
siebente Nummer erschien in 7000, die 8. und 9. in 8000 Exem-
plaren; die weiteren zwei, die in den ,, Oktobertagen" des J. 1905
veröffentlicht wurden, erschienen in 30 000 Exempl. Außer den
Nachrichten aus dem Parteileben wurden in der Zeitung Artikel
über soziale und nationale Fragen abgedruckt. Diesen Fragen
wurden auch spezielle Broschüren gewidmet, die im Auslande
gedruckt wurden. Einige unter ihnen trugen einen rein agita-
torischen Charakter (,,A Maase fun vier Brider", ,,Spinen un
Fligen"). Sozialwissenschaftlichen Charakters waren die Bro-
schüren von Marx (Kommunistisches Manifest), von Lassalle
(Über Verfassungswesen) von Kautsky (Das Erfurter Programm).
Außerdem erschienen Broschüren aus der Geschichte der revo-
lutionären Bewegung und Biographien hervorragender Revo-
Der jüdische Arbeiterbiind in Rußland nnd J'olen. 309
lutionäre sowie belletristische Sachen (,,In'm Kampf", „Var'n
Sunnenaufgang" usw.). Der nationalen Frage sind die Bro-
schüren: „Di Konstituzie un unsere Forderungen", „Autonomie
oder Federazie", „Der Zionism" (Lonn), „Der Poel-Zionism".
(M. G.) u. a. gewidmet. In besonderen Fällen wurden zu Agita-
tionszwecken Flugblätter veröffentlicht. Besonders oft griff
man zu den Flugblättern in den bewegten Jahren 1904/05.
Hunderte von Proklamationen wurden sowohl von den Orts-
wie von dem Zentralkomitee in Umlauf gebracht. Die ersteren
veröffentlichten die Flugblätter in der Zahl von 1000 bis 20 000
Exemplaren, das letztere in der Zahl von 20 000 bis 120 000
Exemplaren. Nach dem Manifest vom 17./30. Oktober erschien
das erste legale tägliche Organ „Der Wecker", der im Untertitel
die Vermerkung hatte: ,, Unser Program is dos Program
vun Bund". Nach Verlauf von 3 Monaten wurde ,,Der Wecker"
verboten, und die ihm nachfolgende ,, Volkszeitung" und ,, Hoff-
nung" hatten schon keinen Untertitel. Die legale bundistische
Tagespresse existierte im ganzen 2 Jahre. Die früher illegalen
Schriften erschienen nunmehr legal. Aber seit dem Herbst 1907
mußte die bundistische Literatur auf ihre legale Existenz ver-
zichten und der illegalen Platz machen. Außer der periodischen
Presse wurden in der Zeit nach Oktober 1905 auch verschiedene
Broschüren legal veröffentlicht. Es wurden insgesamt etwa
200 verschiedener Schriften herausgegeben — publizistische,
populär -wissenschaftliche, belletristische Werke, Gedicht-
sammlungen, Dramen usw. — Die bundistische Jargon-Literatur
hat eine große Wirkung auf die Entwicklung des Jargons aus-
geübt. Sie hat einen bedeutenden Kreis von Lesern herangebildet
und somit den Boden für eine normale Entwicklung der natio-
nalen Jargon -Literatur geschaffen. Indem sie allgemeine und
wissenschaftliche Fragen in leichtfaßlicher Form darzustellen
suchte, erweiterte und veredelte sie den Jargon und machte ihn
fähig, die kulturellen Bedürfnisse der Masse zu befriedigen.
A. L.
Anmerkungen.
Buch Acht.
Kapitel Eins. Zur Geschichte der russischen Juden im
allgemeinen. M. N. Mysch, „Rukowodstwo k russkomu zakonodatielstwu
o jewrejach" (russisch) St. Petersburg 1896; Friede, „Zakony o prawie
schitelstwa jewrejew w tschertie ich osiedlosti i wnie onoj" (russisch) Izdanie
nieofficiahioe St. Petersburg 1909; Sliosberg, „Zbornik diejstwujuschtchich
zakonow o jewTejach" (russisch) St. Peter.sburg 1909; Julij Hessen, ,,0 schizni
jewrejew w Rossii" Zapiska w Gosud. Dumu (russ.) St. Petersburg 1906;
Orschansky, „Jewrei w Rossii" (russisch) St. Petersburg 1887; M. G. Margulis,
,,Woi5rosy jewrejskoj schizni (russisch); S. Dubnow, ,,Istoritscheskija soob-
schtschenja" (russisch) Woschod 1901, Buch V; ,,Tschto takoje jewrejskaja
istoria" (russ.), Woschod 1893, Buch XII; ,,Pisma o starom i nowom
jewrejstwie" (russ.), Woschod 1897 bis 1907; „Zbornik matierjalow ob
ekonomitscheskom poloschenii jewrejew w^ Rossii", 2 Bände (russ.), Ausgabe
d. JKA; A. P. Subbotin, ,,W tschertie jewrejskoj osiedlosti" (russ.), Wypusk II,
St. Petersburg 1896; Bramson, K istorji natschalnowo obrasowanja jeA\Tejew"
(russ.); S. M. Posner, ,,Jewreji w obschtschich utschebnych sawedienjach"
(russ.), Woschod 1903; P. Marek, ,,Otscherki po istorji proswieschtschenja
jewrejew w Rossii" (russ.), Moskau 1909; S. Klausner, „Nowoje^\Tejskaja
literatura 19 wieka" (1785 — 1899) (russ.); Jzdanie Tuschya, Warschau 1900;
0. M. Lerner, „Jewreji w noworossijskom Kraje" (russ.), Odessa 1901;
„Pereschitoje" — Zbornik poswiaschtschennyj obschtschej i kulturnoj istoryi
jewTejew w Rossii — Band I; Russ. jüd. Encyklopedie, 4 Bde, Petersburg 1909;
Moses Silberfarb, Die Verwaltung der jüdischen Gemeinden in Rußland
(Berner Doktor-Dissertation von 1910). Ich durfte das Manuskript dieser
ausgezeichneten Schrift einsehen.
Für die Geschichte der Juden in Polen: Hilary Nuss-
baum, ,,Historya zydow w Polsce" (polnisch), Bd V, Warschau, ,,Sakice
historyczne z zycia zydow w Warszawie" (poln.), Warschau 1881; Wochen-
schrift „Izraelita": „Z niedawnych lat" (poln.), Advokat S. Colin, 9. März
1879; „Zydzi w Polsce", Tresciwy rysichdziejöw oraz praw wzgladem nich
rzadzacych od najdawTiiejszych czasow", Warschau 1880 (poln.); Leon
Hollaenderski, ,,Les israelites de Pologne", (franz.), Paris 1896; Paperna,
„Jewrejskijaobschtschestwennyja zawedenja w gubernjach Carstwa Polsk. wich
istoritscheskom razwitii" (russ.), Woschod X, XI, XII, 1901. Z dziejöw
gminy starozakonnych w 19 stul. Tzkolnictwo Tom I (poln.), Warschau 1907;
Przesady antysemickie w swietle cyfr i faktow", przj^czynek do kwestyi zy-
dowskiej (poln.), ELmicie Wydanie ,,Wiedzy"; Ratsch, „Polskaja emigracya
do i wo wremja posliedniowo miatescha" (russ.), 1831 — 63; „Swjedenja o
polskom miateschie 1863 w siewero-zapadnom Kraje (russ.); Agaton Qilla,
,,Historya powstania narodu polskiego" (poln.), 1861^ — 64; M. Grabienski,
„Dzieje historyi polski", Krakau 1906; Graschdanin 1889 (65), „Korrespon-
dencya iz WarschaA\y", (russ.); Jutrzenka 1861 — 63, Wochenschrift (poln.) —
Im besonderen: Erziehung Nikolaus' I.: Arthur Kleinschmidl, Drei
Jahrhunderte russischer Geschichte (Berlin 1898), S. 324 ff . — Charakter
Anmerkungen. 311
Nikolaus' I.: Th. Schiemann, Geschichte Rußlands unter Kaiser Nikolaus I..
Bd II, Berlin 1908), S. 86, 91 ff, 97 ff, 399.— Nikolaus' T. Wahrspruch: Lilien-
thal, Russische Skizzen (AUg. Zeit. d. Judent., 1847, S. 684). — Nikolaus Ver-
fahren in den baltischen Provinzen: J. Eckhardt, Fünfzig Jahre russischer
Verwaltung in den baltischen Provinzen (Leipzig 1883). — Verordnungen vom
21. 6. 1838 und 27. 11. 1836; Allg. Zeit. d. Judent., Jahrg. 1839. S. 102, 136. —
,, Juden in den allgemeinen Schulen" (1840), russisch geschriebener Aufsatz
von S. M. Posner, Woschod, 1903. — Über Lilien thal und sein Wirken: Allg.
Zeit. d. Jud. 1840 — 43 und besonders Lilienthals „Russische Skizzen", cbendas.
Jahrg. 1847; sowie L's. Schilderungen ,, Meine Reisen in Rußland", Jüdi-
sches Volksblatt, 1856. — Liberaler Ausspruch Nikolaus' I. : Allt;. Zeit. d.
Jud., 1842, S. 743.
Kapitel Zwei. Genehmigung des Zaren zu der Reise Lilienthals:
Leon Scheinhaus, Die Geschichte der russischen Juden im 19. Jahrhundert
(Berlin 1901), S. 34. — Über die jüd. Kolonisation unter Nikolaus I. : Jui.Elk, Die
jüd. Kolonien in Rußland (Frankfurt a. M., 1886), nach amtlichen Quellen.
Daneben die Allg. Zeit. d. Judentums. — Wirkung der Vertreibung der Juden
vom flachen Lande: Jos. Meisl, Ein Memorandum der russischen Regierung
(Monatsschr. f. Gesch. u. Wissensch. d. Judent. Jan. -Febr. 1910, S. 6). —
Domänenminister Graf Paul Kisselew ehemals Mitglied des russischen ,, Tugend-
bundes": M. Wischnitzer, Die Universität Göttingen und die liberale Idee in
Rußland (Berlin 1907), S. 164. — Katharina IL an den Fürsten Wjasemsky:
B. V. Bübassow, Geschichte Katharinas IL, deutsche Übersetzung, Bd. IL, I
(Berlin 1893), 8. .'jSI ff. — Protassow und die Russifizierung der Griechisch-
LTnierten: Arth. Kleinschmidt, Drei Jahrhunderte russischer Geschichte (Berlin
1898), S. 342 f. — Verfolgung des Deutschtums vind Luthertums in den bal-
tischen Provinzen: J. Eckardt a. a. 0., S. 19, 21 f. 73 f. 84 ff.; Die baltische
Revolution (eingeleitet und verbürgt von Prof. B. Schiemann), Bd. I (Berlin
1906), S. 3, 76 ff. — Die Denkschrift des Judenkomitees von 1843: Jos. Meisl,
a. a. O., S. 1 — 13. — Über die jüdischen Krons- und Rabbinerschulen besonders:
Leon Scheinhaus, a. a. O., S. 44 ff . — Charakterisierung der Juden im nörd-
lichen Polen: Schalom Asch, Das Kolaer Gäßchen; Bilder aus dem Ghetto,
übertragen von Stefania Goldenring (Berlin 1907). — Schilderung eines fast
ausschließlich jüdischen Ortes bei Schalom Asch, Das Städtchen (deutsche
Übersetzung, Berlin 1909). — Ebendas. S. 92 ff . 158, der Einfluß der Chassidim
auf die gesamte jüdische Bevölkerung. — Über die zivilisatorische Wirkung
der Allg. Zeit. d. Judentums im damaligen russischen Judentum: Max Lilien-
thal, Meine Reisen in Rußland (Jüdisches Volksblatt, 1856, S. 130). — Über
die Chronik der russischen Juden: Bericht des Ministers des Innern, Lanskoi,
an .Alexander IL; Aug. Scholz, Die Juden in Rußland (Berlin 1900), S. 21 f.
Kapitel Drei. Wochenschrift Izraelita, 1879, 1880. — Allg. Zeit. d.
Judent. — Über die Zurückweisung der Juden durch die Polen während der
revolutionären Kämpfe des Jahres 1830, s. meinen Bd. I, S. 236 ff. — Brief
Ostrowskis: Leon Hollaenderski, Les Israelites de Pologne (Paris 1846), ein
Buch, das auch sonst mehrfach als Quelle gedient hat. — Ferner Katsch,
Polnische Emigration vor und während des letzten Aufstandes, 1831 — 1863
(russ.). — Über das innere Leben der polnischen Judenheit 1831 — 1855:
A. Paperna im Woschod, 1901; Z dzieje gminy Starozakonnj^ch w 19 st.
Szkolnictwo, Bd. I (Warschau 1907). — Über die jüd. Ackerbaukolonien in
Rußland: Sbornik materjalow^ ob ekonomitscheskow poloschenii jewrejew w
Rossii; sedanic sea.
Buch Neun.
Kapitel Eins. Über Alexander IL : Arthur Kleinschmidt, a. a. O.,
S. 390; V. Samson.-Himmelstjerna, Rußland unter Alexander III. (Leipzig 1891),
S. 71; Cardonne; L'empereur Alexander IL (Paris 1883); Iwan Golowin, Rußland
312 Anmerkvmgen.
unter Alexander II. (Leipzig 1870). — Graf Lanskoi: Scholz, a. a. O., S. 21 ff. —
Der Protest der russischen Schriftsteller gegen die Jllustrazija, das. S. 241 ff.
— Zu den Reformen in den ersten Zeiten Alexanders II.: Scholz, a. a. O.
S. 23, 244 ff. — Die Wirkungen des Handwerkergesetzes von 1865: J e w i s h
Colonization Association, Recueil des materiaux pour la Situation
economique des Israelites de Russie, Bd. I (Paris 1906), S. 401 ff. — Die Schule
von St. Petersburg: Allg. Zeit. d. Judent., 1896, S. 235 f. — Die Schule in Mos-
kau: das. 1871, S. 640. — Die Zahl der Juden an den höheren Schulen:
Posner: Jewrei w obschtschach wezchn. zawedenjach koschod 1903. — Die
Juden in Sibirien: Allg. Zeit. d. Judent., 1872, S. 834 f; 878, S. 697. — Über
die damalige jüdische Journalistik: Simon Dubnow, Pisma a starom i nowom
jewreistwie (Odessa 1897, 1907). —
Kapitel Zwei. Über die Schulennot der Juden in Polen: Allg. Zeit,
d. Judent., 1857, S. 110 f. — Feindschaft der russischen Regierung in Polen gegen
die Juden: Russische und jüdische Encykiopädie, Bd. II. — Die Erwählung von
Juden in die Distriktsräte: Izraelita, 8. Mai 1879. — Über Chassidismus :
S. M. Dubnows ausgezeichnete Abhandlung in der Jewish Encyclopaedia,
VI, 251 ff. ; Hilary Nusbaum, Szkice historyczne z Zycia Zydow w Warszawie
(Warschau 1881); Low, Vergangenheit und Gegenwart der Chassidäer (1859).
— Über die Beteiligung der Juden am polnischen Aufstande des Jahres 1863:
B. Ratsch, CBij;iiiiH o no.ii,eKOMi (u) MaxeiKi ISbS r. Et ctBcpo sanajiiOMt Kp;\t.
— Die Kämpfe innerhalb der Warschauer Gemeinde: Hil. Nusbaum, a. a. O.
— Eröffnung des Staatsdienstes für die Juden Polens: Allg. Zeit. d. Judent.,
1866, S. 237.
Kapitel Drei. Die Partei der Altrussen oder Slawophilen: Liwoff,
Michel Katkow et son epoque (Paris 1897); N. J. Danilewsky, Rußland und
Europa (3. Aufl. Petersb. 1888). — Dostojewsky über die Juden: Tagebuch eines
Schriftstellers im ,,Graschdanin," März 1877. — Reaktionäre Wendung des
Zaren seit der Glitte der sechziger Jahre: Ferd. Neubiirger, Rußland unter
Kaiser Alexander III. (Berlin 1894), S. 33. — Bigotterie und Verfolgungssucht
des Zaren: Art. Kleinschmidt, a. a. O., S. 413. — Das Rundschreiben Markows
vom April 1880: Allg. Zeit. d. Judent., 1882, S. 571. — Über die Schulzustände:
Leon Scheinhaus, a. a. O., S. 62. — Jüdische Ackerbaukolonien: Allg. Zeit. d.
Judent., 1879, S. 169, 777. — Vgl. das mehrfach zitierte Buch von Aug. Scholz,
Die Juden in Rußland.
Buch Zehn.
Kapitel Eins. Über Alexander III. : Die bereits angeführten Werke
von Neubürger, Samson -Himmelstjerna, Kleinschmidt: dann Notowitsch,
Alexander 111. und seine Umgebung (Deutsche Übers., Leipzig 1894); Denk-
würdigkeiten Chlodwigs von Hohenlohe, Bd. II (Stuttg. 1907), S. 482. — Vor-
gehen gegen Luthertum und Deutschtum (Schiemann), Die lettische Revo-
lution (Berlin 1906, 1907), I 84 ff.. 112 ff, 135 ff., II 33 ff. 41 ff. 61 f. — Die Po-
grome von 1881 und 1882 nach den damaligen jüdischen Zeitungen, sowie nach
dem noch oft anzuführenden Werke: ,,Die Judenpogrome in Rußland, heraus-
gegeben von dem Zionistischen Hilfsfonds in London", Bd I (Köln und Leipzig
1910), S. 16 ff. 189. — Die Teilnahme der Polizei an den Judenkrawallen von
1881 ist durch die sonst durchaus antisemitische ,,Nowoje Wremja" vom
3Iai 1881 bezeugt. — Katharinas IL ^Manifest gegen den russischen Wucher:
C. von Bilbassow, Geschichte Katharinas IL, deutsche Übers. (Berlin 1893),
Bd. II, I 276 ff. Über die Unredlichkeit des russischen Volkes und zumal des
Kaufmanns: der ausgezeichnete Kenner der nissischen Zustände Sir Donald
Mackenzie Wallace, Rußland (4. deutsche Auflage, von Friedr. Purlitz, Würz-
burg 1906), S. 212. — Ökonomische Folgen der ^laigesetze für die Juden:
Alexander Ular, Die russische Revolution (Berlin 1905), S. 304 ff. — Über Smo-
Anmerkungen. 313
lenski, Lilienblum und den Vorzionismus s. meinen Bd. II, S. 155 f ; über
Lilienblum noch den Aufsatz von Sim. Bernfeld in „Ost und West", 1910, S. 212 ff.
— Zu den freundlichen Äußerungen der meisten Lokalkommissionen sowie
Erklärung durch die ,,Nowoje Wremja" bei Scheinhaus, a. a. O., S. 72 ff. —
Erklärung Leo Tolstois und seiner Genossen zugunsten der Juden im Berliner
Börsenkourier, 16. Dez. 1890. — Über die Judenkommission von 1883:
L. Errera, Les Juifs nasses (Brüssel 1893), S. 20 ff — Auszüge aus der Schrift
Demidows: Scholz, a. a. O., S. 249 ff.
Kapitel Zwei. Rußland und Armenien: Lehmann > Haupt, Arme-
nien einst und jetzt (Berlin 1910), S. 63 f. — Die angeblichen jüdischen
Prostituierten: Errera, a. a. O., S. 31, nach Leroy-Beaulieu. — Die gesetz-
geberischen Vorgänge nach ,,Die Judenpogrome in Rußland", Bd. I, und den
jüdischen Blättern der Zeit. — Auswanderung 1891: Pogrome I 120, 1892 — 94:
AUg. Zeit. d. Jud., 1895.
Kapitel Drei. Zu diesem hauptsächlich: Sbornik materjalow ob
ekonomitscheskom jjoloschenji jewrejew w Rossii, Bd. I (Izdanic ICA, 1904);
ferner : Bureau für Statistik der Juden, Die sozialen Ver-
hältnisse der Juden in Rußland.
Buch Elf.
Kapitel Eins. Jüdische Blätter, besonders die Allg. Zeit. d. Judent.
und ,, Pogrome", Bd. I.
Kapitel Zwei. Die Pogrome des Jahres 1903: ,, Die Judenpogrome
in Rußland", Bd. II, S. 5 — 44. — Weiteres hauptsächlich nach den jüdischen
und allgemeinen Blättern. — Vorzugsweise Verwendung jüdischer Arzte im Kriege
und ihre Gründe: Ular, Die russische Revolution, S. 311. — Dass. S. 308 f. die
Beteiligung des Gouverneurs am Pogrom von Kischinew (I). — Die Juden und
die Anfänge der Revolution: S. J. Onauchi, Chajim Woltersmann, übertragen
von Th. Zlocisti, Aus einer stillen Welt, Bd. II (Berlin 1910). — Georg Zepeler
über die jüdischen Revolutionäre in Rußland: „Neue Demokratie" (Berlin
1909), S. 130 f. — Die Vorgeschichte der Revolution im allgemeinen bei D. M.
Wallace, Rußland (4. deutsche Auflage, Würzburg 1906), II, 330 ff. — Über
den „Bund", s. Anhang.
Kapitel Drei. Hier war, neben einzelnen Zeitungsnachrichten, die
Hauptquelle das schon öfter genannte zweibändige Werk: Die Judenpogrome
in Rußland, herausgegeben von der zionistischen Kommission, Köln und
Leipzig 1910, durchaus auf aktenmäßigen Angaben beruhend. — Ferner: Die
Ms.-Sammlung des Hilfsvereins der deutschen Juden (s. Vorwort dieses Ban-
des). — Über die früheren friedlichen Verhältnisse zwischen Juden und den
niederen Massen des russischen Volkes: Alexander Ular, Die russische Revo-
lution (Berlin 1905) S. 301.
Kapitel Vier. Für dieses ganze Kapitel die Als. -Sammlungen des
Hilfs Vereins der deutschen Juden (s. Vorwort.). — Die russische Religiosität:
Beruh. Stern, Geschichte der öffentlichen Sittlichkeit in Rußland, Bd. I (Ber-
lin 1907), S. 112 ff. (übrigens ist das ganz unwissenschaftliche Buch nur
mit großer Vorsicht zu gebrauchen, lediglich da, es wo sich auf beglaubigte
Vorfälle stützt). Aber auch Wallace sagt 1169: „Die religiösen Vorstellungen
der russischen Bauern sind, obgleich sie Christen heißen, von denen der heid-
nischen Finnen nie sehr verschieden gewesen ; auch sie setzen unbedingtes Ver-
trauen in religiöse Formeln und Zeremonien". — Über die offiziellen Schläch-
tereien der Drahoborzen: J. W. Blenstock, Tolstoi et les Doukhobors, faits
historiques, reunis et traduits du Russe (Paris 1902). — Über die Armeniergreuel:
Lehmann- Haupt, Armenien einst und jetzt (Berlin 1910), S. 64. 113. 130. 150 f.
— Über die Vorgänge in den Ostseeprovinzen: „Die lettische Revolution". Mit
314 Anmerkungen.
einem Geleitworte von Prof. Theod. Schiemann (der die volle wissenschaftliclie
und moralische Verantwortung übernimmt), 2 Bde. Berlin 1906 — 07 ; „Baltische
Revolutionschronik," als Beilage zur „Baltischen Monatsschrift", 1906 — 1909.
— Die Stimmung unter den russischen Juden nach den Pogromen: ,,Chajim
Woitermann" von J. S. Onauchi, übertragen von Th. Zlocisti, Eine stille Welt
(Berlin 1910), Bd. II. — Die Dichtersteilen bei Berth. Feiwel, „Junge
Harfen", und in der Übersetzung von Morris Rosenfelds ,, Lieder des Ghetto"
von demselben Feiwel. — Die Hungersnot und die angeblich jüdischen Damen:
Alexander lllar, Bericht über seine Erlebnisse in Rußland; Wiener ,,Zeit",
13. Jan. 1907. — Rede Stolypins in der Duma über die bevorzugte Stellung der
Orthodoxen in Rußland, vom 4. Juni 1909: Schultheß=Rieß, Europäischer Ge-
schichtskalender, Jahrg. 1910, S. 566 f. — Über die Tätigkeit der ICA. in Ruß-
land, die Rapports pour l'annee 1908 und 1909 (Paris 1909 und 1910). — Die
Vorgänge im IJexcmber 1905 und im Jahre 1906: ,,Allg. Zeit. d. Judent." und
„Jüdische Presse". — Die gegenwärtigen Verhältnisse unter den russischen Juden
großenteils nach den Angaben eines vorzüglichen Kenners Herrn D. Feinberg,
sowie nach dem von der ICA. herausgegebenen Recueil des Materiaux sur la
Situation economique des Israelites de Russie (2 Bde. Paris 1906 u. 1908).
Ferner die Berichte der AUiance Israelite Universelle für die Jahre 1908 u.
1909. Endlich M. J. Mysch, Handbuch der russischen Gesetze betr. die
Juden; Ergänzung für 1908 u. 1909 (russisch, St. Petersburg 1910). — Die
jüdische Presse in Rußland: J. B. Wolffsohn, Die Zeitungswelt in Rußland
(St. Petersburg 1910).
Kapitel Fünf. Die Pogrome in Polen 1881—1902 in „Die Juden-
pogrome in Rußland", I 134 — 186. — Die gewerblichen Daten nach dem
Recueil des materiaux sur la Situation economique des Israelites en Russie,
herausgegeben von der Jewish Colon ization Association,
Bd. I, II (Paris 1906 u. 1908). — Sonst nach freundlichen Angaben des
Herrn D. Feinberg und der Frau Dr. Salomea Levite. — Über die Zahl der
Juden Polens nach der Volkszählung 1907: Zeitschr. f. jüd. Stat. 1911, S. 15 f.
Alphabetisches Personenregister
für alle drei Bände.
Die römische Ziffer bezeichnet den Band, die arabische die Seitenzalil.
A.
Abasa, russischer Minister, III 107.
Abd-el-Kader, Führer der algerischen
Moslemin, I 220.
Abd-er-Racliman, Sultan, II 325.
Abdul-Asis, türkischer Sultan, II 312.
Abdul - Asis, Sultan von Marokko,
II 326.
Abdul-Hamid II, Sultan, II 162, 312,
314 f.
Abdul-Medschid, Sultan, 300, 308,
310 f.
Abel, bayrischer Ministerpräsident,
I 245.
Aberdeen, Lord, II 150.
Abraham, Dr. Mayer, II 270.
Abramowitsch, Jakob, Novellist, II
172.
Abramsohn, M., Wirklicher Staatsrat,
III 262.
Acsadi, Ignaz, Historiker, II 279.
Adams, Hannah, Geschichtschrei -
berin, I 170.
Adler, amerikanischer Rabbiner, 1 389.
Adler, Distriktsrabbiner, I 363.
Adler, Hermann. Chief-Rabbi von
England, II 181.
Adler, Landrabbiner, I 350 f.
Adler, Nathan Markus, Chiefrabbi,
I 224, 226.
Afanassiew, Pope, III 256.
Agai, Adolf, Schriftsteller, II 280.
Aguilar, Miß Grace, Novellistin, I
224.
Ahlwardt, Rektor, II 41, 47—49,
54 f.
Aker-Douglas, englischer Minister,
II 207.
Aksakow, Iwan Sergej e witsch, rus-
sischer Politiker, III 62, 95, 104.
Alexander, Bernhard, Ästhetiker, II
279.
Albedinsky, russischer Generalgou-
verneur, III 128.
Alexander, Fürst von Bulgarien,
II 341.
Alexander III., Zar, II 150, 174.
Alexander L, Kaiser von Rußland,
I 73—75, 94, 1351, 141 f., III
322, 24.
Alexander IL, Kaiser von Rußland,
III 38. 43, 55, 59—68, 70 f., 73 f.,
76—78, 87 f., 94, 102—104, 106
bis 108, 112, 115, 117, 153, 161,
229, 275.
Alexander III., Kaiser von Rußland,
III 67, 93, 115—119, 125 f., 139,
142—144, 153, 157, 159, 180, 245,
275.
Alter, Meyer, Warschauer Oberrab-
biner, III 83.
Amyritor, Gerhard von, Schriftsteller,
II 16.
d'Ancona, Alessandro, Philologe und
Literaturhistoriker, Bürgermeister,
II 282.
Ancillon, von. preußischer Kultus-
minister, I 111.
Andrassj-, Graf Julius, ungarischer
Ministerpräsident, I 392.
Andre, französischer Kriegsminister,
II 111.
Angel, Schemaja, Bankier, II 309.
Anossow, russischer Polizist, III 251.
Antokolsky, jüdischer Bildhauer, III
145, 172.
Anspach, Jules, Schriftsteller, I 219 f.
316 Alphabetisches Personenregister für alle drei Bände.
Anton, König von Sachsen, I 252.
AntoneUi, Kardinal -Staatssekretär, I
338.
Apponyi, Graf, ungarischer Kultus-
minister, II 94, 199.
Arbib, Edvardo, Journalist, II 282.
Arendt, Otto, Politiker, II 260.
Arnheim, Dr., Landtagsabgeordneter,
II 269.
Arnhold, Großhändler, II 261.
Arnim, Graf, I 310.
Arnstein, Baronin Fanny von, I 86.
Artom, italienischer Diplomat, I 385.
Aronsohn, Abgeordneter, II 263.
Ascherson, Paul, Botaniker, II 260.
Ascoli, Graziadio, Professor, II 282.
Asantschewsky-Asantschejew, russi-
scher Gouverneur, III 225.
Asch, Schalom, Schriftsteller III 41.
Askenasi, Bohor Effendi, Unter-
präfekt, II 315.
Askenfeld, Israel, Dramatiker, II 171.
Asser, Karl, niederländischer Staats-
rat, I 127.
Assing, Dr., Mihtärarzt, I 84.
Astruc, Z., Bildhauer, II 283.
Aub, Rabbiner, I 351.
Auerbach, Benjamin Hirsch, Landes-
rabbiner, I 199.
— Berthold, Romanschriftsteller, II
258.
— Isak Levi, jüdischer Reformer,
I 159, 164, III 14.
— Samuel, II 262.
Aufrecht, Orientalist, II 259.
August, preußischer Prinz, I 118.
Augusta, Kaiserin, II 16, 19.
Auspitz, Rudolf, Zuckerfabrik, II
272.
Avigdor, französischer Sekretär, I 16.
Aylesworth, kanadischer Minister, II
219.
Azeglio, Massimo d', italienischer
Schriftsteller und Politiker, I 291.
Bach, Alexander, österreichischer Mi-
nister, I 317.
Bachem, Abgeordneter, II 53.
Bacher, Eduard, Redakteur, II 274.
— Simon, Dichter, II 278.
— Wilhelm, Literarhistoriker, II 279.
— Wilhelm, Orientalist, II 279.
Bachmann, L., Ingenieur, II 283.
Badeni, Graf, österreichischer Mi-
nisterpräsident, II 86.
Bader, von, russischer General, II
256.
Baginski, A., Mediziner, II 260.
Bail, französischer Schriftsteller, I 91,
121.
Bakonyi, Samuel, Politiker, II 280.
Balassa, Josef, Sprachforscher, II 279.
Balfour, englischer Premierminister,
II 208.
Ballai, Ludwig, Ministerialrat, Jurist,
II 279.
Ballin, Albert, Direktor der Ham-
burg-Amerika-Linie, II 261.
Bamberger, Ludwig, Abgeordneter,
II 5, 27, 32, 261, 264.
— Salomon, Distriktsrabbiner, 1 198,
363.
Banaczi, Josef, Literarhistoriker, II
279.
Bank, Advokat, III 126.
Baranow, Graf, russischer General -
gouverneur, III 104.
Bardowski, russischer Polizeibeamter,
III 217.
Barkany, Maria, Opernsänger, II 278.
Barnay, Ludwig, Schauspieler, II 259,
278.
Baron-Hirsch-Stiftung II 277.
Baron, Julius, Jurist, II 260.
i — Jonas, Mediziner, II 279.
Barrafael, jüdischer Major in Rom,
I 68.
Baruch, Handelskammerpräsident, II
264.
Baruch von Tulschin, Führer der
Chassidim, III 82.
Bassermann, badischer Abgeordneter,
I 252.
Bator, Isidor, Komponist, II 278.'
Battyany, ungarischer Ministerpräsi-
dent, I 303.
Bauer, Bankier, II 273.
— Landrat, I 300.
Bauernfeld II 275.
Baumann, Gustav, Domänendirektor,
II 223.
— Isaak, Bankdirektor, II 223.
Baumgarten, Isidor, Kronanwalts-
Substitut, II 279.
— Professor, II 27.
Baumhorn, Leopold, Architekt, II
278.
Baur, Ferd. Christ., christlicher Theo-
loge, I 202.
Beck, Dionysius, Finanzier, II 280.
— Hugo, Senatspräsident d. König!.
Kurie, II 279.
Alphabetisches Personenregister für aUe drei Bände
317
Beck, Karl, Lyriker, II 258.
Bedarrides, Rechtswissenschaftler, II
283.
Beer, Adolf, Historiker, II 259.
— Dr. Bernhard, jüdischer Philan-
throp, I 201.
Beer, Frau, I 54, 83.
— Jakob, Bankier, I 159.
— Peter, jüdischer Reformer in Böh-
men, I 173.
— Philanthrop, II 283.
— Wilhelm, Geheimrat, I 309.
Beer-Bing, Jesaia, Elsässer Apologet,
I 5.
Beeth, Lola, Sängerin, II 259.
Behrend, Dr. Privatdozent, I 369.
Belochostow, russischer Polizeibe-
amter, III 216.
Benas, L., Kaufmami, I 300.
Ben-Avigdor, Romanschriftsteller, II
169.
Benckendorf, russischer Minister, III
23.
Benda, Georg, II 267.
— Stadtrat, I 268.
Ben-David, Lazarus, jüdischer Philo-
soph, I 53, 149 f., 152, 168.
Bendemann, Eduard, Maler, II 259.
Benedikt, Dr., Hofkapellmeister, II
267.
— Finanzier, II 266.
Benfey, Orientalist, II 259.
Benjamin, Juda P., Senator, Staats-
sekretär, II 295.
Benjamin von Tudela, Reisender, II
299.
Ben-Jehuda, Redakteur, II 170.
Beniowski, polnischer Major, III 47 f.
Bensabath, Marcos, portugiesischer
Offizier, I 134.
Berek Jusilowicz, jüdischer Freiheits-
kämpfer in Polen, I 74 f.
Berg, Graf, Statthalter von Polen.
III 87 f., 90 f.
Bergson, H. L., Philosoph, II 283.
Bergtheil, Jonas, südafi-ikanischer Ab-
geordneter, I 339.
Berlin, Max, Oberlandesgerichtsrat,
II 267.
Bernard, Sarah, Schauspielerin, II 283 ;
III 122.
Bernays, Jakob, Philologe, I 342, 371 ;
II 259, 264.
— Isaak, Oberrabbiner, I 164, 207 f.
— Michael, Literaturhistoriker, II
259, 264.
Berner, Professor, II 44.
Bernheim, Ernst, Historiker, II 259.
— Hijjpolyte, ^Mediziner, II 283.
Bernstein, Dramatischer Schriftsteller,
II 283.
— A., Romanschriftsteller, II 258.
— Aron, Schriftsteller, I 205 f.
— Prof. Dr. Julius, Naturwissen-
schaftler, I 371; II 260.
Bernuth, von, ])reußischer Justiz-
minister, I 367.
Berolzheimer, Kommerzienrat, II 268.
Berr, Michel, jüdischer Apoleget, 1 24.
Bert, Paul, Gouverneur von französ.
Indochina, II 209.
Beseler, preußischer Justizminister,
II 67, 189.
Bessonow, russischer General, III
220—222.
Bethmann-HoUweg, von, preußischer
Kultusminister, I 367 f.
Bettelheim, Karolina, Sängerin, II
274.
Beugnot, Graf, französischer Staats-
mann, I 34.
Bialyk, Dichter, II 168.
Biedermann, Karl, Politiker, I 255.
Bielschowsky, Literaturhistoriker, II
259.
Bihari, Alexander, INIaler, II 277.
Billot, französischer Kriegsminister,
II 112, 114.
Biourd, Generalgouverneur von fran-
zös. Indochina, II 209.
Bischofsheim, Finanzier, II 283.
Bismarck, Otto von, I 368, 371;
II 12, 33, 37, 336.
Blau,Ludwig,Literarhistoriker, II 279.
Bleichröder, Bankier, II 5.
— Gerson, Finanzier, II 261.
Bloch, A., Rechtswissenschaftler, II
283.
— Gustav, Archäologe, II 283.
— Josef Samuel, Rabbiner, II 194.
— Moses, Literarhistoriker, II 279.
— Philipp, Rabbiner, II 16.
— Rosine, Schauspielerin, II 283.
Biowitz, Journalist u. Politiker, II 283.
Bludow, russischer Minister, III 23.
Blum, Ernest, dramatischer Dichter,
II 283.
Blumenthal, Oskar, Lustspieldichter,
II 258.
Boas, Franz, Anthropologe, II 295.
Bock, Dr. M. H., Schulmann, I 67.
Böckel. Führer der Antisemiten, II 35
bis 37, 39, 41, 52.
Bodenheimer, Max, II 158 f.
318 Alphabetisches Pei'sonenregister für alle drei Bände.
Bogdanowitscli, Eugen, russischer Ge-
neral, III 230.
Bognar, Friederike, Schauspielerin,
II 259.
Boisdeffre, General, II 101, 112—114.
Bonald, de, französischer klerikaler
Schriftsteller, I 12.
Bonaparte, Nai^oleon, s. Napoleon I.
Bordiert, Hirsch Isaak, jüdischer Phi-
lanthrop, I 151.
Borkenau, Moritz Pollak von, Mit-
glied im Gemeinderat, II 271.
Borközy, Baron, Ministerialdirektor,
II 94.
Börne, Ludwig, Schriftsteller, I 37,
175 f., 178.
Bosse, Kultusminister, II 187 f.
Boulanger, General, II 99.
Boyen, General von, preußischer
Kriegsminister, I 267.
Brahm, Otto, Journalist und Schrift-
steller, II 258.
Braffmann, jüdischer Renegat, III
96 f.
Brandon, E., Maler, II 283.
Brandstetter, Novellist, II 168.
Bratianu, Johann, rumänischer ]Mi-
nister, II 331 f.
Braun, Ritter von, Ministerialrat,
Direktor der Südbahn, II 280.
Breal, Michel, Sprachwissenschaftler,
II 283.
Brentano, L. von, Professor, II 85.
Breitenbach, Wolff, Hofagent, I 25.
Breslauer, Bernhard, Justizrat, II 61,
151.
Bresselau, Notar, I 103, 162 f.
Breßlau, Harry, Historiker, II 259.
Breuer, Moritz, Direktorstellvertr.
der Südbahn, II 280.
Brill, Abgeordneter, I 295.
Brisson, französischer Ministerpräsi-
dent, II 109, 114.
Brodsky, jüdischer Philanthrop, III
110, 124, 128.
Brody, Alexander, Schauspieldichter,
II 278.
Brougham, Lord, englischer Staats-
mann, I 285.
Brüll, Ignaz, Komponist, II 259.
Brunnetiere, Literarhistoriker, II 98.
Brunner, Sebastian, Publizist, II 70.
Buda, Goldberger de, Großindustri-
eller, II 280.
Büdinger, Max, Historiker, II 274.
Bugadowskij, Gendarmerierittmeister,
IIT 215, 250.
Bülow, Bernhard von, Reichskanzler,
II 63.
Buls, Bürgermeister von Brüssel, II 29.
Burakow, russischer Hauptmann, III.
256.
Burg, Meno, pi'eußischer Major,
I 118; II 186.
Buschoff, Adolf, Schächter, II 45 f.
c.
Caheu, J., Gymnasialprofessor, 1319.
— S., Bibelübersetzer, I 219.
Gallier, Major, II 301.
Cambon, Generalgouverneur von Al-
gerien, II 105 f.
Camondo, Graf Abraham, Bankier,
II 311.
Cantor, Moritz, Mathematiker, II 260.
Canovas del Gastillo, spanischer Mi-
nisterpräsident, II 215.
Cantacuzenu, rumänischer Minister,
II 338.
Caprivi, von, Reichskanzler, II 49.
Cardozo, Oberrichter, I 388.
Caro, Prof. Dr., Historiker, I 371; II
259, 263.
— David, hebräischer Schriftsteller,
I 163.
— Großindustrieller, II 261.
Carp, rumänischer Minister, II 338.
Cavaignac, französischer Kriegsmi-
nister, II 114.
Cerfberr, französischer Oberst und
Politiker, I 220, 291.
Champagny, französischer Minister
des Innern, I 17, 20 f.
Chanschenkow, Polizeimeister, III 183.
Charusin, russischer Gouverneur, III
207.
Chasse, General Baron von, I 128.
Cherin, Aaron, Rabbiner, I 74, 208.
Chiarini, Abt, I 143.
Chlopicki, Diktator, I 237.
Chmerkin, Professor, 172 f.
('horin. Franz. Mitglied d. Magnaten-
( Herren-) Hauses, II 280.
Christian VIL, König von Däne-
mark, I 71.
Chronegk, Ludwig. Schauspieler, II
259.
Chwolson, Daniel, russischer Orien-
talist, III 101.
Chwostow. russischer Gouverneur,
III 216—218.
Ciceruachio, römischer Volksführer,
I 289.
Al]:)habetisches Personenregister für alle drei Bände.
311»
Clemenceau, Politiker, II 113, 115.
Clermont-Tonnere, Graf Stanislaus,
französischer Politiker, I 6 f.
Cochelet, Konsul, II 307.
Coen, italienischer General, II 212.
Cogalniceanu, rumänischer Minister,
II 332 f.
Cohen, australischer Finanzminister,
I 383.
— Ernest, Musiker, II 283.
— Herrmann, Philosoph, II 259.
— Leonce, Musiker, II 283.
— Mendes, Ingenieur, II 295.
Cohn, Baron, Finanzier, II 261.
— Albert, Philanthrop, I 383; II 316.
— Ferdinand, Botaniker, II 260.
— Gustav, Nationalökonom, II 260.
Cohnheim, Mediziner, II 263.
— Julius, Mediziner, II 260.
Consolo, Federico, Musiker, II 282.
Coralie-Cohen, Philanthropin, II 283.
Creagh, irischer Priester, II 207.
Creizenach, Dr. Michael, Gelehrter
und Schulmann, I 98, 181, 203;
II 264.
— Theodor, Schulmann und Schrift-
steller, I 203, 243; II 264.
Cremer, Abgeordneter, II 11, 33.
Cremieux, Adolf, Advokat, Politiker
und Philanthrop, I 218, 220,
291, 382—384; II 283, 305—309.
— Hector, dramatischer Schriftsteller,
II 283.
Cretet, Graf, französischer Minister
des Inneren, I 21.
Cronecker, Leopold, Mathematiker,
II 260.
Csernatony, Abgeordneter, II 70.
Cuignet, Major, II 114.
Cusa, Alexander, Fürst der Moldau
und Wallachei, II 330 f.
Czartoryski, Fürst Adam, polnischer
Politiker, III 47, 85.
Czvnski, polnischer Ober-Offizier, III
■' 45, 48 f.
D.
Da Costa-Atias, Isaak, holländischer
Staatsmann, I 65.
Dahlberg s. Karl Theodor.
Dimrosch, Leopold, Musiker, 11 259.
D mski, russischer Polizeibeamter, III
224.
Darmesteter, Arsene, Sprachwissen-
schaftler, II 283.
Darmesteter, James, Sprachwissen-
schaftler, II 283.
David, Samuel, Musiker, II 283.
Davidsohn, Chaim, Warschauer Ober-
rabbiner, III 83.
Dawidow, LTntersuchungsrichter, 111
182.
Davison, Bogumil, Schauspieler, II
259.
Debie, Bürgermeister, I 287.
Deckert, Pastor, II 84.
de Cologna, Pariser Oberrabbiner,
I 121.
Deisey, Sigmund, Senatspräsident der
Königl. Kurie, II 279.
Deljanow, Graf, russischer Minister,
III 161.
Delitzsch, Franz, Professor, II 16.
Della Torre, Lelio, jüdischer Ge-
lehrter, I 230, 386.
Delyannis, griechischer Ministerpräsi-
dent, II 121.
Demidow-San Donato, Fürst, russi-
scher Staatsmann, III 141, 147.
De Mist, Jakob Abraham, General,
I 225.
Denon, Zeichner und Radierer, I 9.
De Pass, Daniel, südafrikanischer
Pflanzer, I 339.
Derblich, Regimentsarzt, I 377.
Derenburg, Hartwig, Sprachwissen-
schaftler, II 283.
— Josef, Sprachwissenschaftler, II
264, 283.
Dernburg, Heinrich, Jurist und
Rechtslehrer, II 260, 264.
Derjugin, russischer General, III 210.
Derkatschow, russischer Polizei-
meister, III 255.
Derschawin, russischer Staatsmann,
I 73.
Desportes, Henri, Schriftsteller, II 99.
Distelkamp, Prediger, II 14.
Deutsch, Bernhard von, Großindu-
strieller, II 280.
Deutsch, Willy, Klaviervirtuose, II
278.
Divai, Ignaz, Kurialrichter, II 279.
Divekar, Samuel, II 347.
Dohm, von, preußischer Staatsmann,
I 25.
Dolgoruki, Fürst, russischer (leneral-
gouverneur, III 139—141, 149.
— Fürstin Katharina, III 115.
DöUinger, von, Stiftspropst, I 247;
II 27.
Donath, Julius, Bildhauer, II 278.
320
Ali:)liabetisches Personenregister für alle drei Bände.
Dostojewsky, russischer Schriftsteller,
III 98 f.
Douglas, Graf, II 37.
Drake, General, Stadtkommandant
von Kiew, III 220, 222.
Drenteln, russischer General und Ge-
neralgouverneur, III 121, 124,
139, 141.
Dreyfus, Alfred, Hauptmann, II 101
bis 104, 109, 111—116.
Drumont, Eduard, Antisemitenführer,
II 97—102, 107, 109 f.
Dubassow, russischer General, II 218.
Dubnow, jüdischer Geschichtschreiber.
III 268.
DubroAvin, Vorsitzender des Ver-
bandes echt russischer Leute,
III 242 f.
Dühring, Eugen, Privatdozent, II 15,
18.
Du Paty de Clam, Major, II 102 f.,
113 f.
Duport, französischer Abgeordneter,
I 7.
Dupuguet, Erzieher Nikolaus' I., III 3.
Dupuy, französischer Ministerpräsi-
dent, II 109, 111.
Durnowo, russischer Minister, III
174, 249.
Dux, Adolf, Schriftsteller, II 280.
E.
Ebers, Georg, Orientalist, II 259.
Eberstadt, Bürgermeister, II 264.
Ebner-Eschenbach, Marie von, Schrift-
stellerin, II 83.
Edel, Dr., I 353.
Edinger, Landtagsabgeordneter, II
264.
Eger, Akiba, Rabbiner, 1 163, 174, 182.
Egidy, Oberst von, II 44.
Ehrenreich, Rabbiner, II 213.
Ehrlich, Heinrich, Musiker, II 259.
Ehrlich, Paul, Mediziner, II 260.
— V., Handelskammerpräsident, II
223.
Eichhorn, von, preußischer Kultus-
minister, I 268.
— David, reformistischer Rabbiner,
I 215.
— David, Rabbiner, I 346, 348, 389.
Einsiedel, Graf, sächsischer Minister,
I 252.
Eisenbaum, Seminardirektor, III 49.
Elimelech von Lizianko, Führer der
Chassidim, III 82.
EUstätter, Max, Minister, II 260, 265.
Engel, Georg, Journalist und Schrift-
steller, II 258.
d'Ennery, Adolf, dramatischer Dichter
II 283.
Eötvös, Baron Joseph, Dichter und
Staatsmann, I 279, 358.
— Karl, Abgeordneter, II 78.
Epureanu, rumänischer Minister, II
333.
Ernst August, König von Hamiover,
I 258 f.
Erter. Isaak, hebräischer Dichter,
I 195.
Esterhazy, Major, II 112 f.
Ettinger, Dichter, II 171.
Ettlinger, Jakob, Oberrabbiner, I 208,
353.
Ewald, Job. Ludw., Ministerialrat,
I 94.
Ezekiel, Moses, Bildhauer, II 295.
F.
Falk, preußischer Kultusminister, I
371, 373; II 185.
Fassel, Hirsch C, Rabbiner, 1 186. 215.
Faure, Felix, Präsident der franzö-
sischen Republik, II 109, 111.
Faust, Karl, juristischer Schriftsteller,
II 267.
Fejervary, ungarischer Ministerpräsi-
dent, II 94.
Feld, Sigmund, Theaterdirektor. II
278.
Fellner, von, Alexander, Architekt,
II 278.
Felsenthal, Rabbiner, II 159.
Fenyer, Adolf, Maler, II 278.
Fenyvessy, Adolf von, Chef d. Steno-
graphenbüros d. ung. Reichstages,
II 281.
Ferdinand, Fürst, dann König von
Bulgarien, II 340, 342.
Ferdinand III., Großherzog von Tos-
kana, I 132.
Ferdinand IV., Kaiser von Österreich,
I 275, 280, 302, 306.
Fichte. Philosoph. I 26.
Finzi, Dr. Mose, I 289.
Fischer, Weihbischof, II 46.
— Moritz von, Großindustrieller, II
280.
— Ignaz von, Großindustrieller, II
280.
Fischhof, Adolf, österreichischer Ab-
geordneter, I 302; II 270.
Alphabetisches Personenregister für alle drei Bände.
321
Fito, Fidel, Orientalist, II 214.
Flatau, Joseph Jakob, II 262.
Flaxner, Simon, Pathologe, II 295.
Fleischer, Max, Architekt, II 259.
Flottwell, von, preußischer Ober-
präsident, I 262 f.
Fontanes, französischer Schriftsteller
und Politiker, I 12 f.
Forkenbeck, von, Oberbürgermeister,
II 19.
Formstecher, Rabbiner, I 194, 315;
II 264.
Förster, Oberlehrer, II 38, 66.
Fould, A., französischer Finanzmann,
I 291, 382 f.; II 283.
Fourtado, Phüanthrop, II 283.
Franck, Adolf, Philosoph, I 219. 319:
II 98, 283.
Fränckel, Jonas, I 342.
Francolm, Prediger Dr., I 116.
Frank, Adolf, Chemiker, II 260.
Fränkel, Jakob Emanuel, Rabbiner,
II 16.
— David, Direktor der Dessauer
Franzschule, I 42, 167.
— Säckel, Hebraist, I 162.
Frankel, Zacharias, Oberrabbiner, I
201, 212 f., 254, 342, 353.
Frankenberger, Wolf gang, Landtags -
abgeordneter, II 269.
Frankfurter, Prediger, I 208.
Frankowski, Leon, jüdischer Frei-
heitskämpfer, III 87.
Franz L, Kaiser von Österreich, 160,
108.
Franz IV., Herzog von Modena I 132.
Franz Joseph L, Kaiser von Öster-
reich, I 307, 316—318, 328, 338,
356, 358; II 71, 80, 83 f., 91 f.,
195—197.
Frantz, Konstantin, Pubhzist, II 4.
Franzos, Karl Emil, Romanschrift-
steller, II 258.
Frensdorf, Ferdinand, Jurist, II 260.
Freund, Dr. Wilhelm. Gymnasial-
direktor, I 298.
— Wilhelm, Philologe, II 259.
Freudenthal, J., Philosoph, II 260.
Freycinet, de, Kriegsminister, II 100.
Freymann, russischer jüdischer Offi-
zier, III 103.
Freystetter, Major, II 163.
Freytag, Gustav, Dichter, II 2, 49.
Friedberg, E., Politiker, II 261.
Friedberg, H., Jurist, II 260.
Friedenthal, R., Politiker, II 261.
Friedländer, David, jüdischer Auf-
klärer, I 48, 52—54, 57—59, 140 f.,
152, 158 f., 167 f., 261.
— Fritz, Großhändler, 11 261.
— Ludwig, Historiker, II 259.
Friedjung, Heinrich, Historiker, II
274.
Friedmann, jüdisches Dumamitglied,
III 244.
Friedrich, König von Württemberg,
I 38. ^
Friedrich IL, König von Dänemark,
I 71.
Friedrich III. (als Kronprinz Friedrich
Wilhelm), König von Preußen und
deutscher Kaiser, II 16, 18 f., 37.
Friedrich, Großherzog von Baden,
II 19.
Friedrich, Herzog von Anhalt, II 47.
Friedrich August L, König von
Sachsen und Großherzog von War-
schau, I 75, 163.
Friedrich der Große, König von
Preußen, I 46.
Friedrich Franz L, Großherzog von
Mecklenburg-Schwerin, I 44, 106,
256.
Friedrich Karl Joseph (von Erthal),
Kurfürst von Mainz, I 27.
Friedrich Wilhelm IL, König von
Preußen, I 25, 47—51.
Friedrich Wilhelm III., König von
Preußen, I 51, 57, 83, 111—113,
116, 119, 235, 260, 262, 264.
Fries, Professor der Philosophie, I 93.
Friedrich Wilhelm IV., König von
Preußen, I 264—268, 271, 274,
294, 306—308, 324 f., 365.
Friesen, von, Kammerherr, II 47.
Frug, S., Jargondichter, III 266.
Fuchs, J. L., Mathematiker, II 260,
263.
— Eugen, Justizrat, II 63.
Fulda, Ludwig, Dramatiker, II 258.
Funkelstein, Nahiim, Begründer der
jüdischen Ackerbaukolonien in
Rußland, I 76.
Fürst, Julius, Orientalist, I 192, 254.
Furtado, Abraham, Vorsitzender der
jüdischen Notahclnversammlung,
I 14.
ii.
Ganghofer. LudAvig, Schriftsteller, II
83
Gans, Eduard. Jurist, I 113 f., 165
bis 170.
PhilippsoTi, Xeucslc Goschichtc der Juden, Bd. HI.
21
;]22
A]phabetisfli(>s Personenregister für alle drei Bände.
Garibaldi, Giuseppe, italienischer Ge-
neral, I 385.
Geiger. Abraham, jüdischer Gelehrter
und Reformator, I 179—181, 198
bis 200, 208, 210 f., 213, 249 f.;
II 194; III 14.
— Ludwig, Literarhistoriker. II 259.
Gelleri, Moritz, Direktor d. Landes-
industrievereins etc. und Schrift-
steller, II 280.
Gentz, Friedrich von, Publizist, I 87f.
Georg Friedrich Heinrich, Fürst von
Waldeck, I 104.
Gerlach, von, Ober-Appellationsge-
richtspräsident, I 310.
Germain-Levy, Louis, Rabbiner, II
180.
Gerngroß, von, Kommerzienrat, II
268.
Gernsheim, Friedrich, Komponist,
II 259.
Gesundheit, Jakob, Warschauer Ober-
rabbiner, III 90.
Ghika, rumänischer Ä'linister, II 332.
Gillerson, jüdischer Advokat, III 256.
Ginsberg, Großindustrieller, II 261.
Ginsburg, M. J., Schriftsteller, II 154.
Ginzberg, Ascher, II 169.
Gladstone, Herbert, englischer Mi-
nister, II 208.
Glagau, Publizist, III 9.
Glaser, österreichischer Justizminister,
II 70, 260.
— Eduard, Forschungsreisender, II
260.
Glaubrech , Obergerichtsrat, I 245.
252.
Gluge, G., Mediziner, II 260.
Gneist, Rudolf. Professor, II 19, 44.
Godefroy, niederländischer Justizmi-
nister, I 382.
Goldberger, Ludwig Max, Finanzier,
II 261.
Goldenthal, Universitätsprofessor, I
317.
Goldfaden, Abraham, Theaterdichter,
II 172.
Goldmark, Karl, Komponist und Mu-
siker, 11 274, 278.
Goldrins, Bürgermeister, II 262.
Goldschmidt, Ä. M., Rabbiner, I 343;
III 11.
— Adalbert von, Komponist, II 259.
— Levin, Jurist, II 260.
Goldschmidt, Theodor von, Archi-
tekt, II 259.
Goldsmid. Miß Anna Marie, Schrift-
stellerin, I 224.
— englischer Oberst, II 204.
— Sir Francis, I 286.
Goldstücker, Orientalist, II 259.
Goldzieher, Wilhelm, Mediziner, II
279.
Goldziher, Ignaz, Orientalist, II 279.
Golowin, Eugen, russischer General-
gouverneur, III 6, 28.
Gomperz, Theodor, Professor, II 91,
273.
— (Schwestern) II 275.
Gonse, General, II 101, 112 f.
Gordon, David Baer, II 155.
— Leon, II 167.
— Michael, II 172.
Goremykin, russischer Minister, III
175, 241.
Goethe, Wolfg. von, 1 36 f., 104.
Gotonzew, Gehilfe des russischen
Ministers des Innern, III 132.
Gottheil, Professor, I 159.
Gotthelf, Philipp, juristischer Schrift-
steller, II 267.
Goudchaux, Michel, Minister, II 283.
Grant, Robert, englischer Abgeord-
neter, I 284.
Graser, Regierungsrat, I 103.
Grattnauer, judenfeindlicher Schrift-
steller, I 26.
Graetz. Heinrich, Historiker des Ju-
dentums, I 342; II 155, 280.
Gregoire, Abbe, später Bischof, I 6 f.,
12 f.
Gregor XVI., Papst, I 288 f.
Grigorjew, russischer Generalmajor,
III 257.
Gringmut, russischer Antisemit, III
242.
Großmann, Superintendent, I 323.
Gruben, Pastor, II 19.
Grund, Christoph, Rechtsanwalt, I 24.
Grillparzer II 275.
Groß, Rabbiner, II 268.
Gruby, David, Mediziner, II 260.
Grünfeld, Alfred, Klaviervirtuose, II
274.
— Heinrich, Musiker, II 259.
Grünhut, Karl Samuel, Jurist, II 273.
Guggenheimer, Moritz, Handelsrichter
II 268.
Guizot. französischer Premierminister,
II 308.
Gumpertz, Rüben. Berliner Gemeinde-
ältester, I 152.
Alphabetisches Personenregister füi- alle drei Bände.
323
Günsburg, genannt Hurwitz, Schrift-
steller, 11 171.
— Karl Siegfried, Prediger, 1 159.
Günther Friedrich Karl, Fürst von
Schwarzburg-Sondershausen,l 104.
Günzburg, Baron David, III 242,
268, 270.
— Gabriel Jakob, III 18.
— Horace, jüdischer Philanthrop,
III 110, 126.
— Joseph, III 18.
— Mordechai, III 17.
Gunzenhäuser, Justizrat, Landtags-
abgeordneter, II 269.
Gurauer, Literarhistoriker, II 259.
Gurland, Gelehrter, II 168.
Gustav V., König von Schweden,
II 202.
Gutmann, Baron von, Großindustri-
eller, II 280.
— Gebrüder, Kohlenberswerke und
Eisenwerke, II 272.
— Ritter David von, Fabrikant,
II 272.
— Ritter von, Gutsbesitzer, II 272.
— Wilhelm Ritter von, Fabrikant,
II 272.
H.
Hagyi, Bela, Komponist, II 278.
Hahn, Samuel Ritter von, Finanzier,
II 261.
Halasz, Ignaz, Sprachforscher, II 279.
Halevi, Leon, Schriftsteller, II 283.
Halevy, Eha, hebräischer Dichter,
I 10, 194.
— Fromental, Musiker, II 283.
— Josef, Sprachwissenschaftler, II
283.
— Ludovic, dramatischer Dichter,
II 283.
Hammerstein, von, Chefredakteur der
Kreuzzeitung, II 55.
Hänel, Professor, II 19.
Hannaux, Emmanuel, Bildhauer. II
283.
Hapke, Prediger, II 30.
Harari, Pascha, II 314.
Harburger, Heinrich, Oberlandesge-
richtsrat, II 267, 268.
Harden, Maximilian. Journalist und
Schriftsteller, II 258.
Hardenberg, Freiherr von, preußischer
Staatskanzler, I 58, 86—90, 93,
Ulf., 117, 160.
Harkavy, Gelehrter, II 168; III 110.
Harris, David, Oberst, II 222.
Hart, Daniel, Landwirt, I 225.
Hartmann, Moritz, Schriftsteller und
Politiker, I 295; II 271.
Hartwig, Antisemitenführer, II 55.
Hatvany-Deutsch, Alexander, Mit-
glied des Magnaten- (Herren-)
Hauses II 280.
Hausdorff, Dr. Prof., II 270.
Hausmann, von, juristischer Schrift-
steller, II 267 f.
Hayem, Georges, Mediziner, II 283.
Haynau, von, Feldzeugmeister, I 318,
329.
Haynald, Kardinal-Erzbischof von
Kalosza, II 80.
Heine, Philanthrop, II 283.
— Heinrich, I 167. 170, 175—178.
Helene, Großfürstin, I 371.
Hellai, Franz. Nationalökonom, Di-
rektor des Budapester Handels-
museums II 280.
Henle, Hauptmann, II 268.
— Dr. Jakob von, Regierungs-
direktor, II 268.
— Siegfried von, Geheimrat, Land-
tagsabgeordneter. II 269.
Henoch, E., Mediziner, II 260.
Henrici, Lehrer, II 21 — 23. f ■
Henry, Major, II 102 f., 113 f. '<
Henschel, Wilhelm, Maler, I 59.
Herrfurth, Minister, II 45, 48.
Hermogen, Bischof von Saratow.
III 233.
Herrmann, L., Physiologe, II 260.
Herschel, Salomon, Chiefrabbi, I 221
bis 223.
Hertz, Heinrich, Physiker. II 260.
— J. H., Prediger, II 223.
Hertzka, Theodor, Nationalökonom,
II 279.
Herxheimer, Rabbiner, I 196 f., 255.
Herz 11 263.
— Henriette, I 54 f., 57.
— Hofrat Dr. Markus. I 54 f.
— Dr. Koppel, II 268.
— Robert, Oberlehrer, II 270.
Herzberg, G. F.. Historiker, II 259.
Herzel, Emanuel von, Mediziner, II
279.
Herzenstein, Abgeordneter. III 243.
Herzfeld. Bürgermeister. I 313.
— L., Rabbiner, I 343.
Herzl, Theodor, Publizist, II 157 f.,
160—163. 268.
Heß, M., Realschullehrer. I 94. 164,
243.
21*
32-i Alphalietisclies Personenregister für alle drei Bände.
Heß, Moritz, Scliriftsteller, II 154.
— Mendel, reformistischer Rabbiner,
I 182, 204, 255.
Hessel, George, Oberrichter, I 382.
He-ssen, jüdischer Gelehrter, III 268.
Hildesheimer, Hirsch, jüdischer Publi-
zist, II 127.
— Israel, Rabbiner, I 353 f., 357, 359.
Hilfsverein der deutschen Juden II
277.
Hiller, Ferdinand, Komponist, II 259.
Hilsner, Leopold, II, 90.
Hirsch, Baron, jüdischer Philanthrop,
II 143, 219, 221; III 157.
— Baron Jakob von, I 245 f.
— Baronin, Philanthropin, II 283.
— Alfons, Maler, II 283.
— Am eile, Schauspielerin, II 283.
— August, Mediziner, II 260.
— Josef, Ingenieur, II 283.
— Max, Nationalökonom, II 27, 189,
261.
— Samson Raphael, Begründer der
jüdischen Neu- Orthodoxie, I 183 f.,
198, 344, 355.
— Samuel, Rabbiner, I 194.
— Samuel, Philosoph, I 348.
Hirschberg, Julius, Mediziner, II 260.
Hirschfeld, Georg, Dramatiker, II 258.
— Gustav, Mediziner, II 260.
— Otto, Mediziner, II 260.
Hirschhorn, Landtagsabgeordneter, II
264.
Hirschler, Ignaz, Mediziner, II 279.
Hirtz, Mathieu, Mediziner, II 283.
Hoffmann, Fleischer, II 58.
— J. G., Statistiker, I 267.
Hofmansthal, I. von, Dramatiker,
II 258.
Holdheim, Samuel, reformistischer
Rabbiner, I 204, 206, 208, 213 f.
Holländer, Alexis, Musiker, II 259.
— Felix, Romanschriftsteller, II 258.
— Gustav, Musiker, II 259.
Homberg, Herz, jüdischer Reformer,
I 174.
Homberger II 263.
Honig, Israel, Tabakbauer, I 60.
Hörn, Eduard, Politiker, II 280.
Horowitz, Leopold, Maler, II 274, 277.
Horwitz, Maximilian, Rechtsanwalt,
II 51.
Hruza, Agnes, Näherin, II 90.
Hulschinsky, Großindustrieller , II
261.
Humboldt, Wilhelm von, I 58, 86,
111, 165.
Hundt, Hartwig, antisemitischer
Schriftsteller, I 102.
Hurwitz, Heimann, hebräischer Dich-
ter, I 194.
— Salkind, Schriftsteller und Ge-
lehrter, I 6, 75.
Hüvös, Josef von, Generaldirektor
der elektrischen Bahn, II 280.
J.
Jacobowski, Ludwig, Romanschrift-
steller, II 258, 263.
Jacobs, Simeon, General-Staatsan-
walt, I 389.
Jacobsohn, Eduard, Lustspieldichter,
II 258.
Jacobson, Israel, jüdischer Philan-
throp und Aufklärer, I 25, 29—32,
36 f., 93, 106, 158 f., 167.
Jacoby, Jakob, II 59.
— Dr. Johann, preußischer Politiker,
I 295, 309; II 261.
Jacques, Heinrich, Jurist, I 377.
Jadassohn, Sah, Musiker, II 259.
Jaffe II 262.
— Philipp, Historiker, II 259, 263.
Jarno, Josef, Schauspieler, II 259.
Jastrow, Nationalökonom, II 260, 263.
— Morris, Orientalist, II 295.
Jawitz, Geschichtschreiber, II 169.
Jellinek, Adolf, Rabbiner, I 343.
— Arthur, Jurist, II 279.
— Heinrich von, Generaldirektor der
Budapester Straßenbahn, II 280.
Jeröme (Bonaparte), König von West-
falen, I 28, 30 f.
Jessurun, Spitzenfabrik, II 282.
Jewish Colonization Association II
276.
Ignatiew, Nikolaus Pawlowitsch, rus-
sischer Minister, III 116 f., 124 bis
127, 130—132, 136 f., 139—141,
173, 175.
— ru.ssischer Polizeibeamter, III 224.
Joachim (Murat), König von Neapel,
I 67.
— Joseph, Musiker, II 259.
Joel, Manuel, jüdischer Gelehrter,
I 342.
Johann, König von Sachsen, I 253.
Jolson, Realschullehrer, I 164, 167.
Jones, Henry, Begründer der Bnei-
Brith, I 349.
Joseph (Bonaparte), Könis von Ne-
apel, I 67.
Alphabetisches Personenregister für alle drei Hände. 325
Joseph II., Kaiser von Deutschland,
I 25, 62, 174.
Josephthal, Geh. Hof- und Justizrat,
II 268.
Jost, Isak Markus, Geschichtschrei-
ber, I 170 f., 343; III 14.
I.
Irmer, Oberlehrer, II 31.
Isaacs, Isaak Alfred, australischer
Bundesrichter, II 225.
— Nathaniel, Forschungsreisender, I
226.
Isaak Molcho, Pascha, II 314.
Israel ben Elieser, gen. Baal-Schem-
Tob, Stifter der Sekte der Chas-
sidim, III 81 f.
Israel, J., Mediziner, II 26Ü.
— N., Großhändler, II 261.
Israelski, Schächter, II 58.
Istöczy, Viktor, Abgeordneter, II 70,
76 f., 79.
Itzig, Elias Daniel, Fabrikant, I 59.
— Familie, I 53.
Jussuf, Pascha von Rhodus, II 303.
Jutrosinski, Dr., I 368.
Iwanow, russischer Polizeibeamter,
III 209.
K.
Kadelburg, Gustav, Lustspieldichter
II 258.
Kahn, Zadok, Großrabbiner von
Frankreich, II 159, 210.
Kaiisch, David, Lustspieldichter, II
258.
Kalischer, Zebi Hirsch, Rabbiner, II
155.
Kallav, ungarischer Abgeordneter,
I 303.
Kankrin, russischer Finanzminister,
III 22.
Kantor, Dr. L., Zeitungsredakteur.
III 268.
Kantoromcz, Nazary, II 262.
Karaß, russischer General, III 220,
222.
Karl, Herzog von Braunschweig,
I 104, 234.
Karl, Herzog von Mecklenburg I 111,
115.
Karl, Herzog von Modena, I 304.
Karl VII, König von Frankreich, I 3.
Karl X., König von Frankreich, I 124.
Karl Albert, König von Sardinien,
I 304, 320.
Karl Friedrich, Großherzog von Ba-
den, I 38 f.
Karl XIV. Johann (Bernadotte),
König von Schweden, I 283.
Karl Theodor (von Dalberg), Kur-
fürst und Fürst- Primas, I 34 — 37,
87 f.
Karman, Moritz von, Philosoph und
Pädagoge, II 279.
Karol, Fürst, später König von Ru-
mänien, II 331, 334.
Karpeles, Gustav, Gelehrter, II 147.
Karpow, A., russischer Ministerialrat,
III 103.
KasjDar, Bankier, I 58.
Katharina IL, Kaiserin von Rußland,
I 72.
Katkow, Michael Nikiforowitsch, rus-
sischer Politiker, III 62, 95,
138 f.. 143, 157.
Katona, Ferdinand, Maler, II 278.
Katschek, Berthold, Zoologe, II 273.
Kaufmann, Großindustrieller, II 261.
— L^niversitätsprofessor, II 267.
— David, Literarhistoriker, II 279.
— Isidor, Maler, II 274, 277.
Kaulbars, von, russischer General,
III 208—212, 233.
Kaulla, Finanzier, II 266.
Karavelow, bulgarischer Minister-
präsident, II 341.
Kayserling, Mayer, Rabbiner, I 387 ;
II 279.
Kellermann, französischer Marschall,
I 12.
Kepes, Dr. Julius, Generalstabsarzt,
II 280.
Kinsky, Graf Arthur, II 83.
Kirjakow, russischer Historiker, III
95.
Kisch, Hei mann W., Generaldirektor
der indischen Posten, II 203.
Kisielewski, polnischer Dichter, III
285.
Kiss, Josef, Dichter, II 278.
Kisselew, Graf Nikolai, russischer
Staatsmann, III 62 f.
— Graf Paul, russischer Minister,
III 23.
Klaczko, polnischer Schriftsteller, 111
48.
Klar, Emil, Sänger, II 259.
Klasing, Rechtsanwalt, II 49.
Klee, Dr., preußischer Abgeordneter,
I 325, 331.
Klein, J. L. , Literarhistoriker, II
259.
Kleist-Retzow, von, preußischer Po-
litiker, I 310.
326
Alphabetisches Personenregister flu* alle drei Bände.
Kley, Eduard, Prediger, I 159, 162.
KHngenberg, russischer Gouverneur,
III 186.
Kluge, Polizeiregistrator, III 240.
Knauth, Nachod und Kühne, Bank-
geschäft, II 270.
Knopp, Emerich, Maler, II 278.
Kohen, Salomon, hebräischer Dichter,
I 194.
Kohler, Kaufmann, Rabbiner, II 182.
Kohn, Rafael III 85.
— Markus, III 85.
— Michael, Magistratsrat, Gerberei-
besitzer, II 269.
Kohner, ]\Ioritz, I 362.
Kohut, Adolf, Schriftsteller, II 280.
Kolkmann, Josef, Kreisrichter, II 16.
Kompert, Leopold, Romanschrift-
steller, II 258.
— Leopold, Mitglied im Gemeinde -
rat, II 271.
König, antisemitischer Agitator, II 33.
— Julius, Mathematiker, II 279.
Königsberger, Leo, Mathematiker,
II 260, 263.
Königswarter, Philanthrop, II 283.
- — Baron Jonas, Bankier, II 273.
— Dr. Wilhelm, II 268.
Konrad, Bischof von Paderborn, II 11.
Konstantin, russischer Großfürst, III
79, 87.
— Großfürst, I 141 f.
Konti, Josef, Komponist und Kapell-
meister, II 278.
Konyi, Emanuel, Chef des Steno-
graphenbüros des ung. Reichs-
tages. II 281.
Kopoel, Dr. Richard, Prof. der Königl.
Handelsschule, II 269.
Körber, von, österreichischer IMinister-
präsident, II 90.
Kornfeld, Siemund, Mitglied des Mag-
naten- (Herren-) Hauses, II 280.
Kosch, Dr., preußischer Abgeordneter.
I 295 f., 309; II 263.
Kosciuszko, polnischer Freiheitsheld,
I 74.
Kessler, Tuchmanufaktur, II 282.
Kossuth, Diktator Ungarns. II 78.
Kostomarow, russischer Historiker,
III 101.
Köves, Josef, Maler, II 278.
Krafft, Prediger, II, 14.
Krämer, Aug., Bibliothekar, I 94.
Kramstyck, jüdischer Prediger, III 89.
Krochmal, Nachman, jüdischer Ge-
lehrter, I 175, 192, 194.
— Abraham, II 194.
Kroner, Rabbiner. II 16, 267.
Kronawetter, Abgeordneter, II 83.
Krösel, Pastor, II 58.
Krüger, Präsident von Transvaal,
II 223.
Kruschewan, russischer Publizist, III
182, 207.
Kucbiawzew, russischer Oberst. III
128.
Kuh, Ephraim. Dichter. I 53.
Kühne, Bankier. II 270.
Kuhnheim. W., Großhändler, II 261.
Kujarow. Polizeibeamter, III 205.
Kunewalder, Joseph, I 280. |^
Kunos, Ignaz, Orientalist, II 279.
Kunfy, LudAvig, Maler, II 278.
Kuranda, Ignaz, österreichischer Po-
litiker. 1295, 357; II 271.
Kurländer, Ignaz, ^Meteorologe, II 279.
Kuropatkin, russischer Oberbefehls-
haber, III 194.
Kurz, Selma, Sängerin, II 274.
Kusel, Rechtsanwalt, Abgeordneter,
II 265.
Kusminski. russischer Senator, III
211 f.. 248.
Küster, russischer Gouverneur, III
255.
Kutaissow, Graf. III 123.
Laband, Paul, Jurist, II 260.
Ladenberg, von, preußischer Kultus-
minister, I 310.
Ladenburg, Dr. Leopold, Jurist, I 251.
— Geh. Kommerzienrat, Abgeord-
neter, II 265.
Lafayette, General, III 49.
Laferriere, Generalgouverneur von
Algerien, II 107.
Lagarde, Paul de, Professor, II 35.
Lambert, frnzösischer General, II 209.
Landau, Kloses. Buchdrucker. T 173.
Landauer-Gerabronn, Direktor, Land-
wirt, II 267.
Landsberg, Ernst. Jurist, II 260.
Lanskoi. Graf, russischer Minister,
III 61, 63.
Lapuya, Lopez, spanischer Senator,
II 214.
Larronge, Adolf. Lustspieldicliter. II
258.
Alphabetisclies Personenregister für alle clrei Bände.
32-
Lasker, Eduard, deutscher Abgeord-
neter, I 355 f.; II 5, 27, 32, 176,
261, 263.
Lasalle, Ferdinand, Politiker, II 261.
Lassar, O., Mediziner, II 260.
Lassen, Edmund, Komponist, II 259.
Lattier, Marquis von, antisemitischer
Schriftsteller, I 123.
Lauchheimer, Oberst, II 295.
Laurin, Generalkonsul, II 302.
Lautenburg, Siegmund, Schauspieler,
II 259.
Lawrow, Alexander, russischer Staats-
rat, III 231.
Lazare, Bernhard, Publizist. II 104,
111.
Lazarus, Moritz, Philosoph, I 351,
387; II 18, 260, 263.
Lebensohn, Abraham, Dichter und
Gelehrter. III 17.
Lefin, Mendel, Schriftsteller, II 171.
Lehfeld, Otto, Schauspieler, II 259.
Lehmann, Redakteur, I 354, 363.
— Emil, Rechtsanwalt, 1362; II 24,
269.
Leitenberger, Baron, II 83.
Leitersdörfer, Bela, Architekt, II 278.
Lelewel, Joachim, Schriftsteller und
Politiker, I 236; II 147 f.
Lenbach, Maler, II 275.
Lenel, Kommerzienrat, Abgeordneter,
II 265.
Leo XII., Papst, I 131.
Leone, Leone di, Vorsitzender des rö-
mischen Konsistoriums, I 68.
Leonhardt, preußischer Justizminister,
I 371 f.
Leopold L, Großherzog von Toskana,
I 132.
Leopold IL, Großherzog von Toskana,
I 320.
Leopold IL, König der Belgier, I 287.
Lepine, Generalgouverneur von Al-
gerien, II 106 f.
Lerchenfeld, Freiherr von, bayrischer
Staatsmann, I 332.
Leroy-Beaulieu, Anatole, Historiker,
II 100, 104, 110.
Lessing, Gotth. Ephr., I 25.
Letteris, Meyer Halevy, hebräischer
Schriftsteller, I 195.
Leuß, Antisemitenführer, II 55.
Levi, Giulio, italienischer Gesandter,
II 212.
— Giuseppe, I 357.
— Herrmann, Musiker und Kapell-
meister, II 259, 268.
Levi, Mose, Großrabbiner der Türkei,
II 159.
Levin, Rahel, I 55 f.
Levinson, Isak Ber, jüdisch -russischer
Schriftsteller, 111 17.
Levinstein, Gustav, II 178.
Levy, Alfred, Großrabbiner von
Frankreich, II 211.
— Professor, II 106, 265.
— Albert, Astronom und Natur-
wissenschaftler, II 283.
— Emile, Maler, II 283.
— Julius, II 262.
— Ludwig, Architekt, II 259.
— Maurice, Ingenieur, II 283.
— Michel, II 262.
— Uriah E., Commodore, II 295.
— Sara, I 53.
Lewald, Fanny, Romanschriftstellerin,
II 258.
LcAvanda, Schriftsteller, III 73.
Lew}', Moritz, Fleischer, II 59.
— Jakob, Bankier, 1 111.
Libermann, Bürgermeister, II 222.
Lichtenberg, Kornel, Mediziner. 11
279.
Lichtenstein, Fürst Alois, II 82.
Lieban, Julius, Sänger, II 259.
Lieben, Adolf, Chemiker, II 273.
Lieber, Parlamentarier, II 53.
Liebermann, Max, Maler, II 259.
— hebräischer Schriftsteller, I 163.
— von Sonnenberg, Führer der Anti-
semiten, II 35 f., 39, 41, 52, 54,
58, 66.
Liebreich, Oskar, Phafmokologe, II
260.
Lievre, Eduard, Maler, II 283.
Lilien, Zeichner, II 259.
Lilien blum, russisch-jüdischer Literat,
III 136.
— Moses Lob, Schriftsteller, II 156,
167.
Liilienthal, Dr., jüdischer Theologe,
III 13—15, 18—20, 22, 26 f.
— Dr. Max, Oberrabbiner, 1 228.
Linetzki, Dichter. 11 171.
Lippe, Graf von der, preußischer
Justizminister, I 368 f.
— Wilhelm, Tafelrichter (Oberlandes-
richter), II 279.
Lippmann, Gabriel, Astronom und
Naturwissenschaftler. II 283.
Lippscliütz, Dr. Bernhard, Ober-
rabbiner, I 346.
Lipschitz, Salomon, Warschauer Ober-
rabbiner, III 83.
328
Alphabetisches Personenregister füi" alle drei Bände.
Lips, Universitätsprofessor, I 101.
Lister, Lord Josef, Chirurg, II 101.
Ljutostanski, Hippolyt, russischer Pu-
blizist, III 100 f.
Lob, Oberrabbiner, I 229.
Loeb, Jacques, Biologe, II 295.
— Louis, Maler, II 295.
Loewe, Orientalist, II 306.
Loewy, Moritz, Astronom, II 279, 283.
Löhning, Edgar, Jurist, II 260.
Lombroso, Cesare. II 282.
Lopes, Sabatino, Dramatiker, II 282.
Lopuchin, russischer Ministerialdirek-
tor, III 250.
Loris-Melikow, Graf, russischer ^li-
nister, III 107, 116, 141.
Lorm, Hieronymus, Romanschrift-
steller, II 258.
Loubet, Emil, Präsident der franzö-
sischen Republik, II 111, 115, 11 7f.
Louis (Napoleon), König von Holland,
I 65 f.
Louis Ferdinand, preußischer Prinz,
I 56.
Low, Leopold, Rabbiner, I 174, 215,
278, 354, 380.
Löwe, Ludwig, Großindustrieller, II
27, 32 f., 47, 261.
— Joel, jüdischer Aufklärer, I 150 f.
Löwenstein, Gabriel, Landtagsabge-
ordneter, II 269.
— Rudolf, Journalist und Schrift-
steller, II 258.
Löwy, Dr., Rabbiner, I 172.
Lubienski, Graf, Oberst, I 237.
LubUner, Hugo, Lustspieldichter, II
258.
Luden, Geschichtschreiber. I 104.
Ludwig, Maximilian, Schauspieler,
II 259.
Ludwig, Großherzog von Hessen, I 43.
Ludmg L, König von Bayern, I 246,
294.
Ludwig XVI., König von Frank-
reich, I 4.
Ludwig XVIII. , König von Frank-
reich, I 124.
Ludwig Philipp, König der Franzosen,
I 221, 234—236, 293; II 308:
III 49.
Ludwig IV., Großherzog von Hessen,
II 46.
Lueger, Karl, erster Bürgermeister
von Wien, II 81 f., 86—88.
Luise, Großherzogin von Baden, II 19.
Luzzniti. Luiei, italienischer ^linister,
II 212, 2S1.
Luzzatti, Äütglied der provisorischen
Regierung in Udine, I 305.
Luzzattc, Samuel David, jüdischer
Gelehrter und Dichter, I 193 f.,
230, 368; II 194.
Lvon-Caen, Rechtswissenschaftler, II
' 283.
JH.
Macaulay, Lord, englischer Schrift-
steller und Staatsmann, I 285.
Mac-Mahon, Marschall und Präsident
der französischen Republik, I 383;
II 3, 96.
Madarassy-Beck, Baron Ferdinand,
Finanzier, II 280.
Magnus, Eduard, Maler, II 259.
:\Iahler, Eduard, Historiker, II 279.
:\rahmud, Sultan, II 300.
Maier, von, Kjrchenrat, Gelehrter,
II 267.
Maimon, Salomon, jüdischer Philo-
soph. I 52.
Majunke, Publizist und Abgeordneter,
II 11.
Major, Julius, Komponist und ^lu-
siker, II 278.
Maison, Konsul Karl, Landtagsab-
geordneter, II 269.
Makai, Emil, Schauspieldichter, II
279.
Makower, Justizrat, II 151.
Malbim, chassidischer Rebbe, III 109.
Malczewski, Bischof von Kujavien,
I 140 f.
Malesherbes, französischer Staats-
mann, I 4.
Manassein, russischer Senator, III
118, 143 f.
Mandelkern, Gelehrter, II 168.
Mandelstamm, Max, Professor, II 158.
— Schulmann, III 33.
Manheimer, V., Großhändler, II 261.
Mannheimer, Isaak X'oa, Prediger, I
159. 164, 173, 185, 208, 215, 302;
II 270; III 14.
— Gustav, I\Ialer, II 278.
Manuchin, russischer Justizminister,
III 249.
Mansch, Rechtsanwalt, II 193.
Manuel, Ester (Luise Grafemus),
Kämpferin im Befreiungskriege,
I 85.
Mapu, Abraham, Roniandichtcr, III
17.
Alphabetisches Personeiu'egister für alle drei Bände.
329
Marcus, Sir Samuel, Lord-Mayor von
London, II 204.
— Dr., mecklenburgischer Abgeord-
neter, I 299, 313.
Marczah, Heinrich, Historiker, II 279.
Marguhes, Rabbiner, II 214.
^laria Alexandrowna, Kaiserin von
Rußland, III 102.
Marix, amerikanischer Admiral, II
218.
Mark, Ludwig, Maler, II 278.
Marko w, russischer Minister, III 167,
175.
Markus, Desiderius, Kurialrichter, II
279.
— Ludwig, jüdischer Reformer, 1 167.
Marmorek, Alexander, Mediziner, II
158.
Marr, Wilhelm, Publizist, II 13, 55.
Martow, L., jüdischer Sozialdemokrat,
III 197 f.
Marx, Universitätsprofessor, II 267.
— Major, II 268.
— Karl, Politiker, II 261.
Maslow, russischer Erzpriester, III 224,
Masloff II 59.
Massaryk, Professor, II 90.
Masserani, TuUo, Dichter, II 282.
Mauthner, Eduard, Journalist und
Schriftsteller, II 258.
— Fritz, Journalist und Schriftsteller,
II 258.
Matthes, Pastor, II 23.
Maury, Abbe, 16. —
Max Joseph, König von Bayern, I[40.
Maybaum, Sigmund, Rabbiner, II 159.
Mayer, Geheimer Regierungsrat, II
265.
— Hauptmann, II 100.
— Martin, II 263.
Mehemed Ali, Vizekönig von Äe;ypten,
II 300—302, 304, 306—308.
Meiggs, Henry, II 220.
Meisel, Rabbiner, I 278, 302, 341.
Meiseis, Dob Berusch, Warschauer
Oberrabbiner, III 85 f.
— Rabbiner, Mitglied des Reichs-
tages, II 271.
Meline, französischer Ministerpräsi-
dent, II 109. 114.
Mendel, E., Mediziner, II 260.
Mendelssohn, Moses, I 25, 52 f., 175.
— Finanzier, II 261.
Mendes, Catulle, Schriftsteller, II 283,
Monde y,a,Daniel, jüdischer Boxer, I 70,
Menzel, Wolfgang, Schriftsteller, 1 249,
Mercier, General, Kriegsminister, II
102 f.
Merilhou, französischer Kultusmini-
ster, I 217, 235.
Merlato, Konsul, II 302.
Messel, Alfred, Architekt, II 259.
Metternich, Fürst, österreichischer
Staatskanzler, I 86—89, 96, 110,
245; II 83.
Metsch, von, Staatsminister, II 47.
Meyer, Arthur, Journalist iind Poli-
'tiker, II 283.
— Johannes, Landgerichtsrat, II 269.
— Jonas Daniel, Nationalökonom,
I 127.
— Richard M., Literarhistoriker, II
259.
— Viktor, Physiker, II 260.
— Wilhelm N., Mathematiker. II 260.
Meyerbeer, Giacomo, I 163.
Meyerheim, Paul, Maler, II 259.
Mezei, Moritz, Jurist, II 279.
Michael Obrenowicz III., Fürst von
Serbien, II 343.
Mickiewicz, polnischer Dichter, III 48.
Milch, IMoritz II 262.
Miliutin, russischer Minister, III 107.
Milland, Journalist und Politiker,
II 283.
jNIilosch Obrenowicz, Fürst von Ser-
bien, II 343.
Minkowski, J., Mathematiker, II 260.
Mirabeau, Graf, französischer Poli-
tiker, I 5—7, 26.
Misgailo, russischer Polizeibeamter,
III 223.
Modebadze, Sara, III 102.
Mohammed-El-Telli, von Damaskus,
II 302.
Mohammed-es-Zadok, Bey von Tunis,
II 322.
Mohl, Moritz, Abgeordneter, I 295.
Moldar, Samuel, hebräischer Dichter,
I 194.
Mole, französischer Staatsrat, 1 12 — 14,
16.
Molnar, Franz, Schauspieldichter, II
278.
Mommsen, Theodor, Professor, II
19 f., 80.
Montague, Sir Samuel, II 203.
Montalivet, französischer Minister des
Innern, I 21 f.
Montefiore, Sir Moses, I 286, 347;
II 305, 310, 316, 325 f.
— Claude, II 181.
330
Alphabetisches Personenregister für alle drei Bände.
Montefiore, Jakob, Städtegründer, I
226.
— Lady Judith, II 305, 307, 326.
Mordecai, Artilleriemajor, II 295.
Mores, Marquis von, Politiker, II 100.
Morsrenstern, Dr., bayerischer Ab-
geordneter, "I 269, 311.
Morineau, Antisemitenführer, II 109.
Morpurgo, Abraham Vita, Redakteur,
I 386.
— Senator, I 68.
Morris, Sabato, Rabbiner, II 182.
Mortara, Edgar, I 338.
Mosenthal, j., II 121.
Moser, Moses, Buchhalter und Re-
former, I 165 f.
Moses, Oberrichter.
— Gouverneur von Südkarolina, I
389.
Mosse, Rudolf, Verlagsbuchhändler,
II 261.
Mosenthal, S.H., dramatischer Schrift-
steller, II 274.
Moszkowski, Alexander, Journalist
und Schriftsteller, II 258.
— Moritz, Komponist, II 259.
Moureaux, Advokat. I 122.
!Mühler, von, preußischer Kultus-
minister, I 368 f., 371, 373.
Müller, David Heinrich, Semitist, II
273.
Munk, Salomon, Orientalist, I 193,
219; II 259, 283, 306.
— Hermann, Physiologe, II 260, 263.
Munkacsi, Bernhard, Sprachforscher,
II 279.
Murawjew, Graf, Statthalter von
Litauen, III 87, 89.
Mussin-Puschkin, von, Großgrund-
besitzer, III 136.
Muzaffer Ed-din Mirza, Schah von
Persien, II 320.
X.
Nachod, Bankier, II 270.
Naef, Rechtsanw., Abgeordneter, II
265.
Nahum , Chaim , türkischer Groß-
rabbiner, II 315.
Napoleon, Prinz, I 336.
Napoleon I. (Bonaparte). I 9—23,
34, 65, 67, 79, 121.
Napoleon III. (Louis Napoleon), Kai-
ser der Franzosen, I 319, 323,
336, 338. N
Naß II 263.
Nathan, Ernesto, Bürgermeister, II
282.
— Sir Matthew, hoher englischer Be-
amter, II 203.
— Paul, II 151, 313, 318.
Nathanson, Jakob, Universitätspro-
fessor, III 86.
— M. B., jüdischer Aufklärer, I 72.
Navarra, Hercolano, Maler, II 282.
Neidhardt , Stadthauptmann von
Odessa, III 208—212, 249.
— Gouverneur von Jekaterinoslaw,
III 215.
Neisser, Alb., Mediziner, II 260.
Nekludow, N. A., Kriminalist, III
103, 172.
Neuberger, Ignaz, Senatspräsident der
Königl. Kurie, II 279.
Neuda, Max, Jurist, II 260.
Neufeld, Daniel, jüdischer Publizist,
III 84.
Neumann, Hermann, Jurist, II 279.
— J., Mediziner, II 260.
— Salomon, vSanitätsrat, II 27.
Ney, David, Opernsänger, II 278.
Niemirower, Oberrabbiner, II 340.
Niemojewski, polnischer Schriftsteller,
III 286.
Nikolaus I., Kaiser von Rußland,
I 136—139, 142 f.; II 300: III 1,
3—8, 10, 12 f., 18, 20—22, 24—30,
37, 39, 41 ff., 47, 52, 54, 61—63,
70, 88, 94, 103, 145, 245, 270, 275.
Nikolaus IL, Kaiser von Rußland,
III 143, 171—173, 176 f., 180,
191, 222, 238, 241—244, 246 bis
248, 253, 258, 275.
Nisselo witsch, jüdisches Dumamit-
glied III 244.
Neuda, Abraham, Rabbiner, I 186,
215.
Noel, französischer Diplomat, I 64 f.
Nöldicke, Professor, II 46.
Nordau, Max, Schriftsteller, I 158,
160, 163 f.; II 258.
Norden, Josua D.. jüdischer Offizier,
I 225.
Nothnagel, Professor, 11 83.
O.
Obermaier, Bankier, Oberst der Land-
wehr, II 268.
Ochs, Siegfried, Musiker, II 259.
Onodi, Adolf, Mediziner, II 279.
Onody, Antisemitenführer, II 79.
Alphabetisches Personenregister für alle drei Bände.
331
Oppenheim , Moritz , Maler, II 259 ;
III 26.
— Max von, Forschungsreisender,
II 260.
— Wolf, I 58.
— Abgeordneter, II 5.
Oppenheimer, Jakob, Bankier, I 103.
Oppert, Gustav, Orientalist, II 259.
— Julius, Orientalist, II 259, 283.
Oppler, B., Architekt, II 259.
Orbescu, rumänischer Minister, II 330.
Orleans, Herzog von, II 110.
Ormody, Wilhelm, Finanzier, II 280.
Ortenau, juristischer Schriftsteller,
II 267 f.
— Hauptmann, II 268.
Ortenstein, Landgerichtsrat, II 269.
Orterer. Abgeordneter, II 53.
Oser, Dr., Arzt, II 273.
Oskar II.. König von Dänemark, II
201.
Osman Bey, Major, II 96.
Ostrowski, Graf, jiolnischer General,
III 45 f.
— Graf Anton, I 236.
Oettinger, Rabbiner, I 160.
Ottolenghi, Giuseppe, General, ita-
lienischer Kriegsminister, II 212,
281.
P.
Paalzow, judenfeindiieher Schrift-
steller, I 26.
Paasch, Karl, Führer der Antisemiten,
II 42, 55.
Pallien, Graf, russischer Staatsmann,
III 141.
Palmerston, Lord, englischer Mi-
nister, II 302.
Panizzardi, Militärattache, II 112, 114.
Pap, David, Jurist, II 279.
Papp, Gabriel, reformierter Bischof,
II 150.
Pappenheim, Max, Jurist, II 260.
— Bertha, II 149.
Pappenheimer, Isr. Hirsch, Führer
der bayerischen Juden, I 103.
Paschküw, russischer Gouverneur, III
239.
Passower, Advokat, III 126.
Paul, Kaiser von Rußland, I 72 f.
Paulus, Geheimer Kirchenrat und
Professor, I 94, 243, 250.
Paur, bayerischer Abgeordneter, I 374.
Pattai, Antisemitenführer, II 73.
Patte rson, kanadischer Minister, II
219.
Peixotto, Benj. Franklin, nordameri-
kanischer Diplomat, II 216, 334.
Peltasohn, Abgeordneter, II 263.
Pereire, Finanzier, II 283.
Peretz, Isaak Lob, Novellist, II 173.
Perl, Joseph, jüdischer Reformer,
I 175.
Perles, Rabbiner, II 268.
Perlmutter, Isak, Maler, II 278.
Peters, Musikverlag, II 270.
Pflaum, von, Geh. Kommerzienrat,
Finanzier, II 266.
Pfeiffer, Finanzier, II 266.
Philippi, Antisemitenführer, II 108.
Philipps, C. S., Londoner Alderman,
I 286.
Philippson, Alfred, Geograph, II 260.
— Franz, II 149.
— Dr. Gustav, anhaltischer Abgeord-
neter, I 313.
— Dr. Ludwig, Rabbiner und Schrift-
steller, I 186—191, 203, 208—215,
261, 315f.,266f., 328, 331, 338, 343,
350—353, 356, 363, 366, 369 f.;
II 15, 311; III 14 f.
— Martin, Historiker, II 60 f., 185,
259.
— Moses, Schulmann und Gelehrter,
I 42, 161.
Phiseldeck, Geheimrat von, I 104.
Picard, Edmund, Politiker, II 119.
Picquart, Oberstleutnant, II 112 bis
114, 116.
Pincherle, venezianischer Handels-
minister, I 305.
Pineles, Gelehrter. II 194.
Pines, Michel, II 167.
Pinner, A., Chemiker, II 260.
Piesker, Leo, Schriftsteller, II 156.
Pissarschewsky, Notar, III 183, 185.
Pius VI., Papst, I 67.
Pius VIL, Papst, I 130 f.
Pius VIIL, Papst, I 131.
Pius IX., Papst, I 289, 304, 320,
337—339, 386, 392; II 2 f.
Plauth, H. C, Bankgeschäft, II 270.
— Jakob, II 270.
Plechanow, russischer Politiker, III
189.
Plehwe, von, russischer ^linister, III
180 f., 184, 189 f., 194 f.
Pobjedonoszew, Konstantin Petro-
witsch, russischer Gelehrter und
Staatsmann, II 115, 141, 143,
157, 176, 180. 191.
332 Alphabetisclies Personenregister für alle drei Bände.
Podgoritschany, Graf, III 251.
Pogrebnoj, russischer Polizeibeamter,
III 209.
Pohl, Max, Schauspieler, II 259.
Polonyi, ungarischer Justizminister,
II 94.
Poljakow, Lazar von, russischer Ge-
heimer Staatsrat, III 135, 270.
— S. S., russischer Eisenbahnmagnat,
III 124—126.
Politzer, Adam, Otologe, II 273.
Pontremoli, E., I 337.
Popow, russischer Polizeibeamter, III
217.
Popper, David, Musiker, II 259.
— Leopold, I 359.
— Ignaz, Staatengouverneur, II 220.
Porieß, Naturwissenschaftler, II 168.
Portalis, französischer Staatsrat, I 10,
12—14.
Posner, S., jüdischer Wohltäter, III 54.
Possart, Ernst, Schauspieler, II 259.
Potemkin, russischer Polizeibeamter,
III 218.
Pringsheim, N., Botaniker, II 260.
l^ronin, antisemitischer Agitator, III
182, 207.
Frus, Boleslaw, polnischer Schrift-
steller, III 285 f.
I'ückler, Graf, II 56—58.
Puttkamer, von, preußischer Minister,
II 17, 20, 37, 185.
I 'urischkewitsch, zweiter Vorsitzender
des Verbandes echt russischer
Leute, III 243.
R.
Raaben, von, russischer Gouverneur,
III 184.
Rabbinowicz, Rabbiner, I 389.
Rabinowitsch, Ossip, Publizist, III 73.
— Salomon, Schriftsteller, II 173.
Rachel, Schauspielerin, II 283.
Racoch, L., Redakteur, I 386.
Radetzky, österreichischer Feldmar-
schall, I 304, 306, 337.
Rafalsky, russischer Gouverneur, III
220.
Rapoport, Salomon Jehuda, jüdischer
Gelehrter, I 175, 192, 194.
Rathenau, Emil, Begründer der Allge-
meinen Elektrizitätsgesellschaft,
II 261.
Ratschkowsky, russischer Staatsrat,
HI 250.
Ratti-Menton, Konsul, II 301—303,
307 f.
Rau, juristischer Schriftsteller, II 267.
Rauscher, Kardinal -Erzbischof von
Wien, II 69 f.
Ra3Tial, Da\ad, französischer Minister,
II 210, 283.
Rebbert, Professor, II 10, 16.
Reggio, Isak Samuel, jüdischer Ge-
lehrter, I 193.
Regis, Max, Antisemitenführer, II
106—109, 116.
Reichenheim, Großindustrieller, II
661.
Reicher, Emanuel, Schauspieler, II
259.
Reichstein, Julius, III 85.
Reinach, Finanzier, II 283.
— Theodor, Sprachwissenschaftler,
II 180, 283.
— Josef, Journalist und Politiker,
II 283.
— Salomon, Sprachwissenschaftler, II
283.
Reitern, russischer Minister, III 65 f.
Reitlinger (Brüder), Berg- und
Hüttenwerke, II 272.
Remak, Dr., INIediziner, I 274.
Rethy, Moritz, Mathematiker, 11 279.
Reuleaux, Professor, II 42.
Rewbell, Advokat, I 6.
Richter, Professor, II 85.
Ries, Theresa, II 274.
Rieß, Dr., Physiker, I 268.
Rießer, Dr. Gabriel, Jurist und Poli-
tiker, I 100, 207, 240—244, 251,
259—261, 295 f.
— Lazar, jüdischer Gelehrter, I 163.
Ring, Max, Romanschriftsteller, II
258.
Robert, Emmerich, Schauspieler, II
259.
Rocholl, Divisionsprediger, II 23.
Rochow, von, preußischer Minister,
I 265.
Rodenberg, Julius, Romanschrift-
steller, II 258.
Rodes, Cecil, englischer Kolonisator,
II 222.
Rohling, Theologie-Professor, I 392;
II, 3, 10, 16, 73.
Roi, de la, Prediger, II 14.
Rokitansky, Professor, II 83.
Romanili, Samuel, hebräischer Lehrer,
I 194.
Rona, Josef, Bildhauer, 11 278.
Alphabotisclies Personenregister füi' alle drei Bände. 333
Roosevelt, Präsident der Ver. Staaten
von Nordamerika, II 217, 339.
Rosas, Dr., Professor der Medizin,
I 275.
Roschdestwensky, russischer Admiral,
III 188.
Rosen, Matthias, III 79.
Rosenfeld, Moritz, Jargondichter, III
26G.
Rosetti, rumänischer ^Minister, II 337.
Rosenthal, Prof. Dr., Physiologe,
II 260, 268.
— Leo, jüdischer Philanthrop, III
110.
— Moritz, Musiker, II 259.
— Toby, Maler, II 268.
Rosin, H., Jurist, II 260.
Rothauser, Theresa, Sängerin, II 259.
Rothmül, N., Sänger, II 259.
Rothschild, Finanzier, II 283.
— Baron Anselm von, I 378.
— Edmund von, II 317.
— Baron Lionel, I 286, 336.
— Karl Meyer von, Finanzier, II 261.
— Baron Nathan, II 305.
— Nathaniel von, II 203.
— S. M. von, Bankier, II 273.
— Rabbiner, II 264.
Rotteck, Geschichtschreiber und Po-
litiker, I 251.
Rottenberg. Dr., III 27.
Rouanet, Gustav, Abgeordneter, II
108.
Rovighi, Cesare, Journalist, 1 230, 290.
Rubenson, Gemmy, Polizeipräsident,
II 216.
Rubo, E., Jurist, II 260.
Rudis, Mendel, III 184.
Rühs, Chr. Fr., Professor. I 92.
Rülf, Isaak, Rabbiner. II 156.
Rybinski, General, I 238.
S.
Saalschütz, Dr., Rabbiner, I 261, 268,
298.
Saar II 275.
Sacharin, Dr., Arzt, III 252.
Sachs, Michael, Kanzelredner, I 202,
213, 347.
— Salomo, Bauinspektor, I 118.
Sack, Bankdirektor, III 126.
Sagaramskij -Kissel, Stadthaujjtmann
von Nikolajew, III 213.
Sailer, Friedrich, Schriftsteller, II 16.
Salerasfeld, Theodor Edler von,
Hauptmann, I 377.
Salfeld, Rabbiner, II 264.
Salientochowski, polnischer Schrift-
steller, III 286.
Salkind, Salomon, Gelehrter, III 18.
Salman von Liozna, Führer der Chas-
sidim, III 82.
Salomon, Gotthold^ Lehrer und Pre-
diger, I 42, 94, 161, 196, 208.
— Sir Julian, australischer Staats-
mann, II 225.
— N. L., Premierminister von Süd-
australien, II 225.
Salomons, David, 1 286, 335; II 305.
Salvador, Geschichtschreiber des Ju-
dentums, I 219.
— Philanthrop, II 283.
Salvano, Giacomo, italienischer Ge-
neralsekretär des Äußeren, II 212.
Samarin, russischer Nationalökonom,
III 95.
Samson, Isaak Herz, jüdischer Philan-
throp, I 29.
Samsorow, russisclier Generalgouver-
neur, III 261.
Samuel, Herbert, englischer Minister,
II 203.
— australischer Abgeordneter, I 383.
Sandherr, Oberst, II 101.
St. Jean d'Angely, Regnault de, fran-
zösischer Abgeordneter, I 7.
Sanders, Daniel, Sprachforscher, II
259.
Sandheim, Philanthrop, I 83.
Sandor, Paul, Politiker, II 280.
Santa-Anna, Präsident von Mexiko,
I 226.
Sarda, Schneider. II 120.
Saro, Samuel, Oborlandesgerichtsrat,
II 195.
Sassoon, Sir Albert, II 348.
— David, II 348.
Saussier, General, II 100.
Sattler, Fabrikant und Abgeordneter,
I 247.
Schapira, C. A., Lyriker, II 168.
Scharf, Josef, Synagogendiener, II 77.
— Moritz, II 77 f.
Schauer, Rechtsanwalt, IT 159.
Schelling, von, Minister, II 45, 186.
Scheremetjew , GendarmericAvacht-
meister, III 206, 255.
— russischer Generalgouverneur, III
174.
Scherif-Pascha, Gouverneur von Da-
maskus, II 301 f., 304, 307 f.
Scheurer-Kestner, Senator, II 112.
334 Alphabetisches Personenregister füi- alle drei Bände.
Schiff. Jakob H. , Philanthrop, II
294 f.
— Moritz, Physiologe, II 260.
Schimmelpenninck. batavischer Rats-
pensionar, I 65.
Schlegel, Friedrich, Schriftsteller, I 56.
Schlesinger, Ludvdg, ^lathematiker,
II 279.
Schlösser, Maler, II 264.
— Musiker und Hofkapellmeister,
II 264.
Schmal, Dr.. Regierungsrat, II 267.
Schmerling, Anton von, österreichi-
scher Minister, I 317.
Schmidt, Publizist, I 94.
— Xaver von, Geistlicher und Ab-
geordneter, I 100.
— Universitätsprofessor, II 267.
Schmidt, Alexander, Bürgermeister
von Kischinew. III 184.
Schmiedl, Rabbiner, I 215.
Schneider, Abgeordneter, II 128.
Schnitzer, Eduard = Emin Pascha,
II 260.
Schnitzler, Arthur, dramatischer
Schriftsteller, II 274.
Schönberger, Baron Sigmund, Groß-
grundbesitzer, II 280.
Schönerer, Georg Ritter von, Anti-
semitenführer, II 71, 74, 76, 82.
Schönstedt, preußischer Justizmi-
nister, II 63, 186.
Schorlemer-Alst, von, Abgeordneter,
II 53.
Schorr, Josua Heschel, II 167, 194.
Schreiber, Simon, Rabbiner, II 192
bis 194.
Schreyer, Jakob, Jurist, II 279.
Schröder, Domvikar, II 11.
Schröder-Bergstadt, Abgeordneter, II
11.
Schroetter, von, preußischer ^Minister,
I 165.
Schtschedrin. russischer Schriftsteller,
III 137.
Schuckmann, preußischer ]\Iinister
des Innern. I 111.
Schukowski, russischer Dichter, III 59.
Schwab, L., Rabbiner, I 174, 205.
Schwartz, russischer jNIinister, III 264f .
Schwarz, Arthur, ]Mediziner, II 279.
— Eduard. Forschungsreisender, II
260.
Schwarzkoppen, von, ]\Dlitärattache,
II 112, 114.
Schweitzer, Eduard von, Feldmar-
schall-Leutnant, II 274, 280.
Sdorow. russischer I'olizeibeamter,
III 216.
Sedlyczek, Antisemitenführer, II 55.
See, Germain, Mediziner, II 283.
Segre, Enrico, Hauptmann, II 282.
Seljenoi, Odessaer Stadthauptmann,
III 227.;
Seligmann. Josef, II 121.
— L., Rabbiner, I 230.
Senator, H., Mediziner, II 260, 263.
Senger, russischer ]Minister, III 194.
Sergei AlexandroA^-itsch, russischer
Großfürst, III 191.
Sessa, Karl, Possendichter, I 93.
Sichel, Nathanael, Maler, II 259, 264.
Sieghart, (Dr. jur. Singer), Ministe-
rialdirektor, II 274.
Silbermann, Redakteur, I 344.
Siemens, 'Werner von, Physiker, II 19.
Simon, James, II 149, 261.
Simons, preußischer Justizminister,
I 367.
Simonsfeld, G., Historiker, II 259.
Simson, Eduard, Reichstags- und
Reichsgerichtspräsident, II 260.
Sinadino, antisemitischer Agitator,
III 207.
Singer, Dr, jur. (Sieghart), Ministe-
rialdirektor, II 274.
— sozialdemokratischer Führer, II 32,
261.
Sirin, russischer Polizeibeamter, III
224.
Skalon. russischer Generaladjutant,
III 258.
Smolenski, jüdischer russischer Literat,
III 136.
— Perez, Schriftsteller, II 156, 167 f.
Sokolow,Nahum, Schriftsteller, II 169.
Soldi, Emile, Bildhauer, II 283.
SoljTnessi, Esther, Dienstmagd, II 77f.
Sonnemann, Leopold, Abgeordneter,
II 27, 261.
Sonnenthal. Adolf, Schauspieler, II
274.
Sontheim H., Sänger, II 259.
Sopher, ^lose, Rabbiner, I 163, 173,
183.
Soschinski, russischer Hauptmann,
III 256.
Soult, ^larschall, französischer Pre-
mierminister, II 303.
Spanjer-Herford. Advokat, I 255.
Spektor. ^Mordechai, Scliriftsteller, II
173.
Sper, Leib, jüdischerWohltäter, III 54.
Alphabetisches l'crsouenregister für alle drei Bände.
335
Speyer, James, Finanzier, II 29ö.
Spitzer, Leibarzt des Sultans, II 310.
— Salomon, Rabbinatsassessor, I 357.
Springer, Baron Gustav, II 272.
— Max, Fabrikant. II 272.
SsagußjeAvitsch-Hanko, russischer Be-
amter, III 205.
Stadion, Graf Franz Seraphim, Statt-
halter von Galizien, 1 277.
Stahl, Friedrich Julius, Professor und
Politiker, I 239.
Stanislaus Poniatowsky, König von
Polen. III 53.
Staub, H., Jurist, II 260.
Stein, Reichsfreiherr von, I 88.
— Ludwig, Philosoph, II 260.
— Leopold. Rabbiner, 1 205, 212, 315.
Steindorf, G., Historiker, II 259.
Steiner, K. von. Geh. Kommerzienrat,
Bankier, II 267.
Steinheim, Salcmon, Ludwig, Ge-
lehrter und Schriftsteller, I 181,
282.
Steinthal, Haim, Philosoph, II 260.
Stern, Abraham, ^Mathematiker, I 75.
— Julius, Musiker, II 259.
— Dr. Sigismund, ^litbegründer der
Berliner Reformgemeinde, I 205 f.,
270.
Sternau, Graf Wenzel, badischer
Staatsmann. I 39.
Sternfeld, :Moritz, Dichter, II 173.
Stettenheim, Julius, Journalist und
Schriftsteller, II 258.
Stiassny, Baurat, ^litglied im Ge-
meinderat, II 271, 274.
Stiller, Moritz, Jurist, II 279.
Stöcker, Adolf, Hofprediger, II 11,
13 f., 23, 27, 30—33, 36—41, 45,
48, 185.
Stolypin, Peter Arkadjewitsch, russi-
scher Minister, III 197, 233, 241 f.,
2491, 254, 259, 265.
Strack, Hermann, Professor, II 46.
Straschun, ^latthias, gelehrter Ban-
kier, III 17.
Straßburger, Eduard, Botaniker, II
260.
Straßmann, Dr., Stadtverordneten-
vorsteher in Berlin, II 21.
Strauß, David Friedrich, christlicher
liberaler Theologe, I 202.
— Oskar Salomon, nordamer. Diplo-
mat, II 217.
— Oskar, Komponist, II 274.
Stratanowitsch, Bürgermeister von
Orscha, III 223.
Streckfuß, Adolf, preußischer Ge-
heimrat und Schriftsteller, I 260
bis 262, 270.
StreLnikow, russischer Genera], kaiser-
licher Prokurator, III 129.
Strobach, Bürgermeister, II 87 f.
Stroganow, Generalgouverneur, III
62, 65.
Struck, Maler, II 259.
Struensee, preußischer Finanzminister
I 51.
Suchonikow, russischer Polizeibe-
amter, III 213.
Suchomlinow, russischer Generalgou-
verneur, III 253.
Sueß, Professor, II 83.
Sulzer, Kantor, I 173, 186.
Surrabi, Salomon, II 347.
Sußmann-Hellborn, Bildhauer, II 259.
Sutro, Oberrabbiner, I 366.
Suttner, Baron, Schriftsteller, II 83.
— Baronin, Schriftstellerin, II 83.
Suworin, russischer Publizist, III 100.
Svab, Karl von, Großgrundbesitzer,
II 280.
Swerbejew, russischer Gouverneur,
III 239.
Swjatopolsk-Mirski, Fürst, Hetman,
III 174.
— Fürst, russischer Minister, III 195.
Sybel, Heinrich von; Direktor der
Staatsarchive, II 19.
Szanto, jNIichael, ^linisterialrat, Jurist,
II 279.
Szell, Antisemitenfübrer, II 79.
Szechenyi, Graf Bela, ungarischer
Staatsmann, I 380.
Szekely, Franz, Finanzier, II 280.
Szenes. Philipp, Maler, II 278.
Szilasi, Moritz, Sprachforscher, II 279.
Szih, Adolf von, Mediziner, II 279.
Szterenyi, L'nterstaatssekretär, II 274.
Taaffe, Graf, österreichischer Minister-
präsident, II 71, 82, 84.
Tager, Oberrabbiner, III 261.
Taussig, Anton, Musiker, 11 259.
— Siegmund, Hof rat, Architekt, II
274.
— Theodor Ritter von, Bankier,
II 273.
Tedeschi, Achille, Journalist, II 282.
Teles, Eduard, Bildhauer, II 278.
Teller, Propst, I 54.
33 G Aliihabetisches Personenregietor für alle drei Bände
Theotokis, griechischer Ministerpräsi-
dent, II 346.
Thierey, Advokat, I 6.
Thiers, Adolf, französischer Minister-
präsident, I 254; II 304. 306,
308.
Thomas, Kapuzinerpater, II 301.
— Emil, Schauspieler, II 259.
Thun, Graf, österreichischer Kultus-
minister, I 357.
— A., deutscher Schriftsteller, III
119.
Thurau, russischer Senator, III 248.
Tichanowsky, russischer Dragoner-
oberst, III 257 f.
Tietz, Hermann, Großhändler, II 261.
Tiktin, Salomon, Rabbiner, I 199 f.
Tisza, ungarischer Ministerpräsident,
II 79—81.
Todesco, Baron Eduard, II 273 f.
Todt, Pfarrer, II 13.
Tolmatschow, russischer Gouverneur,
III 262.
Tolstoi, Graf Dmitri Andrejewitsch,
russischer Minister, III 139 f.,
155, 175.
— Graf Leo, russischer Schriftsteller,
III 138.
Touro, Juda, II 316.
Toussaint Descjuiron de St.-Agnan,
französischer Präfekt, I 121.
Traube, S., Mediziner, I 371 ; II 260.
Trefort, ungarischer Kultusminister,
II 79, 196.
Treitschke, Heinrich von, Professor,
II 15, 27, 35.
Trepow, Petersburger Stadthaupt-
mann, III 245 f., 250.
Treves, Claudio, Journalist, II 2^2.
Trier, Salomon Abraham, Rabbiner,
I 203.
Triesch, Irene, Schauspielerin, II 259.
Tsarfati, reformierender Schriftsteller,
I 219.
Tscherkaski, Fürst, III 95.
Tschernichewsky, Paul, Dichter, II
169.
Tugendhold, Seminardirektor, III 50.
r.
Uchtomsky, Fürst, III 172.
Ullmann, Adolf, Finanzier, II 280.
Ulmann II 267.
— Benjamin, Maler, II 283.
— Joseph, Rauchwarengeschäft, II
270.
Unger, Minister, II 275.
— Josef, Jurist, II 260.
Ungerleider, Rabbiner, I 354.
Urussow, Fürst, russischer Gouver-
neur, III 207, 227, 250, 258.
Ury, Lesser, Maler, II 259.
Usischkin, Zionisten-Führer, II 165.
Ustiugow, russischer Vizegouverneur,
III 182.
Uwarow, Graf, russischer Unterrichte-
minister, III 13—15, 19 f., 22.
V.
Valabregue, Albin, dramatischer
Schriftsteller, II 283.
Valentin, Rektor, II 201.
— Prof. Dr., Physiologe, I 387; II
260.
Vamberv. Hermann, Orientalist, II
279.^
Varzsonyi, Wilhelm, Politiker, II 280.
Vay, Baron Nikolaus, I 280.
Veit, Dr., Buchhändler und Abgeord-
neter, I 295.
— Dorothea, I 56.
Venture, Orientalist, I 9.
Verhovay, Publizist, II 80.
Victor äigo, Dichter, II 29.
Viktor Emanuel II., König von Sar-
dinien, dann von Italien, I 320,
385.
Viktoria, Königin von England, II
150, 222, 348.
Viktoria, Kronprinzessin und dann
Kaiserin von Deutschland und
Königin von Preußen, II 19.
Virchow, Rudolf, Professor, II 42.
Visontai, Kornel, Politiker, II 280.
Vogel, Sir John, Premierminister von
Neu-Seeland, II 225.
Vogel, Simon, Oberst, II 274.
Vogelstein, Rabbiner, II 159.
Wagener, Hermann, preußischer Ab-
geordneter, I 331 f., 345.
Wagner, Adolf, Professor, II 31, 35.
Wahrmann, Moritz, Pohtiker, II 280.
Wahrmimdt, Adolf, Professor, II 35.
Waldeck-Rousseau, französischer Mi-
nisterpräsident, II 111, 115 f.
Waldersee, Graf, Generalstabschef, II
36.
Waldteufel, Jonas, Musiker, II 283.
Walter, Abgeordneter, I 310.
Waluwjew, russischer Minister, III 66.
Alphabetisches Personenregister für alle drei Bände.
337
Wannowski, russischer ^Minister, III
175 f.
Warburg, Emil, Chemiker, II 260.
Wassermann, von, Kirchenrat, Ge-
lehrter, II 267.
— Jakob, Romanschriftsteller, II 258.
Weigert, P., Mediziner, II 260.
Weil, Gjrmnasialprofessor, I 319.
— Gustav, Orientalist, II 259.
— Dr. Karl, Kollegien-Assessor, 1 249.
Weill, H., SprachA\issenschaftler, II
283.
Weitlof, Abgeordneter, II 75.
Wellington, Arthur Herzog von, I 285.
Wergeland, Henrik, norwegischer Ab-
geordneter, I 283, 335.
Wertheim, Georg, Großhändler. II 261.
Wertheimer, Joseph von, I 275, 329.
Wertheimstein, von, Franz, II 275.
— Ritter Leopold von, II 274.
Wessely, Universitätsprofessor, I 317.
— Naftali Hartwig, Hebraist und
jüdischer Aufklärer, I 52, 194.
Westphalen, von, preußischer ]\Ii-
nister, I 367.
Weyl, jüdischer Apologet, I 94, 167.
Wjasemsky, Fürst, III 27.
Wied, Fürst von, II 83.
Wiegand, Otto, sächsischer Politiker,
I 255.
Wielopolski, Marquis Alexander, pol-
nischer Staatsmann, III 77 — 80,
84, 86 f.
Wiener, J.. Publizist, II 16.
Wiener Hilfsverein, II 277.
Wiesinger, Albert, kath. Geistlicher,
II 70.
Wiggers, Deutscher Abgeordneter, I
372.
Wilbrandt. Adolf, II 275.
Wilczek, Graf Hans, II 83.
Wilhelm, Herzog von Braunschweig,
I 244.
AVilhelm I., König der Niederlande,
I 126—128.
Wilhelm IV., König von England und
Hannover. I 258, 285.
Wilhelm L, König von Preußen, Kaiser
von Deutschland, I 338, 365, 368;
II 12, 185, 336; III 3.
Wilhelm IL, deutscher Kaiser und
König von Preußen, II 36—38, 55.
Willich, bayerischer Abgeordneter,
I 245 f.
Wilmans, Richter, II 12.
Wilmersdörfer, von, Konsul, II 268.
Winawer, Rechtsanwalt, III 260.
Windisch- Grätz, österreichischer Feld-
marschall, I 307, 317; II 84.
Windthorst, Ludwig, Parlamentarier,
II 19, 124.
Winter, Ernst, Gymnasiast, II 58 f.
Winternitz, Wilhelm, Mediziner, II
260.
Winterstein, österreichischer Handels-
minister, I 379.
— Simon, Mitglied des Reichsrates
und Herrenhauses, II 271.
Wise, Isaak Mayer, Rabbiner. I 348;
II 183.
Witte, von, russischer Minister, III
181, 195, 220, 241, 249.
Wittenberg, Ignaz, Oberinspektor,
II 280.
Wittgenstein, von, preußischer Po-
lizeiminister, I 111.
Wladimir Alexandrowitsch, Großfürst,
III 124.
Wodianer, Arthur, Buchdruckereibes.
und Verleger, II 281.
— Philipp, Buchdruckereibes. und
Verleger, II 281.
Wolf, Joseph, Schulmann und Ge-
lehrter, I 42, 161, 167.
— Immanuel (auch Wohlwill), Re-
former, I 167 f.
— Simon, II 263.
Wohlfarth, von, Generalkonsul, II 332.
Wolff, Abgeordneter, II 263.
— A. A., Oberrabbiner, I 229.
— Albert, Journahst und Politiker,
II 283.
— Julius, Mediziner, II 260.
— Oberst der westfälischen Garde,
I 33.
Wolfskehl, Otto, Landtagsabgeord-
neter, II 264.
Wolfenstein, Richard, Architekt, II
259.
Wollheim, Cäsar, Großhändler, II 261.
W^ollenberg, Leo, italienischer Mi-
nister, II 212.
Wöllner, preußischer Minister, S. 47.
Workal, russischer Hauptmann, III
256.
Worms, Baron de, II 203.
— Jules, Maler, II 283.
W^ormser, Abraham, I 254.
Woronzew, russischer Generalgouver-
neur, III 30.
Wrangel, General von, I 306.
W^ünsche, Orientalist, II 6.
Wurm, Schauspieler, I 93.
W>szinski, Pater, III 85.
Philippson, Neueste Geschichte der Juden, Bd. III.
22
338 Alphabetisches Personenregister für alle di'ei Bände.
Z.
Zajonzek, Statthalter von Polen,
I 142.
Zanger, Johannes, Pfarrer, II 57.
Zangwill, Israel, Romandichter, II
164, 284.
Zay, französischer Rabbiner, I 218,
Zedernbaum, Schriftsteller, II 172.
Zepler, Georg, Schriftsteller, III J96.
Zerboni di Sposetti, Oberpräsident der
Provinz Posen, I 117.
Zichotzky, russischer Polizeibeamter,
III 221 f.
Zichy, Graf, II 83.
Zimmermann, Führer der Antisemiten,
II 54, 66.
Zimmern, S., jüdischer Apologet, I 94.
Zola, Emil, Romandichter, II 100,
105, 113 f.
Zöpfl, Heinrich Mathias, Staatsrechts-
lehrer, I 242.
Zuckerkandl, Emil, Anatom, II 273.
Zuckermann, Benedikt, I 342.
Zunz, Leopold, jüdischer Gelehrter,
I 115, 153, 159. 165—171, 192 f.,
196 f.
'd
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